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iiiiii
HW
HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THE BEQUEST OF
MRS. ANNE E. P. SEVER
OF BOSTON
Widow of Col. James Warren Ser er
(CUm of 1817)
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«ttjcfttff
für
JJEHfienfdjaft, ÜKttetatur nn& ftunft.
III. jfabrgang.
1901/1902.
e r a u 8 g e g c b t n
von &cr
Üeo*(Befellfd)aft.
jgBten uit6 Stuttgart.
3of. X?etUgebucbb<*nMutig.
1908 .
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-P“(r t.hyrrxy-
S-fe-O,- 2-.
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Inhalt des dritten Jahrganges.
Huf fitze:
Seite
^aumgarten, 9Rfgr. 3)r. tfktul
SRaria, in ÜRiincben: 95 o r a u S*
fefcungSlofe gorfcbung, freie
Söiff enfcbaf t unb Slatboli«
ciSmuS.241
$ ü r r n> a e ch t e r, 2)r. 21., ©pmnaftal-
leerer in SÖürjburg: $)onauunb
®in Sffap.519
@r im mich, $>r. 33irgü, o. ö. 38rof.
an ber beutfcben Unioerfität in *Prag:
Otto SBillmann’S fünfuno*
jroanjigjäbrige Xfjätigfeit
am $rager päbagogif djen
UnioerfitätSf eminar. . . 223
&amann S. 2R., in ©öfroeinftein,
Oberfranfen: Sichert . 415
§ a r t n> i g %\). t Obeipealfcbulprofeffor
in 9Br.»yteuftabt: Über flüffige
8uft. .. 90
geifert, S)r. 3of. 2lley. greif). o.,
©r. üJlaj. roirfl. ©eh. SRatb in äßien:
Srlebniffe unb Erinnerungen.
II. SJhnifterium ©ebroarjenberg*
©tabion. — III 3»n Äremfier. —
IV. 3)ie grobe UnterricbtSreform.
1, 97, 183, 273, 343, 449, 590
jpirn, 3Dr. 3of., o. ö. 2kof. an ber
UnioerfUät 3Öien: $)er$atboli*
ciSmuS unb baS XX. 3abr=
bunbert .161
3nnerfofIer, P. Slbolf, C. SS. R.,
in ©rulicb: 2>r. 3 ob- ®mm. 93e i t b-
SinebiograpbifdHitterarifdje ©tubie. 471
3ppen £b- 51., f. unb f. ©eneral*
EonfuI in ©futari: 3)aS religiöfe
3ßrotectorat Ofterreich-Un*
garnS in ber lürfei. . . . 298
$ n e i b, $r. Philipp, 3Stof. am 3ßriefter
©eminar in ÜRainj: ORoberne Sin=
roänbe gegen bie cbrift liebe
üRoral.561
Seite
ßralif, 3)r. SRicbarb oon, in 2Bien:
5Utnorbifcbe S)icbtfunft. 81, 214
-: 2Ibam Xrabert. . . . 25a
-: Äulturibeale.321
(Stupelroiefer) 8eop. äupelroiefer.
Erinnerungen feiner Jocbter. . . 502:
ORantuani, $>r. 3of., 2Imanuenft$
ber fcofbibliotbef in 2Öien: P. fr a r t*
mann'8 Oratorium „©anct
granciScuS". 379
9Rüller, $r. 2llopS, inSBonn: S)ie
9$biJ°fopbieber2Iftronomie.
330, 428
9Rutb, $r. SRidjarb o., $)irector beS
nieb.'öfterr. 8anbeS»8ebrerfeminar$
in ©t. gölten : $ie n e u e b e u t f cb e
SRedjtfcbreibung.171
-: 3«t SBilrbigung fjriebricb
£>ebbel’S nebft allerlei Sy-
curfenüberSöiener^b^otcr
unb Epigonen.577
*Ra gl, P. SraSmuS, O. Cist., in
freiligenfreuj : 2)ie «Dormition de
la sainte Vierge».36
SReuroirtb, 3)r gofepb, o. ö. $rof.
an ber Xecbn. ^ocbftbule in SBien:
Wiener ftunftleben (Jänner
big 3uli 1901). 49, 134
-:2Biener$un ft leben (£>erbft
1901). 359
— —: Wiener ftunftleben
(gänner bis guni 1902). 612
fttöSler, P. 2luguftin, C. SS. R., in
nrr»_ a _ x • '_. rr>< • * » x_
üRautern (©teiermarf): % i e f u 11 u r-
gefcbicbtlicbe33ebeutungoon
3acbariaS2öerner’SEntn)icf*
lungSgang.19
©djleinifc, 0. grb- o., in 8onbon:
Sntbedung altfran^öfifcber
33r oncerefief S in ftero. . . 46-
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Seite ;
©^leufener, 5)r. 2B., Oberlehrer, I
in ÜJtoins: Unfehlbarfeit unb |
freie 3forfchung.401 1
©chlögl, $)r. P. 9linarb, O. Cist., |
$heol.’9$rof. in jpeiligenfreus: $)ie i
heilige *ßoefie ber Hebräer. I
II., III. 125, 489 |
Xacoli, SInton SJlarqujS, in 2öien: 1
Harrain unb ba3 Überleben I
be§ *ßaf f enben.121!
SBebofer Xhomaä (f): SBifchof !
Söilhelm Äetteler. . . . . 602 j
Brziblungen: j
©fdje Ibach £>an3, in Äöln: 2öie
ich dichter rourbe. 3ugenb= i
erinnerungen.148
§anbel*2Rassetti, ©nrica 3reiin n.,
in 2Bten: $)er SBerräther.
9loneUe.66 I
^ a g e r l ö f ©elma, in ^falun (©chroeben):
$a$ 9tothlelchen. 9Iu§ bem I
©dpnebifchen non 3?ranci$ 3Jtoro. . 637
©abil, P. 9Jfeinrab, O. S. B., in
SBien: Otfrieb. ©pifdje Dichtung
in 9 ©efängen. . . . 311, 386, 530
6 tdtd>tt:
©aftell e ftriebr., in flachen: 9lbenb. 488
$ontanig, 3)r. Äarl, in ftlofterneu*
bürg: Parabel.310
©eite
ftieSgen Mauren*, in Äöln: $)er
hinter. . ..147
ftralif, 2)r. Oficharb n., in SBien:
©ebichte.528
Srabert, £>r. Slbam, in 28ien:
93ifion. 272
SBitfop ^BhilipPf in SJiünfter i. $B.:
3 n ber Academia dell arte
SU SBenebig.611
Rundfcbau:
78
78
79
79
80
80
©efälfchte alte ÜJtonufcripte.
$)eutfche tfitteratur in ^nnfreich
5lutograpbenbanbel.
$rof. 9Jta;r üftüller’S ©ibliothef.
2öa3 ein i lieb inert fein fann. .
?kei$aufgaben.
$)er 9lntheil ber Slatholifen am ac&
bemifchen öehramte in *ßreufjen (B.) 158
3fechner über bie Äunft (A. M.). . . 159
2Bie bas „©efcer unb 2Belte’fche
ßirchenlertfon" juftanbe fam. . . 237
geifert, 3ofeph 5 r h- n., $a$ neue
fr erber’fcbe ©onnerfationSleyifon. . 240
^euinirth, $rof. 3)r. 3°i c Ph» ©in
neues 3Öerf über bie ©iptinifcbe
©apeüe.556
3JI ü 11 e r 9llopS, Äant unb bie©temen*
beinohner.558
3)ie britte ©miffion ber claffifchen s 2ln-
bachtSbilber berßeo*©efellfchaft (J. N.). 560
8 rür bie »ebaction beraititt>ortli<$: Dr. ftrana ©(^nüret.
Budjbrudetel ttmbr. Opifc, Wien.
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]o$epb Treiben von Belfert.
(ErlEbitilTe unb (Erinntningen.
II.
®inij!srium j&ditoari^nb^r0-^fatri0iu
1.
2llS gürft gelijScBmarsenbergim Dctober 1848 in Dlmiifc er jcBien
galt er ben Seuten, bie unt feine Slnfunft mufften, einfach als ein ©eneral ooit
ber 2lrmee Stabefcfp'S, mie ja $u jener aucB anbere l)öl)eve Dfficiere in
ber mäfjrifdjen £>auptftabt erfcBienen. © 01 t einer fjöljeren Seftimmung beS
gürften f)atte im ©ublicum unb, mie mir gefefyen Baben, felbft in 2lbgeorbneten*
(reifen niemanb eine SIBnung. ©cBmarjenberg Batte bamalS fein 48. 2ebenS-
ja^r eben erft jurücfgelegt, — geb. 2 . Dctober 1800 511 Stumau in ©öBmen, —
er mar Bo<B unb fdf)lanf bon SBudjä, folbatifcB aufrecht nnb gerabe in feiner
Haltung; feine ©eficBtS^üge, bie geinljeit feiner |>änbe unb feiner ganzen
©eftalt trugen ein auSgefprocBen ariftofratijcBeS ©epräge; ber fur^e unb
fc^neße unb babei leichte Schritt berrietB — biefeit ßinbrucf Bat er mir bon
allem Anfang gemacBt — ©ertrautBeit mit bent glatten Stoben beS §ofmanneS
unb beS Diplomaten.
2 lriftofrat bont SBirbel bis $ur $eBe mar aucB ©raf granj ©tabion,
um fecBS 3aBrc junger als ©cBmaraenberg, geb. ju SBien, 27. 3uli 1806.
Sei ©tabion mar alles lang, fein ©eficBt, fein |>alS, feine ©eftalt,-bie fid),
roie eS bei BocBgemacBfenen Männern borjufommeu pflegt, mit bem Dbertörper
etmaS nacB born neigte, ©eine gan^e ©rfcBeinung mar, mie ficB £>einricß
©laut bon iBm aitSbrüdte, eine folcBe, bie, in einer nocB fo großen ©efellfcBaft
einmal gefeBen, einen bleibenben ©inbrud ^urücfließ. ©tabion’S SluftaucBen in
Dlmüfc erfuBr bie gerabe entgegeugefefcte Deutung als jene ScBmarjenberg'S:
alle faBen in iBm ben fünftigen SRiuifter unb Ijulbigten iBm als folcBent. ©r
felbft leBnte bieS in entliehener ©Seife ab, in bertrauten Streifen mollte er
BöcBftenS als SRiniftermacBer gelten.
DodB bieS mar er im ©runbe nidjt. Sr mar für ben Slugenblid nur
SKinifter f ucB er: SRinifter macBer mar ein anberev. 2ln bemfelben 19. Dctober,
$ie ftutut. III. 3ol)rfl., l. $eft (1901.) 1
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2
gofepp greiherr oon geifert.
bon meinem baS gemilberte faifcrlic^c SWanifeft baticrte unb an beffen Por*
abenb Schmalenberg mit Saffer, SRaper unb mir baS Spiel bcr Kafce mit bcr 2RauS,
nur nicht mit fo graufamem SluSgang gefpielt hatte, mar dou ©e. SWajeftät ein
^anbfdjreiben unterzeichnet, baS ben gürften mit bem Aufträge betraute, ein
neues SWinifterium ju bilben. Paron SBeffenberg mürbe mit huftwoti
gnäbigen SluSbrüden feines PoftenS enthoben unb mit bem ©rofefreuz beS
©t. ©tephanSorbenS ausgezeichnet . . ., baS er bereits feit breifeig fahren
befafe. ®erlei ÜDtifSgriffe tarnen in jener 3ett, mo man bielfach ohne prioren
arbeitete, mehr als einmal oor.
gürft ©chtoarzenberg, feit mehr als zwei ^ecennien an ben §öfen bon
©t. Petersburg, Sonbon, Xurin, SReapet bermenbet, mar baburch ben inneren
Perf)ältniffen feines PaterlanbeS entfrembet morben, unb auS biefem ©runbe
mar ifem ©tabion, ber bie öfterreichifchen 3uftänbe unb SSer^ättniffe genau
fannte, höchft miflfomnten unb nüfclich, ba er ifem bei ber 9tuSmaf)l ber
Perfönlichteiten für bie oerfchiebenen Portefeuilles behilflich fein tonnte.
2 .
$ie Sage beS Gleiches, bon ben ausmärtigen Perljältniffen ganz ab*
gefehen, mar bamals eine nahezu oerzmeifelte: bie $aupt* unb SRefibenzftabt
in hellem Slufftanb, ein ungarifcheS $eer jenfeitS ber Seitha unb ber SDtarch,
Don mo ifem bie Porrüdung gegen SBien freiftanb, im tombarbifch s benezi s
anifchen Königreich momentane SBaffenruhe, bie jeben 2lugenblid gebroden
merben tonnte, ©alizien unb Krafau zur Sloth in Drbnung gehalten, in
allen anberen SReichSlanben, baS treue lirol allein ausgenommen, eine geregte,
minbeftenS eine zweifelhafte Stimmung.
S)ieS galt zumal bon Pöfemen, baS unter ben beseitigen Perhältniffen
oon befonberer SBichtigleit mar. ®ie Stimmung hier War unb blieb eine ge*
theilte: bie einen für, bie anberen gegen SBien.
$)ie beutfehen Pereine, bie beutfcheit Journale, bie beutfehen ©täbte
grofe unb flein fchwärmten für SBien. *$er Kampf in SBien", biefe cS in
einer Slbreffe ber ©tabt Sluffig uom 16., „ift nicht, mie man uns meiS*
machen min, ein Kampf ber SBühlerei unb Slnarchie gegen bie gefefcliche ©emalt,
fonbent ein Kampf ber gefeplichen Freiheit unb ber gerechten Sntrüftung gegen
bie Stänfe einer anti*beutfd)en, reactionören $ofpartei. $>aS Polt bon SBien,
Segion, ^ationalgarbe unb Slrbeiter, ift bemunberungSmürbig, baS Senehmen ber
hohenSteichSüerfantmlung über alles menfchlicheSoberhaben." ®erbeutfehePerein
in Sluffig briidte in einer Slbreffe bom gleichen läge „feine tiefe Perachtung
allen jenen auS, bie theilS in böfer Slbficht, theilS auS geigheit unb Pflicht*
bergeffenljeit ben Poften, an ben fie baS Pertraucn beS PolfeS berufen hat,
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ÜRiniftcrium Schn)arjenberg*Stabion.
3
fchmachtoofl üerlaffen haben". der Sejirföoerein oon Seitmerifc »erlangte, baf$
bie äbgeorbneten »on drautenau (2Reb. dr. 3ran$ Steife) unb lacfeau (meine
UBenigleit) ihrer SRanbate »erluftig erllärt unb anbere an ihrerftatt gewählt
werben. 3n Steichenberg erhob ber beutfefee Eentralüerein feine Stimme
gewaltig für SBien; e3 feiefe fogar, e3 würben greifbaren »on bort SBien
$u $i(fe eiten. Uffo ^orn polterte unb bonnerte bort. „3ft e$ benn noch
nicht an ber fragte ein ^ager Slatt, „baf£ Uffo £>orn feinen aller*
orte mif3glü<ften ©aftfpielen ein Enbe macht? Sann er benn nicht ohne
tjia^co leben?! 41 SSfenticfe gieng e3 in ben Stabten mit gemachter S9e»ölferung
$u, wenn bie deutfben ba3 Übergewicht hatten; fo in Hilfen, Wo bem fi^reiä*
arjt dr. granj (öfoba eine Stofcenmufif bargebracht würbe, weit er ben
Stei<h3tag »erlaffen hatte.
3n ber böfemifchen $auptftabt war jene Stimmung überwiegenb, bie
in ber SBiener Steootution ein fla»enfeinbliche$ 93ünbni£ jmifchen ber gran!*
furter Sinfen unb bem $offuth'fchen 2Ragt)ari£mu£ erbtiefte doch gab e3 fetbft
im ffaüifchen Ih c ü ber Präger SBeüölferung immer noch einige, bie gleich
ihren beutfehen SanbSleuten mit SBien fpmpathifierten. 9tm 15. Dctober ftetlte
in einer geheimen Sifcung ber Sloüanäfä Stpa 3ur. dr. SB i t ä! ben Antrag,
bie deputierten aufjuforbern, für SBien »ermittelnb einjufchreiten. S a b i n a
ober ein aitberer unterftüfcte ben Stntrag: „ Siegt SBien, fo jerfäHt bie 9Kon*
orchie; fallt eft, tarnt tritt !äJtilitär*deapoti3mu$ ein!" ®r. Schebe! tratbiefer
Sluffaffung entgegen: .„SBien muj3 gebemiithigt werben; benn e3 hat fich bie
Suprematie angemafet, unb baä fteht mit ben ©runbfäfeen ber Eonföberation
unb ber ©teithberedjtigung im SBiberfpruche." Stieger fagte: „Siegt SBien,
bann ift ed mit unferer Nationalität au§; fällt e£, bann ift bie greiheit
barum noch nicht begraben, die Erhebung »on SBien ift eine franffurtifdj 5
magparif(he; auch wenn fie gebrochen fein wirb, fann in SBien nicht weiter
frei getagt werben; man wirb ben Steich$tag an einen attberen Drt »er*
oerlegen müffen."
SBitäFS Antrag fiel, unb e$ würbe auf ben Eintrag granj $aw!i£eF$
befchloffen, fich unbebingt mit ben Schritten ber böfjmifchen 9lbgeorbneten
einöerftanben ju erllären. 5lm dage barauf erfchien eine deputation ber Slo*
»anSfä Stpa in ber S3ürger*3teffource, wo fich unfere Slbgeorbneten noch immer
$u oerfammeln pflegten, unb überreichte ben festeren eine 9Sertrauen£=9lbreffe:
„der 9htäfchuf$ ber Sloüanäfä Stpa hat in Erwägung ber jefcigen eitt=
fcheibenben Epoche unb um einen einigen unb einträchtigen ©eift in unferer Station
$u erhaltenden ©efblufä gefaxt, aßen in ©rag anwefettben sperren Steich3ratf)*=
Slbgeorbneten auäjufprechen, baf£ er mit ihrer $anblung£weife einüerftanbeit
fei, bafd er bie oon ihnen unternommenen Schritte billige unb baf$ er fie
l*
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4
3>ofepf) Freiherr oon J^elfert.
in ihrem ©eftreben, bie nationale Freiheit 51 t mähren, ju unterftüßen bereit
fei." ©alacfp nahm bie Slbreffe banfenb entgegen unb brüefte feine greube
barüber au«, „baf« ein fo bebeutenber Serein mie bie ©loüan«fä 2 tpa ber
gleichen politifchen HJteinung fei mie er unb feine reich«täglichen Kollegen."
Sie Sicherheit üon ©rag blieb, mie e« 3Binbifch@rä| in feiner ©roda*
mation au«gefprochen hatte, ber ©ürgerjehaft unb ben ©tubenten überlaffen.
51m 16. erhielten bie ©tubenten 1500 ®emef)re $u ihrer ©emaffnung unb
mähten ben Suriften 3 0 r 0 & $u ihrem Kommanbanten; fie baten, baf« ihnen
im ©ebäube be« Normal*©chulbücherüerlag« eine SRäumlichfeit für ihre
$auptmache eingeräumt merbe.
Sluch bie ©loüan«fä Sipa nahm fich ber Sache an. Kiner ihrer ©efchlftffe
betraf bie SBehrfraft be« Sanbe«: ber ©tabtrath möge bie ^Regierung
angehen, baf« bie Stationalgarbe orbentlich bemaffnet toerbe; SBämra
unb KhtubimSltj beantragten, einen Kongreß üon Slbgeorbneten aller
ßtationalgarben ©Öhmen« in ©rag abjuhalten.
Unter ber ©tubentenfehaft mar bie Stimmung getheilt: bie böfjmifchen
©tubenten hatten ben Slbgeorbneten, bie beutfehen fdjtüanften. 3n einer
©erfammlung ber lefcteren mürbe bie 3rage berathen, ob fie ihre SBiener
Kommilitonen mit einer Slbreffe begrüben foflten. Kinige fpradjen bagegen:
man fenne bie Urfachen unb bie ,3iele ber SBiener ©emegung nicht genau;
mürbe man fich für biefelbe au«fprechen, fo mürbe barau« ein neuer 3 toiefpalt
mit ihren böhmifchen Kollegen entftehen; auch fei ja ben SBienern mit bloßen
SBorten nicht gebient. Slnbere fprachen für thatfächliche £>ilfeleiftung, am
heftigften ein 3lu«länber, ein ©tubent au« Sre«lau: ber ®ampf be« SRilitär«
fei unconftitutioneß; 3e(Ia£id habe Sefagt: er folge bem Stufe ber Slanonett,
barum ftehe er üor SBien; SBinbifch®räfc habe in feinen Slbfchieb«morten
an bie Frager gefchrieben, feine Pflicht rufe ihn nach SBien: „alfo fein ©efehl,
üerfaffung«mäfng contrafigniert, ^at bie beiben ©enerale an bie ©ofteu gefteßt,
bie fie einnehmen!" 3nlefct entfehieb bie 9Ret)rheit bafür, baf« bie SBiener
©tubenten buvch eine Slbreffe begrüßt merben. Sludh ber beutfdje ©erein in
©rag fanbte einige Sage fpäter eine Spmpathie=Slbreffe nach SBien.
3.
SBa« gieug in biefer 3eit in SBien üor, unb mie ftanb e« ba mit
bem 9teich«tage ?! $n SBien nahm ber Sinanjminifter ©aron St r a u «, ber
einzige uon aßen SERitgliebern be« Kabinete« SBeffenberg-Soblfjoff, ber ba*
felbft ^urücfgeblieben mar, eine ©teflung ein, bie einen fallen Schein
auf ihn merfen muf«te unb bie in ber Shnt öon beiten, bie außerhalb
ftanben, befonber« üon ber conferüatiüeu ©artei, ben fogenannten ©utgefinnten,
ihm gemaltig üerübelt mürbe.
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ÜJUntfterium Sd)ioar3enberg«Stabion.
5
Sieben ifjm ftanb in ber ber Stebolntion oerfallenen Stabt ber Pcäfibent'
beS conftituierenben SteidjStageS, in Sßaljrljeit beS unt mefyr als bie |>älfte
feiner SDlitglieber oerminberten StefteS beSfelben, an oberfter Stelle, gran$
Smolfa, trofc feiner norbifdjeit $erfunft eine fyeifeblütige Statur, mar üorn
#auS aus Steüolutionär. „2öenn eS nidjt um ©uretmiflen märe", fcferieb er
an bie Seinen nacfe ßemberg, „fo befäitbe id) micfe, ftatt feier in ben Stäumen
ber SBinterreitfdjule $u fifeen, braufeen an ben Sinien, um mit ben Solbaten
Äugeln ju medjfeln." SlÜein er befämpfte feine Statur, er Ijielt in ber Stellung
aus, bie ifem baS Pertrauen feiner SftitsSlbgeorbneteu angemiefen featte, uitb
fam ben mit biefer Stellung öerbuitbenen Obliegenheiten gemiffenfeaft nadj.
3n ber Sljat, ©erecfetigfeit unb Wahrheitsliebe gebieten anjuerfennen, bafS
ber 2ltl*9Dtinifter ÄrauS unb ber tmrfipenbe ßeiter beS SBiener Stumpf*
Parlamentes Smolfa ,gerabe baburdj, bafS fie auf ihren Soften anSharrten,
unabfehbareS Unheil Oon ber Stabt, ja oon ber SDlouarcfeie abgemenbet fjaben.
Renten mir uns ben SteicfeStag meg, melden Smolfa mit Älugfjeit unb mafe*
Ooller Stufee oon extremen SDlaferegeln feruju^atten mufSte, unb benfen mir
uns Paron Philipp ÄrauS meg, ber in feiner Perfon bie ganje Stegierung
repräfentierte unb bieS mit ebenfo grofeer Umficfet als ©efcfeicflicfefeit burd)*
jufüfereit mufSte, fo läfst ficfe gar nicht abfehen, maS aus SBien, maS aus
Öfterreich, maS aus gan$ Sftittel * Europa gemorben märe, ©ntmeber gemann
baS Proletariat bie Oberhanb unb eS entftanb eine Slnarcfeie ber milbeften
Slrt, ober ein entfcfeloffener SteOolutionär rifs bie ©emalt an ficfe unb führte
eine SchredenSregierung ein, bie öor feinem Plutbabe jurürfjcfeanberte. @S
gabÜJtänner in SBien, felbft unter ben Slbgeorbneten, bie man folcfeer ^unblutigen
fähig fealten fonnte!
$)ie Stellung ÄrauS' mar einfach unb flar: er mar faiferlicfeer
SWinifter, feiner ber anberen Stätfee ber Ärotte mar auf feinem piafce, folglich
fjatte er fie alle ju erfefcen. Slucfe Smolfa'S Stellung mar flar: er mar
erfter Sice * Präfibent beS conftituierenben Steidj^tageS unb Ijatte, ba ber
Präfibent nicht $ur Stelle mar, ben SteichStag 51 t leiten. $ie Schmierigfeit
lag nur barin, bafS eS einen actioen 9teid)3tag eigentlich nicht gab, meil
t>on ben SDlitgliebern nicht fo oiele in SBien geblieben maren, als man jur
PefchlufSfähigfeit brauchte, nämlich über bie |>älfte. $>enn bie bö^ntijcfee
Stecfete mar eS ja nicht allein, bie SBien ben Stüden gefefert featte; aufeer
oielen einzelnen Slbgeorbneten auS oerfcfeiebenen Säubern maren eS neun norb*
tirolifcfee, bie in 3fnnSbrud baSfclbe tfeaten, maS bie böfemtfcfeen in Prag.
Sie Oerfagten bem SteicfeStage in beffen jepiger ©eftalt bie Slnerfeunuttg, unb
mit ifenen hielten eS ber SluSfcfeufS beS liroler ßanbtageS, bie StegierungS*
unb 2anbeS*93el)örben, bie Sürgerfcfeaft oou 3 nnSbrucf. 9lm 14. Dctober
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6
3ofeph ffreiherr *>on eifert.
nmrbe eine Slbreffe an ben Steifer ausgefertigt. ®S mürbe barin Slbfdjeu vor
ben ©räueln beS 6 . Dctober auSgefprochen: alle (Sfyrfurdjt gegen bie geheiligte
s #erfon ©r. Sftajeftät fei oertefet; ber conftitutioneHe Ih^on fei nur bort.
Wo fich ber Steifer in $erfon befinbe; 9tuhe unb ©efefetichfeit fönne erft
mieberJehren, „bis Sure Sftajeftät, umgeben von einem in feinen ®erathungen
nicht geftörten SleicftStage unb oon freigemählten SKiniftern, in ber Sage fein
werben, 3h rcn treuen ®öl!em bie jugefiefterten SBohlthaten ju verwirf liehen."
Sllfo auch öort biefer ©eite ein SWifStrauen gegen ben SBiener SleicftStag unb
zugleich bie Einbeulung, benfelben aus feiner gegenwärtigen SftifSlage heraus«
jujiehen. ©S Würbe von ben Dirolern befcftloffen, bie Slbreffe burch eine
Deputation nach Dfmüfc $u beförbern.
$on ben norbtirolifdjen Slbgeorbneten Waren bloft jwei in SBieit
jurücfgeblieben: Dr. Sohann ©eorg 3Bör$ (für 3mft) unb ber in SBien
anfäffige Slbvocat Dr. SlnbreaS ©rebter (für ©chwaj); von ber böhmifchen
SRechten fünf: ©ibon (3®«)/ ©abil (Deutfcftbrob), SooS (Soutim),
< 2 >embera (Pilgram) unb ®orrofcft ößrag IV.); Dr. ©bewarb 3onäf
(33ranbeiS a. b. @.) war nicht mit feinen Sanbsleuten nach $rag gegangen,
aber auch nicht in SBien geblieben, fonbern hatte fich, um neutral bie weitere
©ntmieftung abjumarten, in baS nahe 93aben — „©chmarjgelbomih", wie eS
Von ber Sinfen genannt Würbe, — jurüefgejogen. Dafür waren, wie fchon
früher ermähnt, oon ben Stbgeorbneten anberer Sänber manche abgefallen,
fo bafS bie 93än!e in ber SBinterreitfchnle täglich mehr Süden aufmiefen.
99e$eichnenb in biefer 3licf)tung war bie Slrt unb SBeife, wie am ll.Dctober
bie s ßräfibentenwahl oorgenommen würbe, nämlich per acclamationem. 9tach
ber ©efcftäftSorbnung follte bie SBafjI burch Stimmzettel oorgenommen werben,
unb ©molf a machte barauf aufmerffam; allein SlbamSSotocfi unb $ i 11 e r S*
borff liefen baS nicht zu, mahrfcheinlich weit fie fürchteten, eS möchte bann
ZU läge Jommen, bafS bie befcftlufsfähige Sln^ahl nicht vorhanben war. Der
^Sräfibent unb ber Schriftführer gaben fi<h alle erbenJliche 9Jlühe, jufammen-
juhalten, maS noch beifammen war. SBenn einer ber Slnmefenben SDtieue
machte, ben ©aal $u verlaffen, etwa um eines leiblichen SebürfniffeS halber,
fo pafSte ber Schriftführer SBifer ober einer ber anberen fogleich auf unb
lieft ihn ni<ht gehen, beoor er fein ©hrenmort gegeben, bafS er znrücffehren
wolle. SBenn eS ju einem SBefcftluffe fam uitb fich ein unb ber anbere nicht
fügen wollte, fueftten ihn bie anberen einjufcftüchtern. ©o blieb bei einer
Slbftimmung ber Slbgeorbnete Dr. © a n z w 0 h t (für Sufcwic in SRähren) fifceit;
ba rief ihm ber rabicale ©mreJer (für Sichtenwalb in ©teiermarf) 511 :
„SBerbet 3hr aufftehen, 3h r 3^fuit?!"; er gieng auf ihn loS unb würbe
fich vielleicht thätlich an ihm vergriffen haben, wenn nicht anbere bajWifcheit
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ORinifterium ©d)roar$enberg‘6tabion.
7
getreten mären. 2Ug man erfuhr, bafg Sa ff er im ^ermanen^tugfehuffe
Äußerungen getßan hotte, bie gegen bag ^errfc^enbe Dreiben gerichtet maren,
mürbe fein Staute auf bie s #rofcriptionglifte gefept unb empfieng er non mohf*
meinenber ©eite ben Statt), fich ein anbermat fliiger $u Ratten. Sn ben
öffentlichen ©jungen legte fid) mitunter ber Sßräfibent fetbft ing SJtittel.
Sn irgenb einer Slngetegenheit motlte Saffer einen Antrag fteHen; ©motta,
ber einfehen modjte, bafg ber Sache baburch hoch nicht geholfen mürbe, gab
ihm üon feinem ©ifce h^rab einen SBin!, fifcen ju bleiben, mag benn Saffer
auch that.
Überhaupt mufften unfere nach Dlmüp gefommenen ßoKegen, mie
Sifchcr, 9? eit matt, befonberg aber Saffer, metch' tepterer ber
Steichgtagg^ermanena angehörte, ung allerhanb ju erzählen, mag in SBien
hinter ben Eoutiffen üorgieng. 2lm 16. Dctober h°tf fich ©motfa bamit,
bafg er bem SteidjStage berichtete, eg feien 222 Quittungen üon ben 2lbge*
orbneten eingetaufen unb üon ber ßaffa 202 augbe$af)It morben, „barnach
mir immer in ber Sage finb, üoOjähtig ^ier $u erjeheineu". Dafg unter biefeit
Quittungen eine große Slnjahl bloß ein gef cßidt, nicht perföntich übergeben
mar, mürbe üon ihm meigtich üerfchmiegen. 2l(g gegen @nbe ber ©ipung
fichSaagjfiemicä erhob unb aufmertfam machte, eg fei nicht bie befcßlufg*
fähige Slnjahl üorfjanben, mürbe ihm $ugerufen: „Stein, nein; bag mar
früher, meil ba mehrere meggegangen maren!" Sn einer ber nächftcn
©jungen moflte ber gatijifche Stbgeorbnete SJopiet (©taraföt) bie Stamen
berjenigen miffen, bie fich am 16. $u ber Steidjgtaggcaffa gebrängt hätten;
mie eg feien eg 222 gemefen unb nun, ba eg $ur Stbftimmung fomme,
feien !aum 150 anmefenb.
Steichgtagg'Slbgeorbnete maren im ©anjen 379, mehr atg bie Hälfte
baüon mar jur Sefdjlufgfähigfeit nothmenbig (§ 34 ber ©efcßäftgorbnung),
alfo 190. Sie füllte man biefe 3oh* sujammenbringen ? Daju maren curio;e
ßunftftücfe nothmenbig! 2lbolphe Xhi er ^ h fl t einmal gefagt: bie ffunft,
ein annehmbareg Subget jufammen^ubringen, beftehe barin, bie 3^ff ern Qefchicft
$u gruppieren. Dag manbte nun ©motfa auf bie Shtgjählung ber 2Ibge*
georbneten an, bie er $. ©. in folgenber SBeife gruppierte:
anmefenb im ©aale 160
im SJermanenj'Stugfchuffe 23
an SeHatid abgefanbt 2
Deputation nach Otntüfc 10
Summa 195
Stun ift eg ja eine befannte ©acbe, bafg bei ®efd)(ufgfaffungen unb
biejenigen gewählt merben Jönnen, bie perföntich anmefenb finb unb mirflid)
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Qofepb greifjerr oon geifert.
il)re (Stimmen abgeben. AÜein im Dctober mürbe alg ©runbfafc aufgeftellt
«nb auggefproeben, baf# bie im $ienfte beg {Reicbgtageg auggefanbten ober
bekräftigten • SRitglieber mitge$äblt merben müffen. ©g tjief} bag: aug ber
s Jtotb eine lugenb machen. $aju tarn aber, bafg üon ben SDtitgliebern ber
Sermanen^Sommiffion, bie Smolla 5 U ben 160 Anmefenben tiinjugejä^lt
batte, oiele, öiefleiebt ber größere Xbeil, im ©aale felbft maren, bie auf
folcbe Art hoppelt gewählt mürben. 3n ber Sijjung oom 17. fagte ©molta:
„SRacb ber 3 ä^Utttg fiiib 172 antuefenb, im permanenten Augfcbuffe finb 25,
jufammen alfo 197". Abgeorbneter 93ö f e (filofter^rabifcb): „$ie meiften aug
bem 9Iu^f<f)iiffe finb hier anmefenb." Smolfa fagte, er merbe in ben Aug*
fc^ufd binauffebiefen. Sorrofcf): „Unb ing Sefejimmer, menn icb bitten barf."
Db biefett beiben Anregungen entfproeben mürbe unb mit meinem ©rfolg,
barüber febmeigt bie ©ejebiebte.
4.
SBäbrenb in folcber SBeife in SSJien unb in $rag bebattiert unb
beputiert, abrejfiert unb petitioniert mürbe, nabmen bie militärischen SRafc
regeln jum Anmarfcb gegen SBien ihren unaufgebattenen gortgang. Am
17. fuhr oon ^rag bie gelbpreffe ab, aug ber £aag’fcben <Sd^riftgie§erci
mit Settern für bie oerfcbiebeiten Sanbegfpracben auggeftattet. Am 18.
mar eine Batterie 001 t .gmölfpfüubern $ur Abfahrt bereit, fie mar mit
Strängen unb ©eminben üon Slumcn gefcbmüctt, alg gienge eg ju einer
£od)äeit3feier. Tancben mirtten bie beiben Sloüafenfübrer £tür unb
§urban, um -*ur Unterftüfcung ber faiferlicben Armee eine bemaffnete 6 r*
bcbitng in ihrer Heimat in ©ang 51 t fefccn. Auf ^tür'g Antrieb mürbe üon
ber Sloüangfä Stpa befcbloffeit, eine ©ommiffion nieberjufe^en, melcbe SRittel
unb 2Bege augfinbig machen foßte, um fübflaüifcben Stubenten, bie mit
Umgebung oon 9ßeft in Srag ftubieren moßten, bei ben Siirgern ffiobnung
unb Unterhalt $u üerfcbaffeit.
$ie Sruppen 2Binbifcb®rä$', bie „böbmifebe Armee", $ogen näher
unb näher gegen 9ßien heran. 2 >ag SBiener {Regiment £entfcbmeifter ÜRr. 4
betam eine anbere Seftimmung, mag ja begreiflich mar, ba man bie fibelen
Serchenfelber, Sichtenthaler, £>ungelbrunner 2 c. nicht gegen ihre eigenen Settern
unb Srüber ing Seuer fehietnt mollte. $ag {Regiment mürbe auf ber {Rorb*
bahn gegen Dlmitfc birigiert unb füllte meiter nach Iroppau tommen; cg
hätten fich, biefe eg in SBien, unter ben Solbaten Sympathien für ben
Aufftanb gezeigt. Auch ou f bie beutfeheu Gruppen aug Söhmen unb s JÖiäl)ren,
fagte man meiter, fönue fich 2 Binbifch@räp nicht üerlaffen. 3 n Sglau hatten
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SJtinifterium ©cßn)arjenberg*©tabion.
9
bie Dfficiere ißren auä Süniggräfe unb 3<Wßftabt ßeranmarfcßierenben
Gruppen ba£ SBort geben müffen, baf$ man fie nicßt gegen SBien gebrauchen
merbe, fonbern nur gegen ben äußeren fteinb. märe baßer, meinten bie
SSiener Sournale, ßocß an ber $eit, bafd ber SReicßätag eine freifinnige
SSrodamation an ba£ SRititär ricßte.
Slttein bie Dßatfacßen miberfpracßen biefen ©eriicßten. Die einzige
©tabt in 3Räßren, mo ficß bie ©ßmpatßien für SSien nicht auf bloße
Strafen unb Dedamationen befcßränften, mar Sriinn. Dort beftieg am
18. morgend eine Stnjäßt Slationalgarben unb ©tubenten — moßlfolcße, bie ficß
au£ Dlmüß entfernt hatten — ben Eifenbaßn^ug, um ben SBienern 51 t £>ilfe ju
eiten. SUIein in Sunbenburg mürben fie Don einer Slbtßeilung ftßeoenßüfler
9ir. 35, SBerbbejir! Hilfen, alfo größtentßeite Deutfcße, in Empfang ge¬
nommen unb entmaffnet. 3Jtit bem näcßften 3 U 9 fant nacß Srünn bie 9iacß-
ricßt baoon mit atterßanb geßäffigem Slufpufc: bie faiferticßen ©otbaten
feien mit ben Sriinnern roß umgegangen, hätten ißnen Ußren, SRinge unb
anbere SSertfacßen geraubt, darüber entftanb in ben erften -Racßmittag^
ftunben eine gemaltige Stufregung. Raufen oon Arbeitern, mit Knütteln,
^otäbtdden, Warfen, dämmern u. bgl. bemaffnet, jogeit burcß bie ©traßen,
befdjimpften unb bebroßten bie ©otbaten ber ©arnifon. Da£ SRititär mürbe
in bie Safernen gezogen, bie_ ÜRationatgarbe mürbe attarmiert, oon melcßer
fogteicß bie $auptmacße unb alle einzelnen Söacßpoften bcfe^t mürben. Der
SRationalgarbe-Eommanbant ®.=9R. Sofepß Stitter oon SRalter ertieß eine
fiunbmacßung unb fanbte ben s J$lafcmajor $ofcpß ©eßmitt oon Sämmer?
5 e 11 mit einigen SIbgeorbneten ber SRationatgarbe nacß Sunbenburg, um an
Drt unb ©teile eine Untersuchung über ben SSorfaü ein^uleiten. hierauf
trat gegen 4 Ußr nacßmittag3 in ber mäßrifeßen öauptftabt 9tuße ein. Docß
ber Vorfall geigte nur ju beuttieß, baf£ bie Wiener Slufftänbifcßen im
Srrtßum maren, menn fie auf einen Slbfalt oon „beutfeßen" Druppen
regneten. 3n biefer fteigenben SRotß befeßtoffen ber SteicßStag, ber ®emeinbe-
ratß Oon SBien unb bie fRationalgarbe eine neue Stbrcffe an ben Siaifer;
einer großen Deputation biefer brei Körperhaften fönten fieß Stbgeorbnete
jener auSmärtigen SBeßrmannfcßaften aitfcßließen, bie au$ $rünn, Sin$,
©afyburg unb ®raj ben SBienern gu $ilfe gejogen maren.
Der SReicßätag, ßieß e§ in jener Stbreffe, ßatte e§ für feine ^fließt,
bem Kaifer bie beftimmtefte Serficßerung $u geben, baf£ bie SRttße unb
©ießerßeit 2Bien3 feiner SBieberßerfteltung bebürfe, ba bieje nießt im geringften
geftört feien; nur allein bie in ber Umgebung ber ^auptftabt jufammen*
gezogenen Druppen unb bie feinbfetige Haltung berjelbeu feien e£, ma£ bie
SSiener Seoölferung in Stufregung oerfepe unb ju Stiftungen gegen broßenbe
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Qofeph greifen: uon geifert.
Angriffe nötige. „SBemt SBien befcfjulbigt »irb", fagte ber ©emeinberath,
„bafS in feinen 3Jlauerit Slnarchie ^errfc^e, fo fann nur er»ibert »erben,
bafS in SBien bie Drbnung unb bie {Ruhe einer belagerten ©tabt $u finben
fei." ©S mögen baper bie Druppen jurüefgejogen, ber SanuS oon Kroatien
non SBien »egbeorbert »erben unb bie ©enbung beS dürften SBinbifch©räfc
gegen SBien unterbleiben; eS möge bie ©arnifon oon SBien auf ein SRinimum
herabgefefct unb babei auf „$er»enbung oolfSthümlicher SRilitärförper"
gefehen »erben. „Der $err ©eneral ber ©aoallerie ©raf SluerSperg", fyiefy eS
in ber Slbreffe ber SRationalgarbe, „beziehe mit feinem SRilitär bie ©arnifon
tum SBien, beren $tnjahl aber 10.000 9Jtann in allem nie überfteigen
möge" unb »ooon namentlich ^bie Sinienregimenter SRaffau, fiatour, fo»ie
auch SBtbna ©heoau^legerS" auSgefchloffen »erben foüen. DaS ÜJlilitär »erbe
auf bie Serfaffung beeibigt unb erhalte bie SBeifung, bafS eS im Snnern
beS SanbeS nur über Slufforberung ber ßiüilbehörben einfehreiten bürfe. Die
93olfS»ehr »erbe burch ein oom {Reichstage fogleich ju erlaffenbeS ©efefc
organifiert, unb ©e. 9Rajeftät möge fechS SRänner aus ber gefammten
{Rationalgarbe jum Slbjutantenbienfle in ber $ofburg beftimmen. DaS t>on
©r. ÜRajeftät jugefagte „oolfsthümlidje SRinifterium" »erbe fchleunigft ge=
hübet, ©e. ÜRajeftät geruhe, „©ich in 3h* allzeit getreues SBien juriief*
jubegeben," unb, „bern Dränge 3h re ^ &erjenS folgenb, eine allgemeine
Slmneftie nach ^ em Anträge beS {Reichstages $u erlaffen." Schließlich gab ber
{Reichstag „jur SBahrung feiner SBürbe" bie feierliche ©rflärung ab, „bafS
er niemals in feiner ooflfontnten freien {Beratung oon irgenb einer ©eite
geftört »urbe unb bafS er feine Verlegung an einen anberen Drt als eine
3umuthung jurücf»eifen miiffe, als h a & c cr feine h°^ c Stellung, feine
heilige Pflicht jemals burch ßinflüffe Don außen he* außer Slugen gelaffen
ober als fei er fähig, bieS in 3ufunft 51 t thun."
Die große SBiener Deputation, eigentlich bie brei Deputationen, trafen
am 20. in Dlntüfc ein. Die Deputation beS SBiener ©emeinberatbeS erhielt noch
benfelben Slbenb üon SBef f enberg ben Sefcheib, ihre Slbreffe fei ©r. ÜRajeftät
oorgelegt »orben; ba fie aber ©itten enthalte, auf beren ©rfiillung man unter
gegen»ärtigen llmftänben nicht eingehen fönne, fo »ürbe ihnen befannt gegeben,
bafS man fid) in allem, »aS bie $erftellung ber gefefclichen Drbnung in SBien
betreffe, an ben dürften SBinbifch©rä|j ju »enben bö&e; übrigens bürfe man
hoffen, bafS burch bie Kunbmachung ©r. ÜRajeftät oom 19. ben billigen
SBünfchen ber SBiener ©ürger entfprochen »orben fei. Sluch bie beiben anberen
Deputationen »urben »eher beim ®aifer noch beim 6r$he*äog 5ran$ $arl
oorgelaffen; oon SBeffenberg empfiengen fie feinen ©efcheib, fonbern »urben
einfach an ben dürften SBinbifch©rä|j ge»iefen.
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3Jlimf4ctium SchroarjenbergsStabion. 11
5.
Strn 20 . abenbg maren Srauner unb ich jurücf in fßrag, mohin mir
Dag SKaitifeft bont 19. brauten. Slnt anbcrn Sage mar eg in böhntifcher
fiberfefcung in Nar. Nob. i. 165 $u lefen; aber auch jeneg oont 16., melcheg
(entere big bahin, fooiel ich meifc, oon feinem anbem Frager ober SBiener
Sournale gebracht morben mar.
Sin bentfelben läge, 21 . Dctober, prangte bie erfte Kanone ber Sürger*
mehr oor bem 2tltftäbter 9tatt)fjau$. $eutfche Slätter machten fic^ barüber
luftig: „SBie öiet Kanonen fjat $rag?" fragten jie; Slntmort: „Sine am
Slltftäbter SRing nnb 36*) auf ber SRarienfc^anje!" Sin einem frönen morgen,
hiefe eg meiter; ^abe man unter ber Slltftäbter Kanone eine fleine f)öl$erne
gefunben: „Tsie Kanone am grofeen SRing friegt gunge", fpöttelte bag Frager
Slbenbblatt.
®ie erfte Stimme in allen Slngelegenheiten, nid)t btofj ber Stabt fßrag,
fonbern beg ganzen böhntifchen ßanbeg, ^atte jefct fo jiemlid) bie S l o ü a u g f d
Sipa. Sie hatte nach itjren Statuten jmei Sifcungen in ber SBoche ab^u*
galten; fie hielt aber jefct alle Xage rnelche ab. $ie bebeutenbften männer
ber £>auptftabt fanben fich ba ein; mag oon flaoifchen ^Berühmtheiten nach
Srag fant, mürbe bei ihr eingeführt. Sie flärte bag 5ßublicnm in Slacateu
über bie allgemeine Sage auf, berichtigte falfd^e Nachrichten, trat Sügen unb
©ntftellungen entgegen. Sie 50 g praftifche gragen in ben 93ereich ihrer
Erörterungen, fudjte bie Sehörben in Slngelegenbeiten ber öffentlichen SSohlfahrt
$u unterftüfeen. Sie nahm ©efuche ihrer mitbürger in allen Slngelegenheiten
entgegen, in benen fich biefe oertrauengooß. an fie manbten, unb fuchte
biejelben, fatlg fie mit bem Snfjölte einoerftanben mar, bei ben Sebörbeit
ju unterftityen nnb 51 t förbern. ©g fam oor, bafg felbft aug beutfehen
®egenben Srioate ober ©emeinben fich an Slooangfd Stpa menbeten unb ihr
ihre Sefchmerben ang £>er$ legten, -mitunter famen bie SfingfMSreigniffe mieber
$ur Sprache. 3n ber Sifcung 00 m 21 . mürbe eine ©ingabe ber grau £>onorata
3ap beriefen, morin biefelbe bat, bie Slooangfd Sipa möge fich bermenben,
bafg eine Slnjaht oon Sefchulbigten, mie ©raf s J$otocfi, Xurarigfi, SRabajemgfi,
Sürger ^pa£ef u. Sl., bie feit ben Sfingfttagen ob bem Frager Schlöffe
in #aft fafjen, freigelaffen mürben. $er 3 eitpunft für bie Sorbringnng einer
fotchen Sitte fdjien bei ber günftigen Stimmung, bie jefct im £auptquatier
beg gürften SBinbifch©räfc gegen bie Srager herrfchte, nicht übel gemäbtt.
Sluch motlten Ndr. NoO. (£. 167, S. 658) miffen, bafg ber Stecfbrief, mit
welchem nach ben 3unitagen $r. Kampelif ocrfolgt mürbe, jurücfgenommen fei.
*) Nämlich bie militärifeben.
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Qofepf) Freiherr oon geifert.
©in wechielootleS ©ilb bot bie Sipung oom 22 . ®a !ant bic
SReorganifation ber Suftij in grage; gur. ®r. frliebert fprach für ©in*
richtung oon ©ollegiatgerichten, was #ofrath SBenjet fr ul honet, melier
bcr Sipung beiwohnte, befürwortete; eS Würbe befdjloffen, an alle ©emeinben
©öhmenS bie Slufforberung zu richten, ihre 3 uftimmung ju biefem ©efchluffe 511
erflären unb fdjriftliche ©ingaben hierüber an bie 2lbreffe ber SlooanSfd 2tpa,
9lltftabt ©ethlehemäplap 9lr. ©. 258, zu richten. §urban unb Stur fprachen
für ihre Stoüafen; erfterer banfte in Ijerjtidjen SSorten für alles, waS bie
SloüanSfd 2tpa bisher in ihrem igntereffe getpan unb bat, ihnen biefe ZtyiU
nähme auch für bie 3 utunft JU bewahren; <stür hob heroor, „bafS nirgenbS
baS flaüifche ©fernent fo blühe, nirgenbS bie flaüifche 3bee fo zur Steife
gebiehen fei, wie in ©rag". ®ann trat ©ilem ®ulan Sambl auf, ber,
eben auS Slgram h e ^ m S e ^e^rt, freunblichc ©rüfte ber Sübjlaüen brachte, bie
fortan bie gleiche ©ofitif mit ben ©echen einhatten wollten. 3um Schluffe
Würbe granz 2abiStauS ©elafoüSfp, feit 1842 ejpatriirt unb als ©rofeffor
ber flapifchen Sprache unb Sitteratur in ©reSlau angefteHt, in ben Saal geführt
unb öon ber ganzen ©erfammlung mit 3 uruf unb |>änbef(atfchen begrübt;
tief ergriffen Don biefer ungezwungenen §utbigung, banfte er mit warmen
SBorten. „®ie fieben gahre," fagte er, „bie ich außerhalb meiner theuren
Heimat zugebracht, erachte ich für bie mageren frühe ber ©ibel; ich hoffe,
bafs nun fieben fette nachfolgen werben, wo ich in meiner £>eimat unb zum
Stufen berfelben werbe Wirten fönnen".
gn folcher SBeife war bieSloüanSfd Sipa in ©rag ungefähr baSfelbe, waS
iitt grüpling unb erften Sommer ber SicherheitS*2luSfchufS für Sßien gewefen
war. Sie würbe aber mit ber 3eit weit mehr als biefer, weil fie fich über
baS ganze 2anb, foweit eS nicht üon ®eutfchen bewohnt war, mehr unb
mehr ausbreitete. 3u ollen wichtigeren Orten entftanben 3*oeigoereine; ja in
©rag felbft bilbete fid) ein folcher auf ber frleinfeite, unter beffen Statuten
bie ©eftimmung aufgenommen würbe, bafS bie SRitglieber beS ^auptoereineS
auch bei ben ©erfammlungen beS 3roeigüereineS 3utritt hoben foHten. Slufcer*
holb ber ©renzen ©öpmenS, im fernen ©roatien, in ®alntatien bilbeten fich
©ereiue nach bem SRufter ber ©rager SloüanSfd 2tpa unb traten mit ihr in Sorre*
fponbeuz unb ©erfehr. Ohne grage war bieS ein ganz abnormes ©erhältniS.
3 n ruhigen, georbneten 3 eiten hot alles feinen beftimmt angewiesenen ©lap,
feinen genau umfehriebenen SBirfungSfreiS; ba Waltet bie lanbeSfürftliche
^Regierung unb finb bie ©epörben in ihrer oerfchiebcnen Unter* unb Über*
orbnung; in conftitutionelleu Staaten finb baneben bie oou ber ©erfaffung
Zur ®h e ^uohme an ber ©efepgebung unb autonomen ©erwaltung getroffenen
©inrichtungen; ©riüatüereine politischen ©harafterS, noch bazu folche mit
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5Rinifterium Scbroarjenberg^tabion.
13
meiter Sersmeigung im Sanbe, ja über bie ©renjen beg fianbeg ^inau^,
bie neben ben Sebörben unb derfaffunggmäßigen Organen ben Seruf, fid>
in bie innere nnb felbft äußere Solitif gu mifcßen, aug ihrem eigenen SBiQen
unb ©rmeffen Verleiten, fönnen ba nicht gebulbet merben. Slber jefct maren
eben feine ruhigen 3 e ^ cn / feine nach öden Seiten georbneten Serbältniffe,
unb fo fonnte eg fomrnen, bafg ein großer 'Jfyeil ber Seoölferung einer
berartigenSereinigung oon 3R itbürgern mie bieSlotxingfä ßipa danf mufgte unb
bafg bie Stegierunggbebörben felbft fie gemäbren ließen, fo lang ficß biefelbe
in ihrem Sluftreten umficßtig unb lopal hielt unb ficß Don bem Seftreben
leiten ließ, überall für Slufrecßtfjaltung ber Drbnung unb eineg guten
©eifteg ju mirfen, löbliche 3 mecfe ju förbern unb gu unterftüften.
* *
*
©eit Srauner unb ich aug Dlrnüp gurücf mären, mar man in Frager
ßreifen fcßon barüber einig, bafg ber conftituierenbe SReicbgtag nicht länger
in SBien bleiben fönne, unb bie grage mar nur: in melcfje anbere ©tobt
er Derlegt merben folle? 2 Bir Slbgeorbnete Ratten, mie ficß ber geneigte
ßefer erinnern mirb, ursprünglich Srünn bafür oorgefcßlagen. $amel
Soromgfp ßatte ficßin feinem 9tär. 9too. lebhaft bafür eingefcfet, Srauner
unb ich Ratten mäbrenb unfereg Sßeileng am faiferlicßen ©oflager baran
feftge^alten. 9Wein bie oon ung oorgefcßlagene oorläufige 3 ufammenfunft
am 20. fjatte in Srünn DoUftänbig giagco gemacht*)
3 n ben leitenben Greifen in Dlmüfc machte man feine äJlienc,
auf unferen Sorfcßlag einjugefjen, mag nach ben Srünner Vorgängen Dom
18. niemanb SBunber nehmen fonnte. Slucß &amli£ef fam jefct bon feiner
früheren Sebauptung gurücf, inbem er erflärte, bafg fieß neuefter 3 e it in
Srünn ein ben Söhnten unb ©laben entfeßieben feinbfeliger ©eift funb*
gegeben ßabe. ©o berfiel man benn auf ffremfier, oßne bafg ich angugeben
müfgte, bon mern ber ©ebanfe guerft angeregt morben. 5Rär. 97oo. brachten bie
*) 3n meinen papieren finbet ftch folgenbe:
Xelegrapßifcbe depefeße aug s lkag eingelangt um 3 l / 4 naeßmittagg.
©ubernial^räfibent an &reigßauptmann in Clmiiß.
9lbgeorbnete Srauner unb geifert haben 3ng 9tr. VII morgen im Olmüfeer
Saßnßofe jur Sefprecßung mit jroei Srager deputierten abwroarten. Eg mirb
bemerft, bafg ber 3ng VII bei regelmäßigem Serfeßr um 4 Ubr ft*üß in
Clmüß eintreffen foU.
Som f. f. Xelegrapben Sureau ju Clmiifc am 17. Cctober 1848.
Sfeiffer, f. f. Xelegrapßift.
• 3n meiner Erinnerung ift biefer 3nnfcßenfall oerroifebt; icb benfe, eg rcaren
Äarl ^atolicef unb ein 3meiter auf ber dureßreife nach Sriinn begriffen, mo fte für
ben 20. „SJtenfcßen" fueßten, b. ß. SHeicßgtagsgenoffen, aber nicht einen fanben.
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14
Qfofeph Freiherr pon geifert
SRittheilung in berfelben Rümmer, in melier fic Srauner'S unb meine Rücf*
fehr aus Dlrnüfc gemelbet hatten, mit bem Seifafce, bafS aüe Sßafyrfc^einlidjfeit
bafür fpredje, bafS ber Reichstag nach fi'remfier merbe oerlegt merben.
91m 22. fprad^ baoon im gleichen Sone Ranni Sift. i. 19. Um in biefer
Sache fidler $u gehen, mürbe oon uns böhmifchen SIbgeorbneten befchloffen,
jtuei aus unferer SRitte nach Dlmüfe $u fenben unb bem ffaifer bie Sitte
oorjutragen: „Sr möge fobalb als möglich ben conftituierenben Reichstag
nach ffremfier einberufen", ©emäfjlt mürben Salacfp unb S infaS.
Son ber böhmifchen Sournaliftif mürben unfere Seftrebungen fort«
mäfyrenb unterftüfet. ©ie blieften ooü 3u0erficht einem Umfdjmung in ber
öfterreichifchen Solitif entgegen. „Sie Solitif beS öfterreichifchen $errfcher*
^aufeS mar bisher eine auSfchliefjenb beutfdje, nun mirb fie eine flauen*
freunbliche fein." liefen @afc behanbelten bie böhmifchen SageSblätter
unb 3^itfc^riften in ber mannigfachen SBeife. „3Ran mirft ben öfter*
reichten ©lauen oor, bafS fie bie Rationalität über bie Öreifjeit fefctea«
Mein biefer Sormurf ift ungerecht. Sie ©lauen lieben bie Freiheit fo gut,
mie anbere Sölfer; aber uor adern hanbelt es fich barum, baS nationale
©elbftbemnfstfein ju fräftigen, benn erft biefeS macht ein Soll für bie greifet
fähig, macht eS berfelben mürbig. Sine Ration mufS erft fein, ehe fie
frei fein fann. Unfere 21bgeorbneten mufSten fehr mohl, marum fie in
SBien mit bem SRinifterium giengen, baSfelbe $u galten unb ju unterftüfcen
fugten; benn bie ©egner beS SRinifteriumS maren jene Seutfcheu, bie fein
$ehl barauS machen, bafS ihnen an ber Spnaftie nichts liege, bafS eS ihnen
nur um bie Einheit SeutfdjlanbS ju tljun fei, ber fobann baS ©laoenthum
ber meftlichen Sänber jum Opfer faden müfste, mie jenes ber öftlidjen ber
Meinherrfchaft beS SRagpariSmuS. Ser öfterreichifche Seutfche ift fo lange
unfer geinb unb jener ber Regierung, fo lange er nicht anerfennen mid, bafS
ein ©taat mie Öfterreich nur in einer Sonföberation feiner fo oielen unb
oerfchiebenen Sölferftämme feinen Seftanb unb fein 3iel finben fönne."
'Sie Rümmer 165 ber Rär. Roo. enthielt auch einen Seitartifel £amel
SoromStp'S, morin er ausführte, bie Sntercffen beS faiferlichen £>ofeS unb
bie 3ntereffen ber öfterreichifchen ©lauen feien in biefem Mgenblicfe auf baS
innigfte miteiitanber uerflochteu. ^333ir müffen an ber Regierung halten, bamit
mir in Serbinbung unb SBechielmirfuitg mit unferen flauijchen Sriibern
bleiben." Ser f>of müffe an Öfterreich halten, meil bieS feine Slaiferfrone.
fei, melche Uoit ber einen ©eite bie Seutfchen, uon ber anberen bie SRagparen
entjmeibrechen moden. Me öfterreichifcheu ©lauen, fagt £>amli£ef meiter.
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2Rinifterium ©chroarjenberg-Stabion.
15
feien in biefer Sßolitif mit unS einoerftanben: bie ©übftaoen, bie ©loDafen
unb SRuttjenen, nur bie Solen nicht.
6 .
SBie fich benfen läfSt, mar bie {ReootutionSpartei in SBien über bie
Haltung ber böhmifchen Äbgeorbneten unb ber Frager Seoötferung auf baS
äu&erfte erbittert; bafS fie ganj offen jurn #ofe fjietten unb mit biefem
Derfehrten, oerfefcte bie {Rabicaten in eine mahre SButfj. Unter bem Xitel
„3)ie $anf barfeit ber ©jechen" Veröffentlichte 2. #aucf ein Flugblatt, morin
eS ^iefe: „3ft baS ber $anf, ben ifjr bem freifinnigen SBien, ber Sorfämpferin
ber greiheit, bafür abftattet, bafS eS, als ihr (im 3uni) oon SBinbifch®räfc
bebro^t maret, euch in SBort unb ©djrift oertheibigte ? 3h r lohnt baS, mie
eS euch jiemt: inbem ifjr euch mit unferen Unterbrücfern Derbinbet; inbent
ihr lügt unb Ifjatfacfjen entfteUt; inbem ihr unfere heilige gerechte SRotfjmefjr
nerläumbet!" Ratten oorbern bie Gjec^en ben SBienernate nationale Separatsten
gegolten, fo mürben fie jefct beS ©eroiliSmuS befdjulbigt, als untermürfige
©djleppträger ber $pnaftie bezeichnet. „Sie, bie böhmifchen 9lbgeorbneten,
finb bie jüngfte {Raupe, bie an ber Stute unferer greiheit nagt. 2)od) $um
minbeften treten fie offen auf. SBir miffen, maS unfer jefct harrt: ein
öfterreichifche^ ©taatSminifterium — in (laStau ober Seitomifcfjl!"
3n SBien tarn ber {Reichstag mehr unb mehr ins ©ebrange. 9lm 21.
braute ber „Sote für lirol unb Sorarlberg" eine ©rflärung ber beutfd) 5
tirolifchen Slbgeorbneten: ber SBiener {Reichstag fjabe bie ©secutiogemalt an
ftch geriffen unb baburch feine Sefugniffe Übertritten; fie für ihre Serfon
fetten ftch burd) *h r äRanbat nicht für berechtigt, an Sefdjlüffen folcher 2lrt
theitjunehmen unb burch ihre Slnmefenheit biefetben ju fanctionieren. 9lm
22. Dctober fefcte in geiftrifc an ber 3Rur ber fteirifche Slbgeorbnete ©bler
o. Ih*nnfetb eine „offene ©rftärung" auf, bie einige läge fpäter im ©rajer
„£erotb"*) $u tefen mar. ©r nannte ohne Urnfchmeife baS Ireiben in SBien
ein anarchifcheS; er ftagte bie Übergriffe an, beren ftch bie in SBien snrücf*
gebliebenen 9lbgeorbneten als {Reichstag fchutbig machten; fobatb einmal
gefefcliche 3 u ftänbe in SBien geraffen, ber {Reichstag in bie Sage oerfefct
fein merbe, feine Arbeiten ungeftört unb mit Dotier Freiheit mieber aufju*
nehmen, merbe er, Ihinnfetb, nicht fäumen, fich an ben Drt feiner Seftimmung
$u Derfügen unb feine Pflichten als 9lbgeorbneter mit allem ©ifer ju erfüllen.
3n ber Xhat mürbe ber lerroriSmuS ber reDolutionären Partei in
SBien immer unerträglicher. 3n einer ©ifcung ftellte ©raf 91 baut Sotocfi
einen Antrag, für ben fich etma 10 SRitglieber erhoben; hoch unbänbigeS
*) *Rr. 67 oom 25. Dctober, ©. 267.
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16
3ofeph grtetyerr oon Jpelfert.
3tWen Port bcn ©alerien nötigte fie, fic^ rnieber ju fefcen. 2WeS ©efühl
für parfamentarifche ©itte unb Slnftanb fc^icn auS bcm SReichStagSfaale
gefchmunben. 2US eines XagS, fo mürbe mir erjagt, eine 21bftimmung burch
Stimmzettel Porgenontnten merben follte, zählte man in ber befannten SBeife
184 2lbgeorbnete; hoch beim £erau£jiel)en auS ber Urne fanben fic^ 28 Zettel
mehr. 2öie mar baS gefommen? ©anz einfach: eS Ratten einzelne ber Slnmefenben
mehr als je einen 3^ttel abgegeben, ©iner Pon ber 2in!en erjagte eS nach*
träglich lacßenb: er ^abe brei 3 e UeI in bie Urne gemorfen.
Slber noch SlrgereS !am Por. 3n einem 2lrtifel ber $Rär. $RoP. l)ie&
eS, man fyabt fich in s J5rag anfangs oermunberf, mic eS benn möglich fei,
bafs ber SReicßStag in SBien noch immer befchlufsfähiö fei: „$och nnfere
Sermunberung hot auf gehört unb fid) in bie griinblichfte Seracßtung umge^
manbelt, feit mir bie ©emijSheit erlangt hoben, bafs frembe ^erfonen auf
ben Santen ber Slbgeorbneten. fifcen unb bei ber Slbftimmung mitge^äblt
merben. SBir fpreeßen biefe Sefcßulbigung nkbt leiebtfinnig auS, mir tonnten
tarnen nennen." 3n ber £ßot mürben mir ganj beftimmte ^ßerfonen bezeichnet:
ber Slbgeorbnete ©abil höbe feinen Sruber in ben ©aal mitgenommen;
ein Kaufmann Sulfa auS bem SBaßlbezirfe $eutfcßbrob, .einer ber ©ebritber
Strabal feien unter ben Slbgeorbneten gefeffen. 2luf richtige Slbgeorbnete,
bie in SBien geblieben maren, hoben naebberbanb uns beftätigt, fie Ratten in
ben Stinten Serfonen gefeßen, beren ^5^t}fiognomie ißnen ganz unbefannt mar
unb bie auch feiner ihrer SRacßbarn ihnen ju nennen muffte. ^er Sräfibent
unb bie ©cßriftfüßrer, ber ungemein aufmerffame unb fleißige SBifer
nicht ausgenommen,*) ließen fich berlei Umftänbe entgehen.
3n biefen lagen ber Xoflßeit unb Scrmirrüng tauften in SBien bie
abenteuerlicßften ©erüchte auf; bie SReoolutionäre fuchten bamit ber SePölferung
SRutß einzuflößen. „SBir fönnen eS erleben, bafs hinter bem SRücfen beS
(aus Srag) abjiebenben SombarbierS SBinbifchSräß. eine furchtbare ©rßebung
ftattfinbet, bie ben feßmanfenben 2ßron PolleubS in Irütnrner feßlägt." Salb
barauf mürbe in ber ©tabt Perbreitet, in Söhnten fei eine SReoolution auS«
gebrochen, Sürft 3Binbifcß®räfc habe eilig DImüfc Perlaffen unb feine Gruppen
ftatt nach SBien-gegen Srag führen müffen. „ffiS mirb berußtet," mar im
„©tubenten ©ourier" ju lefen, „bafs in ©ger eine große SRilitärrepolution
*) $cb höbe mir fngen laffen, bafS $r. SBifer als Schriftführer in ber
Dctoberjeit ein genaues Tagebuch führte unb barin auch bie geringften 3n)ifchenfäöe,
bie ju feiner Kenntnis tarnen, aufjeichnete. $)iefe ^lufjeidmungen finb,.mie mir fpäter
mitgetyeilt mürbe, auS feinem RacßlafS in bgS Binjer SJtufeum ober inö BanbeS*
'Jlrcpio gefommen, unb eS oerlohnte fid) mohl ber ÜJUiße, in biefer ^infießt Racßfcßau
ju holten.
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SRinifterium ©chroarjenberg»©tabion.
17
auSgebrochen fei; möge ber gütige £immct ihr guten Erfolg berieten!"
Dann fprach man mieber bon einem Attentat in Dlrnüp: auf ben Saifer, nach
Anbern auf ben Erzherzog granj Sari fei gesoffen unb berfelbe ber*
munbet morben.
©elbftberftänblicf) braute immer ber nädjfte lag bie Überzeugung,
bafS an atT biefen Webereien fein mahreS SBort mar. SBaS bon berläfS*
liehen Wachrichten ju ben SBienern gelangte, lautete ganz anberS. Die grofee
Deputation beS Weid)$tageS unb beS SBiener ©emeinberatheS mar, mie mir
erzählt höben, in Dlmüfc gar nicht gehört, fonbern einfach an ben dürften
SBinbifcfe@räp bermiefen morben. Als fie aber am 21. fpät abenbS in Sunben*
bürg cintraf, fonnte fie nicht mehr borgelaffen merben unb mufste, ba äße
berfügbaren Wäume bom SKilitär befept maren, bie Wacht in ben SBaggonS
Zubringen. Sari Sernbrunn, befannter unter ben Warnen Director Earl,
Oemeinberath unb SWitgtieb ber Deputation, berliefe hier feine ®enoffen unb
eilte nach SBien borauS, um bafelbft Sericht bon bem fläglichen AuSgang
ihrer SWiffion am faiferlichen i&oflager abzuftatten; er ahnte mohl, bafS eS
feinen Oenoffen beim dürften SBinbifch®räp nicht beffer ergehen merbe. ©o fam
eS auch. Am felben läge berlegte ber f. f. gelbmarföaß fein Hauptquartier
nach ©tammerSborf, alfo näher nach SBien. Die Deputierten, mit Ausnahme
beS Directory Earl, reiften ihm nach. Erft am 22. morgens fonnten fie
bor bem Aßgemaltigen erscheinen. Er liefe fie faum zu SBort fommen. „SReine
Herren," fagte er im ftrengen Done, „maS ©ie mir zu fagen höben, meife ich
aße3. ©ie finb, hoffe ich, SKänner aus ben Weihen ber ©utgefimtten. Helfen
©ie mir, meine fchmierige Aufgabe fo fchneß als möglich löfen. Dazu gehört
bie unbebingte Übergabe ber ©tabt unb bie Ablieferung ber SBaffen. ®efchieht
bieS gleich, toohl unb gut; gefchieht eS nicht, merbe ich, fo ferner eS mir
anfommt, z« ben energifcheften SRitteln greifen." Als fich einer ber Ab*
georbneten bie grage erlaubte, mie eS mit ben ÜJtärz* unb 9Kai*Srrungen*
fchaften ftehe, fagte er: „Das finben ©ie in bem SRanifeft ©r. SRajeftät
beS SaiferS!" Dabei liefe er ihnen z*oei grofee ©aquete unb ein oerfiegelteS
Decret überreichen, mit bem fie nach SBien znrücffuhren. Doch nicht aße;
einige erbaten fich ©äffe aus bem Hauptquartier, um in eine ber ©robinzial*
Höuptftäbte zwrücfzufehren; baburch mürbe bie 3ahl ber in SBien zurücf*
bleibenben Abgeorbneten abermals geringer. Drei bon ihnen mürben in gloribs*
borf uom SRilitär angehalten, ©molfa fanbte einen Eilboten in baS
faiferliche Hauptquartier. Son bort fam ber ©efehl, fie freizulaffen; eS hiefe:
eS fei ein SJtifSberftänbniS gemefen.
SBaS aber befanb fich in &en beiben ©aqueten? Exemplare beS faifer*
liehen SRanifefteS bom 16. unb eine ©roclamation beS SelbmarfchaßS, laut
t>i« Jhiltnr. III. 3afcrg 1. $eft- (1901.) 2
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18 Qofepp 3?reif)err oon geifert, ÜJtinifterium ©eproarjenberg*©tabion.
bercn er SBieit in VelagerungSftanb erflärte! $a£ verfiegelte ©Treiben an
ben ©emeinberatp enthielt ben ©efet^t be£ dürften 2 Binbifcp©räp, ba3 ©lanifeft
unb bie Vrodamation nnvermeilt $u veröffentlichen, nnb bie ©rflärung, baf$
er ben ©emeinberatp für ben Vollzug verantmortlicp ntacpe. $a3 mar
beuttich gefprocpen; man mufäte nun in SBieit, mie man mit bem Selb*
marfcpall ftanb!
9?och eine anbere ©enbfepaft traf am 22 . in ©tammer$borf ein. ®ie
beutfepe Rational* Verfamntlung patte ben babifepen ©epeimratp Sari SBelcf er
unb beit mürttembergifepen Dberft 9Ko3(e naep Öfterreich gefanbt, um
bafelbft „in bem Sampfe ber Parteien", mie man e3 in Sranffurt nannte,
eine Vermittlung ju verfuepen. SXtach SBien fetbft giengen bie beiben 9lbge*
orbneteit nicht, fie manbten fich unmittelbar an ben Sürften 58inbifcp©räp
unb trafen in ber Racpt vom 21 . jum 22 . in ©tammeraborf ein. ©ie
mürben im faiferlicpen Hauptquartier pöfliep empfangen, ©eneral 2 Bqf 8
fant, fie im Rauten be3 SdbmarfcpallS $u begrüßen, ©ie fpeiften mit ben
faiferlicpen ©eneralen, in bereit ©efeUfcpaft fie fich fepr bepagücp füllten,
©ie äußerten ihre Vermunberung, fo nie! Sruppen ju finben, „fie patten
geglaubt, alle feien in Italien". 2113 fie vor ben dürften geführt unb vor*
gelaffen mürben, mar ipr ©ntpfang freilidp ein anberer, al3 fie gehofft patten,
©ie jogeit ipre Vollmacpt auö ber Safcpe, ber faiferlicpe Sdbmarfcpall
erflärte, er brauepe fie niept $u fepen, fie gelte bei ipm nieptS. „®3 fepeint
faft", fagte er ipnen beißenb, „baf£ fie für bie SBiener Rebellen Partei
nepmett!" Sll$ fie fiep uermaprteit: ba$ fei niept ipre äJteinung, fie feien
bloß beauftragt, jmifepen ben ftreitenben Parteien $u vermitteln, erflärte
er ipiten, e3 gebe pier feine Parteien, e3 gebe nur bie faiferlicpe 3Jtacpt unb
bie Revolution in SBien; er brauepe feine Vermittlung unb bulbe feine; fein
eigener Saifer vermöge ba3 niept. ©ie glaubten fidp auf ba3 Veifpiel in
Vrag berufen ju bürfen. „3ep bin in Sßrag nur 51 t milb verfapren", ent*
gegnete barfcp ber faiferlicpe gelbperr. „5)amate pat man miep in meinen
Vorfeprungen breimal gefreujt. 3>cp pobe ntir barum jept uneingefepränfte
Vollntacßt erbeten; idp mürbe fonft meinen S)egen $u ben Süßen ©r. SRajeftät
niebergelegt paben." @3 mürbe ipnen, fagte er jum ©epluffe, barum auep
nieptö nüfceit, naep Dlrnüp ju gepen, ba von bort itacp Sranffurt eine
©rfläntng abgegangen fei, baf3 man feine 2 lrt ber Vermittlung anjunepmen
gefottnen fei.
(ftortfefcunß im nfid)flcn #cft.)
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Die kulturgeschichtliche Bedeutung
von Zacharias (Uerner’s Entwicklungsgang.
Bon Bug. Kdölor.
er gefeierte SRationalöfonom ©uftav ©chmofler veröffentlichte 1888 ein
28er!: „$ur Sitteraturgefcgichte ber Staate* unb Socialmiffenfchaften",
eine Sammlung von SlbfjQnbtungen, unter benen bie erfte ©teile eine fritifcge
$arfteHung beS ethifdjen unb fulturgefchicgtlichen ©tanbpunfteS ©cgifler'S ein'
nimmt. Stuf ben erften Slicf fönnte eS befremben, bafS ^ier ©djiller'S
1795 erfcgienene „Sriefe über bie äfthetifcge Erziehung beS äRenfcgen" Von
etnem heutigen Vertreter ber ©ocialmiffenfchaft auf ihren SBert für bie ©egen-
n>art geprüft merben. Slflein mit 9ted)t h a * ©demolier hiermit bie fjofye
Sebeutung ber ^ßoefie überhaupt für bie ©eifteSentmicflung ber SSölfer unb ber
äRenfdjfjeit anerfannt. SBer moflte auch eine Sulturgefcgichte für möglich
halten, ohne #omer unb ©ophofleS, ohne S)ante unb ©hafefpeare ju er*
mahnen! $luS bemfelben ©runbe möchte ich bie ^lufmerffamfeit auf
bie Julturgefchichtliche Sebeutung eines Richters h' n ^ n ^ en / bex S^ar nicht
als ©tern erfter ©röge am $immel ber s J$oefie glänzt, beffen perfönlicher
©ntmicflungSgang aber befto intereffanter ift, bei bem dichten unb Seben in
feltener SBeife eins ift, auf 3 r i e b r i ch Submig 3 a cf) a r i a S SB e r n e r.
SRerhoürbig, mie feiten bei einem Spanne, finb fchon bie öligeren
ffierhältniffe in SBerner'S ©ntmicflungSgange, tvenn mir fie nach beit
geographifcgen Stationen feines SebenSmegeS verfolgen. Sit Königsberg
1768 geboren, Verlebte er bort feine Kinbljeit; bort eignete er fich als
einziger ©ohn beS UniverfitätS * s J$rofefforS unb Sheater-ßenforS SBerner
ben fcgarfen SDialeft an, ber ihn auf ben Kanzeln von SBien als SSreugett
fenntlich machte. 2Iuf ber KönigSberger Univerfität ift er ber ©cgüler Kaufs,
ber feine Sreunbfcgaft gegen SBerner'S ®ater auf ben ©ohtt überträgt. $ort
hat SBerner bie bamalS angeftauntc neue SBeiSheit aus ber Duelle getrunfen.
©eine jmeite SebenSftation ift SBarfchau. SllS Sccretär ber preugifcgen
®omänen!ammer legt er feine bamaligen phantaftifchen, unflareit ^läne zur
Steform ber SBelt in bem einzigartigen ®rama „®ie ©ohne beS XgalS"
2 *
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20
Slugufitin SRöSler.
nieber. 9iie tjat tleinticher 9tationalität«fanati«mu8 ©erner’8 für 3)eutfchlanb«
©röfje begeifterte« $erj eingeengt. 3)ort aber, in ber ehemaligen fpauptftabt be«
ungtücttichen fßolen, ift fein tpeiteS $erj imSJiitgefü^l noch weiter geworben,
©eine fonberbare, au« blofjer iperjenäneigung in SBarfdjau gefchtoffene ®he mit
einer SSolin, bie ebenfowenig beutjch wie er potnifch oerftanb, gibt baoon
3eugni«. 1805—1807 finben wir SBerner in 33er 1 in, im ÜJtittelpunlte ber
bamatigen Slufflärung. ^ier jeigt er in ber burdjgängig oeränberten jWeiten
Stuflage feine« 35rama« „3)ie ©öhne be« I^at«" ben gortfchritt feiner
Stnfichten unb feine« poetifcfjen Sonnen«. $ier geht fein 3>rama „SJiartin
fintier ober bie ©eilje ber ffraft" über bie Stühne. Sitlein gerabe t)ier
tonnte SBerner’ä (Seift ant wenigften 9tuf)e finben. 3)iefe« Verlangen nach
Stieben führt ihn ju ©oethe nach SB ei mar. (Soethe ift e« gewefen, ber
©emer jur Stbfaffung jene« furjen Irauer« unb ©chaufpiete« „$er
24. Februar" oeran(af«te, ba« ihn unter bie ©chicffat«biihter eingereiht
hat. Stuf bem SBeimarer Xheater würbe ba«fetbe unter ©oethe’8 Seitung
aufgeführt, unb biefelbe St)re wiberfuhr feiner Iragöbie „SBanba", bie biet
mehr at« „3)er 24. gebruar" fataliftifdje« ©epräge jeigt, fogar breimat.
S3i« jum lobe h ot SBerner für ben dichter ©oethe eine begeifterte SJer*
ehrung bejeugt, obwohl batb eine unau«füttbare Stuft ben „alten Reiben"
oon bem „ißrebiger be« Sreuje«" trennte. Stuf bie perföntidje Stetanntfcfjaft
mit bem „unioerjettften unb tlarften fDtanne feiner 3eit", wie ©oethe oon
SBerner genannt worben ift, folgt für biefen .ber mehrmonattiche Slufenthatt
in Soppet am ©enferfee bei ber geiftreichften grau jener 3eit, ber
fBaronin o. ©tagt. Stichtiger ift SBerner bi« bahin taum oon 3entanb
burchichaut worben, at« oon biefer Stau, ©ie fagte ihm auch, toa« ihm
fehle, unb bejeidjnete ihm Stom at« ben Drt, wo er finben würbe, wa« er
brauche, ©o fam SBerner nach 9t om. 3)er faft oierjätjrige Slufenthatt
bafelbft fdjliejjt ben entfdjeibenbften SBenbepuntt feine« Beben« ein, feine am
19. Slprit 1810 erfolgte Slbtegung be« fatljolifchen ©Iauben«befenntniffe«.
Stach feiner fßriefterweihe in Stjchaffenburg h at er SBien jum ©chauplafce
feiner rafttofen geifttichen Ihätigfeit bi« §u feinem lobe 17. Jänner 1823
gemacht. —
SBa« ift nun SBerner innerlich auf btefem SBege oon Königsberg
nach ©arfchau, oon SBarfcfjau nach S3ertin, oon Stettin nach SBeimar, oon
SBeimar jum ©enferfee, oon bort nach Stom unb oon 9iom nach SBien
geworben? 35a« ift’«, wa« unfer 3ntereffe feffett unb wa« un« feine Schriften,
feine ©orte unb feine ©itten unb feine 3$aten beantworten fotlen. 35a«
ift junächft ©erner'« höchft eigene Kulturgefchichte. 3)enn be« ebten
griebr. Beop. oon ©totberg ©ort ift wahr: „3 eber SRenfch ^at feine
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3)ie fulturgefchichtliche SBebeutung d. 3a$ Söeraer'S ©ntioicflungSgang. 21
©efchichte $u tfjuit, — uitb bafS fie gut ausfalle, ^ängt nief)t bom
latente ab, toetcheS fid^ feiner gibt, fonbern bom SBillen, ben toenige mit
Sauterfeit beS ©inneS unb unbebingt fjaben toollen." ©S ift toahr, baf$
bie SKaturanlagen ben gtücftidjen ober ungtücftichen ©harafter ber SebenS*
gefehlte nicht allein bebingen, aber bie Serfcfyiebenfjeit biefer Anlagen
betoirfen bod), bafS jeber SRenfch eine bon allen anberen berfdjiebene ®efdjichte
hat unb manchmal einen fehr auffaflenben SitbungSgang burchmacht. $on
SBerner'S geiftiger Segabung rnüffen mir baher auSgehen. ©djtoertich fann
Semanbem ber SbealiSmuS mehr angeboren fein atS SBerner. ffunft unb
Stetigion finb ihm, bereint mit echter Siebe, bie ®reieinigfeit, bon ber baS #eit
ber äJtenfd)t)eit abhängt. 3m ®egenfafe ju bem fdjalen SRationatiSmuS, ber baS
©nbe beS 18. 3öf|r^unbertd geiftig beröbet hatte, fließt er fich baher begeiftert
an bie Stomantifer an. ®ie ©eljnfucht nach ber häuften SBahrheit berjefjrt ihn.
Mein er theitt mit ben Stomantifern auch baS unfichere Umhertappen, baS
unbefriebigte Sehnen, bie Unflarfjeit ber ©ebanfen. ©r preist ben ©tauben
unb rühmt baS SBiffen, aber er toeiß eigentlich toeber bon bem einen, noch
bon bem anbern Stechenfdjaft $u geben, ©in pantheiftifcheS unb naturatiftifdjeS
©IjaoS fann feine SBettanfchauung genannt toerben. ©eine erften ®ramen
berfefcen unfern ©eift in ein Stebetfanb. ^ne^u fommt ber ausgeprägte,
ftarf metanchotifche 3w in SBerner'S SBefen, ber fich in feiner Siebe junt
©eheimniSbollen offenbart, ©o geftattet fich fein ©innen unb $khten $u
einem fchtoärmerifchen, toehmüthigen SRpfticiSmuS. „3<h hafte", fchrieb er
bamatS, „3efum ©hriftum für ben einzigen, höchften SReifter ber SRaurerei,
hatte SRaurerei, $unft unb Steligion für innigft bertoanbt, {Religion als
SRutter, SRaurerei unb ffunft als ©chtoeftern; ich hafte ®unft nicht für ein
©piettoerf, fonbern für baS ernfte, fmfjepriefierliche ©efchäft, zugleich aber
auch fi* r bie lebenslängliche halbe ©efä^rtin ber ©tücftichen, benen fie ficb
offenbart. 3<ß glaube, bafS ber Sünftler nicht bloß charmanter ©efettfehafter
ober SebenSphitofoph, fonbern ^riefter beS ©trugen fei, bafS bie burch
jämmerliche einfeitige Stufftärung beS SerftanbeS fo tief hinabgefunfene
SRenfchheit nicht noch mehr aufgeflärt, fonbern abgeftärt toerben rnufS burch
bie ©emeinbe ber Zeitigen nicht im groß*fatholif<hen, fonbern im oerebelten,
toahrhaft fathotifchen ©inne. 3<h ölaubc, bafS ber jefct alles unter bie
güße tretenbe ffigoiSntuS als ber toahre Slntichrift burch Stetigion, Kiinft unb
SRaurerei gemeinfchaftlich berbrängt, bafS ber SRenfchheit ber ganj bemichtete
©inn für baS fettige, fofte eS toaS eS tootle, toiebergegeben toerben rnufS."
©ein großes 1803 bottenbeteS bramatifcheS ©ebicht „®ie ©öhne beS IhalS",
beffen erften er „$ie lempter auf ©ppern" benannte, toährenb ber
jtoeite %ty\l „®ie ßreugeSbrüber" heißt, ift bie Stucht biefer SBeltanfchauung.
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Muguftin IRöSler.
X)er fctbftöerfc^ulbctc Untergang beS geheimnisvollen iXemplerorbenS toirb int
erften Steile oorgefübrt; allein ber ®eift beS DrbenS ift nicht untergegangen.
SBerner läfSt beufelben itn feiten S^eil uerflärt auferfteben.
$er 9Jtenfcben Xugenb unterliegt ber Prüfung,
$er 9Jtenfcben SöoSbeit tro&t in ftoljer Ohnmacht,
Unb beiber klugen beeft bie SinfterniS;
Allein baS Safter bient bem era’gen ^Billen;
öerfläret roirb bie Xugenb an bem ©rabe,
©S ftraft bie 9temefiS, unb burd) bie ©äbrung
©iebt man beS JriebcnS febönen ©tern entglübn.
3m Prologe jurn jmeiten Xbeile, bm biefe ©tropfe entnommen ift,
febilbert er, toie Diele taufenb 3roerglein, b. i. bie materialiftifebe, rationaliftifebe
5ßb^°i°Pb^f baS alte Steuj ju befeitigen ficb bemühen. $ocb biefe 23entü*
bungen mißlingen:
X)a fcballet ein geroalt’ger Baut oon oben:
„©enug beS eiteln frechen 9torrentbeibing!" —
Unb furcbterfüüt oerfroeb ba3 SBölflein ficb.
X>ann febroebte ftrablenb aus bem offnen Fimmel
X)aS grobe, roabre, alte Äreuj b^unter.
©o febmebte unoerfebrt auf Xaubenfcbroingen,
X)ie Jftafcenföpfe febmanben in ibr Nichts.
Unb eine grobe Äircbe marb ber SöeltbaU
5luf einem eroig grünen ©rabeSrafen,
Unb auf ber Äircbe ftanb baS grobe Äreuj;
X)ie ©rbe marb ein ©acrament beS SleifcbeS,
X)aS ÜJleer ein ©acrament beS Tbeirgen SBluteS,
X)ie 3merge mürben liefen, benn fie bnben
X)ie Häupter ficb empor $um em’gen Bicbt.
Unb aus ber Suft unb flamme tönt eS nieber,
Unb ©rb’ unb Söaffer tönten laut eS mieber,
Unb alle SBefen fangen ben (Sboral:
X)a3 Beben foll ben graufen Xob bedingen,
X)er ©taub hinauf ju feinem Urquell bringen,
SBenn er ficb fclbft oerlieret unb mit Sreube
©id> in baS grobe äöefenatl ergiebt.
®aS ift „ber ibealiftifebe fitotboliciSmuS", toie SBerner bamalS baS
3iel feines geiftigen SRingenS nannte. Slber berfelbe ift fo bunfel, fo nebelhaft;
er befriebigt rneber bie ©läubigen, noch bie Ungläubigen. X)unfler freilich
ift biefer untergegangene unb toiebererftanbene Xemplerorben, baS Symbol
ber nach ©rlöfung ringenben 3Jienfcbbeit nicht als baS, toaS ©oetbe in ben
beiben Ib^^ cn faneS Sauft bar^ufteden ficb bemüht bat- 3n ber Ibat ftebt
SBemer’3 jmeitbeiligeS ®rama ju bem jmeitbeiligen ©oetbe'fcben Sauft in
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3)ie fulturgefchicbtlicbe ©ebentun 9 o. 3ncb- 9Bemer’$ ©ntioüf lungSgang. 23
merftoürbiger fßarattele. 3 eber bcr bcibcn dichter ^at in biefen ©tücfen
fich felbft unb feine SBeltanfchauung gefdjilbert. $a£ 2 luffaflenbfte an biefer
parallele ift nur, bafS fie bisher ben Sitterarbiftorifern fo menig aufgefallen
ift. $er größere dichter unb SDieifter ber ©piacbe tritt uns im Sauft ent*
gegen; in ben „Söhnen beS I^afö" aber ber tiefere fßfpdjolog unb bie
fraftooöere SRfligiofität. ®er 93ergteich fällt nieht $u SBerner'S Ungunften aus,
toenn mir mit feinen fß^antafien baS träumerifche $errbilb be$ fatbolifch
gebauten Rimmels am Schluffe oon ©oetbe’S „Sauft" oergleichen unb 5 . 93.
ben #pmnu3 ^ören, ben ©oetfye feinen „aufabfehmebenben Pater ecstaticus"
fingen läfst.
©roiger 2öonnebranb,
©lübenbeS Siebebanb,
©iebenber ©cbmerj ber $8ruft,
©cbäumenbe ©otteSluft.
Pfeile, burebbringet mich,
Sanjen, bejminget mich,
beulen, jerfebmettert mich,
93Ufce, burebmeffert mich;
$afS ja baS Nichtige,
5lUeS oerfliicbtige
©längen beS 3)auerftern
©roiger Siebe ftern.
®S ift freilich rbetorifeber, aber auch ernfter unb ttmbrer unb tröftlicher,
menn SBerner in feinem ©pilog felbft bie Deutung ber „Xbalföbne" gibt
unb feine eigene Unficberbeit belennt:
D traurig 93ilb non armen 2ttenfcbenleben!
©oll unfer S 00 S baS auch, 93rüber f fein?
©oll aller ©Uten angeftrengteS ©treben
$urcb plumpe ^öo^bett immer mifSgebeib’n ?
9Barb barum uns allein baS Siebt gegeben,
Um uns ju ©taubeStnecbten einjuroeib’n ?
2)er bobe Xraum, bie 9Jtenfcbbcit $u oollenben,
©oll er in einem ero’gen ©cblummer enben?
3cb beb', eS ©ud) ju fagen, meine trüber,
2BaS mancher roobl oon ©ueb febon lang empfanb:
9lucb unf're flamme, bie 00 m Fimmel nieber,
$)ie 2öelt ju reinen fam, — ift ausgebrannt.
2BaS hilft ber 9lltar unS! — fie febrt nicht roieber,
©ie jog oon bannen in ein ftembeS Sanb.
®ieUeicbt, bafS mir fie treulich nicht gehütet,
SBielleicbt, bafS fte ein neues Seben brütet!
2)ocb maS eS fei, — bereitet ©ueb unb betet;
$)enn eroig ftirbt eS nicht, baS beü’ge Siebt!
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Mgufiin fööSler.
2 Rir ift, als ob ein neuer Xag fich rötbet, —
Den alten, trüber, ben erroedt Sb* nicht!
9tod) roirb ber UrtbeüSfprucb geroogen, — tretet
2Rit frommer ©epeu oor’S ^eilige ©eriebt! —
Denn baS bleibt roabr: baS X^al ift niept geftorben,
Unb nur im ©lauben roirb baS §eil erroorben.
®on bem ©lauben aber, ben er f)ier greift, unb feinem’ Korrelat, bem
SBiffen, ^atte SBerner 'bamalS, als er 1807 am Sätarefonntag noch bie
Zueignung jur ameiten Mflage feinet Dramas feprieb, feine flare ®or*
ftellung. Den KatpoliciSmuS, ben er läutern rooflte, rühmte er jmar bamalS
fepon niept bloß als „baS größte SJieifterftüd menfcplicper SrfinbungSfraft,
fonbern auch, menn er geläutert roirb, als baS befte unter ben ©rjeugniffen
ber K^riftu^religion, baS allen übrigen cpriftlicpen unb uncpriftlicpen SteligionS*
formen für ein Zeitalter, melcpeS ben ©inn ber frönen ®riecpbeit auf
immer oerloren, bor^ujie^en fei". Mein biefe ^ocpfcpäfcung bejog fiep nur
auf ben poetifepen ©epalt beS KatboliciSmuS; berfelbe galt ihm nur als eine
mieber aufgegrabene mptbologijcpe gunbgrube.
SBie ganj umgeänbert, roie flar finben mir if)n fieben 3ab rc fpäter, als
er, nach grünblicpen ©tubien tron 8?om jurüdgefebrt, in SBien bie fatl)olifcf)e
©laubenSlebre oerfünbet! Das nebelhafte M mar ber ©rfenntniS beS
perfönlicpen ©otteS gemichen, ber erbichtete Dh<Ubunb jur mahrhaften Sircpe
gemorben, er unterfchieb auep jefct noch &mifcpen geläutertem KatpoliciSmuS
unb ungeläutertem, aber er fuchte ben Unterfchieb nicht mehr in ber Sehre,
fonbern in ben &er$en, melche biefe Sehre aufgenommen h a ^ cn * SBenter
fclbft ha* ben SBeg unb bie ©rünbe §u biefer Untmanblung bem dürften
Dalberg alfo angegeben: „$on 3?eue über eine Un^pl früherer Serirrungen
gefoltert, fam ich naep ^ om - Ungleich mehr, baS fann ich betheuern, ate
ber äfthetifche ®omp unfereS SftituS, f^t biefe Steue unb bie Seere, bie ich
nach einem lebenslänglichen Sagen nach leeren ©enüffen in meinem Snnern
entpfanb, gefeilt ju bem für jeben confequenten SWenfcpen Unbefriebigenben
beS $roteftantiSmuS unb DeiSmuS, melchen ich toit bie ©enüffe in feinen
meiften formen erfepöpft unb baher um fo grünblicher oerachten gelernt
hatte, mich für bie ®nabe empfänglich gemacht. 3b r göttlicher Strahl traf
mein £>erj; icp gieng am ©rünbonnerftage ate am 19. Slpril 1810 $u 9tom
jum ©lauben ber Säter über." — Daher bie Klarheit unb Sicherheit, momit
er jept in feinen Siebern mie in feinen ®rebigten auftritt. Über baS
fchmachtenbe, fü&Ii<pe Siebesträumen ber SRomantifer, tron bem auch ber eble
SftotroliS nicht frei ift, bricht er in Slfchaffenburg am 17. Sebruar 1813
in bem Sonett „an bie mobernften beutfepen unb chriftlichen Dichterlinge"
ben Stab.
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®ie fulturgefchichtliche ©ebeutung o. 8ach SBerner’S ©ntroidlungSgang. 25
$em argen 3rran$tyum follt ihr jroar entfagen,
$>od) nicht burch flechten ©ang unS Xeutfdje fchreden;
®emt eure ©erfelei, biberbe mieden,
3 ft h°lpricht, um felbft ©atan ju oerjagen.
2113 tücht’ge Triften fodt ihr euch betragen,
$>od) nic^t im füfjen Siebes trieb euch ftreden,
®emt ©hrifti jünger roaren nimmer ©eden;
21m ©Iauben mufS ©ernunft empor auch ragen!
O ©ott, ®u toeifet unb ich roeifj mein ©ebrechen!
3 ch habe felber oiel unb fchioer gefiinbigt,
3 >th fann ben ©tab nicht über anbre brechen.
$od> fagen barf ith’S, frei unS unoerholen,
®afS, eh T bein SBort in Xeutfchlanb toirb oerfünbigt,
SUfanjerei ber Xeufel erft mufS holen.
Xagegen betont er jefct immer wieber, bafS ber ©laube unb baS
©hriftenthum alles natürlich SBaljre unb Schöne oereblen. StirgenbS oieHeicht
hat er eS beffer getljan, als in feiner ©rebigt auf ben Zeitigen 2luguftinuS
am 3. September 1815. „®aS £errlichfte aller 3oitalter in fich oereinigenb,"
fagt er, „fteht ©t. SluguftinuS auf bem ©ipfel aller menfglichen Silbung unb
wiberlegt aufs glorreichfte burch fein blofjeS ®afein fchon ben ebenfo fchem*
baren als wefenlofen Einwurf, bafS baS ©hriftenthum bie freie Entfaltung
unb mannigfaltigfte SluSbilbung ber ebelften Kräfte beS SJtenfchen h^ntme.
Stein, im Strahle unferer ©nabenfonne oerborren bie fünften ©litten ber
3Jtenfchh«it nicht, fie fprie&en nur umfo herrlicher empor." Unb inbem er
{ich inSbefonbere an bie ©ebilbeten unter feinen ßahörern toenbet unb ihnen
„bie Xheaterfritif beS gebilbetften aller chriftlicheu ©Seifen", nämlich beS ^eiligen
SuguftinuS, oorführt, fügt er bei: „©laubt 3h r > mich treibt, baS ju
fagen, fanatifcher ffiifer ? Keineswegs! 3<h verwerfe bie Xljeater nicht unbe*
bingt; mögen Don ihnen herab gefcheibte 2eute baS ©olt belehren ober fich
belehren laffen, lächelnb ober weinenb über baS bort bilblich bargefteHte
troffige unb Oerjagte Xing, genannt SJtenfchenherj! 2lber fann ber noch
ungeprüften Sugenb baS nicht ©ift fein, toaS ber fchon geprüften Erfahrung
Dielleicht Salfam ift? . . . Unb weil ich nicht nach ®wrem seitlichen,
Wohl aber nach Eurem ewigen Seifall geije, fo rufe ich noch einmal:
Xhörichte SJtütter, unweife ©äter unb ©rjieher, lafSt ab, bie Euch bei
Euper eigenen ewigen ©crantwortlichfeit Don ©ott anDertrauten jungen
©emüther burch albernen Xaumel ju Dergiften, fonbern burch fchulblofe
Sreuben bilbet fie jum #öchften ber SJtenfchheit, bem Haren, gefunben
rüftigen ©rnfte!" — „Sin ich", fo fügt er in einer für ©ebilbete
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^tuguftin 9tö$ler.
beftimmten Stachfcbrift $u biefer Sßrebigt ^biefer Sitte wegen etwa
ein Schwärmer ober gar ein poetifd^er Stenegat, ber, weit er ben ^riefter*
roef angejogen ^at, ba« Stügelfteib ber ^Soefie oerbammt? Stein, e« gibt
woht nicht jwei ©emänber inniger Oereint, at« jenen Stocf unb biefe« Äfeib.
3 ebocf| jener tjerrlidje Xalar, er warb mir über mein Serbienft gefchenft,
wenn auch für bie ©wigfeit! Xiefe« fd^öne Stügetfleib aber, e« warb mir
angeboren, unb bantbar unb freubig Ijoffe ich e«, mein f)öd)fte3 irbifche«
©ut, nicht bi« jum ©rabe bloß, fonbern — wenn ©ott mir barmherjig ift
— auch am oerftärten Seibe noch $u tragen! Sltfo 3f)r, bie 3h r mich mein
Öeben lang mif«oerftanben ^abt unb mif«oerftehen werbet, erlaubt, baf« ich
Such, jwar wiber Suren SBiHen oießeicht, tiebe, aber hoch ein wenig auch
belaste!" — $a« Hingt nun gart$ anber« at« bie frühere mpttjologifche,
melancholifche Schwärmerei; fo fpridjt auch fön religiöfer ganatifer unb in
retigiöfem SBafjn Serftricfter. @0 ift SBerner fortgefchritten au« bem ©eifte«*
itebel $ur ©eifte«ffarheit, t)om 3^rthum jur SBahrheit, Oom tranthaft mpftifchen
Schwärmer jum chrifttichen SJtpftifer. Sür ihn bebrütete ba« fo oiel, at«
oon gieberphemtafien jum gefunben frifchen Seben.
Siet fchärfer unb oiel auffaßenber jeboch at« biefe intettectuette
Sntwicftung ift bie moratifche Oon ber Unfittticßteit 5 U fittticher Selb ft*
beherrfchung. Sieben bem tiefen retigiöfen ©efüht unb im fchärfften ©egenfafc
ba$u hoHe SBerner eine unheimlich gtühenbe unb freoethaft frühzeitig jur
hohen Stamme entjünbete Sinntichföt at« Staturantage in fich- Irug ihn
fein ibealer, religiöfer Schwung auf bie haften £i>hen be« ©eifte«, fo jerrte
ihn biefe gemeine Sinne«tuft in bie tiefen Slbgrünbe unfitttichen Schmujje«
hinunter. SJtit biefem , 8 miefpalt im $eraen fteht er am 20 . 3 uli 1808 am
SUjeinfatt jit Schaffhaufen. Sr fietjt in ben tanjenben unb tofenben SBaffer*
wogen fein eigene« Silb, unb in feinem ©eifte entfpinnt fich jmifc&en ihm
unb ben SBogen ein $wiegefpräch, ba« feine h<>h c bicßterifche ^Begabung bezeugt:
©eroäffer, ihr raffelnben, raufchenben, ra«t ihr? — oon mannen, rooju?
„Sntronnen au« Siebe, mir rangen unb ringen jur Siebe, roie bu!"
Siaffelnbe, träumenbe löchter 00 m eroigen Schaum,
Slehmt mich mit au« bem Staum, au« ber Arbeit ber 3eit
3n bie Smigfeit! — „SBa« hetfdjeft $u?" — Shih'.
Unb fte lachen baju.
Sich, fönnt’ ich noch roeilen bei Such,
Such gleich! Sich, fönnt’ ich lieben! —
SBerner ftanb barnal« im 40. 2eben«jaf)re, at« er oor ben SBogen am
StheinfaH über fein tiebeteere« £er$ ttagte. SBa« Stnatreon, £ora$, 0Oib at«
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Die fulturgefdjichtliche 93ebeutung o. 3<nh- SBerner’S (SntwicflungSgang. 27
Siebe befangen lfaben, baS ^atte er aHerbingS öerfoftet. Slber baS mar eben
fein ©djmer$, bafs er bie wahre Siebe mit finnlichent ©enufS fdjutbboll per*
mechfelt hatte. 2US er hier 3aljre faäter in 5toren$ weilte, fefetc er über folgenbe
Sonette bie Überfchrift: „21m Schluffe meines 44. SebenSfahreS."
2BaS ich auf ©rben noch $u bitten ^abe r
3ft wenig, unb ich will eS ©ud) erjagen;
Um £Hut)m unb föeichthum mag ich @ott nicht quälen,
DeS Teufels ©triefe fmb ber ©tol$, bie §abe.
Slur Unfchulb möcht’ ich wieber mir erwählen.
Doch nichts erroeeft bie, wenn fte gieng $u ©rabe;
Der irb’fchen Siebe Xaumelfelch, bie Sabe
S3on ©ift, tbat fie bem Xobe mir oermählen.
Den SBolluftbecher, ich hab’ ihn geleeret,
©elbft baS ©elüft nach Sorbeem ift gef Rieben
93on mir, unb matt oom kennen, Jpaften, fiärmen,
*4Bitt’ ich nur um ein 2öinfelchen mit Rieben,
2öo bie, wonach ich mir betrieben,
Die brei mir würben: Orbnung, ©tille, 2öärme.
* *
*
Die regelrechte, falle, warme §ütte,
Unb b'rin mein 'Domenlager auf gef plagen;
DaS ift, was ©ott ich barf $u bitten wagen,
2öenn auS ich mein geprefSteS §er$ ihm fchütte.
3n meines wilben DafeinS ©lütentagen,
Da hatt’ ich mohl noch manche fühne '-Bitte,
Stoch bamalS hott’ ich fte, als ich bie ©dritte
SBefliigelnb, Stom juerft empor fah ragen!
Doch maS ich fah auf Stoma’S h^il’gen 3innen,
DaS ©orgohaupt meines oerprafSten SebenS,
Söerfteinert mich! — ©in Xobter nach ^Belebung
©chmacht’ ich — ob taufenb tfebenSbäche rinnen —
SluS einem, ber oielleicht mir rann oergebenS,
trüber, baS ift ein ferneres Söort: „Vergebung".
* *
*
Vergebung! — Sich wie fall ich Dich erftreben? —
3h r ©chwachen, benen ©ift ich h a b’ gebietet,
3h* anbem, beren ©eufjerlaft gefchichtet
Siuf’S §erj mir ift, baS nicht ben ©tein fann heben!
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Slugufhn Rödler.
Vergebung mir? — Unb ifjr, bic meinem Seben,
SllS e$ noch fcbulbloS mar &u ©ott gerichtet,
$>en ©iftfelcb reichtet, ber eS bot oemiebtet,
Vergebung roiU ich, b’rurn fei euch vergeben!
Xex, melier rein ift r bete mit bem deinen
Unb meibe mich! 2Ber ©ünber ift unb jittert,
Sbo i$ ein ju meinem HauS, bem ftitlen!
$)ocb bir r ©emengfel, ba$ nur ftifcel roittert,
SBereu’n nicht roiU, noch tbun, nur plappemb febeinen —
3)ir roiU icb fortan nicht mehr tbun ben SiUen.
@o bot Serner felbft feine ©ntmieftung bont unfittticben ©cbmäcbting ju
fittficber ®raft, bon ber ©daberei ber ©ünbe $ur Freiheit ber ©nabe nicht ein*
mat nur, fonbem im Übcrmafe oft befunbet, nicht mit Sorten btofc, fonbern in
ber Ibat. ®3 mar ibm fcbnterjlicb ernft mit bem Sorte, baß bie 9teue im 93u&e*
tbun beftebt, unb bon feiner SRücffebr jur fatbolifeben SJtutterfircbe an hoben
auch feine ©egner ibm feinen fittli^en UJtafel mehr nacbmeifen fönnen. Son
ba an bot er nicht mehr ohnmächtig gefeufjt: „Sieb fönnf ich lieben!" 2)aS
feige Slufgeben ber Sßerfönticbfeit, bie gleicbfom bor ficb felber in ein unbefannteS
SW flüchten moHte, mürbe jur befonnenen, bdligenben ©ntfagung ber ©ünbe.
SSon 9tom aurücfgefebrt, bot er in Slfcboffenburg 1814 in feiner „Seihe ber
Unfraft" feiner energifeben Hinfebr $ur mabren Siebe SluSbrucf gegeben:
„5)urcb falfcbe Suft oerlocfet unb bureb baS Spiel ber Sinne,
$ocb roiffenb, baß aus Siebe ber Duell ber Sefen rinne,
Se&t’ ich ber franfen Sofluft S3ilb feef auf ber Siebe $b*on,
Unb bureb bieS ©aufelblenbroerf fpracb ich ber Sabrbeit §obn."
„®3 ift ein Hauptmangel unferer beutfdjen Sprache," fagt er in einer
Slnmerfung ju biefem poetifeben SefenntniS, „baß mir für ©boritoS fein
beutfcbeS Sort hoben! 3<b mürbe borfebtogen, fie Siebe ju nennen unb mit
biefem fo oft mißbrauchten Sorte fparfam umjugeben; bagegen für bie
fogenannte (irbifebe) Siebe baS alte Sort SJtinne mieber in ©urS ju fefcen".
Sn feinem felbfterlebten, lefcten ©ebiebte „UnftätS SRorgenpfalm", morin
er baS SerbältniS bon Statur unb ©nabe febilbert, läßt er ficb felbft anreben:
„$u alteS ft'inb unb junges 93lut,
ORußt freuj unb quer jur Siebe!"
©in unbefangener ©lief auf bie Sitteraturgefcbicbte geigte un$ mehr als
eine Sorppbäe auf bem beutfeben Parnaß als Serner'S ©enoffen in ber
Serirrung. So, Serner ftebt, abgefeben bon feinem Seben, in feinen s 45oefien
reiner ba, als bie meiften; in feiner $eriobe finbet man bei ihm ein äftbetifdjeS
Hätfcbdn- ber ©ünbe. dagegen bot bie ©efebiebte menige litterarifebe ©röften
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®ie hüturgefcßußtlicße ©ebeutung v. 3<nß. SBerner’« @ntroidlung«gang. 29
berjeicßnet, bie au« äßnlicßen ©erirrungen ficß fo ernft ßerau«gearbeitet ßaben.
$ie #erjen«fultur ift bei SBerner burcß Kampf jum bollen Siege gelangt;
er ßat feine fittlicße ®efcßicßte mirtlicß getßan.
®amit ßängt bie fernere ©ntmidiung nacß einer britten SRicßtung ßin
jufammen: nämlicß ber gortfcßritt bon untätiger Iräumerei ju tßatträftiger
Slrbeit am SEBoßl ber SRenfcbßeit. SEBerner ßat nie feinen ©eruf jurn fittlicßen
^Reformator unb ©rebiger trofc aller Ungefcßicfticßteit $u prattifcßer SEßätigleit
berleugnen tönnen. 3ßm toa* aucß fein bicßterifcße« latent nur SRittel ju
biefem 3^- „3cß berficßere unb befeuere ®ir", fcßrieb er 1803 an feinen
§erjen«freunb £>i&ig, „baf« icß alle poetifcßen fiorbeertronen für bie greube
Eingabe, nicßt etwa Stifter, bloß äJiitglieb einer ecßt retigiöfen Secte ju
fein, benn icß bin überjeugt, baf« < ba« bie £auptfacße ift, marum e« ber
SEBett notß tßut, unb baf« alle Kunft nur ©ropptäen ju biefem ©nbjmect
finb. 3Ba« lönnten jeßn gefüßlbotle, reine, begeifterte Jünglinge ju einem
3toecfe berbünbet, mit ber SEBelt in religiöfer #inficßt machen, memt fie
meniger fcßreiben unb rneßr tßun mollten, unb menn e« möglich märe, nocß
junge Seute ju finben. — ®aßer tßut e« mir in ber Seele meß, menn icß
bie ßerrlicßen Kräfte ber neuen äRenfcßen, be« Schlegel, be« Xied, be« Scßleier*
macßer u. f. m. berfcßmenbet, ben einen eine Komöbie, ben anbern ein Sournal,
ben britten romantifcße ®icßtungen, Sonett« unb ©ott meiß ma« liefern feße,
fie bon großen Sieden, mie bie granjofen bon ber Sanbung in (Snglanb
praßten ßöre, unb bocß leine emfte SEenbenj, leine berbunbene Harmonie ju
bem großem 3^ leine SRealifierung ber göttlichen 3bee einer gefeHigen
Serbinbuug ebler greunbe jum ßöcßften 3roed erblide . . . 8llle« poetifcße
Anbeuten bon ßoßen ©erbinbungen, anbrecßenber SKorgenrötße u. f. m. tann
nicßt« ßelfen; geben muf« man ber SBelt, ber jämmerlicßen, bon ©ott
entfrembeten SBelt, ba« Seifpiel einer folcßen ©erbinbung in ©rofa, in
natura; fie mag Secte, Drben, mie fie miH getauft merben, unb tann icß
ju einem folcßen 3toede mitmirten, fo miH icß gern meine poetifcße geber, bie
mir nur baju ein ©eßitel ift, nieberlegen auf einig, bann merbe icß fagen
tönnen: „i cß lebe". — 811« SBerner bei grau b. Staäl meitte, tonnte er biefe
feine Sbficßt fo menig berbergen, baf« fie ißn in ißrem äBerte >De l’Alle-
magne« (c. 24) cßaratterifiert ßat: e« ßabe ben 8lnfcßein, at« mode
er „ein geßeimni«bolIe« Spftem ber SReligion unb ber Siebe mit £ilfe ber
bramatifcßen Kunft berbreiten". SCttein mit feiner untlaren Scßtoärmerei, bie
ßeute bem ßefer in feinen „Sößnen be« ®ßal«" neben fo biel ©eifte«blifcen
oft genug Kopffcßütteln berurfacßt, märe er nie an« 3iel getommen. ©on
SRom aber jurüdgeteßrt, entmidelt er eine frucßtbare Xßätigtcit auf ber
Kanjel, bie er taum gefucßt ßatte, bie aber befto meßr begeßrt mürbe, gn
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Sluguftin $Rö«ler.
feiner erften ©rebigt erftärt er ba« SBort Ebrifti an bie ©ünberin: „3b r
finb niete ©ünben oergeben, meit fie nie! geliebt b<rt\ ba«fetbe SBort, ba«
nach feinem Xeftamente auf feinem ©rabftein eingemeißelt merben foflte, unb
barin fcßitbert er ba« SBefen ber mif«getciteten Siebe, beren gotgcn unb
beren £>titung.
©o ift SBerner auch bie* an’« 3^ gefommen; non einem unpraftifcßen
©cbmärmer, beffen p^antaftifd^e ©täne mit Sachen aufgenommen mürben,
bat er ficb ju einem fettenen ©erfünber ber cbriftticben SBabrbeit futtiniert.
©eine „ft'ulturgef Richte", in ber fo niete $)iffonan$en un« ftören, Hingt
ba^er fdbtießticb in einem reinen, froben grieben«accorb au«. Siacbbem er
ficb bucbftäblicb in SBien $u Xobe gearbeitet, beißt e« non feinen testen
lagen auf bem Xobe«bette: „©eine liebfte S3efcbäftigung mäbrenb feiner
testen ftranfljeit mar ba« ©ebet . . . fo beiter mar unb blieb fein ©eift,
baf« er, obgteicb non 2obe«fcbmäcbe niebergebrüeft unb unfähig irgenb einer
Sabung ober Erquicfung, bennoeß SBift unb Saune genug übrig bereit, um
mit manchem Scherbe bie £>errfcbaft feinet ©eifte« über alles teibticbe ffitenb
unb, ma« unenbticb mehr ift, bie ©nabe $u bcurfunben, momit ber ©ater
ber Erbarmungen feine ©eete fräftigte." —
2Kit biefer Ermahnung ber apoftolifeben Strbeiten SBerner’« in SBien*
ftebeu mir bereits bei ber Slntmort auf bie grage, ma« fein Entmicftung«*
gang für feine .ßdtgenoffen, für ben Anfang be« 19. 3ab rs
bunbert« futturgefebiebttieb bebeutet. gn einem SBorte au«gebrüdft
tautet bie Slntmort: SBerner’« Entmicftu«g«gang 50 g nach ficb
eine ©cbeibung ber ©ei ft er. ©ein Stuftreten auf ben Sandeln non
SBien bteibt auch bem nicht cbriftticben Sutturbiftoriter, falls er nur bie SBabrbcit
liebt, ein ©bänomen. Sein anberer b<*t bamat« neben bem apoftolifeben
P. $ofbauer fo mächtig bie Sinmobner non SBien angejogen unb in ber
Sluguftinerfircbe $ur 3cit be« SBiener Eongreffe« bie gefrönten Häupter um feine
franset nerfammett, mie er. Slt3 er einmal in ber granjtefanerfircbe prebigte,
beißt e«, roßten bie Earoffen in Un$abt nor bie Sfircbtbüre, bie Seute
brängten ficb maffenbaft biit$u, unb bie ©olijeimacbe reichte nicht mehr au«,
um bie Drbnung auf ber ©traße aufrecht $u erbatten; e« muf«te noch eine
SBacbe-Slbtbeitung Siüraffiere erfebeinen. (@eb. ©runner, Eiemen« £>ofbauer.
@. 178.) Eine intereffante ©eriebterftattung herüber befifcen mir in einem
©riefe ber berühmten 2od)ter 2Renbet«fobn ? « (II. 339), Dorothea n. ©ebteget,
an ihren SJlamt, griebrieb ö - © ebteget, nom 16. ßRärj 1816. ES ift böcbft
intereffant, bie SBanbtung be« Urteile« über SBerner an ihr ju beobachten.
®ie geiftreicbe grau batte SBerner’« ©efebrung mit 9Rif«trauen betrachtet,
©ie gebt in ihrer ßritif über bie „SBeibe ber Unfraft", bie ja ©onberbar*
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Sie fulturgefchichtliche ©ebeutung t>. 3ach* SBerner’S SntroicflungSgang. 31
feiten unb ©efd^maeftofigfeiten enthält, bis }ur Ungerechtigfeit. Nachbem fic
ihn 1814 perfönlich fennen gelernt hat, finbet fie, bafS feine Unterhaltung
meit ungejtoungener unb natürlicher fei, als feine Schriften, ©an} unleiblich
fomutt ihr nur „bie ungeheuere SchnupftabafSbofe unb ber gemeine Serlincr
Sialect" oor. 3n bem ermähnten ©riefe anberthalb 3ahre fpäter aber berichtet
fie ihrem ©atten golgenbeS: „SBerner prebigt greitag Nachmittag bei ben
Urfulinerinnen unb Sonntag nachmittag bei ben Sluguftinern. Sie Sonntags*
prebigten . . . höbe ich gehört unb merbe bie brei fotgenben auch hören,
©ei ben Urfulinen ift eS immer }u doß, bie Kirche }u flein. Sie ©rebigten
öon SBerner fahren fort, gurore }u machen; man brängt fich hi n i u > bafS eS
eine Suft ift. Seute gehen hin, bie feit SJtenfchengebenfen in feiner ffirche
mären; fie fchimpfen auf ihn, gehen hoch aber immer mieber hin; bie oor*
nehmen Seute fdjon um 6 Uhr abenbS, um nur bie ©rebigt }u hören.
Sr thut fehr oieleS ©ute, benn nicht allein feine ©rebigten merben befucht,
fonbem auch alle anberen ©rebiger ber Stabt unb ber ©orftäbte, unb biefe
geben fich ntehr 9Rühe, ba fie fehen, bafS bie Kirchen mieber befugt merben.
9luf ben 2lbenb fragen fich bie eleganten Samen unb Herren: SBo maren
Sie in ber ©rebigt? mie hat Shnen bie ©rebigt gefallen? — fo mie man
fonft nach bem Skater ober Soncert fragt." — SaS ift ein ©ericht über
ben lebenben SBerner; nehmen mir hir}u ben, melier 1823, nachbem er
berfchieben, über feinen Sob unb fein ScgräbniS gebrueft mürbe: „©ornehme
unb Niebere, geingebilbete unb SJtenfchen ber gemeinen Slaffen brängten fich
hin}u, um banfbar bie erfalteten £)änbe }u füffen, ja nicht burch biefeS
©enehmen bloß, fonbern oor allen Änmefenben freimüthig }it befcnneit, bafS
fie burch ihn mieber auf ben SBeg beS £eileS unb }ur SrfenntniS ber
SBahrheit geführt morben feien."
SBelchen SinflufS SBerner auf bie ©oefie feiner 3*it auSgeübt hat,
fann in fur}en SBorten gefagt merben. Sr hörte nicht auf }u bitten, mie
feine Xragöbien „$unigunbe" unb „Sie SNutter ber äKaffabäer" be}eugen,
obgleich i^m feine apoftolifchen Arbeiten faum einige Stunben ba}u ließen.
Sie Siebe }um ©aterlanbe unb }ur Neligion finb bie SNotibe babon.
Soflenbete Äunftmerfe finb fie trofc aßen echt bichterifchen ©eifteS fo menig
mie bie früheren. Sarin aber befteljt ber hrilfame SinflufS SBerner'S, bafS
er, mie griebrieß Schlegel, „bie Nomantif ernft nnb confequent in fich burch*
gelebt hat". (Sichenborff.)
äber ift er nicht auch für fein 3eitalter ber berüchtigte ©ater beS
SchicffalSbrama gemorben? So ift menigftenS in ben |mnbbüchern ber
beutfeßen Sitteratur }u lefen, unb bie meiften ©ebilbeten miffen üon SBerner
faum etmaS anbereS. 3« SBahrheit hat meber SBerner felbft baran gebacht,
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Sluguftm 9tö$ler.
bem Drama biefc Stiftung $u geben, noch ift er barin mafcgebenb gemefen.
SDtit Stecht bot ©icbenborff in feiner ©efcbidjte ber poetifcben Sitteratur Deutfcb*
lanbS in bem Slbfcbnitte über SBerner (II. 83—126) biefern ©egenftanbe fein
SBort gemibmet. Seber Dichter, ber nicht gläubig bie SUaterfjanb ber Sorfebung
im cbriftlicben Sinne anerfcnnt, Wirb unmiUfürlicb fataliftifcbe 3^gc in
baS SDtenfcbenleben jeicbnen, fobalb er baSfelbe non feiner ernften ©eite
barjufteUen unternimmt.
Siele manbten ficb SBerner infolge feinet SntwicflungSgangeS ju; aber
ebenfo niete, bie anfänglich i^nt jugetban waren, jogen ficb non ibm jurücf.
Durch feine entfcbiebene Eingabe an bie Steligion beS $reuje3 mar er felbft
für Siele $um 3eicben beS SBiberfprucbeS geworben. Unb b^rin beftebt nicht
minber feine fulturgefcbicbtlicbe Sebeutung für feine 3 *R 9tm
intereffanteften ift bie neränberte Stellung, bie ©oetbe gegen ihn einnabm.
Der anfänglichen freunbfcbaftlicben Sejiebungen ©oetbe'S ju SBerner
in SBeimar mürbe fcbon gebucht, ©o grunbnerfcbieben beibe auch fcbon
bamalS waren, fo febr ©oetbe als Dieter SEBerner überragte, unb fo
Wenig SBerner'S tiefcreligiöfer 3ug bem Slltmeifter jufagte: ©oetbe fonnte
ihn bocb gut leiben unb f^rieb 1808: „@3 fommt mir, einem alten
Reiben, ganj munberlicb nor, baS fficeuj auf meinem eigenen ©runb unb
©oben aufgepflanjt ju feben unb ®b r ifti Blut unb SBunben poetifcb
prebigen $u b ö *en, ohne bafS eS mir gerabe juwiber ift." — 8lm
wenigften ftiefc er ficb baran, baf$ bei SBerner ber fittti^e Seicbtfinn
bamalS fo oft mit bem ibealen Streben in SBiberfprucb geriete SDtan
fann wohl fragen, wer leicbtfinniger gewefen fei. ©ern bifputierte ©oetbe
mit ihm über baS ©briftentbum. ©inft richtete SBerner bei folcber ©elegenbeit
am §ofe beS ©ro&berjogS oon SBeimar bie 3rage an ©oetbe, ob er jugebe,
bafS ©ott bie Siebe fei. Statt ju antworten, wanbte ficb ©oetbe an bie
Umftebenben unb fügte: ©ebe ich ihm 8«, bafS ©ott bie Siebe ift, fo bebuciert
er mir baS ganje ©briftentbum. Das will ich aber nicht. 3u SBerner ficb
wenbenb fpracb cr: „®ott ift nicht bie Siebe, ©ott ift alles."
Die Differenz jwifcben bem SantbeiSmuS ©oetbe'S unb ben cbriftlicben
©efinnungen SBerner'S b°& inbeS ben Serfebr jmifcben Seiben nicht auf.
©anj anberS war eS, als SBerner, oon 9tom jurücffebrenb, ©oetbe wieber
befucben wollte, ©oetbe fcbicfte ihm feinen ©obn entgegen mit ber ©rftärung,
er möge ihm nicht über feine Schwelle fommen. SBerner bat auch als Äatbolit
bie Sebeutung ©oetbe'S oerftanben unb lebenslänglich feinen poetifchen
©eniuS bocbgefcbäpt; ©oetbe aber fonnte SBerner nicht mehr oerfteben. Stiebt
beffer ergieng es SBerner bei Heineren ©eiftern. ©ein SDtpfticiSmuS bilbete
ficb, fo bei&t eS oon ihm, in 9tom jur oölligen Serrücftbeit aus. Die felbft*
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Die fulturflefdjic&tlidje ©ebeutung o. 3°$. SBerner’S ©ntroicflungSgang. 33
füc^tigften SWotioe würben ihm unterfchoben. ,,©S ift oietleidjt fein SRomantifer",
fchröbt ©idjeitborff non ihm, „im Beben unb noch im ©rabe fo unoerftänbig
ober boshaft öerunglimpft worben, wie SBerner." SBer bie Sitteratur über
SBerner bi# beate fennt, fann baS betätigen. SBie wobltbuenb ift bemgegen*
über baS Urtbeit, welches SBerner’S treuer gugenbfreunb oon SBarf ebene ber,
ber eble ©roteftant giftig, halb nach bem lobe SBerner’S 1823 in beffen
SebenSabrifS abgegeben b at - ©ehr wenige haben SBerner fo gefannt wie er.
„®S bat wobt", fo ftbreibt er über ibn, „nicht leicbt einen mit herrlicheren
©laben für baS geiftlicbe Sebramt SluSgerüfteten gegeben, als SBernern, benn
wie oft auch in oerfdjiebenen Slbfcbnitten feines ßebenS er feine Slnficbten
änberte, immer blieb er ficb bod) in ber fpauptfacbe getreu, baS beißt, biefe
^pauptfadje, SBirffamfeit im ©eiche ©otteS, blieb für ihn bie ^auptfaehe; immer
war er ganj erfüllt oon bem, was er eben in ficb oerarbeitete, nnb immer
gieng ihm ber berebte ÜRunb Oon bem über, Wooon ihm baS glübenbe $erj
ooll war. Der ©erfaffer fann eS ihm nie genug banfen, bafS er in ihm,
bem in aDc SBeltluft binauSftürmenben güngling, juerft ben Sinn für baS
höhere anregte unb bafS er ihn bis an ben 9tanb feines ©rabeS nicht aus
ben Stugen oerloren bat." ©acbbem er SBenter’S wirf liebe gebier nicht entfcbulbigt,
aber feinem ©ingen unb ©treben gegenübergeftellt bat, ruft er feinen
unberufenen Stiftern ju: „D 3bv, an bie biefe SBorte gerichtet finb, wenn
3br biefe 93lätter jur $anb genommen, um barin einige ©canbale ju fueßen,
wie 3b r fte in Suren Ibeejirfeln mit geläufiger 3nnge ju oerarbeiten
gewohnt feib, unb wenn Such ©ure Scheu oor jebem ernften SBorte bis
bieber bat fommen taffen, möchte ©uer ©ewiffen ©uren Slugen einen ©Riegel
oorbalten, in bem 3b r ® uer fllatteS nnb mattes ©ilb in feiner wahren
©eftalt erblicfen fönnet, unb in ©ure febwerbörigen Obren mit bröbnenber
Stimme bie SBorte unfereS £>eilanbeS bonnern: ,3ftr Heuchler, jiebet juerft
ben ©alten aus ©uren Slugen, barnadj febet, wie 3br ben Splitter aus
©ureS ©ruberS Sluge jiebet! 1 "
3Ju ber Ibat: man fann einen hoben ©reis für ben anSfefcen, ber in
SBerner’S ©rebigten ober Dichtungen nach feinem lebten ©chritt jum 3'ele
ein 3ei<hen ber Serrüdtbeit finben fann; es müfste benn fein, bafS ber
©ucher ben ©lauben an ©briftuS ben ©etreujigten felbft für Slrgernis unb
eine Dborbeit hält- SBenn trobbem SBerner’S ©eue unb Strbeit für Slberglaube
erflärt worben ift, fo ift oon ben geinben beS ©briftentbumS eben feine
fulturgefcbicbtlicbe Sebeutung für feine 3eit gefennjeiebnet: er bahnte als
$ero(b bem föreuje ben SBeg burch feine 3 e it. Sin baS oom
„©ormalttjrannen", wie er ©apoleon nannte, befreite Deutfcblanb bat er
1814 einen flantmenben Slnfruf gerichtet, bie 3eit ju beffern.
$ie Shiltur. III. 3a$rg. 1. $eft. (1901.) 3
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9Iuguftin ßtöSler.
„Hat tüchtig, bauemb, fteber ba$ SRächfte bann gethan,
©o roirb bie 3 ^it r bie gute, ftdj roohl non felbcr nah’n.
Die 3«t ift nicht, nur roir ftnb, unb roir, — roir ftnb bic 3*it;
Drum, ftnb roir fclbft nur gut erft, ift gute 3*it nicht roeit!" —
Damit aber bie Hoffnungen unb SBefcfjtüffe ber oerbünbeten Deutfdjen
auf eine beffere 3 e ^ nicht ein Parturiunt montes werben, fchlie&t er feinen
äufruf alfo: „Darum Hämmert Sud) nicht an fßapierbaßen, bie $erreifcen,
nicht an Kanonen, bie oerroften, nicht an SESeib unb Kinb, Habe, HauS unb
Hof, bie fterben unb oerberben, nicht an irgenb einen äRauIwurfShügel ober
gar an einen ©urer fliegenben Drachen, fonbern, um einen fixeren SRücfljalt
$u haben, an ben ®erg ©otteS, ben ewigen: an Slfler (bisher oon uns
nicht ungeftraft oerlaffenen, niemals, oon niemanbem ungeftraft ju oertaffenben)
©ott, fttilanb unb 9ticf)ter, unfern H errn 3 efum ©hriftum!"
Hiermit ip ber ^auptfa^e nach auch gefagt, was SBerner'S ©ntwidlungS*
gang für unfere 3eit unb für jebe Seit bebeutet.
Die SBaffer beS DtheinfafleS rauften freute noch ebenfo toie oor 92
Sauren, ba SBerner oor ihnen ftanb unb fie fragte: „©ewäffer, ihr raffelnben,
raufchenben, rast, — oon wannen, woju?" —
DaS taufenbjährige Donnern unb Dofen beS jungen SRheinftromeS
über bie Seifen oon ©djafffjaufen ift aber nur ein fdjWadjcS 33ilb oon bem
bonnernben „SBo^u?", baS jeberjeit jeben benlenben ßJtenfchen bei ber
^Betrachtung beS SKenfchenlebenS unb ber SRenfchengefdjidjte burchjucft. SBon
ber Slntwort barauf hängt bie Kultur ab, — unb bie Stntwort lautet
immer wie bie SBerner’S: „©ntronnen aus Siebe, wir rangen unb ringen
jur Siebe — wie Du!"
DaS ift bie SBebeutung oon SBerner'S ©ntwicfiungSgang für unfere 3eit.
Unb fehen wir hier auf jene moberne Staturwiffenf^aft, Wie fie fich
etwa in $äitl oerförpert, unb beren lefcteS 9?efume 9Jta£ Slorbau mit ben
äBorten wiebergibt: „Die Kulturmenfchheit Wieberholt im ©ro&en baS S3or*
gehen beS 3nbioibuumS, baS feinen Kummer in ber Slafche ju erfäufen fucht".
(Sonoentioneße Sügen, ©. 15), fo erfennen wir erft ganj bie Wahrheit Oon
äBerner'S SluSjpruch: „Ohne baS einzig wahre ©hriftenthum ift bie ^hifofophte
ein^ unlöslicher Draum, bie Sßoefie Schaum, bie ©efchichte eine Süge, baS
Helbenthum Digerfinn."
SBo alfo werben wir bie Sbeale fuchen, ba bie SJtenfchheit ohne
3 beate nicht fortfehreiten, gefchweige benn beftehen fann? ©twa in ber
reinen SRenfchlichteit, bie angeblich ©oethe in feinen mtythologifierenben
fßhantafien gefchilbert hat? SBir fönnen leine 3foeale braunen, bie nicht
realifiert werben lönnen. SBie aber foß ber 3bealiSmuS, ben ©oethe in
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$ie tulturgefd)i$tlid)e SBebeutung t>. 3ac^. 2öernerS ©ntroidlungSgang. 35
feinem pantfjeiftifdjeu StaturatiSmuS geprebigt fyat, oerwirftictjt werben? GS
bleibt nur übrig, auf baS SEBemerS fjinauweifen,. baS er öon ber
fatljotifdjen Sirene gelernt fyat, unb ba£ non GJjriftuS bem ©efreu^igten
reatifiert worben ift. ®a3 ift bie fatl)otifd)e ©uperiorität, Wetdje berufen ift,
ben Sieg über bie Snferiorität beS materialiftij^en S^itgeifte^ baoonjutragen.
greitief) btiefen aucf| fyeute nie! taufenb 3toergtein, wie ficb SBerner oor
ljunbert Sagten auSgebrücft Ijat, auf bie £öf)e ber Kultur, bie öom föreuje
ausgegangen ift unb auSgeljt, unb weil fie biefetbe nicf}t $u erreichen öer*
mögen, nennen fie biefelbe mit bem gucf}£ nor ben tjod>f)ängenben SBein*
trauben in ber gäbet Inferiorität 4 . 93on iljnen gilt baS SBort SBernerS: „Sie
Sfjat ift Ijeut ein 3n>erg, baS UJiaut ein 9tiefe."
3*
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Die „Dormition de la sainte Uierge“.
fcoit (^rasmuö Bagl*
(*>
» Id im #erbfte bed 3aßred 1898 bie tetegrapßifdj'e 9?ad)ridjt burcf) bie
3eitungen gieng, $aifer SBilfyelm II. non Xeutfd)lanb l)abe bie
>Dormition de la sainte Vierge« ertoorben unb ergreife am 31. Dctober
1898 banon ©efifc, mag fidj mancher ßefer bicfer ßcitfc^rift gefragt
fjaben: 2Bad ift bad für eine Örttidjfeit, mad l)at ed bamit für eine ®e*
roanbtnid, bafd man fid) fo beeilt, Europa non beren Erwerbung in Stenntnid
ju fefeen? Xie nötljigften Sluffdjlüffe fonnte aud} jeher fofort in ber Xaged*
preffe erhalten. ®d fei ein ®runbftücf in Serufalem, auf ©ion (bem füb*
roeftlicßen unb työdtften ber #ügel, auf benen bie ©tabt erbaut ift), außerhalb
ber ©tabtmauer, atoifcßen bem fogenanuten |>aud bed Saipfjad unb bem
Eönaculum toeftroärtd, gelegen. Sluf biefem tocrbe nadj einer Xrabition ber
©terbeort (dormitio bad Entfcßlafen) ber feligften Sungfrau SJtaria gefugt,
©efjr Siele mögen bamald ben SBunfdj gehegt fjaben, Stäfjered über biefe
Xrabition ju erfahren, ju roiffen, ob mir ed ba mit einer aud apoftotifcßer
3 eit ftammenben Überlieferung $u tfyun fjaben unb toelcße ®ettnfdl)eit ifyr in
biefer |>inficf)t jutomme. Solchem allgemein berechtigten SBunfcßc $u entfpredjcn,
tourbe bie 3rage öon nerfcbiebenen ©dien $um ®egenftanbe toiffenfcßaftlicfier
Unterfucßung gemacht. Sid fjeute liegen barüber brei größere Arbeiten nor, jtoei
non fatpotifcher, eine non proteftantifdjer ©eite. Xie erfteren finb $u bauten:
Xr. Earl 9Jtommert, Sfanrer ju ©d)toeini$ ( s ßraiß.*©d)Iefien), mit bem
Xitel: „XieXormitio unb bad beutfdjc ®ruitbftitcf auf bem
trabitionetten $ion." (Seipjig 1899.) unb bem ald $atriftiter allbe*
fannten Xombed)ant Xr. 3of. SKirfcßl in SBürjburg: „Xad £>aud unb
@rab ber f)t. Jungfrau 9Jtaria." (Sltainj 1900); bie proteftantifcße
ftammt non bem gelehrten Srofeffor Xr. Xl)eob. 3 a $ n in Erlangen: „X i e
Dormitio Sanctae Virginis unb bad £aud bed 3of). SKarcud."
(Seidig 1899, ©eparatabbrucf aud ber „ s Jteuen Slirdjlicßen 3dtfdjrift".) ÜKandjera
mag bie ftrage nocß ald uugelödted Stätßfel im £>er$en fcßlummern, aubere merbcn
•eine Seleßrung, toenn aucf) nicht gerabe eine $ufriebenftetlenbe, erfahren ßaben.
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3)ie «Dormition de la sainte Vierge«.
37
©o möctyten bcnn aucty bie folgenben 3 «len eine antmort auf biefe, immer
nocty actuette Sragc geben.
©enn mir an bie ©rforfctyung ber angebeuteten Irabition tyerantreten*),
fo begegnen mir fogleicty $mei großen Parteien. ®ie einen ®etetyrten fuctyen
mit ber äRenge ber alten 3*ugen ©terbetyauS unb ©rab äRarienS in 3ernfalem,
bie anberen aber motten, äRaria tyabe ityr Seben in ©ptyefuS befetyloffen unb
bort ityr ©rab gefunben. Setytere anfictyt mar, menn man bon bem ftyrifctyen
©ctyriftfteller abulfarabfcty beS 13. 3atyrtyunbertS abfietyt, bis in baS 17. Satyr*
tyunbert unbefannt. ©rftmalS mürbe fie oerfoctyten bon bem gelctyrten unb
frommen franjöfifctyen abW liflemont in feiner Kirctyengefctyictytc >Memoires
pour servir ä l’histoire ecclesiastique des six premiers si&cles.« (®ariS 1693.)
3tym folgten tyierin ®eletyrte Derfctyiebener Sänber bis in bie neuefte Sdt
©ie ftüfct ficty tyauptfäctylicty auf einige ©orte eines ©ctyreibenS ber Später
beS ©oncilS Don ©ptyefuS an ben ©teruS unb baS $olf Don ©onftantinopel
Dom Satyte 431. $iefeS ©oncil mar jufammengetreten megen ber fietyre beS
®atriarctyen SReftoriuS Don ©onftantinopel, ber bie gottmenfctytictye $erfoit
©tyrifti leugnete unb barum SRaria nictyt baS Attribut „©otteSgebärerin"
juerfennen mottte. 3« bem genannten ©(tyreiben motten bie ®äter beS ©oncilS
GleruS unb ®olf Don ©onftantinopel mit ber SSerurttyeilung ityreS ®atriarctyen
befannt mactyen unb beuten auf ein munberbareS ©alten ber götttictyen ®or*
fetyung tyin, baS ficty barin offenbart, bafS SReftoriuS gerabe in ©ptyefuS Der*
urttyeüt mürbe, in jener ©tobt, bie ficty befonberer 93e$ietyung jum Slpoftet
SotyanneS unb jur SRuitergoiteS erfreute. 5)ie 9Irt ber ©ejietyung mirb aber
nictyt beutlicty auSgefproctyen; eS tyeißt ettiptifety: „in melctyer (Stabt) ber
Ityeolog SotyanneS unb bie jungfräutictye ©otteSgebärerin, bie tyeilige äRaria". . .
Snbern man nun ergänzt „gelebt tyaben unb ityre ®rabftätte gefunben", tyat
man baS Argument. Stnbere ergänzen jmar bloß bie ©opula „finb", bie im
©riectyifctyen unb Sateinifctyen tyäufig auSfättt, oerftetyen aber bie ©orte in
bemfelben Sinne. ®ie äRöglictyfeit einer folctyen ©inncSergänjung geben mir
otyne meiterS ju. Unb menn eS bie einzig möglictye ift, bann ift eS aucty ge*
mifS, bafS in ben ©orten bie in Siebe ftetyenbe Irabition auSgefproctyen ift.
aber ift eS aucty mirflicty bie einzig möglictye? 3)aS mufS entfetyieben geleugnet
merben. ®er Sinn fann oielmetyr fein: mo 3&tyanneS unb äRaria ityre heilig*
ttyümer tyaben unb fpecietle SJeretyrung genießen. ®enn, mie SRirfctyt jeigt, mar
eS bereits bamalS üblicty, mit bem einfactyen Xitel einer $irctye biefe felbft
ju bejeictynen, fo bafS „apoftel SotyanneS" =®irctye beS apoftetS 3otyanneS.
Unb in ©ptyefuS beftanb ttyatfäctylicty eine SotyanneSfirctye über bem ®rabe
beS apoftelS, unb in ber -äRarienfirctye mürbe baS ©oncil gefeiert, ©enn man
*) 3ur Sitteratur f. äRommert unb Stirfctyl.
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©ra3mu$ *Ragl.
jefct ^injunimmt, bafS man in ©phefuS unb Kleinafien meber nor bcm
3aljre 431, noch nach bemfelben non einem bort befinblichen 9Rariengrabe
etmaS meifi, fo fann man nicht jmeifeln, bafS bie ©Uipfe in lefcterem Sinne
ergänzt merben mufS. SBäre eine ältere Irabition norhanben gemefen, fo
müßten mir eine Spur non ihr menigftcnS bei ©olptrateS unb in bem
©ilgerbericpt ber Silnia finben. ©olptrateS, ©ifcpof unb äRetropolit non
©ppefuS, beruft fiep jur ^Rechtfertigung ber abmeiepenben, lleinafiatifcpen
Ofterfeier in einem Schreiben an ben ©apft ©ictor I. (192—201) auf ner*
fepiebene „gro&e 2eucpten", baS Reifet berühmte, heilige ©erfönlicpleiten, bie
in Slfien entfdjlafen finb. $a er barunter ben Slpoftel SoponneS, ©pilippuS
unb feine löcpter aufführt unb mit piftorifcp*trabitionellen Semertungen niept
fpart, fo tann lein ßmeifel fein, bafS er auch SRaria nennen mürbe, menn
fie mit 3oponneS in Kleinafien gemefen märe. ®enn baf$ äRaria eine anbere
Obfernanz befolgt hätte als 3o^aitneS, ber gall nerbient leine meitere ®r*
örterung. Unb eine eppefinifepe äRarientrabition tonnte ©olptrateS non ©ppefuS
niept unbetannt bleiben. ®r ermähnt fie niept, alfo pat fie niept beftanben.
Silnia, eine fromme Slquitanerin, beren SReifebericpt man feit 1887 mieber
tennt, befuepte gelegentlich einer SBaflfaprt in baS heilige ßonb (385—88)
auch baS So^attne^graB in ©ppefuS. ©on einem SRariengrab meifj fie niepta.
ßubern höben mir anbere mit bem ©oncilSbocumente gleicpalterige Schrift*
ftüde, bie äße ber SReftoriuSfacpe ihre ©ntftepung nerbanten. 3« öllen,
namentlich aber in einer Homilie, bie non ©prill, bem ©orfipenben beS
EoncilS, in ber äRarienlircpe in ©ppefuS gehalten mürbe, hätte bie Irabition
non bem 2Rariengrabe gefepidt Sermenbung finben tönnen. 2lber nirgenbS
ift eine Spur banon. $afS man etma nach tont ®oncit baS ©rab äRarienS
in ©ppefuS gefugt hätte, bafür pat noch niemanb ben ©emeis erbracht.
Unter biefen Umftänben tann man in ben ©Sorten ber ©äter non ©ppefuS
unmöglich bie Irabition non einem bort befinblicpen äRariengrabe finben,
mollte man nicht etma gar mit 3opn biefelbe non einer rafch auftretenben
unb ebenfo rafcp mieber nerfchminbenben Sage nerftehen.
SReueS 2eben mollte man ber Slnficpt nom Sphefinifchen Slufentpatte
unb ©rabe SRarienS einhauchen burch Heranziehung ber Offenbarungen ber
©nna Katharina ©mmeriep. 2)er Serfuch gieng non franzöfifeper Seite aus
unb fanb niele greunbe. ®er eifrigfte unb gelehrtefte non ihnen ift 2. gond S. J.
Katharina ©mmerich mar Sluguftinerfcpmefter auf bem Slgnetenberg bei S)ülmen
unb lebte nach Aufhebung biefeS KlofterS 1812 in llöfterlicper ©infamleit
in einem Häufen ^ genannten StäbtcpenS (t 1824). Seit SluSgang beS.
3apre3 1812 hotte fie Stigmata (SBunbmale an Hänben, güfjen unb an
ber Seite). $iefe fromme Klofterfrau nun hat in ©etrachtungen baS 2eben
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$ie »Dormition de la sainte Vierge*.
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3 efu unb äKarien« gefdjäut, bie burch beit befannten ®idjter Siemen«
Brentano aufgejeichnet mürben. Dbrnohl fie fetbft meit baoon entfernt mar,
ihren 3Rittheilungen ^iftorifc^en Stjarafter beijulegen, fo glaubte man bocf)
mit SRücfficht auf ihre feltfamen, namentlich geograpf)ifcb = topograp^ift^c«
ßenntniffe, bie ftet« burd) Efiftorifcbe Sorrectheit fich auSjeichnen fallen, fie
im 3 ntereffe ^iftorijc^er ftorfchung oermerten ju bärfen. Slu« ihren ÜRit»
theilungen erfährt man, baf« üJiaria ihre testen SebenSjahre in einem ©ebirg«»
häuSchen ungefähr 3 ober 3 */ 2 ©tunben {üblich üon Sph e i lI 3, ba« fie genau
betreibt, jugebracht höbe unb bafelbft geftorben fei. ®a« $äu«<hen mill
man in einer Stuine auf bem -Jtachtigallenberg (Bulbul-dagh), 3 '/* ©tunben
füblich oon @ph«l ug , bie bei ben ©riechen Panhagia Kapuli (Slflheilige be«
23)oreS) heilt« miebergefunben hoben. Sereit« hot fich bort neben öielen
©injelpilgem ein gro|er franjöfifcher Silgerjug eingefunben, um an ber
Stätte ihre« lobe« unb in ber 9iähe ihre« einftigen ©rabe« äRaria ben
Xribut ber Serebrung .barju bringen. SBir fönnen baoon abfehen, baf« bie
Übereinitimmung jmifchen bem oon S. ©mmeridh befchriebenen Räuschen unb
bet aufgefnnbenen SRuine benn boch feine fo ooUftänbige ift, fteHen aber, mie
e« ÜRirfcfjl thut, ben oifionären 9Jtittheilungen $?. ©mmerich« bie anberer
Slofterfrauen gegenüber, nämlich bie ber hl- Sirgitta Oon ©chmeben (1302
bi« 1373) unb ber fpanifchen Slbtiffin SRaria oon Slgreba (1602—1665),
bie beibe lob unb ©rab Sftaria« nach 3 «ufalem oerlegen. Überbie« meifen
mir barauf hin, baf« ber mefentliche 3 nf)olt oon Katharina« äRittljeilungen
in auffälliger SBeife mit ber ©rjäfjlung be« apofrt)ph en Suche« De dormitione
b. Mariae übereinftimmt unb an großen, fiiftorifc^eit ©chmierigfeiten, ja
Unmöglichfeiten leibet. Um nur etma« heroorjuheben, foü SWaria im 3“hre
48 unferer 3eitredjnung geftorben unb 3ocobu« ber ältere bamal« noch am
Seben gemefen fein.*) S 8 a« über ben gleichseitigen 3nftanb Serufalem« gefagt
mirb, fcheint ein ooHer SlnachroniSmu« ju fein unb nur für bie 3eit nach
ber 3etftörung biefer ©tabt, atfo nach 70 unferer 3eitrecf)nung ju paffen.
SBenn mir auch jugeftehen, baf« bie äRittheilungen änna Katharina ©mmerid)’«
intereffant unb oielfach ftaunenerregenb finb, fo baf« man fich be« ©ebanfen«
nicht erroehren fann, oiele« höbe ba« ehemalige, arme, meftphätifche Säuern»
mäbchen nur burch übernatürliche Erleuchtung gemuf«t, unb baf« e« ein
intereffante«, faum ooüftänbig lösbare« pfhdjologifcht« Problem fei, fich im
©injelnen ju fragen, ma« übernatürliche ©abe fei, ma« unfchulbige« Shontafie»
fpiel mit Sermertung legenbarifchen SBiffen«, — aber eine Duelle hiftorijehen
SBiffenS fönnen mir in ihnen nicht anerfennen.
*) flach forif<h»arabifchem Jejte be« 58. De dormitione roar ber bereit« oev*
ftorbene 3ocobu« neben anberen für bie ©egenroart beim lobe SJlaria« roieber jum
Seben erroedt rootben.
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©radrnud 9togl.
SBir fiitb nach bcm ©efagten aber auch nur $u fe^r berechtigt, unfer
3»itereffe unb nufere Slufmerffamfeit allein mehr ber jerufalemitanifchen
Srabition ju fdjenfen. SBir motten aber ba fogleid) auf unferen eigentlichen
©egenftanb lodgehen unb und fragen: SBie fteht ed mit ber Xrabition, bafd
SRaria auf ©ion gelebt habe unb geftorben fei?
®er erfte, ber und baOon SRadjridjt gibt, ift SDtobeftud; er brötft fich
aber noch buntel unb geheimnidoott aud. ^Deutlicher lautet bie ßunbe bei
©opl)roniud. Seibe beugen ö^ören bem 7. S^^unberte an unb toaren
Sßatriardhen oon Serufalem; erfterer 631—634, lefcterer 634—638. ®on
ihnen an ^ören mir bann continuierlidj bie 9tachricht im SRorgen* unb
Slbenblanbe. SBir finben fie bei bem SRetropoliten Stnbread oon ®reta, früher
9Rönch in Serufalem (t 720), im K^roniton bed im übrigen fo rnenig
befannten ©ippolpt oon lieben (ca. 700), bei bem Sammler ber patriftifdjen
Xrabitionen 3o^anned 2>amadcenud (f ca. 760). 3m Slbenbtanbe finb ed bie
Steifeberichte ber ©ilger, burdh bie fie in Umlauf tarn. ®ad erfte 9Ral lefen
mir fie im ©eridjte bed gattifchen Sifdjofed Slrculf, ber um 670 bad heilige
Sanb befugte unb beffen SReifeerinnerungen burdh Slbamnanud, 2tbt oon Sana
(£pe an ber SRorbfiifte Oon Schottlanb), aufgejeichnet mürben. SBir lefen fie
fobann in bem ©ilgerbucfje bed SBillibalb, nachmaligen Sifcfjofed oon ©ichftätt,
ber ald SDWnd) oon SRonte Sajfino an ben heiligen Stätten gemeilt, meiterd,
um oon fpäteren $u fchmeigen, in bem SBerfe De locis sanctis, melched ber
gelehrte englifche ©enebictiner ©eba (f 735) auf ®runb ber bamald oor*
hanbenen Sitteratur abgefajdt hat.
Sluf ©ion mirb ber lob SRariend auch Oerlegt in einer lateinifchen
uitb ber hierin fich miberfprechenben arabifchen Überfefcung bed Schrift«
ftiided De dormitione ober De transitu b. Mariae (Heimgang SRariä). 2)iefed
apofrpphe ©uch ift urfprünglich griechich abgefafdt unb erfreute fich einer
meiten ©erbreitung. SBir fennen baoon Überfehungen in bad Sateinifche,
©prijehe, Soptifche, Slrabifche. ®ie le^te jeigen alle unter einanber oft fef)r
bebeutenbe Stbmeidjungen, unb bie ©eiehrten finb über ihre Urfprungdoer*
hältniffe nicht einig. 3)ie oerfchiebenen ©eftalten ober ©erichte, beren man
5 mei ober brei ju uitterjcheiben hat, hoben fehr alte ©ejeugung, im 5., refp.
6. (ja oiefleicht fchon im 4.) 3ah*h un bert. SRach ber mahrfcheinlicheren
SReinung, mie' fie Bahn unb SRirfdjl oertreten, ift bie ©runbgeftalt bed
©uched Snbe bed 4. 3ah*hunberted abgefafdt morben. Dbmohl nun ©ion
jebenfalld nicht in biejem Urtexte gelefen mürbe unb ed auch mehr ald
jmeifelhaft ift, ob ed auch nur oon SRobeftud barin genannt. mürbe, fo mar
biefer längere ©jeurd hoch gerechtfertigt, ba bad ©chriftftücf für unfere grage
Oon großer ©ebeutung ift. $enn bie 9?achricf)ten, bie mir oon anbermärtd
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$)ie »Dormition de la sainte Vierge«. 41
her erhalten, berühren ficb, memt fie nicht birect aud ibnt genommen finb,
mit bem ^n^atte biefed öuebed auf bad innigfte.
Über bei ber 9Re$tgal)( ber oben aufgefübrten 3*ugen toirt) nicht nur
allgemein ber ©ion genannt, fonbern fie rniffen nodb ®enauered ju berieten
über bie benfmürbige Stätte, mo üRaria geftorben fei. ©o febon Sop^roniud,
ber bie Sirene auf bem ©ion als biefen Drt bejeidbnet. 3a, Slrculf bezeichnet
in bem ©lan, ben er und non ber ©iondfirdje gibt, noch genauer bie ©üb«
ofteefe atd bie ©teile, mo SRaria geftorben. 3b» folgt mit Weiner 8lb«
meid&ung ©eba.
©o febön nun biefe betaiüierte 9tad^rid^t ift, fie läfdt und oon oorne«
herein boeb ju feiner redeten greube fommen, ba bie ganze Xrabition fidb
auf fo üerbältnidmä&ig fpäte Beugen ftüfct. B<*bu mifdt ibr barum, zumal
unter ben alten Beugen noch ein SBiberfprucb beftebt, gar feine ®laub*
mürbigfeit bei, unb audb SKommert ift, fomeit ed menigftend bie ©iondfirebe
betrifft, anberer Sfoficbt. ©tebt ed mirflidj fo fcblimm um fie? — ®d fd&eint,
bafd fie boeb auf einige ©laubmürbigfeit 2lnfprucb machen barf.
3m oierten 3ol>rbunbcrt feben mir näntlicb, bafd in 3erufalem eine
Socaltrabition über bad ®rab SJlariend beftebt. greilidb, alle 3ioeifet übee
bie SBabrbeit biefer 3tacbricbt finb nicht audgefcbloffen. S)enn ba mir, mie
gefagt mürbe, bie Urgeftalt bed Sudfjed De dormitione nicht fennen, — unb
in ibm bu&eu mir allem Slnfcbeine nach ben erften Beugen biefer Irabition,
— fo müffen mir auf feine oerfebiebenen lejte SRücfficbt nehmen. Sd finb
nun grieebifebe lejtedfragmente befannt gemorben, bie einer auch uuter bem
tarnen bed ©ifcbofd 3obunned uon X^effatonic^ (oor 800) oerbreiteten lejted«
geftalt angebören, mo bie Drtdangabe über bad ®rab SKariend fehlt. 2Iucb in
ber Srjäbtung bed b*- ®tegor oon lourd (t 596) über ben lob unb bie
Serberrlicbung äJtariend, bie mit bem mefentlicben 3ubult obigen Sucbed
übereinftimmt, mirb fein Drt genannt. Slber oon biefen $mei ©ersten ab«
gefeben, mirb in allen gomten bed apofrtjpben ©uebed, auch in ber febr ftarf
abmeicbenben foptifeben Srjäblung bed Soobiud, ©etbfemane ober bad 22)ul
Sofapbut ald ©egräbnidort bezeichnet.*) SBenn man noch baju nimmt, bafd
ficb auch in einem legte ber X£>effaIontcber ®eftalt an anberer ©tefle eine
inbirecte, buitfle £inbeutung finbet, fo mufd man ed ald böcbft mabrfcbeinlicb
bezeichnen, bafd bie Socalangabe über bad äJiariengrab febon im Urtexte ent«
halten mar. ®a nun bie apofrt)pben Stählungen, mie afle Dichtungen ber
©age, ficb gemöbnlicb an einen biftorifeben Sem, an eine mabre ©egebenbeit
*) ©o auch im foptifeben „öeben ÜJlariä" bei g. ßtobinfon, Coptic apo-
cryphal gospels. Sambribge 1896, ©. 128, 41; oergl. ©. 207.
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®ra$mu5 9togl.
onf^Iiefeen, burcb bcn fic fic^ felbet bcn Schein ber Sabrbeit geben motten,
fo ift e3 mehr als unttmljrfcfjeinlicfj, baf$ mir e3 in biefer DrtSbejeicbnuug
mit einer blofjen giction ju tbun haben, b. b- mit anberen Sorten, mir
fönnen aus bem Suche ouf ba3 Sorbanbenfein einer Xrabition über ba3
9Rariengrab fchlie&en. 3b rc |>eimat fann nur 3crufoIem gemefen fein.
Um üerfd}iebenen ©inmänben ju entgegen, bie gegen fie erhoben mürben
unb noch erhoben merben fönnten, müffen mir fie näher cbarafterifieren. Sor allem
bürfen mir fie nicht als officiette ober ßebr*Xrabition benfen. $ann bürfen
mir uns auch ihren SerfcreitungSfreiS nicht gar ju meit »orftetten. ®enn
Sifchof ©ipipbaniuS auf Supern (f 406), ber früher -äRöndb in ©aläftina
gemefen, unb ber fdjon genannte ©atriarch äRobeftuS uon 3erufalem ftetten
eine Srabition über ben lob SRarienS in 3lbrebe. 2luch bie Sorte beS noch
ju nennenben Suoenal bürfen nicht anberS oerftanben merben. Sei foldjer
Sluffaffung oerfcbminben alle ©cfjmierigfeiten. Sir begreifen leidet, marum bei
alteren unb bei ©cbriftftettern beS oierten 3ab*banbertS, bie uns fo oirie
biftorifdj * topograpbifche Sfenntuiffe mittbeilen, ihrer feine ©rmäbnung ge*
icfjiefjt. ©3 mar eine localbefchränfte Irabition, bie, ehe man baS ©rab
S^rifti mieber aufgefunben unb überbaut batte, nicht baS allgemeine 3nter*
effe erregte. $a3 ©rab felbft mar {ebenfalls noch feit ber XituS*3«i unter
©tein unb Schutt »erborgen .*) Sir merben eS aber auch nidbt mehr un*
benfbar finben, bafS nicht alle Elemente biefer Irabition bei ber erften Wuf*
jeic^nung beS Sucres De dormitione Aufnahme gefunben. SJtufS ja auch
3o^n bezüglich ber an ber ©ionSfirche Ijaftenben Irabitionen gefte^en, bafS
fie »on feinem ©c^riftfteUer beS erften SnbrtaufenbS ooDftänbig aufgejä^lt merben.
Seitere 3eugen für baS ©rab SRarienS bei ©etfjfemane haben mir
an einem armenifcfjen Srief beS fogenannten ©ionpfiuS Slreopagita, oon
bem eS jeboch nicht allgemein jugegeben ift, bafS er oon bem Serfaffer ber
übrigen Sionpfifchen Schriften ^errü^rt (nach ben ©inen um 500, nach ben
Slnberen im 4. 3ab*hunbert), an b«n Sifchofe 3u»enal üon 3*™falem,
ber fiep bafür auf „eine alte unb fepr mapre Irabition" beruft (451),
beffen 3eugni3, menn auch angefocpten, toa^rfd^eintid^ echt ift, unb feit
SluSgang beS 6. 3abrf)unbertS in ben fortlaufenben Sßachricbten beS SKorgen*
unb 2lbenblanbe3. 3a eS ift nicpt unglaubmürbig, rnaS Ip- 3apn meint,
bafS eine bieSbejüglicpe Semerfung fdpon in ben nur fragmentarifcp erhaltenen,
gnoftifcpen 3abanneS*Slcten beS SeuciuS ©parinuS (um 160/170) enthalten
mar, fo bafS mir ben gaben ber Überlieferung jur apoftolifcben 3eit jurücf*
laufen feben fönnten.
*) ©o ^ftrfcpl.
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5>ie »Dormition de la sainte Vierge«.
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SSBenn mir eS nadj fot^er ©ejeugung n>cnigftcnö als Ijöcfjft toaty*
fdjeinlidj bejeidjnen müffen, bafS fid^ in Serufalcm eine örtliche genaue
Irabition über baS ©rab SRarienS ermatten tjat, bann haben mir immerhin
©runb $u glauben, bafS auch bie jünger bezeugte SRachricht, SRaria fyabe
auf ©ion gemohnt unb fei ant ©Iaj}e ber fpäteren ©ionSfirche, beS alten
©önaculunt ober gar in biefent felbft geftorben, auf Xrabition beruhe, aurnal
mir ja an ber apotrpphen Siteratur beS $meiten 3tof)t!)unbert$ feljen, bafö
baS Änbenten unb bie ©ereljrung äJlarienS bis in bie apoftolifdje 3eit jurüd*
reicht. I^atfac^Iid^ mirb in ben ©eridtjten beS ©uctjeS De dormitione ber
©terbeort SRarienS gemöljnlich im ©egenfafce $u ©ethfemane in bie ©tabt
Oerlegt, ja in einer griechischen XejteSform mirb bei ber Übertragung beS
ßeichnamS birect ber SluSbrud „außerhalb ber ©tabt" gebraust.*) $arin
fann man eine ©eftätigung für bie Annahme ber Irabition finben.
$oth mirb ihre ©siftenj burch fcheinbar birecten SBiberfprudh gefährbet.
©inmal mirb in Xejten ber Dormitio oon SKaria'S „eigenem £auS" (griecf)ifcfj;
ähnlich in ber toptifdjen ©rjähtung beS I^eobofiu^) ober „ihrem £aufe"
(in ber einen fprifchen ©eftalt) gefprochen; baburch erfcheint alfo menigftenS
bie Sinnahme einer trabitioneüen ©e^iehung jur ©ionSfirche umgeftofjen.
®em gegenüber fei bemertt, bafS eS fef)r jmeifelhaft ift, ob biefe ©emertung
jur urfprünglidhen Dormitio gehört, ba fie nidjt in allen XegteSformen
enthalten ift. 3« noch fdjlimmere ©efaljr fommt fie burch ben SReifebericht
beS Slntonin oon ©iacenja (um 570), ber jur äRarienfircfje bei ©ethfemane
bemerft, fie fotte (birect) an ber ©teile ihres ©terbehaufeS ftehen. SBohl
ift auch hier mieber ber lejt in ben $anbfdjriften nicht fij, aber aller
SBahrfcheinlidjfeit nach gehört bie ©emerfung jur Urfchrift. ©ine ganj
ähnliche ÜRachricht, mie bei Slntonin, haben mir in einer lateinifchen ©rjählung
ber Dormitio. $och auch baburch mirb unfere Sinnahme nicht in Srage
geftettt. 5)enn in biefer Slngabe haben mir aller 2Bahrfcheinlicf)teit nach
mieber ein jüngeres, fjiftorifdjeä ©ebilbe oor uns. ©ein ©ntftehen bürften
mir aus ben apofrtjphen, griedhifchen Slcta SoanniS beS ©rodjoroS (um 500)
lernen tonnen, mo bei bem 3tamen ©ethfemane beigefügt mirb, „mo auch
feine (©hriftuS) ganj unoerfehrte unb aHfjeilige SRutter bie Stacht ju^ubringen
pflegte (rfili^eco).“**) ®ie hierin auSgefprodjene 2BaI)rljeit, bie ja jeberjeit
bem djriftlidjen ffimpfinben nahe gelegen, bafs nämlich SDlaria oftmals an
ben ßeibenSftätten ihres ©ohneS gemeilt ^abe, bürfte ju bem ©erüdhte
*) 3feblt in einer SWünchener Jpanbfchrift beS 12. 3uhrbunbertS, mo aber aud)
anbere 3ufäfce fehlen.
**) ®iefe 5toti§ ftebt jroar nur in einer ber oielen fcanbfdjriften biefeS ©uc^eS
(9JtatIanb r 10. 3nhrhunbert), aber man mufS mit 3<*bn nuch bereu ©djtheit erfennen.
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©roSrnuS Ragl.
(Rebentrabition) SlnlafS gegeben haben, bafS HJiaria in ober bei ©ethfemane felbft
gewohnt habe. $iefeS ©erücht, baS $u ben Dfjren beS fßtlgerö oon ©iacenza
fam, tourbe in feinem Steifebericht fixiert. ®ie toiberfprechenben SDtittheilungen,
bie ebenfo über Sohn* unb ©terbehauS SDtariaS in 3erufalem gemalt
tourben unb bie ein nur en passant antoefenber Pilger nicht auf ihre
Sahrljeit prüfen tonnte, bürften auch ber ©runb für baS fo befrembenbe
©d|toeigen beS toaljrfdjeinlid) afrifanifchen Slrchibiacon Zheoboftuft (um 530)
fein. ®r ermähnt in feinem Pilgerbuche bie SDtarienfirche im H)ale Sofapljat,
gibt aber feine nähere ©rflärung. ®er ©earbeiter ber arabifefjen Dormitio
aber hat beibe Wngaben in fein ©uch aufgenommen, ofjne auch nur auf ben
Siberfprudh irgenb toelche Stütfficht ju neunten.
Senn toir alfo auch ber Xrabition, ÜJtaria habe auf ©ion getooljnt
unb fei bort geftorben, in feiner Seife ©etoifsheit Oinbicieren fönnen, fo
läfSt fid(j auf ber anberen ©eite boefj toieber fein ©runb finben, tooburch fie
um alle Sahrfcheinlichfeit unb ©laubtoiirbigfeit gebraut mürbe.
Stoch einige Sorte über ben Drt, auf ben bie Xrabition lautet! Sir fefjett
aus ben oben oorgeführten 3^ugniffen, bafS Sofjn* unb ©terbeort (dormitio)
ÜWarienS in innigfter ©eaiefjung mit ber ©ionSfirche genannt toirb, ja ber XobeS*
ort ber SRutter ©ottcS in ber lepteren oerehrt tourbe. 9Rit ber ©ionSfirche
blieb biefe ©erehrung auch bis in baS 13. Sahrhunbert oerfnüpft. ®rft im
14. 3a^r^unbert, als man bie 1244 burd) bie ®f) are &mer jerftörte Kirche
mieber, unb ztoar in fleineren SWaßftabe, aufbaute, mürbe bie Stätte aus
ber ®ircfje IjinauSoerlegt, juerft nörblic^, feit bem 16. Su^unbert meift
toeftlidj, beim griechischen Patriarchen ®h r 9 fanthuS (1726) norbtoeftlich oon
ber ©ionSfirche, in melier Stiftung auch baS neuertoorbene ©runbftüd liegt.
ßeptereS hat fornit auf bie ©erehrung ber alten ©Triften feinen 21n*
fpruch- StichtSbeftomeniger fommt biefer Steuermerbung hoch h°h^ ©ebeutung
511 . $a eS nicht möglich ift, baS ©önaculunt, baS auch bt\ btn SDtohamebanern
hohe ©erehrung genießt, — bafs eS auf bem ©runbe ber alten ©ionSfirche
fteht, mirb oon allen zugegeben, — z u ermerben, fo tmjfs eS fchon fyofye
©efriebigung getoähren, auf nachbarlichem ©oben eine ©tätte $u befipen, mo
bie jebem ®f)riftenher$en fo theueren Steminifcenzen ber alten ©ionSfirche
oerehrt toerben fönnen. Unb ihrer finb oiele. ®enn fie mar geheiligt burch
©^rifti lepteS Slbenbmal (baher Coenaculum), bei bem Gf^riftuö baS Siebes*
geheimniS beS neuen ©unbeS, bie ^eilige ©uchariftie, eingefept, fie mar
geheiligt burch bie Srfcheinungen beS auferftanbenen ^peilanbeS, burch bk
©nfepuug beS ©ußfacramenteS, fie mar geheiligt burch bie ©eifteStaufe am
Pfingftfefte, fie mar bie ©eburtsftätte ber Sirche ©^rifti unb barum fchon
oor 2llterS mit bem Xitel „SRutter aller Kirchen" ausgezeichnet, ©ie mar
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$ie »Dormition de la sainte Vierge«. 45
auch bie erfte Äirdje bcr Stiften in 3crufalem. ®erabe biefer te^te Eh*en*
oorjug bietet für unfere SKdrientrabition eine ©eftätigung. ®enn eS ift fehr
toafjrfcfjeinlid), bafS ber ©ifchof ber Stabt unb mohl auch bie Styoftel,
folange fie in Serufalem anmefenb maren, fid^ in ber unmittelbaren 9tähe
ober Umgebung ber ffirdje, bie fo Doll Don ^eiligen Erinnerungen mar,
niebergelaffen t|aben. SBenigftenS mirb im 4. 3a^t|unbert 3<*cobuS als
©ifchof in Serbinbung mit ber ©ionSlirche genannt.*) ®a nun Don EhriftuS
ielbft 3Raria ber Dbforge beS WpoftelS 3o^anneö anbertraut mar, mo mirb
fie ba anberS SEohnung erhalten t|aben, als mit ben 2tyofteln bei bem
„Dbergemacfje" ober SlbenbmalSfaale ?
SEBeit eS fich beim Eönaculum um einen fo überaus etjrmürbigen unb
geheiligten ©oben ^anbclt, fo mag fich auch ber beutfehe ©erein für baS
heilige 2anb, nachbem eS ihnt gelungen ift, nachbarlichen ®runb $u
ermerben, für feine Dielen äRühen genugfam entlohnt betrachten, ©eit
3ohren mar er beftrebt, fich, menn fchon baS Eönaculum nicht ermerbbar
if tj menigftenS in ber 9tähe auf bem ®runbe, ber als $ormitio galt,
eine Slnfieblung $u fchaffen. 21ße ©emühungen fcheiterten, ba auch biefer
ben äRuSlimen als geheiligt galt unb jubem unberäußerlicfjer ftamilien*
befifc mar. Enblich ift auf biplomatifchem SBege baS Schmierige erreicht
morben. $urch unmittelbares Eingreifen beS beutfehen ffaiferS unb ©errni tu
lung beS ©ultan ift für mehr als 100.000 ÜRarf baS gemünfehte ®runb=
ftücf in ben ©efifc $aifer SBilhelm II. übergegangen, ber eS bem ©ereine für
baS ^eilige ßanb jur 9tu|nief$ung übergab.
SBir ftimmen gern in bie Sreube unb ben 3ubel ein, ber bie £erjen ber
beutfehen fiatholiten beShalb bemegt. ®ie Ih at toor ein ©ieg sielbemufster,
unermüblicher 8lrbeit. 3Ran ift auch bereits baran gegangen, bem ®efchenfe
feine Dolle SBertung ju geben. ®er ®runbftein ift gelegt, unb fleißige £änbe
regen fich, ben ©au emporjubringen. SBer 1903 baS ©lücf hoben mirb, bie
heil, ©tabt $u befuchen, bem.mirb mahrfcheinlich bereits Sfirche unb Älofter
„aJtariä Heimgang" Don ©ion her als Stätte beutfeher ©ietät unb ©aftlichfeit
entgegenminien.
*) ©ei bieier Annahme laffen ftch auch leicht bie oerfebiebenen Eingaben, bie
über ben ehemaligen ©efU*er bieieS OrleS gemacht roerben, oerftehen.
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€ntdeckung
altfranzösisdm Bronzereliefs in Kew.
©oit 3faeifi. fo. Stftloiitih.
t nlängft tourben in einem Haufe, meines als ©epenbenj aum fönigticfeen
^alaft in Kern gehört, fünf alte ©roncereliefS franjöfifchen UrfprungS
entbecft, bie als Kunftmerfe erften SRangeS bei allen ©achöerftänbigen unb
auch bei ben Siebfjabent ein fo allgemeines 3ntereffe erregten, bafS bie Der*
ftorbene Königin ©ictoria genehmigte, biefetben in ber englifchen Kunft*
abt^eilung auf ber ©arifer SBeltauSfteDung auSjuftellen. ©o mie Kaifer
SBilhelm ber franjöfifchen UHalerei burch ®arleihung feiner SBatteau’S eine
befonbere Slufmerffamfeit ertoeifen mollte, in ähnlicher Strt gebachte bie
Königin ©ictoria bie fran^öfifche Silbhauerfunft ju ehren.
Kern, ber 3unbort beS Kunftfcha&eS, ift befannt burch feinen pracht*
Pollen botanifchen ©arten unb ©arf. ^ier, in bem bunflen 3^1^ eines
äunt Schlöffe gehörigen 9tebengebäubeS, befanben fich bisher bie ermähnten
SReliefS, etma amei HJteter non bem gufcboben entfernt, in bie SBanb ein*
gelaffen. 3n bem 2Jtaf$e, als biefe 2Banb mit Ölfarbe geftridjen mürbe, hatten
bie SRetiefS burch & en SReuanftridE) mitauleiben, unb eS ift nur einem 3 u faH
ju öerbanfen, bafS fchliefjlich biefe nötlig unbeachteten Kunftmerfe, bie man für
©ipSarbeiten gehalten hatte, im eigentlichen unb uneigentlichen Sinne mieber
an baS Tageslicht httDorgejogen mürben.
®er Urfprung ber SBerfe ift franjofifch, unb bie 3^it ber ffintftehung
ber in Hochrelief pollenbet ausgeführten Slrbeiten ift in bie 5 meite Hälfte beS
17. Sahrhunberts $u verlegen. ®ie Sujets finb ®arftettungen oon th aU
fächtichen Segebenheiten aus ber StegierungSepoche ßubmigS XIV., im heroifdjen
unb monumentalen Stile. ®er König ift als ber SJtittelpunft unb als bie
Hauptfigur aufgefafst. ®S mirb nicht leicht fein, ohne SBeitereS $u entfcheiben,
ob bie fünf Arbeiten als eine golge ober menigftenS als eine in ibeeüer
©ejiehung jufammenhängenbe Kette gelten füllen. ®ie ©röfje ber ÜRebaittonS
beträgt brei 3ufj im ®urchmeffer; ihr ©emicht pro ©tücf annähernb hunbert
©funb. ®S bürfte faunt jmeifelhaft fein, bafs biefe SRebaiflonS als Ih c ^ e
eines öffentlichen, $u fiebjeiten SubmigS XIV. unb ihm $u ®h rcn gefegten
SKonumenteS angefehen rnerben müffen. SBahrfcheinlich mürbe baS ©efamrnt*
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©ntbedung altfranjöftfdjer SBron^creliefö in Kern. 47
toerf in ber SReüolution ju ©nbe beS oorigen 3ö^t^unbcrt^ $erftört unb bic
fraglichen ©ronjen nach ©nglanb oerfauft. SBie fie aber an ihren jefcigen
Sunbort gelangten, ift bisher Oößig unaufgeflärt. ®aS Sitter beS Königs
auf ben ®arfteßungen ift auf 40—45 3&h rc $u fchäpen, unb fotoohl aus
biefeni ©runbe, toie aud) aus anberen Slnjeichen tann bie ©ntftefjung ber
Arbeiten in baS 3ah r 1680 gefefet toerben. ®S ift befannt, bafS furj nad)
bem ftrieben oon SRimtoegen ber König in oielen ©täbten granfreichS ©iegeS*
monumente errichten liefe.
3« einer ber ©ompofitionen ift ber König in ber ÜRitte feines $of*
ftaateS bargeftettt, toi e er ein in DbeliSfenform errichtetes URonument ben
©ehörben übergibt, ©in anbereS SRebaißon ftetit Subtoig XIV. im KrönungS*
ornat bar, im Segriff, frembe ©efanbte ju empfangen, oon benen jtoei ihm
fitonen übeneichen. Einer ber ©efanbten tragt ben banifchen ©lephanten*
orben. 3n ben anberen abbilbungen fefeen mir ben König an ber ©pifce
feiner ^Regimenter in eroberte ©täbte einjiehen.
®a feine Signatur irgenb toelcfeer art ju entbeefen ift, fo fommen
aus inneren unb äufeeren ©rünben toaferfcheinlich nur bie ©ilbhauer
©opfeüoj, ©irarbon ober ©ierre ©uget als ^erftefler ber SBerfe in ©etracht.
Xrofebem nun heröorragenbe Fachmänner in ©aris bie befte ©elegenfeeit be*
fafeen, biefe funftfeiftorifch mistigen Objecte mit ben ÜReiftertoerfen ber brei
genannten ©ilbhauer ju oergleichen, fo oermochten fie bisher hoch fein enb*
giltigeS Urtfeeil $ur ©ache abjugeben. ffiopfeooj: (1640—1720) ^ätte fe^r
toohl auf gaben toie bie oorliegenbe töfen fönnen, hoch finben fich meiner
anfiefet nach * n feinen SBerfen feinerfei anflänge an bie ®arfteßungen
in ben Ketoer SfleliefS. 3u feinen berühmteften ©chöpfungen gehört in erfter
Sinte baS ©rabmal beS ©arbinalS SRajarin: ber ©arbinal fniet über bem
©arfophag, hi nter ihw ©eniuS, linfS bie ©ronjeftatue ber Klugheit,
rechts ber Ireue unb oorn beS ftriebenS, ferner bie SRarmorftatue ber Siebe
unb ber SReligion. Sieben lefcterer hat im Souore bie fehr ebel ausgeführte
©üfte ©offuet'S auffteßung erhalten, ©efanntlich führt biefer ganje ©aal
im Souore ben ÜRamen: »Salle de Coysevox«. aufeerbem befinben fid) h' cr
oon ihm bie ©orträtbüften beS SRalerS Se ©ruit, ber ßRaria abelaibe
oon ©aoopen als ®iana unb beS KünftterS ©elbftporträt. ©eine Figuren
finb auSbrucfSooÜ unb erfüßt oon Beben, ©ine oorjügliche arbeit oon ihm ift
enblich baS ©rabmal beS SRinifterS ©olbert in ber Kirche ©t. ©uftache in ©aris.
3Rehr SBa^rfc^eintic^feit für bie Urheberfchaft ber SReliefS bietet ein
Sergleich mit ben arbeiten ©uget'S, ber in bem ©Hl ©ernini'SfeineKünft*
merfe bilbete. %m 3&h re 1602 fchuf er feine f° berühmt geworbene ©ruppe
für ben ©arf oon äRarfeißeS: „2Rilo oon Kroton oon einem Sötten jer*
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48 0. ü. ©d&letnifc. ©ntbedung altfranjöftfc^et ©roitjerclicf« in Stern:
riffen". SBeiter« führte er im Stuftrage 2ubmig« XIV. au«: „$erfeu« befreit
Slnbromeba" unb „Siogene« unb Sltejanber ber ©roße", ba«jenige SBerf,
meteße« ®uget moI)t al« SSerfertiger ber fogenannten ,,®em*9telief«" erfdjeinen
taffen tönnte. 3 n ben$ügen Sttejanber« be« ©roßen finbet fiefj eine gemiffe
9ßorträtäf}nlichfeit mit benen 2ubmig« XIV., unb in fdjmeicfjterifdier SBeife ift
biefer feßr ebet, fein ©efotge bagegen meßr realiftifefj bargeftettt. SBenn nun
aud? biefe befonberen Sigentßümtidjfeiten in ben 93ronaeretief« gleichfalls jum
3tu«brud tommen, fo gemäßen fie bocß feinen abfotut fidleren 93emei« für bie
Urßeberfdjaft, ba ju jener ®pocße faft alle franjöfifcßen Sfünftter, um bie
©trauten ber föniglidjen ©nabenfonne auf fid} $u tenfen, meßr ober minber
in berfetben SBeife fd)tneid)etten.
äReine perföntiche Slnfid&t neigt baju, ©irarbon at« ben Stutor ber
SRelief« anjuerfeitnen. ©irarbon'« (1630—1715) 93tüte$eit faßt in bie
©tanjepoeße 2ubmig« XIV. SRacß 2e 93run'« lobe (1690) mürbe if)m bie
2eitung ber für ben ÜRonarc^en bcfcßäftigten 93itbl)auer übertragen, ©t^on
au« biefem ©runbe aßein mirb $um minbeften fein ©influf« überaß bemerf*
bar, fo bafS mir e« hier oießeid&t mit SBerfen ju tfjun haben, toeteße feiner
©dhute entftammen. Stber ©irarbon mar e« ^auptfäcßtic^, ber bie eigentlichen
äRonumente für 2ubmig XIV. entioarf, fo §. 93. bie berühmte SReiterftatue,
meteße 1699 auf bem Place Vendöme errichtet unb bann 1792 jerftört
tuurbe. SBäßrenb Sßuget Sttejanber ben ©roßen mit ben $ügen 2ubmig« XIV.
feßuf, fteßte umgefehrt ©irarbon ben ftönig mit einer an Sttejanber an*
ttingenben, ibealifierten Sßorträtähnlichfeit bar. Siefe Sluffaffung taffen audh bie
S?em*SRelief« erfennen, mie ©irarbon fieß überhaupt am beften in bie Sin*
f(f)auung3toeife feines fönigtießen Stuftraggeber« ßinein $u beuten oermo^t
hat. Sa« fchöne ©rabmat be« ©arbinat« {Richelieu in ber ffireße ber ©or*
bonne bitbet eine« ber oortrefftidjften SBerfe be« SReifter«. Sie tiegenbe gigur
be« SHrcßenfürften mit ben aflegorifdjen SRebenftatuen ruht über ben irbifdhen
SReften {Richelieu'«, ber al« Soctor ber Sorbonne im Saßre 1635 ben
©runbftein 51 t biefer Sirdje legte. 3 h rc ga 9 abe fdhmüden oier ©tatnen be*
rüljmter Kirchenlehrer, 51 t benen ©irarbon ebenfafl« 3eichnungen unb ©nt*
mürfe geliefert fjatte. Sie SBanb oberhalb be« {Ricßetieu*Senfmate« feßmüden
bie 93itbniffe 93offuet’«, ©t. 93ernharb'«, S^oma« üon Stquin'« u. a.
Schließlich mirb ber Umftanb nicht unintereffant erfcheinen, baf« ba«
Sronjemateriat ber fünf SRebaißon« al« Kanonenmetafl jener ©poche anatpfiert
mürbe, atfo jebenfafl« oon eroberten ©efcßü|en herrührt.
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4 'K ?fl ^ 4 4 4 4; 4
44 4^4 4»4 4 4-4 44+4444 4
■fl
*
-4
4 *
Kliener Kunstleben (Jänner bis Juli 1901 ).
Eon 30f*pf| Bfcutoirf ff.
« ber bem Veginne beS neuen QahrhunbertS ftra^lte ber Stern ber &unft*
freunblichfeit. X)ie erfte Qa^rcö^älftc beS neuen 3^itabfc^nitte^ f in bem t>or*
auSfichtlich bie Veftrebungen ber ntobernen Wichtung über fur$ ober lang ju einem
ganj beftimmten Vbfchluffe gelangen miiffen unb auS bem Stabium beS SudjenS
unb VerfuchenS, befpöttelter 3JUf^griffe unb wunberlicher SdjruUen auf bie Vfabe
wahrer Shmft fich jurücffinben unb bei aller Betonung beS (Eigenartigen geänberter
3 eiten in lebenbiger Fühlung mit bem wirtlich ©rofeen ber Vergangenheit bleiben
werben, eröffnete auf bem Wiener Voben in mehr als einer Dichtung oerheifeungS*
oollen SluSblicf. Qn einer ftattlicben 9In$abl größerer unb fleinerer WuSfteUungen
fonnte baS publicum wieber jum Xheil f e b r beachtenswerten Schöpfungen ber
jeitgenöffifchen föunft näher treten, in melden bem Gingen nach einem neuen 3 nb<*lte
unb neuen fformen unbeftrcitbare, wenn auch nicht immer oolle (Erfolge befcbieben
roaren. Vber mit ©enugthuung bürfte man bie ^ortfchritte ber Klärung unb öäuterung
auch in ber Wichtung oerjeichnen, bafS weitere Streife ber Veoölterung baS oon oiel*
genannten unb beifallsgewohnten UJleiftern ©ebotene nicht mehr blinbüngS als unbcbingt
anjuftaunenbe Offenbarung eines höheren ©eifteS, ber bem ©efchmactSurtheile 9lnberer
alles, felbft gefdpnactlofe (Eptraoaganjen jujumuthen berechtigt fei, hinnehmen unb
trititloS quittieren, fonbern immer mehr ihr stecht betonen unb geltenb machen, über
baS ©efehene auch ih re Meinung abjugeben. $ln einem folgen Verhältniffe erftartt
baS Qntereffe für bie $unft, ohne welches eine wahre ftunftförberung nicht bentbar
ift; ihrer tann baS Weue ebenfo wenig entrathen, als baS 2Ute in ihr ja immer
ermiefenermafcen eine §auptftüfce gefunben hat. 3« ben 9luSftellungen 30 g nicht allein
bie SRannigfaltigteit beS VuSgefteUten an, fonbern erfreute auch bie Xhatfache, bafS
einheimifche Wteifier unb Schulen fxch auf ber Jpöhe ber 3eit jeigen, mit (Ernft unb
uollfter Eingebung für bie (Erreichung grofeer 3iefe unb für bie Weubelebung unferer
ftunftoerhältniffe fleh einfefcen. Reifen bie jungen Xalente in ber ihnen burchfchnittlich
noch nothwenbigen Selbftjucht auS unb oerlieren über bem ©ebanten an fich weber
ben ©lief für baS ©an$e, noch baS ©efühl ihrer Veftimmung für baSfelbe, bann
braucht unS um einen wirtlichen 9luffchwung ber ftunft in VMen nicht bange ju werben.
X)ieam meiften anjiehenben9luSftelIungen oeranftaltete wieber bie „Seccffion".
X)ie erfte galt nahezu auSf<hlie&lich ber Vorführung ber 2Berte eines in ber VoUfraft
feines Schaffens t>om Xobe bahingerafften WtolerS, ber feiner VaterlanbSjugehörigteit
nach jroar Öfterreicher war, aber bis ju feinem !pinfcbeiben eigentlich in ben oorberften
Weihen ber italicnifchen SWaler ftanb, ©iooanni Segantini’S. So würbe
3>ie ftultur. III. 3a$rfl. l. $eft. (1901.) 4
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50
3ofepf) SReuwirth.
wenigftenS ein $fyeü ber Slnerfennung nachgeholt, bie bet grofce Xobte non feinem
Vaterlanbe forbern burfte; unb äöien mufS ben Veranftaltern ber ©egantini*$luS*
ftellung aufrichtig 3)anf wiffen für bie Gelegenheit, einen ber bebeutenbften Sllpen-
weltSmaler, in beffen ^Berten fo oiel anheimelnbe 3«ge gerabe ben Öfterreicher an*
fprechen, genau fennen &u lernen. Glicht nur eine ganz anfehnliche 3ahl non £>aupt=
werfen, fonbern auch eine Vtenge fleineter Arbeiten unb 3ei<hnungen geftatteten
eine auf oerläfSlichfte 9lnfchauung gegriinbete Verfolgung beS ^ oc^iit ter eff an tcn
GntwidlungSgangeS ©egantini’S oon grühleiftungen ab bis ju bem breitheiligen
Vlpenpanorama hinauf, über beffen ^rtigftellung ber £>anb beS 5JieifterS ber
Vinfel entfanf. kleben ber wuchtigen s Jtoturauffaffung feiner nunmehr in ber
neuen Vinafothet ju 9Jtünchen aufgeftellten „©choüe" entjiidten manche wirflkh
poetifch geftimmte ©tücfe, 3 ar ^cit ber Vlumen unb ber ^ßflanjenftubien, weiheooUe
unb ergreifenbe Vehanblung ber 9Jlutterbeftimmung, bie Reinheit beS originellen
„$Ruf"=9JtotioeS, bie prächtige „freimtehr oom SBalbc", bie 9taioüät ber „Lobelie" f
bie Fnnigfeit ber ©eene „Veim kreuze". 3a, eS fällt faft fchwer, auf bie befonbere
Erwähnung jebeS einzelnen ©tüdeS z u oerjichten, ba jebem befonberer SReij jufommt
unb jebeS irgenb einen beachtenswerten VuffchlufS über ©igenthümlichteiten ©egantini’S
ju geben oennag. ‘Die 2lrt feiner 3eidptung unb feiner pifantherben ÜJtalweife würbe
Vielen erft an biefem 2luSftellungSmaterial überhaupt uerftänblich, baS fo überzeugenb
oeranfchauUchte, wie raffiniert unb troßbem naturtreu ber SJteifter bie Oflalwerte feiner
Farbentöne abjufchätjen unb ju oerwenben wufSte. ÜJtit ihm ftarb ein wirtlich bebeutenber
SEKaler, ber jur Geltenbmächung feiner fraftooUen Verfönlichfeit fleh jroar miihfam,
aber erfolgreich burchgerungen hatte unb einfamer 3n>iefprache mit einer groben
Statur fein GröfeteS banfte. 2öie ftch bieS ooüjogen, machten am beften feine Vkrte
flar, beren Vorführung in 3öien jum erftenmale baS öfterreichifche Vublicum mit
9tachbruct auf bie SeiftungSfähigfeit eines aus Öfterreichs Gauen ftammenben, heroor*
ragenben Zünftlers hinwieS. — üftit fünftlerifchem Feingefühle gefeilte man, offenbar in
ber Überzeugung, bafS nur wirtlich VeachtenSwerteS ber Vnreihung witrbig wäre,
ben ©egantini'2öerfen bloß eine ganz Heine 3af)I oon ©chöpfungen anberer ÜJteifter
oerfchiebener Nationen bei. Unter benfeiben ragt befonberS ber ©panier 3g. 3uloaga
heroor, ein ÜJteifter ber ©haratteriftif, ber einem VelaSquez ober Gopa jiclberoufst
nachftrebt unb mit Vefchräntung auf baS fiinftlerifch oirtuoS behanbelte §auptfächliche
einbringlichfter SBirtung ftcher bleibt, ob er nun ein ©tiergefecht, bie Verfügung einer
©tönen, bie ©chaufpielerin öola ober ben dichter $)on Vtiguel be ©egooie oorführt
ober unS einen Vlid in baS Treiben ber „rue de t’amour" werfen läfSt! kleben
ihm fintt baS V^affelfeuer malerifcher Vlenbeffecte VeSnarb’s rafd) zufammen; eS läfSt
felbft im Vilbe einer s Jftjane, bie ebenfo gut Glicht ^ejane genannt werben tönnte,
falt. Vtehr als bie Arbeiten oon G. 2JtelcherS, £>enri Vtartin, (Sh- VSoobburp,' Guft.
©ourtoiS, SKene ÜJtenarb ober öe ©ibaner feffelte ber gcbantenreiche „Ulrich oon Butten"
$ertcricb’3 mit ben wunberooüen D^efleyen auf bem prachtooll gemalten Vcmzer. ÜJtay
ftlinger böctlinifiert etwas in einem (SptluS oon Banbfdjaften, bie im §inblid auf
ihre rein becoratioe Veftimmung für ein ©tiegenhauS oon bem bie s 2luSftellung&
anorbnung leitenben s 3llfreb Voller feinfühlig in bie 2Öanb eingelaffen würben. Qn
höherem Grabe als ber Vtaler intereffierte ber Vilbhauer ftlinger, namentlich burch
feine reizenbe „ftauernbe" unb bie ^albfigur Wffenjeff, welche burch bie grünen ©bei-
fteine ber funtelnben klugen unb burch bie Verfchiebenheit beS 9flarmortoneS für
Fleifchtheile, §aar unb Gewanb fonft nicht gebräuchliche ^InziehungSeigenthümlichfeiten
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SBiener ftunftleben (3änner bis 3uli 1901).
51
gewinnt unb benfeiben im ©eftchtSauSbrucfe herrifche ©ntfchloffenheit unb unerfättliche
3öilbheit bcr Seibenfchaft beigefellt. 9Bährenb bie ©culpturen SUinger’S rafch gfreunbc
unb wie bie „ßauernbe" auch Käufer finben, bebarf eS immerhin einiger 3eit unb Ntühe,
um baS Söefen ber Ißlaftif beS ^ranjofen Nobin ju erfaffen, beren oerfchwimmenbe
Umriffe, j. 33. an „SNonb unb ©rbe", unS junächft oielleicht nicht besagen, aber mit
ihrem Abgehen oon ber fonft üblichen ftatuarifchen ©trenge ein neues ©tilmoment
beS ©mpfinbungSauSbructeS marfieren. Am ergreifenbften wirften feine „93ürger oon
Calais", welche bei Unterwerfung ber ©tabt ben ftegreichen ©nglänbern auSgeliefert
werben, um burch ihren Dob bie 93aterftabt unb ihre SNitbürger oor weiteren 93e=
brüefungen burch bie ^einbe ju befreien. Die fechS mächtigen ©eftalten oerförpem
eine wahre ©tufenleiter ber ©mpfinbungen, trofcig bewufSter Aufopferung, bie noch
in JeinbeShafS aufgeht, bis jum h e i& emporquellenben. ©dpnerje beS in blühenber
3ugenb gerabe bem Xobe ©ntgegengehenben.
Die Söefucher ber ©egantini*AuSftellung höben gewifS burchwegS bie geringe
3ahl ber fnapp 100 iiberfchreitenben SBerfe als eine grofee, bie ©enufSfähigfeit
erhöhenbe 2Bohlthat empfunben, welche ein Vertiefen in bie einzelnen Objecte wefentlich
förbert. ©ie oerbient überall bort Nachahmung, wo man inhaltlich 93ebeutenbeS jur
©eltung unb wirtlichen Anerfennung bringen will; benn bie ©egenftanbSfülle, an
welcher bie allerbingS gröberen AuSftellungen in München ober 93erlin — nicht jum
§eile ber ©ache — immer noch fefthalten, untergräbt unb hemmt bie AufnahmS*
fähigteit ber 93efucher in ^o^em ©rabe. Qe mehr man ihnen wirtlich uermitteln will,
um fo geringer wirb bie 3&hl ber 9Berte einer AuSftellung bleiben müffen, bie mit
einer folchen 93efchränfung ihren fünfterjiehlichen 3Bert wefentlieh W fteigern oermag.
2Jkm fann biefem oon ber ©eceffion meift gliicflkh feftgehaltenen AuSfteUungSgrunb*
fafce, ber oon einer fonft gern gehanbhabten ©epflogenheit abweicht, nur weite 93er*
breitung unb Nachahmung münfehen.
Die ©egantini-AuSftellung weefte begreiflicherweife ben 9©unfch, bafS wenigftenS
ein !$auptwerf beS NteifterS — wenn möglich fein grofeeS Sriptpchon ber Alpen*
weit — für eine ber erften 3öiener ©ammlungen erworben werben möchte. ©S gelang
ber „©eceffion" felbft, mit Unterftüfcung oon funftfreunblicher ©eite h^ bie ben
Ntaler oortrefflich charafterifierenben „böfen SNütter" ju erwerben, welches SBerf in
ber $u errichtenben „Ntobernen ©alerie" feinen $lafe finben foll. Die ungarifche
Negierung taufte für bie 93ubapeftcr Nationalgalerie ben „©ngel beS SebenS", unb
in bie 93erliner Nationalgalerie h' e ^ ber nach feinem $obe erft ju gröberer An
erfennung gelangenbe Xrentiner Nteifter eben feinen ©injug. Unter bem für ihn
gefteigerten Qfttereffc gab ber „Aßiener 93erlag" eine mit Abbilbungen reich auS*
geftattete ©egantini>9Nonographie h^töuS. DaS Ntinifterium für ©ultuS unb
Unterricht fafSte gleichfalls in’S Auge, ber 9Biirbigung beS groben einbeimifchen
NialerS eine oontehme ©onberpublication ju wibmen, beren leytbearbeitung bem
©chriftfteüer Dr. $ran$ ©eroaeS übertragen würbe, inbeS bie tppographifche unb
illuftratioe AuSftattung beS fachmännifchen 93eiratheS oon ©eite beS l^ofratheS
Dr. ©ber, ber ftünftler Ntofer unb Anbri, fowie beS £>of* unb UnioerfitätSbuchbrucferS
2pol$höufen fich erfreut. Ntit ber Ausführung biefeS A3erfeS, bem in ben beften
mobernen NeprobuctionSoerfahren bie h er oorragenbften ©chöpfungen ©egantini’S
überwiegenb mit bem Neije ber Jarbe felbft beigegeben werben follen, lentt bie
UnterrichtSoerwaltung an ber ©chwelle beS neuen ^a^r^unbert^ in 93ahnen ein
beren 2Beiterbefchreiten nur mit aufrichtiger 3reube unb ©enugthuung begrübt werben
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3ofeph SReuwirth.
!aitn. ©ar mancher öfterrekhifche SDleiftcr — unb jroar nicht nur mobcme — barf
gleiten Anfpruch auf ähnliche Mürbigung feiner SÖerfe burd^ eine fachgemäße Mono*
graphie ergeben. An geeigneten Kräften bafiir fehlt e$ unter bem jungen SRachwuchfe
ber ftunfthiftorifer burcfjauS nicht. ©oll bie Unternehmung aber eine wirflich oolfS-
erziehliche Vebeutung gewinnen, bann barf man freilich nicht auSfchließlich Fracht*
werfe bringen, beren hoher Kaufpreis nur reichen Liebhabern erfcßwingbar ift, fonbem
muf$ barauf bebacht fein, folgen Monographien, bie bei ben fjortfchritten ber
mobemen SReprobuctionStechnif f<hon mit geringeren Soften oortrefflich unb inftructio
iüuftriert werben fönnen, auch burch eine VreiSherabminberung bie Äaufmöglichfeit
in breiteren ©Richten zu fichem. Le&tere hu&en auf Äunftanregung unb auf Ve*
lehrung über bie Vebeutung ber £>eimat für bie allgemeine Äunftentwicflung ebenfo
großen Anfpruch wie bie begüterten. Die weite Verbreitung ber ßnacffuß’fchen
Äünftlermonographien, bie ganz oereinzelt öfterreichifche Meifter, wie Defregger ein*
beziehen, fpricht am beften bafiir, bafS auch in weiteren Streifen baS VebürfniS unb
Verlangen nach allgemein oerftänblicher funftgefchichtlicher Aufflärung befteht, bie zur
Velebung beS £>eimat3gefühleS, z ur VMirbigung unb (Erhaltung beS einheimifchen
DenfmälerbeftanbeS ganz außerorbentlid) oiel beitragen fann.
9tach biefer Abfchweifung, bie wohl am naturgemäßeren an bie ©egantini-
AuSftellung birect angefchloffen würbe, zurüd S u ben übrigen Veranftaltungen ber
„©eceffion"! 3h*e 3rrühjahr3 = AuSftellung, mit welcher bie erfte AuSftellungS-
befabe abfchlofS, war infoferne noch mehr auf ben burch bie unmittelbare Vor*
gängerin angefchlagenen Xon geftimmt, als fie zum erftenmale eS unternahm, ein
gefdjloffeneS Vilb ber mobemen öfterreichifchen Slunft zu geben unb an
einer Auswahl beS Veften zu Z^u, was fie bereite erreicht unb auf welchen 2Begen
unb mit welchen Mitteln fte weiterzufommen ftrebe. Der ^auptfadje nach mufSte
biefe AuSftellung einen auSgefprodjenen VZiener 3ug annehmen unb zeigte manch'
achtenswerten JJortfchritt ber neuen Dichtung, bie ebenfo energifch als zielbewusst
um ©eltung ringt unb fich in oerhältniSmäßig furzer 3eit wohluerbiente Veachtung
zu ftchem oerftanb. @3 hatte gewifS oiel für fich, erft, nachbem baS Vublicum — wie
baS Vorwort beS StatalogeS oerfichert — oor ben (Emanationen frember $unft-
anfchauungen feine eigenen theilS berichtigen, theilS feftigen gelernt, oor bemfeiben
burch eine AuSftellung beS Veften zu marfieren, „oon welchem fünfte aus bie
eigene $hätigfeit ihren AuSgang nehme". Denn man gab an berfelben ©teile mit
Dollem Otechte zu, bafS mit biefer Veranftaltung noch „nicht ein erreichtes 3iel
gefeiert" werben folle, welche Vefcheibenheit zmar angenehm berührt, aber nicht ganz
mit (Erörterungen im Anfdjluffe an bie zehnte ©ecefftonSAuSftellung übereinftimmt.
Auch h eu te fann bie 3öiener ©eceffton trofc manch' fchöner Leiftung unb manches
trefflichen XalenteS feiner Mitglieber nicht behaupten, bafS fie zu ih*em engeren
Streife einen wirflich großen, bahnbrechenben unb machtooü führenben Meifter zähle,
ber, wie in anberen oielgenannten ftunftepochen ober an wenigen VZenbepunften beS
StunftlebenS, alles in ben Vann feiner genialen Verfönlicßfeit zwingt; Auffehen zu
erregen unb im Anfdjluffe an ftunftfchöpfungen lebhaften ©ebanfenauStaufch über
bicfeiben unb ©runbfäße beS MunftgenuffeS, fowie über baS $Re<ht ber Eritif ein-
Zuleiten, bezeugt noch nicht baS Vorhanbenfein eines foldjen Führers, fonbem
höchftenS einer Darbietung, in beren feineSwegS übereinftimmenber Veurtljeilung
entgegengefeßte Anfchauungen ftarf aufeinanber prallen.
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©teuer Äunftleben (Jänner bis 3uli 1901). 53
$ieS mar ber gatt bei ©uftao ^Iimt§ „SDebicin", gleichber oielbefprodjenen
„Shitofophi*" atö geftfaalfchmucf für bie ©iener Unioerfität beftimmt. 3m 33er*
gleiche ju legerem ©erfe (äfst ficb ein gemiffer gortfchritt, eine gemiffe Abflärung
nicht oerfennen. Som Stanbpunfte ber garbentedjnif unb ber ©ompofttion überragt
bie „aJtebicin" unzweifelhaft bie „Shifof°Pbie"; ihre rein malerifchen Dualitäten finb
erheblich bebeutenber. ©leichmohl ftanb weitaus bie üJtehrjahl ber Sefucher bent
©erfe mit bem ©efühle auSgefprodjenen UnjufriebenfetnS unb üJUfSbehagenS gegen*
über. Dicht Sielen gelang eS, ohne eingehenben ©ommentar ftch in bem aufeerorbentlich
lebhaft bewegten 3)urcheinanber ber um ben £ob gruppierten giguren nur hnl&megS
jurechtjufinben unb menigftenS bie ftauptmotioe richtig ^erau^ufd^ölen. 2)ie 3reft=
ftellung biefer $hatfache foll feineSmegS ben ginger auf einen unter allen Umftänben
rounben Sunft legen. Auch 3 U anberen 3*itm unb an anberen Orten fmb oiel*
gepriefene unb noch h ey tc mit Decht bemunberte Dteifterwerfe meber oon allen Seit¬
genoffen noch oon fpäteren ©enerationen fofort in allen ©injelheiten oerftanben unb
aufgenommen roorben; um bie Deutung mancher nicht gerabe weit jurüdliegenber
müht ftch heute bie funftgefchichtliche gorfchung immer wieber ab. 3 mm erhin wirb
aber bie leichte inhaltliche Serftänblichfeit einer monumentalen ftünftfchöpfung bie
Serbreitung ber Kenntnis unb Schälung beS ©erfeS gar toefentlich unterftüfeen
unb jur geftigung einer barin oertretenen neuen Achtung befonberS beitragen. 3)iefe
5Doppelaufgabe, toelche für bie ©mführung neuer Anfchauungen auSfchlaggebenb
werben fann, hut ftlimt’S „ÜWebicin" nicht gelöft. Auch fte ift ein emfteS, tüchtiges
©erf beS DteifterS, aber fein Triumph ber SHobeme, bie noch SeffereS unb AuS*
gereiftereS bringen mufS, roenn fte neben älteren, bereit theilroeife in Serruf
gefommenen Dichtungen einft oor bem Urteile ber ©efchichte in ©h ren beftehen will.
S)ie §eilSgöttin mit bem nachbrücflichften fcinmeife auf alles bem Xobe Serfatlene
in unmittelbarfte Serbinbung zu bringen, ©erben unb Vergehen beS üttenfchen ihr
beijuorbnen, mar gemifS ein nicht gerabe ferne üegenber ©ebanfe. Aus bem
©eftaltengemirr um ben lob in ber ftlimt’fchm „Diebicin" über ber burch bie
ASfulap*SchIange fenntlichen £>pgiea tritt er oiel weniger flar zutage, als er follte,
um ju feffeln, ju überjeugen unb babei zugleich für bie Art ber StorfteHungSmeife
unb ihre Dichtung zu gewinnen.
®af« ber zehnten SeceffionS^AuSftellung ftlimt’S „Dtebicin" tro&bem ein
^auptjugftücf würbe, lag in anberen, fpäter noch näher zu erörtentben Umftänben.
2öaS fte aufeer biefem ©erfe enthielt, liefe in ben Schöpfungen ber mobemen ©iener
oiel lebenbigen SchönheitSfmn unb oftmals einen feinen ©efchmacf erfennen, ben
Srof. Kolo Dtofer unb bie Arbeiten Seopolb Sauer unb gof. tyktnil befonberS
auch in bem ganzen Arrangement ber Aufteilung bethätigten. 9Jtit einem unbeftreit*
baren Sehagen nahm man abermals bie niebrige 3«hl ber nur 209 Dummem um*
faffenbeu AuSftellungSgegenftänbe hin, bie einem ©enuffe berfelben ohne Abfpannung
unb ©mtübung fehr juftatten fam.
Unter ihnen 30 g fchon burch bie Art ber Anorbnungen eine ©alerie oon
SorträtS an, in welcher 2ift, SDehoffer, Auchentaller, Ant. Domaf, SUimt, Anbri
Äurjweil, Sacher, ©. 2uffch*9JtacomSfp fehr achtbar oertreten fmb. 2>en ©iener,
fprach wohl ganz befonberS Sacher’S — fpäter auch in ÜJtünchen beifäüig begrüfeteS —
„SilbniS jweier grauen" mit feiner liebenSmürbigen 3nnigfeit unb fchlichten Sor*
nehmheit an; auch bie buftige Anmuth beS oon ©uft. ftlimt beigefteüten tarnen»
porträtö, über bem ebenfo oiel Scfjalfhaftigfeit als holbe ©eiblichfeit lag, fanb laute
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3ofeph Reuwirth.
5lnerfennung. ©ie würbe nicht miitber 3ferb. 5Inbri jutfjeil für bie padenbe Gebens*
Wahrheit, mit welker er ben Bilbhauer ©chimfowiß oorführte. treffliche ©harafteriftif
gelang bem ßrafauer 3Jie^offer in bem fonft nicht anjiehenben Bilbniffe eines
t)octorS. ©ie oernachläfftgt jugunften non färben* unb BeleuchtungSfpielereien, bie
l)ier gar nicht am Blaße finb, ber in üftünchen lebenbe Rub. Rifel in feinem ©elbft*
porträt. 5Iuch außerhalb ber mit einer geroiffen ©efchloffenheit auftretenben BilbniS*
gruppe fanben fich noch mehrere tüchtige Bilbniffe an anberen ©teilen beS ©aaleS;
aufeer einer ftlimt’fchen t)ame in ©chwarj mit oielen coloriftifchen ^feinheiten ein
§>errenbilbniS©ngelhart’S, beffen „Sanbftreicher", tro^ gewiffer Vorzüge ber 5luffaffung,
faum über Vfittelmäfeigfeit hinauSfommt, weil ihm bie eigentliche Vertiefung fehlt.
Rächft bem Bilbniffe bot bie Sanbfchaft manch’ oortrefflicheS ©tüd. 9Rit
märchenhafter garbenftimmung oerflärt ÜJtap. Senj in feineni anmutigen triptpchon
„5lm 3Sege jum Bhmberlanb" fomohl ben poetifchen Sichtertanj unb ben prächtigen
Btalbfee, als auch ben Saubfönig. QebeS Sicht* unb ©chattenbetail fteht im t>ienfte
fein abgeroogener BMrfung, bei welcher peinlich genaue Berechnung nicht fo erfichtlich
ift, wie bei SJtoll’S großem Qnterieur, baS jwar eine 3iiHe oerfchiebenartigfter, glänjenb
beobachteter unb oirtuoS oorgetragener Sichtwerte bietet, aber oon einer gewiffen
unbehaglich wirfenben ©efuchtheit nicht frei ift. Söeit mehr Beifall fanben beSfelbcn
MiinftlerS „©änfemarfch" ober „VergifSmeinnicht"«, feine „BMnterfonne" unb „©urnpf".
9Jtehr als bie in blau oioletter Dämpfung oerfchwimmenbe 5lbenbftimmung BMlhelm
Bernat$iFS jieht bie fyettt ^arbenfreube 5lnt. RowafS an, währenb fich mit ber
£pper t>achauerei, welcher 51. ^öljel bis $ur Unfchönheit hnlbigt, faum Biele $u
befreunben oermochten. 2Bie anberS oerfteht eS ba $. o. Btprbad) intimen Reijen
ber Sanbfchaft beijufommen, bie ©uftao ftümt gleichfalls in mehreren fleinen Bilbem
ebenfo jart ju empfinben, wie malerifch feft$uhalten weife. $n’S Sanbfchaftliche ftreiften
theilweife auch bie 5llt*2Berfe „Qrriefach", „Blaß in £>aüftatt" unb „Jriebhof in
©aftein" hinüber, an benen beS greifen BteifterS Verehrer fich aufrichtig erfreuten,
troß mancher gärten unb 5lbfonberlichfeiten burchbringt $ran$ 2ö. 3äger’S Arbeiten
ein ftarf entwidelteS ©efühl für 5Birf ungen lanbfchaftlicher ©igenart, baS freilich an
bie äraft beS mitimter etwas berb jugreifenben 51.§änifch nicht heranreicht. 5lb unb ju
mochte manch’ 5luSfteüungSbefucher gerabe in einzelnen Sanbfchaften, welche ein
vielfach erfolgreich unb ehrenooll gepflegtes ©enre ber öfterreichifchen Stunft nur
glüdlich weiter ju oertreten fchienen, oergebenS bie eigentlichen ©eceffionSqualitäten
ober baS, was bie Btenge fchlechthin bafür hält, fuchen. ©S jeigte fich gerabe in
biefer ©ruppe, bafS beS trennenben burchauS nicht fo oiel ift, um erfreuliche Be¬
rührung mit anbern unbebingt auSjufchliefeen.
$n feiner 5irt einzig ftanb 5* Bfprbach, beffen Vielfeitigfeit auch ein oon
Badhaufen auSgefiihrter ftniipfteppich bezeugte, mit feinem ©chlachtenbilbe ba,
baS bem h^benmüthigen Vorgehen beS 54. Infanterie Regimentes „5llt-©tarhemberg"
bei ©ommacampagna am 24. ^uli 1848 gemibmet ift. ÜJtit bem gefchichtlich befannten
„Dritese Hanaci“ feuert ber Oberftlieutenant Baron ©unftenau, beffen Tochter ^rau
©bith oon ÜJtauthner^Vtarfhof baS Bilb bem Regimente fpenbete, bie Btonnfchaft
jum ©türme an. t)cr ehemalige Cfficier im Btaler h^t h* er mit feinfühliger
Befchränfung auf alles Btefentliche, mit einer felbft bis in bie Bferbehaltung
bringenben pfpdjologifchen Vertiefung, mit ber bunftigen lointergrunbftimmung ber
Sanbfchaft ein gan$ oortrefflicheS ©chlachtenftüd gefchaffen, baS ba jeigt, bafS eS
unS nicht an Btalern mangelt, welche grofee Momente unferer 5lrmeegefchichte ooll
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SBiener ßunftleben (Qcinner bi« ftuli 1901).
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ju erfaffen unb mirfung«ooü barjüftcücn miffen. 5ln innerer ©efchloffenheit ber
©ompofition wie in ben $rarbenmerten fteht ÜJtprbadf« ©chöpfung erheblich über
bent im oorigen §erbfte im Siünftlerhaufe auSgeftellten „©aoalleriefampfe bei ©tr ejetifc"
non ©ochor, objmar le&terer roeit prunf* unb geräufchooller auftrat, ma« allerbing«
bie Mängel be« 2Berfe« nicht ju oerbeefen oermochte. Da« wirtlich Skbeutenbe be»
hauptet auch ün fchlichteren ©ewanbe mit feiner 9taturmahrheit immer feinen 3Bert.
3n feinen acht ©oinpofttionen jum Härchen „Der geftiefelte ftater" h<U
ßiebenmein ein 3Berf ooü naioer grifche, föftlicher fiaune unb einer in bas 3Befen
be« beutfehen ÜJtärchen« glütflich einbringenben Gharafteriftif beigeftellt, beffen 3feacb"
tung roirflicb roohlthat. ©in herber 3 U 8 geht burch ben ©pclu« „Die s J$eft" ^on bem
Frager 5eliy Renern ein, ber menfchlichem ©lenbe tief in« 5luge geflaut haben muf«
um bemfelben fo hetjbemegenbe löne abjugeminnen; nicht jeber ift gan$ rein, aber
bas ©anje paeft, objwar ©injelheiten etwa« Ouälenbe« unb ©equälte« befifcen. 511«
SJteifter ber Kubierung erweist fich mieber gerbinanb © chm über, ob er nun bie 3üfle
3kml §epfe’« mit vorzüglicher ©harafterifierung«fraft fefthält, ben 33ilbhauer 5ior»
fchann in feinem 5ltelier norführt, harmlofe Vorgänge be« 5lUtag«leben« bchanbelt
ober mit feinem Sölicfe fportliche ©leganj einer jugenblichen Leiterin mit ihrem »toffe
jum ©egenftanbe fiinftlerifcher Darftellung wählt. 3 e t1 m a r’s „©timntungen" fmb nur
$um X^eil recht gelungen, $t o l b’S „5lpofalppfe" wirb be« 9Jtotioe« nicht gan$ §err.
SJlancheS Unbeholfene boten bie 53uchfchmucfblätter oon &an« 'Jrjibram; bie Arbeiten
oon 9Jt. fturjmeil unb ©. o. &empf fanben freunbliche Beachtung, beren ftch auch bie
flotten ©ntmürfe oon 51. §pnai« für 3n>icfelbilbcr im böhmifchen 2anbe«mufeum ju
*)3rag erfreuten.
Unter ben ©culpturen mar nächft ber §er$ Qefu ©tatue oon Cthmar ©chirn»
fomifc „Der 3öanberer" oon Dticharb fiuffch, einem noch jungen, oiel oerfprechenben
ÜJteifter, bie bebeutenbfte ©chöpfung, beren ©ebanfe nach 5lngabe be« ftiinftler« auf
ba« ©ebicht »Sombre Eglogue« jurüefgeht. Die tfaft quälenber ©ebanfen ruht mit
fernerer 2Bucht auf bem 9tacfen be« jögernb unb argmöbnifd) Dahinfchreitenben, ber
fich färoer auf ben §>irtenftab ftiiht. Der 5$ole 33ol. 3Mega« mirb immerhin noch einige
3eit brauchen, bi« ihm bie fünftlerifch oollenbete $erau«arbeitung großer 3been, für
bie er eine geroiffe Vorliebe befunbet, wirtlich gelingt. ‘Den „3öeltanfang" ober „Da«
©nbe ber 3Belt" beroältigt er feineSmeg«. Da« angftoolle ©eftaltenburcheinanber be«
lefcteren erfchöpft burchau« nicht ba« granbiofe Xhema. 5luch ba« „©efpräch ber ©e^
banfen" bietet birect unfehöne Serjerrungen, in welchen noch ©türm unb Drang ber
Äiinftlerfeele etwa« ungeberbig burcheinanbermogen. 3Jlag auch *>iel gefunbe ftraft,
Urfprünglichfeit ber ©mpfinbung unb ©efühleftärte in biefen 5lrbeiten fteefen, fo
braucht hoch ba« 3htblifum nicht alle Unarten unb 5lbfonberlid)feiten, bie !eine«weg« allein
ba« 5Befen ber „OJtoberne" auSmachen, ruhig hinsunehmen ober banfenb an^uftaunen.
3ebe Ungeberbigteit, bie in anerfannt guter ©efellfchaft jur ©eltung lommen will,
muf« — ohne baf« fie fich babei felbft ooüftänbig ju oerleugnen braucht — bem in
berfelben brauche gewiffe 3wflcftänbniffe machen, üölofee 3laturwüchfigfeit
wirb einfach abgelehnt. 5ln bem fehlen ber 33iega« 333erfe hätte bie ©eceffions=5luS-
ftellung nicht« oerloren; in bem ihnen jugefaüenen §albbun!el fmb fie glüdlicherweife
ohnehin faum alljufehr beachtet worben. Ireffliehe« ©ingehen auf ba« 5öefen einer
3krfönlichleit zeigte 9ticharb ^at\6 in ber 53orträtbüfte be« ©omponiften s 5ater ^)art-
mann, 9t. Xautenhapn in jener Ütub. 33raun ? «
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3<>feph 9teuwirth.
Die Ardjiteftur oertraten Otto SBagner, tfeopolb Vauer unb Qofef ^Pleönit.
SRehr als beS ©rfteren ftapujinerfirche unb ftaifergruft intereffierte fein Vroject für
baS fyiftorifcfye Vtufeum ber Stabt Söien, burch baS ber Anfafc ju einem groben 3 U 0C
geht. ©ine wirflich grobe Archtteftur im Sinne bahnbredjenber Schöpfungen anberer
Stilepochen ift eS nicht; noch weniger Vauer’S ©ntwurf für baS IftathhauS in Qägern*
borf. ©erabe in ber Vaufunft läfSt fuh bei ber Spröbigfeit beS SERaterialeö baS 9teue
burchauS nicht fo rafch meiftern wie auf ben übrigen ftunftgebieten; fo finb benn
alle Veftrebungen für einen neuen Vauftil bisher nicht über halb mehr, balb minber
glüdlidje Verfuche hinauSgefommen.
Xheüweife ganj oortreffüche formen bieten bie SUbergegenftänbe Otto
2Bagner’S, an beren Ausführung auch bie Architeften ©mit §oppe, $arl ^ifchl, $arl
©rünanger unb ber SJtaler Äarl ©berer ftch betheiligt haben $ier oereinigen fich
praftifche 9lu&barfeit, bie auS bem 3roedmäbigfeitSgefühle ber ©onftructionSübung er¬
wächst, ©ebiegenheit unb Vornehmheit. Unter ben funftgewerblichen Objecten fielen
ein ben Viebermeierftil wieber aufnehmenber, aber auf bie Vtoberae ftimmenber Vücher
fdpranf ÜJtofer’S, eine Vriefpapiercaffette unb ein SRauchfäftchen oon Seopolb Vauer,
eine Vitrine oon 3 . Jpoffmann anfprechenb auf; ihre Ausführung ftammt oon VortoiS
unb giy.
Die Xhatfache, bafS bie jehnte SeceffionS-AuSfteUung in ihrer ©efammtheit nur
oon öfterreichifchen Zünftlern befchidt war, alfo eine öfterreichifche im engften Sinne
beS VBorteS genannt werben mufSte, rechtfertigte hierorts ein etwas näheres ©ingehen
auf ihre Darbietungen, ^bie beftimmt waren, einen Überblid über bie Veftrebungen ber
üftoberne — oorwiegenb gerabe auf bem VMener Vobcn — ju geben. DaS ©efammt-
nioeau beS ©rreidjten ift immerhin recht achtenswert; oftmals geben ©efchmad
unb lebenbiger Schönheitsftnn ben ©runbton an. 9Jtit München, Verlin ober Darm-
ftabt braucht bie VBiener Seceffion ben Vergleich nicht ju fcheuen. 2öaS fte in wenigen
fahren ju leiften oermochte, wirb fein wahrer ftunftoerftänbiger unb Äunftfreunb
mit mitleibigem Achfeljuden ablehnen, fonbern als Veweife emften StrebenS, mit
neuen Mitteln unb mit einer neuen AuffaffungSmeife VebeutenbeS ju erreichen unb
einen neuerlichen Auffchwung ber ftunft anjubahnen, näher in’S Auge faffen müffen.
©ine Shmftrichtung, bie bereits ber ooUen Veachtung beS AuSlanbeS ftch erfreut unb
in angefehenen auSlänbifchen ffachblättern, wie m Öonboner „Stubio" ober im
„3rigaro ^DuftrS", ernftliche SBürbigung unb oiel VeifaU finbet, oerbient wenigftenS,
bafS jeber, bem ein frifcheS ftunftleben §erjenSfache ift, feine Stellung ju ber
üftoberne nicht blofe mit oftentatioer Vegation beS AuSftellungSbefucheS marfiere.
s JtirgenbS thut für ein oerläfSlicheS, felbftänbigeS Urtheil pcrfönliche Anfchauung fo
noth, als in fragen ber Stunft.
9Jtan braucht trofcbem baS gute SRecht anberer Vteinung, ja felbft ooüftänbiger
Ablehnung nicht preiSjugeben. VlinblingS in Äunftfragen unbebingt©efolgfchaft leiften,
ift einfach Äopflofxgfeit. ©erabe bei ber jehnten SeceffionS-AuSftellung jeigte baS Söiener
Vublicum, bafS eS fi<h feine UrtheilSberechtigung nicht oerfürjen laffe. Älimt’S
„Vtebicin" erfuhr in weiten Greifen, beren Vefuchermenge gerabe burch bie an baS
Vilb anfniipfenbe erregte DiScuffion in ben XageSblättern unb burch eine 3ntopdto*wn
im Varlamente noch wefentlieh gefteigert würbe, eine auSgefprochene Ablehnung; alle
gegenteiligen Vehauptungen fönnen biefe Xhatfache nicht auS ber 2öelt fchaffen. $rür
jeben, ber ftunftfragen oorurtheilSfrei gegenüberfteht, gibt eS feinen 3n>eifel barüber,
bafS bie Interpellation 0 . Sfene’S unb ©enoffen gegen baS fflimt’fche Vilb unb bie
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3öiener ftunftleben (Sännet bi« Sult 1901).
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bureb ba«felbe oertretene SRicbtung ebenfo wenig am mar, roie bie ©rflärung
be« ©eceffion«obmanne« $arl ÜMI, roelcbe bie boeb roeitau« ben größten $beil be«
Vefucberpublicum« bilbenben fiaien blofe jum ©eniefeen ber ftunftroerfe, fonft aber
jum ©ebroeigen oerpfliebten roiH unb ba« Urtbeil über biefelben ber 9Racbroelt ju*
roei«t. SBeber eine parlamentarifcbe Äörperfcbaft, noch eine bebörblicbe Verfügung
farni bie fjortentroicflung non Äunftricbtungen bauemb beeinfluffen, roelcbe, roie
bet Unterricbt«minifter Dr. non fcartel in ber 3nterpeüation«beantroortung febr
jutreffenb bemerfte, „bureb tieferliegenbe Vkmblungen be« gefammten materiellen
unb geifügen Seben« bebingt werben." Qm 3ufammenbange bamit hob ber Unter*
ricbt«minifter mit 9Recbt ^cruor: „Der geläuterte ©efebmaef be« funftfinnigen Vubli*
cum«, in meinem eine gefunbe fömftricbtung allein auf bie Dauer ihren ftalt finbet,
febeint ein nerläfSlicberer unb gerechterer Siebter, al« e« eine Vebörbe ju fein ner*
möchte." ©efunbe Äunft unb Läuterung be« ©efebmaef e« be« publicum« fteben in
unbeftreitbarer 2Becbfelbejiebung. ©ine @efcbmacf«läuterung fann ftcb aber nur noll=
jieben, roenn 9lnfcbauung eine« Stunfüoerfe« unb anregenber ©ebanfenau«taufcb über ba«*
felbe innig §anb in £>anb geben, ©o gut bie Äunft bie ^rreibeit be« ©ebaffen« al« ihre tfeben«*
bebingung in Shtfprucb nehmen barf, roirb ein gefunber ©efebmaef jeberjeit ba« SRecbt
nneingefebränfter (Erörterung über Äunftroerfe unb ftunftfragen für ficb beanfpruchen
bürfen. 2Ber ftolj an bie ©üm feine« §aufe« fe&t „Der 3üt ihre $unft — ber
ftunft ihre Sreibeit", muf« auch ben 3ütgenoffen ba« oolle fHecbt ber ÜJReinung«-
äufeetung über Eunftroerfe laffen, ohne roelcbe« eine gefunbe Stunftricbtung einfach
nnbenfbar ift. 3bn* n an ber ©ebroeüe be« 20. Sabrbunbert« jujumutben, ftcb betreff«
be« SBerte« non $unftf<böpfungen mit einer erft oon ber 9lacbroelt einjulöfenben
Urtbeil«anroeifung ju begnügen, fonft aber in ehrfürchtigem ©ebroeigen ju oerharren
unb an ber Vebeutung au«gefteüter ftunftroerfe nicht ju jroeifeln, geht entfebieben
oiel ju roeit. Daf« bie $unft unferer 3üt, roie 9JM behauptet, ber überroiegenben
ÜJtehrheit ber ©ebilbeten fremb bleibe, entfpriebt nicht ben Xbatfacben. Die aüjährlicb
in fo oielen ©täbten üeranftalteten $lu«ftellungen, ihr roaebfenber Vefucb, bie mannig¬
fachen, auch in ^ßrioathäufer roanbernben Einläufe beftäügen gerabe ein 3unebmen
be« ftunfüntereffe« im Vergleiche ju früheren 3«ten. Da«felbe ift ohne freie« 9lu«*
fpreeben über ftunftroerfe nicht möglich; lefctere« läf«t ftcb nicht einfach binroegbecre*
üeren, roenn man fonft regen Vefucb ber 9lu«fteüungen, ©rtbeilung üon Aufträgen,
Anläufe erwartet, bei welchen Veranlaffungen e« ben Zünftlern hoch geroif« lieber
fein muf«, überroiegenb ein publicum nor fld> ju haben, ba« ficb beftrebt, eigene«
Urtbeil ju befi&en. ©ine noch um ©eltung ringenbe Dichtung follte etroa« mehr
Dulbfamfeit beroeifen; aüerbing« beobachtet man, baf« meift neue ©trömungen im
Äunftleben gleich rücffi<bt«lo« gegen ihre Vorgängerinnen unb ihre 3*it geroefenftnb. Vter
aber felbft Dulbung unb unbebingte Freiheit für ficb in 2lnfprucb nimmt, barf fie
nicht gerabe bemjenigen roefentlicb befebränfen wollen, an beffen ©enuf«fähigfeit für
bie ebelften Darbietungen be« 3Jtenfcbengeifte« feine eigenen ©chöpfungen appellieren,
©leicbe SRecbte, gleiche Vfücbten! Da« Sach ftummen ©enuffe« läf«t unfere 3^it ftcb
nicht mehr auflegen. Der ©treit um ftlimt’« „Üftebicin" hat auch noch anbere Ve*
hauptungen au« ftünftlerfreifen gejeiügt, bie ju roiberlegen ben DRahmen biefer ge*
brängten Überficbt roeit überfebreiten roürbe. 9tur eine fei noch erwähnt. Xherefe
Seobororona 9Rie« erflärt: „Der furchtbare JJeinb, ber ftcb jroifeben ben febaffenben
ftünftler unb ba« Vublicum brängt, finb bie ©alerien, bie SQRufeen." ©eroif«, ohne
ba« erhaltene ©rofce oergangener 3üten fäme ba« Vebeutenbe, oielleicbt fogar ba«
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Sofepb SReuroirtb.
Mittelmäßige bcr ©egenroart oiel rafcber zur ©eltung, roeil man eS als einzige
Offenbarung biunebmen mürbe. VMrflicb HetoorragenbeS unb ©enialeS roirb fi<h all*
Zeit feinen neben großen Schöpfungen ber Vergangenheit erobern unb biefelben
alö SERafeftab für feine eigene Vebeutung nicht miffen rooüen; benn eS mufS einem
groben Meifter nur ermünfebt fein, bafS burd) Vergleichung ber VJerfe oor aller
V$elt offenfunbig roerbe, um mie oiel Haupteslängen er bie Söeflen aller ©poeben
überrage. SBiirbe $Umt heute einftimmig ber Vorrang oor einem Michelangelo ober
'JtubenS ober einem ber groben Venezianer juerfannt, fo märe eS fraglich, ob noch
jemanb aus ftünftlerfreifen bie ©alerien unb Mufeen als furchtbaren geinb ber
fchaffenben Mnftler bezeichnen mürbe. Man machte für ben 5aU Älimt eben alle
Mbroebrmittel aus ber ©ntfchulbigungSrüftfammer mobil. Selbft ein Öefeabenb ber
„©oncorbia" mürbe oon Hermann Vahr ju einer „Vebe über ÄUrnt" benüßt, in
melcber ber geiftreiche ©onferencier mit ben ©egnem beS Älimt’fchen VilbeS ziemlich
ftreng in’S ©ericht gieng unb zum Schluffe fogar auf bie ©oentualität anfpielte,
bafS bie Rührer ber SeceffionSberoegung ben VuSroanberungSgebanfen — oielleicht
nach bem ber Mobeme fo freunblich gefinnten ^Darmftabt — ermägen möchten. 3)a=
gegen fanb ber Schriftfteller Vaul Jöilbelm ben geroifS fchön ^mftebenben Mutb, in
einer anberen ©onference bie Seceffion „als ein burch bie 3*it gebenbeS lieber" z u
bezeichnen unb bem ftimftler einen hoben ©rab oon Pietät, $lnfchlufS an bie fünft*
lerifebe Xrabition zu empfehlen unb ihm überhaupt oorzubalten, er ftebc leiber beute nicht
auf bem Stanbpunfte, bafS er „ber Menfchbeit gegenüber geroiffe Verpflichtungen" habe.
£>aS Maß ber s Jteclame für bie Seceffion machte enblich ooll bie ©onfiScatkur jenes
HefteS ber SeceffionSzeitfcbrift „Ver Sacrum“, baS Sfizzen zu einem öffentlich auS*
geftellten ftunftroerfe (ftlimt’S „Mebicin") brachte; erfolgte auch hie Aufhebung ber
Vefchlagnabme, fo mar hoch baS Heft, mie baS 28erf nur noch intereffanter gemorben.
So bat bie zeb«te s 2luSftellung ber Seceffion, roclcbe baS neue 3abr ntit
einem prächtigen Malenber begrüßte unb zu beffen 9luSfchmüdung fein ftihfierte
Beiträge oerfchiebener Mitglieber gefchmacfooU oereinigte, auch hie ©rörterung mistiger
©runbfäßc für baS ganze ftunfileben in glufS gebracht unb mit berfelben eine
Steigerung beS MunftintereffeS unb töunftoerftänbniffeS erzielt, ßefctere fei unS an
bem Veginne beS neuen QabrbunbcrteS ein oerbeißungSoolleS Anzeichen für Höhung
beS ftunftlebenS in ber 3ufunft. 3e reger bie SHScuffion, befto ferner bie Stagnation!
2öie nach hetn Sturme bie s 2Bogen aUmäblich fi<h mieber beruhigen, fo folgte
auch ber eben erörterten ©rregung mit ber elften $luSftellung ber Seceffion
eine zu)ar beachtenSraerte, aber nicht 2lußergeroöbnlicheS bietenbe Veranftaltung. Sie
führte bie Vierte bes orbentlicben MitgliebeS 3»ofef Victor fträmer, befonberS
feine fiinftlerifche Ausbeute einer längeren Steife nach $gppten, Sprien unb Valäftina,
oor. ©inzelne Stüde liefeen überzeugenb bie befonbere Anlage beS MeifterS erfennen,
in bie Sonberbeiten frember fiänber unb ihrer Veraobner fid) feinfühlig zu oerfenfen.
5lber auch bie fonftigen Arbeiten, roelche ftch biefem intereffanteften Xtyilt anreibten,
bezeugten ebenfo oiel emfteS Streben als ein mit höbet 9luffaffung ber Aufgabe
auSgebilbeteS fchöneS Talent, oon bem mir noch Reiferes erroarten bürfett.
“Sie ©enoffenfehaft ber btlbenben Slünftler VHenS eröffnete baS
20. ^abtbunbert mit einer febr anregenben unb lehrreichen 9lquarelliften‘9Iu$*
ftellung im Zünftler häuf e, roelche mit ber früheren 3eühuung$*VuSftetlung
ber Seceffion ben Vergleich nicht zu fcheuen braucht. 3n fieben Säle maren nahezu
400 Hummern oertbeilt, barunter ganz reizenbe Sachen, roelche oiele Vefucher roirflich
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Söiener Zunftleben (Jänner bi« 3uli 1091.)
59
freuten unb gerabe bie öfterreichifchen SJteifter auf einer anerfennen«wertcn
©tufe ber Seherrfchung be« Aquarell« jeigten. ^icfelbe tritt ganj befonber« in ben
Sanbfchaften $utage, auf jenem ©ebiete, für welche« bie SJtoler Öfterreich« burd) ba«
ganje 19. 3<*hrhunbert einen ganj aufeerorbentltd) geübten ©lief, feinen ©efdpnad unb
tüchtige Schulung befunbet haben. 2)ie Au«wahl ber SStotioe ift oorwiegenb gefällig;
faft nirgenb« regt fich ein fchaufteHerifche« Sfaturburfchenthum in aufbringlicher
2öeife, eher oerein$elt etwa« conoentionelle 3ö^m^ett f ber bie Stüdficht auf feine
©efellfchaftsfreife oorfdpoebt. darüber fann allerbing« ab unb ju bie SBahrhaftigfeit
be« Serhältniife« jur Statur felbft leiben unb auch ein ©tüd lebhafteren Zünftler-
naturelle geopfert werben, wenn man fi<b ju bem 3ugeftänbniffe bewegen läf«t, bie
Statur nicht fo ju bieten, wie fie tbatfäcblicb ift, fonbern fte gewiffermafeen auf einen
conoentioneßen $on $u ftimmen. $)a« 3 art ßr duftige unb ©onnige hot’« ben Sanb*
fcbaftemalem Öfterreich« angetban. ©h ar l em ont’« „Säume am ©ee", ©imont)’« „SUd
in’« SDlarcbfelb", £)arnaut’« „©onniger fterbfttag" oertreten biefe Stiftung, ber ftcb
auch tüchtige Arbeiten ^ermann ©öbl’« anfdjliefeen, auf« glüdlicbfte. Stibarj, 3etfcbe,
ttubwig §>an« 3ifcber, ber imprefftoniftifcb angehauchte J&einrich Xomec bleiben h'«l cr
ihnen nicht jurüd. 3)aoib Zahn erhebt fich bereite ju einer ebenfo au«brud«ooflen
wie einbrtnglicben 5öiebergabe bee perfönlid) ©h<*rafteriftifchen, in welcher ihn 8eo
Sernharb ©ichhorn mit feinen Sauernföpfen noch um ein gutee ©tüd überragt.
Sernt bewegt fleh mit feinen „Alten Raufern am Steuen SJtarfte in 2Bien" erfolgreich
in ben Sahnen, auf welchen Stub. Alt fo oiel Anerfennung geerntet bat. 3n bae
Solf«leben bee Shtrftelprater« unb aue bem Söiener Sßalbe greift 3oh. Step, ©eller
mit gefehlter £>anb tyintin, welchee bae baftenbe AOtag«treiben mit manchen Zunft¬
griffen ber ntobernen Sarifer, mit oerfchiebenen Söagntffen ber JJarbengebung
bebanbelt, ohne überall bie oolle Seweglichfeit ber bargeftellten Serfonen ju erreichen
Stoch mehr oon Sari« beeinflußt ift $heobor Srudner; mit feinen Jarbenfpecialitäten
werben fich nicht ju Siele näher befreunben tonnen, objrnar manchee in feinen Sorträt*
ftubien recht gelungen genannt werben rnuf«. ©ie jogen ba« publicum weniger an al«
bie Sorträt« oon Zarl ßfröfcbl, unter welchen ba« jweier Heiner Stäbchen befonber«
ben Seifall ber kanten fanb, aber inhaltlich merfmürbig leer bleibt. 3)ie« ©chidfal
theilt e« mit anberen gröfchlwerfen, bie ftcb bamit begnügen, nur ba« Oberflächlich«
in glatter Spanier ju geben, ohne auf bie §erau«arbeitung be« ©eelifchen fich näher
cin§ulaffen. fterb. Srunner’« „$n ber ©infamfeit" fprach ebenfo an wie bie 3eichnungen
3ofef ©turnt’« ober bie ^oljfchnitte ©teinmann’« nach SDtarolb’fchen Aquarellen. Unter
ben beutfehen Zünftlern feffelte iiächft £>an§ o. Sartel«, beffen SJteifterfchaft fich ganj
befonber« in raffinierten Seleuchtung«effecten bei ber 2)arftellung hollänbifcher Sifcher-
mäbchen §eigte, über fübnen Ofarbenfpielen aber bie Vertiefung in ba« SSefen ftarf
jurüdfteflt, ganj befonber« ber Zarl«ruher Zarl SStutter mit ber herjevquidenben
3nnigfeit feinet Serhältniffe« jur Statur unb mit ber fehlsten SBärme feiner Vor*
trage«; wie anhcimelnb weife er bie Steije alter ©täbtehen ju behanbeln! Iperfomer’«
Srunffdjilb „3)er Triumph ber ©tunbe" mit feinem 2)ufcenb in ©mail au«geführter
Aßegorien, in beten ©ompofttionen mehr flügelnbe Zünftelei als wahre Zunft ftedt,
ift wohl ein prablenbeS ©djauftüd, aber feine wirtlich fiinftlerifcbe iieiftung gewefen.
©r jog bie Aufmerffamfeit auf ftch, ohne thatfächlich ju intereffieren, wie e« ja bei
5Decoration«arbeiten fo oft ber gall ift. Siel mehr fügten un« bie feinen 3^ichnungen
be« hochbegabten ©pfi« ju, auch Sajjani, gragiacomo, bie 3ranjofen Soutet be
SJtouoel, ßfaffaelli u. A. waren gut oertreten. 2)er Aquarelliften»©lub burfte feine
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60 3ofepb Sfleuwirth.
15. Zustellung mit ttecht als in bcr Jmuptfache gelungen unb ihren 3wecf
füHenb betrauten.
53ei ber 28. $a hreSauSftellung im ftünftlerhauf e beeinträchtigte
junächft bie faft auf 700 gediegene 3ohl ber ZuSftellungSobjecte fowohl bie Znnehm-
lichfeit eines leichten, nicht ermübenben ©enuffeS als auch bie Beachtung ber ftunft*
werfe felbft, benen fid? ein nicht burch bie SrüHe bebrängter ZuSftellungSbefucher mit
mehr IRube unb ^ntcreffe roibmet ©egen frühere Zustellungen ift bie ©enoffenfehaft
ber btlbenben ftünftler SöienS auch in biefem fünfte bereits rigorofer geworben, Sie
wirb aber in fcinfunft manche baS dJhttelmafe nicht überragenbe, einer perfönlichen
9lote entbehrenbe Seiftung ruhig juritefweifen biirfen, ohne befürchten ju müffen, bafS
in ihren Zustellungen irgenb eine roefentliche öücfe empfunben mürbe. $at bei einer
fünftlerifch feineSroegS hetoorftechenben Zrbcit ber 9Jtaler nicht einmal etroaS perfönüch
3ntereffanteS $u fagen, bann laffe man getroft SBerfe beifeite, bie roeber über baS
können noch über baS Qnbioibuum einen weiteren Greifen roünfchenSroerten ZuffchlufS
bieten. T)ie ZuSfteüungSanorbnung oerrieth fonft guten ©efehmaef.
^Diesmal trat in ber ©efammtheit ber ZuStcßer bie ©ruppe ber öfterreichifchen
Zünftler mit erfreulichem 9tad)brucfe in ben ©orbergrunb, gewiffermafeen baS in ber
ahnten SeceffionS’ZuSfteHung gebotene SBilb unferer einbeimifchen Äunftbeftrebungen
erroeitemb unb abrunbenb. Zn ihre Spifee teile fich ber tiroler ©gger*Sien$ mit
feinem oortrefflicfe aufgeftellten ©emälbe „T)aS $reu$", baS eine ©pifobe aus bem
tiroler ftreiheitSfampfe im Qfahre 1809 behanbelt. 2Bie oon einer 3BinbSbraut
getrieben, wäljt fich bem ©efchauer bie 2J?enge ber jum Zngriffe loSftürmenben ©auern
entgegen, wetterharte, jum Äufeerften entfchloffene ©eftalten, beten ftührung bie
betben Ziten mit hocherhobenem ftreuje übernommen haben. 95or ihnen raft ber
unerbittlich bahinraffenbe Tob einher, oerfinnbilblicht burch ben fanatiterten Ziten,
in beffen ftnoefeenhänben bie bluttriefenbe Senfe SBerberben bringenb broht. T)ie ihn
erfüllenbe 2öuth, ©ntfdjloffenheit unb ©rbitterung reifet ben hinter ihm mit SBaffen
aller Zrt hinftürmenben Raufen jur äufeerften ZufopferungSfähigfeit mit, bie für bie
SBertbeibigung ber Freiheit unter bem Schube beS 5>öcfeften baS frerjblut ju oerfpri&en
bereit ift. ©in grofeer 3«9 gebt burch baS auch in ber Farbenbehanblung ungemein
emft gehaltenen 33ilb, in bem bie ÜJtonumentalfunft ber ©egenroart fech wiebet ju
anfehnlicher $öbe emporfchwingt. $n bem „ s -8üfeer" unb bem „§eil. ©rabe" wirb bie
tfarbe etwas büfler unb hört; gute ©harafteriftif jeiebnet baS hiftorifche 93ilb 3ofef
Specfbacher’S aus, unb burch baS „5Balbmnere" weht ferne Stimmung. Züe Zrbeiten
bezeugen ebenfo ernfteS Streben, wie auSreifenbeS, noch ©röfeereS nerheifeenbeS können.
3n bie ©ruppe beS fciftorienbil'eS jählt auch baS SBerf non $aul ^oanowitS
„&er$og 3errp IV. non Sothringen führt ©lifabeth non ftabSburg heim", ganj in
ber Zrt mittelalterlicher ©emälbe aufgefafst, aber in ben ©eftalten mobern empfunben
unb mit manch mobemer 3Jtalwirfung bebaut. 3Bie ber DJteifter fich ober babei
bemüht, im ©efammteinbrude SBerfen ber 3ett gletchjulommen, in welcher bie Scene
fich abfpielte, lehrt inSbefonbere bie Starbenfreube biefer Schöpfung; fie Hingt an bie
oft fo bunten Töne ber 93u<h* unb Tafelmalerei beS auSgehenben SJUttelalterS an.
Zuf einem anberen SBilbe hot ^oanowitS ben TppuS eines „Zlbanefen" ungemein
lebenswahr feftgehalten. T)urch feinen ftarbenoortrag jeiefenet fich döilba’S „Znbetung
ber heil- brei Könige" auS, in welcher baS aus ber Jpiitte heroorquellenbe Sicht bie
©ruppe ber Znbetenben wirfungSooll umfpielt. Zuf religiöfeS ©ebiet wagt fich bieSmal
auch ber befannte <Plafatfünftler ZlfonS OJtucha mit einem ®aterunfer-©pfluS, ber
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SBiener Shmftleben (Jänner bi« 3ult 190L).
61
ganj in bei* aufgeblafen fcotylen ©hrafeologie eine« 2>orö fid) bewegt, weber ergreift
noch jur ©nbacht ftiiumt. 2öo biefe SBirfung oerfagt bleibt, ift bie ©ehanblung biefe«
eigentlich barauf abjieleuben ©toffe« fünftlerifch oerfehlt. ÜRan lennt ÜRucha’S ©rt
fonft $u gut, al« baf« man ernftlich baran glauben fönnte, er habe fykx fleh gerabe
felber gegeben. SBeit mehr ergreift in ber 3)arfteUung beSfelben ©toffe« ber ©ole
Qofef 9Jtencina Strje«}, ber jwifchen ben ©itten be« ©aterunfer« unb bem ©olf«leben
innige Fühlung h«juftellen fich bemüht, ab unb ju in einer ©injelheit fich swar arg
oergreift, im @an$en aber burch 3nnigfeit ber ©mpfinbung (Erbauung unb ©lauben
an ben Inifer oon oben $u beleben weife, obzwar feine Orarbeneyceffe manche« ©b*
ftofeenbe haben. Unter ben öfterreichifchen Sanbfchaftern intereffierte gan* befonber« ©ug.
©chaeffer burch feinen an einem 9tooembemachmittage aufgenommenen „©lief auf ben
©chafberg*©ebirg«ftod am SBolfgangfee", in welchem STOaffer, Suft unb ©ebirge gleich
meifterhaft behanbelt fmb. bem „^eiteren ©priltage im 2öienerwalbe" bewegt fuh
ber fchaffen«frohe Äünftler, beffen „üttotio bei ©reitenjee" gleich einem jart geftimmten
„SBalbeSbunfel" freunblich anmuthete, wieber erfolgreich auf einem erft burch ihn
in feiner eigenartigen ©djönbeit erfchloffenen ©oben. ©udj Jpugo 3)arnaut hat abermal«
einige oortreffliche ©tüde beigefteuert, fo bie burch ßraft ber Jarbentöne auSgejeichnete
„©irfenpartie", bie hübfehen ©totioe ber „©Balbftrafee", ,,©u« einem alten ©arte"
unb be« „9torbifchen ©auernhaufe«". ^anfa’S „©appelallee" hält gleichzeitig bie
©timmung oor bem SoSbredjen eine« ©ewitter« recht gefebid: feft. Jpeinrich $omec
bot aufeer bem prächtigen ©ouacheftüd ,,©uf ber ©infchicht" unb bem ölgemälbe
,,©m ©benb" ein burch jarte Sichtnuancen wirflich heworragenbe« 0*ofee« ©Bert
,,©n ber $onau". Um bie ,,©t. ©epomuf=©tatue bei ©aljburg" weife Seo Oteiffenftein
ein fchöne« ©tüd gut gefehener unb farbenfräftig wiebergegebener 9tetur glüdlich
ju bannen, ©ie befriebigt mehr al« ba« Sanbfchaftliche in ben ©ilbern be« auf ben
©Wiener ©uSftellungen fonft meift recht annehmbar oertretenen ©rager« ©nt fcubcöef,
objwar über benfelben oiel poetifcher hauch liegt, ber aber in bem „©benb" burch
©tumpfheit ber garbe etwa« oerlievt, weil lefttere nicht fo fchr bie ©benbftimmung
erreicht, fonbern h«^abbrüdt Q[n ber „©fpche" wie im „©Ifentanj" bringt er bie
©eftalten, bie für ba« ©ilb gar nicht« ju fagen haben unb ebenjo gut fehlen fönnten,
nicht über eine fdjablonenhafte ©ofe hinau«. ©buarb ©eith’« 9taturempfinbung tritt
im „herbftbeginn" ganj annehmbar jutage; ©bolf $>itfcheiner wählt für feine ©ilber
©lotioe au« ber ©egenb oon $rai«mauer unb Sanglebarit unb erfchliefet fehr
anfprechenb bie fReije ber fceitnat; ihnen geht auch ©buarb 3*tfche, 5. ©. in feinem
©ilbe ,,©u« ©tein a. b. $on'au", in ben ©totioen ,,©u« bem ©Balöoiertel" unb
,,©ei Sichtenwörth" oerftänbniSooll nach- $a« ©ilbni« war ziemlich gut oertreten.
©ochwal«fi hat fowohl ben ©rafen ftojiebrobjfi, al« auch ben ehemaligen ©tinifter
9Jtabep«fi lebenswahr charafterifiert; beSgleidjen ftellte SäSjlö Süchtige« bei, fo bie
©orträt« 3b*er fönigl. ftoheit ber ©rbprinjeffin oon £>ohenjollern °bcr ber ©räfin
©fefonic«, währenb ba« fehr conoentionelle ©ilbni« be« ©rafen frarrach im $oifon*
Ornate oon S’©Uemanb ganj falt läfSt unb mehr ein IHepräfentationSftüd al« eine
Äunftleiftung bleibt. 3öeit roirfungSooller präfentiert fich ba ba« ©elbftporträt be«
flrafauer SJtoler« 3ofef iütencina &r&e«i. Über ©lätte ber ©ehanblung gehen bie
©ilbniffe oon llarl gröfchl unb 91. o. ©lehoffer nicht hinau«; fie tonnen burch bie
©rt ihrer ©uffaffung für bie betreffenben ©erfönlichfeiten faum einige« Qntereffe
erweden. ©iel beffec gelingt bie« grau 9Jtarie SRofenthal*!patfchef, beren ÜJtänner*
bilbni« neuerlich ba« tüchtige können ber ftünftlerin bezeugt, ©tarf an ba« ©orträt*
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Qofeph Aeuwirtß.
artige ftreifen einige AepräfentationSbilber, wie bie „Zröffjtung beS Beroborfer
Äaifer Sranj Qofeph’XheaterS am 27. ©eptember 1899" non §anS Xernple, ber
„Befuch ©r. 9Jtajeftät beS ftaiferS bei §errn Arthur Ärupp in Bernborf 44 non
Aubolf ©rooboba unb bie „Jpulbiguttg ber Söaibmänner ÖfterreidjS" non 3P0ntunt
Ajbufiewtq, ber außer einer Anjahl non Borträtftubien auch bie Bilbniffe
ber ©rjtjerjoge ftranj SJerbinanb non Öfterreid^Zfte unb Qranj ©aloator
auSgefteHt hatte. Die Ausführung folcher, beftimmten fteierlicfyfeiten geltenber 2Berfe
fteüt an ben Äiinftler hohe Anforberungen in ber Befchränfung feiner (Eigenart,
auf bie eS bem Auftraggeber roeniger anfommt, als auf eine möglichft bilbniStreue,
rein äußerliche Aneinanbetreihung ber Qefttheilnehmer. öeßtere mag in ben genannten
brei Söerlen immerhin fo weit erreicht fein, um mäßigen Anfpriichen $u genügen,
aber e$ fteeft in ihnen fooiel ©teifheit unb Xrocfenheit ber DarfteHungSweife, bafS
baran bie Cebenbigfeit ber Bewegung faft erftidt. Derfelben bürfen auch Borwürfe,
benen bie Beobachtung eines gewiffen Zeremoniells beftimmte ©renjen jieht, niemals
entrathen. Qe beffer ber üfteifter ben ©tanbpunlt fünftlerifcher Freiheit mit einer
folgen Aiidftchtnahme $u oereinen roeiß, um fo größer tuirb bie Söitfung feiner
Arbeit fern. 2Bte haben hoch bie Ateifter anberer 3etten unb Böller ähnliche Borgänge
IcbenSooll wiebergegeben! ©o lange unfere Zünftler ftch nicht ju ihrer Auffaffung
befennen, werben ihre oielfach anS ©chablonenhafte ftreifenben 3eüfchilberungen
immer abfaüen. @an§ BortrefflicheS bieten bagegen bie fleinen BorträtS oon Qftbor
Kaufmann, ber ben armen polnifchen Quben auf ben ©runb ber ©eele fieht, ftch in
bie ooüe Zrfaffung beS QnbioibuumS oertieft unb bei feiner Darftellung ftch perfönlich
erioärmt. Den Xgpen beS Söienet BolfSlebenS wenbet ftch £)anS Sarwin mit ©lud
$u; ebenfo intereffierle ©eilet burch Socalcolorit in feinem „Aachmittag ber Bfuigft*
tooche im Brater $u 2öien" unb in einer „BJiener DJtorltfcene." Auf benfelben Boben
führte Zarl Bippich mit feinem „ftarlSplafc 44 unb „©chwarjenbergplafe", bem „Bart*
ring 14 unb „Aafchmarft 4 ' in ©ien ober mit feiner „Demolierung ber Qran$ QofepßS*
Äaferne". AicolauS ©chattenftein läf^t unS auf einem inS Zigenthum beS^rafauer
AationalntufeumS übergegangenen 9Berfe fogar einen Blid „Qn Untersuchungshaft' 4
thun, in welcher bie Berhafteten mit ©chachfpielen ftch bie 3eit oertreiben.
Qu ber ©ruppe ber Blaftif, in welcher Qoßann Ben! mit ben Borträt’
büften beS BaronS Bejecnp unb beS §>ofratßeS Brofeffor föapoft oertreten war,
feffelte Aktiver A. o. £>opfgartner burch bie ©ipSgruppe „Samia", bei welcher
namentlich ber fchöne Änabenförper oortrefflich gelungen ift. „OrefteS" unb ein
„Qrrfinniger" oon Anfelm 3in3ler oerriethen feine Beobachtung beS ©eelenlebenS;
§anS Bitterlich charatterifterte in ber im Aufträge ber Zommune SBien für bie
Barifer 2öeltauSftellung auSgefithrten Atarmorbüfte feinen „©riöparjer" ein wenig
§u fehr bureaulratifch. Süchtige Borträtbüften waren oon Aidjarb föauffungen bei-
geiteüt. Die Arbeiten ber Zifeleure unb AtebaiÜeure boten faft ausnahmslos
Beachtenswertes unb hielten ftch auf ber fröbe beS AufeS, beffen biefer $unft*weig
ftch mit Aecht erfreut. Die SAeifterfchaft Aubolf AtarfchalTS trat namentlich in ben
Bronjeplaguetten mit ben BorträtS ©r. Atajeftät beS ftaijerS unb beS ©chriftfteHerS
ÄarlweiS jutage. ©charff traf in einer Denfmünje ben $opf öeS um bie görberung
beS AMener ÄunftlebenS hochoerbieuten AicolauS Duntba ungemein lebenswahr.
Die Bronjegebenltafel jur Zrintterung an bie Zinweihung beS XheaterS tn Bernborf,
welche für £>errn Arthur ftrupp auSgeführt würbe, entbehrt auch in bem oon Aubolf
Bernt ftamntenben architeltonifch'becoratioen Aufbau beS höheren ßunftwerteS. granj
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dfiiener ftunftleben (Jänner bis 3uli 1901).
63
©arolif jeigte feine ©ielfeitigfeit in einem gefchmadood auSgeroählten Tableau mit
©ufS* unb ©rägemebaiden. ©eter ©reithut'S ©ronjeplaquetten „Porträt" unb
„dlutomobilclub" reiften ftch in biefe ©ruppe Dodfommen gleichwertig ein.
dRit ©efriebigung fei hetnorgehoben, bafS auch bie dlrchitefturftubien unb
©ntroürfe bieSmal etroaS mehr ©lafc fanben als fonft unb manches ^ ntcrc ff ante
enthielten. dlra augenfädigften roar ber ©oncurrenjentrourf oon SRubolf $>id für
eine Uninerfität in ©alifornien. ©in grober 3ug geht burch baS ©an$e, beffen
©injelbeiten jebodj nicht burchroegS gleichmäfeig gelöst ftnb. fjranj Freiherr ü. Traufe
unb 3[ofepb $ölf, döilhelm Qelinet, dRaj Regele, $arl unb Julius dRapreber, Heinrich
döolf, CSfar Reumann, Arthur ©aron, $atl $rod unb dllfreb ©aftedij erbrachten
ben ©eroeiS, bafS eS noch eine ftatlicbe dteibe oon dlrchiteften gibt, melcbe nicht
jäh mit ader Überlieferung brechen, ohne babei gefdpnadloS jebe ©erüdfichtigung
mobemer ©eftrebungen abjulebnen. döie immer, feffelte dlnton Söeber burch eine
tlnjahl oon ©ntroürfen, bte roieber für fein feines ©titoerftänbniS fprachen.
6 o tonnten bie in ber 28. ^ahreSauSftedung beS ftünftlerhaufeS oertretenen
öfterreichifchen dReifter neben ber sehnten ©ecefftonS»dluSftedung auf aden ©ebieten
mit ©hren beftehen, roenn auch feines ihrer döerte eine öffentliche $iScuffton he*'
norrief, roelcbe fo Diel dluffehen erregte, roie bie burch Älimt’S „dRebicin" DeranlafSte.
5)ie ÄünftIerhauS*dluSftedung enthielt aber neben ber öfterreichifchen dlbtheilung, bie
bei einer gröberen ©efchloffenheit ber dlnorbnung roohl noch etroaS nachbrüdlicher
jur ©eltung gefommen märe, gar manche ©djöpfung auSlänbifcher ft'ünftler, oor
melcher man gerne oerroeilte.
©S mar ein lobenSroerter ©ebanfe, ber ©rinnerung an dlrnolb ©ödlin eine
Vorführung einer gröberen dlnjahl feiner döerte ju roibmen. öeiber lieb ftch bei
ber Äürje ber 3eit unb bei ber ablehnenben fcaltung einiger ©ilbeigenthümer nicht
gerabe Diel sufammenbringen. dlber unter ben jehn ©ödlin-Vilbern roar immerhin
fo oiel ^ntereffanteS, bafS baS ©ödlin*©abinet ein beionberer WnsiehungS^
punft ber ftünftlerhauS - dluSftedung mürbe, ©raf ßarl fiandoronSft hätte in
befannter liebenSroiirbiger 3uDortommenheit auS feinem reichen Shtnftbefi&e einen
„Triton" beigeftedt, ber ju ben föftlichften dReereSbilbern ©ödlin’S jählt. 3>tt ihnen
hat befanntlich ber dReifter theilrceife baS ©efte feiner felbft gegeben. dluch hier hat
er bie ©inöbe unb baS ©raufen beS dReereS, über roelcbe ber behaglich auf ber
Klippe boefenbe Triton bie klänge feines dRufchelborneS hin&iehen läfst, granbioS jur
S)arftedung gebracht. $>te phantaftifch*frohe föünftlerlaune fpricht nicht minber aus
bem w 3fifchenben ©an" unb bem „über einen dlbgrunb fpringenben ©entaurenpaare",
bie aderbingS bem „Triton" nicht gleichfommen. Qn bie ©vuppe ber non ©ödlin
fo oft unb gerne gebrachten ©iden am dReere gehört bie „IRuine am dReere" (int
©eftfce ron ©h- ^h<Wh in döien), su beren triibfeliger dRonumentalität bie ganje
Sanbfchaft in einer rounbetbar hetben ©trenge roirtungSoodft geftiinmt iit. dBelch’
©egenfafe ber dluffaffung ju biefem döerte fpiegelt ftch in ber reijenben „FritbltngShpmite"
(©igenthum beS $>r. o. ©leichroeber in ©erlin) mit ihrer anjiehenben Farbenpracht, in
ber roirfüch ein ganjeS ^ubellieb beS SenjeS erflingt! frier jeigt ftch ber ©olorift
©ödlin ebenfo poefteood, als technifch grofe. dBieber ein anberer ©eift geht burch bie
2 )r. ©arnid fieberet in dfiien gehörige „Cleopatra", beren 3üge jenen ber ©attin
beS Zünftlers entlehnt ftnb; auf ihnen liegt ber ©chatten beS SobeS, auf beffen
^etannaben foroohl ber gleifchton, als auch bie um baS Jpanbgelenf ringelnbe
©chlange hinbeutet. 3« noder ©röge erhebt ftch ©ödltn, beffen jroei ©orträts Dom
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Qofepß ateuwirtß.
Stanbpunfte wirtlicher 5Mlbni$meifterf<ßaft recht mittelmäßig genannt werben tonnten
in feinem lefeten Söerte „‘Der Ävieg". ©S tßut bem Söerte ber Schöpfung feinen
©intrag, baf« e« in ber Sluffajfung mit ben berühmten apofalpptifcßen Weitern
Dürer’« ließ eigentlich naße berührt. 2luf einer dRäßre, an beren ftalfe bie ba«
Unheil einläutenbe Schede baumelt, jagt ber orbengefchmücfte Tobe«fcßnitter mit ber
Senfe einher; ihm folgen bie himmelftürmenbe 2Butß unb bie rüdficbt«lo« brein-
fchlagenbe 3etftörung. Sie braufen über ber in grühling«pracht flebetteten Stabt
baßm, beren aßnung«lofe 93ewoßner unb dBoßlftanb ihrem erbarmung«lofen Witte
jurn Opfer faden foden. Die dßtrfung be« ©anjen ift jweifello« bebeutenber, al«
auf bem befannten Söiibe Stud’« in ber dJlünchener *Binatotßef, mit welchem ein
Vergleich ftdh gerabeju aufbrängt. SBödlin’« Wcitertriad oertörpert oiel gewaltiger bie
Seben unb SBefiß oerßeerenben döirf ungen ber ©eißel ber dRenfcßbeit, ob$war bie
garbenbeßanblung oon einer gewiffen Wo^eit nicht frei ift, bie freilich gerabe hier
non bem dRcifter mit aibficßt in ben Dienft be« ©an$en geftedt fein mag. Selbft bei
ber geringen dlnjaßl ber in recht befchränfter 3eit auftreibbaren döerfe mar ©ödlin
im döiener Äünftlerßaufe immerhin gerabe nach ben charafteriftifchen Seiten feiner
Tßätigfeit berart oertreten, baf« jebem 53efucßer tlar werben tonnte, wie niel unfere
3eit mit bem Heimgänge be« dReifter« oerloren.
dReßr burch bie ©efchloffenheit be« 'Auftreten«, al« burch einige ganj befonber«
heroorragenbe Silber wirften bie StarlSrußer, beren SReicßthum an Sanbfcßafteu ftch
über brei Säle nerbreitete, aber feineSweg« überad burch bie dRacßt be« dRotioe«
unb feiner dJeßanblung fo ju feffeln oermoeßte, bafS nicht ab unb $u eine gewiffe
©intönigfeit empfunben würbe, ©uftao Scßönleber befchränft fieß nicht nur auf bie
jutraulicße dlnmutß feßwäbiießer Stäbtcßen mit ißren laufcßigen ©affen unb döinfeln,
fonbern gebt auch ben Weiten Italien« unb anberer Sänber offenen ^ölideö unb
mit farbenfießerer §anb nach; in ber dßiebergabe baßinfeßießenben döaffer« entfaltet
er eine befonbere DReifterfcßaft, bie dtebelftiminungen gleich feinfühlig gerecht wirb,
©r ift bie bebeutenbfte unb ftärffte Straft ber ftavl«rußer, neben welcher £xm« n.
SSolfmann, griebrieß $admorgen, gran$ £>ein, dlbolf Sunfe, dRay Sieber ließ in
norberfter Weiße ju behaupten wiffen. S3iel Temperament entfaltet Albert ftaueifen
befonber« in ber „&eimfeßr oor bem ©eroitter". Die Seiftungen ber $arl«rußer
Damen ^öertßa dBelte, ©milie Stephan, Jpelene Stroineper überragen bureßweg« nießt
ba« dRittelmaß unb fönnten ganj feßlen, oßne baf« ber ©inbrud, beu bie SBerfe
ber für bie ^Beurteilung ber StarlSrußer ©ruppe in Söetracßt tommenben dReifter
ßeroorrufen, irgenb eine beträchtliche ©inbuße erleiben würbe. Angeficßt« ber fonftigen
güde ber ÄarlSrußer wäre ber Aerjicßt auf Dinge, bie ja recht nett au$gefüßrt
finb, bariiber hinauf jeboeß nießt« SBefonbere« $u jagen ßabeit, niemanbem feßwer
gefaden.
Die 3Borp«weber fteinr. Vogeler, Otto dRoberjoßn, £>an« Am ©nbe unb grifc
Ooerbed waren wie immer feßr oortßeilßaft oertreten, Auch AMdp framaeßer erwarb fieß
neue greunbe. Ant. o. döerner’« 53ilb „ftaifer aöilßelm I. bei ben Sicßterfelber ©abetten"
erßebt fteß in nießt« über bie oben befproebenen döerfe Temple’«, Swoboba« unb Ajbu«
fiewicj’, fonbern bleibt oielmeßr hinter biefen fünftlerifcß feineöweg« erfreulichen Darbie¬
tungen noeß um ein gut Stüd juri’td; ißni mangelt bie lebenbige SBejießung ber ©injel-
ßeiten jueinanber unb compofttionede Abrunbung faft ebenfo, wie wirf ließ ntalerifcße
©mpfinbung, bie mit ber 3«t ju gehen weiß, oßne baf« fie irgenb welche gewagte
Seitenfprünge mitjumaeßen braucht, gür bie ©ruppe ber berliner dReifter ßaben
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SBiener Kunftleben (Sänner bi« 9fali 1901).
31. Tormann, (Srnft Otto, £>ugo $ogel, @rnft ftauSmann, 3rranj 33ombach, ®ugen
©rächt, 3Ufreb Scherte«, ©mft £>ilbebranb u. 31. manch’ gute« ©ilb bcigcftcucrt;
ab unb ju märe eine ^armonifebere ^fatbinäufammenftimmung ermiinfebt, bie ©ortrag«*
barten ju meiben nerfieht. Sehr lebenbig geftaltet JÖUhelm Kuhnert feine nor einem
Steppenbranbe fliichtenben ©lephanten, bie bem ihnen auf bem f3rufee folgenben
©erbetben gemiffermaben mit uofler ©rfenntni« ber ©efährlichfeit ber Situation ju
enteilen ftreben. Die SBucht be« Dahinftürmen« be« entfeffelten (Elemente«, wie ber
geängftigten Xbiere padt unmitlfürlich. ©aul ütteperheim’S „Umjug ber Kunftreiter"
hält mirfung«noll lebenswahre $ppen feft. Die „Jpaibelanbfchaft" unb „©öhmerlanb"
non bem ©tünchener (ShatleS 3. ©almiö, beffen „£>auS im SBalbe" ungemein an*
heimelt, foroie ber „©irfenmalb", bie „3Ute ÜJiü^lc" unb ber „©uchenmalb" non ©eter
©aul 2RüHer wetteifern miteinanber in ber Darbietung feinfmnig abgelaufcbter lanb*
fchaftlicher Schönheit. ©ier Porträt« non Senbach’S §anb, unter roelcben ber ©erfön*
licbfeit nach baS beS §ofratheS Dt. Dbeobor ©omperj am meiften feffeln mochte,
im Kunftmerte aber nicht baS bebeutenbfte mar, jeigten auf« neue manche« non
be« ©teifterS belannten ©orjiigen. Ulpiano« ©heca’S „&er Untergang Pompeji« 4 ' ift
in feinen Dimenfionen ein grobe« ©ilb, beffen fünftlerifcber Inhalt trofe einer
anfehnlithen 3rülle non ©totinen un« metfmürbig wenig fagt. Sie mürbe für eine
monumentale ©efchichtSbarftellung non fo padenber ©raufigfeit noU au«reichen, roenn
fte mit weniger theatralifcher Hohlheit behanbelt wäre.
Die 3lu«ftellung im Künftlerhaufe war reich in greifen bebacht. 3Iubet bem
für weitere fünf bewilligten Kaiferpretfe non 400 Ducatm für einen öfter*
reichifchen Zünftler unb brei Karl &tbwigS*©tobaiüen, bie bem Karlsruher Schönleber,
©ochmalSti unb ©aul ^oanowitS juftelen, tarnen nächft ben groben unb flehten
golbenen StaatSmebaillen ber ökichel = KünftlerpreiS non 3200 Kronen, jmei nom
Sruchfef« 0rtib Dobner n. Dobenau gewibmete ©hrenpreife non je 1000 Kronen, ein
gleich hoher KönigSmarter * ©reis unb ber ©rei« non 20 Kronen non ber Schüfcen=
gilbe ber 3Biener Künftlergenoffenfchaft felbft jur ©ergebung.
(Sdjfaf« im n&djften $eft.)
%\t Jlultur. UI. Salto, l. $eft. (1901.)
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9tad)bni(f verboten.
Der Uerrätber.
Bonrllr mm <E. fr. Ijanfr t l-TOaf f rUt.
Si ceciderit lignuiu ad anstrum aut
ad aquilonem, in quooumque loco ceci
derit, ibi erit. (Eccl. XI. 3.)
§err, erbarme $)icb meiner!"
2)aS ift 9Jtario Salentini, ber ©omöbienfpieler aus SoScana, julegt ©ecretär beS
englifcben Sltbeiften 3Jtoc ©nboll, ber feinen £>errn in Serlin nerratben bat an bie
eoangelifcbe ©pnobe, uerratben bis aufs Slut, oerratben bis auf ©trang unb ©cbn> er
baS ift 2Rario Salentini, ber ba im ©cblattmannbauS gegenüber bem ©driften
ffgt, bie beifee ©tirne in beibe JQänbe oergraben, bie trüppelbafte Sruft an bie $nie
gebrüdt, betenb: „O £>err, erbarme $)icb meiner!"
Unten auf ber ©trage lärmt bie taufenbföpffge 2Jlenge, beren SButb er nur
burtb ein Söunber entfommen ift, unb roenn aus bem roilben ©timmengemirr
ein 9tame bewwffcblägt, hält er geh feie ©tim fefter unb betet er lauter: „£>err
erbarme 3)icb meiner!"
55>ie aHernäcbfte ©efabr ift jroar norbei; aber ber XobeSfdjrecfen liegt ibm
non früher noch in ben ©liebem, unb barum betet er.
©tbredlicb roar’S. 2Bie er nom ©cbroanen tommenb, norm fHatbbciufe, barin
fein nerralbener §err bie Folter litt, auSfcbroagte — oerbammter SBein! —, bafS
er feinen frerrn auS JpafS unb ni<bt auS (briftlicbem ©ifer überliefert unb bieS unb
baS auf ibn gelogen hätte; bie Seute hörend; ftarre ©egcbter — groge klugen
bann plöglicb.
Salentini fcgüttelt geh,' feilte £>aut riefelt, als ftünbe neben ihm ber Xob.
.... $ann plöglicb febrie baS rotbe ÜJtäbcben mit burebbringenber ©timme:
$)u! $)u! S)u ©eburfe, 3)u! £>u! $)aS Stäbchen! $ein Stäbchen, eine fRacbegöttin,
ein trompetenblafenber ©eridjtSengel! — ©r mar mit einmal nüchtern. „2BaS bab"
ich gefagt? 3$ bab’ nichts gefagt!" Unb auf unb fort wollte er — aber brei, fünf
geben Männer, eine ganje SJieute fegte ihm nach, hegte ihn bie ©panbauifebe ©trage
hinauf, o £>err, erbarme $>icb! ßraft unb 2ltbem oerliegen ihn febon, ba fügt eS
©ott, bafS aus ber $lanberSgaffe ein 2Bagen jroifeben ign unb feine Verfolger
fährt; er ftürjt blinblingS in’S näcbftbefte offene $b°*i hört bie milbe $$agb oorbei*
rafen, banft ©ott für feine Rettung, unb fobalb ihm bie aitternben Seine roieber
parieren, lauft er ©tiegen auf unb auf bis unter 3)acb in eine ftammer, wo Stiften
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S)er 93errätber.
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unb Saften, ©triefe unb ©tränge, aüerbanb Srarn beifantmen ift, fefct ftd^ ba in
einem 2öinfel auf einer Sifte nieber unb rebet ft<^ uor, baf« er lachen fann, roeil’« noch
fo roobl geraden bat.
2Benn er nur lacben f ö n n t e! 2öiü er lo«lacben, fo hört er uon ber ©trafje au«
bem Särm beutlicb feinen tarnen, unb bann fommt ibm roieber ba« 3itt cr it unb
ba« SBeten.
©« fängt an ibn ju rourmen, unb er rebet ft<b ju: »Via coraggio! SBeffer
fte fluchen bir brunten, al« jie fueben bicb b^oben unb b«uf«n bicb. Fandonie!
9©ofür roollten fte mich benfen? 2Ba« ift meine ©ünbe gegen feine? $a« bi«eben,
roa« ieb auf ibn gelogen habe, trägt’« nicht au«; bie £>auptfcbulb, berentroegen er
f erben muf«, bie bab’ nicht ich auf ihn gelogen, bie febrour ficb ber 9torr felbft auf
fein fcaupt mit feinem bintroütbigen: Deum non esse probo. — Um ba« muf« er
fterben, unb ba« freut mich ... SJreut mich!" fnirfebte ber ÜJtenfcb, febier roütbenb,
baf« ihm'« nicht t>om §erjen fam. „Ober foH ich uieüeicbt meinen, menn ber ju
©runbe gebt, ber jroifeben mir unb meiner Siebe ftanb?" — Siebe! ©ehr gut!
9ln bie Siebe benfen, fo fommt ber $af« oon felbft. ©r benft unb benft.
O $)u ^abr ftebjebnbunbertfteben!
$>a fuhr gtanebeftin mit feiner Gruppe oon ^Jari«, roo fte im föniglicben
©ebaufpiel agiert batten, über ben ©anal unb gab 93orfteüungen in Sonbon unb bec
Umgegend SBalentini fpielte bie ©öferoiebter, feine ©eliebte 3foarb mit ber göttlich
fcblanfen Taille bie fenthnentalen fcelbinnen. 33on fVrogmore famen fte auf ba«
©cblof« be« 9Iuguftu« SJtac ©nboH, eine« neugebaefenen ©beimanne« in ber ©raffebaft
©urrep.
2>ie §alle ift grob unb htftig* uott 2Bacb«ferjen unb Sampen erleuchtet, bie
3ufcbauerfcbaft ftnb bei breifjig febmarje Herren oon ber Sonboner Slfabemie unb
eine roeifee 3)ame.
O roeifce $ame! O roeifee Xaube! 3b r 9lntlift mar roeife roie Silien, auf bie
bie SJtorpenfonne febeint, ihr staden unb ihre fcänbe roaren roeifj roie 9Ilabafter;
fte batte fein fleifcblicbe« Srleifcb, fonbem eine« au« ^ö^ercr ©ubftanj. 3b rc S>aare
bufteten unb flimmerten unter bem *Jhtber; jroei fleine Söddjen füf«ten ihre ©tivn
— roelcbe klugen! Sich, unb ba« ©rübeben im Sinn.
2luf bem Skater agierten fte Jartuffe.
*Et si vous condamnez l’aveu que je vous fais,
Vous devez vous en prendre ä vos charmants attraits.
D£s que j’en vis briller la splendeur, plus qu’ humaine,
De mon intärieur vous fütes souveraine.«
S3alentini* Xartuffe fagt e« ju feiner Partnerin Qfoarb, aber er meint e« roeber
ihr, noch ©Imire, fonbem ber roeifeen $>ame im ^arfett. Unb er empfinbet ein rotlbe«
©äbrot 33lute«, roie ber OJtonn, ber neben ihr ftfct, ben 9lrm auf ihre ©tubllebne
legt. $)er 9Jtonn ift ber §err be« Jpaufe«, unb bie $)ame ift feine grau, eine ©räfin
au« ^reufeenlanb. O roei&e $ame! ©ie ift bie Unfdjulb felbft, unb ift boeb an allem
fcbulb. ©ie ift febulb, baf« Salentini ben Xartuffe, in ber 2Sutb feiner neuen Siebe,
bie ihn roie ein fliegenbe« gieber überfallen bat, fo paffioniert fpielt, roie noch nie;
fo au«gejeicbnet, baf« ihn ber £>err be« £>aufe« nach bem ©piel ju ftcb befebeibet
unb ihn mit einem ÜJtäcenatenläcbeln fragt, ob er nicht Suft hätte, für immer auf
bem ©cblof« ju bleiben — al« Seibcotnicu«, Sammerbuffo — ber 9tame tbäte nicht«
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©. o. £>anbel*2Jtajjetti.
jur ©athe; fie ift fchulb, bafS ©alentini auf bem Schlöffe bleibt, wiewohl ibm fein
©ewiffen — er batte barnalS noch eins — faßt, bafS er hier mehr fünbigen wirb
in ©ebanlen, als er mit ber 3foarb in ber $hat gefünbigt.
Üftabonna, 3hr, 3h r fetb an allem fcbulb. 9Benn 3br nicht oon mir geliebt
fein wolltet, warum warb 3b r benn fo fcbön? 9tein! stiebt 3$r feib fcbulb an allem,
ber anbere ift fcbulb. 2Benn er nicht gewefen wäre — b^lige ©taria! fo hätte ich
Such ja befifeen bürfen.
0 3> a b r ftebjebnbunbertnnbneben!
©ie fifct auf bem ©aal mit einer Arbeit. ©S ift eine Xapifferie, ein tleiner
2lmot, für ihren fterrn. 3b re fcanb fliegt emfig auf unb nieber, ihr ©efidjt ift
etwas erbibt non ber Arbeit, unb fcbön! $)ie ©cbeeve fällt ihr biaunter. 3b r $err
fibt neben ihr, liest, — ber ©life foll ihn erfragen! — rührt ftch nicht. ©alentini fpringt
nach ber ©cbeere. ÜJttt einem bolbfeligen Sächeln, einem fächeln, wie’S fein ©taler
malen fönnte, nimmt fie bie ©cbeere. »Grazia!« — »Grazie«, corrigiert ihr §err. Statut
lacht er unb meint, fie follte itaüenifcb lernen — bei feinem gamuluS ©alentini.
9tun weife ©alentini hoch, woju er in $oScana geboren ift unb nicht in SIftrachan.
StafS er fie baS ©erb amare lehren fann, barum ift er in XoScana geboren.
©ie ftnb mitfammen allein. 9tur ihr Stnabe ift noch ba; ber fpielt beim genfter
mit ihrem Papagei. ©alentini lehrt ihr baS ©erb amare conjugieren unb glüht fie
babei mit feigen ©liefen an, bie fie oerftehen mufS, ift fie nicht ein pures &inb.
9lber fie ift ein ßinb unb oerfteht ihn nicht. Ober ift’S nielleicht, bafS fie ihn wegen
feiner ÜRifSgeftalt barmherjig nicht nerftehen will? »Io amo — il mio caro
Agosto«, conjugiert fie unb lacht baju, — lacht wie ein ßinb, baS einen häfSlichen
©ogel im ©piel tobtbrüdt. 3>er ©ogel ift fein armes §erj.
©ie quält ihn öfters fo, ohne etwas ©öfeS ju meinen. 2>enn in baS üebfte
unb füfeefte ©eplauber, baS in feiner ©ruft bange 2Bolluft weeft, bringt Tie ben
©tann hinein, ben er h a fSt unb ben er erwürgen möchte, fürchtete er nicht, baburch
auch fie ju tobten. — ©Uft über ihn! — Stommt er herein in feinem frelbenfchritt,
fchaut er, ben 9lrm auf ihre ©tuhllehne gelegt, in ihre ©üdjer — ben Slrm auf ber
©tuhUehne, mehr erlaubt er fi<h nie.©life über ihn! ©inmal nur hat er fie
gefüfst; als er fie in Xhränen unb ben Sehrer halbrafenb oor Söuth über bie
fehlerhafte ©onftruction ihres ©chulfafeeS: »Anzi il mio Agosto £ il mio paradiso«
fanb. »Bisogna studiare di piü«, fagte er bamalS ju ihr, unb jum fiehrer: »Si
vyole pazienza«.
S)u haft gut reben, bu ©atan! Pazienza! Qa, pazienza! ©tunben in deiner
©chreibftube fifeen, nicht wahr, unb 3)eine hirnoerbrannten ©peculationen bictanbo*
fchreiben, unb baneben fchlägt fie mit jarten Ringern ©laoecpmbel unb fingt
bie neue galante 9lrietta, bie in ihrem ÜJtunb ein ©itgelhpmnuS wirb:
„§at Staoib felbft, ber weltberufne Krieger,
©S benen Söeibem nicht oerbacht —"
unb bafS £>u bann, wenn $)u bie geber in ber §anb beS armen ©chreiberS jittem
fiehft, üieüeicbt noch fragft: „©alentini, ftört 2)ich bie ©tufif?"
©inmal haben fie ©efellfchaft auf bem ©chloffe, oiele ©eiehrte unb auch
fchöne grauen, ©alentini fagt feiner Herrin bei £ifch unter ber ©lume eines ©onettS,
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3)er Serräther.
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bafS Re bie ©chönfte ift r unb bafS er Re liebt, ©ie blicft ihn beftürjt an, aber ber
§err ©emahl finbet ben 93erS aderliebft unb lacht fte aus ihrer SBerlegenheit heraus,
©r fennt leinen Argroohn unb feine ©iferfucht; als ihr dtalph $horeSbg, ber ©ebidjte
auf fte machte, ba$ ©ürtelbanb füfSte, lachte er auch, dtalph ühoreSbp, ber
Königin ®hinxrg, ein AboniS; roaS ift benn S3alentini! ©chon fein Söucfel bringt ihn
auRer {frage.
O $a\)x ftebjehnhunbertunbfteben! ©S roar hoch Rhön ba$ %af)x, trofc adern
SiebeSelenb. Jperr ©ott, roie ganj anberS elenb rourbetr feitbem!
$urch’S 93obenfenfter beS ©chlattmannhaufeS fchaut ein roilber, Rhroarjer Fimmel
herein. $ie ©onne hat Reh hinter Rhroeren SBolfen oerfteeft. O Souife 3frieberifa,
meine ©onne, auch 3)u giengft unter!
3b*e ©tunbe fam, oon ber fte nimmer genefen fodte. ©edjS Wonate, fechsehn
Wonate, jroei 3abre Recht Re bahin. Oft fgleicht 93alentini an ihre $biir, hordR*
hört Re ftöhnen ober Rhroächlich haften; oft roirft er Reh oor ihrer $hürRhroede hin
unb füfSt ben Söoben. ©inft trifft ihn fo ihr Wann unb fragt ihn freunblich, ob
er etroaS oerloren hat
2)er arme SBalentini hat ihr ©chmeraenSjimmer nur roenige Wale betreten
bürfen. ©inmal, roo er ihr oon ber dteife unb ben feltfamen Abenteuern ihres fleinen
Fünfers Bericht abftatten mufSte. ©efpannt auf ben ©Ibogen emporgerichtet, laufcht
Re feinen döorten. ©o oerfaden Re auSReht mit ben bunfelumranbeten Augen,
eingefadenen SBangen, tobtenhaft oortretenben 3ähnen, fo ift Re bo<h noch immer
fchön; Rhöner als bie rotben ©öttinnen, bie Reh auf ber geioirften Tapete hinter ihr
mit ihren rohen Rieten brüften.
„$)anf, lieber iperr 93alentini, für ©ure ©utheit gegen meinen jungen", fpricht
Re leife unb fährt ihm mit ber franb über bi e gßonge, auf bie ihn laut feinem Bericht
ba$ $inb gefüfSt hat. ©ie meint’S bem $inb, aber in ihm Rammt bie Regier rafenb
auf, unb jeöt ift’S gut, bafS ihr Wann ins 3intmer fommt unb ben SSalentini mit
feinem gnäbigen „©ebreiben mir jefct" erinnert, bafS SSalentini nichts ift, als ein
Gebienter ©einer ©naben.
3mei Wonate barauf mufS ber SBebiente ©einer ©naben in ber §ade bei
ben Afabemifern auShalten, bie oom fleinen datier unb groben IpomeruS fchroafcen,
inbeS brüben bie frerrin ftirbt.
Unb rooran ftirbt Re? 3)er $8lifc fod ihn erRhlagen! An ihrer Siebe ju ihm,
an feinem $uffe. — — - — — — — — — —— — — — —
3)a iR er, ber echte, rechte toScaniRhe £>afS, fchlägt burch mie ber ^ßulS breier
fräftiger Wänner, unb ba ift bie rechte fataniRhe Suft am Rtacheroerf. ©terben muf*
er jefct, roie ein döurm, ber ©rhabene; unb eS gef dReht ihm recht unb eS freut mich...
Orür bte dtache habe ich gelebt, fod Re mich reuen? 5SaS roäre ich für ein Wann?
§ab mir bie dtad&e fauer roerben laffen. ©r benft unb benft. — ©S Raub ihm ja
nach ihrem Xobe frei, fein oorigeS 3i0eunerleben roieber anjufangen, Reh eine neue
Siebe ju fuchen; er that’S nicht; er blieb bei ihrem Wann, ©r froch oor ihm unb
biente ihm mit bem inbrünftigen dßunfehe, ihm einmal Rhroer ju fchaben. ©r fchrieb
ihm feine ©chartefen unermüblüh ab, er machte ihm ben SfteifemarRhad, ben Kammer*
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70
E. o. &anbet*üWajsctti.
bicner unb 93ertrauten. $er §err fdjrour nicht ^ö^cr al« bei feiner Ergebenheit
unb Xreue. Unb ber Xveuergebene Heibete ben fcerrn feinen Xag an ober au«, er
überlegte benn, roo an feinem ßeib bie angemeffenfte Stelle für einen Xobe«ftich
märe; er beflieg auf ber Weife fein Schiff unb feinen Xburm mit ihm, er buchte
benn, ihn §u ertränfen ober in bie $iefe ju flogen; er hatte taufenb meuchlerifche
*ßläne, unb baf« er fech« Monate oerftreichen lieg, ohne einen einzigen au«juführen,
ba« fam einzig baoon, baf« ihm gegen feinen 2Biflen bie unfchulbigen ftinber jene«
ÜHenfchen erbarmten; ber blonbe Änabe jumal, ber immer roieber mit feiner halben
SWutter Stimme ben SRacheteufel in Stolentini’« 93ruft einfehläferte.
9Iber ber böfe ©eift mar ftarf unb machte allemal roieber auf. Einmal, um
nimmer einjufchlafen. $)a« roar bahier in Berlin. $>er £>err hatte burdj allerlei
tugenbhafte ©emeinpläfce unb baburdj, baf« er — SBalentini bilbete ftch ein, prahlerifch
— oont ßiebe«tob feiner 3)ame fprach, ben roelfchen Unecht bi« jur Xoflroutg gereift.
9tun famen bie ^rebiger unb oerlangten 3*ugniffe roiber ben Sltgeiften, ber ihnen
burch feine gottlofe Schrift in spe fehr gefährlich ju roerben brohte. SSalentini gab
bie 3eugniffe, hie fte oerlangten, unb noch anbere, liignerifcbe, bie fie nicht oerlangt
hatten, aber gut gebrauchen fonnten, unb lieferte fo feinen §>erm an’« ÜJleffer, roie
guba« that.
*Pfui! Speicher Vergleich! Ein bla«phemifcher Vergleich. guba«, ber SBerräther
be« Sohne« ©otte«, unb SBalentini, ba« Söerfyeug ber göttlichen ©erechtigfeit bem
©otte«feinb gegenüber. *1)a« Hingt roenigften« fchön, ift’« auch nicht roahr. — ©otte«*
feinb, fo fagen bie eoangelifchen trieft er hwr. geh fage mein geinb. 33lute
3)u ba brinnen nur jutob. ÜJtir ift’« nicht leib, ßeib ift mir nur, baf« ich mein
halbe« 3eugni« im ^aufch roiberrufen habe, $ann ich’«, fo ftell’ ich’« noch ganj
her unb mach $)ich @otte«leugner hoch noch ju einem — h a haha!
$)er 3Belf<he lachte, unb bie«mal faft oom £>er$en. $)ann ftanb er auf, roeil
er eine Unruhe in fich hatte, gieng an« 93obenfenfter unb fpähte gegen ba« fRathhnu«.
5)a begab ftch nicht«, unb er jroeifelte nicht, baf« fie brinnen feinen £>erm, trofo be«
entlaftenben 3*ugniffe« ber Sftefce, roeiterpeinigten. Ober oieüeicht hatten ftc bie SJiefce
gar nicht hineingelaffen ?
$er 9Iltan be« Söärifchen §aufe« jog plöglich feine 5lufmerffamfeit auf ftch-
©ine flattliche grau, bie er al« bie 93ifchöfin*) fannte, ftanb auf bem 5lltan, ben
recht« ber fteineme ©laube mit bem ftelch, linf« bie fleinerne ßiebe mit bem S>erjen
flanfierte, unb fpähte neugierig nach bem Sfathhau«.
3)iefe ©eiber! 9lu<h bie geiftltche grau Söifchöfin fchntinft geh ba« ©eficht,
— roohl nur, um bem £>errn 93if<hof ju gefallen. $er tritt foeben au« ber Xhür
$u ihr hcrau«. „Ealotte unb SJfojett hat er roie ein ÜJtonftgnore", benft ftch 93alentini
unb lacht in ftch hinein, ,,ba« &ugere ift recht römifch, aber — eine $8ifchöftn muf«
er boch haben. 11
$er $8ifchof frug mit leicht umflorter Stimme auf bie Strage hinunter, roa«
mit bem armen 3Jtonn im SKathhau« fei, man folle ihn boch enblich entlaffen, nach*
bem ftch in ber $eufel«pact al« eine ßüge feine« Wiener« qualificiert habe.
Ein Bürger antroortete ehrerbietig: „$on ber golter gelaffen, Euer 2Bürben
unb ©naben, fagen fte, ift er fchon, aber er liegt brinnen in Ohnmacht. Sie haben
grab ben ©eiftlichen ju ihm geholt."
*) ©emahlin be« Superintenbenten.
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Der Verrätber.
71
Der Vifdjof unb feine fttau oerlie&en eilig ben Valcon. Valentine Irocb non
feinem ®u«gud in bie Kammer jurüd. ©in wüfte« ©efübl jwang ihn, ficb wieber
auf bie ftifte $u fefeen.
Den ©eiftlicben geholt. Irinnen liegt er in Ohnmacht. Da« hört fich fläglich
an. ©r bat fo »icled gelitten, ftolj unb aufrecht. Unb jefct liegt er in Ohnmacht.
3Bie gebt ba« ju?
$n ben Werfer gieng er ftolj unb aufrecht, unb oor ben Richtern ftanb er
beut morgen ganj wie ein fcero« in ber Vpotbeofe. Die icbmufeigften Vnfdjulbigungen,
bie böfeften Drohungen ber dichter, ba« Vnatbem ber erjümten ^ßriefter unb jule&t
bie Vu«antwortung feinet eblen Seibe« an ben genfer, ba« alle« trug er ftolj unb
töniglicb, unb jefet foU er fdjwacb geworben fein, ohnmächtig brinliegen. ^Id> ©ott!
Die leiblichen Scbmerjen allein haben ba« nicht getban, bie brechen einen
SJtenfchen mit feftem VBiüen nicht fo fcbnell. Vielleicht tbat e« bie Scham über fo
tiefe ©ntwürbigung; oieHeicht .... oielleicht tbat e« ba« fcerjleib, baf« ibn gerabe
Valentini in biefe« tieffte ©lenb geftofeen batte; fein lieber Valentini, bem er
fooiel ©ute« getban.
,,©ute«? Viel"
„Seugne e« nicht ab!"
„3$ leugne e«, unb Du lügft!" ftreitet ber Sünber gegen bie Vtabnftimme
in feiner Vruft. Vber er bringt fie nicht jur fRube.
„®ute« fooiel!" fängt fie roieber an. ©« ift eine Vltemann«fthnme, ber Vite
ftdfet roiberlich mit ber 3unge an. „5Ba« benn Vöfe«?"
„Übergenug!" fchreit Valentin fo wütbenb, al« rebete er mit einem ÜRenfchen
oon fjleifcb unb Vein. „Daf« er ..." — 3um £>enfer, warum fäüt ihm lein oernünfrtge«
Vrgument ein?
„So ? — 5Ba« benn ? Daf« bie feböne Dame fein war, war ba« ein Unrecht
gegen Dich? Daf« er ihr einen $uf« juoiel gab, weil fie ibn bat, war ba« an ‘Dir
gefünbigt? Du aber, Du foHteft nicht begebren Deine« fRäcbften 2Beib!"
Die Stimme nimmt jefet Söefen an. Der Vtenfcb ftebt ba, bem fie einmal
gehört bat; er lommt au« bem ©rabe, Inöchern unb lang, fein ftleifcb ift an ben
Knochen angetroefnet, er bledt bie jabnlofen tiefer. „ftinb, Äinb, wa« baft getban!
Den! an Deine Sünben, fiolo, benf’ an Deine Situben! Glicht blofj ba« feböne
SBeib baft Du ihm mif«gönnt, fonbern alle«, wa« er an fietb unb Seele mehr unb
beffer batte al« Du. fReibifcb warft Du wie ber Xeufel!"
So fpricht ber Vabre ©ianantonio, ber ftinberlebrer au« 3ano, ber bem oerlaffenen
3inbelfinb Vtario ein Vater gewefen, beoor’« in bie 2Belt gerietb unb oon ber SBelt
oerborben würbe; ober oielmebr, fo fpricht, in ber Vilbung be« alten ftapujiner«,
ba« ©ewiffen be« Unglüdieligen, ba« lang ein tobter Sumpf war, aber nun ein paar
belle SBafferblafen wirft, — gute ©ebanfen, wie fie ©ott aud) bem burcbteufeltften
SRenfcben einmal im Ceben gibt.
„Dein feine« ©ewanb, Dein ooüer Veutel, Dein gute« Seben, ba« Du nun brei
ganje 9(abre fübrft, wem banfft Du’«? 3öer bat für alle Deine Vebürfniffe geforgt
unb alle Deine Saunen ertragen? — OJtorio, wa« bift Du für ein ORcnfcb!"
„ßaf« mich in 9iub! ©efcheben ift gegeben! Rort muf« ich, ba« ift bie
Hauptfach’, oon bem oermalebeiten Vflafter!" bricht Valentini au«. ©an$ laut, um
bie Stimme ju übertönen. „Qft ba unten erft alle« oorbei, fo mach’ ich mich fort.
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72
©. o. $anbel«9Jtaftetti.
ich ©clb genug auf ein Pferb, ba3 mich bi3 Prag unb non bannen bis PBien
unb über ben Prenner bringt? 2Bo ift mein 2Bed)fel auf bie ßippmann?"
Ungebulbig, mit manch gemurmeltem Qrluch fu<ht er feine Tafchen au3.
ber ÜJtanteltafche ftedt fein Portefeuille. ©3 ift Parifer Arbeit, roeifjeS ßeber, unb
trägt bie mit Tinte gefdjriebene T)et)ife»Le vray amy sait pardonner«. ©ine ©efdjichte
bängt baran.' Ob er mill ober nicht, er muf3 jefet an bie ©efchidjte benfen.
Setp^ig jerroarfen fte ftch über eine in Tupfer geftoebene T)anae. Palentini fanb fie
fdjön, fein &err WuguftuS aber fanb fie frech; unb im Söortgefecht tarn bem 2Iuguftu3
bie hörte Webe au3: T>u höft einen lafterbaften ©efchmad. T)ie Webe tbat ihm
nachher leib, er laufte ba3 Portefeuille, febrieb bie 55>coife barauf, gab e3 feinem
Puffo, legte ihm bie §anb begütigenb auf ben fruntmen Wüden unb fpracb baju:
»Senti ti chieggo perdono . . . .«
T)a3 ift bie ©efchichte, — nicht niel baran; unb hoch lehrt fte jefet bem Per-
räther ba3 ^nnerfte um unb um. Unb mann er aller 2Bohlthaten, bie jener ÜJtann
ihm erroiefen, ohne Scham unb ohne Weue ju benfen imftanbe märe: bie3 fanfte
»Senti ti chieggo perdono«, eine Abbitte ber Tugenbftrenge an bie TBüftheit, bie ihr,
tn gebrechlichem Körper roohnenb, Wfitleib einflöfet, — biefe feböne, brüberlicb lieb-
fofenbe franb — bie treiben ihm baS heifee Plut in3 ©efiebt unb machen, baf3 er
plöfelich aufftöhnt: „.^ätt’ ich e3 nicht getban!"
©r ermannt ftch- ©3 ift ja noch nicht alle3 gegeben. T)a3 Wrgfte ift noch
nicht gefächen. T)a3 fann man noch oerfeüten.
Ti chieggo perdono ....
2Bie lieb er ba§ fagte. Unb bie §anb, bie £>anb .. . Wtorio fühlt mit einem-
mal eine Wrt Seibenfchaft für biefe §>anb. Wein, fte foH nicht mobern, biefe gütige
£>anb! ber SWann foll nicht fterben! SWario mill fein Wtörber fein.
Pom Pact unb oon ber fatanifchen Unjucht höt ihn Wtario im Waufch lebig
gefprochen; oon ber ©ottlofigfeit fpricht er ihn nüchtern oor bem ©ollegio lo3. —
Sprechen mirb er morgen fchon; unb er mirb fpreeben roie ein Puch nnb all ihre
Sophismen überroittben.
„Theure gelehrte Herren, ich febmöre e3 ©uch heilig (Wleineib ift beffer al3
üttorb), ba3 Puch non ber Ratio ift nicht au3 feinem $opf; bem Pannio, Pomponatio
unb Spinoja ift e3 abgeftohlen. Wlfo müf3te man biefe, au3 beten Schriften er nur
al3 ©uriofa bie nerroogenften Säfee entnahm, ftatt feiner hinrichten. T)a3 fönnt
3hr nimmer, roeil fte tobt ftnb, ihn aber müf3t 3hr leben laffen, fo 3hr gerecht feib, —
benn ba3 unb ba3 unb ba3 höt er ©ute3 getban. Sfanu benn ein ©ottlofer tugenb
haft fein? Wein. T)ie tugenb fommt ja oon ©ott her. Ergo!"
3a, fo muf3 e3 gehen. Proben im bunflen Fimmel erfcheint ein ©lanj, bie
Sonne fommt au3 ben SBolfen, fcbie&t blifeartige Strahlen um fleh herum. Unb in
Palentini’3 Seele roirb’S auch licht, ©r höt bie erfte ©utthat feine3 bunflen 8eben3
ooübracht, — ben Jperrn t>om Tob gerettet, — unb roie leicht ba3 noch baju gieng!
WktS mirb ber fterr thun, roenn fte ihn freigegeben höben? benft Palentini,
blieft gegen’3 Wathhöu3; e3 quält ihn, bafö ftch ba noch immer nichts regt. &alt!
jefet fommt etroaS. T)er Priefter; er fommt non linf3 gefeucht; ein blutbefchmierter
junge, roohl non ben JJreimannSleuten einer, rennt neben ihm.
»Festina lente!« fagt Palentini. Sein Wtunb ift hört unb troefen; ihn
fchaubert, meil fte fo eilen. Sobalb fte im WathböuSthor oerfchmunben ftnb, rebet
er ftch ein, er hätte ftch bie ®ile nur eingebilbet, uitb fpinnt feine Phantaften meiter.
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Xer ©erräther.
73
2BaS thut bcr $err, roemt ftc ihn freigelaffen haben? ©r roirb roohl titele 2Bod>en
liegen bei feiner Schiflieger ober im 2öirt$hauS, benn franf unb rounb roirb er fein
am Seib unb an ber Seele. 2Bie nun? 2öagt eS fein reuiger Unecht, ihn h^mzu-
fuchen r ihm feine Xienfte auf8 neue anzutragen?
©r roagt eS. ©r rutfdjt auf feinen Änien inS Äranfenjimmer jum ©ette, ino
fein §err in Schmerzen liegt, unb bittet ihn: „©erzeiht, ich habe gefünbigt flor
©ott unb an ©ud>; ich bin’S nicht roert, ©uer Unecht ju fein, nehmt 3h r aber
bennoch auf, fo foHt 3ftt SBunSer ber $reue fehen, roie florbem SGBunber ber $üde."
Xer ßranle roenbet fein bunfleS §aupt im Riffen oerachtungSüoll ab. MeS
fann ein ebler ©tonn flerjeihen, alles, nur nicht ©iebertradfl .... Soll nun ©alentini
uerzroeifeln ? ©ein. ©r fleht baS füfte blonbe ftinb an, bafS e$ foü beim ©ater für
ihn bitten. Unb ba$ Äinb bittet: „©ater, nerjeih bem armen ©alentini! ©r hat’S
nicht fo gemeint, ©r roirb’S nicht roieberthun!" ©efegnet feift Xu, nichts ahnenbe
Unfchulb! — Xer ©ater ift gerührt, ©r roenbet fleh im Riffen roieber henim, —
mühfam, — lächelt. 9luS ben Xeden unb ©erbänben ftredt fleh eine abgezehrte jpanb.
„©torio, eS ift gut, ich nerjeihe Xir, Xu bleibft bei mir."
XaS ift ©röfte. ©orneiüe’S 9lugufluS uerfchroinbet bagegen. 2Ba$, ©orneille’S
SluguftuS ift ein gefchrooHener Xeclamator.
»O siäcles, o mSmoire,
Conservez ä jamais ma derniäre victoire!«
XaS flnb SBorte, SBorte, hohfcS ©atftoS. 9lber: „©torio, Xu bleibft bei mir",
— nach allem, roa$ geflhehen ....
£>a! 2BaS % ift ba unten roieber loS? ^euerlärm?
©alentini blidt auS bem ftenfter, — ängftig, jögernb. Xie Strafte noH, — an
ben 3*nftern, auf ben Altanen fieute, ein roüfteS ©oncevt oou Stimmen... baS plöfelich
in ©tormein erftirbt. ©iilitärifcher ©ommanboruf theilt bie ©tenge. ©un fommt
ber traurige 3ug. ©oran eine ftutfehe im Schritt, hintennach bie oon flier Solbaten
getragene ©ahre. Unter bem bünnen 3*ug, roomit fle überbedt ift, fleht man bie
Umriffe einer ©tonnSgeftalt mit breiten Schultern, fdflanfen lüften. — Xiefe Schultern
unb lüften, roie hat fle ihm ber budlige SBicht geneibet! Xie ©ahre fchüttert, aber
ber ©tonn regt fleh nicht. 3ft er roirflich nur ohnmächtig ober . . . ©iS jum £>alfe
fchlägt bem Späher im SchlattmannhauS bie roilbe £>erzenSangft.
D nicht tobt! ©ur nicht tobt!
Xie ©ahre ift jefct unter bem SchlattmannhauS angetommen unb hält ba,
roeil ber oorauffahrenbe SBagen beim ©ärifeften $au$ flehen geblieben ift, roo ber
©ifchof am $h° rc wartet, um mit ben Ceuten im SBagen ju fprechen.
Xer £>auptmann, ber mit noch fechS©tonn bie©ahre begleitet, hat grofte ©tohe,
baS hevjubrängenbe ©olf abjuroehren. 3to tiefem ßampf gefdfleht’S, bafS bie Xede
oon ber ©ahre h^runtergeriffen roirb. ©in ScftredenSfchrei geht burchS ©olf. ©S fleht
baS SBert feiner ©riefter, unb ©alentini fleht fein 2Berf.
Sieht feinen $etrn baliegen reglos, bleich, flarr, untrüglich oom Xob
gezeichnet; ja, ©erräther, fdjau Xir bie klugen auS, je mehr Xu fchauft, je
beffer flehft Xu’S, roie ihn ber £ob gezeichnet hat oom Stopf bis zu ben Süften;
unb trägt fein roeifteS 2IntU& auch mehr ben 5luSbrud beS Sieges als ber Seiben,
fo öffnen bafür an feinem entblöftten Seib bie ©eiftel* unb 3angenrounben, an benen
ber herrliche oerblutet ift, ihre fdjarlachrothen Sippen unb fdjreien roehe! roehe! über
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©. o. §anbel*2Jtojjetti.
feine ©örber, oor allem aber roebe über ben falfcben SBalentini, ben er au« bem
Staube aufgelefen, bem er mit fo freigebiger §anb ©efebenfe über ©efebenfe machte,
unb jener b<*t’3 ihm roölfifcb gelohnt.
„3$ muf« fort!" äcbjt SBalentini, „fort nach $rag, nach ©ien, nach . . .
fort! $cb fann ba« nicht anfebauen! ©« macht mich oerrüdt! ©arum beefen fte ihn
nicht ju? Die grauen füllten hoch — O Madonna, Madonna santissima!"
Äfft ihn ber Satan? ©« finb ja jroei. Sieben bem ÜHann liegt, auf feinen
Kleibern gebettet, ein $inb. ©« fchmiegt ben ©onbfopf an feine blutige Söruft.
Xraurig fte^t ba« au«, über alle ©afjen. Da« Äinb ift fein ßinb, fein $inb, ba«
fie $ur 3eugenfchaft roiber ihn preffen roollten, bie £mnbe, roeil — ja, roeil SBalentini
ihn fo bünbifch oerläutnbet batte. — 93alentini, ihr $inb! 9Icb, unb bleich! »Viole
a gigli miste«, roie Xaffo fagt — ober 9lriofto — roer immer. Unb bie klugen,
fonft jroei Stüdchen lachenben Fimmel«, lichtlo«, roie tobte« ©affer.
$$or 93alentini’« Slugen breben ftch £>immel unb ©rbe; rinnen ÜHenfchen unb
Käufer in ein graue« SJteer jufammen. „Der ©ann tobt unb ba« flünb? $err ©ott,
nur ba«, nur ein«, nur ba« ftinb laf« nicht tobt fein!"
@r ift oon Sinnen. ©r roeife nicht, roa« er tbut. ©r lehnt ftch mit ftopf unb 5lchfeln
roeit au« bem genfter unb fdjreit hinunter: „Sie fab nicht beibe tobt, nein, nicht beibe ?"
Über ben 8htf fchauen bie fieute unten einanber an, flauen recht«, lint«,
mit offenen ©ünbern unb ©Iofeaugen. ,,©a« roar ba« ? ©arft Du’« ? ©arft Du’« ?
9tein, e« fam oon ba oben."
Huf einmal eine 3eterftimme; „Der ©elfche! Schaut roie ber ba ftfct, ba«
93eeft!" 9tun bricht ein Xumult lo«, unb au« bem Xuntult gellt roieber ber 3 c ter:
„Der ©ann ift tobt unb ba« $inb, unb Du bift fchulb, unb Du muf«t bangen!"
93alentini bricht oernichtet in bie $nie.
„Der ©ann ift tobt, ba« $inb ift tobt! Du, Du, Du ©örber Du! Xrompete
be« ©erichte«! Den SBater baft Du gemorbet, ba« Äinb baft Du gemorbet! 93er«
bammter, oerjroeifle!"
©a« fich jefet auf ber Strafee begibt, ba« immer roachfenbe, furchtbare Xob-
gefchrei be« 93öbel«, ba« 9Iu«fteigen be« £>au«ooigte« au« ber ©aroffe, fein rafche«
^3erbanbelu mit bem ftauptmann unb ba« £o«f(breiten be« öauptmanne« unb
feiner öeute auf« Schlattmannbau«, in beffen Xbar fie oerfchroinben: all biefe« b^t
unb fiebt 93alentini mit ftumpfftnniger ©leichgiltigfeit; aber roie fte ben tobten Dulber
unb fein blonbe« ©ngelchen roieber jubeden unb forttragen, ba roirb ihm entfeplich
roeb, unb er fängt an $u fchluchjen.
»Fandonie !« macht er plö&Uch unb lacht fcbroächUcb oor fich b'n. ©einen
nüpt nicht«, rooju roeiut er benn ? 8af«t Jungfern unb ftrofobile roeinen. ftain, 3uba«,
unb roeinft Du 93lut, für Dich ift feine ©nabe hier unb bort, SBerbammter, oerjroeifle!
©r fchleppt fich ootn genfter roeg nach ber Äifte. Da hängen Stricte unb
Stränge, unb in ber ©anb ftedt ein ©ifenbafen. Da« richtigfte 3ugerüft für einen,
ber ben $uba«tob fterben roid. Sterben muf« unb roiU er. — Via coraggio . . . .
©« ift ja nur ein Slugenblid! Qa! 9lber ber ift fcbredlicb. kalter Schroeife bricht ihm
au«. Scbredlicber Xob!. .. Unb ba« anbere öanb, oon bem bie ^riefter immer
reben.
Über bie §>oljtreppe flirren Schritte, ©er ift’«? früher famen Ceute $um
Xhor herein, roer fte roaren, roeife er nimmer, er roeife überhaupt gar nicht«, fein
ftopf ift ganj oerroirrt, er (ann an nicht« mehr benfen, al« an roei&e«, leuchtenbe«
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$er ©errfither.
75
von bunfelrothen ©unben jerriffeneS 3fleif4 uitb an blaue ÄinbeSaugen, bie glanjloS
jum Jrimmel fiarren, unb an bie ©ocfshömer unb ben 04fenfchwanj beS Teufels
in einem gewiffen ©emälbe.
$>ie Zfyüx ber ©ob^nfammer fpringt auf. $)er Offtcier fteht ba im ftürafS
unb ©tantel, mehrere ©tänner hinter ihm.
(Sr tritt auf ben ©elften $u unb fpricht im 3)ienftton, aus bem man aber
bie ©ntrüftung beS ehrlichen ©tanneS gegen ben Schürfen gut h**auShört: „§err
©alentini, 3&* roerbet’S wohl nicht leugnen, bafS 3br’§ feib, bieweil mir unS vom
©oHegienhauS fennen." ©r legt ihm bie §anb fchwer auf bie oerfriippelte 3lchfel:
„©tufS (Such bitten mit hinabjufommen. 3h* f*ib in Sr. ©tajeftät tarnen oerhaftet."
3)ie Solbaten flauen ben fchwarjen Unholb fchabenfroh an. $er bringt fein
armeS ©ort f^rfür. ©r nieft unb folgt bem Officier auS ber ©obenfammer bie
§ol$fiiege hinab. 9luf ber Stiege fragt er ihn:
„©aS gefchieht mit mir?"
„3h* fommt auf ben ftalanbShof", entgegnet ber Officier. ©ach einer ©aufe
fragt ber ©elfche aufs neue: ,,©a$ gefchieht bann mit mir? ©erbe ich bann gehenft?"
„3hr oerbtentet’S. ©arum höbt 3h* biefen armen ©tenfehen fo fchänblich
oerläumbet ? ©fui über (Such!"
„9lber ... auf bie Xortur fomme ich boch nicht ?" fragt ©alentini faum hörbar,
lehnt ftch babei matt an bie ©anb, bafS eS bem Officier beinah erbarmt.
„34 weife nicht, wie bie £>errn baS halten wollen. ©enn 3br alles gefteht . .
Jreilich, wann’S recht gienge, foüte man (Such plagen iuie ben anbern."
„3a", ftöhnt ©alentini.
Sie waren im £>aIbtto<! angelangt, ©in paar ©tägbe unb ein ©tann in
Jpembärmeln ftanben ba, gafften unb tufchelten.
„£>err £>auptmann", bat ©alentini, „erlaubt 3h*, bafS ich noch einmal hinauf«
gehe, meinen §ut ju halen? 34 möchte nicht ohne iput auf bie Strafee."
„©uer £err, als wir ihn arreftierten, mufste barhaupt unb mit gebunbenen
£>änben burch bie halbe Stabt gehen", fagte ber frauptmann.
„Slber ich fehe fo sigeunerifd) auS, liebfter §err, ich fchäme mich!" befchwor
ihn ©alentini.
„CafSt fchauen. deiner $reu, 3b* f^fet wechant auS; ftnb ©uch broben bie
3lebermäufe in ben $opf gefommen? — $>cnnwifc, ber §err will feinen £mt
holen, ben er oben gelaffen hat. $)u begleiteft ihn hinauf unb achteft mir auf ihn.
— 34 mufS ©u4 aber bitten, ©uch ju fputen, mein £>err ©alentini."
3)ennwife liefe ben ©elften oorangehen. $)er haftete bie Xreppe hinan, als gelte
eS fein öeben. 3)er Solbat folgte ihm, immer jwei Staffeln nehmenb, auf ben Werfen.
$ln ber ©obentfeür blieb ©alentini ftefeen. „§err $)ennwifc", fagte er ju feinem
©achter, rafch unb h*ife* athmenb, „wollt 3br mir eine große iÜeb’ thun?"
„©ei meiner Seele, nein", entgegnete ber Solbat.
„$ennt 3br —" ber ©elfcfee jog mit jitternben Ringern baS ©ortefeuille auS
bem ©ufen unb entnahm ihm ein ©apier, „bie Sufanna Sippmann hier?"
„fiipp — ja. ©om Sehen. 3ft ©r. ©tajeftät fcofjübin, wohnt ba brunten —"
ber ©tarnt wieS mit bem Daumen über bie 2ld)fel nach rechts. ,,©aS ift mit ber?"
„Seht baS ©apier ba. ©ann 3h* baS ber fiippmannin jeigt, jahlt fte ©uch
feunbert Scaler auf bie §anb. — 34 f4^nt ©uch baS ©apier, unb 3h* lafSt mich
gehen unb allein meinen $>ut fuchen."
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76
©. p. fcanbel-SJtaföetti.
„3)arf i<$ ni4t. 3b* lönntet ©u4 umbringen ober au«fneifen."
„9lu«fneifen! Mio Dio! $>urcb« genfter auf bie ©trabe? *8in i4 eine Stab?
Umbringen foHt’ i4 mi4 ? SBarum benn ? 34 leb’ non £>erjen gern, wann nur tbr
mi4 leben laffet. Übrigen« ift jeber ©igenmörber ein 9tarr, roie 3<>fepbu« in feinen
Antiquit6s judalques baarf4arf beweist. — 34 will allein fein, weil — 3b* fagt’«
ja ni4t weiter — weit i4 beten will. 34 bin ein grober ©iinber, unb ©otte« 3om...
5)a — fo 3b* auf Rapier ni4t gebt — oier gute golbene ©ulben."
$>er ©olbat la4t. 33alentini’S IRebe ift ibm buntel, nur ba« oom Seten teu4tet
ibm ein, unb no4 ntebr — am meiften — ba« gute ©olb.
„^un fo gebt", fagt er ^afttg, „aber ma4t f4neH — ber haftet brunten
f4on. Unb ba« ^Papier für bie 3rau Sippmannin gebt mir nur no4 brauf."
3nbe« ber SBadere beibe«, 2Be4fet unb ©olb, forgfam in feinem ©tiefet unter«
bra4te, eilte SBalentini in bie Söobentammer, §og bie Xbü* b***ter fi4 ju; gieng na4
ber ©de, wo bie $ifte ftanb unb bie ©tride biengen; rif« einen langen ©trid berab,
fnüpfte eine ©4linge hinein, fprang auf bie Stifte, befeftigte ba« ©eil an bem £>a!en
oberhalb berfelben unb legte ft4 bie ©4linge mit f4lotterigen Ringern um ben £>al«.
,,2Ba« tbuft 5)u, Stolentini?" fragt eine f4wa4e ©timme in fein Ohr.
9to4 einmal bie ©timme be« alten Äapujiner« ©tanantonio: „3ft ba« ber 2Beg?
$en will ©ott ni4t, ©ott will."
üJtebr fagt bie ©timme ni4t, benn ein Körper, ber über fte gewäljt wirb, brüdt
fte tobt. ©§ ift ber weifje Körper eine« 5Jtanne«, mit gräf«li4en rotben 2öunben bebedt.
,,£)a« bab’ i4 getban, bafür gibt'« leine ©nabe. Via coraggio ! Jahr’ i4 sum
Teufel, fo fahr’ i4 jum Teufel, bin felbft ein Teufel, bab’ ben flJtann ermorbet, ber
mir ©ute« tbat, unb fein arme« $inb baju. Felice notte, Signori! 2)a§ ift ba« ©nb."
©r läf«t bie gfüfee über ben IRanb ber ftifte hinab. 3n>*i 3lugenblide lebt
er nod). 3 rc ei 3lugenblide, aber bie fmb über jebe SBorftellung fur4tbar. 3)ie
förperli4e $obe«notb ift ni4t«. 2Ba« er fleht unb hört, wie feine leibli4*n ©inne
f4on erftorben ftnb, ba«, ba« ift Clual über Xobe«qual.
3« einem ©lanjmeer, ba« plöfcli4 in bie Obnma4t«finfterniS bineinflutet,
fiebt er ben wetfeen Körper mit ben rotben 3Bunben, f4webenb; oier ©ngel tragen ihn
flügelf4lagenb unb allelujaftngenb auf ihren ©4ultem empor, böb**r immer höher,
bi« er nur mehr wie ein 3llabafterfplitter erf4eint unb bie ©ngel wie oier winjige
golbene SBö’gel. 9tur fingen hört man fie no4 — ganj leife. 314 r f4ön ... wie . . .
3äb oerf4lingt ein ©etöfe ba« Sieb, ©rbbebenbonner, beulen, ©cbatalS*
gelä4ter. 93ier ©ngel f4wirren be*an. ©reuli4e ©ngel mit JflebermauSflügeln
unb ©extern wie $eftlei4en. — SBalentinU — ©ie faffen ihn, reifen ihn mit fi4
in bie blutrotbe 9ta4t, in ben 3lbgrunb. Unb au« bem 3lbgrunb ber §öHe f4auen
ihm jwei f4redli4* klugen unter mächtigem 33od«gebörne unoerwanbt entgegen, ©o
fahrt er jum Xeufel, wirb felbft ein Teufel, unb ba« ift ba« ©nb.
♦ *
*
$)er ©olbat Dennwifc batte ruhig an ber $bü* gewartet, folang er brin
©eräuf4 hörte. 311« bie« oerftummte, würbe er ftufcig. Ob benn ber ©ujon wirllid)
betete? Ob er ni4t etwa — ©ott behüt’ un« — both au«getniffen war über bie
£)ä4er wie eine Stab? — $er 2Jtann ftiefe raf4 bie $bü*e auf unb fab in bie Kammer.
Unb laum batte er bineingefeben, fo tbat er einen mörberli4en 3lu4 r benn gerabe
ihm gegenüber bieng ber 2Belf4e an einem §>afen, ben $opf auf bie linle ©4ulter
geneigt, unb war f4on fd^warj im ©eficbt. — — —
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$)er Serväther.
77
teS nüfcte SDennwifc nichts, bafS er fi<h oor feinem Eauptmann auf ben
höüifchen EalSoerbreher weilanb beS fterrn Obrifteu non Sinter auSrebete; er mufSte
in Slrreft. Ster Eauptmann felber gieng, nadjbent er bie Seiche ^atte abfdjneiben
unb in eine Stube fchaffen laffen, jiemlic^ ferneren EeraenS unbegleitet auf bie ©affe
hinaus, bem EauSooigt baS ©efchehniS mitjutheilen. .
S)er EauSooigt wartete fchon unb rief non weitem: „Eabt 3hr ben Ealunfen?"
„©ott hat ihn, teuer ©naben, ober wahrfcheinlicher, ber Satan, er ift fein eigener
Pächter unb genfer worben, ittbem er fich »nie $$ubaS mit einem Strid erhängte.
3<h bin baran nicht febulb, wie ich teuer ©naben gleich erzählen werbe."
„Xheurer Erilanb!", rief ber JpauSnoigt, „was 3hr ntir fagt! — $>eut geht’S
ja fchier wie im Sieb: Ster SJiann erhentt fich in bem Staü, bie 3frau ba in ben
Srunnen fprang". „S>rei ÜJtorbthat an einem ÜHorgen", ergänate ber ÄriegSmann,
ber baS Schelmenlieb tannte. Ster EöuSooigt fah ihn betroffen an unb fchüttelte
langfam ben $opf.
„Sobfälle müfSt 3hr fögen, nicht Sftorbe. — 3ft er auch wirtlich tobt? S)aS
ift fehr fchabe. 3$ mufS ihn befichtigen, benn bie Sach’ mufS in bie Sieten biefeS
ungliidfeligen SroceffuS ba. §abt bie ©ewogenheit, mich an begleiten."
Ster Eöuptmann fchlug bie Eöfen anfammen. „teuer ©naben Wiener. —
teuer ©naben werben fehen, bafS er fo tobt ift, wie ich fagte."
„ter hätt’ feine Seel’ noch retten tönnen," perorierten Seine ©naben, als beibe
mitfammen burch bie ÜJtenge, bie laut murrte unb grollte, weil fie um baS Spectatel
einer Einrichtung betrogen war, nach bem SchlattmannhauS fchritten.
„Eat nicht jener arme Unglüdfelige, ben wir h eute für feinen ©otteSfreoel
— wohl a« hart — geaüchtigt höben, burch einen Seufaer in lefcter Stunb’ feine
Seele faloiert? wenigftenS hoff' a« ©ott, bafS ihn ©ott begnabete."
„Sich ©ott ja," rief ber Eöuptmann, „ich glaub’ eS feft! SBenn ich ein folcheS
ÜHarterthum fo helbenmä&ig auSftehe....."
„Sitte nichts non ÜJtorterthum!" belehrte ihn ber Sllte. „Non poena facit
martyrem, sed causa. SBenn er gerettet würbe, ift’S nicht burch feine ÜJtorter, fonbern
burch fein lefcteS ©ebet. S)ie Seute freilich werben fagen, baS war nichts wert, weil
wir’S auS ihm h^auSgefoltert höben. S)aS ift aber ein brutales fRaifomtement. 2öaS
war’ benn baS ©ebet beS rechten Schächers, ben fie auch önS &reua hinten mufSten,
beoor er in fich gieng ? — 2Bir höben, §exx Eöuptmann, h*nte ben rechten unb ben
linlen Schächer fterben gefehen. 2Bie fo wahr fagt bo<h ber Söeife: 9tur einer, bamit
niemanb oermeffen werbe.. . 9Ber fagt bodj fo?" unterbrach fich ber Sllte in feinem
IRebeftrom. „$dj mein, ein Äircbenoater ? §txx Eöuptmann, eS intriguiert mich,
wifSt Shr’S nicht?"
3)er Officier that ein furaeS Sachen. „$ch! @uer ©naben fpaffen. 2öir armen
ÄriegSleute finb froh, wann wir unfern tarnen fchreiben unb einen Siebermann
oon einem Schelmen unterfcheiben fönnen . . ."
„3hr feib bifftg. £>a, nun fällt er mir bei. SluguftinuS! Unb ber Spruch Reifet
genau: 9tur einer, bamit feiner oermeffen werbe, einer, bamit niemanb oeraweifle."
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mm
Rundschau.
©efälfcbte alte SJtanufcripte. — 33iS oor wenigen fahren würben in
$af<bgar gefällte alte ÜJtanufcripte in groRer 3abl in ben §anbel gebraut unb swar t>or*
jugSweife in bet ©tabt Ä^otan. $)ie SJtanufcriptbücber befteben auS blättern, bie non
fPrägeftempeln aus SBirnbaumbolj bebrudt Rnb, wobei niele bet SBucbftaben alletbingS
echten alten $ocumenten entlehnt Rnb. 3)aS non ben 3rälfcbem angewanbte Verfahren tft
im groRen ©anjen folgenbeS. SRacbbem man bie ©lätter bebrudt bat, bängt man Re in
ben IRaucbfang, bis Re baS erforberlicbe alte 9luSfeben befommen, unb heftet Re bann
mit fupfernen Nägeln unb ftupferplatten jufammen. hierauf werben bie Blätter
leiebt befeuchtet unb mit ©anb beftreut, bie föupfemägel unb glatten mit einer ©äure
bebanbelt, um ©rünfpan ju erzeugen, unb enbUcb nergräbt man baS fo entftanbene
„alte" 33ucb in bet 2öüfte, bort, wo eS gefunben werben foü. 3u* 3eit, als Kapitän
$eafg Rcb jum erftenmal in Äb°lw aufbielt (1898), würben üjm webet eebte, noch
gefälfebte 93ücber angeboten, woraus er fdRieRt, bafS baS ©ebeimniS nerratben worben
war unb bafS beSbalb auch bie $8eRfcer echter föanbfcbriften bamit jurüdbielten, aus
furcht, bafS man ihren 93eR& für fjälfcbungen galten fönne. $)eafp nennt ben Flamen
eines SftanneS in Äbotan, ^Slarn 2l!bun, ber faft alle europäifeben 9ieifenben in ben
©täbten Oft XurfeftanS unb fogar ben gefürchteten rufRfcben ©eneralconful in Stafcbgar,
^etrowSfp, mit gefälfebten 3Jtanufcripten befcbwinbelt b^t unb auch bafür beftraft
worben fein foll. ©oen £>ebin b^t 1895 in ber 2Büfte Xafla üttafan mehrere
ÜJtanufcripte gefunben, unb &wei baoon auf ©eite 53, ©anb II feines 9leifewer!eS
abgebilbet; ber fdRuebifcbe ftorf<ber gibt ihnen ein 5llter oon 1300 fahren, ©ie
febeinen, nach bem abgelegenen ^unbort ju urtbeilen, echt $u fein. 9lucb auf feiner
jetzigen Steife b^t ©neu §ebin alte ^anbfebriften in öftlicben 2BüftentbeiIen Oft*
$urfeftanS gefunben. Über ben 29ert biefer offenbar febr oerfdRebenartigen alten
©ebriftbenfmäler wirb erft eine genauere Unterfucbung ^luffdRufS geben fönnen, bie
gleid^eitig bie ©preu oom 29ei$en fonbern müfSte. 3. 3* 93*
* *
*
beutfebe Citteratur in granfreidR — 3)er bäuRg gegen bie Jftanjofen
gerichtete ©orwurf, Re befitmmerten Rcb nicht genügenb um bie auSlänbifcben Kulturen
unb Sitteraturen, beginnt, wie man ber „©oft" auS ©ariS fiirjlicb febrieb, hinfälliger
ju werben, befonberS foweit bie UnioerRtäten in betracht fommen. 2luf biefen erfreut
Rcb bie beutfebe 9itteratur in all ihren $unbgebungen bis ju ben allermobemften unb
allerfiibnften einer auRerorbentlicben Beachtung unb pflege, wie Rcb oorjüglicb auS
bem für bie oerfdRebenen ftocbfcbulen oon bem UnterricbtSminifter erlaffenen Programm
für bie Sijentiaten ^)iffertationen erfennen läfSt. 2öir Rnben in biefem ©rogramm
für bie ^abre 1902 bis 1904 ben jungen ©bilologen auRer ben 2Berten unferer
älafRter für ihre Arbeiten 3ur 2luSroabl gefteHt: ©tonnS „Aquis submersus“, ©uffe’S
©ammlung „teuere beutfebe fipri!" mit ©ebidRen oon Annette o. Drofte^ülSboff,
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fRunbfchau.
79
9Jtörife, Srreiligratb, Reibet, Eerroegb, Eendell, Zehntel, Siliencron u. f. ro., ferner
Subermann’3 „©bre", „©3 roar" unb „©lüd im Söinlel", Eauptmann’S „29eber"
„SSerfunfene ©lode" unb „^ufyrmann Eenfcbel", ©berS’ „Homo sum“, SBcnebij:’
„Sonntagsjäger" unb JßrocefS", Scbeffel’S „©ffebarb" unb „Trompeter oon Sädingen",
Söagner’S „Xamtbäufer" unb „2Heifterftnger oon Nürnberg", ©ottfrieb SMer’S „SRomeo
unb 3ulta auf bem Xorfe" u. a. m. ©in weitherzigeres Programm läfSt ficb geroifS
faum benfen, felbft in Xeutfchlanb nicht.
* *
*
v 9lutograpbenbanbel. —- 5lutograpben bürften roobl nirgenbS fo b<>b e
greife erjielen roie in Bonbon, So mürbe unlängft bei einer Sluction in ©nglanbS
Eauptftabt ein Slutograpb oon b<>b«w biftorifd^w 2Bert, nämlich ein $8rief beS
EenterS ^amfon, in bem er bie oon ibm oolljogene Einrichtung CubroigS XVI.
febilbert unb ben hob«* 2Hut unglüdlicben ÜHonarcben rühmt, für 625 JJrancS
ugefcblagen. ©in anbereS oon fiubroig XVI. am 5. 3uli 1792 an ben ^ßräftbenten
ber SRationaloerfammlung gerichtetes Schreiben erhielte 500 grancS. ©in 53rief ber
9Jhne. föolanb oom 2. Januar 1785, roorin fle ihre Steife nach öonbon befebreibt
unb bie in 3franfreicb gegen bie ©nglänber berrfebenbe feinbfelige Stimmung auf’3
tieffte beflagt, mürbe für 275 3francS erftanben, foroie ein Schreiben fRobeSpierre’S,
batiert oom 27. Xecember 1793, für 425 grancS.
* *
*
^rofeffor 2Jtaj 2JlüllerS ©ibliotbef, bie 15.000 53änbe, 81 SanSfrit*
Eanbfcbriften, barunter mehrere Unica unb oiele iüuftrierte SBerfe umfaßte, ift nach
Qapan oerfauft roorben. XafS fte nach 3apan roanberte, anftatt in ©nglanb ju
bleiben ober nach Xeutfchlanb oerlauft ju roerben, muffte 53efremben erregen; bie
Sache foll inbeffen folgenbermafeen jufammenbängen. 9facb ber 53eftimmung beS
SBerftorbenen foüte bie $8ibIiotbef als ein ©anjeS oerfauft, jufammengebalten unb,
roomöglicb mit feinem tarnen oerfeben, untergebraebt roerben; bem SöerfaufSpreiS
(70.000 ÜHarf) b fl tte er «ne oor etroa fecbS fahren oorgenommene Schälung ju
©runbe gelegt. 3n>ei gro&e englifebe 53ibliotbefen in ber ^rooinj liegen fich ben
Katalog fommen, fanben aber, bafö fte bereite mehr als bie Eälfte ber barin auf=
geführten Bücher befaßen unb fonnten für bie anbere Eälfte ben für bie ganje
Sammlung feftgefefcten *ßrei3 nicht erlegen, fich auch nicht mit 8000 ober mehr
Xoubletten belaften. ©ine anbere englifebe ©ibliotbef gälte bie Sammlung gern
erroorben, fonnte ba$ aber nicht, roeil fie für angeroanbte Söiffenfcbaften gegrünbet
roorben roar. ©in grofeer Sonboner ©ucbbänbler erflärte fcblie&licb, bie Einterbliebenen
roürben nie imftanbe fein, bie Sammlung als ein ©anjeS ju oerfaufen. Sooiel für
©nglanb. 3BaS Xeutfdjlanb betrifft, fo hätten jroei bebeutenbe beutfehe 53u<bbänbler
ben Katalog etroa fünf ÜHonate in Eänben gehabt, ohne bafS fte ein ©ebot übermittelt
hätten. MerbingS machte eine beutfehe 53ibliotbef ein ©ebot, aber biefeS lautete
nur auf bie Eälfte beS ScbäfcungSroerteS. ^njroifcben roar oon 3apan ein Angebot
gefommen, auf baS bie Einterbliebenen, ba fte bie 53ibliotbef roeber in ©nglanb
noch i« Xeutfchlanb ju annehmbaren 53ebingungen oerfaufen fonnten, eingiengen.
XHe Japaner nahmen bie ©ibliotbef, ohne bie Überfenbung beS ÄatalogeS abjuroarten,
jum Scbä&ungSroert. X)ie Unioerfttät Xofio baut eine befonbere Ealle für bie
33ücher, bie ben tarnen „9Jlay 3JtüHer-S8ibIiotbef" führen roirb. ©in reicher ^npnner
SBaron Qroafafi, trägt bie fämmtlicben Soften unb macht ber Unioevfität bie 53ibliotbef
jum ©efcbenl. * * 53. '-8.
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80
Öhtnbfcbau,
2Ba8 ein Sieb wert fein fann. — 2>afg ein einfaches Sieb fi4 unter
Umftänben alg wahre ©olbgrube erweifen fann, bag belegt einer ber erften Sonboner
SJtujifoerleger in einer englifeben 3*itf4nft bureb ein paar intereffante Beifpiele.
©3 fei baraug folgenbeg wiebergegeben: 34 funn oerftebern, fdjreibt er, bafg niele
©olbbergwerfe, bie bureb ein grofeeg ©apital in ©ang gebracht werben, nicht fo niel
non bem foftbaren 3Rineral ergeben, wie ein einjigeg glücfücbeS Sieb, bag ber
©omponift mefleiebt in einer halben ©tunbe probuciert but. 34 fönnte au§ bem
©tegreif ein 2)ufcenb Sieber nennen, bie jebe$ einen ©rtrag non 200.000 2Rarf
abgeworfen buben. 25a ift $. B. SJtagcberoni’g oorjüglicbe Ballabe „For all Eternity“.
34 fann jwar ni4t genau fagen, wieoiel biefeg Sieb febon abgeworfen but, aber
oor ni4t ju langer 3«t würbe bag Berlaggrecbt auf 44.800 OJtarf gefcbäfct, eine
©umrne, für bie eg oerfauft würbe, ©erabe biefeg Sieb würbe urfprünglüb einem
Sonboner Berleger für 200 2ftarf angeboten, unb er feblug bag Angebot aug. 3Jtan
barf natürlich nicht bag SKififo ber Verleger uergeffen. 2batfäcbli4 ift uon je bunbert
Siebern, bie mir angeboten werben, faurn eing bie 2)rucf‘ unb Berlaggfoften wert.
Unter ben Siebern, bie einen 9tufcen oon mehr aig 200.000 SJtorf gebracht buben,
ift in erfter Sinie ©uüioan’g weltberübmteg „Lost Chord“ ju erwähnen. 2)iefeg Sieb
würbe tbutfäcbli4 in weniger alg einer ©tunbe componiert, unb für biefe einftünbige
Arbeit erhielt ber ©omponift 200.000 SJtarf an Abgaben. 2)amit uerglicben ftnb
Bejahungen, wie 9tubgarb Äipling fte erhält, ju unbebeutenb, um erwähnt ju werben.
2)ag Sieb „In Old Madrid“ mufg feinem Verleger faft 400.000 ÜJtorf gebracht buben,
benn feine Beliebtheit war piele 3ub** feh* 0to6- 3« ben „©olbminen" würbe ich
auch rechnen „The Better Land“, „The River of Years“, „For ever and for ever“
„Good*bye“, „The Devont Lover“, „Nancy Lee“, um nur ein bulbeg 2)ufcenb ju
erwähnen, beren ©efammtertrag ni4t weniger alg 1,200.000 SJtarf betragen buben
fann. Unter ben jefct beliebten Siebern, bie jeboeb bie älteren nicht uerbrängenr
oerfpreeben „The River of Life“ „The Flight of Ages“ unb „Beauty ’s Eyes“ eine
für ©omponiften unb Berleger gleich reiche ©mte.
* *
*
Breigaufgabe. — 2)er Berwaltunggratb ber SBebefinb’fcben Breteftiftung
für beutfebe ©ef4i4te but für 1901 big 1906 folgenbe B*eigaufgabe gefteflt: „©ine
fritif4e ©efcbi4te ber fä<bfif4en Bigtbumggrünbungen in ber farolingifeben 3*it."
2>er B*eig beträgt 3300 3ftarf.
♦ *
*
Breigaufgabe. — 2)ie pbilofopbif4e Sucultät ber Unioerfität ©öttingen ftellte
für bag 3ubr 1904 aug ber Benecfe’fchen B*eigftiftung folgenbe Breteaufgabe: „2)ie
^acultät wünfebt eine ^iftorif4e unb befebreibenbe 2)arftellung ber neulateinifeben
weltli4en Sprif 2)eutfcblanbg wäbrenb beg fecbjebnten unb ftebjebnten 3 a b*bunbertg
unb im 3lnfcblufg baran eine Unterfucbung beg ©influffeg, ben biefe Sprif auf bie
in beutfeber Sprache oerfafgte 2>i<htung beg ftebjebnten 3ub*b un & er tg auggeübt but
2>ie au&erbeutfcben 9leulateiner, ingbefonbere ber SfUeberlanbe, werben babei auggiebig
berücffi4tigt werben müffen; bagegen liegt bie ©pigrammenbiebtung unb bie rein
bibaftifebe Boefte ni4t im Nahmen ber Aufgabe." — Bewerbunggfcbriften ftnb.big
31. Sluguft 1903 an bie Jacultät einjufenben. 2)et erfte B*eig beträgt 3400 SJtarf,
ber jweite 680 SJtarf.
fHebacteur: 2)r. granj ©ebnürer.
3of. ffloty’föe ®erlafl«biid$anbluiiQ. — ©ucfjbrucferei 9lmbr. 0pi&, ©ien.
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Altnordische Dichtkunst.
Bon Dr. Rtdjarb fc. Krank.
f ic altnorbifcße Sitterotur aeicfjnet fich nicht nur burcß eine unoergleictjUdje
lt)rifch s epifche ^JSoefie unb burcß eine ebenfo originale ^ßrofabicßtung and,
fie fteßt auch burcß bie SluSbilbung einer poetifcßen Xecßnif faft ohne Sergleicß
ba. ^öcßftenS bei ben 3nbern !ann man, befonberS maS bie lec^nif beS
Dramas betrifft, eine gleich auSgebilbete 2f)corie finben. 5)aS, maS uns baS
dajfijche älterthum hinterlaffen hot, ift in biefcr 93e$iehung Diel unzulänglicher.
3)ic s JJoetifen unb SR^ctorifen beS 9lriftoteleS, £>oraz, ßicero, Ouintilian bieten
rneitau^ nicht bie Klarheit unb Sicherheit, n>omit unfere altnorbifdhen Quellen
baS SBefen ber Ipoefte im Sern crfaffcn unb bem Schüler ju unmittelbarem
praftifchen ©ebrauch überliefern. 3<f) Dermuthe ztoar, bafö ähnliche Secßnifen
auch bem griedhifchcit unb röniifchen dichter zur £>anb mären; fonft ließe
fich bie mejfterlidhe Sicherheit ber Iprifchen unb bramatifchcn Sunftiibung
faum erflären. 3lber mir hoben nichts mehr baoou erhalten.
dagegen miö eS bie Saune ber Überlieferung ober auch ein wenig
ber ßßarafter biefer urgermanifcheu Snnftauffaffung, bafS unS bie altnorbifche
s 45oefie mefcntlich in bibactijchem Sinn unb Mahnten erhalten mürbe, ©egen
baS ©itbe ber großen unb fruchtbaren Sfalbenzeit hot man nämlich baS,
maS bisher auch nur mtiitblich unb lebettbig im SemujStfein beS SolfeS unb
feiner SBortfüßrer mar, fcßriftlich fixiert unb gcfammclt. 9lnt 6nbe biefer Mcifje
ftcht ber berühmte 3Slänber Snorri Sturlufon (1179 —1241), ber
SSerfaffer ober Mebactor ber (Sbba unb Sfalba. „@bba" foH ja fo uiel mie
„ s J}oetif" bebeuten, unb biefe Sammlungen mürben zufammeugeftctlt z u bem
ßmeef, als SSorbilber, als Sehre z» bienen.
3n brei Steile verfallen biefe Arbeiten unb geben fo bem 3ünger in
miinfchenSmerter Slarßeit bie brei £auptlehren feiner Sunft: 1. bie Sehre
Dom poetifeßen Stoff, als melcßer mit richtiger Schärfe auSfchließlich bie
„Sage" im haften Sinn erfannt mirb, 2. bie Sehre uott ber poetifeßen
Sprache unb 3. bie Sehre Don ben Strophenformen.
®en erften Xßeil fonn ich ^ cr übergehen, beim ich fefee bie öfters
uerbeutfeßte profaifeße 6bba als befannt DorauS. Micßt fo befamtt fiitb bie
Xit »litur. III. CJaörfl., s. £eft (i»oi.) 6
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H2 IHi^arb o. Stralit.
Sorreben gu bicfer Sagenfammlung, bie eine Anfnüpfung unb Au#gleicf)ung
ber germanijehen ©ötterfage mit ber Sibet unb ber griedjifdjen ©öttermelt
aiif theil# euhemeriftifcher, teil# atlegorifcher ©runblage {neben. $)ie Schöpfung
Abam# unb Soa#, bie Koaflut rnirb ergäbt unb ber Abfall ber Ktenfehen
Dom mähren ©tauben. „Aber nichts beftominber gemährte ©ott irbifche ©oben
unb 3Bei#beit, fo baf# fie oerftanben alle irbijehen ®inge unb ade ffirfcheinungen,
bie fie feiert tonnten in Suft unb ©rbe. $)a# bebachten fie unb munberten fid),
mie ba# gugienge, baf# bie ©rbe unb bie X^iere unb bie Söget hätten gleiche#
SBefen in manchen Gingen unb boch ungleich in ber Art. Scrg unb Stein
oerglichen fie mit föhnen unb Seinen ber ßebenben. Sie fchloffen au# 2Bach#=
thum unb SBelfen, baf# bie @rbc tebenb märe, freilich fürchterlich alt unb
mächtig. 3u ihr al# ihrer ©cbärerin gälten fie ihre ©efchlechter gurücf.
Auch fchloffen fie au# bem öerfchiebenen ©ang ber £)imntel#geichen, baf# ein
Steurer berfelben ba fein miiffe. ®iefem unb allen Gingen gaben fie Kamen
auf mannige SBeife, fo mie bie Söller fich fchieben unb bie Sungen (ich
oeränberten." Son 3&n)after, bem ©rbauer be# babplonifchen 2hurm#, erhub
fich ber 3rrthum ber ©ötteroerehrung. @r nannte fich Saal. Sein Srrthum
mürbe oom fretifchen Saturnu# erneuert, ber oor feinem Sohne Jupiter
nach b cm Korben floh unb fich Kjörbh nannte. @r lehrte ba bie SKenfchen
pflügen unb SBein pflaitgen. Dbhinn floh bann tior Sontpeiu# unb behauptete,
ber alte Sriamu# g U jein. Sh rt K]i a h^fe nach feiner 3rau Sngg- £f)orr n>ar
ber Sohn SKemnon'#, Sif bie Sibptle, Xbmbbeim ift Ih™fien. $iefe 9tfcn
fuhren nach ben Korbtanben, mo Stönig ©plfe fie befitcht. Kun jefct ba#
4&auptftiicf ber ©bba, ©plfe'# Xäufchung (©plfaginning) ein. Sn einem
3mijchenmort mirb noch Utije# mit 2ofi Oerglichen. ®ann folgen „Sragi'#
Keben", unb enblich mahnt noch einKachmort: „Aber bie# ift nun gu fagen
jungen Stalben, bie nach ber Sfalbfchaft, ihrer SBortfüüe unb ben alten Se=
nennungen begehren, baf# bie# Such nur gu ihrer Setehrung gu oerftchen
ift, nicht, um an bie heibnifchen ©ötter gu glauben."
Kur ba# Atlegorifche, ba# Sropifche, bie Serfonificationen, bie poetifche
Serlebenbigung ber Katur unb ©efchichte follte man at# ein unumgängliche#
Sngrebien# ber poetifchen ©eftattung au# ber SKptbologie lernen, bie ja auch
einmal au# bem AHegori#mu# entftanben mar. Kur bie cuttliche Serehrung,
bie Abgötterei follte at# irrtümlich üermieben merben. Aljo gereinigt erfchien
bie SJtpthologie nicht mehr jchäblich, fonbern fogar geeignet, gum Schmucfe
chriftticher ©egenftänbe gu bienen. 6# ift biejetbe ©rfcheinung, bie bei ber
Sermenbung antifer SKotioe in ber christlichen S'unft burch gange SKittet-
alter, unb auch in ber Soefie g. S. bei $)ante, Sannagaro auftritt.
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SUtnorbifche 3)i<htfunft. 88
®omit fchliefjt ber crfte Ifjeil ber altnorbifchen ©oetif, bic ßbba, unb
beginnt bie eigentliche ©falba, bie ©falbfchaftSrebe (©falbffaparmal), bie
Sehre öom poetifchen ÄuSbntcf. 2 luch fie tuirb^ tüie ba3 Sorhergehenbe, in
bialogifcher SBeife abgeljanbelt. ®er ®ichtergott ©rage ift eä, ber bem 2Reer=
geift Megir auf feine fragen bie ganje Xh cor ie auSeinanberfefct. Sch gebe
aus biefem bi^er meinet SBiffenä nicht überfefcten Sractat im folgenben einen
'ÄuSjug be3 SBichtigften nach einer ftberfefcung, bie ich fahren angefertigt
habe nicht in philologifchem, fonbern in rein fachlichem, prattifchem Qntereffe.
ß3 mirb mit ©eifpielen fennjeichnenber Umfehreibung begonnen. 3uerft
tommen bie oerfchiebenen au$ bem 9Wpthu$ ju erflärenben Umfchreibungeu
für bie S)icht!unft. ©o fagt 3 . ©. 2 lrnor 3 arlaf!alb:
ß3 brauft ba3 „©ier 9lttoater$" (= Dichtung):
$>eine Xhaten, £>errfcher,
Xreibt e3 mich ju tünben,
9Jteine ©ruft erleichternd
Ober fo fpricht SJtcf:
3 >er treue ®ott, ber oftmals
9Wir !am $um ^eiligen ©echer
$e3 2 lfeugottd ber SRaben,
SEBeicht bem traurigen dichter.
Unb fo fang ßptoinb, ber „©falbentöbter":
Unb ©iegfrieb, ber ben Schläuen einft
$)e3 fiaftengottä (Dbhin’3) ba3 Sier gereicht,
Serlor ben 2 eib 11 . f. m.
©0 Ulf Uggajon:
®er meitberiihmte 9luhme§gott
leitet 51 t beä ©ohneä
$ohem ©cheiterhaufen, —
$er ©ang fließt mir 00 m DJittnbe.
5)unfler fingt Sorntaf:
$er ßrbenherr, ber ©ären
©änbigt, fehmüeft be3 Sichters
©time. 9tinba’£ Siebe
SBich bem Sauber JDgger’d
ßinfacher fagt ©teiuthor:
Sch freue mich am toenigen,
®och tounberalten 9flctf)e
2 )e$ frieggebietenben 3reunbe3
Sener polben ©unlab (b. i. Dbf)in'£).
g*
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84
Siicbarb o. flralit.
@o 9tef:
#ebrer SBatgotb bu,
Der $immet8mölbung ffönig,
Dir allein oerbanfen
2Bir bie Straft jur Sichtung.
So ffiinar ©fatagtamm (©ebaflfpeer):
SKein 9tmt ift'S, be§ f>eergotte$ (Dbbin'3)
Iran! bem f>errn ber Skiffe (bem S'önig)
greubig ju^utrinfen
Stiebt ber greia gönn' icb'3.
So fagt Ityorfnalb ©tönbuffalb:
9tun f)ab' ich manches
©emifebt in ben 2Retb
Des non ©ör gehonten,
©ure'S Srbeit (b. i. Dbbin'S).
Ober fo Drm SteintborSfon:
©ringt bie ©iergefä&e
Unb meines lobten Seiche
3ufammen in eine $afle!
$ört Dmatin’S Iran!, ihr Wenden!
©o lieber Sief:
Der Iran! beS ©teinbergootfeS (ber 8tt)crge)
©rregt ben Seift beS Iborftein.
@3 raufest ber CueU ber ©ergfrau’n.
3u bören befebf ich ben SJienfcben.
©o ©gi(:
©aftlicb toar ber giirft mir;
Drum fing' icb fein 2ob.
3cb brachte Dbbin'S SDietb
9litf ©nglaitbS ©oben.
©o ©lum ©eirafon:
■Diänner, bört! ©om Iran! ber
Slfen miü icb trinfen.
D'rum gebiet' icb ©ebtoeigen.
SJriegSfang fotlt ibr höre* 1 -
©o ©btoinb:
geh miinfebte ©ebör
giir baS toonnige Siieb,
©iS bafS icb berichtet
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SUtnorbifdje $id}tfunft.
85
©iHing^ 9tad)e,
33i3 baf§ feine Slbfunft
$on beit ©öttent icfj fagte
3 m Seffettranf
$e3 ©algengetragenen ( 0 bbin’£).
©o ©inar ©fataglamm:
Den ©eetoolf (Schiff) lenft bg£ ©ebot beS. fi'önigS.
STOir gefällt be£ dürften Slbfidjt.
4>ocf) fc^tägt Dbbrörir^ SBoge (ber Dic^tertranf)
9tn be$ ©ange§ Rippen.
#fjnltd) berfetbe:
9?un mädjft bie SBoge be3 Steffels;
3 b r gelben in ber £>a(Ie,
£ordE)et auf unb tauftet
Dem ©djiff ber gelfemuofjner!
©o ©ilif ©ubrunarfon:
©ei Sftic^ter bu ber SreunbfdjaftS-
©oben, toenn ber ©ame
DeS Steffeln 511 SönigS 6 ^ren
3 m Selb beä ©eifteS auftuäcbft.
©0 fagt 3Bölu*@teiit:
Sgil tron ©laumberg! $äre
Den ©trom beS SreunbeS Sftimer’ä!
©r raufet um bie Stippen beS ©aumenS;
Dbunb'S (Dbfjin’S) Snnb toarb mir gegeben.
©0 0 rm ©teintborfon:
SReitte Sieber treffen
Seinen; ©pott nicht mifcb r icf)
3u beut ©ang beS SBibur;
®in ein bieb'rer SangeSfcbmieb.
60 Ulf Uggafon:
DeS SriegSgottS Iran! beranfdbt
Olafs ©eift, beS milben
Unb fingen $ernt. len toil! icb
Saben ju ©rimner’S (Obbin'S) ©abe.
8 fDe biefe Umfcbreibungen erflären fid) toon felbft aus bem finnreicfjeit
SRljtboS Dom Dicbtertranf, beit bie 3toerge guerft aus ftmafer'S Slut ntifcben,
ben bann bie SRiefen rauben unb in brei Steffeln burcb ©unlöbb oertoabreit
(affen, ben enbtidb SBobait biefen nach manchen ©efabrett unb Arbeiten entliftet.
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86
Richarb t>. Kralit.
3)aher Reifet bie Dichtung noch: Kroafer'S ©lut, tfroergenfchiff, gtoergenmeth,
Riefenmeth, SuttungSmeth, ObhinSmeth, SIfenmeth, ©atergelb ber Riefen,
Saft Dbhrörir'S unb ©oben'S uitb Son'S (ber brei Keffel), «Saft ber fmit*
berge, Sang, Sunb ober Saft unb ©abe Dbhin’S u. f. to.
Run folgert bie Umfehreibungen ber Stfen, bie ich übergebe, ba jie in
SimrücfS Überfepung ber f>auptfache nach, aber ohne bie citierten Sfalben-
ftrop^en, oorliegen. S)urchfichtiger als in biefen ©ötterbenennungen erfcheint
bie TOegorie in einigen anberen, oielgebrauchten Gegriffen. So toirb ber
i m m e l als ^irnfdjale beS liefen $mer, als Arbeit ober Sürbe ber öiet*
3toerge, als £>elm Sßeftri'S, 5luftri% Sitbri'S, Rorbri'S bezeichnet, als ©rbe
ber Sonne, beS 2RonbeS, ber Sterne unb ber Stürme ober ber Sternbilber,
beS SBagenS u. f. m., als £>elm ober §auS ber Suft, ber ©rbe, ber Sonne,
©inige ©eifpiete aus ber Sfalbenpoefie: $eS Königs SRilbe toar berühmt
unter ber alten f>irnfd)ale $mer'S (?lrnor 3arlaffalb). ©8 Serledjjt bie
Arbeit s 2luftri'S (berf.). 2>er ©rbe Sohn (3^or) fuhr $u SBagen jurn ©ifen-
fpiel; ber SBeg beS SRonbeS aber erbebte unter ifjm (2l)iobolf b. £min). 2Bic
immer auch mich, 0 $ife (Srau), ber $err ber gtoergenbürbe aufnehmen toirb,
er tentt baS Reich beS StegenmegeS; ich toeifj, baf$ er ein mächtiger König
ift. — 3ener, ber ba toarf bie Singen beS ©aterS ber Schlittfchuhbife
(Iljiaffi, ©ater ber Slabt)i) in bie toeite Scpüffel ber SBinbe über manniger
9Renf<hen Sipe. — ©3 fehlt Diel, bafS ein befferer SJlenfdjenfcpüper tpachfe
am ©ntnb ber Söinbfdjüffel, umgeben bom tönenben SReer. — ®en ^eiligen
£>errn beS popen ©rbenzeltS ruf' ich eher jurn Stifter an für biefen ©efang,
als bie SRenfchen; benn jener ift ^e^rer. 2)aS Sieb beginne! (Stein
.^erbiSarfon). — D treuerer König ber ©rbe beS 2ageS, pilf bent tpeuren
$ermunb! (9lmor 3arnaffalb). — 'Serfelbe: D magrer §err ber Sonnen*
zelte, hilf bu bem mutigen Rögentoalb. — $afltoarb: Knut mehrt baS Saub,
wie ber allmächtige ©ott ben glän^cnben Saal ber ©erge. - 9lruor: S)ev
meife SRichael fchäpt baS, toaS unrecht, unb alles, toaS gut fcheint. ®arauf
fcheibet ber König beS Sonnenhelms auf bem Richtftuhle bie äRenfchen. —
2Bie man fieht, mifchen fich hier rein cpriftliche 2lnfchauttngen in bie alle-
gorifche Sage.
2>ie ©rbe roirb umfehrieben als Sleijch beS Urriefeu $mer, üRutter
beS Ih ör / Xochter Dnar'S, ©raut Obhin'S, Rebenbuhlerin grigg'S unb Rinba'S
unb ©unlöbh'S, Schtoiegermutter Sif'S, ©oben unb ©rnnb beS SBinbfaalS, See
ber X^icrc, lochter ber Rächt, Schioefter ^lube’S unb £ag’S. 3^ei ©eifpiele
t)on ^allfreb ©anbräbaffalb, bem „fchtoierigen Sfalben": ®er Rath gtücfte;
fo gefchah eS, bafS jener fdjneürathenbe Sreunb beS Königs barauf bie ein*
^ige lochter Dnar'S, bie mit ©äumeit betleibete, ^eimfii^rte. Ober noch
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SUtnorbifdje SÜcptfunft.
87
fünfter: ©S gelang bem gelben, ber bie Slaben reijt, bie ©raut beS
JtammaugS, bie breitföpfige, burch bie Siebe beS Stahls ju fich ju toefett
ib. h- ein ßanb ju erobern).
®te ©ee mirb Umtrieben als $)mir'S, beS SBeltriejen, ©tut, als
©ernahl Slan’S nnb ©ater ber neun StgirStöchter, auch ©rbe berfelben unb ber
Schiffe, ber gifche, beS ©ifeS, SEBeg ber ©eefönige, Sling ber ©itanbe, £>auS
beS ©unbS, beS längs unb ber Stippen, Erbe ber gifchangel, ber ©eeoöget
unb beS SBinbeS 5 . 93. (0mt bon Sarrep): Sahrt toohl! ^rauften an ber
Säfte raufet $mir'S ©lut. — Sief: ©erabe trägt baS SBettthier feine
roogenumbrängte ©ruft burdjS SJleer oou SBeften; baS $adh ber SBalfifche
njirb in bie §ötje geioorfen: id) erwarte Sanb oor bem ©chifffchnabel. —
©Dein: 2ltS bie heftigen unb rauchenben ©ergroirbet, bie f roftgenährten, auf*
hoben unb auSeinanberjagten bie 2lgirStöchter, bie fturmfrohen. — Sief:
©pmer'S (= #gir'S) falte SSiala (= Slan) rnirft oft ben ©ären ber Schiffs*
feite (baS ©djiff) in $gir'S Slawen, too bie 9Boge mit ©raufen branbet. —
$)erfetbe: 3)och baS Stofs ber ungeheuren ©Sogen (= ©d^iff) / mit ffiaffer
befpri^t, hob bie ©ruft, bie rothbematte, aus bem Slawen ber fchäumenbeu
Slan. — ©inar ©futafon: ®aS SlofS beS ©chroanenfelbs (= Schiff) macht
ben ©eegrunb in SBirbet oerfinfen. — $erfetbe: Xie raufchenbe Erbe ber
Äuget urnmaflt bie Säften. Ober: $ie Jpotmfeffet (= ©ee) treibt ben ©ee*
mannSrabeu (— Schiff). 0ber: ber $otmranb. (= ©ee), in §erbftfälte
fchaubernb, toarf ben bitten ©chtittfchuh ber ©ee (= Schiff). Ober: ®er
ftramme ©ürtet ber falten Sanbe fpringt auSeinanber oor bem ©orb. —
©näbjörn: ©ie fagen, bie menfehenf einbliche SRühte ber Stippen (= ©ee)
roerbe außerhalb beS SlanbeS ber ©rbe aufgerührt oou jenen neun ffljeer*
fchtoeftern, bie baS Säger, barauf bie Schiffe ju ruhen pflegen, oor langem
jerfchlagen h a & cn - ® er Slingoertheiter (= Sönig) bitrchfchneibet ^amleth'S
SRüpte (= ©ee) mit bem ©chiff*borb.
Stuu folgen Umfehreibungen ber Sonne. ©0 jagt ©fuli Iporfteinfon:
©lett'S ftrahtenbe ©attin, bie götterflare, befchreitet fchuetl bie ©emächer ber
©öttin; ba fam baS gute Sicht beS toeifjgefleibeten SRonbS. — ©inar
©futafon: 2Bo immer bie hohe Stamme beS SuftfaalS über unferen heh r en
Sreunb, ben golbgebigften (Sönig) bahinfehreitet.
®er ©Sinb heifet gornjot'S ©ohn, ©ruber Ägir's nnb beS $euerS,
©recher ber ©äume, ©djaben, ©erberben, £unb ober ©Solf ber Segel unb
©äume; j. S. ©oein: $uerft fiengeu ftornjot'S Söhne an, ben Schnee ju treiben.
2>aS3euer helfet ©ruber beS ©Sittbs unb Ägir'S, löbter unb Schaben
ber ©äume nnb Jpänfer, Sonne ber Käufer.
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88
Sticparb o. £ralif.
Ser SBinter peifjt 2Binbfüpl'3 ©opn, Söbter ber SBürme, 3^t ber
Stürme, j. ©.: 3cp ratpe bem blinben Wanne, bafö er piet jufrteben mit
SBiitbfüpf 3 ©opne (ebe (0rm ©teintporäfon). Ober 3l3grim: Ser ©iegerringer,
ber greigebige (fi'önig) burcplebte jenen ©cpmer$ ber ©erlange (ben SBinter)
barauf in Spranbpeim.
Ser Sommer bagegen ift ©üfjminb'ä ©opn, grueptjeit, ©lücf ber
SBärrne; j. S. (®gil): Stößer be3 SBolfeapnä (Slönig)! ©Urningen mir
unfere pepren ©cpmerter! ©rofee Singe muffen mir uodbringen in biefer
greubenaeit ber ©cplangen.
Sine grofce Stode bei ben altnorbifcpen ©falben ebenfo mie bei
Sicptern anberer 3^italter unb Sölfer fpiett ba3 ©olb; e3 mirb nadj
befannten Wptpen umfeprieben al3 geuer Wgir'S unb Stan'3, ber Weergötter,
in beffen Saat e$ ftatt be3 Sid^te^ teuftet, at3 Saub be3 $aine3 ©tafir,
al3 £>aar ber ©öttin ©if, al3 pauptbanb gitüa’S, Spränen greia’3, Wunb'
rebe, Sprache ober Sßort ber liefen, meil biefe einft mangels anberer
gnftrumente ba3 ©olb bei einer ©rbtpeilung mit bem Wunbe mafjen; als
Sropfen, Siegen ober Stauer be3 SSJunberriitg^ Srattpner ober ber Slugen
greia% al$ Dlterbufje, SSeprgefb ber 9(feit, geuer ber SBaffer ober ber
|>anb, stippen ober Sliufen ber §anb 2C.
Sinige Seifpiele. ©o jagt Srage: Seim Srinfgelag erhielt icp t)om
Sönig ba3 geuer be£ fifcpreicpeit Weere3; ba$ gab mir ber giirft für ben
Xranf giölnir'3 (bic Sicptung).
So ©prninb ber ©fatbeutöbter: Sie Sonne, fcpeinenb in guda'$
Sanb, glänzte mäprenb .jpafon'3 ganzer 3^it ben ©falben auf ben Sergen,
bie llder’3 ©d^iff (ben ©cplittfcpnp) tragen.
So fagt ©fitli Sporfteinfon: Siele Kämpfer, mit Worbfeuer fcpabenb,
erhielten am Worgen oiele „Spränen ber greia", meil mir ben Wann Der*
trieben patten; ba mären mir babei. Sinar ©ftilajoit fingt: Sie parte SBacpt
be£ Wecre3 braepte neuliep mir bett ©cpnee ber ©cpüffelit (Silber). Ober
noep fiipiter: Ser frieg3füpne £elb, ber, Dbpin^ Serfammlung (ba3 £eer)
umbröngenb, Streit erregt, gab mir bie Socpter ber äöanenbraut, bie über=
mäeptige (greia'3't; jener mäeptige üeitfer ber Scpmerteroerjantmlung füprte
bie Socpter ber ©efn (greia'3), befprengt mit ben Kopien (©luten) bc$
2 Bege3, ber oon ©antref* ©cpmänen betreten mirb, in ba3 Sett be$ ©falben.
Sa3 peifjt einfach: ber Sicpter ift gut bejaplt morben. Ober: gep pörte,
bie Wägbe grobpi^ patten eifrig gemaplett ba$ ftiffen ber ©cplange (@olb).
Sie3 Wcpl genja’3 tragen bie reicpeit ©eiten meiner $l£t in £ot& eingelegt.
Se£ milbeit &önig$ ®ut maept ben Sicpter angejepen. —
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9Utnorbif<$e $td)tfunft. 89
l^iobolf unb ajtbere ©falben benennen bog ©olb nach König Krafe,
bcr e« einft, um bic Derfolgenben geinbe aufjuhalten, auf bcr glucht au«ge*
ftreut ^atte: $er König befäct feineu Wannen ba« reichtragenbe Mderfelb
ber {Ringe, bie e« lieben, an ben ©liebem ju bleiben (b. i. bie $anb), mit
bem ©amen t>ou ?)rfa'« ©efchlecht; ber lafterfliefyenbe £err be« SReidj«
beftTeute mir felbft ba« gelb be« ^abidjt«, ba« mit marnten gleifch bebedtc
(bie £anb), mit bcr lichten ©aat Krafe'«. gm alten Sjarfamal toerben bie
Benennungen be« ©olbe« alfo gehäuft:
1 . gener freigebigfte König gab feinem ©efolge ber genja Söerf,
gafner’« Wittgarb, ©lafir'« ©liihlaub, ©rane’« fchöne ©iirbe, ^raupner’«
theuren ©<h»t>eij 3 , bie $aunen ©rabroolf'« (be« ®rachen).
2 . ®« gab ber milbe König, bie Wannen empfiengen: ©if’« £aar,
@i« ber £>anb, Ottern erjmungene ©ufce, bie Säuren ber Warball (greia),
ba« geuer Droita'«, P>e’« (be« {Riefen) glänjenbe {Reben.
3. 2Bir giengen fchöngefchmüdt mit 2t)iaffe^ ©erhanblungen. ®er
Krieg«toeife erfreute Diele Wänner mit be« {Rheine« {Rotherj, bem Streit
ber {Ribelungen; jenen fampffüfjnen König fchüfce ber fcfjroeigenbe ©alber!
©inar ©fulafon nennt ©ilber unb ©olb jufammen: ben ©djnee unb
ba« geuer be« Beutel«. ©r fingt aud): ®ie glamrne be« Weere« (©olb)
bleibt täglich über bem meinen Schnee ber ©djüffel (©ilber); hoch ber König,
ben ©djnabel be« ©eeroffe« (Schiffe«) mit ©drüben fchmüdenb, ^egt frei*
gebigen ©inn. 9tie fann ber Schnee ber ©chüffeln fchmel^en toegen be« geuer«
be« tönenben 9laltt>ege«. ®en König, ber bie golbenen ©piralringe au«theilt,
nennen bie ©falben ©olbbrecher, ©olbmerfer, ©olbfeinb; B. fingt Dttar
ber ©cbtoar$e: geh bebarf be« SBohltoollen« bcr h?h ren Wannen be« ©olb*
brecher«; h^r innen ift bie ftarfe ©d)ar beim frieg«funbigen gürften." Ober
©inar ©falaglam: „$er ©olbfenber läf«t ben |>errn ber ©rbe ?)gger'« Üranf
genießen, ©eine föftlichen ©efchenfe empfieng ich." Ober 2h orn >alb Blanbaffalb:
„®er ©olbfeinb mirft bie Kohlen be« $lrme«; ber König gibt rothe Schäle;
bcr Beruic&ter ber Übelthäter ftreut bie Saft ©rane'«."
(Sctyufä im näcfjftcn #cft.>
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(Iber flüssige Cuft.
fcon prof. ® fi. 1 . 1 |arttoig.
alter Scott fc^ilbert in einem Stomon bie ungläubige 93ermunberung
eiltet Orientalen, al# ein Sreu^faljrer oon feiner falten Jpeimat
berichtet, bafö ba# SEBaffer im SBinter l)art unb feft merbe unb in Stucfc
gefdjlagen merben fönne. Unb jener Orientale glaubte an bie SBunber oon
Saufenb uitb eine Siadjt.
3 n unferen lagen taffen bie greifbareren SBunber ber mobernen Xedjnif
un# manche# Seltfame gemöljnlid) erfcfjeineit; bennod) merben mir moljl faunt
ein äljnlidje# Staunen unterbrücfen fönnen, menn mir junt erfteit SWale Ijören,
bafö e# gelungen ift, bie 2 uft in ben flüffigen 3 ll ftanb über^ufü^ren.
®er tedjnifd^amerifanifc^e ©eift fpridjt bereite oon einem anbredjenbett
„gafjrtjunbert ber flüffigen 2 uft" unb finnt in f)unbert köpfen ber praftifdjen
Sermenbbarfeit be# neuen SRebinm# nadE), mir guten ©uropäer aber beitfen
langfamer unb muffen bie feltfame Sunbe junäc^ft intellectueü oerarbeiten,
um unfer $enfen gleicf)fam an neue Sitten unb ©cbräucfje 311 gcmöl)nen.
2 Bir erinnern un# an bie öier ©lemente be# ©mpebofle#: 2uft, SBaffer,
©rbe, geuer al# 9tepräfentanten be# Xrodfenen, geudjten, Satten unb
3Barmen. SBenit mir aud) längft in ber ©Ijemie biefe Unterfdjeibung fallen
gelaffen unb un# mit etlichen 70 bi# 80 ©lementeu üertraut gemacht l)aben,
ift bodj in unferer 93 orfteflung etma# Oon ber alten ‘Benfmeife jurücf geblieben,
unb e# ift un# ein unfagbar frembartiger Slnblicf, meint mir bie 2 uft in
einem 93ecf)ergla# al# eine fjeflblaue, mäfferige gliiffigfeit oor un# l)aben,
meldje auf bie falte ©rbe gegoffett, aufjifc^t unb oerbampft, „mie mentt
SBaffer mit gcucr fidf) menget." SBir merben an bie Sfjafejpeare'fdfjen
.öejenfprüc^e erinnert, bettn ba# Irocfene idjeint naf# unb ba# Saite gleich
zeitig toarm 511 fein; bcutlicfyer fonnte ©mpebofle# nidjt miberlegt merben.
©inft fdjrieb Seppler feinen Iraum 00 m äRonb, um feinen 3citgenoffen
flar &u machen, baf# einem Sftonbbemoptter ba# SBeltall ganj anbei*# al#
un# ©rbenmefen erfd^einen müf#te. git ueuefter $e\t erörtern Oerfcfyiebene
Sfypfiologen mit großem Sdjarffittn bie grage, mie un# bie SBelt erfdjeineit
mürbe, menn mir oon 9?atur au# mit aitberen Siitne#merfäeugen au#geftattet
mären, 5 . 93 . ftatt ^meier 9lugen nur ein einzige# befäften u. f. m. ©bettfo
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Über fliifftge Suft.
91
ermähnt T)u Sßrel in feinem Such „Ter Spiritismus", meid) reicher unb
feltfamer ©mpfinbungSjumac^S aus einer — immerhin benfbaren — nernlichen
Serbinbung unfereS ©etjörorganeS unb beS ©efichtSfinneS remitieren mürbe.
SBir müfSten bann nothmenbigermeife bie öerfdjiebenen Soeben als auf^
einanberfolgenbe Töne hören unb umgefehrt bie Tonleiter als ftarbenfcala
f e h e n.
SB 05 U aber biefe phantaftifdEjen Speculatioueu ? Unjer SorfteüungSfreiS
änbert fich bod) fchon in ber beftehenben ©onftetlation foSmologifcher unb
organifdjer SebenSbebingungen beinahe mit jeber neuen uaturmiffenfchaftlicheu
©rnmgenfchaft. Sluch bie Serflüffigung ber Suft mufS unfer SSeltbilb neränberu.
SBir fteljen nor einer X^atfac^e: bie Suft, bie mir atfjmen, bie unfere
@rbe als gasförmiges SKeer umhüllt unb gegen bett SBeltraum abgrenjt,
ift bei einer Temperatur non ungefähr 200° ßclfiuS unter 9tufl als flitffig
norjuftellen. Tie Suft fann nun nicht mehr als ber ©eneralnertreter beS
gasförmigen $uftanbeS gelten, ben man bisher auch nöflig jutreffenb als
„luftförmigen" charafterifieren burfte. Tie Suft ift nielmehr als ber Tampf
einer glüffigfeit ju betrachten, bie bei — 200° fiebet. Ter 21uSbrucf
,,fieben // fcheint aßerbingS für eine folche tiefe Temperatur nnpaffenb gemäht
ju fein, ba mir unmiflfürlich an bie 100 ° SBärme beS fochenbeit SBafferS
benfen müffen. Toch höben mir jebe SBärmeangabe als eine bloft relative
anjufehen, unb jeber fförper non gemöhnlicber Temperatur ift h f i 6 gegenüber
ber falten fluffigen Suft.
SBir mevben banadh begreifen, bafS ein beliebiger ©egenftanb, in flüffige
Suft gemorfen, ein Stufeifchen nerurfacht, mie menn ein glühenber Stahl in
falteS SBaffer getaucht mirb. Sein ©jperiment fönnte unS anschaulicher bie
Slelatinität ber 9taturnorgänge nerbeutlichen.
2)tan hotte früher Tämpfe unb ©afe ftrenge gefonbert. $US unter*
fcheibenbeS SRerfmal nahm man an, bafS ein T)ampf burch Trutf jit ner=
flüffigen fei, maS für ein ©aS nicht galt. Später, als eS gelang, bie
Stohlenfäure burch flroßeti T)rud ju conbenfiercn, unterfchieb man itod)
fogenannte coercible unb permanente ©afe. 3 *i ben teueren, bie auch
einem T)rud non mehreren taufenb Sltmofphären*» miberftanben, rechnete mau
bie Suft, b. h- ©tidftoff unb Sauerftoff, ferner SBafferftoff u. a.
T)a lieferte Mnbrems im 3öh rc 1869 eitblich eine befriebigenbe
Söfuug. (Sr seigte, bafS eS für jeben Tampf eine „fritifdje Temperatur"
gäbe, oberhalb melier berfelbe bei noch f° großem Trud gasförmig bleibe.
*) 1 Sltmofphäre = 1 Kilogramm pro Ouabratcentimeter.
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1)2
©rof. Tb- g. Wartung.
3Bir fönnen un§ biefe$, öuf bett erften ©lid anßbeinenb merfmürbige
©ermatten auf folgenbe SBeife einfach erfläreit. Sa$ Sieben einer glüffigfeit
bebeutet bie Ummanblung berfetben in ben Sampf* ober ©aSjuftanb. Ser
entftebenbe Sampf b a *> um auä ber glüffigfeit entweihen ju fönnen, ben auf
berfelben laftenben ßuftbruef flu öbertoinben. SBenn mir bafjer fagen, ba£
TBaffer fiebet bei 100 °, fo meinen mir bamit, bafS ber bei 100 ° entmiefette
fBafferbampf eine Spannfraft befifct, bie gerabe fo groß ift, mie ber äußere
Suftbrud, ber normal einem ©arometerftanb oon 760 SRiflimeter entfpriebt.
gft baber ber auf ber Söafferoberflädje laftenbe Srud ein geringerer, fo mufs
ba3 Sieben bereite bei einer niebrigeren Temperatur beginnen. Tbatfäcbticb
fann man unter ber Suftpumpe ba§ Söaffer febon bei 80° jum Sieben
bringen, menit bie Suft auf bie fjafbe Sicbtigfeit gebracht mirb, bei 60°,
menn ber Srud nur mehr V» ^Itmofpbäte beträgt u. f. m.
Umgefefjrt aber mirb bei fteigenbem Srud ba£ Sieben nur bei erhöhter
Temperatur eintreten. Unter flmei Sttmofpbären Srud mirb ba£ SBaffer erft
bei ungefähr 120 °, unter 10 9ltmofpbären Srud bei etma 180° fieben,
b. b- bei 180° befifct ber SKafferbampf eine Spannfraft oon 10 Sltmofpbären.
©reifet man nun SEaffev in einem gesoffenen ©efäß, fo baf$ ber
"Dampf nicht inä greie entmeicben fann, bann mirb biefer felbft Sießlicb
bureb feine Spannfraft ba£ meitere Sieben berbinbern. Ser Sampf ift bann
ber üorbanbenen Temperatur entfprecbenb „gefättigt".
©ei meiterer ©rmärmuitg gebt abermals etma§ Söaffer in Sampf
über, mobureb bie Sampfbicbte unb ber Sampfbrud immer größer mirb, bie
Siebte ber reftierenben glüffigfeit aber ftetig abnimmt. ©£ muf£ baber enblicb
eine Temperatur erreicht merben, bei melier bie Siebte be£ Sampfe£ gerabe
fo groß ift mie jene be£ 2öaffer3, unb biefe nennen mir eben bie „fritifebe
Temperatur".
Sie beträgt für SBaffer 365°. Oberhalb berfelben mürbe baS SBaffer
in flüffigem gnftanbe eine geringere Siebte al£ ber gefättigte Sampf befifcen,
b. b- oorbanbeite 3Raffe mürbe ein größere^ ©olumen flüffig, al3 bampf*
förmig einnebmen. Sa£ ift aber unmöglich- Senn bie berrfebenbe Sampf*
fpannung ift bei 365° auf 200 9ltmofpbären geftiegen, unb bie Subftanfl
mirb ficb naturgemäß in feite gorm oermanbeln, melcbe biefem hoben Srud
am meifteu miberftebt, unb ba$ ift bie gorm be£ fleinften ©olumen# unb ber
größten Siebte: bie Sampfform, b. b- oberhalb ber fritifeben Temperatur
muf$ bie glüffigfeit ooflftänbig in Sampf übergeben.
gm ©runbe genommen läf£t ficb *n biefem fritifeben 3uftanbe über*
baupt ein ftrenger Unterfebieb jmifcbeit glüffigfeit unb Sampf nicht faffen.
fflir pichen ben lepteren kanten nur oor, meil bie Subftanfl bei Abnahme
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Über flüffiflc Suft.
93
beS TrudeS immer mehr bie Gigenfchaften eine* ©afeS geigt. Unb als ©aS
merben mir nunmehr jeben Körper oberhalb feiner fritifchen Temperatur
begegnen, mäljrenb er unterhalb berfelben in coercibter Tampfform auftritt.
Tie Kohlenfäure, meldEje fchon bet ber fritifchen Temperatur non 31'*
©ärme unter 75 Sltmofphären Derflüffigt merben fann, ift bemnach für
getüöfjnttdj gerabegu als Tampf angufehen, nur über -f 0 ift ft* — ber-
gteichSmeife gefprodhen — ein permanentes *^aS.
äRenbelefeff fyat in biefem Sinn auch bie fritifcfje Temperatur beit
abfoluten Siebepunft einer gliiffigfeit genannt, ba bei biefer Temperatur baS
Sieben ohne SRüdficht auf ben äußeren Trud erfolgt. ©aS^ mir gemöhnlich
als Siebepunft begegnen, geigt nur feite Temperatur an, bei mefdjer eine
3tüfpgfeit unter bem normalen Suftbrud bon 760 SKiüimetern in Tampf
übergebt.
Tiefer Siebepunft liegt natürlich tief unter ber fritifchen Temperatur.
Ter Siebepnnft b*S ©afferS liegt 265° tiefer, benn erft über 365° mirb
ber ©afferbampf permanent. Ter Siebepuuft ber Kohlenfäure liegt bei
— 78°, morauS erflärlich mirb, marum mir biefen Körper für gemöhnlich
als „®aS" anfpredjen.
©ir Kulten überhaupt ©afe als überfpfcte Tämpfe anfehen, bie fefjr
meit bou ihrem SättigungSpunft entfernt finb, b. h- bereu Siebepunft fefjv
tief liegt.
Sluf biefc ©eife fönnen mir bie SRelatimtät ber Slggregatguftäube
gebanflich feftfteflen. Um ben ©ebanfeit gur Tf)at merben gu laffen, bebitrfen
mir atlerbingS noch ber $erftellung tmu feljr tiefen Temperaturen.
©ir gehen oon gmei fet)r befannteit ©rfdjeinungen aus. ©ir befeuchten
bie Jpanb mit ©affer, Sllfohol ober SÜtljer unb führen burch rafche SPemegung
baS Serbunften ber glüifigfeit heröri. S8ir oerfpüreit in ber §anb ein ftarfeS
Kältegefühl. Tie 3tfüffigfeit h a * beim SSerbunften ©ärme oerbraucht unb
feiner nächfteu Umgebung, ber ^anbfläche, entgogeu. GS entftcht fogettannte
SerbunftungSfälte.
Tie gmeite Grfcheinuitg fann leicht beobachtet merben, menn man burch
®lafen einen falten Suftftrom ergeugen mill. ©ir fpifcen gu biefem Sefjufe
bie Sippen, um einen möglichst fleinen Spalt h^rgufteUen, unb preffett bie
Suft aus unfereu ßungen in bie 5ftunbf)öl)le, moburch fie contprimiert mirb
unb nun burch bie enge ÜERuttböffnung unter ftarfcm Trud iitS «freie tritt.
£ier tritt nun eine plcgliche, bitrch ben oermiitberten Suftbrud bebingte
Gntfpanuung ein, bie Suft behüt fich atiS, leiftet gegen ben äußeren ©iber=
ftanb eine Slrbeit, mogu fie ©arme bebarf, unb bie Temperatur beS fonft
marnten SlthemS mirb bebeutenb erniebrigt. Tiefe beiben alltäglichen Gr^
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94 s $rof. g. £>artn)ig.
Meinungen enthalten bie ©runbprincipien ber anjutoenbenben 2 l 6 füljlung$s
metljoben.
©0 gelang e§ im gafere 1&77 ©ailletet, oerfdfjiebene „permanente"
©afe ju berflüffigen. ©r oerbidjtete aunäcfeft ba3 ©a3 in einer engen SRöfjre
auf einige f)unbert 2 ltmofpf)ären unb füllte biefe SRöt)re burdj oerbunftenbe
fdjroeflige Säure auf — 30° ab. Tann tiefe er ba$ comprimierte @a3 burd)
einen engen £aljn in$ greie treten, moburcfe bie Temperatur unter ben
fritifdjcn s ßunft gelaugte, monadE) Siebet' unb Tropfenbilbtntg eintrat.
Hu gleicher Heit fteüte Rietet gröfeere SRengen ber ftiiffigen ©afe bar,
inbem er ftatt ber fdjmefeligen ©äure, bie bei — 10 ° fiebet, ftiiffige Konten*
fäure oertoenbete, beren ©iebepunft, toie bereite ermähnt, Diel tiefer liegt.
Um bie öerbunftung berfelben ju beförbern, mürben jumpen bertoenbet,
meldfje einerfeitä ba£ berbampfenbe ©a£ rafd) befeitigten, anbrerfeitö neue
flüffige fi'oblenfäure aufüfjrten. Taburd? tmtrbe ba3 innere ©efäfe bereite auf
eine Temperatur bon — 130° gebracht. 2tt)nlidf)e SRetljobcn rüferen bon
Tetuar unb .£>ampfon fjer.
Tie fabrifömäfeige $erftellung ber flüffigen Suft ift aber erft 1895 burd)
einen Apparat bon s J 8 rofeffor Sinbe möglich getoorben. ©eine 3Retl)obe beruht
auf einem Strei£procef£, bei bem Suft allein in Slntoenbung fommt. Ter
Vorgang ift in turnen Hügen fotgenber: burrf) eine jtoeicplinbrige ©ompreffionS*
pumpe mirb Suft auf 200 2 ltmofpf)ären berbic^tet unb burc§ Slntoenbung
einer Sättemifcfjung auf — 10 ° gebracht. Tiefe Suft mirb ejpanbiert, baburdfj
bebeutenb abgefüfelt unb neuerlich ber ©ompreffion^pumpe augefüf)rt. Turcfe
biefe continuierlidje felbfttpätigc Slbfüfylung getaugt man batb ju jener
Temperatur, bei melcfeer Suft unter normalem Trucf flüffig toirb. Tie 9tö^ren
be3 Stpparate^ finb burefe ©cfeaftootle gegen bie ©imoirfung bon äufeever
SBärnte möglidjft ifotiert. ®on Heit 3 U Heit fanit bie ftiiffige Suft burdj
einen £>al)n in ein Temargefäfe abgetaffen merben.
Tiefet offene ©efäfe ift boppelmanbig unb an ber gnnenfeite mit
einem ©itberfpiegct bebeeft, ber alte auftreffenben SBärmeftrafjlen reftectiert.
Taburd? erpätt fid) bie Suft berfyättntemäfeig lange flüffig, rneit bie an ber
Dberfläcfje berbunftenbe Suft eine foldje ft'älte fyeroorruft, bafS bie barunter
befinblidjen ©djidjten in bem ftüffigen 3 wfle*nb beharren.
©iefet man bie flüffige Suft in ein gemöfjnlicfeeä S3edjergla3, fo beginnt
fie lebhaft $u foefeen, mäfyrenb ba3 ®(a£ fid) rafefe burefe bie geudjtigfcit ber
umgebenben Suft mit einer bitten SReiffe^id^te bebeeft unb an ben auffteigenben
Suftbämpfen — toenn biefer 2tu3brutf geftattet ift — ber atmofpl)ärifcfje
SBafferbunft ju biefeten Hebeln fiefe conbenfiert, fo baf3 bie flüffige Suft ju rauchen
fdjeint unb efjer ben ©inbruef einer fjeifeen ©ubftanj madjt, toa£ 51 t ber ©iS*
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Übet flüffige Suft.
9 5
jcfeicfete am ©laje feltfam contraftiert. £ätt mau einen glimmenben ©pan in
baS ©las, jo beginnt er lebhaft 511 brennen unb oerfünbet jo bie Slutoefenfeeit
beS ©auerftoffeS.
(Genauere Untcrjucfeungen feabett nun gezeigt; bafS bie flüjjige Saft eine
anbere 3ujammenfej}ung befifct als bie SUmofpfeäre. Dieje enthält neben
4 feilen ©ticfjtoff 1 Dfeeit ©auerjtoff. Die flüffige Suft ijt erfeeblicfe fauer=
ftoffreid&er, eS tommen 2 Dfeeile ©auerjtoff auf nur 1 Dfeeil ©ticfjtoff.
Dies rüfert bafeer, bafS ber Sauerftoff fcfeon bei — 183°, ber ©ticfjtoff aber
etft bei — 194° flitffig toirb.
Damit ift aber $ugleicfe eine praftifcfee Slntoenbung gegeben. ©S tarnt
bie flüffige Suft als folcfee — toeil fauerftoffreicfeer — $ur Verbefferung
ber Suft in SBofen* unb fitanfenjimmern Vertoettbung finben. SlnbererfeitS
fann burcfe eine geeignete Vorfeferung bei ber Verflüffigung nafeeju reiner
©auerjtoff erzeugt toerben.
9Rit biefem flüffigen ©auerftoff finb bie feübfcfeen Verfucfec möglich,
bie Detoar auSgefiifert feat. ©r tiefe einen SBafferftoffftrom in flüffigem ©auer*
fioff auffteigen unb oerbrennen. DaS bei ber Verbrennung entftefeenbe SBaffer
fteigt als ©cfenee an bie Dberfläcfee: ©cfenee als Slfcfee toirft immerfein Oer=
btüffenb.
©ine äfenticfee Übercafcfeung bieten SeucfetgaS ober Slcetfelen, toelcfee, in
flüffige Suft geleitet, in toeifee glocfen erjtarren unb in biejer gorm als
©dfenee augejünbet toerben fönnen.
glüffige Suft auf SBaffer gegoffen, formt ficfe in ftügelcfeen, bie auf
bem 9Jioeau toie auf einer glüfeenben §erbplatte tanken unb oerbampfen,
toäferenb bie barunter befinblicfee SBafferfläcfee 51 t ©iS erftarrt. ©ine S3lei~
gfocfe fann burcfe flüffige Suft 511 m Dötten gebracfet toerbett, ba baS Slei
bei ber tiefen Demperatur feart unb fpröbe toirb.
DaS finb aber nur DemonftrationSoerfucfee. Die ©feemie liefet toicfetigere
Vortfeeile aus ber flüffigeit Suft. Durcfe rajcfee Verbunftung berjetben toirb
eine jo grofee ffälte erzeugt, bajs aucfe ber SBafferftoff oerflüffigt toerbett
fann. Umgefefert fann man triebet mit §ilfe biefeS conbenfierten SBafferftoffeS
bie Suft fogar jurn ©efrieren bringen. 2J?an fann nun baburcfe auS ber Suft
jene Stoffe auSfcfeeiben, toelcfee fcfetoerer als biefe flitffig toerbcn. Vrofeffor
$. 91. SB. 9tamfat) ift in Sonbon eS auf biefem SBege gelungen, in ber
Sltmofpfeäre fünf neue cfecmifcfee ©lemeute ju entbecfen: Slrgon, $eliitm,
ffrppton, 9ieon unb Xenon, oon toelcfeen nur bie erften jtoei bisfeer näfeer
befannt toarett. VorjugStoeife aber toirb’bie flüffige Suft $ur Unterjucfeung
ber cfeemifcfeen 9leactionSfäfeigfeit bienen, toelcfee bei fo grofeer Sälte ftarf
feerabgeminbert ift.
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3$rof. 3. i>artoig. Über flüfftge Suft.
Die größte Ummäl$ung Derfpricht man fich für bieDechnit. ©harle 8
Xripler in SRem^orf mochte 33erfuche, um bie flüffige Sufi als treibenbe
ftraft für SRafchinen ju oermenben, ba fie ben 93ortheil bietet, ohne 6 r=
jeugung Don §ifce ju arbeiten, ©ie foü ferner jur ©Reifung Don Sälteöfen
Snmenbung finben, mie Dies bereite im oergangenen heißen ©ommer Derfucht
toorben fein foü, unb enblich ^at bie flüffige Suft ©ingang in bie ©preng-
tedjnif gefunben, 5 . S. beim ®au be£ ©implontunnete. Die Sortßeile biefe£
„©prengmittete ber gufunft" liegt in ber geringften ©ntmicflung Don ©afett,
in ber SRöglichfeit, bie Patronen an 0rt unb ©teile ju erjeugen unb in
ber 83ermeibung Don Derfpäteten ©splofionen unb unbeabfidjtigten 3ünbuugeu,
meit bie $erfej}ung ke3 ©prengmittete auägefcßloffen ift.
Damit eröffnet fich ein neuer 2Beg für ben Sergmertebetrieb, ein ©ei*
trag jur Söfung ber ©chlagmetterfrage.
SBir ^aben in aET biefen Slitmenbungen hauptsächlich &mei äRomente
^erDorju^eben: bie tiefe Demperatur unb ben ©auerftoffgehalt ber flüffigcn
Suft. biefem ©iitne ^at auch bie 2Rebicin oon bem neuen SWebium Sefip
ergriffen. Die amerilanifchen Sirjte Söfjite unb ©earce berichten über bie
©ermenbung ber fliiffigen Suft bei cßirurgifchen ©ingriffen, $ur Deöinfection
unb für SfterDenfdpneracn. 9Merbing3 liegt uite $ur ©eurtheilung biefergragc
noch ju geringes Material Dor.
^ebenfalls aber I)at bie flüffige Suft bie ftille SSertftätte beS ©hemifer*
tängft Derlaffen unb nimmt ihren SBeg burch bie gabrifen unb firanfeu^immer.
Der grübelnbe X^coretifcr h<U fie mie eine müßige grage aufgeftöbert unb
mie ein ©pieljeug ben miffenfcßaftliehen gbealiften gefcßentt. Unb toie fdjoit
manches anbere miffcnfchaftliche ©pieljeug geminnt auch biefeö nun plöfclich
für bie ©raftifer unb Slealiften Durch bie 2Röglichfeit einer einfachen
©rjeugung im ©roßen an ©rnft nub ©ebeutung. 2 öir aber gebenfen nunmehr
in banfbarer ©rinnerung ber Arbeiten eines garabap, ber rein platonifch
noch jene SBege betrat, bie ju bem chemischen SRovbpol führen, jener lern-
peratnr Don 273° ft alte, bie mir ben nbfoluten ÜRullpunft nennen unb ber
mir Durch Die flüffige Suft micber um ein gutes ©titef näher gefommen finb.
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]o$epl) Yreiberr von Belfert.
<EvItbni|Te unb (Erinnerungen.
II.
üßimjterium Srf]htarjBnl)ßVfi-^tabt0n.
7.
JWlm 23. Dctober empfieng id) ein vom 22. batierte« Schreiben be$
SWinifter« SBeffenberg, mid) „in möglidjft furjer grift $u einer
notfemenbigen Sefpredjung in Dtmüfc einjuftnben". 3>dj foitnte mir benfcit, um
ma« e« fiefe Raubein merbe! ©o naljm iefe benn von meinem lieben SBeibdjen,
faum baf« iefe mieber ein paar Sage mit ifjm $ugebrad)t batte, noch benfelben
Stbenb Stbhieb unb beftieg ben ©ifenbal^ug, ber miefe nad) ber alten
mäljrifdjen £auptftabt führen foHte. Senfetben gug benüpten $ ata cfp unb
$infa«, bie fomit meine SReifegefä^rten mürben.
Otmüfc mar bamat« ber potitifefje ©tittelpunft be« Steicfee«. Sa ber
Kaifer bort fein £>oflager aufgefcfjlagen ^atte, nahmen auefe bie ©efanbten
ber befreunbeten SDZäd^te bafelbft itjren jeitmeitigen SEBobnfifc. 9lu« aßen
fremben Staaten, au« aflen öfterreic^ifc^en Säubern gab e« ein fortmäfjrenbe«
Kommen unb ©ef)en. ©n^etne 93ertrauen«männer unb ganje Seputationen
üon Politiken Körperhaften, ©täbten unb Säubern erfebienen jeben Sag.
93om alten getbmarfcbatl in Italien mar ©raf $upn, f. !. 9Wajor im
©eneralftabe, abgefdjidt, um ficb über ben ©tanb ber Singe norbmärt« ber
Älpen ju informieren unb barüber an ba« §aupt=Duartier nad) SWailanb
ju berichten. ®m 21. mar £>ut)n in Dtmüp eingetroffen unb nod) am fetben
Sage üon ©r. SRajeftät empfangen morben. ©r tjatte bem Kaifer bie
Änfic^ten fRabefctp'ä über bie Sage in gtatien üor^utragen unb be« Kaifer«
meitere Sefebte einjuboten; er b<*tt e auch bie SSerfic^erung ju erneuern, baf«
bie Hrmee in Statien in unerjcfjütterlidjer Sreue verharre unb bem 2Wer*
bödjften Krieg«berrn unbebingten ©eborfam bemabre. 9Kit ficfetlicber greube
üernatjm ber Kaifer biefe SEBorte; er tiefe bie Kaiferin ju fid) entbieten unb
forberte #upn auf, in ihrer ©egenmart ba« ©efagte ju mieberbolen. Ser
Kaifer reichte ber Kaiferin bie £anb unb fpradj mit tiefer SRübrung: „Sa«
Die ShittuT. III. 3<$*0. 9 . $eft. (1901 ) 7
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98
3ofepb Freiherr pon eifert.
habe ich üon 9Reinem SRarfchafl unb üon biefer braüen Armee ermartet." Die
Äaiferin banfte bem Dfficier mit fernsten Augen für bie freubige Sotfdjaft . . .
Sine Sreube anbern ©haralterS, ein magrer Xroft in ihrer traurigen Sage
mürbe bem Saiferpaare jutbeil. lag für lag erfdjieneit halb aus biefem, halb
aus jenem Sejirfe Sanberien berittener Säuern, um bem #ofe ihre fjulbigung
ju bejeugen. ©ie jogen jmei unb jrnei, oft in langer SReilje, oor ben fürft*
erjbifchöflichen ^Saloft unb hielten gemöhnlich unterhalb beS BalconS über
bem ^aupttljore; ber Anführer in Begleitung eines ober jmeier aus ihrer
SRitte oerfügte fidh in ben ©aal, um oor ben äRajeftäten einige SSBorte beS
DanfeS unb ber (Ergebenheit ju fprechen. $umeift mar eine gefdhmücftr
Bäuerin babei, bie bem Äaiferpaare länbliche ©aben überreichte: $ühner
unb ©ier ober ein flectenlofeS Samm, einen lanbeSüblichen fitolatfdj u. bgl.
SRanchmal gefchah eS, bafS ber fiaifer, nachbem er bie ©abe empfangen unb
ben Stebner gütig angehört, bemfelben bie |>anb reichte, unb menn es biefer
tief ergriffen ben ©einen unten erzählte, bann fielen biefe über feine $anb
her, bie fie mit Hüffen bebedten, gleichfam um auch etmaS ton bem faifer=
liehen ßänbebrud ju hoben. Mitunter fielen roohl auch lomifche ©eenen tor.
©o fotl eines DageS eine Bauernbeputation erfchienen fein, bie ben Sfaifer,
als ihnen biefer oerfidjerte, Oon ber Aufhebung ber fRobot foOe nichts
jurüdgenommen merbeit, in aller Unterthänigfeit bat, er möge ihnen barauf
feinen $anbfdjlag geben, ©ine boshafte Berfion lautete: er möge eS ihnen,
bamit fie ber ©ad}e ganj ficher mären, auf einem ©tempelbogen betätigen.
Dljatfächlich hotten oiele biefer fchlichten Seute üon ben neuen Einrichtungen
fonberbare Begriffe. „34 bitte bich, toaS ift benn bas, Sonftitution ?" fragte
ein $anät ben anbern. „SBeifjt', baS ift, menn ber Jtaifer in Benfion geht."
Die grofjartigfte biefer Banberien mar am 21. in Dlmüfe eingejogen,
alfo gerabe an bem läge, mo bie tefcte Deputation aus SBien bafelbft meilte.
3Ret)r als taufenb Bauern bilbeten ben Sug unb eine Deputation überreichte
bem Saiferpaare einen riefigen, mit Blumen unb aflerpanb «Jrlitter gefchmüdten
Kolatfch, einen jener 3Roijftre»Kuchen, bei beffen Anfertigung ber Badofen
auSeinanbergemorfen mirb.
©S mar baS an einem ©amftage. Auf ben Sonntag barauf, 22. Dctober,
fiel bie fogenannte £’aifer=fiirchmeih im ganjen SReidje. 9tiemalS noch 0 >ar
biefe Oom Sanboolf mit freubigeren ©efühlen begangen morben, befonberS
in ber gesegneten $ana! AuS allen ©djenlen ertönte SRufil, auf ben
Danjböben brehte man fidj, hüpfte unb fprang man, an oielen Orten gab
eS feftlidje Aufjüge. „DaS ift heuer eine Sirchmeih," fagten bie froheu
Seutdjen, „mie mir unb unfere Bäter noch feine erlebt hoben, eine mah«
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SRinifterium ©chroar3enberg*Stabion.
99
$aifer*$irchmeih, tüeil mir beit gütigen ßaifer in unferer SRitte ^aben,
t)eT ung bie Robot gefchentt ^at!^
Unb noch ein ©efchenf machte ihnen ber $aifer burch ein patent, bag
er on biefem Sage in Dlmüfc Unterzeichnete.
♦ *
♦
SlmSRorgen beg 24. tarnen Salacfq, Sinfag unb ich am Dlmüfcer
Sahnhofe an. 2llg mir in ben ffiartefaal traten, maren ba einige Sürger
uon ffremfier, bie ung mit freubeftrahleuben ©efichtern mittheilten, mie fie
erft ate ®erüd)t uernommen hätten, bafg ber Reistag nach Ktemfier falle
uerlegt merben; mie fie eg gar nicht Ratten glauben fönnen, bafg ihrer
©tabt fotdfjeg ©lüd unb fo lmh e @h** unb Slugzeichnung folle belieben
fein; mie fie aber jefct in Dfmüfc ganz fieser uernommen hatten, eg fei in
ber Xh<rt fo befcplojfen, unb mie fie nun nach Stemfier jurüdeitten, um
ihren SRitbürgern biefe überrafchenbe Sünbe ju bringen... SBag alfo Sßalacftj
unb Sßinfag uom ^ofe erbitten füllten, mar bereitg entfliehen, unb fie Ratten
barurn gleich am Sahnhofe bleiben unb auf ben nächften ®egenjug märten tonnen,
ber fie nach $rag juriidbrächte. Sltlein ber münbliche Seridjt ber Stemfierer reichte
hoch für fich allein nicht au§, unb bann fotlten ja bie beiben $rager Slbgeorbneten
ermirten, bafg ber Reichstag „fo batb alg möglich" jufammenberufen merbe,
morüber fie feine ©emifgheit h a ^ cn - ©o fuhren benn mir brei jufammen
im SBagen in bie ©tabt unb ftiegen in bemfelben ®afthaufe ab, bag
menige läge juoor Srauner unb mir jum Sibfteigequartier gebient h a ^ e -
6 g ftanben nur jmei 3immer zu ©ebote, in beren einem Salacftj unb ich
gemeinfchaftlich Unterfunft fanben. ®g mar fo früh am SRorgen, bafg mir noch
ein menig ber Ruhe pflegen tonnten, ehe mir ung für unfer lagmerf riifteten.
Sug melchem ©runbe ich nach Dlmüp berufen morben, barüber tonnte
ich tootjl nach bem, mag ©tabion mit mir fchon in Sßrag oerhanbelt, unb
nach ^ er 935eifc # mie er mich mährenb meineg lepten Slufenthalteg in Dlmüp
an fich Ö^ogen h fl tt e # fuum in Steifet fein. 2luch mar eg ja allgemein
befannt, bafg bie Silbung eineg neuen 3Rinifteriumg im SBerte fei, unb mein
Rome mar in jüngfter $eit zu mieberholtenmalen genannt morben. Schon
am 17. Dctober hatte im SBiener Reichstage folgenbe 9Rinifterlifte bie Runbe
gemacht: 3nnereg ©tabion, 3ufti^ geifert, $anbet Srud, öffentliche Arbeiten
Srauner, $rieg SBinbiichöraep, Sufcereg ©raf Serbinanb SoHorebo. Einige
Xage fpäter brachten SBiener Slätter eine anbere Sifte, morin bie erften uier
Ramen fich gleich blieben, für ben Srieg aber neben 9Eöinbifch@raefc auch
Selben genannt mürbe; ferner: SBeffenberg alg -DRinifterpräfibent ohne Sorten
feuifle, Salacfp für Unterricht; bie Ramen für Finanzen unb #uf$ereg, hiefe
eg, feien noch nicht beftimmt. Slnbere Stätter nannten Seffenberg für bag
7*
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100
gofepb greiherr oon geifert.
#uf$cre, Sach für bie guf% ©raitd für bie ginan$en, Eajetan SRaper für
bad gnnere. ©tabion fetbft hatte, ba ©rauner uitb ich in Dlmüj} maren,
und erfucht, ihm jene 9tamen aufeufchreiben, auf welche unfere Partei ihre
Slufmerff amfeit gerietet hätte. Sie böhmifepen 2lbgeorbneten Ratten fchon in
©rag bie Sache mieberpolt befprochen, aber ifjr Urtpeil nicht feftgefteüt. gür
bad Mftere mar unter und Eoüorebo genannt morben, aber auch ber
t. f. ©efanbte ©raf Ebuarb SBopna in ©rüffef unb Dberft b. £>audlab, für
bad gnnere ©ach unb Kajetan 9Raper; für ben ©lieg lieber #audlab, unb
meiter bie ©enerate ©chönhald, granf; für bie guftij Soffer ober ©rauner;
für bie öffentlichen Arbeiten Dberft b. SRapern, nach ihm ber ©taatdbahnen*
gnfpector ^tloid IRegretli; für bie ginan$en ©raud, nach ihm ©aron ©tifft
b. ä., für ben £anbel $ornboftel; auf bent Srouiüon, ber noch in meinen
.§änben ift unb oon ©rauner ^errü^ren bürfte, ift bon einer fremben
£anb — bie ©djriftyüge finb bie ©tabion'd — $ulefct hin^ugefügt: „Unter*
rieht?", mofür mir feinen tarnen aufgefchrieben fjatten. Mufeerbem maren
ober in unferen ©reifen noch berfchiebene tarnen unb mit mechfelnber ©e*
ftimmung genannt morben: SSBeffenberg ald ©räfibent opne ©ortefeuille; *
Schmerling für gnnered ober 3ufti^; ©tabion für bad Snnere, mit 3Raper,
gifdper ober ©rauner ald Unterftaatdfecretär; ©ad) für bie Suftij mit
Saffer ald Unterftaatdfecretär; ©rud ober #erjig für ben $anbel; Sobtyoff
für öffentliche Arbeiten mit bem gatijifc^en Slbgeorbneten ©marjemdfi ald
Unterftaatdfecretär; ©alacfp für Unterricht mit Ejner ober ©jafefiemica ald
Unterftaatdfecretär; ©tameb s 3Ra^er für bie ginanjen, ©raf ©ubna für beu
©rieg. Unfer ©eftreben mar bahin gerichtet, möglichft bie betriebenen Sänber
$u berürffichtigen unb $mar Slbgeorbnete ju nennen, benen mir bie Eignung
jutrauten. Über biefen ©reid hinaud mangelte und bie ©erfonenfenntnid; für bad
duftere unb ben ©rieg nahmen mir tarnen bom btofjen §örenfagen, mir
tappten bei unferer SBaht fojufagen auf bad ©erathemohl h*™m.
SReinen tarnen hatten bie Unferen nicht genannt, geh mar ihnen mohl
$u jung, unb barin hatten fie nicht Unrecht. Mein bei ©tabion mar gerabe
biefer Umftanb meine Empfehlung. 28ie er felbft ein Original mar, fo liebte
er auch bei feinen ÜRanoeubred bad Überrafchenbe, bad Ungemöpnliche. Ein
SRinifter bon faum 28 gapren, bad mar gerabe nach feinem ©efehmaef.
Ser 9?ame gelij Schmalenberg fanb fich in feinem biefer ©rogratmne;
an ihn bachten meber mir, noch fonft jemanb in SBien ober ©rag. Eine
befonbere ©chmierigfeit mar ed mit ©ach. *2Benn man ihn nur fänbe!"
hiefe ed ironifch in einem ©latte; „berliert fich ber grofte SRheinftrom iw
©anbe, marum nicht ber fleine ©ach?!" gn ber SReichdtagdfifcung bom 23.
mar ein Schreiben ©acb'd beriefen morben, morin er ald „SRitglieb ber con*
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Uftinifterium Scproarjenberg*Stabton.
101
ftituierenben ’ öfterreicpifepen SteiepSöerfammlung" fic^ mit Unmoptfein ent*
fcpulbigte, ba$ ipn pinbere, feinen ©ifc im SteiepStage einjunepmen. „Pon
mo ift bie Bufcßrift batiert ?" rief man aus ben Sänfeu ber 9lbgeorbneten;
„SenDrt anjeigen!" Sarauf ©molfa: „Sie 3«Wtift ift öont 17. Dctober 1848
datiert, ber Drt ift niept angegeben."
* *
#
©obalb ber Sag fo meit üorgerüeft mar, bafS man jemanb auffucpen
fonnte, gieng iep ju SBeffenber g, öon meinem iep bie (Sinfabung naep Dlmüfc
empfangen patte, unb ju ©tabion, ber mir am näepften ftanb. Pon ipnen
erhielt iep bie Peftätigung beffen, maS un£ peute früp bie Shemfierer gefagt
patten: ©e. SRajeftät pabe am 22. ein üötanifeft unterjeiepnet, laut beffen
ber conftituierenbe SteicpStag öon SBien naep Sremfier oertegt unb für ben
15. Stoöember bapin einberufen fei.
©tabion füprte miep gteiep ^urn gürften ©epmarjenberg unb fagte
mir untermegS, um maS e£ fiep panbetn merbe. ©epmarjenberg faß an
einem Meinen ©epreibtifep, erpob fiep, uns $u begrüßen unb napm, naepbem
fiep ©tabion entfernt patte, feinen plap mieber ein; miep bat er einen
©effel $ur ©eite be£ ©epreibtifepe^ einjunepmen. 3 >cß mar nun, Slntlifc gegen
Stntlifc, mit bem SKanne allein, ber in ber näcpften 3irtunft bie entfcpeibeitbe
Stolle in Dfterreiep übernepmen foflte. ®r fannte miep mopl jumeift nur
aus bem, ma$ ipm ©tabion über miep gefagt patte. ®r patte miep,
mie man fiep erinnern mirb, an jenem Slbenb mit Saffer unb 3Jtaper bei
fiep gefepen; aber er fepien boep niept reept fieper, mie er miep eigenttiep ju
nepnten pabe. ®r mar mir gegenüber troefen unb gemeffen, unb fepte mir
nur bie ©runbfäpe auSeinanber, bie baS fünftige Sötinifterium $u beobaepten
gebenfe: öon ben Perfönlicpfeiten, bie e$ bilben füllten, fpraep er nieptS; er
muffte fie jur ©tunbe mopl felbft noep niept.
9Kan gepe, fo fepte er mir in längerer Stebe auSeinanber, bei ber
Silbung beS äRinifteriumS öon bem Streben au£, mit einem offenen Pro*
gramme peroorjntreten; biefeS füllte in allen Hauptfragen Mar ben 3Beg
bartegen, ben man einjnfeplagen gefonnen fei unb öon bem man niept
abmeiepen merbe. SaS fünftige SOtinifterium molle baS öerbeefte ©piet gänjticp
aufgeben, metcpeS baS früpere in gemiffeit 5lngelegenpeiten, mie in ber froatifep*
nngarifepen, für gut befunben pabe. Sa$ fünftige Sltinifterium molle niept
perfonen öertreten, bie um aüeS in ber SBett ein Portefeuille paben
moflen, fonbern Principien, mit beren s 2 lnerfennung ober Wblepnung eS
ftepe ober falle; falls baS 9Jtiniftcrium bie Sfleprpeit beS SteiepStageS für fein
Programm niept geminnen fönne, merbe es einfaep ^urücftreten. SBorauf baS
SRinifterium in feinem eigenen Greife palten muffe, baS fei uneingefepränfteS
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102
gofeph greiherr oon eifert.
Pertrauen {einer ÜJlitgtieber gegeneinanber, aber ^gleich {trenge Perfchmiegenljeit
nach außen, bis nicht ber geeignete ^eitpunft $u fprechen ober $u ßanbeln
gefommen {ei.
Das mar ber |>auptfache nach, {on>eit ich mich erinnere unb aus meinen
{eßr fragmentarifchen Pormerfungen aus jener 3eit entnehme, alles, maS mir
©chmarjenberg für'S erfte mittheilte. 9Rein Eintritt in baS SRinifterium mürbe
oon ihm nicht berührt; ebenjo menig be^eichnete er baS-Portefeuille, baS
man mir jugebacht höbe. Näheres theilte mir ©tabion mit, mit bem ich nun
{ehr oiel beifammen mar. *3BaS bie SBatS Perfonen betrifft," fagte er mir
ungefähr, „fo ift man oon ber 3bee abgegangen, ein fogenannteS EoalitionS*
SRinifterium — mit Perücffichtigung ber oerfchiebenen Sänbergruppen unb
Nationalitäten — ju bilben. Den Eintritt böbmifcher Parteimänner hält man
für bebenflich, nnb bieS umfo mehr, als bie Perlegung beS Reichstages in
eine mährifche ©tabt ohnehin ®nlafS genug bieten mirb, bie beutfehe Partei
in Unruhe 511 oerfefcen." 2tlS ich Pnlacfp'S Namen nannte, machte ©tabion
im mefentlichen biefelbe Einmenbung, bie Pafacfp fetbft in unferen Greifen
mieberholt angeregt h a U c: fein Ginnte trage {0 auSgefprochen ben Stempel
ber Partei ber er angehöre, bafS biefer Umftanb bem fünftigen 9Rinifterium
nur fchaben fönnte unb feine eigene SBirffamfeit barin lähmen müfSte. SRinber
entfdjieben fprach {ich ©tabion über Prauner auS, obgleich er, mie ich Mb
entnehmen tonnte, auch liefen nicht münfehte. 3 h™ gatten bie böhmifchen
Parteimänner inSgefammt für Separatsten, beren Denben$eu {ich mit ber
Pilbung eines großen unb ftarfen Öfterreich nicht in Sintlang bringen
ließen. Denn unter einem großen unb ftarfen Öfterreich bachte {ich ©tabion
ein gleichförmiges, in gleiche unb Unterteile jertegteS ©an^eS, morin
ein böhmifdjeS ©taatSrecht, ja ein Königreich Pöhmen feinen piafc hätte*
Über bie Pefefcung beS SRinifteriumS beS 3nnern mar man noch
im unflaren. ©egen Doblljoff maren Schmalenberg unb ©tabion burchouS
geftimmt, unb baS mar nach feiner Haftung im SBiener Reichstage feßr
begreiflich; 2Raper h°tte baS Stnbot entfliehen abgelehnt unb fit aflen*
falls für baS 9Rinifterium ber öffentlichen Arbeiten angeboten. gür bie
ginan$en follte KrauS bleiben, für bie 3uftij Padf), bafern er {ich finben
ließe; fonft ©raf Preba, f. f. nieberöfterreichifcher Snnbrath, ber {ich in SBien bei
einigen öffentlichen ©trafoerhanblungen beliebt gemacht hatte. gür ben $anbel
mar Kart 0 . Prucf in Porfchlag. gür baS SRinifterium beS Krieges hatte
©tabion einen eigenen Plan. Er moflte feinen ©enerat; auch hatten mehrere,
benen man baS Portefeuille angeboten, bie Annahme entfliehen oermeigert.
„SBarum follte man nicht", erflärte mir ©tabion, „ju einem ©pftem greifen,
baS in Englanb oftmals mit beftem Erfolge angemenbet mürbe? Das Departement
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SRinifterium Schroargenberg-Stabion.
103
bcr SRilitäroermaltung hot ja mit ber Seitung ber Operationen im gelbe
nichts gu thun, marum faßte man eS nicht in bie $änbe eines Sicht*
SlilitärS legen?" 3n ber Xfjot mürbe £ofrath Sitter b. ©chöflhaimb, ber
ben Suf eines ber tüchtigften Beamten beS KriegSminifteriumS ^atte / nach
Dlmüf} berufen; auch erflärte fich biefer bereit, jeben Boften angunehmen,
auf ben man fan gu fteflen finbe.
3Rir mar baS Bortefeuille beS öffentlichen Unterrichtes gugebacht. 3<h
jdumte nicht, Bolacfp, als ich mit ihm in unferem ©afthofe allein mar
hiebon gu benachrichtigen. @r geigte fich biefem Borhaben nicht gerabe abge*
neigt, machte mich aber gleich auf bie groben Schmierigfeiten aufmerffam,
mit beiten jebermann auf biefem Boften gu ringen hoben merbe, bem es
Srnft fei, bie nationale ©leichberechtigung bttrehguführen. „®er 2Rann,"
meinte Bofacfh, „ber jefct bie Seitung beS öffentlichen Unterrichtes in Öfterreich
übernimmt, mirb feine gange Kraft gufammennehmen müffen, um feiner Auf¬
gabe gerecht gu merben. S)enn er mirb es nicht blofc mit bem gemohnten
Schienbrian, mit bureaufratifchen Borurtheilen, mit ber eingemurgelten
3ofephinifchen Irabition gu thun hoben. ®ie Beüölferung felbft mirb ihm
Schmierigfeiten machen, meil bei oielen Gltern baS BemufStfein noch nicht
ermaßt ift, maS ihnen gufomme unb maS für bie 3ufunft ihres SachmuchfeS
geboten fei. ®iefe merben barum bie erften fein, SBeherufe ertönen gu laffeti
unb ben Siinifter anguflagen, ber fie nach feiner Übergeugung ben rechten
ffleg führen miß". Sch fonnte Bolocfp nicht Unrecht geben, er befaft ©rfahrung,
ich feine. 3ebenfaßS ftanb eS bei mir feft, mich oorerft mit meinen Beoger
©enoffen gu berathen; ich hotte- mich feit bem 7. Dctober fo eng an fie ange*
fchloffen, bafS ich nid^t glaubte, einen fo michtigen ©ntjchlufS faffen gu fönnen,
ohne ihrer ^wftimmung unb Unterftü&ung ficher gu fein.
3« biefem Sinne fprach ich mich auc h Qegen Stabion aus. Stabion
fuchte mir biefen ©ebanfen auSgureben. @r fah überhaupt meine rege Ber*
binbung mit ben SRataboren beS böhmifchen BölfeS nicht gern, ©r fannte
mich als Anhänger ber grof}*öfterreichi)chen 3bee, unb mit biefer, meinte er,
ftünben bie Slbfichten ber böhmifchen Boütifer in SBiberfpruch. 3ch meiner*
feitS moflte baS nicht gugeben; fo oft ein SnlafS bagu fam, fuchte ich ihm
begreiflich gu machen, bafS baSjenige, maS er böhmifchen Separatismus nenne,
biefen Samen feineSmegS oerbiene.
Stabion mufste meine Bebenfen Schm argen ber g mitgetheilt hoben,
©enn als ich halb barauf biefem auf ber Strafe begegnete, nahm er mich unter
ben Ärm unb begann mit mir ein ©efpräch- @r mar nun oiel freunblicher,
i<h möchte fogen gutraulicher gegen mich unb rebete mir unoerfennbar gu bem
ftoeefe gu, mich für baS fünftige Stinifterium feftguhalten. ©S mar bie
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104
Qofeph Freiherr oon geifert.
Straße, bie gerabe auf baS $aupttf)or beS fürfterjbifchöflichen ©afafteS führt,
— ich glaube grauen* ober äJlarienftraße ßeißt fie jefct, — unb in biefer
giengen mir nun auf unb ab. $or bem ©ingang ber Stefibenj ftanben ©chilb*
machen, bie, fo oft bie ©eneralSuniform in ihre Stäße fam, baS ©emeßr
präfentierten, maS aber ©chmarjenberg gar nicht $u bemerfen feßien. ©r fprach
faft allein, mich Schüchternen babei immer unter bem 9lrm haltenb, mäßrenb
ich nur bann unb mann eine ©inmenbung machte ober eine ftrage bajmifeßen
marf. ®on bem ©efpräcfje, ba£ jmifeßen nn£ geführt mürbe, ift mir nur ein
fßunft im ©ebäcßtniffe geblieben. 3 ch t>ob nämlich ^eroor, bafS fich bie
öffentliche 3Jieinung in ben SBiberfpruch nicht merbe $u finben vermögen,
SBeffenberg unb ftrauS in einem SKinifterium ju fehen, — SBeffenberg,
ber feit SBochen als alleiniger üölinifter um bie ©erfon beS ®aifer3 fungire,
unb ft'rauS, ber feit bem 6 . Dctober in SBien £anb in |>anb mit bem 9?eich $ 5
tage gehe, ©chmarjenberg fuchte mich barüber ju beruhigen: man merbe,
fagte er, biefen SBiberfpruch 511 befeitigen miffen. 6 r erflärte fich aber nicht,
ob SSeffenberg ober ob ffranS meinen foOe, unb oermieb es überhaupt auch
bieSmal, pofitioe SRitthcilungen 511 machen.
©0 hatte benn bie lange Unterrebung — fie mochte eine halbe
©tunbe gebauert haben — für beibe Xt)eite fein beftimmteS Ergebnis. denn
auch *<h fagte meber beftimmt ^u, noch lehnte ich beftimmt ab. 8 ln meine
ftrau aber fchrieb ich am 27.: „dafs mir nach S'temfier müffen) mirft
du fchon miffen. 0 b ich als einfacher deputierter hingehen merbe ober in
anberer Stellung hier bleiben mufS, toeiß ich nicht: ich habe niich noch nicht
erflärt, aber fchon halb geliefert. Söeiß ©ott, ich habe nicht barnach geftrebt
unb märe froh, tnenn ich fo frei jurücfreifen fönnte, als ich frei hergefommen
bin. 5lrmeS ftideS ßelafooic, mann merbe ich bich mieber fehen?!" denn eS
batte in nnferent s ß(ane gelegen, bort einige Sßochen in ruhiger Slbgefdjiebenheit
ju^ubringen.
8 .
Stach beS dagcS ©efchäften unb SJtühen mar beS SlbenbS in ber Siegel
gefellige ßnfammenfunft im ©afthaufe, entmeber ebenerbig „anm ©oliath",
ober im erften ©toefe beS anftoßenbeu ©ebäubeS „jum Sauer". ®S mar ba
ein lebhaftes 51 b- unb Angehen, alte ©efannten trafen fich, neue ©efannt*
fchaften mürben gemacht. 5ln einem unb bemfclben difche faßen frieblich
untereinanber s J 8 erfonen ber oerfchiebenften 9 lrt, ©ioil unb SJtilitär, Stabicale
unb ßonferoatioe, deutfehe unb ©laoen; benn s $olitif mürbe in ben ©efprädjen
üermieben ober in munterer SSkife, ohne ben SlnberSbeufcnben ocrlefcen,
berührt. Unter ben ©äfteu mar ein polnifcher giirft oon fenfeitS unferer
©ren$en, menn ich nicht irre ein ©ulfomSfi, eine 9lrt Steoolntionär, beffen
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SJtinifterium ©cbmarjenberg=©tabton.
105
Stome in ben Ickten ©reigniffen mef)rfac^ genannt morben mar; jefct in
Dlmüfc mar nichts Dergleichen an ihm §u beobachten. Slitf mich machte er
ben ©inbrud, als ob er fich ^ie^cr geflüchtet hätte, um tmr Verfolgungen
ficher ju fein.
Sine Vefanntfchaft gan$ anbern ©harafterS ermarb ich bwfch fieopolb
Steumann. @3 mar ber früher ermähnte ®raf £>upn, eine echte ©olbaten*
natur, bie auf mich btn beften ©inbrud machte. ®r fprach furj unb entfehieben,
fo bafS man gleich muffte, moran man mit ihm mar. $lu3 ben VeDolntionären
machte er fich gar nichts, ©eine Spaltung, ber SluSbrud feines ©efichteS, feine
Siebe, alles trug ben ©tempel militärifcher Veftimmtheit unb ©ntfchloffenheit.
2luch ben SegationSrath $übner lernte ich tonnen, aber nicht im
©afthauS; er mar Diel ju fehr £>ofmann, um fich in eine ©efellfchaft ju
mifchen, bie aus ben Derfchiebenften ©lementen aufammengefefct mar. ©r mar
aulefct ©eneralconful in Seipjig gemefen, aber noch Dor bem 2lu3bruche ber
Steoolution Dom dürften ÜJletternich nach SBien bentfen unb bann nach
©lailanb gefchidt morben, jefct bie rechte §anb ©chmar^enberg'S. ©ine feine
©eftalt, fehr höflich, aber ohne alle SBärme. ®r machte gefchmeibig unb
juDorfommenb benen bie Boniteurs, bie beim dürften ju- unb abgiengen. 0b
er etma eine höhere Veftimmung hatte, mar nicht befannt.
©eit mehreren lagen meilten Söelder unb D. SJtoSle in Dlmüfc.
©ie erfchienen manchmal in unferer ®efeflfchaft beim „Sauer", unb ba traf
eS fich, bäte eines SlbenbS fie unb ich mit $aml tief an einem lifche
faften. ®r mar nach Olmiifc gefommen, um fich als Sournalift in ber Slähe
iu befehen, mie eS benn im jepigeit $auptpunfte beS SteidjeS ftehe unb maS
ba Dorgepe. ©r mar in ber munterften Saune unb unterhielt mit feinem
lebhaften ©efpräch, feinem SBifc, feinen naiDen Slufterungen bie gan^e 2 ifch«
gefeflfdjaft. 3113 ich mich entfernte, giengen bie beiben 3teich3=©ommiffäre mit
mir. „.£>ören ©ie", fagte auf ber Strafte SDloSle $u mir, „ift benn baS ber*
fetbe $amltfef, Don bem in itnferen 3eitungen fo fürchterliche $inge $tt lefen
finb?!" „$erfelbe ift e$!" „2lber, baS ift ja ein prächtiger Vurfch", rief
SJtoSle Darauf. 3th ermiberte ihm: „freilich ift er'S. So gel)t eS moftl oft,
bafS bie ®inge in ber 9täf)e anberS aitSfehen, als fie einem aus ber Seme
erfcheinen, unb nun gar im ©erebe ber Seute unb in ben Varteiblättern!"
®ie beiben beutfdjen 9teich3*Gommiffäre maren in Dlmüp, mie ich faum
$u bemerfen brauche, um hier ihre SJtiffion 31 t erfüllen, nachbent biefelbe in
©tammerSborf gefcheitert mar. 91Uubifch®raefc hatte ihnen mohl gejagt, fie
mürben am faifertichen ^poflager unb beim SRinifterinm nichts auSrichten, ba
er allein bie ganje Vollmacht habe, ©leichmohl meinten fie auch biefen ©chritt
nicht unDerfucht laffen gu Jollen, unb bieS untfo meniger, als baS Vräfibium
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106
3ofepp 3rreiperr oon geifert.
be3 SBiener SReiepStageS fie bringenb aufgeforbert patte, beim taifcrlid^en |>ofe
„mögtiepft für Vermittlung unb Verfopnung gu mirfen". Sie mürben in Dfmüp
aufgenommen, mieberpott oon SBeffenberg empfangen, auep gur
faifertiepen Xafet gezogen. Stflein in ber ©aepe fetbft patten fie niept ben
geringften ©rfotg. 9Jtan fagte ipnen in Dtrnüfc ba8jelbe, maS fie in ©tammer«*
borf gepört patten, nur in mitberer Sonn. Vergebliep bemüpten fie ftep gu
geigen, baf$ bie Ännapme ber Vermittlung ber beutfepen SReiepägematt für
Öfterreiep in gmeifatper Vegiepung oon Vortpeil fei: einmal, meit bie Stuf*
ftänbifepen in SBien fiep einer fotepett Vermittlung leiepter fügen mürben, unb
bann, meit baburep ba$ innige VerpättniS gmifepen Öfterreiep unb ®eutfeptanb
einen neuen oerftärfien SluSbrucf erpiette. SKan banfte ipnen für ipre mopt*
meinenbe ©efinnung; man fanb in beut, ma8 fie oorbraepten, oiel SBapreS;
allein man bebauerte non ben gegen SBien befeptoffenen SRaßregeln niept ab*
taffen gu fönnen. 3n biefem Sinne fpraep SBeffenberg; in biefem Sinne
befepieb fie ber Kaifer, bei metepern ipnen SBeffenberg eine Stubieng ermirfte;
in biefem Sinne fpraepen ©rgpergog Srang $art unb bie anberen 2Rit*
gtieber be3 ®aiferpaufe$, mit benen fie an ber taifertiepen Xafet in
Verüprung famen. Se. 9Rajeftät, fagte man ipnen, pätten ©etbft bie ftraft
gefunben, ber Unorbnung in 3pren Staaten gu fteuern.
®effenungeacptet ließen bie beiben SReiep8*Eommiffäre oon iprem Vor*
paben niept ab. So oft ipnen über bie ©reigniffe bei SBien eine neue SRaepriept
gu!am, riepteten fie an SBeffenberg eine SRote, melepe biefer feprifttiep beant*
morten muffte; benn fie mottten naep granffurt urfunbtiepe Vemeife barüber
bringen, toaS unb mie fie oerpanbeft pätten. ®abei famen fie immer barauf
gurücf, e3 fei bie beutfepe Sacpe, um bie fie fiep amtepmen müßten; benn
e$ fei ©efapr, baf$ in SBien ba3 ‘Seutfeptpum bem Slaoentpum unterliege.
Diefe Sluffaffung fonnte SBeffenberg niept gugeben. „$ie SReüotution",
entgegnete er ipnen, „pat ein beutfepe^ ©emanb angelegt, bie beutfepen Sorben
in SBien finb bie Slbgeiepen ber Partei be3 Umfturgeä. 6$ ift fein Äampf
ber SRationatitäten, e§ panbett fiep um feine Umbitbung ber ÜJtonarepie in
etn ftaüifepeS Öfterreiep. ®ie ÜJtaßregetn ber ^Regierung paben nur einen
3me<f: Vefämpfung ber Slnarepie unb |)erftellung gefeplieper 3 u ftänbe. @4
ift ein ffampf ber gefefcliepen ©ernaft, opne bie e§ feine ^Regierung gibt,
gegen bie ©epreefenSperrfepaft, ein Sümpf ber ©rpattung gegen ben Umfturg."
befannt mürbe, bafS ber $Reiep3tag naep Sremfier oertegt merbe, fam
man in Sranffurt in neue Unrupe. „63 pat", feprieb ipnen Sepmerting,
*am ©ifce ber beutfepen SReiepSgematt 3Rif3bifligung gefunben, baf3 ein Drt
mitten in einer ftaoifepen Veoölferung at3 Sip be$ 9teiep3tage3 gemäplt
morbeu ift; mie iep bie Verpättniffe fenne, märe Sing ein oiet geeigneterer
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SJUnifterium Schroarjenberg*Stabion.
107
Si4 be$ £ofeS fowie beS ^Reichstages." Mein auch in biefem fünfte
war nichts ju machen; bic 93orfteflungen SBefcfer'S unb 9RoSle'S blicbcit
ohne Erfolg. Slm 26. Dctober fuhren SBeffenberg unb ber Dlmüfeer gürft*
Erjbifchof äJtajimilian Sofephtfrh- &. Sommerau--93ecf^ nach Äremfier.
$ier befaß ber Srjbifdjof eine prachtvolle unb weitläufige Sommer*9tefibena,
bie er bem conftituiereuben SReidjStage unb ben verriebenen ÜRinifterien
jur Verfügung fteflen wollte. SlloiS Seien, ber allgewaltige SReichStagS*
Drbner, würbe aus $rag berufen, um bie Slbaptierung ber verriebenen
Stäumlichleiten §u (eiten.
* *
*
®m felben läge war eine abermalige Deputation von SBien abgegangeu,
eS war nun fchon bie vierte ober fünfte, wenn man bie Senbung §ornboftel'S
baju regnet. Der Sarnpf tobte bereite an ben meiften Sinien, als $ßi UerS-
borff, $rato, gifchhof unb Slbam Sßotocfi SBien verließen. Stm
26. abenbS trafen fie in Dlmüfc ein unb verfügten fr fogleich $ u SBeffenberg,
bamit er ihnen für ben morgigen Dag eine2lubien$ bei ben SRajeftäten verfchaffe.
SBeffenberg verfprach eS ihnen, machte fie aber zugleich aufmerffam, bafS fie
auf einen Erfolg nicht ju rechnen hätten: eS fei, fügte er bei, in höchfiem -
örabe $u bebauern, bafS eS fo weit f)abe fommen müffen; er pege ben
lebhafteren SBunfch, bafS eS ein 3Kittel gäbe, ben furchtbaren Streit auf
gütlichem SBege auSjugleichen; allein baS liege nicht in feiner 9Racht, ba ber
faiferliche gelbmarfchafl bie uneingefchränfte Vollmacht fyabt, nach feinem
Ermeffen vorjugehen.
Slm 27. verfügten fich bie SBiener Slbgeorbneten $uerft $u ben beiben
SReichS-Eomntiffären, um biefelben über bie Sage in SBien aufjuflären unb ihnen
ben 3toe<f ihrer Senbung mityutheilen. Su ber neuen Slbreffe legte ber SReichS*
tag „im Singefichte von ganj Europa unb mit bem heiligen Srnfte unver*
brüchticherSBaprheitSliebe" bie neuerliche93erfidlerung ab, bafS gegenwärtig
Weber Anarchie noch Empörung in SBienS äRauent herrfche; folche 3uftänbe
Wnnten aber eintreten, „wenn bie 93evölferung burch bie 93ertagung beS
^Reichstages ihren lebten ^altpunlt verlöre" unb wenn fie burch ®ewalt*
maßregeln ju einem 93craweiflungSfampfe getrieben würbe. Unter folchen Um*
jtanben h fl lte eS ber ^Reichstag „für ein Oebot feinet ©ewiffenS unb ber
Stothwenbigfeit," auf feinem Soften auS^uparren unb poffe,bafS Seine 9Rajeftät
Seine Swftimmung ju biefem „einmüthigen 93ejchluffe geben werbe". 3um
Schluffe glaubte ber SReicpStag ben ffaifer an baS 93erfprecpen vom 6. Dctober
erinnern ju bürfen, ein „Euer SRajeftät wie bem 93olfe gleich ergebenes
SRiitifterium" ju berufen.
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108
gofeph greiherr oon geifert.
gür beiifelben ©ormittag Ratten bie in Dltnüfc anwefenben Mgeorbneten
beS SteichStageS eine ©erfammlung oerabrebet, bie in ber SBoljnung ©atthafar
©Z db el'S eineö einheimifchen DlmüfcerS, ftattfinben foüte; bie oier ÜRitglieber
ber SBiener Deputation waren gebeten, an biefer ©erfammlung t^eiljune^tnen.
6 $ war ein fefyr grobes Simmcr, in weitem Streife waren Stühle hergerichtet,
auf benen wir ©la§ nahmen. ©S waren: ber Hausherr, Sari ^erjig,
9lfoiS gifeher, gebor Srorner (für ©ohm.*Samnih), Sodann Dooidf
(für Sunftabt in SRährcn), Sajetan SRaper, Sari SBagner (für äRähr.*
SReuftabt), ©alacli), ©inlaS, Sari $aw ft(ef, ©tabion unb ich, bann
©rato, gifchhof, ©otocli unb ©iflerSborff.*) ©S ^errfc^te anfangs
eine gebrüefte Stimmung. SRiemanb wollte mit ber Sprache heraus, unb baS
War fe^r begreiflich. Die Dage in SBien mufSten beraten werben, unb bie
barüber ju oerhanbeln hatten, waren oon einer ©eite folche, bie bis jum
testen Slugenblicf in SBien auSharren wollten, oon ber anbern ©eite jene,
bie bem Slufftanbe ben Sftücfen gelehrt hatten ober hoch jefct nicht mehr gefonnen
waren, nach SBien ^urücfjufehren. ©nbtich wachte einer ben Anfang, eS folgte
ein zweiter, ein britter. Mein fo oorfidjttg fie ihre SGBorte fteflen mochten,
um ben anbern Xheit nicht zu oerlefcen, fo lonnte eS gule^t hoch nicht aus*
bleiben, bafS zwei einanber fo fdjroff entgegenftehenbe Parteien hart aneinanber
gerieten. Die SRitglieber ber SBiener Deputation fprachen oon einem Sampfe
ber Dprannei gegen bie greifet, auf beren Unterbrütfnng eS abgefehen fei;
oon ber helbenmüthigen ©ertheibigung SBienS, bie man unterftüfcen müffe,
u. bgl. SRehrere ber SBiener MSreifcer pflichteten ihnen bei, aflerbingS in
fanfterer Donart, weil man ihnen ja oorhatten lonnte: SBenn 3h r fo fehr
für bie SBiener ©rfjebung feib, warum bleibt 3h? benn in Olmüb, warum
geht 3h r nicht borthin, wo ©uer £crz ift? Die oon ber böhntifchen ©artei
blieben ihren ©egnern bie Antwort nicht fchulbig; fie bemühten fich mit
großer Schonung oor^ugehen, allein SluSbrücle wie „Anarchie", „Slufftanb",
„Empörung", oon ber 9iotf)Wenbigteit, bie gefe^tiche Orbnung h^ufteflen
u. bgl. fonnten hoch nicht auSbteiben. gebt nahm gifdjhof baS SBort
unb gofs eine glut oon Serwünfchungen über bie böhmifchen Slbgeorbneten:
fie feien es gewefen, bie ber ©ache ber greibeit ben erften ©tob Uerfefct;
fie hätten ben gürften SBinbifch®raefc zum Sw gegen SBien aufgeforbert,
hätten ihn oor feiner Slbreife mit einem garfeljuge ausgezeichnet 2 c. Der
heftigen 9tebe folgte eine nicht minber heftige ©rwiberung, weint ich nicht
irre oon ©infaS, bis fich Slbam ©otocli oon feinem ©ifec erhob unb,
*) geh meinte, auch Dr. Sin ton ©ed (für SBittingau) habe an biefer ©er^
fammlung theilgenommen, ba er um biefe Seit ab unb 3 U nach Olmüfc tarn; er hat
mir aber auf baS beftimmtefte oerftchert, er fei nie in 6 $äber$ SBohnung gewefen.
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SJtinifterium SchroasenbergStabion.
10i>
einen ©lief auf bic Abgeorbneten auS ©Öhmen merfenb, fagte: „3Bo fold^e
Anfichten tyerrfäen, fyabe ich nichts meiter 51 t thun". Damit fc^ritt er, ohne
ben Hausherrn ober fonft jemanben ju grüfeen, mitten burch unferen ßreiS
bem AuSgange ju; gemeffenen Schrittes, baS |>aupt ftof§ erhoben, baS Antlifr
oon Seibenfc^aft gerötet. @r mar ein fdjöner SJlanu, unb ich ^abe nie ben
AuSbrucf männlichen BornS unb ©ntrüftung in einer bornehmeren gorm
gefehen: er erfchien mir in biefem Augenblicfe mie ein 2öme, ber mit ftoljer
Stube aus ber SRitte feiner geinbe, bie ihn nicht anjugreifen magen, fich
jnrücf^ieht.
©alb nach ©otocfi'S Abgang erhoben fich ©rato, ©illerSborff
unb gifchhof, ba bie ©tunbe hinaufte, mo fie $ur Anbien$ beim Saifer
erfcheinen foüten. 2 Bir anberen btieben beifammen unb obmoht ber Sorfafl mit
©otoefi eine arge ©erftimmung $urücfgelaffen hatte, fo tarnen jept bie inneren
Angelegenheiten jur Sprache, unb ©atacf p ergriff baS SBort, mobei er „bie
Siechte ber böhmijehen Ärone" ermähnte, ©tabion, ber neben mir fafj, gab
mir einen leichten ©to& unb fagte leife: „Da fehen ©ie’S, mie er eS mit
Öfterreich meint!" geh tonnte mich hier in feine AuSeinanberfefcung mit ihm
eintaffen unb juefte nur mit ben Acbfefn, jum Beiden, bafS ich fein ©ebenfen
nicht feilte. ©tabion freilich, luie er fich Steugeftaltung beS Staates
buchte, tonnte fich ein grofceS, ftarfeS unb einiges Öfterreich, in meinem boeb
„bie Siechte ber böbmifeben Srone" anerfanut merben follten, nicht benfen.
Die Aubienj ber Söiener Deputation bei ben SJiajeftäten fiel auS mie
alle früheren. Der Äaifer unb bie ^aiferin fchienen tief ergriffen oon ber
©ebilberung, melche ihnen bie Abgeorbneten oon ber Sage in SBien machten.
3 utefct aber 50 g ber Saifer aus feiner ©rufttafche ein ©apier unb las ihnen
bie Antmort bor: ©r merbe, maS fie 3hnt im Stamen beS Söiener SteicbS*
tageS borgebracht, in reifliche ©rmägung ziehen, ©eine (Sntfcbliefjung merbe
er nachträglich betanntgeben.
Die Abgeorbneten eilten $u äßeffenberg, ber ihnen nur mieberholen
tonnte, maS er ihnen am Abenb jubor gefagt ^atte. Dann giengen fie ju
A3 el cf er unb SR 0 Sie, bie ihnen besprachen, fich nochmals für bie Sache
SBienS ju bermenben, aber ihnen nicht befehlen tonnten, eS merbe, nachbem
bie ©ache febon fo meit gebiehen, taum etmaS fruchten, ©otoefi mar unge*
heuer aufgeregt. AIS er auf ber ©trafte mit Alois gif eher jufammenteaf,
rief er: „So lang nicht ein Dupenb fi^pfe fallen, mirb eS nicht beffer!"*)
3n ber Dhut richteten bie beiben SteichS-Kommiffäre eine neue Slote
au SBeffenberg. Schon am geftrigen Dage, biefe eS barin, hn^ man bon fern
*) AIS ihn gif eher 1861, roo beibe im ©Mener SteichSrathe jufammentrafen,
an jene SBorte erinnerte, fagte ©otocti: „geh mar bamalS mopl febr jung!"
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110
3ofeph Freiherr oon eifert.
her große geuerSbrünfte in ber Stiftung oon SBien gefehen, heftigen unb
anßaltenben fitononenbonner oon bortljer oernommen, ihnen felbft fei eine
©roctamation beS gürften SBinbifch©raeb ooni 23. gu ©eficht gefommen, bie
barin gefegten garten, ja maßlofen ©ebingungen müfsten bie ^öc^fte ©ereigt*
heit ber SEBiener ^eroorrufen unb fie gum ^eftigfien SBiberftanbe entflammen;
e$ fei barum tjöchfte 3rit, ben gelbmarfchaß oon ben äußerften SRaßregcln
gurüdguhatten. SBeffenberg antwortete ben ©eiben noch an bemfelben Slbettb:
9lid)t ber getbmarfchaU fei ber angreifenbe 2^ei( gewefen, fonbent er höbe
gwei gegen feine Iruppen gerichtete Singriffe gurüdgejchlagen; bennoch höbe
er bie grift gur 9iieberlegung ber SEBaffen um weitere 24 ©tunben oerlängert:
„bafS übrigens ©mpörungen foldjer Slrt, Wie bie ber Proletarier in SEBien,
nicht leicht ohne gwangSmittef unterbrüdt werben, hoben noch neuerlich bie
©reigniffe in granffurt bewiefen." SefctereS war ein argumentum ad hominem
für bie beiben Sperren 9teichS*Sommiffäre.
©illerSborff, ©otocfi, gifchhof unb ©rato reisten noch benfelben
Slbenb nach SEBien ab. bergig, ®romer, SBagner unb Sooftif, bie in ihren
Vlnfdjouungen mehr ober mirtber mit ihnen fpmpathifierten ober wegen ihrer
SBähler fpmpathifieren mufSten, fuhren mit ihnen, aber nur bis gloribSborf.
©ie meinten ber ©adje SßienS beffer niifcen gtt fönnen, wenn fie in ihre
SEBahtbegirfe giengen; es fei oon SEBichtigfeit, bafS fie fich mit ihren ©ommit*
tenten ins ©inoernehmen festen unb biefe über bie Sage ber Singe auf*
Körten, ihnen bie ©ebeutung beS SfteichStageS auSeinanberfefcten.
* *
*
Sin bem Slbenb beS oielbeWegten SageS gieng ich io ©egleitung
|)amit? ef'S oom „Sauer" nach |>oufe. $awlt£ef fam auf bie ©rager Sunitage
gu fprechen unb machte mir intereffante 9Jtittheilungen. ®r unb feine ©artei,
fagte er, hätten eS als ein Unglüd angefehen, bafö fo oiete ©ölen gu bem
©laoen*©ongrefS erfchienen feien; bie ©ölen feien ihnen oon allem Slnfang
Wie ©turmoögel erfchienen, bie ein Unwetter oorauSfehen ließen. „Unb ich
oerfichere ©ie", fagte er gulefct, „ich, ©rauner unb Siieger, wir hoben in
unferem 3 nn ^ren gewünfcht, bafS 3Binbifch©raeb fiege; benn jene unbe*
fonnenen Seute würben baS größte Unglüd über unfer Eanb gebracht
haben."
3n biefen Sagen fam mein ©oufin Slbolf Schreiner burch Dfmüfc.
SRein Dnfel ©rofeffor giang ©uftao ©chreiner in ©rag war Slbgeorbneter
in granffurt; feine beiben ©ohne Slbolf unb 3Rori| rebigierten in feiner
Slbwefenheit bie „©rager ßeitung". ©ie Waren beibe ultra*beutfch, unb ich
erinnere mich noch on ben traurigen Xon, mit Welchem Slbolf, als Wir abenbS
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ÜJUnifterium ©chroarjenberg‘©tabion.
111
au« bem (Safthaufe ^cim giengen, $u mir fagte: „Sllfo ift e« wahr, tun«
ich lang nic^t habe glauben woflen, Wa« ich aber jept au« ben (Sefprächen
an Eurem Xifdje bernommen höbe? So faß bie beutfd^e Sache prei«*
gegeben, fo foü ber 9leich«tag nach Kvemfier tierlegt unb baburch cjedjifiert
»erben! ?"
3Rir tarnen nun Diele ©riefe $u, meisten« nach ©rag abreffirt, bon
wo fie mir nachgefdjidt würben. 2luf biefem SBege erhielt ich bon meinem
9teid)tag«*Eoflegen Stnton ©tar! au« galtenau jtoei Schreiben. Sr war ein
wenig ©chwarjfeher unb fchilberte mit büfteren färben bie Stimmung, bie
in ben beutfdjen (Segenben Söhnten« bie Dberhanb hatte. „S« fdjeint mir,
baf« Emiffäre Ifarumgehen unb aufreijen. Slflgemein fampathifiert man mit
ben SBienern, weil bie Seute au« 9tationalität«gefüf)f in ber SBiener 9tebeßion
nur ba« Jlnfämpfen gegen ©laben unb Sfteaction fe^en wollen. 93on Meinem
berg werben 9lufforberungen an bie ©täbte gefdjirft, ben SBienern ju $ilfe
$u fommen, unb bon Eger faßen an 100 3Kann geben wollen. . . 34)
erfahre eben," fepte er in einer 9tachfd)rift ba$u, „baf« ©tubenten au« SBien
al« Emiffäre bie Seute aufwiegeln, unb e« ift auch einer nach Satfenan
gefommen, wo feine Eltern finb. E« ift fetjr $u fürchten, baf« in ®öbmen
ein 9lationalität«lampf an«bricbt, wenn bie ©adje in SBien nicht halb entfliehen
wirb." 3n einem fpäteren Schreiben au« Ifchemin theilte er mir mit: „3n
3h*ent SBahlbejirfe faßen ©lacate au« SBien circuliren, welche ba« SSol!
aufforbern, ben SBienern $u |)ilfe $u ziehen, weil, wenn SBien unterliegt,
mit 1. Sönuar bie SRobot unb aße (Siebigfeiten wieber in SBirffamfeit
treten." Sr erinnerte mich an mein ©orhaben, einen offenen ©rief an meine
SBäbler $u richten. Übrigen« hielt ©tar! treu $u unferer Partei, ber er fich
feit feinem Slbgange bon SBien angefchloffen hatte. „da« Unheil", fchrieb
er mir, „haben jene deputierten $u berantworten, bie in SBien geblieben finb
unb bamit ber Stebeflion ben Slnfchein eine« Kampfe« für bie Freiheit gegen
bie Unterbrücfung gegeben haben, die ©rodamatiouen be« 9teich«tage«, ba«
Sieben bon Freiheit unb bom Kampf für biefelbe k. machen bie Seute ftupig;
ßatt ben fcheufelichen SJiorb be« Satour öffentlich ju mif«bißigen, ftatt baf«
ber 9leich«tag fogleich feinen Slbfdjeu unb ©erbammung über biefe unbejeichenbare
©räuelthat au«gefprochen hätte, hat er bom ©iege be« ©olfe« unb ber Freiheit
gefprochen! . . . 2llfo bom 24. b. 3R. an binnen jebn lagen höben wir
im 9teich«tag ju erfcheinen, ober e« werben neue SBahlen au«gefchrieben.
34 ) für meinen proteftire nicht bagegen unb bitte auch ©ie, nicht«
in ähnlichem Sinne für mich ju thun. S« wäre überhaupt gut, wenn
unfere Leitungen nicht« al« blofc Seitartifef brächten; wa« bon c^ec^ifd^en
deputierten au«geht unb betannt gemacht wirb, wirb nicht geglaubt."
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112
3ofepb Sreitjerr oon geifert.
SBaS mir ©tarf aus ben beutfdjen fianbftricben Böhmens fcbrieb, baS
mürbe mir aus anberen ©egenben beftätigt. ®r. Sran^ Garant mar feiner
Seit Slffiftent meinet BaterS an ber Präger Uniderfität für canonifcbeS Stecht
gemefen unb batte eS, mie er mir fpäter erzählte, Dor^üglicb biefer Bermenbung
ju banfen, bafS ihn baS ©tift 3roettl, mo bie ©teile beS BejirfSricbterS
erlebigt mar, allen anberen Bemerbern Dorjog; er bat barum meinem
feligen Bater ftetö ein banfbareS SInbenfen bemabrt. Garant nun feilte mir
aus bem nieberöfterreiebifeben SBalbüiertet mit, bafS bie Dortige Beoölferung,
mit SluSnabme einer geringen Qafy, burcbanS mit bem SBiener Slufftanbe
fpntpatbifire: „9Ran flößt beut Söolfe £afS gegen alle Slnbänger ber ®pnaftic
ein, unb man mufS auf alles gefafst fein. 3cb fämpfe mit bem Sntfcbluffe,
mich ber Slrrnee anjufc^ließen, melcbe bie Anarchie betämpft, um mitjufömpfen.
SS märe mir nicht möglich, rubig ^ujufeben, menn mein Bater lanb bem
Slbgrunbe jueilen foflte."
Bon SubomirSfi tarn mir ein ©ebreiben aus Sreimalbau ju. ®cr
©cbmerj in feiner rechten $anb ^inberte ihn noch eigenbänbig bie Seber
ju führen, unb fo feßrieb fein Brioatfecretär 3. ©ermatomsfi in feinem
SRamen. Sr berlangte bunbert Sjemplare jenes äJianifefteS, baS ich ib m m
Dlmüfc Dorgefefen batte, ba er in ben SBiener Leitungen nur baS Dom 1B
gefunben habe, oon meinem ich ihm boeb ertlärt batte, bafS eS unter*
brüeft merben unb in anberer Raffung erfebeinen follc. Sr fprad) feine
Befürchtungen über bie „traurigften unb febreefliebften folgen" aus, * melcbe
bie Beröffentlicbung jenes 2RanifefteS in ber urfprünglicben Raffung namentlich
in ©ali$ieu haben merbe. Sr fab im ©eifte, mie bereits „ein bem 3abre 1846
gleicher Slufftanb gegen bie polnifdje Sntefligenj" im SBerfe fei unb bat,
mir böhmifchen SIbgeorbneten möchten „alle SRittel" Derfuchen, „um bie
fchtechten folgen biefeS SKanifefteS abjumenben". «Sulefct fügte er mit eigener
unficherer |>anb bie SBorte bei: „3ch febe bloß Unglüd über unferem
ßanbe febmeben. Um ©otteSmiöen helfen ©ie! ©ie nur in Böhmen fönnen es!
$a$ SJtanifeft beS ffaiferS, baS beS SReicbStageS bejmeefen nur eines, b. i.
Sanbfturmü SBobin mirb baS führen?"
Weiterer lautete ein Schreiben meines SreunbeS Köftler aus Krafau.
3ch batte ihn gebeten, meine ©elbangelegeribeiten in Srafau $u beforgen,
namentlich meinen ©ebalt ju beheben, hierauf fchrieb er mk in feiner
ftets jooialen SBeife: „giir ftoöember, fagte mir ber ^iefige Sontrolor, be*
(ommft ®u einen ® . . . ., naebbem beine ©age hier eingestellt ift unb
®u ohnebieS als ®eputierter 150 fl. monatlich umfon ft bejiebft." ®er Brief
fcbMS mit einem ©ruße an meine „göttliche ©emablin" unb „lebe recht
mobl, ®u mein Slugapfel; eS füfst ®ich ®ein — Banfier Röftler."
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Sttinifterium ©chroarjenbergsStabion.
113
9.
SBic fah eS itt ber $eit, ba ©alacfp, ©infaS unb ich in Dlmüp
weilten, in unferem golbenen ©rag aus?
Sn ben erften Sagen nach unferer 3tbfat>rt befanb fich adeS noch fo
Ziemlich auf bem alten Slecfe. <stür unb $urban weilten noch immer in ©rag
unb Warben für ben Sreifcharenzug, ben fie in ihre Slobafei unternehmen
wollten, ©pmpathien, ©elbbeträge unb 3teitoidige. Saneben liefen ©aben für
bie Kroaten unb ©erben ein unb „Sdr. Sow." brauten bon Seit ju 3rit
Serjeic^niffe ber empfangenen ©eiträge. $abel ©orobffp (Karl £>awltief)
harrte tapfer an unferer ©eite aus unb öertfjeibigte mit ebenfo warmem
©ifer als großer ©efdEjicflic^feit unfere Haltung. 21m 19. Dctober hatte bie
Krafauer „Sutrzenfa" einen heftigen 2lrtifel gebraut, worin bie ©olitif ber
©Öhmen angegriffen unb berfwhnt, bagegen jene ber ©ölen in ben #immel
erhoben Würbe; bie ©ölen, hit$ eS, feien bie wahren ©orfämpfer unb
Setter ber Sfteifjeit, bie ©tüpen beS ©labenthumS. ©egen biefen 21uSfad
erfchien nun in ben „Sdr. Sow." Sr. 167 bom 24. ein 21rtifel „©oldci",
worin £awli£ef bie SReifterfchaft feinet naturwüd)figen ©enieS entfaltete.
9Rit unerbittlicher Schärfe ber 2ogif unb beS 2luSbrucfeS jeichnete er jene
oerwerftiche ©olitif, bie fich in ben Schein ber greifinnigfeit unb ©olfS*
thümlichfeit hüde, bie gemeinfame ©ache ber ©laben unb beS polnifchen
©olfeS ju bertreten borgebe, in SBahrheit aber mit plumpem ©goiSmuS Hofe
ben ©ortheil beS polnifchen 21belS im 2luge habe unb für biefen fämpfe.
Sn einem 2eitartifel bom folgenben Sage charafterifierte er in
fcharfer SBeife ben ©tanb ber betriebenen nationalen ©arteien in Öfterreich.
„SBir öfterreichifchen ©laben", hiefe & barin, „haben baS erreicht, WaS unS
' bor adern SRoth thut, nämlich bie ©leichberechtigung mit aden anberen, wir
woden fortan feine SRebolution, weil wir überzeugt finb, bafS wir auf frieb*
lichem SBege im Reichstage erfämpfen werben, roaS unS bon Supen ift . . .
SBaS woden bagegen bie anberen? Sie äRagparen woden 2oStrennung unb
tprannifdje Ädeinherrfchaft. Ser polnifche 21bel wid baS alte ©ölen mit ber
Dberherrfchaft ber polnifchen Race über bie ruffifche unb litauifch'e unb ber
Slriftofratie über baS gemeine ©olf. Sie Staüener ftreben 2oSreif$ung bon
Öfterreich unb ein einiges Stalien, bie Sranffurter Unterwerfung ber öftere
reichifchen ©unbeSlänber als untertänige ©robinzen unb ein einiges Seutfch*
lanb an. Sie ade ftehen mit einanber im Sunbe, fie woden fein Öfterreich,
fie machen Reoolution um eS $u zertrümmern, unS fcpreien fie als Reactionäre,
als SegierungSfnechte auS; hoch im ©runbe woden fie nur, bafS wir nach
ihrer ©feife tanken. SBir werben unS hüten, unS burch ihren ^opn unb ihre
trügerifchcn ©hrafen bon unferem SBege abbringen zu taffen. SafS wir jept
$ie Äultur. III. 2. £eft (1901.) 8
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gofepb greiberr oon geifert.
mit ber Negierung uttb mit bcm ^>ofe galten, tbun mir nicht um bicfcr
SBiflen unb aus Kriecherei, fonbcrn um unfertmiflen unb in bcr Überzeugung,
bafS in biefer ©olitif gegenmärtig unfer Aller Sortbeil liegt".
AIS biefer lefctere Artifel aber erfebien, butte bie bisherige politifebe
Stimmung fomobl in ©rag, als auch in dielen ©egenben beS böbmifeben
2anbeS umgefcblagen. Am 22. Dctober ^atte ©anuS 3ellafi£, ber Stolz
ber öfterreiebifeben Slaöen, ein Schreiben an bie SlooanSfä 2ipa gerichtet.
®r fpradj ficb barin über bie Stellung unb Aufgaben beS SlabentbumS in
Öfterreicb auS unb fefcte bie ©emeggrünbe auSeinanber, bie ibn zu bcm
ÜJtarfcbe gegen ©eft unb bann gegen SEBien oeranlafst butten, biefen beiben
£>auptberben ber Slaoenfeinblicbfeit, unb fpenbete babei ber ©olitif ber ©öbmen
marmeS 2ob. Ohne Steife! jüü r be baS Schreiben bie größte ©egeifterung
beroorgerufen buben, nicht bloß im Scbofte ber SlooanSfä 2ipa unb in
ben Greifen ber böbmijeben Abgeorbneten, fonbern in allen ©auen beS
böbmifeben 2anbeS, toenn es nicht mit einer anbern Nachricht zufummen=
gefallen märe. $enn zur felben 3eit, ba eS in ©rag eintraf, mürbe bie
©roclamation beS gürften 2Binbijcb®räp Dom 23. aus ftepenborf befannt,
unb nun mar alles ftarr oor Staunen unb Scbretfen über bie gorberungen,
bie barin auSgefprocben maren: ©ebingungSlofe Untermerfung, Ablieferung
aller SBaffen, Sperrung ber Aula, Auslieferung ber Häupter ber atabemifeben
2egion unb öon ztuölf Stubenten als ©eifein, Unterbrütfung aller gournale
mit Ausnahme ber „SBiener Rettung".
3 m ©runbe mufste ficb jeber befonnene Kolititer fagen, bafS einer
in hellem Aufftanbe begriffenen Stabt gegenüber nichts anbereS für ben
Augenblicf getban merben fonnte, als ©emalt gegen ©emalt. Allein in
©rag erinnerten biefe gorberungen nur zu febr an baS, maS man oier
9Ronate früher felbft erfahren butte unb momit niemanb einoerftanben
gemefen mar, als bie befannten Siebenunbfecbziger in ihrer Abreffe. Auch
jefct maren eS faft nur biefe Siebenunbfecbziger, bie baS ©orgeben beS faifer*
lieben gelbmarfcballS ganz natürlich, bureb bie 2age ber $inge in SBien
geboten fanben. ©ei allen anDeren, ©öbmen mie ®eutfcben ohne Untcrfcbieb,
mar geuer im 2)acb. ®ie Nabicalen butten mit einemmal bie Dberbanb
gemonnen. 3n allen Körperhaften unb politifeben ©ereinen, in ®aft* unb
ßaffeebäufern, auf Den Straften mürbe gegen baS „unconftitutioneüe ©erfahren"
beS gürfteu 2Binbifcb®räfc gefproeften, peroriert, beclamiert, geflucht unb
gefebimpft. SBebe bem, ber ein Sßort bagegen magte! Son ber Stegierung
gefebab nichts, um ben Sturm ber 2eibenfcbaften zu befebmiebtigen. SBinbifcb 2
©räfc mar fort, ber fräftige 2eo 2bun mar in bie ©de gebrüdt, unb fein
Nachfolger ©aron 2Hecf£rp mar ohne Kraft unb baber ohne Anfeben. ®r
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üJtinifterium ©cbroaraenberg=©tabion.
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uerftanb e$ nur, mit Keinen SJtittetn ju operieren. 2ll£ fid^ in biefen Dagen
unter ben Arbeitern ba£ ©erüebt oerbreitete, öon ben ©tabtüerorbneten motte
bie ftrage ber äßafcbinen beraten merben, ma£ am 25. bie. ßeute in grofee
Aufregung öerfefcte, fo baf^ ein neuer Stufftanb brobte, tiefe Wecj(ri) unter
bie Arbeiter ©etb auätbeiten*), unb fo fam e3 üon biefer ©eite ju nid^tö
ernfterem.
Um fo heftiger gä^rte e3 megen ber Söiener Srage in ben ©emüttjern,
unb $mar nicht btofe in ber |>auptftabt unb ben gröfeeren ©täbten, fonbern
auch auf bem ßanbe. ©etbft in ftocfböbmifcben ©egenben trieben fidj ßeute
herum, metefee ba3 Vertrauen ber «ebößerung in ihre Stbgeorbneten ju
erbittern fuefeten. feien in SBien, fdjrieben bie £efcer, Slbgeorbnete,
aber auch anbere Herren gemefen, bie ficb bitten befteeben taffen, um ba£
böbmifefee ßanb unb SSotf $u oerratben; ©trobacb allein habe $mei SJtittionen
erbatten. Sn SBiener «lättern mürbe bie SJtiffion oon Vatacfq unb
«in!a£ naefe Dtmüfj unb beren bortigeS gufammentreffen mit ben SBiener
Deputaten in ber gebäffigften Sßeife bargeftetlt, ma§ auch in Vöbmen
böfeS «tut machte. Unfere Stbgeorbneten oeröffenttiebten gegen folcbe ®nt*
ftellungen eine offene ©rftärung; allein ba§ äJiifätrauen im «ubticum mar
einmal angeregt unb tiefe ficb fo feiert nicht jerftreuen.
Da£ ßofungSmort mar jefet: eine Äbreffe an ben ffaifer, bie eine
Deputation nach Dtrnüfc bringen fotlte, um bem martialifeben Vorgeben beä
dürften 2Binbifcb®räb ©inbolt $u tbun. Sn ber 2tbenb^@i^ung oom
25. mürbe tum ber ©loOanStä ßipa befchtoffen, ben beutfdjen Verein ju
begrüfeen, auf baf# er in biefer SIngetegenbeit £>anb in $anb mit ibr gebe.
Sür ben 26. mürbe eine Volfäoerfammtung auf bie ©opbien*3nfet berufen,
mo bie ßage 3Bien$ befprochen merben fotlte; ber 2tu£fcbu}£ ber ©toöanSfä ßipa
fotlte barüber machen, bafä alleä in Drbnung üor ficb 9 e ^ e: i e ^ cr f ^ cr fp^echen
motte, habe ficb oorerft bei ben StuSfcbüffen einfehreiben ju taffen unb im
allgemeinen ju bezeichnen, morüber er reben motte ic. Sn ber «rager
Veoölferung rief biefer SefdjtufS mannigfache «eforgniffe berbor; allerbanb
©erüchte tiefen umher. „2Biü man", fagten bie Snrchtfamen, „bie fieiben*
fchaften abermatö mie in ben Vfingfttagen bernufbefebmören?!" 3«be§ üerlief
bie Votfaoerfammtung in aller Stube unb Drbnung.
äßitttermeite mar bie 2lbreffe an ben Saifer abgefafät unb bie grofee
Deputation nach Dtmüfc gemäbtt. ©ie beftanb aus Vertretern be3 ©tabt*
*) 3rürftin ©cbönburg febrieb über $Jtecf£rp am 27. au$ Vrag an ihren
©chmager im fiager oor Söien : „Du roarft fein gifebbein, depuis votre d6part ift er
ein ÜJtorb*ßafirer geroorben, et s’est m^me vantä d’avoir fait distribuer de l’argent
parmi les ouvriers, ce qui me parait ein gefährliches ^BaUiatio."
8 *
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3ofeph Freiherr oon geifert.
oerorbnetensßoflegiumS, beS 93ermaltungSratheS ber 9lationalgarbe unb ber
atabemifchen ßegion, jufammen 28 Köpfe, mit bem 93ürgermeifter Dr. fflanfa
an ber Spifce. 3 h rc Aufgabe mar, im tarnen ber ©tabt $rag ftürfprache
„für baS ©chidfal ihrer ©chmefterftabt SBien" einjulegen: „@oB eine
93eoölferung non 400.000 2ftenfd)en einem namenlofen (Slenbe preisgegeben
merben? Stein, baS tarnt gerbinanb ber ©ütige nicht moßen! Sin 3h rt
menben mir uns mit ber ooßen 3 u ^erfic^t, bafS bie äufeerften, jur 9Ser^
jmeiftung führenben SJtafjregetn nicht in Slnmenbung gebraut merben, beoor
itid^t aße Sötittel erfd^öpft finb, bie ju einer friebtidjen ßöfung führen fönnten."
Sin bemfelben Sage, an bem bie Deputation nach Dlmüfc abgehen foBte,
29. Dctober, mar Sahnenmeihe ob bem Sp&eljrab. gürftin ©chönburg fdjrieb
an ben gürften SBinbifch©räfc: „£>eute mirb teuftifch aus ber einen Kanone
gesoffen, qui forme l’artillerie de la Nationalgarde."
♦ *
*
3n Dlrnüfc t)errfc^te in biefen Sagen feine geringere Aufregung als in
ben Oerfchiebenen Kreifen SßragS. Sluch bei uns bangte man megen ber ®nt*
Reibung Oor SBien, nur in anberer Slrt. Der Delegraph arbeitete ununter=
brocken. SJtinifter KrauS mar für einige ©tunben nach Dlmüfc gefommen;
nachmittags am 28. reifte er mieber ab unb traf abenbS nach fitnfftünbiger
gafjrt in SBien mieber ein. 93eröffentlid)t oon amtsmegen mürbe in Dlntüfc
nichts, unb baS machte uns bie Sache bebenflid). Denn baS mufSten mir
ja, unb mufste aBe SBelt, bafs ber Kampf bereits begonnen hatte. SBir lebten
in fortmäbrenber Spannung, eine ©tunbe um bie anbere brohte etmaS neues
$u bringen, ©o oft mir tonnten, eilten mir auf ben SSahnhof hinaus, nach*
$ufragen, ob feine neue Sßoft eingetroffen fei. SBer oon SBien tarn, mürbe
umringt unb befragt, befonberS Dfficiere. SBaS biefe auSfagten, tonnte unfere
ßtueifel nicht befchmichtigen. @S fprach feine ©iegeSjuoerficht aus ihren SBorten:
ber Kampf fei ein fehr erbitterter, bie ©tabt fcheine ju ernftem SBiberftanbe
entfchloffen, fchon habe baS Militär niete Serlufte erfahren, niemanb fönne
fagen, mie ber SluSgang fein merbe. ©eriiehte gab eS in SRenge, eins löste
baS anbere ab. Sluch prioate SRittheilungen tarnen unS ju; benn fort*
mährenb trafen ^erfonen ein, bie unmittelbar aus SBien tarnen unb bie 3u*
ftänbe bort mit eigenen Slugen gejehen hatten: ber DerroriSmuS habe ben
höchften ©rab erreicht, felbft gan^ beutfehe Slbgeorbnete hätten barüber $u
ftagen. SSon SReffenfjaufer mar in ber ©tabt nicht nie! 511 hören noch
3 U fehen; um }o mehr 511 lefen, benn aBe Sage erfchienen SRaueranfchläge
non ihm, mitunter enblofe ©afcfchriften. Der eigentliche ßeiter ber SJerthei*
bigung mar ber fleine 93 em, ber jebem mit bem ©rfchiefien brohte, ber
nicht gleich parierte: feine SBorte $ünbeten, feine Stebe entflammte ben
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SRinifterium Scproaräenberg-Stabion.
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finfenben SJtuth- 35er Stbgeorbnete griebrich X^iemann (für SRumburg)
hörte ihn eine$ XageS, afö ©em, memt id) nicht irre am ©raben, bie ßeute
anrebete unb ifjnen ©efehte gab; Xfyiemamt fc^tiberte mir fpäter ben 6in=
brucf, ben ©em'3 SBefen auf ihn gemalt: „Der 9J?amt", fagte er, „befifct
eine bämonifche ©ematt, bie Stnberen hinjureißen unb fich bienftbar $u machen."
©ine anbere ©eftalt mar ber ©rajer Dr. ©mperger. SBie ein grabiaoolo
gefteibet, mit langem 3J?antet, ©iftolen im ©ürtel, ben entblößten Säbel in
ber Stedjten, eilte er im Sturmfehritt burch bie Straßen, bafS bie ßeute
uor ißm mie oor einem ©errüeften feßeu auäeinanber ftoben.
SBien mar öb unb teer. Son ben befferen Stänben mar feßon tange nie*
manb mehr in ber Stabt; in ben eleganteren Stabttßeiten ftanben ganje Raufer
ohne 3nmohner; nur bie £>au£beforger maren noch ba. Dafür maren alte
fteineren Stabte im fianbe unb in ben SRadjbarlänbern oon SBiener fttücßttingen
überfüllt: in ßtnj, Srünn, fetbft in ©rag maren niete. 3n ber 9?ähe
non SBien mar am meiften ©oben non ihnen angefüttt, ba3 bafür ben Spotte
namen „Schmar$gelbomifc" erlieft; benn „fcßmarjgetb" ^ieß bamatä atteä,
ma3 nicht mit ber SReoolution hielt. Sind) bie faiferltchen Ämter ftanben
faft teer, fetbft in ben SRinifterien pietten nur SBenige auf ihren ©offen au3.
©on bem Unterricßt^=9Winifterium, beffen ßeitung ich übernehmen fottte, maren
nur bie ÜJZinifteriaträt^e @ e n er unb ber Sble non ©er gen ft a mm an ihrem
©la&e; ber tefctere, ein Sertrauenämann be£ Unterftaat£fecretär£ geitchterS-
leben, mar binnen einem halben Sfahre nom 9Rinifterialsßoncipiften ^um
SRinifteriatrath ananciert, ein üftann non befchränften Öähigfeiten unb in feiner
©efinnung ber ©mpörung nicht feßr abgeneigt, ©aron geuchter^teben fetbft,
ber baS SRinifterium leiten fottte, hatte fich auä ber Stabt Oerloren, unb
man fprach, er motte fein Stmt niebertegen. f)ie%, er fei burch bie
"Drohungen ber ©h^ rur 9 en gefchredt, ba man muffte, er motte bie cßirur=
giften Stnftalten aufheben unb ben Stanb ber ®h^ rur 9 en auSfterben taffen.
ben „©hinxrgen" jähtten fich aber jept auch einfache Sarbiere, bie in ber
mebicinifchen ßegion fehr ftart nertreten maren unb bort ben Don angaben;
benn auch ben Stubenten maren bie befferen ©lemente zahlreich gefchieben.
Selbft ber ©ürgermeifter Sei Her unb ber ©ice*©ürgermeifter Dr. getinfa
maren aus SBien geflohen, unb ^mar, mie man ihnen fpöttifch nachfagte, fo
eilig, bafä fie fich am Semmering $um erftenmat umfahen.
©on ben SBiener Leitungen maren bie fteineren faft alle eingegangen,
bie größeren mufften alle in ben Don ber 2tufftänbifdjen einftimmen. Setbft
bie „SBiener 3eitung", bamate oon SRubolf o. ©itetberger rebigiert, febrieb
non ben Stufftänbifcßen al3 ben „linieren", fo bafS eigentlich SBinbifch®räfe
unb feine ©enerate bie „SRebetlen" maren, mie in ber Dßat ©em non ber
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gofeph greiherr uon geifert.
belagernben 9lrmee nicht anberS als von bcn „StebeHentruppen" fprad}. Ser
„Öfterreichifche Slopb", an beffen ©pifce ber geiftvolle SBarrenS ftanb,
befanb fic^ burchauS unter bent XerroriSmuS ber SRabicalen, wahre ©chanb*
9lrtifel muffte er aufnehmen. bie größeren ©rovin$blätter waren mehr
ober minber rabicat, manche h e t}ten 9 an $ offen für ben Slufftanb; in Olmüfc
felbft beftanb, wie früher erwähnt, ^öt^eT^ „Sie neue3eit", regierungS*
feinblich über bie ÜJta&en. ©S that baher bringenb noth, für bie ^Regierung
unb für bie ©runbfäfce unb gbeen, bie fie leiten foltten, ein verläfSlicheS«
Organ ju fc^affen; ihre greunbe toie i^re ®egner verlangten in biefer
fritifchen 3 «t authentifche SRachrichten auö bent thatfächlichen SJlittelpunfte
beS Reiches. Sa war eS Sr. 21 n ton 93ecf, SteichStagS*Slbgeorbneter für
SBittingau, ©rjieher im ©aufe beS gürften gohann Slbolf ©chwarjenberg
unb Von baher feit galjren mit bem gürften gelij, aber and} mit bent
©rafen ©tabion befannt, ber ben ©ebanfen eines publiciftifchen 3tegierungS=
Organes anregte, baS in Dlmüfc erfcheinen follte. ©chwarjenberg unb
©tabion griffen mit beibcn Vänben $u, Verlangten aber Von ifjrn, er felbft
möge bie fieitung übernehmen. ßr erbot fidj ba$u, obwohl bie Aufgabe
gewifS feine leichte war. ‘Sie ihm jur Verfügung geftellten ©elber waren
fnapp, bie gnformirung feitenS ber Regierung war bürftig unb ängftlidj;
bie Sruderei ©farnifol, wo „Sie neue 3cit" gebrucft würbe, $eigte
fich einem confervativen Unternehmen anfangs abgeneigt. ÜberbieS fehlte
eS in ber ©tabt faft an allen für bie Verausgabe eines großen ©latteS
notbwenbigen VilfSmitteln: literarifdje Serbinbungen, ©orrefponbenten
in ben widjtigften Orten mufsten erft gefugt werben. ©S gehörte in ber
Xhat unter folgen Umftänben nicht gewöhnlicher SRuth unb eijerne 2htSbauer
baju, ein folcheS Unternehmen 511 arrangiren unb burcf)$uführen. ©leicfjwohl
War ©ed mit feinen Sorbereitungen halb jo weit, bafS am 28. October bie
2Infünbiguitg erfolgen founte. Xitel ber neuen 3^itung war: „Öfterreichifdjer
ßorrefponbent"; ©ed’S $Rame war nicht genannt, ©r h^Ue anfangs nur
einen SRitarbeiter, bann jwei, von benen ber eine fräitflich War, ber jweite
fich fpäter als geheimer SRepublifaner entpuppte. Sic fieitartifel fchrieb
©ed in bcr erften 3 eit allein, bie ganje Stebactiou laftete auf ihm, bajtt bie
2lbminiftration in vollem Umfang, ©rft als eS ihm gelang, ben Sr. ßonftantin
©Jurjbach ju gewinnen, gieng bie ©ache flotter.
Ser 28 October vergieng uns in Olmiifc in trüber ©timmung unb
voll banger ©orgen. 2lm 29. würben jwei telegraphifche Sepefcheit burch
©lacate veröffentlicht, fie melbeten gortfehritte beS 9RilitärS. gefct begannen
felbft SRitglieber ber fiinfen an bem Siege beS 2lufftanbeS $u zweifeln unb mit
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SJiintfterium Scbroar$enberg=Stabion.
110
Stangigfeit bic folgen ju ermägen, bic fid^ für fie einfteflen tonnten. StuS bent
SSermanen^SluSfcbuffe mürbe mir ein tragifcb=fomifcber Stuftritt erjäf)(t. „SBaS
mirb ber 2Binbifcb©räfc mit un£ machen?" ttagte ber lagere Umlauft.
„2Ba£ er mit uns machen mirb?" fagte £>ubicfi, einer ber JRabicatften
im SReicbätage; „aufbängen mirb er uns taffen!" „Sftacben Sie je|jt feine
flechten SBifce! 3b r $oten feib baS Slufbängen gemoßnt — aber mir?!"
©r gieng mit großen Stritten im 3intmer auf unb ab, unb bodt)afte Seute
motten bemerft buben, bafS er ficb babei unmittfürticb öftere au feinen
taugen §at3 fünfte.
Umtauft mar übrigens nicht ber einzige oon ber Sinfen, bent eS
nid^t recht geheuer $u merbeit anfiettg. Sie Ratten in ben früheren SDionaten
ben SJiunb gemaltig oott genommen, jept mürben fie auf einmal fteintaut.
Söhne r, ein JRebner oon großer Segabuitg, aber fein StJiann oott großem
3Rutf), mar fcbon lang nicht im SteicbStag erfreuen. Stuf ber Straße mar
er manchmal $u feßen, ein gemaltigeS Sc^mert an feiner Sinfen, um ficb
bie eigene fturcfjt 00 m Seibe 5 U butten; ^ute^t mar er mie öerfcfjmunben, er
ßatte ein ©taffenjimmer im Spital bezogen, um ba als Slranfer für alle
gälte fidjer ju fein, ©ine ©efc^ic^te meiß ich aus fieserer Duelle, bie einen
meiner eßrenmerten Sollegen oon ber Sinfen betraf, beffen Stauten ich unter-
brüefen mitt. SttS baS ©ittriiefen ber faiferlicßeu Gruppen beoorftanb, erfebien
er in bem Jpaitfe eines i^n feit Rubren oeraeßtenben SJtanneS unb bat ißn
um feßübenbe Slufnabme. „SBie fönnen Sie elenber Schuft ficb einbilben"
fagte ißm biefer, „bafS 3b nen ein ehrlicher Wann Unterftanb biete!" Diefe
berbe Slbmeifung piclt jenen nicht ab, noch bringenber $u bitten; eS mar nicht
baS erftemat, bafS er ähnliche ©brentitet aus bem SRunbe beS Stübern
empfangen butte. SttS er burtnäefig abgemiefen mürbe, empfabt er ficb,
fanb ficb aber unten beim |>auSmeifter ein unb fagte biefem, ber $err taffe
ibm fagett, er fofle ibm einen Steller auffperren. Der |>auSmeifter tfjut,
mie ibm geheißen marb, unb jener butte feinen 3u)ecf erreicht: einen Schlupf-
minfet in einem |>aufe 511 finben, mo niemanb bie Slnmcfenbeit eines
„SRotben" oermutben fonnte.
* *
*
Slm 30. Dctober traf bie große Präger Deputation in Dtrniib ein. Stm
fetben Dag mar bereits befannt, bafS ficb Sßien ergeben butte unb bie Druppen
beS gefbrnarfcballS ficb unfebieften, bie innere Stabt $u beferen. SB et cf er
unb SWoSte richteten ein tefcteS Schreiben an ben SJiinifter SBeffenberg,
metebem fie an^eigten, bafS fie ihre üftiffion als geenbet betrachteten unb bafS
fie baber feinen ©runb butten, tänger am faiferticben $oftager ju meiteu.
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120 gofepb greiherr oon eifert. SJtinifterium SchroarjenbergsStabion.
Sticht fo bic ©rager Deputation. Diefe meinte jefct erft recht ihr giir^
mort einlegen 511 müffen. Stm 31., um V 2 1 SJtittagS erfdjien fie bor bem
Saifer unb fprac^ bie Hoffnung auä, „baf^ ber auänahmämeife 3 nftanb, in
melden SBien getreten, borübergeöen unb bie Seforgniffe, melche bie
Frager Sebölferung ^ege, halb böflig merben beseitigt merben." Die
Slntmort be3 ®aifer§ lautete auSmeichenb: 6 r fühle fid) nicht in ber Sage,
jefct fdjon einen beftimmten 2tu3fbruch ju tf)un. — Unbefriebigt non biefem
Sefdjeib, festen bie Frager Slbgeorbneten noch am felben Dage eine neue
Slbreffe auf: „@3 fann mohl nißt ber Sßifle ©urer äJtajeftät fein, bie
Deputaten ber treuen böfjmifchen Station in einer ba3 ©efarnrntmohl ber
SJtonarchie berü^renben Angelegenheit ohne eine beruhigenbe Antmort ju
entlaffen." 3um ©chluffe fteUten fie bie Sitte, „baf$ im galle ber militärifchen
©efefcung bon SBien mit Sermeibung jebeS auänahmSmeifen 3 wftanbeö bie
©ibilautoritäten ungefäumt mieber in bie oofle SSirffamleit treten." £)b fie
mit biefer jmeiten Abreffe bor ben S'aifer gelaffen mürben, meifj ich nicht,
bejmeifle e3 aber. 9lm 1 . Stobember muffte man bereite bon bem friegerifd^en
©infall ber Ungarn in Stieberöfterreich, bon bem ®apitulation£bruch
SKeffen^aufer^, bon ber fiegreidjen Schlacht bei Schmechat, bon ber neuerlichen
©efchiefjung ber Stabt, unb am 2 . Stobember reifte bie Präger Deputation,
ohne etma* auSgerichtet $u hoben, bon Dlrnüp mieber ab.
3nt lebten §citc fiat ft(fi Seite 7, Seile 2 seit unten, ein finnftßrettber $rucffef)ler eingefallen
ftatt „unb" lies „nur".
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Darwin und das Überleben des Passenden,
Eun ftnfsn Bhrrguis Ztttoli.
n einem chriftlichen Statte ben übrigens meniger non Darmin felbft,
atS oon ben Darminiben oerfochtenen ©runbfap oon ber Stammet'
gleichheit beS 9ßenfchen mit bem 5lffen miberlegen, hiefee ©ulen nach 9lt^cn
tragen. £jier fann bie 9Jott)menbigfeit einer fotc^eu Sefprechuitg nicht OorauS*
gefegt rnerben. SaS aber bie übrigen barminiftijchen Dh eor i eu betrifft, metdje
fid) tljatfächfich ober a prima vista mit pofitinem ©tauben immerhin öerein*
baren taffen, fo ^errfc^t noch in ben meiften djrifttichen Greifen eine gemiffe
gebanfenlofe ©utmüthigteit, in ber man — ba man fchon gelungen ift,.
manches oon fich 511 toeifen — froh ift, menigftenS einen als ©ntfchäbigung
anjunebmen.
©0 ift gerabe ber gunbamentalfatj beS DarminiSmuS oont Überleben
beS ^Jaffenben eine auf oberflächlichen Stic! recht einteuchtenbe Xbeorie, welche
oon nieten pofitio ©täubigen, mie non aüen SCRateriatiften als nahezu unum*
ftöfltiche SBahrhcit angenommen mirb, nott ben erfteren natürlich unter Sor*
auSfefcung beS ©chöpfungSacteS, non ben teueren atS Surrogat beSfetben.
Sir behaupten fchtechthin, bafS biefer ©afc Oon ben SDtateriatiften
am allermenigften anerfannt merben fotlte; benn er oerläfSt gerabe^u bie
materiatiftifche SafiS, enthält aber beffenungeachtet auch für bie Sertreter
ber buatiftifchen Seltauffaffung um fein Sota mehr Saprheit.
3untat gerabe biefer @afc a(S ein ©runbfteiu beS materiatiftifchen Sbeen*
gebäubeS gitt, fo ift er einer furjen Unterfuchung moht inert.
Senn Darmin nom »Survive of the fit est« fpricht, fo fönnte er
unter »fit« trofc ber einzigen Deutung beS engtifcheu Sprachgebrauches inimer=
hin breierlei nerftehen, nämtich fit ioniet mie „bereits paffenb", 'ein Segriff
ber im Sorte liegt, ober fit foniet toie „fich erft anpaffenb" ober enbtid)
fit foniet roie „ametfmäflig".
Serftehen mir unter bem Überteben beS Saffeuben bie Sortbauer beS
bereits $affenben, meit ©tärferen, gegenüber bem Untergehen beS nicht
Safflnben, meit an pppfifcher ffraft ititb WuSbauer ©chmächeren, fo behält
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91nton 2JtarquiS $aco!i.
bcr ©aft einen fo flüchten Sinn, bafS mit ihn faft als Sljiotn betrauten,
feine SBahrheit mithin feineSmegS bezweifeln unb ihn hö<hftenS als ©inleitung
jur logifdfjen Segrünbung beS SlantpfeS umS $afein einer öeadjtung mürbigen
fönnen. 2>iefer Sinn mar feineSmegS öon ®armin in feinen Saft fjinein*
gelegt morben.
®egreifen mir ferner unter fit baS fich erft unter oeränberten Umftänben
Änpaffenbe, fo hoben mir ben ®egriff ber Slccomobation beS Organismus,
welche aber, mie leicht eiitzufehen, erft ftattfinben fann, menu ber Organismus
in allen feinen feilen unb Functionen au f fcj e früheren Untftänbe paffenb
bereits ejiftiert. ©in ®ferb, meines in fehr faltem Silinta fein SBinterhaar
anfeften mürbe, gienge zu ©runbe; nun fich fein £aar ber Temperatur an*
pafSte, überlebt eS ein theoretifdj angenommenes, beffeit #aar fid} nicht
oerbidjtet hätte. s 21ber auch Karmin weife, bafS in ber Sefttjeit alle Organismen
im principe angepafst finb. Sprach er alfo oon einem Überleben, fo meinte
er geologifdje Sorbiten, in benen fich biefer ®rocefS abgefpielt höbe. Gr meinte
nicht bie Slccomobation, bie er nur als 21)ei( ber praftifchen ®etljätigung
feines Saftes betrachtet, unb mit feinem Safte wollte er eben Diel mehr
erflären, nämlich bie jeftt beftehenbe 3u>ecfmäfeigfeit ber Organismen unb
mit ihr überhaupt ihre Gjriftenz.
SBir fommen baper burch ben uon Tarmin felbft in feinen Saft hinein¬
gelegten Sinn anf bie oben angebeutete britte ®ebeutung beS 9IuSbrucfeS
fit, nämlich gleich ^loecfntäfeig, ob^mar rein fprachliche Sebenfen bagegen ob*
malten mögen.
Tarmin meinte mithin, um überhaupt mit feiner £>ppothefe bie oben be*
Zeichnete Frage nach bem Urfprung ber ztoecfmäfeigeit Organismen berühren zu
fönnen, unter feinem Safte folgenbeS: „TaS bereitS3wecfmäfeige, refpectioe Slccomo*
bationSfähigc überleben" ober: alles fei fo lange zugrunbe gegangen, bis etwas
bermafeen SWobificierteS entftanb, bafS eS ben $(nforberungeit genügen unb ben
ßmeef erfüllen fonnte. Tiefer s ßrocefS, ber [ich in ber Soweit oollzog,
habe nun folgerichtig ben heutigen 3uftanb ber allgemeinen 3u>ecfmäfeigfeit
Zum SRefultat.
TaS 3ugrunbegehen beS nicht 3*uecfmäfeigeu fann nun entmeber als
Zufällig ober als eine naturnothmenbige Folge feiner ©igenfehaft beS nicht
3 wecfmäfeigen betrachtet werben.
©in zufälliges 3ugrunbegeben ber nicht zmeefntäfeigen Organismen,
welches gemiffermafeen ben zmeefntäfeigen unerwarteter SBeife ben $1 aft zum
Fortbeftanbe freiliefe, märe eine ganz miHfitrliche unb ebenfo phantaftifche
Mitnahme. SJtan fteHe fich nur oor, wie geringe ©haucen nach ber SSJahr-
jcheinlichfeitSrechnung ber Tob fämmtlicher Organismen hot, bereit 3°h^ ba
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$anotn unb baS Überleben beS s J$affenben. 123
jte ja mieber ihre Kombination bent ßufatle oerbanfeit, faft gleich unenblicp
*u fepen ift.
Übrigens mar bieS üon $armin auch feineSmegS gemeint, ba er bocp
feine Xpefe als ein entbecfteS Staturgefep, folglich als eine in ber Xpeorie
auch b^ute noch geltenbe Siegel aufftettte.
SBir muffen uns überhaupt in Erinnerung behalten, bafS ein Statur*
gefep — unb baS fotl ber ©ap oom Überleben beS v ßaffenben fein —
meber räumlich noch seitlich eine SluSnapme oerträgt, ebenfotoenig mie
bie ©djmerfraft jemals ober irgenbmo ohne SBunber eine SlnSnapme auf'
meifen fann.
XaS Überleben beS 3toecfmäf$igen, refpectioe baS Untergehen beS
nicht 3toecfmäfeigen mufS alfo, p a niept jufäHig fein fann, noch nach
Xarmin jufäHig fein fott, ben ©runb in ber Statur beS 3totffmäfjigen ober
nicht ätoecfmäfcigen folgen hoben.
£>ier liegt bie unüberbriidbare ®luft, in melcpe baS ganje barminiftifepe
©ebäube 511 ftürjen broht ober oielmehr bereits geftiirst ift.
Xie Sßaprpeit beS fcholaftifchen ©apeS »actio in distans impossibile«
taffen mir, maS ben räumlichen ©inn anbelangt, bapingefteflt (vielleicht toirb
ber Schein, ber bagegen fpricht, burch fommenbe $ppfifer einmal grünblich
befeitigt). SBer aber, ob Xualift, ©piritualift ober SJtateriatift, mirb ernftlid)
behaupten motten, bafS bie SJtaterie im seitlichen Sinne auf Xiftans toirfen
fönne ober ein nur in ber 3ufunft als blofte 3bee ejiftierenbeS ©tmaS auf
bie SJtaterie surütf?
XieS hot Xarmin nicht bebaept, als er baS Untergeben ber einen
Kategorie oou Organismen auS ber ihr innemopnenben ©igenfepaft beS niept
3 mechnä 6 igen erflärte. Xer 3 ^ed liegt boep in ber 3 ufunft unb fann nur
manchmal oon einer Sntelligens im ooraitS geahnt merben. ©S fann alfo
immer noch *>ie ©elegenpeit sum Serfucpe fommen, benfelben su erfüllen.
S33ir fragen: mann ift ber 3eüpunft gefommen, in bein ber unsmetfrnäfeige
Organismus fiep als folcper conftatiert unb untersugepen pat ? Unb fann
niept ber groedmäfitgfte Organismus manchmal opne bie ©elegenpeit sur
33etpätigung feiner 3toetfmäf$igfeit emittieren ? ©S müfste alfo jeber Organismus
im SJtomente feines SßerbenS fofort feinen 3tved erfüllen, um emittieren
SU fönnen.
®S gibt barauf immerhin eine Slntmort; ber 3^ecf eines Organismus
fann in ipm felbft liegen, in feiner eigenen Erhaltung, ©r liegt tpatfäcplicp
auep öfters auSfcplie&licp barin. Xann lautet aber ber gunbamentalfap
Xarmin'S, jeber ©eleprtenfloSfel enfleibet, fcplecptpin folgenbermafjen: „Stur
baS lebt, emittiert, maS fo gestaltet ift, bafS eS leben, emittieren fann". tiefer
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124 Litton ORarquiS $acoli. Darroin unt baS Überleben beS ^affenben.
©afc taäre etibent, unb finnloS märe eS folglich, ihn aufzuftellen. gebenfallS
barf bann auch Darmin nicht tont survive, tont Überleben fprechen; benn
ein Organismus, ber bie gäfjigfeiten 511 m Seben im principe nicht befifct,
beginnt nicht, ober menn man fö jagen barf, tcrfucht nicht einmal ju leben,
braucht alfo gar nicht untergeben.
3Bir glauben bamit nicht nur für unS bie £>altlofigfeit beS barminiftifchen
Saftet bargetban ju haben, mir haben auch Qezeigt, bafS nach biefem ©afce
ber SJtaterie ßigenfehaften beigelegt merben, melcbe nicht einmal bie menfeh-
liehe Seele befifct unb melche gerabe ton ben äftateriatiften unter feiner
Sebingung anerfannt merben.
Als fdjeinbarer SftachmeiS ber SRichtigfeit ber Dh*fc 00 m Überleben
beS $affenben fchien uns felbft einmal baS Phänomen, meines mit beut
tarnen 3Jtimifri bezeichnet mirb.
SRiemanb leugnet baS 33eftehen ber Neigung ber 9iatur, Dh* crc * n bie
garben ihrer Umgebung $u fleiben. Sft jeboch biefe ßrfcheinung ein Ifytii
ber thatfächlichen golgerungen beS bejprochenen ©afceS unb angeblichen
•DtaturgefefceS, fo rnufS fie felbft ein SRaturgefefc fein unb tertrüge, mic
oben angebeutet, feine einzige Ausnahme. Dem ift befanntlich nicht fo;
eS gäbe feine bunten fi'äfer im ©raje, feine rothgefieberten Papageien in
ben faftiggrünen ©aumfronen.
DafS ber @<huf} ber betreffenben %\) iere, mie Darmin behauptet, ber
3 mecf biefer ßrfcheinung fei, ift bereits ton Autoritäten miberlegt morben,
inSbefonbere unter &inmeis auf bie feines Schußes bebürftigen Pflanzen,
ja SRineralien, beren garben oft in auffatlenber SBeife berjenigen ihrer
Umgebung nadhgeftimmt finb.
SBenn mir eben biefeS Phänomen tereinigen mit beseitigen Analogien
in ber Statur, aus beneit bie SJtaterialiften ihre AbftammungStheorie folgern,
fo ermöglicht uns baS eine ebenfo plaufible als eble Auffaffnng. ßaffen mir
Darmin im befchränften 9Raf$e feine ßntmicflung ber Arten (mie fie auch
tor ihm nicht bezmeifelt mürbe), im großen unb ganzen aber gemöhnen mir
uns, in ben Harmonien unb Analogien ber s Jtatur jenen einheitlichen ©til
ZU fehen, ben mir gerne ben Sauftil ©otteS nennen mürben, ben fo ein¬
heitlichen ©ebaufen, ber fich bei ber ©chmäche unferer Auffaffung in taufenbe
ton ßrfenntnismegen terzmeigt. SBirflichfeit liegt in biefem ©ebanfen
baS ibeale ßnbe aller SBiffenfchaft. Diefer ift eine logifche ©leichung unb
nicht eine chemifche gormel, ober tolfsthümlicher auSgcbriicft, ber eminent
logifche SBitle ©otteS, ber außerhalb ber SCRaterie ftcht.
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Die heilige Poesie der ßebräer.
»du pvof. ®r. P. Bttrarl» S«fj I ß g l.
II*)
05 . (64.) DanTIicb ffir ©otte« ÜBobltbaten*
1. Strophe.
2. $>ir jiemt Sobgefang, gabwe, in Sion,
Unb $)ir bejabl' man ©elübbe, 3. 2)u ©ebetSerbörer!
3u ^ir fommt alles 4. $>ec Sünben wegen.
©ro& ftnb wohl unfre Vergehn, allein $)u fübnft fie.
1. <ö*£*nPr0pfj*.
5. §eil un$, bie 2)u erwählt, ju wohnen bei £)ir,
UnS ju jätt’gen mit deines £>aufe3 Segensgütern!
6. SJtit höhten Xbaten btä fceilS erhörft $u unS,
3)u £>ort aller Erbenbewohner, auch her fevnften Infein.
Ä>i>tf|J>lflr0pfie.
7. $)er fräftig bie $erge hält, mit Stacht gegürtet;
8. $er beS ©leeres Traufen befänftigt, wie baS Xofen ber SBölfer.
9. ©3 jittern ber Erbe Bewohner, oov deinen 3 e Kh*n.
$>ie Reiche beS DJtorgenS unb AbenbS macheft £>u jubeln.
2. Stropfje.
10. fteimgefucht b a ft $>u baS Sanb unb eS reichlich gefegnet,
ÜJlit bem ©otteSbacb, üoü beS SßafferS, fein Eorn bereitet.
$>enn alfo bereiteft 2)u es: 11 feine gureben bemäffernb,
Seine Schollen feidenb burch SJtegen, machft 2)u eS erweichen.
2. (&*genflr0plj£.
2)ufegneftfein©ad)Sthuml2unbtröneft baS g«br mit ©üte.
$>ein ©eleife, triefenb oon gett, 13. machte triefen bie Steppe.
5)af3 laut frohloden bie £>ügel 14. im grünen ©ewanbe
Unb bie $bäler im ©olbe ber Saaten froh jauebjen unb fingen.
®falm 9ö, 97, 98, 93, 100, 99**), ein große« Gborlieb: ^reiSIieb 3abwe«, be« ©ottfönig«.***)
1. Stroplje. (I).f)
96, 1. SingtgabwenneueSieber, | fingt gabwen alle Sanbe, | 2. fingt
gab wen, preift feinen tarnen!
SBertünbet fein §eil alle $age, | 3. erjählt jebem SBolf feinen IHuhm, | ben
_ Reiben all* feine 2öunber!
*) ©ergleitbe ben Sluffafc in biefer Seitfcbrift, II. 3abrg., S. 442—454. — Die Silbe, beren ®ocal
in Sateinifd) gefegt ift, trägt ben Don. — 3n i. ift $u 45,5 ( Die ftultur", II. S. 44«) $u ergänzen:
SBobtan, faljrre ßlQcflid), | fifjafp ©abrbeit unb ÜRecbt; il bann jeigt Dir, o .fttrlb, i Deine {Rechte SBunbcr.
••) Vulgata: 95—97. 92. 99. 98.
***) Daf« biefe Sieber ®rucf»ftücfe größerer ©efänge finb, j*eigt fefjou ber ®?angel an ftberfebriften
9hir $falm 98 b«t bie Slufidjrift „ein ®ialm“ unb 'Sfalm 100: „ein Danfpjalm". Der Stil ift iejajauifd).
Da« dborlieb warb cipcn« für ben ©otteSbienft gebicfjtet.
t) Die lateintfdjen Hummern bezeichnen bie SBecbieldjöre. SRöglidjerweife haben nur jwei Qbdre ba«
Sieb abwedjfelnb gelungen.
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126
SHioarb ©cfttögl.
4. 3)enn grofj ift 3|abroe unb preislich, gar furchtbar über bie ©öfter;
5. $>enn ber Reiben ©öfter finb ©öfcen, $ocb 3>ab*) bat ben fcimmel geraffen.
6. Roheit unb ©Ianj ftnb fein §eroIb, ÜJlacbt unb Fracht feine SBo^nung.
1. (Srgrnftrupftr. (II).
7. ©ringt 3 a bnren, itjr- ©ölfergefchlecftter, | bringt 3[aftn)en SHuhm unb
©reis, | 8. bringt Rahmen bie Ehr’ feines 9UmenS!
©etretet mit ©aben ben ©orbof, | 9. betet an im heiligen ©cbntucfe, | betet uor
3>ab, ade Sanbe.
10. Sagt ben Reiben: „ftabme ift $önig, er bat gefeftigt ben ErbfreiS".
11. ©3 freue fub fcimmel unb Erbe, eS braufe beS ©leeres fjüüe
12. ©S jaudjje beS QrelbeS ©etbier, eS juble beS 2Balbe3 SMdicbt:
Srftrtrrrfe. (I. II.)
13. ©or 3abroe, benn er fomrnt, ja er fomrnt, §u rieten bie
Erbe,
3u richten nach IHecbt ben nach ©illigfeit alle bie ©ölter.
ErbfreiS,
l. »rtftrelffrupfte. (I -VI.)
97, 1. I. $ab ift Äonig! ©§ freu’ fid} eS juble ber Infein ÜJlenge.
bie Erbe,
2. II. 3)unfle3 ©eraölf ift um ibn b« r auf [Hecht ift geftüfcet fein £b ron *
3. III. geuer gebt uor ibm her unb umzingelt feine ©dritte.
4. IV. ©eine©lifceerbeden ben ErbfreiS, bie Erbe fie^t eS unb bebt
5. V. $ie©ergejerfcbmeftenroie2öacbS, t>or bent fterrn ber ganzen Erbe.
6. VI. £)te!pimmelt>erfünben fein [Hecht* ade ©ölfer feb’n feinen SHubm.
tbun,
7. I. ©efcbämt ftnb bie ©ilberanbeter, $)ie ftcb ber ©öfcen rühmen.
II. ©3 ^albigett ihm alle ©ötter, 8. ©ion hört eS unb freut ftcb.
III. Unb ^ubaS Töchter froblocfen ob deiner ©ericbte, 3 ah me.
10. IV. 3öerbaS©öfebafSt,benliebt3abroe, feiner frommen ©eelen beroahrt er.
11. V. ©in Sicht geht auf bem Gerechten, unb fjreube ben ftersgeraben.
12. VI. 3rreut euch, Gerechte, in 3 a bme, unb feiert fein heilig ©eb&btniS!
2. Strupfte. (III.)
98, 1. ©ingt 3ahmen neue Sieber, benn ©hmber bat er getban.
Iftm half nur feine [Hechte, feinen heiligen Arm 2 tbat er funb.
©ejeigt bat 3 a bme fein $eil, feine ©erechtigfeit uor ben ©öltem.
3. ©einer £>ulb für 3 a ^b gebacht’ er, feiner $reue, gen IfraelS £>au3.
©3 fab’n ade Enben ber Erbe baS JQeilSroerf unfereS ©otteS.
2. (Srgrnftropftr. (IV.)
4. Qauchjt 3 a broen a n e & r echt au g j n un fc fielet,
Sanbe,
5. ©pielet 3 a bmen jur Sittyx, &ur 3itber, mit lautem ©efange;
*) 3of) =
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£)ie ^eilige ©oefte ber hebräer.
127
6. ÜJtit trompeten unb hörnerfcbaü jaucht laut oor 3^bme, bem Siönig!
7. 6$ braufeoeSÜfteereSfJülle, ber ErbfreiS unb feine ©eroobner.
8. Älatfcbet ©eifall, ihr Ströme, jubelt, ihr ©erge, jumal:
meJjrtrerJe. (HI. IV.)
9. ©or^a&me, benn er fommt, jaerfommtjuricbtenbieErbe,
3 u richten nach 81 echt ben nacb©illigfeitallebie©öl!er.
Erbfrei4,
2. »echr*lffr0plie. (III.—VI.)
93, 1. III. 3 ab ift ßönigl 3n fcoljeit gef leibet, | gegürtet mit ©lacht ift $ab roe - |
2. ©on Eroigfeit bift 2)u, 3a^roe.
3. IV. ©lögen ©tröme ergeben, ^a&me, | mögen Ström’ ihre Stimme
ergeben, | mögen Ströme ergeben ihr ©raufen:
4. V. hehrer als braufenb ©ero&ffer, | b e b rer al4 ©leereSbranbung, | ja
b e b r e r ift 3 a & in ber §ölje!
5. VI. dtar uerläfSUcb ftnb $)eine 3 eu Ö cn , I ^eiligfeit jiemt deinem feaufe, |
3 ab me, für alle 3 ei tat!
100, 1. III. 3aucbjt 3 a ^roen ju, alle Öanbe, | 2. dienet Sfabmen mit
greuben, | fommt oor fein Antlife mit 3[ubel!
3. IV. Söiffet, baf$ 3> a §roe @ott ift; | $)a er un$ gemacht, fmb mir fein, |
fein ©oll, feiner 3öeibe Scbäflein.
4. V. ©ebt ein burcb fein $b°* mit $anf, | mit fiob in feinen ©orbof, | banfet
ihm, preift feinen tarnen!
5. VI. banfet 3fabr benn er ift gut, | benn feine £mlb roäbret eroig, | für unb
für feine XreuM
3. Sfvüpfiz. (V.)
99, 1. $ab ift ftönig, jittert ihr ©ölfer, oor bem Äerubtbroner, ihr fianbe!
2. 3 a broe ift grofc in Sion, über alle ©ölfer ergaben.
3. ©reis deinem großen tarnen, $)enn b e b r unb ^eiltg ift er!
4. (Sin rechtlicher Äönig bift 2)u, $u baft heil gefebaffen in $afob.
BefjriierÄ. (V. VI.)
5. (Sr bebet $ ab, unfren ©ott, | fallet nieberoorfeinemScbemel, |
benn b ei lifl ift 3 a b* unfer ©o11!
3. (SsgenfltaopljB. (VI.)
6. ©lofe$ unb Aaron, bie ©riefter, unb Samuel riefen ihn an
Sie riefen ju 3fab> unb er b ö *te, 7. au$ ber 2Bolfe, fpradb er au ihnen.
$)a fie Steine Safcungen beiten, 8. $abroe, erbörteft S)u fie.
(Sinüergebenber©ottroarftS>uibnen, ber all ihre Sünben oerjieb-
Harter*. (V. VI.)
9. (Srbebet 3ab, unf’ren ©ott, | fallet nieber oor f einem Schemel,
S)enn heilig ift 3 a b, unfer ©o11!
9lnna8 Sieb (1. Sam. 2, l—10 c)
1. $tt0pll^
1 . ©4 jaulet mein h e *5 in 3» ab me, mein © o 11 bat mein horn*) erhöbt.
3$ trofce nun meinen fjeinben, beiner h^fe mich freuenb;
2 . 3Bo ift ein heü’QW rote 3ab me? roo ein geia, fo roie unfer ©ott?
*) $orn = Änfeben.
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ßltoarb Schlögl.
1 . ®p 0 onflr 0 pl|p.
3. ßtebet nid)t immerfort grofj! (Suer SJtunb fpredje nic^t SBertneff’ne«!
£)enn ein roiffenber ©ott ift $alpue r ein ©ott, ber bte Xh a *en prüft.
4. 3 cclua I^l finb bie ftarfen Scbii&en, mit ftraft gegürtet bie Schmalen.
5. £)ie Satten bienen um 33rot, bie §mngemben finb nun frei.
$ie unfruchtbar mar, h^ geboren, oerroelft ift bte Einberreiche.
6. 3 a fMoe macht tobt* unb lebenbig, ben Scheol öffnet unb fchliefet er.
7. 3 a h n? e macht amt unb macht reich, Sturj unb Erhöhung mir!t er.
2 . Straps*
8. 9Iu« bem Staube erhebt er ben au« bem Äothe jieht er ben Armen,
iürffgen,
Sie ben dürften gleichjufteßen, auf Ehrenftühle fte fefeenb.
$ e r E r b e Angeln ftnb 3 a h m e «, $enn er hat ben Erbfreia gefertigt.
2. ©egeitptüpfie.
9. (Sr behütet ber Rommen güfee, in #infterni« faßen bie krepier
9ticht au« eigener färaftfiegetjemanb, 10. nur 3 ah me bedinget ben geinb.
S)er Jpöchfte im Fimmel $er* 3 ah me richtet bie Erbe,
malmt ihn,
#abafuf 8, 2-19.
2. 3 a h, ich oernahm beine $unbe, mit (Sntfefcen fah ich bein 2Berf.
33or Ablauf ber 3 a bre ooflführ’ e«, | o.or Ablauf ber 3 a f)re jeig’
e«, | im 3°rne geben!’ ber (Srbarmuitg!
3. ©ott mirb fommen oon $h e ntan, ber §eü’ge oont 33erge 'Jaran.
$)en Fimmel bebeeft feine Roheit, feiner iperrlichfeit ooß ift bie Erbe.
4. Unb fein ©lanj erfcheint tote ba« Sicht | Strahlen gehn oon ihm au«, | barunter
birgt feine ßRacht ftd).
5. 93or ihm geht h e r bk $eft, unb bie Seuche folgt feinen Schritten.
6. (Sr fteht auf unb macht beben er fdjaut unb macht jittern bie 33öl!er.
bie Erbe,
(S« jerftieben bie eroigen 33erge, | e« oerfin!en bie &ügel ber Urjeit, | nur
feine 2öege finb eroig.
7. 3 a 9!°th finb bie Jütten oon ftofehan, e« gittern bie 3 e lte oon üJtibjan.
8. ©ilt roohl ben 33 er gen, 3 a ^e, | ober ben Strömen bein 3°rn | ober ben
ßtteeren bein ©rimm,
2)af§ bu herjagft auf beinen hoffen, auf beinen 3Bagen be« eileS?
9. ©eroaltig fchmingft bu ben 33ogen, | mit Pfeilen gefüflt ift bein Köcher; |
bu fpalteft bie Ströme ju Xrocfnetn.
10. (S« feh’n bich mit3ittern bie 33erge, e« roeichet be« $öaffer« Strom.
$)er Abgrunb fchreit laut auf, bie Jpöhe ringet bie §änbe.
11. £)ie Sonne tritt in ihr 3 e lt, I Sicht geh’n bab er beine Pfeile, | al«©lan$
bein bli&enber Speer.
12. 3m 3orne burchjiehft bu bie Erbe, im ©rimme jertrittft bu bie 93 öl! er:
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$)ie ^eilige ©oefte ber Hebräer.
13. 3)u jiehft aus jurn e i I beineS $u retten beinen ©efalbten.
53o(!eS,
beS QfreolerS £>aupt jerfchellft bu, fein §auS oom ©runb auS entrourjelnb
14. ©eine Sfürften ftrafft bu geroaltig, | bie tobenb ben ÜRunb auffperren, | ju per*
fdringen ben Armen im ©chlupflod).
15. J)u lenfft burch baS OReer beine bafS fchäumen bie SSaffermaffen.
»offe,
16. 3$ oernahm’S — hoch nur ich hört’ eS — mit beben ben Sippen.
podjenben $er$enS,
gfäutniS burchbrang mein ©ebein, unb bie ftraft oerliejä meine güfee.
3)ocb am Jage ber SRoth roerb' ich roenn er anbricht bem ©olf, baS un$ brängt.
ftill fein,
17. J)amt roirb bie 3feige nicht blüh’n, unb ber 2Beinftod bringt feine Früchte.
J)eS ÖlbaumS 3rrud^t bleibet au$, auch bie gelber bieten nicht Nahrung.
5luS ben Körben ftnb fort bie ©chafe, ber fRinber ©tfiUe finb leer.
18. J)och ich merbe jubeln in 3 a hn>e, frohlocfeit im ©ott meines §eile$.
19. 3ft boch 3 a &n)e, ber §err, meine ftraft; | er machet mich flinfer benn §inben, |
läfSt feine §öb'n mich erfteigen.
$aoU>3 «läge um Saul unb Sonattjan (2. Sam. l, 18—27).
1. Strapfje*
18. Vernimm, 3«ba, graufame tfunbe, 19. Ifrael, h^rm’ bich f ja hÄrm* bich!
3)etne Jpöhen fahen (5rfchlag'ne, ach, n)ie finb bie gelben ge*
fallen!
1. ®*0*tt£rapfi*.
20. Nichts fagt in ben ©trafjen non ©ath, nichtS melbet in ASfalon!
© o n ft freu’n fich bie ©biüftobirnen, f o n ft jubelt ber Unreinen ©rut.
WzxtiUlftvapfit.
21. Verhörte, ©ilboa, | nicht falle Jhau II noch Stegen auf Euch, I ihr Jrug*
gefilbe! || J)enn bort marb betrogen | ber ©djilb ber gelben.
2Bar ber©chilb beS ©aul| nicht gefalbt, roie mit Öle, || 22 oom ©lute
©rfchlagner, | oom ORarfe ber gelben?!
23. Jonathan, ©aul — | bie ©eliebten unb Kolben, , im Sehen unb Job
nicht getrennt, || roaren fchneHer als Abler, | ftärfer benn Söroen.
22b. Jonathans ©ogen | mich niemals ^urüdt, || unb baS ©dauert beS ©aul |
fehrte leer niemals heim.
2. Stv tfplje.
24. IfraelS Jöchter, | meinet um ©aul, || ber gefleibet ©uch hat I in ©charkuh
unb ©inbon, || ber ©olbfchmud geheftet | auf Eure ©eroftnber.
25. 2Bie fielen bie Selben! | J)ahin i ft ber ©u&! ||3<>natbanS Job | hat
mein &erj auch getroffen!
2» (©egsnpraptj*.
26. ORein Serj h^ng an J)ir, | ©vuber 3°nathan! II 2Bie roarft J)u mir
lieb, ©efaüener, J)u! || J)eine Siebe mar füfcer | benn grauen liebe!
27. 3Bie bie SWutter ben ©ohn, | liebt' ich ^ich, 3°nathan! 3Bie fielen bie
gelben! | J)ahin ift bie fRüftung!
Sie Äuttut. m. 3a^rg. 2. ^ft (1901.) 9
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130 SRioarb ©chlögl.
Det 87. (86.) $falm: $er Ötottlofen fdjeinbareö @lütf.*)
1. Sfr vpfi*.
1. ©ifre nicht mit ben 93öferoichten, fteh nicht fdjeel auf Übeltäter!
2. Denn ftc oerroelfen roie ©rag, unb tute Äraut oertrodnen fie.
3. Vertrau’ auf 3 a () unb thu’ ©uteg, beroohne bag Sanb unb üb 7 Xreue
4. Unb ergöfce an 3 a hme Dich, fo roirb er Deine Söünfche erfüllen
5. Überlafg nur ^afjroe Dein © ch i d f a l, oertraue auf ihn, er roirb’g machen,
6. Dem £>eil roirb erftrahlen roie Sicht, unb Dein 9te<ht roie ber belle ÜXlittag.
7. Xrau nur ruhig bem §erm, er ift gut, unb h a n:e auf ihn, benn er ^ilft Dir.
©ifre nicht mit bem OJtanne beg mit bem ÜRanne, ber IRänfe fchmiebet.
©lüdeg,
l. törgrnjfrflpfir.
8. Safg ab uom grimmigen 3°nt, eifre nicht, benn eg ift nur jum
93öfen;
9. Denn bic 93öferoi<hter oergeh’n, roer auf 3 a hme hofft, ber erbt bag
Sanb.
10. 9h 1 ift ber ©ottlofe nicht mehr; fuchft Du, nicht finbeft Du ihn.
11. Die Dulbfamen erben bag Sanb unb ergöfcen atn ^rieben fich-
12. Der ©ottlofe ^afet ben ©erechten, unb fnirf cht roiber ihn mit ben 3üh n en:—
13. Doch ber Jperr, er fpottet fein benn er fieht, bafg fein $ag roirb tommen
14. Die © o 111 o f e n jücfen bag © ch ro e r t Unb fpannen bereite ihren 93 o g e n: —
16. Doch 6 ch ro e r t bringt ing eigene unb ihr 93 o g e n — zertrümmert ift er.
§er$,
Älrrfjfeljfrtfplir.
16. Deg ©erechten Armut ift mehr roert alg ber©ottlofengroßer9teichth«m;
17. Denn ber ©ottlofen SRacht roirb bie ©erechten jebodh ftü&et 3 a hme.
gebrochen,
18. (Sr fennet ber geblichen Dage, ihr Erbe befielet für immer.
19. 3 n ber 97oth roerben nicht fie zur Ipungergjeitroerben fie fatt.
jufchanben,
20 a. Doch bie © o 111 o f e n gehen jugrunbe, 25 c. ihr ©ante mufg betteln um 93rot.
20 b. 3ahroeg fteinbe ftnb 93ränbe, bie allzumal aufgehn in fRauch-
21. Der ©ottlofe borgt unb bezahlt nicht, ber ©eiechte übt SJtilbe unb fchenft.
22. 2Ser gefegnet oon 3ah, erbt bag roem er flucht, ber roirb auggerottet.
San b,
23. 3 a hme geleitet ben 9Rann, beffen SBanbel ihm roohlgefftflt.
24. 2öenn er fällt, roirb er nicht zerfcheHt, benn 3 a hme ftü&t feine Jpanb.
* 25 3d) roar jung unb bin alt geroorben: ben ©erechten fah nie id) uerlaffen.
26. Allzeit leiht er mit ÜJtilbe, unb fein ©ante gereichet zum
©egen
27. 9Reibe bag 93öfe, thu' ©uteg, fo roirft ruhig Du roohnenauf
ero ig.
*) ®on $5at>ib.
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Xie ^eilige $oefie ber £)ebräer.
131
28. Xenn J3abioe liebet baS SRecht unb oerläfSt feine Stammen nicht.
Xie 3$erfehrten roerben oertilgt unb ber ©ottlofen ©ame oernichtet;
29. Xie ©erechten erben ba$ Sanb unb beroohnen eS ruhig für
imm er.
2 . Sttvpfi*.
30. XeS © e r e ch t e n 9Runb rebet 2BeiSheit, unb feine 3 un ö e fpndjt SRecht.
31. ©eines ©otteS ©efefc roohnt ihm inne, nicht roanfet jemals fein ©chritt.
32. Xer ©ottlofe h a f3t ben ©ererbten unb lauert, um ihn ju tobten: —
33. Xoch Qahroe oerläfSt ihn nicht, nicht läfSt er oerurtheilen ihn.
34. 9Rtt 93ertrau 7 n roanble 3ah meS 5öege, fo IäfSt er baS öanb Xi<h erben.
SBahrlich, Xu felbft roirft eS feh’n, an ber © o 111 o f e n Enbe Xich ioeibenb!
2« (Segonpropfjo.
35. Xen ©ottlofen fah ich erhöht, hoch ragen roie SibanonS ©ebern: —
36. Xa fam ich, unb fieb 7 , er mar nicht mehr, ich fachte unb fanb ihn nicht.
37. 2Bahre SReblichfeit, übe ©erabheit, ben grieblichen roinfet bie 3 u ^unft;
38. Xod> bie ©ünber merben oertilgt, ber ©ottlofen 3 u fanfl ift troftloS.
39. Xen ©erechten fommt$>ilfeoon 3 ah me, ber ihr ©d)ufe ift jur 3eit ber 97oth.
40. 5fa, 3 a ^me hilft ihnen unb fchüfct fte, er rettet fie, meil fte oertraut.
®er 40. (39 ) $falm: Hu? @o tt oertrau’ !♦)
1 . &tvopfis.
2. Sfeft oertraut 7 ich auf 3 a hme, unb er langte nach mir
3. Unb jog mich empor auS bem Abgrunb, auS fchlammigem ©umpfe,
Unb fteUte auf Reifen mich, bafS ich ficher nun f(hritt,
4. Unb lehrt 7 mich ein neues Sieb, ein Soblieb auf ihn.
SSiele fahn 7 S unb fürchteten ©ott uitö oertrauten auf ^ahroe.
1. ©opottprflplje.
5. ©lüdlid) ber ÜRann, ber Vertrauen auf 3 a h m e gefegt hat,
Xer nicht ben Särmenben folgt, noch ben Sügenbienern.
6. 3 ft hlreich, 3>ah, unfer ©ott, fmb Xeine s ÜBunber
Unb Xeine fßläne für unS: — nichts ift Xir gleich.
Söertünben möcht’ ich f ie laut, hoch unzählbar finb fie.
!®>orflJ*Ipr0plio.
7. Glicht oerlangft Xu Opfer unb Xu grubeft mir Ohren.
©aben,
sticht begehrft Xu fühnenbe Opfer, 8. ba fprach ich: ffa* bin ich!
3* h a &e im 5)uche gelefen, rcaS mir barin gilt.
9. Xeinen SBillen $u thun oerlang 7 ich. $ein ©efefc mohnt mir inne.
2 . £fr 0 pfi*.
10. 3ah, oerfünbet h a &' ich Xein $eil in grofeer 93erf ammlung.
©iehe, nicht oerfchliefe 7 ich ben 9Jfanb, Xu roei&t eS roohl.
*) (£in Sieb bon 35auib.
rj*
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132
fRioarb ©chlögl.
11. 2)cin SRecht oerbarg id) nicht in meinem §ergen.
S)eine Xreue unb bein $>eil oerlün bete ich-
Glicht fchroieg ich oon ©nabe unb oor grofjer ^erfammlung.
SBahrheit
2. ®*0onjfr0pfio.
12. ©o oerfchliefce auch 2)u nicht, 3 a h ro e, X>eiit ©rbarmen oor mir;
2)eine ©nabe unb Söabrbeit mögen mich ftetS behüten!
13. 2>enn eS umringen mich ßeiben fonber 3 a hf;
9Reine ©chulben trafen mich b art » baf$ nicht mehr ertrage,
Übertreffen an 3 a hf meine £>aare; muthloS bin ich.
»er 49. (48.) $falm: »as r&t^fel^afte ©lüd ber ©ottlofeit.
1. 9fropfjo.
2. §ört e$, ihr Hölter alle, oemehmt es ihr Erbenberoohner,
3. 2Rögt hoch ober niebrig ihr fein, Reiche unb Arme gumal.
4. ÜRein ÜRunb roill 2öei§^cit lehren, Einficbt mein finnenbeS §erg,
5. ©inern ©prudje roill leihn ich mein Ohr, auf ber 3itb** löfen mein fHftthfel.
1. ®o0ottjfrnpfjo.
6. 3öarum mufS ich Ungliid erleben, roäbrenb ©lücf ben SBertehrten gutheil
roirb,
7. X)ie auf eigene SRacht nur oertraun unb auf ihre fReichthümer pochen?
8. Unb hoch lauft (einer fuh loS, noch roirb ©ott fein ßöfegelb gahlen.
9. 3<*» 5 U ift be* $rei$ feiner ©eele, oergichten mufS er 10. aufs Seben.
Hterfiroljfroplir.
11. ©ieht er hoch SBeife fterben unb Xhoren unb Darren oergehn.
3b* Vermögen laffen fie anbern, 12. ba$ ©rab ift ihr §au$ auf eroig,
3h** SBohnung burch alle ©efchlechter, fie, bie 8änb ? reien benannten:
13. £)ocb ber ÜRenfch in Ehren oerfteht’S bem bummen S3ieh roirb er gleich.
nicht,
2 . Sfrapljr.
14. ©o geht’3 ben 3 u * )e *f i cht , gen, fo enben, bie ihnen folgen:
15. ©chafen gleich 9 e h n fl* jum ©cheol, auf bafS ber Xob fie bort roeibe;
©eraberoegS gehn fie in$ ©rab, baS fie einfchüef&t, ben ©cheol gu
füllen.
16. 3>ocb mich roirb 3 a §me erlöfen, roenn ber ©cheol mich roiH erfaffen.
2 . ®o0ottürapfto.
17. fürchte nichts, roenn einer reich ift, roenn grob feines ftaufeS IRubin;
18. £)enn ftirbt er, fo nimmt er nichts mit, noch folgt ihm fein IRuhm inS ©rab.
19. ÜRag er im fieben fich fegnen, fuh preifen, roeil eS ihm gutgeht; —
20. ©r (ommt boch gu feiner ©ippe, 3)ie eroig baS 2icht nicht fchauet.
»et 51. (50.) $falm.
1 . Stvapfi*.
3. ©ei gnäbig mir, 3 a hme, in £>ulb, hüb’ ©rbarmen, tilg’ meine ©chulb.
4. ©afdje mein Jperg oom ©chmufce, reinige mich oon ber ©ünbe.
5. 2)ennichgefteh’meine©chulb, meine©ünbe hüb’ ft etS ich oor
Augen.
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$ie heilige ^oefie ber Hebräer.
133
1 . ® 0 g*npr 0 pfi 0 .
6. 2ln$)irniir,3afy,l)&b’i$gefünbigt unb gethan, nmS böfe uor 5)ir,
3)afS geregt ftch erroeife $>ein 2Bort unb fiegreich erfcheine 5)ein [Recht.
7. ©ich, in ©chulben bin ich in Siinbe empfiengmich bie
geboren,' 5Rutter.
^rflJelptarpfj*.
8. Siehe,§ulbunb£reueliebft$>u, 5)’rum thufi 3)u mir funb 2)eine
Söeisheit.
9. ©ntfünbigft $)u mich, roerb’ ich rein, unb roeifjer benn Schnee, läuterft2)u mich.
10 . Sättige mich mit SBonne, lafS freuen mich nach meinem ßeiben.
11 . Siehe nicht an meine Stinbe, ja, all 7 meine SchuIben tilge.
12. (Sin reine§ $erj fchaffe mir, $ah, unb ben Starfmuth erneu’re in mir.
13. Stojje mich wicht oon 5>ir, unb ben heißen ©eift nimm mir nicht.
14. ©ib mir roieber bie 2Ö o n n e beS §eilS, unb mit ©rofemuth rüfie mich auS.
15. $ann lehr’ ich bie ^reuler unb führe bie Sunber $ir ju.
5De in [Rech l
2 . $lr0pfj£.
16. 3»ah, mehre bem ^ölutuergiefjen, bann preif’ ich $)ich als gerecht.
17. $)u öffneft, o §err, meine Sippen, mein ORunb uerfünbet $ein 8ob.
18. SBenn $)u roollteft, brächt’ ich bo©ranbopfer roönfcheft $)u
^ir Opfer, nicht.
2. ®0grnpr0pl|r.
19. 3erfnirfchung ift $ah meS Op f er, ein bemüthig §er$ achteft 2)u.
20 . Schmudte hoch Sion gnäbig unb baue ^erufalemS SJtauern:
21 . a n n empf än g ft 2) u gerechte, bann mir ft 2)u SBranb opfer
Opfer roünfchen.
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Wiener Kunstleben Qänner bis 3uli 1901).
fcmt Beutoirlfi*
a8 öfterr eichifche Mufeum für &unft unb Qnbuftrie trat in ba*
neue Qahrhunbert mit einer Aufteilung ber $Berte 9Balth«t ©rane'S, beS
in manchen $unftfragen rafch a« einer geroiffen Führung entporgeftiegenen ©nglänberS,
beffen Bebeutung unftreitig einige 3eit hinburch überfchäßt würbe. $>ieS würbe
einem fo recht an bem Oteichthume beS AuSfteUungSmaterialeS Har, ba3 eine fehr
ftarfe fRebuction ©ertragen hätte. ©ine fachgemäße Auswahl unb eine ben ©enufS
weniger beeinträchtigenbe Aufteilung hätte baS ©tnbringen in baS Böefen beS-
Zünftlers beträchtlich erleidhtert, ohne jebem baS Mitnehmen umfangreichen BallafteS
beS Mittelmäßigen jujuntuthen. AllerbingS lernte man babei auch bie Schwäche ,
©rane'S ©erftehen, ber als Maler — man mag bie phrafenootle „Bifion BritanniaS",
bie um Botticelli herumtänaelnbe „©eburt ber BenuS", ben in SRoffen wie Menfchejt
gleich mifSglüdten „SRaub ber 'Jkoferpina“ ober bie „BSelteroberer“ betrachten —
burchauS nicht bebeutenb ift; 3^d)uung unb fjarbe ber größeren Bilber zeigen
burchwegS beträchtliche Schwächen. Bon biefen SJBerfen fann man uoüftänbig abfehen r
wenn man in’S Auge fafSt, woran ber gute Solang beS Samens SBalther ©rane’£
anfnüpft. ©r hut gana ©oraüglicbe Bucharbeiten geichaffen, Märchen* unb ftinber*
bücher ebenfo reiaenb, wie brollig iduftriert; fein „Afdjenbröbel", „©eftiefelter
Äater", „IRothfäppchen", „A Floral Fantasy“ ober „The absurd ABC“ fchwelgen
in grajiöfen, prächtigen ©infällen, bie für beutfcheS ©tjtpfinben manchmal juoiel
©infchlag ber Umgangsformen ber engltfchen ©efellfchaft geigen, inbeS unfere Märchen*
oorftellungen mit ihrem ©olfSmäßigcn ©runbtone berber unb einfacher ftnb. ©benfo-
©iel AnregeitbeS ftedt in ©rane’S ©ntwürfen für Mofait, ©laSfenfter, Stoffe, objrnar
hier fchon wieberholt bie Schwädje ber garbengebung unleugbar ift. Mancher BBinf
beS MeifterS ift feit fahren auch Anbern augute gefontmen, in Söien felbft ©iefleicht
theilweife weniger als anberSwo, weil bi^ bie Selbftänbigfeit ber tnobernen
©efchmadSricßtung fich ©oit allem Anfänge an mit mehr ©lüd a« behaupten wufSte.
3ur richtigen Abfchäßung biefeS Berhältniffeö hat auch bie äBalther ©rane^AuS*
ftellung baS Qh** beigetragen. Sie war au biefer 3?it unb an biefem Orte gana an
ihrem Blaße, wag Mutber, ber in feiner ©efcbichte ber Malerei beS 19. Qahrhunbertfc
noch ©or wenigen fahren äBalther ©rane mit ©olltönenben SobeSerhebungen als
„munberbaren Qüuftrator", als Meifter ©on ber ©raaie unb bem ©harafter ber
primitioen Florentiner feierte, in feinen ben gleichen Zünftler auf« fchärffte h^ab-
feßenben Ausführungen in ber „Seit“ ©om 19. Qänner 1901 entfchieben beftreiten
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SBiener ßunftleben (Jänner bis 3uli 1901).
135
wollte. 2Jton lernte ©rane’S Stellung in ber Bewegung bet ÜDioberne oerftehen unb
an ebenfo oerläfSlichem als umfaffenbem Materiale fixieren.
3mei anbere umfangreiche 5luSfteüungen, welche im öfterreid/ifchen ÜJtufeum
für ftunft unb 3ftbuftrie ber SBalther ©rane-5luSfteHung folgten, führten in fehr
banfenSroerter SBeife auf ein weit oeraweigteS ©ebiet unferer einheimifchen föunft»
thätigfeit hinüber, nämlich bie 51 uSftellungen ber fun ftgew er blichen
3?achfchulen foroie ber $unftgewerbefchulen in 2öieit unb $rag.
'^etanntlich beftfet Öfterreich eine ganj hctn°^9 e nöe Organifation zahlreicher, über
alle ftronlänber oerbreiteter 53ilbungSanftalten, welche ftch jum 3töe fefcen, ju oer*
hüten, bafS etwas oon ber tiinftlerifchen $robuction$fähigfeit ber 53eoölferung
oerloren gehe, unb welche aud) ben minber heroorragenben Kräften eine jur 53ereblung
beS SBoltSgefchmadeS führenbe Dichtung geben. üJiit biefer äielbewufsten Sammlung unb
5luSnüfcung beS SSorhanbenen für bie Hebung ber tünftlerifchen Kultur beS ganjen
StaatSwefenS erfüllt bie UnterrichtSoerwaltung eine ihrer ebelften unb oornehmften
Pflichten. Die 5luSftellung ber Seiftungen biefer gachfchulen ergänjte tu ungemein
erroünfehter 3Beife baS in ben 5luSftelIiingen ber Seceffion unb beS fti'mftlerhaufeS
©ebotene; an biefen beiben Orten bie Schöpfungen unferer hohen tfunft nnb eine
Jpeerfdjau über bie 5ln$abl unferer einheimifchen, fiinftlerifch h e roorragenben Talente,
im öfterreichifchen üftufeum ein Überblicf über bie DurchfchnittSbegabung beftimmter
©egenben unb bie an fte tnüpfenbe funftgewerbliche ^kobuction.
3n ber 5luSftellung ber funftgewerblichen Jachfchulen waren bie Sänber ber
bieöfeitigen ftteichShälfte auf eine fehr oerfchiebenartige 5Seife oertreten, was fich auS
ben 3ielen ber an ber 5lu$ftellung betheiligten 86 5lnftalten non felbft ergeben
mufSte. 9fn nielen berfelben roirb im 3eichnen, ÜRalen unb 9Robeüieren unmittelbar
nach ber 9totur, im Stilifteren ber 3formen unb in ihrer SBerwenbung für bie 3 ro ede
ber Decoratioit recht 5lchtenSwerteS geleiftet unb bie fo wichtige Selbftänbigfeit be$
SehenS unb 9to<hbenfenS über bie fünftlerifche 5luSnüfcung beS ©efehenen angeregt.
5lnberwärtS gewinnt man burch bie ©ntwürfe unb 9Jtufter$eichnungen, bie au$ bent
53ureau beS öfterreichifchen ÜJtufeumS ben fjachfchulen jugehen, lebenbige Fühlung
mit ber ÜRoberne, ohne babei bie örtliche Färbung unb ©igenart preiSjugeben.
ÜRit Vergnügen bemerft man, wie höher begabte Sehkräfte einzelne Schüler auch
über baS DurchfchnittSmafc ber Semanforberungen hinauSjufühten wiffen, währenb
manche bie 5lufgabe noch etwas leicht nehmen. So bieten bie 3*ichnungen ber
Xriefter StaatSgemerbefchule ganj 33orjüglicheS. 3h ne « ftehen bie formeitfchönen unb
technifch nortrefflichen Äunftfchlofferarbeiten non ftöniggräfc, bie Xhonwaren non
XepUfc, theilweife auch jene non 53echpn unb 3naim, bie SBirfereien unb SÖebereien
non 9teichenberg, Reichenau, Schludenau, ÜJtähr. Schönberg, Qägernborf, bie
Schmucfgegenftänbe ber ©ablonjer unb Xurnauet 3>iibuftrie nielfach gleichwertig jur
Seite, ©in gefunber 3ug einfacher SBiebergabe non 33olfStppen regt ftch in ^ cr
Steinmefcenfchule in £>orife, inbeS bie fteiligenfchnifcereien auS 53ojen, §allftabt ober
5Balachifch* s -U^eferitfch ju fehr im 53anne beS ©onoentionetlen bleiben unb nur auS*
nahmSweife baS ©efühl ber 5litbacht beleben werben. Durch Reinheit ber 3oid)nung
unb 5luSfühtung überragen bie Arbeiten oon ©ortina b'5lmpe^o unb 5lrco; beibe
Öorjüge jeichnen auch niele Darbietungen öfterreichifcher Spieen* unb Stidereifunft
auS. Die fRachbilbung non oier hiftorifchen 3i^^fru (auS ben Schlöffern fReiffenftein
unb 93elthurnS, baS ÜJtaria Dhere|la=3intmer au3 Schönbrunn unb baS ©rnpire*
3tmmer im UnterrichtSminifterium), welche auch in $ariS 5luffehen erregte, fteflt ber
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136
gofeph Sfleumirth.
fjä^igfcit öfterreidjifcher gachfchulen, gefchichtlich ^eroorragenbc Objecte ebenfo ftiltreu
mie gebiegen nachjufchaften, eilt glänjenbeS 3eugniS aus. T)aS Aioeau beS Erreichten
ift in oielett Anftalten befriebigenb unb berechtigt jur Hoffnung auf einiDanbfreie
Seiftungen felbft bort f mo h^te noch SJtittelmäßigfeit unb eine mehr hanbroerflicbe
Auffaffung übem)iegen f bie ein fünftlerifcher £>auch ber 3eit SU Roherem tragen
mufS. T)er bisher eingefchlagene 2Beg Derfpricht ooQen Erfolg.
ES roar nur ein feiner 3«9 planmäßiger Vorführung einheimifchen AuS*
ftellungSmaterialeS, ber AuSftellung ber gachfchulen eine folche ber beiben ftunft-
gemerbefchulen in SSien unb in V*ag folgen ju laffen. Tüe erftere mar betreffs ber
Unterbringung ihrer AuSftellungSobjecte augenfcbeinlicb in einigem Aachtheile, ba
bie Entfaltung berfelben burch räumliche Veengung mehr behinbert mar als bie
Vtager Schule. Vielleicht hätte ftch btefem Übelftanbe abhelfen laffen, menn man
ben Sichthof, ben gleichseitig ber franjöftfche Keramiker Ebmonb Sachenal aus
EhatiUon mit einer reichhaltigen EoUection feiner burch Öorm unb garbe bö$fi
anjiehenben Arbeiten befefct h“^» ben AuSfteüungSjmeden ber eigenen Schule
geroibmet hätte. Vei aller 3aoortommenheit gegen baS AuSroärtige füllte man bodj
gegen ein fo eng mit bem OJtufeum oerbunbeneS gnftitut etmaS mehr billige SRüdfuht
malten laffen. 5)aS mirtlich ©ute nerfchafft ftch felbft über räumliche Veenguttg
hinaus ©eltung; fo au<h bie unter ÜJtgrbach’S umfichtiger Leitung erfolgreich empor*
ftrebenbe SSiencr ßunftgeroerbefchule, melche bie Vrager Schmefteranftalt bereits
erheblich überholt hat unb in ben Schulen fMIer'S, öoffmann’S, ÜJJofet'S, SJtgrbach’S,
Straßer'S fehr VeachtenSmerteS erreicht. Glicht minber laffen alle übrigen Abteilungen
ber Anftalt gut geroäblten Sehrgang uitb zugleich eine möglichft unbehinberte Ent*
faltung ber Schülerinbinibualitäten mit ©enugthuung erfennen. T)aS ift in ben oor*
liegenben Seiftungen ber Vrager Schule, unter benen ftch ia manches Süchtige, aber
nichts roirtlich fceroorragenbeS finbet, feineSmegS ber gall, ba ftch bie Schüler mehr
als einmal ben Aatuiformen gegenüber in peinlicher Verlegenheit befinben, mitunter
ein merfroürbigeS gormen- unb garbengefühl befunben unb faft nur auSnahmSmeife
bie Vetonung ihrer Eigenart uerfuchen, bie ja in ftunftgemerbefchulen nicht fofort
etmaS Epochales fein foll, aber einen frifchen VBellenfchlag in ben ganzen Unterrichts*
betrieb bringt. SUtan beobachtet ihn mit Vergnügen an ben geroifS burchauS nicht
ausnahmslos einmanbfreien Arbeiten ber Wiener; fte bezeugen nicht nur baS Vor*
banbenfein einer erfreulichen Talentejahl, fonbern auch bie trofc mancher Ungeberbig*
feit unb einzelner gehlgriffe roader emporringenbe Selbftänbigfeit ber Auffaffung
unb Ausführung. Sie finbet eine gan$ roefentliche görberung burch bie in Söien
gebotene 9Jtöglichfeit, bafS b*n>orragenbe ^nbuftrieüe bie befferen Entmürfe gern
jur Ausführung übernehmen, in melcher für bie Schüler roegen ber Velebung beS
3medgefiihleS ihrer Arbeiten ein nicht ju unterfchäfeenber Anfporn liegt. T)aburch
mirb jroifchen Schule unb Seben eine Vriide gefchlagen, beren Vefchreiten manchem
Anfänger Don großem Vortheile merben kann. Ein gleiches Verhältnis fcheint in
Vrag überhaupt nicht ju epiftieren, moourch ber bortigen Schule bei aller Tüchtigkeit
mancher Seiftungen bie gerabe für eine funftgeroerbliche Anftalt als SebenSbebingung
unerläfSliche innige gühlungnahme mit prattifcher gnbuftriethätigkeit fehlt. T)afS
manche ihrer Sehrer nortreffliche Vorlagen in ähnlichen gälten bestellen, thut eS
allein nicht; auch ber funftübenbe AachmuchS mufS non ihnen nicht nur fpftematifdhe
Unterroeifung erhalten, fonbern auch burch fte früh unmittelbaren AnfchlufS an jene
Greife geroinnen, auf melche er in feiner fpäteren VerufSthätigfeit oorroiegenb an-
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SBiener Kunftleben (Jänner big Quli 1901).
137
geraiefen fein wirb. ©ei ber hohen ©umme fünftlerifcher '-Begabung, bie bet ©e*
oöüerung ©öhmeng eigen ift, unb bei ber ganj aufjerorbentlichen ©ntwktlung ber
oerfchiebenartigften, theilroeife $u ©fcltruf gelangten ^nbuftriejmeige biefeg Sanbeg
füllte grrabe bie Frager Kunftgemerbefchule ihren ©tolj barein fe&en, ben fünftlerifchen
3 [beenbebarf berfelben in richtiger Slugnüfcung aller ihrer Kräfte möglichft aug
Eigenem $u beftreiten. Dag mufg beffer werben, alg eg berjeit ift, wenn bie Frager
Schule ganj auf ber §öhe ihrer Aufgabe fielen will.
2Bag bie ©ugftellungen ber ©eceffton, im Künftlerhaufe unb im öfterreic^ifc^en
ÜRufeum an Arbeiten öfterretchifcher Zünftler unb Kunftjünger boten, barf alg ein
nerheifeunggooller ©rufe an bag neue ^ahrhunbert betrachtet roerben. Überall ernfteg
unb regeg ©treben, nielfach ho^hfte&cnbcö, anerfennunggmürbigeg können, jielbemufgteg
3 refthalten an bem ©ernährten unb offener ©lief für bie ©erechtigung beg bleuen,
unerfchrocfeneg Gingen nach neuen 9lugbruc!gformen unb 5Iugbrucfgmitteln, fünft*
begabter 9tocbmuchg unb erfreulicheg 3ufammenarbeiten oerfchiebener funftförbernber
Sfactoren: fdhroeUenbe Keime einer reichen ©aat, beren ftolje fruchte eine fchöne
3ufunft ju jeitigen oerfpricht Die gan^e ©ewegung ftnbet bie ooüe ©eaebtung beg
funftoerftänbigen ©uglanbeg. Dieg beftätigt am augenfälligften bie X^atfac^e, bafg
bie fran$öfifche ^Regierung ben ©taatgrath ßouig ©ouquet, ben Director beg Depar*
tementg für technifchen Unterricht, unb 2 Duoignan, Director ber ©orbereitungg-
fchule an ber technifchen ftocbfcbule, junt ©tubium ber $achfcbuleu*©ugfteüung nach
2 Bien belegierte unb ber eben an bie (Errichtung einer funftgewerblichen Sachfchule
fchreitenbe ©tabtrath oon 9tancp jroei Fachleute ju gleichem 3roede nach Söien
entfanbte. Slucb bie ©erliner unb Dresbener Greife febenften gerabe biefer ©ugfteöung
oiel Slufmerffamfeit. 3n ©Men mürben bie ©orbereitungen für jroei öfterreichifche
Slugftellungen im Sluglanbe eingeleitet, in melier auch 3n>eige ber funftgewerblichen
©robuerton oertreten fein foüten, nämlich für bie ©ugftellungen in Kopenhagen unb
©toctholm. ©eibe Unternehmungen h a ben oiel ©eifaH in ben genannten ©täbten
gefunbenunb merben geroifg manchegjur Hebung beg öfterreichifchen ©yporteg beitragen.
©on ben im öfterreichifchen SRufeum befonberg auggeftellten Arbeiten fei
augbrücflich gebucht beg Kelcheg, melden ©aronin ©ogelfang * ©ruben im ©uftrage
beg Oberfltämmereramteg nach (Entwürfen aug ben Abteilungen ber ©rofefforen
Karger unb £>erbtle an ber Kunftgemerbefchule beg öfterreichifchen ©tufeumg aug-
führte, ©e. ©iajeftät ber Kaifer hnt bieg 2öerf, beffen gufe oier 9tieHomebaiüong mit
©eenen ber ©lifabethlegenbe fchmürfen, mährenb Diofen unb Bornen mit fpmbolifcher
©ejiefjung auf bag SRofenmunber ber ^eiligen für bie weitere Decoration oerwenbet
würben, für bie ©lifabeth 5 ©ebächtnigfapeüe ber JJubiläumgfirche in ber Seopolb*
ftabt gewibmet.
Dag öfterreichifche ORufeum oerfammelte bag tunftfmnige ©ublicum
ber SRefibenj in feinen SRäumen auch $u anregenben ©orträgen, beren SReihe
Dr. SBolfgang ÜR. ©chmib, ©ibliothefar am baprifchen fRational*9Rufeum in ÜRünchen,
mit Darlegungen über „bie ©räber beutfeher Kaifer im Dom ju ©peper unb ihre
(Eröffnung 1900" einleitete. folgten Architeft ©rof. 9Raj: f^reih- non 3rerftel mit
Abführungen über „moberne Söohnhäufer" unb ^ofrath Dr. Sofeph ÜRaria ©ber
mit „auggewählten ©apiteln über bag moberne photographifche 9teprobuctiong»©er«
fahren". 9fegierungg*SRath Dr. ©buarb Seifching, ©ice«Director beg öfterreichifchen
ÜRufeumg, fprach in febr geiftreicher unb anfchaulicher ©öeife über „moberne Kunft
oor 100 fahren".
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Qofeph Steuroirth.
Qn ben erften SJtonaten be$ QahreS 1901 oollenbete ©rof. 3rranz ÜJtatfcb
fein für bie Söiener Unioerfität8'3Iula beftimmteS TJedengemälbe „T)er Sieg
be$ ßtdjteS 1 ', ba£ einft nebenfllimt’S oielumftrittener „©hilofopbie" unb ber noch
heftiger betämpften „SRebicin" als ÜJtittelbilb zu einer geroiffen bominierenben Geltung
tommen foll. Qm ©injelnen oorzügltch gezeichnet, hält e$ fich mehr an bie trabitionelle
3luffaffung monumentaler ©lafonbmalerei, melche j. ©. ben ©enetianern geläufig
roar, ohne in ber ftarbenbehanblung auf ©igenthümlichteiten ber 9Jtoberae ju oer*
pichten. SJtan barf gefpannt fein, mie bie Arbeiten ber beiben 9Jteifter, oon benen
ftlimt noch bie „QuriSprubenz" unb ÜJtatfch bie „Theologie" ausführen foU, in bem
genannten geftraume miteinanber hannonieren toerben. T)ann erft läfSt fich bie jefct
rein afabemifche Qrage, ob man beffer baran gethan hätte, ben ganjen Auftrag nur
einem Süteifter zujuroenben, mit Sicherheit beantroorten.
T)ie Söiener ^unftfalonS brachten neben ben befprodjenen 3Iu3fteHungen
eine folche ÜXtenge oon ftunftioerfen, baf£ au bie ©enufSfähigteit be8 tunftfreunbltchen
©ubücumS roirtlich recht hochgefpannte 3Inforberungen geftellt mürben. 3118 3ei<hen
einer im giuffe ber grauenberoegung ftehenben 3eit fei an erfter Stelle eine 31 u $-
jtellungimSalon©t3fo genannt, beren ©eranftaltung bie ßünftlerinnen SJtarie
©gner, Marianne o. ©fdjenburg, Sufanne ©ranitfeh, SJtarie ÜJlüöer, ©ugenie SJtunt,
Xherefe Qeobororona StieS, ©ertha o. Tarnoczp unb Olga 2\Hfinger*giorian in bie
&anb nahmen. Qhrer 3lufforberung maren ftebtoig o. grteblänber, bie ftarger*S<hülertn
Sütarie Steffel, bie ©ilbhauerinnen ©Ifa o. Kalmar unb ÜJtelanie fporfefefg, Termine
o. Qanba, ©räfin 3lbrienne Dötting, Henriette Caufota, g. 3Jtebi&*©eltfan, ©aroneffe
©ifela o. gälte u. 31. mit halb mehr balb minber gelungenen 3lrbeiten gefolgt, bie
theilroeife em ernfteS können zeigten unb nicht blofe als bilettierenbe ©eriudje betrachtet
roerben roollten. Stubientopf, ©ilbniS unb ßanbfchaft maren am ftärfften, bie ©laftif
fparfamer oertreten. Manche Söerte oerrtethen freilich noch ein ftarfeS Taften unb
Suchen. T)er ©erfudj ber ftünftlerinnen, in gefcbloffener ©ruppe oor baS publicum
ZU treten, gelang oollfiänbig. Sticht blofe ber Steiz ber Steuheit zog, fonbern auch bie
©elegenheit, belehrenbe unb intereffante ©inblicfe in baS emfte Streben ber tarnen
ZU geioinnen. ©efonberS bie StachmittagScercleS an einzelnen Tagen, beren ©intrittS*
gelber zu ©unften ber SBiener greiioilligen StettungSgefeüfchaft beftimmt mürben,
oerfammelten ^a^lreic^e ©efucher unb noch mehr ©efucherinnen in ben anheimelnben
Stäumen unb förberten nicht minber baS ©erftänbniS als ben Verlauf beS 3lu3ge<
fteflten. Ob eine folche geionberte 3luSftellung angeftchtS ber Thatiache, bafS bic
©eranftalterinnen ihre 3lrbeiten fonft gerne im Äitnftlerhauie toie in ber Seceffion
aufgenommen unb oorS publicum gebracht fahen, unbebingt nothroenbig mar, mag
eine offene grage bleiben. Sie ertlärt fich tüohl hauptfächlich als ein ©eitrag zur
SBiener grauenberoegung, meniger als ein foldjer zur ©efchichte bahnbrechenber
Stichtungen ber Äunft auf Söiener ©oben, zu beren wirtlicher Hebung folche Unter’
nehmungett auch baS ©eringfte beitragen. 3ßer felbftänbig auftreten miß, muf$
im allgemeinen bod) mehr bieten als biefe 3luSftelIung, in roelcher baS über bie
ÜJtittelma&igfeit IpinauSgehenbe fehr oereinjelt mar. Qm Salon ©iSto folgten ihr am
15. gebruar bie ©oflectioauSftellungen beS SBiener ©rofefforS Stubolf Stibarz unb
beS ©erliner ÜJteifterS Söalther öeiftitoro, roelche zwei ganz oerfchiebene Stichtungen
ber Üanbfchaft8malerei be8 19. Qahrhunbert^ repräfentieren. T)enn Stibarz tnüpft
birect au bie für fte auSfchlaggebenbe Schule oon gontainebleau an, z u t)eren
fiihrenben üJteiftern er roährenb eines oieljährigen 3lufenthalte8 in Qranfreich in
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SBiener ftunftleben (Qänner big Quli 1901).
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unmittelbare ^Beziehungen trat, wufgte aber mit bem ihnen eigenen Daturempfinben
feine öfterreichifche Eigenart glücklich zu oereinigen. garbenftimmung unb ©ruppieiung,
welche bie Vebcutung ber ©inzelheiten nicht oerwifdü, fonbem jebe malerifch inbioibua*
lifiert, oerrathen überall ©efchmacf unb intimfte ^Beziehungen jur Datur, eine mit
großem Augbrucfgoermögen begabte Dteifterfchaft, an bie nicht viele unferer einheimifchen
Sanbfchafter heranreichen. Anberg ABalther Seiftikow, bem eg oor allem auf ben
tppifchen ©burafter einer öanbfchaft, ©infachheit ber Sinie unb ©ebunbenheit ber
©ruppierung ankommt, wobei er mit ben (Einzelheiten oft recht willkürlich umfpringt.
Diefe Auffaffung fiört mitunter bort, wo eg fich nicht blofe um becoratioe Aöirfungen,
fonbern um ein Vilb alg folcheg ^anbelt; benn in biefem ftaHe ift innigere Fühlung
mit ber Statur felbft künfilerifcheg ©rforbernig. ©lücklich rueife 2eifiikow, ber fich feine
befonbere tfattnwfprache Sprecht gelegt hat unb bie malerifchen Augbrucfgmittel ber
Dtobeme meifterlich h^bhabt, bie buftige 3^ttheit beg 2anbfchaftlichen in ihrem
poetifchen Deize feftyubalten unb mit einem großen 3nge ju burchbringen. Die beiben
ooneinanber roefentlich oerfchiebenen Achtungen ber Sanbfchaftgmalerei an zwei
heroorragenben Vertretern unmittelbar oergleichen zu können, mar fehr inftructio.
©päter oereinigte ber ©alon in einer Aufteilung SBerfe oon Slafparibeg,
Äonopa, ©traka, ©uppantfdjitfch, SBilt, ©bith ©tengel unb oon bem Vilbhauer
©urfchner, worauf bie Debaction ber Münchner illuftrierten 2öochenf<hri|t „3ugeub"
oom 20. April big ©nbe ÜJtai mit mehr alg 200 Originalen ihrer oft recht originellen
3Huftratoren biefelben Däume befefcte. — Qn ber ©alerie ÜJtiethkf erfreute fid) bie
Augftellung beg fßorträtmalerg Otto oon Ärumhaar großer Veachtung. Die ABerke
begfelben jeichnen ftch ebenfofehr burch Ähnlichkeit alg burcb feine, bem SBefeit beg
DarzufteUenben ftch anfchmiegenbe Auffaffung, burch öiebengwürbigkeit ber ©haraf-
teriftik unb treffliche garbengebuug aug. Die gleichseitig an bemfeiben Orte öffentlicher
Veftchtigung zugängliche 3ahreg=3lugftellung beg „Wiener ©amera'©lubg" zeigte bie
Öeiftunggfähigleit ber Siebhaber*Vhotographie nach ben oerfchiebenften Dichtungen
auf einer anfehnlichen £>öhe unb in gar mannen Darbietungen oon einem toirflich
Jünftlerifchen 3 U 9 C getragen; nicht geringereg ^ntereffe burften auch bie babei zutage
tretenben tecbnifchen fjortfchritte beanfpruchen. 'Bei Dtiethke umfchlofg eine aobere Aug*
ftellung Arbeiten oon ©l. o. Baufinger, Knüpfer, ©dpoaiger, ÜJüchetti u. a, foioie eine
©ntwicflung ber Dkaltechnik oon ©. Berger. 3m Äunftfalon ^irfchler traten
A. Kaufmann unb D. Äohn mit Sanbfchaften, bejiehunggioeife mit guten Dothftift*
ftubien oor bie Öffentlichkeit. Die Äunfthanblung 2. 3- 9teumann lenkte bte
Aufmerkfamkeit auf bie oon Btofeffor lloppap ftammenbe (Collection oerfchiebener
Borträtg ber ÜJtitglieber beg Äaiferhaufeg, oon Angehörigen beg fcochabelg unb
anberen bekannten Berfönlichkeiten. Deggleicben bot fte ©elegenheit, auch SBerfe
mobemer Zünftler, roie oon $ranz ©tue!, ©. ÜJtay, griß o. Uhbe, 2enbach, Defregger,
Änaug, ©chtler u. f. ro. kennen lernen. 3m Äunftgewerbeoereiu, roo Dombilber
unb öfterreichifche Äunfigewerbearbeiten ju feben waren, oeranftaltete auch bie „Ber
einigung öfterreichifcher bilbenber Äünftler unb Äünfilerinnen" ihre Aufteilung. Dev
Dapoleon»6pklug, ben Ogkar Dey im ©alon „Venejia" augftellte, bewältigte in ben
©injelbarftellungen nur augnahmgioeife bie ©röße ber SDotioe; boch läfgt fich leßteren
em nähereg ©inbringen in ben gigantifchen ©toff nicht abfprechen. 3n ben ^eft-
räumen beg neuen Dathhaufeg oereinigte bie oon ©erlach unb ©chenk oeranftaltete
Augfteüung mancheg Anfprechenbe oon ©tuef, &limt, 9Jtatfch, ÜJtofer, ©ngelharbt.
Der fübliche ©cffalon biefer gefträume war fchon früher jwei großen lufchbarftellungen
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gofepb ffteuwirtb.
oon 2Beefer*$rell, bic ungarifcbe ftönigSburg zu Bubapeft in ihrer fünftigen Bollenbung
unb bcn BMfahrtSort ÜJiaria«3eH bebanbelnb, eingeräumt worben. Arcbitefturmaler
©rmin Benbl ooüenbete ein grofeeS Aquarell ber ^ernifcer Stal)!* unb ©ifenwerfe
für ben ©ifcungSfaal beS neuen ©cböller’fchen BanthaufeS unb wenbet feine
befonberS aud) Wiener Aufnahmen zu, non benen ber £>anbelSminifter ©all jene ber
alten Boftgaffe mit bem ^anbelSminifterium unb ber $ominifanerfircbe anfaufte.
3n$ ©ebäube ber ©artenbau-©efeüfcbaft lub bie Malerin ©ugenie S>eger»©affer zur
Beftcbtigung ihrer Porträts unb ©tubien ein, bie mehr gleiß als ausgeprägte Äiinftler*
fchaft befunbeten unb nirgenbS über baS Blittelmafe hinauSragten. ©ine ganz befonbere
Eigenart offenbarte Dagegen grau Jpenriette üttanfteroicz in ben Bauneauj* unb
9iabelmalereien, welche in ben Räumen beS Söiener grauenclubS auSgefieüt waren.
Sie feffelten tecbnifch burch bie Bereinigung ber ÜJtolerei unb ©tiderei, inbem erftere
für bie Aquarell» ober ©ouacbebehanblung beS weifeen AtlaShintergrunbeS beram
gezogen, lefctere für bie Sßorbergrunbbarftellungen oerwertet ift. gaft burchwegS
traten gewählter ©efcbmad unb feiner garbenfinn zutage; auSgeftellte Entwürfe,
©tubien unb Aquarelle oermittelten in banfenSwerter Bteife näheren ©inblid in bie
ArbeitSftätte ber ftünftlerin. ©inen auSgefprochen bem ftunftauSftellungSeinbrude ftd)
nähernben Anftricb hatte auch &ie in ihrer Art hochintereffante ©imarofa’AuSftellung
int ftünftlerbaufe, bie jmar einem anberen Ipauptjwede juftrebte, aber in bem Dafür
aufgebrachten SJtateriale eine gülle fünftlerifcb gerabe für bie ©efdjicbte beS Söiener
©eifteSlebenS ungemein wertooller Belege umfafSte. ©ie mochten für ben 5RufU
hiftorifer noch weit bebeutungSooller fein als für Den ftunfthiftorifer, ftellten aber
lefcteren nicht minber oor eine ganz merfmürbige Collection zahlreicher, in ihrer
©efammtheit nur ferner auftreibbarer ©tüde, bie in üJtebaillen, BorträtS, fianb*
fchaften unb ©enrebilbern ein treffliches ©ptegelbilb Iäugft oerrauldjter Xage unb ihrer
ftunftauffaffung gewinnen liefeen.
3n ben Ausheilungen machten üftalerei unb ßunftgewerbe ftdj am meiften
geltenb. $)ie Arcbiteftur war in ihnen nur burch bie febon früher erwähnten
Entwürfe oertreten. 3h* ftcUte ber BefcblufS beS Böiener ©emeinberatbeS, auf bem
ßarlSplafce ein ftäbtifcheS fUtufeum ju erbauen, eine neue grobe Aufgabe, ©ie ift
nunmehr über baS erfte BorbereitungSftabium binauSgerüdt, ba bereits im 2Jtai baS
Bauprogramm, welkes ben $)oppelzroed eines hiftorifchen unb eines tfunftmufeumS
inS Auge fafSt, feftgefteüt unb ber auf SBiener befchränfte SBettbewerb auSgefcbrieben
worben. 3)et Bau, für beffen Ausführung 1,750.000 K auSgefefct finb, foü ft<b ber
ßarlsfircbe unb ber tedjnifcben ftocbfcbule möglicbft harmonifcb anfcbliefeen, auS einem
©outerrain, £>odjparterre, §albgefcbofS unb ftauptgefcbofS beftehen. gür bie ©ewinnung
eines geeigneten BrojecteS ift eine bereits abgelaufene Borconcurrenj eingeleitet,
auS welcher acht preisgefrönte ©ntroürfe jur engeren ©oncurrenz jugelaffen würben.
©S tennjeiebnet bie IRübrigteit unferer fUtoberne, bafS Otto SBagner, ihr gührer auf
bem ©ebiete ber Baufunft, fchon oor geftfteüung beS BauprogrammeS mit einem
ausgearbeiteten Brojecte, beffen ©rläuterung ber ©tabtrath tnapp oor gabreSfdjlufS
entgegennahm, auf bem Blafee war. ©ine zweite, für baS SBiener Arcbitefturbüb
nicht minber wichtige grage febeint zunäcbft noch etwas zuriidgeftellt, nämlich baS
Broject beS Arcbiteften Arnolb 8ofe, ben hinter bem ©tepbanSplafee jroifc^en ber
©chuler- unb ©ingerftrafee gelegenen ©tabttheil in einen 30 m breiten ftaifer granz
3ofephS«gubiläumSplab umzugeftalten; ©tabtregulierung unb ©tabtoerfebönerung mären
in gleicher 2Beife an ber praftifeben unb fünftlerifcben ßöfung biefeS BroblemS
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Wiener Kunftleben (Fänner big Fuli 1901).
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beteiligt. Fm Frühjahre würbe bic 9luSftntüdung ber 3Retithariftenfird)e ooflenbet,
bereit 93Uberftmud Fofeph kleinert, Litton £>lauaCef, ütitarb ÜRofer unb Fohann
Suftner nat ben ©ntmürfen beS ©rbauerS ©amiflo ©itte ausführten. $a3 ©totten*
ftift {tritt an bie miirbige Fnftanbfefcung ber ©rabftätten beS ©tifterS Heinrich II.
Fafomirgott unb {RübigerS oon ©tarhemberg, beS bel&enmüthigen 23ertheibigerS oon
3Bien. (Sine ©pecialität moberner 5lrtiteftur barf roo^t baS ©eftäftS» unb Söarem
hauS genannt werben, baS zwar in ben alten £>anfaftäbten auch fton eine gewiffe
Spotte fpielte, aber jefct ganz anberen Slnforberungen genügen mufS. F n feine ©nippe
mhlt baS eben ooüenbete ÜRöbelhauS $ortoi$ unb fjiy in ber Ungargaffe nat ben
Plänen oon ÜJtajr Staunt; bie Fasabe, bereit artiteftonifte ©lieberung eigentüd)
entfällt, ift nur mit mattgrünen Fapencefateln befleibet unb ruht auf einem Unter¬
baue oon braunrotem ÜRarmor, ben ©iiterthore unb modrige SluSlagefenfter burt*
breten. ©8 IäfSt fit nicht beftreiten, bafS ber oon ntobernen ©ebanfen befeelte
9lrdjiteft fit reblid) unb theilweife erfolgreich bemühte, eine ber SBeftimmung beS
$aueS möglitft bienlite Söfung ju finben. ©injelheiten berfelben toerben bei
KaufhauSbauten ber nätften F Q h*e ab unb ju wieber begegnen unb manche
Slbmanblungen erfahren. ÜJlit ©enugthuung fei oerjeichnet, bafS bie ©eifteSarbeit
SBiener 9lrtiteften auch anbermärtS mit ©hren beftanb, inbem bei ber '-Beurteilung
ber ©oncurrenjprojecte für baS 93ubapefter ©ebäube ber öfterreitift-ungariften 93anf
bie SBiener SIrtiteften fJeUner unb Reimer ben zweiten, ^rofeffor Karl König ber
tetnifchen §otftwle ben oierten $reiS errangen, ©eine ©ebanfen „über bie ÜRobeme
in ber 9lrtiteftur" hat ^ofeph ©aper in einem anfprechenben Feuilleton, ber „bleuen
Freien treffe" jufammengefafSt.
3luf bem ©ebiete ber $laftif eröffnete baS ©rgebniS ber *Prei8concurrenz
für baS fianner-©traufj*3)enfmal ben {Reigen beS neuen FahtnnbertS. Unter ben
eingelieferten 51 ©ntroürfen fiel jenem beS £>elmerftülerS Franz ©eifert unb beS
3lrtitetten {Robert Derlep ber erfte ^reiS §u; ben zweiten erhielt Franz 23ogel, ber
©töpfer beS {Raimunb-$enfmalS, unb ben britten H. IBafjler. ©ine bis jum 17. Fänner
bauembe 2IuSfteüung aller ©ntroürfe im Künftlerhaufe bot jebermann ©elegenheit,
fit in ber ©ache felbft ein Urtheil ju bilben unb einen oorausfittlüh halb jur
'Ausführung gelangenben neuen ©tmud ber Kaiferftabt au ber 5)onau fennen $u
lernen. Xhatfätlit fonnte nur ber mit bem erften greife ausgezeichnete ©ntmurf
als eine annähemb befriebigenbe Seiftung bejeitnet werben. Fm allgemeinen ffeinf
gerabe bie 3roet§ahl ber Könige im Söalzerreite oon ben meiften ^Bewerbern als
ein £>emmniS ber fünftleriften Söfung empfunben worben ju fein; gleitwohl
begegnete manch’ ßuter ©infall, wenn er aut für ein 2)enfmal felbft nitt aus-
reichte, bejfen §auptbeftimmung ©inzelne birect aus bem $uge oerloren. 9Bo eS
eigentlit ein ©tücf ett 5öiener Kunft unb feine ©töpfer ju oerherrliten galt, hätte
man gerabe oon ben Söiener ÜReiftern reiteren fünftleriften ©rtrag erwarten foüen.
©elbft für ben ©ntmurf ©eifert’S bürften fit not Heine Änberungen empfehlen,
beoor er $ur SluSführung gelangt. Für bie ©timfeiten ber groben ©entralfäulen-
halle beS ?5arlamentSgebäubeS übernahmen bie SBilbhauer Karl ©terrer unb §ugo
§aerbtl bie ©ruppen ber ©inigfeit im 93aterlanbe unb ber Siebe &um S3aterlanbe.
©ie lieferten aut ©fijjen eines ©icero unb eines ©ophofleS für bie ©iftungsfäle beS
§aufe£, in beren fRiften 18 oon SBiener 33ilbhauern auSjuführenbe ÜRarmorgeftalten
bebeutenbe^Berfönlitfeiten beS claffiften 5llterthumS oerherrliten foüen. Fm 5lrfabenhofe
ber Unioerfität gelangte zmiften ben S)enfmälern ©foba’S unb 9}an ©mieten’S jenes
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3ofeph SReuroirth-
be$ betannten PfpchiaterS £h*obor OJlepnert jur Aufteilung. $em Stabtparte
roibmctc ein gveunb beS PtolerS IHemi oan §aanen eine Pronjebüfte biefeS PünftlerS,
tue non Silgner’S §anb ftammt unb bem Otonbeau oor bem (Eurfalon jur 3ierbe
gereicht. $m Peftibüle beS SübbahnfjofeS rourbe eine in bem Atelier Pari Söafch*
mann auSgeführte ©ebenftafel für ben Architeften Söilhelm bitter non 3flattich, ben
PahnhofSerbauer, enthüllt; bas PilbniSrelief beweiben hat Slatticb’ö (Entelin, ßorle
SSifdjer, zugleich eine (Entelin beS berühmten ÄflhetiterS 3fr. lh* recht lebend
roahr mobeüiert. $in Aufträge beS (Erzherzogs (Eugen noüenbete SohanneS IKaSzfa
in franjöfifdhem Sanbftein baS grofee Relief „SRofenrounber ber ^eiligen (EIifabeth"r
für baS Pinberfpital in Dttafring ber Pilbhauer penbl, bem bie Ausführung einer
Paiferftatue für baS neue Preisgericht in Olmiifc unb einer Paiferbiifte für bie
öfterreicbifcbe ©efanbtfchaft in Petersburg juftel, eine „OJlabonna mit bem ^efuSfinbe*.
Prof. n. 3umbufcb arbeitete an ber PoUenbung beS StanbbilbeS Paifer PöilhelniS I.,
baS nor ber Uniuerfität in Strafeburg jur Aufteilung fommen foDL 2)er dteftau-
rierung beS (Eanooafchen ©rabbentmalS ber ^reiin non PillerSborff auf bem £>ie|inger
SJriebbofe roibmete bie Stabtgemeinbe 2öien einen entfprecbenben Petraq. Xurch bie
Art unb 2Bcife ber Vergebung ber Pilbhauerarbeiten für ben neuen frofburgbau
fühlte fich bie Wiener Pilbhauergenoffenfchaft in ihren SebenSintereffen unb ihrer
(Eyiftenz als fteuerjahlenbe Pürger tief unb empfinblich gefchäbigt unb in ihrer
StanbeSefere herabgeroürbigt, ba gerabe bei einem folgen Ptonnmentalbaue baS
fünftlerifche Söirten unb Schaffen ihrer Jirmen zum AuSbrude unb zur Poüenbung
gelangen tonnte. Sie oerinahrte fich in einer entfchiebenen Diefolution gegen eine fie
iibergehenbe ArbeitSjuroenbung unb nahm auch Stellung gegen bie Pergebung
öffentlicher Arbeiten an gachfchulen Pom ©efichtSpuntte beS nach tiinftlerifcher
Pernolltommnung unb Pefchäftigung ftrebenben AuftragroerberS fann man biefe
Stellungnahme oerftehen, bie aber prattifdh faum zu bem gemünfchten 3i*k führen
bürfte. $)er freien (Entfaltung ber Punft, bie nur baS Pefte im Auge behalten foü,
ift ein folcher $rudt geroifS nicht zuträglich.
5)er freier beS 400jährigen PeftanbeS ber nieberofterreichifchen Statthalterei
ift bie Ausführung zweier oortrefflidjer (ErinnerungSplaquetten zu bauten. 3)ie eine
roibmete ber Statthalter ©raf PielmanSegg, bie anbere Die Peamtenfchaft ber Statt¬
halterei, ber Polizeibirection unb ber PejirfShauptmannfchaften; bie Ausführung
übernahmen bie beiben Pteifter öfterreichifcher Ptebailleurtunft Aleyanber Scharff
unb Prof. Qofeph Sautenfeapn, einmal neben ben $oppclabler bie betreffenben
Serrfdherreliefs (Ptayimilian I. unb öranj Qofeph I.) einfteüenb, baS anberemal ber
Auftria bie ÜJtebaiüonporträtS bes erften oberften §auptmannS SBolfgang ^reiherm
non Polheim unb Söartenburg, foroie beS Statthalters (Erich ©rafen PielmanSegg
beigefellenb. AIS hohe Auszeichnung barf ber Pöiener ÜJlebailleurfunft bie Perufung
fHubolf OJtarfchaÜ’S nach Dtom angerechnet roerben, ba eS fid) um bie Verteilung
eines papftreliefS für eine ÜJlebaiUe hobelt, bie als Anbenfen au baS heilifl*
in mehreren (Eyemplaren auSgeführt roerDen foll. Pei ber (Eoncurrenj um eine
anbere (ErinnerungSmebaitle, welche baS t. f. VanbelSminifterium Den AuSfteHern
unb Organifatoren ber öfterreichiiehen Abtheilungen ber parifer SöeltauSfteHung ju
roibmen gebenft, rourbe unter 30 (Entroürfen jenem beS Prof. Stephan Schroarj ber
erfte Preis juerfamtt, inbeS Subroig £mjer ben jroeiten unb SRubolf (Eizet ben
britten erhielten.
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VBiener flunftleben (Qämter bis 3fuli 1901).
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Die VreiSauSfchreibung für Vanfnotenff izzen erzielte bie (Ein*
reichung von 117 (Eoncurrenzarbeiten. Die Qurp, in roeldjer bcr SSahrung fünft*
lerifcher Qntereffen burch Delegierung neuer froren auS ber ftünftlerfcßaft [Rechnung
getragen mürbe, fprach bem Vubapefter Waler SabiSlauS fregebüS bett erften, bem
Frager Veroerber Sölabimir 3upan$fu ben zweiten, bem 3Siener Waler (Ebuarb Veitß
ben britten unb bem VMener Vertholb Söffler ben vierten VreiS zu. Vach beS
(Erften (Entmurfe roerben bie 100 KWoten, nach jenem beS Dritten bie 1000 K
Pfoten ^ergeftellt. Wan barf fiel) aufrichtig freuen, bafS eine für baS iDirtfc^aftlic^e
Sehen beS ©taateS nicht belanglofe Qrage bieSmal eine beffere unb fachgemäßere
Söfung fanb als bei ben fünftlerifch gänzlich unbefriebigenben 20 KWoten.
Da3 UnterrichtSminifterium ließ bie verriebenen Ausfteßungen nicht vorüber*
gehen, ohne auS ben -ihr zur Verfügung ftebenben 3onbS ftunftroerfe anjufaufen;
vereinzelt mürbe auch hie (Gelegenheit mahrgenommen, $unftanfäufe auS privat*
befiß, z* 93. ben von (Ebuarb [Ritter’S „Qagb nach her Äafce" ober [Ranftl’S „©chul*
finbem" burchzuführen. ©chon ^eute befinben fich, mie ein ben Witgliebern beS
SlunftratheS eingehänbigteS Verzeichnis feftfteüte, im (Eigenthume ber Unterrichts-
vermaltung fo viele beacßtenSroerte ©tiicfe, bafS auS ihnen eine moberne (Gallerie
gebilbet merben fönnte. DaS Vroject ber leßteren ift über baS ©tabium ber Vor*
berathung noch nicht hiuauSgefommen. Den in ihr unterzubringenben ©ammlungett,
melchen auch hie „Qubitb" beS Wiinchener VilbhauerS £mhn, „Die böfen Wütter"
von ©egantini unb ^erterich’S „©piegel" zugeroenbet mürben, finb gefchenfroeife burch
ben Architeften Alepanbet Rummel in Xrieft unb einen zweiten ungenannt jein
moüenben ftunftfreunb bie beiben großen (Gemälbe von Way $linger „DaS Urtheil
beS VariS" unb „(EhriftuS im Olpmp" einoerleibt morben. Qm ^unftrathe regten
©e. (Ejrceüenz (Graf SancforonSfi für 2Sien bie (Errichtung eines roürbigen ©chminb*
DentmalS unb fßrof. Veuivivtb bie Aufteilung von Vüften ber h^rvorragenbften
öftemichifchcn Dichter an. Oberbaurath Vrof. Otto 2öagner lenfte bie Aufmer!-
famfeit berfelben ftörperfchaft ber 5rage zu, bei ber VBieberoerbauung ber burch bie
Abtragung ber ßaferne geroonnenen Vaufläcbe auf bem ©tubenringe für bie VBabvung
fünftlerifcher Qntereffen nachbrüdlid)ft einzutreten. Auf Antrag ber Seo (Gejellfchaft
befchlofS ber föunftrath einftimmig, einen Söettberoerb zur (Erlangung von Vlänen
für eine einfache römifch’fatholifche Kirche in einer Sanbgemeinbe unb von (Ent*
mürfen für ein [Reliquiar einzuletten; bie Austreibung bafiir ift bereits erfolgt.
Dem ©chöpfer beS in Sinz aufzuftellenben ©ttfter DenfmaleS, bem Vtlbbauer Vrof.
fRathauSfp, mürbe bie Ausführung einiger Abänberungen feines vorgelegten (Ent*
murfeS empfohlen.
Die Seo'(Gefellfchaft felbft ift nunmehr zur pflege unb Qörberung ber
Ifunft in ein enger begrenztes Verhältnis getreten. Am 27. Qebruar conftituierte ftch
unter zahlreicher Vetheiligung auS Mnftlerfreifen bie ©ection für bilbenbe ftunft.
Diefelbe hat, geleitet von Univ.*Vrof. Dr. £>. ©moboba, fofort zu einer [Reihe von
(Eoncurr$nzauSfcßreibungen für firchlicße 3wecfe ©teüung genommen. Qwei berfelben
(einfache ^Sfarrfirche unb [Reliquiar) mürben burch Vermittlung beS ftunftvatbeS vom
UnterrichtSminifterium metter geführt unb gehen eben praftifcher Söfung entgegen.
Vom Directorium ber Seo*(Gefellfchaft mürben zur (Eoncurrenz für ben Hochaltar
einer Domfirche unb für ein h^ ©rab je 3 rcei greife gemibmet. Die befannte
©ammlung claffifcher AnbachtSbilber rcirb unter Dontanig’S untüchtiger Seitung
fortgeführt.
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3ofepb 9teuroirtb.
$ie ©enoffenfcbaftbilbenber Äünftler Söien« nahm in einer
lebhaftes Bebauern au«fprecbenben fRefolution Stellung gu bem Pefcbluffe be« SBiener
©emeinberatbe«, einen SBettberoerb für beu Umbau mehrerer Häufer in ber 5Raria»
bilferftra&e aü«gufcbreiben, bei meinem roeber eine Prämiierung noch eine Honorierung
ber oon einer 3urp al« befte begegneten Arbeiten ftattfinben foüte. @« barf nkbt
SBunber nehmen. baf« bie genannte ©enoffenfebaft ber ©rroartung Au«brud gab,
fein flRitglieb roerbe im Jpinblidte auf bie PSabrung ber ©tanbe«ebre ficb an biefem
Pkttbemerbe betbeiligen. Qebe roürbige Petonung be« ftünftlerrecbte« barf auch in ben
Greifen be« funftinterreffierten Publicum« auf 3uftimmung rechnen, bie rubiger
3urüdmeifung oertürgenber Ungebürücbfeiten nicht fehlen roirb. Auch bie ftunft gebt
nach Prot, unb jeber Arbeiter ift feinet Sohne« roert.
©>er Peginn be« neuen 3abrbunbert« bat in ba« ^unftleben ber SReftbeng ein
neue« ©lement eingefcbaltet, inbem eine innigere giiblung ber funftintereffierten Streife
mit ber Archäologie oerfuebt mürbe. £)er ©tubienbetrieb berfelben bat bureb
Pennborf’« raftlofe Pemübungen an aßen beutfeböfterreiebifeben Unioerfttäten ficb
aufeerorbentlicb gehoben. $)ie auf Anregung be« früheren Unterricbt«minifter« Paron
©autfeb in Angriff genommenen ©rabungen in ©pbefo« lieferten bereit« febr fcbäfcen«-
merte ©rgebniffe, oon benen im reftaurierten ^b^f e a § tempel eine Au«roabl gur Au«
ftetlung gelangte. 2>a« Hauptftüd berfelben mar bie au« 234 ©tüden oom Pilbbauer
©türm jun. oorgüglicb mieber gufammengefefcte Prongeftatue eine« Athleten, ber mit
einem ©djabeifen oon feiner linfen Hanbrourgel ba« Öl abguftreifen ftd) anfdjidt.
Unter ben 32 auSgefiellten Objecten feffelten aufjerbem ein Herme«fopf polpfletifcben
©tile«, ein 3rlöte blafenber ©atpr, ^rragmente eine« ebebem bemalten ©rotenfriefe«
oom $beater au« ber 3«it Domitian’«. iRicbt minber gelangte burch ben Pericbt,
roelcher in ber 3ab re 3oerfammIung ber ßRitglieber be« arcbäologifchen 3nftitute« über
bie fReifen ber lefcteren, über Publicationen, 3funbe unb ©rabungen erftattet mürbe,
eingebenbe Aufllärung über gielbemuf«t geleitete roiffenfcbaftlicbe unb zugleich funft*
gefcbicbtlid) intereffante Unternehmungen gur ftenntni« meiterer Greife. 3a e« regte
ftcb in ber Peoölferung felbft ba« Pevlangen,' bie in PMen bei ©rbau«bebungeu
gutage geförberten römifeben Altertbiimer in einer befonberen ©ammlung gu oer¬
einigen. $er Anfang bagu ift bereit« gemacht. $er PHener ©emeinberatb beftellte
eine arebäologifebe ©ommiffion, rcelcbe befcblof«, ein Museum Vindobonense
gu grünben. für beffen Unterbringung oorläufig gmei ©äle ber ©cbuleinberfRainer*
gaffe gur Perfügung geftellt mürben. P$irb biefe böcbft biöigen«roerte Action fad)-
gemäfe au«geftaltet unb bie Peoölferung gut 3umenbung aller in ihren SRabmen
fatlenben Objecte angeleitet, fo roirb e« geroif« gelingen, bie in ben lebten ftabrgebnten
gemalten 3runbe au« ber Pergangenbeit PMen« gur fRömergeit gu einer in ficb gang
gefcbloffenen Au«fteHung gu oereinigen. $ie ber Unternehmung bereit« gemalten
SBibmungen begeugen in erfreulicher P$eife, baf« e« an roerftbätiger Unterftüfcung
bureb bie Peoölferung nicht fehlt, ©iner ähnlichen Unternehmung, bem halb gur
[Refibengftabt gerechneten ÜRufeum in ©arnuntum, für beffen Pau bie Arcbiteftcn
Prof. Obmann unb Äirftein bie Pläne au«gearbeitet haben, mibmete bie ©tabt Söien
eine Paufuboention.
©ine anbere, auf breitere PHrfung berechnete Äunftangelegenbeit bat ©erbarb
Otomberg in feiner Profchüre „Polf«funft" mit feinen Porfcblägen gur ©rriebtung
einer PSiener $un ft balle angeregt, auf beren ©ingelbeiten bist nicht näher ein¬
gegangen roerben fann, obgmar fte manch ©ute« unb Pebergigen«roerte« enthalten,
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ABiener Kunftleben (Qänner bis Quli 1901).
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währenb anbereS birect jur Ablehnung ober jum ABiberfpruche herauSforbert $)ie
„ambulante ©emälbegallerie beS beutfdjen Vereines jur Ser-
breitung oon Kunfifinn", welche ber SBanberlefjrer Müller im Beater an ber
Söien oorführte, barf gemifS auch als ein Mittel jur Selebung beS KunftintereffeS
in weiteren SeoölferungSf dachten oerjeichnet werben. 55>ie ABibmung ©r. Majeftät
beS KaiferS für bie Errichtung einer mobernen ©alerie in Srag unb bie ©chenfung
ber beiben oben genannten Klingerbilber für eine ähnliche SBiener ©ammlung haben
eine lebhaftere Erörterung über bie Wothmenbigfeit ber balbigen Errichtung berfelben
neuerlich angeregt.
$)er Umfafc auf bem Söiener Kunftmarfte mar, wie bie Anläufe in ben ein¬
zelnen Ausheilungen mahrnehmen ließen, nicht unbeträchtlich, wenn auch bie Kaufluft
an bie Menge beS ©ebotenen feineSwegS heranreichte. Unter ben Audionen brachte
ber ©alon „Sene$ia" eine größere ©emälbejahl; E. §irfchler leitete bie Serfteigerung
beS WachlaffeS beS SBalbmüller-©chülerS Johann Sapt. ©öftl, in meinem fid)
befonberS Miniaturen unb Aquarellcopien fanben. $nt oberen ©aale ber ©artenbau*
©efeflfcbaft gelangten fclgemälbe hetoorragenber Meifter, barunter jmei ABerfe oon
©chinbler unb „$er Afcherinittmoch" oon 3- Salat, nebft anberen Kunftobjecten
§ur Serfteigerung. ©. Kenbe übernahm jene ber an Aquarellen unb ^anbjeichnungen
reichen ©ammlung beS oevftorbenen SrofefforS ber technifchen §ocbhhule in ABien,
3)r. $. Sohl, unb ber ©ammlung beS penfionierten ftäbtifdjen Oberbeamten E. ©eiS f
in welcher nächft ben eben genannten jwei Kategorien auch Kupferftiche, Lithographien,
hiftorifche Slätter unb ABiener ©eenen oertreten mären. £)er mit einem Sormorte
aus ber 3feber beS 3)r. M. o. ABurabadj auSgeftattete Katalog ber ©ammlung 4ßohl
roieS Slätter oon Wubolf, S^anz unb Qafob Alt, A. Achenbach, $anhaufer, $h- @nber,
Süger, % 3fenbi, ©auermann, Kriehuber u. A. auf. Eine anbere burch
©. Kenbe oeranftaltete Auction erregte im publicum noch größeres ^ntereffe, ba fie
außer mehreren Porträts oon Sr* ©tuet, ber „Wofenfönigin" oon ©abr. May, bem
Silbniffe ber ©aharet oon Lenbach unb ABerfen oon Defregger, Sautier unb Koppap
noch Söcflin’S „3)rpnben" unb ABalbmüller’S „Sabenbe Mäbchen" umfafSte.
3n baS SortragSprogramm ber ABiener $amen*Atabemie mar
nebft anberen ein Sortrag über »Renovation de la Toilette de la Femmec einge*
ftellt, ber fchon im Vorhinein burch bie Serfönlichteit beS Sortragenben, beS belgifchen
MeifterS §enri oan be Selbe, große AnjiehungSfraft gewann. 3)aS $hema
actuell, ber Sortragenöe ein Rührer auf ben Sfaben mobernen S)ecorationSftileS unb
burch Setheiligung an ABiener Ausheilungen bereits roohlbetannt, ber ABiener Soben
mit feiner lebenS« unb farbenfrohen Kleiberpracht befonberS empfänglich für
Erörterungen über bie Reform ber 3rauenfleibung, baS gerabe auSlänbifchen Sor*
tragenben gegenüber als ABtUfommengruß beliebte führen ber Weclametrommel felbft
in fehr angefehenen SageSblättern, — bicS alles hatte bie Erwartung auf bie Offen¬
barungen beS neuen Kleiberpropheten außerorbentlich gefteigert. Kein ABunber, bafS
eine grünbliche Enttäufdjung nicht auSblieb! ©ie mufSte ftch einftellen, wenn ber
Sortragenbe, ber feine formen burchauS auS logifchen ©efefcen ableitet unb jeben
überflüffigen ©chmud ablehnt, feinem fiinftleriichen ©laubenSbefenntniffe treu blieb
unb nur oom 3mecfüollen al$ ber maßgebenben äfthetifchen Worm auSgieng. Logif
unb ftrauenmobe, in welcher bie Laune, baS Abroeichenbe unb Auffällige eine fo
heroorragenbe Wolle fpielen unb mit taufeitb tleinen Einfällen feitab oom Alltäglichen
bie gefäüigften ABirtungen erjielen laffen, finb wohl fehler unter einen £>ut ju
Dir ftultur. III. 3a*rfl. 2. $c?t. (1901.) 10
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Qofeph Seuwirth.
bringen. ÜJton fann oom Serjicht auf überflüfftge 3icrbetailS r non Anpaffungen an
Qnbioibualität unb Gelegenheit in Schnitt, Qarbe unb Decoration leicht unb fehr
fchön reben, möglicherweife im Augenblide fogar einzelne für feine Anfcpauung
gewinnen. Aber fchliefclich noch oerlangen, bafs bie bauten gerabe bei SJeftlichfeiten
auf ben fonft geforberten QnbioibualiSmuS ihrer Reibung oerjicpten, für folche
tHntäffe pep einem UniformSswange unterwerfen unb gleich ben Scannern ben —
5racf tragen follen, p^fet bocp, bem Unmöglichen bie ßrone auffefcen. ©3 läfSt ftch
faurn ernftlich annehmen, bafs San be Selbe felbft an irgenb eine umfaffenbere
Durchführung feiner Sorfchläge gloubt. fyür SMen fntb fte bem Samen oergleichbar,
ber auf felfigen Grunb unb ^wippen bie Dornen fiel. Stan patte oon einem ber
befannteften Sannerträger ber ÜJtoberne, bie mit bem Alten grünblich aufauräumen
ftch anfepidt, etwas anberes erwartet als einen allen bisherigen Srauch weit hinter
fleh laffenben GonferoierungSoorfcplag für ba$ päfslichfte unb lächerlichfte ßleibungS*
ftüd ber OJtänner, gegen welches fchon genug geeifert würbe. Sielleicht liegt nun
barin Stetpobe, bafs ein Stoberner für bie '-Beibehaltung beS fonft angegriffenen
Alten nicht nur eintritt, fonbern ihm fogar ein neues Gebiet erobern will. Qn fehr
fcharfer unb geifitreicher Steife fefcte Dr. §mgo Ganj ftch in einem Sortrage über
„bie ÜJtobemitätSmobe", welchen er am 18. April im Ateffenftpaftlicpen Glub hielt,
mit ben oerfchicbenen fragen ber Stoberne auSeinanber. SteS er über ben Urfprung
be$ überfpannten Genialität^* unb SerfönlicpteitSbegriffeS, über bie mannigfachen
Äußerungen ber GenialitätSwiUlür oorbringt, werben gar manche juftimmenb - gut*
heißen, felbft wenn fte mit Gan$ in bem Garbinalfafce nicht übereinftimmen, bafs
bie ÜJtoberne weber neu noch fortfcprittlich, fonbern aufgewärmt unb reactionär fei.
So treffftcher ift nur feiten mit ber ÜJtoberne abgerechnet worben. DajS aber, wie
Ganj am Schluffe behauptet, bie StobernitätSmobe halb oorübergehen werbe unb
ber Anfang oom Gnbe fepon gefommen fei, erfcheint immerhin noch reept zweifelhaft.
DeS Dichters Stert oom Grnße beS SebenS unb ber Weiterleit ber ftunft
bemühten ftch bie SBiener Äiinftler unb $unftjünger burch ihre GarneoalSoeran*
ftaltungen jur Steifheit ju machen. Großer Sethetligung erfreute fich baS GarneoalS-
feft ber Steener ftünftlergenoffenfcpaft am 18. Februar unter ber Deoife „GS ift
erreicht". Gute fchier mterfchöppicpe 3üUe pöcpft origineller Gebartfen illufirierte auf
bie mannigfacpfte Steife bie Sermirflidjung alles beffen, was bem SJenfcpengeifte noch
als fiipnev Draurn oorfchmebt unb erft oon fommenben Gefchlechtern in bie $pat
umgefeßt werben foü. Qm Gewanbe ber ftunft fuchten Wurnor unb Gefcpmad baS
UnterbaltungSbebürfniS ju befriebigen, ob eS nun fatirifeper Abrechnung mit AuS*
fchreitungen ber Seceffton, ber Gemälbefammlung ber „Alten Stell", ber Suftfcpiff*
fahrt ober ben ÜJlarSbewohneru galt. Sehr japlreicp war auch ber Sejuch beS
reijenben GoftiimfefteS ber S^ener 5tun[tgewerbe[d)ule, beffen Gin$elpeiten ben „$unft*
früpling" aller ftunftepochen oeranfcpaultchen wollten; ein netter Gebanfe, bafs gerabe
bie ber Seceffton nabeftebenbe jüngere Generation ftch tn ben Dienft ber ^rüpltngS*
fcpönpeit fteUte, ber pier mit jenem ber ftunft ftch bis *u einem gewiffen Grabe
ibentipeierte. Gerabe biefe Seranpaltungen, bie auch Sulefdpäge beS Shener ftunft*
lebenS waren, befunbeten oiel Talent für bie Weroortauberung fein geftimmter GefellfchaftS-
freunbe in ben Ännftlerfreifen, au ber auch anbere gern unb banfbar theilnahmen
Gnbltch fei auch noch einiger peroorvagenber Äiinftler gebaut, bie ber Dob
abberufen. Am 10. Qänitcr ftarb ber penftonierte Srofeffor ber Acabemie ber bilbenben
fünfte, fötrl Sabnißfp, ein Steiper ber Stebailleurfunft, oon beffen oielgeübter Wanb
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i*aurena ftieSgen. $er SBintcr.
147
eine grofee Stenge gefchäfcter unb fiinftlerifch ooüenbeter $>enfmünjen unb Gelegenheit^
mebaiden ftammt. $rei Sage [pater oerjehieb ber §iftorienmaler Jofef <ßlanf, ein
GorneliuSfchüler, ber in ber 9luffaffung ber 9k*arener arbeitete. $)er SBilberfchmucf
ber ©enebictinerftiftSfirche Jiecht in Sirol barf roohl als eme feiner ftauptfehöpfungen
betrachtet merben; in dflilitärfreifen mar *JManf als *ßortratift nicht unbeliebt.
ÜJtit ungeraöbnlicb lebenbigent unb breitem Strome flutete bie Shmftberoegung
<iuf bem Wiener 33oben über bie Schmede be$ neuen JahrfjunbertS, oon bem mir
erroarten rooüen, bafö in feinem Verlaufe unter künftigen $erhältniffen jur ©litte
gelange, roaS jefct fo mannigfach unb hoffnungSooU anfefet. S)ie erfte Jahreshälfte
ift mahrlich feine fd)Ied)te 9lnroeifung an bie 3«funft.
3m*
Der Ulinter.
Von t au rein ßiedpen.
S on bem grauen fjimmcl nieber
^ fällt ber flotfenflaum.
Stiü. Pie (Erbe träumt rom flieber
heimlich ihren (Eraum.
(Einer von ber Bettlergilbe
Strccft bie gmeige meit
Port ber Baum unb fleht um lllilbc
Hub Barntberjigfeit.
Bitteub hebt er feine 2 Jrmc.
Pod? mit ftobttgefebrei
o>iebt, gebräugt 311 fchmai^em Schmarme,
Krähenrolf rorbei.
Pas fiub Boten, bie bem alten
fterrfeber jiebn roran,
Per tu Kueittfchaft nur mag halten
2Das ihm unterthau;
finftern 2luges 30g er näher
Don bem Sdjlofs im Borb.
Both unb (Eleub feine Späher,
Sein Dafall — ber IHorb.
Sieh, bort fei^reitet er oont Ejartge. —
2Jnf bett Rippen fluch,
Schleppt er hinter fid? bas lange
IPeijje feicheittucb.
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(Uie id) Did)ter wurde,
^ugenberinnmmgen mm Ifang (Efifjelbadi.
icf)ter! — $aS mar ein Sßort, baS ftang mir mie ©ngelSgefang in
ber ©feie, feitbem id) ahnte, maS eS ^ei§t, ein dichter $u fein. Unb
ich ahnte eS fdjon fel)r frühe!
3n meinem £erjen mogte öon jeher etmaS, baS mochte mich glüdlicb
unb elenb ju gleicher 3eit, baS rang nach Befreiung, baS burchflutete mein
ganjeS ©ein unb fanb ben SSeg nod) nid)t, mie eS fid) offenbaren füllte. ©S
maren Sieber ohne SBorte, bie Hangen mir jehon in ber Seele, als id) noch
ein ffnabe öon fünf 3 ^ren mar. $ann backte id) an meine tobte ©roß*
mutter, bie id) nie getannt, oon ber baljeim aber üiel erzählt mürbe, bann
öerglid) ich mich mit ben anbern Sinbern, bie alle noch eine ®roßmutter
Ratten, unb bann fam id) mir fe()r unglüd(id) oor. Unb meil ich meinem
©efühle feinen anbern SluSbrud öerleifjen fonnte, nahm id) ben großen
©aarfamm, fchlug ihn in ©eibenpapier unb blieS auf biefem munberlid)en
SRufifinftrumente bie abfonberlid)ftcn 9JieIobicn, bis mir bie 2 f)ränen aus
ben 2 lugen fprangen.
3n ber Schule lernte ich alle ®ebid)te auSmenbig, bie baS Sefebuch
mir bot, unb merfmiirbigermeife brauste id) fie nur brei* bis uiermal $u
lefen, um fie aus bem ®ebäd)tniffe bcgeiftert ^erfagen $u fönnen. 3 efct lernte
ic^ auch bie erften < Did)ternamen fenneit: ©filier unb ©oetlje, Ul)lanb unb
©eibel, Sen au, ©idjenbovff unb grei(igratf). Slnbere Sinter fannte ich nicht,
unb id) glaubte auch, eS feien bie einzigen dichter ber SBelt.
«uf ben ftolaen ©ebanfen, felbft $id)ter ju merben, fam id) natürlich
einftmeilen nod) nic^t; aber immer brängte eS mich, etmaS Ungeheuerliches
ju benfen ober 511 tl)un, unb ba ich gar nichts kühneres mufste, marf ich
Saternen ein. 3ch befam bie öerbienten Prügel unb beffeite mich, baS heißt,
ich toarf feine Saternen mehr ein; aber ich tooHte Suloer erfinben, gauj
neues unb beffereS Buloer, unb ba baS nicht glücfte, fletterte ich öuf bie
höchflen Säume, fefcte mich auf einen abftehenben 8 lft unb turnte folange
baran herum, bis eS mir gelang, in ben finien hängenb mit loSgelaffenen
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SBie td) dichter rourbe.
149
£änben jmifchen £mnmel unb Erbe beit $opf nach unten baumeln $u taffen.
25ag mar etmag Ungeheuerlidjeg, menigfteng malten eg mir bie anbern nid)t
nach; aber eg befriebigte mich hoch nicht. Sltteg, mag ich unternahm, ftittte
meinen Kjatenburft überhaupt nicht, felbft bag Schmimmen nicht, unb ich
fchmamm bodj mie fein 3 ttw*er!
SRanchmal manbelte mich auch bie 2uft an, meinen ffameraben eine
mohlgefefcte Sßrebigt gu Ratten; bag märe hoch etmag: aber ich fchämte mich
immer, ©inmal fafgte ich mir im ,,©fergraben" ein ©erj, ftieg auf eine ber
bafetbft auggefchirrt ftehenben Starren uttb erflärte uon bort aug, jefot motte
ich einmal eine ^ßrebigt galten. 25a aber gerabe eine manbernbe SRufifbanbe
oorüberjog unb meine ©enoffen hinter ihr breinliefen, muffte ich megen
9J?angel an 3u^örern meine 5J5rebigt aufgeben, nodj ehe ich fie begonnen hatte.
Slm liebften fang ich; ber ©efang mar immer nodj ber befte Slugbrucf
meiner Stimmung. Dft badjte ich mir aber etmag ganj anbereg babei; ich
fonnte eg nur nicht fagen; be^alb pfiff ich eg. 3$ pfiff fiuitbenlang. 2>ie
Seute fchüttelten ben ®opf über mich unb meinten, ich f)ätte SDtotten im
$opf; e§ maren aber nur Sieber. Slugbrüden, mag mich bemegte, fonnte ich
ja hoch nicht. 3<h mürbe immer fonberbarer, unb menn bie anbern Sungen
Saftnacht ben ÜJtagfen nadjliefen, gierig ich allein in bie öerfchneiten Serge.
3n lautem Särm unb bei bem Klange einer 25ref)orgel füllte ich mich
immer unglüdlich; bann gieng ich in ben SBalb, unb eg mürbe beffer. 3<h
ahmte bie Sogelftimmen nad): aber bag mar auch nicht bag Steckte, ©g faß
mir in allen ©liebem mie eine Stranfljeit. ©nblid) fieng ich an, bie Sieber,
bie ich fang, $u oeränbern: aber menn ich fie oeränbert hatte, fonnte ich fie
nicht mehr fingen. $er 9t^ptf)mug mar eben oon mir oeränbert ober gar
nicht berürffidjtigt morben. fah ein, bafg ich feine ßieber machen fönne,
rein gar feine, unb bag mar bitter. Stuf bem Speicher baheim malte ich
mit SBafferfarben üom 3ah*marfte grofce Snbianermorbgefchichten unb buchte
mir allerlei munberlicheg 3eug babei, bag moüte ich bid)ten, unb meine
fleine Schmefter SIgneg, bie ein halber Sunge mar unb atteg that, mag ich
moflte, fottte eg fingen. Stber ich fonnte eg nicht bitten, ich fonnte eg nur
benfen; menn ich e $ nieberfchreiben moflte, mar eg gar nichtg. ®ie 3Jlorb=
gefehlten hangen üerftaubt auf unferm Speicher, bie SIgneg fang fie nicht
unb ich immer noch fein dichter.
S)a faufte ich mix aug meiner Sparbiichfe jmei £efte unb einen langen
Sleiftift unb gieng bamit in ben SBalb. Sin ber entlegenften Stelle lag ich
ftunbenlang auf bem SJtüden unb ftarrte burch bie minbbemegten Slätter in
ben tiefblauen Fimmel hinein; hoch bie £>efte blieben leer.
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§anS @fd>elbad}.
©nbli4 fefote id) mi4 z u £>aufe auf bcn Speicher dor bic alte £obel-
banf, bie bort ftanb, unb färieb oben in baS erfte $eft mit fteifgemalten
8u4ftaben „Der 9Balb\ 0bf4on ich immer fehr fc^Iec^t f4reiben unb
zeuhnen fonnte, jeidjnete i 6) bo4 recfjtö unb linfS neben bie Überfdjrift
SRaiblumen unb flebte einige paffenbe Slbziehbitber baju; benn mein SBerf
follte gefd^müeft merben, mie fein anbereS. Unb bann febrieb id). ®S mar
£jo4fommer, unb unter ben Dachziegeln ^crrfc^te eine graufame |>if}e; aber
ich gieng immer mieber bahin, mo jmei eingefefcte ®laSzieget mir Sicht
fpenbeten, unb enblidj maren beibe £efte doll. ©S maren dermorrene
©ebilberungen beS S33albe^ in ©rofa, unb ich foä fie meiner äUeften ©4mefter
dor. ©ie h^te mir mit ©ngelSgebulb ju unb ermunterte mich, mich noch
mehr im „Sluffafc" ju üben. Sich ©ott, im Sluffafc! Unb eS follien hoch
©ebiebte fein! Slber bei ©ebichten mar baS Rapier nur in ber 9Ritte bebrudt,
unb bann rnaren immer regelmäßige Stbfäfce ba; ba ftedte eS alfo! ©onSReim
unb SRhpthmuS ^atte ich no4 immer feine Stfjnung, unb niemanb mar ba,
ber mich unterrichtet hätte. 34 mürbe auch nicht gemagt h<4en, jemanben
banach ju fragen. 3BaS mufsten bie dom Dichten! DaS mar ja mie ein
SBunber, unb SBunber brauchte man nur zu glauben, ohne fie ju derftehen.
34 mar mittlermeiten oierjehn 3oh*e alt gemorben, auS ber elementar*
f4ule entlaffen unb follte nun Sehrer merben. Da trat ein großes ©reigniS
in mein Beben, baS ma4te mi4 jum Di4ter; baS mar mie ein plößlühtö
Dhaumetter, mel4eS baS ©iS fprengt unb baS ftrömenbe, na4 ©efreiung
brängenbe Element in jügellofer Freiheit einherbraufen läfSt.
34 mar nie über Sonn unb feine Umgebung hinauSgefommen, hö4f* en *
na4 S?öln, aber baS mar ni4tS meiter als eine große, frembe ©tabt, bie mi4
fatt ließ. Sluch mit meinem bort mohnenben Dnfel derbanben mi4 feine befonberen
^perjenSneigungen. 9J?it heimli4em ©4reden faß er meine feltenen @efu4e,
befonberS feitbem i4 in feinem ©ef4äfte ben Strähnen umgebreht hotte unb
baS ©pirituSfäfS4en faft ganz ausgelaufen mar. 34 fonnte eS nic^t mehr
jnbrehen unb mar in meiner ©emiffeuSnoth fortgelaufen, ohne £>itfe tyxfoei*
Zuholen, unb baS dergaß er mir nie!
3ef}t aber follte i4 mit meinem ©ater zu beffen ©ruber fahren, meit
hinauf na4 ber Sorelep! 34 fang ben ganzen Dag baS Sieb don ber
Sorelep, unb als mir nun auf bem @4iffe faßen, als bie Sahne unb
Dampfer an uns dorüberzogen, als glüffe, ©erge unb ©urgen dorüberglitten,
ba fühlte i4 mi4 mie in einem 3)?är4enlanbe. Unb bann erft baS alte
3e4*nhauS oben an ber Sorelep, bie Seifen unb SBälber, bie Biegen unb
Srunnen unb bie treuherzigen 2Renf4en! SUI baS hinterließ einen gemaltigen
©inbrud in meiner Seele, unb als i4 nun mieber baßeim faß, ba fd^rtcb
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SBie iefe SDic^ter rourbe.
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id) ein epoSäfenliefeeS ©ebiefet „3n ben Sergen", tuetc^e^ brei gan$e §efte
füllte. SReirn unb SRfefetfemuS fehlten aÜerbingS auefe feier noefe; aber eS lag,
ein gemiffer lonfaß in bem ©anjen, als ob eS nadj antifer SRetrif gebaut
märe. $oefe baS mar noefe niefet baS SBidjtigfte; bic ööUig neuen ©inbrüde,
bie id) in miefe aufgeuommen, brängten naefe neuer ©eftaltung. ©ineS
SbenbS gieng iefe an'S SRfeeinufer, fefete miefe im $)unfeln auf einen SBeiben*
ftumpf unb überliefe miefe bem £>eimmefe naefe jenen enfepidenben Orten, mo
mein Sater feine erfte Sinbfeeit üertebt, unb bie mir fefeon aus feinen
©rjäfelungen oertraut unb liebgemorben maren. ©rft füllte iefe in ungemiffen
©efenfuefetSempfinbungen, bie ©mpfinbungen mürben flarer, bann fang id) fie
ofene SBorte, bann fpraefe iefe bie SBorte im SRaufcfee ber Segeifterung
ftammelnb öor miefe fein, fpraefe fie mieber unb mieber; ber SReim, ben iefe
früfeer nur feier unb ba angemanbt featte, Rang mit aUer Seftimmtfeeit
feinburefe, bie SBorte feüpften auf unb nieber mie ein ©efeifflein auf SSetten
unb biefe gleicfemäfeige feüpfenbe Semegung maefete mir ungemeines Sefeagen:
fo etmaS gieng auefe auf unb nieber in ben ©ebiefeten oon ©efeiüer unb
©oetfee, unb iefe beclamierte unb trommelte ben 2act baju auf meinen
finien: leiefeMeiefet, fefemer; teicfeMeiefet, fefemer; leidjMeicfet, fefemer; leiefet*
leiefet, fefemer. Unb bann fprang iefe auf in grofeer ©rregung unb atfemete
tief: id) mar bem ©efeeimnis auf ber ©pur, iefe featte ben 2act gefunben,
featte bie Uranfänge ber ©efefce oon Steint unb StfeptfemuS entbedt! ©ntbedt,
riefetig entbedt: benn bis jefct featte mir fein SRenfd) baoon gefproefeen
Unb bann fafe iefe mieber ba unb beclamierte unb trommelte:
3n bie Serge, in bie Serge,
2luf bie Seifen unb £>öfe'it . . .
Unb alä iefe naefe £aufe gieng, featte iefe mein erfteS ©ebiefet fertig.
3cfe featte eS meinem ©ebäcfetniffe eingeprägt unb unter ber erften Straften*
latente gleiefe niebergefeferieben. $)ie ©tropfeenglieberung fefelte jmar noefe;
aber Steint unb StfeptfemuS maren entbedt, unb nun gieng'S meiter in jügef*
lofer, unerfefeöpfliefeer ©efeaffenSluft, unb mein oäterliefeer Sreunb, ber Beferer
©efemift, ben iefe in'S ©efeeimnis gezogen, rietfe mir, boefe jefct niefet fo Diel
flu fefereiben, fonbern ju märten, bis iefe reifer gemorben, meil iefe fonft
ipäter feinen ©toff mefer fänbe, ben iefe niefet fefeon bearbeitet. Sber iefe
laefete in feellem Übermutfe unb erftärte ifem, menn iefe nur ©apier genug
feätte, mollte iefe fefereiben ofene Staft, immerfort, immerfort; benn in meiner
Seele bränge eS fiefe öor lauter Siebern. Unb mirfliefe mar eS mir, als
muffe mein $>er$ fpringen oon all ben Siebern, bie barin feimten, als müffe
iefe fie feinauSfingen in alle SBelt. Sorerft feielt iefe biefe Sieber noefe gefeeim,
benn mer ©ebiefete maefete, mar oerrüdt, baS ftanb nun einmal feft. SIS
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£>ang (Sfdjelbad).
aber ber ftriebhof in Sonn eingemeiht mürbe, fdjmiebpte ich jmei ©ebichte
auf ben alten unb auf ben neuen Sriebhof unb fdjicfte fie bem SRebacteur
ber „Seutfchen SReic^^eitung" ein. giebernb ertoartete ich bie nächfte
Stummer, unb alg ich mich oerftohten 511 m zehntenmat an'g ©chaufenfter ber
„SRei^eitung" fchlich, um ju fehen, ob an ©teile ber alten Stummer
immer noch nicht bie neue hänge, ba ftoefte mein $erj in freubigem ©djrecf,
benn meine beiben ©ebichte prangten bafelbft untereinanber, unb unter beiben
ftanb fettgebrueft mein ganzer Stame. Sch lief burdj bie ©tragen unb fab
bie SRenfcben nicht, icb fab immer nur bag 3eitunggblatt üor Singen. 3ch
tuar gtiicflicb, mie nicht z« fagen, jefct mar ber Anfang gemacht, jefct mufften
äße SRenjchen, bafg ich dichter fei, jept lachte mir eine fonnige, glüefliebe
3ufunft! Sch munberte mich nur barüber, bafg bie SRenfchen fo mie an
aßen Sagen an'mir oorübergieitgen, alg ahnten fie gar nichts oon bem
Unerhörten, mag gefcheben.
Sag Sefte martete jeboch noch auf mich- 2Ug ich in ben Sräparanben*
Unterricht tarn, fafj ber ©chulinfpector fchon ba, ber mich immer bureb
feine golbene Srifle anfah, bie klugen jufniff unb hin unb mieber eine
S*ife ©chnupftabat nahm. @r fragte mich auffaßenb oft, unb alg mir nun
nach $aufe gehen foflten, ^iclt er mich 5 urücf unb fragte mich oormurfgüofl,
mie ich bazu fäme, ©ebichte zu machen unb bruefen ju taffen; ich faßte mich
lieber mit nüplichen Singen beschäftigen. Sich ©ott, mag hotte ber SRann
ein fchlechteg Serftänbnig für Soefie! Sch bemitleibete ihn oon ganzem
©erzen unb bachte, er rebete fo ju mir aug reinem Srotneib. 3<b uerfprad)
ihm, meiter feine ©ebichte mit meinem Starnen $tt oeröffentlichen; aber jept
erfchienen fie in tanger ^Reihenfolge im ©onntaggbtatt ber „SReichgjeitung",
mit ben Slnfanggbuchftaben meineg Stameng unterzeichnet.
©. 6 . — fo mürbe ich bon meinen ©enoffen fortan genannt —
fieng an, im SBeichbilbe feiner Saterftabt befannt zu merben. Unter ung
gefagt, man hielt mich für ^alb oerrüeft; bie Smparanbentebrer liefen eg
auch nic^t an ©pott fehlen, obfehon ich toufgte, bafg ber jüngere oon ihnen
felbft bestich fchlechte ©etegenbeitggebichte machte.
Sch trug mich aßen ©rnfteg mit bem ©ebanfen — ich mx noch nicht
15 3ab re olt —, mein „Srotftubium" an ben Stagel z u hängen: tuenn
ich dichter mürbe, brauchte ich fa nicht Sehrer zu merben. SRein ehemaliger
guter Sehrer ©chmip überzeugte mich ober ©egentheit; oon ber $unft
afleiu fönne man nicht leben, man müffe auch olg Soet einen Seruf hoben,
ber einen ernähre, fouft oerhungere man. ©elbft Sautug fei nicht nur
ber begeifterte Slpoftet, fonbern auch Seppichmirfer gemefen. ©r zeigte mir
bann bie ibealen ©eiten beg Sehrerftanbeg. Sch hörte aufmerffamer ju,
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2Bte id) Siebter rourbe.
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al$ er tiieQeid^t abnte. Einige läge fpäter überragte id) ibn mit einem
Oebidjte, bad iljm geigen füllte, mie icb ibn nerftanben:
Odas?
„3fdj »in Sdjulmeifter roerben!"
^cflaloja*-
©oll id) nun ein ^rörfter roerben,
bem Söalbreoier ju jagen,
Ober fofl im Süenft be$ Königs
3 $ ©eroebr unb ©übel tragen?
Ober foH icb Sieber bidjten,
$>ie mir ftill im <per$en gliiben,
©eifteSfunfen, roie ftc mandjmal
2 luS ber 2Jtenfd)enfeele fprüben?
©oH i<b fü^n baS ÜJleer befahren,
3icb’n nach fremben, roilben Sanben?
9tein, id) bleibe; benn eS ^ält mich
§ier mit taufenb, taufenb tauben.
9$ roiU nid)t nur 33rot uerbienen,
3öiö auch meinen 2öeg erhellen,
9BilI al§ treuer Wiener freubig
^n ber ÜJlenfcbbeit 5Dienft mich ftellen.
Eines fönnte mich beglüden
Qn bem bunflen ‘Xbal ber Erben,
könnte icb ein pfliebtgetreuer,
©d)lid)ter, rechter Sebrer roerben!
könnte icb ein Sebrer roerben,
dürfte golb’nen ©amen ftreuen,
©ern unb opferfreubig rooUt’ ich
SJlicb bem $ienft ber OJtenfcbbeit roeiben!
ftinberfeelen ju beglüden,
2 )ie im ©lanj ber Unfcbulb blühen!
©dbönfteS ©lüd beS freien OJtanneS,
©ine ©eele ju ergeben!
©olb’ne, reine ©aaten fäen.
ftür beS feimmelS grofee Ernte,
©ott, roie rodr’ icb $ir fo banfbar
3Benn icb jene ftunft erlernte!
O, roie roollt’ icb fte beroacben,
3fcne reinen Engelfeelen;
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£mn8 Efchelbach.
9ln bem läge ber Vergeltung
Sollte feine Seele fehlen!
§err, lafö mich bies ©lücf empfinben,
Sd)önfie3 ©lüd ber bunflen Erben:
O, lafö mich ein pflichtgetreuer,
Schlichter, rechter öehrer werben!
$a8 ©ebicht gefiel ihm; aber baheim fonnte ich mit meinen Verfugen -
nicht fo recht anfommen; man fah, baf^ ich burch bie Verfefdjmieberei bie
$eit jum Semen üerfäumte ober höchftenS Sinnig^ Voetif ftubierte, unb man
fuchte mir ba£ dichten ju üerleiben; aber e£ mar, als menn man in ein
Steuer blieS. @8 mürbe nur noch fd£)limmer; ich fdjrieb öiete |>efte üoU, unb
felbft ein umfangreiches, bichterifcf) fein fotlenbeS Sagebuch führte ich- eigentlich
fchrieb ich vielleicht nur be£f)olb fo viel, meil ba£ ©efchriebene mich nicht
befriebigte, meil ich 93effere8 leiften mollte.
Slber eS fang etrnaS in meiner Seele, unb menn ich SRufif hörte ober
ein ©ebicht taS, fang e£ lauter, unb ich muffte nicht, maS mir mar. ®af)eim
mürbe nach bem ÜKittageffen meift öorgelefen, oft fühlte ich mich tief ergriffen
oon bem ©ehörten, unb bann gieng in bie Sdjufe mie ein SGadjtmanbetnber.
2tm liebften börte ich meinem öielbelefenen Vater $it, menn er öon
Schiller erzählte, mie er auf ber Sarlsfdjule gemefen. Seclamierte aber mein
Vater bei feftlidjen Slnläffen „2>e3 Sängers Sluch" ober ein anbereS ©e=
bicht, bann fühlte ich mich in gehobener Stimmung.
Stunbenlang fonnte ich oor ben ©uchläben ftehen unb anbächtigen
JperflenS all bie fchönen 93üd)er anfehen. SBenn ich einen ®tel taS, ber mir
befonberS gefiel, j. 93. „$eS £>eraenS ©olgatha", badete ich mochenlang an
baS 93uch unb mar betrübt, menn es aus bem Schaufenfter perfdjmunben
mar. 93or allem intereffierte mich in ber UnioerfitätSbuchhonblnng ber ferner
ju tefenbe 9lame eines 9ttanneS, ber bie ftattliche Steihe aß ber 93ücher ge*
fdhrieben hotte, bie ba im Schaufenfter tag unb mir gemaltig imponierte. 3$
roufSte, bafS eS ein ©ngtänber unb ein großer Sichter gemefen. 3<h fcheute
mich, ben fremben ferneren tarnen laut auS$ufprechen, meil ich eS jebenfaßS
oerfehrt machen mürbe; aber menn ich oflein mar unb bie ®ugen fchfofS,
fah ich immer in ©olbbudjftaben baS eine SBort: Shafefpeare!
©nblich ftanb eS unumftöfjlich bei mir feft, ich moßte fo viele 93itcher
fchreiben mie biefer Shafefpeare, ich mollte ein dichter merben! ÜRein $u=
fünftiger 93eruf mürbe mir immer flarer. 3ch holte einmal in einer £umore3fe
gelefen, bie dichter fenne man an fraufem $aar unb an fchorf ju beiben
Seiten ber Stirn oortretenben Erhöhungen, bie fpottmeife „Sichterhörner"
genannt mürben. 38oh r hoftig, eS ftimmte! Traufe £mare unb Sichterhörner
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$öie ich Sichter würbe.
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hatte ich fchon! ©ineS SageS bat mich eine mir frembe SRalerin, mit ißr
in bie Sifla beS SanbrathS bon Sanbt ju gehen, nw ich öon *> cn jungen
Samen gejeichnet merben follte. Sie äRalerin fchenfte mir fünfzehn ©rofchen,
unb ich muffte bafür im ©artenhaufe mehrere Stunben lang ftiH fifcen.
Ser alte fianbrath fritifierte aulept bie Zeichnungen unb fagte einer Same,
bafS ihr ©ilb $u fdjarf marfiert fei unb ju fehr an baS ©rofil englifcher
‘Dichter erinnere, ©ott noch! 9Jfein ©eficht hotte alfo Ähnlichkeit ntit englißhen
Sichtern! 3efot toar eS ausgemacht: Sichter merben um jeben ©reis!
Slber mie?
©S mar feiner, ber'S mich gelehrt hätte; hoch ich nerfchlang alle Sücher,
beren ich hobhoft merben tonnte, gute unb Schlechte, Schillert Sramen unb
3nbianergefchichten. Sie Snbianergefchichten öerftanb ich atn beften; aber bie
inhaltlich nur halb üerftanbeneu ©ebidjte unb Sramen Scßiller'S ließen hoch
in meiner Seele mehr Slang juriicf, als äße Snbianergefchichten jufammen;
fogar Schiüer'S Sramenfragmente laS ich nnb munberte mich, hafs ich babon
nidhtS berftanb, rein gar nichts!
SiSher hatte ich ©chißer'S Schaufpiele nur gelefeit, mar im Sheoter noch
nie gemefen unb bettelte fo lange, bis ich bie Erlaubnis hotte, hinein^ugehen.
*uf bem Xheaterjettel ftanb baS fchrecfhaft frembe SJort Shofefpeare, man
gab ben „Saufmann bon ©enebig". Sen ©inbrucf, ben ber erfte Sh^t ber
OerichtSfcene auf mich mochte, tann ich nicht fchilbern. 3$ mar außer mir.
Sach ber Sorfteüung gieng ich nicht nach $oufe, fonbent an baS Sheinufer,
bahin, mo eS am bunfelften mar. Sie ©isfchoflen ächjten im Strom, fchneiben*
ber, bitterfalter SBinb fuhr mir ins ©eficht, aber er fühlte mich nicht; alles
brannte, alles glühte in mir. Sch mufste nicht mehr, maS ich thot, aber mit
auSgebreiteten Firmen lief ich bem Sturm entgegen unb bann fchrie ich milb
unb gellenb in baS Sunfel ber Stacht. Anfangs mären es unartifulierte
Schreie, unb bann mar ich ber 3ube, ber Sache forberte, mie ber im Schau*
ipiet. „SBernt ein Sube einen ©hriften beleibigt, maS forbert berShrift? ®r
forbert Sache! — Unb menn ein ©hrift einen Silben beleibigt, maS forbert
ber Sube? ®r forbert Sache. — Sache!" Sch fpielte bie gan$e Scene für
mich mit bem milben ©athoS eines leibenfchaftlichen finabenherjeitS. Sch fchrie
unb meinte, unb eS mar ein ©lücf, bafS fein 9Jtenf<h meit unb breit $u fehen
mar; man mürbe mich für oerrücft erflärt unb eingefperrt hoben, ©erftört
fam ich na <h &oufe. Sch hotte einen Sichter gehört, ich hotte bie Siunft, bie
große ftunft fennen gelernt unb ich marf mein Sagebuch, meine (Schichte unb
aDeS, maS ich gefcßrieben, in baS geuer.
©ine bämonifche ©lut fraß mir am .fperjcn, Sag unb Sacht ließ es
mir feine Suhe; ich mor tief uitglücflich. Äber bann fam ein milber Srofc
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ftans ©fcftelbacft
in meine Seele. 3cft ftatte einen Dicftter gefeften, ber ein SRiefe mar, unb ieft
modte eö aufneftmen mit biefem SRiefen auf Seben unb Dob. ©iö jefct ftatte
ieft gefpielt; aber nun fam bie Kunft, bie Kunft, bie mir näcftft ©ott unb
ber SReligion ba3 #eiligfte mar. Unb ieft fefcte mieft ftin unb feftrieb ein Drama.
SRatürlieft müf£te e$ ein ftiftorifefteö Kraftftüef fein; e$ fpielte in ber
franjöfifeften SReoolution, unb ade ligermenfcften ber bamaligen fotlten
in bent Drama eine SRode fpielen. Ein beutfcfter Sbealift al$ Opfer ber
SReoolution mar bie £>auptperfon be3 Dramas, baS ben oieloerfpreeftenben
Xitel „Slnt für ©lut" führte. 3<ft lief) mir oon bem alten ©räparanben*
teurer ben britten ©anb non SBelter unb trieb „©orftubien". Dann gieng
ieft an bie SluSfüftrung beS ©rofaftiiefeS. Sßäftrenb ber Slrbeit lebte ieft für
bie SRitmelt nicftt meftr, adeS fieberte in mir. SRebete man mieft an, fo gab
ieft gar teine ober oerfeftrte 2lntmorten, rief man mieft jum dJJittagStifeft, fo
ftörte ieft nicfttS, ieft oergafj ©peife unb Dranf, aber bie 3eber flog in frampf*
ftafter |>aft über baS Rapier. Die ©eränberung, bie in mir üorgieng, mar
fo auffadenb, bafö mein ©ater mieft oft beforgt oon ber ©eite fter anfaft.
Die ©erieftte ber ©räparanbetileftrer über meinen 31 eif$ lauteten ungünftiger
als je, eS gieng nieftt fo meiter: man oerbot mir, baS Drama fertig 51 t feftreiben.
21ber eS lieft mir feine SRufte, bie ©lutmänner ber SReüolution rüttelten
mieft au£ bem ©cftlaf, naefttS ftanb ieft auf unb feftrieb fteimlieft meiter. Der
3ufaH mollte eS, baf£ mein ©ater naeftts noeft in ber Kücfte SBaffer gum Drinfen
ftolte unb babei in meinem ßimmer baS üieftt bemerfte. 3<ft fefte iftn noeft,
mie er mitten in ber SRacftt fo beforgt oor mir ftanb unb mir fagte, baf£
ieft franf mürbe, ieft fode bocft um ©otteStoiden baS raftlofe ©eftreiben fein
laffen unb an mein ©tubium benfen.
Slnberen DageS naftm meine ältefte ©eftmefter, bie feftr energifeft mar,
mir baS äJfanufcript ab, um e£ $u oerbrennen.
3cft mar aus SRanb unb Sanb. dReine ©eftmefter, bie es aftnen moeftte,
mie eS in mir ftürmte, begnügte fieft, ba£ dRanufcript in iftrer Kontmobe
$u üerfcftlieften unb mir $u eröffnen, ieft mürbe baS Drama erft jurüefbefommen,
menn ieft bie dlufnaftmeprüfung am Seminar beftanben. SRur langfam beruftigte
ieft mieft. 3eft ftabe baS Drama nieftt aurücfoerlangt, unb als meine ©eftmefter
e$ mir naeft 3öftren freimidig gab, marf ieft eS unbefeften ins Seuer.
SRaeft biefen Sluftritten oerlegte ieft mieft ernftlieft auf baS ©tubium
ber Diefttfunft; ieft laS ade tfteoretifeften ffierfe, beren ieft ftabftaft merben
fonnte, unb oft jmeifelte ieft an meinem Dalent. 3« einer SebenSbefeftreibung
ßorreggio’S ftatte ieft einft gelefen, bafö er ooder 3^eifel an feinem Können
in eine Kunftfammlung gieng, bort bie SJerfe grofter dRaler betraefttete unb
enblieft in gereefttem Künftlerftolje anörief: „Slueft ieft bin ein dRaler!" Das
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SBte t<h Dichter lourbe.
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fetbftfyerrlidje SBort mar mir mie aus ber Seele gefprochen; aber menn ich
meine eigenen ©ebidfjte fritifierte ober bem mohlfeilen ©efpötte meiner ©enoffeit
auSgefefet mar, jmeifelte ich oft baran, ob ich je baS Stecht hoben mürbe,
gleich ©orreggio baS ftolje SBort ju rufen: „2Iu<h ich bin ein Dichter!"
3dj nahm mich in ftrenge Selbftjucht, nnb unerbittlich jerpflücfte mein
falter SBerftanb bie Sr^eugniffe meiner heißblütigen s JS^antafie. SBenn ich c $
hoch nur gemufft holte, bafS ich ein dichter gemefen; aber ich wogte nicht
mehr, mit meinen ©ebichten oor meine Eltern %u treten. DaS dichten mar
ja etmaS, maS mich om Sortfomnten hinberte.
SSieteö, maS ich in bamaliger 3eit trieb, höbe ich oergeffen; aber
einer Stunbe erinnere ich ntic^ noch mit voller Klarheit, einer Stunbe, bie
für mein ganzes fiebert entfcheibenb mürbe, einer Stunbe, ba ich mir fchwur,
ber Kunft treu ju bleiben auf allen Dornenmegeit. 9Rein fpätereS fieben mar
ebenfo reich an Erfolgen mie an Entlaubungen, unb früh empfanb ich c $
bitter, bafS berjenige, ber fidj ber Kunft oerfchmorett hot mit ganjem |>er$en,
allzeit alSTtn einfamer äßann burchS fieben geht; aber ich höbe eS nie bereut,
jenen Knabenfehmur, mit bem ich ntein gon$eS Sein ber Kunft Oerpfänbete,
nicht gebrochen ju hoben.
Enblich aber, ich war etma fieb^ehn Sahre alt, fam auch ber klugen*
Mief, ber mich für tiiele Enttäufchung, für mannen Spott, für langes, ehr*
licheS Arbeiten im Dienfte ber Kunft entfehäbigte.
Unter ben neuen ©ebichten, bie ich fortan nicht mehr öerbrantfte,
befanben fidt) auch ©atlaben unb anbere erjählenbe Dichtungen. Sch benufcte
eine gute Stunbe, ba SBater unb SJtutter gerabe allein maren, unb laS
ihnen mein neuefteS ©ebid^t oor. ES führte ben Ditel „Sicht unb Schatten".
£ochaufathmenb fchlofS ich nteinen begeifterten ®ortrag: hoch ftatt beS
erhofften SeifallS blieb alles ftumm mie in einer Kirche. Enttäuscht fah ich
auf SSater unb SKutter. Sie faßen ftiH ba unb fagten fein SBort; aber in
ihren ®ugen ftanben Dfjränen. Da 50 g ein munberfeltfam ©efühl in mein
£er$. Stumm gieng ich onS Senfter unb ftarrte hinaus, bis mir bie meite
SBelt oerfchmamm in einer h^ßen, brennenben ©lücfSthräne. Unb in jener
ernften SBeiheftunbe jubelte meine Seele jum erftenmal baS ftolje SBort:
„Sluch ich &in ein Dieter!"
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Rundschau
Der Vntheil ber ßatholüen am atabemifchen Sehramte in
S x e u 6 e n. Der ftönigSberger Ehemifcr Stofeffor Soffen batte fich am 27. Januar 1898
an ben Vttnifter Stoffe mit ber Sitte geioanbt, „auS ben im OJtinifterium befinblichen
Verfonalacten ftatiftifcbe Ermittlungen &u fchöpfen über bie inährenb ber lebten
25 3fabre an ben preufjifcben Unioerfitäten thätigen Stofcfforen unb Docenten, welche
hauptfächlich beren Eintritt in ben UnioerfitätSoerbanb, i^re Seförberung in bemfelben
unb ihren Austritt auS bemfelben, ihre Eonfeffton unb ihre Heimat betreffen", unb
ber ÜJltnifter batte biefe Eingabe am 2. 9Jlär$ beSfelben Qah*e$ babin beantwortet,
bafS ber E.nficht in bie Serfonalacten beS ÜJlinifteriumS $u bem gebauten 3n>ede
nichts im 3Bege ftebe, bie Veröffentlichung oon VctenauSjiigen jebocb ber minifteriellen
©enebmiguitg oorbehalten bleiben müffe. 5Xuf Evunb biefer 3ufage bat bann Srofeffor
Soffen feine Stubien über ben 3eittaum non 25 Semeftern (1884/5 bis 1896/y7) an
Ort unb Stelle gemacht.
DaS Ergebnis biefer Stubien liegt nun in befcbreibenber unb ta^eHarifcber
3orm oor*) DaS Eanje jufammenfaffenb, fagt ber $önigSberger Swfeffor ju
Eingang feiner Arbeit:
1 . Die 3abl ber tatbolifcben Docenten an ben preu&ifdjen Unioerfitäten fleht in
einem auffaflenben ÜJUfSoerbältniS $u ber 3ahl ber fatholifchen Staatsangehörigen
VreufeenS. SBährenb bie Seoölferung 34,5 s Jteocent ftatholifen jählt, waren non
ben währenb ber 25 Semefter au ben Unioei ft täten tbätigen Docenten nur 13 s Jteocent
fatbolifd).
2 . ‘Die fRiicfftänbigfeit ift -inbeffen nicht gleich bei ben. einzelnen Eiaffen ber
Docenten. Scrücffkhtigt man bie Docenten aller JJacultäten, fo waren oon ben
Orbinarien 18,3 Srocent, oon ben E^traorbinarien 13,8 Ikocent, oon ben Stioatbocenten
9 ^ßrocent latholifch- Setrachtet man nur bie brei weltlichen Sacultäten, fo mären in
biefen oon ben Orbinarien 16,5 Srocent, ooit ben Eytraorbinarien 12,4 'Jkocent,
oon ben ^rioatbocenten 8,7 Srocent' fatholifch. DaS Verhältnis ift bemnach für bie
*) „Der ^Intheil ber ftatbolifen am afabemifchen Sebramte
in Sreu&en". Von Srof. Dr. 2Bilhelm Soffen. s J!ach ftatiftifchen Unterfuchungen.
(2. Vereinsfchrift ber EörreSgefcllfchaft für 1901.) ftöln, 3- $ Sachern, 1901.
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Nunbfcbau.
lölt
lüatholifen am günftigften in benjenigen ©tellungen, welche unter 3Ritwirfung ber
3 facultäten non ber ©taatSregierung befefct werben, am ungünftigften in benjenigen,
in welche jeber, alfo auch jebev fatbolifcbe (belehrte, ber bie Befähigung jur
Befletbung berfelben nadpoeiSt, eintreten fann, wenn er will. (?)
3. 5)ie Beförberung ber wenigen Äatbolifen, welche als ©ytraorbinarien ober
Brioatbocenten an preujjiidjen Unioerfitaten in ben erwähnten 25 ©emeftern lehrten,
war nicht fehlerer als biejenige ber Nicbtfatbolifen.
4. ©eit bem 3- 1870 bot bie 3obl ber fatbolifdjen Orbinarien in ben brei
weltlichen gacultäten augenommen, unb jwar nicht nur bie abfolute, fonbern auch
bie relatioe 3 obl berfelben. dagegen ifi bie abfolute 3 obl ber fatbolifchen ©ytra
orbinarien unb Brioatbocenten nicht im gleichem 9Raße geftiegen: bie relatioe 3 <*bl
berfelben bot abgenommen.
AIS ©cblufsfolgerung fpriebt ber Verfaffer ben ©ab ouS, bafS baS Angebot
an fatbolifchen Brioatbocenten febr ungenügenb fei gegenüber ber Nachfrage.
Entgegen manchen fatbolifchen BreiSftimmen $eutfcblanbS mufS b erüor 0 c ^°ben werben,
bafö Soffen feineSwegS beabfiebtigt bat, bie preußifebe Negierung oon ihren begangenen
©iinben rein ju wafchen; baS wäre ein tböricbteS Unterfangen. AIS 9Rann ber Söiffen*
fchaft, ber bie beutlicbe ©pracbe ber 3 obkn oerftebt, bot er oielmebr fräftig auf bie
imparitätifche Bebanblung unter bem SRinifterium non Naumer unb beren beute noch
fühlbare folgen bingewiefen, ohne bie klugen gegenüber ben auf fatholifcher ©eite,
begangenen Reblern ju oerfcbliefeen. $)enn wenn 1870 noch 11,22 fßrocent aller ^rioat*
bocenten ber brei weltlichen ftacultäten fatbolifch waren unb 1896 97 nur noch 6,97 $ro*
cent, fo fann man nicht fagen, bafS bavan bie Negierung allein ©chulb fei, wenngleich
bie fdjlechte Bebanblung ber fatbolifchen Brioatbocenten wäbrenb beS ftulturfampfeS
oon ©eiten ber Socultäten unb auch bet Negierung oom Verfaffer nicht geleugnet,
fonbern auSbrüdlich anerfannt wirb. (Sine gewiffe Abfcßredung lag barin, bie jeboch
auf bie heutigen Verbältniffe in feiner Söeife mehr pafSt. — 3)ie Arbeit Soffen’S
ift unenblich mübfam gewefen; fie bot eine ©ntiagung gefoftet, bie nur ber oerftebt,
ber ähnliche SRaterialien burchgearbeitet bot; fte bietet Sehren, bie mutatis
mutandis in jebem Sanbe beberjigt werben follten, um bereutwillen weitefte
Verbreitung berfelben im böcbften ©rabe erwünfeht ift. ©S wäre aufjerorbentlid)
banfenSwert, wenn ber Verfaffer in ber halb notbwenbig werbenben Neuauflage
ber Arbeit ftch mit feinen aablreichen ßritifern, benen er §um Xbeile fchon geantwortet
hat, in einem eigenen ©apitel auSeinanberfefcen würbe. 2Ser ben in ber ©ebrift
an 9 e ^genen Verbältniffen einigermaßen nabe geftanben bot, fann ben Ausführungen
nur tn allen fünften beiftimmen. B.
* *
* /
Rechner über bie ßunft. Rechner war jwar fein Zünftler, aber unfireitig
ein ÜRann oon Urtheil. 3n einer großartigen Betrachtung feines „ 3 enb Aoefta"
über bie Einordnung beS 2öabren, ©Uten unb ©cbönen ju ©ott findet ftch eine
©teile (Saßwi&’fche Ausgabe, 1901, I, 236), bie eine fo feinfmnige Auffaffung oon
bem 3wede ber Äunft unb bem 2Befen beS ©cbönen offenbart, bafS wir nicht umhin
lönnen, fte bi** folgen ju laffen:
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160
föurtbfdjau.
„Die Äunft mag praffen mit färben unb mit Dänen, hoch geht fic enblüh
betteln, roemt fte nicht fteht unb bleibt im Dienfte be« aüerhödpten Zünftler«.
„SBiel 3i*rliche« unb roa« jur Suft be« 2luge«, mag be« 'JJlenfdjen $unft oer*
fertigen, hoch bleibt’« nur ßünftlichfeit unb Danb, oermag’« nicht etroa« non be«
ganjen ©otte^ SBalten unmittelbarer, anfc^aulic^er unb flarer jur ©vfenntni« un«
ju bringen ober tiefer $u ©emüt *u führen, al« bie 2öelt unmittelbar e« felbft oermag.
3hr Schauplafc ift ju grob, be^ SJlenfchen 53lidt ju furj. oermag bie ganje nicht auf
einmal ju umfpannen; ba« SBalten ©orte« hol ju tiefen Sinn, ber menfdjliche
©erftanb bringt gar ju lanafam ein, ergreift ber ßette ©lieber einzeln, nicht bie
ganje $ette, je mehr er ftch oertitft, fo mehr oerbuntelt ftch’«; fo gilt e« nun (mit
Jrilfe ber $unft, b. *K.) im Meinen Spiegel an ber Oberfläche ju jeigen, roa« im
©roßen un« ju grob, an Diefe un« ju tief unb burch bie Diefe bunfel. Unb roie
ber Zünftler bie 2Belt mit ©ott in’« kleine jiebt, fehn mir in feinem Döerf nun
auch bie 2Öelt unb fpüreit brn Obern ©otte« brin; rote er ba« Diefe an bie Ober^
fläche h c H f*hn mir i m Schein ber Schönheit b;e ÜBahrheit heller unb fühlen,
folcher Schein ift nur ber böchfte ©lanj oom Sicht ber SSahrheit felber, ber jur
©rleuchtung ber SBelt auch bie ^erflärung fügt. Die ftunft, bie nicht« al« ftch
oerflärt, ift nicht bie rechte ßunft unb thöricht, rühmt fie ftch, fie fei fich felbft
genug. Sie gleicht mit aller ihrer Schöne nur bem $erflärung«fchein am ^Kiupt
be« Jpeiligen. Daf« er ben ^eiligen fichtbar macht al« Sicht oon feinem eigenen
Scheitel, ift’«, roa« allein be« Scheine« Schöne macht. Der heilige oerflärt ben
Schein, unb brum ber Schein ben ^eiligen. Der allergrößte ^eilige aber, ba« ift
ber heilige ©ott.
„9£er fchelten roill bie ßunft, bai« fte im Äirchenbienft ba« ©örtliche Durch’«
Sinnliche oerfleibe, ben ©eift, ber auf be« ©eifte« ©efen nur gehen foH, burch
äußern Schein befteche,.ber roeiß nicht, baf« bie rechte ßunft nicht bie ift,
bie ben ©eift noch mehr oerfleibet, oielmehr bie burchfeheinenb macht ba« llleib, baf«
burch ba« ftleib ber Seib unb burch ben Seib ber ©eift erft hell unb beutlith fcheine;
ber hat ben Sinne« rei^ gemeiner ftunft, hoch nicht ben Sinn ber rechten äunft
im $luge.
„Die fünfte ftehn nidht bloß im Dienft ber Kirche. 5öeit ift ihr Schauplafc,
reich ihr Stoff. Doch ift’« allein bie Kirche, in beren Dienfte alle fünfte ftch int
roahren Sinn ber Äunft oerfnüpfen formen. Unb nicht anber« foll*« mit ben fünften
fein al« mit ben OJlenfchen, bie jroar nicht immer gemeinfam in ber ftirdhe roohnen
unb ju fchaffen haben, hoch au« ber Kirche in ihre befonbern Käufer unb alle welt¬
lich* SBerroicfelung unb 3erftreuung ben Sinn mitnehmen follen, ber fte gebenfen
läf«t # fte bleiben überall be« §öchften Diener unb trüber ju einanber." A. M.
fRebacteur: Dr. 5 r a n j Schnürer.
3 of. Äotb'fdje Setlöfl«bu^aitMun 0 . — ©udjbruderef«mbr. Oplfc, ©len.
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Der Katbolicismus und das XX. Jahrhundert.
Bort Jvfep ti Iftrn.
ie her ©chlufS eines bürgerlichen gaßreS bent ©ingelnen oft einen gern
benü^tenStnlafSbietet, um in feinen ‘’Prioat» unb perfönlichenSachen
Dücffchau su halten auf Vergangenes unb oorfchauenb unb berechnenb bie
3ufunft su ermeffen, fo ift eine gahrßunbertwenbe für fo Wancßen ber
wißfommene 2luSgangSpunft su einer ■üöhenperipectiue über «fragen unb
Dichtungen aßgemeineren ©harafterS. $er Übergang oom 19. auf baS
•20. ^ahrhunbert hat eine erflecfliche Slngaßl folcher Überblicfe geseitigt. 28aS
als unbeftritteneS Vetbienfl, als wahrhaft große ©rrungenfcßaft beS ooßenbeten
Zeitraumes bafleht, namentlich auf bem großen ©ebiete empirifcher gorfcßung unb
genialer ©rfinbung, finbet babei — wie fönnte es auch anberS fein — ein*
ftimmige, lobpreifenbe SSürbigung. $afS biefe ©inßeßigfeit oeriagt, fobalb
bie Debe geht oon principießen, grunblegenben 2lnf<hauungen, bei benen Wa§
unb 3aßl nicht mehr baS alleinige Kriterium bilben, ift begreiflich. 2lber
biefe Slifferengierung geht bei ben ©inen mitunter bis sur ooßftänbigen
Degation beffen, was auf ©eite ber Slnberen Sache bet Poßften inneren
Überseugung ift. gn nicht su oerbeffernber DeprobuctionStreue fpiegelt fleh
barin ber gewaltige ©eifterfampf beS surücfgelegten ©äculumS. Unb bei
feinem Vunft tritt biefer ©egenfap fo augenfäflig su läge, als ba, wo bie
©prache fommt auf cßriftlicße SBeltanfchauung, fpecieß auf ben ItatboliciSmuS.
S5en ©inen ift berfelbe wenigftenS noch eine Wacht, welche, eben beShalb, mit
bem gangen Düftgeug ber SSiffenfchaft, mit aßen Wittein aus ber SBaffen*
fammer beS ©eifteS gu befampfen ift; Slnbere nehmen oon ihm nur noch
Dct als oon einem ©ernennen, baS in feiner ben Diebergang oerbürgenben
Inferiorität gum Witleib ober gum £>ohn bewegt, ßöchftenS nod) eines lebten
©nabenftoßeS gu feiner Vernichtung für immer bebarf. gn eine biefer beiben
Äategorien gehört ein fehr großer Sßeil ber iüngften ©äcularwerfe, foweit
fle oon ben angebeuteten Urincipienfragen hanbeln. Siet Äatßolif, welcher
biefen Shatbefianb oerfolgte, mag mit ©ehnfucht auSgeblicft haben, ob fleh
benn auf bem weiten, aber lebhaft befahrenen Weere ber ©äculorpubliciftif
nicht ein gaßrgeug finbe, baS mitten unter ben oiclen fremben unb feinblidjen
«flaggen fein luftig gefpannteS ©egel mit bem Seichen beS ÄreugeS hochgu*
hatten oermöge, ©erabe oor ©chlufS beS erften gaßreS nach ber 3fahr*
Sic «alte. ui. 8. $cft. (1908.) 11
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3ofeph fctrn.
hunbertwenbe bot fld) ber böcbwißfontntene Sährmann gefunben,*) wiflfommen
feinen ©laubenSbrübern, beren Sache er in ebler §ornt unb grifteSgewaltiger
©ewanbtheit vertritt; wißfontmen aber bod) wohl and) allen jenen 9lnberS*
benfenben, toeldje einen ehrlichen, ritterlichen Kampf führen woßen, bei bent
eS ftd) nicht um Sefriebigung niebriger Seibenfdjaften, fonbern um ben
erhabenften Kampfpreis, bie Wahrheit, hanbelt.
©hrharb ‘ift nicht weniger £>iftorifer als Theologe, unb fo barf wobt
auch ber &iftorifcr non feiner prächtigen ©abe banbeln, bie er ber cbriftlicben
SBelt auf ben ©eihnachtstifd) gelegt hat. Schon mit ben erften Säften fteßt
er uns in medias res, ba er brei cparafteriftifcbe Srfdjeinungen oor 9lugen
rücft, bie jeber fehen fann, ber nicht 93ogeIjtrau§politif treibt: ber KatholiciSmuS
gilt Sielen als ber gefäbrlicbfte ©egner ber mobernen Kultur, in ben fatpo*
lifchen Sänbern ooflzieht ftd) eine ftetS pnepntenbe ©ntfrembung Don ber
Kirche, in einer äRenge non ©rfcheinungen tritt wacpfenbe Unpfriebenheit
mit fachlichen Serhältniffen p Sage. tiefer Freiheit beS XpatbeftanbeS
entfpricht eine breifache Srage: 38ie ift bie jeftige Sage cntftanben ? 3Borin
befteht ber ©egenfaft gtüifcften Kirche unb moberner Kultur? SBelche 9luf*
gaben harren ber Kirche beS 20. SahrpunbertS? 3ur ^Beantwortung biefer
grragen, fpecieß ber erften, feftt ©hrharb beim SRittelalter ein als (bod) nur
in gewiffcm Sinne) ber Beit ber Slüte beS KatholiciSmuS, als ber 3eit auch,
in welcher ftd) bie SBurzeln ber fpäteren ausbreiten. $ie beiben höchften
©ewalten ber ©rbe ftnb innig Derbunben, bie beS 3$apfteS unb beS KaiferS,
ein SerbältniS, für jeben oon beiben förberlid), wenn auch nicht in gleichem
SRafee. XaS Kaiferihunt fcpöpfte moralifche, baS 33apftthum bagegen nur
phhftfcbe Kräftigung. $>iefer Serbinbung entfprad) bie gegenfeitige ®urd) s
bringung beS ftaatlichen unb !ird)lid)en SebenS, eine Ihatfacpe, bie bei
Setradjtung beS SRittelalterS nie aus bem 91uge p laffen ift. ©er baS bei
Sehanblung ber mittelalterlichen @efd)id)te unterläfst, imputiert leicht „bem
3}apftthum bie folgen Don ©runbanfchauungen, beren ftehlerhaftigfeit bem
mittelalterlichen SRenfcpen gar nicht pnt SewufStfein tarn unb bie in leftter
Sinie in allgemeinen Kulturoerhältniffen wurzeln". 2)aS ift fein wiffenfehaft*
lieber Sorgang, fonbern wie im Säße &oenSbroed) 9$amphlctfchreiberei ber
fchlimmften Sorte. Stad) biefer s JRethobe erfolgte and) fo oft bie 9luSfd)rotung
ber ^ttquifition, „beren ©efd)id)te ben Doßgiltigen SeweiS erbracht hat* wie
lange eS bauerte, bis bie Überzeugung gewonnen war, bafS geiftige Bewegungen
nur burch geiftige Mittel innerlich beftegt werben fönnen, unb bafS bie
^CHeinherrfchaft ber fatholifchen Kirche ohne 2lßeiitherrfd)aft beS fatholifchen
©ebanfenS in aßen Schichten ber ©efeßfdjaft ein ^ing ber Unmöglichfeit
fei", ©rgriffett flehen wir mit ©hrharb „beim 2lnblid beS ungebeuren r SlenbS,
*) 2>r. 911bert (Sh*harb, ber KatholiciSmuS unb baS jwanjigfte
3[ahrhunbert im Sichte ber fachlichen (Sntwidlung ber Neuzeit. (Stuttgart unb 98ien,
3of. ßtoth, 1902, X unb 416 ®., 8°, 4 TI. 80 *ßf.)
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3)er KatboliciSmuS unb ba$ XX. Qabrbunbert. 163<
baS bic Snquifttion in ftd) üerförpert", aber bie ©erechtigfeit oerlangt zu
betonen, „bafs (bereits) baS Xrientner Goncil nicht baran bachte, biefeS mittet-
alterliche Machtmittel aufzufrifdjen unb bafs eS fchon bantalS nicht als ein
bleibenbeS Snoentarftücfber fachlichen $)tSciplin betrachtet mürbe". 3m 2luS-
qang beS Kampfes ber Zapfte gegen bte &ohenftaufen fteht @t)rt)arb ben „Sieg
beS ©eiftcS über phoftfehe ©cmalt", moburd) bie Gpriftenheit „oorn mieber*
attflebcnben antifrömijehen 3ntperium" gerettet mürbe, aber nicht einen
„perfönlichen" Sieg ber köpfte, bie vielmehr „tobmübe" aus bem Kampfe
jehieben. Sie Kataftrophe aber unter ©onifaz VIII. bebeutete bie Mahnung,
„bafs bie mittelalterliche Macptfteßung beS ©apfithumS nicht ein mcfentlicher
Seftanbtheil beS 9teicheS ©otteS auf Grben ift" unb „bafs noch ein höheres
3beat päpstlicher ©irffamfeit in bem ©ebanfen beS ©apftthumS liege,
als rnaS bis zu jener ©tunbe im Mittelalter oermirflicht morben mar".
Gine berartige, ebenfo fachlich correcte mie gerechte ©ürbigung beS
Mittelalters ift meit entfernt oom „©ejtreben, bie fachlichen Seifhingen biefer
Seit mit Sähigfeit feftzuhalten unb (oon) bem ©mtiche, bie Beit felbft mieber
aufleben zu laffen." Sen ©chmörmern, bie bieS moßten, hält fte oielmehr bie
irrage entgegen: „©o fteht eS gefchrieben, bafs ben fachlichen 3nftitutionen
beS MittelatterS in ihrer concreten Sorm abfotuter ©ert zufommt?" „$en
©orzug einer ©eriobe aßen übrigen gegenüber fönntenur berjenige beftimmen,
ber einen Ginblicf befäße in ©otteS unerforfchliche Stathfchlüffe unb einen
Überblicf über bie ganze hiftorifche Gntmicflung beS GhriftenthumS." SiefeS
Maßbalten binbert feineSmegS bie ooße $hterfennung ber mittelalterlichen
Meiftermerfe „auf allen ©ebieten beS Kulturlebens", zu benen baS in ftolge
ber unbegrenzten 3nbioibualifterung ftißofe 19. 3abrbunbert bemunbernb auf-
zublicfen alle Urfache hot. 3n fchönen ©orten zeichnet Gbrbarb, mie ftch neben,
nicht gegen ben geiftigen pochbau beS Mittelalters bie ©djolaftif, bie Mpftif ge-
fteüt hot. „Grlofchen mar baS glänzeitbe, blenbenbe Sicbtmeer, baS ben
mächtigen Sorn ber mittelalterlichen ©lütezeit burchflutete," bafür fpenbetc
bann „ein Gmiglicbtlämpcben" ben religiöfen Seelen Sicht unb ©ärme. @3
ift ein ähnlich finniges ©itb, mie Samprecht einmal bie chriftlidje £>qmnif bie
©affionSblume genannt hat, bie bem ©lute Ghrifti entfproffen.
®en Übergang zur neuen Beit marfiert am prägnanteften ber bemufste
©egenfafc ber £>umaniften, namentlich ber jüngern, zu ben ©cbolaftifern. SaS
Unrecht beiber hat Ghrharb pröciS gezeichnet: bie Grfteren fteUten ftch gegen bie
Kirche „meil fte biefelbe mit ihrer mittelalterlichen Gricheinung ibentificiertcn":
bie anberen „hielten frampfhaft feft an biefer mittelalterlichen Grfcheinung,
meil fte biefelbe mit bem ©eien ber Kirche üermecbfelten." GS gab eine Krife
für bie Kirche, bie fte ohne ihre „unzerftörbare Kraft" nicht überftanben hätte.
3)enn bie bamaltgen köpfte als „gottbefteßte ©achter" haben ihre Aufgabe
„nicht gelöst, menn auch menigftenS einige unter ihnen eS an ©erfueben nicht
fehlen ließen", dagegen hoben eben btefe SRenaiffance*©äpfie „ben ©emeis
bafür erbracht, bafS bie Kirche feine Tychtbin ber Gioilifation, ber inteßectueflcn
11 *
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Sofepb $irn.
unb äftbetifcben Seftrebungen bcr 9Renfd)beit ift", unb bcr ©iferer für
baS §umanität3ibeal bat alle Urfacbe, bicfe Zapfte als „SBobltbäter bcr
üRenfcbbeit" zu bretfen. Siefe Senter ber Äircbe, benen „baS Sott mit feinen
religiöfen unb ftttlicben 9Wtben aus ben Stugen oerfcbwanb", butten auch nicht
baS 3eug, ben ©türm, genannt bie ^Reformation, zu bannen, kulturelle unb
nicbMortfcbrittliche SRomente buben bie ^Reformation geförbert: bie Such*
brudertunft, bie emportommenbe „9Racbt ber politischen Autorität in tircblicben
Gingen" unb bie ftarfe ‘JJerfönlicbfeit ber ^Reformatoren, bie, fo beflagenäwert
ibr SBert, große 3iele verfolgten mit erftaunlicber ©nergie unb ben burcfc
greifenbften SRitteln. Sie folgen ber fircblicben ^Revolution liegen am Sage:
ba3 barbarifcbe Cujus regio, ber „ertremfte ©ubiectivtömuS, ber an bie ©teile
ber einen fatboliicben SBabrbeit fed)£ verfcbiebene, einanber wiberfprecbenbe
religiöfe ©runbauffaffungen fefcte", bie Unterorbnung be3 ©briftentbum3 unter
ben ÜRationalgeift, wa£ einen SRüdfcbritt in bie vorcbriftlicben 3eiten bebeutete,
(bieä ein befonberS lefenäwerter Slbfcbnitt bei ©brbarb), bie ©rftarfung be3 sming*
gewaltigen ©taatefirchentbumä unb „ber beginnenbe 2lbfaH von bem SOBefen
beä biftorifdjen ©briftentbumä felbft". Sa£ ftnb Srücbte, bie bereits gereift
unter bem Saume liegen; ein ftcbereS Urtbeil über ben „©efammtwert" beS$ro=
teftantiSmuS, ber ja noch nicht ber Sergangenbeit allein angebört, will ©brbarb
nicht fällen, ©ern erfennt er an, bafS ber ^ßroteftantiSmuS „auf ben ©ebieten
beS inteHectuellen, focialen unb allgemeinen fulturetlen Sebent, bant ben
cbriftlicben kräften, bie auch in ihm mirffam ftnb, unb bant ihrer Serbinbung
mit tbatfräftigen SoltSftämmen Seiftungen hoben unb bleibenben SBerteS
bervorgebradft bot", er bot boeb „vom SBefen beS ©briftentbumS genug für
ftd) gerettet, um auch zur OueHe ed)t religiöfen Sebent zu werben". 9lnt
wenigften tann er ftcb mit bem katboliciSmuS in praftifeber öinftebt „auf bem
©ebiete ber etbifdjen unb focialen SebenSfübrung im Sienfte ber Religion
unb ber Utäcbftenliebe" meffen. Sei 2Riffionen ftört ben 'ißroteftantiSmuS fdjon
fein nationaler ©baratter. 3>nfomeit er ftcb in ber Stolle eines „febarfen unb
gefebäftigen ©enforS" gefällt, ift er ber aUergeringfte ©ebaben für bie tatbolifcbe
kirebe. ^ebenfalls „fträubt ftd) bie djriftlicbe SetracbtungSweife ber ©efebiebte,
in ber ^Reformation nur SRegativeS zu erbliden". Sabei mufS ber katbolit
burcbauS nidjt irre werben an ber Überzeugung vom SBerte feiner kirebe,
welche Überzeugung ihre unerfcbütterlicbe ©tüfce bot in ber Sbatfadje,
bafS bie tatbolifcbe kirebe allein in ununterbrochener Kontinuität beftebt feit
ben Sagen ©brifti unb ber Slpoftel, bafS fte „baS ganze ©briftentbum befifet"
unb bafS in ihrem ©cbooße alle Sölfer aller Seiten ‘’ßlafc ftnben unb ihr
allein von SInfang an univerfeller ©baratter eignet. Sarin erbebt fte ftcb „über
iebe religiöfe ©emeinfebaft, bie je von SJtenfcben unter 9Renfcben gefebaffen würbe,
unb rechtfertigt biftorifd) ib*en Slnfprud) auf göttliche ©rünbung unb gübrung.“
Sin bie erften Verluftreidjen Subtzebnte ber fReformationSftürme reibt ftcb
bie SJeriobe ber fatbolifeben SReftauration, für beren gerechte Seurtbeilung ftetS
baS SBort von ©brbarb zu beherzigen fein wirb: „Siefe SRüderobermtgen Vollzogen
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$er ßatboliciSmuS unb baS XX. Sahrpunbert. 165
ftch im großen unb ganzen nicht auf tpeologifcher ®runblage, fonbern auf ber
juribifepen beS lerritorialfpftemS, baS beibe ©egner in gleicher SBeife ptincipieU
anerfannten unb tpatfächlicb anmanbten". Aber bie toenigften, melcpe „fiep
über bie ®egenreformation ftttlicp entrüften", geigen biefeS ©efüpl, memt fie
Bon ber Einführung ber Deformation panbeln. 2>afS jene Seit ber Eroberung
unb Dücferoberung einen abfcpließenben EonfeffionaliSmuS begünftigte, hat
für ben objectioen Seobacpter nichts SefremblicpeS, benn nur barin
lag für jebe Dichtung bie ©ernähr ihrer Erifteng. SeflagenSmert aber
mar bie Abfcpließung infofern, „meil fie baS ©efühl für baS ©«nein*
fame unb bie Entpfinbung ber Dothtoenbigfeit einer fchließlichen 9QBieber=
Bereinigung, bie ja bie Aufgabe ber fircplicpen 3ufunft im Abenblanbe
fein mufS, abfehmäepte unb gu gegenteiliger Serfennmtg unb Serurtpeilung
ohne BorauSgepenbe Prüfung führte". ®er Sefuitenorben, baS bebeutenbfte
SBerfgeug gur Durchführung ber Deftauration, ein großer Sunb, mie üöher
einmal fagt, Bon gemeipten Dittern beS ©eifteS unb ber Äraft, finbet bei Ehrharb
eine gang unb gar BorurtpeilSfreie SBürbigung. Er fießt feft: ber Drben ift
firchenrechtlich ebenfo berechtigt, mie jebe anbere fatholifche OrbenSerfcpeinung
aber auch nicht mehr als eine anbere; in feiner ftrammen Drganifation über*
nahm er eS, ber entfehiebenfte Verfechter beS AutoritätSprincipS in ber
Äircpe gu fein gegenüber ber Born äußerften ©ubiectioiSmuS auSgehenben
Deformation; gang unguläfftg märe eS jeboeb, SefuitiSmuS unb ÄatholiciSmuS
für Boüfommen ibentifch angufepen; mit ben Sejtrebungen beS DrbenS braucht
ftch Diemanb gu ibentificieren; alle Drben unb bie SBeltpriefter aber follen
in einen geiftigen ffiettftreit mit ber ©efeUfchaft eintreten, morin jebent feine
Eigenthüntlicpfeit gemährt bleibe, „bamit ber gange innere Deichthum beS
ÄatpoliciSmuS gum ©egen ber gangen Sbrifienbeit unb ber mobernen SBelt
gur Entfaltung gelange". Eine BoUftänbig orientierenbe Sepanblung erfahren
auch anbere „DeftaurationSfräfte", fo baS Eoncil Bon Irient unb bie geitge-
nöffifchen köpfte. SKit einem biefer lefctern fleht ber ^JrocefS ©alileFS unb fein
AuSgang in 3ufammenhang. Ehrharb betont: bie babei gur ©eltung gefommenen
©runbfäfee mirb „fein Äatpolif ber ©egenmart gu Bertheibigen bereit fein unb
ift feiner gu Bertheibigen Berpflichtet". Dabei ergab fleh aber bie michtige fiepre,
„bafS gmifchen ber Dpeologie unb ben übrigen SBiffenfcpaften eine innere
SBechfelbegiehung befteht unb bafS Bon ben lefcteren auf felbftänbigem SBege
neue SBaprheiten gefunben merben, bie Bon ber Dpeologie auf ©runb einer
einbringenben ©eifteSarbeit aufgenommen merben müffen". Següglicp ber fo
oft ins Selb geführten §erenproceffe mirb mit Decht barauf Bermiefen, bafS
fie „feine confeffioneüe Angelegenheit, meber eine fatholifche noch eine
proteftantifepe, fonbern eine fulturpiftorifche Erfcheinung" maren, benn Seber*
mann Itanb „unter bem EinflufS berfelben ©runbanfehauungen".
9Rit ber Deftauration mar bei SBeitem nicht alles gethan. ©ie mar oft
genug nur eine äußerliche, unb Sieles blieb ja bauernb oerloren. Sür Sranf=
reich brach bie Semegung beS SanfeniuS herein, „bie mie fo manche anbere
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166
3ofepb £>trn.
gur Segeneration beS religiöfen ©eifteS hätte führen fönnen, tnenn fte nicht
in ©onflict mit ber fachlichen Autorität gerathen märe unb ftch auf baS Siel,
baS fte erreichen mollte, beffer befonnen hätte". Unter Submig XIV. Derfanf
ber ßleruS, fpecieß int Segalienftreit, gegenüber bent Staatsoberhaupt in
einen „unmürbiqen SeroiliSmuS, bent felbft ein fo hochftehenber ©eift mie
©offuet unterlag". Die beutfehen ©ifepöfe, noch immer gürften „mittelalterlicher
©eftalt", tarnen nur gu oft ben in ber Seugeit „gefteigerten religiöfen unb fachlichen
©ebürfniffen" nicht nach. Der SEBeltfürft oerbrangte ben Äirchenfürften, er hielt,
um ©prharb’SSBort gu gebrauchen, in ber Siechten baS Scpmert, in berüinfen ben
©Wenftab. Die jofeftnifepe Schule erzeugte „bie unfirchlichfte unb gugleicp geift*
lofefte ©eneration oon ©otteSgelehrten, bie je in ber tatholifchen Äircpe ihr
Unmefen getrieben hat". Ungehinbert, ja unterftüftt oon biefem ßleruS „gog
ein antitirchlicher ©eift in bie tatholifchen Sänber, an bem fte feither tränten
unb beffen Früchte mir noch nicht alle getoftet haben". Der grofce Säculari*
fationSprocefS am ©eginn beS 19. 3ahrhunbertS entgog gmar ber Kirche
'„fein inneres $raftelement" N aber hoch „gabireiche reale SRachtmittel". Sicht
man baS 3acit bis gu biefem 3eitpunfte, mo nun auch bie frangöftfehe ^Cuf=
flärung ihren SiegeSgug angetreten hat, fo gelangt man gum ©rgebniS: „enb*
gütige Serftörung ber Harmonie gmiiehen ©lauben unb Semunft, Satur unb
Offenbarung, Seligion unb Äultur".
3m 19. 3ahrhunbert Ootlgog ftch nun noch eine Slrt „geiftige Säculari*
fation", ba baS öffentliche üebeit „einen oormiegenb meltlichen Slnftricp betommen,
ben eS niemals guoor in chriftlicher Seit gehabt". Die „aufflärerifcpsmarfa
fchreierifchen" ©rpectorationen ber befannten Staterialiften, gmar „Don feinem
Denfer ernft genommen", brangen in baS ©olf. Der empormaepfenbe Soda-
liSmuS machte ftch fd)on in feinen ©rünbem „gum Dräger aller antichriftlichen
©lemente", mährenb hoch bie grunblegenben 3been „aus bem Schafte beS
©briftentbumS entnommen ftnb, meil fte nur hier gu finben maren". ©egen-
über aß' biefen autoritätsfeinblichen ©rfebeinungen machte ftch im Greife ber
Äircpe, heroorgerufen Dott ber „Sotb ber Seit", bie Xenbeng ber ßentralifterung
geltenb. ©ang genau umfehreibt 6. ben berechtigten unb ben unberechtigten
©entraliSmuS, oft UltrantontaniSmuS genannt. $IIS Seaction gegen frühere
particulariftifcpe Sichtungen machten ftch mitunter abfolute UniformierungS*
tenbengen bemerfbar, bie „gu ber übertriebenen, aber nicht gegenftanbSlofen
©ehauptung ber Somanifterung" Slnlafs boten, ©rft ba bie Äircpenfpaltung
einen fo gro§en Xheil ber germanifchen ©ölfer ber Äirche entgog, tonnte
einer folcpen ©efürchtung Saum gegeben merben, mie lehr fte auch bem SBefen
beS ÄatboliciSmuS miberfpricht. SBenn aber manche Äatholifen, mie eS oor*
fomint, „ieber Anregung gur Selbftfritif unb allen neuen theologifchen Slufc
faffungen TOfStrauen entgegenbringen", fo Derfchulben fte ben ©inbruef, als
molle man „einem firchlicheu 51bfolutiSmuS im icplimmen Sinne beS SBorteS"
gufteuern unb als fei in ber Kirche „iebe Segung ber 3nbiDibualität unb ieber
fortfchrittliche Sug oerpönt".
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$)er KatboliciSmuS unb ba§ XX. ^ahrpunbert 167
3ebem bcr ba3 3eitalter ©iu£' IX. fenngeicpnenben ©reigniffe: ®nt*
wicflung bcr Steufcpolaftif, ©rlaß be£ Spüabuä, Unfehlbarfeitöerflärung unb
Sluflöfung be£ Kircpenftaateä, wibmet ©prparb eine eingepenbere ©efprecpung,
wo eine Steipe lanbläufiger ^rrtpümer wiberlegt ober richtig geftedt Serben.
$abei wirb ba8 gro§e Slrbeitsprogramm für bie heutige Xpeologie fixiert:
©efiegung ber mobernen anticpriftlicpen ^ptlofoppie burch bie Slnerfennung
ihrer SBabrpeitäelemente unb bie StuSfcpeibung ihrer 3n:thünter. SJtit oder
wünfcpenSwerten ©räcifion unb ‘Seutlicpfeit wirb Sinn unb Sebeutung ber
päpftlicpen ^nfadibiütät au^etnanbergefefct. 3n £>htftcpt auf ba3 ©cpicffal be3
Äircpenjtaate3 erflärt ©prparb: ®ro§e§ Unrecht ift gefepepen, aber bieieä Staates
„©ntftepen unb ©ergehen hot mit bem SBefen be£ Katpolicßmuä nicht ba£
©eringfte gu tpun". ©3 wirb oiele üefer intereffieren, non ©hrharb gu hören,
baf^ ber berüchtigte ©raf £>oen3broecp ber einzige beutfehe Ipeologe ift, welcher
(natürlich in feinen fatpolifcpen Xagen) Don einem bieäbegüglicpen Xogma
gefprochen hot. Extrema ae tangunt.
£>at ©hrporb, wie fepon bemertt, ber fotpolifcpen Xpeologie ein 3iel gefteeft,
be£ Schweißet ber ©belften wert, fo wirb man, ohne an feinen perfönfiepen
©eruf gu benten, begreifen, wie nahe ipm ber ©tanb ber tpeologifcpen
tfacultäten geht. Sie fönnen ipm nicht genügen aß bloße @rgiepung3anftalten.
SJtit ipm wirb fein ©inficptiger bicfelben neben ben fortbeftepenben ©emiitarien
miffen woden. $aß ipm bie burep „poepgrabige Kurgficptigfeit ober freiwidige
©linbpeit" berurfaepten Quertreibereien gegen eine fatpolifcpe Xpeologen*
facultät in Straßburg fepr gu bergen gehen, woden wir ipm gern glauben.
„Äatpolifen in füprenber ©tedung, benen bie Umwanblung ber Kircpe in ein
Älofter mit recht bieten dauern unb recht fleinen 3eden aß $beal twrfcpwebte",
werben leiber noch immer nicht ade. SJtit üoder Übereinftimmung ferner unter*
fepreibe icp ba3 Urtpeil ©prparbß über ba3 ©roject einer fatpolifcpen Unibcr*
fität. darüber curfteren fo biele fepiefe SJteinungen, bie twn fachlicher Un*
fenntnß geugen, baß ber SJtapnruf: „©epauptung ber ©Option be3 fatpo*
lifcpen ©ebanfeiß an ben beftepenben Unioerfttäten, SBiebergewiitnung ber bem
Äatpolicßnuß entfrembeten Uniberfttäßfreife burep ben tpatfräftigen ©rweß
feineT Kulturfreunblicpfeit unb feiner Kulturmacpt" niept genug ber ©epergigung
empfohlen werben fann.
Stach Sodenbung be£ Überblick unb Aufnahme be3 Xpatbeftanbeä
ftedt ©prparb bie ftrage: 3fit ber ©egenfap gwifepen ber fatpolifcpen Kircpe
unb ber mobernen 9ßelt ein abfoluter? Seine Antwort ift ein fräftigeä Stein.
SlnberS wäre e3 nur, „wenn gwifepen bem Rortfcpritt, ben bie ©egenwart
auf ten berfepiebenen ©ebieten be3 Kulturleben^ anftrebt, auf ber einen, unb
ben ©runbfäpen be$ fatpolifcpen ßpriftentpunß auf ber anberen Seite ein
unüberwinblicper ©egenfafc naepgewiefen würbe". $a3 ift nicht ber Sod. 3u
folcpem mißglüeften Stacpweß ift mehr aß gu oft fo manche naturwiffen*
fcpaftlicpe §bpotpefe „gunt £>opne ber SBiffenfcpaft" mißbraucht worben.
$ucp ber heute fo bodtönenbe Stationalßnuß ift fein abfoluter ©egenfafc
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168
3ofeph §irn.
inm UniverfaliSntuS bcr Äircbe, unb jubem ift btefer festere „wefentlicb
religiöfer JRatur". 3n prächtigen ©orten preift ©hrharb beit ÄatholiciSmuS
als barntonifebe Serföbnung beS confervativen unb fortfcbrittlicben ?5rincipS.
„$en treibenben ©eiftern, benen bic hohe provibentielle Aufgabe geworben ift
bie äJlenfcbbeit auf irgenb einem fultureHen 2lrbeitSfelbe vorwärts in brängen,
borf man mit Siebe unb Segeifterung sujubeln, ohne bamit jenen ungerecht
in werben, bie rüdwärtS fdjauen auf bie Seiftungen ber Sergangenbeit unb
bort ein« fiebere unb fefte ©runblage für ihre Arbeit fueben unb fmben." 3n
folcber Harmonie liegt „baS einzig ©rfpriefjlicbe für baS Kulturleben". „$ie
3auberfraft beS berüefenben ©orteS von ber ftreibeit beS $enfenS unb
SorfdjenS" foll unb barf ber Katbolif nicht bem ©egner übertaffen, er bat
fie „auf ihr rid)tige^ 2Ra§ surüefgufübren bureb eine ftrenge 2lnalpfe beS
SerbältniffeS swifeben Xenffreibeit unb Autorität". Unb fdjXieglicb fttb biefe
beiben „an biefelben ©renjen gebunben": ©abrbeit, Sittlicbfeit unb
©erechtigfeit. 3a, eS ift jwifeben beiben „ein pofitiveS SerbältniS" nachweisbar.
$ie moberne Kultur bat ber Kirche „nichts von bem genommen, waS ihr
wefentlicb ift". ©obl fmb viele weltliche 4?errfcbaftSrecbte ein 9?aub ber 3eiten
geworben. 3ft beSbalb etwa bie fachliche ©entralgewalt als folcbe in Schaben
gefommen? Unb bcr ©pifcopat? „®r braucht nur energifd) in Wollen, unb
jeber ©iberftanb, ber im SJtittelalter ben Sifdjöfen fo oft in ben ©eg trat,
ift beute gang unb gar unmöglich." Unb nicht Hemmungen ber mobernen
Kultur ftnb eS, welche „bie im heutigen ßleruS aufgefpeicberte geiftige unb
fittlicbe Kraft" binbern, „um einen wahren fachlichen Srübling mit reichen
Slüten unb föftlicben Früchten in bie tatbolifeben Sänber einjieben in laffen".
9luS all bem ergibt ficb nur bie eine Folgerung: „3)aS 3tel ber ©irffamfeit
ber tatbolifeben Kirche tann nicht ein ewiger Kampf gegen bie moberne ©eit
fein, fonbem bie Serföbnung beS mobernen ©eifteS mit bem KatboticiSmuS
unb bureb biefe Serföbnung bie SRettung ber menfcblicben ©efedfebaft."
Sei biefer ©onclufion angelangt, richtet ©hrharb ernfte SKahnworte an
„bic Sräger ber mobernen Kultur", wie an bie Katbolifen. ©rftere forbert er auf
m energifeber ©clbftpriifung. ©S gelte feinen Serjicbt „auf eine ber echten
perlen, bie auf bem Kleibe ber mobernen Kultur prangen 1 ', ©ie bilben feinen
©egenfap inx Kirche. 2>aS Unechte, bie SluSwücbfe abgeftreift, unb eine Srücfe
wirb fleh finben. „©er ficb als treuer ©ohn feiner Kirche befennt, befennt ficb
bamit nicht in ben menfcblicben Schwächen ihrer Vertreter unb ©lieber,
fonbern in ben göttlichen Kräften, bie ficb in ihr offenbaren, nicht in ben
seitgefcbicbtlicben ©anblungen ihrer irbifchen Saufbahn, fonbern in ben ewigen
Sternen, bie ihrer göttlichen TOffion voranleucbten." Unb auch an fie, bie
Katbolifen, richtet ©hrharb feine Mahnungen. SRachbem er ihre Slufgabe bahin
äufammengefafSt: Ablegung beffen, waS als 3ugehör einer vergangenen
®pod)e nur relativen fflert hatte unb in ber 3e^tjeit als UnVoHfommenbeit
ficb barfteUt, ferner verftänbigeS ©ingehen auf alle religiöfen ©ebürfniffe, welche
im heutigen Kulturleben wurzeln, enblich thatfräftige ©rweifung ber Kultur'
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2)er ÄatboliciSmuS unb bas XX. ^ahrpunbert.
169
macht beS ÄatholiciSmuS, — richtet er ben 2lppe0 an fte, beit in biefen Wuf»
gaben niebergelegten Wichten mit Wfpannung aller Äräfte nachaufommen-
@S banbeit ftd» um getftige, roiffenfcpaftliche Arbeit, inSbefonbere auf bem
Selbe ber Jpeologie, Wilofophie unb ©eicpichte. 2lucb ber 8aie roibme ftd),
wenigitenS „innerhalb geroiffer ©renaen", bem theologischen Stubium, benn
aud) bie Ipeologie ift wahre SBiffcnfchaftlichfeit. Wur bann, wenn ein WeligionS»
unterricht (befonberS wichtig an ber Wtittelfcbule) „nicht auf ber £>öpe fteht",
fann eine MbfallSbewegung etwa? auSrichten. Wicht weniger bebeutfam ift bie
intenfiPe Wege ber beiben anberen SBiffenfchaften, neben benen aber auch
bie jwei großen ©eifteSgebiete ber ftunft unb Literatur Beachtung, unb jwar
größere als bisher, finben fotten. ©nblich nicht ju oergeffen ber wärmften
Wege beS SolfSbilbungSweienS, bamit bie breiten SDtaffen „nicht anberSwo
ihren ®rang nach Bilbung unb SiebenSluft befriebigen" unb babei „ben
großartigen Weichthum an hohen üebenSgütem“ in ben ©ebanfen unb ©in»
ridjtungen ber Äirdje oergeffen ober gar oerachten lernen.
®aS großartige firchengefdjichttiche ©emälbe, baS ©hrharb mit Zünftler*
hanb entwirft, ift ooß beS ernftcften ©oloritS. ©ar oieleS „gibt p benfen".
Wer bem ftetS fefigehaltenen ibeaten 3uge entfpricßt auch ein opti»
miftifcher, ein hoffnungsreicher, feftgewurjelt in ben göttlichen BerheißungS»
Worten. Xie auffieigenbe ©ntwidtung beS firchlichen SebenS im 19. 3ahr=
hunbert wirft im Berg (eich pnt „Üiefftanb" beS 18. BahthunbertS „wie ein
fonniger SrühlingSmorgen nach langer SBinterfälte". SSenn ftd) bem Beobachter
jwifchen heute unb bem chrijtlidjen Sllterthum eine gewiffe „Berwanbtfchaft"
aufbrängt, fo ift bieS „nur als ein Bortheil ju betrachten". „®ie fatholifche
•ffirche fteht iefct höher als im SJtittelalter unb weist gerabe auf beji ©entral»
gebieten beS teligiöfen üebenS mächtige Sortfchritte auf", bie mit ber neujeit»
liehen Kultur pofttioe Berbinbungen fudjen unb finben. Bereits ftnb Slttjeichen
ba, welche auf SBieberoerföhnung beS „metaphofifchen unb empiriiehen
35enfenS" hinbeuten, waS „in erfter üinie bem ÄatholiciSmuS augute fommen
mujS". 3luf bie Srage, ob bie auS ber mobernen ©ntwidlung wadjfenben
©efahren für ben ÄatholiciSmuS au überminben ftnb, antwortet ©hrharb mit
ber „fräftigften Bejahung, bie ftd) ber Bruft eines ÜJtanneS entringen fann".
freilich gilt eS ein fteteS Wengen unb Strbeiten, „nicht ein beguemeS, müßiges
Jöerrfchen", ein Arbeiten „im Slienfte ber höchften 3beale ber Wlenfcbbeit,
befruchtet unb oerflärt burd) bie wahre Siebe au ©ott unb a« ben SWenfdjen".
< £iefd)öneSrud)tfolcber5lrbeitift oorliegenbeS Buch- ©hrharb ift an fte heran»
getreten, gewappnet mit einer bewunberungSoollen Sülle oon SBiffen, getragen
oon wahrhaft ibealer Begeiferung für baS ©Ute unb SBahre, erfüllt oon bet
©inftcht beffen, was unferer Beit Wotb thut. ®er Weichthum befruebtenber
©ebanfen ift gefleibet in baS ©ewanb einer blühenben Fiction, fo bafs Inhalt wie
Sorm ben öefer feffeln. Wiemanb wirb baS SBerf anrföanb nehmen, ohne aus bem»
felben geiftige ©rfrifchung au empfangen, ©egenüber all’ ben Boraügen erfchiene eS
fleinlich, ftd) über untergeorbnete ©inaelpunfte, worüber man ja anberer SDfeinung
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170 $ofepb §ira. $>er ftatbolicigmug unb ba$ XX. ^abrbunbert.
fein fann, nitt@{)rt)arb augeinanberpfefcen. Siir fern ©efammtergebnig finb ftc
bon feinem Sekng. ©eit SJtöbier, .£>ettinger unb ben beften Seiten ^öflinger'g
ift fein ©ueb erfchienen au£ fatboiifcben Greifen, bem id) folcbe Sebeutung
pnteffen fönnte, mie biefem. $(uf bie gro§e Seiftung ßbantberlain'g erfebien
e£ fo redjt a tempo. 3n einem jüngft erfebienenen SBerf mar bon äJtöbler
beiläufig p lefen: bei aller SInerfennung feineg 2Biffen£ habe man bei ibm
ben ©htbruef ber ©Jabrböftigfeit nid)t haben fönnen. Ob auch gegen @br s
barb einer ben traurigen 9Jtutb finben mirb p folcber ©ebauptung? ftretficb
fab man mxft feiten einen ragenben Jburrn, um ben nicht Staben freisten
unb freifebten.
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Die neue deutsche Rechtschreibung.
Eon 5r. IRitfiarfc fo. Mufft.
f ie Unficfterßeit auf bern ©ebiete ber SRecßtfcßreibung bitbet feit reicftlicft einem
falben Soßtßunberte ben ©egenftanb allgemeiner Silage. mar bie
lefete lat bc£ greifen Safob ©rimm, baß er in ber ©inleitung jum „$eutfcßen
SBörterbucfte" ba3 ooHe ©emießt feiner Autorität in bie SBage rnarf für eine
Reform ber beutfeßen Schreibung; aber erft jefct, faft 40 3aßrc nach feinem
Xobe, ift jum erftenmale unb non berufener unb einflußreicher ©eite ber
hoffentlich mit ®rfolg gefrönte Sßerfuch unternommen morben, eine einheitliche
beutfehe Schreibung burchjufefeen. ®3 erfcheint alfo in biefem Slugenblicfe toohl
angemeffen, bie Stage fcoit üerfeßiebenen Seiten ju beleuchten, 2(nlaß, äRetßobe,
3iel unb Sht&ficßten ber fReforrnbemegung fritifch ju ermägen.
3>ie ©efchichte ift eigentlich nicht gar fo fcßlimm; e3 gab Beton, oor
allem ba$ 17, Sahrhunbert, ba bie ©ermilberung toeit ärger mar; aber bie
Semegung mühlt fo große Xiefeit auf, nicht nur, meil mächtige materielle
Sntereffen in3 Spiel fommen, bie man früher gar nicht ahnte, bie Son-
furrcn$ ber großen ©ueßbrueferoffirnen, fonbern üielmeßr beSßalb, meil jmei
befonberS empfinblicße, fich miberftreitenbe Seiten be3 beutfeßen ©olfäcßaraftera
berührt merben. 2>a£ ift ber 3nbimbuali£mu$, ber Srieb nach perföitlicfter
Sreißcit, SelbftbeftimmungSrecßt, ber in ber s -ßolitif ate ©artifulari£mu£, im
fokalen Seben gar oft al£ fRecßtßaberei auftritt. 3fcß fanntc einen äRufto
leßrer, ber ganj einfach Stöcfl ßieß. £er Sttann fanb eines $age3, baß baS
cf überfliiffig fei unb baß man ©igennamen feßreiben bürfe, mie man moHe,
übrigens eine gemeinnerbreitete ungeheuerliche ©räfumption, ber mir Schreibungen
mie SBincfelmann, ©oetße, ©ueß, unbeutfeße SluSfpracßen mie 2u-eger oerbanfen.
©ergebenS mar eS, jenem Spanne oorjufteUen, baß bie ©erbinbung fl einen
furjen ©tammoofal norauSfefce, ber eben bureß bie Serbiitbung cf angebentet
merben fofle, baß alfo baS c ßier moßl SBert unb ©ebeutung ßabe, fieß rücf=
beließe, unb baß eS nur jmei richtige Schreibungen beS SRamenS gebe, bei
fuqem ©tammbofal: Stöcfl, bei langem unter Sluflöfung ber Serbinbung fl:
*) $tefer Uuffafc ifl pglfid) Sdjrift* unb 'Srucfprobe ber neuen Schreibung.
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{Richarb o. ßRuth-
Stöfel. Unfcr alter gremtb blieb trofetg bei feiner unbeutfdjen Schreibung
unb bie gamilie, ber eine angefefjene Schriftfteflerin angehört, bemaljrt bie=
felbe au3 Pietät bis auf ben heutigen Dag. — Dah, menn ber König von
©apern ben Hnfpruch erhebt, fein p ju bemapren, 3fibor äRaper & Eie.
baSfelbe Siecht befifcen, fann man nicht beftreiten. Unter folchen Umftänben
hat eS natürlich nie eine 3 nftanj gegeben mie bie acadämie fran9aise, beren
©oturn unbebingte ©ittigfeit gehabt hätte, unb baS grofje SBörterbuch, anftatt
mie in granfreich eine gemeingiltige ÜRornt 51 t fchaffen, entflammte ben Streit
erft recht.
9tun fommt aber noch eine önbere Seite beS ©olfScharafterS ins
Spiel, ber £>ang ju gelehrter ©rübelei unb Sprachpebanterie. SBäprenb man
in granfreich unb Englanb, mo bie ftreng ^iftorifc^e Schreibung noch ganj
anbere Schmierigfeiten fchafft unb burcpauS richtig $u fchreiben einen ^o^en
©ilbungSgrab vorauSfefct, ber Sache ziemlich gleichgiltig gegenüberfteht, macht
man in Deutfcplanb aus „Schreibfehlern" großem Hufheben, fieht in ihnen
ein Seichen ber Unbilbung, betrachtet jeben, ber eine anbere ßRethobe ber
Schreibung befolgt, als einen ffeper.
Die ©emegung hielt mit bem erftarfenben üRationalgefühl gleichen
Schritt. ©on Hnbeginn an aber freujten fich zmei feinbliche {Richtungen, Yx e
hiftorifche unb bie phonetifche. Um ju einer richtigen Erflärung berfelben ju
gelangen, muh öber etmaS meitcr auSgepott merben. Der alte Hbelung mar
eS, ber vor mehr als einem 3öprpunbert bie fcheinbar unverfängliche unb
afleS töfenbe {Regel auffteHte: „Schreibe, mie bu fpridjft!" ober voß*
töncnber unb noch falfcher: „Schreibe, mie bu richtig fprichft!" 3Ran
überfiept ba jmeierlei, bah baS Deutfcpe burcpauS feine ftreng pponetifcp,
b. p. f^eng nach bent Sautflange geschriebene Sprache ift — baS f in Dfen
ober £>afen flingt anbere als in $ofe ober laufen, baS ch in Sicht ober 3ecpe
anberS als in riecht ober fchnarchen — unb bah baS h eu ^9 e Hiphöbet bem
Sautbeftanbe mit nieten entspricht. So höben mir baS Seichen c / baS, halb
f halb $ gefprochen, hoppelten, aber gar feinen Sautmert befifct; eS gibt jmei
ganz verriebene f'Saute, bie im Htppabet richtig als eh nnb fe analog bem
ef unb me gerieben fein follten, maS aber leiber nicht ber Saß ift; von ben
vielen Konfonantenverbinbungen höben jmei, fm unb ff als qn unb bann
tf als 5 , Hufnapme in baS Hlppabet gefunben, afle übrigen nicht; bie 3eichen
für ben £>auch* unb 3 ifcptöut finb bie ganz miflfürlichen Söfammenfteßungen
ch unb fch; baS Sachen p höt feinen Sautmert; bafür fehlen bem Hiphabet
bie Umlaute, bie Diphthonge, baS cf unb p, bie fo häufigen pf, fp, ft u. f. m.
Diefe {Reihe genügt hoffentlich, jeben Sefer $u überzeugen, bah fich ber Saut*
beftanb ber Sprache unb ber Schrift nicht beefen, bah ölfo eine ftreng phonetifche
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2>ie neue beutfdje iRedjtfdireibung.
178
Schreibung nicht burchfüfjrbar ift. $abei haben mir Oon ben {Eigentümlich*
feiten ganj abgefehen, wie ber Sermenbung beS anlauteitben o in wenigen
aber wichtigen ©örtern (SSater, Setter, Sieb, Sogei, oon, oor, oer* unb
anbere, im Snlaute nur Sreuet; grembwörter nur Seilten unb Sogt, fonft
immer wie w), bem oielumftrittenen th (man erflärte bie Differenjierungen
ber %t)on = 2ef)merbe unb Ion = Schall, ber Ifjau unb baö lau für unerläfjlich,
inbeS man bocb bei Ibor, norbbeutfch Xor, ber unb baö, längft baoon
abgefommen mar); oon aitertümlicben Slbfonberlichteiten, wie ©tabt, fRljdn,
P>b3 unb bergleicben.
Über alle biefe ©(bwierigfeitcn festen ficf) bie Sanatifer ber rein
Phonetiken Schreibung leichten Herjenö f)intueg. ©ie forberten Slbfchaffung
beS 35ebnungö=b unb ber aus fremben Sprachen übernommenen Reichen,
krieben alfo: fonfaw, Sümert, gifif, 3i>oilifajion, jäten, nemen, §an,
©re u. f. f.
Sie brangen nicht bur<h, nicht fomohl, weil bie Sti<htberücffi<htigung ber
fremben iperfunft oieten als ein Reichert ber Unbilbung erfchien, als o i l m e r,
weil ire ©ortbilber, wie wir fie l)ier geben, baS Auge beleibigten.
®S läßt fk auch nicht leugnen, bah fie mit ihren rabifalen Steuerungen
unb fdjranfenlofen Sorberungen baS ftinb mit bem ©abe auSfcf)ütteten. loch
bleibt ihnen baS Serbienft, baS ©efährte ins Stollen gebracht ju hoben.
$a trat 3afob ©rimm auf ben ©tan. Xie Sorrebe jum „leutken
©örterbuche" ift batiert oom „2. merz 1854"; in biefer fteHte er bem
gtofjen ©ubtifum neue, weitgehenbe Sorberungen, bie, wie wir uns heut
geftehen müffen, ihrer ganjen Statur nach nicht baju angetan waren burdh*
jubringen unb mehr Serwirrung brachten als Klarheit, ©r oertangte: 1. 21b*
koffung ber beutken Srafturfdjrift, gegen bie er nicht weniger als fieben ©rünbe
oorjubringen muhte, unb fonadj alleinige Slnwenbung beS SateinbrucfeS;
2 . Slbkoffung ber ©rofefchreibung ber Hauptwörter. liefe beiben, bem
Solte, nicht nur ber groben SJtaffe, fonbern auch ben ©ebilbeten, anftöfjigften
Steuerungen, führte er auch burch; bie SluSmerjung ber DehnungSjeichen
begnügte er fich anjuraten; neu mar auch baS oon ihm eingeführte abfcheuliche
Reichen sz (masz, musz).
Sragen wir nach ber ©erechtigung biefer ftreng logifdjen, aber wenig
praftiken Sorkläge, fo liegt in biefen Attributen fchon baS Urteil, ©egen
bie Sermerfung ber SJtajuSfel beim ©ubftantioum läfjt fich S ar nichts Stich*
haltiges oorbringen; aber ber ©rfolg hot gezeigt, bah bie grobe SJtaffe baoon
nktö wiffen miß: fein einjigeS ©uch, baS fich ber „©rimmifchen Schreibung"
bebiente, oermochte oolfStümlich ju werben unb infolgebeffen blieben alle
DtudWerfe, bie in weitere ftreife ju bringen rechneten, beim alten ©rauche,
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IRicßarb o. üftutß.
fo baß ßeute nur einige wenige pßilologifcße 3^^riften bie ©ubftantioa
Hein bruefen, inbeS bie beutle ©ewoßnßeit fogar über bie ©renje ju
greifen feßeint (Xitel Wie: La Femme en Gris, La Main gauche, Op
Hoop van Zegen, unb ä^itlic^e). Sticht einmal für ben ©erganfang, wo ber
große ©ueßftabe cbenfowenig ©ereeßtigung ßat, tonnte bei ber jefcigen Reform'
bewegung mehr als greifteHung erreicht werben.
Die ©rünbe gegen bie grafturfeßrift waren bei weitem nießt fo über*
3 eitgenb unb jwingenb; bem ^auptargumente, baß bie tleinen Sinber
gejwungen feien, aeßt Süpßabete, non beneit oier unnüfe, $u lernen, fefctc
man entgegen, baß bieg erfahrungsgemäß feine großen ©eßwierigfeiten bereite
unb baß beim Durcßbringen ber Reform bie Übergangszeit, in ber boeß bie
alte ©cßrift feßon mit Stücfficßt auf bie SJtaffe ber oorßanbenen Sitteratnr*
erjeugniffc allgemein erlernt werben müßte, ©enerationen in Slnfprucß nehmen
würbe. Deffenungeacßtet brang bie minber begrünbete Steuerung in weitere
Greife; ©ßilologen un ^ ©iftorifer begannen ißre SBerfe mit lateinifeßen
Settern $u bruefen; SDtatßematifer unb ©ßqfifer, aueß &iefe SKebijiner unb Iß *° e
logen folgten ißrem ©eifpiele, inbeS bie Staturßiftorifer wie bie meiften übrigen
gäcßer beim Sitten oerßarrten. ^eute fteßt bie ©aeße fo, baß bie Slntiqua in
pßilologifcßcn unb mebijinifeßen 3citfcßriften auSfcßließlicß ßerrfeßt, in größeren
ffierfen berfelben gäcßer übertoiegt, fonft aber nur auSi*ßmSmeife Slnwenbung
finbet, fo baß babureß bie mäeßtige filuft, bie in Deuticßlanb jwifeßen ben
SJtännern ber SBiffenfcßaft unb ber großen SOtenge, wir wieberßolen eS, nießt
bem gemeinen SRamte fonbern ben ©ebilbeten, flafft, noeß erweitert würbe.
Dem praftifeßen fünften, bem ein £eft etwa ber 3«tfcßrift für beutfcßeS
Slltertum in bie £änbe fällt, erfeßeint bie ©efeßießte abfonberlicß unb bie
Seftüre feßwierig; ber gemeine ©tarnt ßält, was er ba oor fieß fießt, gar
nießt für beutfeß.
©0 war bureß ©rimmS ©orftoß bie ©erwirrung nur oermeßrt. Die
grage blieb, offen. Slber wäßrenb fieß baS große ©ublifum mit bilettantifeßer
©efcßäftigfeit ftritt, Würbe fie an zwei ©teilen §u einer brennenben: in ben
großen Drucfereien unb in ber ©cßule. Da jeber Äatßeberbefpot Oom ©cßuL
meifterlein im abgelegenen Sltpentale bis $um ©eßeimen £>ofrat in ©effer*
wiffenßanfen feine eigene ©cßreibung ßatte, bie er 001 t feinen unglüefließen
©cßülern umfo energifeßer forberte, je meßr fie fieß twn ber altüblicßen
entfernte, an ber bie maßgebenbe DageSpreffe mit 3äßi9fat feftßielt, unb ba
bie ©ueßbruefer jur ©erzweiflung getrieben würben jwifeßen ben ©efcern,
twn ben en jeber naeß anberer ©tetßobe gelernt ßatte, unb ben Autoren, twn
benen jeber feine befonberen Saunen berüeffießtigt feßen wollte, würbe ber
9iuf naeß einheitlicher ^Reform immer bringlicßer unb allgemeiner, fo baß
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Die neue beutfdje Recht) chreibung.
175
enblidj bie Regierungen ihr Dh* nicht länger oerfdßiehen fonnten. 68 lam
bie ber Enqueten. ©elbftuerftänblid) ging jebe Regierung ihren eigenen
SBeg. ©artifulariSmuS unb 3nbioibualiSmuS feierten ihre fchönften Sriuinphe.
Rad» einem Saljrjelfnt ber Streitigfeiten bot man eS gegen 1880 ju einer
öfterreid)ifdjen, pteufjifchen, boirifeben, fächfifdjen u. f. w. Schreibung gebracht.
Das Soljuwabohu wäre fertig gewefen, wenn nicht ein befonnener unb oer=
.ftänbiger ©tann bie Sewegung in praftifdje ©ahnen gelenft hotte, fo bah
bie S?leinlid)leit ber übrig gebliebenen ©erfchiebenheiten, bie man aber mit
an ©tarrfinn grenjenber Eiferfüd)telei öerteibigte, allgemein empfunben würbe.
Diefer ©tann war ber Erlanger ©rofeffor Rubolf 0. Raumer. ©chon
1855, ein 2af)r nach l>er ©orrebe jum „Deutfchen SBörterbuche", war er mit
feiner epochemachenben ©chrift „Über bie beutfche Red)tfd)reibung" aufgetreten ;
21 3ahre fpäter, 1876, würbe er oon ben beutfchen ReichSregiernngen mit
ber Aufarbeitung beS Entwurfes betraut, ber ber bamaligen Serliner
Äonferenj ju ©runbe gelegt würbe; unb wenn auch bie Sorfchläge biefer
©erfammlung über feine Anträge hinaufgingen, fo tonn man bod) behaupten,
bah olle Reformen bif auf ben hantigen Sag auf feinen ©rinjipien unb
Anregungen fufjen. Auch bie heutige Reform, beren Sharalter unb ©ebeutung
in ganj anberem als in ben Einjelheiten ruht, ift nichts anberef als eine
etwas rabifal angehauchte Durchführung ber Raunterifchen Sbeen. hier genügt
ef, wenn wir jagen, bah er nach beiben ©eiten ju »ermitteln fuchte. ©eine
Sofung war ©täfjigung, fo jwar, bah feine ©orfchläge ben Seilnehmern ber
Serliner St'onferenj nicht genügten, bie »ielmehr in aßen ©unlten, wo
©honetiler unb $iftori!er jufammentrafen, junt Seifpiel in ber AuSmerjung
bef Sehnungf=h, weit über ihn hinausgingen.
Aber bie Sefchlüffe biefer Sbnferenj trafen auf unerwarteten 5Biber=
ftanb. Die fonferoatioe ©artei erhob fid) ju geharnifchtem ©rotefte. An ihrer
©pifce ftanben ©Jänner wie ©toltle unb SiSmard, welch lefcterer mit Erlah
Dom 28. Februar 1880 aßen Seamten jebe Abweichung oon ber ^extömm=
liehen Schreibung in ber nad)brüdlichften AJeife unterfagte. Da bie führenben
©eifter ber Station mit ber groben ©taffe einig waren, Ämter unb ©reffe
am hergebrachten feftljielten, war ber ©erfud) einer tabilalen Reform
ge jeheitert; bie Regierungen bereuten eiligft ihren aßjufüljnen ©orftoh unb
fchlugen wiebet ©onberpfabe ein.
SBemt wir uns fragen, woher benn biefe Abneigung gegen wohlgemeinte
unb wohlbegrünbete Reformbeftrebungen, fo werben wir ben ©runb finben
tn ber ©rünentifchweifheit unb bem Sathebereigenfinn. ©tan bojierte unb
belretierte eben, ohne einjufeljen, bah ber howunfuluf, ben man in ber
Retorte ber Schulweisheit jufammengebraut, boch nur ein nicht lebensfähiger
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176
Ricparb o. SRutl).
SBechfelbalg mar. 9Ran wollte Vorurteile überminben unb fc^nitt tief in
feftgemurgelte ©ewoljnheiten ein (an ffiortbilber wie 6re, ir, giwil, gewöhnt fich
baS beutfche Sluge nicht mehr) unb bafierte auf ber VorauSfefcung einer oiel gu
geteerten Vilbung (wie foH, »er riicfjt llaffifche Stubien gemacht, toiffen,
baß baS aus bern Öateinijchen ftanunenbe factiftf) unb baS angeblich griedjifdje
prattifch, transparent oon tranfpirieren gu unterfcßeiben fei?!). SRan wollte
immer fommanbieren, wie gu fdjr eiben fei, mährenb bei bem ©hatalter
beS beutfdjen Volles eine Reform nur bann 9IuSfid)t hat, allgemein burchgu»
bringen, wenn fie nach fRöglidjleit ber VrajiS geregt, bie grage alfo jo
gefteHt wirb: wie allgemein gefdjrieben wirb?
durch biefen SRißerfoIg ber beutfchen Regierungen gewifcigt, ging bie
öfterreidjifche UnterricbtSoerwaltung mit großer Vorficht oor. Räubern einige
ffinquSten, auSjdjliefjlid) ans ©eiehrten gufammengefe^t, gu teinem Refultate
geführt unb inSbejonbere bie Vorjdjläge beS Vereines „SRittelfchule", oon
benen man fich ein praftifdjeS Refultat oerfprochen hatte, fich als oiel gu
meitgehenb unb unoollstümlich erwiefen Ratten, belretierte baS Unterrichts»
minifterium eine amtliche ©chulorthographie, bie es 1880 mit großer Energie
burdjgufefcen mußte. diefetbe beruhte auf burdjauS richtigen ®runbfäfcen unb
mar oom ©eifte praltifcßer SRäßigung burcßbrungen. ©rboft über ben Starr»
fiitn ber ©eiehrten, hatte ber Referent im SRinifterium, feines 3ri<henS ein
Vhhftf«» bie Reform mit ein paar näheren Velannten felbftänbig burchgefüljrt.
So beftanb fie eigentlich auS lauter unfpftematifchen ffompromtffen; aber ber
lerngefunbe Verftanb beS SRanneS hatte faft überall baS 3 e 'tgemäße unb
durchführbare getroffen. @o weit wäre nun alles in ber Drbnung gemefen
wenn man fich nicht mit echt öfterreichifcher 3aghaftigleit überall oor bem
lebten entfcheibenben Schritte gefreut hätte nnb wenn nicht, worin fich bocf)
ber SRangel fachmännifcher Seile fühlbar machte, eine SRenge gebächtniS*
befchwerenber Snlonfequengen ftehen geblieben wären, die SRajuSlel fchränfte
man nach SRögtichleit ein (nachhaufe, infolge, gugrunbegehen, teilnehmen,
morgens, fonntagS u. f. f.), baS del)nungS»h würbe beibehalten, baS tlj im
StuSlaute etwas befchränlt (SRaut neben SRuth, SBirt, Slrmut); bie Silben*
trennung würbe oereinfacht; bei ben grembmörtern hielt man ängftlidj am
hergebrachten, diefe Slngftlichleit, bagu einige Slbfonberlichleiten (löst, löblich,
IRatthiaS unb anbere) oerhinberten baS durchbringen biefer Schreibung im
großen fßublilum. SBir geben einige Veifpiele foldjer 3n!onfequengen, wie
fie fich in ber „SBiener Slbenbpoft" oom 26. ÜWärg 1901 gufammen*
gefteüt finben:
Somptoir neben ejemt,
VlieS neben gehrne unb ©rieß,
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5)ie neue Oeutfctye SRechtfchreibung.
177
bar neben Sahre unb £aar,
Schere neben ©eere unb ®^re f
3)ialect neben ©harafter,
faetifc^ neben praftifdj,
gabrifant neben ftabrication,
So£ neben 2Jtoo3,
gebären neben führen,
2 Biberfd)ein neben SBieberhaö,
©Ulet neben ©(anfett u. o. a.
Stofe biefe gebächtniäbefchwerenbe Schreibung nicht burchjubringen oer-
mochte, fo ängftlicfe fie ber ©rafiä gerecht ju toerben oerfudjte, ift begreiflich-
©in ganz befonbereä Stenz mar auch bie ©^Schreibung. $iefe hatten 9lbelung
unb nach ihm 3 tafob ©rimm, ber freilich mit feinem sz nicht burchbrang, auf
hiftorifcher ©runblage ju regeln unternommen, maä fidh jeboefe in ber ©raji£
als ju fchmierig erwie£. $a trat etwa in ben breifeiger fahren ber
©rammatifer Sari §epfe, ber ©ater ©aute, mit einem ©orfchtage auf, ber
immer weitere Sreife gewann unb auch in ber öfterreichifchen ©chulorthographic
rücfhaltloä afzeptiert warb. ©& War in ber %at eine äufeerft praftifdje Söfung:
ber gorbifche Snoten war burchhauen, — wenn man ba$ Schwert 5 U fdjwingen
oerftanb. £>epfe fafete ba£ Reichen ff, in Sateinfchrift ss, im 9tu3laute f$, al£
bie ©erboppelung be£ fcharfen fe auf, a(fo ff = fe + fe. $a aber baä bie
grofee SRaffe unb bie enorme SRehrzahl ber Sefjrer nicht Oerftanb, ba$ ©erhältniä
oielmehr unaufgetlärt blieb, oermochte man auch Unterfchiebe in ber
Schreibung wie Straße unb ©affe, liefen unb laffen, biifete unb füfäte, gufe
unb glufS nicht $u begreifen unb oerwarf biefe Schreibung aU anfeheinenb
infonfequent, inbeä fie hoch flar unb begrünbet wajr. S)ie ®rucfereien
fträubten fich namentlich, ba£ Reichen ß auch im Sateinbrucfe einzuführen
unb blieben nach wie oor babei, ben einfachen fcharfen Saut burdj f3 = fe
ZU bezeichnen, Wa3 bent ©eifte ber ^epfe'fchen Schreibung juwiber ift.
So gingen benn bie einzelnen Staaten getrennte SBege; bie Snaben,
bie auä ber Schule traten, bie Sommi£, bie ihre gefchäftliche Saufbahn
begannen, bie iungen ©eamten, bie bie erfte 9Infteflung erhielten, würben
unzufrieben unb unwirfch angewiefen, fich ih rer Schutgewohnheiten z u
entäufeern. $ie Schule aber hatte einen harten Stanb. $ie 3eichen, bie ben
Sinbern täglich in hnnberten oon ©(afaten Oor Slugen traten, bie SBortbilber,
bie ihnen taufenbfach in ber Xageäpreffe entgegenfahen, bie Schreibung, bie
fie in ben maffenhaft in ihren §änben befinbli^en reich^beutfchen ©üchern
angewanbt fanben, waren anbere, al£ fie ber Sehrer bot unb forberte.
$ie Shiltur. III. Saftrfl. 3. fcfft. (1902.)
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SKtdjarb o. 2Rutb.
$er 3uftanb lüar unhaltbar geworben, bie Klage aßgemein; aber
niemanb ^atte bie ©nergie, mit beffernber £>anb einjugreifen.
®a erfebien im Dctober 1900 im ©erläge von 81. ©icbler« SBwe. & ©obn
in SSBien meine „SKetbobif ber beutjeben Stedjtfdjreibung für öfterreic^ifc^e
Schulen", ein Heine« ©üebtein, ba« unbemerft oorübergegangen wäre, wenn
ich eS nicht barin gewagt hätte, einen bireften Stppefl an ben öfterreiebifeben
UnterricbtSminifter $u richten nnb benfelbeit an ®r. ö. gartet ein$u=
fenben. $iefer ßlotfcbrei fanb ©eaebtung. $a« ift mein ©erbienft, äße«
weitere Partei«.
©S war ein befonbere« ®lücf, bab eben $um erftenmale ein SRicbtjurift,
ein feinfinrtiger 5J5^iIologe, ber ooße« ©erftänbni« für bie ©acbe befab, bie
leitenbe ©teßung inne tyatte. ®r. ö. gartet war erftaunt über bie
Snfonfequenaen, wie fie in meinem ©ücblein jufammengefteßt Waren, unb
erfaßte ben SReformgebanfen mit jietbewu^ter latfraft. ©aebfunbige, umfiebtige
unb begeifterte Unterftüfcung fanb er an #ofrat 3ol)ann &uenter.
Partei batte aber auch erfannt, bab jwei ©runbgebanfen, benen id)
in jener ©d)rift SluSbrutf gegeben, richtig waren: bab eine ©erföbnung
jwifdjen Schule unb ©ra£iS burc^gefefct werben* müffe, unb bab eS galt, eine
xoivij ju febaffen, eine gemeine beutfdjc Schreibung, bie nur auf ber ®runb*
tage einer Serftänbigung mit bem beutfeben Steife möglich war. $iefe War
aber Vorher noch an^ubabnen mit ben SKännern ber ©rap«. @o lange bie
Sucbbänbter ber grage inbifferent gegenüberftanben, bie Sucbbrutfer nie recht
entfliehen mitgeben Wüßten, bie XageSpreffe au« gefcbäftlicbem gntereffe jäh
am 8(ttbergebracbten feftbiett, tonnte von einer einbringenben unb bureb*
greifenben SReform nicht bie Siebe fein. £ier ben |>ebel eingefeftt, unb ba«
beiberfeitige ©ntgegenfommen burebgefefct ju höben, ift ba« erfte grobe
©erbienft gartet«.
8 tm 22. unb 23. SRärj 1901 fanb unter Sorfifc ©r. ©jeeßenj be«
t. !. SRinifter« für Kultus nnb Unterricht, $r. SBilbelm SRitter oon gartet,
eine ©nquete ftatt, in ber nicht wie in früheren Sabrjebnten bie ®etebrten
ftritten, um bann oon ben 3uriften mit mäßiger £öflicbfeit binauSfomplimentiert
$u werben, fonbern in ber Vertreter aßer 3toeige be« Unterricbt«wefen«
neben ben Organen ber Staatsverwaltung unb ben SRännern ber ©raji«
faben, fo bab ein grober 3«9 in bie ©erfammlung !am, eine zugleich
gehobene unb boeb nüchterne ©ttmmung, eine Kapitulation be« gbealiSmu«
vor ber realen ©rajiS. $a« SReue unb ®ute war, bab man nicht blob 8u
einem oorau« beftimmten Programm ja ju fagen batte, fonbern bab bie
©ahn wirtlich frei war, ber 2)iSfuffion feine ©ebranfen gezogen würben,
fo bab i^er ©tanbpunft jur ®eltung fommen tonnte unb bie 8lutorität ber
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Die neue beutfche föechtfchreibung.
179
Regierung nur fo meit in Slnfpruch genommen mürbe, alle Strömungen unb
Strebungen auf ba3 gemeinfante 3«t ju fonjentrieren. Da auf aßen Seiten
ber gute SBiße fyerrfdjte, mürbe, fo meit auch anfänglich bie SWeinungen ber
ÜJtänner ber SBiffenfchaft unb ber ©ra&i 8 auSeinanberjugehen, bie 3 icte ber
höheren unb ber elementaren ©ilbung auSeiuanberjuliegen fchienen, nach
^ehuftünbigen Debatten eine Einigung erjielt unb eine 8afi3 gewonnen, auf
ber fortjuarbeiten möglich mar .*) Da 8 mar nicht $um menigften ber mafc
unb taftboßen Haltung be£ oorfifcenben 9Rinifter3 $u oerbanfen, unb ba3 ift
^artete ameiteS grofteS Serbienft. Er hotte aße hingeriffen mit ber
©egeifterung für ben ©ebanfen ber Schaffung ber xoivt]] jeber fühlte, bafe,
menn man bieämal nicht jur Einigfeit gelange, bie Sache für immer ber*
loren fei; unb baher ging baö ©otum ber Enquete bahin, fofort in ©er*
hanblungen mit bem beutfchen SReiche ju treten, in benen jmar unfer Staubpunft
nach ßtäften ju mähren, um ben ©reis ber Einigung aber nötigenfaflS in
jebem ©unfte uachjugeben fei.
ES galt alfo, bie fämmttichen beutfchen SReichSregierungen jum Stuf*
geben ihres SonberftanbpunfteS unb jur Sinnahme unb Durchführung einer
gemeingiltigen Schreibung ju beftimmen. Da& baS, unb $mar mit beifpiellofer
tRafchheit gefdmh, ift baS britte grofje Serbienft £>artelS.
Enbe 3mti 1901 fanb in ©erlin eine Enquete unter bem ©orfifce
beS preufeifchen UnterrichtSminifterS 0 . Stubt ftatt, an ber als ©ertreter
ÖfterreidjS £>ofrat |>uemer teilnahm. Er nutzte oft nachgeben unb manches
Dpfer ber Überzeugung bringen, barunter einige, bie, mie mir fehen merben,
ber Sache faum zum Sorteil gereichen. Slber fein ©reis mar ju hoch, eine
*) SBir glauben einige ber eifrigften Teilnehmer ber EnquSte nennen ju bürfen,
ohne unS einer Qftbiefretion fchulbig ju machen: oon Seite ber ^Regierung SeftionSchef
0 . ©ernb,£>ofratDr.£memer, ber üRittelfchulreferent, unb ber ©olfSfchulreferentDr.^einj;
ber ©eneralbireftor ber f. f. Schulbücheroerläge, bem bei ber Durchfübnmq ber
^Reform bie größte Atolle jufallt, s JtegierungSrat Se SRonnier, bie beiben UnioerfitätS*
profefforen §ofrat ^einjel unb SRtnor, bie SanbeSfchulinfpeftoren §ofrat Kummer
unb Sarnpel, Direftor 0 . 9Ruth, Schulrat SBiUomifeer; als ©ertreter ber treffe ber
feither oerftorbene Ehefrebafteur ber „SBiener 3eitung", DSfar Teuber, ber Schrift*
leiter ^afeelt 00 m „Deutfchen ©olfsblatt" unb ber befannte Söiener SchriftfteHer
©öfel. ©uchbrucf unb ©uchhanbel roaren burcb bie Herren §olzhaufen unb Qafper
repräfentiert, bie ihren nicht immer foinjibierenben Stanbpunft roohl ju mähren
mußten, mancherlei Schroierigfeiten erhoben, bann aber auch fräftig baS 3h« jur
Erreichung beS gemeinfamen 3iele3 beitrugen unb ftch um bie görberung ber Sache
bie roefentlichften ©erbienfte erroarben. — 3 n Deutfchlanb fcheint bie Durchführung^-
arbeit in ben £>änben DubenS, beS ©erfafferö beS befannten Orthographien
SöörterbudheS, ju liegen.
U*
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Sticparb ü. ÜJhttp.
©inigung ju erjielen, bic wefentlich bcr ©inficht uitb bem $afte be3 öftere
rctc^ifc^cn Vertreters ju berbanfen ift.
gragen wir nun um bie ©runbjüge bcr neuen Schreibung, bie unfere
Sefer ja am aßermeiften intereffieren, fo ift barüber eigentlich htt$ft<h ^enig
ju fagen. ©3 ift eben ein SBerf ber Stiichternheit, baS wenig greifbare unb
auffaßenbe ©eiten bietet. 3m wefentlicfjen fufet bie ©inigung noch immer
auf ben ©runbfäfcen StubolfS 0 . Staumer, wie fie, ben Verhältniffen ber
©egenwart angepafet, in meiner oben jitierten (Schrift, bon ber ber erfte
Stnftofe jur Steform auSging, jum StuSbrucfe gelangten.
2 lm bentfehen $rucf unb ber ©rofefchreibung ber Hauptwörter würbe
nicht gerüttelt; im übrigen galt ber ©rnnbfafc: möglichfte Vereinfachung
unter Schonung ber ©ewohnheit unb, wo e$ angeht, ©ewährung möglichfter
3 freif)eit. 2ln ber ©chreibung beS $ehnung3*h würbe feftgehatten; nur baS
th würbe in beutfehen SBörtern enbgiltig aufgegeben, fo bafe man fünftig
nicht nur SJtaut, 9Mut, rot, röten, Eltern, fonbent auch Xor, Xür, Seil, tun,
Xat u. f. f. fchreibeit wirb. $a3 ift ein wirtlicher gortfehritt, ein unfäg*
lieber ©ewinn für bie Schute, in $eutfchlanb fchon feit jwei Sa^r^e^nteit
burchgebrungen; auch unfer Sluge Wirb fi(h rafch an bie neuen gormen
gewöhnen, ebenfo Wie an tot, töten (teiber töbtich, ber SluSfprache jum Xrofc,
ber Slbftammung oon lob ju liebe), ftatt be$ bezopften tobt, töbten.
3n ber ©^Schreibung fam ein SJompromife juftanbe, baS bie SKänner
ber SBiffenfcfeaft barbarifch finben werben, baS unS aber praftifch crfcheint.
baS täppifche rnnbe 3 bor t (liest, löst, reist) Würbe natürlich aufgegeben;
fS tritt Wieber in feine Rechte in ber ©ettnng beS fcharfen fe; baS ff ober
ss für fe + fe würbe im gnlaute bor Vofalen beibehatten, im SluSlaute
aber unb bor Sbnfonanten aufgegeben. 5llfo wie bisher: Raffen, bermiffen,
Stoffe, Stüffe, 3eugni3, 3eugniffe; aber glufe wie gufe, fyafy (feaffeft) wie
reifet (reifeeft). 3« biefem Sßuntte würbe bem Stnbringen ber Vudjbrucfer nach*
gegeben, bie bie gorm ß im Sateinbrucfe urtb ebenfo }3 mit ber ©ettung ff nicht
burchfüferen ju fömten erftärten; in ber £at ift bie Söfung fo einfach unb
praftifch, bafe fie wofet geeignet erfcheint, rafch aßgemein bnrehjubringen.
gitr bebenftich h a ^en wir nur baS für uns Öfterreicher neue Vrin^ip
ber Silbentrennung. Sicher würben bei uns bie Saute ft, fp, pf, p unb cf
nicht getrennt, alfo leisten, baS einzige, was bleibt; 2Be»fpe, fäm=pfen,
trogen, ®*cfe; nunmehr: 3Bef-pe, lämp=fen, trotzen unb gar ®f*fe, ftriMen,
Sof^fung, fchmüMen u. f. f. 3n biefer Vejiehung fürchten wir ftarfen
SBiberftanb.
Stuf befonbere ©chwierigfeit ftiefe bie ©inigung bezüglich ber Schreibung
ber grembwörter. $a3 b mit m=©eltung, baS ph unb p würben faum
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Die neue beutföe D^ec^tfc^reibung:
181
berührt; ba8 ! mit c*©eltung mürbe faft aßgemein af^eptiert, alfo: Kapitän,
Koflege, Kommiffion, Konforbat, Korrefponbenj, Kurie, Klaffe, Doftor
bireft u. f. m. Aber bei c mit $*®eltung oor e unb i mürbe in ben meiften
Säßen bie Schreibung freigefteßt, alfo Eeremonie unb Zeremonie, Eicabe unb
3ifabe, Eigarre unb Starre, ßölibat unb 3ö^6at, EpfluS unb ,8hftu$,
Eplinber unb Sh^nber u. f. m. Da8 geht ju meit; benn ba hoch bie einzelne
Schule ober ber einzelne ©ejir! fich einigen muh, merben baburch Unterfchiebe
anberer Art geraffen, bie im praftifchen Seben fehr empfinblich merben
tonnen. ®3 tritt bie alte Unficherheit ein, ber ba3 ®olf um jeben ®rei3
ein Enbe gemacht miffen moßte. Unb nun bebente man, bah mit Stücfficht
auf bie Sorbilbung noch nnbere Satituben gelaffen mürben, mie etma bie
®orfilben beä* unb bef-, bis* unb bif*, tranS* unb tranf*, fuS* unb fuf*;
fo haben mir mie einft bei abftraft (früher: abStract, abftract, abatraft,
abftratt, baS jept nur auf biefe eine Söeife gefchrieben merben barf, toaS
gemifj aflgemeine ®ißigung finbet) leiber neuerbingS mieber SBörter, bie au
nicht meitiger als viererlei SBeife gefchrieben merben fönnen; $um Seifpiel:
DeSceitbenj, Defcenbenj, DeSjenbena, Defjenbenä,
maS im ©egenteife aßgemeinen Unmut erregen mirb.
So ift bie neue Schreibung meit entfernt, ben ßharafter ibealer
®oßenbung gu tragen; bie Einigung mar eben nur erreichbar burch eine
SReihe oon Kontpromiffen unb größte SRachgiebigfeit oon öfterreic&ifcher Seite;
aber, maS erreicht ift, ift ein fo mächtiger Sortfchritt, eine nationale Errungen*
fchaft bott folcper ®ebeutung, baf$ mir barum noch 9 an 5 anbere ©ebredjen
in Kauf nehmen möchten. SRoch aber ift eine michtige Stage offen, bie ber
Durchführung unb beS DurchbringenS.
3ur Beratung ber ÜbergangSmahregeln trat bie SBicner Enquete noch
einmal am 8. ÜZooember 1901 jufammen. Es zeigten fich ©egenfäfce ber
Sntereffen, bie aber burch guten SBißen unb medhfelfeitigeS Entgegenfommen
leicht geebnet mürben. Die Suchhänbter, bie barauf hinmiefen, mie enorme
Kapitalien in Schulbüchern alter Schreibung fie auf Säger hätten, erhielten eine
fünfjährige ÜbergangSperiobe jugeftanben, in ber neben ben SBerfen neuer
Schreibung auch bk alten noch beniifct merben bürfen, unb ben Droft, bah
ja gerabe fie oon ber Steuerung tüchtigen bürgerlichen ©eminn ju h°ff en
haben. Die ®ertreter beS höhnen Unterrichtes maren anfänglich fufyeffiüer
Einführung geneigt; aber ba bie ®olfSfchulmänner barauf hinmiefen, bah in
Öfterreich taufenbe oon ein* unb jmeiflaffigen Schulen beftehen, mo 6—14jährige
Kinber in Abteilungen neben einanber unterrichtet merben, unb bah & nicht
angehe, in einem 3immer jmeierlei Schreibung $u (ehren, bah atfo bie
Einführung mit e i n e m Silage erfolgen rnüffe; ba auch bie Suchbrucfer auf
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9tid)acb o. ÜJlutt). 2>ie neue beutle SHed)t|djreibung.
möglich ft rafdje Durchführung brangen unb bie Vertreter ber ißreffe «Härten,
bafj oon ihrer ©eite bem ffortfchritte ganz gemijj fein $inberniS in ben
SBeg gelegt werbe: ftimmte fchliefjlicf) alles einmütig für mögtichft rafcf)e
Durchführung ber SReform.
9Jtan benfe fich nur in bie Sage eines SefjrerS, ber, wie bieS in
taufenben unb taufenben öfterreid>ifd)er ©djuten ber galt ift, ©nbe Sänner 1902
mit ben Sinbern, bie ju feiner 5 reube fd)on recht geläufig tefcn unb eben
mit linte ju ft^reiben beginnen, in ber gibel jum th unb ff fommt! ©oll
er wirtlich bie ftinber noch mit ben abgefdjafften Ungetümen plagen, bamit
fie im nädjfteit Dftober jurüdlernen miiffen? 3ft baS nicht ein Verbrechen
an ben Sinbern?! SEBer baS ruhig überlegt, wirb nicht nur ber Durch'
füljrung ber SReform Oom Schuljahre 1902 an juftimmen, fonbern auch
unoerjüglich einjuteitenbe ÜbergangSmafjregeln oerlangen müffen.
©ei bem, Wie ihm wolle, ein mächtiger ©chritt ift getan, ein grofjer
SBurf ift gelungen. Unterbrücfen mir enblich einmal bie Neigung ju
nörgelnber S'ritit; bebenfe feber, ber etwa eine liebgemorbene ©emotjnheit
aufgeben mufj, baff nur burch ©elbftjucht unb ©clbftbeberrfcbung ber ©rfolg
beS grojjen SBerfeS gcfictjert werben fann; freuen wir uns einer ©inigfeit.
Wie fie auf biefem ®ebiete nie juOor erreicht worben ift! Vor allem Wirb
es ©uclje ber treffe fein, ben unbegrenzten ©influfj, bete fie übt, inbem fie
fjmnberttaufenben bie SBortbilber täglich oor Augen führt, in ben Dienft ber
grofjen Sache ju fteHen unb fich fo bet Sulturmiffion, ber fie fich fo gerne
rühmt, gewachfen ju zeigen.
Den SRännetn aber, bie an bem SSerfe mitgefchaffen,
gebührt ber Danf beS ganzen beutfchen VolfeS; fie hoben
eine nationale ÜRiffion erfüllt im beften ©inne beS SBorteS.
3n erfter Sinie fteh* ba berSDtinifter Dr. SEBilhelm SRitter oon
$ a r t e l, beffen ©inficht unb Dattraft baS ®elingen z u
banfen ift; ihm 5 unäft £ofrat Dr. Johann $uemer, beffen
©achfenntniS unb Dafte wir bie ©inigung mit bem beutfchen
SReiche jujufc^reibett hoben; enblich feine unermüblichen
äRitarbeiter, bie SanbeSfdjulinfpeftoren |>of rat Summer
unb Sampel; bem Schreiber biefer 3eilen aber wirb, baff er
ben erften Anftofj geben unb bie ®runbzüge ziehen burfte zu
biefem SRationalmerfe, ein ftolzer Droft bleiben gegenüber
mancherlei Anfechtung am Abenbe feines SebenS.
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]o$epl) Freiherr von Belfert.
«Erlebniße unb (Erinnerungen.
II.
minijlcriunt j&xlitoariettberg-i&tabfait.
f io.
q( acfp unb ©infaS waren fcfjon am 28. Dctober nicht mehr in
Olmüfc, £>amlitc! unb id) trafen am 30. in ©rag ein, am 31.
ftiegen „ber größtmöglich Dtbenburgifche Dbcrft SJtoSle" unb ber „groß*
(möglich ©aaben’fdje geheime Start) SB et cf er" im ©aftfjofe „}um fdjmarjen
Stofs" ab; ebenbafeibft metbete baS grembenbucß am 1. Stoüember einen
„£>r. SBagner, ©utsbefifcer auS Sin}".
SBaS mid) betrifft, fo ffatte id) bem ©rafen Stabion in Dtmüfc erflärt,
bafS icf) jebenfaßS noch einmal nad) ©rag gehen müffe, ehe id; mich in ber
großen Slngelegenßeit entfdjiebc; trog allem, waS er bagegen ein}utoenben
batte, mar id) entfchloffen, mich oorerft mit ben böhmifchen Slbgeorbneten
}U befpredjen. So mar benn nach meinet Slnfunft in ©rag einer meiner
erften ©ättge in bie 33ürger=3teffource, um meinen bisherigen ©enoffen mit*
}utl)eilen, welche ©eftimmung mir beöorftehe. Sch füllte eine arge ©nttäufdjung
erleben. ©S war Stieger unb, wenn ich wich gut erinnere, auch Scanner,
bie ich bafelbft fanb unb an bie ich wich fogleich wanbte. Sie Ratten ohne
Sweifel fcbon oon ©atacfi) erfahren, was mit mir in Dtmüß oorgegangen
mar, unb ihre Rottung mar fühl, um nicht }u fagen abftoßenb. „Sieber
Sreunb," fagte Stieger, „waS Du }u thun gebenfft, ift natürlich Deine
Sache; als ein 3ugeftänbniS für unfere ©artei fönnen wir Deine Sernfung
ins SJtinifterium nicht anfehen." Sch miß nicht leugnen, bafs mich biefe
Antwort, ober oielmehr bie Slrt, wie fie gegeben mar, {ehr oerftimmte, ja
berlejjte. Sw ©runbe holten fie wohl Stecht. Sch war lein iecho*flaoifcher
Slbgeorbneter unb barum lonnte ich ntc^t als ihr Stepräfentant gelten.
Slßein fie lannten meine ©runbfäfce, welche bie ihrigen waren. ©on meiner
Seite als Slbgeorbneter eines beutfchen ©ejirfeS mußte ich baSfelbe, was
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184.
;Jofepb Freiherr non ©eifert.
fic als Slbgeorbnete böhmifcher ©cjirfc verlangten: nationale ©leichberechtigung.
SBürben fie ntrr freunblicher entgegnet höben, fo hätte id) mich wahrfcheinlidj
entfdjloffen, baS Portefeuille anjunehmen. 3efet aber war ich auf mich felbft
angewiefen, unb bie fraget ©oß id)? Sofl ich nicht? muffte ich aßein ent*
fcheiben. 9tßmählig gelangte ich in meinen Erwägungen bafjin, baS Portefeuifle
nicht anjunehmen, aber mich bem 9Winifterium mit meinem Xienfte jur
Verfügung $u fteßen.
*
* *
SBelcfer unb 9WoSle Ratten unoerfennbar bie 21 bficf)t, fich oor ihrer
Südfefer nach granffurt in Prag umgehen, fich über ben ©tanb ber Xinge
in Söhnten $u unterrichten unb, namentlich Was beffen Schiebungen $um
beutfchen Seich betraf, womöglich eine Perftänbigung ju erzielen. Soch am
31. Dctober erhielten Palacft) unb ich eine Sinlabung 001 t SBelder, ber
unS von ihrer Slnfunft in Prag unterrichtete unb babei burchblicfen liefe,
bafS er unb SRoSle eine Unterrebung mit unS Wünfchten. ©0 fanb ich ntich
benn am 1 . Sovember nach acht Uhr abenbS im ©afthofe „jum fchwarjen
SofS" ein, halb nach ntir erschien Palacfp. 3Bir festen unS um einen
Xifd). XaS ©efpräch betraf anfangs bebeutungSlofe Slßtäglichfeiten. ®S
bauerte aber nicht lang, fo berührte Palacffe ben lebten Sefchlufs beS
Stanffurter Parlaments Vom 27. Dctober, bie berüchtigten §§ 2 unb 3 ber
fiinftigen SeichSuerfaffitng:
Sein XheU beS beutfchen Seiches fann mit nicht-beutfchen Sänbem
511 einem Staate vereinigt fein.
|>at ein beutfcheS Sanb mit einem nicht-beutfchen Sanbe baSfelbe
Staatsoberhaupt, fo ift baS PerhältniS jwifchen beibeit Sänbem nach
ben ©ruitbfähen ber reinen Perfonal^Union ju orbnen.
Xamit waren wir medias in res gelangt, unb Palacft) formulierte
gleich feinen ©tanbpunft: „2BaS ich verlange, läfSt fich in $wei Punfte p*
fammenfaffen: erftenS, feinerlei ©efefcgebung von gninffurt aus über Öftere
reich, un b jtoeitenS, bie gefammte öfterreichifefee SWilitärmacht fteht unter bem
aßeinigen Sefefele unferer eigenen Scgierung. 2BaS biefe beiben punfte nicht
berührt, baju biete ich wiflig bie £anb unb bin burcfeauS einverftanben, bafS
baS PerhältniS jwifchen Öfterreich unb Xentfchlanb ein inniges unb bauembeS
werbe." hierauf SBetcfer: „2tuch ich wünfefee Öfterreich einig unb ftarf,
aßein ich faffe ih r PerhältniS $u einanber als PunbeSftaat auf: feine aß*
gemeine öfterreichifche SeichSverfammlung, aber ein SeichS s ßongrefS, auf
welchem fich ber üßfagpare, ber ©lave, ber Staliener eben fo gut ju $aufe
finben, wie ber Xeutfcfee. Xaneben Würbe jcbeS Sänbergebiet bie Slutonomie
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SRinifterium 6chn)araenberg«6tabion.
185
in inneren Slngelegenheiten auf feinem Sanbtage üben. S)ie öfterreichifch 5
beutfehen Sänber aber müßten uugerbem einen befonberen gemeinfamen
Sanbtag haben, wo fie ihre inneren ftaatSrechtlichenSerhättniffe, ihre ©eftimmungen
in Slbfidjt auf ©chulwefen, ftirchenfachen 2c. mit Unterorbnung unter jene
beS granffurter ©artamentS, etwa wie ber batyrifefje Sanbtag, regeln unb
benen ber anberen beutfehen Sänber anpaffen." ©egen biefen ©orfchlag legten
©alactp unb ich fogleich ©erwahrung ein: wie folle fich biefe 3>bec praftifd^
burd)füljren taffen ? S)a hätte man erfienS bie Sanbtage in allen einzelnen
Sänbergebieten, jmeiten^ ben öfterreichifcfcbeutfchen ©eneraUSanbtag, welcher
brittenS, wie Hercules am ©cheibewege, jwi)chen ber Unterorbnung unter ben
öfterreichifchen 9teichS*©ongrefS unb jener unter baS beutfehe Parlament ftünbe.
SBaS folle gesehen, wenn SBien unbgranffurt miteinanber in SBiberfpruch ge*
rathen? geh inSbefonbere gieng auf bie inneren Seweggriinbe ber SBelcfer’fchen
Slnficht ein: biefe feien offenbar zweifacher Slrt. Slber bem einen biefer beiben
3 wecfe fönne genügt werben auch ohne baS zwitterhafte SKittelbing eines
beutfch s öfterreichifchen ©eneral*SanbtageS, ber anbere werbe burch eine — wenn
gleich nur t^eilweife — SluSfdjeibung aus bem öfterreichifchen ©efammtförper
eher oerfümmert als geförbert. ®er eine Seweggrunb liege nämlich in ber
©pmpathie, welche bie beutfehen Sewohner ber weftlichen Hälfte Öfterreichs
natürlich z u ^ ren au&eröfterreichifchen ©tammeSbrübern h' n Z' e hc unb eS
ihnen WünfchenSwert erfcheinen taffe, ihre gnftitutionen jene beS aufjer*
öfterreichifchen $eutfchlanb möglichft anzupaffen; aber fönne biefeS 3iel nicht
auch, nach SBunfch unb ©ebürfniS, erreicht werben, wenn man bie Sanbtage
ber öfterreichifch'beutfchen Sänber jeben für fidj feines SlmteS walten laffe?
2)er zweite Seweggrunb beS SBelcfer'fchen SlntrageS habe baS ©in*
ftehen Öfterreichs für unb mit EDeutfchlanb gegen beffen geinbe nach Dften
unb SBeften im Sluge; aber bebürfe eS nicht gerabe zur ©rfiiüung biefeS
3wecfeS eines ftarfen, einigen, ungeteilten Öfterreich?. . .
3ch habe mir ben weiteren ©ang ber bielfältigen SBechfelreben, welche
biefen ©egenftanb nach ben oerfchiebenften ©eiten beleuchteten^ nicht an=
gemerft; eS ift babei aber nichts üertoren, ba bie £auptfache auf beiben
©eiten am ©nbe ber ©erhanblung bie gleiche blieb, wie bei ©eginn berfetben.
©alaefh unb SBelcfer ftanben einanber gegenüber wie zwei ©eiehrte, bie mit
ihren Slnfichten abgefchloffen hüben, oon benen fie nicht ablaffen fönnen unb
in benen fie burch alle ©inwürfe unb ©egenbemerfungen nur noch mehr be*
feftigt Werben. SBelcfer war ein rücffichtSloS fchroffer $eutfcher, ©alacfp war
ein bie — auch ©efchenfe bringenben — ®anaer fürchtenber ©labe. SBelcfer fah
alles beutfeh, ben ©tanz beutfeher ©röfje unb ÜJtocht, ein beutfcheS £>errfcher*
hauS in Öfterreich, eine auSfchlie&enb beutfehe gbee in bem Stampfe gegen
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186
gofeph greihert oon eifert.
Stapoleon I. Sßalacfp gönnte ben S)eut{d£n auf ihrem ®ebiete, wa$ fie
woßten unb wünfehten, aber nicht auf öfterreichifchem; Öfterreich habe, Wenn
gleich im innigen ©erfeljr mit bem außeröfterreic^ifc^en $eutfchlanb, feine eigenen
3wecfe; cS fei in nationaler &infid)t fein auSfchliefeenb ober auch nur oor*
wiegenb beutfefjer Staat, noch weniger in Politiker tc. ^alacfi? fah in
SBelcfer'S Sluffaffung baS Slnftreben beutfeher ßberfyerrfdjaft über bie Slaoen,
SBelcfer in jenem Sßalacfo 'S flaüifcheS Übergewicht über bie 3)eutfchen.
„SBenn man bie öfterreid&ifc^en ®eutfchen," meinte er, „trennen wollte oon
ihren aufeeröfterreichifchen StammeSbrübern, jo würbe baS feine guten grüßte
tragen, bie liroler, bie Oberöfterreicher, bie Saljburger würben ju ©apern
hinneigen, würben fid) lieber biefen anfchliefjen, als fich mit §aut unb paaren
ben Slaoen überliefert ju fehen" . . .
Unfere ©erhanblungeit würben burch einen S3efuch unterbrochen. ES
war ber Eommanbiercnbe oon ©rag, g3K2. granj ®raf S'h eö cnhüHer-
9Metfch, ein Heiner, eingetrocfneteS, aber lebhaftes unb fchneibigeS Männchen,
baS ben beibeit 9teichScommiffären bie ©ifite erwiberte, bie fie ihm nach ih ter
2lnfunft in ©rag gemacht hatten. ES mochte ihm fonberbar oorfommen, fie
in unferer ©efeflfehaft $u finben; galt hoch ©alacfp ben faiferlicheit ©eneralen
nnb 2Iubitoren ob bem £>rabf<hin als einer oon benjenigen, bie in ben gnni*
tagen bie „gäben einer Weitoer$meigten Serfdhwörung" in £änben gehabt!
fi'heOenhüDer empfahl fich &alb unb wir mochten unS nicht wieber
jufammenfefeen; gesprochen war über itnferen ©egenftanb oon beiben Seiten genug
worben, nnb bie Seit war jiemlich oorgerüeft. $)arum bereiteten fich ©alacftj
unb ich jnm gortgehen, unterhielten uns aber noch eine SBeile ftehenb,
©alacfp mit ©Selcfer, ich mit 9KoSle. ®er Dlbenburger jeigte fich babei
feineSwegS fo fchroff in feinen Slnfichten wie fein ©abenfer Soßege. Er hatte
feine SeforgniS, bafS baS beutfehe Element, auch wenn feines greunbeS ©orfchläge
fehlfchlügen, werbe oerfiirjt werben; er ^egte oielmehr bie Hoffnung, bafS eS
immer mehr ©oben gewinnen werbe. „3e weniger eS äußerlich 51t herrfchen anftreben
wirb, befto größere Eroberungen wirb eS burch feine moralische Kraft machen.
Zehnten wir ©ommern; oor fiinfhunbert gahren war eS rein jlaoifch, jefct ift
es burchauS beutfeh." $iefeS Seifpiel tonnte ich wohl nicht als richtig gelten
laffen; benn jefct fei im SlaoiSmuS baS Selbftbcwufstfein erwacht, waS
früher nic^t ber gaß gewefen; ben Slaoen fei jefct in Öfterreich bie ©leich*
berechtigung jugeftanben, währeitb bisher aße ©ortheile nnb Segünftignngen
nur bem beutfdjen Element zugute gefommen feien. SföoSle gab ^u, bafS ber
©anflaoiSmuS erft bann ju fürchten fei, wenn bie Slaoen, burch übergreifenbe
Slnfprüche ber ®eutfchen $ur Selbftüertheibigung getrieben, auf ihren
nationalen SRücfhalt, baS Stuffenthum, hingebrängt würben. „®er ©an*
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SJUnifterium ©eßnmrjenberg*©tabion.
187
ftauiSmuS, meinen niete, fei ein ®efpenft", fagte er; „icß meine baS aueß;
inbeffen ßat er baS mit ©efpenftern gemein, bafS fie benen erfeßeinen, bie
fie mutßmißig ßeraufbefeßmören." ©r gieng auf meine 3 bee einer meeßfel*
feitigen ©efcßicfung ber beiben Parlamente, beS öfterreießifeßen unb beS
beutf^en, bureß ©enbfeßaften einer beftimmten 2In$aßt bon SKitgtiebern,
eines DberbunbeS $mi|eßen bem öfterreießifeßen unb bem beutfeßen PunbeS*
ftaate, eines ßongreffeS als Organes beSfetben, ein unb matte biefe 3bee
meinen 2 lnficßten gemäß auS. Übereinftimmung in ben Pesießungen naeß
außen, in ber £>anbetS* unb SBeeßfetgefefcgebung, im SKünjmefen; ineinauber*
greifenbeS ©traßen* unb ©ifenbaßnnefc; Srei^ügigfeit unter foleßen Pe*
feßränfungen, bafS nießt einer ber beiben Steile bem anbern fein Proletariat
auftabe: baS, meinte er, mären bie ©egenftänbe, über meteße ber gemein*
fame ßongrefS ju beraten ßätte. ,,©S mag nationaler fein, maS man in
ftranffurt jurn Pefeßluffe erhoben, aber ftaatSmännifeß mar eS fieser nießt;
mein ßoflega SBelefer geßt ßierin biet meiter, atS ieß eS für angemeffen
ßatte. 3e toeferer man baS Panb mit ßfterreieß fnüpft, je meßr man
ßfterreieß frei unb fetbftänbig täfSt, befto fefter mirb baS PünbniS auS*
faßen, ©o paraboj baS Hingt, fo maßr ift eS."
@o ßat fieß mir Dberft SDtoSte atS baS gezeigt, als maS er oon
feinen maßoofl urtßeitenben granffurter ßoflegen erfannt unb ßocßgefeßäfct
mürbe, atS ein moßtmoßenber, gebitbeter 9Kann. ©r ßatte bie angeneßme
©rfeßeinung unb bie braueßbaren ©igenfeßaften eines ßößeren DfficierS,
ber aueß 511 ©taatSgefcßäften feßon bietfaeß gebraueßt morben mar, bie
fießere unb milbe SMifcßung beS fi'riegerifcßen unb Piirgerticßen, meteße
oft ©eneratftabSofficiere auSjeicßnet. ®arum, menn baS beutfeße SteießS*
äJtinifterium bertegeu mar um einen eßrticßen, gefunb um fieß bliefenben, bor*
neßm*artigen 3Wann $u einer $erf<$icfung, fo mar immer ßJtoSle in erfter
Steiße. ®afS feine unb SBelcfer’S äJtiffion in ber SBiener 0ctober*2lnge*
tegenßeit feßeiterte, mar nießt feine, aueß nießt SBetefer'S ©cßutb. *)
3m ©anjen mufSte fid) SSBelefer fagen, bafS er gegen Palacfß ebenfo
menig etmaS auSgericßtet ßatte, atS juteßt gegen SEBeffenberg unb noeß früßer
gegen 28inbifeß©räß. 2ln Slufforberungen, in ben öfterreießifeßen Parteifampf
einjugreifen, feßtte eS ben beiben 9teießS*©ommiffären bis jum testen Stugen*
bfiefe nießt. $er ,,©entrat*Perein für ®eutfcß*Pößmen" in Steießenberg
ßatte noeß in ber testen Seit eine 2 lbreffe an ©e. SJtajeftät unb eine jmeite
an bie „£oße 3teießS*ßommiffion" gerießtet.**) 3« ber lederen mürbe gebeten:
*) Pgl. ÜJtori 3 0 . SJtoßt, fiebenS*©rinnerungen. (Stuttgart, beutfeße Per=
IagS^nftalt, 1902) II. 6. 116.
**) Slbgebrucft in „$)er Pote oon ber ©ger" 1848 9tr. 31 00 m 5. Slooember.
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188
gofeph greiherr oon Reifer .
1 . baf^ „bie Autorität unb Integrität be« conftituierenben
Sleich«tage« gewahrt werbe";
2 . baf$ ber ©tabt SBien „würbige unb annehmbare ©ebin*
gungen" geftellt werben, „um in ben gewohnten 3uftonb fcurücffehren
ju törnten";
3. bafö bie beutle Sleich«gewalt „feinerlei ©erlefcung be«
conftitutioneßen ©rincip« unb ber Siechte be« freien ©ölte«
bulben werbe".
$ie Abreffe an ben Sfaifer war batiert oom 29., bie an bie beiben
Sleich« s Gommiffäre oom 31. Dctober. Sefctere tonnte nicht oor bem
2. SloOember nach Dlmüfr- tommen, Don Wo ]ie ohne 3*oeifeI ben beiben
Herren nach ©rag nachgefchictt würbe, fagen wir am 3. Sloüember. Aßein
um biefe $eit waren SBelcfer unb 9Jlo«le bereite auf bem SBege nach
granffurt, wo fie ficherlid) anberc« ju thun hotten, al« fich nachträglich
mit Angelegenheiten ju befchäftigen, bie bereite in gan$ anberer SBeife
abgethan Waren.
SBelcfer unb 9Jlo«le hotten noch Währenb ber ‘Dauer ihrer bornenooflen
©enbung bie h^ftigften Angriffe ber granffurter Sinfen erfahren unb erfuhren
bie« noch mehr nach ihrer Slücffunft in bie ©auföfirdje. Aber tonnten benn
bie armen Sleichä-Gommiffäre etwa« baftir, baf« ihnen ber öfterreichifche
gelbmarfchafl nicht parierte, ober baf« man in Dlntüfc fie wohl hörte, aber
aulefct hoch tt)at, wa« man unabhängig oon ihnen für ba« (Geeignete hielt?!
Am 30. Slooember beftieg SBelcfcr bie grantfurter Dribüne unb fuchte in
einer mehrftünbigen Siebe bie ihm unb feinem Goflegen gemachten ©orwiirfe
^urüct^uweifen. ©r entwicfelte babei an oielen ©teilen feine geringe ©efehief*
lichfeit unb fepte ben Au«gelaffenheiten ber Sinfen eine fräftige, ja fcharfe,
aber immer würbeoofle ©praefje entgegen, ©ein §auptbewei« gegen bie
©efchulbigung, baf« fie nicht« au«geridjtet hotten, war ber, e« fei nur ihrer
©inwirfung ju bauten gewefen, baf« 3Binbifch©räfc feine erften mafelofen
Sebingungen in wefentlichen fünften geänbert unb baf« er bie grift jur
©rfüflung berfelben um 24 ©tunben oerlängert höbe, (gn SBahrheit war
bie« gewif« nicht ihrem ©influffe ju bauten, fonbern hot ber öfterreichifche
gelbherr beibe« au« eigenem ©rmeffen gethan.) gm ©erlaufe feiner Siebe
liefe SBelcfer fogar fchlauer SBeife bie SJlöglichfeit einfliefeen, baf« ben beiben
Slei<h«=©ommiffären auch bie Slettung ber öfterrcichifchen ©erfaffung«juftänbe
$u banfen fein mochte. „0b bie ©roctamation Oom 19. Dctober," fagte er,
„fo fefer Oerfchieben oon ben ©roclantationen oom 15. unb 16., wegen
ber Slachricht, baf« bie GentralgeWalt ©ommiffäre fehiefe (? !)
ober wie immer erfolgt ift, weife ich nicht." Über bie Stellung unb
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SJtinifterium Schn>arzenberg*Stabion.
189
©erhältniffe bcr öfterreidjifdjeit ©lauen fprac^ er ftd^ gemäßigter auS, als
Palacft) unb ich nach feinen Sieben im „fchmarzen Stofs" am 1. Stoüember
ermarten fonnten.
*
* *
Unb maS mar eS mit bem „£r. SBagner, ©utsbefifcer aus 2inz",
ber an bentfelben Slbenbe, fco Palacftj unb id) mit ben beutfdjen Steide
©ommiffären im „fchmarzen Stofs" oerhanbetten, in eben biefern ©aftßaufe
abgeftiegen mar?
©S mar niemanb ©eringerer, als ber fo lang üergebenS gefügte ge*
mefene Sufti^SKinifter ®r. SUejanber 33 a cf). ©ach ßatte fich am 6. Dctober,
mie mir uns erinnern, — nacßbem eS ifjm gelungen mar, im 9tn^ug eines
Proletariers aus bem HoffriegSrathSgebäube ju entfommen, — auf bem ©faciS
bem SJtilitär angcfdjloffen unb mar mit biefern in ben ©cßmarjenbergifcfjen
©arten gezogen, in beffen Sommerpalais ©raf Auersperg unb gürft Selig
©cßmarjenberg if)r Hauptquartier auffcßtugen. 9lm aitberen SDtorgen mar
©ach oerfcßmunben, niemanb mufste moßin. ©r mar — in mclcßer Söeife
unb burdj melcße gäßrlicßfeiten meiß ich nicht — gliirflich nach ©njerSborf am
©ebivge gefommen, ßattc fich bort feiner ©cßmefter Souife anoertraut unb
mar oon ba nach Salzburg gereist, mo er unter ben Stamen „SSagner" in
einem ©aftßofe abftieg. ®r ßatte gehofft, bort 9ilot)S Sifcßer ju finben, mit
meinem er fich in ber $rit, ba biefer mieberßolt in SBien gemefen, jufept
im conftituiercnben SteicßStag, befreunbet hatte« Sittein ^ifcßer mar im
SteidjStag geblieben, unb fo mar ©ad) in Salzburg auf fich allein angemiefen.
Um Oöttig ungefannt ju bleiben, ßätte er nicht bloß feinen Stamen, fonbern
auch fein ©eficßt änbern müffen, baS ja fomoßl aus bem SteidjStage, als aus
bem SBiener „©harioari" fo oielen Perfonen befannt mar. So ßat er fich
moßl, mie ich benfe, in Salzburg ftrengen ^»au^arreft auferlegt unb ßödjfteuS
bei nächtlichem ®unfel, baS oon ber bamaligen Salzburger Stabtbeleudjtung
nicht feßr geftört mar, einen Spaziergang in freier 2uft erlaubt, ©leicßmo^l
hatte ®r. SBifer auS 2inz, einer ber Schriftführer im ^Reichstage, feinen
Aufenthalt auSgefunbet, ober ©ach hatte fich, ÜOTt Salzburg auS, bem
SBifer anoertraut. Als bann SBifer erfahren, bafS ©ach gebucht merbe,
hatte er baüon bem ffltinifter SrauS oertrauliche SWittheilung gemacht, unb
nun mar Sach üon SBeffenberg nach Dlmüp citiert morben. ®ahin befanb
er fich jefet über präg auf ber Steife.
Am 3. Stooember — meinem 28. ©ebnrtStag — erschienen abenbS
©trobach unb PinfaS bei mir unb feilten mir mit, bafS ©ach unter
bem Stamen „SEBagner" angefommen fei unb mich z u fp*echen münfche; er
motte fich ntit ben Süßrern ber ÜDtajorität in ben oerfchiebenen 2änbern
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190
gofeph gretherr oon eifert.
oerftänbigen unb für biefen 3toecf morgen 10 Uhr bormittag« eine Pefpredjung
mit mehreren bon un« hoben. gn Prag mar $mar feine ©efahr mehr für
ihn; gleidjmofjl befielt er im ©aftljofe feinen angenommenen üßamen nod)
bei, unb fo biel mir befannt, hot feine« ber Präger Xage«blätter bon feiner
9lnmefenheit etma« ermähnt, obrnohf er hoch bor un« $lbgeorbueten fein
|>ehf barau« machte.
$ie 3ufantmenfunft mit Pach fanb in unferem gemöhnlidjen Per*
einigung«tmnfte, im £>aufe „^unt fchtoar$en Stof«" ftatt. 6« mar mehr ein
frohe« SBieberfinben unb Pegrüfcen, al« eine ernft geführte Perhanblung
über einen beftimmten ©egenftanb. ©inen Slugenblitf nur flog mich Pach
in eine genfternifche unb ermähnte bie lebten Vorgänge in Dlrnüfc, namentlich
bie im SBerben begriffene Pilbung eine« neuen SRinifterium«. ®« circulierte
nämlich bamal« in Dlmiifc folgenbe SRinifterlifte: SBeffenberg Präfibent,
ohne Portefeuille, Schöllhaimb ffrieg, Preba gufti$, Prucf £anbel, geifert
Unterricht, Shau« ginan$en, Schmalenberg duftere«. 911« ich nun, gleichfant
mich entfchulbigenb, bemerfte, baf« ich mich burchau« nicht um eine Stelle
barin bemorben, baf« man mich bielmehr genötigt höbe, ich übrigen« noch
feine«meg« gefonnen fei, ben mir angetragenen Poften anjunehmen, fagte er:
,,$a« meine ich jo 9 or nicht, lieber geifert; aber bie 3 u fommenftetlung ber
Perfonen, mie fie bie öffentlichen Plätter bringen, muf« hoch auffallen; mie
min man au« fo berfchiebenartigen ©lementen eine ©inheit $ufammenbringen ?
6« fcheint, baf« man in Dlmüfc noch fein Kare«, fefte« 3*el hot." 3nfefct
lub er mich ein, ihn in Dlmüfe, fobalb ich boljin fomme, aufjufuchen.
11 .
6« foHte nicht lange bauern, bi« ich ih m nachfolgte, um meiner lieben
$eimat bauernb fiebemohl ju fagen; nicht al« ob ich fie niemal« mieber*
fehen unb betreten mürbe, aber ich fonnte e«, menn ich ben Poften annahm,
ber mir geboten mürbe, nur mehr al« Steifenber, al« ©aft tf)un. ®er gute
5)echant ÜRacan fchrieb au« delafobic einen Prief um ben anberen, an
meine Schmefter, an meine grau, an mich, um un« ju einem längeren 2luf*
enthalte ein$ulaben. @r felbft fam nicht nach Prag, mo un« fein Pefuch fo
fehr erfreut hoben mürbe.
©r hotte in ber lebten 3eit einen fleinen Perbruf« mit ber Prager
gournalifti!. @« mar bamal« eine Petition ber ©eiftlichfeit an ben 8teich«tag
im 3 u ge, baf« fie im Pefifce unb ©enuffe ber ft'irchengüter gelaffen merbe;
SRacan hotte bafür fleißig Unterfchriften gefammelt, unb ber |>amlWeffche
»Veöerni list« mar barüber mit §ohn unb Spott über ihn hergefallen. „gft
e« benn jeber ©efellfchaft erlaubt," fchrieb mir ber $echont, „Petitionen ju
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9Riniftertum ©fnmrjenberg*©tabion.
191
überreifen, unb nur ber Sfirfe, ber ©efellfföft ber ®af oliten, foß baS
nift gemährt fein ? $ie ©roteftanten ff änten fif, etmaS gegen fre
©aftoren, bie Suben gegen fre {Rabbiner dor$ubringen; nur bie Kafolifen
merben don ©friftftetlern frer eigenen Gonfeffion gegen fre ©eelforger
defekt". ®eSholb nun motlte er in ber jefcigen Seit nift naf ©rag
fomnten: „man rnöfte feinem Grff einen aflefanb ©emeggrünbe unter*
ffieben!" Gr meinte mohl, jebermann in ben ©rager ©tragen müfSte eS
fm anfehen, mer er fei!
Son ber ©eftimmung, ber if entgegengieng, mufSte SRacan bereits.
(Sr fei gefonnen gemefen, meinte er, mif gu beglücfmünff en; allein er höbe
fifS überlegt, bafs. in ber gegenmärtigen Srifis ein ©often fotf er Art nift
eben münffenSmert fei; if hotte als Abgeorbneter ohnebicS genug gu fun
unb tönne ba auf bem Saterlanbe nüfcen. S^nlif bafte bie SKehrgahl
meiner greunbe unb Angehörigen. „3f freue mif gu ijöxtn,“ ffrieb mir
ber Gble d. ©tarf aus Iffemin, „bafs Sie bie angebotene ©teile nift an*
genommen; benn if nehme gu marnten unb h^r^lifeti Anfeil an 3h nen /
als bafs eS mir gleif giltig fein fönnte, bafs Sie fif dorgeitig abniifc en unb
für bie 3ufunft unmöglif rnafen." AIS meine liebe Goufine Termine auf
ihrem Kranfenlager erfuhr, maS mir bedorftanb, fagte fie ftill dor fif hin:
„$er ©epi foH nift auf biefen ©oben gehen, baS ift ©latteis!"
Sie mar baS einzige $tnb beS ®reiS*GommiffärS Anton geifert,
älteren ©ruberS meines ©aterS, unb ber Suliana geb. d. SRottenberger, unb
©raut eines fehr lieben unb braden jungen äJtanneS. ©ie mar halb naf
nnferer {Riicffunft aus SBien erfrantt unb hotte feifer baS Sett nift der*
laffen. ®aS engelSgute SKäbf en mar don garter Gonftitution; fie hotte jene feine,
burfffeinenbe |mut unb jenen trügeriffen $auf ber SBangenröfe, bie lang
befürften liegen, bafs ihre bleibenbe Heimat nift auf biefer Grbe fei. ©ie
mürbe don lag gu lag ffmäfer; mit namenlofem ©fmerge fahen fre
unglüeflif en Gltern, ihr liebedoller ©räutigamfie bahinfiefen. Am 7. {Rodember
häufte fie ihre Seele aus, an bemfelben Sage, an melfem mif ein leie*
gramm SBeffenberg'S undermeilt naf Dlmüfc rief. 25ort erhielt if einen dom
10. batierten ©rief meiner grau: „$er geftrige lag mar ffön, bie Sonne
ffien fo marm, ber Fimmel freute fif, einen ffönen, reinen (Sngel, unfere
gute Termine, empfangen gu fönnen. 3f hotte baS traurige Amt, bie arme
laute gu begleiten; if mar Senge ber traurigften ©eene, bie if nof erlebt
habe, als mir fie megführten, fie ben lebten Abjfieb don ihrem einzigen
Äinbe nahm. 3f fann ben ©fmerg jefct mohl begreifen unb benfe mir fn
ffreeflifer, als menn baS fiinb feine (Sltern derliert." 3n fr ©tammbuf
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192
Sofeph Freiherr oon eifert.
legte fie einige $aare ihrer »erftorbenen ftreunbin unb fd^rieb baju Stroben
au« bem tiefergreifenben ©ebichte Senau'« „2ln Suife", ba« ich ihr öfter
»orgelefen ^atte:
®u bift bat)in! Sticht« fonnte retten
Unb galten ®ich bei un« jurücf,
®alt fniefte alle 8iebe«fetten
$a« unerbittliche ©efe^ief . . .
$ie gute, theilnahm«uotIe, ^artfü^Tenbe Seele! Sie ahnte nicht, baf«
nicht ein Saljr »ergehen »erbe, unb »ieber »erbe ein fchöner $erbfttag fein,
»erbe bie Sonne »arm Scheinen, unb »ieber »erbe fich ber $immel freuen,
einen frönen, reinen Engel empfangen ju fönnen! Unb einer »erbe jurücb
bleiben, ber e« fcßmerjlich empfinben »erbe, baf« jammerooUer, al« »enn
ba« fi'inb feine Eltern ober bie Eltern ihr fi'inb »erlieren, e« fei, »enn in
ber Slüte ber 3ah re unb ber innigften Siebe ba« SBefcn ihm »on ber
Seite geriffen »irb, ba« ihm am Slltare ba« größte ©lücf angelobt h fl tte
unb ihn jefct ba« größte Unglücf erfahren läf«t!
* * *
SEBährenb ber Sage, bie ich in Srag angebracht hatte, »ar bie Sage
in Dtmüfc biefelbe geblieben. Sdh»arjenberg unb Stabion juchten
noch immer SKinifter unb tonnten noch immer bie rechten nicht fittben. Sa«
TOnifterium be« Sintern »ar in ber je&igen Sage nach bem £rieg«=
aKinifterium ba« »ichtigfte. Sa Stabiott beharrlich ablehnte, bachte Sch»arjen-
berg an ©ach, ber bereit« gefunben, aber noch nicht in Dlrnüfe eingetroffen
»ar. „Sach brauchen »ir noth»enbig," fchrieb er am 3. SRooember an
jeinen Sch»ager in Schönbrunn; „jeitte conftitutionefle, aber ftreng
monarchijche ©efinnung, fein große« parlamentarijche« latent, fo»ie fein
unantaftbarer ©riüatcharafter ftempefn ihn $u einem noth»enbigen äWitgliebe
be« neuen SDWnifte rinnt«. SBenn feine Ernennung Aufregung »erurfachett
follte, fo müffen »ir e« hinnehmen unb berfelben ju begegnen trachten."
Über bie inneren Serhältniffe ber ©roüinjen befifce Sach aöerbing« feine
Erfahrungen, allein fein Salent, feine Energie »ürben ba« gehlenbe ergänzen.
„Schmerling ift u(tra=beutfch unb, fo Diel ich meiß, jtt fe^r ber 3Jtann be«
Er^her^og« S^hann, um ber unfrige fein ju fönnen; übrigen« »eiß er Don
ben Srooinjen auch nicht«. Stabion follte meiner 2lnficht nach noch Qefchont
»erben; er felbft fcheint e« 51t »iinfehen. Er fann mir in feiner jefcigen
Stellung für ben Slngenblicf mehr nüfcen, a(« »enn er SKinifter »äre." j$itr
ba« SKinifterium ber Saftig »urbe ber |>ofrath Saul Sigmunb ». ©hequier
be ÜRelh = 9tdba«b unb, al« biefer ablehnte, ber nieber=öfterr. Sanbrath
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9Rintfterium ©chroarjenberg-Stabion. ' 193
©eorg {Ritter 0 . 9D?itiS nach Dlmüfc berufen. 9D?itiS fagte $u. Mein über
Stadjt ftieg ihm ber ®rnft ber Sage unb bie ©röfce ber ©erantmortung, bie
er übernehmen foflte, ju Kopf; er geriet^ in eine fieberhafte Slufregung unb
bat am anberen 9D?orgen, man möge ihm fein SBort jurüdgeben.
Slm 5. Stoüember tourbe S3 a ch in Dfmüfc fichtbar. ®in ©ortefeuifle 3 U
übernehmen, lehnte er in ber entfehiebenften SBeife ab. ©leichmohl meinte
©chmarjenberg, ihn noch geminnen ju fönnen, unb fo fdjrieb er an SEBinbifch*
©räfe: „©adj'S Slnfichten über bie Stellung ber Slrmee, über bie SlbelS*
tJrage feien fo correct als möglich-" ®och bie 3 eit brängte, bereits breimal
hatte SBeffenberg, noch immer nomineller 9Rinifter=©räfibent, ben Saifer um
feine Snthebung gebeten; am 5. 9?oüember that er eS neuerbingS, unb bieS*
mal bringenber als je. 3Ran mufste fich enblidt) entfeheiben. SBinbifch*
©räfc mar für ©tabion; ©ach, meinte er, fei benn hoch für baS SWinifterium
beS Snnent §u fehr SBicner; ©tabion bagegen h a & e i n ben öerfchiebenften
©romnjen gebient unb biefelben burch eigene Slnfchauuttg fennen gelernt. Sn
SIbgeorbnetensS'reifen mar man über biefen ©unft längft einig; man tonnte
fich 9 ar benfen, bafS jemanb attberer als ©tabion SRinifter beS Snnern
merben foHte, unb baS mürbe ihm täglich flefagt. SllS jefet noch ©chtoarjen^
berg in ihn brang, gab er enblidj nach, unb am 7. machte in Dlmüfc bie
frohe {Rachricht bie SRunbe: „©tabion hat angenommen!"
@o ftanben bie $inge, als ich a m 8 . S?oüember, morgens 5 Uhr,
auf bem Dlmiifcer ©ahnhofe eintraf. Sch hatte t>on ©rag auS ben „Sohemia"*
Ätutfdjat unb ben langen Urban, ßoitcipiften beim böhmifchen ©über*
nium, ju {Reifegenoffen gehabt, bie aber meiter nach ®5ien fuhren. Sch ftieg
im ©afthofe „ 5 um ©oliath" am Dberring ab unb machte mich balb auf
bie ©eine, um ben „©utSbefiper aus Sinj" aufjufuchen. Slflein niemanb
mufste etmaS öon einem „|>errn SBagner", er h a tte fein Sncognito bereits
abgelegt unb mar nun unter feinem mähren 9?amen ju finben. Sch traf bei
ihm ©alaeth, ber eben aus SBien fam, mo er bem Saron „Setladet", mie
ihn bie SBiener nannten, einen politifchen ©efuch abgeftattet hatte. SllS ©ach
unb ich allein maren, tarn baS ©efpräch au f baS {IRinifterium; ©ach ertlärte,
er merbe nicht eintreten, er fei „unmöglich". 9D?ittagS ju lifche traf ich
Schmalenberg unb ©tabion, bie mich nach bem ©peifen eifrig in'S ©ebet
nahmen, bafS ich mich entfeheiben möge.
©on Slbgeorbneten maren noch immer einige in Dlmüfc, barunter
StlopS Sifcher unb ©ajetan 9Raper, mit benen ich öiel oerlehrte. SllS ich
mit legerem über bie Steigerung ©ach'S, in'S SD?inifterium ju treten, fpradj,
fagte er mir: „Xer ©ach meint, 2 Binbifch©räfc möge ihn nicht. $a hat er
aber Unrecht, ©egen ©ach h Q t 2Binbifch©räfc nichts, ber ©tabion ift eS,
$ie Jhiltur. III. 3a$rfl., 3- $eft. ( 1902 .) 13
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gofeph greiherr txm geifert.
ben er nidjt mag." $er „fchmarje 9Jtaper" hatte für folche $inge ein feinet
Städten, unb er hatte baS richtige getroffen. 2Binbif<h©räfc hat allerbingS,
mie ich erzählt habe, im lefcten Slugenbtide barauf gebrungen, bafS Stabion
in'S üJtinifterium trete; allein fpmpathifch mar ifjrn Stabion barum
hoch nicht. Unb jmar aus fotgenbem ©runbe: im Sommer 1846, ba fich
2Binbifch©räfc bie ®inge jurechttegte, um für eine ®ataftropf)e, bie DorauS*
jufehen mar, bereit ju fein, hatte er fich brieflich aud) an Stabion gemenbet,
um biefen in feine Kombination ein^ubejie^en. Stabion mar ba$umal fchon
oft als fünftiger SKinifter genannt morben, er hatte einen großen, obmofjf
mehr ftillen unb geheimen Slnfjang, aber gemifS nodj mehr laute unb
lärmenbe ©egner, bie eS an Sormürfen unb Schimpfereien gegen ihn nicht
fehlen liefen. Stabion moflte fich beSpatb bie $änbe frei halten unb lehnte
in einem höflichen Schreiben bie Kinlabung SBinbifch®räfc' ab, maS,
mie fich benfen täfSt, biefen nicht menig öerleptc. 3d) fann mir nicht
beitfen, bafS Kajetan SKaper oon biefem S^ifchenfall etmaS mufste; ich
felbft habe baoon erft nach langen fahren, als ich ©tubien für mein großes
©efchichtsmerf machte, Slenntnis erlangt.
Sftit ben anberen Portefeuilles mar man fo ziemlich im Steinen, gür
ben §aitbel unb bie öffentlichen Arbeiten hattet). Srud jugefagt unb mar
auS granffurt a. 3K. bereits in Dlmüfc eingetroffen. Bejügtich beS Baron
®rauS mar man einige 3^it anfchliiffig. KS fchien hoch etmaS fonberbar, ben
„Dctober*3ftinifter" in ein SKinifterium aufjunehmen, baS ben Stempel ber
Sopalität unb Segitimität an ber Stirne tragen foUte; überbieS hatte ffrauS
in £>epenborf einen unangenehmen Stuftritt mit bem dürften 2Binbifch©räfc
gehabt.*) $>och anberfeitS fannte man feine vortrefflichen Kigenfchaften, fein
auSgefprocheiteS Xatent für bie ginanjen, feine auSgebreitete ©efefcfenntniS,
feine abminiftratiöe Krfahrung, unb am Knbe hatte man feinen anberen, auf
ben man greifen fonnte. gür baS fi'riegSminifterium mar man benn hoch
üon Stabion'S Borfchlag, einen 9?icht*3Rititär bamit $u betrauen, mieber
abgefommen, unb eS mürbe befchloffen, ben ©eneral gran$ greiherrn
t). Korbon ju berufen; er mar nach ber Kinnahme üon SBien jum Stabt*
Kommanbanten ernannt morben unb mar megen feines humanen SBefenS bei
ber Beöölferung nicht unbeliebt. Unter ben Slnhängern ber Regierung mährenb
beS SBiener SteichStageS befanb fich ® ert öon Ihlunfelb; er hatte fetten
gefprochen, aber babei gezeigt, bafs er gebiegene Senntniffe unb Krfahrungen
im ©ebiete ber Sanbmirtfchaft unb beS Bergbaues befipe; ba§u fam in
ber testen 3^it fein Slbfagebrief an ben revolutionären SfeichStag, unb fo
*) Siehe meine „Belagerung unb Kinnahme SBienS im Dctober 1848", (Prag,
$empSfp, 1869) S. 207.
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9Rinifterium ©<hn>at 3 enberg=©tabion.
195
-festen er gan* geeignet, einen pla$ im oberften Statue ber ®rone einjuneljmen.
2Ba« mich felbft betraf, fo blieb ich, obmohl auch Srucf unb ®rau« mir
^urebeten, bei meiner Steigerung, ba« Portefeuille be« Unterrichte« anjunehnten ;
ich erftärte mich aber bereit, einftmeilen in untergeorbneter Stellung bie
©efdjäfte ju führen.
©o mar benn jefct alle« beifammen, nur ein 3uf%9Rinifter fehlte
noch. ®° fam man bemt auf ben ©ebanfen, nach 9®ten ju fahren
unb bort einen ju fuchen. Sach fchlug ben §ofrath 9lbolf ftreiherrn b.
Pratobebera bor, ben er al« tüchtigen Snriften unb achtung«merten
©harafter fchilberte. SBir fuhren am 9. {Robember, 3 Uhr nachmittag« mit
einem ©strajuge bon Dlmüfc ab: Schmalenberg, ©tabion, Sntd, Sach unb
ich. 3lfoh3 Sifch^r unb ©ajetan SWaper fuhren mit un«. ftifcher führten
Pribatgefchäfte nach SBien; auch mollte er ein menig h^rumhorchen, mie
etma in ben berfd)iebenen Greifen bie Stimmung unb bie öffentliche SKeinung
fei; namentlich mollte er Sach mit einigen Führern ber ßinfen in Serührung
bringen unb beffen Sebettfen, baf« er „unmöglich" fei, beheben.
Sach hotte mich eingelaben, in feiner SBohnung in ber ©ingerftrafte
abjufteigen, mo mir fpät abenb« anfamen. 911« mir am aitbern äRorgeit beim
grühftücf fafjen, nahm Sach bie „SBiener S^itung" bom 10. in bie £>anb,
ftufcte unb reichte mir lächelnb — jene« ßächeln, ba« bie bon ber ßinfen
fo fehr in ^arnifch bringen fonnte! — ba« Slatt hin, inbem er fagte:
„{Ra ©ie, lieber geifert, ber 38inbifch©räfc macht'« fchnefl!" @« mar bie
amtliche 2Rittheitung, baf« {Robert Slum am geftrigen läge 7 Uhr morgen«
in ber Srigittenau ftanbrechtlich erfdjoffen morben. ®« mar bie erfte £in*
richtung nach ben 0ctober*3agen, noch baju an einem ber ©erneuten, einem
IDiitgliebe be« granffurter Parlament«. {Riemattb mar bamit jufriebener al«
ber fächfifche ©efanbte in SBien, ber alte Saron Sönnerip. „®ott fei
©)anf", fagte er $u ©chmarjenberg, „baf« 3h r wn« ben bom ^palfe gefchafft
habt!" ®ann $mang er fich, eine ernfte äRiene anjunehnten: „3efct muf« ich
aber in meine ®anjlei gehen unb im {Rainen meiner {Regierung ©infprache
erheben, baf« man einen föniglidHächfifchen Unterthan fo ohne meiter« oor
©ericht gezogen, abgeurtheilt unb hingerichtet hat."
3n ber ©tobt unb überall, rnohin bie {Rachricht brang, mar bie 9luf-
tegung allgemein, bei ben ©inen ©rftaunen über bie fühne ©ntfchloffenheit
ber {Regierung unb Sefriebigung über einen 9lct ber ©erechtigfeit; bei ben
Snberen, barunter befonber« bei benen bon ber ßinfen be« SReich«tage«,
namenlofe Seftürjung, ja ©ntfefcen. ßöhner fagte ju einem Sefannten:
,,2Ba« fann mir gesehen? @« liegt ja nicht« gegen mich bor!" ©leichtbohl
litt e« ihn nicht länger in SBien, ba« {Balten ber SRilitärgemalt mar ihm
13*
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196
Sofeph Freiherr oon geifert.
unheimlich- ®a manbte er fich an ßeopolb {Reumann, ©rofeffor ber Sterte
am Ifjerefianunt, 2lbgeorbneten für bie SBiener ßeopolbftabt. {Reumann mar
SRitglieb be« Eentrum« unb galt al« einer ber unbebingteften Slnhänger ber
{Regierung. Sr hatte bafür ben ©ptfcnamen „ber faif. fönigtiche {Reumann";
im SBiener „Ehariüari" mar fein Äbbilb nie anber« al« mit fchmar^en unb
gelben Streifen $u fehen. ®iefen nun bat ßöhner, er möchte ihn unter
feinen ©djufc nehmen, bamit er ungefährbet au« ber ©tabt fomme. ®er
f. f. {Reumann ermiberte: „Sch meifc nicht, mie ich ba« nehmen foü?
Übrigen« fage ich Sh n en: menn ich am 6 . Dctober ©ie um ©chufc gebeten
hätte, ©ie mürben mir ihn, felbft menn ©ie gemoDt Ratten, gar nicht ^aben
gemäßen Jönnen."
3Ba« bie ©eroollftänbigung be« SRinifterium« betraf, fo hatte fie in
SBicn jmei neue Erfolge aufjumeifen. perr bon 2f)innfelb au« ©teiermarf
erflärte fidf) bereit, ba« SRinifterium für fianbe«cultur unb Sergmefen anjune^men.
Eorbon hatte gegen bie Übernahme be« ffrieg«minifterium« jmar einige
©ebettfen: mie fönite er al« einfacher ©eneral * SRajor gelbntarfchall*
ßieutenant«, Selbjeugmeifter unb ©enerale ber EaoaHerie, ja gelbmarfdjätle
unter fid^ haben? ©tabion fefcte ihm au«einanber: al« ffrieg«minifter ^abe
er nur bie militärische ©ermattung; mit militärifchem {Rang unb Unterorbnung
habe ba« nicht« ju thun. darauf ^in gab Eorbon nach- {Rur mit ©rato*
beoera mar e« nicht«; er meigerte fich ebenfo, mie fidj ©reba, ©hequier,
SRiti« gemeigert Ratten, unb jo blieb benn mieber itiemanb übrig al« ©ad).
SEBir Ratten in fflien brei Xage bermeilt. 2lm 12 . morgen« fuhren
mir mit einem Sjtrajug bi« putlein unb malten üon ba einen Slbfiedjer
nach ffremfier, um nachjufehen, mie e« mit beit ©orbereitungen für ben
SReicf)«tag ftef)e. 933er mar ber erfte, ben ich in ffremfier 511 fehen befam?
ßöhner! Er muf«te fid) alfo auch ohne ben !. !. {Reumann einen ©affier*
Schein jur Steife oon 9Bien $u oerfdjaffen gemuf«t haben. ßöhner befanb Sich
in ffremfier mit Hermann © d) m i b t, meinem ehemaligen ffrafauer Eoüegen;
ich traf ©chmibt im ©afthofe „$ur ©onne", unb er Schimpfte jefct über bie
©olbaten ebenfo Sehr, mie er früher in ffrafau ihre ©artei genommen hatte.
®er einzig gemaltige, ja allmächtige in ffremfier mar jefet 2 Uop« 3 eien,
ber 8 teich«tag«* 0 rbner par excellence. ®ie 2 lnftalten, bie er in fünfter
3eit getroffen, maren bortrefflid): ber ©ifcung«faal, bie Eommiffion«äimmer,
bie ©ureau«, alle« mar auf ba« jmedmäfeigfte au«erfehen unb hergerichtet.
211« fich geigte, baf« SRangel an Stühlen ba mar, telegraphierte er nach
©rag: e« joden 150 Stühle au« bem böhmifchen ßanbtag«faale nach ffremfier
gefchidt merben. Xetegramm au« ©rag an ben 3teich«tag«=0rbner Seien in
ffremfier: „2luf meffen ©efepl? SRefedrq." Telegramm au« ffremfier an ben
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OJlinifterium Schroarjenberg-Stabion.
197
©ubernial=Sice=Sräfibentett Saroit s Dfefcert) in s 45 rag: „2luf meinen, Seien."
llnb bie Seffeln mürben gefd)idt. 2 luch für bic &üd)e, für bie Sieftauration$=
Socalitätcn mar geforgt; in ber Clonbitorei lieft er un* burcft bie itieblicftfte
bcr 3 u ^ er ^öcfertöd)ter beit trefflicftften ber SRofogtio’S creben^en. Xaneben
muffte er in ber Stabt Quartiere für bie Mbgeorbiteten auSfinbig $u machen
unb in ©tiibettj 51t fjaltcn. Tie jahlreidjen gali^ijcften Säuern mollte er in
^mei groften Jpöfen nor ber Stabt unterbringen: ,,Sd) merbe mitten unter
ihnen moftneit, bamit fie mir niemanb abfängt." Ta£ mirb er, fcftrieb ich
meiner 2Rina, meint e» ba^u fontmt, mobl bleiben laffeit!
Selen übte bie obcrfte $olijei itt firemficr, minbeftenä bilbete er ficft'ä
ein. „Sn ber ganzen Stabt," c^plicierte er mir, „nimmt tticmanb Sefefjle an,
al 3 non mir unb bie 001t mir gefertigt fittb. Seber, ber fid) einquartieren
mill, mirb 51t mir gejeftieft, um einen Slufnahm^ettel $u erhalten. Schreibe
id) barauf citt „n", ba» fteiftt „nein", io befommt er iit gauj Sremfier meber
Quartier, itod) Speife unb Traut. 3 BiH er obitc biefe brei Tinge ftier bleiben,
fein Üftenfch mirb il)it baratt liiitbcnt." ©leidpuoljl muffte er itid)t, bafä
£öftner in Sremficr fei. 2ll£ id; ihm bie 3 mittheilte, fagte er mir mit
fomifdjem ©ruft: „ s JZa feftau, brum mar mir beute fo übel!" 2luf bie
Sournalifteit batte er c* befonber^ jeharf. Seber, ber aitfant, erhielt uon
ibnt eine Strafprcbigt unb SOfabnuitg jur Sefferuug: „Sb r feib jtoar alle
^lifantmeit Snntpe, Schufte, beut Teufel $u fd)lcd)t, Shr uerbient alle burd;
bie Sauf gehangen $u merbeit" :c. Glitch bie armen Stenographen, bie boeft
nichts 51t thuit hatten, als ba 3 auf$ufd)reibcn, ma§ aitbere fpradjeit, befantett
feinen Humiden ( }u fühlen.
2 lnberfeit£ mar er bcr beftc Slerl non bcr SBelt. Seber Slbgcorbncte
mürbe auf ba* juuorfommenbfte non ihm aufgenommen, mohitte bei ihm,
folange er itod; fein Quartier hatte, mürbe uon ifjm bemirtet. (Sr mar ein
fcftlauer Stopf unb ift gemif$ babei itid)t fd;led)t gefahren Xhatfacfte aber ift,
baf£ alle feine ßerftefluitgcn nid)t bie .pälfte noit beut fofteten, ma$ bafür
ba$ f. f. Sauamt aufgerechnet haben mürbe. Selen befaft einen fauftifdjen
2Bifc unb mar burd)au* nicht mählerifd) itt feinen 2 lu 3 briicfen, meber im
Schlimmen noch int ©uten. Tenn er nerftattb e$ nidjt mettiger 51t fd;iiicid;elu
al£ 51t fd;intpfen unb beibe3 in groftent Stil, ^unt Seifpiel: „ 3 ucrft uitfer
Herrgott, bann ber fiaifer unb ba* SKiniftcrium, foitft feinte id) itid)t*!"
ober gar: „Wad) unfereiit Herrgott fontmt glcid) ba§ SÖfinifterium." Ta
er nun in ber Xf)at ber Regierung aithättglid) unb ergeben mar, ihr Tienfte
leiftete, mo er nur fottitte, unb fid; 51t allem bercitmillig geigte, fo mar e§
begreiflich, baf$ er halb alle SRiniftcr für fid) cingeuomnteit hatte. „Sehen
Sie," fagte einmal Srud 511 mir, „fold;e Wteitfdjen habe id) gern."
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gofepp greiperr oon §elfer\
®egen Slbenb {Rieben mir üon Sfremfier unb tarnen fpät in Dlmüfc an,
SRein erfter ©ang am 13. morgen^ mar auf bie Poft. geh h a tte, mie ficf>
üon felbft üerftept, biefe ganzen Sage nichts üon meiner lieben grau
erfahren fönnen; ich feinte mich nach Stacprichten üon ihr unb ermartete
einen poftlagernben ©rief ju finben; unb fo mar e$ auch $u meiner
grofeen greube.
gn 01 mü| mar ich üiel um Sadj, bem ich niept abliefe gu^ureben r
bafS er ins SKinifterium trete; er fdjien ba£, obmopl er fiep noch immer
ablepnenb üerpielt, niefet ungern gu hören. ®ineS XageS malten mir auf
bem ©laciS bie Stunbe um bie ©tobt, als uns bie ©^her^ogin Sophie
mit einer ihrer #ofbamen entgegenfam. ®ie ©r^er^ogin gieng auf Sadj $u
unb liefe fiep mit ifem in ein fur^eS ©efprädj ein; ich trat natürlich befepeiben
jur ©eite. Pacp'S entfcpiebeneS Auftreten am 2 . September, mo er ber
$rone baS 9Recpt üorbepielt, bie Pefcpliiffc beS Parlamenten 51 t fanctionieren r
patte ihm opne grage ben $anf unb bie ©pmpatpie beS |>ofe3 ermorben. —
2 )aS mar auch bei ©tabion ber gad, ber auf Pacp’S ©intritt ben gröfeteu
Sßert legte. Pacp brachte, um feine Steigerung ju rechtfertigen, einen ©runfc
nach bem anbern üor, ©tabion modte feinen gelten (affen. Unter jenen
©rüttben mar auch ber, beit er fdjon iw Prag gegen mich üorgebracht patte:
baS äRinifterium fei auS jtt heterogenen ©(ementen aufammengefefct, eS fei
ein ©ompromifS^Winifterium; er, 93ach, mürbe, fo fefcte er jept pin^u, iw
bem ©abinet feine @tüpe finben. „$arin irrt Sach/' fagte ©tabion, ate
ihm biefe $ufeerung hiwterbracht mürbe; „ich ()obe tyw fennen gelernt, feine
Slnficpten finb auch bie wteinigen, auf mich W)irb er immer rechnen fönnen."
$>a fam enblich bie ©ntfeheibung. ®ine£ XageS mar 2Uot)ä gif eher bei
ihm unb beibe befpraepen biefe Slngelegenpeit, mobei gifeper aHeS aufbot r
ihn $ur Slnnafeme gu bemegen. SRacpbem gifcher lang gefproepen, ©ach wur
fchmach ermibert holte, entftanb eine fleine Paufe. ©ach fepten fiep bie ©oepe
noch einmal 31 t überlegen, bann erhob er fiefe üon feinem ©ifce unb fagte:
„SBoplan, ich W>iö es tpun!" Stm Slbenb beim „©oliatp" begrüfeten mir
ipn fchon als äRinifter.
*
* *
$aS 9Rinifterium mar jefct üodaäplig, ich 5 W>or nicht mirflicher SRinifter,
aber ich 9 ölt a(S foteper, ber fich nur nicht förmlich erflärt hotte, ©ineS
lageS fagte ©tabion in meiner ©egenmart: „geh miß feinen UnterftaatS=
©ecretär" — beinahe jeber äRinifter hotte bamalS einen folcpen —, „ein
UnterftaatS-Secretcir ift nichts als eine ßaft!" „geh banfe fcpön", fagte
ich, „ba machen ©ie mir ein fcpöneS ©ompliment!" ®arauf ©tabion:
„Sie meine ich i a wicht, ©ie betrachte ich o(S äRinifter, unb menn mir mit
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2Jtinifterium 6chroargenberg*©tabion.
199
bcm 8teich«tag gu ©nbe finb unb mir nach SBien fornmen, mcrbctt Sic e«
auch förmlich fein." (®r meinte feine Sluftöfung be« 8teich«tage«, an meldje
barnal« niemanb backte, fonbern beffen regelrechten Slbfchluf«, nachbem
er feine conftitnierenbe Slufgabe öollenbet höben mürbe.)
Sa« üRinifterium mar ba, unb nun begannen bie gemeinfamen ©e*
ratfjungen, bie in ber SBohnung unfere« ^räfibenten abgehalten mürben.
Ser erfte -Kinifterrath fanb am 15. Soöember ftatt, ich habe ntir ben ©ang
beleihen aufgegeichnet, unb e« bürfte ben Sefer vielleicht intereffieren,
etma« Sähere« barüber gu erfahren. Slnmefenb maren: ©chmargenberg,
©tabion, ©ruef, Shinnfelb, ©orbon, ©ach nnb ich; ®*au« mar
für ben Slugenblicf in SBien. SBeffenberg mar gmar noch officietter SKinifter=
präfibent, hoch in unferer 3Ritte erfchien er nicht; feine ©nthebung, um bie
er ben ®aifer fo oft gebeten hatte, fonnte jefct jeben Sag erfolgen.
I. Snerft famett Sepefcfjen au« ©rag an bie Seihe. ©ie lauteten fehr
bebenflidf).' 3n ber ©tabt gebe e« mühlenbe unb hefeenbe ©lemente aller
Slrt; bie au« SBien gurüefgefehrten 3ugügler, au« SBien geflüchtete Semo*
traten unb ©tubenten; bie beiben Slpoftaten ©toll unb Songe arbeiteten für
eine beutfd^fatholifche ©emeinbe unb regten ihre Zuhörer aU ch in politifcher
Dichtung auf; ber bemofratifche ffierein halte eine ©ifcung nach ber anbern*
„Ser ©ouoerneur ©raf SBicfenburg geigt fich fchmach, ift ein ©pielbatt in
ben §änben ber giihrer; auf bie groftentheit« au« Stalienern beftehenbe
©arnifon ift fein ©erlaf«. 3>n einem 3Birt«hau« hat man auf bie SSörber
be« Satour, auf ben fünftigen SKörber be« Sfaifer« angeftofjen, in einem
aitbern ba« ©ilbni« be« Saifer« öerbrannt." ©in Schreiben be« Selb*
marfchatl« au« ©chönbrunn lautete ähnlich unb fprach bie Slbficht be« dürften
au«, eine fliegenbe Kolonne nach ©rag gu entfenben.
©om äKinifterrath mürbe befchloffen: ©raf SBicfenburg fei abguberufen
unb gur Serantmortung nach Dlmüfc gu citieren; ber ©icepräfibent Sgnag
Sitter b. SRarquet fei gu beauftragen, einftmeilen ba« ©ubernium gu leiten;
er habe nachgufpüren, melche ©erbinbungen ber ©rager bemofratifche ©erein
mit ben lebten SBiener ©reigniffen gehabt habe; ©erfonen, gegen bie fich
Sngichten herau«fteüen, feien gu öerhaften; fall« auf bie ©tubenten*2egion
eine ©chulb falle, fei fie aufgulöfen.
II. 3ch ergriff ba« SBort unb fprach ungefähr fo: „3ch möchte hier
ettoa« anregen, auf ma« ich intmer mieber gurüeffommen merbe. 3n ©rag
finb Sruppen nöthig; in ©chlefien gährt e« ftill; ebenfo im nörblichen
©Öhmen. SBenn bie Singe in ©erlin fchlimm au«gehen, haben mir vielleicht
neue Slufftänbe. ©ie brauchen Sruppen auf allen ©eiten. SBa« merben
©ie anfangen? Sa« £eer in Ungarn ober ba« in Italien fdjmächen? Sa
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200
^ofeph ^reihert oon geifert.
hätte ich nun ein Hausmittel. SRadjen ©ie bcn Srieg in bcr ©lobafei ju
einem populären! ©eben ©ie bera ©eneral ©imunii einfidjtSbofle SertrauenS*
männer an bie ©eite, bie unter feiner Slufficfjt unb ßeitung baS Soff über
ben Stieg belehren, aus bem Söffe ßeute für ben Stieg toerben, bie ©emorbenen
unter bie gefaulten ©ofbaten eintheilen, unb ©ie tonnen aus ben brei
Satnillonen, bie ©irnmtid jefct Ijat, binnen Jurjem ebenfo biete Regimenter
fdjaffen, fönnen bamit brei anbere Regimenter in Rorbungarn entbehren unb
anberSmo bermenben. SRehr nod&: eS ^anbett fich nicht bloß barurn, uns
einen Sortheil ju berfdjaffen, fonbern auch bem Scinbe einen Sortiert $u
entfliehen. 2>enn tljun mir nicht, rnaS ich gerätsen, fo merben eS bie Ungarn
tpun, aus bem Söffe gegen uns ben ßanbfturm organifieren. $ie ©tobafen
finb ein gutmütiges, aber inbolenteS Soff; mer juerft fomrnt, mahlt früher."
9Rein Sorfchlag moflte nicht recht berfangen. Xent ©eneral ©orbon
miberftrebte eS, ungefcfjulteS Soff unter feine gefaulten ©olbaten flu reifen,
©djmarflenberg ermiberte mir: eS befinbe fich oljnebieS granj 3<uf) bei
©imunii, eS fotte ein fejShafter ßanbfturm jur Sertheibigung ber Drtfcfjaften
organifiert merben.
III: ®er SriegSminifter, als ehemaliger SBiener ©tabteommanbant,
fpradj bon ben Seichten, bie gegen mehrere SRitglieber beS Reichstages flutn
Sorfchein gefommen, unb meinte, eS miiffe in biefer |>inficht eine Serfitgung
getroffen toerben. darauf ich: „2)iefe Serfügung fönnte hoch tooht nur in
einer Snftruction an bie ßentraHlnterfuchungS^Sommiffion beftehen, toie fich
fetbe, fattS Slnjeigen folcher s 2lrt an fie gelangen, flu benehmen höbe." ®er
Suftiflminifter tourbe bamit betraut, eine ^nftruction in biefem Sinne abjufaffen.
IV. $er SRinifterpräfibent flieht ein Schreiben beS probiforifepen SRarine*
Sommanbanten 3lttton Ritter b. SRartini herbor, morin biefer bie Roth*
toenbigteit barlegt, bie faiferliche SriegSflotte flu bermehren: eS mären
SriegSbampfer flu bauen ober burch Slnfauf 511 ertoerben; auf englifchen
©chiffsmerften befänben fich ö * er öon RufSlanb befteüte SriegSfchiffe unb
eS märe bielleicht möglich, bafS RufSlanb btefelben unferer Regierung abtrete.
Srucf: „$gt)pten befipt eine bebeutenbe glotte bon ©egetfehiffen, eS miß fich
eines Steiles berfelben entlebigen; bielleicht gelänge eS, eine 9lnjahl babon
ju ermerben." ©S toarb befchloffen, fomoht in ©nglanb als in Sigppten
hierüber anjufragen; an Irieft märe bie Slufforberung ju richten, ob eS
nicht angienge, SriegSfchiffe im Snlanbe ju bauen unb bie SRafdjinen baju
auS ©nglanb ju bejiehen.
V. ©djmarjenberg bringt ben SanuS SeUaftd in ©rimterung: „Sefladid
hat fich um bie Rettung ber SRonardjie große Serbienfte ermorben; eS gebürt
ihm eine StuSjeichnung befonberer 2lrt, bie barin beftänbe, ihn junt ßanb*
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üftinifterium ©chn>ar$enberg*6tabion.
201
unb 3Rilitärs©ouüerneur üon Dalmatien ju ernennen; ba$ mirb bie flaüifchen
Dalmatiner befriebigen unb bie feparatiftifdjen Italiener im Baum galten.
3 ugteid) fönnte man ihn zum ©ouüerneur üon Siume machen, ba$ er ohnebieS
in feiner ©emalt hot. Die Siumaner Srage ift noch in ber ©djmebe; burch
eine foldje Ernennung mirb ber Söfung nicht üorgegriffen, benn gum
©ouüerneur !ann ber Saifer ernennen, men er miß. @3 mirb bamit meber
bie SoSreifjung 3iumeS üon Ungarn, noch beffen ©inüerleibung in Sroatien
auSgefprochen; aber e3 mirb ju ber einen ober anberen Söfung ber 3Beg
gebahnt."
SlfleS mar mit ben SluSfüfjrungen be3 SKinifterpräfibenten einüerftanben.
VI. ©3 folgte eine fefyr intereffante, üon ©ach angeregte Debatte über
bie militärifche ©erichtSbarfeit; ©orbon, ©rud unb ich fprachen ihre Sfnfic^tcn
au3, mornit ich jebodj ben Sefer üerfdjonen miß.
3m aßgemeinen mirb man zugeben, baf3 bie ©egenftänbe, bie gleich
in biefer erften ©ifcung zur Sprache tarnen, mannigfaltiges Sutereffe boten,
unb ich meinerfeitS !ann e3 nur bebauern, bafS ich mir nicht gleite 2 luf*
Zeichnungen üon ben folgeuben ©ifcungen gemacht höbe. 3 <h höbe ou3 biefen
nur einzelne ©apiere unb fonft nur aßgemeine Erinnerungen, ©ine ber erften
Aufgaben mar bie Bufommenfteßung be3 ©rogrammS, mit melchem ba3
©Jinifterium üor bie Öffentlichfeit treten foßte; bann aber eine ©ad)e üon
ungleich höherer ©ebeutung.
12 .
©3 mar an einem ber erften ©erathung3*2lbenbe, als uns
©chmarzenberg eröffnete, er höbe uns eine SJtittheilung üon ber aßer*
größten SBichtigfeit zu machen, unb beifügte, bafS barüber unbebingteS ©tiß*
fchmeigen nach oufjen feftgehalten merben müffeStaifer gerbinanb,
ber fepon in 3un3brud zweimal höbe afrbanfen mollen, fei
nun nicht länger zu hotten, Erzherzog Stanz Sari rnerbe
auf bie Nachfolge üerzichten, ©rzherzog Sranz Sofeph merbe
bie Regierung übernehmen; er feiburchbie üorangegangenen
©reigniffe nach feiner ©eite h' n gebunben unb höbe baher
üolHommen freie §änbe, um Öfterreich einer neuen Bufunft
entgegenzuführen.
3ch tonn eS nicht fchilbern, metchen ©inbrud biefe Eröffnung auf uns
aße machte, ©tabion aflein ausgenommen, ber ohne 3*ueifel früher in baS
©eheimniS gezogen mar. Der erfte, ber nach einer beflemmenben ©aufe
baS SBort ergriff, mar ber SriegSminifter. „3o, fo ift'S recht/ fagte
©orbon, „baS §eer braucht in ber jefcigen 3eit einen §errn, ber fich fehen
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202
3ofepf> Freiherr üon Jpelfert.
(affen famt." 9tun fanb auch ber bebächtige Kraus 333orte, um feiner
äReinung 9luSbrucf ju geben. ©r fpradj in entgegengefefctem Sinne, als fein
©oflega oorn Kriege. „Das ift benn bodj eine fefyr bebenfliche @adje,"
meinte er; „bei bem jepigen Kaifer weiß man, woran fidj $u galten; aber
ein junger $err, ber neu in bie ©efchäfte eintritt, — wer fann üorauSfagen, wie
er fid) in biefer emften Sage benehmen wirb, wie man mit ihm auSfommen
Wirb?" Schwarzenberg fudjte KrauS’ Seforgniffe z u befcfjwichtigen.
„Übrigens", fügte er bei, „ift an ber ©ache nichts zu änbern; ber SRegierungS*
werfet ift in ben 2 lüerf)öchften Steifen befdjfoffene Sache, unb bem SRinifterium
bleibt nichts übrig, als z u beratfjcn, in welcher SBeife biefer ©ntfdjlufS in
Ausführung 511 bringen fein wirb." ‘Damit War bie Dhatfache feftgeftedt;
oon feinem ber attberen 2Rinifter Würbe eine Söißigung auSgefprocheit ober
ein Sttwfel erhoben, unb eS würbe fomit fogteic^ begonnen, bie 9Robalitäten biefer
funbamentalen Säuberung ber Politiken Sage in ©rwägung zu jie^en.
9iach ben |>auSgefe|}en war ein faiferlicher Sßrinj mit bem achtzehnten
3a^re regierungsfähig, ©r^erjog ftranz Sofeph h a **e am 18 - Auguft 1848
biefeS SebenSalter erreicht, oon biefer ©eite beftanb alfo fein £>inberniS.
©obann bie äRanifefte. Sollte bie Dhronentfagung, bie ®erzichtleiftung, bie
Dh^onbefteigung in einer unb berfelben Urfuitbe erflärt werben? Ober foßte
jeber biefer Acte oon einer befonberen Kunbmachung begleitet fein? Ober
enblid), foßten Kaifer gerbinanb unb ©rzherzog granz Karl ein gemein'
fchaftlicheS, ber neue Kaifer ein befonbereS 5Ranifeft erlaffen? ferner: 333er
foßte in baS Vertrauen gezogen werben? ©oflten bie äRitglieber ber
faiferlichen gamilie außer ben unmittelbar betheiligten fünf Sßerfonen —
Kaifer unb Kaiferin, Sranj Karl unb Sophie, granj 3ofeph — in oorläufige
Kenntnis gefegt ober erft im lebten Augenblide bem Acte felbft beigejogeu
werben? $on anberen Sßerfönlichfeiten ftanb Sürft 333ittbifch@räfc außer
Srrage: er war ja oon ber faiferlichen Samilie felbft unb jwar feßon feit
ben 2Jiär$tagen in biefer Angelegenheit wieberholt berathen worben. Aber
SRabefcfp, ber Serbientefte unter ben Serbienten, burfte man ihn üon ber
ßRitwiffenfchaft eines fo einfeßneibenben ActeS auSfcßließen ? Doch wieber üon
ber anbern ©eite: fönne man ihn, ber in Italien für fich aßein eine
Armee fei, oon feinem Sßoften, wenn auch nur auf furze Seit abrufen?
3 hn auf fchriftlichem ober auf münblichem S33ege auf eine fo weite ©nt*
fernung in Kenntnis beffen ju fefcen, waS ja hoch «och nicht wirflid)
gefchehen War, fchien auf feine 333eife gerathen. Unb Sefladid, ber ritterliche
SBanuS, ber ben Schein beS $ochüerratheS nidht gefreut h^tte, um zu thun,
waS nach feiner lopalen Überzeugung Ungarn gegenüber aßein bie ßRonarchic
retten fonnte, burfte er übergangen werben?
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SRinifterium ©chroarjenberg'Stabion.
203
Solper Stagen gab e$ noch ^unbert anbere, bie äße gelöft fein
mufften, ehe man an bie 9lu3führung feftritt. $er SRinifterrath befchäftigte
fich bamit täglich, ja man fann jagen ftünblich- $agmifchen bie anberen
©efdjäfte, bie unä halb nach SBien, halb nach Sremfier riefen, fo baf£ mir
in biefer 3eit faft ebenfo Diel auf ber Steife, al£ in Dlmitfc maren. SRehr
atö einmal gefchah eS, baf£ mir un£, menn mäfjrenb ber Sifenbafjnfahrt
eine Saufe eintrat, meil ein anberer 3ug abgemartet merben muffte, Dom
@tation3chef ein 3immer auffperren tieften unb f)ier improoifierte Scrathung
hielten. Sei einer biefer ©etegenfjeiten mar e£, menn mich meine ©innerung
nicht täufeftt, baf§ ber Sefchlufä gefaxt mürbe, ben Saron Sulmer, ben
politifcften Sreunb unb Seratper be£ SanuS Sellattd, mit in baä äRinifterium
aufgunehmen.
2 rofc biefer unabläffigen I^ätigfeit jog fich bie Angelegenheit, meil
immer neue fragen auftauchten, gleichmohl in bie Sänge. Anberfeitö lieft
e3 fich, ba ber SteicfjStag in Sremfier bereite gufamraentrat, nicht länger
auffepieben, ba£ neue SRinifterinm oor bie Öffentlicpfeit treten gu taffen.
9Rit ber 3 u fammenfteflung be3 Stogramm^ mürbe ich betraut, bie Der*
feftiebenen SRinifter übergaben mir fcprifttich ihre Sorfcfttäge unb SBiinfche,
namentlich ©tabion, Srau£, Sach/ Srucf; einige biefer ©aborate befinben
fich noch h eu tt unter meinen papieren. 3ch befattb mich bamate in Sremfier,
mo mir S^lcn eine fehr hübfd^e unb babei mohl gelegene SBohnung —
gerabe gegenüber bem SRefibettgfchloffe, bei bem fürfcergbifchöflichen ®ut3*
®irector —auägefucht hatte; auch fürSlmtäräumlichfeiten meinet 3Rinifterium£
mar geforgt. 2)a traf mich ein Telegramm beS dürften Schmalenberg au8
Dlmüfc: „Sie merben gebeten, mit ben bemühten ©eftriften fogleich h' e h«t
gu fommen."
Am 21., einem $ienftag oormittagä, fuhr ich per Achfe nach Dlmüfc
ab. SRein Steifegenoffe mar ®r. grang Schmitt. ©eftmitt mar in SBien
ber erfte ^Sräfibent be3 9teich3tage£ gemefeit; jefct mar er mieber einfacher
Abgeorbneter, feinet Serufeä Aboocat in SBien, ein fehr freunblicher, guoo x*
fommenber ^err, mit bem ich mich untermegS fehr gut unterhielt. © mar
ein alter Saften oon Sutfche, in ber mir fuhren, auf bem Socfe ein h fl na*
fifcher Surfche. Stuf ber ©hauffee, in 5Rähe öon ®ub mit feiner ftattlichen,
meithin fichtbaren Sirdje, Jam utt£ ein guhrmanuSmagen entgegen; unfer
ßutfeher moßte auameidjen, that e3 aber fo ungefdjicft, baf£ ber Saftmagen
mit feiner gangen ©chmere an unfere Sutfche anfuhr, fo bafä alle Stränge
ber Sferbe riffen. Unfer Sutfcfter machte fich baran, ba£ Sebergeug mit
©pagaten unb ©trideln gufammengubanbeln. ®a mir aber einfahen, baf£
ba3 3eug hoch nicht hatten mürbe, begab ich mich in ba8 nahe ®arf, um
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204
Sofepfe fjreifeerr uon ©eifert.
uns eine einfache {ßritfdjfa ju oerfefeaffen, was ich in ber SBirtSftube ab*
warten wollte. Es war ein reinliches ä^^er; ber Patriarch beS $aufeS,
auf eine 39aitf hingeftredt, hielt eben fein {RachmittagSfchläfchen, aus welchem
er bnreh mein Erfcheinen aufgewedt würbe; an einer fdjwarzen lafel fah ich
mit Weifeer Sreibe (alfo nicht „fdjwarj auf weife", fonbent umgefehrt) bie
SBirtShauSfchulbner oerzeidfenet, bamnter einen „^Brauner" mit 3 fl. 24 fr.,
einen „©molfa" mit 2 fl. $ie würbige |>auSfrau fuefete mir burch ®efpräch
bie 3eit z u oertreiben, Wobei ich mit mit meinem lüdenhaften 93öhmifch
ziemlich gut burchhalf. ®aS halbe ©tünbehen, baS ich in biefer Art ju*
brachte, bie länbliche ©tiHe, bie mich umgab, ber Einbrud beS {Ruhigen unb
©eorbneten, baS in bem £ofe h crr fchte, that mir in biefer arg bewegten unb
erregten 3 *it unb bei meinem jefct fo rnhelofen ßeben fo behaglich Wohl,
wie ich gar nicht fagen fann — es war für mich eine Sbfefle.
©egen oier Uhr nachmittags Rieften ©chmitt unb ich auf unferem
®auernwägelchen uitferen Einzug in Dlrnüfc.
♦ *
♦
Am felben Sage War enblich bie längft erbetene Entfeebung 3B e f f e tt*
b e r g'S üon feinem Soften erfolgt. ®er Saifer liefe ihm als 3eicfeen banfenber
Anerfennung feiner treuen unb opferwilligen $ienfte baS ©rofefreuj beS
©t. ©tepfeanSOrbenS, nach bem ©olbenen Sliefee bie feöcfefte Auszeichnung
für {JJerfonen Oon Sioit, überreichen; SBeffenberg lehnte entjchulbigenb ab, —
weil er baS gleiche ©rofefreuz bereits bor breiunbreifeig Saferen, gleich nach
bem ÜBiener Songreffe, erfealten featte. Sehniger folcher Art famen in jener
3 eit, wo oielc homines novi in ben Ämtern Waren, bie mitunter ofene bie
SBiener öoracten unb ©efeelfe arbeiteten, noch manche tor. ©o war einem
SBiirgermeifter im 3Rarchfetbe, ber [ich in ben Seiten ber {Reoolution als
gefinnungStüchtig unb tfeatfräftig bewäfert featte, bie grofee golbene ÜRebaille
mit ber Sette zugefproefeen worben; ber lag ber feierlichen Übergabe war
ba, unb ber zu Setfeeilenbe erfefeieu — mit ber grofeen golbenen äRebaille
an ber Sette um ben £>alS, bie er für feine SSerbienfte fchon oor Sahnen
erfealten featte . . .
Am 22. fufer iefe mit ben SKiniftern naefe Sremfier, wo wir oon 3 e l e n
mit einem 3rüfeftüd empfangen würben. ®arauf in bie fcfeöne ©t. ÜRauritiuS*
SHrdfee: ber {Reichstag follte in bem „mäferifefeen {Rom" tagen, unb eS war
bafeer in ber Drbnung, bafS er mit einem §eiligen*©eift*Amte eingeleitet
Würbe. Scfe fafe oiele meiner Sreunbe oom Sentrum wieber, fie gratulierten
mir zu meinem Eintritt in baS äRinifterium — Sin unb ber Anbere wofei
mit etwas füfefaurer 2Riene — unb trugen mir mitunter aHerfeanb Anliegen
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■äRinifterium ©chroarjenberg-Stabion.
205
t)or. Am beften Sßiflen, fagtc ich bei mir, foß eS mir gemifS nicht fehlen;
aber an ©efchidtichfeit, an Kraft, an Ausbauer?! Der §immel gebe eS!
9hm gieng eS in ben {ReichStagSfaal, mo baS erfte ©efchäft bie
©räfibentenmahl mar. 3n AuSficht genommen maren ©trobach unb
© m o I! a, jener bon ben Söhnten unb bem Eentrum, biefer bon ben ©ölen
unb ber Sinfen. Die oon ber Sinfen maren faft äße am ©lafce; fe^r be¬
greiflich, meil fie, fo menig fie anfangs oon Kremfier etmaS hatten höten
moßen, fich unter ben jefcigen Umftänben nirgenbS fixerer fühlten als im
{Reichstag; hingegen born Eentrum unb bon ber {Rechten maren noch biete
abmefenb. ©eint erften SBahlgang fielen 122 Stimmen auf ©trobach,
121 auf ©rnotfa, baneben einige auf ©ißerSborff, ©chmitt, ©chufetfa. Es
muffte ein zmeiter SBaljlgang erfolgen, unb jeftt erhielt ©trobach 124 Stimmen,
©rnotfa aber 131 Stimmen, ©molfa mar fomit ©räfibent; baS Eentrum
unb bie {Rechte hatten eine ßtiebertage erlitten, unb baS mar fein gutes Brisen
für bie SBiebereröffnung ber ©crhanblungen. Seien telegraphierte nach ©rag •
„£eute mürbe ©molfa bon ben abmefenben böhmifchen Abgeorbneten zum
©räfibenten gemählt." Das 9Jlinifterium mar beftür^t, in büfterer Stimmung
nahmen mir bei Selen baS 9Rittagmahl ein unb fuhren bann nach Dlmüfc
zurüd. Am peinlichften mar ber faifertiche |>of babon berührt, an ber @pifce
beS Kremfierer {Reichstages, bon beffen Spaltung fo biel abfjieng, ben
„Dctober*©räfibeuten" fehen ju müffen; beim Dh ee ber ® r 5 h cr Sogin ©ophie
herrschte an biefem Abenb tiefe 9hebergefchlagenheit.
Übrigens mar, bon biefer politischen ©cbenflichfeit abgefehen, ©molfa
als ©räfibent ebenfo ausgezeichnet als ©trobach- ©eibe maren gefchidt unb
gemanbt, beibe umfichtig unb feft; ©arteilichfeit für feine politifchen 3reunbe
ober gegen feine politifchen ©egner fonnte man feinem bon ©eiben bormerfen.
* *
*
SReine Ausarbeitung ber miniftecießen ©rogrammrebe hatte ich bereits
abgeliefert, ©ie mürbe bon Schmalenberg in ber Sorm unb bem Ion,
ben ich ßegeben, nicht acceptiert; er gab fie feinem ©räfibialiS Hübner
Zum UmgufS. SBenn ich mir h eu te bie Sache überlege, mufS ich bieS be*
greiflich finben. Sch fonnte eine gute {Rebe hatten, ich mar nicht ungefchidt
im Schriftlichen Auffafc, fei es juriftifchen ober politischen EharafterS; aber eine
©taatsfehrift, mit ber fich bie oberften {Räthe ber Krone bor ber Öffentlichkeit
einführen foßten, lag außer bem ©ereiche meiner bisherigen Erfahrung
unb Übung. 2BaS mir fehlte, befaß |>übner burch feine mehrjährigen Dienfte
in ber Diplomatie im boßen 9Raße. 3« ber ©ad)e felbft hat er an meinem
Auffafce gemifS meber etmaS geänbert, noch neu hinzugetpan, bießeicht ein
unb baS anbere übergangen; aber im AuSbrud hat er mohl nicht einen
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206
3ofeph greiherr oon geifert.
Sa$ unoeränbert gelaffen. 3ch befifec oon meinem 9Tuffafee nur ©ruchftücfe
unb !ann baher feinen ©ergleich anfteßen. 3ebe$faßS hat §übner feine
Stufgabe oorzüglich gelöft.
$aS 9Rinifterium mufSte non je|}t an für längere Seit feinen bleibenben
Si& in Kremfier nehmen; benn bie Arbeiten beS Reichstages begannen. 3ch
befanb mich in meiner neuen äBoljnung fehr mohl, ich t)atte nur menige
Stritte in baS fürft s er$bifd)öftid)e ©alaiS, mo ber Reichstag feinen Sifc
unb bie meiften SRinifter ihre SBohnung unb ihre Kanzleien Ratten; unb
ebenfo hatte ich nur menige Stritte in ben herrlichen, auSgebehnten ©arf,
ben bie SRarch burd^ftiefet. Rächft einem ber SluSgänge beSfelben inS greie
befiitbet fich ein langet ©ebäube, an ber gront in antifer SBcife mit
Säulen gegiert, fo bafS man eS für einen griedjifdjen Xempel Ratten founte;
menn man aber hineintritt, zeigt eS fich als eine ÜReierei mit ben Staflungen
für baS Rinboieh, afleS fehr fd)ön unb rein gehalten. $)ahin famen mir
öfter auf unferen Spaziergängen unb hatten unfere greube an bem prächtigen
SluSfehen ber X^iere. 3n einer fteinen Slbtheilung befanben fich bie jüngeren
Kälber; ©ach machte fich ben Scherz unb meinte: „3)aS ift ja bie Slula."
®er große, feifte Stier aber mürbe non boshaften fieuten „ber güfter" ge¬
nannt, unb biefe ©ejeichnung mürbe feßneß oolfsthümlich- 9Ran hat mir er*
Zählt, eS fei eines XageS ein grember nach Kremfier gefommen unb
habe gefragt, ob er „ben güfter" fehen fönne? „6ben ift bie 3eit, mo er
gefüttert mirb", mürbe ihm geantmortet.
9lm 26. morgens fchrieb ich eben einen ©rief an meine grau in
©rag, als ich auf ber Ireppe zu meiner SBoßnung vielfache Schritte unb
Säbelgeflirr oernahm. 3ch hatte bamalS bie Unart, mich nicht gleich für
ben Sag anzuziehen, fonbern bis z u ber 3eit, mo ich auSgehen foßte, in
Schlafrocf unb ©ommobeftiefeln zu bleiben. ©S mürbe geflopft, ich founte
nicht anberS als „herein" rufen, unb ba maren bie Dfficiere ber ©antifon,
an ihrer Spi$e ber SRajor beS ©lafceS; fie hatten bie Runbe bei ben
SRiniftern gemacht unb famen nun auch mir als „Unterrichtö-SRinifter"
ihre Slufmartung zu machen. 3ch befanb mich in ber größten Serlegenheit,
ich bat um ©ntfchulbigung, bafS fie mich in folgern Stnzuge träfen, unb
mürbe noch mehr befangen, als ber SRajor mich als „©jeeßenz" anfprach-
3ch beprecierte, aßein eS half nichts; ber SRajor ließ fich einmal bie
„©jeeßenz" nicht nehmen. 3ch hatte biefen Xitel fd)on einmal, auf unferen
gahrten im ©jtrazug oon Kremfier nach SBien, oon einem ©ifenbahnbeamten
erhalten.
2lm 27. Rooember erfchienen fämmtliche SRinifter oor bem oerfammetten
©aufe. gürft gelij Schmarzenberg betrat bie Rebnerbühne, tiefe Stiße
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ÜJtinifterium S<hroarrenberg*Stabion.
207
^crrfd^tc im ©aale, unb er begann gu lefen. $aS Rapier jitterte in feinen £änben,
benn obmohl er gar nicht fo alt mar, maren feine £änbe berart gefchmächt,
bafS feine ©c^riftjüge lauter äi^dlinien bilbeten. Auch in feinem Antlift
unb in feiner Stimme merfte man bie ^Befangenheit eines SRanneS, ber auf
ben ©chlachtfelbern StalienS unerfchroden ben Kanonen gegenübergeftanben
hatte, ber aber jeftt jum erftenmal oor einem bürgerlichen ©enat ju fprechen
hatte. ®r mar Bläffer als gemöhnlich, er las unficher unb anfangs faft nur
oernehmbar, meil im Saale afleS ben 2tthem anhielt, fo bafS man eine
©tednabel tonnte faßen hö^n. Aflein halb mürbe eS lebenbig unb laut;
benn jeftt trug er Säfte oor, bie Aßen mißtommen maren. „2Bir moßen bie
conftitutioneße äKonarcftie, begrünbet auf ber gleichen ^Berechtigung unb un-
behinberten ©ntmidlung aßer Nationalitäten (Aflgemeiner ©eifaß), fomie
auf ber ©leidet aßer Staatsbürger üor bem ©ejefte (Aflgemeiner ©eifaß),
gemährleiftet burch Öffentlichteit in aßen Steigen beS Staatshaushaltes
(Aflgemeiner ©eifafl), getragen oon ber freien ©emeinbe unb ber freien
©eftaltung ber Sänbertheile in aßen inneren Angelegenheiten (Aflgemeiner
©eifafl), umfchlungen oon einem gemeinfamen Sanbe einer fräftigen ©entral*
©emalt" (ABgemeiner ©eifaß). $amit mar baS ©iS gebrochen. Schmarrens
berg'S ©ortrag mürbe mit jebem Safte fixerer, feine Stimme Ijob fich, als
immer neue unb neue „©raoo" unb ©eifaßsfaloen ertönten. ber Iftöt
tonnte jebe ©artei aus bem ©ortragc beS 9Jtinifters©räfibenten für fich nach
Haufe tragen, maS ihr am meiften am Herren lag: bie Nccftte bie „©leid)*
berechtigung ber Nationalitäten", baS ©entrum bie „Kräftigung ber Eentral*
©emalt", bie fiinfe bie „Sache ber Freiheit", bie baS Ntinifterium, mie es
in ber Nebe h^6, „ru ber feinigen machen merbe".
Nun gieng ber ©ortrag ju ben einreinen Hauptfragen über. $ie
äußerfte Sinfe h^tte fich mohl auf eine Strafprebigt gefafst gemacht, aßein
„bie betlagenSmerten ©reigniffe" unb bie Nothmenbigfeit eines „AuSnahmS*
ruftanbeS in 2Bien" mürben nur fchonenb berührt, unb bie Stifagen ftaran
getnüpft, biefem ßuftanbe „fo halb eS bie ©erhältniffe geftatten" ein ©nbe
ru machen. $ie italienifchen, bann bie ungarifchen Angelegenheiten tarnen
an bie Neihe; bie feften unb entliehenen ©rtlärungen ber Negierung mürben
mit großer Aufmerffamteit angehört, hoch ohne ©eifaflsbereigung, als mären
bieS r« heitliche ©untte. 3uleftt bie beutfehe Srage unb bie ©erhältniffe im
aßgemeinen, unb jeftt gab eS mieber einen ©eifafl nach *> cm anberen: Öftere
reich merbe ruerft feine eigene ©erfaffung in Drbnung bringen unb bann
feine ©erhältniffe ru Xeutfcßlanb regeln; baS Ntinifterium merbe nach ußen
©eiten bie Sntereffen unb bie SCBürbe Öfterreichs mahren unb teinerlei
beirrenben ©influfS oon außen auf bie unabhängige ©eftaltung unferer inneren
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208
Sofeph Freiherr oon geifert.
©erhältniffe sulaffen (©raoo, ©rapo, ©raDo!). AIS Schmalenberg feilten
©ortrag fchlofS unb Don ber Slebnerbühne auf feinen SJtinifterfife jufc^ritt,
gab ihm großer, anhaltenber ©eifaß Don aßen ©eiten beS Kaufes baS ©e*
leite. $aS SJtinifterium hotte gefiegt, unb $toar in einer glän^enben SEBeife.
13.
®ie jmeite ^oc^mic^tige Angelegenheit näherte fich nun ihrem Ab*
fchluffe. Am 1. December abenbS befanben mir uns bei ©chtoarjenberg 51t
einer testen ©erathung; aße erforberlidjen Urhinben mären ins Steine ge*
febrieben, bie auSzugebenben SJtanifefte lagen in ber $ruderei jum Abziehen
bereit. Stur über einen ©unft hotte ber 3Jtinifter*©räfibent noch im lefcten
Augenblide ein Sebenfen. ®ie ©erathung mar geenbet, eS mar fpät an ber
8 eit, man fuchte nach Überzieher, £ut unb ©tod. gürft ©djmarzenberg als
Hausherr ftanb folbatifch gerabe in ber SJtitte beS gimmerS, um feine ©äfte
Zu Derabfchicben. ®a erhob er feine ©timme: „Alfo meine Herren, mie foß
eS fein: „ftranz Sofeph" ober „Sranz"? 3dj, bereite im Abgehen begriffen,
machte auf biefe Anfprache lehrt unb fam fo gerabe Dor ben dürften z u
ftehen, fo bafs er bie lefcte ftrage gleichfam an mich richtete unb ich *h m
ermiberte: „0h, ich bitte fehr: nicht „Sranz" allein!"
'Siefen eine SBort richtig aufgefafSt, mirb fich ber geneigte Sefer gegen*
märtig holten müffen, melche ©egriffe unb ©cfühle fich bamalS an ben
Staaten beS oorlefcten SJaiferS fniipften: Stetternich unb ©eblni^ft), AbfolutiS*
muS unb ©enfur, aßeS baS repräfentierte bamalS ber Stame „Kaifer Sranz",
unb aßeS baS fam mit biefem Staaten in ©rinneritng unb mürbe, fo hotte
man bie ©mpfinbung, burch biefen Slamett mieber heraufbcfchmoren.
„Alfo ,3 r a n z 3 0 f e p h ‘!" fogte ©chmarzenberg, ba niemanb anberer
baS SBort ergriff, unb gab uns freunblichen Stachtgrufc. Dicfer furze @a$
gab aber, mie ich nachträglich aus $übner'S SJtemoiren erfehen höbe, fernere
Arbeit. 3)enn aße Steinfchriften maren auf ben Staaten „3*anz ber Smeite"
abgefafst, bie SJtanifefte ftanben auf ben Stamen „3ranz ber Smeite" im
©a$e: binnen z e h n *) ©tunben — benn für ben morgigen lag mar ber
feierliche Act bereits angefefct — mufste über Stacht aßeS neu abgetrieben,
mufsten Don ben ©e^ern in ber ftruderei bie nöthigen Sinberungen angebracht
merben. *
♦ *
©nblich mar er ba, ber zweite $ecember 1848, unb aßeS begab
fich 9 c 9 cn od)t Uhr oormittagS in bie fürfterzbifchöfliche Stefibenz* Son
Uniformen mar bei ©eamten bamalS feine Siebe, ber fchmarze 3ftod mufste
*) £> ti bner treibt: „binnen oierunbjroanjig ©tunben"; ba$ ift ein lapsus
memoriae sive calami.
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ÜJttnifterium ©chroaraenberg* ©tabi on.
209
bei allen feierlichen ©elegenheiten bienen, SBenn ich nicht irre, mar eS #err
o. Ihinnf^Ib, mit bem ich bie große Xreppe hinanftieg, burch bie fchon
bicht gefüllten ©orfäle hinburch, in ben großen ©aal, mo baS folgenfchmere
©reigniS oor fich gehen foflte. 3<h mar aber nicht lange barin, als man
mir bebeutete, ich fbnne nicht ba bleiben, ba in bem für ben feierlichen
2 lct oorbereiteten ©rotocofle mein 9lame nicht aufgenommen fei. @3 toaren
barin nämlich außer ben fünf #auptperfonen nur bie ©rjherjoge unb ©rj*
heqoginnen, bie toirflichen SJiinifter, bann 3ßinbifch©rä|} unb 3eßafi(J, enblich
§übner als ©rototoflführer namhaft gemalt, ©o gieng ich benn in bie
Sorfäte jurücf, too ber #offtaat, ©raf Seopolb BaJanSlp, ber Dlmüfcer
SreiShauptmann ©raf 9Rercanbin, bie ©enerale unb höh eren Dfficiere, bie
©pifcen ber ©efjörben *c. oerfammelt toaren. Stuf aßen ©efichtern toaren
©rtoartung, ßleugierbe,, ©pamtung $u lefen. ®er ältefte ©rin$ beS 3rctb=
marfcßaßS 3tittmeifter ©ring Sttfreb SBinbifchöräfc begrüßte mich nnb
fragte: „3a, tooju hat man unS benn h^rher befdjieben?" 3ch ertoiberte
auStoeichenb, als ob ich nichts müfSte ober nichts fagen bürfte. ©r felbft toufste
eS burch feinen ©ater gan^ gut; aber jo unoerbrüchlich mürbe baS ©tifl*
fchtoeigen beobachtet, bafS man felbft gegen folche, oon benen man oorauS*
fefcen tonnte, fie feien in baS ®el)eimniS gezogen, ben Untoiffenben fpielte.
3ch habe früher angebeutet, bafS felbft oon ber (aiferlicßen fjamilie nur bie
unmittelbar betheiligten ©lieber in baS ©eheimniS gejogen toaren, oon
fämmtlichen attberen ©rjhe^ogen unb ©r^erjoginnen toufSte eS (einer, ®r$*
herjog Sari gerbinanb trat auf ben firiegSminifter ju: „Sagen ©ie
mir, toaS ift benn eigentlich loS, bafS man unS $u fo früher ©tunbe hierher
befteßt hat?" „Selieben fich ©ucr (aiferliche Roheit nur eine furje SBeile
$u gebulben, eS mirb fogleich offenbar merben."
gür unS braußen oergieng ettoa eine halbe ©tunbe, ba mürben bie
gtügelthüren beS großen ©aaleS angelmeit aufgetßan unb aßeS brängte fich
hinein. ®ie Sflerhöchften §errfchaften hatten fich bereits jurüefgejogen, einige
©rjherjoginnen mit oermeinten ©efichtern entfernten fich eben burch bie ent*
gegenftehenbe Xtjüre. ßlacßbem fich aßeS im ©aale oerfammelt hatte unb
9tuhe eingetreten mar, ergriff gürft ©chmarjenberg baS SBort unb oer*
(ünbetemit tief bemegter Stimme: „©e. SOtajeftät Saifer gerbinanb I.
hat bem Ih*an entfagt, ©r^herjog granj Sari hat auf bie
Nachfolge oerjichtet, Saifer granj Safeph 1 - hat ben Zfyxon
beftiegen." ®er ©inbruef, ben biefe SBorte auf aße machte, bie nicht fchon
früher baoon mufsten, läfSt fich nicht betreiben; tiefer, namentlicher ©mft
jeigte fich bei ben ©inen, Kränen fo e r SRührung feuchteten bie Slugen ber
änberen. ®enn biefe gebachten gerbinanb beS ©ütigen, gebauten ber Siebe,
14
Die ftultur. III. 3. $eft. (1902.)
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210
Sfofepl) greif) err oon geifert.
bie er feinen SSölfern geroibmet, unb tute graufam unb unbantbar ei iljm
feine SBiener »ergolten Ijatten; jene aber mosten benten, toaä Söaron ftrauS
bamalö im SJJinifterratf) gefügt batte: „SBer tann toiffen, toaS ba tommen
toirb!" . . .
*
* *
Unmittelbar nach gesehener 93erfünbigung mürben bie SJiinifter, ich
mit ihnen, oor ben neuen ßaifer berufen. 6r machte einen ungemein
geminnenb$n ©inbruef unb jeigte bei afl ? feiner Sugenb eine Ruhe unb
Sicherheit, bie $u bemunbern mar. Siirft Schmalenberg fteßte uns oor,
ber SJaifer fagte ju jebem blofc tur5: „Sch empfehle 3h ne n baS SJiimfterium
beS Snnern!" „Sch empfehle 3h«en bie Slngetegenheiten ber 3ufti$!" ic.
33on ben acht ^erfonen, rnelche auf biefe Slrt als bie aflererften bie ©nabe
genoffen, oon bem neu antretenben Monarchen empfangen ju merben, lebt
heute nur einer: ber Schreiber biefer feilen!
®S mar für uns anbere h öc hfte 3eit, nach ®remfier $u fahren.
$)enn borthin mar telegraphiert morben: baS ßRinifterium fydbe eine
mistige ©röffnung ju machen, ber s #räfibent merbe erfucht, eine au&erorbent*
liehe Sifcung für 12 Uhr mittags einjuberufen. Sn^mifchen mürbe eS für
uns nahezu ein Viertel nach 11 Uhr, ehe ^ir öon Dlmüp aufbrechen tonnten;
auf bem ©almhof tonnte eS auch nicht fogleich loSgehen, unb fo mar es
ein Uhr oorbei, ehe mir nach &uflein tarnen, mo mir noch per ®3agen nach
Sfremfier $11 fahren patten. 2>ort hatte Smolfa richtig bie Sipung füröloefe
jmölf einberufen unb hatten fiep bie Slbgeorbneten in ber größten Spannung
unb Aufregung eingefunben. 2>enn oiele bachten mohl an eine Sluflöfung beS
Reichstages ober an eine etma octropierte Säerfaffung; ben compromittierten
äRitgliebern ber Sinten fepmebte etmaS oon einer SluSlicferung an bie ©erichte
Oor. $ocp eS mürbe halb eins, cS mürbe eins, eS mürbe halb jmei, unb
noch immer mar fein Rtinifter $u fehen. Unter ben Slbgeorbneten ^errfd^te
UngemifSheit, Ungebulb, unb jefct auch fepon $rger, mie man fie perbefteßen
unb bei $mei Stunben märten laffen fönne; einjelne giengen in ihrer Unruhe
auS bem Saat hinaus, bann mieber in ben Saal $urücf. Schon maren oiele
überbrüffig unb moflten baS ©ebäube oerlaffen, im ^ßräfibium fprach man
baoon, bie Sipung ju oertagen, als eS nahezu jmei Uhr piep: „5)ie 9Rinifter
finb ba!" Run eilte aßeS auf feine s $läpe, bie Spannung, maS ba erfolgen
merbe, erreichte ben haften ©rab.
3ürft Schmalenberg beftieg bie Iribüne unb begann bei
tautlofer Stiße im Saale mit ben ©orten: „SReine Herren, heute ift
ein hoher, ein melthiftorifcher Slct oor fich gegangen!" unb begann nun
baS in Dlmüj} auf genommene Sßrotofofl perabaulefen. 211$ er nach einer
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■äJUnifterium Scproarjenberg-Stabion.
211
langen Einleitung $u bem ©ape fom: ©e. SRajeftät fiaifer gerbinanb
fjabe ben Entfdjlufd gefaxt, feine firone nieberjulegen, ba gieng ed burdj
ben ©aal, tt>ie ein großer, aber ßalb erftiefter ©eufjer; icß ßabe aud ben
©änfen ber Stecßten ein ftifled „Je2i§ Maria“ oernommen — mir feßien,
Xornef fei ed gemefen —, icß ßabe ed gefeßen, mie biefer unb jener
bie #änbe jum ®ebet faltete, ed mar ein ängftlicß ergreifenber SRoment!
Stacß unb naeß !am rnieber meßr Seben in bie Serfammlung. ®ie ©teile
oon ber Xßronbefteignng gran$ gofepß bed Erften lad ©eßmarjenberg
mit erßößter Stimme unb jept braeß bie Serfammlung in lauten ©eifafl
unb ^podjrufe aud. Ed folgte bad 21btretungd*9Ranifeft bed feßeibenben unb
bed antretenben fiaiferd; in legerem mürben befonberd jene ©teilen lebhaft
beflatfcßt, mo er feinen entfeßiebenen SBißen audfpracß, ben Sorberungen ber
3eit unb bed gortfeßritted 511 entfpreeßen, £anb in $anb mit bem conftituieren*
ben Steicßdtage $u geßen. ®ie greube, ber ©eifall, ber Sntßufiadmud fteigerten
fieß, ald in einem meiteren SRaitifefte bad 2Rinifterium, beffen Programm
mit fo entfeßiebenem Erfolge aufgenommen morben mar, beftätigt mürbe;
unb oießeießt mir allein jmang ed ein oorübergeßenbed Säckeln ab, ald ber
neue fiaifer bie Ermattung audfpracß, bad SRinifterium merbe „mit gleicher
Xßätigfeit unb Xreue mie bidßer" fortfaßren, — ein SRinifterium, bad erft
ein paar läge alt mar unb noeß nießtd in bie Söelt ßinaudgefcßidt ßatte,
äld fein ©rogramm! Ed folgte ber faiferlicße ©rufe an ben Steicßdtag, sulept
bie Ernennung bed Saron fiulnter ^um SRinifter oßne ©ortefeuiße, mad
befonberd and ben ©änten ber Stecßten mit lebhafter greube begrübt
mürbe.
♦ *
*
©eßmarjenberg ßatte geenbet. Sr oerließ bie Stebnerbüßne unb gieng
$u feinem SRinifterfip $urüd, Oon lautem, anßaltenbem ©eifaß begleitet.
Stacßbem bie Stuße einigermaßen ßergeftcflt mar, fpraeß ber Steicßdtagd*
©räfibent: „SReine Herren, nehmen mir biefe ßoeßmießtige SRittßeilung entgegen
mit bem einftimmigen Stufe: Ed lebe ber conftitutioneMe fiaifer
unb fiönig granj gofepß!" ®ie ganje ©erfammlung erßob fieß mit
ben Stufen £ocß! Vivat! SlAva! äReßrere Slbgeorbnete melbeten fieß $um SBort.
Seopolb Steumann erhielt ed juerft unb beantragte, bafd eine
®eputation aud bem Steicßdtage gemäblt merbe, um in Dlmitp fomoßl ben
jugenblicßen SRoitarcßen eßrfurcßtdüoß $u begrüßen, „jugleicß aber gerbinanb
bem ®ütigen, bem ©cßöpfer ber greißeit unfered geliebten Öfterreicß ben
Sludbrud bed nie erlöfcßenben Xanfed oon SRißionen bar^ubringen." Stacß
ißm feßlug ©rauner oor, bafd für biefe Xeputation brei SRitglieber aud
jebem ©ouoernement gemäßlt merben, unb barauf Eajetan ÜRaper, bafd
14*
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212
Fofepp Brret&err oon geifert.
bie Deputation gtüei Slbreffen mitnepme unb überbringe, eine ©egrüftungS*
Slbreffe für ben ben Dpron befteigenben unb eine 2lbfcpieb3*Slbreffe für ben
bie $rone nieberlegenben Äaifer.
2BaS miep betrifft, fo pabe icp nie ben ©egenfap $toeier Organe in
folgern ©rabe perauSgefüpU toie bei biefer ©elegenpeit. 9teumann'3 tiefe, ooß*
tönenbe Stimme toirfte fpmpatpifcp, fie toar toie geraffen für bie gehobene, feierliche
Stimmung, in ber fiep bie Serfammlung befanb. 9ticpt3 aber paffte toeniger
für biefen UJtoment alä ba$ Organ SRaper'S. üJiaper toar burep unb burep
8erftanbe$menfcp, unb baS gab fiep auch in feinem Organe funb, ba3 !Iar,
aber fcharf unb fchneibenb toar unb jeber SBärme entbehrte, er fprach logifch
$um ©erftanbe, aber nicht junt ©emüthe, ba@ gerabe in biefem SJlomente
auf'3 tieffte bemegt uttb erregt mar.
Snbeffen tourbe SRaper’a Antrag, fo toie bie feiner beiben Sorrebner
angenommen. Stuf ©rauner’3 Eintrag beftimmte Smolfa fünf Herren für bie
Slbfaffung ber beiben Slbreffen; unb jmar: SKaper, Seopolb 9teumann,
Schufetfa, ©rauner unb giemiatf oto3f i, bie fiep in einem 9teben*
faale fogleicp an ipre Arbeit machten. Um oier Upr nacpmittagS traten bie
Slbgeorbneten ber oerfepiebenen ©ouoemementä in befonberen Stäumlicpteiten
jufammen unb toäplte jebe3 feine brei SRitglieber. *)
Slm 3. December, 3 Upr nacpmittagS erfepien bie Deputation oor bem
jungen Kaifer. lieft fiep oon ipm ba$ gleicpe Jagen, toa3 früper oon
bem dürften Scptoarjenberg gefagt tourbe: er patte, toie Stabepfp über ipn
berieptet, niept mit ber ©irnper ge^udt, alä in ber peiften Scplacpt bei
Santa Sucia Shigeln mieberpolt in feiner 9täpe einfeplugen. Slber jept ftanb
ber Süngling jum erftenmal einem japlreicpen Greife gereifter äKänner
gegenüber, bie ipn in feierlicher ©eife anfpraepen unb benen er in gleicher ©eife
entgegnen foßte. ®r muffte, toaä er $u fagen patte, er patte eä fiep toopl
überlegt; aber jept, ba er e3 auSbrüden toollte, mürbe er befangen, toäprenb
Fürft Scptoaraenberg, ber pinter ipm ftanb unb faum einige Dage früper bie
parlamentarifcpe Feuerprobe beftanben patte, ungebulbig eine ©rife naep ber
anbere napm. ©leicpmopl mar au3 ben ©orten beä jungen KüiferS 5u ent¬
nehmen, bafS er bie Slbreffe be§ conftituierenben 9leicp§tage3 mit ©ergnügen
entgegennepme unb bafa er münfepe unb poffe, baf£ ba3 ©erfaffungStoerf
*) Fü* Slieber-Cfterreicp: ©reftel, Scpmitt, S(pufelta; für ©öpmen: ©alaefft,
Start, Strobacp; für ©alijien: ©ierjcplejöti, Fa<ptmoioicä, Smolfa; für Ober-
öfterreitp: ©ifer, ©acano, fiaffer; für Steiermart: ©tefenauer, ©ngetpofer,
©leiöpadp; für ©äpren: £>ein, Sjabel, ©aper; für Ftlprien: ©af, Uüepitfdj, Scpoll;
für ba$ Siiftenlanb: ©itteri, ©lacp, Spangper; für Dalmatien: Qoidjeoiö, Filippir
©i<peli*©itturi; für Xirol: ftlebelSberg, 3nndle, ©rebler.
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SJttnifterium ©cferoarjenberg^tabion.
213
batb öollenbet unb ifern oorgelegt toerben möge, bamit er e« prüfen unb
bemfelben bie Kaiferlicfee ©anction erteilen Könne. diefer (entere ©afc mochte
manchem ber deputierten be« meilanb „fouoerainen" 8teicfe«tage« niefet be*
fonber« angenehm in ben Dferen Klingen; allein man befeerrfcfetc fiefe unb
mit einem breifaefe bonnemben $ocfe enbete bie Slubienj.
den alten ®aifer fanben bie deputierten niefet, mie fie ermartet Ratten,
in Dlmüfc, er mar unmittelbar naefe ber dferonentfagung naefe ©rag abgereift,
unb bafein mußten benn, auefe bie deputierten iferen 3Beg nehmen, ©ie maren in
ber beften Saune, ber Sbgeorbnete für ©ercfetolbaborf (9l.*Ö.) liefe fiefe mäferenb
ber ftafert ba« »Suselka ndm pi§e« oorfingen unb lachte im ®feor mit ben
Slnbern mit. 3n ©rag fanb bie deputation feiten« ber ©ürgerfefeaft
freunbtiefefte Stufnafeme; bagegen gab e« einige ©cfemierigKeiten auf bem
|>rabfcfein. Äaifer gerbinanb münzte oor adern 9t u fee, bafür featte er fiefe
ja oon ber 9tegierung ^urücKge^ogen! @r featte Verboten, deputationen oor
ifen $u taffen, er mollte nur einaelne ©erfonen empfangen. 3«l^t liefe er
fiefe boefe feerbei, für. bieämal eine 9lu«nafeme ju macfeen — e« mar ja gleich*
fam fein lefeter 9tegierung«act! —; aber bie Herren mürben gebeten, ifere
©aefee fo tur$ al« möglicfe $u macfeen. ©0 gefefeafe e« benn auefe. ©molKa
feielt eine niefet fefer lange Slnfpracfee, in melcfeer er ben Sfaifer bat, bie
ehrerbietige Slbreffe be« conftituierenben 9teicfe«tage« entgegenjunefemen, morauf
ber ffaifer eine noefe Kürzere Slntmort abla«. damit mar ber Empfang $u
@nbe unb bie deputation mürbe entlaffen. 9tocfe benfelben 2lbenb trat fie
ifere SRüdKreife naefe ftremfier an, mo ©molKa in ber ©ifcung 00m 7. über
ben ®rfotg bericfetetc.
(3rortfcfctiiiQ im ndctjflen jpefl.)
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Altnordische Dichtkunst.
Bon Dr. Kirfjarb to. ßralih.
(Sdjlufö.)
<
en 9K a u n umföreibt bie Dichtung mit feinen Sjaten, nach bem, wa$
er gewährt, nimmt ober thut, nach feinem ©igen, ba$ er tjat ober gibt,
nach ©efchlecfjt, Sorfabren, Stachfommen. ©igenthümlicf) ift bie Sezeichnung
burch Saumnamen, ©ötter* unb 9llfennamen 511m Sobe, Stiefennamen jum
Schimpf. 3>ie grau wirb nach grauenfchmncf, ©olb, ©belgeftein, nach ben
©etränlen, bie fie reicht ober gemährt, nach weiblichen Saumnamen, nach
ben 9tamen ber Slfinneit, SBalfiiren, SRornen ober ®ifen bezeichnet. @0 befingt
5. S. £aflarftein eine giirftin: „SBalb ber Siergefäfee! ich, gelohnt be$
SSJerfe^, glättete bir mit bem Sim$fteine ber Dichtung bie ©iebet be$
weiten ©ebäube$ meiner Strophen." Saum ber ©üter, Satten be$ gluf$*
feuert, Säule be$ gluf$monbe$, Stüfee be$ 2Reergebcine$, SBattiire be$
9Jlethe$, Sirfe, ©ichc ber ©üter, Sinbe be$ Seiit$ heifet bie grau fonft bei
ben Sfalben, ber 9Jlann: frieg$ftarfer Ulmbaum be$ flingenben ®rzregen$,
Sperberbaum ber SBaffen, ber Sämpfe, ber gafjrten unb Arbeiten, ber Skiffe,
?Rci$ ber ©rbe, Satten be$ 9JlorbzWeige$, £>ain be$ Schilbfcbabenä, Suj be$
Schiffet, ©fehenbaum be$ Dbhin$regett$, Srombeerftrauch be$ Schwertfifteä,
fchrecflicher Shieg$ftab, junger 35orn ber Schäfte, ©rreger ber Slblergier.
®er ffampf heifct tu ber ®ichterfprache: SBetter ber SBaffen ober
Schilbe ober Dbhin'S ober ber SBalfüren, ober ber f>eerfönige ßärm unb
©etöfe. So fagt £>ornflofi: ®er $önig ber Speere erregte Sturm mit ben
Scannen, ba bie Sögel ber SBunben raufchten, im ©etöfe ber (SBattiire)
Sfögul; rothe SBunben fpieen Slut. So Serfi: 911$ wir jünger Waren, festen
ich geuer ben Säumen ber ©unb (gelben) fehr tauglich z u
(ber SBattiire) Sturm. ®ie$ war ehmal$ gefagt. So ©pwinb: Unb jener
$elb trug in „£>ar'$ SBetter" ba$ graue ©ewanb be$ SBolfeS. So ©inar:
®er fühne gürft läf$t in bem Segel ber £>ilb ben ungeftüm raufchenben SBinb
ber ©önbul blafen. ®a$ Schwert fchreit, wo ber £>agel ber Sogenfehne
niebergeht. ©in anbere$ Seifpiel: 35ie geinbe be$ giirften erlagen unter ben
drallen be$ 9lbler$ im ©etöfe ©önbul'3.
SBaffen unb ^eerfleib foH nach ber Schlacht, nach Dbhin, nach *> en
SBalmaiben unb |>eerfönigen bezeichnet werben. $ie Schilbe werben (wegen
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2Utnorbif<he Dichtfunft.
215
ihrer Sefeftigung ön Sorb ber Skiffe) ©onne, SJtonb, Saub, Slife ober
©ürtel ber ©chiffe genannt. Der ©chilb heißt auch Schiff Uller'S. Stuf ben
alten ©djilben mar eS gebräuchlich, ben Staub, ber Saug genannt mar, §u
bemalen, unb oon biefem Saug merben auch bie ©c^ilbe fo genannt. Die
§iebmaffen, %te ober ©chmerter Reiften Seuer beS SlutS, ber SBunben ober
Seiner, Seuer Dbhin'S, bte %te merben burch Stauten oott Stiefinnen be*
jeichnet, ©tidjmaffen burch Schlangen unb gifche, ©chießmaffen merben mit
$agel, Stegen ober ©türm umfdjrieben. Seifpiele:
Die SJtänner, tragenb bie $üte be£ £ängegott3 ($elme),
Zögerten, oom £ügel herabjufteigen.
Denn eS festen if)iten nicht oergnüglidj,
©o große ©efahr $u hefteten.
©o Dinbr: Sllö ber SBibur ber Sriinne gelungen marb, baS ^ängenbe,
flingenbe ®emanb Stöbet ab^umerfen, unnüfc burch bie ^erbrochenen Stinge,
ba mürben bte ftürmifchen SJtecrroffe (Schiffe) jerftört. — ©o $aöfreb: Der
ftar( tofenbe &agel ber Stoffen ©giFS tönt hart aufftoßenb auf £)amber*S
©emanbe ber Säume (SJtänner) beä SJteerthicreS (Schiffet). Ober: Daher
gefchieht eS, bafs ©örle'S glän^enbe ©emanbe oom Slule roth merben, megen
beS StegenS ber SBunbenerje. Dies h°&' i<h ficher erfahren. — ©o ©rettir:
Die gelben, bie bie Belte ber #laf(a (bie ©chilbburg, Deftubo) heraustrugen,
fließen mit Stafen unb Särten vitfammen, beit ©türm ber 2Banb ber |)ilb
(ber ©chilbe) erregenb. ©o ©inar: ©S mangelt nicht ber Sieben ber Slugen
oon Db'S ©emahlin bem ©iS beS DacheS Stobe'S. DaS heißt, eS loirb ©olb
(Sreia'S Dränen) unb ©über auf ©gilben jur Sertheilnng gebracht. Ober:
DeS heiligen Dlaf'S ©efchlecht röthet $ur ©ee baS Setter ber ©chiffSfonne
(bie glänvenben ©chilbe); bie SBölfin, leichengierig, folgt rafch ben ©puren
ber Slbler. So Stef: Diefer frohe Jag leuchtete, an bent bie ©enber beS
#anbfeuerS (bie ©olboertheiler, bie dürften) mir ben herrlichen SKonb beS
©chiffSfchnabelS (einen fchönen ©chilb) auf ben Stinggalgen (Slrm) bängten.
Ober: Der beherzte Erreger beS ©ergetöfeS burchbohrte ben Stoß (3aun,
©urtel) beS ©djiffeS, ben fchön bemalten (nämlich ben ©chilb), mie Sirfen*
rinbe; milb mar er in ber Schlacht. Ober: Die ©türme beS UßerfchiffS
(beS ©djilbS) müthen heftig um ben Surften, ©o fagt fformaf: Die ©flacht
müthete, als ber Stährer beS Stoffes ber ©rib, ber ben ®ampf erregte, oor*
trat, ©auf S (Dbhin’S) tönenbeS Seuer (©chmert) tragenb. ©o Ulf Uggafon :
Die OoHfräftige £ilb ber Serge (SBinb?) liefe ben ©leipnir beS D^eanS
(baS ©efeiff) oormärtSgehen; aber bie SBölfe beS £elmfeuerS (beS ©chmerteS)
oon #ropf S ©efolge marfen baS Stofs um. ©inar fingt: Som rathgemanbten
Sürften befam ich -ta* ©iS rother ©chilbe (©chmert) mit Sreia'S SBangenthau
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216
SRi$atb o. ftralit.
(®olb) befprengt. SBir führten in ber §anb beit ©traben be« Sdjitbe« (ba8
Scfjwert). Ober: 3ene, bie auf bem Dljier oon 8teoil’8 ©rbe reiten (ba« ftnb bie
Seemänner), fönnen beuttic^ feljen, tote bie Dradjen (Skiffe) liegen, jerljaut
oon ber Schärfe ber Stiefin be« #etme« (oon ber Sljt). 9tef fagt: ©teine
ftarfe, »übe ÜBalbfdjlange (Spieft) weift root)t in ben |>änben ber Scanner
ju glänjen, wenn gelben jufammenf omrnen.
Die pfeife werben £>agel be« ©ogen« ober be« Strang« ober ber
Sdjlacftt genannt, }. ©. bei ©nar Sfataglam: Der ©ott be« Kriege«
fdjüttelte tapfer ben $agel ber ©ogen ab t>on ben Segetn ber §latfa (ben
Sdjilben); ber #elb, nidjt fdjonenb be« Sdjmerte«, forgte für ba« Seben ber
SBölfe (burcft bie lobten). Ober |>aDfreb: Unb nicftt tonnten bie ©ewanbe
ber mächtigen |>ilb,bie au« ©ifen genähten, bie gelben, bie ben junger be« fleifcft»
freffenben Sogei« (be« ©eier«) ftiflen, oor bem |mgel be« Strange« oertfjeibigen.
Die S dj t a d) tl>eiftt0bl)in'32Better, ober SBetter Söibrer’8 oberber jpetelinge.
Da« Sd)iff wirb getennjcictynet at« Stof« ober Dljier, ober Sdjlittfdjul)
ber Seefönige, ober ber See ober äljnlid); j. ©. bei £>ornflofi: Der fönig»
lidje ^erftörer be« gelben SBogenpferbe«, an Sitter nod) ein Snabc, lieft mit
gutem ©lüd bie Sd)iff«fd)näbel in« ©teer ftoften. So fagt ffirringar*Stein:
Obwohl ba« ganje ©ott au« bem Sübeit
Dem Statben fagt, e« fei ftrieg,
©eginnen mir frot) unfere gatyrt unb bclaften
©eiter'3 3Jiäb|re (Sdjiff) mit Steinen.
Ober: Smein’8 Sol)n, ftart im Siege!
Smeib’3 SRennttjiere (Sdjiffe), bie feitenlangen,
3ül»rteft bu ben gelbroeg Sötfe’8 (ba« ©teer).
Dljorb Sfaret«fon l)äuft oier Umfcfjreibungen be« Schiffe« in einer
Strophe: Da« ©ferb be« Seitenborb« mürbe öom ©orbminb, ber Sigga
umweht, geftridjen; ber SBinb jagte ben Slingfuft be« ©plfetanbe« gegen
Säben über Stumar. Dann aber oerlieft ber Säufer be« Seeräuberweg« Sännt
unb Slgbir, ber $engft be« Seebaum« (©iaftbaum«) rannte im Sauf an
Sifti oorbei. Slljnlid) ©tarfu«: Der ©är ber SEBirbel (Schiff) burdjjog bie
fdjnceigen $üget be« Scfttangenbufen« mit groftem Slnlauf; ber ©emattige
burdjlief bie weiften ©ipfel ber SBogenwale; ber Snirfdjer be« ©teerfdjaum«
betritt bie alten guftfteige ber Skiffe, ber ©ejj, gegen Stürme anfämpfenb,
jertif« bie tönenben ©itrtel ber Stippen. Sönig $aralb Sigurbfon fingt:
Da« Sdjiff fufjr bei ber weiten Sifilau (Sicitien) oorbei.
Da fuhren wir mit ©radjt.
Der $irfdj be« Serbetfe« (Schiff), bie Jünglinge tragenb,
glog fdjneU, Wie ju erwarten war.
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Slltnorbifche Dichtfunft.
217
©inar jagt: 933ir bereiten baS ©lenntl)ier beS -DteerfchaumS. Unb ÜRani:
2i$aS mirft Du, ©reis, mit fchmachetn ßeib unb Meißen langen, beffen Kräfte
abzunehmen begannen, betoirfen fönnen bei beu Jünglingen auf ber gifcf) s
Otter ber See (auf bem ©d)iff). Sluch 2öolf, Schilbtuolf, Ochfe Reifet baS
Schiff, auch SJtcitte ©chlittfchul); 3Bagen bei ©tprfar Dbbafon: Die Krieger
HagenS trieben mit großem $orn bie ©dplbtoagen in bie ©dpteehiigel Heib'S,
bem trefflichen ®ertheiler beS glufSfeuerS (beS ©olbeS) folgeub (b. t). bem
freigebigen Könige). ©beufo bei Dhorbjönt: Der $ortoert()citer, jener Selafter
beS h°f) cn H eeru >agenS, ber baS t)öd)fte ©liid beS meinen ©hrifte erlangte,
befanb fich im GueH ber Daufe.
Dies bilbet beit Übergang 51t ben Kennzeichnungen (£ 1) r i ft i. (Sr Reifet
Schöpfer Himmels unb bei* ©rbe, ber ©ngel unb ber Sonne, ©teurer ber
23elt, beS Himmelreiche^ unb ber ©ngel, König ber Himmel, ber ©oune unb
ber ©ngel, König 001t 3orfala (3erufalem), oont Vorbau, non ©ricchenlanb,
®erather ber Slpoftel unb heiliger SKäntter. Die älteren ©falben bezeichnten
ihn auch Uüc h aitberS, tuic Eilif ©ubruttarjon: .
Sie jagen, bajS er feinen ©ifc fycibe
©egen ©üben, bei Urba'S Srunnen;
©0 befeftigte ber König fttont'S fein 9teid),
Mächtige ©emalt iibenb gegen bie ®erggötter.
Ober mie ©fapti DhorobbSfon: Die 9ftad)t beS H crrn ker 9Rönche ift gro&,
©ott oerntag am meiften.
Der mächtige C£l)rift fd;uf bte ganze 2öclt
Unb baute 9iomS H a ^ e -
Ober mie 9 J?arfuS: Der König beS s 2 BinbfaalS (ber ßuft) jdptf ©rbe,
Himmel uitb bie guten s 3 Jtcufd)eit.
Ober bei ©ilif: Die reinen Scharen ber Hitmtrö oerehren gerne
Den glorreichen Sohn äRarienS;
Der König ber 3Kenfchen übt mal)rhafte 9Racf)t;
©r ift ©ott 1111b SUtenjd).
®ei ©ilif: Die große s Dtad)t beS ©otteSfreunbeS ift l)ö^er^
Site 9J?enfchcn oerfteheit fönnen;
Doch ber milbe König ber ©ugel
Jft heiliger unb heller ate alles.
®ei Slrttor: giir ben ©rreger beS Kampfes fiel)' id)
®eint hoh^n ®cfchütyer
Der ©riechen unb ©arber;
©0 belohn' ich ^ Königs ©cfcheitf.
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218
SRidjarb o. ßralif.
(Einar ©tnlafon: gener glän^enbe, bcr ben ganzen SBcItfrci^
gn bcr ^ot)Ien ©anb einfchliefct,
Der baS ©olt befchüfct, befahl bem
SluSgejeichneten ß'önig, baS ^imntclreic^ 51 t öffnen.
Die Röntge werben fo gefennjeichnet, bafS fie Senfer beS fianbeS,
ober SBädjter ber (Erbe, ober Sanbburchwanbler, ober ©efolgSherren, ober
Sdjüfcer beS SanbüolfeS heifcen, auch 2Bart beS ßanbeS, gelbwart. Stächft
bem Slaifer ftefjt ber Stönig, ber über ein ©ottlanb herrfcht, biefem junächft
bie ©djufcfönige (tributpflichtige) ober garte, bann bie Werfen (^erjoge) ober
fianbmannen, wie fie in bänifcher 3 mtge, ober ©rafen, wie fie in ©ajlanb,
Sarone, wie fie in ©nglanb Reißen. 2Ran nennt fie auch Srecher beS ©otbeS,
©utmitbe, ©annermänner, ©olfsfteurer, ©ortämpfer beS £eere£ ober ber
Schlacht. Demnächft finb bie SJiänner, bie patter (Hölbar) heiften, baS finb
bie Säuern* bie nach ©efchlecht unb Stecht als 00 H gelten. Die mag ber
©latbe ©eher beS ©utS, SBäc^ter, ©erföhner ber äRänner nennen. Dies
gilt auch für Häuptlinge. Dann gibt eS ©efolgSleute, H°f m mtnen unb Höu^
teute ber Könige unb garte, fie h e ifeen auch gnnengefotge, SBe^rmannen,
Sotbmannen; 5 . S. in einer ©troptje beS ©ighWater:
Da war eS in biefem ©eitpferbe (©chiff)
ÜWicht anberS, als ob bie gungfrau
Den ©olbbegen ben 9Jleth bringe;
©otcheS ©etöfe beS (Er^cS entftanb.
Dttar ber ©djmarje fagt:
geh bebarf beS SBohlwotlenS ber trefflichen ©utmannen
DeS ©chwertbrecherS ©untrer.
Hier innen ift baS tapfere gngefinbe
©eim mutigen König.
garte, H cr f cn unb Hofteute werben auch beS Königs SRauner, ©erather,
©eiftfcer genannt; 5 . ©. beiH a ^freb: DerfriegSmächtige©eratherbeSKönigs,
JRafch im 3 *>nt, bem bie ©chneHigteit gefällt,
fiiefj bie ©ewanbe H a Ö en ’3,
Die mit H ammcr genähten, um fid) tönen.
Ober bei ©naebjörn: DeS ©otetungen ©erather läfst
Den tangfeitigen ©tier beS SlpfelbaumS (©chiff)
Die hörte SBetle burdjfchneiben
9Kit bem ungeheuren Schwert feines Schnabels.
Ober bei 2lrnor: äWich feffeln grofce ßeiben,
Unb meine jungen Söhne tragen bie ihrigen
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Wltnorbifcbe Dicbtfunft.
219
0b beS DobeS jenes föniglicben SeififcerS,
Des friegSberübmten.
0bcr bei £atlfreb: Der 3tatf) glüefte, bafS jener berebte
Seirebner beS Königs barauf bie einzige Softer
Dnar'S, bie mit Säumen befleibete, heiratete
(b. b- ein 2anb ermarb).
Sffiänner merben noch nach bem ©efcbledjte bezeichnet; j. S. fagtKor*
mof: ®S tjöre ber freigebige ©obn beS foatjrfjaften ©enoffen $aralb’S: ich
trage auf mein Srautbier ber Serggöttin (ber ©oefie). SlnberS S^iobotf:
@S. hmdjS bem Sater Olafs
DaS SBetter ber ©ifenfteine (bie ©flacht),
BeugniS feiner Dapferfeit,
SGBürbig beS 2obeS.
2lrnor: Die biinnen ©cbmerter nermunbeten
Die ftarten Krieger bei 9Köit im ©üben,
2Bo bu, @efd)(edjt beS alten Stögnmalb,
Unter ©gilben fanfeft.
9tocb ben umfebreibenben Seaeidjnungen bebanbclt ber aftnorbifebe
Ib^oretiter eine jmeite ©(affe ber poetifcbeit SuSbrücfe, bie nitum*
febriebenen Sejeicbitungen (Ufenb b^iti). Darunter finb bauptfäcblicb bie
©pnonpnia gemeint, mie für Dicbtfunft: 3tubm, ©eift ober SBij}, äJJäre,
2ob. Doch rechnet er auch barunter Senennungen, bie mir als Umfcbreibungen
auffaffen mürben, fo in folgenbem Seifpiel: ©ine Stiefin fpriebt ju Srage,
bem alten ©talben: ©in Stiefin nennt man mich,
Den ÜBonb beS StungnerfifceS,
©uttoerjebrer ber Stiefen,
©ebabe beS ©onnenlicbteS,
©efellin ber SBala,
SBart ber $ügelerbe (©räber),
Serfcbtinger beS Rimmels, —
3BaS ift ein 9tiefe aufcerbent?
Unb er antmortet: ©inen ©falben nennen fie mich,
ßieberfebmieb beS SBettererS,
©aut'S (Dbbin'S) ©abenerfinber,
©inen Dieter, einen fruchtbaren,
Sgger'S Sierbringer,
Der SBeifen Serfertiger,
£>ocbfcbmieb beS ©efangeS; --
2 Ber ift ©falbe aufjerbem?
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220
Sicharb v. firalif.
Snbere Seifbiete finb, Don Format: (Sin ißreiötieb mad)’ ich auf ben
mären ©ofjit ©iegfrieb’8; ihm Dergalt ich Diel größeren Sangeäruhm. Ober
non Xf)orbor ftotbeinäfon: Der Kämpfer ließ niete Sorten, ßaftfchiffe unb
3adjten in bie ©ee fließen; be« ©falben Sofatieb mächft. Ober oon Utf
Uggafon: 3<h öollenbete einft, jünger at« jefct, ein Suhmtieb; fo preife ich
triegerifdje SWänner. Ober non Orm Steinthorfon: Siel toeniger at« ich
münfdjen mürbe, ßa6’ idj 2Bortreid)tf)um; bie« ßnben mir oft. Da« ßob ber
SRänner fing’ ich not ber reinen fjrau.
Die ©ötter merben in biefer SEBeife at« Sanbe, £>afte, Sichter,
Selige bejeidjnet; fo fagt (Sprninb: SBir machten be« König« ßob, ber
©etigen Dranf, gleich einer ©teinbrücfe (fo bauerhaft).
Stt« Samen be« $immel« merben gebraust unter anberen: (Snb*
lang, ßichtfaljr, ber Dreßenbe, ©cßneienbe, SBeitblau; at« Samen ber
©onne: Sab, Stötfje, 2tugengtanj, 9lIIfcßier, Schein, Sdjönrunb, 8mergenfpiel,
Slbrötlje; at« Samen be« SSonbe«: Seu, Sieber, 3a^rjäßter, ©feiner, Schieler.
Die (Srbe heißt noch: fianb, gelb, ®runb, ftalbe, ©elänbe, frnibe,
$tob^n, giorgpn zc. Söolfnamen finb: ©ier, gred>, SBitnir, Pgr, Sargr.
Der Särnamen merben 16 aufgejählt, ber $irfchnamen fieben.
Sei biefer ©elegentjeit mirb für Stut bie Umfdjreibung „be« SBolfe«
mitbe« Sier", für fieicßnam „be« Söotfe« reichliche« ®etreibe" mitgetheitt.
®« folgt nun eine ausführliche Stufjäßtung oon ftofenamen ber ®ötter=
unb £>etbenfage, nicht minber non alten Odjfennamen unb Sdjlattgennamen
(Drache, gafner, Sörminganbr, Satter, Sibheger, ßinb, ®oin, SSoin,
©rabmotf, ©raurütfen, ©rimm zc.) unb non Spnontjinen be« Sinbe«, be«
©djafe« unb Sdjmeine«.
9tt« Samen ber ßuft merben aufgeführt: ©inungagap, Stittetßeim,
Sogetßeim, SBeibßeim. Der SBinb heißt noch SBetien, Knider, SBeiner,
Sommerfahrer, SBirbet.
(Sine große Solle fpielt ber Sabe unb ber 2lbter in ber Sfalbenpoejte,
at« bie Sögel, bie fidj an ben ßeidjen ber gefallenen Seifen faltigen. Unb
ebenfo reich finb bie Samen ber ©ee oertreten, al« be« Dummetplaße« ber
SBifinger, at«: SSeer, Slegir, ©pmer, ßau, $af, Sieg, gifdjplafc, ©alj,
Saf«, glut, ©olf. Sind) bie neun Dödjter be« ÜKeergotte« Stgir unb ber
San, bie Skdenmäbcßen, muf«ten baju ihre Samen leihen. 3lu« ben jaht*
reichen Stoben miß ich einige poetijcße ©teßen hernorfjeben. „Der König
ftieß bie Schlange be« ©chiffSfdjnabel« in’« SJleer." — „Die falte SEBala ©pmet’8
rif« oft ben Sären ber ©djiffSfeile (ba« Schiff) in Sigir« ©djlunb, mo bie
SBoge mit Dofen branbet." — „Du führteft ben Schnabel be« harten ßaft=
thier«, ba« ben ganjen (Srbfrei« burcbtauft, gen SBeften in bie hohe See." —
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Ältnorbififte Didjtfunft.
„583ir oerlieften bie bon ben Saufftangen ber ginnen burcfteitte ©rbe unb
burcftftogen ba« 2J?eer." — „SJtit ben glänjenben ©eftiiten be« SKeere«
burdjfureftteft bn bie glut; bie ©ee ftürjte auf bie fdjönen Skiffe." —
„Da« ÜReerfcftiff warb betraut burdj ben Änprall ber ©ee."
„Der ©djaum warb in $üget gebrängt; bie ftofte ©ee btinlte oon
©olb; bie SJogen aber wufcften bie fücftterlicften Häupter ber Krieg«f<ftiffe."
— „SKit bem geglätteten ©teuer burcftfcftnitteft bu bie wirbetnben SBeHen;
ba« ©eget, beffen gäben SBeiber webten, flog jur ©pifce be« Ktafte«." —
„Die ©ee brauft; bie SBeDe aber wirft ben weiften ©djaum auf ben rotften
Äpfelbaum, wo ber SBifenb ber Stange auf öergolbetem ficfttenen ©iftnabet
gäftnt." — „Die ungeheure SBoge ftttrjte ptöfclidj auf midj; bie weite ©ee
(ub micft ju ficft nacft §au«; icft aber naftm bie ©intabung nicftt an"
(b. ft. idj fam mit bem Seben baoon). — „3unädjft fefj' icft bie woftt*
getannte ©djlange auf bem ftoften ©eget be« Äpfetbaume« (9Rafte8); ber
©penber ber ©eeflamme (be« ©olbc«, ber gürft) beacftte, wie icft mit SEBorten
bie ©latane ber glut betreibe." — „gerne fei’«, baf« icft mit frecftem
Sieb oertäumben Wollte ben berebten Käufer ber 9Reere«fonne (be« ©otbe«);
ein ©cftlecftter ift, ber bie Didjtfunft mifsbraucftt".
Kamen be« geuer« finb: Softe, ©tanj, gtamme, ©ranb u. f. w. Kamen
ber Kadjt: Kebet, ©rimm, Unforge, ©cfttafluft, Draumgöttin.
^Benennungen oon Königen finb: Ättroatt, ©inwatt, ©olffterr, SEBeifer,
ber fieftre, f>err, #erjog, SKitbing, Ktäring, Sanbretfe zc., j. ©.
Der „Sber" tjörc ben ©eginn be« ©efang«.
Der auf iftn gemalt ift.
Da« Sobtieb auf ben König beginne!
gener merfe woftl bie SEBeifen meine« ©ang«.
Ober: „gib labe ein ben £>errn be« Dänentanb«, ben fatfengleidjen,
ba« tfteure Sobtieb ju ftören". „Der Dagting gab ber Äblerbrnt bänifefte«
©tut ju trinfen".
©enennungen oon SKännern: Keden, SEBifinger, ©otftcn, Degen, Kämpen zc.
gürnamen (Seinamen) ober SKitbejeicftn ungen werben at« eine
britte Ärt ber poetifdjen ©praefte unterfeftieben. Darnacft wirb ein SKann at«
©ater, Äftn, ©oftn, ©rbe, ©ruber, ©tut, Keffe, ©efeftlecftt, greunb, Kacft*
fomme, Äbfomme, Sippe, Katftgenoffe, ©efpiet, Kubergenoffe, geinb, Döbter jc.
eine« Stnberen bejeieftnet, ober nacft feinem $au«, ©eftiif, ©igen, Sanb.
Der Kopf fteiftt umfeftrieben: Strbeit ober ©ürbe be« $atfe«, Sanb
be« £>etme«, be« Ipute« unb be« $irn«, be« §aar«, ber Äugen, ©eftwert
$eimbaltd zc., unumftftrieben: Jpaupt, ©tftäbet, §irnfcftate.
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222
ERid>arb p. Rralit. Slltnorbiicbe 3)id)tfunft.
2 )ie klugen ^ei|en unumfcbrieben noch: ©efidjt, 2icf)t zc.; Umtrieben:
Sonne, SRonb, Stf)ilbe, ©laS, ©betfteine ber ©rauen, ber ©d)täfen ober ber
Stirn. $ie Obren beißen Saufeber unb £>örer, ober Äugen beS ©eböreS.
2)er ÜRunb beißt @rbe ober $au8 ber 3unge, ber 3äbne, ber SEBorte, ber
Sippen, ober umftbrieben: baS ©ebiff, beffen ©orb bie Sippen, beffen
©teuer ober ERuber bie 3nnge ift. ®ie 3äbne beißen Stippen ober Seifen
ber SEBorte, beS ElRunbeS, ber 3«nge. S)ie 3«nge beißt ©(ßmert ber ERebe
ober beS ElRunbeS. TaS £war beißt SBalb beS ScbäbelS ober Raupte«,
ober beS Sinnes, ber SEBangen, ber Kehle. $a8 §er$ beißt Korn, ©tein,
Äpfel, ERufS, Kugel ber ©ruft ober beS ElRutbeS, auch f>au3, Sanb ober Seifen
beS ©eifteS. ®ie ©ruft ift baS $auS, ber ®amm, baS ©ebiff beS |jerjen3, be$
©eifteS ober ber 8e6er, Sanb beS ElRutbeS, ber EDtinne. $er ©inn beißt
SBinb ber ERiefinnen. 'Cie £>anb beißt Sanb ber SBaffen ober ©c^ilbe, ©aum
ber Äcbfetn ober Ärnte, Sanb ber ©olbringe, ber $abid)te ober Satten.
$>ie Süße beiden ©äume ber ©obten, SRemtfpieße beS SßegeS, beS ©angeS,
ber ©pur. S)er S«ß beißt ©aum ober ©äute biefer ®inge, ober er toirb nach
©cblittfdjuben, ©(buben unb fpofett uinfrfjrieben, als ©aum, ©eget, ERaa berfetben.
3um ©ebtuffe folgen noch lange ERamenauf jäblungen oon gelben, ©ectönigen,
SRiefen, ERiefinnen, ©ötter unb ©öttinnen, ©djtoertern unb ©pießen, ©djilben,
©riinnen, Schiffen unb X^ieren jum überfi(btli(ben ©ebraueb ber ©talben.
3Ran fiebt aus bem ©anjen. Weiten SEBert jene SReifter auf ben
bidbterifdjen ÄuSbrud legten, mit bem ooßen ©emufStfein üon bem unbebingten
Unterf(bieb jmifdjen ©oefie unb ©rofa. Unb in ber 2f) a t, gerabe fo
wie ihre EEidjtungen bur(b bie unermübliebe Straft beS bilberrei(ben,
gef(bmil(ften ÄuSbrudS oerbliiffen, fo entjüden ihre ©rofafagen toieber bur(b bie
eiStatte, trodene ERadtbeit beS ÄuSbrudS unb ber ©afcbilbung, bie bis auf
bie febeinbar graufame ©efübßofigteit ber ©eelenfcbilberung eiitmirft. 2>a3
ift bie ^ocbfdjute beS ©tils, unb es mürbe gerabe unjerer 3eit nichts fdjaben,
menn fie ein menig in biefe freilich ftrengere ©cßule gienge, nicht jum 3>ned
unmittelbarer ERadjabmung, — bafür fie uns ju ferne, — mobt aber
jur ©pmnaftif beS ©eifteS.
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Otto (üillmann’s
fünfundzwanzigjäbrige Cbätigkeit am Prager
pädagogi$d>en Universitätsseminar,
Eon 3?r. Birgit <@rimnti<fi.
a« ©ebenen unb bie görberung be« Volf«fd)ulwefen« hängt auf’«
innigfte mit einer tüchtigen Vilbung ber Setter jufamnten. ®iefclbe
föliejjt fiauptfäc^lit^ jwei äRomente in fidj: ein folibe«, ^armonifd) einljeit»
lidje« SBiffen, welche« ben Sehrer befähigt, bie gugenb in jene ©lemente
menfchlicher ©rfenntni« einjnfüljren, welche bie für StUe notljwenbige ©runb»
tage inteHectuefler unb etljifrfjer Kultur bilben, unb eine foldje päba =
gogifdje Vorbereitung, tuelrfje ben 2el)rer in ©tanb fefct, im erjief) 5
litten Unterrichte bleibenbc Kenntniffe §u »ermitteln unb »erläf«tiche, fittlid)
eble ©haraltere ju bilben. ©ine jebe gorm ftaatlidjen Seben« wirb baher oon
jenen ißerfonen, melden fie ba« ebenjo mistige al« oerantwortung«»olle Stmt
eine« öffentlichen ©rjieher« überträgt, eine zweifache Sorbilbung »erlangen:
eine tljeoretifchc unb eine praftifc^e. fpat ber Volf«fd)ullef)rer aud) nur bie
Aufgabe, bie gugenb in elementarer SBeife mit bem für ba« Seben noth=
»enbigen SBiffen feiner Seit belannt ju machen, fo muf«. bie Unterricht«»
oertoaltung bod) ftet« im Sluge behalten, baf« eine jebe Seljrthätigfeit auf
©eite be« Sehrenben eine höhere ©tufe be« SBiffen« »orau«fefct, al« jene ift,
auf welche er ben Schüler erheben foH: fpftematifche ©inficht in ben ©ehalt
be« Unterricht«ftoffe« unb in ben inneren S u f amnicl, h Qn fl feiner ©heile, fowie
anberfeit« eine jum geiftigen ©igenthum geworbene ©rfaffung ber Vebeutung
be« Unterrichte« für bie ©ntwictlung fittlicher ©efinnung al« ©runblage
eine« eblen, feften ©harafter«. Slnberfeit« fann ber Staat »on bem S3otf«=
fdjullehrer nur bann eine erfolgreiche SBirffamleit in ber ©rjiefjung ber
Sugenb erwarten, wenn er bafür geforgt h»t, baf« berfelbe mit ben pftjdjo»
logifdjen ©runblagen, ben Siele», SJtitteln unb äJtethoben einer jeben
erjiehlidjen Spätigfeit oertraut gemacht wirb, unb jwar nicht bloß in ber
gorm eine« theoretifdjen ©tubium« ber Sßäbagogif, foitbern auch burch
praltifche ©inführung in bie erjiehenbe unb unterrichtenbe SBirffamfeit eine«
öffentlichen ©rjicher«.
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224
©irgit ©timmid).
Sine analoge Aufgabe fällt bem Staate in ©ejug auf bie $eran=
bitbung jener ©erfönlidjteiten ju, welche er mit bem ßehramt an höheren
Se^ran ft alten: ©tjmnafien, Stealfchulen, ßehrer* unb ßehrerinnen*©ilbung«*
anftatten — toir nennen fie furjweg SWittelfchulen — betraut. Such
hier tierlangt bie fac^Iic^e SBürbigung ber Sebeutung biefer Schulen als
©ilbungöftätten für bie Srjiehung gerabe jener ®efeHfchaft«treife, welche
beftimmt finb, einmal im öffentlichen ßeben bie Iräger fräftigen unb Weit*
gehenben inteHectuellen unb et£)ifc^en Einfluffe« ju werben, tfjeoretifc^e
unb praftifche ©orbilbung ber an biefelben berufenen ßehrer. Stur
ift bie ßöfung biefer Aufgabe für bie Unterri<ht«oerwaltung nicht fo einfach,
wie bie« burch bie Su«geftaltung ber ßehrer* unb ßehrerinnen*©itbung«*
anftalten unferer 3eit für bie Su«bitbung ber ©olf«fdjuUehrer uerhältni«*
rnäfjig ber gaH ift. Sur wiffenfdjaftlidjen SuSbilbung ber Eanbibaten
beS ßehramte« an ben SRittetfchulen finb bie Unioerfitäten berufen; an
biefen £>odjftätten wiffenfchaftlicher gorfdjung unb ßehre ift ihnen auch
©elegenheit geboten, ihrem Silbung«gang unb bem wiffenfchaftlichen Staube
ber Seit entfpredjenbe ©orlefungen au« ©äbagogif unb ihren wiffenfchaft*
liehen ©orauSfefcungen ju hören: aber bie p ra f t ifdje Einführung in
ba« ßehramt an ben üttittelfdjulen ift ein Problem, welche« in ben einzelnen
fiulturlänbern noch immer feiner enbgiltigen ßöfung harrt. $>ie Unitierfitäten,
welche ben gelehrten ©etrieb wiffenfchaftlicher gorfchung unb ßehre al« ihre
fpecififche Aufgabe betrachten, lehnen in nicht geringer Sahl bie Übernahme
biefer praltifdjen 2lu«bilbung ab. Unb bodj ift gerabe fie Pon eminenter
Sebeutung für eine gebeihliche SBirfjamfeit ber ßehrer an höheren Schulen.
3n bie wiffenfchaftlichen Probleme irgenb einer Stiftung unfere« Srlennen«
eingeführt ju werben, ben Umfang unb bie Tragweite berfelben, bie SWettiobe
unb ©efchidjte ihrer Searbeitung fennen jn lernen, ift eine ganj anbere
Sache al« eine folche ©orbilbung ju genießen, welche ben ©etreffenben
befähigt, bie gefieberten ftenntniffe einer SBiffenfcfjaft in jenem Umfang unb
nach jener äKetljobe burch ben Unterricht ju »ermitteln, welche einerfeit« »on
bem ©efammtbilbung«jiel ber ÜJiittelfchulen, anberfeit« Pon ber Stufe
pfhchifdjer Sntwiiflung geforbert werben, auf Welcher ba« Schülermaterial
ber SRittelfchulen fteht. „©on ber wiffenfchaftlichen ©orbilbung, welche
gegebenen Satt« ja auch Jur afabentifcljen ßaufbahn ober jum ©riüatgelehrten*
thum führen !ann, wefentlich oerfchieben ift bie p r a 11 i f dj e ©orbereitung,
bie ben tünftigen ßehrer für feinen ©eruf au«rüften fofl. Seim Eintritt in
jene ßaufbahn wirb nur bie wiffenfchaftlidje Xücfjtigleit, bie ßehrbefähigung
nicht geprüft; in hohem Snfeljen fteht ber, welcher bie SBiffenfdjaft förbert
unb ihr bur<h feine ftorf<hung neue, wichtige Ergebniffe gewinnt.
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0.SBißmann’S 25 jäh r. Xhätigleit am ©rager päbag. UnioerfitätSfeminar. 225
SlnberS fteht es mit bcm Sehrer, meiner fic^ bagu beftimmt, bic Knaben
burch bic ©lemente Ijinburd) bis gu bcn Pforten ber SBiffenfchaft hinguleiten.
3 *oifchen ihm uitb feinen 3 ö 9 li” 0 cn befinbet fich gunächft. eine gro&e $luft,
unb er fann nicht umhin, gu ihnen herabgufteigen; toaS er auf ber Unioerfität
gelernt hot, läfst fich nicht unmittelbar im Unterricht oertoenben, er mufS
eS nietmehr fchulmä&ig umprägen, mufS fich ftetS im ©ingelnen toie im
©attgen, im Steinen toie im ©roften bem geiftigen ©tanbpunft ber Schüler
-angupaffen fuchen, immer auf SRittel finnen, ihnen baS ©ortoärtSfchreiten gu
erleichtern unb fie ficher unb gleichmäßig an baS oorgefteefte 3**1 gu bringen.
®abei foCt er bie ©igenart ber ©ingelnen beriicffichtigen, feine S)en!arbeit
atfo nicht bloß bem Stoffe, fonbern gugleidj ber ^Beobachtung ber ^ßerfonen
gutoenben; fchon hierin unb bann in ber ®ifciplin unb in ber aßgemeinen
©eljanblung foß er fich olS ©rgietjer ber 3ugenb fühlen. 3d> brauche baS
hier nicht näher auSgufüfjren, eins ift ohne loeitereS ttar: ber junge Sichrer
fühlt fich, luenn er oon ber Unioerfität gur Schule fommt, in eine frembe
SBelt oerfept, unb gtoar umfomehr, je tiefer er bort in bie SBiffenfchaft ein*
gebrungen ift unb fich in ih r heimifch gemacht h fl t. SBiß er atfo ben Sin*
forberungen feines ©erufeS genügen, fo gilt eS, eine neue S'unft gu
lernen, ihre toiffenfchafttiche ©egrüttbung gu oerftehen unb
ihre praftifdje Slntoenbung gu üben. Slflmählich hot fich benn auch
bie Übergeugung, bafS für ben angehenben Sehrer eine päbagogifche
Sorbilbung nothtoenbig fei, immer mehr burchgefept, toenn auch über
bie Slrt beS beften Verfahrens noch fein ooßeS ©inOerftänbniS herrfcht." *)
Sluch SB i 11 m a n n hebt bie SWothtoenbigfeit einer päbagogifd^praftifchen
©orbilbung ber SRittelfchuflehrer heroor: „$er gorfcher unb ber Schulmann
toerben nicht oon ben nämlichen Sntereffen geleitet; toiffenfchaftliche ©rfennt*
niffe erarbeiten unb biefetben als Sehrgut oerarbeiten, finb Slufgaben oer*
fchiebener Statur. $er UnioerfitätStehrer lehrt tuohl, ober ber fünftige
Schulmann tuirb gu unterrichten hohen, toofür er an jenem nicht ein
Sorbilb finbet. S)er UnioerfitätSunterricht hot ben 3«g gum Specialifteren,
im Schulunterrichte mufS bagegen eine SRehrheit oon SBiffenfchaften gur
3ufammenmirfung gebracht toerben; bei jenem fönuen fich hie SRethoben,
nur bem Objecte nachgehenb, mannigfach bifferengieren, bei biefem finb burch*
gehenbe SRethoben unb ift ©inheßigfeit ihres 3ufamntentoirfenS erforberlich."
S)ie Serfuche, toelche in beutfehen Sanben gemacht toorben finb, um
biefer eminent nächtigen Srorberung beS ©ebeihenS beS ©ilbungS* unb
*) SB. 5 r i e S, $)ie ©orbilbung ber Sehrer für baS Sehramt. 3n ©aumeifter’S
Ipanbbuch ber ©rjiehungS unb Unterrichtslehre für ^ö^cre Schuten. SRünchen 1895.
II. ©anb, 1 . Slbtheilung. Seite 22 . ©ergteiche ebenbort Seite 113, 116.
ftultur. III. 3at>r0 3. £eft. (1902.) 15
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22 6
SBirgil ©rimmicb.
UnterricfetStoefenS ju genügen, haben Oerfcfeiebene ©eftaltungen angenommen.
©$ tourben an ttnioerfitäten fiefjrfanjeln für Päbagogif, fpecieH für
SDtittelfcfeulpäbagogif erriefetet, auf toeldjen Porlefungen über Päbagogif,
©efebiefete ber Päbagogif, ®ibaftif, bie pfpcbologifcfeen ©runblagen ber ©r*
jiefjnng u. a. gehalten toerben. 2Rit benfelben fteben päbagogifcfee
©eminarien enttoeber rein t^eoretifc^er Statur ($. 93. ©öttingen) ober
folcfee in 93erbinbung, in toelcfeen bie SKitglieber auch 8 U UnterricbtSüerfucfeen
angeleitet unb angebalteit toerben (£>eibelberg, Seip^ig). 3n 3ena unb 93uba*
peft b^ben biefe päbagogifcben ©eminarien ihre eigene ÜbungSfcbute, an toelcfeen
bie ©anbibaten für baS Seferamt an höheren Spulen prattifcb oorgebilbet
toerben. ©ine anbere 3ornt, biefem 93ebürfniS ju genügen, fiitb bie mit
beftebenben SRittelfcfeulanftalten in SSerbinbung gebrachten ©eminarien ($afle,
93erlin, ©iefeen). Slucb in ber ©eftalt ben Probejahren toar unb ift man
beftrebt, ben ©anbibaten ben Sebramten an ben SWittelfcfeulen bie notbtoenbige
prattifebe Einführung unb Erprobung $u oerfebaffen.
3n Öfter reich tourbe mit ber SJtinifterialoerorbnung Oom Sabre 1884
an bie ©infübrttng ben Probejahren im engeren Sinne gekritten. $er jepige
!. f. Sanbenfcfeulinfpector in Sina ®r. 2ofef fioon ertoarb ficb um bie 5lun*
geftaltung biefer Snftitution befonbere 93erbienfte. Sn ber ^3citfc^rift für
bie öfterreiebifeben ©pmnafien* (1895) legte er ber Öffentlichst einen aun*
fübrlicben 93ericbt über ban erfte Sabr ben oon ipnt aln ®irector ben ©taatn*
gpmnafiumn im 9. 93ejirfe in ffiien eingerichteten unb geleiteten feminar*
artigen Probejahren Oor. ®er SJtangel an ©anbibaten, toelcber befonbern oott
bem Umftanb bebingt toar, bafn biefelben alnbalb nach abgelegter Staats*
prüfnng mit ber „ooßen Sebroerpflicfetung einer orbentlicben Sebrfraft" an*
gefteflt toerben mufnten, liefe aber leiber biefe Soon'fcfee ©inriefetung niefet $u
bauernber 93lüte gelangen.
®r. Sofef fioon ift als ©cfeulntann ein ©cfeüler SBillntanit'n: er
jeiefenete ficb im Dctober 1876 als erften SRitglieb ben nach ben 93orfcfelägen
SBißmann'n an ber pbilofopbifcfeen gacultät ber Prager Starl gerbinanbS*
Unioerfität oom ffltinifter ©tremaper errichteten päbagogifcfeen©eminarn
ein. ^ofratb SBißmann, ber unerfeferoefene 93orfämpfer einer ibealifiifcfeen
SRicptung ber ppilofophifcfeen ©peculation, toclcfeer er in feinen 93orlefungen
nnb Schriften ooßenbeten Slunbrucf oerleibt, ber tiefe ®enfer unb erfahrene
©cfeulmamt, toelcber als grünblicfeer Senner ber SRefultate ben mobernen
betrieben pfpcfeologifcfeer unb etpifefeer ftorfefeung, anberfeitn aber als begeifterter
Vertreter ber ariftotelifdHcpolaftifcben, philosophia perennis fotoobl in feinem
praftifefeen 9Birfen als auch in feiner febriftfteßerifefeen Xbätigfeit ein ©laffifer
cbriftlicber Päbagogif genannt $u toerben oerbient, auf ben Öfterreicfe ftofy
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0.SBiDmann’S 25jäbr. $hätigteit am Frager päbag. UnioerfttätSfemmar. 227
fein barf, fonnte im Dctobcr bicfc^ 3ahre$ auf ein Bierteljahrhunbert fegend
reichfter Slrbeit auf bem ©ebiete ber |>eranbilbung ber ©anbibaten für ba£
UWittelfchuttehramt jurücfblicfen, melche im folgenben einer eingehenberen ©ar*
fteUung gemürbigt merben foB.
SBillmann felbft tjat itn3 über biefe feine SBirffamfeit in ber Schrift:
„®a$BragerpäbagogifcheUniberfität3feminarinbemerften
Bierteljahrhunbert feinet Beftehen3" (SBien 1901)einenfadjmännifdjen
Beruht in fdjtidjter Sorm borgelegt. ®uf feine Anregung unb Borfchläge mürbe
<in ber philofophifchen gacultät ber ^rager Uniberfität bon SJtinifter ©tremapr
«in päbagogifchen Seminar errietet, melden aber bis jum 3foh™ 1887 eine
uormiegenb tf)eoretifc^e Btidfjtung berfolgte. ©rft im Sfaljre 1887 mürbe e$
mit bem I. $rag=$Reuftäbter ©pmnafium in Berbinbung gebracht unb burch
bie praftifchen Übungen an biefem ©pmnafium geeignet, ben ffianbibaten auch
«ine praftifdje Borbilbung ju gemähreit. SBurben biefe praftifchen Übungen
anfangs nach pribatem Übereinfommen mit bem fiehrförper beS ©pmnafiumS
eingerichtet, fo erhielt ihre Slbhaltung im $erbfte 1891 burch bie mini'
fterieBe ©enehmigung unter bem UnterrichtSminifter ©autfeh officieBen
©harafter. 3ahre 1899 mürben biefe Übungen an baS Brag*21Itftäbter
©qmnafium, beffen Seitung bem ehemaligen SRitgliebe beS SBiflmann'fchen
Seminars ©r. Slnton $ranf eben übertragen morben mar, berlegt. $Run'
gelang eS SBiflmann, burchjufefcen, bafS bie ©eminarftunben ben Schülern
beS ©qmnafiumS als lehrplanmäßige UnterrichtSftunben angerechnet merben;
eS finb baher fämmtliche ©chüler ber betreffenben ©laffe bemalten, in ber
SeminarunterrichtSftunbe $u erfcheinen, mährenb eS bis borthin ben Schülern
freiftanb, fich an ber ©emiitarlection ju betheiligen ober nicht.
®aS SBifimann'fche ©eminar fteBte fich nad) § 1 feiner Statuten bie
Aufgabe, „feineBRitglieber ju felbftänbigem ßinbringen in bie miffeitfchaftliche
Bäbagogif anjuleiten unb baburch ihre Befähigung für baS fiehramt ju
erhöhen," unb moBte biefelbe nach § 8 ber Statuten burch folgenbe
Übungen löfen: „1. Schriftliche Arbeiten unb Borträge über ©h cm * n aus
bem ©ebiete ber aBgemeinen Bäbagogif, ber ©ibaftif, ber ©efchichte ber
Bäbagogif unb ber Seh x * 9om ©chulmefen; 2. ßectüre, ©rflärung unb
Äritit bon einfehlägigen, inSbefonbere philofophifch s päbagogifchen Schriften
ober oon B^rtien aus folgen burch bie ba^u beftimmten BRitglieber; 3. freie
©oBoquien ober ©ifputationen bor$ugSmeife im Slnfchluffe an bie übrigen
Übungen unb bie päbagogifchen Bortefungen; 4. ©rläuterung bon ©efefcen
unb Berorbnungen, melche baS ©chulmefen betreffen, mit bormiegenber 9tücf=
ficht auf bie öfterreichifche Schulgefefogebung." ©ie Seminarmitglieber foBten
alfo aunächft beranlafSt merben, burch felbftänbige Stubien in bie päbagogifchen
15*
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©irgil ©rimmich.
®ifciplinen ihrem gefammten Umfange nach eingeführt ju merben, in gegen«
feitiger Anregung unb Kritif ben SRieberfchtag ihrer Stubien $u Wären, bie
Sitteratur ber ©äbagogif burch gegenfeitigeS gufammenarbeiten fennen unb
bie concreten gönnen beS öfterreidjifdjen ©chulmefenS in ihrer Serechtigung
unb Sebeutung mürbigen ju lernen. 2)ie fpftematifche Sermittlung ber ent«
fprechenben ffenntniffe aus ber ©äbagogif übernahmen bie Sorlcfungen. Um eine
grünbliche Aufarbeitung ber päbagogifchen ©robleme $u ermöglichen, mürbe ben
©eminavübungen für ein ober jmei ©emefter ein einheitlicher Stoff gegeben.
Auch baS belebenbe, anregenbe unb auffrifchenbe 3Roment ber Dergleichen«
ben ^Beobachtung frember Schulberhättniffe mürbe in feiner ©ebeutung für
bie päbagogifche Silbung gemürbigt: ©eminarmitglieber mürben beranlafSt
unb burch ©tipenbien unterftüfot, päbagogifche ©tubienreifen ins AuS«
anb gu unternehmen unb barüber im Seminar $u berichten. $ie 3ide biefer
©tubienreifen maren Reiften, ®reSben, ßeipjig, ©örlifc, ©erlin, £aüe . . .
„Seiber muffte (fpäter) bon ber Erteilung bon SReifeftipenbien Umgang
genommen merben, ba bie Siebuction beS ©etrageS ber ©tipenbien bon jährlichen
600 ©ulben auf 360 ©utben Einfchränfungen nothmenbig machte." (©. 5.)
©elbftübung ift aber für jebe Einführung in bie praftifche SBirffamfeit
bie Jpauptfache. S)aher ruhte SBillmann in feiner ibealen ©egeifterung für bie
Sache ber Hebung beS SRittelfchulmefenS nicht, bis er bie bormiegenb
theoretifchen Übungen feinet ©eminarS mit praftifchen in Serbinbung fcfcen
fonnte. gm gahre 1887 gelang eS ihm, junädhft in ber gorm pribaten
ÜbereinfommenS, fein Seminar mit einem ©pmnafium in Serbinbung 51 t
bringen, bis im £>erbft 1891 biefer meiterc Schritt auch bon ©eite beS
Unterrichtsministeriums officieUe ©enehmigung erhielt. SRun trat ju ber
urfprünglichen gaffung beS § 8 ber Statuten beS Seminars ber bebeutungS«
bolle Sufafc, bafs bie 9Ritglieber auch „Sectionen über borher beftimmte
SRaterien auf ©runb forgfältiger Sorbereitung bor Schülern einer 9Rittel«
fchule in ©egenmart beS Seminars" ju hatten hoben. ©S ift flar, bafS mit
biefer Einführung ber ©raftica ber Umfang ber theoretifchen Übungen
eingefchränft merben mufste. $ie fachmännifche Einficht SBiHmann’S mufSte
aber burch Sorlefungen, melche bie praftifchen Übungen einleitenb borbe«
reiteten, feinen ©eminarmitgliebern einen ©rfafc für bie nothmenbig gemorbene
Einfchränfung ber Xh eorct i ca ä u bieten, fomie er anberfeitS in fpecieHen
Soüegien ben ©ehalt unb bie ©ebeutung beS DrganifationSentmurfeS unb
ber gnftructionen bom gahre 1900 zum ©egenftanb befonberer ©eachtung machte.
5Rach ben brei ©efichtSpunften ber bibaftifchen Sechnif, bibaf«
tifchen gormengebung unb bibaftifchen Drganifation, bon
melden SBiHmaun bie SBirffamfeit beS erziehlichen Unterrichtes betrachtet.
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D. SBißmann'S 25jähr. ^ätigfeit am Präger päbag. UnioerfttätSfeminar. 229
verfolgen auch bic {ßraftica feine# ©eminarS ein breifacheS 3**1: fie
faßen bie SJtitglieber beS ©eminarS in bie oerfcfjiebcnen gotmen beS
Unterrichts, in baS barfteflenbe, erflärenbe, entmicfelnbe, f)euriftifd^e unb
befeftigenbe Sefjroerfahren einführen, ihn anleiten, ben SilbungSgehalt
eines jeben SehrftoffeS z u erfaffen unb ihm ben ©ebanfen beS
©efammtbitbungSgieteS beS Unterrichtes an äRittelfd)uten in bem
gegenfeitigem 93e$iehen ber fiehrfächer auf einanber recht anfdjaulich jum
©ettmfStfein bringen, bamit er lerne, einft fein fpecießeS Sehrfach nicht in
fich abjchliejjenber Einfeitigfeit, fonbern fo gu betreiben, bafS er nach ber
formeflen unb inhaltlichen Sebeutung beSfelben an ber Erreichung beS ®e*
fammtjieleS beS erziehlichen Unterrichtes am ©pmnafium noch Äraften mitmirfe.
DaS methobifch s technifche ©efefc ber Einhaltung unb flaren
Durchführung ber charafteriftifchen formen beS SehruerfahrenS ift eine
elementare Jlnforberung, meldje an jeben Sehrer, alfo auch an ben an SJtittel*
faulen befchäftigten, gefteßt merben mitfS. Die Sluffaffung biefer Sonnen in
ihren charafteriftifchen Eigenthümlichteiten, baS ftrenge SluSeinanberhalten
berfelben, meines ben Sehrer oor jeber oermirrenben unb bie Erreichung beS
Unterrichtszieles gefährbenben Sonfufion bemahrt, mufs fich *mher
päbagogifche Seminar in feinen praftifchen Übungen junäc^ft zur Aufgabe
fteßen, menn man auch nicht non ihm oerlangen fann, burch einige auf
mehrere äRitglieber beS ©cminarS fich oertheilenbe praftifche Übungen ben
Eanbibaten fchon oößig in bie praftifche £>anbhabung biefer mcthobifchen
Dechnif einzufchulen. 3ft cS bem Eanbibaten zum ®enmfStfein gefommen,
bafS bie Wirten beS SehroerfahrenS burch mefentlicf) eigenthümliche 93efchaffen=
heiten eparafterifiert finb, ift er fich ber SRothmenbigfeit bemufst gemorben,
bafS fie confequeitt eingehalten unb burchgeführt merben müffen, um baS
entfprcchenbe Unterrichtsziel z u erreichen, bann h at er aus bem ©eminar
jene praftifchen, auf Erfahrung beruhenben Kenntniffe mitgenommen, melche
ihn bemegen merben, fich in biefer {Richtung immer mehr burchzubilben.
3Rit ber technifchen Vermittlung unb Einprägung eines SehrftoffeS ift
aber bie XThätigfeit eines erziehenben SehrerS nicht erfchöpft: er mufs bie
bilbeitbe SRacht beS SehrftoffeS fomoljl an ftch als auch * n feinem
Verhältniffe z« ben übrigen Sehrfächern z«r ©eltung z« bringen miffen. 5Rur
fo ift jene Klippe beS Unterrichtes z u Oermeiben, bie barin befteht, bafS
man ben ©eift beS ©chülerS mit einer SRenge oon Kenntniffen anpfropft,
melche fein Seben hoben unb baher für Oie ©efinnungSbilbung unfruchtbar
bleiben, meil fie in ihrem VilbungSmerte nicht erfafSt morben finb. Daher
mar SBißmann bei ber 2lnSmahl unb Durchführung ber praftifchen Dhemen
ftetS beftrebt, ben SRitgliebern feines Seminars ben VilbungSroert beS ein*
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230
Sirgil ©rintrmd}.
jelnen Unterrichtsstoffe? forote feine Stellung jutn allgemeinen SilbungSjiel
beS ©pmnafiumS jum Semufstfein ju bringen.
Son bem Stanbpunfte biefer eminent päbagogifchen Sbeen finb bie
Identen ju ȟrbigen, meld)e SEBillmann nach ber Darftetlung ber oben
ermähnten Schrift oon Seite 8 bi? 13 für bie fßrattica feines Seminars
auSgemählt hat. 3Kan mufS bie umfichtige unb feinfühtenbe Seminarleitung
SEBillmann’S tennen gelernt haben, um ben SBert unb bie ^Berechtigung ber
oon ihm jur Sehanblung geführten Dh cmen aus ben Gebieten ber alten
Sprachen foroohl, mie beS mutterfprachlichen unb beS mathematifch=pht)fifalifchen
Unterrichts nach ®ebür beurtheilen ju fönnen. Die einjelnen fernen mögen
inberSrochürenadjgefehenmerben. DaS barfteHenbe, erflärenbe, entmicfelnbe unb
heuriftifche Seljrberfahren beS gefchichttichen unb geographifefjen Unterrichtes
fuchte SEBillmann gleichfalls in praftifchen Übungen jur Geltung ju bringen,
in anberen ben Stanbpunft ber ©oncentration beS Unterrichtes für biefe Sehr»
fächer ben Seminarmitgliebcrn Har ju machen, fomie er auch ben patriotifchen
unb ethifdjen SilbungSgeljalt biefer Sehrfächer jur praftifchen Üluffaffung brachte.
t$ür bie Sorbereitung ber Sraftica gibt SBillmann theils in
ben einführenben Seminarfifcungen, theils bei ben unmittelbaren Sor»
befprechungen ber Übungen, theils bei ber ft’ritif berjelben ben STOitgliebern
feines Seminars fotgenbe Reifungen :
1. DaS erfte ift ein grünblicheS Stubium beS betreffenben SehrftoffeS,
infolge melcheS ber ßanbibat ihn fo beherrfchen lernt, als mürbe er an eine
miffenfchaftliche Slrbeit über bie betreffenbe Srage gehen müffen. ©rünblicheS,
folibeS Sßiffen ift ja auf Seite beS SeljrerS bie notljmenbigfte ©runblagc
eines fruchtbaren Unterrichtes.
2 . Die Scrmittlung beS SehrftoffeS an bie Schüler mufS junädjft
baS Sluffaffen, Serftehen unb Sehalten beSfelben anftreben. Der SlnfdjaunngS»
unterricht (3eigen oon ©egenftänben, Silbern, baS Slnjeichnen an bie Dafel,
beutlidje SluSfpradje, baS ©horfpredjen), baS ©rfiären jum 3*oecfe beS
SerftänbniffeS (SEBort», Sacherflärung, ©ntmicflung ber Segriffe, methobifdje
gragenftetlung) unb ©inprägen beS SehrftoffeS (3ufammenfaffen beS Stoffes
in Schlagmörtern, Stetigen, Überfichten) mirb nach ben üon SEBillmann feft»
gehaltenen äMIjoben ber Eßraftica gefiebert.
3. 35aS Slnfnitpfen an bereits ©elernteS, bie Slnmenbung beS Sehr»
ftoffeS auf bie Sethätigung beS tljeoretifchen unb praftifchen UrtheilS, bie
$erfteHung ber inneren Sejieljungen jmifchen ben oerfdjiebenen Sehrfächern
beS Sehrplanes finb Momente beS Unterrichtes, beren Serücffichtigung SEBillmann
ben SDtitgliebern feines Seminars bei ber Durchführung ber Eßraftica jur
ftrengen Sflich* macht.
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0. üBiümann’S 25jä&r. 5hätig!eit am fraget päbag. UnioerfltätSfemtnar. 231
4. 2litd) ju übcrfic^tlic^er unb logifcher Durchführung be3
heutiger Spraye be3 93ortrage3 unb einem methobifch richtigen ©ebrauch
non Stage unb Slntwort hält SBiümann bie ©entinarntitglieber an.
93ei ber Durchführung ber^ßraftica geht SBiümann in folgenber
SBeife oor. s 2(m {Beginne eines jeben ©emefterS wirb ein {ßlan bet auä*
ftuarbeitenben theoretifchen unb praftifchen Übungen entworfen, nach meinem
ben einjelnen ©eminarmitgliebern ihre Sternen jugewiefen werben. Sür
jebeS Sßrafticum wirb ein {Referent ober {Recenfent befigniert; berfelbe hat
bie Aufgabe, fich in ben ©egenftanb beleihen fo ein^uarbeiten, bafS er bie
fötitit ber gehaltenen UnterrichSftunbe fachlich einleiten fann. Die ÜRitglieber
beS Seminar lehrförperS, welche aus bem Seminaroorftanb, bem als ÜRit*
oorftanb fungierenben Director beS ©gmnafiumS, an welkem bie {ßraltica
gehalten werben, unb einigen ©pmnafialprofefforen befteht, gehen bem ©anbibaten,
welcher mit ber Abhaltung einer ©eminarlection betraut ift, mit {Rathfchlägen
unb ülnweifungen an bie £anb. Seoor er feine UnterrichtSftunbe hält, ift er
oerhalten, in ber ©laffe, oor welcher er aufeutreten hat, J u h°fpüieren unb
mit ben entfprechenben Sehrmittcln fich oertraut $u machen, ©ine fefjr aweef*
mäßige Sorbereitung beS ©anbibaten befteht barin, bafS ein ÜRitglieb beS
SeminarlehrförperS fich mit ihm in bie SBehanblnng eines Dh ema 3 th*Ht
unb oor ihm ben betreffenben Dheil beS UnterrichtSftoffeS in einer Seminar*
fiftung jur Sehanblung bringt. üluch inhaltlich oerwanbte fiefjrftoffe werben
in biefer Slbficht in aufeinanberfolgenben ©eminarfifeungen burchgenommen.
Die Schüler ber betreffenben ©laffe beS ©pmnafiumS werben für gewöhnlich
auf bie Seminarlehrftunbe nicht eigene oorbereitet. Die Seminarlection mufS
ber ©anbibat in ©egenwart beS SeminarlehrförperS unb ber übrigen ÜRit*
glieber beS Seminars haften. 5Rach Seenbigung ber Stunbe oerlaffen bie
Schüler baS fiocale. 9tun hat ^unächft ber ©anbibat mit^utpeilen, welchen
©inbruc! er felbft oon ber abgehaltenen UnterrichtSftunbe hat, welcher ÜRängel
er fich bewußt ift, inwiefern unb aus welchen ©rünben er oon feinem
fiehrplane für biefe fpecielle UnterrichtSftunbe abgegangen ift unb begleichen,
darauf gibt ber im oorhincin beftimmte {Referent feine ffritif in Sejug auf
Sorm unb Inhalt ber Sehrftunbe. 9?un folgen fritifche unb ergänjenbe
Senterfungen oon Seite ber übrigen ÜRitglieber beS Seminars, beS Sach 5
profefforS, ber übrigen Sßrofefforen, beS ©pmnafialbirectorS unb beS Seminar*
oorftanbeS. Die fo gemachten fritifchen Semerfungen hat ber ©anbibat in
einer betaittierten DiSpofition, welche er bem Seminaroorftanb übergibt, 51 t
berüdfichtigen. Diefc DiSpofitionen ber {ßraftica werben bem SahreSberichte
an baS ÜRinifterium beigefchloffen unb nach erfolgter {Rücffenbung im 2lrchioe
beS Seminars aufbewahrt, bamit fie fpäter bei ber {Bearbeitung ähnlicher
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232
Sirgtl ©rimmid).
Seemen lieber benüpt merben fönnen, eine Einrichtung, toeldje bie 9lrbeit«*
continuität be« ©eminar« erhält unb e« ermöglicht, gemachte Erfahrungen
unb erprobte ®arftellung«formen auch fpäter mieber Oermerten.
3n ber SRiniftera loerorbnung für bie Prüfung ber San*
bibaten be« ©qmnafial* unb Stealfchudehramte^ oom 30. 9Iuguft 1897
heißt e«: „Seber Sanbibat h fl t mährenb feiner ©tubien^eit fich biejenige
philofophifche unb päbagogifd)e Silbung anjueignen, bie jebem SRittelfchul*
lehrer unentbehrlich ift, unb ^at ben Erfolg biefeö ©tubiurn« burch &u biefem
3mecfe abjulegenbe ^Prüfungen (Eotloquien) barjuthun . . . Me Eanbibaten
haben Sofloquienjengniffe über ein minbeften« breiftünbige« p^ilofop^ifdhc^
unb päbagogifche« Sotleg ober 3^ugniffe, baf« fie fich an einem p^ito=
foptjifchen ober päbagogifchen ©eminarc thätig betheiligt höben, oorjulegen."
(9lrtifel V.; 9lrtifel II. 2, b.) ®a alfo bie Setheiligung an einem päbagogifdj*
prattifchen ©eminar nicht obligat ift, mürbe e« bem freien ©rmeffen, bem
ffiifer unb Sntereffe ber ©tubierenben überlaffen, al« äRitglieber bie ©eminar*
Übungen mitjumachen. ®ie ®auer ber SRitgliebfchaft umfaßte 2 bi« 6 ©emefter.
SBährenb ber 25 3ahre feinet Seftcmbe« jähtte ba« äßillmann'fche ©eminar
323 SKitglieber, mooon heute über 100 an ©pmnafien, barunter 12 ®irectoren
mirten. 9ln anberen ßehranftalten fanben gegen 70 SRitgliebcr, barunter
brei als ®irectoren, ©teüung. 9luch smei Unioerfität«profefforen unb einen
ßanbe«jchulinfpector, ®r. 3 ofef ßoo«, jählt ba« ©eminar unter feine
ehemaligen 2Ritglieber. ®a« ©eminar SBiümann'« muj«tc auch au«märtige
Schulmänner in ben ßrei« feiner ^ntereffen ju sieben, fo befonber« ben
ehemaligen ®irector ber grancfe'fchen Stiftungen in $alle ®r. Dtto 3 rief
unb ben SRinifterialrath a. 3). 3>r. 91. Saumeifter au« 9Kiinchen. ©egen*
märtig mirfen ®r. 9lnton grant, 9lnton 2Ricf)ötitf d)f e, Smerich
SRütler unb 9lbolf ©ottmalb al« SCRitglieber be« ©emiitarlchrförper«,
im engften 9Infchluf« unb Singehen auf bie päbagogifchen 3foeen be« ©eminar*
oorftanbe«, fmfrath SBiHmann.
SBiHmann felbft oergleicht bie SBirffamfeit feinet Seminar« im
befonberen mit jener be« Seminar« an ben graitcfe'fchen Stiftungen in
§atle unb be« oon Srof. ©top begrünbeten, oon Srof. ®r. SRein au«*
geftalteten Seminar« in 3ena. 3)iefe ©egenüberftetlung oeranlaf«t ihn,
ba« berechtigte Sebauern au«sufprechen, baf« fein Seminar infolge ber
eigentümlichen ©chuloerhältniffe in Öfterreich $ur £eranbilbitng tüchtiger
$ a up t( ehr er, ba« heißt oon ßehrfräften für ßehrer* unb ßehrerinnen*
bilbung«anftalten, nur menig beitragen faitn unb baher nicht in ber ßage
mar unb ift, auf bie 9lu«geftaltung ber Solf«fdjule jenen ©influf« au«ju*
üben, ber sur miffenfchaftlicheit Srfaffung ber „Einheitlichfeit be« gefammten
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D. SöiUmann’t 25jähr. Xhätigfett am Frager päbag. UniDerfttättfeminar. 233
Vilbungtmefent" fo münfchentmert märe. 25 ie Errichtung einer
eigenen Slbtfjeitung für angehenbe ^auptlehrcr unb für folche
Volftfchullehrer, melche burch ihre miffenfdjaftliche unb befonbert
päbagogifcfje Vilbung bie Eignung baju befunben, märe eine für bat ge*
begliche äufammenmirfen aller öffentlichen Sehrperfonen dn ber einheitlichen
Hebung bet öfterreichifchen Unterrichte* unb Erjiehungtmefent fehr heilfame
Xhat, melche in meiterer 3lutgeftaltung bet päbagogifchen Unioerfitätt*
feminart auch bie Einrichtung non befonberen Surfen für Srmeiterung unb
Vertiefung ber Volftfchullehrerbitbung jur logifch nothmenbigen 3otge fm&en
rnüftte. 9Wöge bie Erfüllung feinet bahin gehenben SBunfchet, melche 2BiH*
mann in ben -lebten 3«^n feiner genannten Schrift autfpricht, ber mohl*
oerbiente Sohn für feine unermiibliche unb ibeale Slrbeit an ber $ebung
unferet gefammten Vilbungtmefent merben!
3 m Slnfchlufe an biefen Söunfcf) einer meiteren entfprechenben 9lut*
geftaltung bet SBiKmann’jchen päbagogifchen Unioerfitattfeminart unb unter
bem frifchen perfönlichen Einbruct betfelben ftehenb, möchte ich eine Srage
betonen, melche für bie görberung bet Unterrichte* unb Erjiehungtmefent
an ben öfterreichifchen 9ßittelfchulen unb mittelbar auch an ben Völftfchulen
non großer Xragtoeite unb gerabeju grunbtegenber Vebeutung ift. Ee ift
bie grage ber päba gogifch^miffenfchaftlichen unb praftifchen
Mutbilbung oon 9teligiont lebrern an ben ©tittelfchulen.
25er Slteligiontunterricht, melier ja in h^tnorragenber SBeije
jur Slutbilbung tüchtiger ©cfinnnng unb fefter Sharaftere berufen ift, b a r f
an feiner Erjiebo ngtan ftalt, alfo auch nicht an ber Mittel*
jdjule, nur nebenher gehen, ohne mit ben übrigen Sehrgegenftänben
ber Slnftalt in innigftem Eontact ju ftehen; er mufe nach ben Vrincipien
ber Eoncentration bet Unterrichtet, feiner Aufgabe bemuftt, bie formellen
unb inhaltlichen gortfehritte in Unterricht unb Erziehung,
ju melchen bie übrigen ©egenftänbe bet Sehrplanet bie Schüler in ftetiger
Arbeit führen, oermerten, um in Srfaffung bet einheitlichen
©ilbungtjielet, entfprechenb ber centralen Stellung, melche er in ben
Aufgaben ber gngenbbitbung unb bet 3 u 0 enbunterrichtet einnimmt unb
einnehmen muft, nach Kräften unb oerftänbnitooll an ber Erreichung
betfelben mitmirfen $u fönnen. Soll er aber folgen Slnforberungen,
beren Erfüllung für bie ©efinnungt* unb Sharc^fterbilbung ber gebilbeten
Greife ber Veoölferung, ja mittelbar — burch Vermittlung ber Volftfchule —
ber gefammten Veoölferung, oon bem beilfamften unb meitgehenbften Ein*
fluft ift, genügen fönnen, fo miiffen auch i ene / Welche ?pir Ertheilung bet*
felben berufen finb, in entfprechenber Steife theoretifch unb praftifch
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234
Virgil ©rtmtntdj.
herangebilbet toerben. ®ie Sluffaffung religiöfer fragen ift natürlich in
ben SJtittelfchulen eine gan$ anbere als in ber VolfSfchule; mit bet er*
meiterten unb tiertieften Kenntnis ber SRatur unb beS SRenfchen, befonberS
feiner etfjifäen Aufgaben, mufS bie Ermeiterung unb Vertiefung
religiöfer Vilbung gleichen Schritt Rotten. Soßen bie Steife ber
Veoölferung, melden bie Suitier berartiger Slnftalten einft angehören toerben,
ben religiöfen gragen unb bent religiöfen Seben nicht in gleichgiltiger Ent*
frembung gegenüberftehen ober in unrichtiger Erfaffung ihrer Vebeutung
biefetben als einen überflüffigen, aus überlebten ©efeßfchajtsoerhältniffen
übernommenen Vaßaft betrachten, fo müffen fie religiöfen Unterricht unb
religiöfe Erziehung erhalten, toelche ihrer fonftigen VilbungSftufe formeß unb
inhaltlich entspricht. SBie fann mau uon folgen Sreifen eine aufrichtige,
toanne Vegeifterung für baS fegenSreiche VHrfen ber chriftlichen Sirche unb
ihrer Einrichtungen oerlangen, toenn fie biefelben nicht in einer ihrer fort*
gefchrittenen ©eifteSbilbung entfprechenben SBeife fennen unb fchäfceit gelernt
haben? $)ie fflleichgiltigfeit unb gahrläffigfeit gegenüber ben fo frönen,
Don erhabenen gbeen getragenen gormen beS fatholifdjen ©otteSbienfteS ift in
nicht feltenen gäßen auf UnfenntniS jurücfyuführen, eine UnfenntniS, meiner
in nachhaltiger Steife nur bann oorgebeugt toerben fann, toenn bie Sult*
formen unfercr Sirche in ihrem ©ehatte ben Schülern folcher höherer Vn*
ftalten immer toieber in einer bem fonftigen gortfehreiten ihrer (Seiftet- unb
£>eraenSbilbung entfprechenben gorm jum VetonfStfein gebracht toerben. '©aS
Sulturleben ber Sirche h a t fidr in einem folchen SRcichthum oon Schöpfungen
ber Sunft unb Sitteratur entfaltet, bafS eS auf's h^chfte ju bebauern ift,
toenn ein ©lieb berfelben biefe Erfdjeinungen in ihrem SBerte unb ihrer
Vebeutung für baS gefammte Sulturleben nicht erfaffen unb fdjä^cn gelernt
hat. SBarum foflte fich ber ©ebilbete für bie Erhaltung unb görberung biefer
©üter feiner Sirche nicht ebenfo begeiftern fönnen toie für bie feinet VolfeS?
5)ie Steflung ber Sirche in ber ©efeflfehaft, ihr SBirfen an ber Erhaltung
unb görberung ihrer inteflectueflen unb etlichen ©üter mufS mm biefen
Steifen ber Veüölferung immer tiefer unb grünblicher unb flarer erfaßt
toerben, fofleit fie eS für ein ©liicf halten, einer folgen Sirche aitjugehören,
foßen fie fich bafiir begeiftern, an ihrem gortbeftanb — fotoeit er burch
enbliche gactoren bebingt ift — unb ber görberung ihrer gntereffen im
engeren unb weiteren Sreife thatfräftig $u arbeiten.
Solchen berechtigten Slnforberungen genügt aber ber ^Religionsunterricht
an ben h ö h e rru 9lnftalten nicht, toenn er nach ®rt einer ÜRiniatur*
Ih e alogie betrieben toirb unb ben Schülern Sehrbücher in bie £anb
gibt, bie nichts anbereS als ein 9luS$ug aus gachlehrbüchern ber
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0.5Biümann’S 25jä^r. Xbätigfeit am Frager päbag. UnioerfttätSfeminar. 235
betreffenben ttjeologifdjen Xifciplinen finb unb baher twn beit Schülern
Weber genügenb berftanben, noch ihrer SilbungSftufe entfprechenb für bie
SluSbilbung ihrer ©efinnung verarbeitet werben fönnen. $er 9teligionS=
unterricht an 9Rittelfchuien ift von bem an ber VolfSfchule fowohl rücffichtlich
feines $iefeS als auch burch feine SDtethobe wefentlidj oerfchieben: baher fann
auch eine päbagogifche 9luSbilbung ber X^eologteftubiereitben, welche nur auf
bie VolfSfchulberhältniffe, auf bie „fiatechefe" im engeren Sinne 9tücfficht
nimmt, unmöglich einem fo eminenten Vebürfniffe beS fatholifchen Unterrichte
unb ffirjiehungSwefen genügen. ®ie Übernahme einer folgen 9teligionSlehrer*
fteüe fotl nicht blofc von einer Prüfung abhängig gemacht werben, welche
nur eine 9lrt SGßieberholung ber theologifdjen Nachprüfungen ift; fie !ann
auch nicht bie nötige Sürgfdjaft geben, wenn fie nur baS ©tubium irgenb
eines SehrbucheS ber Väbagogit unb SÖtethobit größeren ober geringeren
Umfanges borauSfefct: eine theoretifche unb praftifche ®rfaffung
ber Aufgaben unb äftethoben ber 9ft ittelf dhulpäbagogif,
welche nicht etwa fchon burch &i c ®rinnerung an bie eigenen ©pmnafial*
ftubien erfefct werben fann, ift bie unbebingt nothtoenbige VorauSfefcung für
eine gebei^Iiche SBirffamfeit in einem fo eminent wichtigen unb einflußreichen
Verufe, wie es baS 9lmt beS 9teligionSlehrerS an 9Rittelfchulen ift. ®S bem
9teligionSlehrer überlaffen, fich erft burch eigene (Erfahrung in bie SDtittel*
fchulpäbagogif mit ihren eigenen Aufgaben, ihrer eigenen $ibaftif einjnleben,
ift nicht am Vlafce: {ebenfalls wäre für bie ©rfüflung ber befonberS fchwicrigen
unb wichtigen Aufgabe biefeS 9ieligionSunterrichteS beffer geforgt, wenn bie
©anbibaten biefeS Sehramtes fich in b e n päbagogifdjen UniberfitätS*
feminarien analogen Snftituten theoretifch unb praftifdj für ihre
fünftige 2lmtSthätigfeit auSrüften fönnten. „®er orbentliche Vtofeffor ber
Iheologie 9t. £ofmann (Seip$ig) ift $irector eines päbagogifcheu Seminars.
®r hält päbagogifdje Vortefungen nicht blofj für Iheologen unb bietet feinen
©eminariften jum $wecf ihrer praftifchen 9luSbilbung eine breifache Übung:
1 . theoretifchen Unterricht burch Einführung in bie wiffenfchaftlichen ®ifciplineu
mit ftetem Hinweis auf bie praftifchen Slnforberungen beS Unterrichts;
2 . ^Beobachtung Von Vorbilbern burch |>ofpitieren bei muftergiltigen Sehrern
unb Vorführung ber oerfchiebenften ©chulorganiSmen; 3. eigene Sehrüerfuche.
3n baS Seminar nimmt §ofmann ältere ©tubierenbe auf, welche ihre
theoretifchen ©tubien bereits bis $u einem gewiffen ©rabe abgefchloffen
haben, unb h<*t unter ben 2h^ ü ^°g e u befonberS biejenigen im 9luge, welche
fünftig als 9teligionSlehrer an h^h ercn ©chulen wirfen wollen, benn eS ift,
wie er fehr richtig bemerft, burch au S juoermeiben, bafSbaS wichtig ft e
aller Sehrfächer ©aubibaten anbertrantwirb, welche ohne jebe
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236 SB. ©rinttnidj. ©Mllmann’# 25j. Xbättgfeit am fraget päDag. UnioerfitätSfeminar.
praftifd)* päbagogif che Sorbitbung ad eit 3 wf älfigfeiten be#
©Sperimentieren# au#gefefct finb." (grie#, Die ©orbilbung ber
ßehrer für ba# Sefjramt. S. 39.) — Da# mit bem ©äbagogium be# Älofter#
Unferer lieben grau oerbunbene Eanbibatenconüict in SRagbeburg hat bie
Aufgabe, „burch wiffenfchaftliche unb praftifd^e Anleitung tüchtige 9teligion#=
teurer ju bifben, bie jugleich befähigt finb, orbentlidje äKitglieber ber ßehrer*
collegien ju werben unb fich bei bem übrigen wiffenfchaftlichen Unterricht $u
beteiligen." (6bb., S. 64.)
©arbinal ©anglbauer hatte al# 9teligion#profeffor am ©bmnafium
ber ©enebictiner oon Srem#münfter (1854—1875) ©elegenheit, in eigener
jchulmännifcher Dhätigfeit bie wichtige unb Perantwortlicpe Stellung be#
9teligion#unterrichte# junächft am ©tymnafium erlebenb fennen unb fchäfcen
ju lernen. Sfein SBunber baher, baf# er, wie ich erft öor htrjem in ©rfahrung
brachte, in ©rfaffung ber SBicptigfeit unb befonberen Xragweite ber oben
bargelegten ©rwägungen, htrj Por feinemßeben#enbe nahe baran War, in SBien
felbft ein gnftitut in'# ßeben ju rufen, welche# für bie £er a nbilbun g
tüchtiger 9ieligion#lel)r er an ben ÜRittelfcpulen in biefem Sinne
ju arbeiten berufen gewefen wäre. Der Dob pinberte ihn an ber fcplie&lichen 9lu#*
führung feinet ©lane#. 911# engerer 3Ritbruber be# Perewigteu, hochnerbienten unb
eblen Sircpenfürften ergreife ich mit greubeit anläßlich ber oben bargefteflten
fünfunbjwanjigiäprigen ©eftanbfeier be# SBiHmann'fchen Seminar# bie ©elegen*
heit, für bie Durchführung folcper gbeen eine ßanje ju brechen, wobei ich
wohl weifi, baf# ich bie 9lufmerffamfeit ber berufenen unb mafegebenben
gactoren auf biefe fo eminent Wichtige unb peilfame Sache nicht erft neu
pinjulenfen habe. 2Barum füllte e# nicht möglich fein, eine in biefer Dichtung
fich bewegenbe 9lu#geftaltung be# an ber SBiener theologifchen gacultät bereite
beftehenben theologifchen Seminare# in Eingriff ju nehmen, beren Detail# ja
felbftoerftänblich erft Sache ber ©eratpung unb Di#cuffion aller pieju be¬
rufenen gactoren fein mitf#te?
©ine# fteht aber jefet fchonfeft: nach feinem Seminar ift ba# Sebürfni#
groß unb mit fRücfficht auf manche concretc ©rfahruitg in weiten Greifen
fo tief entpfunben, wie nach biefem. 9lfljufchmierig ift bie Aufgabe nicht,
bafiir bürgen SBiümann'# ©rfolge an feinem päbagogifcpen Seminar in ©rag.
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Rundschau.
3m crften Fahre beS neuen 3uh*hunbertS hat hie ^erber’fche BerlagShanb
lung eine ihrer größten Unternehmungen, baSSBefcerunb 5B e 11 e' f ch e Kirchen
leyifon*), in 2. Auflage ju Enbe geführt. ES mögen bei biefer ©elegenheit einige
BeminiScenjen am Blafce fein, bie P. S 2I. M. 2Beifc in feiner Biographie Benj. frerber’S
(Freiburg 1890) über bie frerfteUung ber 1. Auflage biefeS MonumentalroerfeS gibt.
Schon bie Borarbeiten, inSbefonbere jur fterfteUung beS BomenclatorS, hatten „eine
rounberliche ©ef dachte", bie man an bem bejeichneten Orte, S. 18 ff., nachlefen !ann.
9US biefer Bomenclator enblich, nach Fahreu, einigermafcen fertig uorlag, traf man
nun gar noch bie Einrichtung, bie 3^h e ^ e beSfelben bei ben ©eiehrten herumjufenben,
bamit jeber fich nach belieben felber feine 9Irtifel auSfuche. „Es mar eine 3eit ber
©emütblicftfeit, in bie mir uns heute faum noch bweinbenfen fönnen. Bufe, fcheint
eS, h«tte in ritterlicher ßiebenSroürbigfeit auf feiner Bkrbereife biefe ftaunenSroerte
2Inorbnung erfunben. $ie folgen bauon laffen fich benfen. Feber fuchte fleh aus,
roaS ihm gefiel. BWich liefen für einen 9lrtifel brei Bearbeitungen ein. Fa, roer
hat benn bie befteüt ? hie& eS in ber Bebaction. Natürlich hatte fie niemanb befteUt.
Feber that fröhlich, roaS ihm gefiel. Selten ift baS oft gebrauchte BUb oon ber
©elebrtenrepubli! anfchaulicher uerroirUicht roorben, als in ben ftinbeStagen bes
Freiburger SUrchenlejrifonS. $)ann oerlor roieber ein ©elehrter baS BerjeichniS ber
2 Irtifel, bie er übernommen hatte unb fchrieb in ber $öelt herum, man möge ihm
fagen, roaS er fich oorgenommen habe. 2lber ba mar guter Bath theuer. $)ie
Bebaction roufste nichts baoon. ES mirb roohl im Bomenclator bemerft fein. Qa,
aber roo ift benn ber Bomenclator? Bon bem hat fchon lange fein Menfch mehr
gehört. 3uleHt foll er anBrofeffor B. gefchicft morben fein. $er erinnert ftch aUerbingS,
ihn empfangen ju haben, aber er hat ihn oerlegt. . . . ©ro&e Sch'roierigfeiten machten
befonberS auch bie Eenfurperhältniffe. Bm 28. Bpril 1846 fchreibt JQäuSle aus Söien
(ber >ft«tS bienftbereite unb thätige Bermittler für öfterreich*)* »Bur barf eS bie
fterber’fche Buchhanblung nicht oerabfäumen, bei ber öfterreichifchen Begierung eine
Erlaubnis ju erroirfen, oermöge roelcher bie Brofefforen unb ßitteraten Öfterreichs
olifchen äßerfe mitjuarbeiten. 2)enn aüe fchon ge^
nannten unb noch ju nennenben Mitarbeiter haben ihre 3ufage nur oorbehaltlich
höherer f. f. öfterreichifcher Bereinigung geben fönnen. 2)ie Einholung lefcterer fann
nicht bem Einjelnen jugemuthet, fonbern mufS oom §erm Unternehmer oeranftaltet
roerben. Bielleicht ift bieS bereits gefchehen. Sonft roäre eS bei ber oorroaltenben
©eroiffenhaftigfeit einzelner Herren Mitarbeiter ju bebauem, bafS felbe fchon genannt
rourben, ehe auf obige, in ben öfterreichifchen Eenfurgefefcen funbierte höh ere Bereit
ligung ftch berufen roerben fonnte. 4 Berber rear jeboch in ber gli'tcflichen Sage, auf
biefeS Bebenfen am 25. Mai antroorten ju fönnen: .$)ie 3ufage ber Wiener $h e <>'
logen gefchah mit auSbrücflicher Bereinigung ber f. f. ^ofpolijeifteUe, anfonft roir
unS nicht erlaubt haben roürben, beren Barnen öffentlich ju nennen. 4 $ie Berhanb-
•) 3n 2. «uflage begonnen bon 3of. ®arb. #ergeitrötber, fortgefefct Don $rof. $t. Stau Im.
1* ©änbe, M. 132. — ©gl. «Hg. fiittcrahirbl. X. (190D <Sp. 737 ff.
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fHunbfchau.
lungen burüber oermochten mir nicht mehr aufzufinben. ©S erhielt fich aber oon
fpäterem Saturn eine abermalige »ehrfurchtSooüfie ^orftellung um gnäbige $>ifpen^
fation mehrerer ©eiehrten in ben faiferlichen «Staaten oon bem allerhöchften Verbote
ber $heilnahme an auSroärtigen litterarifchen Unternehmungen rücfftchtlich beS fatho*
lifdjen ÄirchenleyifonS*, gerichtet an bie ,hochpreisliche faiferlich-fönigliche $>ofpoli^ei-
fteüe. 4 daraus möge aber niemanb 9lnlafS nehmen, auf Öfterreich einen Stein $u
roerfen. Jobber finbet unter bem 28. Dctober 1846 auch bie roeltliche ©enfur in
SBaben ,fehr läjfig‘, ja er fchreibt am 13. beleihen Monats an &äuSle: ,3)ie Söege
ber ©enfur fmb bei uns langfamer als bei 3h ncn ‘"
©efonberS fchroierig geftaltete ftch ber SSerfehr mit einzelnen Mitarbeitern.
P. $öeife theüt eine 3teif)e bezeichnenber 3üge mit unb fahrt bann fort: „MeS bisher
Erlebte rourbe in Schatten gefteüt burch einen 9Irtifel über eine geroiffe öfterreidhifche
Stabt, ber im lebten 93anbe Aufnahme finben foHte. Über biefe Arbeit fönnte man
auS ben oorhanbenen papieren einen roahren Vornan fchreiben. Sie mar einem
Mann übertragen roorben, roelcher ftch fehr grobe SBerbienfte um baS ftirchenleyifon
erroorben hat. $luch fonft hat er ftch gerbet in oielen Gingen als treuer, roohlrooüenber,
bienfteifriger $reunb erroiefen. Berber oergalt eS ihm auch mit ber ganzen 9In*
hänglichfeit unb $)anfbarfcit, bie ihn auSzeichnete. Späterhin aber oerfiel biefer
©eiehrte, theilS burd) höchft roibrige ©efchicfe, theilS in Jolge oon 9teroenleiben
bie er ftch toohl burch übermäßige Arbeit zugezogen hatte, in eine fehr gereijte
Stimmung unb litt etroaS an 93erfolgungSroahn. fcätte man baS jum oorauS geroufSt,
fo mürbe man ihm ben s 2lrtifel nicht übertragen haben. So aber toar biefer beftimmt,
ein ^eifpiel bafür zu liefern, roaS fNeroofität, ©riinblicfefeit unb, bafS mir eS fagen,
übertriebener Patriotismus jufammen im ftopfe eines ©eiehrten anrichten fönnen.
Schon lange hatte nämlich ber gute frerr mit geheimem ©rolle bebauert, bafS baS
ftirchenlejrifon noch feine ausführliche ©efchichte oon Öfterreich geliefert habe, freilich
toirb fte außer ihm niemanb an biefem Orte gefucht unb oermifSt haben, ©r aber
batte befdjloffen, bafS biefem Übelftanbe unbebingt abgeholfen toerben müffe. 9lun
gieng bae s 2öerf feinem ©nbe entgegen. 2Benn alfo nicht ber s 2Irtifel, um ben eS fich
hier hanbelt, fo gehalten mürbe, bafS bie gefatnmte öfterreichifche ©efchichte barin
Unterfunft fanb, fo mar eS zu fpät. Sein Plan ftanb feft. Natürlich theilte er ihn
niemanb mit, am roenigften Berber ober ber ftfebaction, bamit er nicht oereitelt
roerbe. So gieng 3 a h* «ab lag bahin, unb ber fonft fo genaue, eifrige Mann
brachte feinen ^Irtifel, liefe ficb aber auch fein Lebenszeichen entlocfcn, um fein ©e*
heimniS nicht zu oerrathen. Mit ber 3eit mürbe bie Sache peinlich- ©S mar faft
aller Stoff eingelaufen, baS Lerifon hätte eigentlich fchon fertig fein fönnen. 9Iber
ber auSfteljenbe 9lrtifel moUte nid^t fommen. Man begann alfo bie bisher gebrauchten
Mittel anzumenbcn. ©rfaferung in biefem ftache hatte man ja genug. Jperber fchrieb
täglich einen Prief, auch zwei, einen fdjöner als ben anbern. 9US bie Bitten nichts
fruchteten, folgten Porftellungen an baS ©eroiffen unb ben beroährten ©erechtigfeitS*
finn beS alten 5 rc unbeS. Berber hielt ihm ben Schaben oor, ben er ihm oerurfadje,
bie ©efahr, in melche er bie Arbeiter oerfefee, bie Perfchleppung eines SLerfeS, für
baS er felber fo oiel getfean. Schliefelich fam bie Drohung, er roerbe bemnächft einen
s Iöartbotcn inS IpauS erhalten, bem er täglich für ben Unterhalt 3 fl. 36 fr. zahlen
müffe. Qnzroifchen mar ber ©elchrte mit feinen patriotifchen 9lbfichten ins reine ge*
fommen unb fonnte alfo roenigftenS ein Lebenszeichen oon ftch geben, ©r eröffnete
fein Unternehmen mit ber Mittheilung, bafS er bieSmal roohl einen Pogen für ftch
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fttunbfdjau.
239
in Anfprud) nehmen müffe. Sun, meil er nur Saute gab, mar man fdjon jufrteben
unb gab ihm gerne ben Sogen $u. Über eine Steile tarn eine Senbung mit ber
Setnerfung, er merbe anbertbalb Sogen brauchen, frier fdjidtc er ben Anfang, bic
ftortfeßung merbe folgen, in oierjebn lagen biirfte ber SdjlufS oorliegen. DaS mar
am 18. Quli 1853. Qn ber $hat fam eine Sortfeßung, bann mieber eine, noch eine,
abermals eine, im ganzen etma merjeljn, jebe auf ein Slättdjen gefchrieben, manch-
mal auch nur einige 3eilen. Dann mürbe alles ftill. Da fieng frerber oon neuem
an, feine ftunft $u oerfuchen. Sange umfonft. (*nblidj folgten fieben neue 3*ttel.
Sad) einer langen Saufe abermals ein ©tiicflein. (*S märe halb noth gercorben,
einen eigenen Sibliotfrefar ju ernennen, um bie Orbnung in ben iiberfanbten Seü
trägen aufrecht $u erhalten. 9iun aber folgte nicht bloß feine neue 3ufenbung mehr,
fonbern umgefehrt baS Serlangen, bem Serfaffer baS bereits Abgegebene juriicfju
ftellen, bamit er eS genauer bearbeiten fönne. AUeS Sitten, drängen, Drohen ermieS
ftch rcirtungSloS. ©S fei nicht abjufehen, raie (Gefahr im Serjug fein fönne, ba baS
Skrf bem (htbe fo nahe fei. habe eine Serjögerung burchauS nicht mehr fo
oiel auf fich, roie am Anfang. ,Die täglichen 3 fl. 36 fr. Skrtgelb 4 , fügt er bei,
finb ein ©djrecffdjufS, melcher bei mir ohne ©efahr oerfnallt ift.‘ frerber mar rathloS.
Am 2. ÜJlai 1854 erhielt er ju feinem ©ntfeßen bie Stittljeilung, ber Artifel merbe
brei große Abtheilungen erhalten, er ftefre bereits bei Abtheilung I. Summer a
9hm fuhr frerber baS fdjmerfte ©efdjiiß uor, baS er befaß. Darauf fam bie Antmort:
.frerr, menn Sie mich unb fich auf ben ftopf ftellen, ich fann nicht mehr unb nicht
fchneller arbeiten. ÜJtan mufS bie ganje öfterreichifche ©efdjichte in biefent Artifel
unterbringen, unb bie llberfchrift gleicht gemiffermaßen einen @raSmüdcnneft, in
baS ber ftudud feine ©ier gelegt hat.‘ DaS mar leiber nur ju treffenb. frerber, ber
begreiflichermeife einer fleinen Aufregung nahe mar, fanb eS bod) über ben SpafS,
bafS ber (belehrte nun fdjon mehrere Qah^ an biefent Artifel arbeite, ohne ihn ju
förbern. Diefe Setnerfung öffnete bem leßteren bie Augen, unb er fafr ein, bafS ber
Serleger nicht mehr bloß ,feine lanbeSbefannten Drangfdjüffe üerfdjmenbe*, fonbern
mirflich ®mft mache. Daraufhtn erflärte er am 3. 3uni 1854 alle Schiebungen mit
ihm abgebrochen. AllerbingS mar er halb mieber befdjmidjtigt. Dafür fchidte er nun
aber folcbe Staffen oon Stanufcript, bafS ein eigener Sanb* für feine öfterreichifche
©efdjidjte nothmenbig gemefen märe. Seim 6d)lufS einer Abtheilung maren eS fdjon
308 Seiten. Die s Jicbactioit hatte feinen anbern Ausmeg mehr, als baS (Singefanbte
furj ju überarbeiten. Darüber mar ber Serfaffer frocfr entriiftet, benn baS machte
feinen Slan oollftänbig ju Schanben. DaS fei, erflärte er, eine uormärdidje (5enfur,
maS bie Ofebaction an ihm oerübe. 4 Sdjließlidj blieb nichts übrig, als ben Artifel,
ber ohnehin auch fo uodj über hunbert Drudfeiten utnfafSte, am 24. Quli 1854
ab 3 ubred)cn unb bie Jortfcßung auf ben bereits in AuSfidjt genommenen (£rgän~
hungSbanb ju uerfdjiebcn. (S'S gieng aber bort um nidjtS beffer. 2öie inbeS alles auf ber
2öelt ein (*nbe nimmt, fo audj biefe ©cfdjidjte. Am 18. Januar 1856 iiberfanbtc
ber allju grünbliche Serfaffer huleßt bod) nod) ben AbfdjlufS feiner Seiträge mit bem
AuSbrud feiner oollften Sefricbigung barüber, .uielleidjt ben längften Artifel im
ftirdjenlerifon geliefert $u haben.**) frerber aber befdjlofS baS fo unangenehme (Erlebnis
*) Gemeint ift ber Artifel Söien (bou .päuSle), bet im lebten ®anbe bie Seiten 983—1078 unb
überbie# noefj im Subblcmentbaitb bie Seiten 1257—1307, aufammen alfo 1»>7 S. umfafst. 3n ber ^weiten,
bebeutenb erweiterten Auflage nimmt ber Artifel „$Bien" (uon A. Starker unb Pt. Scbranf) 72 Spalten
^ 3« Seiten ein
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240
Nunbfchau.
mit einem Brief oom lebten $ecemb*er 1857, in bem er ftch ein 2)enfmal ber ©hre
fefete, wie oielleicht burch wenige anbere Xhaten. hierüber nichts weiter als bie
Berficherung, bafS ber ganze Vorgang an meiner ©eftnnung gegen ©ie nichts geänbert
bat, unb bafS icb jefct, wie zur 3eit, ba unfere gefchäftlichen Beziehungen ftch in befter
Orbnung unb ju gegenf eitiger 3ufriebenheit entwicfelt, 3föuen mit aufrichtiger 3rreunb*
fcbaft unb SBertfchäfcung angehöre, unb in meinem freien in Beziehung auf ©ie
fein anbereS ©efiibl begc f als baS ber Siebe. Stoffen ©ie uns barurn ben Vorfall
ganz oergeffen, unb werben ©ie mir wieber fo gut, wie ©ie eS früher gewefen unb
wie ich eS 3b nen aüezeit war unb mehr unb mehr geworben bin in bem Ntafje, als
mannigfache Unannebmücbfeiten unb SBiberwärtigfeiten an ©ie herangetreten finb.‘"
*
* *
3m VI. Jahrgang 1897 hat baS „Öfterr. Sitteraturblatt" in einer Neihe oon
gebiegenen fachmännifchen ©inzelreferaten — „Rheologie", „Naturwiffenfchaften",
„©efchichte“ — bie beiben grofeen'StonoerfationSlepifa oon BrocffjauS unb Nteper
einer eingehenben Prüfung unterzogen, beren (Ergebnis barauf hiuauSlief, bafS oom
©tanbpunfte beS gläubigen Triften feines biefer beiben Söerfe „unbebingt unb un*
eingefchränft" empfohlen werben fönne. Namentlich ber ftatholif mufS ftch oft burch
baS, was über £muptlehren feines ©laubenS unb feine religiöfen Übungen oom
liberabproteftantifchen ©tanbpunfte aus oorgebracht wirb, auf baS empftnblichfte
oerlefct fühlen. ©S ift baher ein wahres, nicht hoch genug anjufchlagenbeS SBerbienft
ber ^erber’fchen BerlagShanblung, bafS fie feit fahren beftrebt ift, bem gläubig
chriftüchen, namentlich fatholifchen Sefer, ober richtiger Nachfrager, ein föanbbuch
ju liefern, aus welchem er mit ooller Beruhigung bie oon ihm gewünfehten 2luS
fünfte fchöpfen fann. $)aS Jperber’fche Äonoerf ationSleyifon hat nun in
britter Auflage ju erfcheinen begonnen, bie an Umfang unb s 2luSftattung einen ganz
entfehiebenen Jortfchritt gegen ihre befcheibenen Borläufer befunbet unb in jeber
£nnfid)t auf baS wännfte anempfohlen werben fann. Nuch biefe britte Auflage h a *
bei weitem nicht ben Umfang feiner beiben älteren, fo zu fagen erbgefeffenen NUt*
Werber, eS halt bie Ntttte zwifd)en „brevis esse laboro, obscurus fio“ beS
^ürfchner'fcljen Xafchen-SepifonS mit feinen überaus fnappen 3lrtifelchen, unb ben
mitunter übermäßig breiten Bbhanblungen BrodhauS’ unb ÜJteper’S. Um bieS burch
ein Beifpiel anfchaulich z u wachen, umfafSt ber 9lrtifel „9Ilpen" bei $ürf<hner
50 3rilen, bei SNeper 18 ©palten, bei BrocfhauS 17 ©palten, bei Berber, bie mafjoolle
SNitte haltenb, 13 ©palten. $aS fcerber’fche 2öerf bringt in präcifer 3orm alles, was
Zur Überftcht unb zum erften BerftänbniS beS betreffenben ©egenfianbeS nöthig ift r
unb bieS umfomehr, als bie beigegebenen 9lbbilbungen unb graphifchen S)arftellungen
in zioechnäfeiger BuSwahl unb Bnorbnung bem £eyte banfenSwert zu £>ilfe fommen.
2öer nach einem tieferen ©ingehen oerlangt, mufS hoch jebenfallS zu ©pecialwerfen
greifen, für welche bie jebem wichtigen Brtifel beigegebene Sitteratur-Überftcht als
Führer bient. 5reih- o. geifert.
Nebacteur: 5)r. JJranz ©chnürer.
3o|. ORtotlj’fcpc ©eilöft*budjljaiiblung. — ©udjbriKferei Ämbt Äien
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Uoraussetzungslose
Forschung, freie Wissenschaft und Katbolicismus.
Bon Paul Ätaria Baumgarf nt.
ie neuefte ©efchichte beS allen SchlagmortcS „SoranSfehungSlofigfeit"
barf trf) als befannt annehmen. $ie Sitteratur barüber ner^ettelt fid)
bis in bie fleinften XageSblätter hinein, fie finbet fid) in ßeitfe^riften nnb
beginnt ihren ßinjug in bie Siicher im eigentlichen Sinne 311 galten.
Soßen mir Satholifen eS fchmer^oofl entpfinben, bafS biefe: Srteg
entbrannt ift, ober foflen mir uns bariiber freuen? SReineS 6 rad)tenS hoben
mir aßen ®runb, biefe umfangreiche AuSfprache 51 t begrüben. ©S läfst [ich
burdjauS nicht leugnen, bafS in einer für aßen Autoritätsglauben Roherer
unb hbchfter Art fritifchen 3cit eine berartige s 4?olemif üon erheblichftent
9ht£en ift unb jmar intra muros et extra.
Intra muros meil ftch aunächft — mit ber fieberen AnSficht auf fort=
jebreitenben Ausgleich ber ©egenfäfce — eine Scheibung unter ben Satholifen
felbft ooßjieht. ®ie görberer beS 2Biffenfd)aftSbetriebeS 511 immer umfang¬
reicherer ©rforfchung ber SSahrheit auf allen SSiffenSgebieten trennen fid)
oorläufig Bott jenen, bie in fjeroifcher Selbftgenügfamteit gan$ ober theilmeife
^erjicht leiften auf oerftanbeSmäfeige 2>urchbringung unb ©inorbnung moberiter
©rrungenfehaften in bie Summe aßeS beffen, maS $ur Ausbreitung beS
SReicbeS ©otteS auf ©rben nnb ber SBirfung beS £>eileS ber SJtaffen bienlid)
ift. ßRit beut ©ebete aßein, fo notbmenbig unb beilfant eS ift, fönnen ficb
nur fromme 2h° reu olS auSfchlieftlidjem Antiboton begnügen. ®ie feit fahren
erörterte grage ber SRinbermertigfeit ber Satholifen — nicht fo fehr ber
qualitatioen mie ber quantitatiuen — hot ju gemiffen greifbaren ©rgebniffeit
geführt, bie fogar fdjon, fomeit baS Xeutfdje SReich in grage fommt, ihren
meifterhaften ftatiftifchen AuSbrucf gefunbeit hoben.
©S fann nicht SEBuitber nehmen, bafS ber Seginn beS 20 . gal)rhunbertS
mit einer gemiffen Scheibung ber ©eifter unter ben Satholifen mit SRütfficbt
auf baS miffenfchaftliche ©ebiet unb bie Auffaffung beS fultureßeit gort*
fchritteS jufammeufäßt, mie benn ja auch felbftoerftänblich bie ©laubcnS*
l<>
$ic Äultiir. III. 3afjrg 4. $eft. (i‘J 02 .)
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242
©aul ÜJtoria ©aumgarten.
unb ©ittenleßren in ißrer für alle Sfatßolifen gleichmäßig binbenben ®emalt
bei biefem Kampfe außer ©efraeßt bleiben. 2 lber bie ©renjgebiete unb bie
gragen niebercr Drbnung finb baS ©cßlacßtfelb, m auf ber einen ©eite ber
meßt autorifierte SBarnungSruf: Officioram ac munerum, auf ber anberen
©eite ber Stuf: Veritas nunquam nocet ertönt. ®ie einen broßen in ißrer
©igenfeßaft al$ freimütige inquisitores haereticae pravitatis gleicß mit bent
feßmeren ©efcßiifc ber ©enfurierung, moju fie bie Slutorifierung nur Don
ißrem blinben ©ifer, ben fie mit bem ®ifer für ba3 Steicß ©otte§ oertoecßfeln,
ßaben; bie Slnberen neßmen gorjeßungäfreißeit im oernünftigen ©inne in
Slnfprucß, gerabe um bie mirfließ feftfteßenben unb bemiefeneti
©rgebniffe menfeßtießer ©eifteätßätigfeit als mit beit ®ircßenteßren — nießt mit
©cßutmeinungen — inburcßaitö notßmenbigem ©in! langfteßenb 511 ermeifen.
ffiiferer ßat e3 ftetö gegeben unb toirb e3 ftetö geben. 2 tber e3 ift
eine atte ©rfaßrung unb fie roirb jeben lag neu beftätigt, bafä e3 ißnen gar
ju oft an ber großen ©aße be3 allgemeinen Überblicfe$ feßlt. ©ie feßen nur
2lu3fcßnitte, ber ©lief für ba£ ®an§e unb auf ba3 ©an^e ift nießt oorßanben,
unb fo ßolen fie fieß eine -Jtieberlage naeß ber aitbern, oßite fieß 31 t
beffern, ma£ man a(3 feiten großen äRangel an ißnen beobachten faitn.
gaft au£naßm3lo£ mufs man brittenS bie befeßämenbe ©rfaßrung maeßen,
bafs biefe ©iferer oßne jebe ©iitficßt für bie ©ren^e ißreä SBiffetrö unb
ÄönnenS finb, unb fie geßen in golge beffen mit bem leicßtfinnigften ®tutße
ber SQSett an toiffenfcßaftlicße „Vernichtungen" ßeran, benen fie in feiner
SBeife gemaeßfen finb. ©ei biefer Sage ber ®ittge mag e3 ja ßäufig ober
oielmeßr meiftenS mit feßr erßebtießen Unanneßmlicßfeiten oerbunben fein, für
faeß* unb jiclgemäßcn gortjeßritt feine Stimme 51 t erßeben, ba3 barf jeboeß
Sliemanben, beffen Stellung unb Sfenntniffe e£ erlauben, abßalten, trofc afler
Snfinuationen unb Serbäcßtigungen biefe fittlicße ©fließt jum 9?u|en ber
fiircße $u erfüllen.
©nblicß leßrt bie ©efeßießte ber äRenfcßßeit, bafS ba$ aufrichtige, gut
georbnete ©treben nach oernunftgemäßem gortfeßritt immer noeß ben Sieg
über ben tuiffenfcßaftlicßen Öuieti3mu3 badongetragen ßat unb baf3 bie
©egenfäfcc innerßalb be£ S'atßotici^muö früßer ober fpäter ftetö einen ßar~
monifeßen SluSgfeicß gefunben ßaben.
Extra muros ftiftet biefer ®eifte§fampf stuften, ioeil eben eine umfang*
reieße 2lu£fpracße Don ßüben unb brübett bei einer, roenn aueß Meinen 3^ßt
unferer ©egner bie ffirfenntniä zeitigen ßilft, bafä e§ mit ben ©orttmrfen
gegen ben &atßolici£mu3 bureßauä nießt fo beftedt ift, ioie bie 9lrt ber
angemenbeten Slngriffstoaffen unb bie miffenfcßaftlicßc Sebeutuitg ber ©egner
auf ben erften ©lief oermutßen ließ. SKeßr als ©iner ift feßon befeßrt toorben
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SJorausfefcungSlofe gorfcpung, freie SBiffenfcpaft unb ftatpolici$mu§. 243
ober wenigstens auf bem SBege uacp DamaSfuS. Unb niept gerabc bie minber^
wertigften ©(erneute gehören ju biefen, oor atlem aber fofcpe Männer, bie in
oerantwortungSdoder unb (ei tenber Stellung fiep auf feine „Schule"
einfcpwören (affen fönnen. Die 51 t tragenbe Verantwortung für SHafenapmen
allgemeiner 9(rt fiiptt baS Vlut, räumt bem Verftanbe mepr 9teepte ein unb
derfcpafft einen offeneren Vlitf für bie begrünbeten 9lnfpriicpe don Minoritäten,
Soweit ber praftifepe Dpei( beS wiffenfcpaftlicpen Betriebes in grage fommt.
9tacpbem Montmfen fein erfteS üJtanifeft ertaffen patte unb g(eid)
öurep o. £ertling'3 ©infpruep jur ßurücfnapme a((e^ SBefentlicpen in
biefem Aufrufe gelungen worben war, melbete fiep Ma$ 2 en$ in Serlin
mit feinem Vorträge „SRömifcper ©taube unb freie SBiffenfcpaft". 9 ((S britter
im Sunbe erfepien Maj Sepmann in ©öttingen mit bem 9 (uffa(jc in ben
s J 8 reupifcpen 3 aprbücpern über bie fireptiepe ©eitfur im jman^igfteit 3 apr=
punbert. ©3 ift fein $ufad, bafS ade brei Vrofefforen, bie eingeftanbener-
ntapeit bie ftatpolifen, ipre Sircpc unb ipre Sepre treffen wodten, 51 t jenen
gepöreu, bie oon bem eigenttiepen 'JBefeit ber fatpolifepen S'ircpe, iprent
2 eprgebäube unb ipren ffiinricptungen bie benfbar geringften Scnntniffe paben.
SÖoper fie jeboep baS iprem ©eifte dorfepwebenbe 3 ^rrbi(b ber Sirepc unb
ipreS depositum fidei genommen paben, oerfepweigen fie mit ebenfo überein=
ftimntenber £artnäefigfeit. Dem möge fein wie immer, toei( Montmfen
gefproepen patte, weil SRüncpen ben Anfang mit einer äuftimntungSabreffe
gentaept patte, pielten fiep fepr diele ©cleprte ä raison des dehors für oer=
pflieptet, iurare in verba magistri, obfepon eS feftftcpt, bafS niept Wenige ipre
Unterfcprift nur mit feptoerem inneren SBibcrftanbe, bem Spange geporepenb,
niept bem eigenen Driebe, gegeben paben.
Der Angriff Momms'cn’S bebeutete niepts anbereS als eine entpfinblicpc
Sfränfung ber wiffenfcpaftlicpen ©pre oder beseitigen £>od)fcpulleprcr, bie ipre
wiffenfcpaftlicpe ©tedung mit iprem treuen ©(auben an bie geoffenbartcit
VJaprpeiten beS fi'atpoliciSmitS Oereinigen. 2Bie icp fepott peroorpob, toar
Sreiperr don $ert(ing ber erfte, ber Montmfen antwortete; ber zweite
War s 4?x*ofeffor ©rauert, ber in einem (äugen 9luffape in ber berliner
©ermania gegen ben beleibigenbcn „codegialen" Angriff Mommjen’S
unb ber Übrigen wirfuitgSOodc Verwapruitg einlegte. Der britte ift.'pofratp
Vrofeffor Dr. 3. 9R. Remter in 2 öicit, ber dor einigen Dagen eine eigene
©eprift perauSgegeben pat, bie ben Ditel füprt: „VorauSfepungSlofc
gorfepung, freie SBiffenfcpaft unb SatpoliciSmuS" ( 9 Bien,
Vraumitder, 1902. 32 ©. in 2e;r.*8 0 ).
Das .'peft jerfädt in dier 9(bfcpnittc, bereu erftcr ben Segriff ber
oorauSfeftungSlofen gorfcpuitg unterjuept; bereu ^weiter eine ©rörteruitg über
ir>*
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244
^aul OJtoria Saumgarten.
freie SBiffenfchaft bringt; beven britter Don ber £errfchaft ber 2^eoIogen=
fluten f)anbett unb beren üierter einen Seitrag jnr grage ber S'athotifchen
Uniüerfität bringt. ftehe nicht an, biefer geiftüoden ®arftedung einer
brennenben, principied mistigen XageSfrage eine fjofjc Sebeutung jujubiüigen.
'Ser üornehme Xon ber Schrift ftidjt mohlthuenb ab non bem nicht fetten
müften ftampfgefchrei ber ©egner in ber JageSpreffe, bie unerbittliche ßogif
ber Schlußfolgerungen aus unangreifbaren Sorberfäfcen läßt ben mirfltch
gefaulten $)enfer ertennen, unb ber greimnth in ber Setjanbtung ber
Probleme ertaubt e$, auf bie Sicherheit feiner Stellung einen SRiicffchluß
ZU machen. Remter mar ber berufene 9Kann, in biefen gragen z u fprechen,
unb man muß ihm aufjerorbentlich banfbar fein, baß er fich in biefer
eingehenben unb burchfchlagenben ffieife geäußert hat.
3ch mit! uerfuchen, ben Snhatt ber Schrift furj jnfammenjufaffen.
3>er Serfaffer fieht bei feiner Unterfnchung üon einer 9lpologetif ber fatpolifchen
Dogmen an fich ab; er Meibt bei bem tpatfächlichen Seftanbe, baß e*
gorfcher gibt, mclche bie ®ogmen ate mahr anerfennen, unb beautmortet bie
grage: meines ift bie Stellung biefer gorfcher in ber SJiffenfchaft?
Slbfolute ®orau$fe$ung£lofigfeit gibt e£ nicht, benn ohne jebe
Sorau^fefcung gibt c$ feine gorfchung, unb märe e3 auch nur bie ein-
fache ^perübernahme ber gorfchungSrefultate Slnberer, bie als richtig an ge¬
nommen merben, um barauf meiter zu bauen. Sebingte SorauSfefcungS*
lofigfeit fann üon SWommfen unb ©enoffen auch nicht gemeint fein, fomeit
ber ©etehrte, um gorfchungen zu erhärten, ^ppothefen üon größerer ober
geringerer SJahrfcheintichfcit aufbaut, ©in einftimmigeS „9tein!" aller gorfcher,
üorait ber Sftaturforfcher, bitbet bie Slntmort auf biefe grage. 2)ie SorauS*
fefcung einer ÜBettanfchauung bagegen bürfte eher ins 9tuge gefaxt
merben in bem üortiegenben Streite. @S ift unleugbare Xhatjache, baß ade
©etehrten ohne Ausnahme irgenb eine s 2(rt üon SBettanfchauung haben
mtiffen, menn man üon ber pathologischen ©rfcheinung ber abfotuten Sfeptifer
aöfieht. $iefe3 Schlechthin muß atfo auch auSgefchloffen merben, unb ber ®reiS
üerengert fich — übrigens geftehen baS bie ©egner auch rin — auf biejenigen,
bie eine pofitiüe, religiöfe unb, noch näher bezeichnet, eine fatljolifche
ffiettanfehanung haben. ®iefe geftftedungen macht ber Serfaffer nicht mid=
fürlich, fonbern er ermeift fie aus burchauS zmingenben ©rünben als mahr.
SBarnm fod nun befonberS bie fathotifche SBeltanfchauung jene Sor-
auSfefcung fein, metche ber gorfcher nicht haben barf? SEBeit, mie bie ©egner
fagen, biefe Überzeugungen mit unget)inberter freier gorfchung nicht in ©in*
ftang zu bringen finfr. ®er Serfaffer ermeift fchtagenb, baß bem unter feinen
ilmftänben fo fein fann, meit ber fatljotifche gorfcher nie gehinbert ift, eine
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Vorausfefcungälofe gorfchung, freie SBiffenfchaft unb $atholici3mu3. 245
f i <fy e r unb g e tu i f 3 erfannte 2Bat)rf)eit auägufprecheit, fonbern im ©egen-
tfjeit fogar burch feine lattjolifc^e SBeltanfchauung verpflichtet toirb, bie afä
gemifä feftgeftellte SBahrljeit gu oerfitnben unb gu vertreten. Taf3 er fo mit
beu Togmen in Streit gerätsen fönnte, ift eine ©ehauptung, bie baburch
nicht betoeiäfräftiger toirb, baf$ man fie fritif* unb bemei3lo$ bis gum
ÜberbrufS mieberholt. @3 gibt einfach einen folgen gad nicht. Meinungen
unb l^pothefen, fetbft menn fie noch fo gläubig üon einer noch fo groffcn
dKenge für mahr gehalten toerben, bagegen bem fdjarf unterfuchenben ©erftanbe
nicht al£ oodfommen fixere unb gmeifedoä ertoiefene unb jebergeit mieber
ermetebare gorfchungärefultate unb Säfce ber SBiffenfchaft fich barfteden, h a ^ n
in biefem 3ufammenhange {einerlei ©siftengberechtigung. Die nächfte ©eiehrten*
generation rnirft folche Slartenhäufer — toa£ mir ade Tage erleben —
fchoming£(o£ über ben Raufen unb oerbrennt bie ©öfcen falscher gorfchung.
©benfo haubelt e3 fich babei nur um ba3 miffenfcfjaftlich ©rforfchbare über*
haupt, ma£ bariiber hinau^liegt, toirb gtoar in uneitblich oielen Thcfen oor*
getragen, hoch nicht gtoei Spfteme fommen gu bcmfelben ©rgebttiffe; adeS
ba3 fcheibet alfo au§, unb auf biefem ©ebiete liegt eben faft ber gange
Togmeninhalt, ber un$ burch bie Offenbarung vermittelt toirb, toeil ber
forfcheitbe ©erftanb biefe Tinge nicht au$ fich i u erfennen oermag. ©rfennt
man nicht barin bie ©jaetheit be3 gorfcherä, bafS er nie einen ©etoeiä
gelten läi$t, ber nicht burdhmegS gtoittgenb ift? Ta£ finb adgemein aner*
tonnte ©runbfäfce auf aden ©ebieten ber gorfchung. Sodten biefelbeit bei
Jg>ppothefen unb ©gftemen, toelche man gegen bie tatholifchen Togmen in'S
Selb führt, be^halb ihre ©iltigfeit oertieren, toeil fie, neben ihrer toiffett*
fchaftlichen Seite, gum Stampfe gegen ben £atf)olici£mu3 bienen?
Tie Sertoech^lung oon Sehr* unb Schulmeinungen mit tatholifchen
Togmen bilbet ein erhebliches SWifSoerftänbniS iti biefer Srage. Ter
ganatiSmuS ber tatholifchen Verfechter folcher Schulmeinungen, bie fie
perfönlich gtoar für bie Sehre ber Siirche holten, bie eS objectio aber
nicht finb, unb bie Seidjtigteit, mit ber entgegenfteheube Slnfichten Oerfefcert
toerben, nähren biefem 9Kif£üerftäubniS unter ben ©egnern in iiberrafchenber
SBeife. 3nr Slnftläruug ber Sache toerben oon Remter bie burch*
fchlagenbften ©rünbe angeführt, bie mir h^r übergehen tönnen. 9lm Schluffe
biefem erften 3lbfchnitte£ toirb feftgeftedt, bafS ber tatholifche gorfetjer ben 3toect
jeber Sorfchung, bie ginbung ber SBahrljeit, mit oodfter greiheit oerfolgen
tann, ohne bafS ihm bie tatholifchen Togmen baS geringfte $inberniS bereiten.
greie SBiffenfchaft, mie im gtoeiten SIbfchnitte auSgeführt mirb,
gemährt feine greiheit gegenüber ber SBahrheit als folcher; biefelbe rnufS
öon einem mirflichen gorfcher iiberad ba anerfannt toerben, mo er fie finbet.
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246
©aul OJlaria ©auntgarten.
9lucb barf biefelbe nicht mabr ober falfcb nennen, maS i^m beliebt, fonbern
nur baS, maS als folcbeS ermiefen ift. 3^ifel^afted einfach mabr ober einfach
falfcb ju nennen, ift auch nicht ertaubt, oielmebr müffen folcbe gorfcbungS*
ergebniffe je naebbem als mabrfcbeinlicb ober unmabrfebeintieb bezeichnet
merben. Die SBiffenfcbaft ift atfo in allen biefen ©ejiebungen nicht frei,
grei bagegen ift fie, menn uns biefetbe als Summe beS aus ber gorfebung
ficber ©rfannten mit^pinjugabe aller ^^pot^efen, SKeinungen unb Spfteme
mit ©infcblufS aller gorfcbungSmittel unb gorfcbungSmetboben gegenübertritt.
Diefer SBiffenfcbaft, mie fie in ben gorfdjem leibt unb lebt, mirb bie
greibeit oinbiciert unb jugefproeben. DaS SBort oon ber freien SBiffen*
febaft mitl bemnacb blofc befagen, unb barin mufS jeber logifcb gefcbulle
®elebrte jufttmmen, bafS ein jeber bie greibeit b°^ jene Meinungen,
^ppotbefen, Dbeorien nnb Spfteme aufjuftellen unb auSzufprecbett, melcbe er
mitl, unb jene SWetboben ber gorfebung nach Setieben anjumenben, melcbe ibnt
zmeefbientieb erfebeinen. SBirb er bei bem einen ober bem aitberen oon
Seffermiffenben corrigiert, fo mnfS er ficb baS gefallen laffen, gleidjgittig
mer eS ift, ber ibm biefe Sorrectnr ju Db e ü derben läfst. stimmt er fie
an, fo banbclt er logifcb, t^ut er eS nicht, fo oerläfSt er ben SBeg ber
SBiffenfcbaftlicbfeit. Der meitere SluSbau biefeS SafceS führt jur geftftellung,
bafS bie beffermiffenbe Slutorität in gragen, bereu ©rforjebung bie menfeblicben
©erftanbeSfräftc überfteigt, bie außerhalb beS cjacten gorfcbungSbetriebeS
liegen, eine anberc fein mufS als bie eines miffenfcbaftlicben ©oHegen, unb
für uns Satholilen ift baS im gegebenen gälte bie Stirere. SBir beugen uns
beren überlegener ©infiebt, mo anbere ficb in bie unbemeiSbarften unb unbe*
miefenften Dbeorien im Flamen ber „SBiffenfcbaft" verlieren, ©eugen mir
unS nicht, fo ftellen mir ttnS außerhalb ber SBiffenfcbaft unb außerhalb ber
Sircbe, maS jebem unbenommen ift, mie zahlreiche ©eifpiele zeigen. DafS bei
ber Untermerfung fein Schaben für bie SBiffenfcbaft entftef)t, ergibt ficb
ber Xhatfacbe, bafS eS ficb in folgen gäHen ftetS nur um 9Jteinungen
hanbelt, melcbe auf jenem ©renzgebiete liegen, mo bie oolle ©rtenntniS, baS
‘Durchbringen znr SBahrheit, bem SRenfcben mit £>ilfe ber gorfebung allein
im großen ©anzen oerfagt ift unb bleiben mirb.
Der „gatl ©atilei", ber nach folgen Ausführungen nnmeigerticb aus
ber 9tüftfammer ^crt>orgeholt mirb, gibt bem ©erfaffer ©eranlaffung, znnäcbft
ZU betonen, bafS bie ©erurtbeitung ©atilei'S auf ©ruttb oon theologifcben
Meinungen unb Anficbten erfolgte, um bann ein SBort über bie f>errfcbaft
oon Dheologenfcbulen im Allgemeinen zn fagen.
©flicht ber Dheotogie als SBiffenfcbaft ift eS, bie gefammte meitfcblicbe
©eifteSthätigfeit, unter oberfter, unantaftbarer .£>errfcbaft ber geoffenbarten
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©orauSfefcungSlofe gorfchung, freie Söiifenfchaft unb SiatboliciSmuS. 247
SBahrheiten, in ben Sienft ber SBiffenfchaft oon ©ott unb über ©ott ju
fteflen, ein theologifcheS Sehrgebäube $u fchaffen, baS bie höchfte ©oflenbung
ntenfchlichen SenfenS barfteOen fofl, bie überhaupt erreichbar ift. 3>n biefeS
theologifche ©pftem aße gragen beS profanen ntenfchlichen SBiffenS einju*
orbnen, in ihm ade neuen ©rgebniffe logifdj $u Jatalogifieren, mit Umficht
unb ©mfigfeit an ber ©erooßfommnung beS ©aueS thätig ju fein unb
niemafö ju raften, ift oberfte Pflicht biefer SBiffenfchaft. Siefe ift, meil
ntenfchliche Xbjätigfeit, ftetS unb ju aßen 3*iten oerooßtomntnungSfähig, unb
eS mufS baS Streben fämmtlicher ©otteSgelehrten fein, oon überall her
©aufteine jum AuS= unb SBeiterbaue ^erbei^ufc^affen. Sie theologifche
SBiffenfchaft theilt mit aßen anberen SBiffenfchaften bie Slbhängigfeit oon
ben 3^itöerhältniffen ttnb ben in ihnen lebeitben SJtenfchen. ®S gibt bort
ein Auf unb Wb, eS gibt ©lan^punfte in ber ©efchichte biefer SBiffenfchaft,
aber eS famt unmöglich ein SluSruhen, einen freimifligen Stiflftanb, einen
gemaßten unb beabfichtigten ©erdicht auf meitere, l)ö^er ftrebenbc Shätigfeit
geben, unter bem Sorgeben, ber £>öhepunft menschlichen SrfennenS fei erreicht
morben 51 t irgenb einer 3 eit.
Ser ‘©erfaffer minbet bem heiligen ShomaS oon Slquin einen Sorbeer*
franj unb cifennt bem phänomenalen ©enie beS ©ngelS ber Schule in
begeisterten Porten baS Serbienft ju, in bisher ooflfommenfter SBeife bie
SBiffenfchaft ber Sheologie aufgebaut ju h a ^en, bie Seiftung eines mähren
©eitieS, bie für aße 3eiten aufrichtige ©emunberung oerbient.
hieran fnüpft nun ©ernter einige Ausführungen über bie nach'
thomiftifche 3eit an. ShomaS hat aße anberen Sheologenfchulen aümählich
5 ur ©ebeutungSlofigleit herabgebriirft; ShomaS galt auch in nebenfächüchen
Singen als textus receptus, Oon bem man faunt ab^umeichen magte. Seine
Anhänger lebten fich im Saufe ber 3eit oielfach in einen gerabe^u unerlaubten
ShomaScultuS hinein unb faheu ein Abmeicheu oon feiner Sehre faft mic
einen ©erftoft gegen baS Sogma au. feilte mirb aßeS ad mentem divi
Thomae tractiert, fo bafS man fich öor ber $ochflut ber fo bezeichnten SBerfe
faum 311 retten meift. Sie theologifche SBiffenfchaft geht auf in ©ommentaren,
bie ©pilofophie macht es nicht oiel beffer. Sie Sominitaner giengen fomeit,
bafS fie gelobten — unb fie foflen eS heute noch thun —, nie etmaS ju
lehren, maS gegen bie Sehre beS h^il. ShomaS ift. Reifet baS nicht einem
SJtenfcfjen faft göttliche Autorität juerfennen? Sie golge baoon mar Srftarrnng
Statt gortfehritt, £>aarfpalterei ftatt gorfchuug.
gür bie oorlicgenbe grage finb biefe Ausführungen oon ©ebentung,
meil petrefafte Schulmeinungen burchgängig zur Uubulbfamfeit führen, unb
Zrnar in a 11 e n SBiffenfchaften, nicht blofe in ber Xheologie. Sic theologifcheit
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iktil ÜJlavirt ©aumgarten.
Schulen nehmen für fid^ bic 9lutorität bcr letyrenben SHrcbe ju Unrecht in
Slnfprucb, unb fo merben benn abmeicbenbe äReinungen mit großer ßeidjtigfeit
als s 2 lbmeicbung oon bcr firdjlidjen Sehre bezeichnet unb bamit unberedjen*
barer Schaben intra muros et extra angericfytet. ©o toirb bic großartige
Seiftung beS ^eiligen Sfjomaä, bcr baS SBiffen feiner 3*it fo innig in fein
tbeologifcbeS Spftcm ju oermeben muffte, in ben £änbett turjfic^tiger Epigonen
Zum Unbeile, nicht nur für biejenigen, bie gegen bic ©cbulmeinung fetten,
foubern für baS Slnfeben beS fiatboliciSmuS in ber SBiffenfcbaft überhaupt.
3m Einzelnen belegt ber ©erfaffer bie Unbaltbarfeit ber Slnficbt, bafS
alles 9?eue als minbeftenS bebenflicb, meil mit bem ®ogma nicht gut Pcreinbar,
abzulebnen fei, bureb eine ©eifpiele auS ben SRaturmiffenfcbaften.
Xaber fommt eS, bafS gernerftebenbe eS bem fiatboliciSmuS als folgern
Zur Saft legen, toeun gefieberte Ergebniffe oon ber Schule abgelebnt merben,
auS mitunter toenig plaufibelit ©rünben. Unb in biefen 3 itfammenbang
gehört, mic ber SSerfaffer auSfübrt, ber gaH ©alilei'S. 9Jtan habe mabrlicb
leine ©eranlaffnng, gleich ueroöS z u merben unb alles s Jteue mit fd^eelen
©liefen anjufeben, als ob bie blaffe 9lngft, eS fönne bem ®ogma ein ©ebaben
jugefügt merben, bie ©runbftimmung eines fatbolifeben Xb e °l°Ö cn fei- Wur
bie moblbegrünbete Slngft, bafS ben oeralteten unb erftarrten ©cbnlmeinungen
etroaS paffieren merbe, bemirtte unb bemirft bie neroöfe Empfinblicbfeit unb
ben SBiberftanb ber Herren ber ©cbule. XbomaS nahm baS ganze SBiffen
feiner 3eit in fein ©pftem auf, unb bie Schüler tbun alles, nm bem
Weifter barin nicht ähnlich 511 merben.
S)a baS 9Befentlicbe im tbomiftifeben ©pfteme feiner 2inberung*bebarf,
fo fann eS ficb bei ber bisher Pcrnacbläffigten Arbeit nur um 2luS= unb
llmgeftaltungen Poit fünften jmeiter unb britter ©ebeutnng für bie X^eologic
banbeln, bie aber für baS 2lnfel)en berfelben unb für bie SReputation ber
fatbolifeben gorfeber in ber ffiiffenfcbaft pon eminenter ©ebeutung finb. $>aS
mirb bie befte 2lrt, Ib oma ^ ju ehren, fein, bafS man fein SBerf fortfübrt.
3m Pierten ^Ibicbnitte befpriebt ©eruter bie fatbolifebe UniPerfität.
Xbeovetifcb billigt er ihr auf ©runb ber PorauSgegangenen Erörterungen
poüe ©jiften^bereebtigung 511 , aber sugl % eicb meift er auf bie übermiegenben
©cbmierigfeiten bin, bie ähnlich fd)on P. Bertling Por ein paar 3ßb*en
geltcnb machte.
* *
♦
©egeniiber ber reichen giillc Pon 3been, bie in biefer Schrift nieber=
gelegt finb, fann ich hier unmöglich auf alles eingeben. 3 cb befebränfe mich
auf einige 2luSfübrungen jum britten Slbfcbnitte. ®er Gib ber $)ominifaner
bezüglich bei* Scbre beS heiligen SbomaS, fomie ber Gib anberer DrbenSleute
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VorauSfefcungSlofe 3forfd)ung, freie Söiffenfdjaft unb ftatl)oliciSntuS. 249
be$üglich ihres öauptorbenSlebrerS bat beute nicht mehr biefelbe Vebcuhtng mie
uor ein paar buttbert Sabren. 'Sie uerfd)iebenen Orbett butten biefeit ^Brauch aus
Verehrung aufrecht, geftatten aber and) Vorbehalte bei ber GibeSablegung.
Stad) bent 8 . Tecentber 1854, nad) beut Verjchminben ber Aftrologie ans
bem Bereiche ber 2Biffcnfd)aft, nach ber Gntbedung zahlreicher foSmifd)er
unb phbfifatifcher ©efefce unb nad) Dielen anbereu Gingen mujS ntan in biefen
Giben nur eine Verpflichtung auf baS SBefentlidje beS in Srage fontmenben
SefjrgebäubeS jef)en. Tenn wenn fid) bie Kirche einmal eittfd)ließcn mürbe,
in wichtigen fragen, bie ^mifdjen zweien fotcher Spftcme coittrooerS mären — unb
fotcher gibt eS — eine Gntjcbeibung ju fällen, fo märe bamit baS Gitbc
einer biefer Gewohnheiten befiegett. Tantit mag man )u einer einigermaßen
anbereit ^Beurteilung biefer Sache fommen, mie bei Verittcr.
Tie Sebbaftigfeit ber Tarfteüung bei ber Sd)ilbcrung ber erftarrten
thomiftifchen Schule will augcnfd)einlid) burch etwas ftärferen Sarbcnauftrag
eine Aufrüttelung ber ©elfter berbeifiibreit. SJtait barf barum nid)t jeben
AuSbrucf burdbauS mörtlid) uerfteben,- obfdjon man anerfennen ntufS, bafS ber
©ebanfettgang Vernter'S im Allgemeinen ber Statur gut abgetaufcht ift. GS fittb nod)
nid)t niete Sabre her, bafS ein gefeierter Togmatifer eines ber römifcbeit
Athenäen geftorbeit ift, ber bis 511 feinem Tobe au ber Theorie ooit 24 Stunbcu
für bie Sd)öpfungStage fcftgebalten unb biefc gelehrt l)at, )° lange cr
Vrofeffor mar.
Stid)t in feine {Rechnung bat ber Verfaffer bie Tbatfadjc ciugcftellt,
bafS, mie id) cinleiteub ermähnte, bie craffe UnfenntniS aller fatbolifcheu
Verbättniffc, namentlich aber beS SBefentlichcn in ber ftircbeitlebre, auf
Seiten ber ©egtter eine Verftänbigung fet)r crfdjmcrt. SftauSbad) meift in
feiner jüitgften Sdjrift mit Stecht auf bie an fich iiberrafchenbc Tbatjache bin,
bafS bei beit Angriffen auf bie fatbolifdje SJtoraltbeologie ber fratboliciSmuS
fofort unb zunäd)ft mit einer ©emiffcnSerforfchung über bie Stidjtigfcit bcs
bisherigen VetricbeS geantwortet habe. Sßernter tbut in biefent Salle baS
©leidje. St bebe baS bernor, nicht als ob ich bamit nicht im Allgemeinen
eiuoerftanben märe, foitbcrn weil id) briitgcitb münfdjen möd)te, bafS in ber
bcoorftebeitben zweiten Auflage ber oott mir berührte Vuitlt ber UntenntniS
ber ftirdjeitlebre and) Vead)tung in feiner Tarfteüung fiitben möchte. Ter'
fclbc gehört ganz naturgemäß jur Abrnitbititg bcS VilbeS.
And) bie fpftematijd) betriebene Verhefung hinbert int Übrigen ganz
gejeheibte SRättncr, oovnrtbeilSloS att bie Grörtcrmtg mtb Veurt()eilung
fatl)olifd)cr Probleme beran$utretcn. Sie oerftebcit cS nid)t, rein inner-
fircblid)c Angelegenheiten uoit beit übrigen 51 t unterfcbeibeit, fic zerren fie
manchmal gemaltfam oor ein Sorutn, oor baS fic burchauS nicht gehören.
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©aul ÜJtavia ©aumgarten.
Sie oermögen eS nicht, $inge, bic ber einzelne Satholif mit feinem ©emiffeit
unb feiner Sirene allein auSjumachen h<*t, als folche an$uerfennen unb fie
mifdjen fich infolge beffen in Angelegenheiten, bie fie burdj SRichtbeachtung
ehren müßten. 3ür fich »erlangen fie gegebenen galleS genau baS ©leiche.
Ähnlicher fünfte fönnte ich noch mehrere anführen, au$ benen mit
©oibenj h crüor 9 c ^/ auch meitefte ©ntgegenfommen im Sinne be^
©erfafferS bie »on ihm betonten ®raüamina ber fatholifchen ©eiehrten nicht
mirb aus ber SBelt fchaffen fömten. ®amit miß ich nun in feiner SBeife
behaupten, bafS beSmegen nicht oon unferer ©eite erft recht alles gefchehen
foHe, um baS »erlorene Serrain nach SRöglichfeit mieber $u erobern.
@3 bleibt beftehen, maS Seo XIII. oon ben Sehren beS ^eiligen XhomaS
fagt, bafS, mer (eichtfinnig oon feinen Anfchauungen abmeicht, fich in bk
©efahr beS 3rrthumS begibt. ©3 bleibt aber auch beftehen, bafS, mer einem
gegenteiligen ober abmeichettben gefieberten gorfcßungSergebniffe nicht
juftimmt, meit Xf)oma3 anberer Anficht mar, fchon irrt. ®en SBorten beS
heiligen ©aterS bie ©ebeutung geben, bafS man nicht Oon ber Sehre beS
Aquinaten in irgenb einem ©unfte abmeichen bürfe, menit bie ftorfchung
ba$u $minge, h' c 6 e jegliches ©efefc oernünftiger Interpretation umftoßen.
9Rit ben menigen $anatifcrn, bie fagen, bafS man 2homa^ nie merbc eines
3 rrthumS jeihen fönnen, haben mir eS h* er nicht i u tun. 2ltö ©elchrtcr,
ber nur einjig unb allein bitrch bie 9Racht feiner ©emciSführung mirfen
fann, participiert XhomaS auch nicht einmal inbirect an einer mie immer
aufgefafSten ^nfaflibilität. ©S ift barum ju begrüßen, bafS ©ernter in feiner
hochbebeutfamcn Schrift biefe grage burd) feine temperamentoollen AuS*
fühmngen über biefen ©unft in glufS gebracht hat. ©3 merben bie Äußerungen
für unb miber fich halb geltenb machen, fo bafS auf ©runb ber oorliegenben
©cßrift eine Störung ber Angelegenheit, bie bringenb nothmenbig mar, in
meiteren Sreifen eintreten mirb.
*
* *
®iefer Auffajj mar fchon abgefchloffen, als mir ^poufton Stemart
©hamberlain'S Abhanblung: „Satholifte" Unioerfitäten*) jugieng. 3t
brauche bie geiftreiche, blenbenbe ©chreibmeife biefeS ®elehrten nicht befoitberS her-
oor^uheben; fie ift befannt. 3t habe aut nicht nötig, auf feine ftaunenSmerte
Selefenheit aufmerffam ^u machen'. 9ßa3 jebot im genannten Auffafec
befonberS auffällig in bie ©rfcheinung tritt, ift eine gemiffe 3ufnmmenhang=
lofigfeit ber einzelnen Abfchnitte, finb nicht unerhebliche logijehe Sntgleifnngen
mtb eine bebauerliche ©ermetSlung üon ^citerfcheinungen iu ber Sircheit*
*) $>ie gacfel, 9ir. 92 oom 24. Januar 1902 (A?ien).
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©orauSfefeungSlofe gorfdjung, freie SBiffenfchaft unb ftatholirfämuä. 251
qefd^id^te mit bcn wefentlichen, nnoerrücfbaren SWerfmalen be3 ÄatholiciSmuS.
$)iefe SWänget benehmen ber Slbfjanblung im ®mtjen einen erheblichen Xheil
ihres SBerteS, fo gerne man auch einzelne StuSführungen als richtig unb gut
beobachtet ober bebuciert unterfchrciben wirb.
3 m Sefonberen glaube ich ©infpruch erheben 311 füllen gegen bie
gnterpretation oieler oon Ehamberlain angejogenen firchlichen 5luSfpriiche.
9Kan merft hoch gar 3 U beutlich, bafS ihm bie theologifchc Schulung fehlt,
um jebeSmal ben richtigen Sinn berfelben $u erfaffen. @3 genügt nicht, bafS
man lateinifche Säfte überfeften unb an fich oerftehen fann, man mufS auch
bie Tragweite unb ©ebeutung ber SBorte im feftftehenben theologifchen
Sprachgebrauch fennen.
@3 ift anjunehmen, baf3 Ehamberlain ®hrf)arb’3 Such fannte, al3 er
am 15. gaituar feinen Sluffaft abfchlofS. SBenn bem fo ift, bann erfcheint
unoerftänblidj, wa3 er alles über ben SftllabuS ju fagen Weift. 2ln biefcr
Stelle unb in biefem 3ufammenhange rnnfS ich baranf oe^icftten, näher auf
bie Oon ihm aufgeworfenen gragen ein^ugehen, unb e3 ebeitfo ablehnen,
— man möchte faft fagen f inbliche — 9lnnterfnng Seite 7 mit ihm ju erörtern.
©ernter’3 Unterfuchung über ben wahren ©egriff ber greiheit ber
©iffenfchaft 00 m tatholifchen Stanbpunfte aus läfSt bentlich erlernten, bafs
er gegenüber Ehamberlain, ber baSfelbe Ih ema (Seite 7 ff.) betjanbelt, ber
tiefere unb geschultere Genfer ift. SWit einer großen Seichtfertigfeit gruppiert
Ehamberlain gewiffe nicht jufammengehörige ®inge 511 einem ©anjen, ba3
ihm als JDperationSbafiS bient, um oon ba auS einen ^ufarenritt in
tatholifchen Sanb 31 t machen. Seine SluSfüfjrungen waren fchon wiberlegt,
beoor fie gebrucft Würben, unb jwar in ber ©ernter’fchcn Schrift (Seite 18 ff.).
E)ort mag fich Ehamberlain bie Sufflärung über biefeit principieü fo wichtigen
©unft holen.
2Ba3 Remter über bie ©ebeutuug oon namentlich naturwiffenfchaftlichen
Xhefen, |)ftpothefen, SKeinungen unb Spftemen, bie noch toeit ab oom ©ebiete
ben wirtlich ©ewiefenen liegen, fagt, biirfte Ehamberlain in 3ufunft abhalten,
mit „neueften Annahmen" (Seite 13), „neuen ©orfteüungen" (Seite 14)
unb ähnlichem 311 fintieren, um ber Kirche ©orwürfe über bie ©ehanbluug
ber SBiffenfchaft 31 t machen, ©in folgen ©orgehen ift birect itnmiffenfchaftlich.
®3 liegt mir felbftüerftänblich ferne, bie perfönlichen Erfahrungen
Ehamberlain'S bei feinem Schulbefuche in tatholifchen Säubern au 3 U 3 Weifelu.
Er erzählt unn nämlich, bafs er in feiner gugenb oon feinen Schulfameraben,
bie fämmtlich tatholifch waren, aln „Hefter" häufig oerhauen worben fei.
SBogegeit ich über fcharfen SBiberfpruct) einlege, ban ift bie feierte 9lrt, mit
ber er aun biefen unb einigen anbereu ©ortommniffen, bie ich uicht
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252 ©. 2Ji. ©aumgarten. ©orauSfe&ungSlofe fjorfc^., freie SBiffenfchaft u. ftathol.
controtieren tarn, all ge meine Schlußfolgerungen jieht, bie fich auf beit
©tauben ber Äatfjolifen unb bie Sethätigung biefeS ©laubenS bejie^eti.
1 ?(uc^ baS ift unmiffeufdjaftlidj.
S33aS foH mau ju bem ©afee fagen: „Der SatechiSmuS nach beut
©efchluß beS Sribentinifchen ©onälS fagt auSbrüdflich (pars I, cap. io)
bie ©farrer foflen baS , credo sanctam ecclesiam catholicam* uon aßen
©laubenSartifeln am Ijäufigften einprägen (omnium frequentissime inculcandus
est); eS ift, mie matt fieht, mistiger, bafö man an bie &ird)e als an ©ott
unb fi^riftu^ glaube." ®S gehört bie ganje @ile eines ©eiehrten baju,
ber einen Auffafc für ben DageSbebarf bem im ©Drummer fdhon tnartenbeu
©efcerlehrling fchnell übergeben muß, um eine fo unglaubliche Schlußfolgerung
ju machen. geh bin nicht fo gutmütig, ©hamberlain auf feinen groben
gehler aufnterffam 51 t machen; ben mag er felbft finbett, wenn er eS oer¬
mag. Unb bie gortfefcung beS eben angeführten ©afceS fefce ich auch nicht
hierher, obfehon biefelbe einen noch gröberen gehler gegen bie So gif enthält.
Der Auffafc ©hamberlain’S umfaßt 32 ©eiten unb ift überfdaneben:
„Satholifche" Unioerfitäten. Auf ©eite 21 enblich fommt er auf fein Dhenta.
2BaS er baju $u fagen toeif$, ift nicht nur mager, fonbern auch nicht über*
mägig fachlich. Der Vergleich mit grantreich fann für ben öfterreichifcheu
©lan nicht mafjgebenb fein. 9Rit mehr SRecht hätte er bie Unioerfität 51 t
greiburg in ber ©chtoeij heraitfliehen fönneti, toeil bort baS üertuirflicht ift,
toaS man in Öfterreich anftrebt. Aus ben Ausführungen beS ©erfafferS geht
erfichtlich heroor, baß er allerlei auf bem £er$en hatte, toaS er gern in
einen Auffafo jufammenfaffen moüte. Da bie Abhanblung fo ziemlich de
omnibus rebus hantelte, ß ergab fich fein mirflich paffeitber Ditel, unb als
erfahrener 2Rann mählte barum ©hamberlain einen augetiblidlich in SEBien #
recht jugfräftigen, ber nur ben Keinen gehler hat, baß er nicht ^urn Auffafce
paßt, ©ernter hat oon folgen Sinterungen feine ©Überlegung feiner AuS*
führungen 511 fürchten.
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Adam Crabert.
Bon H t d| arb fo. üralik.
9 q)/^A enn ich ein äftaler märe, fo fönnte eS mich reifen, baS rofige,
gefunbheitftrofcenbe ©eficf)t beS Siebzigjährigen im Nahmen beS fchnee*
meinen ©art* unb Haupthaares auf bic Seinmanb 51 t bringen. Slber auch bem
Sd^riftftcIIer bietet 2lbam Xrabert ein nicht miitber banfbareS coloriftifcheS
Problem, ©anj fo rnie bei 3ofef ©örreS, unterem ©annerträger, bilbet
fein männlicher ©h flra f ter einen ^arntonifd^en ©ontraft oon blutfrifchem
9toth unb flecfenlofem ©Seife, t)on unbeugfamem, fampfbereitem ©ifern für
9^ed)t unb Freiheit unb bemütfjigfter Unterorbnuug unter bie allein feft*
ftefeenben 3beale ltnfereS Sebent. Xie glüljenbfte Seibenfcfeaft beS Kämpfers
für afleS ©ute oerbinbet er mit ber unbebingteften (Ergebenheit für feinen
Herrn unb ©ott, wie für feine ßflutter, bie Kirche. Unb baS ift,. mie mir
fcheint, auch bie einzig richtige garbenmifchung; bie Xreue, bie beutfehe
Xreue, ift baS ©anb, baS beibe garbett oerbinbet unb eint.
9?och in einer anberen ©ejiefeung vereinigt ber alte Jüngling jmei
fonft fcharf auSeinanberfaflenbc Seiten beS Sebent: bie thätige unb bie
äfthetifch befchauliche ©eite, gitr jebe biefer ©eiten ftellt er aber einen
ganzen -Kamt, leinen h a ^ en - Xer einen, ber thätigen ©eite ju folgen,
oerjichte ich ^ cr ; ich märe eS auch nicht imftanbe. Xa foß er lieber felber
reben unb bie Schleusen feiner ©rinnerungen aufthun. SEBeun man baS
©ergnügen gehabt hot, ihn oon feinen heffifchen ©rlebniffen im Parlament
unb in ber geftung plaubern 511 hören, bann fann man nur hoffen, bafS
er unS einft feine ©temorabilien nicht oorenthalteu loerbe. 9Jur SineS miß ich
über ihn als 9Raun ber Xfeat feigen: er gehört ju jenen menigen, ju jenen
einzigen SRenfchen, benen bie ©olitif beit ©harafter nicht oerborbeu h at -
©rauche ich bafür einen anberen ©emeiS anjuführen, als bafS er bas
©chidfal aßer ähnlichen ©eifter theilt: bie fchliefelidje Sereinfamung?
XafS ihn biefe ©ereinfamung auch auf bem anberen ©ebiete feines
SBirfenS, bem poetifchen, getroffen h a ^f *><*3 barf auch nicht SBtmber nehmen.
Xenn auch Snr breiteren SSirfung ber Sfunft gehört eine Slrt oon ©olitif, bie
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254
SRicfyarb o. ftralif.
nicht eine« jeben Sache ift. 25er Zünftler, ber. anerfannt fein miü, rnufS
nicht nur ffünftler fein, fonbern auch ©efchäftSmann, §änbler, ©peculant,
Ausrufer, Sermittter K. f ja, er rnufS minbeftenS bie Hälfte feiner ©nergie
nnb $eit biefem ©efchäftSameige mibmen. 9Rit Stecht haben banint ©. greptag
unb 2B. ©euerer in ihren poetifdjen Anleitungen auch biefe ©eite ber
$fthetif berührt. Aber ach, wein lieber Xrabert, mir merben in biefer
©ejiehung halt immer etmaS rücfftänbig bleiben! 3a, ich Wage mich emfttich
an, bafS ich bity biö^er noch nie öffentlich gelobt habe, fo fehr eS mir mein
^erj gebot. Aber, marnm hab ich’S öerfäumt? Sielleicht aus gurdjt, bafS bu
mich bafür mieber lobft nnb mir bei beit ehrlichen ÜJienjchen in ben Serbacht
ber unreblichen Sameraberei fommen! flpinmeg mit biefer geigbeit! 3$ min
oon nun an nur meinem 4>erjen unb meiner Pflicht folgen.
2 Bemt ich alfo mit ber @^rlic^feit eines ©efchmomen über meine
äfthetifchen ©inbrüefe urtheilen foH, fo rnufS ich oor allem ben 2)ramatifer
oom Steriler trennen. Irabert hat $mei Süfjnengebichte veröffentlicht, eine
©lifabeth oon Shüriagen unb eineu Sfaifer 3uliait ben Abtrünnigen. Seibe
finb in großem ©til gehalten, unb mich $ieht an jenem befonberS ein romau*
tifcher ßug an, ber hauptfächlich in ber ©eftalt beS alten 3aubererS unb
©ängerS fflingfor junt AuSbrucfe !ommt, in biefem ber ©ebanfe, bie
£>anblung burch ein bcrbrealiftifcheS £>öflenparlament einjuleiten. Aber bie
volle Serfönüchteit beS 25id)terS fiitbe ich hoch uic^t hier, auch nicht feine
ooHe $unft, vielleicht beSßalb, meit Srabert burch bie Ungunft ber 3eit non
ber praftifdjen Sühne auSgefchloffen blieb, meil feine ©tücfe nur bie oor*
läufigen Xalentproben eines anSficbtSlofen 3bealiften bebeuten. 6r !ann
ficb unmöglich auf ber Sül)ne, mie fie jept nun leiber einmal ift, $u £>aufe
fühlen. XaS fann feiner oon uttS.
©anj ju £aufe ift er oielmehr im ©ebiet ber fitjrif. Unb bieS ©ebiet
ift fein befchränlteS, eS umfafst bie objectioe, epifche Sallabe ebenfo mie baS
aüerperfönlichfte 3Komentbilb, ben 9taturfelbftbrucf beS bidjterifchen ©emütheS.
Aber fo reich feine ganje lonleiter, fein garbenfaften ift, er experimentiert
unb coquettiert nicht mit jmeifelhaften, nnmahren unb unechten Abarten
ber Iprifchen ©attung, nein, menn ich ein 2Rufterbeifpiel für baS geben
foHte, maS ich iw reinften, oollften unb echteften Sinne für Iprifcf)
erachte, nach ben ftrengften nnb höchften ©efepen ber Sunft, fo müfSte ich
nichts XreffenbereS anjuführen als bie brei Sänbchen, bie als „2)eutfche
©ebichte auS Öfterreich" in granffurt a. 3W. (®. SBenbel) 1888—1889
erfchienen finb. ®S mag vielleicht gefeiltere unb gepufctere ßprifer geben,
maS aber jene Urfprünglichfeit betrifft, mit ber fich eine volle unb reiche
Serfönlichfeit in ungebrochenem unb einheitlichem Strome ergießt, fich felber
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9tbam Xrabert.
255
unb feine Überzeugung oofl auSteben läfst, fo müfste ich meinem Siebter
mobt äße antifen unb mittelaftertidjen Eoflegen an bie ©eite zu fefcen, aber
nur menige moberne. ©emijS ganz Kain unb otjne naebabmen zu maßen, gibt
Xrabert unS unb unferent EulturfreiS, unferer 3ett eben baS, maS bie
9ttten ihren größeren ober Heineren Greifen gaben, nämticb ficb felber unb
i^re perfönticbe ungefdjntinfte ©teßung zur 3eit, z u ib*er s 45otitif, zu ihrem
©olf, zu feiner ©efebiebte, feinem ©tauben.
Irabert ift Öfterreicber, nicht bur<b ©eburt, fonbern bureb SEBabt, unb
Zmar nicht bureb Z u fäflige SBabl, fonbern aus Politiker Überzeugung. 91 iS
Jperotb biefer Überzeugung tritt er oor ganz Öfterreicb biu. 3 n bem erften
%ty\{ feiner ©ebidjte, ben „©cbmertliebern eines 3 riebfamen",
befebmört er zu biefem 3 mecf bie ffiergangenbeit. 6 r ruft bie lobten auf,
fie foßen ihm fegnenb baS ©eteite geben, fie foflen ihre f>elbengräber öffnen
unb ibm helfen, für bie beutfdje ©enbung ÖfterreicbS z u Saugen. 9Rit Stecht
fiebt er biefe ©enbung in ber lürfenzeit begrünbet, im Sorfampfe ber
cbriftticben Dftmarf gegen ben 9tnfturm beS 3#tom, in jenem Kampfe, ber
auch bie mehr als nationale ©ebeutung beS beutfeben SJaifertbumS zur
©ettung brachte. Söfttid) fomrnt baS in feinem ©tubententieb zum 9luSbrucf:
©agt, ihr ©ratfehen, fprecht, ihr ©eigen,
9öarum heute benn fo ftummV
SJiacht euch gar fo traurig fdjroeigen
Stara ßJtuftafa’S ©ebrumm?
SJht gefpalt’nem ©chäbelfnocben
Siegt hier einer falt unb fdpoer;
Ungern hat er beutfeb gefprochen,
©öhmifd) fpricht er jefct nicht mehr.
Steiner hier in unfer’m Streife
Stampfte braoer hoch für 2Bien;
©rüber, fpreebt jur frimmelsreife
$)’rum ein „Otce nas“ (©ater unfer) für ihn.
©o finb aße biefe biftorifeben ©aflaben ooß actueflen SebenS, feine
Sirtuofenfünfte. SEBie fpmboliftifcb im beften ©inn ift jenes „ffinberfpiet"
aus ber lürfenzeit:
9lm Äohlmarft fafcen bei Sehnt unb ©anb
3 roei Mnaben im frohen ©piele;
©ie fchnitten fich ©täbeben mit emfiger Jpanb
Unb festen in T S ©räblein bie ÜJliihle.
$ann fchleppten fie flinf beS 9BafierS herbei
Unb füllten gefchäftig ben ©raben.
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256
SHicbarb o. ftralif.
Da fällt bic ©ombe. (£in banger Sekret
©eilt ringS: C roef), ben ftnaben!
Die aber fehreefte nicht ber Scbrecf;
Sie lachten aus ^e^enSgrunbe,
Dann liefen fie beibe $ur ©ombe feef
Unb löfebten mit Gaffer bie 2unte.
Unb als erlofcben bie 2unte mar.
Da fließen fie roieber jum Spiele;
Unb feböpften ©Öaffer uom ©rünnlein flar
Unb liefeen fid) breben bie ©tiible.
e®iit ooHeS Sinnbilb beS 2ebenS, befonberS beS aUju forglofen SBiener
SebenS!
@0115 actuett fteüt ficb and) ber Dieter in ben ©ugen=2iebern:
©or beinern ©ilbe neig’ ich
Die 2aute, ©rin$ ©ugen!
3 u beinern *Rubme febroeig’ icb;
©BaS follt’ auch ihr ©etönV
Dreut Unbeil jetU, fo tret’ icb
3 u bir, bicb anjufeb’n,
Unb feudjten S iluges bet’ icb:
©od) einen, Jperr, roie ben!
Sbenfo riiftig unb lebettbig befingt unfer Dieter bie ©elbfcbnäbel üon
ftotin, £abifS 3ug nach ©erlin unb äbnlicbc Dinge, bie bie ßfterreicber
aus Slücfficbt für ihre einzigen ©cgner 31 t oergeffen fueben. Dem Sieger
oon Slfpern, bem gelben oon Seipjig uttb bem ©ater Sftabepfp baut er auch
ein Denfmal, icb »iß nicht übertreibcitb fagen, bauernber als ©rj, auch
tnill icb nicht leugnen, bafS eS möglich toäre, ben ©uSbrucf, baS Silb
manchmal oirtuofer $u prägen; aber fo im 3 ufammenbcmg & c g © a njen, unb
baS ift ja bie £>auptjacbe, finb bie gelben ber öfterreiebifeben ©efebiebte nie
oerftäitbniSOoUer aufgefafSt morbeit, als Dräger einer äJtiffion, bie noch
immer fortbauert. Unb babei boeb, melcbe echt poetifeben ©ilber! So, meint
ber Dichter am Sage oon ©uftojja bie ©ifion bat:
©or ber ©urg ift mir’S gefächen,
DafS ich bamalS tonnte fefyen,
©Bie baS Stanbbilb ftarl’S fid) rührt.
Dreimal tbät’S bie ^abne febmenfen,
Dreimal fie $ur ©rbe fenfen,
©Bie man Siegern falutiert.
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Wbam Xrabert.
257
SÖic uolfSthümlid) beginnt fein Sieb an ftöniggrei^:
C, ftöniggräb, wer bein gebenft,
$öie roirb bein bang *u ©tute!
$ein weitet Selb, es ift getränft
©tit CftreichS rotem ©lute.
(Sin fterbeuber $eutfd)er, ein ©öfjme nnb ein ©tagtjar ergeben nun ihre
Silagen. Srefflidjer fann man bie ©cbeutung beS JageS nicht oerbilblichen.
freilich auch nidjt peinlicher. Slber eS ift palt fo, mag man bie Dt)ren
juhalten ober nicht, ©emaltig beutet ein „©olbatenfbruch" ben Singer ber
göttlichen ©erecfjtigfeit;
3 itt’re nicht, mein Üfterreich,
X)u fo fchmer bebrohtes,
©liefe nicht fo (chrecfenSbleich
3n ber ©acht beS Xobes!
©un beutet er an, roarum Sllbrecht ben Italienern gegenüber fiegte,
marum baS Seib öoit ©aboma erfolgen muffte, imb fchliefet:
©otteS 3ncht mar biefer ftrieg;
§öre fein Grmahnen,
Unb es mirb bir ©ieg auf Sieg
3 n bes ©echtes Bahnen.
©ebeutfam mirb biefe ©Mahnung einem Krieger, ber oon ©uftojja her
nach bem korben fommt, in ben 9©unb gelegt. S)er dichter finbet aber
bie fchönfte Söfung für all' bie$ Seib in ber „©ache für ©aboma":
©ergab mohl je ben Xobesftreich,
©ter ihn empfieng unb hoch genas?
Unb glaubft bu hoch, o beutfdjeS ©eich,
X)afS Cftreich Saboroa’s oergafe?
©ergeffen ift bie ©ache nicht,
Db noch fo tief in’S §erj oerfenlt;
Ginft mirb fie fommen ftolj ans Sicht,
$od) anberS, als ihr braufeen benlt.
©tenn euch einft Jeinbe rings bebreun
Unb einfam euer ©anner meht,
X)ann mirb eS bieS mein Cftreich fein,
XaS mie bei Seipjig bei euch fteht.
3 u Schub unb Xru&e mie bei euch,
Unb ihr auch unS jur S>ilfe nah,
X)aS foll — o hör’ eS, beutfehes ©eich —
$ie ©ache fein für Saboma.
$ie Kultur. III. 3o*rfl., 4. $eft. (1902.) 17
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258
föicbarb o. Äralif.
Unb ähnlich fagt er in bcn @tra&burg*@onetten:
2 Bir bitten 6 runb unb buben hoch oergeben.
©o fmb e3 mir, bic hier ba3 Opfer bringen;
£)ocb anber3 läf3t fid> nicht ber £>af3 bedingen,
9113 bafe er ftreunbfcbaft roirb auf lob unb ßeben.
9lber mobin !änte i<h, menn icb mich nicht lo3reifjen moHte mm atT
bem, ma3 tnicb auch in ben folgenben 3eitgebicbten au3 ben ©iebjiger* unb
ÄcbtjigersSabrcn toeft, ju öermeilen. 3dj mieberbole nur noch einmal: ba3
ift bie richtige 5lrt, mie ber Steifer fich ju feiner 3*it ju ftetlen b a t< ©o
bat ber alte ©olon, fo SBaltber oon ber Sogelmeibe, fo bie Xroubabour3,
fo noch fftopftoef in feinen Oben, fo julefet ©rittparjer fein SBort erhoben,
alle in ihrer SBeife, Irabert in ber feinen. |>ören mir nur noch fein
©dbtuf3mort;
Unb foU ich euch fingen mein üieblingslieb?
ÜRir flingt’3 au3 bem ©tern, ber ba broben jiebt,
2Jtir fäufelts im Jlüftern ber 5rübling3nacbt,
9Wir tönte au3 bem ©türme, ber bröbnenb erroaebt,
üftir brauft3 in bem freien bem ©trome gleich*.
£>ocb Cfterreicb!
„6 in äRenfchenleben", bietet ber dichter im jmeiten X^eite feiner
Sammlung. 63 finb fubjectioe löne, ber ßiebe unb Srauer, bie b^ cr
angefchlagen merben:
ÜJtancben, ber mich anbere fanrtte,
ÜJtag befremben biefer Zon,
91ber, roo bie Sana brannte,
Sliibt nicht auch bie HHebe fchonV
63 ift lauter SBabre3, 6rlebte3 unb 6rfübtte3, 6cbte3 unb Iücbtige3,
ma3 hier in fräftiger, geraber, einfacher unb treuer Sßeife jur 9lu3fprache
fommt. Unb fo ift e3 recht. $ie 2prif ift ba3 ©ebiet ber Stealiftif, fie
foö nur tbatfächlichc 6rfabrung geben, fie foß nur formen unb bilben, nicht
erfinben unb erlügen, mie ber SRomanfcbreiber. ®ie Sb an ^ a fi c # ber ®cift bat
babei noch genug ju tbun, mie etma in folgenbem fdjön gefchliffenen Spruche:
©ticb ber Söefpe macht Sefcbmerbe,
©chmerjt unb brennt mie glübenb 6 r 3 ;
6 rbe b’rauf! Xer fühlen 6 rbe
9tur ein rcenig heilt ben ©cbmerj.
^erj, gebulbe bicb ju märten;
6 nben mirb auch bir ba3 i*eib,
32enn man bort im füllen (harten
6 inft auf bich bie 6 rbe ftreut.
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91bam Xrabert.
259
Sieben fann unfer Xrabert trofc betn oerliebteften 9Rinnefänger. 3dj
(affe iljn nur fo einige Siebanfänge trällern, mehr nid)t, fonft fönnte ntan’S
übet neunten:
^Beleben $8oten fenb’ i<b aus,
2JUr mein Sieb ju grüben? —
9tm 3öeg jur Siebften fted ich mir
©in StöSlein auf ben iput;
©o fomm’ ich, roie ber Sen$ ju ihr
Umftrablt oon Otofenglut. —
93on taufenb Vögeln umfungen,
93on taufenb Blumen umblübt,
93on meifeen Firmen umfcblungen,
2) ie freien oon Suft burebglübt,
0, bleibe fo febön, bu ^errlic^e SBelt,
3) ie mir ber Fimmel jur greube befteüt. —
3n ben ©rübeben beiner Sföangen
Sachen ©ngel, bolbe^ Einb! —
&ber ber fflttnnefänger toirb jum Stittertoocbenebegemabl unb muf£
halb SEBiegentieber für feine fiinber bienten, ©ein ©efang übertönt alles
Seibige: y
©£ mag bann fommen, roa$ ba null;
Jrau ©orge finge noch fo fcbrill. —
2 tber nicht nur feine ©etiebte befingt ber dichter, auch We Freiheit,
bie febönfte aller Sräute; ihr b<U ** ficb cinft in ©türm unb 5)rang
jugetoanbt, halb freilich üon ben Orgien feiner Sameraben angetoibert. ©r
läfSt uns fo ben äJerfaffungSfampf in Reffen 1850, feine ungerechte öer*
urtheitung, feine enbtiche ^Rehabilitierung mit erleben, er erhebt uns $u
eblen Siegungen be£ SerjeibenS, ber Klärung:
3b* 2Borte bee 3omes, o, feib oerroebt!
Unb:
5Bir mären fcbulbig hüben, brüben.
®er Stecht^bnich oon 1866 treibt ihn aus feinem Satertanbe, auS
finrheffen.
5)aS ©cbicffal ift gefommen:
21Ubeutfcblanb$ SBunb ^erbrach
Unb jog in feinem $alle
2lucb bicb, mein Reffen, nach.
bleibt mein Xroft ber ©teefen,
2luf bem ich ritt als Einb.
Stun benn, fo null ich roanbern
9JUt ihm in ©türm unb 3Binb.
17 *
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260
>Hid)arb o. ftralif.
s )lutt fort, mein Steden, roeiter!
'DaS Scbidfal fdjreitet mit;
So glüdlid) roerb’ id) nimmer,
^ie einft id) auf bir ritt.
@r fann jene aieid^jerfcfyteiber nicht berfte^en:
$ie baS ^Hcid) beS ^oppelaarS
blutig abgef dritten.
(Einheit nennt ibr’s; Xbeüung roar’S,
Dod) — ihr babt’S gelitten.
3n baS ferne $onautbal
ßiebt eS mich, ben Sflüben,
m ben alten Mxiferfaal
Sllte Jtobnen ^üten.
Jyabnen fdpoarj oom ^uloerraud)
Ungezählter Sd)lad)ten —,
$)eutfd)e Zitaten- roaren’S auch,
<$ie ne einft oollbracbten.
Xer ©rofjbeutfcbe toirb nun auch ein ©rofeöfterreicber, beffer unb
coujequenter al« mir aOe. $a« ift fein Programm:
®lit tft’reidis geinben fityn mid) fragen,
3Jtit ©zed)en unb s $olen mid) gern oertragen,
2Jtit Ungarn fte^n für^ ganze *Heid)
Unb für bas 9ied)t ber Golfer zugleich;
^LülTe ©ott, auch mit ben 3)eutfdjen braufeen
$ie freeben-^öreeber beS ^riebenS jaufen —
$)aS nenn' icb ein Sprüchlein oon gutem Mang;
©ott lafS es gelten mein öeben lang.
6 r toeifc eS gar gut, tooran bie Dfterreicber franfen:
Sie fcbelten als fauer jum SJtogenrübren
Z)it Traube, bie föftlidj reift babeim;
Z)it Leeren, bie braufeen ben $>ornbufd) gieren,
Sinb ihnen fiifeer als fronigfeim;
3a, finben fic ftotb bort hinter ben fceden,
So glauben fte laut'reS ©olb zu entbeden;
Unb biebtet ein Lügner zu Öfterreid)S Schmach,
So betet’S ihr gläubiger ©ifer nach-
2 lbcr „tro^adebem" fingt er:
s J)tir ruht in jeber !$erzenSfalte
©in Stüd oon bir, o Üfterreid)!
Unb menn ich bid) als mein behalte,
So ift mir alles anbre gleich.
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91bam Xrabert.
2(>1
Xa£ ©ebeutfamfte in bcr (Sntroicftung Xrabert’S fc^cint mir aber 51 t
fein, baf3 ifjn ebenfo mie cinft ©örreS nnb manche 3tomantifer erft ba£
Scbcn mit notbmenbiger ©onfequenj jum lange oernacbläffigten ©tauben
jurücffü^rte. (Sr, ber bie greibeitsfabne gefcbtoungen, ber bic 9tecf)t3ftanbarte
bodbgebalten, ftet)t noch auf bem alten Stanbpunft, nur Ijat er im großen
mettgefdjicfitttcfjen ^SrocefS, ber ihn felber arg genug mitgenommen, bie
Äirdje afö ben alleinigen £ort oon greibeit unb Stecht erfannt; baS brücft
er meifterbaft in ben „Sanoffa" überfdjriebeueit Sonetten au£. 6 $ fcbmerjt
mich, baf£ id) fic nicht äße tytx mittbeilen fanu. 9lber, toer mein greunb
bleiben miß, ber foß fie im ®ucbe nadjtefen, bebenfeu unb anberen oorlefen.
„9Jacb äman^ig gabren" ber grembe manbert ber Siebter mieber
einmal im ©eifte in bie $eimat. (Srgreifenb unb erfcbütternb ift e3, toie er
ficb nach feinem gulbatbal febut. Schon fiebt er bie 9l^ön leuchten; aber
er miß nicht laut jauchen, um ba3 SReb iw ber Scblucbt nicht flu ftöreu,
er miß nur ben |>ut fcbmeufen unb leife gri'tften:
©ott fegne, ©ott fegne oiel taufenbntal
Mein gulbatbal!
£rop ber gan$ mobernen 2 lrt biefe* ©ebicbtö gemahnt bocb im
beften Sinne an jenes berühmte „D meb" SBaltber’S oon ber Sogelmcibe,
mit bem er nach langer 3 eit feine $eimat begrübt. ©an$ im ©eifte jener
unferer mabren Meifter unb ftlaffifer beS Mittelalters finb auch bie „Sebent
regeln" beS folgeuben (afonifeben Spruches:
©ig’ne $Ciirbe befter Wbel.
Sei ein bitter ohne Tabel;
2 öo gefehlt bein heißet s -8lut,
Mach eS biifeenb mieber gut.
Mige bid) oor roahrer ©röfce;
^ede gern beS anber’n $Möfee:
9tur bicb felbft ju feiner Tvrift
heuchle gröfeer als bu bift.
Kämpfe nieber aßeS Schlechte:
©alte feft am guten Dtechte:
Sei ber Schroachen Schub unb Scbilb;
dichte ftreng, bod) ftrafe milb.
Mehr als aßes b a f$’ bie l?iige.
^riide feinen, feinen trüge,
Cohn unb Ceiftung holte gleid).
9tur bureb Arbeit roerbe reich.
S3iele merben hoch bicb fdjelten.
3>ieS mit gleidjent *u oergelten,
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262
SHidjarb o. $ralif.
Unterlage feft unb flug.
Sluch aücin fei bir genug.
SBie gefagt, baS !ann nur mit ber aHerbeften ©nontif beS 9KittelalterS
unb beS griechifefjen SUterthumS bergigen toerben. £ie!)er gehört auch bie
fdjöne, breit ausgeführte Parabel, in ber „$af$ unb Siebe" als baS
ähnlidjfte ©efchtmfterpaar gefd)tlbert tuirb.
®ie lefcte Sammlung „Xröfteinfamfeit" ergänzt bie beiben früheren
nach mancher ©eite:
SPtein ftilleS JpauS am ©rabeSranb,
Xröft;©infamfeit, fo fei ’S genannt.
Xröft-©infamfeit! £>ier tretet ein,
3h* lebten Xage, bie noch mein.
ÜJtein Seben mar ein SBaffengang
9Jtebr al§ ein halb 3ah*hunbert lang.
Qd) bab geforgt, gefämpft, gemacht
Unb feiten auch an mich gebucht.
©in ich beShalb fo ganz allein;
9lur mein (Erinnern ift noch mein ;
3hr aber, meine Sieber, feib
9Jtein Xroft in allem ©rbenleib.
XMe Stjra beS X)ichterS begleitet immerfort lebenbig bie ©reigniffe beS
XageS unb gibt ihnen Xiefe unb ©ebeutung. SBie treffenb ift jurn Seifpiel
baS ©ebidht an baS neue 9teichSrath$gebäube in SBieit:
Stolzes §eim ber Parlamente,
J&at uns biefer Säulen Pracht,
X)iefen ©lanj ber ÜJtarmorroänbe
©in Hellene fühn erbacht?
SllleS ©bie ruht im Ptafee,
PolfSoertreter, lernt eS hier,
Unb ber mafeloS oben Phrafe
Schliefet, o fchliefet bie Pforten ihr.
s Jtur fo lang eS feine ©ötter
©hrte, mar Slchaia grofe;
3u zerftören ift ber Spötter,
X)er Perneiner büftreS SoS.
©S ift fein SBunber, toenn unfer rüftiger SBanberer enblidh einmal
etmaS „rnttbe" ttnrb, mie er in einem feiner aKerfchönften Sieber fingt:
©eroanbert bin ich fo oiel unb roeit;
X)och nun, ich fühl’S, ift Schlafenszeit.
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Slbam Xrabert.
263
Dem (Seifte wirb ba$ teufen ferner,
Slucb ifjn but alt fein ipin uitb &et*
Schon müb’ gemacht.
Der Schlummer fommt, als roär’S ein Scbroan
Unb trüge fanft mich himmelan,
geh möchte fo ju (Sott einft geb’n;
SBie.rocire ba ber lob fo fdjön.
0 SBelt, gut’ Stacht!
Doch bflb’ ich nieleö noch ju tbun,
Drum fegne, (Sott, mein furjeS Stub’n;
8 afS mir beS Schaffens greubigfeit,
Die mir be$ Gebens 8uft unb 8eib
So lieb gemacht.
Stein, er ermübet boeb nicht, ©leicb erjebmingt er ficb tmeber ju einem
Dithyrambus „2lm Ufer ber Slbria", ber geugin ber Siege Don Öepanto
unb Üiffa:
geh greif’ in beine bentant’ne glut,
Slls fönnt’ icb mit Joimmelsgemalten,
Den Banben beS .taiferS ju treuer §ut,
Stuf emig bicb faffen unb batten.
Die ftrone ber SBeltberrfcbaft rubt
gn biefer glut.
ftöftlicb ^eiebnet er bann baS politifebe ©etriebe:
. Wahltag ift. (Sin Schürfe, wer
feilte magt ju febten.
frommt, (Seoatter, fefct euch b^ r »
!pelft bie Stimmen wählen.
(Srofemaul brifet baS gelbgefcbrei,
Stieber bie geubalen!
lieber auch bie frlenfei!
Sieg ben liberalen!
(Srofemaul boeb! Das ift ber Jpelb,
Umjufneten Staat unb SBelt.
Stiebt eben erbebettb ift fein gacit beS SBeltgetriebeS:
„Die SBeltgefcpicbte ift bas SBeltgericbt",
geh glaub’ es nicht.
Denn mit bem (Suten gebt in feine ©ruft
Slucb mancher Schuft,
Der fein (Seraubtes burfte mehren
Unb froh oerjehren.
Stm (Srabftein aber fteht ju tefen,
©r fa ein ©bler unb geliebt gemefen.
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264
WidKirb u. Uratif.
Der Dichter f)at eben gar 511 rnel ÜbleS gefehen imb erfahren:
Unb foll id) bir faßen, mein guter ftreunb,
SöaS mir ber Übel größtes febeint?
©cbulmeifterlein, baS fid) als Feuchte ber 9LBelt
5vur flüger als feinen 'Pfarrer hält,
Unb 'Pfäfflein, bas beS ©laubenS bar
Dod) ftebt im Slmt am Hochaltar.
(Sr toeift, toeldjeS „Drifolium" bie SBelt regiert:
©S ift uralte SKcgel
Unb regt mir oft ben 3<> r n:
Der Dummfopf unb ber Riegel
Steb’n aller Orten oorn.
Oft bat fid) ju ben Qroeien
Dev (Gauner auch gefeilt,
Dann rufen fte ju breien:
£0 foll fid) breb’n bie SBelt!
9Xber trofcbem läfSt ficb ber Sänger bie Suft nicht oergäßett, noch
manches faftige Drinflieb unb SKinnclieb anjuftimmen ober am liebften ein
f räftigeS ©treitlieb:
Fimmel, gib mir 5 r öl)üd)feit,
Dafs id) luftig finge,
Ober aud) ein neues i'eib,
DafS id) mit il)m ringe.
s Jtid)t ein feig erfd)lid)’neS ©lücf,
Stampf ift’S, ums id) mäblc.
Mpn ^ur Sonne ftrebt ber ©litf
©iner freien Seele.
Straftig richtet er feine „Slbfageu" ttacb liufS unb nach rechts, fc^eut
fid) nicht, ben „©eftgebafsten" fich jut ©eite $u fteflen; fein „fröhliches
©entüth" ift in aller politifchen unb litterarifdjen ©eretnfamuitg nicht umju'
bringen, er böt ja feine ©ach' nicht auf bie SBelt gefteflt, auch nicht auf
„nichts", fonbern auf einen ©runb, ber ihm jebe anbere ©tüfce entbehrlich
fcheinett läfSt.
Slucb ©ott, ben nod) fein Sluge fab,
SBar boeb oon allem Slnfang ba
Unb bleibt aud) nach beut ©nbe.
Das öeben unb ber lob ift fein,
Unb roas er mir oerlieb als mein,
3d) leg’S in feine Jpänbe.
© 0 , baS ift mieber nnfer ganzer Dichter, echt unb gerabe, ohne
Ducfmäuferei, tuie ohne Schtoulft unb Überlegenheit auch feinem Herrgott
gegenüber, auch hier ein fvifcher, freier, froher unb frommer, beutfeher
(ihriftenmenfeh-
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©baut Drabert.
265
SBcnn ich 511m Schluffe Slbarn Drabert recht cßarafteriftifd) ctaffificieren
unb in bie Sitteraturgefchicßte einreihen foß, fo möchte ich ißn unter unferen
3eitgenoffen einem aus ber gegnerifeßen Schule Dergleichen unb gegenüber*
(teilen, nämlich bem moßlbefannten DetteD D. Siliencron, bem größten Talent
ber mobernen Schule. Sitiencron hat mie Drabert erft (pät publiciert, ift
erft fpät berühmt morben. populär iu gemiffent Sinn mürbe er erft
burch eine beifpiellofe 8lnftrengung ber ganzen mobernen ©enoffenfeßaft. ©r
ift nur eben ein claffifcßeS ©eifpiet bafür, mie ferner auch baS echte Serbienft
burchbringeit fantt. Dß nc SKitßitfe- niemals. 6rft ein ©ierteljaßrhunbert
nach 1870 höben bie Deutfcßen in Siliencron ben eigentlichen „$omer"
biefeS meltgefchichtlichen ©reigtüffeS ju erfennen geglaubt. Drabert aber mirb
einft, baS fteßt für mich feft, als ber berufene „DßrtäuS" ber noch Diel
bramatifeßeren Mataftropße Don 1866 erfannt merben ntüffen. Die ganje
©ebeutung beS beutfehen ©unbeS gegenüber bem alten ^eiligen ©eid),
bie Schulb ber ©coolutionen in biefem Sunbe, Dor allem ber politifcße
fehler, bie tragifche Schulb oon 1864, bie fich bann fogleich an Öfterreich
rächte, bie bis auf ben heutigen Dag mährenben, noch ungelösten Solgen
eines ber fchicffalfchmerften ©ecßtSbriicße, all baS ^at an Drabert nicht nur
einen tiefoerftänbigen dichter, einen Seher, fonbern auch einen baS rechte
SBort treffenben §erolb gefuttben. $cß miß, um bieS ©ilb 511 oerooH*
ftänbigen, hier noch ein ©ebießt „Der beutfeße ©unb" nachtragen.
3 n fchmeren Ungliidstagen,
C hartes ©eh ber Seit!
Da roarb zerftiidt, zerfd) lagen
DeS Reiches N?errlid)feit.
Unb aus beS Reichs Ruinen,
9 lus älter ©ttffethat
Jvieng herrlich an ju grünen
DeS JrriebenS junge Saat.
Doch als es lag zertrümmert
©iS in ben tiefften ©runb,
ffiarb uns ein ©au gezimmert,
Das mar ber beutfeße ©unb.
3nmr flammte 00m Mtjffbäufer
Mein Jreubcnfeuer her,
Denn aeß, ber Stuhl ber Mai [er
©lieb umgeftiirzt unb leer.
Docß toarb ein ©ing ber Treue
WUbeutfcßlanbS fefter ©kill,
DafS fld) bie milfcßheit fdteue,
3u ftnnen ben 3erfall.
Unb bazu fpraeß fein ©men
©lein ©olt mit fterz unb s J©unb;
©S fpraeß: 3 n ©ottcS ©amen
©efegnet fei ber ©unb!
Da gab’S ein frohes ©egen
3nt Tßal unb auf ber ©Int;
Die Arbeit unb ihr Segen
SdjofS ntäcßtig in ben Joalttt.
©s ftanben bie ©efeilen
Um ißren ÜJteifter froß,
Unb ju ber Kammer ©eilen
Mlang freubig ißr !paUoß.
©ie ba auf feiner Scßolle
So ftolz ber ©auer faß,
Weil ©inb unb Sd)af unb ©Solle
©od) nießt ber 3iuS ißnt fraß.
©oeß nießt in ©kiffen ftarrte
DaS ©olt oon i*anb zu iktnb,
Unb 100 bas ©öfslein feßarrte,
©kir’S an ben ©flug gefpannt.
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266
Wicbatb o. ftralif.
Mein äüölfeben bodj beS 3agenS,
$kmn wo ben getnb nur fabn;
Xie Düpp’ler Sdjan&en fagcn’S,
s llkr bort ben ©türm getban.
Wein ScbleSrotg meerumfcblungen,
fBie haben mir bicb bei&
Umroorben unb errungen,
Tod) fdpoer gezahlt ben preis.
1)enn aus bem ^orbeerfranje
3Barb ein Spprejfenfranj
Unb aus bem SiegeStanje
Stfarb unS ein lobtentanj.
$>ocb ftül, mein Sieb, beflage
Wicht groüenb ba$ ©efdjid;
MbeutfchlanbS golb’ne Xage
©ibt unS fein ©ott juritd.
2>ocb bafS fo jähe Söenbe
©ebraebt ber erfte Streich —
UnS alle traf baS Snbe
Unb unf’re Sdpüb ift gleich.
SS ift oon propbetifcher Pebeutfamfeit, bafS biefer dichter ber Xragif
beutfeber Einheit fein Österreicher unb fein preufee, fonbern ein gleicbfant
oatertanbSlofer Surbeffe fein mufste. geh weife, bafS ich biemit bem
Warnen Srabert'S eine Pebeutung gebe, bie ib«t nicht einmal bei feinen
näcbfteu ©efinnungSgenoffen wirb, nicht bei Öfterreichern, nicht bei Satbolifen.
2lber baS irrt mich nicht, benn ich weife, bafS biefe Slnerfennung erft bann
eintreten fann, wenn fich bie politifcben s 2lnfchauungen über jene Stotaftropbe
Pon ©runb aus geflärt haben werben! 2>aS ift aber im gegenwärtigen
^uftanb mangelnben ©leicbgewicbteS, bewaffneten griebenS, ungelöster pro*
bleme ganj unb gar unmöglich, wenigftenS bei ben Waffen, Sin^elne mögen
fich wohl fchon ju freierer Slnficbt burchringen. ^ebenfalls werben unfere
bentfehen Prüber biefe 9lrt Pon „aübeutfeber" ©efinnung unferem Säuger
nicht übel nehmen bürfen.
Sbenfo fteben bie SluSficbten für rafche 9lnerfennung auf rein äftbetifchem
©ebiete; benn ber potitif beS Erfolges ftebt b cu te auch eine $ftbetif beS
Erfolges jur Seite. Sin grofeer 2b c ^ beS beutfehen PolfeS, wo$u por
allem bie Satbolifen gehören, bot fich nach biefem ©runbfafce einreben taffen,
bafS er rüdftäubig unb inferior fei, weil er einfach Perfäumt bat, fich ben
äufeeren Erfolg ju fiebern. WeroöS gemacht bureb baS SiegeSgefcbrei beS
©egnerS, wirft biefe Schar ihre eigenen äöaffen weg unb ooüenbet bie
Permeintliche Wieberlage burch Setbftmorb unb gegenfeitigeS ©emepel,
ungefähr fo, wie mau Pon ben Simbent unb Seutonen erzählt. Slber
feien wir gerecht! Irabert fann entfehieben nicht fo Piel wie bie Wobernen,
was bie Xecbnif, bie Wache betrifft. Sr fann nicht zugleich Pierfach
gereimte Sicilianen beclamieren, wäbreitb er eine brcttneitbe Petroleumlampe
auf ber Wafe balancieren unb acht Weffingbälle in ber 2uft nmwirbeln
läfst. $er Xemofrat Xrabert bat fich nicht wie ber altabelige greiberr
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9lbam Drabert.
267
baju ^crgcgcbcn, fieiter eines ÜberbrettetS ju merbeit, um fo bcn ©rfolg
aufs fjöcfjfte 51t fteigern. ®r hat nicht bic äJtobebichter anjufingen oerftanben,
um öon ihnen mit in bcn ©arnafS gehoben ju merben; er hat fich nirgenbS
oor benen gebeugt, bie ihn allenfalls ju politifchen 3mecfen förbern fonnten.
3a, eS ift auch mahr, bafS Sitiencron unb feine ©enoffen bie Sprache, ben
SerS, baS ©ilb unbebingter meiftern, fdjärfer prägen, fleißiger feilen. Slber
man barf nicht jebeS non jebem verlangen. Sei jenen STOobernen ift bie
Sprache, ber ©erS, baS ©ilb Selbftjmecf, bei Drabert nur ÜKittet ju
höherem Stoetf; er miß unb barf eben nicht im ÜWittel fteefen bleiben, er
barf nicht bie Dienerfdjar, unb menn eS auch ©belfnappeit mären, $u Sperren
machen. # ©eine Öunft ift bie oornehmere, bie echtere, bie richtigere. Sluch
als hiftorifcher dichter beS 3ahreS 1870 ift Siliencron im 9(ußerlichften
fteefen geblieben, freilich auS ©riitcip. Die mobente Sunft miß ja nur
ßteroenrei^e miebergeben; baS thut fie mit großer ©irtuofität unb artiftifcher
©ifanterie. 9Wan hört eS jur 9lbmetf)Slung einmal gerne. 9lber ich S^eifle,
ob biefe SBirfuitg auhalten mirb. ffiertooßer unb meniger mobifch Scheint
mir bie Sßeife Drabert’S. SBahr ift auch onb jujugeben, bafS nicht jebeS
©ebicht bei ihm ooflenbet ift, bafS ber SRcim, ber ©erS, ber WuSbrucf oft
mibermißig jum Dienft gelungen mirb. Slber baS fomrnt mohi bei jenen
©emunberten nicht oor? Söetcße ©imtlofigfeiten, melche Steirnamänge, melcße
©ilberfrafce ift ihnen nicht fchon entfehlüpft! 3<h wer f e ih nen nicht oor,
benn ich halte mich ans ©ofitioe unb ©tarfe, nicht ans -Jiegatioe unb
©cßmache bei greunb mie bei geiitb. 3<h miß nicht ben fritifchen ©hör
ber quafenben ©char im grofehpfuhl oermehren. 3ch tpiß oielmehr baju
beitragen, bafS uitjere SReifter nicht aßju lange oerfamtt merben. Darum
mögen benn jene bort ihres SfuhmeS ungefränft genießen. Du, mein Drabert,
bebarfft beS 9tuhmeS freilich nicht, bir leuchten emigere Sterne. 2Iber mir
brauchen bich wnb beiite enblicße Slnerfennung. Du haft nur beinern ©emiffeit
gehorcht. 9luch uns fchlägt baS ©emiffen, bafS mir bich, nnferen eblen
ßKeifter, fo laug iiberfehen unb oerrätherifch unb treulos nach frentben
©teiftern gefdjielt haben. Du bift glütflich, bu h a ft beine Sache geleiftet.
Du haft bein ©funb nicht oergraben. 2Bir empfangen es mit reichem
SBucher oon bir. ©S ift nun an uns, bafiir ju forgen, bafS eS uitfere
greunbe nicht jernagen, unfere geinbe nicht ftehlen, fonbern bafS eS erhalten
bleibe als ein Schmuck unb ©efftein jener beutfcheit, oolfSthümlichen, chrift=
liehen, aflumfaffenbeit Kultur, bie mir jmar noch nicht haben, an bereit ©au
mir aber unermübet meiter arbeiten moßen.
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Adam trabert
311m 27. 1902.
Bon B i rij rt r b fci. firaliii.
jfls Österreichs und Preubens Jlar sich um den Königshorst
c • Im deutschen Rain befehdeten und ringsum Seid und Sorst
Erscholl vom Cärme des Gefechts
Und alles Sedervolk sich duckte zagend,
Kamst du, mein Crabert, von der Ressen Gau zu uns heran
Und warfst dein (Dort als bied rer Sänger und als deutscher mann
UJohl in die Schale guten Rechts,
nicht nach der Palme des Erfolges fragend.
nun freilich wiegt ein manneswort
heut nimmermehr so viel wie Blut und Eisen.
3edoch getrost! Es wirkt ja fort
Und wird sich einst als mächtiger denn Erz und Stein erweisen.
3a, wer’s erlebt, der wird s erfahren. Sieh’, wir haben Zeit.
Du bist erst achtzig 3*hre alt:
Uor dir steht noch ein Stück Unsterblichkeit.
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Aus Crabeifs Gedichten.
Die alte Öhr.
jünben bie Rampen tm ©peifefaal,
Den ftinbern, ben Jyreunben jum fröhlichen
Wahl.
Da plaubern mir froh, fo lang mir aüein,
2 Bie unfer Einfang mar fo flein.
$och unterm Dach ein Stübchen fchmal,
DaS Jfenfter fo niebrig, bie s IDänbe fo fahl.
(£in fcfchen am ©ange, baS mar bein £>erb;
Der lopf barauf I)at’§ roenig befdjmert.
Der Xeüer SJorrath — für uns nur jroei
Itnb für ben 99 efudj noch Numero brei.
($ar manchem, bem bu ben Xifch gebedt,
Öat’S hoch uom britten leüer gefdpnedt.
Die Stühle, fie maren ^art unb ferner,
Unb !amft uon. feibenen Pfühlen boch her.
s 2ßir aber hielten befcheiben §auS
Unb fchmiidten baS freim unS langfam aus.
Unb als nach mancher burchmadjten üiacht
58 ir’S enblich jur erftem Uhr gebracht —
„Tiftaf! Irttaf! Sie fdjlägt fogleich!"
2 Bie fprachft bu baS s Bort fo froh, fo reich-‘
Unb als bu hörteft beS ®lödleinS Ion,
üNie machte benftaifer fo glitdlich fein Ihron.
Unb neuer Segen farn mehr unb mehr
9 US hütt’ ihn bie Uhr gerufen her.
Dann aber mürben bie 3 eiten fchmer:
@S galt, $u fämpfen für Ütecht unb (*hr*.
Unb roeü ich treu $um Wechte ftanb,
®ieng mir oerloren mein Waterlanb.
Die Uhr nur, bie alte, blieb mein unb bein;
s ®e roeinteft bu bitter bet ihr aüein!
s 2 öie haft bu bei ihres ($lödleinS Sllang
Die Stunben gewählt fo lang, fo bang! .
Da h^t mir Cfterreich gaftlich gemährt,
UnS mieber ju griinben JpauS unb Jperb.
Die Webenhügel, bie s 2 llpen fein,
9(11 feine Ihaten finb jefct auch mein. '
üttein feiner ^rci^cit milber ©lanj,
ÜJtein feiner Reiben Dornenfranj!
Die Uhr, bie alte, hot ’3 miterlebt,
Die jefct jum Schlagen ben Jammer hebt.
Sie fiinbet mit hellem ©lodenUang:
„ftein (£rbenleib mährt aü$u lang."
Da fommen bie ©äfte! Der lifch ift gebedt;
Wun jeigt ber ÜJlutter, mie gut’S euch fdpnedt.
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270
Nicbarb v. Kralit.
Jdh komme, dich zu mitten«
^om 2öalb umraufcbt, im üttonbenfcbein,
©o lag ich unterm ^lieber;
0 ^ugenbjeit, ich backte bein
Unb rief: O fomme roieber!
Xa fam bie $$ee im Nebelfleib
Unb fprad): S)u follft fie haben;
Nur mufSt bu in 93ergeffenbeit,
$BaS je bu roarft, begraben.
Xas traute 93ilb uom ©IternbauS,
$)ie tollen Knabenftreicbe,
Xzn KufS ber Sieb’ — löfcb’ aüe$ aus
T?r«r baS, roaS id) bir reiche.
TO ©lüd unb Seib löfcb’ auS $uoor;
X'\x hilft mein leifer Ringer.
Söfdf aus, wie bu geftürmt, o $bor,
3)eS Unrechts feften 3roinger.
Söfcb’ aus baS 2Seb, bu armer Ntann,
Xa$ biefer ©turnt bir brachte,
Unb tuie bie fluge SBelt bicb bann
3m ©lenb laut nerlacbte.
3«b aber rief: SBenueb! Vergeh!
Xu Nebelbilb, jerftiebe!
3cb bin ju reich für bicb, o ftee,
TO Suft unb Seib unb Siebe.
3>cb bab’ gefämpft, geliebt, gelebt,
Unb roaS icb batt’ unb habe,
2öaS icb gelitten unb erftrebt,
3ft mehr als beine ©abe.
5£aS ficb bie See ba$u gebaebt
Unb roaS fte noch begonnen?
3cb glaub’, fte bat mich auSgelacbt
Unb ift in 'Suft verronnen.
©o tam’S, bafS icb ber TOe blieb,
SBeriuettert unb uerfcbliffen;
$ocb Hang ber 3Balb: $u fii&eS Sieb!
3cb fomme, bicb $u fiiffen.
3cb roeiB nicht, tuar’S mein eignes Sieb,
5ßar’S baS ber Nachtigallen;
Sieb ©troaS boeb, benor fte febieb,
Xxe Tvee ins S>en mir fallen?
ms
'Cräume und Reime
an» ber Helle Br. 5
^S ift ein bolbeS Kinberpaar,
Kommt Jpanb in §anb gegangen;
3m TOnbe roebt fein Sodenbaar,
(Gleich Nofen blüb’n bie 2öangen.
©o jieb’n fte in bie 2öelt hinein,
3mei trauliche ©enoffen,
Unb niemanb hält fein Kämmerlein
TOr ihnen jugefcbloffen.
©in Knab’ ift eins mit beifeem 93lut
Unb tro&iger ©eberbe;
©ein TOge rollt in ftoljer ©lut,
3bat biinft ju flein bie ©rbe.
Bergfelle ^paitgeitberg.
$>ie ©tröme braufen tief unb laut,
©r mufS fte fed burebfebroimmen:
Kein TOIer bat fo # bo<b gebaut,
©r mufS noch höbet flimmen.
Unb tobt um ihn beS ^Setters Söutb,
©r roanft nicht oon ber ©teile —
S)aS ift ber ftol$e Sugenbmutb,
Xex trotzige ©efelle.
$)u gtbft ihm gerne baS ©eleit,
Ntag Sölifc unb Bonner grollen,
Unb fiibleft feine ©lut erfreut
3n beinen Nbern rollen.
ber
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9Iu3 Xrabert’3 C^cbic^tcn.
271
3u halb boch läf$t et bich allein;
Sann muf$ bein iperj erfalten,
2öenn bu nicht roeifet fein ©cbmefterlein,
Sa$ bolbe, feftjubalten.
Sa3 ift ein Äinb non ftiüer 9Irt
37ftt rounberfamen ©aben,
Sa$ bir ba£ ipöcbfte offenbart,
2Ba§ in bir liegt begraben.
©8 blicft bich traut unb finnig an,
Sa ftebft bu fid) entfalten
2luf bem ©ebanfenocean
Sie bebten fiicbtgeftalten.
©$ fenbet einem ©otte gleich
Sich au$ in blanfer 2Beb re »
3u fämpfen für ber Freiheit 9teich,
$ür ©ott unb IRecbt unb ©bre.
©ein 9tome h^ifet ©egeifterung
9tur für bie höchften 3i^c,
Sie noch int Filter !ühn unb jung
©ich ftürjt in$ $ampfgeroüble.
2öirb’3 boch einmal im Stampf mir fchtuül,
©in Xroftroort, ba$ ich bafor
©3 h^Bt: ©inft rubft bu ftiH unb fühl
Unb lang genug — im ©rabe.
Der gefallene 8tern«
$ie lieben ©teme mallen
©o freunblich unb fo facht;
Soch einen fab ich fallen
herunter in bie 9tacbt.
3cb fab ben golb’nen ©ebimmer,
Unb bann erlofcb ba$ öidjt;
3>efct fuch’ ich immer, immer
Sen ©tern unb finb’ ihn nicht.
Sie noch bort oben mallen
3n unnahbarer 3rent\
Sie fagen: Ser gefallen,
2öar beineS ©liicfeS ©tern.
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UisiO».
l?on Ä. Cra(irrt.
(Die trugst du mich auf deinen Jlügeln,
0 Craum, so wunderbar und schnell
Don waldumrauschten Rebenhügeln
Zum Gnadenhort IHariazell!
Cief war die nacht. Kein Sterngefunkel
Rat freundlich mir bestrahlt die Bahn.
Das Gotteshaus so still und dunkel —
Und doch, es war mir aufgethan.
Ich ganz allein. Und welch' ein Beben
Durchschauerte mich armen mann!
Das Gnadenbild, es fing zu leben
Und sonnenhaft zu leuchten an.
Die heilge weinet. Zähr' auf Zähre
Benetzt ihr Kleid als Chränenstrom
Und zu dem Kinde spricht die hehre:
„hörst du die Rufe ,Cos von Rom!‘?“
Das Kindlein hört sie wohl und schaute
Ins liebe mutterangesicht
Und sprach mit süfjem Crosteslaute:
„0 mutter, mutter, weine nicht!“
„Cass’ laut sie toben, stolz sie prahlen;
mein Kreuz steht hoch genug und frei,
Ulie himmelslicht hinab zu strahlen
Zu Uolksbetrug und Harrethei.
„mein leisen Petri lässt sie stürmen —
Das Zwergen* und das Riesenheer,
Und wenn sie Berg* auf Berge thürmen.
Das alles sinkt zerschellt ins Ißcer.
„Die Reinsten meiner Priester stehen
€ins mit den Uölkern, kampfbereit;
Das Kreuz und seine Bahnen wehen,
Wer fragt da noch: Wann ist es Zeit?
„Steh’ auf, steh’ auf, dich zu verjüngen,
mein Österreich, zu neuer Kraft!
Du musst den Argen jetzt bezwingen,
Der, Böses wollend, Gutes schafft.“
So sprach das Kind; da trat am himmel
Der Sonnenheld aus gold nem Chor,
Doch Waffenklang und Kampfgetümmel
Und lauter Weh’ruf trifft mein Ohr.
Ihr Christen, flechtet Siegeskronen!
Der ?eind zerstob in wilder Flucht
Und heulend singen die Dämonen:
Schwer trifft die Rache, wen sie sucht.
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]o$epb Freiherr von Belfert.
(EvlEbnilTe itnti (Erinnerungen.
III.
^eute fttcmfier fteßt, mar oiefleicßt oor unoorbeitf ließen Beiten
eine roße 5lnfieblnng, im frühen SWittetalter finben mir ba ein
Dorf mit einer ßergoglicßeti ®urg nnb einer uralten fäapcfle; ber bei biefer
angefteßte {ßriefter begog feine Sinfönfte aus ben ©eßöften beS Dorfes
Dteßribt, mo befottberS bie ®ienengucßt gebieß. ‘Den Drt nnb bie ®urg
von Stemfier erfanfte um baS 3a^r 1100 Sifcßof J{ot)ann II. oon Dlmitfc
fiir fein ®i3tßum nnb oon ba an galt für bie Stremfierer ber Sprucß: Unter’m
Srummftab ift gut mosten. 3m 3afyre 1207 befaß ber Drt feßott einen
3aßrmarft, aber fein maßreS Slufbliißen foßte er erft bent tßatfräftigcn
®ifcßof ®runo üerbanfen. Diefer begann 1260 ben ©an einer großen
gotßifcßen ftireße gunt ßeiligen s 2RauritiuS, mie bereu Dlmiiß feßon früher
eine folcße befaß; in ©ößnten ift mir feine ft'ircße anf biefen ^eiligen
befannt. 3ur SRauritiitSfircßc ftiftete ©ruuo ein Soßegiat=SapiteI; mir lefeit
in Urfunben oon einem Archidiaconus Cremeserensis, oon einem
Decanus Cremsirensis K. 3« ber Bmifcßengeit ßotte ©runo baS Dorf
Stemfier gunt SRarftflecfen erhoben, ber 1290 mit ©riiitner Stabtrecßtcu
unb einem ftäbtifcßeit {Ricßtcr begnabigt mürbe; jefct befant fi'remfier aitcß
Stabtmauern mit einem SBaßgrabeu, mit Dßiirmen unb Dßoren. 9?aßcgu
anbertßalb 3aßrßunberte oergiengen in ooßent Srieben, bi* bie fmfitenfriege
aueß über ÜRäßren Unßcil brachten. 3m 3oßi? 1421 mitrbe Sremfier oon
DioiS ©oref o. ßRiletinef nnb ben ©riiberit ©ictoriit nnb ftpnef üon
©ob£brab belagert, 1422 muffte es ben £ufiten capitulieren unb erßielt
eine ftarfe ©efaßung, 1432 mürbe cS oon bent {Raubritter Sntil oon SRornoan
iiberfaflen unb Oermiiftet, bie SQiauritin^^iftirc^e ausgebrannt. 3n biefen
Kämpfen gieng moßl aueß Dtfßribt mit feiner ©ienengueßt gugrunbe, oon
bem längft feine Spur meßr oorßanben ift. DaS ftrentfierer Kapitel mar
jefct feiner ©üter beraubt, ber ©otteSbienft in ber gerftörten fiircße unntöglicß,
Xie Äulhir. III. 4. ipeft (1902.') 18
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274
^ofepp Sreiperr oon geifert.
unb fo ^erftrcutcn fiep bic Sompernt unb nahmen neue Heimftätten, too fie
fotepe fanben, mäprenb in ber non ihnen ücrlaffenen Stabt ber UtraquiSmuS
feinen Sip auffällig. Socp niept für lange! Um 1460 merben bie ©npäitger
beS SelcpeS oertrieben, ber ©rebiger 9JtattpäuS mirb gefoltert, oor bie Stabt
gejcpleppt unb bort oon oier ©ferben $erriffen, fein ©mtsbruber (sociusi
SanicelluS enbet auf bent Scheiterhaufen. 3u Anfang beS 16. 3aprpunbertS
löst Sifcpof Stanislaus Spurzo bie Stabt unb bie Kapitclgüter mieber ein,
ruft 1508 bie Domherren jufammeit unb oerjpricht ihnen, bie Kirche perzu*
fteUcn unb ihre Sjiftenj z u fichern. @r tfjat aber menig, bie Domherren
lebten nach *°ie oor in ber SiaSpora unb cS bauerte bis 1580, mo ©ifcpof
Stanislaus ©amlomsfq bie 9WauritiuS=Sirche ooüfommen ^erfteüte unb baS
Kapitel in feine alte Stefibenj ^urücfführte. Ter breifeigjährige S’rieg brachte
neueä Unheil über bie Stabt, 1643 ttmrbe fie oon ben Schieben unter
Sorftenfon unter einem entfeplicpen ©lutbabe erftürmt, ber ©litnberung preis*
gegeben unb in 9lfcpe gelegt; bie 2RauritiuS*Sirche mürbe ihrer ffoftbarfeiten
an ©olb unb Silber unb Turneien beraubt, ber foftbarfte X^eil ber ©ibliotpef
fortgeführt; 1644 erfolgte eine jmeite, 1647 eine britte Heimfucpung burch
bie Schmeben, mobei baS Habe ber ©emopner tpeilS burch ©litnberung, tpeilS
burch ©ranbfepapung auSgefogett mürbe, bis jum ©ipfel allen UitglücfS 1659
bie Stabt Oon einer SeucrSbrunft ergriffen mürbe, melche bie dftcprzapl ber
Raufer unb Höfe in ©fepe legte. ©Sieber erholte fich bie Stabt, 1690
fchuf Sari o. fiiecptenftciu baS alte Kaftell in ein prachtootleS gürftenfcplofS
um; 1736 mürbe bie im frönen Stile umgebaute ©farrfirepe ju Unfercr
lieben grau feierlich eingemeiht, 1737 ber ©runbftein zur ©iarifteitfircpe jurn
heiligen Solenn bem Säufer gelegt. 9Wit bem Eintritt beS neunzehnten 3apr*
feunbertS füllten bie ©iirger ben ©Sadgrabeit aus, bepflanzten ihn mit
Säumen unb Sitjchmerf unb fchufen fo baS ehemalige ©ertheibigungSmerf in
einen 0rt ber ©rpolung unb Srpeiterung um. 9iocp einmal, 1836, füllte
Sremfier einen grofecn ©raitb erfahren; einige im oberften Shurmfenfter ber
3JiauritiuS*Sircpe oerfteefte ©ogelnefter mürben oon ben Stammen ergriffen,
bie fich fcpnetl oerbreiteten, ben Shurnt unb baS Sircheitbach z er flörteit, bic
©locfen z^fchmolzen. 9Kit einem Softenaufmanb oon nahezu 100.000 ©ulben
fteHte gürft=Grzbifcpof Somevau=©eecfb bie Striepe fchöner per, als fie früher
gemefen; aber oon bem urfprünglicpen ©au mar aitfeer einigen ©eftanbtheilen
ber Hauptmauern faum mehr etmaS oorhanben.
ffienig 3öh^ fpäter, auf einer gufereife, bie ich mit meinem ©ruber
burch ba% öfttiepe Söhmen unb einen Speit oon SRäpren machte, höbe ich
Stremfier zum erftenmal gefepen. Sen SReifcftorf in ber £anb, ben ^ornifter
auf bem SRütfen tarnen mir auf ber Dlmüper Strafee oon Sobitfcpau herab,
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gn ftremfier.
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als mir oor ttnS im 3^ölc bic Stöbt gemährten; bic Strafen ber fommer*
liefen StachmittagSfonne oergolbeten bic Suppein uitb Ipiirmc, glifcerten oon
beit genfterfcheiben unb glänzten non ben fauber getünchten SJtauern mehrerer
hoher, langgeftretfter ®ebäube, beren ©röfje uitb ©eftatt bem Orte faft ein
grofjftäbtifcheS Slitfehett gab. $abei toar aber baS ©an^e fo anmuthig oon
©rün umfangen, oon ©artenanlagen unb üppigen Sßiefen, oon gelbem unb
bemalbeten £>öhen, baf$ (ich f ogieich ber ßharafter einer Sanbftabt mieber
funbgab. So lag fie ba, bie mohnliche Stabt, bamalS außerhalb ber 3Jtarf=
graffchaft noch menig gefannt, im Sanbe felbft aber hochgefchäfet unb gefeiert
als Sommer=9Refibeu5 ber reichen unb mächtigen gürft'ßrjbifchöfe oon Dlmüfc,
als baS „mährifche Stom", mo bitrch einen großen Ih^^ bcS gapreS bie
gäben $ufammenliefen, melche bic Sirchengemeinben unb bic ©eiftlichfeit bis
in bie entlegenften ©egenben beS SanbeS mit ihrem geistlichen Dberhauptc
Oerbittben.
Sremfier liegt am fübmeftlicheu ®nbc eines gesegneten SanbftrichcS,
beffen fchmar^e, faft fteinlofe ^amnterbc oon gliiffen unb ©ächen reich
bemäffert mirb. gm SBeichbilb oon Sremfier nimmt bie SJtarcp oon ber linfett
Seite ben ©iefebach ©cfoa unb bie minber bebcuteitbe SJtofteitfa auf; $ur
rechten ftrömt ihr etmaS oberhalb Stemfier beim 'Eorfe ©oftupef bie $ana
ju, oon melcher biefeS fc^öne unb fruchtbare Stücf ®rbe ben Stauten £>ana,
beren ©emohtter ben Stauten ^anafett h a ^ n - jeitmeijen Über*
Schmentmungert ber £ana, bann jene ber SJtarcf) unb ber bei Stegettgüffen
rafch anfchmellenben ©etoa leiften ber ©egenb ähnliche Xienfte, toie ber Stil
bem fianbe $gppten. Xie £>attafei bringt ©etreibe aller Slrt in oor^itgltcher
©üte h^roor, ©emitfe gebest in reicher giille, faftige SBiefett tommen ber
©ichsucht juftatten; bie ©ferbe, benett ber §attafe eine befottberc Sorgfalt
^itmenbet, finb meit unb breit berühmt. ®ie Sienenjucht mirb in ber £atta
feit frühen gahrhuitberteu betrieben, $onig unb SBachS fpieltett in ben Stiftungen
oon fiirchen unb Slöftertt feine unbebeutenbe Stolle. Unb mie baS Saitb, fo
baS SSotf! 6S ift ein frifcher, fdjöner unb gefuttber SJienfchenfchlag, ber hier
gebeiht, üoll SelbftbemufStfein, ftolj auf feine fteimat unb feine £anbSmann=
fchaft, babei lieberreich unb mifcig. ®ie SJtäbchen mit ihren Stofenmangeit finb
als bie fchönften im mährifchen fianbe gerühmt. „SJettit feine |>anafinnen
mären", fagt ein Spridpuort, „märe auS ihm ein geiftlicpcS |>errfein
gemorbeit" —
Kdyby nebylo Hanäiek
byl by z n£ho panä£ek.
So gemähren auch bie jungen ©urfchcn einen hrr^erquiefenben Slitblicf,
fchlattf unb ebenmäßig gebaut, bartlofc ÜJtilchgefichter, baS Haupthaar ju
18 *
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176
3ofep& Freiherr oon Jpelfert.
beiben Seiten hinter baS Ohr geftridjen unb nur ober ber Stirn uacf) att=
flaoifter Sitte furjgeitnitten. 3Ran muffte fic fehen, menn fie am Sonntag
$ur $ird)e giengeit, auf bem Raupte ein runbeS, mit rotten ©änbern unb
friftem NoSmarin geftmücfteS £üttein, eine fyeflgrüne, mit fugelrunben
Silberfnöpfen befäte 3a<fe, littrothe ©einfleiber, bie in ben bis an baS ©nie
reic^eitbeit Stiefeln ftecften, um ben 2eib einen breiten, oon fteinen Spiegelten
fümmernben ©urt. So mar 1848 burtauS ihre Xratt; ob fte eS ^eute
not ift, wo aöentalben baS ftäbtifte SBefen um fit greift unb bie uralten
©ebräute auffaugt nnb üerftminben matt, meife it nitt 51 t fagen.
Ter £aitafe ift offen unb ohne galft, er lebt in länblitem 2Bo $U
ftanb unb läfst fit beiteiben Don feinen minber begliicften SanbSleuten.
„3Benn mir eS bot nur 1° hätten mie bie £>anafen!" heißt eS in einem
mähriften ©otfsliebe. Suhlte fit bot ein ®t u f e ^ 0 » ber gemifs nitt
gern nat fi'remfier gegangen mar, bei SBahruehmung beS gefegneten Sattb*
ftriteS unb beS aufgemecften ©ölftenS, baS ifjn bemoljnte, fo angenehm
berührt, bafS er fit nittS beffereS einbilben tonnte, als ein ausgiebiges
Stürf ber fruttbaren £>ana $u befipeit unb bann aus Dollem £erjeu 51 t
fingen: „Beatus ille etc.“ Tot ber Jpaitafe ift aut muthig unb tapfer, er
bat fit in alten unb neueren Seiten als Solbat ftets bemäbrt; baS „galtet
ffiut, fmnafen — Drite se Hanäci", momit Oberft Sunftenau feine fampf?
begeifterte äRanuftaft im lebten gelange gegen bie Sßälften führte, mar
bamalS not im 9Runbe oder Seute.
©orroft hatte im October in SBien bie Befürchtung auSgefproten,
ber SReit^tag merbe „in Sremficr fctifiert merbeti," ein s 2luSfpnuh, 9 e g en
meltcn ©raf 2 lbam ©otocfi fogleit ©ermahrung einlegte: „9ßir gehen
ja Don ber ©leitberettigung ber Nationalitäten aus, mir füllen nitt Don
detifierung, nitt Don ©ermanifierung fpreten", unb aut®t u felfa rügte
eS, „fit in Necriminationen gegen Nationalitäten einjulaffen". ©orroft
modle fit entftulbigen, adeiit maS er jefct oorbratte, mar not ungefticfter
als baS maS er früher gejagt hatte. Übrigens hatte ©orroft bajumal mie
ein ©linber Don ben Farben gefproten; moher fodte er aut bie fmnafeit
näher tennen? Sanatifer mar ber £>anafe nie, baS liefe fton fein jum
©hfegma hinneigeitbeS Temperament nitt 51t. 6 r fprat feinen böhmiften
Tialect, meil er eben feinen anbern fanntc, unb er nahm Dom Teutft ber
benatbarten Stäbte nittS au, meil er in feinen ©erhältniffen, bie ihm
adeS bieten, maS er 511m SebenSgcnuffe brautt, fein ©ebürfniS bamat
fühlte. ®r fang feine böhmiften Sieber, meil fie ihm Don ftinbSbeinen lieb
unb gemohnt maren; aber eS fiel ihm nitt ein, in einer ©efeba ober in
einem (Soncerte, mie baS in ©Öhmen längft ber 3ad mar, fit bamit oor
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Sn ftremfier.
277
anbcrcn Scuten pöreu unb bemunbern $u taffen, ©r mar ein Nationaler,
boep er patte niept baS ©ewufstfein ber Nationalität, nodp weniger ben
2>rang, für fie Slnpänger $u werben. 933aS baS fei, lernten bie Banaten erft
fennen, als ber NeicpStag mit feinen oielen böpmifdpen Slbgeorbneten in ipre
SRitte tarn, unb barum liefe fiep eper fagen, bie |>anafei werbe burdp ben
NeiepStag deepifiert, als umgefeprt. Senn ©trobadp ober Stieger einen SluS*
flug in bie Umgegenb machten, befamen bie ©emopner erft $u pören, was
rein böpmifcp fpreepen Reifet. Ober eS würbe eine Sefeba naep beftem Präger
SRufter oeranftaltet, unb wenn bann ©rauner in iprer 9Ritte erfepien unb
ein paar Sorte in feiner fernsten Seife an fie richtete, ba liefeen ipm bie
Banaten einen Xufcp blafen, poben ibn auf ipre ©cpultern unb trugen ipn
trinmppierenb im ©aale perunt — ba erft tarn baS redete Seben in fie
unb lernten fie, was eS l)eifee r fic£> für eine Nation unb eine ©pradpe
begeiftern!
SaS Sremfier felbft betraf, fo war eS faft eine beutjepe ©tabt. 9lfle
©epulen ber ©tabt, bie SRäbcpeniepule niept ausgenommen, waren beutfep
ober wanbten ber beutfepen Sprache eine befonbere Sorgfalt $u. Sn ben
ftangteien Würbe bnrcpauS beutfd amtiert. Sn ben Steifen ber perrfepaft*
fiepen Seamteit, fowie in ben befferen ©ürgerfamilien waltete bie beutfepe
©onberfation entfepieben oor. Senn eine wanbernbe Scpaufpielertruppe ©elb
ntaepen wollte, mufSte fie beutfepe ©tücfe auffiipren; eben in ber «Seit, wo
ber NeiepStag in Sremfier tagte, war bieS ber Saß. ©eit ben SRärgtageit
feplte eS in ber ©tabt niept an fcpwarj^rotp^golbenen 9lbgeicpen, unb es
patte in ben abgelaufenen Ntonaten fo ntanepen StnlafS gegeben, wo bie
©emopner ipre eept beutfepe ©efinnuitg bewäpren tonnten. $aS alles würbe
nun burep ben NeicpStag jWar niept mit einem ©eplage anbdrS; aber für
bie eprfamen ©iirger, ipre grauen unb Söcpter war es boep etwas neues,
feine unb gebilbete Herren gu fepen, bie eS niept nur niept oerfepmäpten,
fiep böpmifcp 511 grüfeen, fonbern bie einen 3tolg barein festen, fiep böpmijep
311 geigen. 3llS in Sremfier ein ©aß „ 511 m ©eften ber Natioualgarbe" gegeben
würbe, erfepienen bie jüngeren ber böpuiifepcn 2 lbgeorbneten in ber ©aniara
ober boep mit böpmifcpen 9lbgeiepen; Xängc unb giguren würben oon ben
s 2lnSfepüffen in böpmifeper ©praepe angegeben, unb bie fepönen Sremfiererinnen,
üon SinbSbeineu gewopnt, im gefcßfcpaftlidpen Seben möglidpft beutfep gu
erfepeinen, maepten grofee s 2 lugen, als bie flotten länger ipnen gumutpeten,
auf böpmifepe $lnrebe böpmifep 511 antworten. 9lber verba movent, exempla
trahunt, baS ©eifpiel wirtte, unb wenn in ben folgenben SNonaten SNitglieber
ber Necpten auf bie ©aleric beS NeicpStagSfaaleS pinaufblicften, tonnten fie
bei niepr als einer ber guporerinncu ftatt eines fcpmar^rotp-golbenen Stuf*
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278 gofepp greiherr oon eifert.
pupeS toie oorbent, einen weiß-blamrothen im Vanbe ober in ber Stofette
wahrnehmeu.
ift fd)on erwähnt worben, baf$ bie Stabt firemfier, trop ihrer
weit znrüdreichenben Vergangenheit, wenig mehr befaß, waä an biefe erinnern
fonnte; fie war eigentlich eine mobeme Stabt z u nennen. 9Soit altem
öeftanbe waren mir wenige SRauertheile ber großen unb fchönen äRaiiritiua*
Kirche, bie Stabtmauern unb Ztyoxt, foweit fie noch erhalten waren, unb
bie allgemeine Einlage ber Stabt. 'Tenn gleich ben größeren böhmifchen
Stabten, wie ©ilfen, Vubweiä, CaSlau, hot firemfier einen großen oier*
eefigen „Sting", auf ben oon allen oier Seiten, meift im rechten SSintel,
bie Lauptgaffen münben. Much bie an ben Läuferreihen be3 StingeS 1)\\u
laufenben „Saubeit" finb eine ©igenthümlichfeit, welche ältere böhmifd)*
mährifche Stäbte mit obcr-italienifchen, namentlich ©abita, gemein hoben.
fotlte biefe Vauweife erhalten bleiben, nicht bloß aus ©ietät für ihre
ehrwiirbige Vergangenheit, fonbent auch wegen ihrer Veqnemlid)feit, ba fie
bei fchlechtem ober bei unerträglich heißem Söetter ein fchüpettbe£ Dbbach
gewährt, fei e3 für ben bloßen Spaziergänger, fei e3 für bie eiutaufenbe
Lau^frau. Denn ein zweiter Vortheil folcßer Sauben ift ber, baf$ fich unter
ihnen ba3 Verfehrälebeti concentriert, alle Mrten oon SebenSmitteln, aber
auch anbere ®ebraud)3gegenftänbe zur Schau au^geftellt unb zum Verfaufe
auägeboten werben.
Öanbftäbte oon ber ©röße unb Veüölferung firetnfier'3 gibt e£ mehrere
in SRähren; aber eine Öaubftabt mit fo großartigen Vauten, fo auägebeßnten
unb funftooHen Mnlagen wie ba3 mährifche 9tom, Wirb man nicht leicht
Wieber fiitben, unb all biefen Schmud oerbanft firemfier bem Dlmitper ßrz*
biSthum unb beffen pradhtliebenben Stupnießern. ©leich bem giirften Schwarzen¬
berg aU L cr 5°9 öon ßrumau unb bem gürften Sfterhäzh z u gorchtenfteiu
haben bie gürft-@rzbifchöfe Don Dlntitp ba$ Stecht einer eigenen 9J?iliz, unb
fo fieht man in firemfier gegenüber bem Loupteiitgange ber Kefibeuj eine
Lauptwache mit zwei fianoneu, bie äWaunfchaft in Uniformen in ben erz s
bifchöflichen garbeu. Da£ Schloff fclbft ift ein coloffaler quabratifcher Vau
mit einer Unzahl oon größeren unb Heineren Stäumlichfeiten. Der Loupt=
faal, ben, wie wir wiffen, geleit z«m Steid^tagafaal hergerichtet hotte, geht
bureß zwei Stocfwcrfe, fein ©lafonb ift mit allegonfchcn Darftellungen im
Stile be£ fiebenzehuten unb achtzehnten gahrf)unbert£ auSgefchmitdt, alfo
wenn nicht oolle Stubitäten nach claffifchem SJtufter, hoch Lalb*9tubitäten in
ffltenge. Much bie aubereit größeren Säle, ber Sehtifaal, ber Vibliotheffaal,
ber Dh^nfaat finb reich mit MJanbntalerei au$geftattet, unb wohl feinet ber
Meinen Mppartementä, ber SBoßn- unb Schlaf- unb grembeu=3*otmer ift
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Bn ftremfier.
279
ohne Siunftgegeuftäube, fei e« bcr SRalerei, fei e« ber Sd)ni£erei, Uhr*
ntacherei ic. Slußerbent eine Heinere unb eine größere Vibliothef, ein trefflich
georbnete« Sirrin, eine Sttünjen* nnb 9Kebaillen=Sammlung n. a.
Sin ba« Stefiben^©ebäube ftöfet ber s ßarf ; nach bem Siechtenftein'fchen
non ©i«grub ber größte unb fdjönfte be« Sanbe« ®?ätjren, in melchem man
fid) ftunbenlang ergeben famt. ®r ift in englijdjem Stile angelegt. Von
einem Slrm ber SJtarch begreujt, non einem anberen burchftrömt, bietet er
eine munberbare Slbmech«lung non Saubgängen, feßattigen ©ebol^eit, anmutigen
Söiefen, non Heineren Reichen, non größeren mit Unfein, non ßa«caben unb
aüerfjanb SSJafferfüuften. ©inige Seiche, im SBinter treffliche ßi«pläfce, finb
im Sommer luftig non Schwänen unb ©nten benöltert. ©in non leichtem
Trafjtgitter umfriebeter Vlaty beherbergt eine Slnjahl Siehe; unter einem
anberen, non einem mcit gekannten Siefce überbeeften, tummeln fich bie
prachtnoüften ©olb* unb Silber-gafaneu; in mit ftavfcit ©itteru nach bont
abgefchloffenen 3el«nerließeit häufen Slbler, Uhu« unb aitbere Staubnögel;
für fcheue Bitdjfe finb in einer Vertiefung eigene Jütten angebracht, Sa^mifcheu
alle«, ma« fid) an öuftbauteu ber nerfchiebenen Völfer unb ©rbftriche anbringen
läj«t: eine halbfrei«förmige borifche Säulenhalle, ein &io«f, ein greuubfehaft«*
tempel, eine ©remitage, ein Vlumenthurm, eine 3ri* s , eine Vhautafie*, eine
2aternen*Vrürfe; non bem griechifchen Xentpel mit ber „Slula" unb bem
„Büfter" mar fchoit bie Siebe, ©tma« abfeit« non ber Stabt, mit bem
englifchcn tyaxt burch eine Vappdaflee nerbuitbcit, befinbet fich rin jmeiter
großer ©arten, in fran$öfifchem Stile angelegt, mit ©emäch«häuferit, einem
SBaffertunfthau«, einer prachtnotlen ©alerie, einem fleiueit, aber tüdifchen
Öabprinth u. a. nt.
2 .
Vom 27. Siooember 1848, alfo non bem Sage, mo ba« SRinifterium
Sdhmarjenberg^Stabion feinen erfteit parlameittarifcheu ©rfolg errungen hatte,
batierte ba« Xecret, montit mich Stabion in ft'enntni« fefcte, baf« mich
Se. SJiajeftät mit ?lüerhöchfter ©ntfchließung nom 23. ^um Uuter=Staat«*
fecretär im Unterridjt«=3Kinifterium ernannt h a ^. ©in paar Sage fpäter
fam mir ein leeret anbern Inhalt« ju. ©« mar au« Mrafau nom
11 . Cctober batiert, mar alfo mehr a(« anberthalb SJiouate in ber 9Be(t
herumgeirrt, über Sßien, über Vrag, über Dlmüfc, bi« c« mich sule^t in
.Hremfier traf. Ser Statthalter non ©alijieit Siitter non $ale«fi-gab
mir barin ju miffett, baf« in Jpinfunft „an ben £)ochfchuleit in ©ali^ien ber
Unterricht in polnifcher Sprache crtheilt unb ftatt ber $um Vortrage in
biefer Sprache nicht befähigten 2ef)rcr, hi^n taugliche Subjecte berufen
mcrbeit" foHteit.
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gofeph greiherr oon geifert.
■5hm, meine (Ernennung sum Unter*StaatSfecretär in ber Safcfte,
tonnte ich meine (Enthebung oon ber ftrafauer Se^rfanjel oerfchntersen. 3n
S33a^rt)eit hatte nicht halb jemonb in ber ©ahn feineö ©erufeS einen getoal*
tigeren Sprung gemacht: oom prooiforifchen unb fupplierenben Profeffor
5 itm „Vorftanb aller profefforen", mie mir p. gohann gabian, ber alte
greunb meines Kaufes, aus Salzburg fc^rieb, unb oom prooiforifchen Sup*
plentengeljalt oon 900 ©ulbeit 51 t einem befinitioen oon 6000 ©ulben mit
1000 ©ulben Quartiergelb! 9Wich f)at, biefeS 3?ugniS barf ich mir geben,
mein ©litcf nicht oerblenbet; bie Stellung, bie ich fo unermartet errungen,
mar mir mie ein äuftereS ©ctoanb, baS mir eben mieber abgeftreift merben
tonnte, eingebenf ber Söorte Schillers:
So beleuchtet ber ©M'trbeu ©lanj beit Sterblichen üJtenfchen,
sticht er felbft, nur ber Ort, ben er burcbmanbelte, glänjt.
$afS ich mich in meine neue Sphäre nicht gleich h'neinfinben tonnte,
mirb man begreiflich finbcit. ®er Unterfcbieb jmifchen bern, maS ich bisher ge*
mefen, unb bem, maS ich Kftt oorftellen foHte, mar 5 U grob. Sch hatte ntich
an baS Seben eines frieblichen Stubengelehrten gemöhnt, ber beS Borgens
bequem in feinem Schlafrocf nrtb in feinen Pantoffeln bleibt, bis ihn ber
©locfenfchlag auf feinen Öehrftubl ober fonft 51 t einem ©efchäft aus bem
«'pauie ruft. $er geneigte fiefer erinnert fich mohl beS tomifchen Auftrittes,
ba ich in biefer Verfaffititg oom OfficierScorpS ber Siremfierer ©arnifon
iiberrafcht mürbe. (Erft fpäter, als ich SRubolf ftirfch’S Seben Stabion’S
las, h^ iä) ntir es jur Pflicht gemacht, mich gleich beS SRorgeuS für beit
ganzen Xag anjujiehen.
Einige Verlegenheit bereitete mir anfangs meine neue Stellung folgen
perfimlichfeiten gegenüber, bie noch oor fur^er 3 eit über mir geftanbeu
hatten ober 51 t beiten ich aus ber Seit meiner iieh r i a ^ rc ntit einer Art
rejpcctoollcr Scheu hinaufjublicfeit gemohnt mar, mie @jtter, meinem jefcigeit
9Jtiniftcrialratb, ober $aimerl, meinem ehemaligen geftrengen Profeffor,
ober gar bem ©rafen Xaaffe gegenüber, oor bem ich oor Saljr unb lag
als Supplicant crfchiencit mar, unb ber fept in feiner (Sigenfchaft als
Kurator bcs XherefiauumS unter mir ftanb.
©ratulatiouen regnete eS je$t natürlich oon allen Seiten. $er gute
profeffor gabian brachte mir feinen „aufrichtigen ©lüefmunfeh mit greuben,
aber auch mit einer gemiffen SBehmutp" bar: marum tonnnte meine SRutter,
bereit Siebliitg unb Stol 5 ich war, biefen Xag nicht erleben? Söarunt mufSte
mein Vater eines plöfclichen 2obeS baljin fterben, fürs oor bem politifchen
Umfchmung, ber feinen Sol)tt fo überrafcheitb emporfchnetlcn foßte? SBarum
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3n kremfter.
281
mar mein tfjeurer ®mmi nic^t mehr am Seben, bafS er fidj an bem ©lüde
feinet älteren SruberS erfreuen, fich beffen gegen anbere rühmen fonnte,
ohne 9?eib unb Sdjeelfudjt, bie fein treffliches #er$ nicht fannte? 9Ke^r als
einer meiner Sugenbfreunbe fchlug einen ähnlichen Ion an, gebuchte bei
feinem ©lüefmunfehe meiner „öeremigten 9Wama", mie fie „in einem Augen*
bliefe Don clairvoyance " über meine «ßufunft gefprochen, ober erinnerte mich
an bie Sugenbjeit, bie mir miteinanber burchlebt. 1 er SanbSmaun unb
langjährige Sfeunb meines feligen S3aterS, S JJ. £öniger, ber mich tmn
SinbSbeinen an bu$te, fd^rieb mir, nachbcm er in ber 3^itung meine ®r*
nennung gelefen, al§ echter fianjleimann in golio unb fprach mich mit
„®uer hochgeboren" an, morüber ich ihm einen freunbfchaftlichen SBifcher
unb bie SWahnung jufommen lieh, er möge eS hoch beim Sitten laffen.
s 4$. £>öniger überbrachte mir auch bk ©ratulation beS Frager SBeihbifchofS
lippntann. Ir. Sranj ©itlben, mein SJiitfchüler oom ©pmnafium her,
oerficherte mich, meine ©ritennung h a &e in v $rag allgemeine Sefriebigung
erregt: „lafS In baS IMinifterium auSfdjlugft, h a t leinen Stuf nur uer*
mehrt unb um biefer ©efcheibeuheit mitten baS öertraueit für ben fünftigen
s JMinifter fchon jum öorauS begrünbet." Aufrichtiger mar mein Schmager,
heinrich Süguer, ber mir mittheilte: „©emiffe Unter*Staatefecretäre fönneu
(ich bereite oieler Sieiber erfreuen."
' lie meifteit ©ratulanten fnüpften begreiflichermeife an mein Auftreten
im Reichstage an. 1 er f. f. ©ubernial^onceptS^-ßracticant ©uftat) ft n b i n*)
mar lanbeSfiirftlicher ßommiffär bei meiner 2öal)l in lachau gemefeit: „©önnen
Sie mir baS Vergnügen," fchrieb er mir jept, „Shnen bezeugen 511 biirfen,
bafÄ mich 3br Auftreten in ber Kammer mit Semunbentng erfüllt hat."
Star! geltl erzählte mir, mie in Semberg meine Spaltung im Reichstage
bei allen Rechtlichgefinnten, „auch unter ben s ßolen", ungetheilten Beifall
gefunben höbe. „Riit mahrem Stolze trat ich manchmal unter eine ©ruppe-
tmn 3eitungSleferit, menn fie fragten, mer mohl biefer Ir. geifert fein möge,
ber fo gefunbe Anfichten eittmicfle, unb ich faöen fonnte: »®in ÜRitfchüler
tmn mir ift'S!«" 2BaS mich befonberS freute, mar, maS ich öon einem meiner
früheren ^rofefforen erfuhr. „^Srofeffor Romaf", fchrieb mir Victor §anS'
girg, „fonnte mir nicht genug fagen über bie Schärfe unb ftlarbeit, mit
melcher In Unterfcheibung unb Siicht in bie RobotablöfungSfrage gebracht
haft." Audh oon anberer Seite üernahnt ich, baf$ Romaf meinet £obeS
00 a fei.
©eftorben als Sreibcrr, s 2 tfirfl. ©eheimer Rath unb lebenslängliches SRit’
glieb beS frervenbaufeS.
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282
3ofeph Jreiljerr oon geifert.
3Boh* hatte ich für meine Sertheibigung beS SntfchäbigungS*©rincipS,
für meine Abweifung ber ungarifchen Deputation manchen Ungtimpf erfahren,
mtb noch mehr ftanb mir jefct beoor, mo mich mein ©lütf auf einen fo
fidjtbaren Soften gefteüt hatte. SejonberS bie „Deutfche 3eitung auS Söhnten"
^og heftig gegen mich obmohl fic oon einem meiner ehemaligen Speji
5ran$ ®lier, ^9Kt)Iorb SB^ifterfietb", rebigiert War. Der fromme ©. Sltha=
uafiuS Sernharb, Cffegger unb ©rofeffor ber Dheotogie in Seitmerifc,
tröftete mich barüber: „ Seien Sie überzeugt, bafS eS noch immer fehr t>ie(e
.perlen gibt, in benen 3hw SBorte toieberhaflen. Alles ©ute gebeizt nur
im langsamen Gingen. Die Stofen blühen nur auf Dornen. AriftibeS
mürbe oerbannt, meil er gerecht, SofrateS üergiftet, meit er mahr mar,
3efuS ShriftuS, bie emige üiebe, aitS Sfreuj gefchfagen. Sin Heiner Dheit
Sitterfeit mirb jejjt auch 3hneit jutheil, meil nicht bie bloß negatioe Freiheit,
fonbern auch $Re<ht unb SSiüigfeit für Alle baS 3*el 3h re $ Strebend ift.
SBofle ©ott Sie ftarf machen unb fchüfcen; beitn ber Sturm ift noch nicht
oorbei unb bebroht leiber bie herrlichften Säume. Seien Sie Ocrfichert,
oiele fromme SBünfche auch oon hier aus begleiten Sie, unb ich werbe nicht
aufhören, bie Sarmher^igfeit ©otteS für Sie anjufleheu. Sr allein fann
nuferem lieben Öfterreich helfen!"
Aufter ©rag unb meiner böhntijdjen Heimat mar eS mein lefcter
Aufenthaltsort, mo meine Srhebnng baS größte Auffeheu erregte, „©an^
ft'rafau," fchrieb mir ber launige fiöftler. ,Jehaute bei ber Aachricht oer*
blufft barein; nur Srobomiej unb SlotmirtSfi mollten eS Dir gleich
oon Anfang angefehen haben, bafS Du 511 etrnaS ©rofeern beftimmt bift."
ft’öftler felbft meinte, eS munbere ihn gar nicht, bafS ich UnterridjtSminifter
gemorben: „DaS ift einmal fidjer, in einem Stüde brauchft Du feinen
Unterricht, fonbern fannft einen geben: mie man eS anjuftefleu hat, um
Sater 511 werben, bariu ^aft Du in möglichft furjer 3eit baS Unglaubliche
geleiftet!" 3m Safiuo ber Auftripafen, mit unb ohne Säbel, baS ich mit*
begrüitben geholfen, mürbe eine SriiuierungStafef an mich an einer heroor*
rageubeu Stelle angebracht unb gefchmiidt.
Übrigens mar jener ft'reiS, in welchem ich in ftrafau fo oiele frohe
Abenbe oerlebt hatte, fchoit bebeuteub gelichtet, unb mürbe es mit jebem Dage
mehr. SBir ©rager ©rofefforen maren bie erften gemefen, bie fchon im
Sommer bie Stabt oerlaffeu hatten. Salb barnach mar ©olijeUSommiffär
©abriel nach fiemberg überfejjt morben. 3m Dctober mar baS Sataillon
Schönhals, in welchem ich niete unb herzliche Sreunbe hatte, gegen SBieu
gezogen unb hatte am 28. in ber Sägerjeile fchmer gefämpft. Den braOeit
unb lebensluftigen Sarou Schneiber 0 . Arno hatte nur feine Dafchenuhr
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gn Sreinfier.
28 H
gerettet, oon meldjer eine feinblicbe Sugel abgepraflt mar; ber maefere
^auptmann I^eobor o. Tbeobalb mar tobt, £>auptmann Heinrich 2 Biebe=
mann unb Sieutenont gofepb ^einolb mären uermunbet, ebenfo &aupt*
mann ®rnft ©patni, nnb jmar biefer ferner: eine Sugel batte feine
Siunlabe getroffen, mar barin fteefen geblieben unb muffte ihm berauSgebolt
merben. ©£ mar ibm Rettung oerbeißen, menn er ftrengfte Stube einbielt.
Ta3 fiel nun bem SKanne febmer, beim er mar ein unermüblicber ©tauberer.
6 r b^it ficb, fo lange er niemanb um ficb batte; allein ba trat fein
„©urfebe" — fo hießen barnalS bie Dfficieräbiener — in$ Zimmer, ©patni
tonnte ficb nicht bedingen, ibm einen ©ermon 51 t halten, bie SEBunbe brach
auf unb bie fjolge baüoit mar fein lob; fo bat mir einer feiner Sameraben
erzählt. ge^t ftanb ber Sinmarfcb in Ungarn beoor, ber einen meitereit
Tbeil ber ©arnifon oon Srafau fortfübren foflte. Unb fo batte ber luftige
Stegiment£ar$t faft nur noch feine £oben 5 oflern=@beoau£(eger£. „Au ©eblif",
flagte er mir, „habe ich, fotuie mir äße* febr oiel Oerloren. geh Jomme
mir jefct bi er oor mie ba$ lefcte ©latt eine» Säumet, ber fo fd)öne ©litten
unb Früchte getragen, unb ich f e b e mich bemüffigt, neue greunbe 51 t fliehen;
beim ich fann nicht leben, ohne mich an jentanb bereich anjufebüeßen."
Tiefe muf£ er gefuitbeu haben, ba er mir einige 3eit fpäter fchrieb: „3n£
Safino gebt fein üKenfch. geh gebe jumeilen glän^enbc Soireen — bei
SBiirftel unb Dfocjiner ©ier —, mo man lacht, auch deiner immer gebacht
mirb. Sn ber ©ifenbabn^Steftauration ift e3 jeßt leer, ich bin feiten bort,
ba nur jmei Serie biatommen, bie $u aflem ja fagen, nicht metten unb
feinen ©bantpagner trinfen." Tabci batte er mir immer etma§ SuftigeS ju
berichten, jum ©eifpiel über bie Art, mie fich ber Srafauer bemofratifche
grauenoerein auflöste. Ta3 gefchab nämlich, menn man bem @<half aufä
2 Bort glauben burfte, fo: bie grau ©räfibeittin mahnte in einer ©ifcnng,
bie £>au£frauen faßten ihre Tienftboten gut erziehen, inSbefonbere fie lefen
unb fchreiben lehren, morauf ein ßJtitglieb ber ©erfammlmtg ermiberte: „Sbre
Tochter famt meber lefen noch fchreiben, unb bat fchon ein ftiitb, ohne
oerbeiratet 311 fein." Tiefe gnterpeßatiou machte bie ©räfibentin fo confuS,
baf$ fie fofort ben Sommanboftab nieberlegte. . . .
©neu unferet* lieben greunbe, bie au£ Srafau gefchiebeit maren, fal)
Söftler 3 U feiner großen greube halb mieber, menn auch nur auf furze 3 eit:
c$ mar ©abriel, ber in Tienftangelegeubeiteu üon fiemberg nach SBieu reifen
nutzte. $n Srafau mar Aufenthalt oon etma einer ©tuube, ben ©abriel in ge*
jeßigem Streife in ber SJeftanration beä ©abnßofe^ jnbrachte. Ta mürbe auf
ber SRücffeite einer ©peifefarte eine Abreffe an mich entmorfeu unb unter ben
S längen ber ©oltebbntite unterzeichnet. „Ten Stoff zu unferer ©egeifterung
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Qofep^ oon geifert.
284
lieferte un3 jener gute Srcuub’* 6 ), ber ©abriel nnb mir Ebampagtter aatjtt,
fo oft unb fo tuet mir moüen." ©abriet foüte nun bie Slbreffe mit ficb
neunten unb mir, fobalb er mit mir aufammenträfe, übergeben.
♦ *
*
Sie ©liicfmünfcbe, bie mir juftrömten, maren feßr häufig mit aller=
panb Anliegen oerbunben, bie bem ©ratulanten am #cr$en tagen unb für
bereu Slbßilfe er meine ©önnerfdjaft in Slnfprucb naßm. „Senn Xu bift ja
jefct," mie ficb Victor £an3girg bicfjterifcf) au£brücfte, „ein fitöfuä ber
3eit gemorben; beglüefe boeb bei bem ©olbquefl, ben Xu Sir felber gezaubert
burdb S'raft unb burep SJiutb, auch einen armen Xeufel mit einem Dboluä."
Einer ber erften, bie meine Vermeidung in Slnfprucb nahmen, mar
mein Eoufin Dott mütterlicher ©eite, ©uftaD ©cb rein er, älterer Vruber
jener beiben, Don benen ich früher einmal erzählt habe. ©uftao mar ein
©pracfjtatent Dom erften Stange, er batte a l3 ©pmnafiaft ba£ Strabifcbe Don
Orientalen gelernt, bie ficb in ©ra^, ich meiß nicht ob ©tubien ober Jpanbete'
gefebäftebatber, einige 3^it aufgehalten batten, unb mar bann in bie Drientatifcbe
Slfabemie $u SBien aufgenommen morbeit, mo er nebft ben orientatifeben
©pracben alle bebeuteubeten europäifeben fennen unb fpreeben (ernte; nur bie
flaoifcben unb rumänifeben nicht, benn auf biefe mürbe in ber Stnftatt nicht
geachtet, als ob eS auf ber Valfan*£>albinfel, bie und boeb am näcbften
liegt unb mo Diele Zöglinge ber Slfabemie ihre fünftige Vermenbung finben,
außer ben Surfen unb ©riechen nichts anbereS gäbe, ©o mürbe auch mein
©uftaD, naebbem er feine Surfe mit 2lu£$eicbnung Dotlenbet batte, in
Eouftantinopel Dermenbet, mo er für’* erfte ben nicht febr turnen Xitel führte:
„ft'aiferl. fönigl. Eonftantinopolitanifcber ^nternuntiatur=So(metfcb'©ebilfe^.
Gr mar Don einem fabelhaften Seicbtfinn, batte nie ©elb unb immer ©cbulben,
befaß aber babei, mie bie* bei ^erfonen folcben Schlaget $u fein pflegt,
einen SSifc, eine Saune, eine UnterbaltungSgabe, bie ihn überall beliebt
machte; menn er fo recht belieb lachte, mufSte man uumillfürlicb mit ihm
lachen. 2US er eiuft bureb Silben fam, mo bantalS s J5rofefcb = Often unfer
©efanbter mar, führte biefer eine größere ©ejeüfcbaft auf bie SlfropoliS,
Don mo man auf bie Stätten einer haebberühmten Vergangenheit b^rabblicft.
„Sehen Sie, meine sperren unb Samen," fagte Vrofefcb mit VatboS,
unferen ftüßen haben Sie bie Slfabentie, Don ber alle Slfabemien ber SBelt
ben Stauten haben; bort mar baS ©pmnafion, Don bem alle ©hmnafien ber
2l*elt ben Stauten haben; meiter baS Spfaion, dou bem alle Sqcäen ber
*) SBenn teb nicht irre, Graf So nt utero, Cberftlieutenant bei Sbobenjoüern-
GbeoauylegerS, roo Slöftlcr StegimentSarjt mar.
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3n Mremfter.
285
SBclt bcn tarnen haben." „Unb bort," fagte ©nftao mit etrnaS gebämpfter
Stimme 511 jenen, bie ihm 3unädjft ftanben, „gemahren Sie bie 3 nfe(
Salamis, non ber nfle Salami ber SQSelt ben Flamen haben." Natürlich
fchaüenbeä ©elächter, ohne bafS s J$rofefdj muffte, maä baju ben Stntaiä gegeben
hatte. s flei all’ feinem iieicfjtfinn mar ©uftaü ein braoer SJlenfch unb eine
treue Seele. 3 n ben 3 ah*en, bie er in 2 öten jugebracht hatte, mar in beut
oermögficheren SRittelftanbe eiltet ber glänjenbften .fmufer ba 3 be* ©euerat*
Stab^arjte^ o. 3§}arbinf, 311 beffen lod)ter mein ©oufin eine ernftere
Neigung gefaxt hatte. Wittlermeile mar ber £>au£oater geftorben mtb e#
hatte [ich gejeigt, baf^ nid)t 3 tmrhanbert mar; bie JJrau, ba£ birecte ®egett=
theil einer guten SBirtin, hatte nicht bloft bie (aufenben ©infiinfte auf¬
gebraucht, foubern fich auch ba£ jn berfchaffen gemufft, ma$ ihr Wann
erfpart mtb ^uriicfgelegt hatte, tiefer ®lütf 3 med)fel übte jebod) feinen ©ittfluf*
auf bie ©ntfdjlüffe ©uftab'8 unb er freite um bie £mnb ber früher gefeierten
unb nie! umtoorbenen, jept allen ©laujeä beraubten ©eliebten, bie nebftbei
nichts meniger al# hübfd) mar. @r hatte fich einen halbjährigen Urlaub
erbeten, hatte einige $eit in feinem' oäterlidjen ,'paufe in @1*03 3ugebrad)t,
mar in bcn lebten Dctobertagen nad) SBien gefommen, mo er a($ oerbädjtig
001t ber Wobilgarbc abgefangen unb auf bie 8lula gebracht mürbe unb
©efahr lief, al 3 Spion behanbelt 311 merben, bi 3 c* ihm gelang, unter ben
Slfabcmifern einen ©ürgeu auf3utreiben, auf beffen 3eugni$ mau ihn entlieft.
3 Ba 3 er jeftt anftrebte, mar, einen felbftäubigeu ©often 31t erhalten, um feine
©raut heimführen 31t fön neu, unb bafiir füllte id) bei meinem jepigeit
„Kollegen", bent Winifterpräfibenteu, meine 3ürfprad)e einlegen. 3d) that ee,
aber id) meift uid)t, ob id) mir nid)t baburd) ein ©uttheil ber ©unff, in
ber ich bi£ bal)in bei Schmalenberg geftanben hatte, uerfcher^t habe; benit
erft nadjträglid) mürbe id) aufmerfjam gemacht, baf» bem dürften nichts
mehr 3umibcr fei, al£ s .Repoti$mu 3 unb ©rotectionamefen
$a* Anliegen meinet ©etterä ©uftao mar jeboch nur ber Einfang,
lag für lag brachte mir bie s 4>oft Briefe unb ©ittfdjreiben, mie in einem
®inreichung$=©rotofofl. ©3 fei mir geftattet, einiget baoon ai^uführen, meil
ber geneigte Sefer barau» bie auf* unfid)cre geftellte ^age erlernten mirb, in ber
fich bamal$ faft jeber befanb, ber uid)t 0011 feiner .'pänbe Strbeit lebte.
©£ mar ja burd) bie uoratt*gegangenc SReoolution fo gut mie alle* über ben
.paufen gemorfen, unb Weites muffte an bie Stelle bc* früheren gefeftt merben.
Xurd) ba* patent 00m 7 . September mar bie llntertbäuigfeit unb bamit
bie s J8atrimonial-©ericht^barfeit aufgehoben, unb bie Soften aller 3ufticiärc,
Spnbici unb Wagiftrateräthe fd)mebtcu in ber Suft, menn c$ ihnen nicht
gelang, in ben Staatebienft aufgenommen 31t merben. Slber auch fielen
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286
^ofepb 5 re ^ crr ÜOn Jpelfert.
Staatsbeamten fcbmanfte ber ©oben, auf beut fie bis baf)tn fieser geftanbeit
batten, unter ben Süfeen. Stabion ^atte alle ©eamten feines SWinifteriumS,
hohe toie itiebere, für bifponibel erflärt, feiner batte bie ©ürgfebaft, auf
feinem ©often, ja überhaupt im $>ienfte ju bleiben. ©S mar baS eine hurte
SJtaferegel, aber fie mar notbmenbig, unb im 55ieitfte fannte Stabiou feine
Schonung. QDic neue Sage oerlangte neue Scnte; oon beit alten fonitten nur
folcbe auf Selaffung jäblen, oon benen ficb oorauSfefcen liefe, bafS fie ficb
in bie ooUftänbig oeränberten Serbältitiffe ^ineinfiitben mürben. 1aS maren
bie Seforgniffe! 2luf ber anbern Seite ftanben bie SluSficfeten unb
©rtoartungen. 'Sie Scbeibung ber Slbminiftration oon ber Suftij mar auS=
gefproeben, in beiben 3meigen fottte oon unten bis hinauf alles lanbeSfürftlicb
fein, unb ba gab es nun eine äKenge neuer Stellen, bie $u beferen maren
©iuige ©rauchen, toie bie für |>anbel, ©ernerbe unb öffentliche 2lrbciten, für
bie ©obcncultur, maren feit bem SMära neu gefebaffen morbett, uttb ba gab
eS fortmäbrenb Kreierungen oon neuen Stellen, ©efefcungen unb ©eförbernngen.
S33ar eS unter folcben Umftäitbett $u muttbern, metttt jeber, bem jefct oor
ber 3ufunft bangte ober ber eine beffere Stellung anftrebte, fid) an einen
berjenigen manbte, bie in ber ooiberften Steibe ftanben?
3n folcber Sage erinnerte ficb benit f° mancher, ber feit nnferett Stubien*
jabreit nichts oon ficb butte ftöreit taffen, jefct an unfere Scbulfreuubfcbuft,
betrieb mir, mie er „mit frenbigem Stolj" meine Saufbafen oerfolgt habe,
münfebte mir ©lücf $u ber hoben äRiffion, bie mir bei ber jefeigen 9?eu^
geftattuug gemorbeit, unb befanit ficb ad vocem „Steugeftaltung", bafS ja
iljm auch babei ein ©läfccben jitfaden fönnte, moju ich ihm mit meinem
{ewigen ©influffe behilflich fein möchte. 2 Bie oicle, mit benen id) irgenb
einmal in Serübrung gefomnten mar, ober bie nur meine feligett ©Item,
meinen ©ruber ©manuel gefannt Ratten, ober meine Scbmeftcr, baS gügner’fcbc
£>auS ober irgenb jemattben meiner näheren greunbe fanntcit, melbeten ficb
jefct, ittbem fie ficb auf bieje ©ejiebungen beriefen, ju mir unb empfahlen
ficb meiner 2lufmerffamfeit bei ©efefcung einer Stelle ober baten mich ganj
allgemein, fie „irgenb in meiner Stäbe" unter ( yibringen. Ser Söip auf meinen
Stamen „geifert", bafS ich ihnen Reifen follte, mürbe unjäbligemat gemacht.
Sa fafe ein armer Sanbgeiftticber, ber mit mir in ben pbilojopbifcben 3abr*
gängen ben ^anbera unb ben ©ablcfaf gehört butte, „mit Sttutter unb
Sdjmefter" auf einer „©gpofitur", batte 2000 Seelen, 6 Drtfcbaften, 4 Schulen
unb 120 fl. ©ebalt unb manbte ficb nun an mich — „®ott gab mir ben
©ebanfen, an Sie ju jebreiben!" — ich möchte ihm behilflich fein, bafS
feine ©jpofitur ju einer ©farre erhoben merbe. Sa fanbte mir ein „ehemaliger
Schüler unb ©erebrer meines f ©aterS" ein ©efueb an ben ftriegS=99?inifter,
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3n ftremfier.
287
bamit feine beiben Söhne non Kabelten $n Dfficieren beförbert mürben; ober
münfdjte mein teurer 9D?aj, „uott ber obiofen Xienftleiftung als goutier"
nach fieben langen Sauren enblicb in ben 9fod eines !. !. &riegS*KommiffärS
fcblüpfeu ju föitnen. Sind) „SJtylorb ©cblägterfielb" gab mir bei Korbon $u
tbun. Kr, ber Konnetable (©roftfronfelbberr) ber hoben Sorbfdjaft,*) mar jefct
„unobligater 9tegimentS=Kabet" inberßinie; feine „politifdje Slnficbt unb bie
angeborne Vorliebe jum Sriegerftanbe" butte ibn bei ©eginn ber SBirren
in bie Steiben ber 21 rmee geführt, unb er erflärte ficb aufrieben, menn er
nur f. t. Sieutenant mürbe; für baS meitere moüe febon er forgeit.
SRun fam bie ©rauche ber 3ufti$. Kin ehemaliger SWitfcbüler bat für
ben SRann feiner ©cbmefter, einen 9WagiftratS*&anaelifteu, um eine ©teile
bei einem ©e^irfSgericbt; es fönne mich ja beim SRinifterialratl) Subanef
„nur ein SBort" foften; „ich glaube eS", fo fcblofS er fein Schreiben,
„meinem ©cbmager fcbulbig 511 fein, nach 2 Röglid)feit 511 feinem ©lüde bei^u=
tragen." Kin attberer OTitfcbüler, $r. Seopolb Kbrenfelb, ber nebenbei an
ber Unioerfität Kollegien laS, butte ein „stallum“ (Sttmocatenpoften) in SWieS
erhalten unb münzte nach ©rag überfe^t 511 merbett. 5Reine ©cbmefter
üftarie legte für einen ihrer Dielen ©cbmäger ein gürmort ein, bafS er eine
Mbuocatur erlange, unb berief ficb in feinem Utamen auf bie in lefcter 3 eit
uorgefommenen Serleibungen folcbcr 2lrt, bie $u bemeifeit fdjienen, „bafS baS
3ufti$ 2 9Jftnifterium oon bem liberalen ©runbfape auSgebe, auch jüngeren
Doctoren bie 28ol)ttbat einer felbftänbigen SBirffamfeit angebeiben $u laffen".
Dr. Garant in 3*oettl fam fogar mit brei ©itten. Kinmal für ficb, bafS
ich ihm, — „um ber greunbfebaft nullen, bie mir 3 b r feligcr ©ater ange*
beiben lieft" — bei ben neu $u erriebtenben ©ericbtSbebörben eine ©teüe
oerfebaffe. Dann febiefte er mir eine Deputation nach Sremfier; ber SpnbicuS
an ihrer Spi^e bat im SRamen fämmtlicber ©atrimonial* unb Kommunal*
©eamten ber ©tiftSberrfdjaft um Unterbringung berfelben bei ben 511
erriebtenben lanbeSfürftlicben Ämtern. Kr mar ©ater üon $ebn fiiubern unb
ohne eigenes ©ermögen, unb baber bat Garant brittenS, einem ber ©ohne
beS ©pnbicuS ein Stipenbiüm 511 Derfd)affen.
DaS mar benn bodj etmaS auDiel auf einmal, unb ba$u fam immer
mieber neues. ©0 erhielt ich 00 m Kamera!*©ecretär Sofepb geller mieber*
holt fecbS bis acht ©eiten lange Schreiben, fo bafS mir baS Sefen allein
eine äRenge 3eit raubte, gd) butte ihn in ben ©rager mufifalifeben Steifen
bureb greunb WmbroS fennen gelernt, unb nun fefcte er mir meitläufig
auSeinanber, meines Unrecht ibnt oor gabren bnreb bie Krnennung ©lener’S
*) Kin Weiterer SretS auS meiner ©rager 3eit; alle ÜRitglieber roaren öorbS,
bie älteren butten baneben noch befonbere 31mtS« ober 5Biirbe*Iitel.
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gofepb greiherr oon eifert.
unb 9 JlatfZ*) ju Kameraträtheu gefchehett, unb bat mich, feine Darftetlung
bem SRinifter ÄrauS mit ber Sitte $u überreichen, „er möchte fie nur tefen".
9Rein0nfe( P. gran$ 9lmabeu3 ©eifert mar $echant in Stabonifc gemefen,
hatte fich feither in Stuheftanb gefegt unb lebte jefct als Spiehraber ®h rcils
SanonicuS in ©rag. ®ie Stabt 9?aboni(j, im Saajer Streife fübtich oon
Saaben gelegen, mar 1842 burch eine geueräbrunft fyaxt mitgenommen
morben unb fah jefct ihre SRettung barin, menn fie ein f. f. Seflirtegericht
erhielte. Saum hatten bie Stabonifcer meine (Erhebung oernommen, a(3 fich
ber Sürgermeifter in Xöplifc einfanb unb meinen Dnfel, ber eben bort bie
Sur gebrauchte, erfuchte, er möchte bei mir ein gürmort 511 ©unften ihrer
Stabt einlegen. $er Kanonicuä that e3, inbem er mich an ^ cn „ehemaligen
Schauplafc ber jungen geifert unb SBinbifchöräfc"**) erinnerte nnb mit
Smphafe fchtofä: „e£ möge ber glorreiche Sohn fich an bem ©(afee unfterblid)
machen, mo auch ber berühmte Sater ein unoergängliche$ $enfma( hinter*
(affen hat"-***) ^Ibcr felbft mein lieber Schmager liefe mich nicht lo3.
„Unoergleichlichfter Unter*Staat3fecretär, ^Sitt Öfterreicljä", fo rebete mich
Heinrich giigner an unb fteüte mir oor: ich möchtebod) mit „meinem Kollegen",
bem ©anbelS* unb ginanj*9Rinifter, fprecljen unb „im ©efpräche f<h(au bie
grage fallen (affen, ob e£ nicht jefct getingen fönnte, bie Konceffioit jurn
Ktabliffement einer Agentur oon au^Iänbifchen Serficherung£*©efellfchaften
51 t erhalten".
$)iefe unb noch Oiele aitbere Sotlicitationen betrafen nicht meinen
Seruf; baju tarnen nun ^abllofe Anliegen im ©ereile be£ Unterrichte
unb nicht meniger in meiner Sigenfchaft ale 9lbgeorbneter, unb man rnirb
$ugeben, bafe ich ben ©eneral*Settelmann bei fämmttichen 9Rinifterien hätte
abgeben müffen, um at( biefen Slnforberungen 511 genügen. ®abei fahen Oiele
einer „ba(bigen Mntmort" entgegen, mo ich faum bie 3 ^it hatte, überhaupt
nur eine ju geben. Sie fteüten fich bit Sache fo oor, a(£ ob e$ mich, ber
ich ja »an ber Quelle" fifce, „nur einen Schritt", „nur ein SBort" fofte,
um ihre ffiiinfcfee in Erfüllung ju bringen, ober, mie ftch ber muntere
SRegimentSarjt in ffratau au^briiefte: „$u l)aft ja jefct fo üiefe Serbinbungen,
bafS e3 $ir ein (eichtet fein mufS, in fünf Stunben an£ einem Scfjneiber*
gefeflen einen ©ofrath 511 machen."
♦ *
♦
*) ggnaj ©lener, bei* fpätere ginanj-ÜRinifter, bamalö t. !. Eameralrath in
EUbogen; Stephan 9Rap, t. t. ©ofrath unb EamerabEefäUen&bmintftrator in ©rag.
**) ©rinjen $arl uub ©ugo oon ber ©erianb’fchen Sinie.
***) Stiftung oon Seelenmeffen für oerftorbene gamiltenglieber auf bem
ßapeüenberge bei 3öinteri&.
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Sn ftrentfier.
289
$ic treue Seele verlangte gleichfalls etmaS, aber nichts für fich, fonbern
für einen unferer gemeinfchaftlidjen greunbe, ber eine unverbiente ^urüdffefcung
erfahren hatte. 3$ habe berichtet, bafS ber neue gali^ifche ®ouVeriteur alle
Sluftrpafen unter ben s $rofefforen ber Srafauer llniucrfität Ijcimgefc^icft hatte;
allein and) anbere uid)t*einheimifd)c Beamte erfuhren, menn fie ben Herren
s 4 $olcu nic^t recht 511 ©eficftt ftanben, baSfelbe Sd)itffal. $a£ mar benn and) bei
bent ^oli^ei'Dbercüinntiffär 2 Uoi£ ©abriel ber Sali. (£r hatte bei bent ftrafaner
Mufftanbe im 2 lpril 1848 fomof)l bem Militär als and) ber Regierung vor¬
treffliche ®ienfte gelciftet, aber eben baburd) fich beit §af$ ber polnifdjcn
Partei jnge^ogen. 0 h ne ßtoeifel ift von ihrer Seite baS möglichftc gesehen,
ihn bei $aleSfi in Verruf ju bringen, unb fo mürbe ©abriel in ber 34 )at
von ber Srafancr s J8oli ( j;eibirection abberufen unb, menn ich nicht irre, als
einfacher SonceptSbeamter nach Scmberg bcorbert. $aS mar nicht bloft eine
harte Xemütf)igung für ben braven s JLRann, ber in .Slrafau einige 3 cit fogar
eine leitenbe Stellung proviforifd) verfehen hatte, fonbern traf ihn and)
pecuniär auf baS empfinblichfte. 3ch nahm mir vor, für ihn ju fpred)en unb
meine Sermenbung ift nicht ohne (Srfolg geblieben.
®inem meiner Srafauer 3reunbc fonnte id) unmittelbar unb fogleid)
helfen: es mar Sohaitit greift. v. s JSäumann, ber luftige Stotterer. ®r
mar gleid) ©abriel bei ber Slrafauer ^olijei angefteüt, hatte aber von
3 aIeSfi nichts 51t fürchten, ba er ber poluifcheit Sprache in 2 Bort unb Sdjrift
mächtig mar. £ocft gefiel eS ihm itid)t länger auf feinem Soften 1111b er
bachte fid): mein greunb geifert ift je£t ein mächtiger ,£>err gemorben, ber
mirb mir eine anbere Stelle vcrfd)affen. So erfd)ien er benn eines Jage*
mie vom .pintmcl fterabgejeftneit bei mir, auSgeriiftet mit einem SmpfeftlungS*
fdjreiben beS Prälaten Sdjiitblcr. gd) crttfd)lofS mich, ihn in meinem
SRinifterium untcr^ubringcu, Stabion erhob nid)t ben geringften SInftaub
unb fo fchidtc id) il)n bcuit nach SBicn, mo ihn feine h^tere unb gut*
miitftige Saune bei meinen Käthen, befonbcrS bei ®ell unb öergenftamm
fd)uell beliebt machte. Xev SRenfcft mar ganj gliidlid), nid)t mehr in ftrafau
fein'unb bei ber s 4>oli ( ^ei bienen 51t muffen; er gefiel fid) in Söien, obmol)l
er, mie er mir fdjricb, „nicht au bie Minorität feines 3 lbjutum$ unb bie
Majorität feines SlppetitS" 51t beuten rnage, unb „obmobl id) utid) meber
vom ©Iftfiunt*), nod) vom gafdfting, ber nad) ffielben'S 3*itrcchnung am
14 . gaituar beginnt, verführen unb verlüden laffe". s $äumann befaß feine
iuribifd)cit Stubien, lieft fich baher im ©oitcept meitig vermenben, bagegen
geigte er fid) gejeftitft für fold)c Slngelegeuheiten, bie mit ber Sitteratur unb
Sournaliftif jufantmenftieugen unb fonnte als s 2 lmtS-®ibliotftefar gute lienfte
*) Wiener ^BelufttgungSort in ben ftellerräumen beS St. Slnna ©ebäubeS.
$ie Äultur. III. Safoi. 4 jpeft. (iyo2.) 19
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290
3o)epf) non Jpclfcrt.
leiftcn. ®r bat eg im Saufe ber 3abre big z um f. f. ©ectiongratb gebracht
unb bat beit greunbfcbaftgbienft, beu ich ihm bamatg ermiefen, big an bag
©nbe feiner läge in baitfbarer (Erinnerung bemabrt.
Son meinen firafauer iluiuerfitätgs©odegen befaub ficb ber einzige
©cbmibts©öbcl in einer bebanerngmerten Sage. Xfyeobor 3Jticbel lebte,
auf eine ^rofeffur martenb, einftmeilen bei feinen (Eltern in $rag, eine
J^offenbe Sraut in feiner Stäbe; 3ouä! mar im conftituierenben Steicbgtag,
SRafomicjfa in ber granffurter v Jtational*$erfammlung, fomit beibe für
bie erfte $eit oerforgt. ©cbmibt allein mar burd) feine ©ntlaffung aug
Srafau oodftänbig aufg Irocfene gefegt; er mar noch ba$u verheiratet —
er batte Z ur Stau eine Softer beg s J8rager Slrcbiteften Qönbt — unb
uieüeicbt fcbott SSater in spe. „git SBien ^at man nitg 1847 gejagt," fcbrieb
er mir in feiner $er$meiflnng, „bie ^Regierung merbe eg ung allen gut
atirecbnen, bafg mir bag jmeifelbafte @£periment magen, nach S'tafau 8«
geben; nun jagt man uitg fort, mie ©ettler tmn ber Xbiir." Sei feinen
anerfannteu gäbigfeiten unb Senntniffen fonnte eg nicht ferner faden, für
ibn eine ©tede jn finben; nur augettblicflicb liefe ficb eine foldje nicht fcbaffeit
unb ber arme Teufel mar fürg erfte auf bag SBarten angemiefen. (Er lief
in SBien bei aden Sefannten herum unb bot ficb an, ?ßritmtftunbcn ju geben:
„3cb brauche |)ilfe unb jmar fcbncd. Stein ©infommen Dort 120 big 150
©ulben ift fo oiel mie nicbtg. Stir fteigt bag SBaffer in beit Stunb, morgen
ober übermorgen manbert mein lefcteg Silber in bie Stünze, bann bin ich
fertig." ©r fanbte feinen greunb Söbner zu mir. ©cbmibt bat für beti
Anfang menigfteng um Sermenbung im Stinifterium für Sobencultur ober
in bem für öffentliche Arbeiten; ich liefe ifem bnrcb Söbner fagett, ich mürbe
fucben, ifem Vorläufig im Dieufte meitteg Stinifteriunig etmag 511 oerjebaffen.
©cbmibt nnb ich rnaren pcrfönlicbe greunbe unb j‘o maren eg auch unfere
beibeit Stauen. gn nationaler unb Politiker |>inficbt maren mir bie
entfebiebenfteu ©egner; er mie fein ©djmager Umlauft unb fein greunb
Söbner maren unnachgiebige Deutfcbe, unb mettn in Srafau bie 9tebc auf bie
„©ecben" fam, fo mar bei ©cbmibt ber Teufel log. Darum febrieb er mir,
naebbem er von Söbner unfere Unterrebung in Sremfier erfahren: „Dafg
Du unferer oftmaligen ©treitigteiten nicht gebucht fjaft, bag ift eg, mag ich
befottberg banfbar unb erfreut anerfenne. Übrigeng ift bag Programm beg
ffltinifteriumg geeignet, unfere Differenzen bebcutenb augjugleicben; benn ich
verlange meuig mehr unb menig anberee alg ©ucr oolleg unb ganzeg Programm".
4.
„©g lebe nufer conftitutioneder Saifer Sranz Sofepb I.!", mit biefem
Stufe batten ©molfa nnb ber 9teid)gtag am 2. December il)ren neuen Sto*
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$n Mremfter.
291
narren begriifet. Unb baS mar oon bciben ©eiten ehrlich unb lotjöl gemeint.
Tenn ber junge Soifer unb fein SKinifterium Wollten fich an jene Serfaffung
halten, bie ber conftituierenbe fReid^^tag $anb in £>anb mit ber Regierung
3 itftanbc bringen Tollte, ©egettiiber bem SouueräititätSsStQnbpunfte bes
Wiener conftituierenben Reichstages mar nunmehr feitenS ber Regierung unb
ihrer Partei bie Vcrfaffung als ^neifeitiger Vertrag gebadjt, ber Leibe
2I)eite beliebigen, non beibcit ^heilen juftimmenb angenommen werben Tollte.
Tie ©ac^e lieg fiel) gut an. 3Hinifterium unb Reichstag ftanbeu 511 einauber
in einem Verhältniffc, baS einen gebeif)lic^en s 2luSgang erwarten lieg. Tic
Sittfc bebarrtc jwar in ihrer Dppofition, aber eS mar 511 m weitaus größten
Theil eine gut gemeinte Opposition. Sie griff nicht bie gemeinjame ®runb=
läge an, auf welcher man baS Reugebäube ber Vcrfaffung aufführen wollte,
foubern mar nur über bie s Jlrt unb SBeife biefcS ReubaueS, über bie 9luS*
führnng ber freiheitlichen ©runbfäfce, an beiten man beiberfeits fefthielt,
auberer SReinuttg als ihre ©egtter. Tie non ber Stufen ließen fich, ntiit^
beften^ borläufig, ein SRinifterium gefallen, baS (Sutfdjiebenheit unb Straft
geigte unb unoerfemtbar mit fich nid)t fd)cr^eit (tcf 3 , baS aber itidjtS oon
beut übernahm ober and) nur, mir fie fid) überzeugt hielten, beabsichtigte,
maS fie oor ber (Srflärung feinet VrograntüteS oon ihm befürchtet hatten:
Ruflöfnng beS Reichstagen, Ttvafgeridjtlichc UutcrTudgtug unb Verfolgung.
VluSgefprodjene <vciube ber Regierung warnt nur unb blieben ein großer
Theil ber „Rolcit im Jratf", bie cS bem neuen SRiitifter bcS Innern ttidst
oer^eiheu fonitteit, bafS er ihnen bie Rutheneu „crfuitbett" l)ntte.
Von jenen s 2(bgeorbueten, bie fich in bie ftürmifd)cn ©reigntffe, nament¬
lich in ^ er Dctoberjeit, gar 51 t tief cingelaffctt hatten, fueßte mehr als einer
Seinen griebeit mit bem SRinifterium 311 ntad)en. 3n wahrhaft anwiberttber
SBeife that bicS ber s 21bgeorbnetc für £id)tenmalb in Stciermarf Tr. 2lloiS
3mrefer, ber fid) in SBien auf beit rotheften unter beit Rothen hinaus-
gefpielt hatte unb ber jept um bie Rcinifter unb felbft um einige XHbgcorb«
nete ber Regierungspartei hennnfdsmäiijclte, bafs cS nur eine fTrettbc war*).
*) Qn ber Wiener „©eifeel" Rr. 93 oont 8. Teceittber ©eite 3*8 war eine
(Eorrefponben$ aus Slvemfier oont f>. $u lefeit: „©tu fteirifchev Teputierter soll in ber
©ra$ev 3eitung ein neues ©laubenSbefenntntS abgelegt haben, worin er benfelben
^ellacie, ben er utoor einen ,©mporei‘ nannte, nun einen ,Vefveier‘ nennt. Ter-
felbe pflegte in ben Octobertagen bie nod) in $9ieu antoefenben Teputierten mit
bem 3urufe: -3hr Herle, werbet 3b* juftimmeu, fonft . . .* ju terrorifteren. 3efct
wanbeit er, bei* fonft in feinem grau unb grün auSgefdjlagenen ©d)ii&enrotfe in ber
’^efellfcbaft Umlauft* Jiifter ben ©chtoeif bilöete, um oon ben ©hren, welche bie öinfe
in ©mpfang nahm, aud) mit einem Xheilchen $u participieren, in febwarjer Fracht,
mit einem ßueferbut auf bem leeren ©djcibel, in ben fallen beS RittgplafceS hin unb
19 *
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292
Qofeph Qfrei^err oon eifert:
3 ü ft er froch in anbercr SBeife jurn fitcuj. ©eine Stellung als Unioer*
fitätS*®rofeffor in SBien, baS fah er moht ein, hatte er für immer Oer*
fcherjt; taut Dermalste fich baS Kollegium ber p$itofopl)if<$en 3acultät ba*
gegen, ihn mieber als Goßegen in feine SWitte aufjunehmen. Son feinen
ißprifchen ßanbsleuten aber mar §u oentehmen — er mar früher ®rofeffor
am ßtjeeum $u ®ör$ gemefen —, bafS fie, menn jernanb aus bem ßtorben nach
$rain !am, ihn entriiftet fragten, ob benn ber Schuft güfter noch nicht gelängt
fei?! 3 n fitemfier nun antichambrierte güfter bei ©tabion unb erfchien eines
2ageS bei mir mit ber ©itte, ob er nicht eine ©ibliothefarfteße erhalten
tönne. Gr fuchte feine Spaltung in SBien in ein günftigeS ßicht ju ftetlen,
Hagte über bie ©erleumbuugen, bie über ihn oerbreitet morbeit feien, unb
überreichte mir — unb ohne Steifet auch btm ©rafen ©tabion — fein
Such „üKentor für bie ftubierenbe 3ugenb"*). G)aS Such enthielt gemifS
nichts, mad Slnftofc erregen tonnte, fchon barum, meil cS oor 1848 unter
ber £>errfchaft ber Genfur gebrueft mar. ©elefen habe ich & nicht, meil ja
unter allen Umftänbcn oon einer ©elaffung ftüfter'S im ©taatsbienfte feine
9?ebe fein tonnte, menn auch nur bie £älfte oon bem mahr mar, maS man
fich oon feinem Treiben unter ben ©tubenten unb auf ben ©arrifaben
erzählte, unb um feiner 9tebc am 29. 3uli im Seichstage mißen, mo er bie
taiferliche ftamilie rnegen ihrer Sibfahrt nach SnnSbrüdf an baS ©chicffal
eiltet ftarl I. unb 3afob II. oon Gnglaitb, eines ßubmig XVI. oon 3ranf*
reich erinnert t^atte.
Gin ganj auberer 3aß mar eS mit 9Reb. ®r. Slbolf S i f cf) h 0 f/
Slbgeorbnetem für 9Ra$leinSborf. Gr gehörte mohl ju ber entfehiebenen
ßinfen, aber er mar eine ©erfönlichfeit, ber felbft politifche ©egner ihre
Sichtung nicht Oerfagen tonnten. 2Rinifter $oblf)off hotte ihn als Statt) in
fein äJtinifterium aufgenommen, ich benfe für 3JtebicinaI^SlngeIegenheiten,
unb eS ift begreiflich, bafS er biefen ©often nicht leichthin oerlieren moßte.
Gr melbete fich &ei ©tabion, ber nichts bamiber hotte, einen ßJtann üon
fo anerfannten gähigfeiten unb ffenntniffen im 9Jtinifterium 511 behalten;
nur machte eS ©tabion, maS ja üont ©tanbpunfte ber ^Regierung unauSmeichlich
mar, jur Sebingung, bafS fich 3ifd)hof mit üofler Slufrichtigfeit bem SRini-
ftcrium unterorbne, beffen ©rincipien acceptiere unb barnach honble. $aS
mar nun aber für einen Stabicalen mie 3ifchhof eine fernere Sache, eS hiefe
Tinnt auf eine GibeSforinel, in meiner er befebroören fönnte, nie ein Stabicaler gemefen
*u fein. 0 über biefe^oerächütcbeit SJZenfcben, in beren SBirfen ber ©egen, baö ©lüd oon
ÜZRißtonen niebergelegt worben!" 21. 3. $ra?ler in ©ra$ bruefte bieS in feinem'
„£>erolb" ©. 37f/unter ber Sluffdjrift ab: „Söie mag fich roohl biefer ÜRann nennen?"
*) 2ßien.l848jBraumitUer; 12°, XII u. 333 ©.
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3tt Äremfter.
293
baS, tute er meinte, feine politifdje Vergangenheit feit bem äRärj 1848
berleugnen, unb bie mieberßolten Schritte, bie Sifchhof bei Stabion machte,
maren barum meit entfernt, ju einem gemeinfcßaftlichen 3^te jn führen.
3ch habe baS aus bem eigenen SRunbe Stabion'S.
3ür einen bon ben ÜJJännern ber Sinfen hatte ©tabion eine 8trt
Schwäche, für Söhner. Glicht etma, bafs jmifchen beiben ein befonberer
Verfeßr beftanben hätte ober bafs einer auf bie Slnfidjten beS anbern
eingegangen märe. 2lber ber „©entleman", maS Söhner in feiner Gattung
unb in feinen SRanieren mar, machte auf Stabion einen bortheil*
haften ©inbrud, nnb ich meine, menn eS fich um eine ©emährung bon
©tabion'S Seite gehanbelt hätte, mürbe fie Söhner leichter als jeber
Slnbere erlangt haben, ©in eigenartiges Verhältnis beftanb zmifeßen Söhner
unb mir. SBir maren parlamentarifcße ©egner. Söhner befaß eine
herborragenbe SRebnergabe, befonberS aus bem Stegreif; menn ihn ein
©cgertftanb ergriff, fonnte er ßinreißenb mirfen; er mar reizbaren Sempera*
mentS unb babei empfinblicß gegen Angriffe bon anberer Seite. SReine
©tärfe mar bie SReplif, fehr häufig bon farfaftifeßem ©epräge, unb fo
mar mir in meinen SBiener SReicßStagSreben auch ber 5lbgeorbnete für
©aaj nicht entgangen, ben ich mieberßolt fc^arf abgetrumpft hatte. Seitbem
fonnten meine ©odegen bon ber Stedten mahrnehmen, bafs, fo oft ich mich
Zum SBort melbete, Söhner fich aus bem Saale bertor. @r bermieb mich
auch im Umgänge; allein menn er mir nicht auSmeicßen fonnte, mar er bon
ber größten £)öflicßfeit, mie eS fich bon einem 3Ranne bon Sitte unb 9ln*
ftanb nicht anberS ermarten ließ.
SBie Stabion für Söhner, fo mar ber Sinanjminifter StauS für
Sr. SRubolf Vreftel, Slbgeorbneten für bie SBiener Roffau, ungemein günftig
geftimmt. ®r rühmte VreftefS flaren Verftanb unb logifcße Schärfe unb
empfahl mir ihn mieberholt für eine Vermenbung im Sehrfach ober eine
StnfteHung im UnterricßtSminifterium. 2lber baju hatte ich* feine Suft, ba
ein 2Rann bon entfebieben rabicaler ©efinnung boch gemifS am allermenigften
in baS Sehr* unb ©rzießnngSfacß eines 9RinifteriumS pafSte, baS eine ent*
feßieben conferbatibe Richtung einfcßlug. Vreftel mar ein ausgezeichneter
9Ratßematifer; marum fanb KranS nicht in feinem eigenen 9Rinifterium ein
Vläfcdjen für ihn? Srug etma ber „0ctober*9Rinifter" Vebenfen, einen
Cctober*2Rann fo auffaßenb jn begünftigen?
*
* *
Von ben SRitgliebern beS jefcigen 3RinifteriumS maren Vrud unb
©orbon ben Slbgeorbneten neu unb ftanben barum beren Greifen ferner als
jum Veifpiel Vach unb SrauS, bie fie feßon bon SEBien aus fannten. Reu
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2D4
3ofepb Freiherr oon geifert.
mar ben. ©bgeorbneteu uor allen ber ©Jinifterpräfibent, bei meinem noch
ba« baju farn, baf« er, meil er jumeift unt ben St'aifer mar, fich nur in
befonberen SäOen in firemfier geigte. Schmalenberg’« ariftofratifche«
SBefen, feine militärischen unb biplomatifchen Slntecebentien bilbeten and)
eine ©rt Schranfe für nähere ©erübrungen mit ben ihm perfönlidj burchan«
fremben ©bgeorbneteu.
©nber« mar Schmalenberg mit feinen Kollegen, ben ©iitgliebern be«
©tinifterium«. ©egenfeitige« ©ertrauen, ©inmüthigfeit in ben ©efchlüffen unb
Serfdjmiegenfjeit nach auften hatte er als bie ©runblagen unfere« gemein*
fchaftlichen Jpanbeln« aufgefteßt, unb er fdbft gieng hierin mit bem beften
©eijpiele Doran. ©ad) rühmte e« eine« Xage« mir gegenüber, ma« für ein
Unterfdjieb in biefent ©erbalten Schmalenberg’« fei gegen ba« frübeve
©Seffeuberg«, ber in ©ngelegenbeiten feine« ©effort« ftet« einen gemiffen
©ücttjalt beobachtet b a ttr* Sdjtoarjenberg biegen machte au« ben ©fit*
tbeilungen, bie er Don an«märt« empfieng, unb Don ben ©ntmorten, bie er
oabin abgehen lieft, feinen Kollegen gegenüber fein £ehl. 9lu« feiner ©räfibiaU
Sfanjlei unb au« bem au«märtigen ©inte lief fein mistigere« Schriftftiicf
ab, ba« nicht $uDor bem ©tinifterium mitgetbeilt unb im ©chofte be«felbut
befprocheit morben märe. 6r h a ^ e eine burd)au« Dornebmc ©Seife, bie
©efchäfte ju bebanbeln, unb behielt bei angenehmen mie bei unangenehmen
©achrichten bie gleiche ©ulje bei. ©ei allem ßrnfte, momit er bie ©efchäfte
bebanbelte, muf«te er, mo fich ©nlaf« ba$u bot, bie heitere ©eite betau«'
äufinben unb gab un« ba« gern $um ©eften. Stoffe folchcr ©rt boten
namentlich bie ©erichte, bie bamal« au« ©ari« einliefen, ©inmal erzählte
er un« — ich glaube e« mar im ©Sagen auf ber Rabrt Don Jputtein nach
firemfier —, mie unfer ©efchäft«träger Ib^m an einem beißen Sommertage
ben republifanifeben ©tinifter be« ©u«märtigen ©aftibc in beffeit ©ureau
in 4>embärmeln getroffen, ma« biefen bittchau« nicht geniert höbe, in eine
biplomatifche ©ethanblung einjugebeit. 3« bie ©efchäfte, bie Schmalenberg
perfönlich in bie |>anb nahm, brachte er einen neuen ©eift; ma« er meinte
nnb moflte, Sprach er beftimmt unb entfliehen au«, feinen eigenen Organen
mie ben fremben Kabinetten gegenüber. ©Senn e« in ber Schule ©ietternich«
al« ©runbfafc galt, nur ja jeben ©clat ju oermeibeti, fo fümmerte fich
Schmalenberg barum gar nicht; im ©egentheil, mo er fich im ©echte fühlte,
fchien er ben ©clat ju lieben, um ju fleigen, baf« Öfterreich fefteit ©Sitten
unb Staft genug befifce, um fich feine frembe ©elebrnng ober Sinntifchung
in beffen innere Serhältniffe gefallen ju laffen.
®a« mar in ber erften 3eit befonber« ©nglanb gegenüber ber gall.
2orb ©aImerfton batte fich, i n ber 3eit Don Öfterreich« ©ebrängni«, nur
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v ^n ttremjitT.
295
511 oft eilten Ton erlaubt, ber, tueim nid)t in ber ftorm, boeft in ber 3acfte
impertinent genannt tüerben fouute. Schmalenberg 3 al)lte ihm mit gleicher
Wün 5 e ^nrüc! uitb benuftte gleid) beu Tf)rotimed)fel bap, um bem „S 2 orb
fauerbranb" eine Sectioit 511 geben: mcifjrenb ber junge ftaifer nad) St. s J5eter3*
bürg uitb itad) Berlin ^rinjen be£ faiferlicbett £>aufc3 faubte, um bie Wonarcheit
bei feinem ^Regierungsantritt 511 begrüben, mürbe ba$ Clntitfter Ereignis in
Sonbou nur auf einfad) gejdjäftlidjcm SBege angejeigt. Tie junge Königin
Victoria fühlte fid) baburd) perjöttlid) oerleftt; bud) Schmarjenberg’S
.vwltung follte ja nid)t il)r gelten, foitberu ihrem Winifter, ber in ber leftt
ncrfloffetten $eit Öfterreich, bejonberS tu beit italicuijdjen Angelegenheiten, fo
Diel ©rutib junt Ärgernis gegeben l)atte.
Schmalenberg mollte 3 meifelSof)ne in baS Amt, welchem er borftanb,
einen neuen ®eift, einen frifcf>eren ßttg bringen. AIS er in feiner Eigeitfcftaft
als Winifter 511 m erftenntal in 2Bicu erfepien ttnb fid) baS fßerfonal feinet
SReffortS Dorftellen lieft, fprad) er eS an: „9Jteinc Herren, machen tuir feine
llmftäube" —, mein luftiger Eoufin ©uftao, ber babei mar uitb mir beit
Vorfall erjäftlte, fagte: „28ir baeftten nun, eS fei baS eine Einlabung, eS
unS bequem ju machen" —; allein ©djmarjettberg fuhr fort: „Erbärmlicher
als eS in biefem Winifterinm befteflt ift, fanit eS in feinem anbertt 3 ttgeheu!"
Uitb nun ipraeft er über bett Schienbrian, über beu fdjleppeitben ©ang ber
©efdjäfte, baS ntiiffe 0011 nun an anberS merbeit, tt. bgl. Tie Strafprcbigt
bat moftl menig genuftt. Schmalenberg mar Solbat uub fein 93ureaumattn,
nnb fo ftatte er nicht beit rechten Einblicf in baS bureaitfratifdje (betriebe,
um e 3 in feinem Sinne gritnblid) untmanbeln 511 föniten. 3ßaS unmittelbar
Don iftm felbft auSgieitg, ba merfte man fogleid) bie Tafte beS Sömeu; in
bett ^ureaitS felbft aber blieb eS fo ^icmlid) fo, mie cs .yilcftt unter
Wetternid) gemefen mar.
* *
*
Ter Stnanjminifter ®arott Philipp SfrauS mar eine ber ocrebrungS*
mürbigften s $erfönlid)feiten, bie id) je feitncit gelernt bube, (fr gieitg in
feinen s J 5 flid)teu auf. (fr mar fd)on Ppofratt) bei ber allgemeinen ^offammer,
als er eS ttötbig fattb, bie ttngarifcbe Sprache 31 t lernen uub fid) in ber
Tt)at biefe ihm oöllig frembe Spradjc in jenem Wafte eigen machte, mie er
fie für feinen Tieitft brauchte, (fr mar ein btti*d)au4 frommer Wann, feine
Sratt, eine s JSolitt, mar ein Wufter cftriftlicher Ergebung; als fie fpäter in
beu fünfziger Sohren ihren hoffnungsvollen einzigen Sol)it verloren, fagte
ber tiefgebeugte Sater: „SBenn ctmaS gefehlt ftöt, um meine 5rau 3 U einer
heiligen auf Erben 311 machen, fo mar eS biefe Prüfung, bie nn^ ber £>err
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3ofeph greiperr oon geifert.
geicfjtdft pot." Krauä'Pflkpttreue einerfeitö unb fein ©ottoertrauen anberfeite
ertlären feine Haltung mäprenb ber furchtbaren Dctobertage; er hielt auf
feinem poften au£, meil er eiblich baju oerpflittet mar, er muffte nichts bon
©efapr, meil er auf ben Fimmel baute. Semanb pat non ihm gefagt: menn
e$ einen SWaria 2 perefien*Drben für ©iüiliften gäbe, Philipp KrauS ^atte
ihn befommen müffen. ®abei mar er in feinem äußeren Seben bie ©in*
fatheit felbft. 3« Dlmüfc, in Kremfier erfchien er regelmäßig allein, ohne
©ebienten, ohne einen Seamten feinet 9Rinifterium§, nur mit einer $anb*
tafche für feine Papiere, feinem mähren „2Rinifter*Portefeuifle", ba3 er fich
mit eigener $anb $ur ©ifenbahn unb oon ber ©ifenbahn trug.
©on amtlichen ©eftäften, bie mährenb ber Kremfierer Seit $u beforgeit
maren, mar eine ber michtigften bie Ausführung beS 9iobot*PatenteS oom
7. September, moran baS äJfinifterium beS Innern, baS ber SanbeScultur
unb baS ber Sinanjen in gleichem 3Raße betheiligt maren. ©ine principiefle
grage mar bie, ob baS Patent fich au f bie ön ©ninb unb ©oben paftenben
©iebigfeiten an bie ©eiftlitfeit, alfo namentlich auf ben pfarrlicßen 3 epent
erfireefen folle ober nicht. 3t mar bagegen, iubem ich peroorpob, baS Patent
oom 7. September habe eS feinem ©tortlaute unb feinem Sinne nach nur
mit ben untertänigen Seiftungcn unb mit bem beftanbeiten Serpältniffe
^mifchen ©rmtbobrigfeit unb ©runbholben 511 thun; baS ScrpältniS beS geift*
liehen 3 ehentperren ju ben gepentpolben beruhe auf einer gan^ anberen ©runb*
läge unb fei baher burch baS Patent nid^t getroffen. Aber it brang nicht
burt- ©at meinte, man folle iefet mit allen ben bäuerliten ©runb
unb ©oben beftmerenben Saften unb ©iebigfeiten ein ©nbe mateu; felbft
KrauS, ein fo frommer Sohn ber Kirche er mar, mar ber gleiten Meinung,
unb in biefem Sinne fiel beim aut ber ©eftlufS au£.
®er KriegSminifter ©aron Sorbon mar eine biebere Solbatennatur, ber
reblit fein Sagemerf oerrittete. ©r mar SRinifter gemorben, meil e£ oon ihm
oerlangt mürbe unb er als Solbat bortin folgen muffte, mohin man ihn ftetlte;
er mar ohne meiteren ©prgeia, ohne höheren Stauung. ©orbon mar Stuupfer,
it im Stnupfen Stmarofcer; als er eines lageS, ba it mit ihm unb
Kraus oon Kremfier nat Dlntüp fuhr, fein lösten herauS$og unb it tu
um eine prife bat, reitte er mir baS 'Sötten pin unb fagte: „3t &er*
fitere Sie, ein Printen labaf pat mir fton mantmal in ernften Augenblicfen
eine ßonfolation gemährt." AbenbS in Kremfier patte ©orbon mit feinen
Abjutanten feinen frugalen 2pee, unb babei mürbe eine Partie SBpift ge*
matt, an ber it ein imb baS anberemal teilnahm. ©at latte barüber.
„3t bitte Sie," fagte er $u mir, „mir anberen HRinifter miffen nitt
moher mir unfere 3eit nehmen foden, unb er fpielt Karten!"
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3n ftremfier.
297
©ine eigentümliche ©rfcheinung unter ben SRiniftern mar ©rucf,
richtiger „oon ©rucf". ©in ©ilb fräftiger äRämtlichfeit, groß unb ftämmig,
mar er nichts meniger ald jum ©alonntann geraffen; befonberd finb mir
bamald feine berben ©tiefet aufgefaflen; ed h at mich bad jebedmal an ben
franjöfifc^en Sammerpräfibenten, ich gtaube ®upin, erinnert, über ben id)
getefen hatte, bafd er unter feinen fein angejogenen Amtdgenoffen burd) feine
großen Schuhe öon bidtem Seber aufgefaflen fei. ©benfo menig ald £>ofmann
mar ©rud Sureaumann. Aid gemanbter ©ratticud in Irnnbeld* unb inbu*
ftrieflen Sachen moflte er auch in feiner neuen Stellung afled auf fürjeftem
ffiege abthun. „SEBiffen Sie/ fagte er mir, „bad moflen mir ohne Schrei*
bereien unmittelbar unter und audmadjen." Snbeffen famen bie ©Treibereien
bann hoch nach, bei ©ureauarbeiten geht ed einmal nicht anberd. Quod non
est in actis, non est in factis. ©rud mar 9tf)eintänber oon ©eburt, aber
in jungen Sauren nach trieft gefommen unb bort ^eimifT unb ein fo guter
unb patriotifdjer Öfterreidjer gemorben, mie ed faum einen jmeiten gab. Aid
©efTäftdmann jeiebneten ihn ein flarer ©lief unb eine uitbeugfante Xfyatlraft
aud. ©ine congeniate Sftatur, ftanb er in Irieft in allen £mnbel unb 3ubuftrie
betreffenben Angelegenheiten bem Imtftrc&enben ®out>erneur jur ©eite, unb
fo mar ed benn ©tabion, ber bei ber ©itbung bed ÜRinifteriumd in Dlmüfc
bie ©liefe ©chmarjenberg’d auf ben erfahrenen unb einflufdreichen ®ircctor
bed ÖfterreichifT en ßto^b lenfte.
9Kit bem flRinifter für ßanbedcultur, £>errn o. 2 f)innfetb, ftanb ich
im allgemeinen fehr gut, aber eined hatte id) sollen ©runb, ihm übelju*
nehmen. $ie forftmirtfchaftliche Sehranftalt öon 9Raria*©runn ftanb bid
bahin unter bem llnterrid)tdminifterium. Xhinnfelb beanfpruchte fie für fein
SHeffort. SBenn er cd mir gefagt ober in meiner ©egenmart im 9Rinifterratl)
oorgebracht hätte, mürbe ich vielleicht einige ©inmenbungeit erhoben, jutefet
aber ohne greifet nachgegeben haben, ba ja fein ©egefjren feine guten
©rünbe hatte. Allein ich erfuhr gar nichtd, bid mir eined $aged bie
Angelegenheit ald fait accompli mitgetheilt mürbe, mad mich, mie ich nicht
leugnen mifl, etmad „oerfchnnpfte". SEBad bad Sehrperfonal ber ÜWaria*
©runner Anftalt betraf, fo märe ed Diel lieber unter bem Unterrichtd*9Jlini=
fterium geblieben, unb badfetbe mar mit bem Xhicrarjnei=3nftitut ber 3afl,
bad ju Anfang meiner Amtierung gleichfafld unter mir ftanb.
(Sortfe&unfl folßtj
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Das religiöse
Protectorat Österreich-Ungarns in der Cürkei.
tfkm (Eft.
jMKlä bie ottomanifcpen dürfen in Suropa ipr 9teicp gegrünbet patten,
maren unter ben europäifcpett Staaten Öfterreicp * Ungarn unb
granfreicp bie erften, tuelcpe mit ipnen in näpere ©ejiepuugen traten. diefe
©e^iepungen maven aflerbingä fefjr oerfcpieben; biejenigen, melcpe granfreicp
$ur Sürfei unterpielt, mären fepr freunbfcpaftlicpe, fie beginnen mit einem
Mianabertrage oorn gapre 1535, unb erft baä gapr 1799 fiept gran^ofen
unb dürfen baä erftemal gegen einattber in Waffen; bementgegen loarcn bie
©ejiepungeit jtuifcpen 0fterrcicp4lngarn unb ber durfei eine SReipe oon
Kriegen, melcpe beinapc brei gaprpunbcrte oon 1524—1791 auäfitllen, aber
babei ©elegenpeit ju meprfacpen griebenäberträgen gaben.
Somopl bie fiaifer auä betn erlaucpten fmufe £>abäbnrg alä bie
Höuige uon granfreicp pabcn ipre ©e^iepungen 51 t ber Xürfei nicpt blofj für
bie politifcpen unb mirtfcpaftlicpen gutereffen ipreä Steicpeä uenuertet, foitberit
eingeben! ber ©fliepten, roelcpe fie atä fatpotifepe |>crrfcper gegen bie töircpe
patten, paben fie bei allen iprett Verträgen mit ber Xiirfei auep bie ©e=
biirfniffe ber fatpolifepen ftirepe im SReicpe ber Sultane toaprgenommeit.
gd) gebe im 9!acpftepertben bie bie fatpotifepe ^Religion betreffenben
©eftimmungen ber fvan^öfifdften nnb öfterreiepifepen ©ertrage mit ber diirfei,
iubent icp ^ugleicp biefetben einanber gegenüberftefle, um ihren oerjepiebenen
Umfang in’ä vieptige Sicpt $u fepen.
Kapitulation 00 m gapre 1604,
a b g e f cp 10 f f e n 3 iu i f cp e u Honig
nS e i n r i cp IV. u n b S u 1 1 a n 91 cp m e ö I.
s 2Irt. IV. 2üir sollen unb befehlen,
bafä bie Untertpanen be$ Hatferä oon
granfreicp unb ber ipm befreunbeten
giirften bie heiligen Stätten oon geru*
talem befuepen fonnen, opne bafä ihnen
grieben oon ien, gefcploffen
1615 3 io t f cp e n H a i f e r 9R a t p i a 3
unb Sultan s 2lpmeb I. (üRobt*
fication b e 3 ©ertrage« oon
3 fitua*Torot ootn gapre 1 606)
91rt VII. diejenigen, welche fiep al3
©olf gefu Kprifti befennen, bie Anhänger
be3 ©ap’jeä, ©riefter ober ÜRöncpe ober
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$aS religiöfe 'Jkotectorat Öfterreid^Ungarns in ber dürfet.
ein JpiuberniS bereitet ober eine Unbill
jugefiigt werbe.
s ilrt. V. Um ber Khte unb ber Freunb*
fdjaft biefeö KaiferS willen wollen wir
jerner, bafS bie SERönc^e, welche in §tx\x*
falem wohnen unb bie Kirche ber ^luf-
erftehung*) bebienen, bort ohne ©törung
unb IpinberniS wohnen, fommen unb geben
fönnen, bafS fte gut empfangen unb be*
fchiifet werben unb ihnen Jpilfc unb ^ei*
ftanb geleiftet werbe.
Kapitulation oon 1 7 3, ab*
gefcbloffen 5 w i f cb e n König
8 u b w i g XIV. unb © u 11 a n ÜJl u b a*
meb IV.
$>ie Ftanjofeit, welche bie bl- Stätten
befugen, [ollen nicht miiehanbelt werben,
unb bie ÜJlöitdje, welche in ber Kirche beS
hl. (SrabeS fmb, [ollen nicht beläftigt
werben, uni ber alten Fteunbjd)aft willen,
weldje bie Kaifer oon Franfreid) mit
utiferer Pforte halten.
‘Sie lateinifchen SKfcböfe unb 9Jtönche,
welcheUntertbanen F*anfreichS
f i n b, [ollen an allen Orten uitfereS Reiches
io wie fie bisher waren, wei er bleiben
unb fie follen ihre Functionen auSiiben,
ohne bafS fie Sentanb ftöre ober hinbere.
SDie franjofifchen ÜJtöndje, welche in
3erufalem fmb unb feit Sängern bie
hl. ©tätten fowobl innerhalb als aufeer*
halb beft&eit, fowie auch biejenigen, welche
in ber (SrabeSfirche fmb, follen in biefem
(Senuffe unb '«öeft&e bleiben, ohne bafS
Tie Semanb burch Forberung oon Abgaben
ober jonitwie beläftige, unb foferne fie
einen SHechtSftreit haben, [ollen fie an
unfere b- Pforte gefchicft werben.
Wir wollen, bafS bie patres Fefuiteit
unb Kapujiner in iSalata im (Senuffe
ihrer Kirchen bleiben, unb wir erlauben,
bafS bie Kapujiner Kirdie, ba fie abge*
bräunt ift, wieber aufgebaut werbe.
Wir wollen auch, bafS man bie
Kirchen ber Franjofen in ©mprna, ©aiba,
*) b. i. bic bl- @rabe3fird)e.
299
^efuiten, werben bie KvlaubniS haben,
in ben Söefifeungen beS KaiferS ber litrfeu
Kirchen ju erbauen, in beneit fte nach
ihrem brauche unb nach ben Regeln ihres
OrbeitS unb bem alten Jperfommen baS
Koangelium lefen, ftd> oerfamnteln unb
ben (SotteSbienft werben halten lönnen.
Vertrag oon K 0 n ft a u t i n 0 p e l
3 toifchen Kaifer Seopolb I. unb
©ultan ÜJtebmeb IV. 1681.
$ie 'Ulöiuhe, ^efuitcu unb (Seift*
liehe ber fatholtfdjeu Kirche, welche in
ben türfifchen Orten wohnen, follen nicht
ungeredit bebrängt unb gequält werben;
fie follen im ©inue ber Kapitulationen
unb ber enoirften ^evorbuungen ber
Pforte befchiifct loerbeu unb es foll nicht
erlaubt fein, bafS fie beläftigt werben.
FriebenSoertrag oon Kar1 0 wiH
jwifchen Kaifer Seopolb I. unb
©ultan *Dluftafa II. 1 Bi#i>.
9Irt. XIII. 5>er ottomanifdje Kaifer
beftätigt 311 t* fiirberen v - 8 eobad)tung aller
giinftigen ^ugeftänbniffe, welche feine
Vorgänger beit (Seiftlichen unb ber s 2luS*
iibuug ber deutlichen SHeligion nad) bem
>HituS ber röinifch fatbolifchen Kirdje, fei
e$ burch Krläffe ober burd) ©pecial*$erorb’
nungen gemacht haben. ©0 werben bie
genannten (Setftlichcu ihre Kirchen re*
parieren unb auSbeffern, ihre oon alterS
hertömmlichen Functionen ausiiben fönneu.
Sliemanbem fei eS erlaubt, bie (Seift*
liehen, welchem Orben ober Stange immer
fie angehören, ben Kapitulationen uub
ben göttlichen (Sefefcen entgegen burch
irgenb eme^eläftigung ober ©elberpreffuitg
in fränfen; fie mögen ber gewohnten
faiferlichen Dichtung fid) erfreuen unb fte
geuie&ett.
Ferner foll eS bem Wbgefatibten
©r. ÜJlajeftät beS römifchen KaiferS bei
ber frohen Pforte geftattet fein, feine
Aufträge bezüglich ber Religion uub ber
chriftlichen Wallfahrtsorte in ber heiligen
©tabi F eru falem attSeinanberjufeben unb
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300
21). 91. 3>ppen.
9Ueyanbrien unb in allen anberen §afen-
orten unfereS Reiche« nicht beläftige, noch
bafS man oon ben granjofen für btefe
Kirchen ©elb aboerlange.
2 öir erlauben, bafS fte im ftofpital
in ©alata ©otteSbienft galten fönnen,
ohne baf« fte gemanb beläftigt.
(Kapitulation oon 1740, abge*
fdjloffen jroifchenSultanSRuha*
meb unb ftönig i^ubroig XV.
9lrt. I. OJton roirb bie granjofen,
bie fommen unb gehen, um gerufalem
ju befugen, foroie bie ÜHönche, bie in
ber Jtfirche beS fjl. ©rabeS fmb, nicht
beunruhigen.
9Irt. LXXXII. 3Bcnn bie Stätten,
roelche bie oon grantreich abhängenben
ÜJtöndje in Qerufalem befifeen, Reparaturen
nöthig haben, um oor bem SöerfaUe
gefchüfet $u roerbcn, fo toitb man über ©er^
langen beS ©otfdjafterS oon grantreich
befehle erlaffen toerben fönnen, bie biefe
Reparaturen geftatten; bie $abi unb
©efehlShaber toerben ben burd) ©efehl
erlaubten Gingen fein frinberniS bereiten
bürfett 2)a unfere Officiere unter bem ©or*
roanb, bafS man an biefen Stätten ge*
heime Reparaturen oomehme, mehrere
Rtale im gafjre 2)urd)fuchungen ab--
hielten unb ben SRöndjen ©elö ab*
preßten, fo befehlen mir, bafS oon Seiten
ber ©afdja, ftabi unb ©efehlShaber nur
einmal im gahre in ber Kirche genannt
baS ©rab gefu unb in ben anberen
Kirchen unb ©ilgerftätten eine 2>urd)-
fuchung gehalten merbe.
2 >ie ©ifdjöfe unb ©eiftlichen, melche
oom ftaifer oon granfreich abhängen unb
bie fich in meinem Reiche befinben, merben
befdnifet merben, folange fie ftch in ben
©renjen ihres StanbeS halten; niemanb
barf fte oerhinbern, in ben Kirchen, bie
fte befifeen, foroie an ben anberen Orten,
roo fie rnohnen, ihre Religion nach ihrem
brauche au« 3 uüben.
fein ©egehren ju ber faiferlidjen Schmette
ju erheben.
griebenSoertrag oon ©affa-
roroife jroifchen ftaifer Staxl VI.
unb Sultan 9lhmeb III. oon 1718.
9lrt. XI. 2Bie ber oorhergehenbe.
griebenSoertrag oon ©eigrab
jroiichen ftaifer $arl VI. unb
Sultan ÜJtuftafa oon 1739.
9Irt. IX. 2Bie ber oorhergehenbe.
griebenSoertrag oon Siftom
jmifchen ftaifer öeopolb II. unb
Sultan Selim III. oon 1791.
9Irt. XII. 5öaS bie 9IuSübung ber
chriftfatholifchen Religion im ottomanifchen
ftaiferreidje betrifft, ihre ©riefter, ihre
Anhänger, bie Erhaltung unb Reparatur
ihrer Kirchen, bie greiheit beS ©ultuS
unb ber ©erfonen, ben ©ejuch unb ben
Schüfe an ben heil. Stätten oon gerufalem
unb an anberen Orten, fo erneuert unb
beftätigt bie Jpohe Pforte nach &em
©runbfafee beS ftricten Status quo nicht
allein bie burch ben 9lrt. IX. beS ©er¬
trage« oon ©eigrab biefer Religion ju>
gefieberten ©rioilegien, fonbern auch jene,
roelche burch germane ober anbere
fouoeräne 9Icte fpäter jugeftanben mürben
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2)a3 religiöfe Vrotectorat Öfterreicb=Ungarn3 in ber dürfet. 301
2 )ie t)ier angeführten Verträge begrünben jmifchen ber Xürfei unb
Ofterreich-Ungarn, bejiehungSmeife granfreich, ein StechtSoerhältnte, melcheä
ba£ 0 fterreich 5 Ungarn unb granfreich juftehenbe ©chufcrecht für bie fatljolifche
Kirche in ber Sürfei barfteflt. $iefe£ Schulrecht, heutiger au3gebrücft ba£
Stecht, ben ©cfjufc für bie fatljolifche Kirche auSjuüben, ift mie ein Seroitut,
melcheä bie Xürfei jenen beiben Staaten befteßt hat. ®er Sultan räumt
burch biefe Verträge ben beiben Staaten ba£ Stecht ein, bezüglich ber Ve*
hanblung ber tatholifchen Kirche Vorfteflungen machen $u bürfen, menn folche
nöthig finb, er geftattet alfo eine Snterüention, eine ©inmengung ber beiben
Staaten ju ©unften ber tatholifchen Kirche unb oerpflichtet fich, folche 3nter-
oentionen entgegenfommenb auf$unehmen. $a3 ift in ben Verträgen mit
bem Kaifer auäbrücflich gefagt: „®£ fofl bem Slbgefanbten ©r. SWajeftät be$
römifchen KaifevS bei ber Pforte geftattet fein, feine Aufträge bezüglich
ber Steligion auöeinanberjufepett unb feine gorberungen oor ben faiferlichen
Xhron 31 t bringen. 1 '
s 2lfle citiertenVertrag3-2lrtifel enthaltenStechte, melche bie türfifchen Sultane
ber tatholifchen Kirche concebieren; baburch, baf$ biefe Verpflichtungen in einem
Vertrage mit einem anberen Staate aufge^ählt merben unb ba jeber Staat
über bie richtige Ausführung feiner Verträge macht, hoben Ofterreich^Ungarn
unb granfreich baS Stecht erhalten, über bie Einhaltung ber ber tatholifchen
Kirche juerfannten Stechte $u machen, baS ift, biefelbe bort, mo cS nöthig ift,
gegen eine Schmälerung ihrer Stechte $u fchüfcen. SJurch biefe Verträge finb
bie beiben Staaten ©arattten für bie 3 u 9 e ftänbniffe gemorben, melche bie
Sultane ju ©unften ber tatholifchen Kirche gemacht hoben.
ßmifchen ben Stipulationen, melche bie Xürfei mit granfreich unb mit
Öfterreich*Ungarn abgefchloffen hot, befteht ein Unterfchieb ju ©unften beS
festeren; bie VertragS^Artifel mit granfreich fprechen immer oon ben Vifdfjöfen
unb ©eiftlichen, melche Untertanen granfreichS finb ((Kapitulation oon 1673)
ober melche 00 m Kaifer oon granfreich abhängen (Kapitulation oon 1740);
eS ift alfo baS Schulrecht auf biefe Kategorien eingefchränft. $ie Artifel
ber mit bem Kaifer abgefchloffenen Verträge hingegen geigen teine folche ©in-
fchränfung, in ihnen eS immer „bie chriftfatholifche Steligion, ihre
Vriefter unb ihre Anhänger".
$5iefeS Stecht beS religiöfen VrotcctorateS mirb oielfach befämpft, — ich
fage befämpft, benn beftritten fann e£ nicht merben, — unb bieS in erfter Sinie
oon bemjenigen Simile, ber feinerjeit biefeS Stecht befteßt hat, oon ber Xürfei.
@3 mirb oon türfifdjer ©eite eingemenbet, bafS jeber fouoeräne Staat in
feiner ©efefcgebung unb in feiner inneren Vermaltung unabhängig fei; baS
retigiöfe V^otectorat bebeute aber eine fortmährenbe ©inmengung feitenS
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302
Tb- '21. 3ppcn.
eines fremben Staates in beibcS. 9Ö?an ift babei oon türfifc^er ©eite weniger
empfinblit, folange eS fit um frembe Untertanen unb ihnen gehörige
3nftitute bonbeit, ba man an Sonberrettc ber fremben in ber Xürfei
gewöhnt ift; bcfonberS ftwer wirb baS religiöfe $rotectorat empfunben, fo*
ferne Untertanen ber Xürfei unb bereu ^nftitutiPtieti in grage fomrnen. ®S
ift ja ganj richtig, bafS bie oon tiirfifter ©eite beanfprutte 9luSftliefeung
jeber fremben ®inmenguitg ber allgemeine ©runbfaf} ift, melier bie öejie^ungen
ber Staaten regelt; aber biefe allgemeine Siegel ift nidjt Don ber $rt, bafS
ShtSnabmen Don ihr ganj auSgeftloffen wären; biefe SluSnabmen muffen
eben nur eine im Sinne beS internationalen Siebtes legale 93afiS hoben;
bafS biefeS bei bem religiöfen $rotectorate ber 5aH ift, beweifen bie citierten
SertragSbeftimmungen, unb man mufS alfo oon türfifter ©eite fit bamit
tröften: volenti non fit iniuria. Solange bie Staaten, weiten baS SRett
befteflt worben ift, für bie SRette ber fatboliften Sfirte unb beS fatboliften
©leruS einautreten, auf ifjr Stett nitt beritten, fann bie liirfei eS ihnen
nitt abfpreten ober ftmälern.
Saut ber Verträge ^ätte alfo Öfterreit 5 Ungarn baS Stufcrett über bie
fatbolifte fiirte unb ben fatboliften ©leruS, fowie über bie $atbolifen ohne
jebe locale ober fonftige ©inftrönfung in ber ganzen Xürfei auSjuübeu.
®ie 9Ronai*tie bot fit jebot felbft eine locale ©infträufung auferlegt; fie
übte baS ©t l t re tt continuierlit unb intenfio in ben ihren ©rennen ftunätft
liegenben türfiften s 4 JroDinjcn auS, wäbrenb fie in jenen türfiften s J5rooinjen,
mit weiten eine ®erbinbuug nur auf bem Seewege möglit war, ba fie
im 17. unb 18. Slobtunbert feine 9Rarine unb feinen Seebanbel hotte, Don
einer birecten Ausübung beS StufcretteS abfal); in biefett s #rooinjen nahm
fit Sranfreit ber fatboliften Sii'te an, ba eS obnebieS mehrere |mnbelS=
nieberlaffungen unb SHöfter fran^öfifter OrbenSgeiftliter bort hotte. 3ebod)
ift aut Öfterreit'Ungarn 511 wieberbolten SJlalen $u ©unften ber heiligen
Stätten Don Serufalent eingetreten.
3t höbe bis nun oerfutt, bie SSefenbeit beS religiöfen N ßrotectorateS
ju befinieren unb fein ©eltungSgebiet anjugeben; it Will jefct erörtern, weites
ber Umfang biefeS StnhretteS ift, baS ift 311 ©unften weiter Stette ber
Stuft auSgeübt werben fann.
$ie grietifte unb bie armenifte Sirte haben jebe ihr eigenes Statut,
weites ihnen Don ber türfiften ^Regierung Derliehen worben ift, fie fiitb
gewifferntafjen ftaatlit anerfanntc ftirten. 3lut bie orientaliften Siiten ber
fatboliften ftirte, Wie bie armeniften ilatholifen, bie grietiften fiatbolifen
haben ähnliche Statuten; bie fatholifte Sirte lateiniften StituS hot fein
folteS Statut, fie erfteint baber wie nur toleriert; unb bot leben in ber Xürfei
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$06 religiöfe ©rotectorat ßfterreich41ngara0 in ber Xürfei. 303
(legen 120.000 fiatholifen lateinifchen SRituS, metche Untertanen be$ Sultan#
finb. $ieje oerfchiebene ©ehanblung ber triftlidjen, ja jogar ber einzelnen
fatholifchen Stirnen ift eine merfmürbige Erlernung, ich begnüge mit, biefelbe
hier heroor^uheben.
Um fcftjuftellen, meldje# bie Steckte ber tateinifc^en Kirche in ber Xürfei
finb, rnüffen in erfter Sinie bie Verträge mit ben Saifern au# bem
^paufe £>ab#burg confultiert merben. $iefe Verträge entsaften felbft
iolchc Rechte, tljeil# öcrmcifen fie auf anbere Ouetlen unb jrnar Serorbnungen
ber Pforte (Vertrag oon EonftantinopeO, ältere Special*£rläffe unb befehle
ber Sultane (©ertrag tum Slarfomifc), Fermane unb anbere fouoeräne STcte
(©ertrag non Si#tom>.
$iefe ©ruppc non 9lecht#quetlen oerbient eine nähere Erörterung; mählt
man für bie iu ben oerfchiebeneit Sertrag#tej:ten gebrauchten 2lu#briicfe bie
bem türfiften StaatSredjtc geläufigen ©ejeichnungen, fo umfaßt biefe ©rnppe:
1. $ie Sermaite unb Serate, rnelche oom Sultan birect erlaffen finb:
biefelben fönnen allgemeine Serfügungen enthalten, finb jeboch äuntal in
ben früheren 3^iten meift für einzelne ©erfonen, ^nftitutionen ober für
fpeciellc Fälle erteilt morben; e# finb alfo lanbe#fürftlid)e Diplome unb
Freiheiten. E# bürftc fehler halten, eine größere. Sammlung folchcr Urfunben
3 uiamntcu$ubringeu, ba bie oerfchiebeneit ©ifcfjöfe, fitöfter ober fonftigen
©erfönlid)feiten, rnelche fie feinerjeit erhielten, fie nicht mit ber miinfchen#=
merten Sorgfalt aufbemahrten. £# ift bie# übrigen# fein fo empfinblicper
©erlnft, ba biefe Urfunben ^nmeift Freiheiten enthielten, rnelche feither burch
©efefce oerallgemeinert unb cobificiert finb, ober fich auf Abgaben bezogen,
rnelche bereit nicht mehr beftepen.
3t glaube, bloß bie Fran^i^caner be# h c il*9 cn Sanbe# bemafjren eine
grofee 2ln$ahl oon Fermanen unb Seraten auf, rnelche ihnen ben Sefifc ber
heiligen Stätten bestätigen unb oon benen ein guter 2heil burch Snteroention
ber faiferlicheit ©otfehafter unb Fnternuntien beim türfifchen^ofe ermirft mürben.
2 . $>ie Emntame — Sifirialfchreiben, ba# finb Serorbnungen, rnelche
bie jemeiligen ©rofcoefire an einzelne ©rooin^gouoerneitre 511 ©unften ber
fatholifchen fiirdje erlaffen haben.
3. SBären offenbar auch bie ©efefce hier ein^ureihen, joferne folche
erlaffen mürben, rnelche bie fatholijcpe Kirche betreffen.
Eine legi#latioe Ihätigfeit beftept in ber jiirfei erft feit bem ^aljxe 1830,
in meinem burch ein faiferliche# ©atent ein 3taat#grunbgeie$ in europäifchem
Sinne erlaffen mürbe, ber fogenannte £>atifcherif oon ©ülhane.
Xie fatl)olifche Kirche intereffierenbe ©eftimmungen enthält ein
jmeite* faijerliche# ©atent oon 1856, ber $atihumajnn ferner ba# ©eje$
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304
$1). 31. gppen.
Pom 7. 3iU)ibföc 1281 (3uni 1864) über bie gollfreiheit unb baS ©iftrial*
fcfereiben Pom 1. Sefer 1278 über bie Seftamente ber Efjrifteit.
3ch mill nun oerfucfjen, auf ©runb biefer brei ©ruppen Pon SRechtS*
quellen, ben ©erträgen, bem $erfommen unb ben cobificierten ©efefcen, bie
ooraiiglichften SRechte ber fatfjolifäen Sirene jnfammenguftellen unb auf^ujäplen.
a) greiheit be£ ©efenntniffeS. 2>ie ©efenner ber fatholifcfeen Sirene
follen megen ihrer religiöfen 9Reinuttg meber beleibigt noch beunruhigt unb
noch öiel meniger Perfolgt ober beftraft merben. (^atihumajun, alinea 8.)
©3 gibt in ber Siirfei noch immer ©egenben, mo bie Katholifen Pon
©eite ihrer mohammebanifchen SanbSleute beunruhigt unb jum Stbfafle Pom
KatholiciSmuS getrieben merben; bie Regierung h at nic^t bie SRadfjt, biefe
gegen bie Freiheit beS ©efenntniffeS oerftofeenben Übelftänbe abjuftetlen.
b) greiheit für ben ©leruS, fein ©riefteramt au^uüben. S)ie fatholifchen
©eiftlichen, SRöncfee, meinem Drben immer fie angehören, auch gefuiten, bürfen
nicht beläftigt ober gefränft merben, fie tperbert bie faiferliche Achtung
geniefeen, (©ertrag oon ßonftantinopcl unb ©ertrag Poit Karlomifc, 31rt. XIII.)
3m Sinne bicfeS Rechtes erhalten bie fatholifefeen ßrjbifchöfe unb
©ifchöfe faiferliche ©eftal!ung3=Urfunbcn, fogenannte Serate. ©ie bürfen
in ihren ©ifitationSreifen in ben $iöcefen nicht behinbert merben.
3113 SRufter eines folgen ©erateS fei hier ber folgenbe miebergegeben:
31n ben Sali oon SRonaftir, an ben ÜRuteffarrif unb ben
Kabi oon ©futari. ®ie ©otfefeaft ©r. 9Rajeftät beS KaiferS oon
Dfterreich, König Pon Ungarn, h at mitgetheilt, bafS gra ©iutio äRarftli
jum ©ifchof pon ©apa in ber ©rooinj ©futari ernannt morben ift, unb hu*
ein faiferlicheS ©efehlSfcfereibcn erbeten, bamit berfelbe in ©emäfeheit unferer
©ertrage ©chu$ unb ©eiftanb erfahre. $)er Slrtifel IX beS jmifchen äReiner
unb ber ermähnten Regierung abgefcfeloffenen ffiertrageS Pon ©eigrab befagt:
3tHe ©ertragSbeftimmungen aus ber $eit ber Sultane, meiner ©orgänger,
51 t ©unften ber fränfifchen ©eiftlicfeen, fomie alle ©onceffionen, melche alle
©eiftlicfeen inSgefammt, fei eS oor, fei cS nach bem grieben Pon ©affaromifc
burch fpecieüe faiferliche Urfunben unb ©efehle erhalten h^öen, merben
beftätigt. 3nbem bie Einhaltung beffen 9Rein 3UIerhödhfter SBiüe ift, thue
ich funb unb ju rniffen, bafS fämmtliche ©ertrage unb Slbmacfeungen amifefeen
3Reiner unb ber ermähnten Regierung eingepalten merben müffen unb in
beren ©emäfeheit bie erforberlichen ©eranlaffungen §u treffen feien. 3 hr,
Sali, SRuteffarrif unb Kabi, h a & c * nun nach biefer SBcife 51 t hobeln unb
oorjugehen. ©egeben am 20. ®fchemafü(emel 1291.
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Dal reltgiöfe 'Ikotectorat f |terreid)Ungams in ber Jiirfei. 305
©ne fernere golge ber greiljeit bei Elerul ift, bafl aßen fatholifchen
Crben erlaubt ift, {Rieberlaffungen in ber Dürfei ju grünben. (grieben öon
SBien, 2lrt. VII.) {Rad) ber berjeit befteljenben Übung obliegt el ben Drben,
welche eine {Riebertaffung in ber Diirfei grünben Woßen, baju eine laifer=
lid>e ©laubnil ber türfifdjen Regierung ju erlangen. Drbenl={Rieberlaffungen,
welche biefer Sorfdjrift nicfjt nachfommen, wirb ber ©enufl Derfcfjiebencr
Immunitäten, Welche folchc {Rieberlaffungen im principe hoben, oerweigert.
c) greiljeit ber äufjeren Slulübung bei ßultul. Die Slnljänger bei
fatholifchen ©laubenl bürfen nach ben Sorfdjriften ihrer {Religion fi<h in
ben Sirchen oerfammeln unb ©ottelbienft galten, (grieben oon SBien, Slrt. VII.)
Seine Sirdje ift in ber äußeren Ausübung if)rel Eultul einer Sefdjränfung
unterworfen, foferne in ber betreffenben Örtlidjfeit fein anberel ©laubenl»
befenntnil oorfommt. (,fpa tihumafun alinea 6.) Sn ben Stabtüierteln unb
Dörfern, welche alfo eine rein fatf)olifcf)e Seoölferung hoben, bürfen auch
afle auf?erf)alb ber Sirchen abjuljaltenben Seremoitien ber fatholifdjen {Religion
ungeftört aulgeübt werben, j. S. ©roceffionen. 9iic£)t im ©nftange mit
biefer Seftimmung ftet)t bie berjeit befolgte {J5rajil bezüglich bei ©ebraudjel
Oon Sirchenglocfen. 5Rach ben citierten Seftimmungen wäre in rein fatholifchen
Dörfern ober Stabtüierteln bal Sänten ber Sirchenglocfen frei; in SBirflichfeit
febodj Wirb nic^t erlaubt, Sirchenglocfen anjubringen unb jtt läuten ohne
aulbrücflidje ©laubnil ber Eentral=SRegierung für jeben fpecießen goß.
d) greiljeit ber ©richtung neuer Sirchen unb {Reparatur ber alten Sirchen.
'Die Anhänger ber fatholifchen {Religion hoben bie ©laubnil, in ben
Sefifjungen bei Saiferl ber dürfen Sirchen ju erbauen (gricben oon SBien,
Slrt. VII.); bie fatholifchen ©eiftlichen bürfen ihre Sirchen reparieren
(Vertrag üon Sarlowih unb fpätere). Dro(j biefer Seftimmungen hotte fich
bie Übung eingeniftet, bafl bie ©bauung oon Sirchen an Orten, wo früher
feine beftanben hotten, nicht geftattet würbe, gm Soljre 1856 erft würbe
gefefjlidj beftimmt, bafl in Stäbten unb Dörfern, beren Seoölferung ber»
felben {Religion angehört, bie ©bauung unb {Reparatur oon Sirchen, Schulen,
Spitälern, griebf)öfen frei ift, in confeffioneß gemachten Stäbten nnb Dörfern
jebodj nur bann, foferne für bie betreffenben Gonfeffionen ganj getrennte
Stabttheile ober Siertel beftehen. (^atihnmafun alinea 5 unb 6.)
gn Stabtoierteln ober Dörfern, in benen fatholifche unb mohammebanifche
gamilien oermengt mit einanber leben, ift bie ©bauung oon fatholifchen
Sirchen überhaupt nicht geftattet, währenb bejüglidj mohammebanifcher SRofcheen
feine Sefdjränfung befteht.
Die üon biefem ©efefce ftatuierte greiheit ber ©bauung neuer Sirchen
ift jeboch nicht unbefdjränft, oielmehr müjfen, wenn ber Sau in glaubenl»
lic flultur. III. Jlafiro. 4. $«ft (1902 ) 20
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306
XI). % 3>ppen.
einheitlichen Orten geplant ift, bie Saupläne burch faiferlichen Sefehl
approbiert fein; loo e£ ftd^ um gemifcht'confeffionelle Orte hobelt, ift für
Kirchen, ©farrhäufer, Schulen, Spitäler, griebhöfe eine ©etoiöigung burch
faiferlidje ©ntfcßließung notljtoenbig. {Rach ben Verträgen unb ©efefcen märe
bie {Reparatur beftehenber Kirchen, foferne fie mit feiner ©rtoeiterung ober
Vergrößerung üerbunben ift, ganj frei. 3n SEBirflichfeit toirb aber auch für
bie {Reparatur bie ©inholung ber ©rlaubnig beä {ßrobins s Statthalterg, oft
auch ber Eentralregierung in ©onftantinopel borgefchrieben.
e) X)ag {Recht, Schulen $u errichten: 3ebe§ {Religionäbefenntnig ift
berechtigt, öffentliche Schulen für toiffenfchaftlicßen unb geloerblichen Unter*
rießt ju errichten (§atihumajun alinea 10 ).
Sluch biefeg {Recht h^t in ber {ßrajig bie Sefcßränfung erfahren, bafg
jur ©röffnung jeher Schule, auch ber ©lementar*$orffchulen, eine faiferliche
©ntfcßließung nothloenbig ift.
f) ®ie ©efefce ber fatholifchen Kirche finb alg giltig anerfannt für bie
©hefachen ber Katholifen; bie gurigbiction toirb bon ben fatholifchen $iöcefan*
gerichten auggeübt, loelche au<h ©rbfcßaftgproceffe entfeheiben fönnen, toenn
beibe Iheile ihrer 3iirigbiction fich unterloerfen ($atihumajun, alinea 13).
®ag fatholifche Kirchenred)t ift für bie leftamentc ber Katholifen maß*
gebenb; bie türfifeßen Sehörben erfennen ben fatholifchen Sifchöfen notarielle
Sefugniffe bejüglich ber Xeftamente ber Katholifen ju (Vifirialfchreiben bom
7. Sefer 1278).
g) Befreiung be« ©lerug bon geioiffen Steuern, ©ebäube, toelche bem
©lerug gehören unb bon ihm beioohnt toerben, finb bon ber birecten Steuer
befreit, ©emiife*, SBein*, Dbft* unb Dlibengärten genießen ebenfalls bie
{Befreiung bon ber birecten Steuer, toenn fie bem Unterhalte beg {ßfarrerg
ober beg Klofterg bienen. Son Slcfern toirb ber 3ehent entrichtet.
X)ie geiftlicßen {ßerfonen ober Slnftalten genießen für ben SBein, ben
fie in ihrem $aufe für ihren Sebarf feltern, unb für ben ©rannttoein, ben
fie beftiUieren, bie {Befreiung bon ber Spirituofen*Steuer.
Sille sur ©rhaltung ber Kirchen bienenben ©egenftänbe, toelcße aug bem
$uglanbe eingeführt toerben, finb sollfrei.
©eiftlicße ©erfonen unb Slnftalten fönnen alle sunt Unterhalte nötigen
©egenftänbe toie Kleibung, {Rahrunggmittel :c. big su einem geioiffen SRajimal*
betrage soüfrci aug bem Sluglanbe besieheit. —
2lug biefer Slufsählung ber {Rechte ber fatholifchen Kirche läfgt fich
fließen, bafg £)fterreich*Ungarn — melcßem bag {Recht befteüt tourbe, jebegmal
einsutreten, toenn eineg jener {Rechte beriefet ober borenthalten toirb — häufig
in bie Sage fommen mufg, folche gnterbentionen eintreten su taffen. ®er
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2>a8 religiöfe 'Ikotectorat Öfterreit'UngarnS in bet Xiirlei. 307
Vertrag Bon S'arlotüi^ unb alle fpäteren Verträge enthalten bie Seftimmung,
bafS bet Vertreter 6t. ÜRajeftät beS faiferS befugt ift, Sorftetlungen in
religiöfen Slngelegenbeiten ju ergeben unb Sorberungen jn ftetlen. ®a bie
Verträge immer Bon SBefenuern ber fatljoliften ©eligion unb fatbotiften
©eifttiten fpreten, ohne bie ©inftränfung auf ©itt°Untertbanen ber
Xürfei, fo ift baS Stecht ber ©orfteüungen unb Sorberungen aut für ben Satt
gemährt, bafS eS fit um türfifte Untertanen fatbotifter Religion banbeit.
6« haben fi<b Sülle ereignet, bafS bie fatljotifte ©eoölferung einer ©egenb
Bon ihrer mobammebanifdjen Umgebung megen ihres fatbotiften ©efennt»
niffeS angegriffen Würbe, es fann oorfommen, bafS fatljolifte ©eiftlüb«,
welche türfifte Untertanen finb, wegen ihrer geglichen Shätigteit bebrotjt
ober Berle|t werben, es fann fit barum banbeln, an Orten, wo nur türfifte
Uitterthanen wohnen, eine neue fatholifte Sfirte ju bauen. Sn folten
unb äbnliten Säßen hat Öfterreit 5 Ungarn immer burt ©efürWortung unb
©orfteßungen bei ber tiirfiften Regierung fein Stufcrett ju ©unften ber
fatholiften Sntereffen auSgeübt.
©on tärfifter Seite Wirb eingewenbet: auf tärfiftem ©runb unb
©oben für eine ©emeinbe, bie auSftliejjlit auS Untertanen beS Sultans
befiehl, eine ft'ircbe ju erbauen, fei eine Slngelegenheit, wett« eine anbere
Regierung nittS angehe, unb jebe ©inmiftung berfelben fei baher abjuweifen.
©om allgemeinen, teoretiften Stanbpunfte beS ©ölferretteS ift biefer
türfifte ©inWanb gewifS rittig, jum Unglücf für biefen türfiften ©inWanb
aber hat fit bie türfifte Regierung atlerbingS oor 3aht UI, berten biefeS StetteS,
frembe ©inmengung auSjuftliefeen, begeben, unb eS fann je^t Öfterreit'Ungarn
nitt jugemuthet werben, auf ihm concebierte ©ette ju nerjitten, bloß weil
beren Ausübung je|t bie türfifte ©mpfinbtitfeit Berieft.
S)ie SluSiibung beS religiöfen ©rotectorateS bebingt nitt auf ber
anberen Seite einen ©erjitt auf bie SouüeränitätS=9tette, biefe Ausübung
ift ganj gut Bereinbar mit bem Bollftänbigen ©efpecte gegenüber ben Stetten
beS SanbeSherrn. IBaS Object beS religiöfen ©rotectorateS finb ftliefjlit
Sfette, wette ber SanbeSherr fetbft freiwillig gewährt hat, ber gweef beS
©rotectorateS ift eS, eine ©ruppe ber ©eBötferung in gufriebenbeit unb
©rgebenheit gegenüber ihrer eigenen ^Regierung ju erhalten. Öfterreit=Ungarn
hat fein Stufcrett ftetS in biefem Sinne auSgeübt unb eS nie baju benufct,
um ber Ittrfei ©erlegenbeiten ju bereiten, fonbern hat ihr im ©egentbeil
©erlegenheiten erfpart. SBenn man anbererfeitS bie Säße, in benen Öfterreit 5
Ungarn fein Stufcrett auSgeübt hat, burtprüft, fo ergibt fit ber StlufS,
bafS baS Stufcrett not eine Stothwenbigfeit ift unb ein Serjitt barauf
moralift nitt ju rettfertigen wäre.
20*
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308
$b- 21. 3ppen.
2 lln bie Äaifer aun bcr ^abnburg'fcfeen Stynaftie ban Schulrecht über
bie fatbolifebe Kirche in ber Xürfei erwarben, erwarben fie en nicht aln
eine potitifebe ©rrungenfefeaft; politifebe ©rrangenfdjaften finb in ben Verträgen
bureb territoriale ©rmerbungen unb Erwerbung commerdefler Sortbeite
repräfentiert; bie Erwerbung ben ©ebufcreebten mar für bie Sfaifer eine
moralifcbe Serpflicbtung, bie aun ihrer Stellung ber fatljottfdjen ftirebe gegen*
über remitierte; unb wie en erworben worben ift, fo Wirb biefen 8 ?ed)t aun*
geübt, nicht aln politifeben SJtittel, fonbern aln moralifcbe Serpflicbtung.
©nbficb mufn nod) f}ert>orgef)oben toerben, bafn ber ©ebub ber religiöfen
Steckte ber Äatbolifen in ber lürfei nicht gleicbbebeutenb ift mit einem
Schub über bie ffatfyolifen überhaupt. ®ie Sejiebungen awifeben ber türfifeben
^Regierung unb ihren faäjolifcben Untertanen finb frei oon jeber fremben
©inmifebung, fotange fie nicht in bie religiöfe Siecbtnfpbäre faßen.
©n befielt eine 2lnfidjt, nach melier ber Serliner Sertrag in ban
Stecbtnoerbältuin ben religiöfen ^rotectorateä eine Slnberung gebracht pätte;
biefe 2(nfc^auung beruft ficb auf ben ärtifel LXII alinea 6 :
„$)an Stecht ben officießen ©efeub^ Wirb ben biplomatifcben unb
©onfular* 2 lgentcn ber SWäcbte in ber liirfei $uerfannt fomobl in Setreff
ber ©eifttteben, Silger unb SRöncbe aßer Nationalitäten, aln auch ber oon
ihnen gehaltenen geiftlicben Söobltbätigfeitn* unb anberen Slnftalten, unb bien
fomobl an ben heiligen Stätten wie anbermärtn."
®ie Serfecbter jener 2lnficbt interpretieren biefen 2lrtifel babin, bafn
bie in ber Xürfei mirfenben ©eiftlicben frember Nationalität ben ©d)ufc ben
Sertretern ihren £>eimatnlanben geniefeen, bafn, foferne biefe ©eiftlicben
3nftitute (eiten, auch biefe 3nftitute ben ©ebub biefen Sertretern geniefeen,
bafn fobin für ein fpedeflen religiöfen Srotectorat feiten^ einer britten SRadjt
fein Slab mefer ba fei.
®an ift nicht richtig. ©rftenn müfnte, foferne ber Serliner Songrefn
bie alten Srotectoratnrecbte hätte aufbeben moßen, bien aunbrüdlicb gejagt
fein, benn ein in fo oielen Serträgen betätigten unb bureb 3abrbunberte
geübten Stecht fann nicht ftiflfcbweigenb unb auf bem SBege einer ^Interpretation
aufgehoben werben. gmeitenn ift neben bem in ber citierten Sertragnbeftimmung
ftatuierten fpccießen Schulrechte ben jeweiligen b c n ma tlicb en Sertretern ganj
gut Staurn für ban ©cbufcrecbt ber ban religiöfe Srotectorat aunübenben
SRacbt. 3eber Sriefter, jeber äRönd) ift ein Xbeil ber Sircbe, bie Stcfpectierung
ben facerbotalen ©baraftern, beffen Sräger er ift, bilbet ein Sntereffe ber
SHrche. SGßeitn nun jeber Staat ein Sntereffe baran b a */ ßeben unb
Eigentum feiner Slngebörigen ju febüben, fo läuft baneben ban Sntereffe
ber Stircbe, ihr 2lnfeben, ihre SBürbe 51 t febüben, ban Kapital, welchen jeber
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religiöfe ^Srotectorat Öfterreicfe*Ungarn$ in bcr Xürfei. 309
Sriefter als Arbeiter auf fircfeltcfeem ©ebiete für bie Äircfee barfteflt, ju
fiebern. Aucfe bic ffirefee miß für ifer gntereffe einen Vertreter, unb bieS ntufS
bie baS religiöfe ^rotectorat auSübenbe äJtacfet fein.
®iefer Anfcfeauung feat aucfe bie Übung SRecfenung getragen, mie fiefe
biefetbe in mefereren, feit 1878 oorgefommenen gälten ber ffierlefcung eines
fremben ©eiftlicfeen in ber Xürfei conftatieren liefe. ©o Jcferitten für ben im
gafere 1895 bei äJiarafcfe . in Serien ermorbeten italienifcfeen granciScaner
P. ©alüatore Sili ber fran^öfifefee unb itatienifefee ffiertreter ein.
Sei geifttiefeen Anftatten enblicfe mirb eS oft f(ferner fein, biefelben bem
einen ober bem anberen Sanbe jujureefenen, ba bie meiften berfelben im
maferen ©inne beS SßorteS fatfeolifefe finb unb ifere SRitglieber au« oer=
fefeiebenen Staaten refrutieren.
AIS ferneres Argument möcfete iefe jener Anficfet noefe entgegenfefcen,
bafS bie Sfeätigfeit beS religiöfen SrotectorateS fiefe nur jum geringen Ifeeile
auf ben ©efeufc oon Serfotten erftredt, feauptfäcfeticfe feanbelt eS fiefe um ben
©efeufe oon SRecfeten.
gefe möcfete fefetiefetiefe noefe bie Spaltung ber ftHrcfee mit einigen
Setracfetungen ftreifen. gn bem SRecfetSüerfeältniffe beS religiöfen SrotectorateS
ift fie bie ©mpfängerin einer SReifee oon Dienften, bie ifer freimiflig unb ofene
©egenleiftung gesollt merben. ®ie Äircfee, oon ber SorauSfefcung erfüllt,
bafS bie baS religiöfe $rotectorat auSübenben SRäcfete auf ber £öfee iferer
Aufgabe fiefe ju halten beftreben, feat bem jmifefeen ber lürtei unb Öfterreicfe*
Ungarn beftefeenben SRecfetSoerfeältniffe bie Anerfennung unb 3uftimmung,
fomeit bie Sfircfee babei in grage fomrnt, ftetS gegeben unb ift bisfeer nie
barauf eingegangen, bafS an ben burefe Verträge unb jaferfeunbertlange
Übung begrünbeten SRecfeten $u ©unften Anberer etmaS geänbert merbe. ®S
feat nie an Serfonen gefefeU, melcfee glaubten, gegen bie Art ber Ausübung
beS ©efeufcrecfeteS Sefcfemerben erfeeben unb Anbcrungen ertoirfen ju fönnen.
©oiefeen Anregungen mürbe jeboefe in 9tom nie golge gegeben, ba jene
Sefcfemerben $umeift aus einer falfefeen unb übertriebenen Auffaffung beS
©cfeufcrecfeteS entfprangen. Sine officiefle ffunbgebung für SBaferung beS
Status quo bejügliefe beS religiöfen ^ßrotectorateS entfeält baS ©ircular ber
päpftliefeen Songregation für ©taubenSüerbreitung (Propaganda fide)
,,Aspera rerum conditio“ oom 22. 3Jiai 1888: „$aS Sßrotectorat
granfreicfeS im Orient beftefet feit gaferfeunberten unb ift burefe Verträge
jmifefeen ben betfeeiligten ^Regierungen beftätigt. 3Ran foß fiefe barin jeber
Steuerung enthalten; biefeS (fran$öfifcfee) Srotectorat foß überaß, mo eS in
Übung ift, forgfam aufreefet erfealten merben unb bie äRiffionäre foßen barüber
aufgeflärt merben, bamit fie, fo oft fie Seiftanb brauefeen, an bie Sbnjuln
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310
ftarl $omanig. — ®arabeL
unb anbcrcn Vertreter 3ranfreid)$ ftdj toenben. 3n gleicher SBeife muf3 in
jenen SRiffionSgebieten, too ba8 $rotectorat Öfterreidjö in Übung ift, baöfelbe
o^ne jebe Änberung aufrecht erhalten toerbeit?"
3 um ©djluffe nodj eine ®emerfung, bie ftdj an bie !atI)olifd)e Partei
in Öfterreid) unb Ungarn richtet. $a$ religiöfe Sßrotectorat granfreidja
ift ein bem gefammten granfreid) tfjeureS unb bon iljnt l)odjgef)altene8 Ser*
mäd)tni$ au$ feiner l)iftorifd)en Sergangenljeit; baä Srotectorat ift fo populär,
baf£ ftd) int Starre 1898 ein „SRationafoerein $ur ©etoadjung unb ©er*
tfjeibigung be£ franaöftfdjen ©rotectorateä im Orient" bitben tonnte, bon
bem ber Ijeil. ©ater fagte, „er möge, inbem er bie großen 3ntereffen ber
Religion unb be3 Saterlanbeä fid^ $u $erjen neunte, granfreidj {jodtöerjigen
©eiftanb leiften in ©rfiittung beffen 600jäl)riger Aufgabe". $Run Öfterreid)*
Ungarn I)at biefelbe Aufgabe feit brei 3al)rl)unberten auf fidj genommen; feie
toenig ift jebod) biefelbe unter feiner ©ebölferung getannt unb getoürbigt!
Sollten fid) nidjt aud) in Öfterreid)*Ungarn bie SRitglieber ju einer ©er*
einigung, äljnlid) toie bie franjöfifdje, finben?
Parabel.
Von Varl Vornan!#.
Siebt der Bund nun schon die längste Uleile
ln der Ulinterkälte vor dem Bause,
Kratzt die Cbüre, bellt sieb müd’ und beiser —
Ist kein Pförtner da, kein Ben des Bundes?
Sieb’, ein Uleiblein, ihres Ulcges kommend,
fühlet Mitleid mit dem armen Cbiere,
Zieht die Glocke mühsam, humpelt weiter.
Und der Pförtner jetzo lugt und öffnet —
Ba und siebt nicht, wem er öffnen sollte!
Ulettert fäusteballend auf die Rangen,
Die ihn aufgenant aus seiner Rübe,
Und gebietet nebenher dem Bunde:
„An den Ofen, Köter, wo dein Platz ist ! 44
Bund und Ben, — die Jügung ahnet keiner.
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Otfried.
(Sptfrfje ®trf)fung in nenn ©eräugen nun ***
Erster Gesang.
Im Bocbwald.
Per junge (Ötfrieb fd?üttelt feine Eotfeu,
(Er füljlt im See fein glüljenb Pngefidjt:
Per arme franfe Pater merfe itid>t
Pie (Eljräneu, bie nod? fanm im Pnge ftoefen.
Pem <Sram, ben er oertjeljleu ttintmer fomtte,
3f?m lieg er frei (Seruäfjr in tPalbesuadjt,
3nbes am fjäusdjen ficb ber Pater fonnte,
Umfponnen non bes (Eobes bunfler IHadjt.
Hun eilt ber Sotjn, non Sorge fjingetriebeu,
(Er flnbet 3ring fd?on bem Sterben ualj;
Pa fniet er fftn unb ruft: „0 bleibe ba!
3 d? mill bid? immer nub bid? eitt 3 tg lieben."
(Ein £äd?eln tuill bes (Sreifcs IHintb umfdjroebeu —
2 Jnd? biefes mufs entfliegen mit bem Eebett.
Perlaffen, ungetröftet, fd?mer 3 burd?fIoffen
3ft 0tfrieb nun im toeiteu, oben IPalb;
(Erft liegt er ftumm unb ftarr jur (Erb’ gegoffen —
Pud? feinen (Efjräuen roetjrt bes (Srams (Setpalt.
Pie tPelt um fid? mufs er frofjlorfen hören
3 m erften 3 u & e l neuer Ecnjesluft,
2 Us ipollte fie bie (Erancrlieber ftören,
Pie tobesmiitfjig itjm burd^iebn bie nruft.
Pie IPcfeu alle attjmen fügen ^rieben —
(Er roirb allein rou jebem (Eroft gemicbeu.
„So tperb’ id? nimmer bir ins 21uge fdjauen
Hub nimmer folgen beinern leifen (Sang,
ITTit bir nid?t beten metjr im morgengraueu,
Hie tpieber tjören beineu naebtgefaug.
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312
Otfrieb.
IDer foli midj nun im (Suteu uutermeifen,
IHid? tränfcu von bem Born ber IDiffenfcfyaft,
UTid} lehren, meinen (Sott im £iebe preifen?
0 (Eob, bu Ijaft mein £eben tjingerafftl"
So fdjreit er auf, pom Sdjmc^e übermannt,
Unb meiuenb fnfst er 3rings falte t}anb.
Da fällt ein Heines Büchlein in ben Sanb,
Das jener unter feinem Brm getragen.
Der Jüngling löst gefdjminb bas alte Banb
Unb liest bie Schrift aus jüttgffc pergangnen (Eagen:
„ITtein Sotjn, id? meile nimmer auf bem Sterne,
Der Ijalberleudjtet um bie Sonne fliegt,
3 dj bin in einer munberfamen ^erne,
IDemt biefe Sdjrift por beinen Bugen liegt.
Dein (Erbe follen biefe Blätter merben,
Sie mögen bir, idj flehe, treuer fein.
3d? nannte nichts mein (Eigen fonffc auf (Erben,
Bur mas idj faitn unb füllte, bas mar mein.
Du flnbeft nidjt (Scbaufen froher Stunben,
Bidjt Blütenljonig unb nidjt Hebenfaft,
Bur (Eropfen Blutes alter Seelenmuitben,
Dod? (Eröftnng audj, bie ftarfer JPille fdjafft.
IDenn idj pon beiner Seite bin gefdjieben,
Derjtnfe itidjt in tiefe (Eraurigfeit;
3 d? gieng ja fjin 3 um emigfcfyöuen ^rieben
Unb gab barum bie Sdjmerjen biefer §eit.
Bemeine nie, mas bir ber (Eob ehtriffen,
Bemeiuc ttnr, mas bir bas £eben nafjm,
Das ^rentbgemorb’ne mirft bu emtg miffeit,
Docfy mieberfinben, mas 3 um Bimmel fam.
IDenn idj begraben bin am Hanb ber EDogeit,
Dort mo bie blitjgetroffnc (Efcfae fteljt,
Dann frofy unb füljn in meitc UMt ge 3 ogeit,
IDofytn fo lange fcfyon beiu Seinen gefyt.
Hlir mar bie (Einfamfeit bie Kutjeftätte,
Die mir bie Kraft 311 m IDeitermanöcln gab,
Did^ aber tjielt ja nur ber £iebc Kette,
Dir ifi bie IDalbesrntf ein öbes (Srab.
Das lehrten lange beiite büftern §üge,
(Es flang mir laut aus manchem Klagelieb,
Dafs uaefy ber tDclt bes Beibes unb ber £üge
UTit aller Kraft ber 3 n 9 c,l & U>a!ju bid> 3 ieht.
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58on * * *
313
Du ein (Sind in jener IDelt 3 U gttben,
Das maltefi bu mit golb’nen färben ans.
Su frülje wirb ber füge (Traum entfdjmtnben,
€rroad?en mirft bu tu bes (grames $aus.
(Ein Strom ift biefe IDelt, ber feine IDellen
21 m Hanb bes Efimmels unb ber Ejölle miegt,
Don bort unb tjier erfliegen iljm bie Quellen,
IDetteifernb, roer bie anberen befiegt.
Drnm tjörft bu audj ein Durdjeittanberraufdien
Don SeltgFett unb fermerer l^e^enspein;
Du fiel# ber IDetleu etuiges Dertaufdjett,
Unb bauernb ijt ber tuilbe Strom allein.
^ier fliegt, 31 t fdjeiben nid?t unb itidjt 3 U (Öfen,
(gentifdjt in eine graue, laue <flut,
Das (gute mit beut buttPlen Schein bes 23öfeu,
Das 23öfc fdjeittt Dir oft fo tfimmlifcfy gut.
Da ringt, ba betet roofyl bie Seefenfyofjeit
Um einen (TugeitbFran 3 oom parabies,
ZXid}t fern oou itjr, ba lj öltut unb findet bie Hoheit
Um (jotte (Tempel, bie fic nieberftieg.
2luf Hofettfd?iffen Fomntt bie fdjöne liebe,
Die Untren folgt ifjr unb ber fhtft’re fjafs,
So 3 iet^t es tjin tu roerfifelubent (getrtebe
Unb ftöljnt unb jubelt oljne Unterlafs.
Derlana’ Pein parabies oott biefer (Erbe —
liier tuobut bie Inft nur mitten in Sefdjmerbe.
Der Palme freu’ bid?, bie in IDüjteu fteljt,
Des Ijaiubes, ber au glüff’nbe IDangett rnef^t,
Der Slttme, bie oermelfettb fidj erfdjliegt,
Der ^renubfd^aft, bie oornbergeltenb grügt,
Des (Trauerfran 3 es, bett bie liebe bringt,
Des Klanges, beu ber Sd?nter 3 im Büfett fingt:
Denn mollteft bu ein Polles <5Iütf ertoerben,
Du ttnirbejt nur beiit gait 3 es leben fterben.
IDetttt bes (Sefcbirfes Fjanb bid? ferner gefdjlagett,
Sei (Sott nur fudjc (Troft für bettte Pein:
Die fleiuett Sdjme^en fartnft bu Dielen Plagen,
Die febmerften leiben trägfit bu ftets allein.
Dodj follft bu audj bes guten (gottes benPett,
IDetttt bir ein (gliicP bie (freubertpforte baut:
(Er mirb nur bent im leibe ^rieben fd?enPen,
Der tu ber fronen Seit 311 itym geflaut.
Der 21 ljueu Hnbnt, ilitt tuill idj bir rerfdjtueigeu,
Den fic errangen mit bent Fttbneu Sdjmert —
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314
Ctfrieb.
Du foüft ber IPelt bie eigne IPürbe 3 eigeu,
€iu f^of^er Sinn ijt metyr als dfyrone wert.
Die Choren fragen gern mit (glan 3 unb Schein —
Dein 2f6e( foU ber IHenfdjen £iebe fein.
So gel}’ benn t^in unb (treue allerwegen
Des (guten unb bes Schönen Samen aus;
3d? fpred?e aus bem (grabe meinen Segen,
3 dj fenbe (Sattes Ejulb mit bir hinaus.
Hod? biefe £ef}re fd?Ite§ in bein (Semüttfe,
Sie miH bidj wahren r»or bem fdjmerften £eib:
Du fittbeft braunen eine fdjöne Blüte,
Sie an 3 ufdjau*u, bringt bir bie (EraurigPeit:
IPifljt bu bewahren bid? uor tiefem Sdjmer 3 e,
So Ijüte ror bem IPeibe Kug* unb f}er 3 el*
Zweiter Besang.
Der erste Mensch.
Seit 3™t$s Buge ftdj ber IPelt t>erfd?lojfen,
Die Seele fid? bem Ejimmel aufgetfyan,
IPar nun ber britte dag batjingefloffen.
Der oierte fieng im 0 ft 3 U hämmern au.
Da rang fidj 0tfrieb aus bem Pur 3 en Sd>lummer,
Dem erften, ber feit langem ityn erquieft;
(Ermaßen will mit itjm ber alte Kummer,
Sobalb er nadj bes Paters (grabe blicPt.
„Ejinwegl" fo ruft er, „büftere (gebauPen!
Hidjt will id? 3 ürneu weiter meinem £os.
(Es foU ber Itteufdj nidjt um Pergang’ttes ranPen,
Der BlicP ins Künftige nur mad?t itfn gro§.
3 d? will ben (gram 3 U biefem (grabe legen,
IDill Püfyn ergreifen meinen IPanbcrftab.
IHid? fd?üfct unb leitet ja ber ftarPe Segen,
Den mir ber gute Pater fterbeub gab.
Du £aute, ^reuubitt meiner fdjöufteu Stunbeu,
Didj laff idj nid?t im oben IPalb 3 urticP,
Sinb erjt bie lebten Scbme^en überwunben,
Dann ftngjt bu mir wofjl aud> oou füfjent (Slücf.“
(Er birgt nun nod? in feines Kleibcs galten
Das Büchlein, bas ber Pater fyinterlicfj,
Unb läfst bie (EinfamPeit allein bort walteu
(Er wanbert 311 m geträumten parabies.
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93 on * * *
315
(Er 3ief?t beit einen (Eag im mtlbett IDalbe,
Den anbern (Tag im tpilben IDalbe and?.
(Er fud?t ben JDeg auf nie gemähter £jalbe,
0 ft gef?t es mühfant über Stein uitb Strauch.
Da tjeben Reifen brohettb it?re Spitzen,
(Es gäl?nt oor feinem ^fuß bie tiefe Sd?lud?t,
Die Bäd?e jtetjt er in ber Sonne blifcen,
3 um Babe locft bie ^lut in feister Bnd?t,
Das J?äsleitt flüchtet faum oor feinen ^füßeit,
(Es t^ebt ftd? fpä^enb ans bem fetten Klee;
Die Kräfje fd?reit, ben ^remben 3U begrüßen,
Dertounbert blirft it?n an bas junge Heb.
Die Sd?uecfe 3icf?t im (Srafe it?re Spuren,
Die <£d?fe fd?minbet t?in int fdjnetlen Ejufd?,
Hnteifeit maubent über il?re Fluren,
Die Bienen fummen um ben Blütenbufd?.
So fd?minben ihm bes (Eages fd?ttelle Stuiiben,
< 5 um Sd?Iafeit ift ein Plänen leid?t gefnitbeu.
Km britteit (Eage mit! bie Sonne ftufeit,
Da tf?ut ein rneites (Et^al oor if?m fid? auf,
(Er fiefjt bie Dächer ferner Qöfe blitifeit,
Unb frot? beflügelt er beit Jfnß 311m lauf.
Hutt ftetjt er ftaunenb an bem Haitb ber gelber,
3m IDtnbe mögt, mas IHenfchetthanb gefaxt,
§u meitem Kretfe reifen ftd? bie IDälber
Um eine IDelt, oor ber er jubelttb fielet.
Unb (Slocfeu fjört er aus ber ^erne fliugen —
0 füge, nie gehörte Harmonie!
Da breitet aus ber (Seift bie leichten Sd?mingen,
€r fd?mebt hinauf ins Heid? ber UTelobie,
Der Ringer locft bie Klänge aus ber Saite,
Uitb 3ärtlich trägt ber (Eon bas IDort ins IDcite:
3d? dniße bid?, bn fd?öne IDelt,
Du frieberfülltes (Ehal,
Did? golbbeftreutes 5 lhrcufelb,
(Eud? ^e^ett ohne gat?l.
0 fled?tet mid? iit euren Kratt3,
0 fpettbet mir ber liebe (Sut! —
3 <h f%nf eud? meine Seele 90113,
Die ^anb, bas £}er3, mein lieb, mein Blut!
IDie faum ber letzte (Eon 31t CE^al ge3ogen,
Da fieht ein Ulöttch oor ihm mit gretfem ^aar;
£uf feinen Schultern trägt er Pfeil unb Bogen,
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316
Otfrieb.
Sein Äuge ruljt anf (Dtfrieb warnt nnb flar.
(Sletdj f^at ifjn biefer mit bem 2lrm ummuitbett,
Erfreut, bafs einen ITtenfdjen er gefunden.
Der anbre rettet ftdj oor feinen Hüffen,
€r lächelt ob bem fonberbaren (Srnfj:
„Du wirft bie UMt wolfl erft oerfteljeu ntüffeu,
Du fdjretteft mir auf Diel 311 Füljnem ^fufj.
Hedjt wenig Fcnnfi bu IHenfdfenttfun unb laffeit —
3 <t? Fonttte bies erfahren aus bem lieb —
IDie woütejt bu bie alte foitft umfaffen,
Don benen jeber feine Baffiten 3ietjt?
Dod? taffe mid? nadf beinern Hamen fragen,
IDoffer, wofyin bidf beine ;füf$e tragen.“
„De^eitj’, bafs midf bie (Jrcube überwunben,
Die jäfj bei beinern UttblicF midj befiel:
Du bift ber erfte JTteufd), beit idj gefuitbeit,
Bift meiner IDaubernng erfefjntes giel.“
Der Hogettträger fielet im Ittann ber laute
€in tolles £faupt, aus bem ber IDaljnftnn lad?t;
IDer badete attbers, ber ba tjörte, fd?autc
Die bunFle Hebe nnb bie felt'ne (Eracht?
Dodj wie fte laitgfam burdj bie gelber wallen,
Da breitet 0 tfrieb all fein leben aus,
Der anbre fielet ilfn an mit IDoblgefallen
Unb füfjrt ilfn eitblidf in fein fdfönes fytus.
mit Staunen fiefft ber Sänger (Efyor unb Stiege,
Die ^enfter im getäfelten (Sentadf,
3 nt reinen Stall bie Kulj, bie muntre Siege,
Den weiten fy>f, bas blauFe Sdfieferbadj:
„IDie Fleitt war nufer ftaus! Durdf feine Spalten,
Da flog ber Sturm, ba brattg ber Hegen ein.
Dort war uidft oiel 3U fdjaffen unb 3U walten —
Du mufst in biefem tfimmel felig fein!"
3 t?nt fagt ber IHöndj: „So benFt nur, wer bie Sorgen,
Die Unrutf’ meines Hmtes uidft erFemtt;
IHtdf ruft 00m lager fdfoit ber graue IHorgeit,
Unb irtutf’ au UTülfe reitet ftdf offne €ub\
Da fjeifjt es orbtien, matfiien unb befehlen
Der fpiclbereiteu UTagb, bem faulen Knedft,
Den Reinheit welfrett, bie bas ^Jelb befteljleu,
Denn wo ber t}err uidft ift, ba ftirbt fein Hcdft.
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$Bon * * *
317
Unb wenn ber IHoub bas rolle Huttb gewonnen.
Dann ruft 3 U meinem Ijerru ber Hechentag;
Da mnfs ich büßen für ben Brattb ber Sonnen,
^ür Hinberfterben unb für ^agelfd?lag.
So leb' ich mahrlich nicht in golb’iteu Seiten,
(Senieße nur ein febmer oerbientes Brot,
Doch ohne 3<*9 c n mill i<h meiterfdyreiten,
(Setren erfüllen meiner Pflicht (Sebot.
IDer nicht ermattet auf ben fchmerfteit IDegeit,
Der mag bereinft ftch froh §ur Buhe legen."
„(Hin fanfter (Eob nach müheoollem £ebett'\
(Hrmibert 0 tfrieb, „märe £ohn genug?
Derfüttbe mir, ob nie bir fonjt ein Streben
Den IDuttfch nach einem Ijö^ern &\c[e trug ?"
Da Plagt ber IHönch: „Das troffen ift ein (Eräumen;
2111 unfer Streben nur ein Kinberfpiel.
IDir fudjeu Bahnen in gebadeten Bäumen
Unb täufcheu uns mit einem Strahlenjiel.
Die (Ojoreit laff ich brnm auf ITTeereu fd?iffeit,
IDo IDeir auf IDelle au bte pianfen fdjlägt;
Diel lieber mohu’ ich auf ben ^elfenriffen,
JDohin fein fjaiid? ber ^reube Samen trägt.
Da pflücf’ ich mir bie ebelmeiße Blüte:
(Sebulb im meltoergeffenen (Semütlje."
„Sei unfer hoffen immer nur ein IDähneu,"
So l^ebt ber junge Säuger mieber an,
„€s gibt ein Buh’n für unfer .freubefehnen,
Unb mär’ es nur in einem lieben IDahn.
0b nun bie Quelle über mahre Kiefel
3u IDafjrhcit aus bem magren Reifen quillt,
0b ich mir träume nur il^r fanft (Seriefel,
IDas gilt es? — menu fte nur mein Sehnen ftillt.
0ft meint ich lange fab ben Sternenhimmel,
Da brang ein fonberbar (Sefühl mir ein:
DieHeid^t ift über mir bas £idjtgemimmel
Unb unter mir ber feftc (Srunb nur Schein 1
Da mollt’ ein Bangen mir bie Brnft befchleicheit —
Dor meinem Dettfeu mufst’ es mieber meiden.
Denn fteh, es ift ja eins, ob all bie Dinge
Bus mefeuhaftent Stoffe ftitb gemacht,
0b id? mit (Sottesfraft bie ^lügel febminge,
3 bnt nach^nbeufen, mas <Er Dorgebadyt.
Der mahre (Sott, er mollte nicht betrügen,
Unb mär’ bie gauje Schöpfung nur ein Schein —
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318
Otfrieb.
(Ein bolbes Dichten nennen mir Fein £ügeu,
Das mafjr (Seträumte ift eitt magres Sein.
IPas (Sott uid>t ließ im IPelteuraume febmebett,
Das Iäfst er in ber UTeufdjenfeele leben."
Permnnbert t^ört ber anbre biefe tPortc:
„Du rebeft flar unb bod? fo rätt^fel^aft.
Du mudjfeft auf an meltrergeffncm 0 rte,
JPer lehrte ba fo neue tPiffenfdjaft?"
„3d? fattn" — fo fagte 0tfricb — „riele Stuuben
Den bunfleu Bätf}felu biefes £ebeus ttad?,
Unb manche £öfung tjab* idj audj gefuttben
Der fragen, bie 311 mir icb felber fprady.
Unb mären all bie Dinge anfgefdiriebcu,
Sie füllten moljl ein febmeres, großes Bndf,
Hnn aber ift mir nur im (Seift geblieben,
IPas idj geformt in einen Fuqett Spruch.
Solang mein Pater in ber IPelt gemefeu,
Da bient* als (Sriffel it^m bas tjarte Scfymert,
Unb mas er bodj an tPiffen anfgelefeit,
Das Ijat er midj oor 3 a fy rcn fdjou gelehrt.
3d? fatj bie IPatyrtycit in ber (ferne blinFett,
Das f^at begeljrlidj meinen (Seift gemacht;
So laffet midi mit rollen §ügen trinfen,
IPas Fluge IHänner unter enefy gebadet.
3d? fteige mntfjig über alle SdjranFen
Unb emig mill icfj meinem Rührer bauFeu."
Begeiftert fagt ber Flcine JTtönd? bamiber :
„Darin erFeitn* icfy (Sottes meife fyittb,
Dafs bein Begehren ron ben Bergen nieber
§ttm (felb ber ^ulba feine IPege fattb.
3d? möchte nid?t bie eigenen Brüber preifett.
Dodj iß es in ber ga^en tPelt beFauut,
Dafs Feine beffern UTeifter unterm'eifen
Die 3ugenb in bent meiten bentfdjeu £anb.
3m Bncfyeumalb, an nrmeltmilber Stätte
fjat Bottifatius fein ^eim gebaut,
Dort muebs es mit beu (Eidjen um bie IPette,
Seitbetn ift ein 3 a ^ r ^ un ^ ert f a ß ergraut.
Sein 3ü ,l 9 cr Sturmius 30 g ruele Stnnbeu
Des (Eags im JPalbe unb and? manche Hadjt,
Bis er beut (Sottesfjaus beu 0rt gefuitbeit,
Poll uneiitmeiljtcr parabiefespraebt.
frier blübit mie Hofen aus bent ^elbertgrabe
Der (Eugeubfinu, bie £uft au fdjötter Kuuft —
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$$on * * *
319
(getreuer ^leig gemanu uns reiche J}abe,
Pes Dolfes Siebe uttb ber (großen (gunfl.
2Pir ^ulbaföfyne tyabeti and? gereutet
Pas £anb, bas id? behüte, uttb bas fyius
(gebaut, bas bir ein parabies bebeutet,
So oiele anbre itocb lattbeiu, (anbaus.
Pu fEnbeft breimal taufettb bei beu ^ranPeit
Hub breimal taufettb im (Etjürittgerlanb,
Pu ftefjft tu Bayern uttfre Staren fd?mattFeit,
Hub nitfre Saaten fä’t ber Sadjfett fytnb.
Pod? mie ftd? and? bes Kaufes (güter breiten,
IDir rühmen menig uitfer (Eigentum —
Pas beutfd?e Dolf bem Ijimmel 311 bereiten,
Parin erfeunen mir ben magren Hnfym.
§u triitfeu eilt berait bie beutfd?e 3ugenb
Don uuf’rem Born ber Kttttfi uttb IPiffenfdjaft,
Sie fdjlürft ans itjm beu (Erattf ber (Ojrifteutugenb
(Erfüllt bic Bruft mit frotjer (glaube itsfraft.
IPas immer tjod? uttb lieblid? ift 3U preifeu,
Pas mirb fo leid?t ber ^römntigfeit vereint;
Prnm fingen mir Ijorasens muntre JPeifett
Uttb fiimntett att, mas 3 et*etnias meint,
lüir lefen gern, mas Salomo gcfdjrieben,
Unb Ijören, mas ber Stagyrite fpricfyt;
Per t}arfe Klang ift uns nid?t frentb geblieben,
Pod? fdjmälftt mir aud? ber Seier (Eöne ttid?t.
IPir laufdjen gern ben auscrmäljlten IPorten,
IPentt Huguftiuus feine Sdjulb befemtt;
Pod? ftelfn mir ftttttenb aud? att jenen (Drten,
IPo ftof^c gelben utts ein (grabmal nennt.
IPas Kinber bid?ten uttb bie IHütter fagett,
IPas bcutfdje Ittänner fingen ttttt ben IDein,
So manches IPort aus lang oergattg’uett (Eagett,
IPir fdjreibett es in unfre Büd?er ein.
Schmer gebt bie Sprache ttod? 00m beutfd?eu ITTunbe
IDir glätten fte burd? Fluge IDörtermatjl:
^ür biefe Sorge lotjut uns eine Stuttbe,
Wo bentfdje Hebe Flingt mie fdjarfer Staffl.
Patttt mag bie Bönterfpradje ftd? üerfdjliejjeu
§um frommen Pienfte in bas (gottesfjaus,
Belefyrettb aber unb erfreuenb fließen
Pas bentfebe IDort in beutfdjes Saub hinaus.
Bad? biefent giele getjt mit Füfjnem Sdjritte
(Ein IHann, ber immer ttad? bem i?öd?ften ftrebt,
Hfyabattns IHaurtts, ber itt uttfrer IHitte
Hls ein Prophet bes eblett JPiffetts lebt.
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320
Otfrieb. SBon * *
*
3 « feine £rnte benP’ id? bidj 3U führen,
Sobalb ein neuer UTonb erhellt bie ZTad>t,
(Er mirb in bir bas eble ^feucr fdjüreu,
Das bn in beiner Seele fd?ou entfadjt.
mit ^reubeu mirb er betne lieber fyören,
Der JDorte (Slut, bie Klänge milb unb meicb;
(Es läfst 00m (Saufier Ieiber fidj betören
So manches gute Ejer3 im ^ranfenreid?.
Unb mollteft bu bes Sanges (Sabe fdjenPcn
Dem magren (Slauben unb bem (Eugeubftnn, —
Du murbeft manchen (Seift 311m Beffern lenfen,
Dir mürbe Hntjm unb Siebe 3um (Semitin.“
Zinn fütjrt ber IHöncb ben jungen (Saft 311m ITtablc,
Den (Sajt, aus beffen 2 lug’ bie Hoffnung fprübt, —
So mirb bem Reifen, menn im erfteu Strahle
Des ITlorgens itjm bas tjobe fjaupt erglüht.
iftortfe&mig im näcpftcn #eft.)
Webacteur: 3 )r. Stanj ©djnürer.
3of. SRofy'fdje 9rr!afl«faidtöanblung. — ©udjbnicferei 9lmbr. ©pifc, SBien.
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Kulturideale.
Eon Eitfiarfc fr. Rralih.
jjjjllS ich oor 3ahren anfieng, baS Sutturibeal, mit bem uns bie
afabemifche ©ilbung erfüllt, junt erftenmal mit ber SBirfIid)feit um
mich her felbftänbig ju dergleichen, ba fchien fich mir ein bebeutenber SBiber*
fpruch herauSjuftetlen. 2luch anbere hu&en baS mit mir gefüllt, aber eS für
nothmenbig gehalten, ihr Sulturibeal nach bem anfcheinenben ©ebiirfnis
beS mobernen ©eifteS 51 t berichtigen. ©0 ift bie große ©emegung entftanben,
bie man jum Unterschieb oon ber 9lntife, ber SRenaiffance ober ber SRomantif
bie 2Roberite genannt hat. ©ie hat baS Nichtige gehabt, bafS allerbingS
jebe 3eit burcß eigene originale Arbeit fich auch beS confcrdatidften Kultur*
ibealS erft bemächtigen, es jur lebenbigen Slnmeitbung bringen mufS. Srrig
aber mar bie Meinung, bafS eS überhaupt fein objectideS, bteibenbeS, feft=
flehendes Sulturibeal gebe, bafS mir baßer mit jeber ©eneration mieber gaitj
oon neuem anfangen müßten. ^)ie galfchheit biefer Annahme hat fich auch
heute ooüfommen herauSgefteÜt. ®ie rabicalftcn Anhänger jener einftigen
9Roberne iinb felber ju biefem SRefnltat gelangt unb h a &en praftifch mie
t^eoretifch ihren Srrthum eingeftanben. $aS meiß jeber Senner ber aller*
neueften Sitteratur unb Kunft feit etma brei fahren. Sch fchmeichle mir,
bafS ich eS Sch on etmaS früher muffte unb üon 2lnfang an in biefem
conferdatioeren ©inn ben SBieberaufbau einer beit Hocßfulturen früherer 3 eiten
unb Sölfer ebenbürtigen mobernen Kultur angeftrebt allerdings mit
bem SemufStfein, bamit nicht fo halb burch^ubringen. $enn mie Sollte mein
3 beal einer SBelt gefallen, bie mir nicht gefallen fonnte, ba fie meinem
3beal fo menig entsprach! ©iS heute h a * fich baran rnoßl noch nicht biel
geänbert, aber ber ©oben ift hoch mehr dorbereitet, bie ©emüther finb nach
fo dielen ©nttäufchungen empfänglicher. 3ch hotte eS baher für nicht mehr
fo gan$ hoffnungslos, mit bem pofitioen ©rogramm einer mirflichen mobernen
Kultur herdorjutreten, unb baS miU ich benn hier in Sür^e derfuchen. 3<h
min in einigen Shefett einen fleinen ©runbrifs beS ©aueS geben, ben ich
in dielen ©üchern unb ©üchlein ausführlicher entmorfen fyaht.
®er Hauptfehler unferer mobernen Kultur ift, bafS fie eine
materialiftifche ift. $aS, maS jur Seit ber jonifcßen s Jtaturphilofophen,
®ie Ihiltur. III. 3a&rß. 5. jpeft. (1902.) 21
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322
Oticharb oon Kralif.
bcr Sopfjiften, be§ SucretiuS nur eine Unterftrömung mar, ift bei uns jum
erften SRal jur Dberftrömung gemorben. $a3 fiepte gilt als baS (Srfte, baS
$unfelfte als baS £ellfte, baS 9liebrigfte als baS #öchfte, bie ©arbarei als
Kultur. Sine große Kultur rnufs aber ibealiftifch fein, auf bent Seift
fich aufbauen, nicht auf ber ©faterie. 2>aS, maS feßon bie großen antifen Kultur*
träger jenen Kutturfcßäblingen gegenüber geleiftet ßaben, baS ntüffen mir auch
umfo träftiger anfaffen, je übermächtiger ber böfe Kulturfeinb gemorben ift. $aS
ftärffte 9lrmutSzeugniS für unfere äRoberne ift, bafS mir feine ©ßilofophic
haben; benn eS mirb hoch niemanb mehr Stiefcfche für einen ©Ipl ofoph^n onfehen.
5)iefe moberne ©h^°f°Phi^ heißt bie 9lnmenbung ber „Philosophia perennis“,
beS gbealiSmuS auf unfere Seitanfchauungen habe ich ln meiner „28elt*
meiSheit" üerfueßt, ohne eS einem anberen zu oermehren, eS beffer ju machen.
3n ber (Sinheitlichfeit liegt bie ©röße aller hohen Kulturen. (Sin
einheitliches, honnonifcheS äBeltbilb ift ihr IjöchfteS gbeal, ift bie fefte Stamm*
bürg, üon ber auS fie ihre (Eroberungen machen fann. ^aS Kennzeichen ber
mobernen Kultur ift aber bie Zerfahrenheit, baS 9Zebeneinanberflofcen
uitoereinbarlicher ©egenfäfce unb SBiberfprüche. Sie ift fein einheitlich
geplanter Tempel, fonbern ein SKufeum, mo in oerfdjiebenen Sälen ober
s $aoiHonS aUeö mögliche aufgehäuft unb jufammengefchleppt ift, um fo
unterbaut unb unorganifch fich oor bem fieben ab^ufchließen. 9WerbingS ift
baS Problem für unfere Seit fchmierig, aber auch ©riechen, bie SRömer,
baS äftittelalter hubeu ähnliche Probleme organifcher 9lffimilierung gelöst, gür
uns zerfällt bie Aufgabe in z^ei ^heile: (SrfenntniS ber mefentlichen gactoren
nnferer ©ilbung, unb biefe finb bie 91 ntifc, baS ©hriftenthum unb
baS eigene ©olfsthum; biefe brei miiffen organifch oerfchntolzen,
oereinigt merben. ®er zweite Ih e ^ her Slrbeit ift bie (SrfenntniS, bafS
anbere an fich anfpreeßenbe (Elemente, mie fie bie inbifche, perfifche, chinefifche
Kultur bieten, unferem Kulturibeal entgegengefefct finb unb baher in
mefentlich anberer SEBetfe angeeignet merben foHen, nicht als gleichmertige
gactoren, fonbern als z u überminbenbe ©egner ober als untermorfene ©eute.
®ie SRoberne hot aber' gerabe umgefehrt bahingearbeitet, bie brei im SKittel*
alter unb in ber SRenaiffance fchon geeinten ©runbfactoren auSeiitanber zu
reißen unb bafür jenen fremben (Elementen %\\ einer unorganifcheit gnüafion
ZU üerhelfen. Selbftmörberifch unb hoeßöerrätherifeh! ®arf ich S^r näheren
9luSführung bicfeS fünftes auf meine „Kulturftubien" oermeifen?
(Sine fruchtbringenbe, erfreuliche Kultur mufS pofitio, erhaltenb,
bemahrenb, fchüfcenb fein. ®ie moberne Kultur ift mefentlich eine negatioe.
Sie oerneint nicht nur baS ©ofitiofte, ben ©eift, bie gbeen, nicht nur bie
(Einheit, nicht nur bie ©ernunft unb Harmonie ber SBett, fie oerneint auch
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Kulturibeale.
323
bie gan$e Vergangenheit, ben ©tamm, bem fie entfproffen ift unb ohne ben
fie nicht einmal Oegetieren fann, fie berneint bie ganje ©efchichte unb Xrabition.
©ie ift rabical, aber nicht in bem berechtigten SBortfinn, bafd fie jur SBurjel
afled SBefend jurüefftrebt, fonbern in bem ©inn, bafd fie ttmrjettod unb
ooraudfefcungdlod ihre eigene SBurjel fein null. 3h re ^nbenj ift nicht auf*
bauenb, fonbern jerftörenb, fritifch fdjeibenb, jerfefcenb unb auflöfenb, nicht
oerbinbenb, fefcenb unb erhattenb. 2 lber, toie gefagt, eben barin ift eine
beffere Srfenntnid burchgebrungen, unb man h<*t toieber angefangen, an jene
Seiten an$utnüpfen, bie man früher nicht genug beruhten fonnte. Von ber
Stothtocnbigfeit burchbrungen, bafd mir und bor allem eine pofitibe ©runb*
tage für aße fünftige organifche Kulturarbeit fichent müffen, h al & e ich felbft
einen großen If)eii meinet Sleißed nicht eigenen Vrobucten, fonbern ber Srhaltung
unb Srneuerung ber tourjelhafteften Arbeiten unferer Vorfahren gemibmet.
Sine große Kultur barf nicht inbibibualiftifch, nicht ejelufib fein, fie
mufd oielmehr focial fein, bie gan^e ©efeflfehaft, bad ganje Voll urn^
faffen, aüe ©tänbe, äße Klaffen, ©o toaren bie alten Kulturen, ©eit ber
Sienaiffance tm* fief) biefer ibeale Suftanb immer mehr berfchlechtert unb ift
in ber ©toberne ^it feinem ©egenfafc getoorben. 2 luf ber einen ©eite tooflen
bie ©ocialbcmofraten, auf ber anberen ©eite bie Übermenfchen ihre Kultur
für fich; bie einen eine ^erbenfultur, bie anberen eine gelben* ober ^rannen*
fultur, anbere eine Kultur für Sebemänner, für freie ©eifter, überlaffen aber
gerne ben Säuern ihre eigene. $ie moberne aufgeflärte Kultur fteßt fich
immer mehr hoch nur ölä eine Kultur für Kgoiften, für SBenige herauf,
bie nicht auf bad Votf anmenbbav ift, ohne afled, auch bad egoiftifchc
Sehagen jener 9ludernmhlten $u gefährben. SEBohl fühlt man bie 9toth s
menbigfeit, ettoad für bad Voll ju thun, man gibt ihm Siicher, Silbung,
Slrbciterfaferneu, Slltcrdberforgung, man fucht Kopf unb ©tagen ju befriebigen.
$ad ^erj hfl* man oergeffen. Seht hoch einmal bie ©traßen unferer ©täbte
an! $abt ihr ba fchon bie greube gefeßen ? Stein, ed ift nur eine mäßige 2uft,
unter biefeu Verhältniffen ju (eben. 2 >arum machen fich auch fo biele fo fchneß
baoon. 2Bad h«lt und benn an bied Sehen feft? ©ine boflfontmene Kultur
müfdte aber bad Sehen gan$ anberd lebeudroert machen, ald ed jefct ber gafl ift.
$er Staat ift ber Sebiathan unferer mobernen Kultur. Kr hat mit
feinen Ämtern unb Seamten, feinen ©teuern, feinen gidcatien unb Stegalien
aßed eingefchhutgen. ®ie übrigen gactoren einer f)armonifcheit unb mannig*
faltigen Kultur finb ihm gegenüber gan$ entmiinbigt toorben: fo ber
Kinjelne mit feinem ©etbftbeftimmungdrecht, fo bie Familie, fo bie
©emeinbe, bie $unft, bie Stäube, bie Kirche, bie Vereine, bie
Schule, bie Kr 5 iehuttg, unb enblich fogar bad Königthum. Stun
21 *
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324
{Richarb o. Sralit
aber höben alle biefe gactoren eine Sulturfunction, auf bie mir nicht Der*
äidjten fönnen. Sie müffen ficß felber mieber ber ntobernen einfeitigen
©taatgfultur gegenüber $ur ©ettung bringen, ©ernifg h a * bie abfolutiftifcße
Drganifation ber ©olfgfräfte im Staat ihre großen Sortljeile, aber auch
noch größere ©efahren unb ÜRacßtheile. SEBir mollen auch ben ©taat nicht
fchtoächen, fonbern im ©egentheil ftärfen unb ftüfcen, inbem mir iljn oon
einer ©ürbe entlaften, bie ihn fchließlidh ju ©oben brücfen mufg. Such mollen
mir unfere Kultur auf eine breitere ©afig ftellcn, bamit fie auch bleibe, menn
etma ber ©taat irgenb einem Anprall nicht mehr miberftefjen fönnte.
Die moberne Kultur gieng oon einem falfcßen ©egriff beg gort*
fd&rittg aug, fie meinte, bafg ber SRenfch über fiel) fyinauSfteigen fönne
unb müffe, ungefähr fo, mie ber 2lffe einft jum äRenfcßenthum hinauf*
geftiegen fei. Dieg Übermenfchenthum, biefe Sultur ber „SReijfamfeit". ßat
fich inbeffen hauptfächlich alg ^pfterie ober noch Draurigereg herauggefteüt.
3Wan ^at mieber bag ©eienbe, bag ©leibenbe mefentlich h ö h er fehlen
lernen. Über bag ©runbgefefc Oon ber Spaltung ber Straft fönnen ung
bie fjödjften ©teilen unb ©errüefen nicht hinmegtäufeßen. ®afg mir nur nicht
am (Enbe fdßlechter merben über all bem ©treben, ßößer ßinaug ju fommen!
Dafg mir nur nicht aüeg bag oerlieren, mag mir noch etma haben! SBir
laufen ©cfaßr, beit Sperling aug ber $anb $u laffen, mäßrenb mir nach bem
©proffer auf bem ©aum greifen. ‘Darum hat fich nach trüben (Erfahrungen ber
befonnene (Eonferoatioigntug alg oiel mießtiger ßerauggefteüt benn fo manche
gortfeßrittgtenbens, bie ung nur im Sreife herumführt um bag fo nahe liegenbe 3iel-
2lber noch mehr! (Eine große Stultur rnufg nicht nur im organifchen
3 ufammenßang mit ihrer näcßften ©ergangenheit bleiben, fie rnufg noch öiel
mehr barnach ftreben, ihre fiebengfraft aug ben SBurjetn unb Quellen ihrer
Sulturelemente ju erneuern, ffltit einem SBort, ber conferoatioe SBeg, bie
3Retßobe ber ßöcßften SGBirfung geht burch eine $Reiße üon SRenaiffancen.
©o mie ber über einen großen ©raben ftrebenbe jurüeftreten rnufg, um
einen Stnlauf jum Sprung $u nehmen, fo müffen bie Sorfämpfcr ber Kultur
umfo meiter jurüeftreten, je meiter unb ßößer fie fich erfdhmingen mollen.
Dag gefammte 9tlterthum gibt bie Sritif ber ©egentoart, bie ©orrectur ihrer
SKängel. Dag ift bie hiftorifdße SKetßobe, bie neben ber philofophifchen nicht
oernadhläffigt merben barf. ©o hat 5- ©• ©toto neben ber philofophifchen
©runblegung feineg ©taatg in ber „©oliteia" auch bie ßiftorifeße im „Sritiag"
angeftrebt. 9lber bie ganje griechifche Sultur ift ja eine immermäßrenbe
SRenaiffance ber heroifchen Sultur ber ßornerifeßen geubaljeit, big auf ffiergil
unb bie {Römer herab, unb auch Sultur beg SRittelalterg entmicfelt fich
burch eine 9teihe oon {Renaiffancen, eine farolingifdhe, eine ottonifeße, eine
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Kulturibeale.
325
ftaufifdje u. j. m. SBiebergeburt, Degeneration ift baS ßaubertoort
aller Datur unb aller ©efdjidjte. Deublüte aus ber SBurjel, nicht aus ben
äußerften Danfen, unb menn fte noch jo prunfenb finb! SBemt eine Kultur fid^
auSgelebt ^at f barf man jie nicht noch überbieten toollen, man rnufS, menn ein
2Beg bis ans ®nbe geführt ift, $um Kreusmeg jurüefgehen, um eine neue Safjn
aufeufuchen. Dur barf man babei nicht bie bisher gefunbenen ßrgebniffe jo leic^t=
finnig aufgeben, mie eS bie im engeren ©inn jo genannte Denaiffance gettjan l)at.
®ie Kultur foD beS HRenfchen fetber rnegen ba fein, nicht ber Kultur
ober gar einzelner I^eile rnegen. Unjere moberne Kultur ^at mol)l mehr als
eine frühere für bie 2 ed)ni!, für ben Perfehr geleiftet, aber bie Xrtumplje
auf biejem ©ebiet berleiteit jie, bie SKittel über ben 3 toecf $u ftetlen. ®er
SDenfch ift nicht ber 2edjni!, beS®erfehr£ rnegen ba, fonbern umgefehrt.
©0 felbftberftänblich bieS fcheint, fo leicht mirb eS bod* oergeffen. Seben, ©efunb*
heit, Derben, 93ehaglid)feit, Duhe, Sergnügen gelten faft nichts mehr, toenn
eS fid) barum Rauheit, bie SEBituber ber Sec^ni! unb beS SerfehrS ju fteigern.
©in geiftreicher greunb fprad) einmal baS jc^cr^aftc Parabojon aus, bie
altägpptijchen Priefter Ratten too^l fchon alle ©rfinbungen ber Dcujeit ge¬
tonnt, fie aber aus Dürfjicht für eine ibeale Kultur unterbriieft. ©S liegt ein
tiefer ©inn in biejem ©djerj. 3)ie Alten Ratten bie Kultur fefter in ber
£>anb, unS ift jie burchgegangeit, mie ein fcheueS DofS, über baS mir nicht
mehr $err finb. 3d) miß nicht bie gute alte 3 e i* bei Poftfutfcßen unb ber
£anbarbeit überjehäfcen, aber in oielcr Pe^iehung fangen gerabe bie ©pifcen
ber ßibilifation an, jene überholten Serhältnifje erft recht §u mürbigen. 2 Bir
haben eines mit bem anberen erfauft; ©emittn unb Perluft ift noch feh*
^meifelhaft. Dur baS eine ift fchon jefct fieser: eine Kultur ber Xechnif unb
beS SerfeßrS ift noch lange teine menfehenmiirbige, h°he Kultur, lein
3beal. ©ie ift eS jubem, bie unS erft baS Proletariat, bie unlösbare fociale
Srage gebracht hat; unlösbar, meil bie meiften Proletarier fiujuSarbeiter finb.
$ie h^f^nbe Kultur ift eine egoiftifche, jelbft ba, mo fie oorgibt,
für baS SBohl ber SKenjchheit, beS PolfeS ju arbeiten, benn ihr Altruismus
ift nur eine Ausgleichung aller ©goiSmen. 5)ie Kultur foD aber ethifch
im bottften ©inne fein, b. h- baS ^öc^fte ®ut nicht in ber größtmöglichen
giiüe jinnlicher ©enüffe, fonbern in ber ©rßebung beS ©eifteS $u feinem
Urfprung, 511 feiner eigentlichen Heimat juchen. $ie mahre Kultur foll fich
bem 3beal eines ©otteSreicheS auf ©rben möglichft annähern.
Unjere moberne Kultur ift in ihrer ©runblage eine froftig miffen*
fchaftliehe, fie fotl aber eine marme lebenSoolle fein. $ie SBiffenjchaft
foü in ihr nicht borauSfefcungSloS baS ©ute ttjrannifieren, fonbern bem
©uten bienen.
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Sticharb o. Kralif.
Da3 Siftfjetifdje, ba3 Künftlerifche fpielt in jeher echten Kultur
eine bebeutenbe Stolle. Die Kunft ift ja bie Sermittlerin ber Sbceit mit bent
Seben. Die Kultur fott erfdjeinen, fidjtbar toerbeit, glänjen, unb ba3 fanit
fie nur in äfthetifdjer gorm. 9tud) baä ©bangelium hat bie fünftlerifche gorm
ber Parabel nicht berfchmäht. gn ber Kunft fommt baä SBefen be§ ffiahren
unb ©Uten 511m 91u3bru(i Kunft unb Kultur ftnb, toenn man beibe# int
fjöchfteu, umfaffenbften Sinn nimmt, ibentijdj. Denn beibc follen ja ba£
ganje Seben burdjbringen unb heben. gn biefer ©e 5 ief)ung ift bie „SJtoberne"
mit un3 einüerftanben, ja, fie ift geneigt, bie Kunft eher noch ju auSfchlie&lich
ju überfc^äfeen. Slber fie mifSberfteht eben bie Kunft. Sie l)ält fie in unferem
tedjnifdjen 3^italter auch nur für Xechttif. Unb aHerbiitgS in ber Dechnif
ift unfere Kunft ganj refpectabel. 9lber auch nur in ber Dechnif. Die Kunft
ift ober fo toenig ber Kunft toegen ba, toie bie SEBiffenfchaft ber SBiffenfcfjaft
toegen, toie bie Dechnif ber Dechnif toegen. gür’3 Seben foü fie fein. ©3 gibt
eigentlich nur eine einzige echte Kunft: bie Seben§(unft, toorin auch hie
Kunft ju fterben mit eingefchloffen ift. Die Kunft foü ba3 Scbett jum geft
machen, ^unt greubenfeft toie 511m Drauerfeft, aber fie foll e£ lebenStoert
machen, ihm ben Schtoung, ben Sth^t^ntu^ geben, ber ben ÜJtenfchen junt
Überthier, bielleicht fogar jum Übermenfchen im guten Sinn macht. Darum
nenne ich ben feinen Künftler im Sinne hnh cr Kultur, ber für Sei£>bibIio*
thefen unb ba£ h c intüche ®ebürfiti3 opiumfiiehtiger Stontanberfchlinger fchreibt.
Stein, im ^telbengebidjt, in ber nationalen Sage halte ber erjählenbe Dichter
bem ganzen ©olfe baä erhöhte Spiegelbilb feiner ebelften ©eftrebungett oor,
unb ber Staat laffe bie3 jur ©rfjöhung jeber geftfreube auch öffentlich hem
Solfe fingen unb fagen. Sticht für einen Künftler halte ich hen 95ucht^rifcr.
Der Sänger fteüe feine ©egabung in ben Dienft be£ Sebent, ber ©efeüfchaft,
ber gefte be3 ©olf£, ber ©emeinbe, ber gamilie, ber Kirche. Sticht für Kunft
halte ich ha3 Unterhaltungsftiicf be3 Stepcrtoiretheaterö, fonbern nur ba*
SBeihefeftfpiel erhabenften ober h^iterften ©harafterS. Sticht für Kunft halte
ich hie Sftufif, hie fidj nicht in ben Dienft ber ©oefie, be3 Sebent ftetlt,
nicht für Kunft bie SRalerei, bie für ben SJtarft, bie KunftauSftellungen
arbeitet, anftatt für ba$ ©ebürfni§ ber Öffentlichfeit, für ba$ ©olf, für ben
Schmucf üon Dentpeln unb goren. 9lber auch ha fei nicht ber nichtäfagenbe
Schmucf ba$ 3^1- Stein, ber Künftler fei fich bemüht, in jebem gatt atä
Seher, al3 ©rebiger, al$ ©emittier ber höchften ©inficht unb Kraft jum ©olf
*u fprechen. 9111 bieö hohe ich in meinem „Kunftbüchlein" näher angeführt.
Unb enblich: bie höchfte Kultur fanit nur eine religiöfe fein.
Si3 hi c ^ cr b)ar ich vielleicht int ©inberftänbniä mit einigen wenigen, ©oit
nun an mirb mein 2Beg noch einfamer. 3*nar baS haben in biefett lebten
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Slulturtbeale.
327
gaftren auch fcfton bic ©infichtigften erfannt, bafS bie moberne Kultur burdE)
ihre StetigionStofigfeit am meiften gefc^äbigt werbe. ©ie wiffen auch fcfton,
bafS bic gefugte Kultur ber 3eit nur aus bcr SBurjet einer retigiöfen
SBettanfdjauung, eines non ber SReligion getragenen ßebenS erblühen fann.
216er fie gehen nach nerjd^iebenen ©eiten in bie Srre: fie jucken biefe
erfehnte SReligion entweber in ber 3 nfunft ober in ber Sergangenfyeit bei
©riechen, bei ben alten ®erntanen, ober in weiter gerne bei gnbern, Werfern,
©hinefen. Stun oerweift uns aber baS s JSrincip ber Slctuatität, bie ©efdfjidjte,
bie phitofophifefte Sergteichung, überhaupt alles unb alles auf bie einzige
actuetle, wirftiche, öotfSgemäftefte wie geiftigfte Stetigion, auf baS ® h r i ft e n*
thum. SBenn irgenb etwas fieser ift, fo ift eS baS, bafS baS ©hriften*
tt)unt allein bie antife Kultur organifdj fortgefefct unb oerftänbniSootlft ab'
getöät hat, bafS eS ibentifeft ift mit ber europäifeften ßioitifation, bafS eS
mit unferem SolfSttjum organifd) oerwachfen ift, bafS eS nicht eine, fonbern
bie Stetigion ift, bie gefunbene unb offenbar geworbene Stetigion, wie eS
nur eine SJtathematif, bie beS ©uftib, unb nur eine Sogif, biebeS StriftoteteS
gibt. SBoltten wir DaS ©hriftenthum aufgeben, fo miifsten wir jugteich
unfere gan^e S3ergangenheit, unfer ganzes SJolfSthum jerftören. ®ie einheimifche
©efchichte beS ©ermanenthumS beginnt erft mit ber ßtjriftianifierung. Slber fetbft
wenn baS nicht fo wäre, Wäre eS t^öridjt, eine Stetigion 51 t machen, ju
juchen, ju conftruieren, 511 abaptieren. $enit eS tiegt im SBefeit ber Stetigion,
bafS fie ftärfer fein mufS als wir; fie mufS uns umfehaffen, nicht wir fie;
barum brauchen wir fie ja. SBenn wir aber bie Stotfjwenbigfeit ber Stetigion
für bie Suttur eingefehen haben, wenn wir baS ®f>riftcntE>unt atS bie
Stetigion erfennen muffen, fo bteibt auch feine SBaftt jwifchen ben ßonfeffionen.
5)aS griecbifche Sirchenthum hat fich burch feine Stbtöfung altes ßebenS beraubt.
"5er s $roteftantiSmuS ift, wie Sagarbe feierlich ausgesprochen hat unb bie
ganje ©ntwicflung bejonberS feit einem 3nt)rhunbert beftätigt, praftifch un-
haltbar, wiffenfcftaftlich, theotogifch unb hiftorifch überwunbeu unb aufgegeben
oon feinen eigenen h^röorragenbften Sertretern. ®S gibt nur e i it e Sircfte, bie
fathotifche; bie anberen ßonfeffionen finb nur Xenbenjeu 511 ihr ober t>ou ihr.
$)aS weift bie ganje SBelt, wenn eS auch taufenb ©ritnbe gibt, bafS man
fich'S nicht gefteht. SBenige finb fo aufrichtig wie SKoltfe, ber grofte
Schweiger, ber in feinen ©efprächen mit ©erutjarbi ben StuSfpruch t^at:
„SBenn auch bie fathotifche ftirefte Steformen nöthig haben fotlte, fathotifch
rnüffen wir hoch alte einmal werben." Stun gut, baS fteftt atfo feft.
SBelcfte Steformen aber wollen wir je&t ber fathotifchen Sircfte üor=
ichlagen? Etwa, bafS fie ihre ßinfteit, ben „UltramontaniSmuS" aufgebe?
Slber biefe weit auSgreifenbe ©infteit, biefe überragenbe Stutorität macht fie
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328
SKidjarb o. fötalif.
uns ja gerabe erft fud^en^tucrt. Ober bafS fie fid^ auf bie fiirdjenf)aflc
befdjränfe, auf baS nadte Dogma, bafS fic eS aufgebe, alle SebenSgebiete
ergreifen unb burdjfefcen ju motten, mie fie eS im ©littelalter beanfpruchte?
s Jtein, mir motten ja bodj einen Sauerteig, ber baS ganje ßeben fchmadhaft
mache, fein Sirchenlämpchen, fonbern eine Sonne, bie aüeS burchleudjte.
Ober fott ber „ElericaliSmuS" feine fitljrenbe SJtacht bem ßaienftanb abtreten?
Damit mürben mir nur einen tljeotogifdjen Dilettantismus, Eurpfufdjerei,
9?aturf)eifoerfafjren in nnferer $eit beS gadjmiffenS gemaltfam ^eroorrnfen.
9tocb viel meniger aber fyaben mir ©runb, jenes Ijaltfofe Profefforenfirchen*
t^um ber ^Reformation anjuftreben unb bamit bie allein autoritative apoftolife^e
©runblage unferer ftirdje $u fchmächen. Ober motten mir ben Sölibat
abfehaffen, meil er angeblich ju mannen . SWifSftänben Seraitlaffung gibt?
«IS ob bie @f)c eine Serfidjerung gegen alle ©efahrett märe! SRein, feien mir
froh, bafS einer SRinorität vom Sann ber ©efcplecf)tficf)feit fich frei ju machen bie
©elcgenheit geboten mirb. «ber bie Dfjrenbetchte merben mir hoch vielleicht auf*
geben muffen ? SBie, bieS Snftitut, um baS uns fo viele beneiben, bie nicht ftarf
unb helbenfjaft genug baju finb! Ober fotten burch beit „gefunben 9Renfchen*
verftanb" manche VolfSthümliche formen ber «nbacht, übertrieben fcheinenber
.£>eiligencult, bie SRaricttvercbrung, ber SBunberglaube auf ein gemiffeS SRaft
befchränft merben? Um ©ottcSmitten, nein! SBir brauchen ja für unfere
Kultur SolfStl)ümlichfeit, felbft SRaivetät, mir brauchen SRannigfaltigfeit,
mir brauchen Poefie, mir brauchen SRpftif. SBir brauchen ben archintebifchen
Puitft außerhalb ber Erbe, um von ba aus bie ©rbe $u bemegen, unb
biefer punft faitn nur bie Übernatur, baS SBunber fein. SBenn mir, um
Der mobernen ft'ritif entgegenjufommen, baS ©ebiet beS SBunberS nur auf
baS bogmatifch SRothmenbigfte befchränfen, fo mirb bieS um fo unbegreiflicher
unb unerträglicher für fie baftehen. Ober fotten mir etma für Sfoterifer bie
rationaliftifche, fpntbolifche «uflöfung unferer Dogmen geftatten? Das märe
gerabe fo, mie meitn mir ihnen ein Privilegium geben mottten, von ber Suft
$u leben. Sotten mir etma ben ^Rationalismus in ber Kirche ftärfer betonen?
©in Unwichtiger Srrthum! Sa, feien mir national! Sch felber glaube es
an nationaler «rbeit mit jebem aufnehmen 511 foulten; aber eS gibt für uns
feine nationalere politif, als montäglich noch römifcher ju fein, als bie
Staliencr. 9lur fo höben mir baS einheimifche PolfSthum erhalten unb
gehoben. Das höben i°i r bemiefen burch Dhöten, nicht burch Sierbanf*
gefchrci, mie manche «nbere. Ober fotten mir ber Kirche jumuthen,
fid> mit ben fogenannten mobernen Sbeen, mie fie an fich finb, frieblich
fchieblich auSeinanber 5 U fefcen? SBehe uns bann! Dann märe unfere lepte
Hoffnung bapin. SBir höben ja ben religiöfeit ©eift nur beShalb berufen
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Kulturibealc. 329
mollen, um und aud ber Kulturbarbarei biefer ntoberueit Sbeeit ju retten.
Ober foücn mir geroiffe religiöfe Orbeit von und abfchütteln ? 3a, menn
mir unfer Kulturbeer einer mirffamen unb fo recht moberuen SBaffengattung
berauben mollen! 3a, menn mir ben Kampf mtb ben Steg ber religiöfeit,
ber mabren Kultur noch länger hinaudjiehen mollen, menn mir und oor
beut 3^1 fürchten, bad mir hoch auftreben.
3 ch ha^e ba eine 9teif)e oott ftteformoorfchlägen aufgewühlt, mie fie in
neuerer $cit oon oerichiebenften Seiten aufgeftellt merbeit. 9lber ich
mid bie SReformbebürftigfeit ber fatholifchen Kirche nicht ganw leugnen.
Sie leibet an einem großen mirflicheu gehler, ber alle anberen, nur
jebeinbarnt nach fich sie^t. 3)iefer gehler ift, bafd fo oicle unb bejonberd
bie ©ebilbetften bid jefct noch aufjer ihr fteben. Unb in biefer ©ejiehung
bin auch ich SReformfatholif. 9(ber feib überzeugt, ihr „©ebilbeteu", bafd
ihr in ber Kircf)c bie höchfte ©Übung finben merbet unb auch Männer,
bie im Staube finb, euch biefe ©Übung ooüfommen angemeffen w« vermitteln.
Sie märten nur auf euch, um bie ^Reform ber Kirche ju voHenben. 3<*, bie
SRängel im Sebcn ber Kirche föniten nur burch biefe höchft toünfchendmerte
Reform gehoben merben. 3ft biefe aber burchgefiibrt, bad Reifet ift unfere
gan^e Gilbung nicht mehr außerhalb, fonbern innerhalb ber Kirche, ftellt
fie ihre gatt^e Kulturarbeit in ben Xienft berfelben, bann finb alle Schaben
oon felber geheilt, bann erft allerbiugd fann bie ^Religion ihre gait^e Jultur*
bilbenbe Kraft ohne SReibuugdverluft entfalten. 9(ber bad ift eben ein
'«Bormurf unb ein 9Ranget, ber nicht bie Religion unb bie Kirche an fich
trifft, fonbern jene, bie fich ber Kirche Verfehlten. SBenn ich tvül, bafd
mich bie Sonne befcheinen unb märmen foU, fo mufd ich wum minbeften
aud bem Schatten hervortreten. Unb menn mir alle ©utgemiüten in bie
Sonne ber SBahrheit locfen mollen, fo miiffen mir fie in ihrer ganjen
unoerhüllten glän$euben ®egenfä§lid)feit wur Dämmerung barftellcn, mag fie
fo auch blenbeit unb fchmerjen, unb mag man und auch vielleicht „9toman=
tifer" fchelten.
9iun alfo, meine greuitbe hüben unb briiben, fo entfeheibet euch:
23ollt ihr eine Kultur ober nicht?
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Die Philosophie der Astronomie.
•Bon Bl»!** UHiller.
(£v 8 ift etroaS SonberbareS um bett SWenfcpengeift: ein nimmermübeS
Streben nacp SrfenntniS 4 aller |>öpen unb liefen ber Schöpfung macpt
fein ßeben unb SBefen auS; aber menn ipm gegeben ift, ooit mo er feine
Scpmingen entfalten unb ben glug oertrauenSooll toagen fann, beratet er
ftolj, lieber ber eigenen fi'raft üertrauenb. Dann gept es ipm rnie bem ©ogel,
ber aus bem fixeren SuftfreiS in ben Stper pinauSfliegen miß: feine Flügel
finben feinen fmlt, — unb mo es fonnenmärtS $u gepen fcpeint, gept’S
tpatfäcplicp erbtoärtS. ift eS fein gaprpunbert per, ba bie SBiffenfcpaft
beS ©eifteS biefeS traurige Scpaufpiel erlebte. ®S mar bie unglücflicpe 3«*
Hegels unb Stellings, too bie ©pilofoppie, unbefümmert aller Srgebniffe
unb äftetpoben ber Slaturroiffenfcpaft, fiep bie gan$e toirflicpe SBelt auS iprent
eigenen gnnern peroorfpann, maS man bamals — unb autp peute nocp in
getoiffen Greifen — mit unbemufster Selbftfritif „greipeit ber ©pilofoppie"
$u nennen pflegte.
Sepr tueit braucpt man peute nicpt ju gepen, um baSfelbe, ja eigentlich
ein nocp fcplimmereS Scpaufpiel mieberpolt $u fcpen, nocp fcplimmer
beSpalb, meil man nacp bem fläglicpen Scpeitern jener Scpilberpebung einer
übermütpigen ©pilofoppie unb bem macptuoKen Slufblitpen ber 9iaturtoiffen*
fcpaften bo(p faft meinen foHte, bie SRenfcpen feien flüger gemorben. DaS
Sonberbarfte babei ift, bafS man fiep einbilbet, auf bem ©oben eines gefunben
®mpiriSmuS 51 t ftepen, unb biefe ©inbilbung mit einer £i|}igfeit oertpeibigt,
bie gemeinpin folepen Seuten eigen ift, bie eS nicpt fepr meit in einer
Sacpe gebraept paben unb fiep biefeS SRangelS peimlicp bemufst finb,
— mäprenb man in SBaprpeit einem gnteüeftualiSmuS ärgfter Sorte pulbigt.
DaS ift baS feplimmfte 3^cpen für ben ©erfaß einer ©pilofoppie, bafS man
nicpt mepr meifj, maS man tput unb treibt. Unb boep, mie oft ift nicpt ber Safc,
bafS ©pilofoppie unb üftaturnnffenfepaft fo eng jufammengepören, bafS lefctpin
feine opite bie anbere als eine mit jur Söfuitg beS SBcltproblemS berufene
unb biefen Seruf mit @rnft erfaffenbe SBiffcnfcpaft ejiftiercn fann, mie oft
ift nicpt biefer Saft in bie ^perjen nnferer ©pilofoppen pinein gerebet unb
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®ie $l)Uofopi)ie ber 'ilftronontie.
331
getrieben worben, gefebrieben nicht nur mit ben ©Sorten auf bem Rapier,
fonbern mit ben unauSlöfcblicben, brennenben Suebftaben, wie fie bie
©efebid )\t fdjreibt!
Stnftatt ben tbeoretifdjen SeweiS ber Stotbwenbigfeit ber Staturwiffen*
febaft für bie 5ß^ilofop^ie $u fiteren, ber in ben ©inleitungSWorten fcpoit
gan$ allgemein auSgefprodjen liegt, will icb fogleidj bie praftifdje Slnwenbung
ber Setjauptung machen unb, ba eS unmöglich ift, tjier bie ganje Statur-
roiffenfebaft in ben Sereid) beS pbilofopbifcben ®enfenS ^ineinjujie^en, einen
ihrer bie fyofje £>immelsfunbe, ^erau^greifen, um an ihr ben fo
ungemein reichen pbilofopbifcben .gnbalt ber Staturwiffenfcbaft ju bemonftrieren.
SJtit Slbficbt gebe icb in bie ©ra^iS unb mit Slbfidjt nehme id) gerabe bie
Slftronomie. ®aS erfte beSbalb, weil icb ben tbeovetifeben SeweiS anberswo
erbracht habe unb man, wenn icb ftetS fo derfübre, vielleicht Stiepfcbe'S
2Bort (3aratbuftra) barin beftätigt finben fönnte: „SBobl 50 g ich ben ScblujS;
nun aber jietjt er mich!" ®aS lefctere auS bem ©runbe, weil, Wie eS wohl
auf ben erften ©lief auSfiebt unb eine aud) nur geringe Kenntnis ber Söerfc
unferer ©^itofoppen $u beweifen febeint, bie Äftronomie von allen jum engeren
©egriff ber Staturwiffenfcbaft gehörigen ®iSciplinen bie wenigften unb neben*
fäd)lid)ften SerübrungSpunfte mit ber $fyilofopl)ie gemein pat. SBenn eS ficb
nun jeigen wirb, bafS biefeS Slfcbenbröbel unter ben 3weigen ber Statur-
wiffenfdjaft trofcbem diele unb wichtige pbilofopbifcbe SJtomente in ficb birgt,
fo bafS jeber fßfjilofopp, ber eS ernft nimmt mit ber SBiffenfdjaft als bem
Jorfdjen nach ber ©Sabrbeit, ficb auch Kenntnis ber Slftronomie befc^affen
mufS, bann liegt bamit ein äufterft günftiger ScblufS für bie übrigen ®iSciplineit
ber Staturwiffenfcbaft nabe.
3ugleicp foll burd) biefe praftifebe Slnwenbung gezeigt werben, bafS
ber Staturwiffenfcbaft eine pbilofopbifcbe Seite gleicbfam eingeboren ift,
bafS biefelbe Verleugnen ober oerfennen fodiel biefee, wie jener ihre fünfte
3ierbe rauben unb ficb entgegen bem auSgefprocbenften Sebnen beS
menfcblicben ©cifteS freiwillig jeben tieferen ©inblicf in baS geheimnisvolle
'JBefen ber Statur abfebneiben. ®ie Staturwiffenfcbaft im ftrengften Sinne
erleibet jwar feine Sinbufte bureb ben ©ergebt auf ade^ pbilofopbifcbe
®enfen; aber gerabe ber arbeitenbe gorfeber, ber wie faitm ein jweiter bie
28abrbeit beS SBorten erfährt, „bafS fein £>onig füfcer, als ber ber SrfenntniS
ift", Wirb ficb bem Stcije pbilofopbifcber ©rfenntniffe, wenn er iljm einmal
erfebfoffen, wenn einmal ber Sonnenblicf biefer fiönigin mitten in bie
öbe ©Seit feiner gormeln unb Sjperimente gefallen ift, willenlos ergeben.
®er berebtefte SeweiS bafür finb bie SBcrfe unferer großen Staturforfcber,
bie jugleicb alle Ötofee pbilofopbifcbe ®eitfer waren unb beren pbilofopbifcbe
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332 f s 2UoijS Mittler.
SebenSarbeit mit all' ber jugenblicben Srifc^c umfleibet ift, rnie fie ein ©eift
nur auSftrablen fann, ber frei oom ©taube ber ©cbulpbilofopbie unmittelbar
oon beS Sebent golbenen Saume pflüefen barf.
Sei ber Söfung unferer fpecieüen Aufgabe läfSt ficf) mobl ein anberer
als ber praftifdje SSeg nicht einfcblagen, inbem mir eben bie einjelnen aftro*
nomifeben Sehren, bie in Setradjt fommen, burebgeben unb baS S^itofop^ifd)e
baran ^erüor^eben. 9Jtan fann babei ein boppelteS pbilofopbifcbeS SKomcnt
unterfebeiben, ein f o r nt e 11 e S, baS für bie 2lrt unb SBeife, ein materielles,
baS für ben 3nf)alt beS pbilofopbifcben $>enfenS oon SBert ift.
I
$aS formell pbilofopbifcbe SRoment finbe ich fomobl in ber
©efebiebte als in ber 9Retl)obe ber Slftronomie.
2BaS man tyuen foH, fann bie ©efebiebte einer SBiffenfcbaft eine
anbere SBiffenfdjaft niemals lehren, mobl aber, mie man ctmaS tfjuen
fotl, unb in biefer |>inficbt ift bie ©efebiebte ja ftets eine grofee Sehr*
meifterin gemefen. ÜJtan barf aber babei nidjt an SWet^oben benfen, bie
einmal f)iftorifd) fid^ ergeben haben unb uorbilblicb für bie anbere SBiffenfcbaft
fein foden; bemt toaren fie nicht begrünbet, fo gehören fie überhaupt nicht
hierein, inbem fie ja baS SSertoerbältniS ber einen SBiffenfdjaft $ur anberen
aufbeben, toaren fie aber begrünbet, fo finb fie in bem metbobologifcben Inhalt
einbegriffen, ber erft fpäter jur Sprache fommt. ®S banbeit fief) hier oiel*
ntel)r um bie gatt^e ©eifteSricbtung, in ber pbilofopbifcbe fragen geftedt unb
gelöst toerbett, um bie SBeite beS SlicfeS, bie Unbefangenbeit, SorurtbeilS*
lofigfeit, bie 21nfiebteit über bie ©tärfe beS menfcblicfjen ©eifteS, über bie
Statur, furj in getoiffem ©inne um eine SSeltanfcbauung, mit ber auSgcftattet
man an bie Söfung beS SBeltproblemeS berantritt. ®aS aüeS fann aller*
bingS auch Srobuct beS pbilofopbifcben $enfenS fein, eS fann aber auch bie
©runblagc für toeitereS benfen fein, baS/ toaS ibm bie Stiftung gibt, ibm
bie gorm aufbrüeft, eS in biefe ober jene Sabnen lenft, unb als folcbeS
fommt eS hier in Setradjt. SJteiftenS ift biefe ©eifteSricbtung eine 9Ritgift
beS ©cböpferS ober bureb 6r$iebung ober (Srfabrttng ertoorben. $a nun bie
©efebiebte auch Srfabruitg ift, fo fann fie hier einfefcen, unb toenn fie auch
als ©efebiebte einer SBiffenfcbaft bei toeitem nicht auSreiebt, einer anberen
bie gait^e Sticbtung ju geben, fo ift boeb nie auSgefcbloffen, bafS fie über
toiebtige fßuntte SluffcblufS ertbeilen fann. ®afiir bringen mir nun aus ber
©efebiebte ber 2lftronomie jtoei Seifpiele.
2llS erfteS claffifebeS unb auch mobl mattcbmal in bie Sbüofopbie
hineingejogeneS Seifpiel biene baS fopernifanifebe SBeltfpftem. ®urcb
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$ie ’ityilofopijie ber Slftronomie.
33»
bie fdjönen Stubien ©djiapare11i ; S ift eS ja befannt, bafö SopernifuS
manche Sorläufer, befonberS unter ben großen griee^ifc^en Slftronomen, befafe.
Slber biefelben öerfchminben unter ber SRenge ber Oegner; bie 3eiten maren
eben noch nicht reif genug, um bie fo gemaftig reformierenbe 3 bee aufju-
nehmen. ®r felbft tonnte feinen eigentlichen miffenfchaftlichen SemeiS für
leine Slnfchauung bringen, er erfannte ihre Stidjtigfeit intuitiö; fo tarn eS,
bafS felbft ju feiner 3^it fein ©ebanfe nicht burchbrang. 3a in Diel fpäteren
3 ahrhunberten fanb fein ©pftem noch ©egner in bebeutenben Scannern ( 5 . ©.:
©offuet), unb im 19., ja fogar in unferen gefegneten 20. 3<*h r hunbert hat mau
noch 9 c 9 cn ihn gefchrieben. SRan tann ruhig fagen, bafS bantalS, als er fein
Stetem aufftellte, unb noch Diel fpäter, bie Überzeugung aller SRenfdjen unb
Seiten gegen ihn fpradj. E P ur si rnuove! Unb hoch hatte er Siecht. ®iefe
eine Xhatfacfte bemeist bis zur ©oibenz, bafS ber fogenannte „SlutoritätSs
bemeiS", baS ift ber ©emeiS aus ber Übereinftimmung aller SRenfchen unb
Seiten, feinen miffenfchaftlichen SBert hat.
2Bo finbet man nicht heute noch biefen SlutoritätSbemeiS! ©ei bem
©roblem ber ©tentenbemohner hat man ih n geführt, obmohl er hier am
aflermenigften berechtigt mar, meil bie erfte grunblegenbe ftrage bie nach
ber ©cmohnbarfeit ift, biefe aber crft feit ber SRitte beS porigen 3üh r *
hunbertS (©ntbecfung ber ©pectrafanalpfe) beantmortet merben fann; in
ber ffrage nach ber Dbjectiüität ber SinneSqualitäten het man fich auf ihn
geftüfct; für bie Unfterblichfeit ber Seele citiert man ihn, obgleich fich hier
bie ©rfenntniS, bafS eS fein miffenfchaftlicher ©emeiS ift, auch ganz jag^aft
bei unferen chriftlichen ©hü°f°Ph en äußert. £ätte man ihn nicht z u
beS ft'operitifuS 3eiten mit bemfelben Siecht gegen beffen ©enie führen
fömten? SieUeicht hat man eS getfjan, öielleicht hat man baS fcheinbarc
Siecht noch baburch z u öergröfeern gemeint, bafS man auf beS Slftronomen
Spftem als eine unbemiefene Sluffaffuitg hinmieS. SlHeS h^tte er gegen fich,
maS Pont Slnfang ber SBelt an gelebt hatte, unb feine ganze 3eit. Unb mie
hat ihn nicht bie fortfchreitenbe SBijfenfchaft gerechtfertigt! SBo bleibt ba
noch ber JlutoritätSbemeiS ? SSenn er fich auch nur ein cinzigeSmal eclatant
als unrichtig ermiefen hat, fo fällt bamit feine miffenfchaftliche ©eredjtigung.
®S fann ©orftellungen, 3bcen, ©uggeftionen geben, bie bie SRenfchheit 3ah* s
hunberte, 3 af)rtaufenbe lang gebannt halten unb bie hoch falfch finb. $ie
ganze SRenfchheit ift gleichfam nur ein einziger grofjer SRenfch unb fie fann
irren unb 3*rthum zeitmeilig fefthalten, mie ein einzelner SRenfch. Unb mie
fönnte eS auch anberS fein? SBeitn ber SJienfch in bem Sinne baS SRafc
aller $inge märe, bafS baS, maS er, „ber SRenfch" x. L, für richtig hält,
auch beShalb richtig ift, bann müfSte ich toirflich nicht, wie man für immer über
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334
Alot)S ÜJhiUer.
ben Saft SWieftfche'S (gröbliche ®8iffcnfcbaft) ^intüegfomntcn foHte: „©aS
finb fluleftt bie ffiahrheiten beS SRenfdjen? — ©S finb bie unmiberleglichen
grrthümer beS 9Renfdjen." ©ubjectiö, für ben cinjclncn Verftanb mögen
folche Vemeife überfleugeitb fein unb bafjer befliehen fie and) ihre ©jiftenj*
berechtigung. Aber es ift ftetS ein folgenfchmercr gehler gemefen, menn man
flmifdjen fubjectiuer ÜbevfleugungSfraft itnb miffenfdjaftlicher ^Berechtigung nicht
unterschieb.
Vielleicht bebürfte ein AutoritätSbemeiS eines bejonberen ©orteS, ich
meine ben für baS 2)ajein ©otteS. ©r mirb öon unferen Ausführungen faum
tangiert, menigftenS märe noch fange Überlegung nöthig, ehe man ihn unter bie
befprochene ßtubrif biefer Vemeife reihen tönnte: ©ott ift nicht etmaS, maS bafein
fann, fonbern etmaS, maS bafein mufS; baS unterfcheibet ben SemeiS oon aßen
übrigen. $iegrage hängt iiberbieS flufammeu mit bem Problem ber eingeborenen
©otteSibee, hoch entflieht fie fid) uoflftänbig ber näheren Vehanblung an biefer
Stelle. — ®ie Überfleugung, bie bie SWenfdjen afler feiten befiften, mufS
aflcrbingS in gemiffen gäßen irgenb einen realen Untergrunb hoben. ^arum
fragt ged)n er (3enb* Aöefta): „Sann baS jeftt ohne ©rünbe oertoorfen merben,
toaS üoit üorneherein feiner ©rünbe bebürfte, um ben Sftenfchen einflulcitchtcn?"
Sooiel alfo barf man jener Überfleugung trauen; aber auch nur fooiel, unb
mit biefem Safte ift ber anbere noch lange nicht auSgefprodjen, bafS man
nun in aßen gäßen biefe Überfleugung als einen ©emeiS gegenüber anbereu,
auch nicht ftreug miffcnfchaftlichen ©emeifen auSfpielen barf.*)
AIS ein jmeiteS ©eifpiel fliehe ich Me Anmenbung ber Spectrah
analpfe unb ber ©hbfi^oepe auf aftronontifchc Objecte heran. ©aS mau
oor ber Sßiitte beS oorigen gahrhunberts non ber Vhftftf ber Sterne mufste,
mar blutmenig unb beruhte baflu manchmal auf flicmlich unfiche^em ©runbe.
$a erfolgte bie ©ntbedung Sirchhnff'S unb ©unfcnS, unb mit einem
Schlage mar man in ein neues, ungeahntes, nie erträumtes SReich berfeftt.
geben Stoff auf ben fernften uns fichtbaren Sternen bermögen mir nun nach'
flumeifen, fomeit er fich auf ber ©rbe finbet; mit einer ©enauigfeit bon
*) 2 Jtan feftränft otelfach bie ©eltung beS AutoritätSberoeifeS auf „bie ber
Vernunft aller ^gängigen Urteile" ein, unter ber VorauSfeftung, bafS „fid) fleigeu
läfSt, bafS feine bie Vernunft beirreitben ©inflüfie baS übereinftimmenbe Urtheil
herbeigeführt hoben." $>amit läfst man feine SRicfttigfeit in ber grage nach ben
©ternenbemohnern, nach ber Objecttoität ber Sinnesqualitäten u. a. fallen. 2 >amtt
ift aber zugleich ber ©eroeiS auS ber Ü herein ft i nun ung aller ÜRenfdjen als
foldjer aufgehoben. 2)enn jeftt beroeift nicht mehr biefe Übereinftimmung, fonbern bie
logifche ©ahrheit beS ^enfprocefieS unb ber AutoritätSberoeiS ift nur mehr ba jur
Stüfte für Sd)roachföpfe, bie ihr eigenes $enfrefultat bejroeifeln, roenn fie eS nicht
bei irgenb einer Autorität roieberfinben.
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Die $Oilofopf)te ber 2lftronomie.
335
zeitiger als einem falben Silometer fönnen mir bie ©efehminbigfeiten nteffen,
mit benen bie Sterne fich auf uns ju ober üon uns ab bemegen. ©elbft bie
fünfte ©hantafie hätte fich nicht träumen taffen, bafS ein minjiger Sicht*
ftraf)! folche ©eheimniffe in fich fchliefce. Unb in ber SReujeit hat fief) burch
bie glücfliche ©ermenbung ber ^ß^fiologie mieber ein anbereS 8ieich eröffnet.
Dinge, an benen alle bisherigen ©rfahrungen fcheiterten, bie allen ©erechnungen
unb £>ppothefen fpotteten, bie üöHig ejernpt mareit, haben burch fte ihre natür*
liehe ©rflärung gefunben.
SBaS bie ©hilofabhk/ bie fo gut mie bie SIftronomie eine fort=
fchreitenbe SBiffenfchaft ift (menn eS überhaupt eine anbere SBiffenfcfjaft
gibt), barauS lernen fann, ift bieS, bafS fie nicht bie uns jefet befanntc
Dhatfachen* unb ©ebanfenmelt als bie anfieht, momit nun alles erflärt
merben mufs. @S fann unb es mufS 9taturorbnungen, fliaturthatfachen, 9tatur=
jufammenhänge geben, bie mit bem SWafje unferer SenntniS, unferer Sategorien
unb 3beert nicht gemeffen merben bürfen; es fann unb eS mufs ©ebanfen*
melten geben, bie jenfeitS ber ©rennen ber menfdjlichen MuffaffungSfähigfeit
liegen. 2Bir oerlangen bie Slnerfennung beS f) a m l e t'fchen SBortcS, bafS
eS SDinge im Fimmel unb auf ©rben gibt, üon benen bie ©djutmeisheit
lieh nichts träumt. Das flingt banal unb ift eS hoch nicht. Denn üon
etmaS attberem ©efichtSpunfte auS betrachtet, ift cS bie SBieberpolung beS
Spruches: SBo ber Dh°* fagt: ©ntmeber — ober! fagt ber SBeife: ©omopl
als auch! Unb mer ftd) biefen ©inn mit allen ©onfequenjen überlegt, mirb
moljl nicht nur ben theoretifchen, fonbern auch ben praftifchen SBert unferer
gorberung einfehen lernen, ber fich bei ihrer Durchführung befonberS auf
ben ©ren$gebieten ber ©h^ofophie unb Dheologie jeigen mürbe.
©in ©eifpiel foH baS Dargelegtc erläutern. 2Bir erflären, fo fagt man
gemöhnlich bei uns, ben ©piritiSmuS mit £ilfe natürlicher Kräfte, fo meit eS geht,
gibt eS thatfächlich ©rfcheiitungen, bei benen mir bamit nicht mehr auSreichen,
fo liegt ein übernatürlicher ©influfS oor, unb ba bie ©ngel fich b n foldjen Sachen
nicht h^rgeben, fo haben mir bämonifche SBirfungen. Diefe ganae Debuction
(eibet an ©infeitigfeit. Säer mill bie SKöglichfeit ber ©jiftenj üon Statur^
unb ©eelenfräften leugnen, bie jenfeitS unferer jefcigen SenntniS $u fuchen
finb? 9Ran hat fooiel gefpottet über bie gölliter'fche ©rflärung, bafS bie
ipiritiftifchen ©rfcheinungen üon SEBefen herrührten, bie in ber üierten Dimenfion
lebten unb nun in bie britte herüberfämen. 3t merbc mich hüten, biefe
furiofe 3bee noch mit einem SBorte ju üertheibigen. Slber ein richtiges
HRoment enthält fie: ©S gibt Staturjufammenhänge, beren ©erührungSpunfte
mir nicht nach bem beurteilen bürfen, maS mir üon bem einen Dheile eines
folgen 3«fammenhangeS miffen, mührenb ber anbere uns total unbefannt
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336
91lopS 2JfülIer.
ift. ©S ift etmaS ©thifdjeS, maS tjieleit ©hilofophen fehlt, nämlich JJemutl)
in ber ©eurtheilung unferer ©eifteSfraft, $)emuth auch, tiefe ®emuth t>or
ber ©röfje beS SßeltgeheimniffeS, Bor bem fetbft ein 9teh)ton fich Borfam,
mie ein am Ufer beS SDteereS mit aRufdjeln fpielenbeS Sinb.
Über baS formell philofophifdje SRoment in ber SRetljobe ber
Stftronomie ift eigentlich nicht Biel ju fagen. ®ie 9taturmiffenfchaft überhaupt
ift ja methobologifch berart für bie ©hilofophie Borbilblich, bafs man fie
beSljalb allein ja fchon als philofophifche $iSciplin bejeidjnet hot. ®a nun
bie Ülftronomie bie formell Bodenbetfte unter ber 9laturmiffenfchaften ift, wirb
ihr philofophifcher SBert in biefer £>infidht unmittelbar einleuchten, geboch
befifct fie gemiffe ©igenthümlichfeiten, bie fie befonberS mertootl machen,
unb baoon fei menigftenS eine hier ermähnt. ®ie Slftronomen machen feine
gröfjcre 9technung, ohne bafs fie bei gemiffen ©tappen innehalten unb
fogenannte ßorrecturrcdjnungen einfchieben, inbem fie nachrechnen, ob bie bis
bahin erhaltenen $aten mit irgenb melchen früher beobachteten iibereinftimmen.
Ih«" fie eS, fo fährt man fort, tljun fie eS nicht, fo bleibt nichts anbereS
übrig, als bie ^Rechnung Bon ber Borhergehenben ©orrectionSredjnung, bie
noch ftimmte, ober Bon Borne mieber ju beginnen.
3 eber Genfer ftüfct fich auf beobachtete ®aten nnb nimmt bei ihnen
feinen Einfang; barum mujS er fich ouch an ben ©eobadjtungen, an ben
^hotfachen corrigieren laffen. Son Bornherein ift eine folche ©idjerftellung ber
$enfarbeit nur ju münfchen. SRit bem $enfen ift eS mie mit bem Rechnen:
ein fleincr fje^ler ju Ulnfang gebiert am ©chlufS Ungeheuerlichfeiten. 35aljer
foBiele fpeculatiBe Ungeheuer. 3e abftracter bie ©egriffe merben, mit benen
man operiert, befto leichter fann fich ein fehler einfchleidjen, — baS ift ein
©ah ber SRethobenlehre, ben fich unfere ©hilofophen lag für lag ins
©ebädjtniS jurücfrufen füllten. Sefannt ift ber fRath, ben fRücfert in einem
launigen ©ebicht ben Suriften gab, nur ja ihre fRechtSfäjje nicht ju meit ju
Berfolgen unb auSjufpinnen. ÜRan thut alfo mirflich gut baran, bem 91ftronomen
ju folgen unb fein ®enfen non Seit ju Seit ju prüfen.
911S erläuternbeS ©eifpiel biene bie ariftotelifche Theorie oon 9Raterie
unb 3orm. ©ei gemiffen ©eränberungen in ber 9tatur, fo fagt biefelbe, jum
©eifpiel bei ©ermanblung ber Born ÜRenfcfjen genoffenen ©peife in ©lut, mufS
etmaS bleiben — baS nennen mir bie äRaterie — unb ettoaS fich änbern
— baS nennen mir bie Sonn; in unferem Salle mirb bie Sorm ber ©peife
burch bie 3orm beS ©luteS erfefct. $5ie 3orm ift bemnad) baS ©eftimmenbe,
baS, maS bie 9Raterie, baS ©eftimmungSlofe, ju biefem Stoffe: ©lut, ©ifen tc.
macht, galten mir hier ein, beoor mir bie ©egriffe metaphhfifch Bertiefen,
unb machen mir bie ©robe an ber ©rfahrung. 9Ran fieht fofort ein, bafs
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3He $&ilofopf)ie ber Slftronomie.
337
bie Iljeorie 3Befen«öermanblungen öerlangt, unb mir müffen nun bic Statur*
miffenfchaft fragen, ob eS folche gibt. 3)a erfahren mir benn, baf« man au«
oielen Xhntfadjen ber ©hemie unb Shbfi* mit ziemlicher Sicherheit fchliefcen fann,
baf« fubftantiale Sermanblungen in ber Statur nicht oortommen. ©enannt feien
hier nur 1 . ba« ©erhalten ber ifomeren, fpecieH ber metameren Sörper unb
2 . ba« ©erhalten ber Serbinbungen im ©pectrum. ®ie Folgerung au« jener
I^eorie mirb atfo oon ber Staturmiffenfchaft nicht beftätigt unb bamit bie
ganze 2 ^eorie hinfällig .*)
II.
®en ungemein reichen pbilofop^ifc^en Inhalt ber Slftronomie
fann man mohl ztoecfmäfjig unter folgenben ©efichtSpunften betrachten. SEBir
befpredjen ber Steihe nach
1 . Sehren, bie al« aftronomifche zugleich philo jophifch finb,
2 . Sehren, bie eine aftronomijehe unb eine philofophifche ©eite haben,
3. philofophifche golgernngeit unb Stefultate au« aftronomifchen ZfyaU
fachen unb ©ebanfengängen.
1 .
3 ch muf« hier oon oornherein einem ©inrnurf begegnen, ber auf bie
furze Inhaltsangabe in ber ©intheilung hin erhoben merben fönnte. ®u
jiehft, fo fagt man mir, nicht genau bie ©rennen ber SBiffenfchaften; mie
fönnteft bu fonft etma« aftronomifch unb al« foldje« auch Phünfophifch nennen?
$a« ift bebenflich, benn oon jeher mar ba« Sermifchen ber ©renjen eine
grobe ©efahr für bie ffiiffenfchaft.
3 ch meife bem ©inrnurf gegenüber junächft auf bie Ihatfachen hin,
bie jeigen, baf« fich nicht immer fefte ©rennen jiehen taffen. 2 Ba« ift ba«
8 eben? — SBer min leugnen, baf« bie« eine eminent philofophifche 3 rage
ift? Unb boch ift ihre ©eantmortung auch ba« lefcte 3^1* auf ba« alle
Stnftrengungen ber ©iologie hin gerichtet finb. ©ine« ber groben Sbeale
ber mobernen Staturforfchung ift ferner bie 3 nrücfführung aller Staturfräfte
auf ©emegungen be« Seither«. Unb auch biefem Problem mirb man einen
ftreng philifophifchen ©harafter nicht abfprechen fönnen. SJian fieht, baf«
ber fooiel gebrauchte ©afc: 2Bo bie Staturmiffenfchaft aufhört, fängt bie
©hilnfophie an — nicht richtig ift.
*) ©iner unferer chriftlichen $hüofophcn r ber roufste, rote fchroerroiegenb biefe
naturroiffenfchaftlichen ©rünbe ftnb, rooHte bie 55:^eoric burch ©inführung oon Gegriffen,
roie „oitureUe Sltome" u. ä. an biefer Klippe oorbeileiten. Slber roenn ft* auch fo ber
©harpbbt« ber Staturroiffenfchaft entgangen ift, fällt fte boch unrettbar ber ©cplla ber
Shüofophen in bie §änbe.
JHc Jtultur. III. 3afttg. 5 . $eft. (1902.) 22
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338
Alopd üJtüller.
Unb ed fann auch im ©runbe nicht anberd fein. SBad ift bcnn
eigentlich ^S^itofop^ie ? Die befte Definition, bie ich fenne, hat bereits
Ariftoteled gegeben, ber bie Sant'fche fe^r nahe !ommt: ^S^tlofop^ie
ift bie SBiffenfchaft öon ben erften Vrincipien. s ß a u (f e n (©inleitung
in bie ^ß^ilofop^te) nennt fie gmar eine „Verlcgenheitdaudfunft", bie
„Unbeftimmtpeit" befifee, meil fie in bad ©ebiet anberer SBiffenfchaften
eingreife; aber er miß hoch barauf „in gemiffer SBeife gurücffommen".
Aber ift benn feine eigene Definition: „ s 45^iIofop^ie ift ber Inbegriff aßer
miffenfchaftlichen ©rtenntnid", „bie universitas scientiarum" — nicht noch
oiel unbeftimmter? 3n einem gemiffen Sinne gefafdt, ift fie richtig,
unterfcpeibet fich aber bann faurn noch öon ber ariftotetifchen, bie ja oon
ben meiften s #hilofoph e n acceptiert mürbe. Überafl bleibt bie s 45^itofop^ie
„ber Verfuch, bie Söfung bed Stätpfeld audgufprecpen. ben Schlüffel gu bem
mysterium magnum bed Dafeind gu finben." Unb ba bie Staturmiffenfchaft
auch mitberufen ift gur Söfung bed SBelträthfeld, ba auch fie nach Vrincipien
fucht, oon benen aud fie bad bunte $eev ber Dpatfachen einheitlich erflären
fann, fo ift ed flar, bafd fich gmifcpen ihren unb ber ^J^ifofop^ic Vrincipien
nicht reinlich fcpeiben läfdt, bafd bie pöcpften naturmiffenfcpaftlichen Vtincipien
auch jugleid^ atd folche ppilofoppifcpe s ßrincipien fein miiffen.
SBent übrigens biefe Ausführungen nicht behagen, ber laffe fie beifeite.
Die in biefem Abfcpnitte befprochenen Sehren tönnen gur Siotp auch fo
gebeutet merben, bafd fie in einen ber folgenben Dpcile ^inetitpaffen; bad
philofophifche SJtoment mirb man ihnen hoch niemals abfpredjen fönnen.
SBetched Verhältnis man auch gmifchen biefem unb bem aftronomifchen
conftruieren möge, ift für bie Sache an fich gleicpgiltig; pier genügt ed,
bafd überhaupt ein Verhältnis befteht.
An erfter Steße in biefem Abfcpnitt möge bie SantsBaplace'fcpe
Xpeorie fungieren. Die Xpeorie hat mit ber Dheologie poepftend infofern
etmad gu fchaffen, als bie ©jegeten bed ^pejaemerond fich nach ihr richten
miiffen. Aber ebenfo falfch mie bie materialiftifche Vehauptung, bafd burd)
biefelbc ©ott aud bem SBeltgebäube unb feinem ©efepief oerbannt fei, ift bie
anbere, bafd gerabc fie einen SBettfcpöpfer am notpmenbigften mache. Die
Xpeorie ift rein naturmiffenfcpaftlich; fie geht guriief bis auf einen Urguftanb
bed Sodmod unb entmicfelt oon ba audfcpliefjlicp an ber $anb ber Statur»
gefefce ben jefcigen 3uftanb; aber fie fragt fich nicht: moper benn biefer Ur*
guftanb? Sie hat eben nur mit bem im Staunte ©egebenen gu rechnen. Unb
menit ed felbft, mie bie Dinge heute ftehen, noch nid^t möglich ift, afled
ftreng naturmiffenfchaftlich etma oom Stanbpuntte ber mechanifchen Statur*
anfehauung gu erflären, — nun ja, bie Dheorie ift ebenfomenig ooflfommen
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3)ie ©bilvfopbie bcr 5lftronomic.
339
ivie irgcnb eine anbere unb bie SBiffenfdjaft hat ihren $öhenpunft noch lange
nic^t erreicht. $arum ift eS faft unbegreiflich, n>ie man bie prächtige
„ffoSmogomie" beS Seiten Sari ©raun als „zu liberal" bezeichnen
fonnte, weil berfelbe in richtiger Jluffaffuitg ber Ih e °rte unb ^ cr gorfcher*
thätigfeit überhaupt alles rein mechanifch z u erflären verfugt. 3)aS ift ja
eben bie p^ilofop^ifd^e ©runblage ber Xheorie f bafS ber ffoSmoS fich nach
allgemeingiltigen SKaturgefefcen, rein burch „caufalen 3Rechani3mu3" entroidelt.
3Bann ftirbt enbüch bie ©orte von „©eiehrten" einmal aus, bie, mieSraun
treffenb fagt, „zu viel ©laubeit unb zu wenig ffiiffen" befifcen? $a3 zur
^larfteüung beS gnfjalteS ber S^orie.
SJiefelbe ift in ben lefcten Sahrzehnten ber ©egenftanb grofeer Sbntro-
verfen gewefen. Slachbem gape proclamiert ^atte, bafS fie veraltet fei
unb burch eine z^tgemäfee erfefct toerben miiffe, haben f° unb f°
viele kleine unb Sleinfte eS ihm nachgefagt unb fich auf bi* 3agb nach bem
©litcf gemacht, ob ihrer vielleicht ber Stuhm harre, ein zweiter fiant ober
Sa place zu werben. ©3 gieng hier ähnlich wie bei ber Sefämpfung beS
S)arnrini3mu3: man überfal) hier wie bort ben fehr berechtigten ©runbge^
banten, ber zufällig beiberfeitS ber gleiche ift, nämlich bie EBeScenbenz, bie
©ntwicflung überhaupt, unb befämpfte biefen ©runbgebanfen ftetS jugleic^
mit ber Söfung ber anberen grage, wie, burch Welche Urfacheit bie ffint=
toicflung zuftanbe gefommen fei, währenb hoch thatfächlich biefe lefcte grage
nur noch ein ©roblent ift. ©in Untcrfchieb liegt nur infoweit vor, als ber ©nt-
toicflungSgebanfe in Zoologie unb ©otanif fefeon Vor 2)arwin befannt War,
jo bafS biefer nur bie grage nach brut „2öie?" z u beantworten hatte, Währenb
er mit ff an t unbSaplace erft in bie Stftronomie eintrat, natürlich zugleich
mit einer Antwort auf jene grage. SWerftvürbig ift, bafS man hiftorifd) über
biefen biofeen ©ergleich hiuauSgieng, inbem belanntlich Sari bu ©rel in
feinem „$ampf umS $)afein am ^immel" ben < Barwini3mu3 auf bie aftro=
nomifche ©ntwicflungSlehre übertrug.
2Bir hatten alfo an ber Sticfetigfeit beS ©runbgebanfenS feft, bafS
eine ©ntmictlung aus einem primitiven Urzuftanb ftattgefunben hat, eine
©ntmicflung vom 9Jebe(ftabium an burch alle ©tabien beS ©onnen=
ZuftanbeS hiuburch bis z u erfalteten ©laneten unb SJtonben. $af3
eine folche möglich ift, beweift bie mechanifche SEBärmetheorie unb anbere
phpfifalifche Sehren. $af3 fie wirtlich ift, z^gt ber augenblidliche 3uftanb
beS ®o3mo3; alle einzelnen ©tappen jenes grofeartigen ©ntwidlungSgangeS
finb im SBeltaD zu finben, vom feinften 9iebel unb feinen ©piralbrehungen
an bis zu tobeSöben Körpern. SllleS WaS bie 2h eor * c forbert, ift vorhanben
unb aDe3 ©orhanbene fügt fich ihr zwangSloS. Streng nachweifen tonnen
22 *
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340
aftüHer.
wir ein ©tücf biefeö ©ntmicflungSproceffeS bei ber ©rbe. 2)en beften Semeis
für bie Set) re bitbet mopl bie ©taffificierung ber gijfterne auf ©runb ber
SogeTfc^en ©terntppen. gep pabe feiten etwas ÜberjeugenbereS getefen als-
bie SIbpanblungen über biefe 2ppen in ©cpeiner'S „©peftralanalpfe ber
©eftirne". gep mürbe mit ber fieperften Hoffnung auf ©rfolg jebem 3to*iffer
an ber experimentellen ©runbtage ber Xpeorie bie Seetüre biefeS SlbfcpnitteS
empfehlen, beffen Ausführungen eOentuell ja mit £ugginS'fcpen Stnfic^teii
unb neueren ^Beobachtungen compenfiert werben fönnen.
©obalb mir nun burep bie ©ombination oon tpeoretifepen ©eptüffen unb
beobachteten Xpatfacpen über ben ©runbgebanfen ber Sehre im Staren finb, tritt
bie weitere grage an unS peran, auf welche SCBeife benn biefe ©ntmieftung oor fich
gegangen fei, unb pier befi&en allerbingS bie 2hcorien, wie fie unS oon
Sa nt unb Saptace überfommen finb, ©teilen, bie unbebingt einer Ser*
befferung bebürftig finb. ©o begegnet unS unter anberem bie grage, ob
bie ©ntmicflung ber Sintern* unb ©tanetenfpfteme burep Stingbitbung ober
fonftmie erfolgt fei. Xie beftc Söfung, bie ©pping bereits in feinem „SreiS=
tauf im SoSmoS" angebeutet patte, fepcint ©raun gegeben $u hüben. 3Rit
tpr fällt auch *> er ©inmurf, ber Oon ber Stücftäufigfeit ber Uranustrabanten
hergenommen unb immer wieber ins gelb geführt wirb (fo jum ©eifpiel
neuerbingS wieber oon ©üntper in feinem „|>anbbucp ber ©eopppfiP, Oon
Sieb manu in ber neueften Auflage feiner „AnalpfiS ber SBirtlicpfeit"), ja
er wanbett fiep fogar in ber ©raun’fcpen gaffung ber 2peorie $u einem
©emeife für biefetbe um. ®S gepört niept ju unferem 3u)ecf, näper auf biefe
©peciatfragen einjugepen, wir merfen unS nur, bafS fie auf baS ffiefen ber
2peoric opne ©influfS finb.
®aS, WaS ben menfeptiepen ©eift ju biefer Sepre oon ber ©itbung
beS SoSrnoS angetrieben pat, ift bie gbee ber ©inpeitlicpfeit, bie fepr
beuttiep in bem Original oon Sa nt auSgebrücft ift. SJtoniftifcp gefinnt
ift ber ©eift feiner Statur naep, unb fo !ann man fiep mit Stecpt
barüber wunbern, bafS bie ©ntmicflungSlepre niept fepon längft in bie
Aftronomie eingefüprt würbe, wäprenb bodp bie ©cpöpfungSfagen fo üieter
©ötfer oon einer einheitlichen ©ntftepung reben. 2er ©ebanfe ber ©inpeit
liegt in einem jmeifaepen Sinne in ber Xpeorie auSgebrücft. 3unäcpft in bem
©ntWitftungSgebanfen als folcpem, unb ba eS fiep nun an anberen ©aepen
naepweifen täfst, bafS bem Streben beS ©eifteö, alles einheitlich ju orbnen,
braunen in ber Statur ein gleicpeS Streben entfpriept, fo ift baSfelbe allein
fepon ein gar niept ju oeraeptenber ©runb für bie Annapme einer ©ntmicflung.
©ntmicflung ift ©ntfattung aus einer einheitlichen SBttrjel. 2>er ganje SoSmoS
ift ein ©lumenftraufc, beffen ©tüten naepeinanber fnofpen, fiep entfalten unb
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Die ^ilofop^ie bcr s 2lftronomie.
341
vergehen. Unbe»ufSt ^abcn »ir bereite bic gbee beS Organismus hinein*
getragen, trofcbem bic gbee bcr Einheit fie nidjt auSfitflt, Dielmehr noch
anbere ^injulommen müffen, »aS aber tf>atjäc$lic$, »ie fpätere Erörterungen
geigen »erben, bei» KoSmoS ber gafl ift. Der ganje KoSmoS als ein
Organismus, baS »äre bie ^öc^fte gbee ber Einheit. 5lber nach»eifen fönnen
»ir bie Egiftenft eines Organismus nicht. SBer »iß, tann alfo baS SBeltafl
mit einem ©arten oofler Organismen Dergleichen, bie bann bie conforme
EntftehungS»eife unb bie gleichen ©efefce, bie »aJjrfäeintidj afleS beherrfchen,
einheitlich Derbinben.
giirS 5 »eite finben »ir jene 3bee in ber Einheit beS ©toffeS. Eine
Einheit, bie fich auf bie X^atfac^e befchräntt, bafS alle Elemente ber
Erbe auch im KoSmoS oorfommen, forbert bie Dh 60 ™/ unb bie ©pectral*
analpje h<U fie glänaenb er»iefen unb fo ber Xheorie eine neue ©tiifce
gegeben, ©eleitet Don ge»iffen chemijdjen Daten, nimmt man oielfach eine
noch höhere Einheit an, eine aßen Elementen gteicher»eife jugrunbe*
liegenbe einheitliche SKaterie (Äther ?). Berbinben »ir, »ie es rneift geschieht, mit
biefer moniftifchen SRaturanfchauung bie mechanifche, fo ift unS bamit bie Dofle
Einheit ber Kraft gefiebert. DaS EinheitSbebiirfniS »äre alfo im höchften SRajje
befriebigt, »enn »ir uns an bem Anfang afler foSmogonifchen Enttoicflungen
einen Baß mit oöflig gleichartiger äRaterie bädjten, aus bem fich bann im Saufe
unabfehbarer Seiträume bie Elemente mit ihren‘Berhältniffen fo»ohI »ie bie
©pfteme unb ©ternförper bifferenjierten.
äRan hat jpeculatio bagegen einge»anbt: DaS »äre aßerbingS eine ge»iffe
tjöchfte Einheit, aber im ©runbe genommen hoch nur ftarre Eiuförmigfeit, aus ber
fich fo unenblich äRannigfaltigeS, »ie eS uns überaß in ber 2Belt entgegentritt, nicht
habe ent»i<feln tönnen. Stber man überfieht babei, bafS »ir ja annehmen, bafS
bie ber äRaterie mitgetheilten Kräfte, ober, Dom ©tanbpunfte beS äRechaniSmuS
auS, bie aus ben räumlichen Berhältniffen ber s 21tome heraus fich ent»icfelnben
Kräfte, alfo bic äRaterie felbft jo bejdjaffen »aren, bafS jene ‘Differentiation
noth»enbig ftattfinben mujste. äiadj aß unferen Erörterungen »irb eS uns
»of)l beutlich genug ^urn BemufStfein getommen fein, bajs bie Kant*
Saplace'jche Dh cor * c eine 2eh*e ift, in ber fich philojophifcheS Denten unb
ejafte Beobachtung unb Rechnung in »nnberbarfter SBeije oermählen.
Einige BerührungSpuntte mit ber toSmogonifchen Sehre befifct bic grage
nach ber Enblichfeit ober Uneitblichfeit beS SBeltallS unb
^Raumes, »ie aus bem folgenben Doit felbft erheßen »irb. Unter ffieltaß
oerftehe ich h^r bie ©ejammtheit aßer $immelSförper, ober noch beffer ben
uom äther erfüßteit Staum. Über eine möglicher»eife ejriftierenbe ©ren$e beS
3taumeS fann »ohl burch bie ejacte SBiffenfchaft, fo»eit »ir jefct bliefen
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342 ÄlopS ßJUißer. Sie ^ilofop^ic bcr Äftronomie.
fömten, niemals ein ©ntfdjeib gegeben derben, pier Reifen, menn man bie
Sache isoliert betrachtet, nur fpecutatioe ©rünbe. Sagegen ift eS oon öorne*
herein menigftenS nicht auSgefcljloffen, bajö über bie ©nbtichfeit ober Unenb*
tidjfeit beS SBeltaflS Beobachtungen ober Berechnungen ju entfcheiben bermögen.
Sa aber fotdpe unbebingt ben Borzug bor ber reinen ©pecutation paben, fo-
fucpen mir juerft bie Srage ju ertebigen, ber mir uns mit größerer Sicher*
heit nahen fönnen: 3ft baS SBeltaß enbtich ober unenbticp ?
£>ier treffen mir an erfter Stelle auf ben berühmten DIber S'fcpenBeme&
für bie ©nbticpfeit beS 38eltaflS. Sie eigentliche 3bee beSfelben rührt gar nicht
bon D 1 b e r S per, fonbern bon einem Saufanner Slftronomen. D l b c r S ftüfct fich
oielntepr, mie aus bem Original herborgeht (mitgctpeitt bei 3 ö 11 n e r: Über bie
s Jtatur ber Kometen), auf bie tpatfächticpe Unenbticpfeit beS SßettaßS, bie ihm
alfo aus irgenb melden anberen ©rünben ftar ift, unb fließt bann fo
meiter: SBenn jmifdpen ber ©rbe unb ben unzähligen ftraplenben Sonnen
nichts tage atS leerer Staunt, fo müfSte ber ganze |)immel bei Sag unb
Stacht fo peß leuchten mie bie Sonnenfeheibe; ba bieS aber nicht ber Saß
ift, fo befinbet fich int Söcttaß ein abforbierenbeS äRittel — ein SdjtufS,
ber im übrigen auch folfch ift. Ser OtberS'fche BemeiS für bie ©nbtichfeit
beS SBeltaßS, um bie falfcße Bezeichnung atS terminus technicus beizu*
behatten, beruft fich ölfo baraitf, bafS bei unenbtichem SBettaß ber £>intmet
in einer unerträglichen ©lut leuchten mürbe, inbem bann ja baS Äuge in
jebem fünfte ber Sphäre auf einen Stern ftieße. So oft biefer BemeiS auch
in ber Steuzeit mieberhott morben fein mag, mir müffen ihn atS falfch
bezeichnen. 3unächft mürben bie bunflen SJörper im SBettafl, bie pöchftmahr*
fcheintich in oiel größerer Änzapt oorpanben finb als bie heßen, Diel £icpt
Zurücfpalten. ©inen meiteren Speit beS SicßteS mürbe bie Ätmofppäre
abforbieren. Um aber ganz wlatant bie Unrichtigfeit barzuthun, braucht man
nur auf bie Spatfachen ^injuioeifen: Bon ben 20 SJtißionen Sternen, auf
bie man bie Einzahl ber mit ben größten Seleffopen fichtbaren gefchäfct pat,
fepen mir mit btoßem Äuge nicht mehr atS 6000—7000.
Äbgefepen oon ben fpecutatioen Bemeifen für bie ©nbtichfeit beS SBettaßS,
auf bie mir gteich z u fpreepen fommen, müfSte ich feinen mehr, ber Beachtung
oerbiente. 2Ran hat aßerbingS pittgemiefen auf ben unenbtiepen Srucf, ber bei ber
Unenblicpfeit beS SBettaßS infolge ber auSftrömenben ©afe auf ber ©rbc
taften mitffe; aber biefe Schlüffe beruhen auf einer Bcraflgemeinerung
pppfifatifcher ©efefce, für beren Berechtigung man erft ben BemeiS bringen müfSte.
(ftottfe&ung folgt.)
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]o$epb Freiherr von Belfert.
«EvlcbiiilTe unb (ErinnerungEn.
III.
5.
^S^iir bie Slbgeorbnetcu Batte feilt 3Rinifter eine Bösere ©ebeutung ald
Stabion. ®r toar ol)ite JSftage itacB Sdjmarjenberg ber ©rfte, obmoBl
i^nt Stand unb ©ad} in ber 3Winifter-8lnciennität vorangiengen; man fpradj von
einem SRinifterium ©cf)mar aenberg-Stabion, mie mau früher von
einem 9Rinifterium 2öeffenberg*$)oblBoff gefprocBen Batte. Stabion’d ©erfön s
licBfeit, feine naljen unb vertrauten ©e^ieBungen 51 t ©cBmarjeitberg, enblicB
feine ©teflung ald ßRinifter bed Innern, in vieler |>inficBt bed micBtigfteu aller
®epartementd, brachten bad mit ficB-
©tabion ivar eine geniale v Jiatur. ®r Batte von SinbBeit an etmad
Slparted, er mar nicBt mie anbere Sitaben; er mar lebBaft mie fie, aber
auf feine eigene 9(rt. ©ein ©ater mar ber berüBmte ÜRapoleonfeinb ©raf
©BMpP ©tabion, ju einer $eit böBmifcBer Dberfter Sanjler, ber feine Sureaud
unb jugleicB feine SBoBnung in bem ©ebäube auf bem ^ubeuplafc Batte, unb
biefed ©ebäube burdjftricB ber Snabe graiy mit biefem ober jenem feiner
©rüber nacB aßen jRicBtungen, erfcBieit in ben ©ureaud unb rumorte barin,
ald ob ed feine eigene ©pielftube märe. $lld icB einmal in Sremfier mit
©tabion fpajierte unb er befonberd gut aufgelegt mar, fiel mir biefcr $ 11 $,
ben mir fur$ juvor jemanb erjäBft Batte, ein unb icB fagte 511 iBm: „Sie
macBen mir ben ©inbrucf, ald ob Sie in 3B*en SitabenjaBren fo etmad mie
ein lofer ^uitge gemefeit feien." ©d fam mir vor, ald ob iBm biefer
s 2ludfprucB ein menig in bad SKäddjen gefaBreit märe; unb bocB mar, mad
icB fagte, ber SBaBrBeit gentäft. 2 öic trieb er cd felbft nocB ald junger
Seamter! Slld er Sreidcommiffär in 3 nndbrucf mar, ftanb er unter bem
©ubernialratB SRitter von SRenfi unb Batte mit beffen Snabeu mancBen
©pafd. ®er ©ubernialratB mar jugleicB ©pmnafialbirector, mie ed bad
bamalige ©pftem mit ficB brachte, unb gab ald folget von $eit flu 3 eit eine
©rofefforentafel. ®em muntern Sreidcontmiffär mar ed 51 t laitgmeilig, in
einer fo eBrmürbigeit ©efeüfcBaft ©lafc 51 t neBmen. ©r Btelt befonbere Safe!
auf feinem ßimmer, Balte bie Snabeit bed SreidBauptmannd, 3ofepB unb
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344
3ofepfe tjretfeerr oon Seifert.
Sari, aud ihrer ©tubierftube ju ficfe unb fd^entte ifenen ein ©lad ffifeampagncr
nacfe betn anbem null. Sltd ber SBein {eine SBirfung ju änfjern begann,
{agte er 311 betn älteren: ©epi, gefe ju betn 3umner, wo bie lafel
gehalten wirb, reife' bie Ifeüre auf unb ruf' feinein: 3fe* feib alle jufanttnen
©fein!" ©ucfeftäblicfe tfeat ed ber ©urfcfee, unb ed tnag ficfe jeber audmalen,
welcfeen ©inbrucf bad unerwartete Sntertne^o bei ber Difcfegefeflfcfeaft feerbei*
fiiferte! ©egreifticfeerweife erwartete ben ftnaben, nacfebem bie ©efeflfcfeaft ficfe
entfernt batte, eine ejemptarifcfee ©träfe; bocfe er berief ficfe auf ben ©rafen
©tabion, ber ed ifetn befohlen feabe, wad biefer lacfeenb beftätigte — wad
wollten bie (Eltern macfeen? Der junge ftauptfeelb jene« Auftritte« feat ntir
bie ergöfclicfee ©efcfeicfete fetbft erjäfelt.
Slucfe ald gereifter Mann war ©tabion ein Original in aßen Gingen,
in feinen Manieren, in feiner £>audorbnung, in feiner 9 lrt, bie ©efcfeäfte 31t
befeanbetn. ©0 featte er aucfe eine eigene 9 lrt ber ©egrü&ung, er reicfete
nicfet bie ftanb, fonbern nur ben 3eigefinger, feöcfeftend ben 3 ti$e* unb
Mittelfinger feiner recfeten £anb. SBar bad arifiofratifcfeer $ocfemutfe? 3 cfe
bente nicfet; benn icfe feabe ed aucfe feinen ©tanbedgenoffen gegenüber nicfet
anberd gefefeen, ed war einfacfe originefl. ©r fcfeien ficfe barin ju gefaflen,
in aßen Gingen anberd 311 tfeun, anberd 3U urtbeilen ald bie gewdfenlicfeen
Menfcfeen. Dabei wufdte er für afled einen originefleit ©runb an3ugeben.
©ei feinen Dinerd würben auf ein @Iocfen3eicfeen bed $audfeerrn ©peife unb
©efcfeirr üon ben Dienern feerbeigebracfet unb auf ben Difcfe gefteßt; fobann
mufdten fie ficfe entfernen unb bie Difcfegenoffen aflein taffen. „3fere ©egen*
wart ift läftig", fagte er; „wir bebienen ebenfogut und felbft unb feaben
für unfere fflefpräcfee feine 3ufeörer, bie baüon niefetd 3U wiffen brauefeen."
9 ?acfe bem Diner gieng man in ein anbered 3 immer, wo man ben Saffee
nafem; ber alte |>einricfe braefete ein elegantes Stäftcfeen, worin ficfe Släfcfecfeen
mit üerfcfeiebenartigen Siqueuren- befanben, Slnifette, Sfeartreufe, ©urasao,
Maradcfein, ©enebictiner zc. 9 lber für ©tabion war bad aßed — „©efenapd".
Sr öffnete bad Säftefeen eigenfeänbig mit einem Scfelüffelcfeen unb fragte bann
feine ©äfte: „2Bad wiinfefeen ©ie für einen ©efenapd?"
9 tun aber ber glän3enbe Slüerd ber Mebaiße! ©tabion war ein
Mann üon einem ©flicfeteifer, einer ©flicfettreue, ber üor feiner ©efemierigfeit,
felbft üor feiner ©efafer 3urücffcferecfte. 9 fiemanb fonnte ben ©eruf bed Staats*
bienerd ernfter, ja ftrenger auffaffen. ©efonberd ber ©eamte, ber eine leitenbe
©tefle einnimmt, featte itacfe ©tabion feinen Untergebenen, aber aucfe ben
s 2 lufeenftefeenben ald aufopfernbed ©orbilb üora^uleucfeten. Die Sinfealtuug
ber Sitreauftunben unb bie ©emältigung bed papierenen ©efefeäfted ftanben
©tabion in 3Weiter Sinie; tfeatfräftiged ©ingreifen ind wirfliefee Seben, ©etbft*
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3>n ftremfier.
345
überminbung in ©rfütlung ber Anforberungen, bie bcr Staatsbienft an ihn
ftetlte, in erfter. ®r mar 1829 $rei$*®ommiffär in ©alijien, als jum erften*
mal eine gan$ neue Äranlheit mit ungeahnten ©cßrecfen übet baS Sanb
hereinbrach — bie ttholera, oon ber bie Seute baS ©chauberljaftefte erjählten;
bie leichtefte ©erührung beS Äranfen, ja bie bloße SRähe bringe ben lob.
SBer fich um bad oon feinem ©chidfale ereilte Opfer befanb, floh aus beffen
9tähe, ©ermanbtfchaft, Shreunbfchaft oerfagten ihren Tienft, felbft ber lobten'
gröber jaubertc, feinet Amtes ju pflegen. Ta übertoanb ber reichlich erlogene
©tabion bie Scheu, bie auch ihn nach allem, toaS er oon ber fürchterlichen
Anftedung ber Eholera oernommen, erfaffen mufSte, padte entfchloffen eine
ber Seichen an, lub fie auf feinen Stüden unb trug fie jum £>aufe hinauf.
TaS ©eifpiel mar gegeben unb bie Xobtenbeftatter thaten ihren Tienft.
©tabion'S abminiftratioe ©lan^eit mar feine ©iatthalterfchaft in Trieft.
Abgeorbnete, bie ihn oon borther fannten, 5 . S. Ungenauer, mufften nicht
genug oon ihm 3 U erzählen. SBertn es irgenb etroaS mistiges ju unternehmen
gab, brachte ©tabion bie Angelegenheit oorerft nicht in fein ©ureau, fonbern
in feinen ©alon. ®r oeranftaltete eine Soiree unb lub ju biefer folche ©erfönlich c
feiten, bie fich für bie betreffenbe Angelegenheit intereffierten, auf fie oon
EinflufS fein fonnten, unb bann muffte er theils felbft, theils burch feine
„Abjutanten" baS ©efpräch auf bie Sache 311 bringen, biefelbe in unge*
jmungener Unterhaltung nach aßen ©eiten 311 erörtern, Anhänger bafür ju
geminnen, ©orbereitungen ba$u 311 treffen. ©0 mar eS auch mit feinen XinerS.
SBährenb ber Tafel mürben Oie heiterften ©efpräche geführt, oon allen möglichen
Gingen, bie eben ber lag brachte. SBenn man aber bann in baS ßafqimmer
gieng, in melchem bie feinften ßigarren 3 ur AuSmahl ftanben, nahm bie
Sache einen anberen ßharafter an. Tiefer ober jener mürbe 00 m Hausherrn
ober einem feiner Alter*®goS in einen befonberen SBinfel geleitet, ober auch
bie gan 3 e ©efeßfchaft, bie für biefen 3med eigene auSgemählt mar, conftituierte
fich S u einem ßomite, mo in ber ernfteften SBeife jene Angelegenheit burch-
fprochen mürbe, bie ©tabion eben in ©ang bringen mollte. Tie „Acten" unb baS
„Sjpebit" maren gemifs bie leptcn, bie baoon erfuhren; fie famen erft in Xhätigfeit,
nachbem bie £auptfache im ©alon fo gut mie abgemacht mar, baljer man
fagte: ber Salon Stabion'S fei fein 3 »oeiteS, nein, fein erfteS ©ureau!
Um baS 3«hr 1845 befcßäftigte bie £>anbelsmelt oder Sänber bie ftrage
ber fogenannten ÜberlaubSpoft, b. h- beS am fchnetlften 3 uriicf 3 ulegenben SBegeS
aus Oft^nbieu nach Snglanb. ©rinbifi, SWarfeille, Trieft famen in Srage.
Ter britifche Sieutenant äBagfjorn mar für bie Sinie Trieft, unb eS galt
nun öfterreichifcherfeitS ihm bie 9Jlittel 3 ur Ausführung feines ©laneS 3 U
erleichtern. SBaS that Stabion? Söcnn er bie Angelegenheit burch bie Acten
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G '
348 ^ofep^ ^reihert oon pelfert.
laufen liefe, nad) SBien berichtete, fid) oou bort Reifungen erbat, formte fie
jich in bie SRonate hinaugjiehcit. ©r fchlug einen anberen 933eg ein. Um
bie Schnetligfeit be3 Transporte^ auS SSgqptcn ad oculos 51t bcmonftrieren,
liefe er üon bort frifchc Datteln 1111 b anbere Früchte fommen nnb fanbte fie einer
bocfjgeftellten Tarne in 2Bicit, bie bariiber ben nötigen Särni jd)lug, unb bieS
in Streifen, bereu SReinung mehr auSgab als baS 93 0 tum Don zwölf ^wfräthen.
Tiefe 9trt unb 28eife ber ©ejd)äftSbebaubluitg befielt Stabiou aud) als
Uiinifter bei. 2Bie früher in Trieft unb bann in Seinberg 0011 feinen
©ubentialrätbcn, fo ücrlangte er je&t üon feinen ©iinifterialräthen, bajS fie
ihren 93licf über bie Sieten hinauf richteten, fid), wo eS immer angieitg, üon
bem ©ruitb ober Ungrunb ber oorgebrachten Thatfacf)en in s J5erfon überzeugten
unb bann erft zur &eber griffen, 3u manchen fällen tt>at er bieS felbft.
So erfefeieu einmal, ba er eben in 2Bien amtierte, bie SBitWc eine# für^licb
uerftorbenen höheren Beamten oor Stabiou nnb trug ihm bie Sitte üor,
ihren beiben Töchtern SrzieljungSbciträge bei Sr. SWajeftät zu erwirfen; fie
berief fid) babei anf ihre befchrönften Serhältniffe, auf ben Mangel eigenen
SermögenS, auf bie ntäfeige Senfion, bie zur Erhaltung ber gamilie
nicht hinreiche, bal)er ihre Töchter genötigt feien, fid) ihre Sage burd) ben
©rtrag non .franbarbeiten zu üerbefferit. „$8omit beschäftigen fich 3hn*
Töchter?" ,,„9ttit ©eiftzeugnähen!"" 9Rit ber 93erficf}ermtg, fein SRögtichfteS
in ber Sache tbun zu wollen, entlieft fie ber SRinifter. 9tn einem ber uächftcn
Tage erfd)ieit in ber ©oljnung ber ©itwe ein frember .*perr; bie SRutter
war nicht z u £>aufe, üon ben Stäbchen fafe baS eine beim ©laoicr, baS
aitbere laS. Stuf bie Srage ber jungen Tarnen, was er wünfehe, entgegnete
ber ^rentbc, er fontme fid) ein Tngeitb feiner Sattift=.'pemben zu beftcllen,
ba er gehört habe, baf# fid) bie ^räuleinS bantit befd)äftigten. W\t einer
Slrt Entriiftung wiefeit bie Stäbchen eine folchc ßumuthung uou fich ab,
inbem fie jdptippifd) bemerften, baf# fid) ber §err wohl in ber Slbveffe ge=
irrt haben müffe. Ter 5rembe brachte feine Entfdjulbigung oor unb bat nur
beim ©eggehen, ber Srau Wtarna feilte Karte eiitzul)änbigen. Tic Starte lautet
auf ben Warnen Stabion. TaS ©eitere fann mau fich beuten. 3^ habe
biefeS @efd)id)td)en nicht an# eigener ©iffenfdjaft, halte eS aber nach bem mir
fo üertrauten Gefeit meine* hohen ©önnerS für bntchan# glaubwürbig.
So wenig übrigens Stabion ba* eigentliche 93ureaulebeu liebte, fo
gieng bod) fein ©efchäft#ftitcf au* feinem Slntte herauf, bas er nicht früher
eingefehen unb felbft „approbiert" hätte. „TaS mujS id) thun", jagte er
mir, als id) eine# Tage-* in ©icit bei il)m zu thun hatte unb ihn über einem
itad concipierter Steten traf, üon benen ihm einer und; bent anbern gereicht
würbe, wo er bann einen 53licf hineiitwarf, allenfalls fid) eine furze ©rfläritng
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Sn Äremfier.
347
boju geben liefe unb bann feine 9ianten4'S^iffre — ein „S" mit einem
raffen m. p. — barunter fefcte. SBäljrenb er baS tfjat, Ijörte er mein 9In=
liegen an unb gab mir ben erbetenen Sefcheib. SJar eS etmaS Nichtigeres,
baS fiefe nicht fo fd)neH abtljun liefe, fo fagte er: „Sereljrtefter, jefct ^abe
ich feine 3*it, abenbS auf bem Spaziergang merben Sie mir baoon erzählen!"
3iir Stabion unb beffen Sureau fjatte Seien bie fünften ^Räumlich 5
feiten im ftremfierer Schlöffe gemäht. Nenn eS oertrauliche ©efprechungen
mit auSgemählten Slbgeorbneten ober eine mistige ©erathnng unter ben
üJtiniftern gab, fo fanb bieS in bem grofeen ©cfzimmer ftatt, in bem fiefe
Stabion'S Schreibtifch unb Stehpult befanben; eS mar ein geräumiger Saal,
rotlj austapeziert unb mit ©emälben an ben Nänben geichmücft. |>ier
oerfammelte Stabion, menn er in Sremfier mar, täglich bie Herren feinet
^räfibialbureauS, eröffnete in ihrer ©egenmart bie einlangenben Serielle unb
Depefcfeen unb befragte etma einen feiner jüngeren Herren maS er barüber
meine; bann gab er mit furzen Nörten an, in meiner Neife bie 21n=
gelegenst zu behanbeln fei. Su biefem Saale maltete biefer fein ©encra(=
ftab auch bann, menn Stabion in Nien ober Dlmüp mar, unb eS famen
ba fdjnellere unb beffere Sefchlüffe zuftanbe, als in einem anbern biel
gröfeeren Staunte beS ©ebäubeS, mo ihrer mehrere hunbert beifammen fafeeit
unb ftunben* unb ftunbenlang berieten unb oerhanbelteu, ohne bafö eS recht
oormärtS gehen mollte. So traf ich Stabion'S ©efellen eines XageS, als ich
ihn fiteste, aber nicht fanb: Öttel fafe auf bem Sanapee unb f)atte ein
Schriftftücf oor fich, bie jungen Herren beS ^räfibiafbureauS auf ben Stühlen
um ben Xifch fjerum — eS mar ber ©ntmurf beS ©emeinbegdfetjcS, ben fic
im Aufträge ihres $errtt unb SJteifterS berieten.
®ie Drganifierung beS ©enteinbemefenS mar ein ,'pauptaugenmerf
Stabion'S gemeien, ba er als ©ouberneur im Äüftenlanb mirfte unb aud)
in ©alizien mar bieS eine ber erften 91ngelegenfjeiten, bie er in feine $aub
nahm, aüerbingS, ba er zu halb abgerufen mürbe, nid)t zu ffinbe führen
fonnte. So tljat er benn auch jept, nicht mehr für ein einzelnes 8anb,
fonbern für baS ganze Steich- Sein ©runbfafc mar: „$ie ©ntnblage beS
freien Staates ift bie freie ©emeinbe", unb biefer ©ebanfe foüte ooit unten
bis h^uauf burchgeführt merbeu. SSon ber DrtSgemeinbe als ber unterften
Stufe, ber breiten ©runblage, auf melier ftch baS StaatSgebänbc aitfbauen
foüte, gieng er zur ©augemeinbe über, inbem er barauf hinmieS, bafs eS
in jeber ©egenb auf bem Sanbe einen Drt gebe, ber für bie ©eoölferung
ber umliegenben ©emeinben eine Slrt ÜRittelpunft bilbe, mo fie etma ihre
nächfte ©ehörbe h a ^u, mo fie einen Slrzt finben, mo zu gemiffen feiten
SJfarft gehalten merbe unb mof)in fie baher aus biefen unb anberen Ursachen
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Qofeph 3 re ^ err üon geifert.
348
non 3eit 511 3cit fommen; ben UmfreiS eines folgen DrteS nannte Stabion
(Sau. Über einer Slitjahl ©augemeinben fodte bic ©e^irfSgemeinbe, über
mehreren ©e^irfSgemeinbeit bie KreiSgemeinbe fielen. ÜKit ben KreiSgenteinbeu
hörte Stabion'S Organismus auf; bie KreiSgemeinbe unb bie !. f. Kreis-
regierung fodteu unmittelbar unter bem dftinifterium ftehen, unb auf biefc
2Beife ganj Öfterreid) ein einheitlicher, gleichmäßig abgetheilter Staat ä la
3franfreich mit feinen Departements werben. DaS mar ©tabion’S nrfprüng=
lieber ©ebanfe unb fein lefcteS 3iel- $och mar er twrfichtig genug, nicht
mit ber Xhüre ins 6 auS ju faden. Die Mufhebung ber fianbeSregierungen
märe bie Regierung ber einzelnen Sänber felbft gemefen unb bamit ein
Schritt gethan morbeit, ber nicht bloß baS adergrößte Muffehen erregt, fonbern
auch eine große unb nicht ungefährliche Aufregung heroorgerufen höben mürbe.
Darum modte Stabion bie Statthaltereien unb üanbeSregierungett oorberhaitb
noch fortbeftehen laffen; hoch mehr 511 m Schein, als burchlaufenbe Soften
^mifcheti ben SKinifterieit unb ben Kreisregierungen; menn einmal biefe hin-
reichenb erftarft unb eiugefchult mären unb bie ©eoölferuitg fich gemöhnt
hätte, fich hier ftatt auS ber SanbcShauptftabt bie höhere ©ntfeheibung $u
holen, bann merbe man, mar Stabiou'S ©ebaitte, mit ben fianbeSregierungen
ohne Sang unb Klang ein ©itbe machen. DaS Königreich ©Öhmen, baS ®r^
herjogthum Wieberöfterreich 2 c. mürben bann adenfadS noch hiftorifche 9?omencla=
turen unb geographifche ©egriffe fein, mie bie Dauphine, bie©roöence 2 c. ingranf*
reich, aber feine ftaatSrechtlich unb abminiftratit) geionberten StaatStheile mehr.
♦ *
*
Mit ber Spifce Don Stabion'S ©räfibiaU©ureau ftanb Sofepl) Öttel,
Stabion'S rechte ,£mub, fein politifcheS gactotum, fein fidus Achates, ber ade
©ebanfeit unb ©läne feines #errtt unb SltteifterS faunte. Stabion hatte ihn in
Drieft au fich h^ange^ogen, hatte ihn nad) ©ali$ien mit fich genommen unb twn
ba jum Reichstag nach MJieit, mo Öttel ftetS in feiner s JJähe mar, obwohl Stabiou
bantalS ohne ade amtliche ©efchäftigung gemefen mar. Öttel mar in Kremfier
noch immer ©ubernialrath, bis er eines DageS mit ber ©eförberung 511 m
OTinifterialratp übcrrafcht mürbe: benn nicht Stabion hatte ihn ba$u gemacht,
ber mit ber pcrfönlichen ©egünftiguitg feines ©crfonalS etwas fparfam mar,
wohl aud) im Drange ber ®efd)äfte baran nicht bachte; fonbern bie anberen
s 3Rinifter, bie ÖttefS Düchtigfeit unb baS befonbere ©ertrauenSberhältniS,
in welchem er ju feinem ©h e f ftanb, genau fannten, hatten für ihn beim
Kaifer biefe SWaugSerhöhung erbeten. Unb tüchtig mar Öttel im ©efchäft, baS
rnufSte man ihm laffen. 6 r befaß große Kenntniffc, er mar gefeßeibt unb
gefd)idt. (Er mar eine MrbeitSfraft ohnegleichen, er lebte im ©ureau, er
brachte bis in bie s JJacht hinein arbeitenb barin 511, er fd)lief auch öort,
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3n ftremfier.
34i>
menn e3 barauf an!am. SBie oft gefd^a^ e3, als mir fpäter in SBien maren,
mo toir ©onntagS unferc ©pielpartien bet ©rebler Ratten unb feiten tmr
SRitternacbt nach £aufe giengen, bafS Öttel auf unfer ,,©ute Stacht!" ermiberte:
„Db, ich muf3 noch im ©ureau nadjfdjauen, ob e3 nicht etmaS SteueS gibt!"
Öttel batte fo lange 3ab*e um ©tabion'3 ©erfon ^gebracht, baf3 er
fid), mobl ofjne e3 511 miffen unb $u motlen, oieleS bon ben SRanieren feinet
©ebieterS angeeignet butte; er erfebien in biefer $inficbt mie eine jmeitc
9(u3gabe ©tabion'3, eine in Duobe& gegen jenen in golio, ba er bon ©eftalt
cbenjo Mein unb unanfebnlicb mar, als ©tabion boebö^maebfen unb Slnbere
überragenb. SBenn Öttel jemanbem etmaS auSeinanberfepte, butte er eine
eigentümliche |>anbbemegung unb feblug babei einen gemiffen lebrbuften Ion
an — beibeS ä la ©tabion. Stur in einem ©tiitfe glich öttel feinem SReifter
nicht, ©tabion mar ftreng, ja unerbittlich im Dienfte; allein er mar nie
grob, er fonnte e3 gar nicht fein, benn jeber $oll an ihm mar ein
©entleman. Öttel aber mar im Dienft burt unb ohne alle gormen; er mar
im ©tanbe ben älteften Statb mie einen Schuljungen b er abäufanaeln ober
ibm bureb ben jüngften Beamten, ja felbft bureb einen 9lmt3biener ein
bearbeitetet ©tücf jurücf$ufcbiden unb ihn auf bie „lummbeit" aufmerffam
machen ju laffett, beten er ficb fc^utbig gemacht bube. 3 m aufjeramtlicben
Umgänge aber mar Öttel burebaut fein gebaut, oielntebr ein angenehmer
Saufeur; er fonnte mit grauen über einen ©triefftrumpf ober eine ©tieferei
ebenfo eingebenb fpreeben, mie mit SRännern über ©olitif ober über bat
Kartenfpiel ober über eine Steife in frembe ©egenben.
Stehen Öttel mar nur noch ein älterer ©eamter üon ©tabion'3 SRinifterium
in Kremfier, ber SRinifterialratb griebricb ©aebfe 0 . Stotbenberg, ber
aber blofj im laufenben ©efebäft oermenbet mürbe, ©tabion liebte bie älteren
©eamten nicht, er fab in ihnen nur geinbe unb SBiberfacber feiner
reformatorifeben ©läne. ®r jog mit ©orliebe junge Seute in feine Stäbe.
„Säer fertig ift, bem ift niebtt recht ju machen," fagt ©oetbe, „ein
SSerbenber mirb immer banfbar fein." Da mar ber claffifcb gebilbete Karl
giebler, ber gleich Öttel febon in Drieft unter ©tabion gebient butte.
Da mar Karl SReboffer, ein ©alijianer; ©raf Seo Db un > her ib n
mäbrenb feiner Dienftleiftung in Semberg fennen gelernt butte, febilberte
ihn gan$ richtig: „ein unfcbäbticber höflicher SRenfcb, fo ziemlich ein ©eau,
mit niebriger ©tim, gefpräebig ohne baf3 üiel brauchbares betauSfommt."
Der jftngfte, aber jugleicb her bebeutenbfte mar ©raf Heinrich Slam*
SRartinip, faum einunbjmanjig 3abre alt, ©cbmager beS ©rafen Seo Dbun.
©tabion butte ihn, als er ben ©ouoerneurpoften in ©alijien antrat, au3
S3ien $u ficb genommen. 9U3 e3 1848 febien, ber böbmifebe Sanbtag merbe
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:*50
3ofeph Freiherr oon Jpelfert.
äufammentrcten, mar Slam nach ©rag gegangen, hotte fic^ bann im Sommer
$u SBien mieber ©tabion angefchloffen, mar mährenb ber erften Octobertage
nnb bei ber 3lud)t ©tabion’S aus SBien beffen fteter ©egleiter getoefen unb nahm nun
eifrig an ben legislatorifchen Arbeiten tfjeil, bie fein äRinifter in ®ang braute.
®S mar baS ein luftiges ©ölfehen, an beffen Schnurren in freien 2lugen=
bliefen felbft bie fonft fo ftrenge „Ottilie" tfjeilnaljm. Xenn fo ^iefe Öttel
bei feinen jungen äJiitarbeitern, maS barum befonberS fomifch Hang, meil
Öttel ^mar !lein unb filigran oon ©eftalt mar, aber fonft meber Schönheit
noch 9lnmuth befafj. 5tamentlich mar er im ©eficht burd) eine (ranfljaft rotbe
s J?afe entfallt; eS mar, glaube ich, eine Siftcl, an ber er litt, bie ihm üiel
Unannef)mlid)feitcn bereitete unb jeitmeilig Operationen nötljig machte. 3m
$ienfa maren bie jungen Seute alle brat), arbeiteten „mie bie@aleerenfclaoen"
unb folgten ©tabion unb beffen ©teflüertreter, ihrer „Ottilie", auf ben SBinf.
6 .
äJieine ©erufspflichten maren jept oon breierlei 9lrt:
als Slbgeorbneter,
als äBitglicb beS aSinifteriumS,
als ßeiter ber 9lngelegenheiten beS öffentlichen Unterrichts.
$er Reichstag in ®remfier beftanb mit menig SluSnahmen auS benfelbnt
©erfonen mie oorbent in SBien. Siner oon meinen ©arteigenoffen mollte au**
fpannen: ber 9lbgeorbnete g. ©laoil auS 9lltgebein auf ber ©tabion'fchcn
|>errfchaft gleichen Samens. ©laoif mar ein ©chmar^feher, ber nach ben
Dctober-Sreigniffeu alles Sertrauen in bie gufunft Öfterreichs oerloren ^attc r
fo bafs er ©enoffen marb, um nach Slmerifa auSjumanbern. „täglich mehrt
fich ber $ubrang berer, bie mir oertrauen," fchrieb er mir, „an bereu
©pifoe ich jcnfeitS beS DceanS ein ©litcf fuchen foD, beffen ©lüten bieSfeitS
beSfelbeit täglich melfer merben." ©r bat mich, ihm beim ©rafen ©tabion
eine Smpfehlung an unfern Sonful in atem^orf $u oerfchaffen. 9llS ich
©tabion baoon erzählte, meinte biefer, ©taüi! höbe manchmal etmaS über*
fpannte 3been, er merbe fich bie Sache mohl noch überlegen. 3« ber Ifjot ift
mir nicht befannt gemorben, bafs ©laüif feinen ©orfap auSgeführt hätte.
SBie bie ©erfonen in fitemfier gröffantheilS biefelben maren mie im
SBiener ^Reichstage, fo mar eS auch mit ber ©ruppierung ber ©arteien. ©n
Unterfchieb beftanb nur barin, bafs bie Siufe aus fef)r begreiflichen ©rünbeu
im allgemeinen jahmer mar als fie es früher gemefen. 9luch gab eS in ber
erften 3eit, befonberS nach bem glänjenben Sluftreten beS neuen 9Rinifarium$,
(einen StnlafS mehr ju ernfteren ^Reibungen. Sine Ausnahme machte nur,
gleich in einer ber erften ©ifcungen, bie grage, ob bie SSerhanblungen beS
Dctober4ReichStageS ©iltigfeit hoben foDten ober nicht. ®S gab ba heftige
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3»n ft'remfier.
351
Sieben unb ©egenreben, wobei Slieger ben Dctober=9Rännern fcharf an ben
Seib rüdte. ©inige giengen fo weit, unb, wenn ich nicht fehr irre, fogar
feiten# ber Slegierung, ju oerlangen, baf# bie ©rotofofle aus ber Dctober*
3eit bertilgt würben, unb eS war ein großes Serbienft 3elen'S, bieS ber*
hinbert 511 haben. Sie ftenograp^ifd^cn ©erichte aus bem Dctober würben in
orbentlidjer Sleihenfolge amtlich abgebrueft gleich b*n früheren in SBien unb
ben fpäteren in firemfier.
Stuch barin blieb fich ber SteichStag auf mährifebem ©oben gleich, bafs
er fein bemofratifcheS ©epräge beibehielt. Stabion, Sfübetf, ©leispach burfteu
ja nicht mit ihren Slbelspräbicaten, ober Stabion gar als. „©rlaucht"
bezeichnet werben; Smolfa fagte regelmäßig: ber Slbgeorbnete ©leispach,
ber Slbgeorbnete ®übetf ic. Sarum fiel eS in 9lbgeorbnetenfreifen als
ZeitwibrigeS ©uriofum auf, als man erfuhr, ber £anbelS*9Rinifter habe bei
feiner ©infahrt nach Stemfier, als ihn ber ©olizeibeamte um Slamen unb
©harter frug, bie Antwort gegeben: „SRinifter bon ©rud". ©benfo burfte
im fmufe ben SRitgliebern lein 91mtStitel gegeben werben. 9llS bei einer
©erhanblung ©orrofeh bon mir mit einer 9lrt SarfaSmuS fagte: „Ser
$err UntcrftaatS*Secretär geifert", würbe ihm felbft aus ben ©änfen ber
Siitfeit jugerufen: „5Ibgeorbneter geifert", worauf er jenen SluSbrud jurüd^
nahm. SReine ©oücgen oon ber Siechten bergalten eS ihm bei ©elegenheit,
inbem fie Don ihm als 9lbgeorbneter beS „lefcten" ©ejirfeS Don ©rag
fpraeßen, wogegen er nichts einwenben fonnte, ebenfowenig als ©altljafar
Szäbel, wenn fie ihn als 91bgeorbneten ber „ffeftung" Dlmüfc be^eichneten.
SReinen ©erpflichtungen als Slbgeorbneter fam ich iufofern pünltticß
nach, als ich regelmäßig in Sremfier weilte, ben Sifoungen Dom Anfang bis
Zum ©nbe beiwohnte, ebenfo in ben Abteilungen unb AuSfchüffen, benen id)
angehörte, pflichtgemäß erfchien. An ben Sebatten betheiligte ich mich nur
feiten; im offenen $aufe währenb beS Slobember unb Secember nur einmal,
als eS fich nm bie Srage hanbelte, ob Abgeorbnete, bie mittlerweile ein
Staatsamt angenommen hatten, einer neuerlichen 2Bahl ju unterziehen wären.
SaS mar nun bei ©ach, Sßinnfelb, Stabion unb mir als SRitgliebern
beS neuernannten SRinifteriumS ber 3aD, unb auf Stabion unb mich War
eS feitenS ber Sinfen am meiften abgefehen. Stabion War im gali^ifchcn
SBahlbezirle Slawa feiner Sache ficher; er lonnte überzeugt fein, bafS ihn bie
rnthenifchen SBähler cum applausu wieberwählen Würben. AnberS ftanb eS
mit mir. ©on allem Anfang war in Sachau meine SGBahl nicht ohne einigen
SBiberfpruch bur(hgegangen, weil ich fielen SBählent im ©erbachte ftanb, eS
mit unferen flaoifchen fianbSleuten zu halten; nach ben reichstäglichen Ser*
hanbtungen im Auguft war meine Haltung in ber ©ntfchäbigungSfrage bazu
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352
3ofepp greiherr üon ©eifert.
gefommen, unb bie« mar oon ben fRabicalen benufct morben, um gegen mich
al« einen ©auernfeinb ju Ijefcen. Al« mir ba« befannt gemorben mar, hotte
ich einen offenen ©rief an meine „ lieben 2 anb«teute" brucfen taffen unb in
äße Drtfchaften meinet fflatjtbejirfe^ entfenbet. ®ie SBirfung, metche biefe
©rflärung äußern mürbe, muf«te ich abmarten.
®« mar aber feine«meg« bloß mein perfönlicße« 3 ntereffe, marurn ich
in biefer Angelegenheit ba« SBort ergriff; fie hotte in ber Art, mie fie oom
9teich«tage behanbett merben mottte, ein principiefle« ©ebenfen miber fid}.
©tan mottte nämlich ben ©runbfafe: „3*ber Abgeorbnete, ber ein ©taat«amt
annimmt, hot fich einer SReumahl ^u unterstehen", in bie ©efd)äft«orbnung
aufnehmen, unb ba« gieng meiner Auffaffung nach nicht on. ®ie ©efchäft«*
orbnung, behauptete ich, höbe e« mit ben Vorgängen im 3 nnern be« ©aufe«
§u tpun; hierüber ©eftimmungen $u treffen, fei atterbing« Sache be« ©eich«*
tage« für fich allein, ber 8 teich«tag fei hierin autonom. Aber etma« ganj
anbere« fei eine ©eftimmung, bie ba« ©echt, in biefem ©eidj«tage 3 U fifcen
ober nicht 311 fifcen, betreffe; eine ©eftimmung folcher Art falle unjmeifethoft
in ben ©ahmen ber ©erfaffung, fönne nur burch ein ©efefc getroffen merben, unb
jum 3 uftanbcfommen eine« ©efefce« fei ba« 3 ofamrnenmirfen beiber gactoren
ber legi«latioen ©ematt oonnöthen. „®tit einer ©eftimmung, mie fie hter &or*
gefchtagen mirb", führte ich ou« „anticipieren mir entmeber etma«, ma« in bie
fiinftige ©onftitution gehört, ober mir motten etma« nachtragen, ma« in ber
SBahlorbnung, traft melier mir 1)\tx fien, nid^t enthalten ift. $amit
aber, meine ©errett, hot bie ©efchäft«orbnung nicht« 3 U thun. Sterben fie bie
©eftimmung, 31 t golge beren ich h* cr ®i|} unb Stimme höbe, in eine Sinie
ftetten motten mit ben ©eftimmungen, mann ich auf 3 uftehen unb mann ich
mich niebersufefcen höbe ? ®ie ©efchäft«orbnung be 3 ieht fich ouf bie Sorgänge
im ©aufe, auf ba« ©enehmen berfenigen, oon benen e« bereit« au«gemacßt
ift, baf« fie im ©aufe Sifc unb Stimme hoben; bie ©efchäft«orbnung tann
aber nicht anticipieren ober nachtragen bie ©ebingungen, unter benen man in
biefe« ©au« tritt." 3nbeffen blieb ich in ber ©tinorität. ©lein Antrag, bie
Angelegenheit al« ©efefc 3 U behanbeln, !am nicht einmal 3 ur Abftimmung.
3ur Abftimmung !am ©rebler'« Antrag, baf« bie ©eftimmung feine rücf*
mirfenbe Sfraft hoben fotte, unbauch biefer fiel bei©amen«ruf mit 157 gegen
126 Stimmen; ich unb noch rin anberer enthielten un« ber Abftimmung.
3 n 3 mifchen that ich für meine SBähfer ma« ich thun tonnte. 3 <h
betrachtete fie al« meine Schufcbef offenen, ich fah e« al« meine ©flicht an,
ihre Anträge ansuhören, für fie Schritte 3 U machen unb an maßgebenben
Orten für fie 3 U mirlen. 3<h konnte jefct, mo mein ©nfluf« mel größer mar,
auch bnrchfe&en, ma« mir al« einfacher Abgeorbneter faurn gelungen märe.
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3n ftremfter.
353
unb ^cimftc bafiiv oft marmen, ja gerührten Tanf ein, toaS mir immer
toofjl tfjat. 3 n oielen Säflen fjanbelte eS fid^ um eine 21 ufflärung ober um
einen Statt), rnaS meine Schufcbefohlenen 311 thun hätten, befonberS in Untere
thänigfeitS s 3lngeIegenheiten; baS patent Dom 7. September mürbe nicht immer
richtig aufgelegt unb lieft manches uuentfehiebeu. Ta 3 tt tarnen bic bisherigen
.Silagen über ©runbent$iehungen unb SSefi^ftövuitgen bureft ihre frühere
Qbrigfeit, bie jum Tl)eil in fcftr lucite 3?it 3 urücfreichten, in melcftem Salle
hoch nur bie ©erieftte eutfefteiben tonnten. Tie 3nfaffen Don ©euborf,
■fterrieftaft Suttenplan, fragten bei mir an, ob fie ihrem .fperrn Pfarrer ben
3 et)cnt in Sörnern nod) entrichten follten ober nicht? Sie mollten eS nicht
thun, fall«? fie ba^u itid)t meiter üerpflicfttet mären; fie mollten fieft aber and)
nicht mit bent Sonfiftorium oerfeittben, baS ihnen fonft, mic fie beforgteu,
ihren 3 toeiten ©eiftlicheti nehmen möchte. Stuf bcrfelben £>errfd)ait ftuttenplan
hatten einzelne ©runbholben in früherer 3 eit ihre Stobotfcftulbigteit um einen
mit ber $errjd)aft oereittbarteit SreiS abgetöft; aus bent patente Dom
7. September erfaften fie nun, bafS bie jefcige Slblöfuitg für ben Unterthan
günftiger auSfaüen merbe, unb fie uerlangten Don ihrem ©ruitbherrn ©rafett
Serchem^ainthaufcn, er folle baS ©lehr, maS er uon ihnen früher erhalten
hatte, ^urüeferftatten. ähnliche Anfragen tarnen mir auS ftonrabifc, Trift
globeit unb Stapf, £>errfchaft ©taierhöfen, aus bent ©tarft s 2llt~3eblifd), Don
ben „2BalbhäuSler"s@emeinbcn ber .fterrfdjaft $Ian 31 t. SfuS SKafchafotten
betaunten bie 3nfaffcn, bafS fie ihrer ^errfdjaft Tad)au feit bent Srühjah 1 ’
feine Üiobot geleiftet hätten; aber nun tarn bie £>errfd)aft unb tagte: „Tie
Stobot ift gejeß(id) erft Dom 7. September an aufgehoben, barunt ntiifSt 3b r ,
ba 3hr ©urc Scpulbigfeit bis 31 t biefent Tage nid)t in natura nachtragen
tonnt, biefelbe nachträglich in ©elb abbüften"; eine foldjc ©ntfdjäbigung
forbere nun bie .sperrfdjaft, ftagten bie ©iafdjafottencr, unb Derbalte fie mit
Strenge 311 biejer Seiftung. ©s gab aud) Sitten unb Anliegen, Don betten etmas
fd)mer 31 t oerftehen maren, toie fie gemeint feien.
3m SlQgemeinen Iwtte bic Stimmung itt meinem SBahlbejirfe, feit fie
mufsten, bafS id) ein „mächtiger" #err gemorbett, fel)r 311 meinen ©unften um
gejchlagett. Seit fie mein offenes Schreiben „Sin meine üanbSleute" erhalten, mürbe
mir auS ©cu*3eblifd) im ©itioerftäitbniS mit ben ©etitciitben yabaut, ©tauthborf,
^attgenbörfleS, Schöttbrunn 2 c. gefcbricbett, merbe „fein Serieumber mehr,
unter melcfter ©taSfe immer er fotnmen mag," im Staube fein uttS int Vertrauen
31 t mir mattfettb 31 t machen, fie hätten es Don allen Einfang „obncbieS als
eine hintmeljchreienbe nieberträchtige Serleutnbung", als bie „SoSheit eines
elenbett Schuftes" angefchett, maS gegen mich Slit 3 üglid)eS Derbreitet morbeu
fei; nun feien fie mit meiner offenen Tarleguug ber Sadjlage ootlftänbig
Xie ftultur. IV. 3a^rß. 5. §eft. (1902.) 23
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gofeph greiherr oon .^eifert.
überzeugt unb ich fönne oottfommen oerfichert fein, bafa ihr ganjeS
Vertrauen mir jugemenbet fei unb ft et« bleiben merbe. — 3<h mürbe
alfo, menit ich mich mirflich einer Steutoahl hätte unterbieten motten, faunt
etmaS ju beforgen gehabt t^ben. Übrigens bot mir ber !. !. Sßoftmeifter
oon ©tammerSborf granj ©tabler oon SBolfferSgrün, berfchon meine
erfte SBahl in Xadhau eifrigft betrieben hatte, abermals feine freunbliche
®ienfte an; feine gamilie ftammte aus ber ©egenb oon $lan unb fein Staute
hatte bort einen guten Slang. SlnberfeitS mar mein Kollege £erjig bereit,
mir fein SDtanbat abjutreten unb für mich in Steidjenberg ju rnirfen. ®r
mar ein mafjüott urtljeilenber unb billig benfenber 3Rann, er fuchte in bem
leibenfctaftlidjen tttationalitätenfampfe gerecht nach beiben ©eiten ju fein
unb erfannte mich als oon bem gleiten ©treben befeelt. 3n ber jmeiten
^pälfte Stooember fanbte er einen $errn SReblhammer als feinen SertrauenS*
mann ju mir. $ie 3uftänbe in SReidjenberg, fdjrieb er mir, Ratten fid) in
ber lebten gri* fehr Oerfchlimmcrt; Steblhammer fotte fid) mit mir beraten,
melcte SRittel anjumeitben feien, um nach unb nach eine ©inigung ber heutigen
unb böljmifcten SSemohner unfereS 93aterlanbeS t^bei^ufütren . . . Seiber
ftarb ber braoe SDtann halb barauf beim Sranbe feiner gabrif.
SSon meinen Verpflichtungen als Slbgeorbneter mar es nur eine, ber
ich nicht nochfomnten fonnte, unb jmar barum, meil fie fiep mit meiner
Stellung als SRegierungSmann nicht jufammenreimen liefe. ©ineS SlbenbS, ba
icfe in meinem 2lmtSäimmer arbeitete, erfc^ien bei mir ein böhmifcher Slbge*
orbneter — ni fallor, Vürgermeifter granj ® u f cfe e f oon labor — unb
ftettte mir oor, marum ich benn gar nicfet in ihrer ffltitte erfc^iene ? ©eroifs
mürbe man auf meine ©timmc bfaen, jefct, ba ich SDtitglieb beS SRinifteriumS
fei, mehr als früher. ®S feien oiele, bie fidj ein ©egengemicht gegen ©trobach
münfdjten, ber fid) fehr befe^f^aberifc^ benehme unb feinen SBiberfpruch auf*
fommen (affe zc. 3<h mufste bebauern, feinem SBunfche nicht entfpredjen
ju fönnen;' ich fühlte mich, oerficherte ich ih n > burch baS Vertrauen, baS er
mir im Stamen feiner ©enoffen auSgefprochen, fefer geehrt, unb banfe bafür;
aber eben bie amtliche ©tettung, oon ber er gefprochen, mache eS mir
unmöglich, mich an Sluboerhanblungen ju betheiligen, ba ich nicht als Vertreter
einer Partei in ein SRinifterium berufen morben fei, baS es fich jur Aufgabe ge*
ftettt habe, über ben Parteien ju ftehen. ®er mürbige 3Rann oerliefe mich fic^tlich ge f
brücft, bafS er mit feinem mohlgemeintenSorfchlag nicht habe burchbringen fönnen.
♦ *
♦
^erjönliche ©onflicte jmifchen Slbgeorbneten, bie Debatten im SReichS*
tage ausgenommen, famen in Sremfier äu&erft feiten oor. SDtir ift ein
einziger erinnerlich, ber einen fehr fomifchen 9luSgang hatte. Der Slbgeorbnete
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3n Kremfter.
355
S^ang ©eitler (für 3cü am ©ee) hatte nach bem Dctober in {einem SBabl*
bewirf ein SRunbfchreiben oeröffentlidjt, worin er in nicht feljr giemlichen 2lu«*
briirfen bie SRitglieber ber Siebten, namentlich ©rebler unb mich, ben ©auern
al« jene IjinfteDte, bie baran ©chulb feien, baf« ihnen bie Stobot nicht
gefchenft worben. 211« wir in Kremfier wieber gufammenfamen, fprach fich
©rebler laut über ein fo gemeine« ©orgeljen au« unb nannte ©eitler
einen Hefter unb 3>enuncianten. ®a« würbe biefem Unterbracht unb nun
trat ©eitler bei ber erften ©elegenheit, wo er ©rebler außerhalb be« ©aale«
fanb, biefem in ben SBeg unb forberte ihn gum $uetl. ©rebler, nicht Diel
über äRittelgröße, aber fräftig gebaut, fah fich ba« Heine äRännchen an unb
fagte: „SBiffen ©ie, mein $err Kollege, fechten unb fließen fann ich nicht;
aber wenn fie wollen, auf einen ©eutler" — unb h* er machte er mit
beiben Firmen bie entfpreeßenbe Sewegung bagu — „will ich« mit 3h n * 11
wagen!" $ie Umftehenben muf«ten lachen, ©eitler felbft lachte mit, unb
bie ©ache h at l e ein ®nbe. ©rebler war überhaupt ein 9Jlann oon natürlichem
UBife unb großer ©chlagfertigfeit. 3<h üjeiß nicht mehr, bei welcher
©elegenheit e« war, wo er mit bem „fchwargen SRaper" in einen SBort=
wechfel gerieth unb feiner ben anbern gu Überreben oermochte, fo baf« Staper
gulefct oerbrießlich fagte: „Slun ja, üon euch lirolern weiß man e« ja, baf«
ihr erft mit oiergig fahren gefcheibt werbet." „Sa, ba« weiß man,"
erwiberte ©rebler mit fomifchem ®rnft; „aber mit welchem Sah* ihr äRährev
gefcheibt werbet, ba« weiß fein SKenfch."
3öcr fich unter allen Umftänben gleich blieb, berb unb felbft grob in
feinen formen, aber babei fdjlau unb oorfidßig, war 2lloi« 3eten, ber
„Drbner be« 3fteich«tag«". Sieb er (für 3oachim«thal) fagte eine« läge«
gu mir: „Sch h a & c noch nicht h cra u«gebracht, er ein ehrlicher Kerl
ober ein ©pipbube ift". ©rauner aber behauptete: „Selen hat brei
^aupteigenfehafteu: unbebingte Serehrung für bie Stegierung, wüthenben
Subenhaf« unb fanatifchen ®ifer für SDlufif." ©ei ben äRiniftern gieng er
au« unb ein, hinterbrachte ihnen alle«, that für fie alle«, „SBoher haben
©ie benn ba« wieber?!" rief ©ach eine« Sage« au«, al« ihm Selen eine
SRittheilung machte, ooit ber ba« Sfflinifterium feine Slhnung gehabt hatte.
„Sa, fehen ©ie, $err 9Jlinifter," lautete bie Antwort, „ber Seien hat lange
Ohren unb ift boch fein ®fel." Unter ben 21bgeorbneten fannte er nur gwei
Kategorien: Sngel, bie ber ^Regierung ergeben waren, unb Teufel, bie gur
Oppofition gehörten, ©elbft feinen Sanb«leuten, bie nicht gu ben „®ngeln"
gehörten, fpielte er, wo er fonnte, einen ©djabernaf unb Wuf«te fie gu
hänfeln. ®er in Kremfier neu eingetretene P. Sohaun ®aniel Stofppal,
©aplan in SBinterberg, trat im 9teicß«tag mit einer oppofitioneDen Siebe auf,
23 *
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356
3ofeph greiherr uon geifert.
bic fein befoubereS äReifterftücf mar. Ate er Selen fragte, mie ihm bie
SRebe gefallen höbe, fagte biefer: »Vybornfe, vybomä, jak se Vam patft, Vy
jste to tak p£kn6 rozsypal. ie se älovfck divit musi« — „Ausgezeichnet,
ausgezeichnet, mie eS bon Such nicht anberS z u ermarten mar, Sh* hobt boS
fo prächtig au Seinanbergeft reut, baß fich ber äRenfch nur bermunbern
tarnt. 4 ' ®aS Säortfpiel läßt fid) begreiflidjermeife im $eutfchen nicht miebergeben.
AäaS mich betrifft, fo ftanb ich mit Selen, ba ich ja für ihn in bor=
berfter Steife ber „Kngel" ftanb, auf beftem gufje, unb fo mar eS auch mit
ben meiften anberen meiner Barteigenoffen. AÜerbingS mareit nicht meitige,
bie in ihrer Haltung faum baS berbergen fonnten, maS mir Heinrich gügner
gefdjrieben hotte, „baß fich ber neue UnterftaatSfecretär bereits bieler Kleiber
ZU erfreuen höbe". Am ungefchicfteften in biefer |>infidjt benahm fich mein
langjähriger Spezi unb juleftt ffrafauer Kollege $r. Kberfjorb Sonäf, ber
fich mofjl überhaupt megen feiner etmaS jmeibeutigen Spaltung im Cctober
jefct etmaS unbehaglich unter feinen ©enoffett bon ber ^Rechten fühlen mochte,
©egen mich faulte er ben ©efränften, näherte fich mir nicht, fprach nicht
mit mir; er fühlte fich, wie mir ^iuterbrac^t mürbe, beleibigt, baß ich ih m
als altem greunb nicht gleich gefagt hätte, mie eS mit mir ftef)e, maS in
Olmüfc mit mir borgehe u. bgl. 9tun, baS mar hoch für mich eine fernere
Sache. SScr bon meinen perfönlichen greunbeu barum gefragt hotte, beut
hatte ich gemiß mitgetheilt, maS ich tonnte unb burfte. Aber baß ich fdbft
51 t jebem hingieng unb fprach: „'Su, meißt bu fchon, ich foü SRinifter beS
Unterrichte merbert? Aber ich nehme es nicht an" ic., baS mar hoch nicht
bon mir ju berlangen. Am tomifcheften maren SonäfS Briefe, menn er in
irgenb einer Angelegenheit hoch umhin tonnte, fich an mich z u menben;
ba fchrieb er mir ohne Anruf unb ohne Schlußformel, im Kontexte mich nicht un=
mittelbar anrebenb, bamit er fich nicht zmifeßen „$u" ober „Sie" entfeheiben müßte.
Kiner meiner Kollegen aus bem Kentrum mar Kngelbert ©elinger,
Btofeffor an ber Drientalifcßen Afabemie, bereit Bögling mein Koufin ©uftab
Schreiner gemefen mar. Ate fich ttlifc bon S^forbing, bie Braut
©uftab’S, eines XageS in Aäien nach mir erfunbigte, antmortete ihr ©elinger:
„Allgemein belaßt". KS mar nun nicht gerabe fchön bon ihm, meiner fünftigen
©chmägerin fo etmaS ins ©eficht $u fagen; aber eS mar leiber etmaS AäaßreS
in ben Säorten, unb eS ift bieS burch einen großen Xheif meiner ßaufbaßn
geblieben. ®er ©rünbe $u ber bamaligen Abneigung maren berfchiebene. KineS
XageS in $remfier geftanb mir grau Klaubt), geborne ®orau'@chlicf:
„Aäoriiber man fich munbert, ift, mie ©ie in 3h*en jungen 3oß*en fich 1°
conferbatib holten fönnen." Sch antmortete: „SReine ©näbige, baS ift nicht
mein Belieben, fonbern meine Überzeugung." 3« ben Augen ber Sinfen
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3n ftremfter.
357
\x>ax ich ber ©chmärjefte unter ben Schmarren, maS fich mohl begreifen liefe.
3ch mar in meinen Sieben gegen fie fdjroff genug aufgetreten; meine Gattung
gegen Süblich in ber 8 tobot*®ntfchäbigungSfrage, meine Stbmeifung ber ungarifchen
Deputation, bie fich mit ber Sinten in offentunbigem ©inoerftänbniffe
befanb, meine .gurüefmeifung ber journaliftifefeen Slnmafeung in ber Sogen^rage
— unb 31 t aßebem jefet ein fo ^ope« ©taatSamt in foldjer 3ugenb! 3<h mieb
bie oon ber Sinten unb mürbe oon ihnen gemieben. Stur feiten, mie in ben
SluSfchitffen unb Stbtheilungen, !am ich mit einzelnen oon ihnen in ©erüprung, unb
ba featten mir, maS nufer ©enehmen betraf, gegen einanber nicht ju Hagen.
* *
*
SBenn Schmalenberg in Stremfier mar, fpeiften mir in ber Stege! bei
ihm, baju ein unb ber anbere ©aft, fei es aus bem SteidjStage, fei eS aus
ber böfeeren ©earntenmelt. 3 den machte babei gemöpnlicfe ben £auShofmeifter.
©ei ber Dafel, bie bei ben beengten SPremfierer ©erljältniffen nicht feljr
luxuriös fein tonnte, gieng eS in ber Stege! Reiter ju. ©ehr häufig führte
ber oontehme SBirt baS 2Bort. Söenn bad ©efpräch auf bie ©reigniffe beS
DageS tarn, muffte ©efemarjenberg fo anmutpig fdjerjenb ju plaubern,
als ob baS gar nicht Dinge oon fo grofeem ©rnfte unb oon folcfeer SBichtigteit
mären. Stach bem ©peifen mürbe mitunter ein gemeinfchaftlicher ©pajiergang
in ben auSgebepnten ©art unternommen, bis jum prächtigen ffllajenpof, mo
bie „Slula" befepen unb ber ©ultan im Sup^arem bemunbert mürbe.
51m meiften mar ich natürlich mit ©tabion, nicht blofe meil er mein
Steffort=9Jtinifter, fonbern auch meil er mein befonberer ©ömter mar. 3<h
meife nicht, ob er eine eigentliche Steigung ju mir hätte, ob er überhaupt
eines folchen ©efiihleS fähig mar; Dhatfache ift, bafS er mich, mo mir
amtlich ober aufeeramtlich jufammentrafen, regelmäßig an fich h crfln S° 8 -
©ineS ©orfaüeS gebenfe ich noch i^fet mit Stührung, ©tabion unb ich toaren
oon einer Dlntüfcer ober oon einer SBiener Sah** in fehr fpäter ©tunbe
nach fttemfier getommen, fo bafS ich nicht flnt mitten in ber Stacht meine
£>auSleute aufftören tonnte. 3ch mufste alfo bei ©tabion bleiben unb mar
als junger SRenfch fchlaftrunfen junt Stieberfaflen. Da hätte man nun fehen
follen, mie fich ©tabion baran machte, eine SJtatrafce auSfinbig $u machen,
mie er fie mit feinem Äammerbiener Heinrich in baS Zimmer, mo ich
fchlafen foüte, h^einfchleppte, auf bem Sufeboben auredjtlegte, bafür forgte,
bafS ©olfter unb ©ettbeefe $urecht gelegt mürben unb nicht früher $u ©ette
gieng, als bis ich Gehörig oerforgt mar.
ffienit ©tabion in Sremfier mar, machte er gemöhnlich gegen Slbenb
mit mir einen ©pajiergang, manchmal fchlofS fich ein britter an. $atte ich
ihm etmaS ju „erzählen", oon ©efd)äften nämlich, fo mürbe baS juerft
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358 $ofepb ^reiperr oon geifert. 3n firemfier.
abgemacht, bann aber anbere« geplaubert. 6r ^atte rnohl ba« Sebürfni«,
auf anbere ©ebanfen zu fommen, benn er mar burch bie Aufreizungen unb
ununterbrochenen Anftrengungen feit bent 6. Dctober fdjon in ^o^em ©rabe
neroö«. Heinrich Slam, .ber bei ber glucht au« SBien fein fteter Begleiter
getoefen toar unb babei nicht feiten mit ©tabion in einem 3immer ober
hoch in beffen unmittelbarer 9?ähe fchlief, hu* mir mitgetheitt, mie er, toenn
er in ber 9tacht aufmachte, mahrnehmen fonnte, baf« ©tabion mach mar,
ober baf« ihn fernere dräunte plagten unb er unoerftänbliche SBorte
murmelte. Auf unferen firemfierer Spaziergängen aber gieng e« meift fehr
heiter ju. ©tabion fprach aüerhanb Allotria unb machte auch fonft manchen
©paf« mit. Sinmal befugten mir ben englifchen ©arten be« 3ürft*®rzbifchof«;
Seopolb SReumann mar bamal« mit un«. SBäljrenb e« fchon etma« bunfel
mar, famett mir ju bem flehten Sabprintl}. @« mar in ber dfjat mit feinen
fich überall freujenben unb oerfchlingenben SBegen ein Spurten Z u nennen,
aber au« fo nieberent 3<mumerf gcfchaffen, baf« man mit falber ßeibe«länge
barüber emporragte, ©tabion unb ich magten un« hinein, manbclten einige
3cit hin unb her unb maren. in ber dljat nicht im ©tanbe, ben Au«gang
ju finben, fo baf« mir ben gorbifchen finoten, ben mir nicht zu löfen oer*
mochten, zulept zerhieben, inbem mir un« mitten burch ba« 3uunmerf pinburch
ben 3Beg in« greie bahnten.
die leiber fo furze 3eit, bie ich ntit ©tabion oerlebte, mirb bi« an
ba« ®nbe meiner Sage zu meinen fepönften, aber auch z u meinen mehmuth«*
uoHften ©rinnerungen zählen, diejenigen hüben nicht Unrecht, bie ba fagen,
baf« Auffcpreiben ber dob be« lebenbigen ©ebächtniffe« ift. die frühe
©emohnheit, alle« mir ®emerfen«merte zu notieren, pat e« bahin gebracht,
baf« ba«, ma« ich mir n i ch t notierte, oon ben mechfelnben Sinbrücfen ber
dage zu einem groften dheil übermüdet unb begraben mürbe. SBelcp
reichen ©epap befäfte ich niept, mir unb Anberen zum Vergnügen unb zu
mannigfacher Belehrung, menn ich uon ben ©efprächen, bie ©tabion mit
mir über bie oerfchiebenften ©egenftänbe führte, mir fogleich ä la ©efermanu*
©oethe Aufzeichnungen gemacht hätte, ©o ungefchieft er al« SRcbner mar,
fo gemanbt unb anziehenb mar er al« ffiaufeur, mo er, nicht beengt burch
ba« ©efühl mangelnber dechnif, feinen ©eniu« frei fich ergehen lieft, ©eine
Äufteruitgen, feine Urtheile, bie Silber unb Sergleicpe, bie er anmanbte,
bie Seifpiele unb ©riinbe, bie er oorbraepte, maren fehr oft paraboj, aber
immer geiftooll unb immer berart, baf« fie, menn man auch nicht feiner
SWeinnng mar, zu benfen gaben.
(^ortif&UJlfl folgt. 1
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Wiener Kunstleben (ßerbst 1001).
Bou JoTepfi Houtoirflj.
ie im Vorjahre burcb bie Eutenberg 2luS|Mung, fo bot auch im Sommer unb
Iperbfte beS ^abre^ 1901 bie aufeerorbentlicb umftcbtige unb zielbewufSte Leitung
ber f. f. £>ofbibliotbef burcb bie Veranftaltung einer SonberauSfteUung, bie auf
überaus wertoolle Objecte ihres gro&artigen §anbfcbriftenbeftanbeS bie Vufmerffamfeit
weiter Streife lenfte, ficb ben befonberen Danf beS funftftnnigen VublicumS gefiebert.
Die in ihrer Vrt wirflicb einzig baftebenbe 9JtiniaturenauSftellung, für roelcbe
ber altebrwürbige, felbft als ftunftroerf b^morragenbe Vntnffaal ber §ofbibliotbef
einen glänjenben Wähnten abgab, bot zum erftenmale ben ^aienfreifen bie gern
benüfete Eelegenbeit, ftcb aus eigener Vnfcbauung ein Urtbeil über bie £anbf driften
auSftattung unb bie fünftlerifcbe i*eiftungSfäbigfeit oerfcbiebener Qabrbunberte unb
oerfcbiebener Golfer zu bilben. WHt gutem Rechte ift man bei ber VuSwal)l ber
Vilberbanbfcbriften, beren Weicbtbum in ber Wiener fcofbibliotbef mit ben b^or*
ragenbften Vibliotbefen oon ganz (Europa einen Vergleich in bfabfteu Ehren befteben
fann, nicht über baS 10. ^abrbunbert binauSgegangen: benn mit biefer 3^tü^u^e
fcbliefct bie (Epoche ber in fiinftlerifcber Selbftänbigfeit beachtenswerten Jpanbfcbriften
illuftration fo ziemlich ab, ba bie Eoncurrenz mit öoljfcbnitt unb Stupferfticb unb
eine immer größere Vbbängigfeit oon ben burcb beibe gelieferten Vorlagen eine mehr
banbwerfSmä&ig oerflacbenbe 'Ikobuction unterftiifcten.
Die s 2htSwabl ber zur s 2luSfteUung gelangten 370 Jpanbfcbriften befunbete
burcbmegS feinen Taft, umficbtige Sacbfenntnis unb vortrefflichen Überblict über ben
EntwidlungSgang biefeS eigenartigen HunftpoeigeS, für beffen Vbafen ftcb ein nahezu
li'tcfenlofeS Material aus ben b er °o rrrt ß cn bften Objecten ber überreichen Vücber-
fammlung gewinnen ließ; benn nur biefe farnen bei ber auch burcb Waumausniißung
befdjränften Auswahl in betracht. 'Über bie auSgelegten Stüde waren nicht nur an
ficb ^Sracbtwerfe ihrer Vrt, fonbern ließen auch in iiberficbtlicber Vneinanberreibung,
beren VerftänbniS bie jebent Objecte beigegebene fur$e Erläuterung, fpäter ein banb*
lieber Siatalog unterftiiftte, mit waebfenbent Eenuffe baS ^ntereffe an ber gefcbicbtlicben
Entwidlung beS ftunftzweigeS ftcb beleben. ü)tit ber berühmten „Wiener Eenefts"
unb ben DiosforibeSbanbfcbriften festen fte bei ben frübeften Denfntälern ber Vucb^
malerei ein, wäbrenb an anberen franbfebriften bas Wacbleben bpzantinifcbev Wus-
ftattungSgebanfen unb ihr öeranftreifen an flawifcbe, fprifebe, arttienifcbe unb foptifebe
Dentmale ganz augenfällig waren. Vortreffliche Vertretung butten bie farolingifeben
Vilberbanbfcbriften, bie gerabe bei ben auf Salzburger (Gebiete entftanbenen Stiitfen
noch ben Wacbflang irifcb angelfäcbfifcber ftormenfpracbe w\#en.
Eine ganz befonbers beachtenswerte Eruppe bilben bie $>anbfcbriften öfter-
tetebifeber Vtcwenienz im weiteften Sinne beS VJorteS, zum Ibeil aus ben unter
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360
^ofeph 9teuroirtb.
Bofepb II. aufgehobenen Mlöftern ftammenb unb bie in einzelnen geglichen Rufern
auf anfehnlicber $>ö^e fkh bewegeitbe Munftfertigfeit bejeugenb. ©djulrnäfeiger 3ufammen
bang war namentlich unter ben SRepräfentanten ber böhmifchen Buchmalerei ju erfennen,
oon roelcben bie im ©efchmade ber berühmten WenjelSbibel auSgeftatteten !panbfchriften
burch befonbere Farbenpracht unb reiche Borbürenomamentation hcroorragen. ÜRit
ihnen wetteifert baS 1368 oon bem *tonbSfroner Bfarrer Johann oon Sroppau ooll
enbete ©oangeliar £>er$og AlbredjtS III. oon Öfterreich, theilroeife auch baS nach
1403 roahrfcheinlich oom Hofmaler Johannes ©ad)S in Wien ooüenbete Nationale
Turanti. Aufeer ben für gebrich III. unb Wapmilian I. h^rgeftellten Arbeiten
intereffierte in ^o^em ©rabe eine im ©tifte Welf um 1446 oom Wöndje ©imon
gefchriebene unb mit Wtniaturen gefchmiicfte lateinische ©rammatif in ber Art beS
Tonnt für i*abiSlauS BofthumuS. ©S mürbe oiel au roeit führen unb ben Nahmen
biefeS Berichtet erheblich iiberfchreiten, wenn ber geroifS oerlocfenben Nennung oon
Dbjecten gerabe biefer ©ruppe noch weh* *Raum gemibmet mürbe. Tenn auch anbere
biirfen nach ih^em horoorragenben Munftroerte gleiche Beachtung beanfpruchen.
TieS gilt tnSbefonbere oon ben franjöfifchen Bilberhanbfchriften, bie einft baS
Wohlgefallen Napoleons I. in fo hohem ©rabe erregt hotten, bafS er bie prächtigfien
©tücfe nach Baris bringen unb ber Wationalbibliothef einoerleiben liefe, ©ie zeichnen
Sich oielfach burch Reinheit ber Formenfprache, ©leganj ber ©eftalten unb ©emanb
behanblung, fomie burch Bartbeit ber bei aller fiebhaftigfeit nicht ins ©chreienbe
oerfallenben Farbengebung auS. Am beften ift b*er bie Flluftration ber am AuS
gange beS Wittelaltere in F r anfreid) überaus beliebten allegorifchen Romane oer
treten, unter benen baS ©yemplar beS oom Mönige Wend bem ©Uten oerfafSten
WomaneS »Coeur d’amours 6pris« ben Bilberfchmucf aller anberen roeit überragt,
bereite pfochologifche Bertiefung ber AuSbrucfSmittel unb oirtuofe Beberrfchung oon
Beleucfetungoeffecten felbft mit bem fcinübergreifen ine ^eübunfel erfennen läfSt.
Bcrlen erften >RaitgeS, hiwter welchen bie aufgelegten Tenfmale englifdjer
Buchmalerei erheblich ^urücfbleibcn, bot bie Abteilung ber olämifchen Btlber
hanbfehriften, bereit ©rroerbung bie Beziehungen ber Habsburger ju ben Weberlanben
ganz natürlich erfcheinen laffen. Bon ihnen feffelten befonberS bie ©ebetbücher
Wayimiliane I. unb Marl V. f beS lefeteren ©injug in Brügge am 18. April 1515
unb bie in ber Werfftatt BrelantS z u Brügge für öerjog Bhilipp ben ©Uten oon
Burgunb um 1450 entftanbene ©hronif oon 3^'ufalem, bie bereits 1536 im Beftfee
Mario V. au Brüffel fxch befanb unb burch bie Tarftellung ber ©infehüfung ber
Mreuafahrer fid> ben AuSftellungSbefuchern unoergefSlid) einprägte. Bergleicht man
mit ihrer rounberoollen Behanblung, bie bem ©inaelnen ebenfo roie bem fünftlerifchen
©efammteinbruefe gilt, bie Werfe ber Marolingeraeit, fo roirb man fich ber ©nt
micflung beroufst, welche bie Buchmalerei im &mfe ber Fah r hunberte burchmacheit
muffte, um au fo bewunbernfwerten tfeiftungen emporaufteigen.
©leid) warmeo F ntere ff e oerbienten bie Winiaturhanbfchriften italienifcher
Hertunft. Unter ben Auftraggebern für bie italienifchen Weifter, welche feit bem
15. Fabrbunberte bie Herftellung oon Brachtfeanbfcbriften naheju fabrifSmäfeig betrieben,
ragte ber Ungarnfönig WattfeiaS ©oroinuS h cr o° r * s RuS feinem Befi&c ftammen
mehrere foftbare ©tücfe, anbere aus jenem ber ©foraa, Acguaoioa, BiSconti,
©onjaga, ©ontarini, bal Berme, beren Witglieber fid) burchwegS als Liebhaber
liinftlerifch oornehmer HanbfchriftenauSftattung in ben für fte gelieferten Werfen
erweifen. Tie Winiaturen ber oenetianifefeen TbpferinnungSftatuten ober einzelne
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Söiener ftunftleben (fcerbft 1901).
361
Sccnen $u ben mebicinifcßen Dractaten be« ©iooanni ©abamofto greifen in ba*
Sunft- unb Verfeßr«leben be« 15. Faßrßunbert« ebenfo hinein wie bie am Anfänge
be« 16. Faßrßunberte* entfianbenen leben«oollen ©eenen be« berühmten Codex
picturatus in ftrafau.
Spanten mar nur fpärlicß oertreten. 'Dagegen bilbeten bie orientalifcßen )panb
feßriften, für beren faeßmännifebe VMirbigung gerabe ber beseitige Vorftanb ber
Jpofbibliotßef, fterr £>ofratß Vrofeffor Dr. ßarabacef, weithin al« eine Autorität erften
Wange« gilt, in bem impofanten Äuppelraume geroiffermaßen einen farbenprächtigen
fternpunft ber ganjen 2lu«ftellung. 2luf ihren Weichthum roie auf ihre Schönheit,
auf ihre ÜJtonnigfaltigfeit unb auf bie ßoße Seltenheit einzelner Stücfe barf unfere
jQofbibliotßef mit Wecßt ftolj fein. C^in ganj anberer ©eift ber Vucßau«ftattung unb
ihrer Decoration«gefeße fpricht im Vergleiche ju ben abenblänbifchen Vilberßanbfcßriften
au« ben Vracßtmanufcripten be« Oriente«. Sie fchroelgen in einem funftoollen ©emirre
wunberfam burch unb ineinanber gefchlungener fiinien, phantaftifcher Ornamente
unb Figuren, in fümtnernber Farbenpracht non märchenhafter Frifcße unb ftnb fleine
Vöunberwerfe fester unerfchöpflicher, immer neue Weije heroorfeßrenber ©eftaltung«
freubigfeit, bie ftch nicht genugthun $u fönnen fcheint unb auch bie Schrift becoratioen
Wbficßten bienftbar $u machen oerfteßt. Die reießgefeßmüdten Originaleinbänbe biefer
jQanbfcßriftengruppe, $um Xßeil feine öaeteinbänbe oon tabellofer ©rßaltung, erhöhen
ben ftunftwert ber einzelnen Stüde unb jeigen bureßmeg« Vebad)tnaßme auf bie
JOerfteüung einer be« toürbigen §ülle. Sie toerben gewif« in abfehbarer
Seit ©lanjpunfte einer Vu«ftellung oon Vucßeinbänben abgeben, beren Veranftaltung
ber rührige Leiter ber Jpofbibliothef ftch woßl nicht entgehen laffen toirb. Sein eifrige«,
feine SWüße feßeuenbe« Veftreben, weiteren Greifen ba« Schönfte unb ©igenartigfte
ber herrlichen Schäle feiner großartigen Viicßerei ju erfcßließen, oerbient unein
gefchränfte Vnerfennung. ©in frifdjer 3*tg be« Darbieten«, ba« an ber gefteigerten
©enufefreube be« Vublicum« ftch neu belebt, geht erfreulichenoeife burch ba« ©anje.
Der hnnbUche Katalog orientiert fnapp über bie ©efchichte ber einzelnen Jpanbfcßriften,
ift aber in ben litterarifchen Eingaben unoollftänbig, ba er jum Veifpiel bei Wr. 121»
eine ben Jpaupttßeil ber $>anbfdhrift Wr. 8330 tur ©änte publicierenbe Arbeit au«
bem F rt bre 1896, bei Wr. 105 noch anbere ber V$en L tel«bibel geltenbe Wbbanblungen
nicht ermähnt. Die mehrmalige ©rftredung ber Wu«ftellung«bauer fanb in bem
überau« ftarfen Vefucße ihre erfreuliche Vegri'tnbung.
Die zwölfte Wueitellung ber Seceffion bat bie funftintereffierten
©emitther unb folche, bie e* tu fein oorgeben, nicht gleich ftarf roie ihre Vor
gängerinnen roährenb ber beiben lebten Fahre erregt. Sie galt hauptfächlicß ber
norbifeßen ftunft, Schweben, Norwegen, Ftnnlanb unb Wuf«lanb. Wngeficßt« ber
Ißatfacbe, bafe biefe ^änber auf ben Wiener Wueftellungen nur gan$ oereinjelt
oertreten ftnb, mochte man ee im allgemeinen al« eine febr banfenoroerte Veran
italtung begrüßen, eine größere Wnjaßl norbifeßer Vkrfe auf VHener Voben oereinigt
tu finben unb an ihnen einen Vtaßftab für bie Wbfcßäßung ber ©ef<hmad«ricbtung
unb l # eiftung«fäbigfeit norbifeßer Wteifter $u gewinnen. Wber ba« hier Vu«geftellte
war — Vknigee au«genommen — nur VUttelgut unb gab feine oerläf«ließe Vor
fteUung oon bem Veften feßwebifeßer unb norwegifeßer ftunft, ba« man in Stodßolm
unb ©briftiania gefeßen unb auch im 3ufammenbange mit ber Statur unb Veoölferung
bee i*anbe« beurtßeilen gelernt haben muf«. Dort wirft unb paeft oiele« gan$ anbere,
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Fofepl) s 3ieuiuirth.
362
wie id) es im lebten Sommer mährenb eines mefyvroödjentlidjett Mufenthaltes in
Schweben unb Norwegen an mir felbft mehr als einmal erfahren t)abc. Die wirtlid)
fiihrenben Mteifter biefer i*änber, zu benen man £iljefors mit feinem „(Eiberoögelftrich"
ebenfo wenig zählt wie öen mit feiner „Mngft" wirtlich Mngft einjagenben (Eb. Mtiinch,
waren in 'Wien nid)t oertreten, ^fjaeftab’d 7 veinfül)iic^feit bot ja in feinem „Meif",
„Mach öcm Siegen im Walbe" ober in ber „$ermlänbif<hen ^anbfcbaft" recht Mn
fprecbenbes: gut beobachtete (Einzelheiten „währenb ber 9Jle[fe" brachte ber (%then
burger .Karl Wilhelmfon. WirfungSoolle Eharafteriftif erhielt Ebriftian Sirod) mit
feinem „gefährlichen Fahrmaffer" unb ben mehmutb$ooll anziehenben 3üfl en b**
„tränten Kinbes", in beffen Hanb bie entblätternbe Mofe als Spmbol bes ent
blättern ben MlenfchenbafeinS gelegt ift. (%ofeügigteit unb (Einfachheit geben in ben
Werten beS binnen Mrel Etolen ben Ion an, ber jeboch oon Missgriffen ber
Stilifierung nid)t frei bleibt. 'Wie übermältigenb geftaltet er ben Schmerz ber Mlutter
'Jemmi bainens, inbes bie Martbebaitblung am Sohnesleichnam an bie alten Winter
unb Werfer gemahnt: fraftftroHenbeS ^eben atl)met „Qlmarineu fdnniebet Sampo".
Die oon Stilifierung nod) unberührten Winterlanbfchaften „Fniatra im Schnee"
iinb in ber treuen Wiebergabe ber Matureinbriitfe böcbft loirfungsooll. Das Milbnis
bes Schaufpielers Mittner, an bem man ben ftilifierten Eigarettenraud) gern miffen
möchte, fpriiht lebenswarmes Dafein. Mon ben übrigen Rinnen zeigte fid) mehr als
Ulbert Ebelfelt ber gleichfalls in JpelfingforS fdjaffenbe Metfa Jpalonen mit feinen
„Wegbauern in Earclen" als bead)tensroertcr Mteifter: oiel Mnntutbenbes wufste
Faernefelt bem hübfehen Kinberbilbniffe feines Sohnes zu geben. Durch eine ziemliche
'.Unzahl oon Arbeiten toar Fan loorop oertreten, oon früheren Musftellungen ben
Wienern nicht unbefannt. Das Meue bot für feine ^Beurteilung nidits Meucs,
bbchftens bafs man ab unb zu faft ber Mnfidjt zuneigen tonnte, ber Wunberlichteiten
phantaftifchen Schrullen unb bizarrften Unoerftänblichteiten feien injmifchen nod) mehr
geioorben. (Es ift unftreitig ein Mbrneg moberner Munft, loenn einer ihrer Vertreter
feine Hauptaufgabe barin erblidt, feine Seitgenoffen grunbfäfclid) oor Mätbfel aller
Mrt zu ftellcn, bereit Reifung einer zur Urtbeilsfpredmng berufenen Madnoelt ttod)
meniger gelingen biirfte. So mag Xoorop’s „(harten ber Reiben" unb feine Umgebung
mandiem Musftellungsbefud)er ein (harten ber Reiben geworben fein, ber ihn ebenfo
wenig wie „Fatalismus" ober »Les rodeurs« anloden tonnte. Unb bod) bietet ber
Zeichner loorop ab unb zu, fo in bem Ekcifentopfe ober in ben „Seelen am Mleeres
ftranbe" unb einigen F*auenföpfen Einzelheiten oon unbeftreitlmrer Schönheit, bie
man feiner merfmitrbigen Farbengebung nicht nachritbmen fann: baoon ift felbft
bas Iriptpdjoit ber „brei lödjter" nicht ausgenommen.
Mon ben Muffen intcreffierte wohl am ftärtften ber Miostauer Eonftantin
Morowine mit feinem „Friefe mit Molarlanbfdjaften" unb bem prächtigen Sibirien
Manneau. Hier fdjlutitmern '.Unfälle zu einem aus innigfter Merfenfung in bie Matur
berauSquellenben Mtonumentalftile oon ergreifenber Einfadtheit, bie einen Mnfcblufs
an bie Urzuftänbe ber Mlenfdjbeit 3 u fuchen fdn'int. Wie fällt bagegen Kahnofoffs
Farbeneffecthafcherei „Mach ber Marabe in Miostau" ober Mit. Moebridi’S „Miidfehr
beS C^rohfürfteit Wlabimir aus Eorfum" ab! Feine Stimmung regte fid) in Somoff’s
„weiger Mad)t" unb „Muguftlanbfdjaft", fotoie in ben Sdmeecompofitionen Wilhelm
Murwit’s aus Miga. F u bem herben „Man" Mlichael Wrubers ftedt ebenfo ein
barbarifterenber 3 ug wie in ber ruffifdjen Cntamentif, bereu nod) bozantinifche
Machtlänge oerrathenbe Formen in Merbinbung mit einer wirflid) beraufebenben
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Wiener ftunftleben (£>ccbft 1901).
363
iteüenroeife abenteuerlich pbuntaftifeben Farbengebung einen nationalen ©efebmad im
.ftunftgeroerblicben nacbbrüdlicb unb eigenartig betonen.
Wie in München bilbete ein oiel belächeltet Scbredentftiid ber 9lutftellungt
befuchet Jpobler’t Vilb „T)er s lluterroäblte", nichtt % weniger alt auterroäblt, bie
Spmpatbie für ben SCReifter unb feine Achtung ju roeden. Wir fmb ja ohnehin in
ben lebten fahren fchon baran gewöhnt, unt burch Ungewöhnliches nicht gleich aut
ber Faffung bringen ju laffen. Sie oor Jpoblcr’t Vilb ju behaupten, roar felbft
erflärten Freunben roeitgebenber ^reiheiten ber Wobeme etroat febroer. T)ie §ärte
ber freibigen 5 a ^ben ftimmte ju ben eigenfxnnig fteifen Linien, ioohl bie einige
Harmonie, bie in bem ©anjen roahrjunehmen roar. Et fei hier autbrüdlich conftatiert,
baft bie .tunftfritif angefebener Wiener Xagetblätter, bie ber Secefiion ftett mit
autgefprochenem Wohlwollen gegenüberftanben, bat Wer! ^obler’t ganz unjroeibeutig
abgelehnt unb bie Joobler- 6 chroärmer vor ben ©efabren bet Mnfcbluffet an biefe
Dichtung, oor bem s JkeiSgeben großer unb roertoollev Errungenfcbaften ernftlich
geroarnt h^t. s lln ber ganz abfallenben Wirfung bet möglicherroeiie für einen anberen
Stanbpunft bet Vefcbauert berechneten Gilbet roar aber nicht in erfter iünie bie
roirflich meift mit oiel fünftlerifchem Xacte uorgebenbe Joängecomntiffion ber Seceffion,
fonbern oielmehr ber Wiftgriff bet Vfeiftert, feine über ben Wnfcbluft an bie Watur
fich fouoerän hinroegfe^enbe Eigenroilligfeit fchulb. Ebenfo oerfehlt roie „X)er s 2lut
erwählte" ift ber burd) gräftliche Verzeichnung roirfhd) abftoßenbe „Frühling" Jpobler’t,
beffen auch bem fernftehenben t*aien fofort in bie klugen fpringenben Mängel eine
Vefriebigung an fonft otclleicbt noch erträglichen Einzelheiten um fo weniger auf
tommen laffen, alt auch bie grelle, unnatürlid)e Farbengebung rafcb Juni Erzieht
auf jeben weiteren ©enuft beftimmt. 3 n biefem 3 ufammenbange intereffiert oon ber
ibanb be* <ooblerfd)ülerS Wrniet bat gute Jpoblerbilbnit hoppelt, bat mehr anfprach
alt bie ^oblerroerfe felbft. Unb hoch hu* auch ^obler’t „Wuterroäblter" in Wien fehr
halb einen Käufer gefunben, fo baft ben frobler Verounberern bie Vtöglicbfeit gefiebert
ift, mit bem Muterwählten ftett in Fühlung zu bleiben.
Unter ben nicht zahlreichen Werfen ber Vlaftif bot ber Wüncbener Hermann
)öahn mit feinem auferftanbenen Ehriftut unb ben Viafetten '{tettenfofer’t, Vitmard’t
unb Vloltfe’t ©utet. Arthur Hubert charafteriüerte fehr padenb bie ?ree Earaboffe,
roährenb ber Vole Szomanowtti roeber in „Vtutter unb Minb" noch in ben
„tfarpatiben" befriebigen fonnte.
Trotz manchem intereffanten Werfet roar ber zwölften s llutfteUung ber Secefiion
nicht ber allet in Zithern unb Spannung ertjaltenbe Erfolg befchieben, ber ihre
Vutftellungtunternchmungen ber letzten 3^t faft ausnahmslos begleitete. Um ihn
zu fid>crn, muffen bie Schöpfungen ber autftellenben Wutlänber eine gröbere
fiinftlerifche Übcrzeugungt unb ^Inziehungtfraft haben, alt ben bietmal oereinigten
s Jeiftungen inneiool)nte.
T)er Wetteifer mit ber rührigen Scceffion eriuiee fich roieber alt eine belebenbe
Förberung ber Jo e r b ft a u s ft e 11 u n g i m $1 ü n ft l e r h a u f e, welche burch bie ihr
angeglieberte Defregger 'Jl u t ft e 11 u n g eine überall freubigft begrüßte, hoch
intereffante Erweiterung erfuhr. Et fei fofort mit größter Vefriebigung conftatiert,
baft bie ©enoffenfehaft ber bilbenben Zünftler Wiens es alt eine Ehrenpflicht
betrachtete, einen Überblid über bat ftünftfdjaffen eine* weithin gefeierten öfter*
reidjert zu bieten, ber im ^littlanbe zu Ehren unb zu angeiebener Stellung empor
gediegen, aber aud) im Vaterlanbe uuoergeffen ift. ber ruhmreichen ©efchichte
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3ofepb Aeuroirth-
3ti4
be« le&teren, in ber trefflichen Eharafterifierung ber Xppen eine« für öfterreich«
Jperrfcher in begeifterung«ooller Eingebung fich aufopfernben Aolf«ftamme« oerjroeigen
fich bie ftarfen 2öur*eln feiner ftünftlerfraft, bie oollberechtigten Anspruch barauf hat,
in ihrer Entroicflung näher betrachtet $u roerben.
Da« roeitgehenbe Entgegenfommen, roelche« ber Eebanfe ber Äünftler*
genoffenfehaft bei ben SBeftfcem oon Defreggerroerten fanb, ermöglichte bie Aufbringung
non 1*23 Objecten, fo bafö man roohl behaupten barf, eine fo umfaffenbe Au«*
fteüung, bie immerhin ba« Nichtige au« bem Eefammtroerfe be« Xiroler ÜJteifter«
faft liidenlo« oereinigte, noch nicht gefehen ju haben; ja e« barf roohl fraglich bleiben,
ob e« je roieber gelingen foüte, ba« immerhin etroa« jerftreute Material in einer
Sonberau«ftellung binnen fo furjer &e\t, al« fy\ex &ur Verfügung ftanb, ju fammeln.
'JJton ftanb ba auf Schritt unb Stritt alten SBefannten gegenüber, benen man roährenb
be« lebten 93ierteljahrhunberte« theil« auf Aufteilungen, theil« in öffentlichen Samnt
lungen, ja oielfach auch in üluftrierten Wochen* unb 5Jtonat«fchriften begegnet mar :
barunter manch’ roirflich liebgeroonnener unb mancher mehr gleichgiltig laffenbe,
roeithin befannte Silber neben bisher roenig beachteten Stüden, bie intereffante
Streiflichter auf ba« s löerben be« ÜJteifter« merfen. Eerabe in ben Sitten unb
Stubien, bte ber ^rrühjeit be« Zünftler« angehören unb trofe ber ab unb ju noch
unbestreitbaren Unbeholfenheit fdjon bie au«gefprochene hohe 93*9abung für ba«
(iharafteriftifche, feine Erfaffung unb SBiebergabe ertennen laffen, finben fich überau«
mertooüc Auffchliiffe für Defregger’« Eigenart. Da« SBefte feiner Äunft quillt au«
bem Xiroler SBauernhaufe, feinen 93eroohnem roie feiner Einrichtung, ben traulich
bämm’rigen Räumen mit bem einfachen !&au«rath. 3e fdjlichter unb einfacher ber
Anfchluf« an biefen Stoff, um fo padenber bie ABirlung felbft Heiner Stüde, bie
nicht feiten bie etroa« gefügte SBehanblung größerer Arbeiten in ben Schatten fteüen.
Waturfrifcbe« $Bol!«leben athmen au«nahnt«lo« bie Silber au« bem großen Aufftanbe
ber Xiroler im $ahre 1809, benen ftch ber fraftoolle Sdpnieb oon Kochel mürbig
anreiht* ftriegerifdjer Emft, l*eibenfchaftlicbfeit, &oxn t Siegerftimmung, grinfenbe
Schlauheit, SBaterftolj unb noch fo oiele« Anbere fluten ba ineinanber ju herrlichen
Erinnerung«roerfen ber ruhmreichften Erhebung faifertreuer Unterthanen. Da« fonnte
nur ein Xiroler ftinb, ba« ffon feit ber früheften ^ugenb mit ber ^uft feiner
Heimat auch ben Eeift ihrer glänjenbften Eefdpcht«epoche in oollen 3üften eingefogen
hatte unb burch eigene Eeftaltung«traft fich zur fünftlerifchen '-Behanblung gebrängt
fühlte, in fo leben«mahr feffelnber 3öeife fchübern. 3n Stoff unb DarfteHung«art
pulfiert SBobenftänbigfeit, fühlt man ben Obern Xiroler '-Berge. Defregger’« OTeifterfchaft
im Eefdpcht«bilbe erflärt fich au« feiner innigen Fühlungnahme mit bem Xiroler
s Boll«thume, au« bem er für eine anbere Kategorie feiner 2Bcrfe mit gefchultem
Auge unb gefehlter franb föftliche Situationen h**au«greift; mieberholt auf h^i
geroinnenben Jpurnor geftimmt, lehren un« biefe Eenrebarftellungen ba« ^erftänbni«
be« OJteifter« für ba« menschlich 8ieben«roürbige befonber« fdjäßen. SBorjüglicb
gelungen erfcheinen bie „©ilberer in einer Sennhütte" unb ba« in Üobmepr’fchen SBefm
gelangte „3ur E’funbheit". XBenige Silber hüben be« 9ftaler« Aamen fo befannt
gemacht roie ber oon ber ^Berliner 9tationalgalerie erroorbene „Salontiroler", beffen
Erunbftimmung auch in ben „Sftalem auf ber Alm" ober in ber oon itobroig Urban
in s Iöien erroorbenen „geftörten 'IRittag«raft" nachllingt. Aber nur in jenen Silbern,
roelche bie 9Mer unter ben '-Bauern behanbeln, fchlägt bie oolle Seben«unmittelbarfeit
burch : fte geht Einzelheiten be« „Salontiroler«", an benen ba« Eefuchte be« geteilten
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Wiener Munftlebeu (frei b ft 11)01.)
365
Vilbe« offcnfid^tlic^ ift, unleugbar ab unb roirb auch an anberen ©tücfen oermifet.
2Bieber ein Veroei«, baf« nicht alle«, roa« non ber 2öeHe be« ©rfolge« getragen roirb,
uoHfommen einroanbfrei ju fein braucht! Unb fo brachte bie Defregger-Nu«ftellung
ba« eine ©ute, baf« man ben Vteifter in feinen Vorjügen unb in feinen ©dpoächen,
,ut roeldjen mehr al« einmal auch bie $arbe regnet, oerftehen unb bie einen an ben
anberen oielleicht noch ^ö^er fteüen lernte. ©eit ber Nembranbt=Nu«fteHung in
Nmfterbam unb ber ©rana<h s Nu«ftellung in Dre«ben habe ich tone anbere ©onber-
au«ftellung ber VJerfe eine« Vkler« gefehen, bie mich fo feffelte unb belehrte roie
bie Defregger*Nu«ftellung im Münftlerhaufe.
3hr gefeilte ftd) eine recht fchöne unb Nbroech«lung bietenbe Nu«ftellung
beimifcher Münftler bei; für bie ©ruppierung ber Vkrfe ©injelner, auf melcbe ein
geroiffer Nachbruct gelegt roerben follte, roählte man bie fcbon früher unb anbet-
märte» fo oft burcbgefübrte ©djeibung ber SJleifter im Nahmen be« ©anjen, melcbe
eine mehr gefcbloffene Vorführung ber ©djöpfungen be« ©inselnen ermöglicht unb
feine Miinftlerperfönlichtot roirffamer heroortreten läf«t. 9Jht folgen, theilroeife recht
umfangreichen ©ollectionen Ratten ftch £mgo Darnaut, Öubroig Mod), Marl Vippichr
Johann Nep. ©eller unb 3ehubo ©pftein eingefunben. $aft bei allen hätte eine
Vefcbränfung ber Vilberjahl bie ÜJtöglichfeit eine« größeren, ba« Vkfen tiefer erfaffenben
©enuffe« gefchaffen, märe ba« Weniger ber Darbietungen ein Vkhr be« Verftänbniffe«
geroorben, ba« hoch nicht in erfter Sinie 3toj$ unb eine geroiffe bemegliche Viel*
fettigfeit, fonbem oor allem auf ©runb be« mirflich ©harafteriftifchen bie felbftänbige
Nrt einjelner Münftler fennen lernen foll. Vtenn Darnaut mit 83 Arbeiten auf ben
IMan tritt, hat er geroif« in jeber etroa« Nnfprechenbe« au fugen; aber nicht alle«,
roa« er fagt, bringt un« auch Neue« über ben Münftler, ben man fchon au« einem
Viertel ber obigen 3ahl oollauf fchä&en unb lieben fann. 3Ba« miffen un« jum
Veifpiel fein „Vaumftrunf", „VSalbfriebe", „VJilber Mümmel", „©onniger Nach¬
mittag", „Nm $ekh", „T^rtebhof in Muttenberg", feine „Virfen am Vache" unb
„Vtafferrofen", „Virfenallee" unb ber prächtige „©<hlof«grabcn", bie feine ©tubie
ber „©tubenthorbrüefe" au fagen! ©« reicht für eine Darnaut ©harafteriftif mit
bem 3ufat*e au«, baf« ber Münftler, ber in unmittelbarer Fühlung mit ben UBorp«-
mebern fich roeiterAubilben fuchte, eine Ungleichung ber öfterreichifchen Sanbfchaft«-
malerei an biefe norbbeutfehe ©ruppe mit ihrer Ntaffenglieberung, mit ihren in
breiten, fräftigen ©trichen herau«gearbeiteten Sicht- unb ftarbengegenfäfcen anftrebt,
in benen oft teijooüe, gerabe oon ben öfterreichifchen Sanbfdjaftern ftet« gefchmacfooü
herau«geholte Detail« untergehen. Darnaut bleibt auch barin er felbft unb gibt fogar
bort, roo er etrca« roorp«mebert, feine un« lieb geroorbene ^Irt nicht prei«. hie
Wiener ©tabt unb an anbere Orte unfere« meiteren Vaterlanbe« führen un« manche
ber 59 Arbeiten Marl ber mit i<harfem Vlicfe charafteriftifche Vebuten
herau«finbet unb in ihnen — abgefehen oon ber feinen fünftlerifchen Vehanblung —
ein für fpätere 3*iten hoppelt roertoolle« Ntaterial auffpeichert; ba«felbe roirb erft
recht A«r ©eltung fommen, roenn bie ©egenroart noch griinblicher mit bem auf¬
geräumt hüben roirb, roa« VippW^ Vinfel intereffiert. NI« oortrefflicher ©chilberer
be« Wiener Volf«leben« erroei«t fich ber mit 56 äöerfen oertretene $oh. Nep. ©eller;
ihm fommt e« roeniger auf ba« $>erau«arbeiten ber Dppen al« auf bie malerifche
VMrfung be« ©efammtbilbe« an, ba« er felbft bei bem ab unb ju unoerfennbar
berben 3 u greifen nicht ohne Nnmuth behanbelt. ©ine SNenge prächtiger Sanbfchaft«-
motioe unferer freimat finbet in ihm einen liebeoollen unb berebten Interpreten
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366
3ofepb [Reutoirtb.
ber überall eoloriftifeber (^efc^Ioffcn^ett mit ©efe^ief unb (Erfolg juftrebt. Die (Sollectio
auSftellung non Subroig $ocb mit 77 dummem interefperte befonberS bie militärifeben
Greife unb erfreute ficb auch toegen ber ©ilbniffe ber ©rj^erjoge Rainer, 3rran$
^rerbinanb, Otto, Jerbinanb &arl, $ran$ ©aloator unb fceinridj fterbinanb eingebenber
Beachtung non ©eiten ©r. ÜRajeftät beS ft'aiferß unb beS £>ofeS. ©efonberen ©eifall fanben
„DaS 5. Dragoner^Reghnent [RifolauS I., $aifer non [RufSlanb, unter Oberft ©raf
5luerSperg in ber ©cblacbt bei Seippg" (im ©ep$e beS [Regimentes felbft) unb baS
[Reiterbilbniß beS ©rinjen 5llbrecbt ju ©Naumburg Sippe. 5lber manches ftreifte
immerhin fnapp an bem ©egriffe ber ©cbablonenroare norbei. Über ifjn erhob pcb
roefentlicb ber unter fiiblänbifcber ©onne in feiner ftünftlerfcbaft ungpmein oor*
gefdjrittene ^e^ubo ©ppetn, für beffen 65 Arbeiten ber befebränfte [Raum feine
giinftige 5luSftellungSgelegenbeit bot. Durch baß drängen ber Söerfe aneinanber
rourbe bie [Ruhe ber ©etradjtung ftarf beeinträchtigt, bie man gerabe angepcbtS ber
Darbietungen eines jungen, erft $ur oollen ©ntmitflung anfefcenben ÄünftlerS hoppelt
gern feftbält, befonberS roenn pd) in ihnen fo offenfunbig ein febr beachten#* unb
förberungSmerteS Talent regt, mie bieS bi« ber $aU mar. ©pftein oerfügt über eine
ganj eminente gfarbenbegabung, bie felbft ©ilbniffe faft nur bureb bie ftarbroerte $u
<barafterifteren nerftebt, aber in ftrengerer ©elbftjucbt pcb noch läutern mufS, um
auch fünftlerifcb nomebme STOirfung $u erreichen; beute ftöpt noch manches bureb eine
faft entfeplicbe [Roheit ab, bie ficb geroifS milbem roirb, ohne in [übliche ©eledtbeit
*u nerfallen. Danor roirb ©pftein fein guter ©efdpnad beroabren, ben bie feine
5luSroabI fo manchen ORotioeS befunbet unb bie garbenfreube beS ©übenS auf erfolg
reiche 2öege geleitet ^at. ©pftein tft, roie einige Hummern befonberS erfennen laffen,
zugleich ein correcter 3eidjner unb erfreut ficb bamit eines ©orjugeS, beffen pcb nicht
all’ feine ^unftgenoffen rühmen fönnen, fo febr pe eS eigentlich foüten. 5lber auch
hier tbut noch ©eroollfommnung notb, um fpäter in ber ©ereinigung guter 3«<bnunp
unb Farbengebung ju bebeutenben ©cböpfungen emporjufteigen. 51 iS oerbeipungSooÜeß
©orftabium baju burfte man bie in ben auSgefteUten Arbeiten pcbtlicb geroaebfene
SeiftungSfäbigfeit ©pftein’S nur mit Freuben begrüben.
fRäcbft biefen ©onbercollectionen, roelcbe bie frerbftauSftellung beS Äünftler
baufeS über manche ihrer unmittelbaren ©orgängerinnen hoben, feffelte noch mandjeß
5®erf anberer, in biefen [Räumen fd)on roieberbolt nertretenen Zünftler. 3 n noch
frifebem ©ebenfen ift bie macbtooUe Seiftung non ©ggerSienj, beffen „Iperbftfonne"
foroobl in ber reijenben 5lnorbnung, als auch in ber 5Beicbbeit ber reichen färben
eines ber beften ©ilber ber ganjen 5luSftellung roar. geine ©timmung beberrfebt
nicht minber baS ©krf „3m ftloftergarten". ÜRit einer roirtticb an Seibl gemabnenben
5®abrbaftigfeit bringt 51. §. ©ebram ein 3ögerbilbniS, baS mehr befriebigt als „baS
©olfSbab in [Rimini" in feiner gefuchten F ar &enfpielerei. ©laftifd) geftaltenbe Straft
fpracb aus einem niel beachteten ©orträt non ©aul 3°onoroitS, bie febon fo niele
Jreunbe jäblenbe SiebenSroürbigfeit ber ©aturfdplberung ©cbaeffer’S auS jroei ©enjinger
5Rotioen. 3m ©ilbniffe entroidelte §anS Remple bie bereits früher an ihm mehrmals
beobachtete Fettheit freier, mit breitem ©infelftricbe arbeitenber ©ebanblung, beren
Knappheit baS nolle ©rfaffen ber ©erfönlicbfeit nicht nerfagt ift. Daoib ftobn hält
in jroei prächtigen [Rotbftiftjeicbnungen bie 3«ge beS UnterricbtSminifterS Dr. äöilb.
[R. n. Partei unb beS funftpnnigen ©rafen §)anS 2öilcjef feft. 5ln Domec unb bem
©rager 5lnton £>ubeöef bemerft man !aum roefentliehe fReubeiten ber 5luffaffung
unb ©ebanblung. ©leicbfaUS mehr in ben ©eleifen beS an ihnen febon roieberbolt
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SBiener ftunftleben (§erbft 1901).
367
beobachteten bemegen ftch Julius oon BlaaS, fttibarj, SÜtfcheiner, 3^*4^ Joamja,
BSichera u. a. ÄopaüifS „Äirche Blaria am Geftabe", Boroat’S „ftlofterruine", bte
Bilber oon 3°f- $in§el, bie flanbrifchen ÜJtotipe 3fcanl’S, befonberS „Brügge",
Giefel’S ^«Sc^ncpfenjagb^ fanben oiel Beifall, ber auch einem SJlarmorporträt non
3umbufch unb bem ftimmungSoollen Btormorrelief „Gcho" non Xheobor Gharlemont
nicht oorentbalten mürbe, ©onft bot bieblaftif nichts befonberS GrmähnenSmerteS. 3ftn
allgemeinen erregte bie nahezu auSfchlie&Uch SBerfe ber Cfterreicher umfaffenbe frerbft
auSftellung beS MnftlerhaufeS ein ftärfereS ^ntereffe als jene ber Seceffion mit ben
eyotifchen tfederbiffen, bei beren Blehrjahl bie AnjiehungSfraft nicht in ber Gröfje
ber Äunftleiftung, fonbem mehr in ber Seltenheit ihres GrfcheinenS auf bem Söiener
Boben lag.
5öah ren b ber^erbftmonate lentten AuSfteUungSoorbereitungen bie Aufmerff amfeit
beS tunftfreunblichen *ßublicumS auf ben SBiener Münftlerbunb „fragen", ber gleich
ber Seceffion fleh non ber ihn ebebem umfchliefcenben ßünftlergenoffenfchaft loSfagte
unb als felbftänbige bereinigung neben beiben ftch entfalten miß. ^n bie Beriobe
biefer berichterftattung fielen bie AbaptierungSarbeiten in ber ftäbtifchen Btorfthafle
in ber 3*bUfegaffe, bie jum drittel pachtroeife bem fragenbunb für feine AuSfteUungen
iiberlaffen mürbe. $)aS btogramm berfeiben umfafSt für bie GröffnungSauSfteUungen
auSfchliefelich bkrfe öfterreic^ifeher Zünftler, beren erfte Abteilung Söerfe bilbmä&igev
BMrfung unb grofje $lafti! bringen foll, roährenb ber jmeiten Söerfe gräphifchen
unb iüuftratinen GharafterS, Ardjiteftur, ftunftgemerbe unb ßleinplaftü jugeroiefen
mürben. AIS eigentliche 3rrühiah r &iuSftelIung ift „£)ie ftunft im lieben beS ftinbeS"
in AuSftcht genommen, ber namentlich feit bem $reSbener ftunfterjiehungStage eine
geroiffe Actualität nicht abgefprochen merben fann. AIfo eine anerfennenSroerte Ab
roechSlung neuer Anregungen, oon ber mir im 3ufammenfchlie6en mit ben oon
anberen ©eiten auSgehenben eine erfreuliche Befruchtung unfereS ÄunftlebenS erroarten
mollen! Bielleicht bringt unS ber SBetteifer ber Getrennten rafdjer einen neuen Auf
fdpoung als baS ruhige 9tebeneinanberfchaffen ber ehebem Bereinten, bem bis ju einem
geroiffen Grabe eine Stagnation nicht abgefprochen merben fonnte.
'Sie [Räume beS l f. öfterreichif4en BtufeumS für ftunft unb
^nbuftrie öffneten fich junächft einer intereffanten AuSfte11ung oon Arbeiten
ber Ceprfräfte funftgemerblicher tfehran ft alten. GS mar ein überaus
glüctücher unb fofort mit böchft erfreulichem Grfolge in bie Xh at umgefefcter Gebanle
ber UnterrichtSoerroaltung, ben fiehrern an funftgemerblicheu Schulen bie neuen
s JJtethoben im 3eich«en unb Btobeüieren burch befonbere ^eriencurfe, für beren
Abhaltung $öien, Btag unb Sa 1$ bürg gemählt mürben, ju erfchlie&en unb
oertrauter ju machen. Unter ber Seitung ber Btofefforen Straffer, Voller, AmbruS,
Breitner, [Roroaf, ftefjler, Hammel unb ÜReU mürbe oon ben Xheilnehmem biefer
(Surfe, beren 3<*hl faft 70 erreichte, im allgemeinen oiel Gutes geleiftet. Aidjt nur
baS 3^lc^nen r üRalen unb Btobellieren nach Baturformen, fonbem auch baS Stilifteren
oon Bftanjen^ unb ^hircformen mit Beziehung auf bie $)ecoration oerfchiebenartiger
GebrauchSgegenftänbe foroie Anfertigung perfpectioifcher Aquarellfftjjen für 3>ar
ftellung funftgemerblicher Objecte bilbeten baS Programm biefer Gurfe, roelcheS mit
[Recht auch auf bie Unterroeifung in ber Bh°l°9 ra Phie unb im Gebrauche beS
SfioptifonS Bebaut nahm. 3)ie auSgeftellten Arbeiten bezeugten eine jielbemufSte,
unftreitig fehr anregenbe ifchrmethobe, bie burch bie nur höchft münfchenSroerte 3rort=
fe&ung ber fo glücflich begonnenen Gurfe gemifS fchon in abfehbarer 3^il baS bei
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368
Fofeph Dteumirtb-
uns erfreulicbft auSgeftaltete Facbfcbulwefen nur noch mehr heben wirb. ÜJtan barr
cs mit grofecr (Denugthuung oerjeiebnen, bafS unfer tunftgeroerblicber Unterricht
auf ber frühe ber 3^it ftch bewegt, ihre Anforberungen oerftebt unb überall bie fad)
gemä&e Verwirflicbung berfelben feft ins Auge fafst; bie tfeiftungen ber Feriencurje
ftnb ein neuer VemeiS biefer X^atfacbe.
ViS (Enbe December beherbergte ber Saal VII beS öfterreiebifc^en ÜJtufeum*
eine neue Abteilung ber Xertilfammlung, bie namentlich mittelalterliche
(Dewebe, Stidereien unb Vofamenterien — barunter prächtige (Dolbbrocate beS 13.
unb 14., fowie tireblicbe Stidereien bes 15. Fahrb^nberts — umfaßte.
'Jim 23. Wooember erfolgte in Gegenwart beS UnterricbtSminifterS Dr. o. frartcl
unb eines zahlreichen biftinguierten Vublicums bie Eröffnung ber Weihnachts
auSftellung beS öfterreichifchen 'JJtufeumS, bie roieber einen fehr
befriebigenben Überblict über heroorragenbe tfeiftungen unferes StunftgemerbeS per
mittelte. Ab unb ju tourbe mobl ein oon anberen Veranstaltungen in giinftiger
(Erinnerung gebliebener AuSftellungStbeilnebmer permifSt; aber baS (Danze mar trotz
bem reich unb wirfte iibermiegenb pornehm. Dafs auch bie „bütorifeben Stile" babei
zum VJorte fornmen burften unb in bem pon F* C. Scbmibt thatfäcblicb ganz portrefflicb
auSgeftalteten grofeen Varodprunffaale fogar recht anfpruchSpoll auftraten, hat meber
ber Ausstellung noch bem publicum offenfunbig gefchabet, fo wenig es auch ben
Anfcbauungen ber Viobemften entfprechen mochte. Aber bie letzteren finb ja immerhin
noch nicht allein tnafegebenb unb werben gemifs noch eine 3eitlang ein folches 3urüd
greifen auf bas nadj ihrer Anficbt Überwunbene über fid) ergehen laffen müffen.
Die auSgeftellten FnterieurS, auf beren gefcbmadooUe (Einorbnung in bas Aus*
ftellungSganje baS öfterreiebifebe Vtufeum trabitionell hohen JBert legt, waren burdv
wegS anjichenb, theilweife böcbft ftimmungSooll, behaglich unb anheimelnb; bie
befannteften firmen, wie Sigrn. Farap, VortoiS unb Fi?, 3ul. unb 3of. frerrmann,
VoSpifcbil, haben (Debanfen pon Varon Straus, frolzinger, Vrutfdjer ihren Aus
führungen jugrunbe gelegt. (Einer neuen Formenfpracbe ftrebten bie Vugboljmöbel
pon 3- unb 3- &o&n z u - Auf bie Vtöbelanfertigung übten (Entwürfe auS bem
Atelier beS VlufeumS ( s ^3rofeffov Hammel) einen fehr günstigen (EinflufS aus; berfelbe
Qnbuftriezweig hat auch Vrofeffor Fofeph froffntann fruchtbare Anregungen ju banfen,
welche mit englifcher AuSbrudsweife fehr gliidlich einen Wiener (Drunbton ju perbinben
wiffen. Vorzügliches boten Textil unb (DlaSinbuftrie. (Dinzfep arbeitet nach (Entwürfen
oon franS (Ehriftianfen, fraas nach folchen pon Ctto (Edmann. Olbrich mäfeigt ftch in
ber Farbengebung gro&gezeicbneter Teppiche, prächtige Harmonie pon Cinie unb
Farbe erzielen Vorhang* unb Vtöbelftoffe nach Vtofer, Venirfchfe u. a. ßobmepr
war wie immer mit (Eigenartigem pon hoher Vollenbung pertreten, bie in ber zarteften
Feinheit ber (Drapierungen iiberrafchte. Originelle unb gefchntadpolle Formen nach
(Entwürfen Stolo Vtofer’s unb feiner Schule feffelten bei ben pon VafalowitS aus«
geteilten Objecten. ÜJtit Tiffanp*(Erjeugniffen wetteifert Dritter pon Spaun, in manchem
bereits fernem amerifanifeben Vorbilbe überlegen unb bie wunberfamften Farben*
mirfungen pon pifanteftem Dfaize erzielenb. ber Vorzellanabtbeilung erregte nächst
(Ernft Vktblife, beffen in Scharffeuer (Emailtechni! becorierte Vafen wie ebelfteinbefefct
ftch auSnahmen unb bie prächtigen (Eofinftüde faft in Schatten ftellten, befonbeve
Aufmerffamteit bie Wiener Firma Fofepb Wd mit einem flott becorierten, pon
Vrofeffor Hammel entworfenen Tafelferoice unb mit bem burch praftifebe Form auf
fallenben Siaffeeferoice ber 9flofer Schülerin 3utta Sida. (Depling’s (Erben gaben in
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Wiener ftunftleben (§erbft 1901).
369
bcn (Glasmalereien einzelner Interieurs fe^r fc^öne groben unoerminberter SeiftungS*
fähigfeit. £)ie ftunft=Erjgiefeerei Slrupp liefe in oortreffli^en Bronzen, Bafen, ©tatuetten,
BeleuchtungSförpern u. bgl. ihr ©treben nach inniger 3$htong ih*** Seiftungen
mit ber ftunftberoegung ber (Gegenroart recht glüdlich jur (Geltung fommen. §ugo
Munf, foroie Xtytj&c unb foarbtmuth banfte man bie (Gelegenheit jur Beurteilung,
mit roelch’ feinem (Gefchmad unb mit roelch’ fünftlerifcher Bollenbung bie öfterreici^ifc^e
BctpterauSftattung heute arbeitet. Unter ben Quroelierarbeiten, bie immer noch aus*
gefprochene 2lbhängigfeit oon franjöfifchen Einflüffen oerrathen, oerbienten einzelne
©tüde ber Auslagen ^auptmann, §offftätter, 9tojet unb jfifchmeifter nähere Betrachtung;
namentlich bie lefcteren laffen fich auch bie Böeiterentroidlung ber mobernen Xechnif
überaus angelegen fein. (Georg ft'limt, ein Bruber beS ÜWalerö, unb MfolauS ©tabler
beherrfchen meifterhaft bie Xreib= unb Otelieffunft ber Metallbearbeitung, felbft ber
Materialabtönung jarte 2öirfungen abgercinnenb. ©o oerbiente roohl noch manches
Ermahnung, roenn nicht bie SRaumberüdftchtigung gröfeere Befchränfung geböte. X)er
(Gefammteinbrud ber 9luSfteUung burfte mit stecht befriebigen; fte geigte in Bielem
erfreuliche Jfortfchritte.
Xurch baS Entgegcnfommen beS öfterreichifchen MufeumS, baS fchon mancher
BrooinjialauSftellung roerfthätig $ur ©eite geftanben, mürbe eine BuSftellung für
ntobemeS ftunftgeroerbe in ©aljbnrg mefentlich geförbert, roelche ber Belebung beS
bortigen ÄunftgerocrbeS juftatten fommen follte; auf biefe SBeife beroahrt baS Wiener
^nftitut gebeihlühe Fühlung mit ben Bestrebungen ber Brooinjen.
Xie Jubiläum3 = Möbelauöftellung bot ben SBMener firmen gleichfalls
(Gelegenheit, mit gcfchmacfooüen Erjeugniffen, bie theilroeife ganj mobernen 2ln*
fchauungen h«lbigten, oor bie Öffentlichfeit ju treten. 2öie fehr manches ben Befuchern
jufagte, beroieS ber gerabe in biefer BuSfteUung erhielte namhafte Berfauf. Xiefe
Xhatfache fteht in ganj offenfunbiger Böechfelbejiehung mit bern Einleben moberner
formen im BHeiter ftunftgeroerbe, baS fo recht in ber BßeihnachtSauSftellung
beS äöiener ftunftgeroerbeoereineS jutage trat. $n berfelben reichten bie
alten ©tile burch eine (Gruppe oon ÜbergangSroerfen bereits ber mit juoerftchtlifhem
Bkigemutbe auftretenben Mobeme, bie überall ihre X)afeinSberechtigung erroeifen
roill, bie §anb. Gteben ben prächtigen Erseugniffen ber frofjuroeliere B. Maper’S
©ohne, ber £>of=MetaUroarenfabrif Mori$ Jpader, ber §of*Bron$eroarenfabrifanteu
X^iebiinSfi unb Jpanufd), beS ©ilberroarenfabrifanten May ©chroarj, beS Bor§eUan*
roarenhaufeS Ernft 2öahlife rcaren BafaloroitS mit reijenben (Glasarbeiten nach Mofer’S
Entroürfen, bie feramifchen Bterfe „Bmphora" (Gtiefener, ©teUmacher unb Äeffel) in
Xum*Xeplifc mit Jfaqencen in mobernen ©charffeuerbecoren unb ber £>of*ipafner
Bemharb Embt mit einem Ofen im ©tile Subroig XIV., ber einem im ©tifte $loftev
neuburg ähnlich ift, fehr gut oertreten. daneben forberte in ber ©onbergruppe
„Wiener Äunft im £>aufe" bie Qugenb gleiche Beachtung. Mehrere ©chüler unb
©chülerinnen ber Brofefforen ^offmann unb Mofer höben h^ r btei gemeinfchaftlid)
gearbeitete Interieurs jur BuSftellung gebracht unb laffen in benfelben eine erfreuliche
Bbflärung beS 3rormenftnneS, Bereinigung oon (Gelegenheit unb Einfachheit mit
Eleganj unb Bomehmheit erfennen. JpanS Boümar, ftarl ©umetSberger, Sßilhelnt
©chmibt unb Mefener fanben in ben Xamen Eifa Unger, Xretyan, ©ida unb
Baroneffe 5falfe gleichftrebenbe Beninerinnen; ihre (Gefammtleiftung erhielte bereits
einen recht befriebigenben Einbrud. Buch bie 2öeibttö<htSauSftellung
bosnifch h^^JCfloroinif<hen §auS* unb ftunftgeroerbebureauS lodte
$if Shiltur. III. 3af>rß. 5. Jpfft. (1908.) 24
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370
3ofeph Gteumirth-
mit einer reichen Anzahl tünftlerifc^ auSgeführter Neuheiten in (Gebrauchs* unb
SuyuSgegenftänben, unter benen getriebene unb grauierte 9JtetaUarbeiten, reich in
©über unb ®olb taufchierte unb incruftierte Stahl*, Bronze* unb &oljgegenftänbc
foroie ©ticfereien unb Xeppidje heruorragten. $n ber BBeihnachtSzeit traten ber
Albrecht*Dürer*Berein, bie Bereinigung öfterreichifcher bübenber
Zünftler unb Äünftlerinnen, melche eine Collection pon $franz Alt als nach-
trägliche ©hnutg anläßlich beS 80. (Geburtstages brachte, unb ber erft ein ^ahr
beftehenbe SBiener $ünftlerbunb mit recht gut befugten Ausfüllungen por bas
publicum; befonbere 3^gftücfe gab eS in feiner berfelben.
Die Söiener ÄunftfalonS ftrebten gleichzeitig bamach, anjiehenbe Ab*
roechSlung zu bieten, bie freilich nicht immer erreicht mürbe. Bei Btiethfe ftedte
3rau Clementine p. Sßagner eine Anzahl non gut gemalten Bilbniffen auS, benen
aber zumeift baS ©inbringen in bie Seele beS Dargeftellten abgeht, obzmar eS nicht
an feinen Cinzelzügen fehlt. Die ©onberauSfteüung ber tfchedjifchen Btaler 3flaj:
«ewabinSfh unb Anton ©lapißef — gleichfalls bei OJtiethfe — bot nach bem, mas
man h^ cror ^ bereits pon beiben fannte, eigentlich nicht piel GteueS für bie
Charafterifterung ihrer Arbeitsgebiete; immerhin intereffierte &pabinSfi) nicht blofc
burch bie Berfönlichfeiten feiner BorträtS (Sieger, bie dichter 9>ar. Brchlkfh, 3>ul.
Qeper, ©matopluf Cech, &ugo ©aluS, ^3rofeffor (Goll), fonbem auch burch bie ebenfo
lebenbige raie intime DarfteUungSmeife. ^Die öfterreichifchen ©taatSerroerbungen auf
ber Barifer SöeltauSftellung maren im ©alon iöfo ber Berichtigung zugänglich-
Unter ihnen maren nahezu 30 japanische (Gemälbe, gegen ©chiilerarbeiten beS
technologifchen QnftituteS eingetaufcht, befonberer Beachtung roert, ba fie bereits einen
BkmblungSprocefS in ber japanischen Oflalerei erfennen laffen. Die SHeprobuctionen
non 40 Bauzeichnungen SRenouarb’S mürben pom BanbelSminifter ber fcofbibliothef,
bie franzöfifchen Blufate unb SJtenufarten bem öfterreichifchen SJtufeum für $unft
unb 3>nbuftrie zugeroiefen. Die zahlreichen Anläufe ber lefcteren, fran*öfifche, englifche
unb ffanbinaoifche Cbjecte, fönnen als befriebigenb bezeichnet roerben, obzmar pereinzelt
auch rounberltche ©tiiefe bazmifchenlaufen. Die faft 7000 erreichenbe Befucherzahl
fpricht am flarften für baS biefer AuSfteUung entgegengebrachte ^ntereffe.
©alon BtSfo, ber barauf eine (Gruppe ber Münchener ©eceffion porführte, pereinigte
ber SBiener 9JtaIer öubmig BanS fjifcher 58 SBerfe feiner ipanb, huuptfächlich Btotipe
auS 2Bien, Dalmatien, (Griechenland Italien, Agppten unb ^nbien; baS Cberft
fämmereramt im Aufträge beS $aiferS unb baS UnterrichtSminifterium fanben ftch
auch unter ben zahlreichen Käufern biefer AuSftellungSobjecte. Bei §irf<hler, Gteu
mann ober im ©alon Benezia gab eS nichts befonberS CrmähnenSmerteS.
3mei Aufteilungen hiengen mit Jubiläen zufammen. Anläßlich beS 50. (Grün*
bungSgebenftageS ber © ch o 11 e n f e I b e r 9t e a I f ch u l e, ber am 9. Gtopember feftlich
begangen mürbe, peranftaltete man eine fünftlergefchichtlicb intereffante 3 u b i l ä u m S*
AuSfteUung uon Sattlerarbeiten, unter melchen Tilgner, Benf, BBepr, Berat,
Schmuser unb anbere befannte tarnen mit hübfehen ©tücfen pertreten maren. Bon
größerer Bebeutung mar bie AuSfteUung, rcelche am 4. 91opember bei ber
freier beS 40jährigen BeftanbeS ber photographifchen (Gefellfchaft
in ben Räumen ber !. f. graphischen Sehr- unb BerfuchSanftalt eröffnet mürbe.
Sie mollte ben fo augenfälligen (Gegenfafc ber unbeholfenen Anfänge ber Bh°f°graphie
unb ber fo überaus ho^henben Stiftungen ber (Gegenroart roeiteren Greifen zum
BemufStfein bringen, (Gerabe auf bie Bflege biefeS $unftzroeigeS barf Öfterreich
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SBtener ftunftleben ($>erbft 1901.)
371
BefonberS ftolj fein. $ie eben ermähnte grapbifcbe Sehr- unb SOerfucbSanftalt unb ihr
zielberoufSter Öeitcr Lofratb $r. Eber, zugleich ^räfibent ber pbotograpbifcben ©efeüfcbaft,
erfreuen ficb in ganz Europa beS gröfetcn, rooblperbienten 91nfebenS unb behaupten
in gragen ber perpielfältigenben ftunft eine fübrenbe Stellung. 3)arum ftanb bie
gubiläumS=9luSfteHung ber pbotograpbifcben ©efeüfcbaft bei biefen beiben in $u-
ftänbigfter Patronanz. Unter ben faft bie 3abl *>on 700 erreicbenben ^luöftellung^-
nummern, an melden man bie aümäblicbe Entroicflung ber Photographie oortrefflicb
ftubieren fonnte, erregten auch bie Eoüectionen einzelner Amateure befonbere 9Iuf;
merffamfeit, fo j. 53. jene beS SanbeSratbeS $)r. ftofterfifc, beS $)r. guliuS Lofmann,
IBbüipP^ 9t. n. Scböüer. 2)eS Erfreulichen unb Sebrreicben, beS ju fünftlerifcben
^Inforberungen unb Seiftungen gortfcbreitenben gab eS ba gar manches ju feben.
53ei ben 5luSftellungen ftanben, foroeit eS fich nicht um hmftgeroerblicbe Objecte
banbeite, bie 5Berfe ber Malerei in erfter 9teibe; bie Plaftif mar im allgemeinen
fcbroacb pertreten. $)ocb ift auch abgefeben non ben 51uSfteüungSobjecten für fte
manch' 53eacbtenSroerteS zn perzeicbnen. 53or bem Pariamen tSgebäube mürben bie
9toffebänbiger pon g. Say aufgefteüt, recht lebenbig in ber 53eroegung. 51uf bie
©rabbenfmalSplaftif mürbe bie allgemeine 51ufmerffamfeit in erhöhtem ©rabe bin
gelenft burcb bie 5luSfteüung beS non LaffelrieS auSgefübrten 3)enfmaIeS in ber
9totunbe, baS als Sdjmucf für baS ©rab Leinc’S auf bem griebbofe pon Montmartre
in Paris beftimmt mar. 2>em dichter föarl Maria Leibt mürbe auf bem ^eiligen
ftäbter griebbofe nach bem Entrourfe beS 5lrcbiteften gabtani ein $)enfmal errichtet,
beffen plaftifcben Scbmucf 51lpbonS Eanciani gearbeitet bat; bie an ben ObeliSfen
gelehnte roeiblicbe ©eftalt, roie in Erinnerung oerfunfen, ift fein empfunben, baS
9teliefbilbniS beS 53erftorbenen roobl gelungen, gaft gleichzeitig, am 24. October,
mürbe auf bem Eentralfriebbofe baS oon gobann 53enfS Meifterhanb ftammenbe
©rabtnal für gobann Strauß entbüüt, baS in Saafer Marmor jur ftattlichen Löhe
pon 4 Meter anfteigt unb in ber 9teibe ber Ehrengräber eine beadjtenSmerte Stellung
behaupten rntrb; bie ©eftalt beS $)onauroeibcbenS unb bie prächtige fönbergruppe im
^Baljertempo, ein an fich etroaS frembartiger ©rabfcbmucf, finben burch bie Perfönlicbleit
beS ju 53ereroigenben, beffen 53ilbniSmebaillon auS ber gelSmanb berauSgearbeitet ift,
ihre Erflärung. gür baS 51njengruber^enfmal bat ber 53ilbbauer LanS Scherpe baS
LilfSmobeü bereite pollenbet, baS ju ben giißen beS überlebensgroßen Richters ben
pon ber Arbeit auSrubenben Steinflopfer*LanS zeigt, gm Eottageparfe in Liefcing
mürbe Anfangs October baS lienfmal beS greiberrn 5lleyanber p. Lügel enthüllt,
meines ber Lie&inger herein ber ©ärtner unb ©artenfreunbe bem berühmten SBiener
görberer ber ©artenbautunft roibmetc. Mit ber gleichfalls aus Saafer Marmor
hergefteHten überlebensgroßen 53üfte hat gobanneS 53enf, ber ben geiftreichen Männer*
fopf trefflich cbarafterifierte, ein 5Bien roirflich zn^ 3icrbe gereichenbeS 2öerf pollenbet.
gür bie EbriftuSfirche ber großbritanifcben 53otfchaft in 2öien führte ber £>eHmer
Schüler 51nton 9t. §anaf na^ einem 53ilbniffe pon 51ngeli ein lebensgroßes Dtelief
bruftbilb ber Königin Victoria in Earraramarmor aus. Eine lebhafte 5)iScuffion
regte bie Umfehrung beS 53eetbopen=MonumenteS an, bie burch bie 91uSgeftaltung
ber Sothringerftraße bebingt erfcheint, ba eS immerhin etroaS für ftch bat, ein
$)entmal lieber ©artenanlagen als einer Läuferreihe zuzuroenben. Natürlich mufSte
bem entfprecbenb auch ber ganze Socfelfcbmucf mit feinen gnf^riften biefe 5ßenbung
mitmachen. ^)ie EJefammtroirfung ber neuen Slnorbnung roirb fich jebocb erft beur-
theilen laffen, bis bie neue Einlage tbatfächlich ein Nahmen ber DenfmalSauffteUung
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372
3ofepb 9Jeuroirtb.
geroorben ift. 3m erften Stabium befinben ftcb bie Vorbereitungen für bie in allen
VeoölferungSfreifen aufs fpmpatbifcbefte begrüßte ©rriebtung eines $laiferin-©lifabetb
DenfmalS in s Iöien, für beffen 9Iufftellung eine oom „9teuen Wiener $agblatt" ein
geleitete Umfrage bei oerfebiebenen boebftebenben unb funftintereffierten ^ßerfönlic^feiten
bie 3öa^l beS VolfSgartenS als am meiften entfprecbenb bejeiebnen burfte. $od)
roirb roobl noch einige 3eit pergeben, ehe bie ©ntfdjeibung über bie Vlctfcftage für
bied 5)enfmal roirflicb auf ber $ageSorbnung ftebt. 3n ber Unioerfität mürben bic
'Senfmäler für Sotbeißen, Veßpal unb Doppler enthüllt. $)as marmorne ^Relief-
bilbniS Sotbeißen’S arbeitete §anS Vitterücb febr anfpredjenb. $aS V^ualrelief oon
Vrenef roibmete bie pbotograpbifcbe ©efeüfcbaft anläßlich ib*es 3 u &üüumS, bie
3)opplerbüfte pon ©eorg Seifet bas UnterriebtSminifterium. bie 3nn)d}enräume
jroifeben ben ©rbgefcbofSfenftero ber neuen Hofburg oollenbeten außer bem perftorbenen
Xilgner bie Vilbbuuer Venf, Vrenef, !peUmer, $apib, p. frofmann, Jpaerbtl, Äauffungen,
ftunbmann, $ocb, $önig, Scberpe, Scbmibtgruber, Scbroarß, Seib, Silbernagel,
Srooboba, Vßepr jroan$ig große SJIarmorfiguren: OJtarfomane, römifeber Krieger
mit ber SBeinrebe, Vajuoare, cbriftlicber ©laubenSprebiger, Slaroe, fräntifeber ©au
graf, Vtagpare, $reu§fabrer, Seefahrer, öfterreic^ifcber Witter, äRagifter, Vurgunber
Maufberr, Stabtbiirger, Vergmann, SanbSfnecbt auS ber 3^it ÜRayimilianS I., ^Ballen-
fteinifeber Solbat, Vole aus bem freere SobieSfi’S, beroaffneter 9öiener Vürger, Vauer
mit jerbrodjenen betten unb Xiroler SanbeSoertbeibiger. X>et ©ebanfenjufammenbang
biefer Statuenreibe iüuftriert portrefflicb bie perfebiebenen Vbafcu cultureller ©nt*
ipictlung unb gefcbicbtlicb bebeutfame Momente. Jür bie SluSfcbmüdung bcS frerrenbauS*
ÜßungSfaaleS arbeiten Scbroerjef, Stauffungen, ©bm. p. ipofmann, Qofepb Vepcr,
Jbugo ftaerbtl, Arthur &aan, 3ofepb Say unb ^ranj Stocb an ben als 9tifebenfcbmud
beftimmten Statuen bes Spturg, Solon, XbemiftofleS, SIriftibeS, SopbofleS, VerifleS,
X)emoftbeneS unb SofrateS. $ie Jperftellung ber Statuen bes 9tuma VompiliuS,
©incinnatuS, gabiuS SftapimuS, ©ato, ©ajus ©raccbuS, ©icero, 9RanliuS XorquatuS,
WuguftuS, Seneca unb ©onftantin befebäftigt bie Vübbauer ©mericb Smoboba,
3ofepb Staffin, Xbcobor ©barlemont, $unS Vitterlicb, Stanislaus SeroanboroSfi,
Starl Sterrer, 2Bilbelm Seib, 2lnton Vrenef, Stepban Scbroarß unb öanS Scberpe.
©ine mit Unterftüßung ber perftorbenen Statferin ©lifabetb burebgefübrte boebintereffante
Vilbbaueraufgabe löste Scbroer$ef mit feinem fReconftructionSperfucbe beS öftlicben
VartbenongiebelS in Hitzen. Sein 1895 im Stünftlerbaufe auSgeftellter „ftampf ber
Wtbene mit Vofeibon" butte jn fo bobem ©rabe baS SBoblgefallen ber bob^u 2rrau
gefunben, bafS fte ben Zünftler bureb ben Auftrag auSjeicbnete, für fie nach eigener
Vkbl beS XbemaS eine Arbeit auSjufiibren, für rcelcbe Scbroerjef ber oben genannte
Vorrourf befonberS geeignet febien. 3m Aufträge beS §anbelSminifteriumS mürbe nach
bem preisgefrönten ©ntrourfe beS ^Srofeffor^ Stepban Scbroarß bie bronjene ©ebäcbtniS*
platette für bie öfterreiebifeben Xbetlnebmer an ber Vurifer 5BeltauSftellung geprägt. ®ie
Vorberfeite jeigt in jart reliefierter Sanbfcbaft bie an jroei Arbeiter Sorbeerjmeige auS-
tbeilenbe ^luftria, roäbrenb bieföücffette mit ber moblgetroffenen Vnft^t beS bureb 93auratb
Vaumann errichteten öfterreiebifeben »teicbSbaufeS aus ber rue des nations gegiert ift. 3ln*
läfSlieb ber SabreSfeier ber ©ntbüllung bes ©oetbebenfmalS ließ ber 3Biener ©oetbe-
Verein bureb bie funftgeübte &anb 9tubolf VtarfcbaÜ’S eine roirflicb reijenbe Vlufette an*
fertigen, bie einen bem £>ellmer’fcben Stanbbilbe ßcb näbemben Jüngling mit ^ranj*
geminben bietet; bie ©ompofition füllt böcbft gefcbtdt ben s Jtaum unb roirft bureb ben
©egenfaß beS SReliefcbarafterS beS 2)enfmaleS unb ber bulbigenben ©eftalt gan§ porjüglieb.
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Wiener ftunftleben (Iperbft 1901).
373
Unter ben öeiftungen ber 21 r cf) i1 e f t u r fönnen zwei ftirdjenbauten oerjeiebnet
werben: bie nach ben Richten be« 23auratbe« Qorban aufgeftibrte $trd)e in Döbling
für bie unbefebubten Karmeliter, bie ibr alte«, ber Demolierung oerfallene« Stlofter
in ber ßeopolbftabt aufgaben, unb bie St. 2lntoniu«fircbe in Jaooriten. Den 33au
ber lederen führte ber frofbaumeifter Scbmaljbofer nach planen be« 33auratbe«
bitter o. Reumann; bie figurale malerifcbe 2lu«fcbmü<Jung ber an bie 93augebanten
oon 6. SJtorco in 23enebig anfnüpfenben Einlage rubte in ben fränben be« ^rofeffor«
s Börnble oon 2lbel«frieb, bie ornamentale Malerei mar Schönbrunner übertragen,
wäbrenb Diill unb ©ilbbauer Vernarb ben ^igurenfcbtnuc! beforgten. Der Xriumpb*
jug Ebrifti in ber ft'uppel atbmet ben (Geift 3fübncb^- ©in ^cifecr Streit brobt bei
ber Verbauung ber ftaifer ^Jranj 3ofepb«*Stofernengrünbe ju entbrennen, beren
Inangriffnahme eigentlich eine ooüftänbige Söeifeitefcbiebung fiinftlerifcber 3ntereffen
geigte. E« ift baber nur ooUfommen erflärlidj, baf« bie an ber fünftlerifcben ööfung
ber $rage intereffierten Korporationen, barunter befonber« auch ber öfterreiebifebe
Ingenieur; unb Slrcbiteftenoerein, bei ben $ur Entfcbeibung berufenen 3nftan$en
^orftellungen zur iBabrung be« fünftlerifcben Stanbpunfte« erhoben unb in«befonbere
bei bem $trieg«minifterium, für welche« jmifeben bem öfterreiebifeben SJtufeum am
Stubenring unb bem Donaucanale ein neuer Prachtbau erfteben foll, bie 2lu«
febreibung einer öffentlichen Eoncurrenz unter ben öfterreiebifeben 2lrcbiteften bebuf«
<Gewinnung geeigneter s Projecte zu erreichen fudjten. Die SBorfteUung febeint etwa«
oerfpätet gefommen ju fein, ba ba« ftrieg«minifterium bereit« bureb Beamte be«
Militär 23au=3ngenieurcorp« bie Entwürfe au«arbeiten lieb, bie ber (Genehmigung
harren; le&tere läf«t ficb ja immerhin noch an bie Einhaltung gemiffer fiinftlerifcber
^rorberungen fniipfen, beren (Geltcnbmacbung niemal« au« bem 2luge gelaffen werben
barf. freilich bebeutet e« für bie ftünftlerfcbaft unzweifelhaft eine Unterbinbung ber
nach 23ethätigung ringenben Straft, einen ibealen 93erluft, wenn ihr bie Sttöglicbfeit
freien Wettbewerbe« bei Unternehmungen im groben Stile nicht eingeräumt roirb;
benn lefctere gehören ohnehin zu ben Seltenheiten. Qn biefer Beziehung but bie
>Heicb«baupt' unb töefibenzftabt Wien bei ber Eoncurrenz für ben 93au be« Siaifer
faanz ^ofephe Stabtmufeum« mehr ber billigen Wiicfficbt auf bie ftiinftler Rechnung
getragen, roa« mit ber ibealen $eftimmung be« (Gebäube«, ba« an ben herrlichen
'-öau ber $tarl«fircbe b^^onifeben 2htfcbluf« finben foll, oortrefflicb im Einflange
fteht. 23on ben eingereiebten 38 *Projecten ftnb 8 für bie engere Bewerbung au«
gewählt unb honoriert worben. Otto Tagner, ber fchon früher in ber Seceffion
mit einem bie 2lufmerffamfeit erregenben Stabtmufeum«projecte bevoorgetreten war,
Zeigt ba« eingehenbfte Stubium aller Einzelheiten, nii&t ben in ber Jorm nicht
befonber« glücflieben 23aupla& [ehr gefebieft au« unb finbet bei feböner Klarheit be«
(Grunbriffe« zroedmä&ige 2lnorbnung ber 9täume; in ber (Gefammterfcbeinung biirfte
fid) ber $au befebeiben ber &arl«ftrcbe unterorbnen. 5 re iberr u. $rau« unb Xölf
ftnb über eine gliidlicbe Oiaumoertbetlung wenig binau«gefommen, wäbrenb Gilbert
£>. 'Pecba’e Entiourf ftcb Einfachheit unb gute iöerbältniffe, entfpreebenbe 2lnpaffung
an bie 2lrcbiteftur ber Umgebung nicht abfpreeben laffen, welch’ letztere man bem
auch fonft nicht einwanbfreien *projecte 5*iebrid) Scbacbner’« weniger naebrübmen
fann. Seceffioniftifcbe ÜJlotioe, in beren 23ortrag Otto Wagner oiel Originalität
unb (Grazie entwidelt, finben ftcb bei guter (Grunbrif«löfung nicht minber bei Waneczef
unb Tornef, entfebiebener noch bei Üftar öegele; befebetbener hielten ftch Sowin«fi
unb bie trüber Drerler. 33iel Beachtung fanb unb oerbiente bie tüchtige Arbeit oon
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3ofeph 9teuroirth-
SRubolf Dicf, objroar fte in Einzelheiten bic UnterbringungSmbglichfeit ber ©amm*
lungen etroaS ju fehr aus bem Auge oerliert. 9tach allem läf^t fich aber mit
Sicherheit erroarten, bafS bic in guten Bahnen ftd) beroegenbe Angelegenheit beS*
StabtmufeumSbaueS in abfehbarer 3 e it Wo« «or ber Inangriffnahme ber Arbeit
ftehen roirb. ^Bereits im Stabtrathe rourbe bie 3rage ber Erbauung eines neuen Xbeatetö
im britten ©emeinbebezirfe (ßanbftraße) erörtert, für roelcheS bie Überlaffung beS SBau-
grunbeS unter ähnlichen ©ebingungen empfohlen rourbe, unter melden man ben
SBaugrunb für baS QubiläumStheater jur Verfügung [teilte. Ein s 43aublocf an ber
SJtarpergaffe ijt für biefen 3mecf als befonberS geeignet in AuSficht genommen.
9tach ben planen beS Ardpiteften Jellner unb Hellmer roirb baS Stabttheater in
3fürth ganz als Steinbau errichtet; bei bem Wettberoerbe für ben figuralen Schmud
beSfelben erlangte ben erften s $reiS für bie Ausführung ber großen ©iebelgruppe
unb fämmtlicher Jenfterfrontgruppen Ernft ftegenbarth auS Wien. 3mei zweite
greife fielen bei gleichem Anlaffe ben Wienern Ceopolb £oftg unb Jjranz 33ogel $u.
Wel Anflang fanb ber geiftreicbe Vortrag beS biesjährigen tftectorS ber !. f. technifcheü
Jpochfchule in Wien, beS ^JkofefforS ftarl ftönig, ber am 26. Cctober 1901 bei feinem
officiellen Amtsantritte „über bie Wiffenfchaft oon ber Ardjiteftur unb ihre praftifdje
SBebeutung" befonberS im Anfchluffe an bie Arbeiten beS granjofen Eugen SBioüet
le Duc unb ©ottfrieb Semper’S manch’ roahreS unb beherzigenswertes Wort fprad).
DafS an ber eben genannten öodpchule ^rofeffor ftarl SDlapreber ein Kollegium
„über Stäbtebau" liest, beffen Actualität bie neue Auflage beS prächtigen SBucheS-
oon Eamillo Sitte roohl am beutlichften illuftriert, fpricht für bie richtige unb auf-
merffame Wahrnehmung ber praftifchen 93ebürfniffe ber ©egenroart, mit melchert
ber Öehrplan ber technifchen frochfchulen zweifellos in erfter öinie ju rechnen hat.
Unter ben Anläffen, welche bie allgemeine Auf merff amfeit auf bie noch auS*
ftchenbe Errichtung ber fchon öfters genannten „mobernen ©alerie" lenftcn r
ntufS an erfter Stelle bie oont UnterrichtSminifterium glücflich burchgefiihrte Erwerbung
oon ÜJtofart’S „Jiinf Sinnen" unb oon SBöcflin’S „OJteereSibplle" ermähnt werben*
üJttt bem Anfaufe ber fchon nach ih rer 5°nn berühmt gemorbenen üflafartbilber, bie
ja in Wien felbft entftanben, h at man noch in zwölfter Stunbe eine bem Anbenfen
beS großen Eoloriften längft fchulbige Pflicht erfüllt unb Werfe oon einft bahn*
brechenber SBebeutung bleibetib für Wien gefiebert. Das ber beften 3cit Wjcflin’S
angehörige Werf rourbe aus bem Wt&e beS berliner EommercienratheS Ernft Seeger
um 100.000 3Jlarf erroorben, eine manchem vielleicht hoch erfcheinenbe Summe, bie
aber nach bem heutigen Stanbe ber greife für '-BocfliroWIber nicht übertrieben
genannt roerben fann, roenn es fich roie hier um ein roirflich gutes, eine ganze
Wlberfategorie vortrefflich charafterifterenbeS Werf hanbelt. 9lun aber $ödlin, ftlinger r
Segantini, 9Jtafart, Straffer u. a. bereits beroorragenb oertreten unb roiirbig auf*
zuftellen ftnb, roirb bie ^frage ber Errichtung ber mobernen ©alerie immer brennenber.
Die führenben ftünftleroerbänbe Wiens behielten fte auch roährenb ber SBerichtSperiobe
fachgemäß im Auge. Soroohl bie ftiinftlergenoffenfchaft als auch bic Seceffion haben
an competenter Stelle auf eine ^Befchleunigung ber Angelegenheit hinzuroirfen oerfucht.
Denn eS ift ganz unbeftreitbar, bafS baS SBebiirfniS nach Schaffung eines Sammel-
punfteS befteht, an roelcbent auf bem Wiener $oben roeiten Greifen ber $eoölferung
(Gelegenheit geboten roerben foll, aus ftunftfehöpfungen ber neueften 3eit baS fftingen
nach neuen formen unb AuSbrucfSmitteln fennen unb oerftehen zu lernen. Will
man in Wien tßatfächlicb eine folche OJföglichfeit fchaffen, bie neben bem ©enuffe
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Wiener ftunftleben (!$erbft 1901).
375
Der berühmten ftunfifchäfce aus früheren ©pochen fielen eine hochroilttommene
©rgänjung bieten bürfte unb zugleich ber ©egenwart ihr unleugbares Bnrecht auf
gleiche Beachtung in zuftimmenbem ober ablebnenbem ©imte fiebert, fo wirb man
auS ber ©efd)id)te ber neueften ^ööcflin ©rwerbung bie Öehreziehen miiffen, !pauptwerfe
befonberS gefchäßter Bleifter, welche bie heutige ftunft ©uropas repräfentieren ober
angeblich repräfentieren [ollen, möglichst halb $u taujen. $>ie ber „Bereinigung
bilbenber ftiinftler Öfterreichs", bem Bnfaufe moberner ftunftwerfe ben Reingewinn
ihrer Unternehmungen ju loibnten unb biefe ©rwerbungen ber mobemen ©alerie
zujuwenben, ift gewifs fehr lobenswert unb hot bereite in mehr als einem ftalle
recht gli’tcfliche Bentürflichung gefunben. ©ie hart aber nächft 3ufallswibmungen
nicht bie hauptsächlichste ©rwerbsgelegenhcit bleiben, fonbern mufS in ben oon anberen
©teilen geförberten unb mit größeren Mitteln arbeitenben Betionen zielbewusste
Unterftiifcung finben. Wirb ntd)t halb bie faage einer entfpred)enben Unterbringung
ber neuen ©rwerbungen gelöst unb in bie Tbat untgefeitf, bann bleibt baS ©anje
auf halbem Wege fteden unb läfSt fid) ben 3infenertrag ber Belebung beS ^ntereffeS
für bie ftunft ber ©egenwart in einem Bugenblitfe entgehen, in welchem er am
ertragreichsten wieber oerwenbet werben fann. Bnjeichen, auf welche bemnädift näher
eingegangen werben foü, sprechen bafiir, bafs man an entfdieibenber ©teile fid) ber
Berechtigung folcber ©rroägungen nid)t oerfdsließt unb eine fefte ©runblage für bie
Busführung bes BrojecteS febaffen will; hoffentlich greift man gleich ut einer
befinitioen Cöfung unb nid)t ju einem Berlegenbeitsprooiforium, bas nur zur Ber
fumpfung ber Jvrage führen fönnte.
$>ie ftiinftlerfreife Wiens begannen bereits im Joerbfte 1901 ihre B e t h e i l i g u n g
an zwei groben BuSftellungsunternchmungen bes ^ahreS 1902 inS Buge ut faffen,
nämlich on ber internationalen BuSfte 11 nng für becoratioe ftunft
in Turin unb an ber beutfchen ftunftauSfte 11 ung in $ttffelborf.
©rftere will alle 3 n)t 'Hl c fiinftlerifdjer unb funftgewerblicher Thötigfeit umfaffen, bie
bem mobemen £>aufe unb feiner BuSftattung im weiteften ©inne bes Portes gelten:
fdion biefer ©runbton mad)t fie einem groben Ibeile unferer ftiinftlerfdiaft fpmpathifd)
unb wirb gewifs manche unferer heroorragenben Rinnen bestimmen, bas grobe Bn
[eben bes öfterreichifdien ftunftgewerbes in bem Wettbewerbe mit anberen Bölfern
burd) ebenfo glänjenbe wie originelle ©diöpfungen behaupten ut helfen. 3o ber
T>iiffelborfer Busftcllung wirb auch bas biftorifdje Btoment zur ©eltung fontmen.
AÜr bie ©rjielung einer möglichst aüfeitigen Betheiligung aller Wiener ftiinftler
gruppen an berfelbett war Brofeffor ;£>r. Bo ul ©leinen aus Bonn befonberS nad)
Wien belegiert unb hier erfolgreich ttjätig. ©o wirb Wien in BusftellungS Unter
itebmungcn ber Ö fterreid) Ungarn näher oerbiinbeten Staaten oorausfichtlid) wiirbig
oertreten fein, ba bie behörbliche Jörberung ber Betheiligung bereits z werten tfpred)cnb
emgeleitet würbe.
ftnapp oor ^ahreSfchlufs brachte bie „©eceffion" burch Überreichung eines
BromemoriaS an ben Jperrn Unterrichtsminifter bie ftrage ber Reftaurierung bes
RiefentfjoreS ber Wiener ©tephansfirche in 5vlufS, woburch eine ziemlich erregte
T)iScuffion über Reftaurierungsfragen eingeleitet würbe, ©ie 30g fid) burch ben
ganzen Sflonat Januar 1902 hin unb foü unS in bem nächften Berichte noch näher
befchäftigen.
Bn ben feit ©eptember 1901 in Umlauf gebrachten neuen 3^hn ftronen
noten fonnte man wieber fo recht bie Überzeugung gewinnen, bafS bie ftiinftler
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Qofeph Seuwirth.
370
fc^aft SMenS nur ihre Süicht gethan, als ftc oor einiger $t\t auf ber 3uerfennung
eines ©influffeS auf bie ©utheifeung neuer Sotenentwürfe beftanb. ©egen bie wirtlich
nicht befriebigenben ßroanjig ftronennotcn ift ja in ben 3ebn*ftronennoten bereite
manches beffer geworben; aber trofc ber fehr forgfältigen 3^ichnung unb ©raoierung,
welche Sunftierung unb Schraffierung zu oereinigen jucht, hat baS ©anje ein oer
fchwommeneS unb oerblafSteS SuSfehen. Daburch wirb zweifellos bie rafci^e unb
beftimmte ©inprägung beS SotenbilbeS unb bie ©rfennung eines eoentuellen JfalfiftcateS
für ein weniger geübtes Suge etwas erfchwert.
Der Umfatz auf bem Eunftmarfte war, wie bie Serfäufe in ben tlus
ftellungen zeigten, immerhin ein recht lebhafter, obzwar bie auSftellenben Eünftler
angefichtS ber 3ülle ihrer Darbietungen noch eine gröbere Eaufluft beS SublicumS
gewünfcht haben mögen. Die ©emdlbegalerie beS am 9. ÜJlai 1901 oerftorbeuen
DomcapeUmeifterS ©ottfrieb o. 'Jkeper, roelcher baS SerfaufSerträgniS jum Saue unb
Zur (Erhaltung eines Söiener SfplS für Skiifenfinber ohne Unterfchieb ber ©onfejfion
beftimmte, würbe oon bem amerifanifchen „Eupferfönige", bem Senator ©. ©larf
oon üJtontana, erworben unb wanberte über ben Ccean. £>aben auch manche Sterte,
bie berühmten üWeiftern wie §olbein, £ranz £>als, San Dpcf, SubenS, Sembranbt
Zugerechnet würben unb an bem greifen Seftfcer einen oft rüctftchtSlofen ©djtheitS
oertheibiger fanben, berechtigte ©chtheitSanzweiflungen erfahren, fo war boch immerhin
in ber Sammlung Sreper uiel Schönes unb StertoolIeS oereinigt, beffen weitere ©r
haltung in 2öien ftch oielleicht nur unter ber fdpoer erfüllbaren Sebingung hätte
erzielen laffen, bafS ein 3öiener Eunftfreunb fich zur Erwerbung ber ganzen Samm*
lung entfchloffen hatte. Sber eS ift fo fchwer, mit bem Dollar zu concurrieren!
Sei 6. ©ef)be gelangten Sterte oon ^oanomitS, Einzel, ©. ÜJtap, Sowaf, Sn>bft,
StothiaS Schmib u. a. zum Serfaufe. 3of. Sotall oerfteigerte oom 21. bis 20. October
im Irattnerhofe zahlreiche Silber, unter benen auch Steuwermann, ©araoaggio,
Saloator Sofa oertreten waren. T^aft gleichzeitig — oom 24. Cctober ab — tarn
bas fehr reichhaltige unb wertoolle Eunftblätterlager oon S. Ecnbe zur Serfteigerung;
ber gegen 3000 Summern umfaffenbe Eatalog oerzeichnete eine Stenge fehr feltener
altfranzöfifcher unb englifcher Eupfer unb garbenftiche, feltene Dürer- unb Sem
branbt-Slätter, Stäbteanfichten, Flugblätter, ©inblattbrucfe, Siennenfia unb Suftriaca,
©oftiimbilber, SorträtS, gefchichtlich intereffante unb Schlachten Darftellungen.
3n ben S e r f o n a l i e n ift an erfter Stelle baS $infcheiben beS liebenSwürbigen
^anbfchafterS ©ugen Zettel zu oerzeicbnen, ber in trieft ganz unerwartet einem Jperz
fchlage erlag, als er fich eben anfchicfte, ben ©rzherzog Earl Stephan auf einer Seife
längs ber italienifchen .Hüften nach Sicilien zu begleiten. Der begabte 3üumermann
Schüler, welcher ftch ber Seceffion angefchloffen, hatte wäfjrenb ber lebten Qahre bei
ben SusfteUungen berfclben oiel Seachtung unb Snerfcnnung gefunben unb befonberS
in einer ©ollectiuauSftellung feiner Arbeiten im Salon Si^to feine oornehme ©igenart
entfaltet. Cbzmar gerabe Öfterreichs Eunft an tüchtigen ^anbfehaftern nicht arm ift,
bebeutet Zettel’« Heimgang für biefes ©ebiet immerhin einen für gar manche noch
lange fühlbaren Serluft. Wenige Wochen oorher trug man am 17. ^ult 1901 ben
Cbcrbaurath Sofcph Schiebt zu ©rabe, einen in ber Schule oon SöSner, oan ber Süll
unb SiccarbSburg h era ngebilbeten Srcbiteften, ben ntd)t tninber Seziehungen zu
Verfiel unb ben anbern führenben Sautünftlern geförbert hatten, ©r fannte wie
faunt ein 3*ueiter bie Srchitetturentmicflung SMenS in ben letzten fünfzig 3 a b v * n
unb war ftetS ooll beS lebenbigften ^utereffeS für alle fiinftlerifchen unb tunftgefchicht
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SBiener Kunftleben (&erbft 1901).
377
licken fragen. Ulm 30. Uluguft 1901 ftarb ber penfionierte Ntinifterialratb $r. Karl 8inb,
ber um bie Seitung ber ©efebäfte be$ Uöiener UlltertbumSoereines uitb um bie Ser
öffentlicbungen ber 1. I. Eentralcommiffion für Erforfcbung unb Erhaltung berKunft
unb Ijiftorifdjen $)enlmale ficb aufcerorbentlicbe Serbienfte erworben, burd) zahlreiche
lunftgefcbicbtlicbe Untersuchungen öftcrreic^ifcf)cr Kunftfcbäfce ftch einen gearteten tarnen
in fachmännifchen Greifen gefiebert unb mit feiner allerbingS burchauS nicht mufter
gütigen „Kunft-Xopograpbie uon Kärnten'' bie in fcfterreicb noch fo febr im 9^üdt
ftanbe gebliebene 3)enlmälerinoentarifation begonnen bat. UlnläfSlid) ber SoUenbung
beS 70. SebenSjabreS mar bem Nabl*©cbüler Qofepb froffmann, am 22. $uli 1831 in
SMen geboren unb bureb feine als „©alerie froffmann" belannten Neifeaufnabnten
in ben lebten fahren oiel beachtet, bie Ulufmerlfamleit roeiterer Greife freunblicb
zugeroenbet. 2)aS ©leid)e galt oon bem am 16. Uluguft feinen 80. ©eburtStag feiemben
UNaler 3*anz Ullt, bem trüber beS 89jdbrigen UBtener UlltmeifterS Nubolf non Ullt.
Ulucb er bat auf meiten Reifen in Italien, F*anlreicb, ©panien, Portugal, Englanb,
Belgien, öollanb, 3)eutfcblanb, NufSlanb unb in ber ©cbmeiz lünftlerifcbe Anregung
in reiebftem UNafee gefuebt unb gefunben, mie feine bie 3abl uon 2000 überfteigenben
Aquarelle unb ©tubien bezeugen. $ie ©onberausfteHungen ber Arbeiten beS 93iel
befebäftigten in ben fahren 1886 unb 1888 ftnb noch bei Sielen in guter Erinnerung.
Eine noch größere, 2500 Arbeiten iiberfebreitenbe Frucbtbarleit entroiclelte ber am
14. Nooember ben 80. ©eburtStag begebenbe UJtaler Fobann Nowopacfp, auS©laroietin
in Söhnten, bem oon 1868 an ber 3eicbenunterricbt ber faiferlicben Kinber, ber Erz
berjogin ©ifela unb beS Kronprinzen Nubolf, übertragen mar. Siele feiner Silber,
bte iiberrciegenb gri'tnblicbeS Naturftubium unb frifdje Farbengebung zeigen, befinben
ficb in laiferlicbem Snoatbefifee. 3)ie Kunftgeraerbefcbule beS öfterreiebifeben UJtufeums
uerlor mit bem freiwilligen UluSfcbeiben beS ^rof. F ran 5 UJktfcb, baS Uluffeben erregte
unb oiel befproeben tourbe, eine ganz oorjüglid^e, lünftlerifcb oielfeitige Sel)rlraft.
Fh* bauten bie bereite felbft zur ©eltung gelangten ©dpiler Kol. Ntofer, N. o. Kenner,
Ermin Sucbinger, frans Sieringer, Otto Srutfcber u. a. oiel oon ihrer UluSbilbung,
weshalb ber Abgang eines berartig anregenben &brerS hoppelt bebauert roerben
mufs. 3um 80. ©eburtStage Sircbow’S lieferte Nlatfcb bie lünftlerifcbe Ulusfiibrung
einer s ilbreffe, bie auf Anregung beS §ofratbes Srof. Dr. lolbt in UBien oon
140 s Ärz teuer einen überreicht mürbe, lebhafte Erörterung erregte ber einftimmige Se
fcblufs bes SrofefforencoüegiumS ber Ullabemie ber bilbenben Künfte in UBien, als
Nachfolger bes Stof. Ebuarb oon BicbtenfelS bem UnterricbtSminifterium ben Nlaler
©uftao Klimt, ben beroorragenben Kiinftler ber „©eceffion", oorzufdjlagen. 3>enn
biefer Sorfcblag bebeutet ganz Zweifellos ein offenes 3ugeftänbniS ber Serecbtigung
ber ÜJloberne, beren UBeiterentwidlung in UBien einen ftarfen &alt gerainnen tann,
menn Klimt ficb nicht nur als einen beachtenswerten UJialer, fonbern auch als einen
oorzi'tglicben Lehrer ermeiSt; beibe Eigenfcbaften haben befanntlid) nicht oiele be
beutenbe Künftler zu oereinigen oerftanben. Nicht minber lebhaft als ber eben er
mahnte Sorfdjlag Klimt tourbe bie gegen Enbe Cctober auftauebenbe Nachricht ber
Serufung Nlay Klinger’s an bie Wiener Ulfabentie befproeben. ©ie oerfefcte fogar bie
Kunftlreife unb Slätter beS Xeutfcben NeicbeS in einige Aufregung, toelcbe ficb felbft
in einer ganz grunblofen ©cbraarztnalerei ber tiinftigen ©tellung Klinger’S in UBien
ergieng. Für bte Sebeutung ber ©eceffion toäre bie Serufung Klinger’S, oon ber
halb nichts mehr oerlautete, eine ftarle ©tiifce geraefen. Hellmer ift oon ber bisherigen
Leitung ber allgemeinen Silbbauerfdjule in ben Saften oon 3umbufcb oorgeriidt.
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378 $ofepb 9teuroirtb. SBieiter $unftleben Ooerbft 1901).
X5afS bic ^urp bcr achten internationalen ÄunftauSftellung in 9Jhincben bem SBiener
Mammer^ebailleur Ant Scbarff bie ÜJiebaiUe erfter ©laffe, ben Malern ©barlentont,
©barleS Söilba, ßarl ftröfebl unb #arl ^freiberm oon ÜJterobe, foroie bem ÜRebailleur
Hart Varolif ÜJtebaiUen jroeiter klaffe juerfannte, fei als 3*U0niS ber 5Bertfcbäßung
unferer Zünftler im Söettberoerbe mit anberen Golfern befonberS b erüor 9 ^boben. X)ie
befannteften unb roertooHften Silber beS OD^eifterö ©. SRubolf £>uber bat ber Verlag
oon Victor Engerer jh einem gefcbmadooHen Album gelungener Vbotograpbien oer*
einigt, bem ©erbarb Bamberg eine mann gefebriebene ©barafteriftif ber Äiinftler-
perfönlicbfeit beigegeben bat.
©S abelt unb oerflärt bie ftunft, roenn fte ficb bei gegebenen s 2lnläffen auch
in ben X)ienft ber Vtenfcbenliebe $u fteüen roeife. Vei bem unter bem Vrotectorate ber
©rjberjogin Qfabella oeranftalteten internationalen AifoloVtarfte im großen üttufik
oereinSfaale ju ©unften ber föinberfebufe unb »tettungSgefellfcbaft begegnete man als
^rörberern ber Sache £>ororoiß, ftafparibeS, Xina Vlau, Seligmann, Baronin ©bner*
©fdjenbacb u. a. X)aS originelle Vilberbucb „IpanS!" oon einer unter bem Vfeubonqm
Xoni ÜJtarf ftcb bergenben 5öiener X)ame feblug an Abfafe baS patronierte Äinber-
bilberbueb ber Schule beS Vrof. Vöbm. jür bie AuSfthmüdung beS erften öfter
reiebifeben Settlements, baS am 15. October 1901 in Cttafring eröffnet mürbe, fteUten
bie ^rofefforen ^ofepb £>offmann unb ftolo 2ftofer ihren beroäbrten fünftlerifcben
>Hatb 3 ur Beifügung, nach rcelcbem Oraler ?>alfenftein unb §oftifcbler Sftüllner bie
^nnenauSftattung beforgten. X)ie „Seccffion", bie VafaloroitS, VortoiS unb
Jiy, bie V*ag SKubnifer Äorbfeffelfabrif fteUten nebft manch’ anberen mit freunblicben
Spenben oerfebiebener Art ftcb ein, fo bafS mit einfachsten Mitteln ein febr anfpreebenber
©inbrud ficb erzielen liefe.
3fm allgemeinen bat bie jroeite Hälfte beS 3abreS 1901 gehalten, roaS bie
erfte oerfproeben. SHeicb an mannigfachen Anregungen, bie manches jur Verbreiterung
beS ^ntereffeS für bilbenbe ftunft beitrugen, fuebte bie pflege ber leßteren oerein$elt
auch bisher VerfäumteS nacbjubolen ober baS s ltacbbolen in ein etroaS fchneUereS
Xempo ju bringen, Aeuen Schritten mar mehrmals erfreulicher unb ennunternber
©rfolg befebieben, mit bem baS neue 3ab r b u abert ftcb in VMenS Äunftleben giinftig
einjufitbren oerftanb.
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P. Bartmanns Oratorium „$t. Sranciscus“.
Bon ^r. Jvttf TOantuaiti.
un batten mir mieber einmal eine ©enfation, eine Iage«frage gehabt. fteine
oon beiben mar nötbtg, feine beabBdjtigt; aber tn einem 'Jarteienbeim, roie
'Men e« gegenwärtig ift, wirb halb etroa« jur „^rrage", unb ift einmal eine Jfrage
ba, bann ift bie ©enfation fofort hinterher. Unb ob ba« eine ©enfation war, bie
'Jäter ^artmann-SIngelegenbeit! Jpocfj giengen bie 2Jogen berfelben; jefct haben fte
ihre impetuofe SButb fcbon eingebüßt. Tie i*eibenfcbaftlicbfeit, mit welcher bie
fcbroffften Mberfprücbe ber s 21nfubten oerfocbten mürben, legte fid). Tie glän$enbe
WefeUfcbaft, bie Beb tm beßerleucbteten grofeen ÜJtufifpereinöfaale jufammengefunben
batte, ift jerftoben. Tie 8ritif bat tbeil« mit mehr, tbeil« mit roeniger ®efd)id,
Bebaut unb'©trenge ihre« s 2lmte« gemaltet, — nun finb alle ©enfation«accibentien
oorüber, übriggeblieben Bnb ber (Komponift unb beffen s Iöerf. Bieüeicbt ift e«
Doch ber 9Jlübe roert, Beb mit biefen beiben allein etwa« $u befebäftigen.
Probleme auffteden, Urteile fällen, ©eblüffe jeiben — ba« haben febon anbere
in ben oerfebiebenften periobifeben ©ebriften por mir getban unb icb möchte biefe«
nicht mehr roieberbolen. Ter (Somponift unb beffen Böerf füllen ©egenftanb nach
folgenber feilen fein. Beoor ich mich aber mit bem neueften Oratorium, ba« mir in
Men fennen gelernt haben, eingebenber befdjäftige, mill id) be« Berftänbniffe« roegen
einen ganj flüchtigen tftiidblid tbun.
Ta« Oratorium ift eine entraidelte muBfalifcbe Jornt, in welcher faft alle
Smeigformen ber 'Diufif enthalten Bnb: bie bramatifebe, epifebe, Iprifcbe unb bie
(Kontemplation. @« mürbe feit (Kaoalieri immer gepflegt — aber mit s 2lu«nabnte oon
A^änber« unb 3Jlenbel6fobit^ ©cböpfungen Bnb faft alle fo febr in ben ^intergrunb
getreten, baf« Be nur im (tyebäcbtniffe berjenigen, bie mit ber ÜJtuBfgefcbicbte etwa«
grünblicber oertraut finb, bei ber Nennung ihrer ©cböpfer auftaueben. s IBer fennt — um
nur bei ben bebeutenben ©cböpfungen be« XIX. ^abrbunbertö $u bleiben — ^ a d) n e r’«
,,'Jlofe«" unb „Bier BJenfcbenalter", CKpbler’« „Bier leßte Tinge'', ©tabler’«
„'Befreiung ^erufalem«", 91f«maper’« „©elübbe" unb ,,©aul unb Taoib",
Jreper’« „ s Jloab", 'Jfeufomm'« „®efeßgebung auf ©inai", »tie« ? „©ieg be«
Glaubens", '21. B. Btaryen’« „BJofe«", >Hungenbagen'« „^eilige (Käcilia" x.?
Turcbgebenb« 2Berfe oon großer Bebeutung — biebterifeb mie mufifalifcb —, aber alle
oerfanfen Be in ber jeßt berrfebenben Bebiirfni«lofigfeit nach'folgen Werfen, (*« ift
baber nicht leicht für einen (Komponiften, ftd) jur muBfalifcben 'Bearbeitung eine«
Oratorium« ju entfcblie&en. Ter ©egenftanb felbft oerlangt ein gläubige« ©emittb
beim (Komponiften unb ein gläubige« Jubücum, toenn er fein 3iel erreichen foll.
'2lußerbem Bebt beute wohl jeber (^omponift fein ©cbidfal oorau«: halb mirb er
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.‘380
Dr. Sofef ÜJlantuam.
oerfunfen unb oergeffen fein r roie oiele oor ihm mit folgen 5Betfen. — 2Ber fann
unter biefen Umftänben fich bem Oratorium roibmen, menn nicht jene, bie mit ber
s lBelt abgefc^loffen höben, ber ©leruS ber fatholifchen Mirche? — 9tur biefer fann
auf all basjenige oerwhten, mas bem Berufs*© omponiften £>auptfache ift: auf 3hihm
unb ©eroinn. ©r fann au« innerem Drange fchaffen unb ift nicht fo fehr an bas
Urtbeil ber ftritif unb ber berfelben folgenben ÜJtenge gebunben. —
P. öartmann oon 5ln ber Lan=£>o<hbrunn ift 1863 $u Salurn in Xirol
geboren. Schon im 7. Lebensjahre begann er in 33ojen feine mufifalifchen ©ehnerfuche
bei Deluggi unb s Hn$oletti. 1873 trat er in Den ftranciscanerorben ein unb tarn nach
Salzburg, roo er bei P. $eter Singer ©ompofition unb Orgelfpiel lernte. 1886 jum
'Jkiefter gemeil)t, mürbe er juerft Organift in Lienj, bann in’ SKeutte. darnach
ftubierte er bei 3• 'Jfcmbaur in Qnnsbrud ©ompofition unb ^nftrumentierung.
^ahre 1893 fam er als Organift nach 3erufalem, oon bort 1895 nach SRom in ber*
feiben ©igenfchaft. Spier componierte er nebft manchem anberen auch fein erftes Oratorium
,,'HetruS" unb baS in fliehe ftehenbe 5Berf. DaSfelbe ift feine „oorauSfefcungSlofe"
Arbeit. ©S behanbelt einen 5IuSfchnitt auS bem reichen ©eifteSleben beS hl. 3rranciScus
unb juft jenen, ber für bie Kultur feiner 3*it fo überaus entfcheibenb geroefen ift.
3n bie geiftige ©piftenj beS heiligen ftranciScuS mufS man ftch jum nünbeften theoretifch
eingelcbt höben, um bie ganje ^iefe feines StrebenS nur $u erfennen, menn auch
nicht *u erfaffen. ©S ift ein gan* fonberbarer, intimer unb romantifcher flieij, biefen
gloriofen ^eilipen flJienfchen in feinen Qbealen $u fchauen, bie ja heute höhet gerüeft
finb benn je. Glicht nur bem 3Lerfe beS hl- ftrans ftebt unfer Saeculum mit feiner
geiftigen ©rfenntniS rührenb hilflos gegenüber, eS geht fo allen geiftigen SBeftrebungen
jener 3*it. 'ILie roeltabgeroanbt finb $um ^eifpiel bie ergreifenben firchlichen Dichtungen
^acopone’s ba Xobi, roie fatheberfremb für unfere 3*it ftcllt fich nicht bie „Summa"
5lleyanberS oon Jpales unb beffen Schülers, beS hl- $8onaoentura »Formula aurea
de gradibus virtutum« ! Unb bod>, rcelche liefe ber ©mpfinbung, bejiehungSroeife
beS Denfens unb Scharfftnnes bergen alle biefe ©eiftesprobucte in fid)! 5lber flc
alle oerbergen ihren inneren flieichthum unter einer überaus flüchten, unanfehn-
liehen unb rnenig anjiehenben äußeren Jorm.
Diefen inneren flieichthum, ben ©eift unb bas s lLefen beS hl- ^ranciScuS hot
fich nun ber Xeytbidjter, ftranciscanerbifchof ÜJlfgr. 51. Q. ©hajji $um Stoff für ein
Oratorium auSerforen. Schlicht unb einfad) mie feine CueUen — er beniifcte nur
bie fpätere unb legenbenretchere Raffung ber „$ita" if(ib bie XageSofficien oom
17. September (Impressio ss. stigmatum) unb 4. October (XobeStag) —, fo anfpruchS
bar ift auch bie ©eftaltung bes Xejrtes. S3on einem freien poetifchen $luge, oon
einer „märd)enähnlichen" $erflcirung ift bei ihm feine fliehe. Streng logifch unb
hütorifch finb bie Xbatfad)en unb legenbarifchen ©Zahlungen nacbeinanber angeorbnet,
miemohl trot* allebem fiinftlerifd) geftaltet. Die flJlittel ftnb äufeerft unauffällig: ©hör-
ftrophen roechfeln mit Agitationen, ohne bie mobeme 53ielgeftaltigfeit ber fllietren
unb Strophenformen — bas ift alles!
Der ©omponift hot fich ober gcrabc oon biefent Xeyte angeregt gefühlt, oon
bem Xerte, mit melchem anbere begabte, originelle unb formfefte flJiuftfer nichts
amufangen miifsten. Schon barin unterfcheibet fich p - Startmann oon anberen ntobemen
lüufifern, bafS er feine Xöne nicht erft oom Libretto getragen, fonbem biefeS oon
feiner ÜJluftf gehoben unb gehalten miffen mill. Der Schlichtheit bes XeyteS greift
P. .y>artmann mit söeroufstfein nirgenbs oor; mas einfach gebacht ift, foll fo bleiben,
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P. partmaunS Oratorium „St. granciScuS".
;j8i
nicht aber oon ber ÜJluftf überwuchert unb aufgebaufcht roerben: baS ift ber fefte
©runbfatt .partmannS unb zugleich auch eine gebieterifche Beranlaffung unb goobe
rung, ftch einjufchränfen in bet SBa^l ber technifchen ÜJtittel. $er ©omponift hat
■ ob burch eine mühfame tHeflcyion ober burch einen obtutioen Blid, (ann unb braucht
nicht unterfucht $u roerben) erfannt, bafS auf ben einfach frommen Xeyt nur eine
ebenfo einfache SJhtfit paföt, foll fte nicht bie über bem ©an*en auSgegoffene Stimmung
oernichten. So gieng er an bie Ausführung unb fiinftlerifche AuSgeftattung beS ge-
fafSten ©ebantenS.
X>ie Anlage beS Wertes ift fünftlerifch burchgeführt, roenn auch mit befcheibenen
technifchen Mitteln. Aber bafS eS tro&bem genau burchbacht ift, roirb jebet jugeftehen
miiffen, ber ftch mit Siebe unb ohne Borurtheil mit ber Partitur befannt gemacht hat.
X>ie Ounerture baut fleh auS brei furjen unb conciS auSgefponnenen Xbenten
auf, non benen bie erfte baS innere £>eroorbrängen beS ^eroifc^en ©ntfdjluffeS, fich
ber Armut *u oermählen, mufitalifch iüuftriert unb ben — auch nicht eingeroeihten
— ßuhörer rounberbar in eine nicht leicht befinierbare Stimmung oerfefd, bie jroifchen
fyurcht unb SReugierbe, $roifchen Hoffnung unb ftteftgnation fdjroanft, roährenb fchon
bie inftrumentale Anticipation ber folgenben Bocalchöre einen frommen unb homophon
gehaltenen ft'irchengefang bringt, nach roelchem baS britte Xhema freunblid), melobifch
füefeenb, mit ben beiben emften $b*men fich oerföhnt unb roie eine fanfte Söfung
eines inneren ©onflicteS roirft. 2)ie technifchen Mittel ftnb ja überaus einfach: bie
Steigerung ift nicht etroa in einem (unftoollen Ausbau geboten, fonbern nur burch
bie gröfeere üJtaffenroirfung ber ^nftrumente hergeftellt, rooburd) baS gefängliche
Ihema in (einer äöeife gefährbet roirb.
!Run fe&t ber fc^lidjte ÜJtännerchor ein, ber bann oon ber ©rjählerin ber
gefchichtlichen ©rcigniffe, ber „Storia" (Sopran), abgelöft roirb. 9tochbem biefe erjählt
l)at, bafS ftranciScuS oon ©ott heimgefucht unb fo oon beffen ©eift erfüllt roarb, bafS
er ftch felbft oergafe, nicht fprach unb ruhig ftehen unb ftfcen blieb — „er (onnte
nicht reben unb ftch nicht bewegen" —, ba tritt roieber ber OJtänncrchor, feine Alters-
unb StanbeSgenoffen, mit ber 5rage ein: „Bkirum (otntnft X)u ntcht in unfere
Greife? 33ift X)u uielleicht baran, Xür eine 3rrau $u nehmen?" tiefer ©horfafc
unterfcheibet fich ganj bebeutenb oom erften; bie neugierigen ftrager (ommen mit
ihren fragen nadjeinanber, ftürmifch, haftenb. liefen antroortet 3*anciScuS (Xenon
gemeffen, feft, aber in gehobener Stimmung: Qa, er roolle eine $rau nehmen, roie
fte fchöner unb ebler nicht ju finben wäre. ©S ift bie Armut, bie er erwählt; unb er
grünbet einen neuen Orben für jene OJtänner, bie feinem Beifpiele folgen. X)er nächfte
Saft ift roieber ein s JJtännerchor unb oerftnnlicht bie erften OrbenSbrüber beS Eiligen
angemeffen unb glüdlich- £>er ©hör ift ruhig — (ein Xriumphgefang — oocal, ohne
Begleitung oon ^nftrumenten; felbft biefen Schmud hat ftch ber ©omponift oerfagt
um bie Armut muft(alifch ju oerfmnlichen. konnte hiefür eine treffenbere ©harafteriftif
gefunben roerben ? 9tur roenige, überaus biScret angebrachte 3mifchenfpiele fteHen bie
Signatur ber ©inheitlich(eit mit bem ganzen Söerfe h* r - 9tod) betn oerbinbenben
Xeyte ber ©rjählerin tritt ein SHecitatio ber hl- ©lara ein unb bamach roieber bie
©rjählerin, bie oon ber ©rünbung beS ©lariffinnenorbenS berichtet, worauf ein ©hör
für ^frauenftimmen, oocal, fchmudloS roie jener ber erften OrbenSbrüber, beweist, bafS
bie Schöpfung nunmehr beftehe.
X)ie beiben geiftlichen Orben erfcheinen gegrünbet. ©in nun folgcnber
^nftrumentalfaft ftellt muft(alifch ben 3ufammenlauf beS 33ol(eS für jeben fafSlich
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382
X)r. $ofef Btantuani.
bar; ein ÜJtorfd) — aber fein mobemer, militärifcber — jeigt bureb fein ruhige« Xempo
an, bafS man ftcb auch $u Öebjeiten beS bl- 5 ranc tScuS troß aller Bewunberung für
ibn nicht eben übereilt habe, feinem britten Crben bei§utreten, ber aber bo<b ftet«
wuchs. Xrompetenftöße, bie inmitten beS SRarfcbeS erflingen, oerftnnlicben ben
mächtigen Ruf, ber auS ben Brebigten unb ben Söerfen beS bl. SfranciScuS ber
XBelt entgegenfcboU. Unb nun erzählt bie „Storia" oom Begehren ber ÜJtenge, in bie
neue ©emeinfebaft beS bl- 3ranciScuS aufgenommen ju werben, baS berfelbe $u er
füllen oerfpriebt. ©S berrfebt bar über Jfreube, welcher befonberS ÜucbefiuS mit ber
bl. ©lara (X)uett, Rlt unb BafS) 9IuSbrud oerleibt. — $ber auch ber bl- ^franciScu«
freut ftcb barüber, benn „baS ift baS ©efdjlecbt, welche« ©ott Jacobs fuebt". Run
bricht ber jurücfgebaltene 3 u & e l mit ungebämmter ftraft betauS: »Reminiscentur et
convertentur« ftngt ber gemifebte ©bor mit Begleitung beS ganzen OrcbeiterS. ©rit
ein gewöhnlicher ©borfaß, ber nach 126 Xaften ber fugierten Bearbeitung weicht.
•XuS Xbema bringen werft bie Baffe unb barnacb nacbeinanber alle Stimmen; ber
Sab baut ftcb uon ber ©rbentiefe nach ber §imtnelSböbe auf unb wirb nach 49 Xaften
oon einem Soloquartett ber ©r^äblerin, ber bl- ©lara, beS bl- Stan* unb £ucbeftu«
abgelöst, ©ine ©borreprife beS »Reminiscentur« nach bem Soloquartett fcbließt ben
erften unb größten Xßeil beS CratoriumS ab. 3m finale beS erften XbcileS ift bte
gan^e Äraft beS Sängercbore« unb beS Orcbcfters in 9lnwenbung, foweit unb fo wie
fte ben frerjen ber beiben getftlicben Sänger, oorab bem beS BtufiferS $u ent-
ftrömen oermoebte. ©S ift ber Xriutnpbgefang ber s ilrmut unb öiebe, baS ©liicfSgefübl
über bie Umfebr fo oieler Xaufenbe. Cb bie ftrenge ^tftorifebe gorfebung bereinft
wirflicb ben Beweis erbringen wirb, bafS bie Reihenfolge ber brei CrbenSgrünbunpm
bureb ben bi- 3ranj bie umgefebrte war, baf« alfo juerft bie Xerjiarier, bann bie
©lariffinnen unb tuleßt bie Riinberbrüber ins Ceben gerufen würben, weiß ich nicht.
Rber auch in biefem Jalle fann an ber fünftlerifcben Rnorbnung beS Oratorium«,
bie baS freroorragenbfte an bie erfte Stelle feßt, nicht gerüttelt werben, weil fte
eine äftbetifebe Rotbwenbigfeit ift. Riit ber ©r^äßlung oon ber erfolgten ©rünbung
beS britten OrbenS werben wir unwidfürlicb aus ben geglichen 3eüen mitten in ba«
Bolf oerfeßt. ©S itberrafebt unS alfo nicht wie eine unlogifcbe ©ffeetbafeberei, wenn
in ber ©inleitung jum jweiten Xbeile gan$ einfache, oolfstbüntlicbe ÜJtelobien er-
febaden, bie unS bureb ib r 5Befen mitten unter bie Bifferari unb bie fte umgebenbe
Bergnatur oerfeßen. Schlicht unb anfprudjSloS febweben in ruhigem Xempo bem
uraltem Rtelobienfcbaße ber italienifcben Bergleute angemeffen nacbempfunbene Rtelobien
babin, ftcb nirgenbS ju einer aufregenben 3öirfung oerfnotenb. 9lber ber 3wbörer
ahnt, was ba fommen fofl; wie bei Beginn ber Rbenbbämmerung baS XageSlicbt
ftetig abgetont wirb, fo oerliert fleh ber fanft heitere ©barafter beS inftrumentalen
3bpüS unb wirb etwas fcbwermutbburcfyogen, — man fühlt unmillfürlicb, bafS in
bem 3[bpll auf bem Rloemerberge ftcb etwas geänbert habe. Xa tritt bie ©rjäbletin
ein unb berichtet in faft lapibar gehaltenen 3ügen oon ber Stigmatifation. Run oerftebt
man fofort bie eingeftreuten Seufjer ber Qnftrumentaleinleitung; biefe haben anticipatio
jenes ©efüßl erweeft, baS ber ^eilige empfunben höben mufS in feinem fjleifcbe, als ißm
©briftuS in ber ©eftalt eines Seraph wäbrenb beS inbrünftigen ©ebeteS erfebten. Xie
©nabe, bie ißm juXbeil wirb, oorauSabnenb, froßloctt ^ranciScuS: „Magnificabitur
Christus in corpore meo“ unb gibt feinem gehobenen ©lücfSgefüble in einer 9Irte —
eS ift bie einzige im ganzen Oratorium — patbetifeben SluSbrud. Run berichtet bie
Storia baS ©efcbebniS: an feinen §änben unb grüßen leuchten bie SBunbmale. ©ntrüdt
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P. HartmannS Oratorium „0t. granciScuS". 383
allem Qrbifcben, in fich gefeiert, beglücft unb befangen, freubig erregt trofc ober infolge
beS pbpfifcben ScbmerjeS, oerf lärt unb oerroirrt — baS ift ber momentane Seelen
juftanb be$ Heiligen; unb biefeS ©ebeimniS bat ber ©omponift fo wahrhaft unb ge
lungen felbft auf ben gar nicht eingeroeibten Hörer $u übertragen ba$ ©lücf gehabt,
bafS ihm Daufenbe folgen mufften. Au$ bem Iefcten Dafte ber Orchefterharmonie
nach ber ©rjäblung quillt auf einmal, ungeahnt unb roie baS SBunber überrafcbenb
ber Orgelfafc b^ 0 ^ ber nun 5Borte beS heiligen ^ranj: »Crucifixus sum Christo«
begleitet, ©in canonifdh gearbeitetes Duett jroifcben ber $1. ©lara unb SucbefiuS
oerherrlicht baS SBunber auf bem Aloemerberge unb fcbliefet fo roeltabgeroanbt unb
rote in Betrachtung oerfunfen, gefummelten ©eifteS ben jroeiten Xheil.
Die ^nftrumentaleinleitung jum britten Xty'xk führt uns an baS Sterbelager
beS hl. SrranciScuS. AuS ber Diefe ringen fich Bu&feufjer, büfter unb bunfelgefärbt,
heroor; ben 3ubörer überfommt $obeSabnen. $ein fchnittiger, heßer Saitenton Kart
btefe Dämmerigfeit, fonbem &olj- unb Blecbbläfer theilen ftch in bie Aufgabe, jene
gcbrücften Harmonien $u bringen.
Die ©rjählerin berichtet nun, bafS ber hl* SranciScuS am Sterben ift. ©r
felbft fehnt benDob herbei: »Beneveniat soror mea mors!« Doch möchte er juüor
nochmals fein Sonnenlieb hören, roelchen Söunfcb ihm feine Schüler fofort erfüllen.
©S ift ein ßRännerchor, einfach roie alles, aber trauerburchroeht unb etroaS herb.
s Jlachbem biefeS Sieb beenbet roar, rourbe baS ©oangelium gelefen, roie uns bie
©rjählerin im folgenben SRecitatiu berichtet, unb bann fpricht ber ^eilige ju feinen
„Brübem" jum lefctenmale unb ftimmt ben ^Pfalm 141 an, roelchen ber ©hör
feiner Schüler aufnimmt, unb roährenb biefer ben Bfalm fingt, haucht SrranciScu*
feine Seele aus. ©in fRucf — baS Orchefter fefct auS, ein Arpeggio ber Harfe oon
ber Diefe nach ber §öhe oerftnnlicht baS ©ntfehroeben ber heiligen Seele oom ©rben
thale $u ben HintmelSböben. ©in fRecitatio ber ©rjählerin berichtet baS ©efchebniS:
»Et vir beatus obdormivit«. ©in aroeiteS D^ecitatir» beS BruberS Angelo „conftatiert"
— möchte ich fagen — mit ben SBorten beS ©rabualS am fjefte beS ^eiligen, bafS
ber auf ©rben arme unb bemüthige JfranciScuS als ein ^Reichet im Himmel einjog
unb mit hintmlifchen ©efängen empfangen unb geehrt rourbe. Der gentifchte ScblufS
chor bringt enblich bie eroige Seligfeit beS ^eiligen sum AuSbrucf; bie aflerbeiligfte
Dreifaltigfeit fpricht &ur neu aufgenommenen Seele: »O sanctissima anima — mane
nobiscum in aeternum!« Die eroige Dauer roirb burch baS primitioe üRittel bev
BSieberbolung oeranfchaulicht. — Damit fchliefet baS Oratorium.
3ßir hatten htemit bie ganje Anlage beS SBerfeS erörtert unb finb
feiner Stelle auSgeroicben, bie Scbroierigfeiten bieten fönnte. Unb nun entfteht bie
5rage, ob biefe Einlage, roie fie ift, ben fünftlerifchen Anforberungen entfpriebt?
3ch behaupte, geftüfct auf bie oorauSgef hielte Analpfe: ja. Der ©omponift
bat ben Blan gut burchbacht, bat bie ber ßRufiffunft ju ©ebote ftehenben ÜRittel
angeroenbet unb gut oertheilt. Qnftrumentaleinleitungen unb Begleitungen, fRecitatioe
für oerfchiebene Stimmen, ©höre in aßen Befefcungen, Homophonie unb 'JJolppbonie,
^nbiüibualifierung ber ^ n fttumente nach ib^m Älangcharafter, Bertheilung ber
^ormmaffen — aßeS ift in ben Arbeitsplan aufgenommen unb babei benüfct roorben.
Der ©omponift bat ber fehlsten Xeytbübung erft Seben gegeben burch bie abroecbS*
lungSreiche Bearbeitung einzelner Abfchnitte. AßeS bieS fpricht hoch beutlkb für bie
Behauptung, bafS roir ein burhauS fünftlerifch gebadetes Donroerf oor uns haben.
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384
Dr. $ofef üftantuani.
©ine anbere Srage tft bann, ob bie roefentließen 9lnforberungen erfüllt ftnb
unb ber ©barafter beS ©egenftanbeS getroffen ift.
SBei ^Beantwortung biefer $rage fönnen bie Meinungen je nach ihrer ^nbioi^
bualität auSeinanbergeben. 28er ficb jeboeb mit bem geiftigen ©runbjug beS bl- 3rranciScuS,
ber ja für ben ganjen Crben Siegel unb SHicbtfcbnur ift, nur ein roenig oertraut
gemacht bat, roirb faum etroaS 28efentlidjeS einioenben fönnen gegen bie 2luffaffung
unb bie föealifierung beS ©ebanfenS, ber bie ©runbfefte beS 2BerfeS bilbet. Der
innerfte $ern, baS 2Befen ber pbilofopbifdHocialen ©eftrebungen beim bl- 5ranciScuS
ift baS ©icbfelbftoergeffen in ber SiebeSbetbätigung für Slnbere, ift eine plan*
mäfjige ©elbfterniebrigung; bie felbftgeroäblte 9lrmutb ift ber ©runbjug
feinet DenfenS. ©infacb unb prunfloS fmb feine 2Borte, roenn er ben großen $olfS*
maffen prebigt, — aber fie oerfeblen ibr 3tcl nicht, ©egen biefen ©runbjug bat
P. Jmrtmann ficber in feinem fünfte gefehlt bei ber Anlage unb ber Durchführung
feiner ©ompofttion, $umal er ja baS roeltfreubigere Vorleben beS ^eiligen gar nid)t
berührt, fonbern beffen SebenSgefcbicbte nach bem SBerlaffen ber meltlicben ©üter
unb Jreuben in Tönen febilbem will.
Da bebarf eS benn feiner mufifalifcb’biplomatifcben Formeln unb ^brafen
feinerlei teebnifeber ©pifcfinbigfeiten, feiner intereffanten Harmonien unb pacfenber
Tonroifce, feiner ©eroalttbaten an ber ntuftfalifcben Sogif. Das mag unferer mobemen,
$u foäalen ©eroalttbaten ncigenben 3eit auch auf bem ©ebiete ber Eunft ein SBebürfntS,
ein roirffameS ^eijmittel fein, — am ©eifte beS bl- SrranciscuS angebracht, roäre es
ein roiberfinniger ShtacbroniSmuS. Denn bie freiroillige 5lrmut beS bl- 3franciScuS
fmnt nicht auf braftifebe Mittel, um irgenb einer s 2lnforberung beS brutalen Kampfe*
um baS Dafein ©enüge ju leiften; fie ift fanft, gebulbig, langmütig, oerfebroiegen.
©S ift etroaS ©rofeeS um biefen bl- 3ranciScuS, baS roir moberne ÜJtenfcben nidjt
roobl faffen fönnen, befonberS, roenn roir bebenfen, bafe jenes breijebnte ^abrbunbert
— oorab in Italien — burcbauS nicht fo rübrenb unpraftifcb roar, roie roir gern
benfen. 2lucb biefe 3*tt rang mit ben 2lnforberungen beS SebenS, au<b fte fannte
ben „ßampf um baS Dafein". Unb ba fommt einer ber »beati possidentes«,
entäufjert ficb feines $8efifceS unb lehrt — man fann ruhig fagen, bie ganje ©haften*
roelt — bie freiroillige 9Irmut! Um bem ©eifte biefes ©ngels im ÜJtenfcbenleibe
gerecht ju roerben, roenn man ihn in Tönen malt, — baju gehört ein grünblidje*
©icboertiefen in benfelben unb in bie Kultur feiner 3eit.
P. ^artmann bat fein 2Berf fo aufgefafSt unb bie Tonbilber entfprecbenb
geftaltet. ©ein burcbauS fünftlerifcb gebacbteS 2Berf ift mit einfachen, fogar febr
einfachen teebnifeben Mitteln b er 8 e fallt- Cb ich mir einen glänjenberen, oiel
glänjenberen 2Burf ber ©höre benfen fönnte? ©eroifS. Unb eine roirffamere
JOarmonifation? Qa. Cb mehr SBecbfel ^tneinjulegen möglich roar? MerbingS.
SBieHetcbt roäre ein oollfommenerer Ausbau unb ein reijenberer ftlufä be* Themen in
ben fugierten ©äfcen unb beim ©anon ein compacterer ©ufS möglich aeroefen?
Unbeftritten. Der ©omponift bat es unterlaffen, roeil bteju eine äftbetifebe SBeran
lajfung oorbanben roar; roer fann mit ihm bariiber rechten? ©oncertmä&ig freilich
ift bas Oratorium nicht; eS roiH uns mufifalifcb in ben ©eift beS bl- 5$ranj ein^
führen, in ben ©eift ber s 2Irmut, ber ©elbftoerleugnung unb ber ©elbftemiebrigung;
roo beginnt baS 3umel ober 3uroenig beS fünftlerifcben SlufroanbeS? 28er fann ba
bie ©renje jieben ober roenigftenS beffer jieben als berjenige, ber ficb mit biefent
©eifte praftifcb unb grünblicb befannt gemacht bat?
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P. JpartmannS Oratorium ,,©t. JranciScuS",
385
Übrigens haben mir ja fehr fchäfcenSroerte parallelen hie$u inberbilbenben
ftunft. Atehme man hoch baS SBilb beS 1)1. granj, roie eS im ©acto ©peco ju
©ubiaco gemalt tft unb jiehe mobemere Scaler, oorab etroa ARuriHo ober 3urbaran
iur Aergleidjung ^eran: baS tedpiifch Primitiofte entfpricht bem ABefen beS 3)ar*
geteilten am beften. ©iotto ^atte in Affifi bie ©tigmatifation mit äufjerft prhuitioen
Mitteln bargefteHt, tro&bem aber alle feine Vorgänger, bie biefen Vorgang barfteHten,
— eS finb jebn Silber oor ©iotto befannt — roeit überholt unb bamit baS ©runb*
fchema für alle Seiten gefdjaffen. ABürbe heute ein Zünftler fo malen rooDen, roa$
mürbe bie ßritif über beffen fünftlerifche Befähigung fagen? Unb boch — man gehe
alle bie bebeutenben 3)arfteUungen ber ©tigmatifation burd), j. 33. bie ©laSmalerei
tn ÄönigSfelben, bie Jpoljfchnitte beS 15. ^ahrhunbertS, BucaS oon Sepben,
3- oan AJtecfenen, $)ürer, ©aracci, ©igo.lt *c. bis auf Führich unb Subroig ©eifc —*
feine ift gewaltiger, urfprünglidher unb oon fo unmittelbarer ABirfung roie baS
primitioe unb beftedjenb naioe 33ilb ©iotto’S. Aflan hat fein fttecbt, roegen ber groben
Einfachheit beS einen 33ilbeS auf ©iotto’S Unfähtgfeit, auf beffen fünftlerifcheS ABoHen
unb können ju fchliefeen. $aS ift feine „oorauSfepungSlofe" Äunft, ebenforoenig
mie eS bie ©ompofttion P. ftartmannS ift. ABaS man oorauSfefcen fann unb barf r
baS ift eine innerlich fromme, ftimmungSooUe, äußerlich einfache, für mobeme ©oncert-
löroen.reijlofe AJtufif.
5>änbel, 33ach, $>apbn, 33eethooen, AJtenbelSfohn u. a., benen bie ABelt concert-
mä&ige Oratorien oerbanft, roodten ihren ßünftlerruf begrünben, um bann pecuniäre
Afortheile barauS ju jiehen. 2)a mögen mancherlei Ahicffichten mitgefprochen haben
bei ber Anlage unb Ausarbeitung ber Sonroerfe; oor allem mar eS natürlich baS
©treben, bem ©efehmaefe ber 3eit §u. entfprechen. S)iefe Umftänbe fptelen bei einem
ftranciScanermönche feine SRoUe. Unb roenn er componiert, fo ift eS einfach ber
tünftlerifche 3)rang, ber ihn anfpomt, auS ftch felbft heraus ju fchaffen, fo roie
es ihm um’S fcerj ift. „$)er Äunft ihre Freiheit!"
AuS biefem einzigen ABerfe fann man ben Zünftler jeboch noch nicht fennen
lernen ; man erhält ein anbereS 33ilb, roenn man ihn in feinen intimeren Regungen,
bei ©ntroürfen unb fleineren ©ompofitionen belaufet. 3)aS Oratorium ©t. ^ranciScuS
aUein jeigt noch nicht ben ganjen P. §artmann, obroohl eS oiele oortbeilhafte 3Ü9*
aufbeeft. 3n feiner Harmonie ift er mobem unb frei; er roenbet nicht feiten bie
abgefürjte ARobulation ä la ©rieg an; in feiner ^nftrumentierung nnrb man an
üJtenbelSfohn, ABagner unb — AJtaScagni erinnert. ABunberbar fann er ben
gregorianifchen ©horal unb, roie fchon oben gefagt, baS oolfSthümliche Bieb nach»
empfinben. ©eine 5)eclamation in ben Atecitatioen unb Arien gehört $u bem
Aüerbeften, roaS auf biefem ©ebiete gefchaffen rourbe, fein longefühl jeigt eine aus*
gebübete Atuancenempfinbung. $>aS aUeS befunben auch feine übrigen ABerfe; roer
P. fcartmannS ßirchenchöre nicht gehört ober gefehen hat, fann ftch fein abfchliefeenbeS
Urtheil über biefen AJtann erlauben. Alle jeigen Aorbebacht, Atettigfeit unb ehrliche
Arbeit. ABürben allemobemen ©omponiften ben 33ocalfafc ber menfdjlichen ©timmefo
angemeffen behanbeln roie P. ftartmann, bann hätten roir roahrfchetnlich einige
tüchtige ©änger mehr. Aftobem aufgepuloerte, ergrübelte unb concertmäfjig reijooüe
ABerfe finb aber oon P. §artmann nicht ju erroarten, roeü er ^ie^u $u roenig äußerlich
unb ihm bie ©mpfinbung ber ©oncertbefmher fremb ift.
$ie Ihiltur. III. 3a^rfl. 5. $eft. (li»?.)
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•26
Otfried.
(Eptltfie Birljtung in neun (gtefängtn non ***
(Orortfefcung.)
Dritter Gesang.
Kreuz und Rose.
D?r3üngling manbelt über grüne IDiefen,
€in Bädjlein raufdjt 311 feiner littfcn Fjanb,
§ur anbent ragen graue (felfenriefen,
Dor feinem Kuge liegt ein meites Sanb.
Das fjirtenfinb am raufjen Badjgelänber,
€s lächelt frofj beit trüben IDanb’rer an —
Du fielet, bie IDelt t^at ifjre pradjtgemänber,
3 ung ®tfrieb, bir 3 uliebe angetljan.
Hidjt fyört ber ernfte IHauit bas fanfte (Srtifien,
Das itjm 3 U ^e^en fpriebt bie tjeit’re IDelt;
Die Blume pflücFt er nur 3 U feinen ^füfjen,
Die 3 U bem IDege martcitb ftcb geftellt.
„IDegmarte" nennt fie ftd? in ftummer Klage,
(Hinft mar fie ein oerlaffen Ittenfcbettfinb,
ZTutt fyarrt fie an ben IDegen — geljt bie Sage, —
Kuf bafs fte ifyren Siebling mieberfinb’.
€r brüeft bie Blume fiiffenb an bie Sippen,
Kls mollt* er tröften fie mit linbem (Eroft:
„3d? fclber mufs norn Keld? bes Seitens nippen,
Das gleiche Sdjicffal fyab’ idj mir gelost.
3d? Fenn’ es moljl, bas Seiben über Seiben:
Das Siebftc, bas man meiß, auf emig meibeul
gmifdjen bir unb 3 mifdjcn mir
(Eaufenb Strahlen leuchten,
Spielen mit ber (farbeu 3 ier
3 n bem (Sras, bem feuchten.
§mifd?ett bir unb 5 mifdjen mir
(Eaufenb Döglein fangen, —
(Djal unb Flügel — bort unb ljier —
Kües ifi ein Klingen.
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93on * * *
HS
gwifd?ett bir unb 3 wifd>ett mir
(Eaufeitb Blumen blühen, —
Ad), wie mar’ es bod? 3 U biv
< 5 ar (0 fdjött 311 3 tefyeit!
IDeil es aber ntd?t mag fein,
Soll mein Sieb bidj grüßen,
Blumen, Klange, Sonuenfd?eitt
Seg* es bir 311 ^iifjett."
Der 3üngling fang es unb er ftieg 3 um Steine,
Den faum ein aitbrer 3 U erflimmeu wagt,
gnr ^erne geljt fein Blicf 311 m grünen £)ai?te,
Kus bem ein fto^er Berg 3 um fjimntel ragt.
„Dort wofjnt", fo ruft er, „rnoljut nun all mein ^rieben,
Hub ewig bin id?, ad?, oon ifjnt gefdjieben!
So tjaU* id? watjrlid? bir nid?t foüeit trauen,
ZTid?t bir, nod? beiner 3 auberf?afteu gier,
Dod? mufst* id? ftefj’u — ich mufste ftefy’n unb flauen,
3 d? wollte flietj’n unb* fonut’ es itid?t — oor bir!
Denn niemals Ijatt’ id? itod? ein Bilb gefefjeu,
So muttbcrliebes Bilb gefefj’n oorfjer —
Drum mufst’ id? fd?au’u, id? mufste fd?au’u unb jteljen,
llnb wenn ein Blicf mein (Eob gewefeti wär\
XTun werb’ id? ewig müffen au bid? benfeit.
Du wunberfames Bilb ber eblett IHaib;
IDotjin id? fünftig mag bie Schritte lenfen,
XDirb folgen mir bie ftille (Eraurigfeit.
Ittir ift, als war’ ein Sieb 311 mir gebrungeu,
<£iu innig Sieb burd? weite Sommernacht,
llnb fjätte ftd? mir um bas X}er 3 gefcbluitgen
XTtit ftarfer, fanfter, traurigfüjjer IHad?t.
Diel perlen fd?an id? in ber treibe Kränjen,
Der UTorgen weinte fte oor Seib unb Sujt —
Dor XDonne, toeil er burfte bid? begläu 3 en,
Dor Sd?mer 3 en, weil er 001 t bir fcfyeiben mufst 1 .
3d) netje mir bie Xjaub mit feinen (Etjräneu,
3cb fütjle mir bas X?er 3 , bas Augenlicht,
Auf bafs and? id? befiege all bas Seinen
Hub nid?t rergeffc meiner tjetjren Pflicht."
Die (Eljräne feuchtet itjm bie Augenliber,
3 »bes er fittnenb ttaef? ber ^ferne fpäljt.
Da fällt ein Pfeil 31 t feinen ^üfjett nieber,
An bem ein Blatt im E^öhenwinbe wellt.
Drauf jiefyt mit jungem < 2 rleu 3 weig gefdjrieben:
„(Sefäl?rlid? ift bas (Eräumett auf beit 5ötj*n;
XDenn bid? perwirrt ein Seiben ober Sieben,
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3 88
Ctfrieb.
Damt foüteft bu 5nm fiebern (Ebale gehn."
Der 3 üngling liest befd^ämt bie (Eabelmorte,
llnb Abfdjieb nimmt er pom geliebten (Drte.
Hm ^Juf$ ber Reifen fpielt bie milbe EDelle,
Sie mirft empor, fte fängt ben leisten Scannt,
Dann eilt fte nad? ber Bucht in beifrer Schnelle
Unb jagt bie gmeige um ben IDeibenbaum.
Der 3 üngling febreitet auf bem IDcg, bem glatten —
(Es ift ein Stamm, gefenft von eigener £aft —
(Er fhtbet (Eigil ruh’n im (Erlenfcbatten,
Der blanfc Bogen bängt an bürrem Hft.
Dem 3 ünger fd?lie|gen ficb befcfyämt bie Äugen
Unb por ben OTeifter tritt er rebebar;
Der fdjilt ihn ftrenge: „Klag ein (Eräumcr taugen
Äls (gottesmann im (Eher unb aut Elitär?
IDie millft bu nach ber IDeisfycit Quellen graben,
IDenn bu in beine IDelt perfunfen fiehft?
Die (Eboren millft bu lehren, Schmacbe laben,
IDenn bu bie pfabe ftedjer Scbnfucbt gebft?
Du bift ber (gleiche nicht mie an bem (Eage,
Da mir uns fanben por bem milben fjagc.
Du mollteft ^liigel bamals, ht n 3 u fli e 3 cn
gum Born ber (Eugenb unb ber IDiffenfchaft,
Ells fönnt’ er, eh’ bu fämeft, ttod? perfiegen.
IDie mufst’ id? 3äbmen beine Ccibcnfchaft 1
Du mollteft fd^reiben, lehren, benfen, beten —
Die Kraft pon 3ehn, bu trauteft bir fie 31t:
IDer meijj, mohin bie argen tüinbe tpehten
Dein h^i^ö ;?euer, beincs F^ens Hub’.
3cb fönnte bir pielleicht ben ^rieben bauen,
IDenn beiner Seele ^elb mir offen mär*,
Dod? bu perfchliefjeft bid?, unb fein Dertrauen
£as ich feit lang in beinern Äuge mehr.
So mufst bu benn bie eig’nen IDege manbeln
Unb bfijjen für bein Dettfen unb bein hanbeht."
„0 Hleifter (Eigil, lafs bie herbe Hebel
(greif mir mit Schonung an ben franfen Sinn:
Bis h ewtc id? mit mir f e ^ft in *fehbe,
3cb glaube, bafs ich £obes mürbig bin.
(Es mar am (Eage, ba mir pilgern giengen
gur Kamme^eli, bu rubteft in bem IDalb.
3 cb hörte ferne helles lachen Hingen,
mich 30g es an mit mächtiger (gemalt.
Drei tftägblein fanb id? unter einer (Eiche,
Sic reichten einer 3 ungfrau Blumen bar
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93on * * *
389
gum Kranjgcflccbtc; mas id? ber r>ergleid?e —
Kein Ding ber IDelt ift nod? fo füft unb flar.
(Ein IDefen freien es mir aus f^immelsfemen,
Sein £äd?eln lief melobifd? um ben IHunb,
Das lieberetd?e Sd?au’n aus gellen Sternen
<Sab einer mannen Seele Strahlen funb.
Ulir träumte einjt, es fäm’ non (Sott gefenbet
(Ein (Snabenbote aus ber anbern tDclt,
Der fprad?, ein rolles £?orn 5 U mir gemenbet:
„Dir fei gemährt, mas immer bir gefällt/'
Da l?ielt id? benn niebt lange lüaftl unb frage,,
„(Sib mir ein pfanb bes (Slücfs für alle £>eitl
So ftnb’ id? auf ber IDclt nur IDonnetage
Unb bod? bereinft bie ftimmelsfeligfcit."
XTTit läcbeln reicht’ mir aus bem 170 m ber Knabe
(Ein rottjes Kügelein ron jartem (Sias —
31?n fal? ich nimmer, hielt nur feine (Sabe,
3m (Dtjre flang es noch: „So hüte bas!"
mir fchlug bas ^erj: Hun trug ich in ben fränben,
3it fcbmacben Iiänbcn trug id? nun mein (Slücf.
3d? mollt’ es bergen, hoch mobin mich menben?
Kein Sd?lofs, fein Kicgel hält (Scfatjr 3 itrücf.
3d? grub es ein an menfd?cnferuem 0rte,
3d> grub es aus, id? barg es an ber 23ruft —
Ilnfelig pfanb! — mit biefem Klagemorte
<Ermad?t’ ich aus bes (Traumes £eib unb €uft. —
Hur mar mir bei ber 3nngfran treuem Sd?au’n,
Hls Fönnt’ ich biefer mobl mein (Slücf t>ertrau*u.
3ch fal? bie 3nngfrau fid? 511 m Hache neigen,
3n bem fie ihr befranstes Hilb erfchaut’,
Die Ittägbletti sogen um fie her ben Keigen,
Sie fangen : 3ubitb ift bie fchönfte Hraut!
Da gieug es mir fo fchmerslich burch bie Seele,
3d? bachte fie an fremben 'Hannes Fanb —
Du fiebft, bafs id? bie Sd?mäd?e uid?t rertjeble,
So glaub’ mir aud?, bafs id? mid? übermaub.
3d^ mill ben 2 Deg, ben bn mid? fiihrft, tiid?t meiben,
3d? fühl’ es mobl, er geht 311 meinem (Slücf;
Hur bulbe mir, bafs id? mit fünftem ieibeu
Hod? oft an jene F?ehre benf’ suriief.
3d> leg’ ins (Srab bie fehnenben (Sebattfen,
Hur bie ^Erinnerung fall b’riiber raufen."
Dem IHönche ift fein finnenb tfanpt gejunfen,
Hun blicft er auf: „IDenn id? bid? red?t rerftanb,
So millft bu fad?en bie (Sefal?r ber funfen
Unb fürd?teft bod? ben l?ol?en, hellen Hranb.
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390
Ctfrieb.
Pem Anfang miberfteh! — fo fprach ein Kluger,
So mancher büßte, ber es nid?t gethan;
Pen Keim ber (Thorheit in ber Seele trug er,
Hus bem erwuchs 3uletjt ein toller IPahtt."
Sprach 0tfrieb: „HUes magft bu CE^or^cit nennen
IPas uns bie IPelt non ihren (Sütem beut;
Penn mos bie IHenfdjen IPonnefames fennen,
(Es fommt, es gebt, es freut uns unb es reut.
27ur pon bem einen foll ber IPeife fdjroeigen,
Per gern Perachtung aller Pingc fprid?t:
IPill ftd? ein Her3 3U einem l^e^en neigen
3n eblem Prange, bas ift (Djorbeit nicht!
Penn wenn bereinft in beiner lebten Stunbe
HU beine Habe aus ber Hanb bir fäUt, —
Patin nimmft bu bod? 3U ewig treuem Hunbe
Pie fchönc liebe mit aus biefer JPelt."
(Ein weißes Höslein brach er pon bem Hage,
(Er bot es lädjelnb feinem UTeifter bar:
„Sieb* (Sottes b°^ c Schöpfung an, bann fage,
0b fte entehren mag bes Herrn Hltar."
Pa ttabm ber ITTönd? aus feines Kleibes galten
(Ein fchwa^es Kreu3 mit bem (Erlöfer mtlb:
„Pu miUft für biefen Fjobenpriefter malten,
Unb trägft im Fje^en ein pergänglicb Hilb?
Hur eins ber Reichen magft bu bir erwählen,
Penn Kreu3 unb Hofe fannft bu nicht permählen."
Per 3ünger nimmt bas Kreu3, er nimmt bie Hofe,
(Er brütft fte beibe innig an bie Hrnft:
„3ch mahle nicht, ich c ” ,c wir ^°f e
Unb bin mir eines ^repels nicht bemufst!"
Pa fab ber ITtönch bem 3ünglittg in bie Hugett,
3tt ernfte galten legt er fein (ßeficht:
„Plag auch bas Höslein 3U bem Kreu3e taugen,
So rofenmeiß bleibt beine liebe nicht."
Pem 3ünglittg auf ber IPange flammt bie Höthe:
„So möge bir pcrfprechett biefe Hanb,
Pafs ich ben Prang in meiner Hruft ertöbte,
Sobalb ich ihn bes Kremes unwert fanb."
mit lächeln fagt ber Ulöncb: „3n beinen 3abren,
Pa manbelt man in einer flotten IPelt,
mit (Trauer aber wirft bu halb erfahren,
Pafs aüe Hlüte pon ben Sweigen fällt.
Sur ^rucht geftalten ftch bie halben (Triebe,
IPie 311m Hegebren wirb bie fd>önftc liebe."
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93on *
391
♦
4t
Der 3üngling ruft: „Dies Dämmern 3 meier Seelen,
So fdjön mie parabiefesmorgenroth,
Dies fyolbe Seinen, biefcs füge Quälen,
fyilb Seligfeit unb halb ein banger (Tob —
So fjoljen Räuber fdjüfe (Sott, 3 U Iocfen
Das (fleifd? 3 um (fleifche, bas ftd? felber fudjt?
Sum (Ean 3 e ruft man nid?t mit Kircbenglocfctt,
So reifes Blühen blüht nicht für bie ^rucht!
IDer Siebe mdg ron Siebe unterfdgibet,
Der fennt mofjl auch ben (Tag nicht ron ber Bacht;
(Semeine Siebe nimmt, geniegt unb neibet,
3nbes bie hofje Ciebc fefig macht.
Der tjotjen Siebe fremb tft ein Begehren,
(Semeiner Siebe ^Jeuer löfcht itjr Bauch —
IDie möchte fie bie Unfcbulb nun rerfehren?
Sie fchont bie (Tugenb unb fie fdjirmt fie aud?.
Der lUeifter nimmt bas IDort mit ernften Hlienen:
„Der hoben Siebe mar ich niemals gram ;
Doch tjofye Siebe mill bem Bofyen bienen,
Unb nimmer fudg ge, mas 00 m Staube Farn.
€rfennteg bu ber (Sottesliebe IDonne!
Balg biefe bir mit ihrer fanften macht,
Da mirb bem (Seift, als hüb’ ftd? eine Sonne
Unb tjätt’ er früher nur gefetfn bie Bacht.
Denn mas bidj locft in biefem Schattenreiche,
Dergänglich ift es unb ber Untreu roll —
Bur einer ift ber (Treue, emig (Sleiche,
Den brum allein bie Siebe lieben foll.
(Ein (Slocfenläuten aus ber meiten ^ernc
3g alles (Erbeleib unb alle Suft:
(Es ruft bidy (Sott — €r rief, er 30 g’ bich gering
Sur SeligFeit an feine Daterbruft.
Unb folgft bu ihm, fo fd^mellt ber Seele galten
(Ein fdjönes Binnen, eine füge Both;
Um bich rergelfn rergängliche (Seftalten,
Unb freunblid? grügt ron ferne bid? ber (Tob.
Das Scben ift bir bann nur ein (Seläute —
(Ein Schlag bas (Seftcm unb ein Schlag bas feilte,
Der letzte führt 3 unt Bimmel bid? hinauf —
Sum (Tempel gchft bu ein bes (Emigfchönen,
Du hörg ber (Engel (Sloria ertönen,
Du geigt in einer fePgen Bnbadg auf.
D’rnm follteft bu ben Blicf 3 um f}öchften lenfen
Unb nimmer einem IDeibe Siebe fchenfeu!"
Der 3üttger miberjpridg mit fangen IDorten:
„Die Siebe, bie bu nennft, bie rühm’ ich auch:
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392
Ctfrieb.
Die S<f?önf?cit (Sottes fud?’ id? allerorten,
3 m lid?t, im tt>ellenfd?Iag, im tDinbesljaud?;
Hm fd?önften fat? id? feine fjulb entfaltet
3 n meines Daters eblem Angefid?t —
So Ijimmlifd? tjerrlid? aber ausgeftaltet
H>ie bas ber lieben 3uugfrau mar es nid?t.
So fünbe mir, marum id? foll r>erad?teu
Die Sd?önl?eit, wo fic mir am febönften blufft?
IDär’ fle ein ZMümlcin, bürft’ id? ihrer ad?ten,
ZDär’ fie ein Döglein, öffnen mein (Semütl?.
Durd? (Sottes IDillen ift bie Bolbe morben,
IDie fd?ön mufs <£r, ber fie erfonnen, fein ?
So mill benn liebe (Sottesliebe morben?
Sie fd?ließen frot? ftd? in bie Arme ein.
IDer in ber 3 ungfrau Auge fat?, bas flare,
0b ber mol?l je ber Sünbe bienen mag?
€s ift ein Stern, mit bem ber Unfid?tbare
ITTid? lotfen mill 30m gellen Bimmelstag.
IfTir al?nt es immer, menn id? an fie benfe,
Als märe biefer Strahl berabgefanbt,
Auf bafs er mid? burd? feine 5 d?önl?eit lenfe
gu großem (Ebun für (Sott unb Aaterlanb.
IDie follte nur ber £?err bem Bergen grollen,
Das ftd? beftegen läfst t>on feiner !Ttad?t?
(Sr fd?uf ein bolbes lid?t unb follte mollen,
Dafs mir entbebrenb manbeln burd? bie Had?t ?
So üielen Uei3 gab er bem lieben eigen,
Dafs id? oergäße gerne Speis unb (Erattf
Unb immer molltc liebe mir be3eigen
Unb einzig liebe nehmen für ben Dattf.
ZZimmft bu mir biefe, fag’, mas fannft bu geben?
Denn feine anb’re .freubc hat bas leben!"
„2Tid?t mill id? febben meiter mit ber liebe,
Die folchett Kämpfer bat," fo fprid?t ber (Sreis;
„Dod? eines lehrten mid? bie tapfren Biebe:
3n beinern Be^cn flammt es bod? unb beiß!
Aid?t Sieger bift bu, mie bu ftol3 gcfprod?en,
Als ein Acfiegter gebft bu betnen (Saug;
Dein t?ober Sinn, nod? ift er ungebrod?en,
3 n feinem Ularfe aber ift er fterbensfranf.
Drum fd?ließ’ id? bir ben IDeg 31m Jfulbapforte,
Solang ein 3 abr 311m gleid?en (Tage rollt,
23 is bal?in follft bu mot?neti an bem 0rte,
Wo bu bes flbcls erften Keim geholt.
Unb bjat bid? nid?t bein Sied?tbum übermuuben,
Dann reid?e mir getroft bie Z 3 ruberbanb.
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$8on * * *
393
3 n (fnlbas fallen wirft bu gan3 gefunben,
IPo manefy ein (Trüber feinen ^rieben fanb.
Pocfy.afynt es mir, bu bift bem (Seift rerloren,
llnb ^leifcb rom ^leifdje bift auch bn geboren.
liierter Besang.
Der Sängerkampf.
3 nt Blanfenwalbe flüftem alle IPipfel,
(Ein märlein rauften fte einanber 3U,
Pas Fam fyerab von HlanFenberges (Sipfel,
(Es natjm bem weiten IPalbe feine Hub’.
Per ^alfe brachte biefe ITlar 3um Hefte,
(Er felber fatj cs in ber HlanFcnau,
IPie ba gerüftet wirb 311m (Ebrenfeftc
jfür HlanFcnwalbes Ijolbe junge Jfrau.
Penn fünf3el}n £eri3C grüßten fie als IHäbchen,
Per neue reitjt fte in ber 3 ungfrait’n Schar;
Pie Home fpinnt ihr 31t ein golbnes Räbchen,
Pen Knofpenjabren folgt bas Hlütenjaljr.
Per Pater fielet erfreut ber (Tochter prangen,
llnb leife (Ehrfurcht fül)lt er im (Semiitfy:
Pas Scfyönfte, was er fanb, auf biefen IPangcn,
3 it biefen Augen fcfyant er es erblüht.
Um feinen 3 nbel in bie IDelt 311 rufen,
£ub er bie menge 311 bem IPiegenfeft —
(Es fließt ber IPein unb an bes (Thrones Stufen,
Pa barrett (Saufier auf ben Kampf nm’s Heft.
Petm fiittf3ebn Silberftücfe rub’n im Kreife,
llmfcfyliefjen einen Hing rom (Solbc rein
Auf einer (Tafel, bie beftimmt 311m preife
Pem Sänger, ber ba* würbe Sieger fein.
Zinn tritt bes Hlanfenmalbcs £>err 3ur (Eiche,
Jübrt bie Pcrfcbämte auf 3U ifytem (Tljron :
0 fel’gcr UTann, bem biefe gierbereiche
IHit milbem HlicFe reicht ben Stegeslobn!
gunt £ieberfampfe feib ih>r berge3ogett,
3 br ZDanbcrbriiber mit bem SaitenFlang ?
(SlücF 31t I IPer nie rom Sangesquell gefogen,
Per Anblicf gibt ifynt IPorte unb (Sefattg.
Perwunbcrt fchaut ber (Eble, ber (Semeine,
Perwunbert ficht ber (Eigentjolbe Schar
Sie an, bie Pielgerüfymtc Sü^e, Heine,
3 br Kleib fo licht, fie felber licht unb Flar.
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Ctfrieb.
IPer laufd>en Pönntc in bie Berten alle,
Per fyörte manchen nuinberfamen Klang:
Per Tiunolt fprach: „Unb tränf ich ftünblid) (Salle,
IHcin wirb fte niemals“ — nafynt ben IPein unb tranf.
Pann fuhr er, fiel? getröftenb, in bie Saiten,
<Er fagt’ bei fid?: „Pen preis erring* ich wohl,
Per foü mir niandien guten dag bereiten
€in ^fäfslein trinP* ich mit ben trübem bohl.“
Unb prüfenb gieng fein mief im Sängerfreife,
IPcr i^m 311 fürchten märe non ber Sdjar —
Per ftnnolt Pennt it^r aller IPort unb IPeife:
„Per preis ift mein — icb nebm* ihn ohne ^alir.“
llnb eilenbs prüft er noch bie blanPen Saiten,
Penn einer ruft ibn auf 311m Sieberftreit:
2 Pie flinf auch, Sibolf, beine Ringer gleiten,
Pes Tnmolt Kehle macht ben Kampf bir leib.
Zinn wagt es Sigimnnb, ber Saugesfrobe,
(Er fingt ein helles ^icb aus heit’rer 33 rnft:
Pein Sieb ein ^lämmchen — ftnnolbs Sieb ift Sobe —
IPie traurig, Sigmunb, bafs bn weichen mufstl
Tlud> Knnbrat will ben reichen Sobn gewinnen,
JPo manch ein beffrer OTnnb fchon unterlag? —
Per Plnge Katbalb gietig fchon Iangft non binnen,
IPcil er ben Spott nicht 31t bem Schaben mag.
3 ft nibnin ber letzte SangesPrieger,
Per mit bem l^nnolt wettet um ben Sobn?
Sein Sieb oerftummt — bu, frunolt, bleibft ber Sieger,
(Tritt nun b cr an 3ur 3 ungfrau au ben (Thron.
21 ein, wenbe bidi! Hoch einen mufst bu 3äbmen,
Soeben trat er in ben Kampfesraum.
Pu wiüft mit beinern niicf ben (Scgner läbmen?
tV b jener fiebt nur nach bem (Eicbenbaum.
So fing ooran, er folge beiner IPeife
§u feiner Scbanbe unb 311 beinern preife.
„füllet IPein in golbne Becher,
Keidjet mir ben Sebenstranf!
Penn mein flug* wirb fd>mad> unb fdnoäcber,
IRübe bin ich — fterbensPranP.
drinP icb erft bie eble Sabe,
Bin ich heil, id> wrrb’ ein Tjelb,
(greif mit Sachen nach bem Stabe,
§iebe fingenb in bie iPelt.
(Srüjf ben iiimmel unb bie (Erbe,
(Srüff bie (Quelle unb ben JPalb,
(Srüjf bie ftiitte unb bie Serbe:
Suftig Ser3C wirb nicht alt!"
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$on * * *
395
llitb lädjelnb minft ber Berr rom Hlanfenmalbe,
Da nabt ein Knecht mit bem gepriefnen (Eranf,
€in Sturmgeläcbter flang auf meiter Balbe,
IPic jener 30g unb leer ben Becher febmang.
Dann menbet ftdj ber ITTengc Sinn 3um Sänger,
Per eben feine erften (Eöne fdjlug;
Pod> 3 ubttbs Rüge Ieud?tet bang unb bänger
Dor Sorge, bie fte um ben ^remben trug.
Sie gönnt mobl feinem fonft bes Sieges (Ehre,
Jfür feinen fürstet fie fo febr bie Scfymacfy —
0b fte mobl nun ein leis (Sebetlein fpradj,
HIs er fein lieb begann, bas emfte, bebre ?
„(fern bem Kreife lauter §ed?er
iPall* id? einfam meinen (Sang:
Rllnatnr tfl mir ber Becfyer,
Sdjönfyeit mir ber liebjte (Eranf.
Heine luft gibt folcbe labe,
Himmer mirb mein Purjt geftiüt —
f}eil Pir, Pater für bie (Sabe,
Pie aus beiner Schöpfung quillt 1
IPenn icfy biefen (Eranf genoffen,
ifütjr id? mich ben Sel’gen gleid?:
*freuttb unb ^feinb ans 5er3 gefd} loffen —
IPelt, bu bift ein Rimmelreicb!"
€s quoll ein 3 ubelruf aus allen Kehlen:
IPer lefjrte nur ben 3 iingling folcbett Sang?
Wo lernte ber bie ^frömmigfeit oermäblen
Pcm (frobftnn burdj fo monnefamett Klang?
Pcrmunbert rubt auf ihm ber Rlicf ber menge,
Begcijtert fiebt bie 3 ungfrau 3U ibm bin;
Per Ejunolt aber greift bie ftärfften Klänge,
5 « beugen bofft er nod) bes Polfes Sinn
Purcb munt’ren Sdjer3 — es liebt ja feine Klagen.
So mar es einft unb ift’s in unfern (Eagen.
„Blonbe IHaib im ^feierfleibe
mit bem Helfenftraufj im Raar,
Rd? ich feb, bafs nid?t 3um leibe
Peine mutter bid? gebar.
Set*’ bid? b^r 3um fühlen IPeine,
leib mir beinen Hofenmunb,
Küffenb, lad>enb fei bie meine
*für bie all3u flücbt’ge Stunb’.
Penn ich mufs bann meiter manbem —
Sängerfinn bat feine Hub’ —
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396
Ctfrieb.
Deiner beuf’ ich, finb bie anbern
Hid?t fo licbemert mie bu!“
^<Seläd?ter Hingt, es flatfd?en taufenb Ränbe
Dem tjolben Seichtfinn ihren Beifall 3U;
IDie fefjr bas IDort bes IHannes ^er^ auch fdjänbe,
IDer fragt barum? Hun, 0tfrieb, finge bu!
IDirb fyofjer Sinn bie Schalheit übertönen?
<Er fang rom IDeib — fo fing ron beiner Schönen.
„(Ein lichter (Engel mollt’ id? fein,
3 ch lieg ber fchönften Sterne Schein,
^lög’ ungefelj’n 3U bir tjerab,
Dich treu 31t fyüten bis 3um < 5 rab.
3 ch trüg’ ben Stein ans beinern IDeg,
3 d? baute jebem Strom ben Steg*
Unb fchliefeft bu am gäben Kanb —
3 d? bich ftarfer Raub.
Unb Blumen pflan3t* id?, mo bit geljft,
3d? fpräd? ins Rer3 bir, tuo bu ftehft,
3 cf> gieng pon beiner Seite nicht,
Bis mir bein liebes Äuge bricht.
3d? flöge bann, mit bir pereint,
fjin, ipo fein Äuge (Djränen meint,
Des Rimmels Riillen 30g’ ich auf
Unb führte bich 311 (Sott hinauf."
Der (Ton perflang, es blieb bas leere Schmeigen,
So mancher fenfte finnenb ftill bas I^anpt:
(Einft mod?t’ er auch fo eble £ieb’ er3eigen,
Dod? hat bie Seit ben hohen Sinn geraubt.
IHit IDeljmutb benft er an bas parabies,
Das er perlor — nein! — nnbebacht perlieg,
ad?, gab es ein Sunu* nach jenen Huen,
U)o Rimmelsperlen auf bte (Srünbe trauen,
Wo jebe Blume ift ein bjimmelsgrüfjen,
(Sefanbt, ber (Erbe Bitterfeit 3U fügen,
Wo Utenfchen uns mie Rimmelsmefcn fcheinen —
l>orbei, porbei! Du fannft nur barum meinen !
Die menge fd?meigt — es febmeigeu rings bie Rügei,
Dafs man ber feheuen (Srille Strp en fyört,
Die Rer3en hob empor ber Anbacht Jlügel,
U?eh’, ^unolt, bafs bein Sang bie Sel’gen ftört!
tDie I]unbebellen in gemeinten Bäumen,
So Hingt bein Sieb in biefes fyeil’ge (Träumen:
„Sit}’ ich por bem rollen Bcdn’r,
Unb ein mägblein ift babei,
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elgt mir nur ein Sorgenbrecher:
ITtunt’res IDort 3ur ITtelobei.
3 >n>if<hen Kufs unb Bechemippen,
Pafs ber Ittunb nicht müßig fei,
fliegt mir ron ben fronen Sippen
(Eine h^it’re Ittelobei.
^afst ber (Eob mich im (Senitfe,
Sing' id? weine Ittelobei,
Jfüjf ihn mieber mit (Sefchicfe —
llnb mir tanjen — eins, 3roei, brei!"
Kein Saut bes Beifalls tönt bem eitlen Singen,
Ittan hulbigt einer reinem, h^h eni Ittacht:
IDer mollte feinen Preis bem 3 rrlicht bringen,
IPenti ihm bie große, reine Sonne lacht?
(Erfanb ber Ittenfchengeift bas Spiel ber Saiten,
Pafs feine (Eöne ihn 3um Biebern 3ieh’n?
Pie rechte Kunft miU uns nach oben leiten,
Bei ihrem Bah’n mufs bas (Semeine giebn.
(Ein Strahlenbote aus bem anbem Seben,
. IDill fie ben Ittenfcben über ihn erbeben.
Pie (Slut ift rein, bie beinen (Seift bnrchglüht,
So finge, 0 tfrieb, beinern Sieb ein Sieb:
„Beror ich bich gefeh’n, h<ib id? gefungen
So manches emfte Sieb bem h<>h en XBalb.
Bun aber fühl’ i<h weinen (Seift burchbrungen
Don nie geahnter (Eöne Bocbgcmalt.
3 cb feb bie (Engel fid) um mich perfatnmeln,
Sie tragen mich nach ihren fePgett Böh’n —
IDas porbem ich gefprochen, mar ein Stammeln,
IDas porbem ich gefungen, ein (Seftöbn.
Sie reichen mir 3U neuem Spiel bie Saiten,
Sie gügem mir bie reingen Ittelobiett —
3 cb fühl* bie Bruft für eine IDelt geh meiten,
3 n lauter Sieber fliegt mein Pafein hin."
(Ein neuer 3 ubelruf h<K g<h entrungen
Per Dolfesmenge, bie nun freubig gebt,
IDie man ben 3 üngling, ber fo h e h r gefungen
mit fanftcr Fjanb 3um jfegesthrone sieht.
Pem Qunolt aber glüht pom §om bie tPange,
(Er fchmettert feine Barfe an ben Stein,
Pafs ge 3erbricht mit einem fchrillen Klange,
Sie foU mit (£br unb (Sut perloren fein.
llnb einen Blicf poU ZTeib febirft er bem Sänger,
Per gumm unb garr por feinem (Slücfe geht,
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3 bm reicht hie lUaih hen Solh, ha ftocFt nicht länger
Pas IDort in ihm, er blicft fie an utth f[et>t:
„ 3 ch fang noch nie nm meinen Silbers BlinFett,
3 ch fchlage meine Saiten nicht um (Solh —
3 ch feb hen preis, hen hohen, fchönen reiuFcu:
Die (Ehre unh hie Siebe ftnh mein Solh.
lltth reillft hu beihe meiner Seele gönnen,
So nimm hen «Eicbeitjmeig, hie Hofe roth —
U>er reirh mir noch fo Siebes reichen fönnen ?
So hehres pfauh entrafft mir nur her (Eoh."
Unh 3 nhitb nimmt hie Hofe aus hem Daarc,
Sie bricht hen greeig ront Baume über ihr:
„So nimm, hoch nenne mir hie IDunhcrbare,
Die folche (Slut entfacht hurch ihre ^ier."
Da fpricht er Ieijc: „(Sottes reiche (Sitte,
Die fprad> 311 mir in fanftem IDinhesbaucb,
3 m (QueUgeriefel, in hem Duft her Blüte,
3 nt Dogeifang, im (Eannenraufdien aud>;
Dm Sternenhimmel fah ich ft* entfaltet,
Dis morgen ftieg fie in has IDalhrerier,
Do A} enhlich — wahrhaft f^immltfcb ausgeftaltet,
So fanh ich fie im IHenfchenfinh — in hir!"
IDohl fenft hie 3 ungfrati fchnell hie Dugenliher,
Den IDounefchrecf rerbergenh, hod? es geht
c£iu leifes Beben hurch hie 3artcn (Slieher
IDie Senfes hauch, her hurch hie < 5 recigc recht,
lltih weil hie ^reuhe DanFcsreorte töhtet,
Dod) ohne Saut hie §eit fo bange ranfeht,
Drum greift fie nach hem preis ntth, tief errötet,
Spricht fie 311m Sänger, her roll Dtthadit lanfcht:
„So geh hettn h” 1 / ö™ "Kämpfer 311 belohnen,
Den guten, her hem beffern unterlag:
cEr foll ein froher unter frohen reohtten —
3 hm fei 311m Seihe nicht mein 3 nbeltag."
Der Sieger fchreitet unter Beifallsrufen
punolt, her noch in hem Hinge ftelit:
„Du träteft", fagt er, „felbft au jene Stufen,
Dätt’ nid>t ein Zufall mich 511m 0rt gerecht.
Drum magft hu hiefen preis mit (Ehren nehmen,
IHit hem man hieb ja mehr als mich behadjt;
Du follft hich nimmer heines Singens fdjämen
llnh mir nicht neihen meines Sanges macht.
Du lernteft unter menfeben heinc CCöne,
Da reurhe hettn hein Sieh Fein tymmclsFlang —
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SBon * * *
IHid? lehrte (EinfamFeit bas Tjotje, 3 d?öne,
Das unfern Hörern in bie Seele brang.
Die (EinfamFeit gebar ja bie Propheten,
3 m £ärm ber IDelt oerftummt ber tjotje Sinn;
Dmm ift mein Singen immer halb ein 33 eten —
IDer btcb gelehrt, ber fang fcfyon um (Semintt.
So nimm, mas bi <b bemog 3um Saitenfdjlagen,
Dm tjaft ja gut ooübrad?t, mas bu gemoüt;
Hur biefes foüft bu mir jum Danfe fagen,
Dafs mir unb meiner Kunft bein £}er3 nidjt grollt:
Der Sangcsfunft, bie auf bem Seelengrunbe
€in heilig Seinen nadj bem ^öcbften meeft,
Die Htenfcbeu alle ruft 3nnt Ciebesbunbe,
IHit Donnergroll bie Sünberfeele febrerft;
Die, mas ba lieblid) ift auf (Sottes (Erbe,
3 n eble IDorte, füge Klänge fcbliegt,
<§u febönem £eibe flärt ber JDelt öefcfymerbc
Hub golb’ne (Tljränen nod? im Sd?mer3 oergiegt.
Die Bimmelstocfyter foüft bu mir nicfyt Raffen,
Du Fannft bid? gern von ihr beftegen laffen."
(Es murbeit mäblid? beü bes anbem Jpgc,
2?un greift er ladjenb uadj bem Siegespreis:
„(Ein SdjalF, mer banFlos bies oon bannen trüge —
So nimm bie beftc Eefyre, bie ich meig.
Du bift ein Kirtb, bas unoerftänbig banbeit,
IDenn bu ben £otjn oerfdimäljft, ber bir gebürt.
(Ein (Träumer bift bu, ber im Sddafen manbelt
Dem eitlen Sd?cine nad?, ber i^n oerfüljrt.
Perlafs ben Sang non Falter Scelenfjofycit,
Der bidj aüein unb Feinen fonft betört;
(Senieg oielmebr bes AugenblicFcs ^roheit
llnb bridj bie frudjt, folang fie bir gehört.
3 nbes bu manbelft mit bem £ug’ nach oben
Unb Klänge fyörft, mo Feiner geigt unb fingt,
Bat fd?neü ein anberer ben Sd?at3 gehoben,
Der laug genug 3U bir cmporgeblinFt.
(Es Fommt ein (Tag, mo aü bein (Traumgemebe
lt>ie morfdj gemorbner Schleier jätj 3erreigt,
Dann münfeht ber (Ojor, bafs er 00m neuen lebe,
Dodj ift ber TDärme QueÜ in iljm oereist.
Die einen fyabett golb’ne (Slut getrunFen,
Die anbem ftd? an marmer £ieb’ erfreut,
(Sefättigt finb fie in bie (Srnft gefunFen,
(Er fielet an feinem (Srabe unb — bereut.
Drum ftimmc bu bein £ieb 3U meinem (Tone —
So rattj id? elirlid?, beiner £ieb 3um £ofjne."
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400
Otfrieb. $on * * *
3 ljnt möchte 0tfrieb noch ein IPort ermibern,
Dod? bünft es i^n perlor’ne Seit unb IHülj,
iPer mollte Fünftlid? eine ITtaus beftebern?
Sie lief ins £od? — 3um Bimmel flog’ fte nie.
Drum menbet er ftd> ab pom poffentjelbcn,
(Er retdjt bes Heftes Berrn ein Pergament;
Der ruft erfreut: „Du follft ein ^reunb mir gelten
flls (Jreunb bes ^rennbes, ben bies Blatt mir nennt,
Perliegeft bu ben Pogt ber (Eigi^efle
3 n ^froljftnn unb (Sefunbfyeit — t^u” mir Funb!
Dod? folg’ mir erft nach meines Banfes Sdjmelle,
Das bir 3um J}eint gemorben biefe Stunb*.
Denn alfo Pünben mir bes ^reunbes Seichen,
Dafs bu bie gefyrung nimmft pou meiner Banb,
Bis mieber ftcb belauben biefe (Eichen,
(Ein neuer ^rültlingsjubel Flingt im Canb.
So folge benn unb bring uns Jreub’ unb ^rieben
Durd? beine (EinPetjr ins befcbeib’ne Baus —
<Eud? (Säften fei ber redjte DanF befebiebett,
Sunt Pbfdjieb nehmet IPein — bas <Jeft ift aus."
Sunt BlanFentjofe IenFt ber Berr bie Schritte,
lln feiner Seite gebt bas befte Kinb,
Sur anbent fdjreitet rebearm ber Dritte,
Dem füges Bbnctt burd? bie Seele rinnt.
Die ITCenge aber fdjmelgt in ^eftesmonne
Bei Spiel unb Speife, IHetfj unb gellem IPein.
Sunt Scheiben mafynt fic enblicb boeb bie Sonne,
Der Sd?Iieresbacb erglüht im Pbettbfdjein.
Hun 3iel?’u fic fjitt mit Sdje^en unb mit Hufen,
Binanf, tjinab, 3um Berge, bureb bie Hu;
Sie benFen jener, bie ben 3 ubel fetpufen:
Des IPalbes t^errn, bes (Etjales junger Jfrau.
Sie reben fdjelmifd? pon bem jungen Sänger,
Der fo geftel bem Pttge mie bem 0tjr.
(Ein polles 3 ai?r 3U (Saft! IPas braucht es länger —
IPenn fte nid>t tjeute fd>on itjr Ber3 perlor!
So geb’n fte fd?er3enb. (Enblicb ruht bie Bafbe
3 n Scbmeigen unb in febma^e Hacbt gefüllt —
(Es träumen nur bie Richten in bem IPalbe
Pon einer Pbnung, bie fte all erfüllt.
Die eine fpridtt: „ 3 cb bab’ es oft gefeiten,
IPie aus bem tnorgenrotfye mtrb ber (Eag
Unb aus ber Knofpe bricfyt bie Hof im f^ag —
So getjt es jtets — fo mirb es tjier gefcfyetjen."
(Srortfefcimg im nädjjfcn $cft.)
IHebacteur: $>r. granj ©djnürer.
Sof. Wotb’fäe 8erlflfl«bucbbflnblunfl. — ©u($bruderei «mbr. Opi&,
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ffiien.
Unfehlbarkeit und freie Forschung.
Bon Ä). Srfilcntjncr.
1 .
r ,\Än bem ©treite ber S8orau3fej}ung§lofen gegen bie ©leidjberedjtigung ber
QP Katpolifen in ber SBiffenfdjaft ift ißaulfen’3 Philosophia militans ein
Vorläufer gemefen. $iefe Schrift fdjeint bie mucfjtigften ©treidje gegen bie
fatljolifdje SBiffenfdjaft ju führen; fie richtet fid) gegen „Slericali3ntu3" unb
„9tatura(iämu3". SRit bem 9?atura(iäntu3 befc^äftigt fic^ ber 5. X^eit: „Srnft
.'poetfel alä (ßfploiopb". üiefer 2f)eil tommt Ijier nid)t in ©etradjt. ®ie
übrigen Stbtbeitungen menbett fid) gegen ben „S(erica(i3mu3"; il)re Xitet lauten:
1. XaS jiingfte Kefcergerid)t über bie ntoberne ißljilofopf)ie. *)
2. Sa nt, ber (ßljilofopl) beä fßroteftantiämuS.
3. Katf)oliciSmu3 unb SBiffenfdjaft.**)
4. Siebte int Kampf um bie greifet be£ ®en!en§.
SBäljrenb bie Sorauäfefcungdofen megen ber ©dfmädje itjrer ißofition
atlgemad) ben (Rüdjug antreten mufften, mürbe ber ©runbgebanfe in
fßaulfen’ä ©rörterungen gegen ben „StericaliSmuS" im Verlaufe be3 ©treiteä
nid^t miberlegt, ja nicf)t einmal als foldjer angeführt, (ßautfen’S ©ebanfen»
reifie gipfelt etroa in ben ©ä$en:
„$(uf bie grage: »®ibt eS eine anbere Quelle ber ©emifsl)eit in @ad>en
ber SBiffenfdjaft unb ber SBettanfdjauung a(S Vernunft unb ©rfaljrung?«
antmortet biefe (bie moberne fß!ji(ofopf)ie unb SBiffenfdjaft) entfdjieben mit
9iein, §ertling bagegen mit einem, menn audj (imitierten, bod) ebenfo
*) ©egen SGBiUmann, @efcf)id)te be$ gbealiStnuS, in. S8taunfd)roeig 1897.
**) ©egen t). Bertling, $a3 ißrincip bes KatboltciSmuS unb bie SBiifenfdjaft.
greiburg 1899.
$ie Kultur. III. 3a^rg. 6. unb 7. $eft (190S.) 26
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402
2S. Schleufener.
eittfchiebenen 3a! $te unfehlbare Sehrautorität ber Sltrd^e gibt abfolute
unb le^te ©ntfcheibungeu in Sachen ber Sßahrheit unb jie^t baburd) bem
pfjilofophifchen $ettfen unb auch ^ er tuiffenfchaftlichen gorfchung ©rennen"
(a. a. 0., ©. 89). ©obamt: „9lber in Bnncipienfragen gilt eS reinliche ®nt~
fcheibung. @o hier: freie gorfchung ober unfehlbare Sehrautorität, ber ©egen*
fab im Bnncip ift ein auSfdjlicfienber" (Phil. mil. ©. 96). ferner: „Unb
tuenn ich bem Inhalt nach oüeS glaubte, loaS bie Öirchc ober ber Bopft
lehrt, baS eine tonnte ich nicht glauben, bafS fie unfehlbar feien; eS fchlöffe
beit ©ntfchlufS ein, mich für ollemal eine* felbftänbigen UrtheilS über
baS, maS jene jemals für toahr unb umuabr, für gut unb böfe ertlären
mögen, 511 begeben; eS märe ber grunbfäbliche S^er^idjt auf ben ©ebrauch
meiner Vernunft unb meines ©emiffenS." (a. a. £>., ©. 53.)
SBährenb Bouljen fonft als ernfter gorjeher bem SatholiciSmuS mehr
als anbere gerecht mirb, ift ihm alfo bic Unfehlbarkeit ber houptfächlichftc
Stein beS 9tnftof$eS. Sluf ©runb biefer Slnfchauung fpricht ber berliner
s 45t)ilofoph bem tatl)olifchen Renten bie SBiffenfchaftlichfeit ab: „‘Die Sache
ftel)t auf enttoeber — ober. 2Ber ben Duhm ber Unfehlbarkeit unb ber
aücinfeligmachenben Sehre hoben mifl, fonn nicht jugleid) beit Duhm ber
SBiffcnfchaft unb ber freien gorfchung hoben"*) (a. a. D., @. 96).
*) BUerbingS miU er nid)t, roie anbere, bie Katholiken 001 t ben Uniocrfitäten
oerbannt roiffen: „Die letzte BorauSfefcung für biefe 'Betrachtung ift natürlich bie,
bafS man baS D)afein beS fcatholiciSmuS überhaupt für berechtigt polt, für berechtigt
auch auf beutfehem Boben. ©S gibt Biele, bie bieS nicht thun, bie eS für baS größte
Unglück beS beutfehen BolteS anfehen, bafS bie Deformation nicht gam; burchgebrungen
unb ju einer einheitlichen proteftantifchen Dationalfirche geführt hot. geh kann biefe
giihrung unferer ©efehiepte, fo furchtbare Kämpfe unferem Bolfe auS ber religiöfen
Spaltung enoachfen fmb, fo lange baburch auch feine Selbftburdpfeßung in ber 2Belt
gebinbert roorben ift, juleßt hoch nicht für ein Unglück holten, geh bin ber Slnficpt,
bafS eine beutfehe Dationaltirche unter ber Suprematie beS Staates für unfer gefammteS
Seben oerhängniSooUe golgen gehabt hoben mürbe unb, roenn fie h^beijuführen
märe, auch jefet noch hoben miifste. DaS Spftem ber ©äfareopapie märe fchlimmer als
bie SUrcpenfpaltung, eS mürbe bie geiftige unb mit ihr bie politifche greipeit erbriiden.
DaS Dafein beS ftatpoliciSmuS alfo ober bie Spannung jmifdpen ben ©onfeffionen
erfcheint mir, fo feltfam eS manchem Hingen mag, im Deutfcpen Deiche als eine
©arantie ber greipeit; bie fatpolifcpe Bartei mirb als geborene Btinberpeit immer
eiferfüchtig barüber machen, bafS bie StaatSgercalt nicht ihre ©renjen überfchreitet
unb auch baS geiftig=religiöfe Seben ihrer £>errfcpaft unterroirft. Unb auch für ben
BroteftantiSmuS ift bie Berührung mit bem ftatpoliciSmuS unentbehrlich, er hot fiep
an ihm beftänbig über fein eigenes SebenSprincip $u orientieren. DaS fmb bie 9ln=
fchauungen, auS benen heraus bie fatholifcpstpeologifcpen gacultäten fiep mir als ein
mertoolleS unb ber©rpaltung unb Bflege roürbigeS©rbe ber Bergangenheit barfteHen."
(3Biffenfcpaftl. Beil. 3 . Dägl. Dunbfchau, citiert in b. $. B. 0 . 2 . Jänner 1902.)
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Unfeblbarfeit unb freie Sorfcbung.
403
Sachlich fü^rt Saulfen, tuie fo Siele »or i^nt, bie Serurtbeilung
©alilei’S burcb bie röntifcbe Snbe^congregation gegen bie Unfeblbarfeit ins
Selb (a. a. 0. S. 20 unb S. 69). SKit Unrecht: Unfeblbarfeit unb
GongregationSentfcbeibungen finb Ijier, mie auch fonft, nicht auSeinanber*
gehalten. Spören mir barüber 9KauSbacb*): „Xie meiften Stunbfcbreiben unb
religiöfen ©Mahnungen ber $äpfte, bie EntfcbeibungenberEongre*
gationen u. f. m. finb nicht unfehlbar, SSBenn tro|bem bie
Geologen bie Pflicht betonen, auch folcbe Sehren anjunebmen, fo liegt
barin folange fein SEBiberfprucb, als biefe Pflicht nur eine bebingte fein
foH; — ift ja fc^on baS Kinb ben Eltern, ber Schüler bem Sebrer
biefe Ehrfurcht unb ©ele^rigfeit fc^ulbig. ES mürbe aber einen SBiber*
fpruch einfcfjliefeen, mollte man einet Kunbgebung gegenüber, bie möglicher*
meife falfch ift, bebingungSlofe ©läubigfeit »erlangen ober hoch jene ©Wg*
liebfeit burcb aüerbanb Eautelen fo abfebmachen, bafS fie praftifd) nicht
gelten bürfte; benn bie SEBabrbeit ift ^öc^fte^ ©efefc beS ©eifteS, unb fie
läfSt ficb nicht bie SBege jurn ©eifte »erfperren. Xaber lehren auch bie
fircblicbften Xb^ologen, eS fei erlaubt unb unter Umftänben nach ben
©rünben folget Entweihungen 511 forfeben unb nach ruhiger Prüfung bei
beutlicben ©egengrünben ein abmeicbenbeS Urtbeil $u fällen."
„Xer Staat nimmt ja auch", mie ^Saulfen fagt, „für feine ©efefcgebiutg
unb SRecbtfprecbung notbmenbig" (biefe) „praftifebe »Unfeblbarfeit«**) in 91n*
fprueb" («• ö- 0. ©* 52). Kant bat ficb befanntlicb einer berartigen ftaatlicben
Eutfcbeibung aus fcbulbigem „©eborfam" (a. a. 0. S. 52) untermorfen:
„ES ergieng nach Königsberg jene ungnäbige 21uSlaffung: Kant’S Sb^° s
fopbic habe baS Merböcbfte ©tifsfaüen erregt; »mir gemärtigen uns
»on Euch, bafS 3b r ® u <b fünftigbin nichts bergleicben merbet $u Sdjulben
fommen laffen, fortbern Eurer Pflicht gemäfi Euer Slnfeben unb Eure
Xalente ba$u »ermenben, bajs unfere lanbeSoäterlicbe Intention je mehr unb
mehr erreicht merbe; mibrigenfaüS 3b r Euch unfehlbar unangenehmer Ser*
fiigungen ju gemärtigen b^*-« Unb Kant, bamalS ein ©reis »on fiebrig
Sabren, b^tte ficb Qebucft, baS SEBetter oorübergeben ju laffen y er »er*
fpracb in feiner Serantmortung, »als Em. ©iajeftät getreuefter Untertan»
51 t febmeigen." (S. 100 f.)
Xie freie Sorfdjung müfste bamacb Kant bie SEBiffenfcbaftlicbfeit ab*
fpreeben, benn er b<*t biefe Untermerfung geleiftet miber feine miffenfcbaftlicbe
*) X>ie faty. ©total, ihre ©totboben, ©runbfäfce unb Aufgaben. (3. SereinS-
febrift ber ©örreS>©efeHfcbaft für 1901.) Köln, Sacbem, 1901, S. 148.
**) 2Bir finben ben 51uSbrucf nicht glüdlicb, behalten ihn aber bet Kürje
roegen bei.
26*
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404
52. Scpleu&ner.
Überzeugung*) (a. a. D. ©. 101 ). SEBtr thun ba* nicht; ba* wiffenfchaftliche
21 rbeit*ergebni* ®ant’*, infoweit e* ein folche* ift, bleibt für un* hefteten.**)
$ie innere $i*pofition be* S'atpolifen junt fogenannten sacrificium
intellectus bagegen ift eine anbere al* bie Sant’*. gür jenen ift bie Offen*
barung, beren Trägerin bie Kirche mit ihren unfehlbaren Sefjrentfcheibungen
ift, ein 2 (u*fluf* berfelben göttlichen ©ernunft wie bie ©efefee ber Sogif,
auf benen ba* wiffenfdhaftliche $enfen bafiert. ©ubjectio unb praftifch
genommen ift be^^alb bie Unterwerfung eine* Satholifen feine anbere at*
jum ©eifpiet bie $aecfef* unter bie SBeltanfchauung be* $arwini*mu*,
abgefehen oon bem objectioen 2 Bahrheit*wert beiber SBeltanfchauungen.
®ie — wir behalten ben 21 u*brucf ©aulfeit’* bei — „praftifdje
Unfehlbarfeit" ift nun ein 21u*fluf*, bie natürliche ©eite ber wirtlichen
Unfehlbarfeit, ber Entweihungen ex cathedra, ©ie hübet in Dielen
Süllen bie ©orftufe ber unfehlbaren fiehreutfeheibungen, inbem in ben Eon*
gregationen auch Vorarbeiten angeführt werben, bie zu einer Sathebral*
entfeheibung führen fönnen. ®ie Eongregationen finb bemgemäß in ihren
21 nfichten unb Srlaffen fehlbar unb ben 3 ritanjcbauungen unterworfen,
We*halb wir ben 2lu*brucf „praftifche Unfehlbarfeit" beanftanbet h a ^ e «-
SBenit ber Übergriff in ber Entfeheibung gegen ©alilei einen geiftigen
Xiefftanb bebeutet,***) wa* übrigen* nach ben lebten Erörterungen über biefe
Staget) nicht ohne Einfchränfung zuzugeben ift, fo ift ba* nicht gerabe
unoerftänblich in einer 3 eit, wo bie proteftantifche SBelt fich weigerte, eine
fo Ware, rein mathematifche SBahrheit wie bie gregorianifche Salenberreform
anzunehmen, nur weil fie Dom ©apfte au*gieng.tt)
$er 21rt nach h^t eine Eongregation*entfcheibung auf religiöfem ©ebiete
feine anbere Sebeutung, al* etwa ber Erlaf* eine* Eultu*minifter* ober einer
*) SDa* ©eifpiel Sichte’* al* 5öahrheit*$euge, ba* ©aulfen tm ©egenfafc ju
Sant’* Unterwerfung anführt ($. ©. Sichte im Sampf um bie greiheit be* philofophifchen
$)enfen*) r ift boch wegen ber „falfdjen Schritte" (Philos. milit. S. 104 ff.) recht un*
glücüich gewählt.
**) Über ben Sinn be* 5lu*brud* „Philosophia perennis“, ben©aulfen
mif*juoerfteben fcheint (ogl. j. ©. a. a. O. S. 6; S. 70; S. 167), hätte er in
o. fgirtling’* Schrift (S. 43 ff.) 9iachmeife finben fönnen.
***) ©aulfen ermähnt bie Ihutfacpe, baf* bie ©ehanblung Seppler’* bur<h bie
proteftantifchen Theologen eine ähnliche mar.
t) Ehthatb, Xtx Satholici*mu* unb ba* 20. gahrhunbert, 4.-8. 5lufL,
S. 151—153; ein 5luffa& oon 2in*meier in 9tatur unb Offenbarung, Jahrgang
1901; ©rifat, ©alileiftubien, 9tegen*burg 1882.
tt) $er gregorianifche Salenber oon 1582 mürbe oon ben meiften proteftantifchen
fiänbem erft 1699—1700 eingeführt; oon ben übrigen oiel fpäter.
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Unfehlbarfeit unb freie ftorfc^un^-
405
ähnlichen Sehörbe auf bem ftaatlichen; fie famt be^afb nur ©ehorfam, nicht
abfolute SBahrheit^uftimmung forbem. @3 möchte aber ferner fein, einer anberen
©efjörbe, bie gahrfjunberte tjinburd) ihres 91mteS waltete, gleich wenig 3SifS=
griffe nachjuweifen.
Durch bie ©rlaffe ber gnbejcongregation foHen bie ©laubigen in
wefentlichen Behrpunften gefchüfct*) werben gegen willfürliche ©peculationen
©injelner; ohne fie Wäre bie Dbjectioität ber ßirchenlehre längft ben SBeg
beS fonft allgemeinen ©ubjectioiSmuS gegangen. Die Sllternatioe, oor welche
bie Snbejcongregation einen fatholifchen ©eiehrten fteflt, inbem fie ihm
erflärt, biefer ober jener Safc wiberfpreche ber Sird&enlefjre, gleißt berjenigen,
Oor bie ber Slftronom Örablep gefteüt war, welcher ben fcheinbaren ©tili*
ftanb ober bie Siicfläufigfeit eines ©terneS (Aberration beS gijfternlichteS)
entbecfte: entweber bie beobachtete ©rfcheinung für ©inneStäufchung ju galten
ober baS Sfeppler’fche 3Beltfpftem ju oerwerfen, ©o wenig Srablep wegen
ber einen, ihm eoibent erfcheinenben X^atfad^e baS Seppler'fche ©pftem Oer-
werfen muffte, fo wenig braucht ein fatholifcher ©elehrter wegen einer ihm
wahr erfcheinenben, aber beSljalb noch nicht außer allem Zweifel ftehenben
£>ppothefe bie fatl)olifche Sehre ju oerwerfen.
Die Sleppler’fchen ©efefje finb tywtt als unbejweifelte SSahrßeit ein
Segulatio für ben gorfcher; in oiel höherem ©rabe finb bie oon ber Kirche
gelehrten SBahrljeiten — unb h^n™* fomrnen wir überhaupt erft jur
Unfehlbarfeit — ein Segulatio für ben Katholifen. Sach ber Anficht ber
auf unfereit Unioerfitäten herrfchenben Sichtung müßten nun bie Kepplcr'*
fchen ©efefce eine unleibliche Söffet für ben Aftronomen fein! Aber ift benn
nicht jebe eoibente SBaljrheit eine unfehlbare Sßahrheit? Unb finb nicht bie
eoibenten SBah r heiten, oon benen bie einzelnen SBiffeitfchaften auSgehen, für
bie Vertreter biefer SBiffenfchaft eine Sefchränfung burch Unfehlbarfeit?
Da nun aber baS Denfen an bie SBahrheit gebunben ift unb Dörfchen
nur als SBahrheitfuchen ©inn h a */ f° ift bie gefunbene SKahrßeit fein
£inberniS ber freien gorjehung, unb fo ftehen unfehlbare Sehrentfcheibungen
ber gorfdjung nicht entgegen, fonbern führen fie ju ihrem haften 3^-**)
*) ©inen ähnlichen ©inn ^at auch baS 93 ücperoerbot. ©3 geht fdjon beShalb
nicht an, baSfelbe gegen bie gorfchungSfreiheit ber fatholifcpen ©eiehrten geltenb ju
machen, roie eS 9 Jt. Sehmann f^reuß. gahrb. 1902 , Sr. 1 ) thut, roeil erftenS feine
oerpflichtenbe Kraft aufhört, „roenn ein roieptiger ©runb eS jur Aothroenbigfeit
macht, bagegen §u hnubeln"; jroeitenS, roeil bie DiSpenS baoon einem ernft roiffen*
fcpaftlkh Arbeitenben nicht oerroeigert $u roerben pflegt.
**) 93 gl. ©hrharb a. a. £>., ©. 268 .
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406
W. Scbleuftner.
„^ilojop^te unb Wiffenfd&aft" ntüffen fid) atfo nicht „felbft auf geben 11 ,
menn fic fich $ur Unfe^Ibarfeit „befennen", mie $aulfen meint (a. a. D.
S. 52). Wir müßten auch nicht, bafs bie 2lnhänglichfeit an bie Sircfje etma
Solta ober 21mp£re an ihren ©ntbecfungen gehinbert, beren Wiffenfchaftlichfeit
Eintrag get^an hätte.
Diefe ©ebunbenheit roirb alfo oorn 3 nnenftehenben ebenfomenig al£
hemmenb empfunben roie bie ©runbgefefce ber Sogif ober äRathematif. Sie
gibt ihm ba Sicherheit, mo er mit ieinem Renten nicht ooüftänbig h^
bringen fann, bem Dran$cenbenten, foroeit er eä nöthig hat, um ju einer
ber göttlichen Offenbarung entfprechenben Xfjeofogie ju fornmen. Damit ift
nicht au3gefd)Ioffen, baf£ eine Sernunftmahrheit auch noch geglaubt merben
fann. (Dafein ©otte».) freilich, mer biefe Wahrheit nicht „erfannt" ( 3 <>h- 6 , 70)
hat, mirb fie nicht annehmen, aber auch int etoigen ©egenfafc ba$u fich beftänbig
baranftoften: „E£ mirb immer unmöglich fein, für ben ®erftanb entfcheibenb
barjuthun, baf3 ber Weltlauf auf bie Sermirflichung beffen, ma3 mir al£
höchfte ©üter ober Werte empfinben, gerichtet fei. Einerfeitä ift hierzu unfere
93etanntfchaft mit bem, maä mir »Welt« nennen, aUju eingefdjränft unb
biirftig. Dann aber motten fich auch in bem ©ebiet, ba3 mir ein menig
feitnen, bie $h a tfachen hoch gar nicht ju einer $ 8 emei$führung für jene
Ibefe aufammenfchlieften" ( s ßaulfen a. a. 0., S. 57).
3 m ©egenfafc $u biefer Sluffaffung mobernfter s 45^itofopt)ic, bie felbft
innerhalb be£ Weltgeschehen^ unlösbare Wiberfprüche finbet, rnufS auch btt
Stuftenftehenbe anerfemten, bafä auf bem ©ebiet ber Kathebralentfcheibungen
in bem langen Zeitraum oon faft 2000 Sohlen fein Wibcrfpruch nachjumeifen
ift. Diefe innere ßonfequenj h^ten mir für ein §auptcriterium ber Wahr¬
heit*): ba3 folltc auch *> c n ftufeig machen, ber, bei ^Betrachtung ber Wiber*
fprüche in aßen philofophifchen unb religiöfen ©pftemen (in£befonbere im
$roteftanti£mu3) unb in allen menfehüchen Einrichtungen, bie Ungereimtheit
ber fatholifchen Sehre &u behaupten magt.
E$ miß un3 fcheinen, ate ob ber fonft fo oornehme $aulfen fich S u
Worten t^abe hinreiften laffen, bie er nicht oertreten fauit, bie aber jebeit
ftatholifen tief oerlefcen mitffen, menn er fchreibt: „Die Erflärung be£
Entfchluffe$, fich allem 51 t untermerfen, ma3 bie Slirche je gelehrt hat, lehrt
unb lehren mirb, fchlieftt ben EntfchlufS ein, auch für mahr $u haften
*) ^yreilicb barf man bei Prüfung biefes s 21 nfprud )3 ber ftirebe nicht Dinge $ur
ftircbenlebre rechnen, roelcbe nicht baut gehören, toie ba£ oon proteftantifcher Seite
oft gefchieht ($. bie Aufhebung be$ ^efuitenorbenS!), fonbern muf$ bie Definition
im 9 luge behalten.
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Unfehlbarfeit unb freie gorfdjung.
407
unb 51 t befennen, beffen innere ober äußere Unwahrheit ficf) ber unbeftodjenen
Vernunft bei unbefangener Prüfung ergibt, ober alfo ben ®ntfcf)lufg, einer
ernfifjaften Prüfung au^umeic^en, wann unb too immer bie Sirche, b. f). bie
oon ben augenbücflicfjen gnhabern ber Sirchengeroalt beftettten Stifter über
theologifche ober toiffenfchaftliche Seljrmeinungen gefprodjen ^aben. Unb mit
bem ©erzieht auf bie oofle 2 öaf)rt)aftigfeit ift auch ber ©erzieht auf bie
Wahrheit gegeben." (a. a. 0., 3. 54. f.)
Sein Satfjolif finbet ficf) bereit, „ba£ für wahr 51 t Ratten unb ju
befennen, beffen innere ober äußere Unwahrheit ficß ber unbeftochenen ©er*
nunft bei unbefangener ©rüfung ergibt". Schon bem Sinbe in ber Schule
fegt bie Sirene, feinem ©ilbung^ftaitbc angemeffen, bie nnffenfcfjaftticfjen
Striterien oor, an beiten bie Wahrheit ber Sircßenfcßre 51 t erfenneit ift,*) unb
berjenige fatßofifcße ©eiehrte muffte ben Slnfprucf) auf biefe ©ejeießnung oer*
lieren, ber auS Mangel an gorfdjergeift unb Wahrl)eit3brang ficf) nicht oon
ber ^Berechtigung biefe£ Slnfpruchä miffenfchaftlich überzeugen loollte.
$er Satholif ift auf ©ruitb jener inneren Überzeugung, welche er
oon ber göttlichen Stiftung unb Seitung feiner Sirche h flt / unb ohne welche
bie zahlreichen ©efenner beä fathofifchcn ®lauben§ %n Heuchlern mürben, auf$
feftefte überzeugt, baf£ eine unfehlbare ©ntjeheibung ber fiirche (mit ber
eine (Songregationäentfcheibung fich feine»meg3 beeft) mit ber Wahrheit nicht
cottibierett fann. $)a3 bezeugt ihm für bie z^eitaufeubjährige ©ergangenheit
fchou bie ©efdjichte feiner Sirche.
©aulfen ift im grrthum, Wenn er glaubt, 9tom fönite etma3 s JJeue£
für Sirchenfehre auägeben.**) tttein, nur „Wa3 allzeit, allermärte unb oon
Sitten geglaubt toorben ift"***), fann ate Xogma formuliert toerben.t)
*) 3>aper befteht bic fatholifchc ttteligionsftunbe nicht 3 umeift in einem Slu^
wenbiglernen oon Sprüchen unb ©erfen, fonbern ^auptfächlic^ in einem Umführen
in ba3 philofophifclptbeologifcbe ©ebäube ber fattjoliichen Weltanfcbauung je nach
bem ©übung£grab ber betreffenben Schule.
**) „Sie (bie unfehlbare $?ehrautorität) fann, wie fie bie ©efebiebte unb
^itteratur ber erften 3^it be£ Uhriftenthums mit fanonifdjen ©eftimmungen feftgeftellt
hat, fo auch bie gelammte Sirdjengefchichte fanonifd) feftftellen unb, wenn es ihr
gefällt, bie gefammte ©rofangcfchidjte ba 3 u"ü (a. a. 0., S. 91.)
©incenj oon ^ertn, Commonitorium : »Quod ubique, quod semper, quod
ab omnibus creditum est« . . . T>er Sluöbrud ift nicht gan$ genau, aber oerftänblid).
©gl. aud) ©brharb a. a. 0., 3. ‘204 ff.
t) ÜJtit Uinfd)luf3 ber nothwenbigen ©orau3fetumgen unb Uonfequemen aus
geoffenbarten Wahrheiten.
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408
2B. Bcpleu&ner.
2 .
9Bie aber fteUt fiep bie Vernunft 511 einer bogmatifdp formulierten
©laubettSmahrpeit?
Xurcp ffant’S „9Iutonomie" ift berjelben ihr ©rfeitntniSbereicp fo
meit befdpränft tuorben, bafS fie nach biefer Slnficpt überhaupt niept mehr
in bie ©ebiete erbringen barf, melcpe ber Offenbarung angeboren.*)
3 roar menbet $aulfen**) ein: „Xie fritifd^e ©rfenntniStpeorie mar, als
fie nach 1772 ihre lepte Sorm erhielt, niept mehr ftar! genug, ooüftänbig
(bei fiant) bur^ubriitgen; bie ibealiftifdpe SÄetapppfif erhielt fiep baneben,
fie bebeutet aber neben bem officieüeit Spftem eine bloße Srioatanficpt ftant'S,
ber er fiep nur lücßt 511 entäußertt üermoepte. 9Jian mufS bann aber pitt^u*
fügen: biefe s 45riuatanficßt mar älter als baS erfenntnistpeoretifepe Spftem,
unb fie ßatte in feinem Xeitfen fo tiefe ffiurjeln, bafS er eper bie Slnalptif
als ben mundus intelligibilis hätte fahren laffen; mar bocp bie ©rfenntniS*
theorie gerabe als Segrünbnng ber ibealiftifcpcn 9Wetappt)fif urjpritnglid)
gebaut, grcilicp hat nun bie SWetapppfif bei Slant etmaS eigenthümlid)
ScpiücrnbeS, $mifcpen SBiffeit unb SKicptmiffen ScpmanfenbeS; jebem: es ift
fo, folgt ein: baS heißt, eS ift eigentlich nicht fo, auf baS bann ein lefcteS:
eS ift aber bocp fo, fommt." Xieje „Sriüatanficpt" halte aber feine
©cbeutung für ben SBeiterbau ber s 45^itofopl)ie.
SUiit ber ftritif ber praftijepen Vernunft fteht eS nicht beffer: „ÜKit
größter ©enugthuung meifen uns bie Stantoereprer barauf hin, bafS nunmehr
bie praftifche Vernunft bie Xefecte ber theoretifchen gebedt habe; maS biefe
unerbittlich als 3bec aus bem Se^irfe ber gefieberten ©rfenittniS auSgemiefen
habe, führe nun bie praftifche mit Spreu jurüd." 2lber, „maS Siant bietet,
als oollmicptig annehmen, heißt, es mit fehr leichtem SKafje meffen"
(Söillntann, ©ejepiepte beS ^bealiSmitS, III., S. 485). „SBenn man aber meinte,
auf ©runb ber $ofiulate fönne bei ihm ber Xpatbeftanb feftgeftellt merben:
©S gibt einen ©ott unb ein SenjeitS, fo legt man ihm mehr unter, als er
fagt; bie 9?otpmeubigfeit, beibeS als real anjuerfennen, ift bei ihm meber
logifch, noch auch ntoralifch int Dollen Sinne. »3dp mufS nicht einmal jagen:
©S ift ntoralifch gemifS, bafS ein ©ott fei u. j. m., fottbern: ich ßin
ntoralifch gemifS« u. f. m. (ftant'S SBerfe, prSg. öon §artenftein, III., S. 546).
Xie ©emifsheit ift nur »fubjectiü, b. i. SebürfniS, unb nicht objectio, b. i.
felbft Pflicht, bemt eS fann gar feine Pflicht geben, bie ©Eiftenj eines
Ringes attäunepmen (rneil biefeS bloß ben theoretifchen ©ebrauch ber Ser*
*) behauptet hat baS fchon ber ^BroteftantiSmuS beS 16. QaprpunbertS; ben
ScroeiS uerfuept erft ftant.
**) „Emmanuel ftant", Sftontmann’S s £pilof. ©lafjtfer, 7. Sanb, 0. 243 f.
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Unfeßlbarfeit unb freie tforfepung.
409
nunft angelt). 9(ucß mirb hierunter niept oerftanben, bafS bie 2Inneßmung
beS $afein$ ©otteS als eines ©runbeS ber Serbinblicßfeit überhaupt notß*
menbig fei (benn biefer beruht, mie ßtnreicßenb bemiefen morben, lebigltcß
auf ber Autonomie ber Sernunft felbft).« (ftant’S SBerfe, V., ©. 132.)"*)
3ft eS ba ju oermunbern, bafs bie jmeite $älfte beS 19. !3aßrßunbertS
in ißren miffenfcßaftlicßen £auptoertretern, unter bem SinflufS ißreS „ange*
ftantmten SRaturaliSmuS"**), ber bebingt mar bpreß ben erneuten großartigen
Sluffcßtoung ber SRaturmiffenfcßaften, über jene „ s #rtoatanficßt" (f. o. S. 409)
unb über bie „Kritif ber praftifeßen Vernunft", bie „ber ©eßtufsftein"
(Philos. milit. ©. 62) beS Kant'fcßen ©ebäubeS fein foD, jur lageSorbnung
übergegangen ift? Stber toegen ber Unpattbarfeit beS ScßlufSfteinS ift baS
ganje ©ebäube int Saufe biefeS SaßrßunbertS jufamntengeftürjt. SBeber Kant
itocß feine SRacßfolger ßaben etmaS faltbares an bie ©teile ber alten,
angeblicß entmurjelten ^ßilofopßie $u fefcen gemufft: „Sine proteftantifepe
^pilofoppie in bem Sinne eines einpeittießen, bie ©emütper beperrfepenben
©pftemS gibt eS niept. ftegef S s ßßilofopßie mar bie lefcte, bie eine berartige
Stellung eingenommen pat. ©eitbent perrfept Slnarcßie." (Philos. milit. ©. 65.)
$Rit fo unjureiepenben SRitteln, mie bie oben gefennjeiepnete $ßifo*
foppie fie bietet, fann man aber bie aitgeblicpe „Unfreipeit beS DenfenS"
niept befämpfen.***) $a$u gepörten pofitioe StufftcHungen. 3)er ^ßroteftantiSmuS
*) SBiümann, a. a. C., III., S. 488. 2öill man 5Mmann für ooreingenommen
palten, fo lefe man Jpöffbing, Sefcßicßte ber neuen ^pilofoppie, überfeßt oon SBenbiyen,
£eip$ig 189<>, S. 103 ff., ioo unter anberem nacpgeioiefen ift, bafS naep ftant’S
eigenem 5luSbrucf oont begriff Sott „nur baS bloße 2öort" übrig bleibt (Kritif ber
praft. Vernunft, Keßrbad), S. 165). $er KönigSberger *J$ßilofopß fiept juroeilen
felbft ein, bafs bie Scplüffe ber praftifepen Vernunft feine pßilofopßifdje 53ebeutung
paben, roenn fie über bie ber tß^oretifeßen ßinausgeßen. — Über ben Unterfcßieb
einer „efoterifeßen unb einer eyoterifeßen £eßre" in 53e$ug auf ^Religion bei Kant,
ogl. ebb. S. 109 u. bie 9lnm. ju biefer Seite.
**) Qralcfenberg, Sefcßicßte bei* neueren 'ßpilofoppie. 3. Auflage, ^eipjig
1898, S. 530.
***) Quoiel Selbftoerleugnung oerlangt ein ^Reufantianer (Kantftubien, 53b. V,
S. 31) oon ben Segnern Kant’S, ber eS für „roünfcßenSioert" erflärt, „roenn fie bie
Aufgabe, Kant’S SubjectioiSmuS . . . ju befämpfen (bas peifet, bie betreffenben
Ißeorien auf bie bem Seift ber Kantifcßen Sepre gemäße objectioe 53afiS $u fteUen),
ben Kantianern iiberlaffen roollten." SS pat immer für gutes fRecßt gegolten, ben
Segnet an feiner fcßroäcßften Stelle ju faffen unb ipn fo aus bem Sattel $u peben.
2llS ISitabelle Kant’S, bie er jenen als 5lngriffSpunft empfieplt, roirb bie Ceßre
bejeießnet, ^bie naep benjenigen 3 ormen beS 53orfteUenS unb 3)enfenS fragt, bie jum
begriffe ber Srfaprung im SJerßältniS oon 53ebingung jum 53ebingten ftepen unb
bie eben bie genannte $rageftellung für biejenige palt, bie allein tur Sluflöfung beS
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410
2B. ©cpleu&uer.
be 3 16. SaprpunbertS festen noep fold^e §u bieten, ©ie paben fiep als
trügerifcp ermiefett. ©eitbent ift, abgefepen oon ben pantpeiftifdpen ©pitemen,
bie iprer Statur naep nie in meitere ©olfSfreife bringen fönnen, — unb nur,
roaS bie üRenfcppeit in iprer ©efammtpeit annepmen fann, pat abjoluten
SBaprpeitStoert*), — ein ©erfuep jur SluffteÜuug einer pofitioen SBelt*
anfdpauung niept mepr gentaept morben.
©aulfen**) oerftept nun unter ber fatpotifepen „Unfreipeit beS 3)enfen$"
„bieS, bafS man burep SBeifung üon ber Snbejcommiffion ober einer fonftigen
unfeplbaren Snftanj fiep beftimmen läjSt, ©ebanfen unb Ipatfacpen, bie man
biSper für rnapr ober mirfliep pielt, nun niept mepr für ftmpr ober
mirfliep ju palten ober menigftcnS niept mepr öffentlidp $u fagen, bafS man
fie bafür palte. 3)a3 ift bie innere $enfunfreipeit; unb bie äuftere ift ber
®rucf beS ©pftemS, ber 51 t folcpem ©erpalten treibt. Senffreipeit aber ift
nicptS anbereS, als baS contrabictorifcpe ©egentpeit ber Unfreipeit. Sollte
P. 0 . Stoftij^Jlienec! auf biefe grage aurüefaufommen münfdpen, fo erfuepe
iep ipn, an biefe ©rüärung fiep $u palten unb ben ©emeiS ju füpren, bafS
bieS äußere ©pftem unb biefe innere Unfreipeit gut unb löblicp unb förberlidp
für bie ©aepe ber SBaprpeit unb ber SRenfcppeit fei."
2Bir fepen baoon ab, bafS ©aulfen ber SragcfteHung 0 . $Roftij*9tienecfS
aus bem 3 Bege gept unb beftänbig mieber 3 nbejcomntiffion unb unfeplbare
Seprinftanj als SBecpfelbegriffe anfiept, unb ermibern auf ©orftepenbeS mit
folgenber ©rörterung: ®urcp bie ©efcpränfung ber tpeoretifepen Sernunft
auf baS entpirifepe ©ebiet oon ©eiten Sant’S unb ber neueren ©pilofoppie
ift ipr baS unenblicpe ©ebiet ber etoigen Söaprpeiten oerboten morben.
$)enn eS fommt boep tpatfäcplicp für ben „freien gorfeper" einem ©erbot
gleicp, menn ber ©pilofopp ber reinen ©ernunft ipm fagt, feine ©peculation
im ©ebiet bcS IranScenbenten pabe feinen tpeoretifepen 2BaprpeitSmert.***)
evfenntniSfritifcpen ©runbproblemcS geeignet ift, baS fie bapin formuliert: ©äie
ift bie ©ejiepung unferer ©orftellungen auf ©egenftänbe möglüp?"
3>afS pier ©epraierigfeiten liegen, erfennt jeber ©pilofopp an; bafS aber biefee
©ebiet ber ©rfenntniS jurüeferobert roerben mufs, meifc auep ©aulfen, menn er $ant
gegenüber fcpveibt: „3n Üöaprpett ift 3Retapppüf nur möglicp burep ©eaeptung unb
Deutung ber anfcpaultcp gegebenen ©öirfliepfeit." („Emmanuel ftant" ©. 244.) ©uf
baS Ipema einjugepen, gienge über ben Stapmen biefer Arbeit pinauS.
*) liefern gbeal entfpriept nur ber ftatpolicismuS („©epet pin unb Iepret
alle ©älter" . . . SRattp. 28 , 10.)
**) Philos. milit. ©. 77.
***) ©S ift nur oom ©tanbpunft ber „©efiiplSreligion" begreifltcp, menn &ant
baS ©ebiet ber religiöfen ©rfcnntniS ber praftifepen ©ernunft jumeift unb
menn man glaubt, mit biefem Siüfoeug fönne ber ftatpoliciSmuS als „SemirationaliSmuS"
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Unfehlbarkeit unb freie fjorfchung.
411
2 Benn nun aber, mie bie auf barminiftifcfjer ©ntnblage ftefjenbe neuere
s #hiIofopf)ie min, ber SRenfch ein reines ©robuct ber natürlichen (£itt=
micflung ift, mie erftärt fidj ba bie Sö^igfeit^ über bie ©renjen ber Statur'
mett unb baS eigene 3d) hinnnSjugehen?*) SSarum foü ber Schritt, ben
jeber SRenfch, fei es $aecke( ober Ih° ma ^ Slquin, über jene ©rennen
hinaus beftänbig macht unb machen mufS, unmiffenfdhaftfich fein, menn ber
Stufbau auf bem ©ebiete ber äußeren ©rkenntniS gefchehen ift unb bie
innere ©3iberfpruchSlofigkeit**) für ben SBeiterbau gemährt mirb? ®aS SBort
„$ er nun ft" h a * nur einen Sinn, menn nicht allein mit leeren ©egriffen
operiert mirb, fonbern menn biefen Gegriffen auch e i ne (nicht nur fubjectioe)
SBirftichfeit entspricht.***) ©aulfen erkennt ja an, bafS bie ©hrt°f°hhi e au f
bem ©ebiet beS SRetaphpfifchen erreichbare B^te tjat. (Philos. milit. ©. 61.)
2 öie fotlen aber einerfeits jene Biete erreicht merbett, menn man um
bie ©ernunft einen BnnberfreiS jiept unb ihr oorrebet, fie könne benfetben
nicht oertaffen, mährenb fie hoch ftänbig barüber f^inroegfliegt ?t) £mt bie
Stutonomie biefen bejchräntenben Sinn (unb fie h a * ih n bei ber auf unferen
Unioerfitäten heute herrfchenben Stiftung, bie bem ©täubigen bie Ebenbürtigkeit
oerfagt), bann barf man bemnach „©ebaitfen" „nicht mehr für mahr ober
mirktich hntten, bie man bisher für mahr ober mirktich tjidt,“ „ober
bekämpft merben. X)cr Qnhalt ber natürlichen Ih^logie gehört in baS ©ebiet ber reinen
©emunft, er ift nicht nur ein ©oftulat ber praftifchen. ©S ift jum ©eifpiel genau
biefelbe logifd)e Xhätigteit, menn ich uon ber Uhr ben SdjlufS auf ihren ©erfertiger
mache, mie ber Sd)lufS im teleologifchen ©otteSbemeiS. SBenn nun aud) bei $ant
Übcrrefte biefer Erkenntnis in ber „Kritik ber reinen ©emunft" jurüctgeblieben fmb
(ogl. ©aulfen, Emmanuel $ant, 6. 227 u. a.) f fo hat baS mehr persönliche als
miffenfchaftliche ©ebeutung. („©rioatanftcht" f. o. 8. 408.) Unb nur auf baS heute
noch oon $ant ©eltenbe kommt es an. Xer Katholik ift aber nicht mit einem
gegönnten „X)achkämmerlein" (Jaldenberg a. a. O., S. 530) für feinen ©lauben
jufrieben. 3ft bie ©etonung ber praftifchen ©oftulate im Neukantianismus auch ein
erfreulidjeS 3eichen eines roieberermachenben ©ebürfniffeS nach Religion, fo hat baS
hoch nur fubjectioe ©ebeutung, menn nidft roieber eine ©ernunfterkenntniS
als foltbe ©laubenSgrunblage hinjukommt. Ohne biefe ©aftS ift keine SluSficht, einen
Stthciften $u gerainnen, ber feine Slnficht auf natunoiffenfchaftliche ©runblage ftii&t.
*) ©gl. gechner’S ©otteSbemeiS (X)rei SNotiue beS ©laubenS, 18(53; angeführt
bei X. ©efch, SBelträthfel, II, 6. 523) bei SßiUmann, ^bealiSntuS, III, 6. 902.
**) SUS §auptcriterium ber ©Wahrheit (f. o. 8. 403).
***) SBeit baoon entfernt, ihr ©ebiet $u erroeitern unb an Xiefe ju gemimten,
hat bie ©emunft burch ihre Slutonomifierung bie ©rkenntniS beS Überfinnlidjen oer^
loren unb an ©inficht in baS Sßefen ber Söelt eingebü&t.
t) Sluch nichtfatholifche ntobeme ©hilofophen, mie ©b. o. §artmann, fud)en
übrigens mit ber ©emunft in baS ©ebiet beS Übermeltlidjen einjubringen.
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412
2Ö. Schleufener.
menigftenä nicht mehr" auf bem SEat^eber „öffentlich fagen, baß man fie
bafür h fl lte" (f. o. $aulfen). ©rfennt aber anbererfeitS bie Sernunft ihre
Wahren ©re^en*), über bie fie in SBirflidjfeit in ihrem fpeculatiöen Tenfen
nicht hitiau^ Jaitn, an, unb nimmt fie freubig au3 ber $anb ©otteS bie
hiftorifche Xhatfadje ber Offenbarung, bie nothwenbigerweife Unfehtbarfeit
beanfpruchen muß, — fonft gienge fie eben nicht über bie ©rennen be$
natürlichen 2Biffen$ ^inau§ # — anftatt fie abjulehnen, fo erllären bie Ser*
treter ber autonomen Sernunft, ba3 fei Teufunfreiheit!
©3 wirb ja niemanb in biefer SEßelt gezwungen, bie X^atfad^e ber
Offenbarung anjuerfennen, aber er foHte hoch ben nicht benfunfrei nennen,
bem fie eine ©ewißheit unb eine Srnbens geworben ift.
„^luch bei be* überjeugenbften Seweisfüprung bleibt e§" fagt (Schell^)
„bie Aufgabe ber Seele, bie Schlußfolgerung au£ ben ©rünben in ihrem
Urtheil ober ©ntfdjtuß mit ber fi'raft ber Selbftbeftimmung ju üoll^iehen.
Tariu liegt ein ©harafterjug be3 Seiftet gegenüber ber 9taturgewalt be3
finitlichen UrtheileuS unb Segehrenö."
Tiefe 3uftimmung jur Söahrheit unb ihren ©efefceit ift nun eine um
fo freiere, je höh cr biefe 2Saf)rheit in ba£@ebiet beä 3Ketaphhfifcf)en hinein*
reicht; bie guftimmung §u ben X^atfachen unb Seweifen ber 9Jtathematif ift
eine allgemeine; auch 8 U ben ©efefcen ber Sogif ift fie bei allen ernft ju
^tehmenben unbebingt: Tie pöchfte SBaljrheit, bie Religion, forbert bie freiefte
3 uftimmung.
Ter fatholifdje ©eiehrte jwingt alfo niemanben, baß er feine
auch tüiffenfchaftlich gerechtfertigte ®lauben$erfenntni$, bie SBahrheit ber
fatholifdjen fiirchenlehre, annehme***); toohl aber Verlangt er auf ©ruitb feiner
gorfchungäfreiheit — bie minbeftenS ebenjogroft, wenn nicht größer ift ate
bie eineä fmecfel, wenn er fich ber SBeltanfchauung be£ TarwiniämuS 1 1
unterwirft — nicht nur bie praftifche ©leichberechtigung auf ben Unioerfitäten
— bie ihm $aulfen in nicht gerabe $ochfchäfcung oerrathenber SBeife tu*
billigt tt) — foubern auch bie theoretifche. Ter Sßiberfprnch einer Steipe öon
*) Sgl. ©brbarb a. a. C., S. 269.
**) Ta3 erfenntniStbeoretifche Noblem CP^tlof. Jahrbuch ber ©örre$*©efellfchaft,
1901, S. 134); f. a. Philos. milit. S. 56.
***) Tiefe ©rfenntniS ift nnfienfchaftlicb gerechtfertigt, roeil bas Tafein ©ottes,
bie Xhatfache ber Offenbarung unb bie Stiftung einer unfehlbaren Kirche auch burch
bie Sernunft erroiefen roerben fann.
t) 3 u r Svage, ob fich überhaupt auf naturroifienfcpaftlicher ©runblage eine
SBcltanfchauung aufbauen läßt, ogl. liefert, „^kturnuffenfcpaftliche 2Belt*
anfehauung ?" ^otfe, Cctober 1901, 6. 5 ff.
tt) S. o. S. 402, Slnmerfung.
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Unfefylbarfeit unb freie gorfchung.
413
©rofefforen bagegen ift ein Stet ber Intoleranz, mie er im jttmnjigften gahr*
hunbert nic^t mehr oorfommen bürfte. @S ift bie SEBieberauffrifchung jenes
oerberblichen ©runbfafceS beS proteftantifchen EäfareopapiSmuS „Cuius regio,
illius et religio“ auf miffenfchaftlichem ©ebiet.
Sollte man oon gegnerifcher Seite aus confeffioneüer Soreingenommenheit
unferer Semeisführung nicht juftimmen fönnen, fo geftatte man unS noch
folgenbe ©egrünbung, bie fdjon gelegentlich angebeutet mürbe:
Dbrnohl bie logifcfje SKö glich feit öon niemanbem beftritten merben
fann, bafS bie fatljofifche Sehre 933at)rf)eit ift ober menigftenS Sßahrheit
enthält, fo ift eS thatfächlich bent fogenannten „freien gorfcher" nicht erlaubt,
fich oon biefer Sßahrheit — ohne nach ber Stnfic^t ber nichtfatholifchen
©eiehrten biefen Slnfprud) z u Oerlieren — z u überzeugen, obmohl er boch
bamit nichts anbereS t^äte als £>aecfel, ber fich öon ber £>hP°tWe beS
DarminiSmuS überzeugte. ES gibt alfo thatfächlich ein ©ebiet, auf bem ber
„freie gorfdjer" nicht frei forfdjen barf; unb boch oerfagt er unter ber
gleichen Segrünbung bem fatholifchen gorfdjer bie ©leichberechtigung.
SßaS unS oon ©aulfen trennt, ift, neben unferm gorfchungSergebniS
oon ber Sßahrheit ber fatholifchen Kirche, bie innere Eingebung an
bie Sßahrheit, Sicherheit unb Unurnftöfelichfeit biefeS SrgebniffeS unb ber
barauS entfpringenbe, ftänbige fpontane SßiHenSact, bie Sehre ber Kirche als
toal)r anzunehmen, unb bie Siebe zur Kirche.
28er biefe innere Überzeugung nicht h<ü, mer nicht inne gemorben, bafS
„biefe Sehre oon ©ott fei",*) mirb fich aüerbingS in biefe 2Beltanfchauung
nicht öerfefcen fönnen, aber ihre ©ernunftgemäfjheit unb Eonfeguenj foHte
ein ©hilofoph nicht beztueifeln.
gür ben Katholifen ift bie ©ilatuSfrage, melche bie „freie gorfchung"
mieber aufgemorfen fyat, für baS ©ebiet beS ©laubenS burch bie 2Borte
Shrifti gelöst: „geh bin bazu geboren morben unb bin bazu gefommen in
bie 2Belt, bamit ich 3*ngniS gebe ber 2Bahrheit. Seber, ber aus ber Sßahr*
heit ift, höret meine Stimme." (goh- 18, 37.) Sine Torheit ift bem
Katholifen baS Sßort Seffing'S, momit biefer bie 2Bahrheit aus ©otteS £>anb
ablehnt: „3dj fiele ihm mit Demut in feine Sinfe unb fagte: ©ib! Die
reine Sßahrheit ift ja boch nur für bich allein." {Religion ift bem fatholifchen
ßhriften baS {Ruhen -in ber SEBahrheit: „Unb ruhelos ift unfer $erj, bis eS
ruhet in Dir, o ©ott" (St. Sluguftin).
Da biefe SEBahrheit eine emige ift, fo fchliefjt fie baS beftänbige Streben
nicht aus, baS ben ©enufS beS gorfcfjerS hübet unb baS bem Katholifen
*) 3oh- 7. 17.
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414
2B. ©cpleu&ner. Unfeblbarfeit unb freie ^tofänng.
feineStoegS fe^lt. Stuch bic ©migfeit bietet biefen ©enufS immer tieferen
Einbringens in baS Söefen ber Dinge unb ihrer ©efefce ebenfo mie in baS
SBefen ihres Schöpfers, nur ohne bie 9J?ögtichfeit, and) nur in Siebenfachen
ju irren, ohne bafS baburch ber f^rei^eit ©intrag gefdjähe.
Sßauffen mufS, um fich bie SBerte ju mähren, bie baS ©hriftenthum
ber SKenfchh^it aufgefd^Ioffen unb geprägt hat, bamit er als ebler SKenfch
baS Seben tebenSmert finben fann, feine Sßhitofophie im Stiche taffen
unb fagen: „So tote bie Dinge toirftich ftetjen, bei bem ^eiflofen Dunfet, in bem
uttS jebe fpefutatioe ober empirifche Unterfuchung über bie 33e§iehung ber
©irflichfeit b u bem, maS mir atlein atS lefcte ©üter anerfennen tonnen,
läfSt, fann bie ©ntfeheibung für bie Annahme ber 2lbhängigfeit beS SBirftichen
oom ©uten nur in ber SBeife gefdjehen, bafS mir, oon unferem mefent*
liehen ^ntereffe geleitet, fagen: Unb trop aß biefer Unjulänglichfeit
glaube ich an einen ©inn in ben Dingen, an eine Sßiacht beS ©Uten als
lepten ©ruttb* ber 9Bett." (a. a. D. ©. 58.) Diefe SBorte machen bem
©thiter Sßaulfeit ade ©hre, bemeifen aber, bafS ber 2Beg ber autonomen
Vernunft nicht Bureicht, um philofophifch annehmbare 9tefultate $u geminneit.
5ür biefeS 2infengerid)t beS ©fepticiSmuS mirb ber Äatholif fein ©rft*
geburtSredjt nicht hinten* — Sßautfen fieht fich, öon feinem „mefenttichen
Sntereffe geleitet", ge^mungen, ben $tct feiner Sernnnft burch einen Stet
feines SBiflenS 51 t ergänzen, um baS SBetträthfel menigftenS inbioibueß bu
löfen; ber ftathotif greift freimütig b« biefer ©rgänBung: er gtaubt, meit
eS oerniinftig ift, b« glauben, bafS nicht nur eine SBahrfjeit, fonbern auch
ein Urheber biefer SBahrheit ejiftiert, ber uns Bugleich bereit Sürge ift. giir
ben Sathotifen baut fich ber ©taube auf bem StBiffen auf, unb beibe burd) s
bringen fich in ih ren ©renBgebieteu frix ooßen Harmonie.*) „2BaS üott ©ott
fenitbar ift, baS ift unter ihnen offenbar; beim ©ott hat eS ihnen geoffen*
hart; beim baS Uitfichtbare an ihm ift feit ©rfdjaffung ber SBett in ben
erfchaffenen Dingen fennbar unb fichtbar, nämlich feine emige ®raft unb
©ottheit," (9töm. 1, 19, 20) unb ber Sfpoftet fügt hi«Bu: „fo bafS fie
feine ©ntfdjutbigung haben."
*) DaS ift ber ©inn ber »Philos. milit.« ©. 27 ermähnten ©ncpfUfa SßiuS IX.
in ber s £aulfen nur SßutoritätSgelüfte fteht!
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Sranz ü’cbert.
^tubie non <£. TEL. 3§antann.
WSlSichert!" Xa3 erinnert im Älang an ben beutfcheften Saum, unb tnie
ein folcher, in ©türm unb Stille, ift mir ber Präger biefe3 ÜWamenS,
feit ich ihn fenne, erfchienen. s J?ur brei ®ebichtfammlungen liegen bte
iept oon ihm oor, unb fte bezeichnen ebenfo oiele £>auptftabien in feiner ©nt*
tuidlung. Buerft „2Betterleuchten".*).3ch habe e£ neulich toieber in einem
Buge gelefen, aber ich milfS nur gleich gefteljen: mit feineSroegS ungetrübtem
©enufs. Xenn ich bin eine friebliebenbe 9?atur, unb in biefem ©ücplein brauet
unb blipt e3 mie um bie 2Bipfel beä 2Balbe$riefen im 2Bir.be! beS Drtan3.
Xod) hätte ich nichts bte bahin oon Sichert gemufft: e3 märe mir jept
f(ar getnorben, toelcp heroorragenbeä Xalent fich hier fuitb thut.
Schon bie „3ueignung" ift bejeichnenb für ba3 ©anze: nach meinem
©efchmad zu lang, in ber erften Hälfte fogar ettna* matt, aber bann
anfcproellenb, bte bie brei lepten Strophen mächtig fortreijjen:
2Benn ba§ Dieich ber neuen Hunnen
2Birb in Stammen untergepn,
2ßerben meiner Bieber £Hunen —
3a, ich fiibrs — entriegelt ftepn;
2öerben fie mein Solf geleiten
2Bohl auf ©olgatpa hinan,
21ber auch ooran ihm fchreiten
21uf be$ Sieges Sonnenbahn;
2Berben fte roie Xbnner fchmettem
3hnt oom ©tobe bann ben Stein
Unb em Slip au§ ©otte$ 2Bettem
21uf ba3 §aupt ber 2Bächter fein!
So ift ba3 Süchlein felbft als $hmfttoerf nur tpeilmeife berechtigt. —
Xie Pier Slbtheilungen: „3u ffampf unb Sieg!“, „3n 2Bebr unb 2Baffeit!",
„9D?ich erbarmt be£ Solfe3!", „®ott, Äaifer, Saterlanb!" beuten ba$ ©epräge
ber Sammlung an. Xa£ focial*politifch 5 religiöfe SWoment liegt biefer
flammenzucfenben ©treitfchrift in gebunbener Sprache zugrunbe. ,,3d) finge,
tnie ntir'3 um3 $erz ift", hei&t e3 in ber Sorrebe. „Xer bie Kerzen ber
*) ©ettertembten. (Schichte bon grana tticbert. «Baplfeile $olfdau*gabe. (3m ©u<bb<Hibel ber*
aeit »ergriffen, eine neue (9.) Auflage foll im $erbfte b. 3 - erfebeinen.
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[16
S. 9Di ^amantt.
lenfcpen lenft, tjat aus mir einen Sänger beS Sd)toerteS gemacht. Wer
Jeute oom Stieben ftngen miü — id) rechte nicht mit ihm. 3eber nach feiner
Seife!" Son feinem „Siebe" aber fagt er in ber „Zueignung":
Unb ju feiger Scpanbe Scbreden
Soll eS eifentlirrenb gehn,
^eucblermaSfen, bie fie beden,
Stiirmenb ihr oom Raupte roebn.
3)aS ©oethe'iche Wort: „Sin garftig Sieb! $fui! Sin politifcp Sieb!"
iat bie allgemeine Meinung längft als aud) für bie Äunft nicht ftichhaltig
tben. Wo bliebe fonft bie poetifche Anregung $ur ©otteS*, Herren* unb
f0Baterlanb^minne innerhalb ber ^olitif? Schlimm genug, roo man in biefer
Jrfolche Sactoren toegleugnen toill; noch fcplimmer, too man’S barf unb mufS.
i$ie chriftlidHociale Partei ÜfterreicpS, ber Sichert angehört, toirb bie»
^felbftoerftänblich nie roollen, bürfen noch müffen. Unb nicht fie allein toirb
feinen $beil oon „Wetterleuchten" auf ben s 43oben ganstoertiger ^Joefie fteUen.
*jp®ocp nur ben Heineren Xpeil. £aS sum geflügelten Worte getoorbene Urtheil
^SÄeiter'S: „3n fdjtoungooHe Serfe gebrachte Seitartifel" geht auf bie größere
~,58ahl ber Serie. Sefctcre mag als patfenbeS SlgitationSmittel immerhin
f ^6eftehcu bleiben, aber nur in ber „Wohlfeilen SolfSauSgabe": burch fie mag
^Iriefer cpriftlicbe Steiligrath auch ferner bie (Empfänglichen unter ben politifd)
^i^ntereffierten herüber^iehen sur ®inficht, Drbnung, ©läubigfeit. $lber bie
/Oom fünftlerifcpen Stanbpunfte aus als perlen auSsufonbernbe SReipe ber
r- ^ebichte foUte nochmals in eine Sicperffcpe Sammlung, unb jtoar ju Anfang
1 ber stueiten: „Äreujlieber", aufgenommen toerben. Srft bann fönnte man ihr
bolle Slnerfennung sollen unb oerfepaffen, erft bann ihrem ibeellen ©ehalte
auch prattifd) burcpauS gerecht toerben. ßu biefen „perlen" jähle ich Oor
allem baS einleitenbe „ÜRaria oom Siege" mit ber jünbenben erften, fünften
x unb lebten Strophe:
2)ie §anb, tpr früher, unb fcpließet ben 93unb,
j fiafSt lobern ber frerjen Slammen!
(ES rufen jum Kampfe mit hellem SRunb
$)ie Körner febmetterab jufammen.
SS naht ber lebte, entfebeibenbe Streit —
§ocb roebt baS Banner ber Süge
3m SturmeSroettem ber roilben 3*it:
ÜJtoria, führ’ unS jum Siege!
5>erauS, heraus benn auS bumpfer SRacpt,
$)rin leibenb unb roeinenb mir lagen!
SS brennt ber 2Jlorgen in golb'ner $ra<pt,
3n ben ©eiflem beginnt'S ju tagen.
$>ie §erjen ertoaepen ftolj unb füpn
Unb poepen laut nach bem Kriege,
$)em bcilißften, roelcper ein Scproert ließ glübn:
2Raria, führ’ unS jum Siege!
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3rang Sichert.
417
3h* ©rüber, mit £>anb unb Iperg uttb Ottuttb
Gelobt e$ ber Sieblichen, deinen:
„Du Iperrin be$ Siegel, roie ^elfengvunb
3m Äampfe fielen bie deinen!"
Drum bie §erjen hoch unb hoch ba$ ©anier,
DafS e£ roaüe, leuchte unb fliege:
Unb ftegen mir nicht, nun — fo (terben mir! —
SJlarta führt hoch gum Siege!
Sticht gang fo unmittelbar, aber ebenfalls fetjr mirfiam ift baS nächfte:
„3n eilfter ©tunbe" mit bem aufrüttelnben SWahnruf: „SBach auf, mein ©olf!
©in neuer lag beginnt!" unb bem prophetischen SchluiSmort:
©r, roelcher roanbelt auf ber Seiten ©Jege,
©r, ber ben (Elementen einft gebot,
©r ift mit bir in beinern bittern Streite:
©lief auf gum Fimmel, bliefe au$ inS 2Beite —
Dort ftammt ber beffem 3ufunft SJtorgenroth!
Diefe unerbittlich flare ©rfenntniS ber gegenmärtigen Stothlage, biefer
fefte ©MUe gum ©uten unb biefe unerfchütterliche Hoffnung auf ein fommettbeS
allgemeines ©rcelfior finb .'pauptmerfmale ber Äampflprif Sichert’S mie feiner
‘Dichtung überhaupt, ©inen ergreifenbeit ©uSbrucf baoon finben mir unter
anberem in „Sticht oergagen", „0£err, oerhüU’ Dein £aupt!", „Die ©nfunft
beS .£>errn", „SJtit ©ott für tfaiier unb ©aterlanb!" unb im prachtvollen
„©in Stame":
3a, ich fehe fdjon baS tyotye, föntgltche ©anner ragen,
Unb eS rotrb ben ftegberoährten heil’gen tarnen 3*fu3 tragen;
©eh’ eS hoch gum Siege fliegen unb bie 5einbe überbauem:
©SaS ich fehe, macht mich jubeln, roas ich fehe, macht mich flauem,
Denn ein SJteer non ©lut unb Ih*änen, menfehenmorbenber ©efehiefe,
©4 ber 3ufunft gro&e ©kilftatt überbrüefen meine ©liefe,
Um an einem friebenSfrohen, hotben ©ilanb ftill gu lanben,
©So im größten alter tarnen alle ©ölfer froh fleh fanben.
©Sir fehen: Sichert ift burchglüht oom ©hriftuSglaubeu, unb biefent
feurigen ©uSbrucf gu geben, mürbe feiten einem anberen in gleicher ©Seiie
oerliehen mie ihm. Stur fchabe, bafS er mieberholt burch feinen ©ifer, baS
gemählte Dhema aflfeitig in baS heflfte, einbringlichfte Sicht gu fegen, [ich
unpoetifcher Sängen fchulbig macht. 3umeilcn brauchten mir einem ©ebichte
nur ein paar ober gar bie Hälfte ber Strophen gu ftreichen, unb eS märe
oollfommen in feiner ©rt, mährenb eS in ber jegigen Raffung ermübenb,
manchmal fogar peinlich mirft. So bei „DaS Äteug", „©He SJtann an
©orb!", „©SaS mir hoffen!", „SSaS mollen mir?". ©ber unoerfürgt, juft mie
fie ftnb, bleiben in ooller ifraft unb Schönheit beftehen: „©Sir mollen mieber
©hriften fein!", „3n 3efu Starnen!", „ßhriftfinb fommt", „Stettet eure
tfinber!" unb baS mie bonnernbe SJteerflut bahermogenbe „©erechtigfeit!",
biefer gemaltige, an baS ©efte oon DhomaS £>oob, Sreiligrath, ©ba ©hriften
unb ©ba Stegri erinnernbe Dubaruf für baS Stecht ber enterbten SWaffen:
$ie Äultur. IIl. 3a^tg. «. unb 7. $fft. (1902.) 27
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418
(S. SW. ^amann.
frört ibr’3? — frört ibr baö ©rollen bumpf?
Srrlidpter buchen, e$ brobelt ber Sumpf,
$al)l 3 udt am Fimmel unb gräbt fid? ein
Sn fcfjroarje ©ölten ber ©etterfcbein.
Unb febt ibr naben ben ftnfteren Scbroarm?
©ebrängt, oerfcplungen Wrm in 2lrm,
Unb 5lug’ an 2luge, rote 53ranb an s Ptanb,
S3iel taufenb ©ebanfen, bocb eine franb.
©a£ roillft bu, fcbroacbes unb feiges ©efcblecbt,
Te$ fcbnöben SWammonS gebungener Unecht,
Wocb fcbroaßen non Freiheit unb gleichem Wed)t?
Siegt nicht bie Arbeit in Schmach unb betten?
Sprich, roer befreit fte? ©er roill fte retten?
Sprich, roer auS ben alles oerfchlingenben Jluten
Ter Siige, ben alles oerjebrenbcn ©luten
Ter ßüfte roirb jenen, bie roeinen unb bluten,
Tie freien ©otteSvechte erftatten —
TaS Söefte, roaS unfere 35äter hottenV
Statt ©eben ift Webmen Sitte geroorben,
Tie liifternen, pruntenben Wäuberborben
Sinb beute Sieger im großen Streit;
Tod) unten bäumt ficb jertretneS Seib,
Unb borch — roie bie Arbeit im Sumpenfleib
TaS ^afSroort ber Unterbrächen fchreit:
„©erecbtigfeit!"
Unb neben biefer Orfan = Sprit ein paar Blüten ballabenartiger
Ticptung: „Ter Sahnenträger", „Tie 2?ebette", eine holbe Slume ber
SWarienmintte: „SRaiengruß“ unb bie erfeßütternben ®uß- unb Troftlieber:
„©etrennt Pott ©oft", „Toppelter iyrühling", „Wun ift eS gut"'. Tenn nicht
immer ftanb (Sichert, too er jept ftcht. TieS führt unS auf fein fieben:
Sranj Sichert tourbe am 11. Februar 1857 im ©ebirgSbörfchcn Schnee*
berg, auf ber böpmifchMächftfcben ©renpiart, geboren. Sein Sßater toar
gräflich Thun’fcher Weoierförfter; in bem ftiüen ©albpaufe herrfepte auf
pofttioeS ©hriftenthum gegrünbcteS (vamilienglücf. Ter Änabe abfoloierte
bie heimatliche Torffdntlc, bie Tetfchener frauptfepufe unb bie Seitmeriper
Wealfcpule. ©äprenb beS ^efucpeS ber lepteren sog ihm feine unnatürlich
gefteigertc Jvrömntigfeit ben Stuf ober -auch ben thatfächlichen Buftanb
einer ©emütb^tranfheit p, infolge beffen er auf ein 3ohr p ben Sltertt
heimfehren nutzte. Tantals lernte er Glife ^olfo'S anthologifche „Ticftter-
grüße" fennen unb Perbanfte ihnen bie erfte betoufste poetifchc 2ln*
reguttg. Bitten in bie toieber aufgettommettett Stubien unb glätte für
ein fünftigeS OrbenStcben fiel ber Tob feiner SWutter. Ter Jüngling jeigte
fich, Perseiblicbenocife, noch nicht reif für ben freilSeinflttfS ber Prüfung, bie,
nach bem ©eftänbniffe beS SWanneS, pm WuSgangSpmtft einer großen
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3rran$ ©id)ert.
41£
®eränberung für ihn tourbe: „Sei eS, bafs id) baS Sertrauen oerlor, weif
meine ©ebete um bie ©enefung ber lieben 9Kutter nicht erhört toorben waren,
ober wie immer: fursum, id) fieng an, meinen geiftlidjen ftreitnb in Seitmeritj
SU metben, ben ©mpfang ber heiligen Sacramente sw öernaebläffigen unb
mid) bafür an glanbenSlofe Jyreunbe ansufd)lie§en."
6r erwarb ficb ein glänsenbeS SReifeseugniS, befudjte in 2Bien bas
^olptecbnifum unb gab fid) bem neuen ßeben: bem be£ SBeltfinbeS, bin.
Da ftarb fein fürforgenber Sater, unb ber £>od)fd)üler war „gewefen". ©in
bereite unabhängiger Sruber in SBi^ner^euftabt nahm ihn bei fid) auf.
3n biefem äwifebenftabium ber Untbätigfeit mögen fid) bie Slnfäfce sur
Söiebergeburt in ihm gebilbet hoben, fehlere üoflsog fid) nach feiner
s 2lnfteHung als ©ifenbabnbeamter in Scbrecfenfteiit bei Muffig an ber ©Ibc
(1891) unb feiner üorbergebenben Sermäblung mit einem armen SWäbcben.
©S ift ein fprecbcnbeS Seichen für bie ©barafterftärfe Sicherte, baiS er in
bem nun folgenben beißen Gingen um bie ©yiftens feiner Samilie (er ift jept
S?ater öon acht Äinbern) fid) bie ftetig waebfenbe Siebe unb ©brfurdjt für
fein .öeimgliitf bewahrte: in erfter Sinie für biejenige, bie ben Äampf
untS Sebcn im s 43nnbe mit ihm aufgenommen batte. DaS nicht biebterifd),
aber etbifcb boebftebenbe „ s Jtur Du", baS ftimmungSüoflc „2öaS fann
id) deiner Seele geben", oor adern baS unmittelbare „£>anb in £>anb"
(iämmtlid) in „fcöbenfeuer") fteden nicht nur feiner ©attin, fonbern —
unbeabsichtigt — ihm felbft ein ©brenseitgniS feitener 9lrt auS:
Der Jrauenminne e d>te^ ©olb,
üttir grub’S bas Ceib aus beinern §er$en,
ÜRetn treues 2Beib, in ^reub unb Schmerlen
OJtir ruie ber erfte Sen^tag t)olb.
9US lag auf lag oereint uns fanb
ftumnten, tbränenlofen Reiben,
Da febmiebete ber Scbmerj uns beiben
3u em’gern 93unbe !$anb in $anb.
ÜJlein treues 59eib! 2öie lieb’ id) bid),
0 laff mich beine Jpanb ergreifen,
Die, ad), fo febwer gefebafft für mid)!
Unb betnes Scheitels Silberftreifen,
Der, ad), im Scbmen um mich gebiet),
Unb beiner Haren Stirne galten,
Die eingrub treuer Sorge ^Balten —
3M febeuer ©befürcht füff’ ich ne.
$omm her unb laff’ uns §anb in £anb
3ln ber gemeibten Stelle fteben,
s -lÖo bu oerfpracbft, ins ferne 2anb
9US Xreugefpiel mit mir $u geben.
Salb nünft uns ein noch fern’reS Üanb —
27*
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420
2R. framann.
J<b ioiU’$ an beincr $>anb erreichen.
Xort roinft ba£ ftteug — ber frehnat 3^ c ^.
3Bir gehn fjtnüber — §anb in §anb!
Stach ßnaint in SJtäbren oerfefct, trat er mitten in bie cbriftlidHociale
©emegung. 1893 erfdjienen bann feine btefjer oerftreut berauSgegebenen
©ebkbte in ber oben gefenngeiebneten Sammlung „SBetterleucbten". Xer
Xitel ift ebaratteriftifeb für ba£ aufgiebenbe fociale ©emitter, nicht für bie
SBirfung be$ SücbleinS, beffen Jnbalt mie ein Xontterfcblag in baä ©emiffen
be$ öfterreiebifeben fatbolifeben Solfeä fuhr. Stad) furger 3eit erfolgte eine
SJtaffemSteuauflage, bie halb in 7000 Sjremplaren oerbreitet mürbe.
Xer Stame Sichert mar, fogufagen gum ^arteiruf geroorbett, unb feinen
Xräger mollte man jefet im Änotenpunfte ber öfterreiebifeben politifeben
Jntereffen feben: man gog ihn nach 2Bien, mo er bie Stebaction be*
„©olfsblatteä für Stabt unb üianb", be$ SamilienblatteS „Xer Pilger" unb be*
„St. Jofepb^Senbboten“, fomie gmeier Äalenber beforgt. ©iel laftenbe Arbeit:
ob auch oiel materieller Siobn? Jd) fürchte, auf biefe ftrage mürbe ber tapfere
Äärnpe nur ein mübeS öäcbeln gur Slntmort haben. Xraurig genug, bafS
baS „fatbolifebe ßfterreicb* bis jefct einem Spanne mie biefem feinen anberen
SöirfungSfreiS — fagen mirt runb beraub: feine SJtöglidjfeit gur freien $lu$~
Übung feinet eigentlichen ©erufeS gu febaffen oermoebte*). Xen Debatteur
(Sichert fann mobl ein anberer erfepen, ben Xicbter nicht. Unb gerabe
biefer märe jefct, menn unabhängig, mehr als je ein pcrfönlicber ftactor
in ber bortigen Äulturentmitflung. 2BaS biefe geiftige tfraftnatur gu leiften
oermöcbte außerhalb ber ftänbigen Xrucfatmofpbäre beS 9tebactionS;©ureauS,
bemeist bie einfache Xbatiacbe, bais fein großes Xalent nicht oerfümmert,
fonbern im Sluffdjmung begriffen ift, trop XageSfrobnc unb gefebmäebter
©efunbbeit.
1899 oeröffentlidjte er bie „ftreuglieber"**), ein ©olbfcbnittbänbdfen
oon 81 Seiten, aber oon melcber ^ernfülle beS JnbaltS! —
Xer Jammer unb bie Stotb, ber blhtbe &afs unb bie Xborbeit
ringsum batten bem Sänger guerft bie SSarteifabne in bie £>anb gebrüeft;
nun legte er fie nieber, ergriff baS Äreug, hielt cS hoch in ber
hinten, bie Siechte aber umflammerte, mie gu Slnfang, baS Scbmcrt.
©lieb er im „SBetterleuchten" einem feurig babinjtürmenben Jüngling, ohne
Sicht auf bie ftinbentiffe unb ©rengmarfen feiner ©ahn: hier ift er ber
befottnene, gefertigte, megfubere SJtann, ber mit conccntriertem ©emufstfetn
auf fein 3iel gufebreitet. Unb biefeS ift nichts anberen als (um mit
l\ Sl. Möllmann gu fpreeben) „ber SJtittelpunft ber SBeltgefcbicbte, bie eingige
erfülIungSftcbere Hoffnung aller SlbamSfinber, baS oerbinbenbe 9Jlittelglieb
gmifeben Fimmel unb ®rbe, baS emige Xenfgeicben ber größten ©otteStbat":
ber üicbtbaum beS Gebens auf ©olgatba. Sein ©lang ftrablt bis in bie
liefen ber Xicbterfeele, flärt baS Xicbterauge, burcbleucbtet unb läutert baS
*) $)er (Skrechtigfeit halber betonen »ir, baf$ (Sichert oom f. f. öfterr. Wtnifterium für (inltuä
unb Unterricht 1899 einen Utterarifchen $rei* unb bafft er 1900 ba« Stipenbium ber Schweftern fröhlich*
6tiftunfl für heroorragenbe fchaffenbe latente auf bem (Gebiete ber üitteratur erhielt.
**) Stuttgart unb ©ien, 3ofef ftoth’fä* ®erlag«hönblung; 1901 $um jweitenmale aufgelegt.
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ftranj (Sichert.
421
Dicbterroort, bafS eS nur jetten noch beut ^arteibaber, befto muebtiger aber
bem heiligen Äarnpfe um Sottet unb feiner ftreitenben Äircbe Stecht ftd) leibt.
Stiebt als ob ber „Äünftler" jebon immer auf ber £>öbe ftünbe: auch jefet
nod) finbet jid) Übermaß, Staubeit, Sthetorif unb Steflerion. Slber im
©angen offenbart ftd) bod) ein bebeutenber ftortfebritt. Stiebt gulefct banft
(Sichert biefen feiner männlichen Demutb: für ftd) felbft mit! er nichts,
aus ftd) felbft fann er nichts, in ftd) felbft fuebt er nichts als baS SJtangel*
hafte feiner Äunft, — baS anbere an ihr gehört ©ott:
SJtein £>erg ift nur beS ©ro’gen fravfe,
SBenn eS in Siebern glüht unb brennt;
Der SJtifSton nur, ber fcbrille, fcharfe,
3ft mein, ber fommt oom Qnftrument!
Drum roill ich feine Stränge hoben,
Stein Sob für baS, roaS hoch nicht mein —
©inb meine lieber ©otteS ©aben,
©ott auch bie ©h re — ©otteS fein!
Unb foü unb barf unb mufS ich fingen,
Dann braufe, opfertobbereit,
SJtein ©ang umS Streug mit ©turmeSfchroingen
SUS Kämpfer für bie beffre 3eit!
Unb biefe beffre Beit mufS ftd) erfüllen — fein lag!:
SJtein lag roirb fommen! Sticht auf SengeSflügeln,
Sticht Stofen roerben frängen feine ©time,
Stein — fturmgeboren fteigt er oon ben frügeln,
©ein JeuerfufS gerfcbmilgt ber s 43erge 3rime.
Diefe ©eroifSbeit ift ihm tiefernfte SJtabnung, gugteid) Hoffnung unb
ftißer Droft, toenn baS ©rbenelenb unb — bie ©rinnerung an feine einftige
Trennung oon bem .^öcbften ihn niebergubrüden brobt (ftebe „SJtaria",
„BefuS an bie Seele", „ s 2lucb Du!"). Doch feine ®u§e ift bie ber Äinber
©otteS, betten baS $eil in tbatfräftiger, wahrhaftiger £>eilanbS= unb 33ruber=
liebe befcbloffen liegt.
O hött’ ich über bie bergen hoch SJtacht
Unb fönnt’ ich ben ©eiftem gebieten!
D märe mein Sieb roie etn ©cfjroert in ber ©chlacht
Unb roie ein Frühling ooll Blüten!
©tetS rooüt’ ich eS ftimmen auf ©türm unb auf ©treit,
©o lange baS $reug nicht gerettet,
©o lange bie göfcenanbetenbe 3ett
$n ©chmach unb in Söanben eS fettet;
©o lange ber £>afS noch bie Siebe beilegt
Unb Xreue ein ©pielgeug ber ©drangen,
©o lange baS Banner ber Süge noch fliegt
Sluf treulos oerrathenen ©changen;
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422
©. ÜR. £>amann.
©o lange nur frabfucht am SBebftuhl ber 3«t
Ta3 Stäbergetriebe läföt faufen —
©o lange bie 2Belt fidj bem SRammon nur weiht,
©oü ©c^lac^truf mein ©ingen burchbraufen.
©o lange fall rufen mein Sieb unb mein ©ang
Tie gläubige SBelt ju ben $öaffen,
33alb fchmettemb unb fröhlich, halb fchaurig unb bang,
$8i3 fterbenb bie ©aiten erfcblaffen.
Tann will ich, nom Banner be3 ßreuae3 bebeeft,
©em fchweigen unb ruhn mit ben 3Rüben,
93i3 einft bie ^ofaune ben ©djlafenben werft —
Tann fmg’ ich, bann fmg’ ich ben grieben!
Tenn er liebt ihn ja, biefen grieben, wie er bie SRenfchbett liebt,
wie er ben ©lauben an beren 2lbel liebt, wie er ba3 Äreus unb bte ewige
Siebe felber liebt. Ter Äambf ift ihm freiwillig erforene Pflicht, bie Stube
in ©otteS Slnfcbauung erfebnter ‘IßreiS (f. „Soüenbung"). Um ibn *u erringen,
hält er Treue (f. „geh bleibe feft", „Äreuäweg", „Ä'reuseSliebe"), febart bie
©otteSftreiter sufammen (f. „3u ben SSaffen!", „SRutbig unb treu!", „3eit
unb ©tunbe", „Untere gähne", „©in ©brift — ein SRann!"), trägt ba3
SSanner be3 allmächtigen ßwingberrn öoran (f. „ÄreuaeSlob", „Tie Xbat!"),
flebt in XobeSnotb bie £>eilanb3bHfe berab (f. „$ilfruf"), richtet bie 3agenben
unb ©infenbeit auf (f. „gm Kampfe um ba3 $reua", „Tiegelben beSÄreujeS",
„0, fürchtet nichts!"). Unb mitten im Sd)lad)tengebrau3 febaut er bie felige
Sifion (f. „ s 2luferftebung"):
Ta feb’ ich bie enblo3 lange ©char,
Tie einftenS ber ©ünbe hörig mar,
93oriiberwalIen im lichten ©d)ein,
$$om Sölute be3 SammeS ftnb alle rein:
geh febe bie Jperjen nun wieber blithn,
Tie Wahrheit burch Sfebel ber Süge gliihn
geh höre ringsum bie ©otfehaft gehn:
Ter ©laube, ber ©laube will auferftehn!
©3 füehn bie SBächter, e3 rollt ber ©tein,
©3 leuchtet im ©rabe wie ^immelSfcbein;
©3 faf3t bie §erjen ein SBunber an —
0 fomm, ©rftanbner, jeig un3 bie $ahn!
©in geuer bie ©eifter all’ burchbricht:
0 unfer Sichtig, führ un3 $um Sicht! —
Ta fcbntiljt ihm baS&ers, bem er bisher ba3 „SBerbe hart!" gewähnt bat
aufcbleubern *u müffen, tmr Siebe im gläubigen ©rfennen ber Urmacht ber
Siebe. Tie jum ©to§ erhobeneSSaffe entfinft feiner £>anb. ©r menbet ficb unb
DerläfSt bie ffialftatt (f. „2Berbe milb!"):
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3rranj Sichert.
423
Wübe bift bu, fcbmerjurnftürmter (Streiter!
Sieb, hier ftefjt ein $reu$ am 2öeg allein —
$einc fjüfee tragen bidj nicht roeiter,
ßege füll bein fraupt auf biefen Stein!
Stürmifd) §erj! 9imt ^aft bu SRub gefunben,
Jpaft gefämpft, geirrt, unb fiel)’, hier Quillt
SBie ein Strom be# Sichte au# ©otte# 2öunben
Triebe, £iebe! — §erj, nun bleibft bu milb!
$amit tönen btc „Äreujlieber" au#: bie fefte Srüde zu ©ichcrt’# britter
.ftauptftation ift gefdjlagen.
1901 erfchien feine ©ebichtfammlung: „4>öhenfeuer\ Sie fdjeibet fid)
in fieben Sapitcl: „Sturme#harfen" (mit bent munberooüen 2lu#flang „3ur
3ahrhujtbertmenbe"), „Schreibenbe §anb", „Üicht unb Tuntel", „Sonnen¬
stäubchen", „fteimatlieber", „SRaute unb ©belmeiß", „Te# Üicbe# Söeiße". ©in
s ©lid auf Anfang unb ©nbe be# Suchet, unb ©ichert, mie mir ihn bereite
femten, fteht oor un#: berfelbe — unb nicht berfelbe. 2Bic einft trögt er ba#
ftelbenfchmert, ift er ein SSorfchreiter im Äampf, ruft er hinein in# ©emiffen
bcr Seit. Slber fein Sang tönt boct) aitber#: flarer, fnapper, geminnenber,
unmittelbarer al# fonft. $a# macht: bie höchfte ^iebc hat ihn bezmungcn
ganz unb gar, hat ihn gelöst oon ber Parteien &aber unb eng oereint mit
ber uremigen Sache ber Wenfchheit felbft, hat ihn hinüber geführt au# bem
©etriebe ber 2age#fehbe in ba# ©ebiet ber reinen Äunft. Sie hat ihm
ba# $erz milb gemacht: menn auch ba# Uieb be# ©ram# unb be# heiligen
Sortt# noch oft, nun bunfel, nun fchmetternb hell, au# feiner ®ruft in bie
unfere bringt. s 2lber auch anbere Älänge mifchen fich ein: leiie, holbe Welobien
au# ber Seele .Heiligtum, bie ba zeugen oon üerborgenem Seib unb feliger Suft,
oon Sehnen unb ©in#fein, oon füßem $lu#ruhen (f. „SRütfblitf") in 3hm, ber
burd) 9tatur unb Wenfchen, burd) Sturm unb ftiüe# Säufeln zu un# fpricht.
Mud) ie&t noch meht mol)l ein ©cho her au# früherer Seit, ein oer-
fchrnontmene# ober farbenftro&enbe# ©ilb, eine flingelnbe ober fchmerfäUige
Spracßeinfleibung ober gar ein ganze# fchmächliche# ©ebid)t ocvlefet un#, mie
ba# gebanfenarme „93leibe fteßen", ba# gefchraubte „Triebe", ba# fentimentale
„Sah bid) iüngft im ©arten gehn". $lud) ießt noch brängt fid) jumcilen bie
vhetorifche SBucht auf, befonber# im zmeiten «tmupttheil, mo ßidjert, ein anberer
fltürfert, in „geharnischten" Sonetten ber Sünbenmelt oon heute ihr Mene Tekel
prophezeit. 'Ecfto ftegreicher fteht bie lautere ©oefie in ben folgenbeu s 2lb=
schnitten auf: fehrett auch bie alten Shcmcu mieber, fo thun fie’# in ab=
geflärtercr Sorm unb mit oertiefterem ©ehalt. Subcm: bcr Slnfturm be#
Unglauben#, be# 4>aife#, be# Xrug#, ber &ab= unb ©enuf#gier ringsum ift
io groß, bas# man e# nicht nur begreifen, fonbern begrüßen foU, memt ein
berufener Wahner feinen Scheibe- unb SJedruf unermüblid) hineinfenbet in
ba# tofenbe ©emirre. 2Ber aber märe berufener al# unjer dichter? ©emiffer
beitn je fühlt er felbft ftch beftötigt burd) ba# Seugni# oon Oben (f. „ffarnpf*
gefang"):
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©. 2R. £>omann.
42 4
bin fein Höfling unb fein 9Jtobebichter,
©ottweihte$um*Propbetenmich, $um Stifter.
3cb frage nicht, ob i<h ben Sohn oerfehle —
3ch fünbe, wa* mir wilb burdjraufcht bie Seele.
ferner in „Schtoert unb £arfe":
©ott gab mir bie §arfe, ©ott gab mir ba* ©dauert
Ter freien, bie männliche Diebe;
Tie £>arfe entflammt unb ber Bamberg bewehrt
Ten ©eift mir $ur ^eiligen ^ehbe.
3>d) h^b’ meine $arfe für Söahvheit unb $Hed)t,
Um bonnernbe lieber ju fchlagen,
©ntflammenb ein fettengebriitfte* ©efcblecbt,
Ten Mampf um bie Freiheit $u wagen.
Qd) habe mein Schwert, um ben heiligen Mrieg
9Jt;t Si'ige unb 53o§l)eit $u fechten,
$d) habe mein Schwert, mit ber $öelt um ben Sieg
Teä ©uten unb Schönen ju rechten.
Unb in „^olwärt*":
3hr Sieber, ooran,
3um Streite gefdjart,
©ott breche bie ®ahn,
©ott fegne bie $ahrt.
©uch brachte jum $lühn
©in bimmlifcher Trang;
Tie 3Boge foU glühn
SBom SSifingerfang!
©mpfinbet er fo feine Vollmacht ben Jtorberungcn unb ©chmanfungen
bc* Sebent gegenüber, fo fühlt er fein Ungenügen, feine Kleinheit üor ©ott.
Tie fdm>:r errungene 2Jtanne*bemuth ift ihm treu geblieben (f. „3täthfer,
„Tie T'erle", „©ebet", „9lbenbgebet", „gin* unb alle*", „Tu bift ein 5ftenfch"
unb ba* herrliche 3Wotto ( J3). — Diur au* bem ewigen Urquell, üon
beut ein Tropfen fid) in ihn felbft ergof*, fchöpft er Streben unb Mraft:
© e f u n b e n.
3ch habe gar oiel begonnen,
Mein Stiicf mir recht gelang;
3>ch fachte be§ ©liicfe* Bronnen,
2lm Reifen mein ©rabfeheit fprang:
£>ab lang gefügt unb gefonnen —
Ta würbe mein Sinnen ©efang.
Ta würbe ©efang mein Sinnen
Unb e* gelang mein Stiicf;
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ftranj Sichert.
425
9$ hörte ben ©rönnen rinnen
Unb fanb baS gefugte ©lüd;
©S räufelte ber Seele ÜJttunen
3u ©ott f $ur Duelle jurüd.
Daher jeine nie ertöfchenbe Sehnfucht nach öimmetsfrieben (f. „SriebenS*
ahnung", „ftriebenSfehttfucht", „SRettenbeS Sicht", „SRur einmal mödjt id)
ftiöe fein", „Ohne 9tuh w , „Jerne", „©orüber", Ebnung"); baher fetnfelfcn=
fefteS, burd) feine nod) jo fchroere Sorge, ©ntbehrung unb ©nttäufchung
ju erfchütternbeS ©erfreuen, feine erfüHungfichere, rüdhaltloS bingegebene unb
befeligte Siebe au ©ott (f. u. a. „©erjage nid)t — ©ott mei§ ben ©fab",
„SRehr Siebe"!); baber aber auch feine opferftarfe Siebe ju ben ©rübern:
©litgefübl.
3cb null nicht roohnen im reichen Saal,
©$enn meine ©rüber in Hellem roohnen,
3ch roill nicht mehren bie fchlimme 3<*hl
Der fatten 3ebrer, ber faulen Drohnen.
3d) roiU nicht pichen in Sammt unb Seih’,
Söenn meine ©rüber in Mitteln frieren.
©iel lieber roill ich mein roarmeS ftleib
9US jemals mein roarmeS §er$ oerlieren.
3d) roill nicht praffen in Suft unb Schroall,
©tenn brunten oerhärmte Malier irren,
3d) roill nicht hören ber ©eigen Schall,
©knn Jyliiche unb Seufzer ben Xaft oerroirrett.
3cb roill nicht fifcen fteinern unb blinb
3m ©liicfe unb ©nberen laffen bie Scherben —
3ch bin ein OJlenfch roie bie anbern finb,
Unb roill mit ber ©tenfehheit leiben unb fterben.
©ben aus biefer Siebe ju bem «'pödjftcn unb ju ben ©crlaffenften er¬
fleht fein IRannesftolj ben Xhoren gegenüber, bie nad) bem ©ettrnnb ben
Xräger beurthcilen („3f)r unb id)!"), bie ,,©äd)e fchtoaben" unb als betrogene
©etrüger baS 3od) feilen ©olbeS tragen unb auferlegen (f. „ffiir unb 3hr!"):
UnS gilt baS ÜJtarf unb ihr bie Schale;
Sie fieht baS Mleib, roir fehn ben ©eift.
3br ift fo roohl im bunflen Xhale
Unb un$, roo hoch ber 2Iar nur freist!
Unb roeil er rneifj, bafS nicht am lanbe baS ©lüd hängt, begnügt er
(ich mit färglichem Sohn für unbezahlbares SegenSfchaffen:
©erborgen.
3ch roill fo roenig oon ber ©Seit,
So roenig oon ber 2öelt fürroahr,
©in Stücfchen ©rot, ein fcbii&enb 3*1*
3riir mich unb meiner kleinen Schar.
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426
(£ ÜJi. ^amann.
ßein ^teftgeräufcb unb feine Suft
SBci tollem Spiel unb golbnetn ©ein,
Much feinen Stern für meine $3ruft —
Safst mich allein \ — SafSt mich allein.
$)u liebe Stille! Selig laufet
$>ir atbmenb meine 93ruft unb bebt;
Äein Sieb, ba$ mir bie ©eit geräufelt,
§at meine Seele fo belebt.
$tefe Stille ber Slbgejcbloffcnbeit oon allem Oberflächlichen unb
Störenben, be£ inneren Sidjau$leben3, be£ ftd) &tnetnoerferifen$ in ben
SJorgefdjmacf ber ©roigfeit: er finbet fie im ffierfebr mit ®ott ( mit ben Seinen
unb — mit ber Matur. ©ie bei allen echten Xicbtern, bängt fein £>ers mit jeber
ttiber an ber Heimat unb am Xempelfrieben ber 2lümutter, su ber mir gebären
bom erften bis jurn lebten irbifeben Slugenblicf. Bitten im befcenben Sebcn
ruft ibm ber Sttutterfpracbe Saut bie geliebte Scholle bor'ä innere 3luge:
„MtngS ber ©älber braufenb SMeer, flarer Fimmel brüber ber"; in ber
„Mube im ©rünen", iit ber „Dämmerung im ©albe" fuebt er SSergeffen für
all be3 Xreibenä 9Rüben unb Verlangen:
$ie mir einft oerbeinenb lachten,
Sterne in be3 5lbenb$ ©runb,
Stillet mir ber Seele brachten,
Ä'iifSt mir jeben ©unfeb oom 9Jhmb!
bringt mir bod) bie ferne ©eite
Mäher in ber Xräume $8ann,
$>af3 bie Seele, bie befreite,
©ie ein ftinblein fdjlafen fann.
kleine, sarte StimmungSbilber mit tiefer Maturfpmbolif fteigen aus ber
Seele ©rünben auf (f. „Sonnenuntergang", „Jm Xbale", „2lbenb", „&erbft",
„Dämmerung"); ba$ „9Meer ber Sense3monne", ber „Mebe^, mie ein enblo$
©eb M , be3 ©inbeS nun träumeriiebe, nun milbe ©eife, be£ Seifend „Sdjmur*
banb" im lirolerlanb, ber „eifige Sergeefmad" be3 Hochgebirge, bee Sommer-
aufgange „sitternbee Siebt": fie alle reben ibm ihre unmittelbare Sprache.
Unb er nimmt biefe in ficb auf, befreit an ihrem ßauber bie eigene bebrängte
®ruft unb läfet fie mieber binaueflingen sur ftreube, sunt Xroft, pr ©r=
mutbigung für bie, melcbe, mie er, Äreujträger in ©abrbeit unb Freiheit ftnb
unb bureb bie Seuereffc be$ Schmerle binüberfebreiten pm emigen 9Rorgeit=
rotb. ©o immer ftc feine Stimme, fein Sieb üernebmen, ba ftnben fie ihn
felber gans („3cb bin mein Sieb"), unb bieieS Sieb bot er ihnen unb ftcb
füre ©mige beftimmt:
9Jtein Sieb fei Seben, mein Sieb fei Siebt,
Micbt kleben unb ©eben im Staube!
Unb wenn einft bie irbifebe Hülle verbricht,
Xann fterben bie ©eifen, bie Sieber mir nicht,
$ann jubelt fie einig ber ©laube!
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3ranj (Sichert.
427
©Jährlich, fein SBunber, rnenn ein 9Rann mie biefer bie Granit beS
XhränenthalS mit erhabener SBürbe tragt: „TeS Sieben ftolje ®abe macht
gan$ allein mich reich!" TaS ift ein SReichthum, ber auch anbere berufene
roeeft — jüngft erft hat’S P. ©nSgar ©öHmann in „Sonnenfehein" oerfünbet,
roaS er Sranj (Sichert banft: „ffienn ich in feuriger ®arbe forühe, 2Bei§t
Tu, au§ melchem Schlage fte ftob"; baS ift ein SReichthum, ber SReinhcit, ®üte
unb Schönheit in ftch trägt; ber in ftetem SBerbegang immer mehr baS
Unvergängliche anfe&t unb auSreift; ber vom ©orn jenes SebenS, baS VJiebe
heißt, ftammt unb au ihm aurüeffehrt; ber bie SBelt befiegt unb bie 3eit
überbauert:
ÜRein Sieb ift alles ober nichts:
(Sin fraueb jerbrichtS —
Unb hoch an feinem luft’gen ftleib
3erfcbellt bie 3^t.
Jch glaube, bafS in meinem Sieb
Ter Obern jieht
TeS ©eifteS, ber ba nimmt unb gibt
Unb eroig liebt.
Tie Stunbe fommt, ba ber SRuhm (Sicherte von ®au $u ©au, roo
beutfehe 3unge Hingt, getragen roirb. 5Röge bann nicht zugleich bie Scham
aufftehen müffen mit ber ferneren ©nflage: Ter ©eften (Sinen hieltet ihr
gefdjmiebet ans Joch; nun ift eS für feine ©efreiung — *u fpät!
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Die Philosophie der Astronomie.
Bon Bloyre TOitUer.
(3rf)lufd )
nn mir auch fo bie ©ehauphntgen für bie ©nblichfeit beS SBeltaflS
jurüdgemiefen Ratten, fo hoben mir bod) bamit bie Unenblkhfeit noch
nicht ermiefen, unb ich glaube aud), bafS fie fich fdjmerlich bemeifen läfst. Solche
Probleme fann man hödjftenS mahrfcheinlich machen, unb aud) ba fpielt noch
oief SubjectioeS mit hinein. 9Kir fchcint für bie Unenblidjfeit folgenber
©runb su fpredjen.*) Soffen mir baS SBeltaß als enblich, fo müfSte fich im Saufe
ber Seit ber gan$e Äther als ©aS in ben leeren SRaum jerftreuen, ba ihn
ja nichts an ber Ausbreitung pinbert, mag man feine ©renjen auch noch fo
rneit über ben oon ben lebten $immetsförpern eingenommenen 0 rt hinaus*
benfen. AflerbingS bliebe noch eine 2Röglid)feit offen, bie nur bei einer
gemiffen ASenbung ber mechanifchen üftaturauffaffung auSgefdjloffen märe,
nämlid) bie, bem Äther eine unenbliche AuSbehnung ju$ulegen, bie Summe
ber £immelsförper aber enblich ju faffen. Aber baS' flingt hödjft fonberbar.
©cibemale gilt übrigens noch ein anberer ©ebanfe, ben Siebmann (Sur
AnalpfiS ber ffiirflichfeit) einmal auSfpricht: „ 6 in fo abenteuerlicher SujmS
ber SBeltoernunft mit ben unenblidjen Seeren unb Öben, bei fo fchmählichem
@ei$ mit bem raumerfitßenb SRealen, märe gemifferntaften unvernünftig."
9Hag man eine Anfchauung mählen, melche man miß, auf jeben Saß ift auf
berfelben ©afiS ber phpfifaliichen Sehren, auf ber fich irgenb eine Unenbtichfeit bei
ben beiben SKöglichfeiten aufbaut, auch bie Unenbtichfeit beS StaumeS begrünbet.
Xrofcbem mir nun üoßftänbig bie Art beS ©hilofophierenS, bie aus bem ©e*
griff ber S a h^ ä. bie Unenbtichfeit beS SlaumeS als falfch barthun unb
von h^r aus auch bie ©nblichfeit beS SBeltaßS folgern miß, als übereilt
unb als einen 9?iidftanb ontologiftifcher 3 been Verwerfen, fofl ber fpeculatioe
Ginmanb hoch berüdfichtigt merben, meil er bei uns geläufig ift unb meil er
uns hier ein auffäfligeS ©eifpiel für bie Sorrectur ber ©fjilofophie an ber
Waturwiffenfchaft bietet. $er ©inmanb tautet: @S fann gar nichts actual
UnenblicheS, jumal feine actual unenbliche Sottf &on Gingen geben, meil ich
mir 51 t aßem, fei es nun reeß geteilt ober ibeeß tpeilbar, X^cite hinju-
*) ©ine Abfcbroäcbung beSfelben wirb fpater angebeutet.
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$ie S$htlofophie bei* Slftronomte.
429
benfcn ober foldje megnehmen !ann; baS SBeltaß befifct atfo fdjon fidler eine
eitblic^e SluSbehnung, ben Staunt fönnen mir nun jmar nicht als enblich
faffen, mir fagen barunt, er fei potential unenblich, baS Reifet, mir müffen
feine ©renjen immer meiter fjinauSfdjieben.
$iefe SluSführungen leiben au unflarem philofopfjifchen Renten unb
befunben UnfenntniS ber SJtathematif. ®S ift hoch über allem 3toeifel ergaben,
bafS eS in SBirflichfeit nur actual UnenblictyeS unb ©nblicheS geben fann.
®S fcheint folgenbeS gegen uns ju fprechen: benfen mir uns
baS SBeltaß plöfclich oerfdjmunben mit SluSnahme ber ®rbe, fo mürbe
biefelbe fic^, mie aus bem SEräg^eitögefefe folgt, in geraber Sinie in
infinitum meiterbemegen; biefe ©emegung ift, fo fagt man, potential
unenblich- ®aS ift ein claffifdjeS ©eifpiel bafür, meid} ein Unfug mit
pf)ilofopf)ifd)eu ^Begriffen getrieben mirb. Il)atfäc^lic^ ift bie ©emegung,
baS ift bie ©djncßigfeit ober ber ^urüdgelegte SBeg ober maS man auch
immer barunter oerftehen miß, in jebem Slugenblid eine enbliche, unb barauf
aüein fommt es ^ier an; überhaupt ift nichts UnenblidjeS babei im Spiele,
baS infolge feinet SBefenS irgenb eine unenblicfje SBirfung peröorbringen fönnte,
einfach beSfjalb, meil überhaupt nichts SteafeS babei im Spiele ift als lebiglidj
bie 3nbifferen$ beS S'örperS gegen jeben Drt im Staunt. ©erabe an biefem
©eifpiel fief)t man flar, bafS baS potential Unenblid^e nichts meiter ift,
als eine logifdje ©ejiehung, in bie unfer ©erftanb baS ©nblidje $um actual
Unenblichen fefct, ober bie ©ejiehung, in bie unfer enblidjer ©erftanb ^um
actual Unenblichen tritt. SBir fönnen eben etrnaS actual UnenblicheS nicht
faffen unb bebieiten unS eines berartigen $ilfSbegriffeS. SS ift aber burdjauS
unberechtigt, ihn nun in bie SBirflichfeit ju übertragen. £at ber Staunt eine
©ren^e, bann ift er enblich, h at er feine, bann ift er actual unenblich. 3ebe
©renje aber als folche ift eine ©renje i m Staunt, nicht eine ©renje b e S
StaumeS, alfo fommt man nicht baran oorbei: ber Staum ntufS actual
unenblich fein.
$>a man fi<h fo fehr barauf fteift, bafS es feine actual unenbüche
3ahl geben fönne, fo fann man ja einmal auf bie SBirflichfeit
hinmeifen. ©utberlet jieljt in feiner „SRetaphpfif" als ein fehr gutes
©eifpiel bie 3®hi 71 h cr °n. ®iejelbe ift für uns, um ben irreführenben
SluSbrud nochmals ju gebrauchen, potential unenblich, baS heifet, mir fönnen
rechnen, fo lange mir moflen, mir fommen niemals au ein ©nbe. Slber, um
noch einmal unfere obige ffirflärung beS potential Unenblichen ju rechtfertigen:
mir ha^en hoch ftets nur ein ©nblicheS, mögen mir auch noch fo torit
rechnen. SBie aber mirb fich bie 3of)l ©ott repräfentieren ? ©ott fennt hoch
afle ihre Steßen, für ihn ift alfo bie 3o*)I boch actual unenblich, alfo ift
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430
Sllopg SJtüUer.
fic hoch auch thatfächlich actual unenblich, menn auch mir mit unferem
enblidjen Serftanbe äße Steden nicht faffen fönnen.
$er ganje ©inrnurf üon ber Unmöglichfeit einer actual unenblichen
3af)t beruht meiftent^eil^ auf ber Annahme, bafö aße Unenblichfeiten
eiitanber abfolut gleich feien. lafg biefe Sinnahnte nicht richtig ift, fann man
leicht jeigen. 3 n bem Staum üon 1 cm 8 finb hoch ficher (actual) unenblich
üiele mathematifche fünfte üorhanben, in bem SRaum üon 1 m 8 begleichen.
SBenn atfo aße Unenblichfeiten einanber gleich mären, müfgte ber 9?anm üon
1 cm 8 gleich bem üon 1 m 8 fein, mag offenbarer Unfinn ift. 3m übrigen
läfgt fich ftreng mathematifch bie ©jriftenj üon actual^unenblichen 3 ahlen
nachmeifen. ©antor'g Serbienft ift eg, bieg gethan 51 t haben^nachbem bereitg
manche Shifofoph cn üor ih m , 8 um Seifpiel 2 e i b n i 5 , ben Sorthum jurücfgemiefen
hatten, alg ob actuale Unenblichfeiten eine abfolute Steifheit befifcen müfgten.
2 .
Dicfer jmeite Slbfchnitt foß bie 2 ehren behanbeln, bie eine aftronomijche
uitb eine philofophifche Seite befipen.
Sltg claffifcher Ippug berfelben foßte eigentlich ber $anpjpchigmug
hier ftehen, ber eine äufeere unb eine innere Seite im SBeltaß nnterfcheibet,
eine äußere, bie mir in ber Slftronomie erfaffen, eine innere, bie Semufgtfein
hat, Seift ift; ber bag SJtaterieße im SBeltaß alg Unterlage, alg Mittel
für ©mpfinbungen unb lenfeit fafgt unb fich infolge ber Unmittelbarfeit,
mit ber ung augfchliefelich materiefleg SBirfeit im Raunte gegenübertvitt unb
bie feinen Schlüffen ju miberfprechen fcheirtt, gern mit ber pfpchologifchen
Theorie beg pfpdjophpfifchen $araßeligmug üerbinbet. 2Bir moflten bie 2ehre
gern befprechett, menn fie nicht ben einen Fehler h^tte, feine Shif°f°Pbie,
fonbern s 45^antafie ju fein. la aber fo namhafte Genfer mie ftechnev
in feinem „ 3 enb*Slüefta" unb $anlfeit in feiner „©inleitung in bie
s ^hifofophie" ih^ bag SBort reben unb fie neuerbingg niete Slnfjänger finbet,
fo fei fie menigfteng hier ermähnt, mähreitb mir ung eine eingehenbe fritifche
^Besprechung berfelben, fpecieß in ©e^ug auf ihre Darlegung in ben eben
genannten SEBerfen, für eine fpätere Slrbeit üorbefjalten.
SBenn mir ung auch üom Scmpfpchigmug unb feiner Seiftyauberei
fernhalten, fo bürfen mir hoch nicht in bag anbere ©jtrem faßen, im
Sogmog nur SRaterie unb Semegung unb mit unerbittlicher Stothmenbigfeit
geltenbe Sefefce 511 fehen. ©g ift Seift in ber Statur, aber nicht anberg alg
mie man auch üon einem Suche fagt: eg fteeft Seift barin. @g ift ber
Stempel, ber Slugbrucf eineg orbnenben Seifteg, ben bie Statur an fich trägt,
eg ift, mit einem SBorte, bie Ideologie. 1er 3ü>ecfgebanfe gehört, mie
ber ßinheitggebanfe, $ur 3bee beg Drganigmug; ja man fann fogar fagen,
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$ie Vhüofopbie bei* Dlftrottomie.
431
bafd ber 3 med bie ©inheit in fich fchliefct. $aedel hat fchon mieber einmal
(SBelträthfel) ben 3 *o«ffKgriff für „überflüffig" unb „»erfdjmunben" erflärt.
©onberbar — a edel preift ©oettje fo fehr ald Vorgänger $ arte in' 4,
unb bodj ift ed gerabe ©oethe, ber ben befannten 9ludfprudj that: „Äld
man bic teleologifche ©rflärungdart »erbannte, nahm man ber ÜRatur ben
Verftanb .... unb fie blieb geiftlod liegen."
Vom aftronomifchen ©tanbpunft aud betrachtet, höben mir allerbingd im
SBeltatl nichts aldüJlechanif. 2 lber mibepfpricht [ich bad etma? SBad Rechner ( 3 enb*
Sfoefta) »on feinen ©peculationeh fagt, tann man mörtlich auf bie leleologie an*
menben: „9iur eine SRupung, nicht eine Verfälfchung ber Stefultate ber ÜRatur*
forfchung fommt hier »or. Sein SRaturgefefc fcheint hier meniger binbenb, ald ed bem
ftrengften gorfchec erfcheint, unb ber 3*oed, ber eine fo grofee Stolle bei und
fpiett, »ermag niebtd, anfjer fofern er mit bem ©efefc bed SBirfend £>anb
in £>anb geht. ®ie Staturnothmenbigfeit beftept überall, tpie unb mo fie ber
•ftaturforfcher Oertangen fann unb »erlangt." Unb fiiebmann (©ebanten
unb ^hatfadjen. I.) fagt: „ 3 med 5 ufammenhang unb mechanifcher ©aufat*
^ufantmenhang, meit entfernt fich 511 miberfprechen, beefen fich »ielmehr ©lieb
für ©lieb, inbem, mie fich an jeher ooit 9Renfchenhanb conftruierten SRajchine
feftftellen läfdt, jener biefem inoolüicrt. 3e genaueren ©inblid in ben Vau
unb bad ©etriebe ihred 9Kechanidmud man geminnt, um fo genauer erfennt
man auch bie 3 merfmä 6 igteit einer ÜDtafchine. ®er »ollfommenfte
SRecpanifer märe zugleich ber »ollfommenfte Xeleofog."
9Werbingd „nicht blofc einzelne 3 mecfe für bie einzelnen Xpeile", um mit
geehrter 311 rebett, „fonbern auch einen einheitlichen 3 med für bad einheitliche
©anje" 31 t finben, rnirb mohl und SRenfchenfinbein mit unferem fchmachen Vers
ftanbe unmöglich fein, ©in folcher 3 mect (gechner fept hier 3 metf für ßiel) mnfd ba
fein. Xamald fchon hat er im frodmod gelegen, ald beffeit ganje SRatcric noch im
s Rcbe(batI oercint im Staunte fchmamnt, feine ©ntmidlung hat er bann begleitet
unb geleitet, fonft hätte er nimmermehr toerben tonnen, mad er jept ift. 9lber
mo ihn finben? Vielleicht bürfen mir SRertfcfcen und fo hoch tarieren, bafd
mir bie ©ntftepung unb ©ntmidlung bed Sodmod ald auf und gerichtet
annehmen, mentt mir bann auch nicht jene »erfchmenberifche 3 erftreuung ber
SRaterie in bie enttegenften Staunte begreifen tönnen! Vielleicht ift auch bie
Verherrlichung beffen ber 3*oed, in bem unb bitrch ben mir leben, meben
unb finb. Chi lo sa! Vemerfen müffen mir aber noch, bafd folche ©ebanten
bem Ideologischen ©ottedbemeid fdjmerlich Stupen bringen, meil fie ald
bemiefen »oraudfepen, mad bort bemiefen merben fotl.
Sßenn mir auch fo auf ben einheitlichen ©ebanten ber 3 ^Iftrebigfeit »er*
3 idpten müffen, tönnen mir hoch einen folgen ber 3 *oedmäfcigteit conftatieren:
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432
2Uoo« ÜJlüUer.
ic^ meine bie Sinfacfyfjeit beS SBeltjufammenhangeS. TaS io überaus einfache
©raoitationSgefefc, bnS non fetbft oerftänblidje TrägheitSgefefc unb eine burch
irgenb einen ©influfS empfangene Tangentialbemegung, baS ift alles, WaS ben
Sauf ber :pimmel8förper bis in alle fernften ßtäume hinein oerurfachte unb
regelte. ©8 gibt wolfl faum eine t»on SJtenfchenhanb geraffene äftafdjine,
bie mit einfacheren dritteln unb hoch fo grogartigem ©rfolge arbeitete.
©obalb wir ffiinjelheiten als Teleologie anfpredjen motten, ift grofje
SSorfid^t oonnöthen. 3Jtan finbet taum etwas Säuerlicheres in ber 2Biffenf<haft als
bie ©ucgt, alles teleologifdj ju erflären. 3<h erinnere mich einmal gelefen ju
haben: SBeldj' eine wunberbare Teleologie ift eS bo<h, bafS eine änjieljungSlraft
cjiftiert, fonft mürben bie Sterne ja aufeinanberplajjen unb nichts, auch »ir
nicht, Seftanb haben. 2Iber ber Utadjfah mit „fonft" ift falfch; wenn leine
©raöitation ejnftierte, würbe ber ftoSmoS überhaupt nicht fo geworben fein
wie er jefct ift. ähnlich ift baS folgenbe, Oielgebraudjte Seifpiel: SBäre bie
SteoolutionSjeit etwa Jupiters um einen Tag fürjer, fo wäre bie ©jiftenj
unfereS IßlanetenfhftcmS gefährbet; eS liegt alfo Teleologie barin, bafS fie
gerabe fo lang ift. Slber wenn Jupiter eine anbere UmlaufSjeit erhalten
hätte, wäre bie ©ntmicflung unfereS SlaneteufpftemS, alfo auch fein Sau,
eine ganj anbere geworben. 2Ran fieht, berartige Seifpiele »erwechfeln
baS SBerben mit bem ©ein. Traurig ift eS, wenn man an Stelle oon
'Jtaturgefefcen ftc^ ein mpftifcheS teleologifcheS StmaS conftruiert. T. S«f<h
meint (SBelträthfel II.), bafS „bie Semegung beS ©aSbafleS fo bemeffen
unb gerichtet fein mufS, bafS .... bie Sonne genau in ben einen
gemeinfchaftlichen Srennpunlt ber efliptifchen Sahnen aller Planeten ju ftehen
fommt." äuch foflte man ben älfcnfdjen etwas mehr aus bem SRittelpunfte
ber teleologifchen Setrachtung oerweifen unb nicht immer jagen, etwas fei
beShalb teleotogifdj, weil eS ihm angepafst ift. TaS wäre in bem Säße
richtig, wenn ©ott gejwungen gewefen märe, SJlenfchen unferer ©onftitution
ju fchaffen. 9lach bem TarwiniSmuS mit feiner änpaffungSfähigleit müfste
eS genau fo fein. Solche Seifpiele bemeifen alfo nichts.
Um aber nicht nur negatiö ju oerfahren, fei menigftenS eine Thatfache an*
gegeben, bie eine ftaunenSwerte Teleologie enthält; eS ift bieS bie 2lrt unb SBeife,
wie bie Stabilität unfereS SlanetenfpftemS gewahrt wirb: fie ift burch eben
bie Störungen, burch b»« fie bebroht erfcheint, gefiebert. ©8 ift baS eines
jener feltfamen Seifpiele, wo man ben Sah, bafS baS Söfe bem ©Uten
bienftbar gemacht wirb, im mechanifchen ©ebiete mieberfinbet. ©emifS ift
baS alles rein mechanifch juftanbe gelommen: aber eS liegt hoch eine 3bee
barin, bie über baS SRechonifche h'nauSragt. ©ewifS war baS unter allen
möglichen Säßen auch rin möglicher; aber bie ©aljrfchrintichleit, bafS gerabe
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lie ^ilofop^ic ber Slftronomie. 433
(
biefcr einzige 3uftanb, ber 3*Mcf ij a t, pon felbft eintrat, ift bod) beinahe
gleich 9tuH.
3 tot übrigen märe ed eine banfendmerte Strbeit für einen aftronomifch
unb pbilofopbifcf) gleichermeife gefaulten ©elebrten, berartige ©eifpiele einer
echten Ideologie aufeufudjen unb bie fallen entfliehen jurüd^utoeifen. Da*
neben aber barf man bie anbere 2Baf)tf)eit nicht üergeffen, bafd bad eigentliche
SReich ber leleologie bad Drganifche unb nicht bad SÄechanifche ift *)
ÜRinber beutlich ald bei ber Ideologie tritt ber ©ebanfe bed S3erbältniffed
bed pbilofopbifchen unb aftronomifdben SKomented, ber bad leitenbe 90?otio
biefed Slbfchnitted fein fotlte, bei bem Stemton'fchen ©raoitationd*
gefefc ^erbor, ift aber auch ^er bei einigem lenfen immer aufjufinben.
lad ©efefc gibt ber s JM)iIofopf)ie brei Probleme ju löfen, bon benen bie beiben
erften nietfach sufarnmengemorfen merben, t^atfächlich aber ftreng ju fcheiben
finb. lad erfte ift bad Problem ber unenblich fchnellen SBirfung.
SBir fönnen junäc^ft a priori feftfepen, bafd eine fotche unmöglich ift.
Unenblich fdbnelle SBirfung mürbe bebeutert, bafd zmifeben ber Urfache am
Orte a unb ber SBirfung am Orte b fein ßeitinterbaü liegt, mit anberen
SBorten, fie bedangt boßftänbige ©leidföeitigfeit bon Urfache unb SBirfung;
bad ift aber pbpfifch unmöglich, meil ed bad 93erhättnid biefer beiben
Segriffe in ber einmal e^iftierenben 3eiträumlidbfeit üöflig aufbebt. **)
Sluf biefem ©ebanfen fieser fufcenb, bat man bann ald allgemein^
giltiged SJaturgefep aufgefteßt, bafd in ber Statur nicf)td gefehlt, ohne bafd
babei eine memt auch noch fo Heine ßeit oerftreiebt.
99id jefct repräfentiert fich nun bie SBirfung aller Kräfte, bie mir ald
©efefce in mat^ematifc^en gormeln haben audbrüefen fönnen, ald enblicb, in
*) Slucb bad SBerf oon s $b- 3- Sftaper, ber teleologifdje ©ottedberoeid unb ber
larroinidmud (3Rainj f 1901), oerfällt leiber mitunter in ben oben ebarafterifierten
Jebier unb begeht au&erbem ben früher febon gerügten groben Qrrtbum, larminidmus
unb ©ntroicflungdlebre ju oerroecbfeln.
**) SBir fepeinen hier bad oiel bidcutierte pbilofopbifcbe Problem zu berühren,
ob eine abfolute ©leiebzeitigteit oon Urfache unb SBirfung möglich ift. 3 U * gröberen
Klarheit fei folgenbed bemerft. SBir unterfcheiben"mit Sigma rt (Bogif. II.) bei bem
Stob eined ftörperd auf einen anberen
1. ben bem SBirfen oorangebenben 3ufümb ber Urfache;
2. ben SJtoment, in roelcbem bie Urfache roirft, b. b- bie Bewegung eined
anberen betuorbringt ober eine bereitd oorbanbene änbert;
3. bad einfache ^Beharren bed neuen S3emegungdzuftanbed, fobalb bad SBirfen
aufgebört bat.
Sigmart bezeichnet bad britte SHoment ald nur mittelbaren ©ffect, roäbrenb
er bad zweite a i§ bi e eigentliche unmittelbare SBirfung fafdt unb beren abfolute
©leichjeitigfeit mit ber Urfache behauptet. lamit bat er bie ^roblemftellung in
$ie Äulhir. III. 6. unb 7. £eft. a»02.) 28
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434
s 2UopS s JJtiiHer.
bcr 3eit meßbar; nur bic ©chmerfraft roitl fidj bem noch nicht fügen:
bie ©efchminbigfeit, mit ber fie mirft, ift nodj nicht gemeffen morben unb
hat fich überhaupt bis jefct noch nicht als enblicf) feftfteflen taffen. ®ielleicht
liegt bieS baran, bafS mir noch feine ©eobachtungSmethoben fennen, beren
SuSbifbung ju biefer fubtitften aller Unterfliegungen genügenb ift.
3öttner h°* feinerjeit Experimente mittels beS £>oriaontalpenbelS gemacht,
rooburcf) er ben enblichen ©harafter ber ®raöitationSmirfungen non ber
©onne fjer conftatieren $u fönnen glaubte; leiber tiefe ihn ber lob feine
©erfuche nicht $u ©nbe führen. X^eoretifcfe maren feine ©djtüffe üoü=
fommen richtig; praftifd) aber bilbete ber Umftanb rnohl ein unüberminbticheS
£inberniS, bafS bie ©rbe mit ihrer ungeheuren Sln^iefeungSfraft fo nahe
mar, unb fo lange mir uns nicht baOon auf irgenb eine SCBeife frei-
maefeen fönnen, merben berartige ©erfudhe mohl faum jum 3^ führen.
SKan h at übrigens baS Problem auch theoretifch angefafst
unb auf irgenb metefee ©orauSfefcungen t)\n bie ©cfenelligfeit ber
Sßirfungen $u berechnen oerfucht; aber bie merfmürbige ©erfchiebenheit
ber Stefultate bemeift, bafS mir feine unantaftbar fieberen ©orauSfefcungen
befifcen. ®iefe lepteren ©erfudhe grünben meift auf bem Umftanb, bafS in
ber ©ramtationSformel feine gunction ber 3eit fteeft. ®ie gormel ift fo
iiberrafchenb einfach, bafS man mirfliefe S^eifel in ihre ©eltung fepen fann,
ein ©eifpiel, baS übrigens gar nicht oerein^elt bafteht; h at man ja aud)
unter anberen bie gormulierung beS $oppler'fdjcn ^SrincipS megen ihrer
auffallenben Einfachheit angejmeifelt. MerbingS müffen mir mit ber über*
fommenen mathematischen gorm meiterredjnen. giigen fich bann fpäter bie
2 h at ? ac hen nicht mehr, bann fann bie Sorrection ber gormel eintreten, unb
hier ift auch ber ©unft, mo eoentuell ejacte ©eobachtungen in bie grage nach
einer unenblich fchneüen SBirfung eingreifeu fönnen.
©in jmeiteS an baS ©raoitationSgefep anfnüpfenbeS Problem ift baS
ber gernmirfnng, actio in distans, mie ber mittelalterliche SluSbrucf heifet,
mo$u, maS feftgehalten merben rnufS, unenblich fchnede SBirfung nicht gehört.
Über bie rein philofophifche ©eite ber grage, ob gerntoirfung möglich fei
mufterhafter Schärfe gegeben. 2öir fehen alfo, bafS unter obiger ©eroeiS oon ber
ppilofophifchen Streitfrage gar nicht tangiert roirb unb feine ooüe ©eltung behält;
benn mir oerftehen foroohl hier als überhaupt in ber 9toturioiffenfchaft, roenn mir
oon ©irfung reben, baS oon Sigroart unterfchiebene britte üftoment.
2BaS nun baS Problem felbft betrifft, fo fann ich ben ©tanbpunft beS
berühmten öogiterS nicht feilen. ÜJteineS ©rachtenS ift nur eine abfolute
zeitliche Kontinuität jroifchen Urfache unb 5öirfung (in.bem engeren Sinne)
oorhanben. $)och ift hier nicht ber Ort, um barauf näher einjugehen.
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®ie s $hilofopbie bcr Slftronomte.
435
ober nicht, finb fid^ bie Sertreter ber SBiffenfdjaft noch nicht einig. Un3
mid bebünfen, bafS gernmirfmtg eine Trennung ber Äraft oon ihrem Iräger
bebeutet, ma£ mir nicht für möglich galten.
SBir modelt und aber ^ier auf einen mehr naturmiffenfchaftlichen
Stanbpunft fteden. SBad miß benn eigentlich bie Staturmiffenfchaft ?
©tma ad’ bad einzelne aufoählen, ma£ in ber Statur braujjen oorgeht?
®och jebenfadd nicht, „Sönnte e£ ber menfchlichen gorfchung nur barauf
anfomnten, ben ©eftanb ber oorhanbenen SBelt erfennenb ab$ubilben,
melden SBert hätte bann noch ih rc 9 an 5 e SDtühe, bie mit ber öben SBieber^
holung fdjlöffe, bafd, mad aufcerhalb ber Seele oorhanben mar, nun nach 5
gebilbet in ihr noch einmal oorfäme?" (Sofce, ffltifrofoSmod. I.) ®ie
SBiffenfcfcaft fragt nach bem „SBarum?" Sie erforfcht bie ©efefce be$ SBirfen$
unb baä SBefen ber firäfte; fonft hätte fie überhaupt fein Stecht, an ber
©utfchlcierung be3 StaturgeheimniffeS mit^uhelfen. Sobalb mir aber annehmen,
e$ gefchehe etmaä burch gernmirfung in ber Statur, hätten mir un£
bamit oon oornljerein. ben SBeg jum SBefen biefer Straft oerfperrt. SBir
hätten Stebel unb ®unfelf)eit in bie gorfchung hineingetragen, mo mir
Xage$hede hätten fchaffeit foden. SBir bürfen bie Statur nicht räthfelhafter
machen, als fie fefcon ift.
®euft mau jubem im ©eifte ber mobernen gorfchung, fo muf*
man bie Sinnahme oon gernmirfungen oon oornherein in jebem gade
ablehnen. ®a£ ©rincip, monach mir erflären unb ba3 feine ©ntftehung
im ©runbe ber oorhin entmicfelten Sluffaffung oom Stoecfe fc er SJiffcnfchaft
oerbanft, ift bie£, baf£ ade Staturfräfte fich auf ©emegungen ber (Sicher*)
Sltome jurüefführen laffen, unb e£ ift ja glücflicfc gelungen, ba3 SBefen
mancher Strafte (Sicht, SBärme, auch b lim $h c if fch on ffilectricitat), fomeit
bie§ ^ur ®omäne bed Staturforfcherd gehört, mit |>ilfe bed Sltherd ziemlich
gut oerftänblich $u machen. ®iefe £>ilfdrode bed ^ttherö behnt man ganj
confequent auch auf bie ©raoitation au£, unb auf aU' biefen 3been fufcenb
finb bann bie oerfchiebenften ©raoitationätheorien entftanben, oon benen
einige, mie jum ©eifpiel bie igfenf rahe’fche, äufcerft einfach unb ein*
leuchtenb erfcheinen, anbere, mie bie oon S e c ch i, burch ihre originede Schönheit
beftechen, oon benen aber noch faum eine oor ber Äritif ber SJtathematif
ftanbgehalten hat. Xropbem alfo bie ©raoitationäfrage berart fteht, bafd einer
unferer ©eiehrten, ein fonft äufcerft fühl unb echt miffenfchaftlich benfenber
Sopf, an einer Söfung bed StäthfelS ber Schmerfraft bereite oerjmeifelt hat
unb irgenb einen birecteu ©ingriff be£ Schöpfer^ ftatuiert, halten mir,
eingebenf ber Shatfacfce, baf* bie SBiffenfchaft eine fortfehreitenbe ift, feft an
ber Hoffnung auf einen jufünftigen Erfolg.
28 *
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436
AlopS üflüüer.
®tan ^at ber Aftronomie bic Aufgabe gefteüt, ju ergrünben, ob bic
©rabitation gerntoirfung fei ober nicht. geh glaube, bafS bie Aftronomie
als folcbe bamit nichts ju tbun ^at. SöiG man ihr aber burebauS eine
Aufgabe ftellen, fo ift eS biefe, naebsutoeifen, bafs bie ®raoitation feine
gerntoirfung ift.
(Sine britte mit bem ©raoitationSgefefc aufammenbängenbe grage ift
bie, ob baSfelbe’ abfolute ©iltigfeit fyabe, baS b^fft/ ob eS fich ouS ^ em
SBefen beS breibimenfionaten SRaumeS bebucieren taffe. ®S fommt alfo bt^r
auf ben jtoeiten Ib e ^ ber gormet an, ber fagt, bafS bie anjiebenbe ftraft
mit bem Duabrate ber Entfernung abnebme. S^afS bie firaft bem Sßrobuct
ber SRaffen proportional ift, erfebeint mehr als angemeffen, aber nicht als
notbtoenbig. 9Ratbematifcb ift jene 2)ebuctioit nicht möglich; benn auS ber
©teichung beS SRaumeS läfst fich nicht abteiten, bafS bie ©röfce ber anjiebenben
föraft umgefebrt proportional bem Duabrate ber Entfernung ift. ®arum
nehmen benn auch bie Aftronomen an, bafS noch anbere ©efefce neben biefem
ejiftieren fönnten, unb toenn fie bie Belegungen in einem fernen ©tern*
fpftem berechnen, gefchiebt eS ftetS unter ber auSbrücflicben Annahme, bafS
in jenen Stäumen auch baS Sftetoton’fcbe ®efefc gütig fei. Bbüofopbifcb
ift ber Berfucb oerfchiebenemate gemacht toorben, fo unter anberen oon
Überm eg (Spftem ber Sogif). Übertoeg brebt (baS ift aber nur ein
formeller Unterschieb) baS Problem be™m unb toill aus ber Ejiftenj beS
©raoitationSgefefeeS bie 9totbtoenbigfeit ber Ejiftenj eines breibimenfionaten
Raumes betoeifen. 9Kir fcheinen ade biefe Berfucbe gefcheitert ^u fein, geh toill
hier nicht näher auf bie grage eingeben; man finbet eine Befpredjung berfelben
in Siebmann’S „AnalpfiS ber SBirflicbfeit". Auf baS Sicht, beffen
Abnahme mit bem Duabrate ber Entfernung atlerbingS notbtoenbig ift,
barf man nicht b^toeifen, toeil, toorauf bereite Saptace aufmerffam
gemacht b a ^ bie Ausbreitung ber ©ebtoerfraft oon ganj anberer Art ift
als bie beS BichteS. gür biejenigen, bie fich b ux ntechanifchen 9iatur=
anfehauung befennen' unb im befonberen auch für bie Anhänger getoiffer
©raoitationStbeorien toirb baS Problem in eine ganj anbere Beleuchtung
gerüeft, inbem für fie meift fogar bie ganje ®raüitationSformel für ben
breibimenfionaten 9?aum als- abfolut erfebeint.
3.
Sttaturgernäfc umfafSt biefer Abfchnitt, ber fich mit ben pbilofopbifchen
Schlüffen unb SRefultaten auS aftronomifchen Xbatfachen befchäftigen foH,
toeit mehr $unfte als bie oorigen. 5)ie beiben Probleme, bie ich an bie
Spipe ftefle, b a * ntan toobl oom tenbenjiöfen unb barum einfeitigen @tanb*
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Die ©pilot op[)ie bei 9lftronomie.
437
fünfte al4 bie eigentliche s 45^itofop^ie ber 2tftronomie bezeichnet. Daö erfte
ift bie grage nach Anfang unb Snbe ber SBett.
2Bir fefcen bei bent 'JiebelbaU ein, ben bie Slant»£aptace’fche Theorie
atö fo&nifchen ?lnfang 8 juftanb ftatuiert. Die rein phitojophifchen 3 been, bie fich
hieran anfnüpfen, finb oon ben ©hiloiophen ber oerfchiebenften Stichtungen fo ein«
gehenb bilcutiert worben, bafö ich fie hier füglich übergehen Iaitn. 3 <h h“&e auch,
offen geftanben, einen gewiffen Horror oor ben fpeculatioen ©eweifen oom contin«
genten ©ein unb ähnlichen. SKan tann fagen, was man wiD, man ift beim Operieren
mit fotch abftracten Gegriffen ftets in einem „Stebelheim", unb bie fcharfen
ÜSorte Du ©oi 3 =Stet)inonb '8 oom ©upranatnratiämuä unb ber 2Biffenfct)aft
fann ich, toenn ich fie auch nicht oöllig billige, hoch wopl oerftehen. 9Jtan
fühlt fich auf einem oiel juüertäffigeren ©oben, wenn man naturwiffenfchafttich
arbeitet, unb wenn Wir auch rein naturwiffenfchafttich ju einem Stefultate
fomnten, fo ift ba 8 ©erfahren boch, weit e 8 bei ber oorliegenben (frage
nach bem erften ©rincip hinführt, mag eö Waö immer fein, im ®runbe
golbechte s J 8 h^ D f°Ph> c - 3 ubem fotl auch biefe Arbeit zeigen, baf3 man bie
s Jtaturmiffenf<haft in pbitofophifcheö Denfen hineinziehen fann unb beäljalb
auch wufö; benn baS jweite folgt au3 bem erften auf ©runb ber Dhatfache,
baj3 man bie ©peculation an ber grfatjrung ju controßiercn h°t-
SBir führen alfo auf naturwiffenfchaftlichem SBege einen SöetoeiS für baS
Dafein ®otte$ an§ ber ©ewegung, übertaffen e3 aber im einzelnen bem ßefer,
bie phitofophifchen Slnfnüpfungöpunfte an baä hier gebotene ejacte SBiffett
aufjufuchen, ba fie fich jiemlich oon felbft ergeben unb, wie oben gefagt,
fdjon reichlich anberweitig in Sejug auf ihren rein ptjilofophifchen Sharalter
bejprochen worben finb. Slriftoteleö unb nach >h m Dhuntaä oon 91 quin
haben jwar auch einen ©otteöbeweiä auö ber Bewegung geführt, aber fie
fchloffen barau«, bafö e£ feine unenbliche Steilje oon Bewegern geben fönne,
auf einen „erften ©eweger", unb bas ift ein ©etueis, beffen Stichtigfeit ich
bahingefteüt fein laffe. SBenn ich hier 0011 Bewegung rebe, fo meine ich
nicht bie Bewegung ber Jpimmetöförper, überhaupt bie Bewegung im SDfafro«
foämoä. Drofcbem ti immer wieber oon folgen, bie „juoiet ©tauben unb
,pi wenig SBiffenfchaft" befi^en, geleugnet wirb unb trofcbem Du Soi4«
Stepmonb ju ihrem größten $ubet biefeS Problem ber Bewegung unter
bie 8<*hl feiner „7 Sßktträthet" aufgenommen hot» ift e3 bennoch möglich,
wie ©raun in feiner „Soömogonie" gezeigt hat, biefetbe rein natürlich),
medjaitifch ju erftären. 3d) oerftehe oietmehr hier unter ©ewegung bie
©ewegung ber Sttome in bem Stebelbatt, bie boch tootjl, mag man einer
Staturanfchauung tjulbigen, welcher man Witt, angenommen werben muf$.
63 gibt nur brei SDtöglicpfeiten:
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438
SUoqS SJiüUer.
a) ©afl jeitlicf), ©emegung jeittich;
b) ©afl emig, ©emegung jeittidf);
c) ©aB emig, ©emegung emig.
®aS erfte bebeutet Schöpfung, bleibt alfo ooriäufig unberüdfidjtigt.
ad b) 8uf bie Srage, ob bie ©migfeit ber SRaterie möglich fei, taffen mir uns
aus oorhingenannten ©rünben nicht ein. Wann bie ©emegung einen
jeittidfjen Stnfang ho&en? ©ine ©emegung, fo fagt baS ZrägheitSgefefc,
mirb fo lange fortbauern, bis fie burcfj äußere ©inmirfuitg aufhört.
3)ie ©emegung tarn bemnach auch nur burch äufeere ©inmirfung, baS
ift burch mechanifchen ©tofe entfielen. 5)ie ©emegttng hot mit ber $tit
begonnen Reifet atfo: mäfjreub oorpin feine ©emegttng ba mar, mürbe
plöfclich burch mechanijchen Stofe fotcfee feeroorgerufen. ®a nun aber
mechanischer ©tofe bereits eine ©emegttng beS ©tofeenben oorauSfefct,
fo inoofoiert jener ©afc einen inneren SEBiberfprttcfe. ®aS ift öom
©tanbpunfte ber mechanifchen Staturanfchauung geurteilt. Stimmt
man aber immateriefle Kräfte ber SUome a(S Urfacfee ihrer Semegungen,
fo ift barauf $u entgegnen, bafS ficfe biefe Kräfte im ©afl gegenfcitig
aufgehoben hätten; — unb bann: moher befamen plöfclid) bie Sltorne
bie Kräfte?
ad c) ÜWan feot fich angeficfetS biefer ©rünbe bamit geholfen, bafS man bie
©emegttng — ober, oom ©tanbpunfte einer nicht medhanifchett Statur*
erflärung, bie Kräfte — auch für emig erftärte. Stber bagegett fpridjt
baS ffintropiegefefc. ®S müfSte fidE) in biefem gafle ber Umfafc ber ©nergie
in SBärme bereits feit einer ©migfeit ooBjogen hoben. ©tan faitn
bagegen nicht behaupten, bafS bie „5)egrabation" ber ©nergie, um mit
Ihomfon ju reben, erft bei einem beftimmten geitpunfte begonnen
habe; benn entmeber maren oor biefem $eitpunfte bie Kräfte öorfeanben,
— bann maren fie auch in SBechfelmirfttng unb bie ®egrabation
mufste ftattfinben; ober fie maren nicht oorhanben, — baS ift unter
b) mibertegt.
Sluch baS hot man fcfetiefelich eingefehen unb ift nun auf ben ©ebanfen
beS emigen Kreislaufs gefommen. $er Untfafc ber Kräfte, fo fagt man,
hat nicht einmal ftattgefunben, fonbern oon ©migfeit her arbeitet bie SWaterie
in ber SBeife, bafS nach mäßiger Urnmanblung ber ©nergie in SBärme eine
Stiicfoermanbtung eintritt, bafS arfo aus bem Urftoff SBeften unb aus
ben ffietten mieber Urftoff mirb. 3<h miß hier nicht meiter auf bie Srage
eingehen, ob einige fofefeer Kreisläufe möglich feien; mahrfcheintidj finb fie
nicht, ©idfjer ift aber eine emige Steifee berfelben unmöglich, aber nicht
beShalb, meil eine emige 3 a ht fi<h int ©egriffe miberfpricht; benn barüber
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Die s }MjilofopI)ie ber 9lftronomie.
439
haben mir bereite früher ba« üRöthige gehört. 3 $ fann überhaupt feinen
philofophifchen unb im befonberen feinen logifchen geiler in ber 3 bee be«
fo«ntifchen Srei«Iaufe« erblicfen, unb gerabe bie s 4 J^i(ofop^en füllten fich am
meifteit Ritten, ihn eine „logtfehe Drehfranfheit" jn nennen, bei benen bie
Üogif meift auf Soften ber 9?aturmiffenfchaft fungiert. Dem emigen Sreidtauf
miberfpricht uielmehr ber jmeite $auptfafc ber mechanifchen SBärmetljeorie, ber
fagt, baf« man $mar mechanifche ©nergie uöflig in SBärrne urnmanbeln fann,
aber eine ooüftänbige töücfuermanblung unmöglich ift. 9?ach iebern Srei«Iauf
mürbe affo bie ©uergic be« ©hftem« oerminbert unb e« müf«te enblich ein
Stillftanb fommen. ©eftänben alfo bie Srei«läitfe fefjon feit einer ©migfeit,
fo märe auch bereite feit einer ©migfeit ber „Dob be« ©SeltaH«“ eingetreten.
Somit mären bie brei ©erfuche, bie Stiften* be« So«mo« auf ba« SBefen
be« So«mo« felbft 511 grünben, al« unmöglich nacfjgemiefen.*) SBa« bleibt ba
ber SBiffcufcfjaft aitbere« übrig al« ein »ignoramus«? @« ift feine ©eifte«*
überbebung, e« ift auch fein s }lrmut«$eugni« für bie SBiffenjchaft, ober mic
man fonft ba« 2 Bort genannt bot, fonbern ba« einfache ©eftänbni«, baf« fie
mit ihren Mitteln — unb mit biefcit allein hot fit ja ju operieren —
nidjte mehr 51 t erreichen oermag, alfo bie tactuoHe s 2 lnerfennung ber ©rennen
menfchlicher SBiffenfchaft, unb fo liegt beim in biefem »ignoramus« ba«
©efemttni« be« uralten Safte« eingejchloffen: In principio creavit Deus ccelum
et terram.
Die jmeite ber fragen, bie jur ©ftilofophie ber Slftronomie im eigentlichen
Sinne gehören fönten, ift bie nach benSternenbemohnern. .ßmeierlei muf«
man babei au«einanberhalten: 1 . Die ©emohnbarfeit unb 2 . bie ©emohntheit
ber Sterne. Da« erfte ift ftreng aftronomifch, unb meil bie Seantmortnng
ber Srage nach ^ cr ©emohntheit unmöglich ift, ohne baf« man über bie
©emohnbarfeit Sicherheit hot, feftt ba« gan^e ©roblem genaue Senntni« ber
*) Der ©eroei« ift unter ber ©orauöfetjung ber ©nblidjfeit be« SBeltall« bureb’
geführt, ben ©egriff „©nblichfeit" im lanbläufigen Sinne gefaf«t. Überaus compliciert
unb fchroierig roirb bie Debuction, roenn man an ber UnenbUchfeit be« Söeltall« in
bem geroohnlichen Sinne fefthält. Dann treffen mir auf ben ©inrourf, ben feinerjeit
bereit« Dteufchle gegen Ihomfon unb ©laufiu« erhoben hotte, baf« nämlich
ba« ©ntropiegefeft auf ein unenbüche« Unioerfum nicht anroenbbar fei. s 2lufeerbem
begegnen mir bem ©roblem be« mehrbimenftonalen frHaume« unb oor allem bem ber
unenblichen 3tit, roelch’ lefctere« alfo auch Sur ^ß^ilofop^ie ber Slftronomie gehört.
Da aber all’ ba« in bie tiefiten liefen ber ©hdofophie unb ÜJtothematif führt, muf«
ich leiber an biefer Stelle auf eine eingehenbe ©rörterung oerjichten. ©« fei nur
bingeroiefen auf bie einfchlägigen Arbeiten oon öiebmann, Schneiberoin,
•H an fine («Philosophical Magazine», IV., 4), öaferoifc unb 2öunbt (©iertel
jahr«fchrift für roiffenfchaftl. ©pilof., I.).
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440
2llopS ÜJttiller.
Stftronomic voraus. 3<ß fjabe baS gan$e Problem, unb befonberS bic
©ewoßnbarfeit bcr Sterne an anberer Stelle ($eutfcßer $au*fcßa$, 27.
gang, 4. #eft) ausführlich beßanbelt unb gehe beSßalb hier auf bie
©injelßeiten nicht ein. Slftronomifcß ergibt fich, bafS ein, vielleicht auch jwei
Planeten fieser für SRenfcßen unferer Konftitution — unb beSßalb int allgemeinen
auch für bie übrigen organifchen Sebewefen unferer ©rbe — bewohnbar
finb. SBaS bie Srage nach ber SBewoßntßeit angelt, fo glaube ich, bafS
biefelbe niemals beantwortet werben !ann, vorauSgefefct, bafS feine birecte
^Beobachtung non ^Bewohnern möglich ift, was ja woßl für afle 3ufunft fo
bleiben wirb.
Sßenn ich fage, bafS philofopßifcße Schlüffe ju feinem SRefultate
fommen, fo verfteße ich unter biefett Schlüffen feineSwegS folcße von ber
SBirfung auf bie Urfache. $iefe gehören ja auch füeng genommen in baS
©ebiet ber ©eobaeßtungen ober wenigftenS in baS ©ebiet ber ejacten Schlüffe,
Wenn ich ntieß fo auSbrücfen barf. Sinb 511 m ©eifpiel £icßt$eicßen beobachtet,
beren regelmäßige SBieberfeßr unb auffaflenbe Kombination wohl faum auf
natürlichen ßffect jurüefjuführen ift, fo fann man mit mehr ober minber
großer SBaßrfcßeinlicßfeit auf intelligente Urheber biefer 3eicßen fließen
©efannt ift, bafS bieS feßon meßreremal gefeßeßen ift, bafS fieß bie
^Beobachtungen jeboeß ftctS als trügerifcß ober völlig ungenügenb ßerauSgefteflt
ßaben, unb man wirb fieß erinnern, bafS noeß $u Anfang beS 3aßreS 1901
eine 9totij aus Sranfreicß betreffs folcßer £icßt$eicßen fam, wobei aber felbft
ber fonft fo heißblütige Slammarion ben voreiligen Scßlüffen entgegen*
getreten ift. 3cß verfteße vielmehr unter jenen philofopßifcßcn Scßlüffen
folcße, bie fieß auf ben 3*oecf beS SBeltallS, auf bie 9tucßlofigfeit beS SRenfcßen*
gefcßlecßteS unb anbereS meßr ftüpen. Sie fönnen vielleicht für ben einen
ober anberen völlig überjeugenb wirfen, aber wiffenfcßaftlicße ©eweife finb
fie nießt. $aS anbere voflenbS, wo$u man fieß fogar aufgefeßwungen ßat,
ift gerabeju eine ©erirrung beS ©eifteS, bafS man nämlich non ber
©ewoßnbarfeit bircct auf bie ©ewoßntßeit fcßließt.
5Ran ßat mir auf meine SluSfüßrungen mit £>amlet'S SEßorten entgegnet:
$>er uns mit folcßer $>entfraft feßuf,
©orauSjufcßau’n unb rücfroärtS, gab unS nießt
T>ie Süßigkeit uub göttliche Vernunft,
Um ungebraucht in unS $u fcßimmeln.
3)aS ift feßr rießtig, unb icß bin feßr bafür, bafS gerabe in ben
Greifen, in beiten baS SSort gefallen ift, bie Vernunft etwas meßr gebraucht
Würbe. Slber eS ift feine Vernunft, fonbern Unvernunft, mit $ilfe rein
fpecnlativer ©eweife auf baS $afeiit eines reellen DbjecteS fcßließen gtt
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3)ie ^ilofop^ie bet Äftronomte.
441
moden. äJtan ftatuiert bamit einen notbmenbigen 3ufammenbang jmifcben
jenen 3been, 3uftänben nnb ben ©ternenbemobnern. Um ober auf ©runb
biefer Stotbmenbigfeit fdE)lie&en ju fönnen, mufS fie hoch erft bemiefen fein,
liefet ©emeiS mürbe aber baS S)afein non öemobnern bereite oorauS=
fefccit; alfo finb ade jene ©emeife gefjlfdjlüffe.
9Jtan ^at mich mobl auch auf bie ßntbecfungSgefchicbte beS Steptun
bingemiefen, mo hoch auch baS 3)afein eines SörperS burch Schlüffe
gefnnben morben fei, beoor ihn eines SDtenfcben Äuge gefe^en habe. 3ebod)
baS ©eifpiel ift falfch; benn eS beftefjt ein notbmenbiger 3ufommenbang
■poifchen ben Störungen unb bem ftörenben Körper.
3ch babeinbemÄufiafc im „£)auSfcha£" bie ©ejiebuugen ber ßntmicflungS=
lehre (im meiteften ©inne) ju ber grage nach ben ©ternenbemobnern nic^t
bebanbelt, baber fei fie bie* berührt, ©ibt eS eine naturgefefclich begrünbete
generatio aequivoca, fo müffen aderbingS Sebemefen unb — fadS mir ben
2>arminiSmuS in ber böcbften ©oten^ befennen — auch SJtenfchen auf anberen
©ternen emittieren. 35ie ßfiftcnj einer Urzeugung menigftenS für ben äugen*
blicflicben 3 uftanb unferer ßrbe ift naturmiffenfchaftlich miberlegt. Äber bie
Unmöglichfeit ber Urzeugung überhaupt ift meber bemicfen, noch auch miber*
legt, nnb baran änbern ade fpeculatiuen „©emeife" nichts. 2 )ie Äuflöfung ber
üitaliftifchen ©orgänge in mecbanifcbe ober pbbfifochemifche ift bisher noch nicht
gelungen. 2Bir brauchen aber nicht einmal entnehmen, bafS bie SKccbanif in
ben Organismen üon ganj anberer Ärt ift als bie außerhalb berfelben, fonbern
nur, bafS mir nicht üerfteben fönnen, mie bie ©efefce unferer SJtechanif in
ben Organismen ©iltigfeit höben (nach Klaffen), um bann fofort $u ber
Stotbmenbigfeit gebrängt 511 merben, bie Söfung bem Sortfcfjritte ber ffliffenfehaft
$u überlaffen. ©0 mirb alfo auch baburch ber ©tanbpunft, ben mir nach bem
©origen ein^unehmen gelungen maren, nicht ocrfdjoben: mir tönnen nicht
bemeifen, bafS ©ternenbemobner ejiftieren, aber audb ebenfomenig, bafS fie
nicht emittieren. Ignoramus unb für unabfebbare 3 u * un fi auch ignorabimus!
3m folgenben fod uns baS ©efep befebäftigen, baS neben bem
©raoitationSgefefo bie ©emegungen im SBeltaÜ orbnet, ich meine baS Iräg*
beitSgefefc. $>a aber bie ©robleme, bie unmittelbar ober mittelbar baran
anfnüpfen, ju ben ©renjfteinen ber menfehlichen ©ernunft gehören, foden
fie hier nur möglichft fur§ behanbelt merben. SBer eine ber ©röfje ber
©roblemeangemeffeneSBürbigung fucht, finbetbiefelbeinSiebmann’SSBerfen:
„3ur ÄnalpfiS bei SBirflicbfeit" unb „©ebanfen unb Xbötfadben" I. ©anb;
oergleiche auch meine Ärbeit über „$)ie philofopbifchen ©runblagen ber mobernen
Sichtlehre" in „Statur unb Offenbarung" 47. ©anb, mo im britten Äbfchnitt
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442 'lllotjs 'Dliiller.
mehrere biejer Probleme betjanbelt werben. (Sprechen wir junädjft oon ber
abfolnten ©ewegung.
Die ©egriffe ber retatiben unb abfoluten ©ewegung fann man
fich am beften burd) folgenbe ©orftellung Kar matten. Die ©egner ber
abfoluten ©ewegung behaupten, baj«, wenn ein Körper ganj allein in
ffleltatl ejiftiere, man nicht oon einer ©ewegung biefe« Körpern reben fönne,
ba man bei ber ©ewegung ben bewegten Körper ftetS auf einen anberen
bejiefjen müffe, wa« aber im leeren Saume nicht möglich fei. Dagegen jagen
bie Anhänger ber abfoluten ©ewegung, baj« ein foldjer Körper woljl
©ewegung befifcen fönne.
3unäcf)ft, meine id), jej)t boch fcfjon, wie alle« Selatioe etwa«
'ilbfolute«, fo auch relatioe ©ewegung abfolute ooran«. ^weiten« halte
id) bafiir, baj« unfere ©egner eine ©erwed)8lung begeben: wir brauchen
relatioe ©ewegung, bamit wir bie ©ewegung überhaupt meffen fönnett; aber
ift bamit gefagt, baj« e« feine anbere ©ewegung geben fönne? Daf«
übrigen« auch nicht relatioe, alfo abfolute ©ewegung,. id) will nicht fagen
mef«bar, aber boch befinierbar fei, jeigt ba« Drägheitögefefc, unb fomit bient
auch biefe« jum ©eweife für abfolute ©ewegung. Da« ©efefc lautet: 3eber
Körper oerharrt in feinem $uftanbe p er «Ruhe 0 p er p er gleichförmigen
©ewegung in gerabliniger ©ahn, folang er nicht burcb einwirfenbe Kräfte
gejwungen Wirb, biefen Buftanb ju änbern. Dettfen wir un« einmal, alle
Körper be« SBeltaü« würben — etwa bitrcfj einen Stet be« Schöpfer« —
oerfdjWinben mit 9lu«ttahme ber Srbc. Da bie ©rbe im SWoment be« ©er=
ichwinben« ber übrigen Körper eine '©abngejcfjwinbigfeit oon runb 30 km
in ber Secunbe befifct, ba ferner nach biefem Stoment feine Kräfte mehr auf
fie einwirfen fönnen, fo wirb fie fich nach bem Drägheit«gefefc mit biefer
felben ©cfdjwinbigfeit in ber gerabett ßittie, bie fie in jenem $eitbifferential
in ihrer ©ahn bur<hlief, weiterfliegen in infinitum. Unb ba« wäre — bariiber
fommt feine Spifcfinbigfeit hinweg — abfolute ©ewegung. Dieselbe leugnen,
heißt alfo ba« Drägheitögefefc leugnen.
©ine genauere Slnalpfe ber 41u«briide „gerablinige ©ahn" unb „gleich^
förmige ©ewegung" jeigt, baf« biefelben einen abfoluten Saum unb
abfolute 3eit oorauSfefcen, beren ©siftenj im übrigen au<h jehon bie
abfolute ©ewegung an fich oerlangt.
äWan hat bem entgegengehalten, ba« Drägheitlgefefc fei ja nur ein empirifche«
©efefc, ba« ju folih weittragenben Schlüffen nicht au«reiche. Selbft wenn e«
wirflidE) nur auf Empirie gegrünbet wäre, ift e« boch f° unumftößlich jicher bewiefen,
baf« wir e« mit oollftem Secht al« allgemeine« Saturgefefc proclamieren
bürfen, unb auf biefe Überjeugung ift ja tljatfächlich bie ganje Slftronomie
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Die ©hüofophie Der Slftronomie.
44 H
mit ihren ©erechnungen aufgebaut. Stber baS ®cfc^ ift, mie eine eingehenbe
©etrachtung $eigt, a priori gütig unter ber einen ©orauSjepung, bafS bei*
Staunt überall gleichförmig ift, feine „metaphpfifchen Unebenheiten" befifet,
moburch ja bie glei<h förmige ©emegung, bie baS ®efep forbert, auf*
hören mürbe. Darüber aber müffen Beobachtungen entfeheiben, bie 3oh r *
taufenbe umfaßen merben. 3ener ©emeiS jeboch für bie IrtaS: abfolute
©emegung, abfoluter Staunt unb abfolute 3eit mirb burch biefe ©infehränfung
nicht umgeftoßen.
3ch meiß fehr mohl, bafS biefer Segriff beS abfoluten Staunte*
ad benen birect jumiberläuft, bie ben {Raum als „bie SJtöglichfeit beS
s 2luSgebehttten" ober ähnlich $u befinieren gemohnt finb, nnb fie merben
nnS fragen, mie mir benn eigentlich ben Staunt befinierten *) ätlerbingS läfSt
fich ber Staum in unferem ©inne in feine Kategorie (in ber h cr 9 e ^ ra ^i eu
©ebeutung) jmängen, er ift meber ©ubftanj**) noch 9kctben$, meber Quantität
noch Qualität, aber er ift etmaS, unb jmar burchauS etmaS, maS auch
außer unb neben ben Dingen ejiftiert. 9Bir fc^öpfen bie Kategorien auS ber
Statur aber mobelu nicht bie Statur nach ben Kategorien (man foll eS
menigftenS nicht thun; hoch Dh^otie unb ©rajiS liegen hier meit auSeinanber).
3ch fepe im ffirnfte nicht ein, maS bem im SBege fteht, eine neue Kategorie
für ben Staum ju eröffnen, menn er fich in ben iiberfommenen nicht unter*
bringen läjst. 3m übrigen glaube ich, bafS eine ©mancipatioit üon bei*
lanbläufigen Stuffaffung beS ©ubftan^begriffeS genügen mürbe.
Da§ 2Bort „abfolut" barf nicht mifSoerftanben merben. Der Staunt
heißt abfolut nicht in bem ©inne, als ob er nun gerabe mit benjettigett
©igenfehaften, bie mir in ber Slitjchauung oon ihm erfahren, emittieren
müffe,***) fonbern in bem, bafS ber jept emiftierenbe Staum burch bie
Achten beS ©oorbinatenfpftemS unabänberlich beterminiert ift. StidhtSbeftomeniger
ift bie ftrage, ob ber Staunt abfolut in jenem anberen Sinne fei, h^ r
erlaubt, meil fie, mie mir gleich fehen merben, fich mit ber Slftronomie
berührt, unb überhaupt erlaubt, meil es eine ber erften Aufgaben ber ©hilo*
fophie ift, fich über bie Slrt ber Stothmenbigfeit beS ©eins uttb feiner ©e=
Ziehungen Stechenfchaft $u geben, eine Aufgabe, bie im ®runbe mit bem
Smecfe ber ©hilofophie überhaupt ^ujammenfätlt, bie erften ©rincipien auf*
*) ©S hat aüerbingS einen „großen" ©bilofophen gegeben, ber beibeS oereinigen
$u fönnen glaubte. DafS er bamit 3euer unb SBaffer jufammenbrachte, fah er,
mahrfcpeinlich aus lauter „@röße", nicht ein; es ift ja befanntlicp nach ©oltairc
baS ©rioilegiunt eineS ©enieS, de faire impun^ment de grandes fautes.
**) SBie bie uns befannten förperlichen ©ubftanjen.
***) Slocp oiel weniger ift felbftoevftänblich abfolut notpioenbig (ewig;.
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444
SUops üJtiiUer.
$ufuchen. ©3 hobelt ficb ^icr um bie grage nach ber abfoluten SRotbmenbig*
feit ber Dreibimenfionalität beä StaumeS. Die ^Jfjitofop^ie muf3 natürlich
einen ©ntnb haben, biefefbe in 3 toeifel &u gieren, nnb biefer ©runb ift ber,
bafS man bis jefct noch nicht bie Dreibimenfionalität be$ StaumeS aus feinem
SBefen l)at folgern fönnen. SBir haben ^mar eine „Staumcharafteriftif", aber
feine „Staumbebuction".
£ier fommt nun bie SJtatbematif unb bietet ber jmeifelnben S $f)ifo s
fopbie ben ©egriff beS oier* ober mef)rb imenfionalen {Räumet an,
ju bem fie burd) ihre ©eblüffe gelangt ift. SBir befprechen $uerft bie grage,
ob ein folcber Staunt möglich fei, ba£ Reifet, ob ber ©egriff beS jefct
ejiftierenben breibimenfionalen {Raumes nur eine fpeciefle gorm eines
allgemeinen Staumbegriffes fein fann. SBir miiffen natürlich oon jeber ®or-
ftedung babei abftrabieren. 21ber baS fann hoch im ©rnfte feine gnftanj
gegen ben ©egriff fein; benn mir benfen uns üieleS als möglich unb fogar
als mirflicb, rnooon mir nicht bie minbefte Sorfteflnng haben. SBenn mir
uns, mie Rechner einmal gezeigt bat, bie ©jiften^ oon jmcibimenfionaleit
SBefen benfen fönnen,*) fo febe ich nicht ein, marum mir unS nicht auch etmaS
©ierbintenfionaleS ejiftent benfen fönnen ober, beffer auSgebrüdt, marum es
nicht Siefen geben fann, bie eine „oierbimenfionale Slnfcbnuung" befifcen.
Saut bemerft einmal (ffritif ber reinen ©ernunft) fehr richtig: „SBir fönnen
oon ben Slnfcbauungett anberer bettfenber SBefen gar nicht urtheilen, ob fie
an bie nämlichen Sebingungen gebuitben finb, melche unfere Slnfchauungen
einfebränfen unb für uns adgemeingiltig finb."
©inen logifchen gebier üermag ich auch nicht in bem ©egriff ju ent*
beefen. Der mürbe hoch nur bann oorbanben fein, rnenn aus bem ©egriff
„Staunt" mit Stotbmenbigfeit bie ©igenfehaft ber Dreibimenfionalität 511 bebu-
eieren märe; baS mar aber, mie mir eben fcboit hörten, bis je$t noch un¬
möglich. 2BaS binbert unS jubem, ben Staunt als eine ©ubftana**) ju
befinieren, in melier unb burch melche bie ©giften^ einer oon ibr üerfebiebenen
Snbftanj möglich ift? 3 it biefer Definition ift ja ber ©egriff ber brei=
fachen SluSbebnung nicht oorbanben.
31m aücrmenigften fann man üerfteben, maS folche ©elebrte, bie
eine materia prima ftatuieren, bie an eine Steplication unb ähnliches
glauben, an einem ©egriffe mie bem beS üierbimenfionaleit StaumeS
auSjufefcen finben, mie fie es mögen fönnen, einen folcben ©egriff als „in
*) „SJtan benfe ftd) ein ffeine^, bunteö SJtänncben, baS in ber camera obscura
auf bem Rapier berumläuft; ba bat man ein SBefen, baS in jroei Dimenftonen
eriftiert." (Dr. ÜJtifeS, kleine ©Triften.)
**) Slber eine ©ubftan$ oon gan$ eigener unb einziger 31rt.
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$ie ^ilofopljie ber Aftronomie.
445
ficb unfinnig" $u oermerfen. SBenn man lebiglicb bie Ungemobntbeit be« ©e=
griffe« unb feinen febeinbar unlösbaren SBiberfprucb mit ber ganjen in ber
Erfahrung gegebenen SBirflicbfeit in ©etraept ziept — unb baraitf ftüfct fid>
lefctpin, abgefepen oon anberen burcpauS unpbilofoppifcpen ©riinben, ber
ffiiberftanb unferer meiften s 45^iIofop^en —, fo ift ber ©egriff burepan« niept
fcplecbter, ich meine fogar nocp beffer befteöt al« bie für jene ©pifofophtt
fo eparafteriftifepen oben genannten ©egriffe. 2 )a« ppilofoppifcpe ®en!en fann
Ztoar ben 9tubm niept beanjprucpen, bureb eigene« gorfepen ju bem ©egriff
be« mebrbimenfionalen SRaume« gelangt 511 fein, obgleich ein oon ber richtigen
Srfaffung ber Aufgabe ber v -ßf|iIojop^te burepbrungene« ®enten ju ber grage
nach ber apriorifeben ©iltigfeit ber breibimenfionalen AnSbepnung führen
mufSte unb bie Seime ja auch fepon, 5 . ©. bei Sa nt, oorlagen. Sont
pbüofopbifcben Stanbpunfte au« läfSt fiep fein birecter ©emei« für bie 9totp c
menbigfeit be« ©egriffe« geben. $ie ©hilofoph^ führt bi« an bie ©renje,
bariiber hinaus führt erft bie Sflatpematif. $a« ©roblem ift in biefer ^infiept
ein matbematifcpeS, unb bie Unfenntni« ber Wathematif mag benn auch
ein ©runb fein, meSpalb bie obengenannten s 45^i(ofophcn ben ©egriff nicht
acceptieren fönnen. ®a ich meinen Sefern nicht mit langen unb fepmierigen
mathematifeben Ableitungen aufmarten barf, fo oermag ich ihnen ben
©emei« nicht $u geben. 6 « gibt aber auch noch gemiffe AnfcpauungS^
bemeife, oon benen einer hier angeführt fein fofl. £>aben mir jmei ebene
Soorbinatenfpfteme in einer Ebene, oon benen ettua bie A^Acpfen gleich, bie
$ s Acpfen entgegengefept gerichtet finb, fo laffen ficb bie beiben ©pfteme bureb
feine Drehung in ber jmeibimenfionalen Ebene, fonbern nur bureb Drehung
in einer höheren $intenfion, im breibimenfionalen SRaunt zur S)edung bringen.
Sinb nun zmei räumliche Eoorbinatenfpfteme gegeben, beren unb ^Acpien
gleich, bereu ^Acpfen entgegengefept gerichtet finb, fo fann man auch fie
bureb Drehung im breibimenfionalen SRaum nicht zur $ecfung bringen. SBa«
liegt nun näher al« ber Analogiefcbluf«, baf« bie ‘J'ecfung in einer höheren
Dimenfion möglich fei?
SBenn mir fo bie Sticptigfeit be« neuen 9taumbegriffe« matbematifcb
bemiefen unb pbilofophiieb geprüft b<*ben, fönnen mir erft zur ©eant*
mortung ber anberen grage febreiten, ob ein bem ©egriff* entfprecpenbec
SRaum auch mirflicb ejiftiert, unb hier berührt ficb ba« ©roblem eng mit ber
Aftronomie. Um bie grage 511 oerfteben, überlegen mir un« golgenbe«. SBie
mir eine gefrümmte gläcbe im breibimenfionalen 9taum al« jmeibimenfional,
aber auch zugleich al« breibimenfional bezeichnen fönnen, fo fönnte man auch
unferen breibimenfionalen SRaum zugleich al« oierbimenfionalen faffeit. Sin
gläcbenmefen mürbe feine Ejriftenz nur al« eine zmeibimenfionale fennen, mir
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446
Mloqd 3JMer.
fcnnen unferc ®£iften$ nur ald breibintenfionale. Slber wie wir bie Stäche
wegen ihrer Krümmung auch ald breibimenfional auffaffen, fo ift ed auch
möglid), bafd eine anberd geartete Sntefligenj ald bie unfere beu brei-
bimenfionafen Siaum auch ald merbimenfionalen anfehauen !ann. ©d liegt
alfo fein 2Biberfpru<h barin, bafd ber oierbimenfionale SRaum reale ©Eiften$
hat. 2Ran hat gefagt: 2Bir fönnen und beu Staunt nicht unenblich,
aber auch nicht mit Brettern jugenagelt benfen; ba hilft und benn ber
Begriff bed üierbimenfionalen Staumed. Wber wad wir t>on biefer Sllternatiöc
benfen haben, wiffen wir bereite twn früher her. 8ubem wäre bie Bor*
fteüung oom SBeltgebäube, bie fich baran fnüpft unb bie man $. B. populär in
Blafjmann'd „£immeldfunbe" entwicfelt finbet, $u fonberbar.*)
Über weitere Beriihrungdpunfte bed Staumproblemd mit ber Slftronomie
fehe man bie biedbe$üglichen Mbhanblungen unb SBerfe oon Zöllner,
Stiemann, f>elmholfc, SBunbt, ©harlier unb Stalto nach. 2Bir
fönnen hier nicht näher barauf eingeben. Stur fei noch Pie eine 3bee SöHner'd,
bie bie @£iften$en bed breibimenfionalen Staumed ald ©chatten ber ©£iften$en
bed oierbimenfionaten gefafdt wiffen will, ber ßuriofität halber erwähnt. 2Bir
glauben, bafd thatfädhlich ein breibimenfionater Staunt ald eine Staumform
unter ben möglichen emittiert, halten aber bie ftrage nach Per realen ©jriften*
eined oier* ober mehrbimenfionalen Staumed unb feined Berbältniffed $u jenem
noch nicht für fpruchreif. Bemerft fei noch, Pafd fich biefed Problem oerfchiebt
je nach Petn erfenntnidtheoretifchen Stanbpunfte, ben man einnimmt.**)
Dad lefcte Problem ber BhilofopPie ber Slftronomie, bad wir oud-
jährlich bebaitbelit, ift bie SKfthetif bed ©ternenhintmeld. 3n mehr-
facher £>inficht gehört fie lieber, 3unächft ald ©ottedbeweid. SBie wirb nicht
gerabe bei bem ©inbruef, ben bie ganje ^errlichfeit bed |>immcld auf und
macht, bei ber ©rfenntnid ber wunberbaren Schönheit feiner einzelnen Objecte,
ber Harmonien im Kodmod bad fchöne SBort Sichtenberg'd wahr: SBenu
fich ntein ©eift erhebt, fällt ber Seib auf bie Knie! $at hoch noch oov
fur^em ein berühmter Bhüafoph Per anberen Seite, anfnüpfenb an Kant’d
*) Merbingd finbet ber Beweis ruteber feine Stüfce an fodmogonifchen Specu
lationen, worauf früher hingewiefen würbe.
**j 2luch h^r mufd ich wieber, wie leiber fo manchmal, wegen ber Scbwierigfeit
bed ©egenftanbed weit mehr anbeuten, ald ich audfühten möchte. BieHeicht hängt
nicht nur mit bem pfpchologifchen, fonbern auch mit bem metaphpfifchen Staunt
Problem unb ben fodmogonifchen Speculationen bie erfenntnidtheoretifche Bkhrheit
mfammen, bafd wir und in abfoluter Unfenntnid über bie reale ©ntfemung jwetei
Staumpunfte befinben (Slnaloged gilt für bie Seit). irgendwelche Sludführungen über
biefe intereffante Xhatfache unb ihren 3nfammenhang mit ben oorhin genannten
fragen habe ich übrigend noch nirgendwo gefunden.
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2>ie ©bilofoppie bet Slftronomie.
447
SBort oom „beftirnten unb bem „moralifdjen ©efeh", öffentlich fein
©efenntni« ab julegen gewagt: „Seibe ergeben in bet I£)ot übet alles grbifcfee
unb ©tenfchliche fcfeliefelich jum allmächtigen, afltoeijen unb allheiligen ©ott."
gür« zweite gebrauche ich bie Slfthetif be« Rimmels in ber ©fpdjo»
logie. ©ei weitem bie meiften unferer ©bilofophen fehen in bem ©efüljl feine
befonbere ©eelenfraft, fonbern werfen cS mehr ober weniger mit bem SBillen ober
bem ©egehrungsoermögen überhaupt jufammen. darüber müffen bie Xhotfad^cn
urtheilen, unb bieje jeigen nun, baf« es Seelenjuftänbe gibt, bei benen oon
einem Söoflen ober ©egehren nicht bie Siebe fein fann unb bie man gemein*
hin als ©efühle bejeidjnet: eS finb bie äfthetifdjen ober Stimmungögefühle.
3 u biefen gehört auch ol« bo« mächtigfte oon allen ba« ©efühl, ba« ber
Sternenhimmel in un« wecft, unb ba« fo m i t jum ©eweife für bie ©jiftenj
be« ©efühl« als einer befonberen ©eelenfraft bient.
gür« britte enblich benufcen wir bie eigenthümliche SBirfung be« Sternen»
IjimmelS baju, ein bisher für allgemein gehaltene« naturäfthetifche« ©efefc ju
mobificieren. SJtan fagt, baf« bie Statur bem ÜRenfchen ftet« bie Stimmung
jeige, bie ber TOenicp augcnblicflid) in feiner Seele trage. ®er Sah trifft
beim Sternenhimmel nicht ju. SEBer fich fein §erj für bie Statur empfänglich
bewahrt hot unb, fei er in greub ober Seib, eine Rare Stacht auf fich Wirten
läfSt, empfinbet ftet« eine unfagbare Stube, einen tiefen, füllen grieben. Sille
überfchäumenbe grenbe ift Wie weggewifdjt; ein ruhige«, Rare«, tiefinnerliche«
©lücfSgefühl erfüllt bie ©ruft, unb bie Seele ruht wie ein fpiegelglatte« SJteer
in ber ©tittagSfonne. gebet Sdjmera lö«t fich nuf; nicht SBehmut sieht in
bie SJtenfchenbruft ein, bcnn SBehmut ift auch noch Schmerj, fonbern griebe
ift e« unb immer mieber griebe, ber oon ben Sternen in« £>erj hineintaut.
9Ba« ©eibel oon bem ©inbrucf einer ^erbftlanbfchaft fingt, tann man Wohl noch
beffer auf bie ©etracfjtung be« .'pimmelS in einer ftcrnenbeHen Stacht anwenben :
0 roie maltet bie ©tunbe
Stun in feltger Stuf)’!
gebe fchmerjenbe SBunbe
(Schließet leife fich ju-
®iefer ©influf« be« Sternenhimmel«, für ben bisher noch niemanb
einen ©runb hot angeben tönnen, wiberfpricht birect jenem äfthetifdjen ©efefc.
geh h°be olle äfthetifchen ©enüffe, bie bie Statur bietet, noch nicht burch»
foftet, Weife alfo nicht, ob e§ noch mehrere gibt, bie foldje SBirfung äufeern,
glaube e« aber nicht. Stuf jeben gaH follte man auf ©runb jener einen Xfeot»
fache bie ©fjrafe oon einem burchgängigen ©inRang ber Stimmung be« SJtenfchen
mit ber Statur nicht mehr fritiRo« nachreben. — SBa« ben ©inwurf angeht,
baf« bie beiben lefcten ©unRe nicht in bie Slrbeit hineingehörten, Weil ja
jebermann auf eigene ©eobachtungen hin feine Schlüffe jieljen fönnte, fo fei
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448 SUopS ÜJiüller. Sie ^Uofop^ie ber Slftronomie.
barauf ermibert, bafS man eS aflerbingS „fönnte", bafS aber in SBirflidtfeit,
mie bic Singe nun — leiber, mufs idE) fagen — einmal liegen, ber #immel
nur non Slftronomen mit ber nothmenbigen ^ingebenben Siebe betrachtet unb
gefchäfct mirb ober beffer merben fann. —
SBir mären mit unferer SBanberung burch bie ?lftronomie z u (Enbe.
Samit ift nicht gefagt, bafd mir nun ben Uhifcen biefer SBiffenfchaft für bie
$hüofophie bereite erfchöpft hoben, menn mir baS SBort im meiteften Sinne
gebrauchen. 3<h erinnere junächft an bie Serbinbungen oon 9lftronomie unb
Shhfiologie, betreffs berer ich onf einen früheren Sluffafe in ber „Kultur"
(II. 3ahrgang, Jpeft 4) oermeife. Sann benfe ich befonberS an bie praftifche
ShiM 0 Phie. Über Säbagogif ber Slftronomie ift hier bereite manches gefagt
morben, liefje fich aber noch tjicle^ fagen. SemerfenSmerteS in biefer $inficht haben
'Sieftermeg unb SB. görfter auSgeführt. Slud) über baS Singreifen ber
Mftronomie in baS ethifche ©ebiet haben mir fchon einiget gehört; eS fällt ja
auch mit bem oorigen fünfte meift jufammen. Schöne unb originelle Setrachtungen
über bie (St^if ber Slftronomie finbet man in ber „fioSmogonie" uon Sraun.
3ch h a be in aß ben (Erörterungen manches eben berührt, anbereS nur
angebeutet unb mieber anbereS gar nicht hineingezogen, meil eS theilS oon
2lnberen oorzüglüh bearbeitet morben ift, theilS mit leichter SKithe felbft
gefunben merben fann, theilS auch derart fchmierig ift, bafS eS fich nur für
gachjeitfchriften eignet; eS mar beSljalb nicht z u oerhüten, bafS bic Arbeit
fteßenmeife einen aphorismenartigen unb programmatifchen ©harafter annahm
unb bafS bei Problemen, bie eine (Einbeziehung ber Slftronomie in bic
Shifofophie im größten Stile nöthig machten, nur auf bie fiitteratur der-
rniefen merben fonntc. (ES liegt mir nichts ferner, als bie hier oorgetragenen
philofophifchen Slnfichten jemanbem aufbrängen ju moßen. Slber mer anberer
SWeinung ift, ber mufS bie meine zunächft miberlegen unb bann feheit, mie er
mit ben aftronomifchen 2h°tfachen unb Schlüffen zurecht fommt; benn bie
'Jiothmenbigfeit einer eingehenben ShtSeinanberfepung mit ber Slftronomie ift,
mie ich gezeigt z« haben glaube, für jeben, ber ehrlich nach ber ganzen
SBahrheit forfd^t unb fich nicht träge mit überfommenen Schulmeinungen
begnügt, fchlechterbingS nicht za umgehen. Unb fo mirb auf jeben gafl ber
Jpauptzmecf biefcS SluffafceS erfüllt, ber ja in nichts anberem beftanb, als barauf
hinzuarbeiten, bafS unfere cfjriftliche Shil°f°Phie iu üoßfter (ErfenntniS beS
reichen Segens, ber ihr oon ber Jiaturmiffenfchaft überhaupt znfliefcen fann,
in ben innigfteu (Eontact mit ihr trete unb, auf fie geftüfct unb üon ihr
geleitet, ihre SBeltfpnthefe ber Soßenbung immer näher führe.
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Joseph Freiherr von Belfert.
(ErlebntlTE unb (Erinnerungen.
IV.
3it gvolje Hnterrirfifa-Beform.
f l*
a$ oormärzliche Unterrid)t£=Sbftem mar einfach, äufjerft mager mtb
bürftig.
®ie Etementarfchulen, auch Xriüialfchulen genannt, üon jtnei ober brei
(Staffen, mären zugleid) ©farrfchulen, neben benen e3 in au3gebehnteren Seelforge*
bejirfen eine ober mehrere giliatjchnten gab. Schotarch mar ber Pfarrer, unter
bem ber Sehrer unb ber „Schulgehilfe" ftanben* 3hrc materietlc Sage mar auf
betn Sanbe häufig eine fiimmerlicfje. 3n ber Seitmeriper ®iöcefe gab eS noch
über bie Witte ber oierjiger 3at)re Sefjrer, bie einen 3ahre3gehatt üon 25 bis 50
©ulben bezogen, brei Sehrer fogar einen unter 25 ®ulben; üiele ber Schul*
gebitfen batten einen 2Bod)entobn üon 12 bi3 30 Kreuzer Eonü.-W. ®a3
Haupteinfommcn be£ SehrerS auf bem Sanbe ftofS aud bem Schulgelbe unb
an beffer geftellten Schulen au£ gemiffeit geheuten unb Naturalabgaben,
metcbe bie ©emeiitbeu nach attem Herfontmen „faffionSmäfjig" ju entrichten
batten. ®ie Eintreibung be£ Schulgelbeä mar eine mibermärtige Sache, mo-
bei e3 an 3)emüthigungen be£ SehrerS nicht fehlte, ba unüerftänbige ober
hartherzige Ettern baä Schutgetb al£ Stfmofen betrachteten, ba3 hoch frei*
mittig ift. ®ie üieten Nefte einjubringen mar auf gütlichem SBege oft uit*
möglich, gerichttiche Eintreibung machte ben Sehrer üerhafät unb fdüüächte
feine SBirffamfeit in ber Schute. ®a mufften benn Nebeneinfiinfte au$hetfen:
für ben Sehrer ©erichtäfchreibereien, ©eüatterbitten, für ben Schutgehitfen
Wuficieren in SBirt$bäufern unb bei Hochzeiten.
Neben ben fpftemifierten Schuten gab e£ auf bem Sanbe hiu unb
mieber Schulen, bie üon einzelnen ©emeinben mehr ihrer ©equemlichfeit
halber errichtet maren unb üon ben ©ehörben gebulbet mürben. 3n abgc*
(egenen ©ebirgSgegenben beftanben fogenannte Nothfdjulen für bie Kinber ber
oft auf ftunbenmeite Entfernung auäeinanber tiegenben SBalbhütten; an einem
nahezu im Wittetpunfte biefeö Umfreife3 gelegenen ©unfte mar eine Näumtid)*
2ii
$ie Kultur. III. 3a^rg. 6. unb 7. ftefl. (1902.)
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450
3>ofeph greiberr oon Jpclfert.
feit hergeliehen ober gemietet, in meiner ein nothbürftig in ben ©lementar=
gegenftänben bewanberteS ©emeinbemitglieb ober ein excurrendo-Sefyilfe
Unterricht erteilte. STber felbft unter ben fpftemifierten Zripialfchulen gab es
folche, wo bie Unterbringung ber fiinber gerabegu erbärmlich toar unb wo
e3 unter foldjen Umftänben mit bem Unterricht unb ebenfo mit ber Schuld
Sucht tläglich ftanb. ©3 gab Schullehrer, bie nur am Samftag in ber Schule
gum Schrecfen ber Sinber erfchienen, um bie Schulpfennige eingutreiben, forift
aber ben Unterricht ben Schulgehilfen überließen *)
©effer ftanb e3 in jeber £inficht begreiflicherioeife in ben Stäbten, mo
auch ber häusliche Unterricht einen Siebenerwerb bilbete. 3)och felbft auf bem
Sanbe, auf ben faiferlidjen unb Stiftung3*£)errfchaften (SReligionäfonb, Stiftung^
fonb) unb jenen, bie reicheren ftlöftern gugehörten, fowie auch unter fielen
©riüat=©atronaten gab e3 Schulen, bie wenig git wünfdjen übrig ließen, fowof)l
Wa3 bie Stellung be3 Sehrerperfonalä unb bie ©eräumigfeit unb SReinlichfeit
ber Schulftuben, al3 Wa3 bie ©rtheilung be3 Unterrichte betraf, felbftt>er=
ftänblich nach ben ©erhältniffen be3 bamaligen Unterricht3=St)ftem3 überhaupt
gemeffen**).
©ine Stufe höher al3 biefe Xriöialfchulen waren bie ^auptfchulen mit
einer oierten ©laffe, in meiner neben ben gewöhnlichen ©egenftänben Zeichnen,
populäre ©eometrie, etwas Slaturgeichichte unb etwas ©aufunft gelehrt würben.
3 n ber §auptftabt eines jeben ftronlanbeS beftanb eine Normal* ober 2Rufter'
.^auptfchulc, mit welcher eine, nach unferen heutigen Gegriffen Poit Sehrer
bilbung fowohl an SluSbehnung wie an SluSftattung höchft fnmmerliche
©räparanbic, ©räparartbencurS, üerbmtben war.
^ann tarn baS ©pmnafinm, fechSclaffig, bie Pier unteren ©rammatical=
claffen: ©aroa, ©riucipi, ©rammatif, Spntaj, unb bie ^nimanitätSclaffen:
*) Sin bie Schullehrer in Böhmen, ©on g. 3- $ e r m a n n r Ceprer ber 4. ©laffe
in ©JarnSborf. ©opentia, 5. Slpnl 1848, S. 3—5.
**) ©on ber Matice lidu rourbe 1891 ein Büchlein perausgegeben: ©Über
au$ bem böhmifchen unb öfterreicpifcben Scpulleben bcS 18. unb 19. gaprhunbertS, oon
SBenjel ©abriel (fl. *8°, 149 0.), in roelcpem bie Scpuljuftänbe oor 1848
als gerabeju fcpauberbaft gefchilbert merben. ©S ift nach ben eigenen ©rfahrungen
be$ Söerfaffer^ unb nach ben ©emährSmännem, bie er anführt, nicht ju jmeifeln,
baf$ eS in ber $hat Schulen fo arg oerroahrlofter Slrt in ©öbmen unb außer ©Öhmen
gegeben pot. Slber ber ©erfaffer hot fehr Unrecht, menn er biefe einzelnen ©eifpiele
fo htufteUt, als ob berartige 3uftänbe allgemein ober auch nur bie Siegel geroefen
mären. 3<h felbft hohe in meiner Qugenb foroobl in beutfchen als in böhmifchen
©egenben nicht roenige Schulen gefchen, in Öanbftäbten unb felbft in Dörfern, hübe
Prüfungen unb Scpulfeievlicbfeiten beigemohnt, aber nirgenbS etroaS ähnliches
angetroffen, mie e§ ©abriel barftellt.
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Die grofee Unterrichte Reform.
451
©oefie, SRhetorif. Die ©egenftänbe loaren Religion, Satein unb ©riechifch,
©eographie nnb ©efdjichte, 9(rithmetif, röntifche SUterthümer unb aRpthologie;
für bie äRutterfprache, ba£ öeifet ba$ Deutle, benn eine onbere 9Rutter*
Sprache fannte man üon SRegierungäroegen nicht, fetten beibeit oberften
(Staffen ^toei „©ammlungen beutfcher ©eifpiele", eitteS für bie leichteren
©attungen ber Dichtfunft, ba3 anbere für ba£ @po£ unb ba$ Drama, für
profaifche 91uffäpe unb SRebcn.
*Rach bem ©pmnafium ^atte ber roeiter ftrebenbe ©tubiofuS bie beiben
„phitofophijehen" Jahrgänge, bie „Sogif" unb bie „©hpfif", burchaumacheit.
Jch fage, ber toeiter, nicht ber höher ftrebenbe Jüngling. Denn bie
Derfefpebenen 3 äd^er: ©hilofophie, SRathematif, s 45^ifoIogic, ©hpfif loaren
feineätoegS um ihrer felbft, um ber toiffenfdjaftlichen pflege willen ba, fie
fungierten nur als obligate Rächer, bie beit Übergang für beu Sefuch ber
eigentlichen ©erufäftubien 51 t bilbeit hatten .*) 3 *oei Sacher gab e£ fogar,
©efchichte uitb Waturgefchichte, oon beren Slbfolüierung jene, bie ba§ Unterrichte
gelb Ahlten, befreit toarett. 9ln ben Unioerfitäten bilbeten jene beiben Jaljr^
gättge bie philofophifche Sacnltät. dufter ihnen gab e£ in einigen Sanb=
ftäbten ber größeren Säitber eigene „philofophijdje Sehranftalten", 5 . ©. in
©öhmeit in ©ilfen, ©nbtoeiS unb Seitomifd)!, in 9Rähreit in s Jtifoleburg, in
Wieber-Öfterrcich in ftrem£.
Den 9lbfchluje unb ^öhepunft beä Oormär^lichen ©tnbienfpftema bilbeten
bie Unioerfitäten, bie im ©runb unb SBefen nichts als 21brichtnngSanftalten
für baS theologifche, für baS juribifch=politijche, für baS mebicinifch^chirurgifche
Sach waren, bie beiben erfteren mit oier, baS (entere mit fünf, eoentuell
(Wugeitheilfunbe) fünfeinhalb Jahrgängen. Jtt Heineren Säubern, bie feine
Unioerfität hatten, beftanben jogeitanitte Spceen mit je einem theologifchen,
einem philofophifchcit, einem mcbiciiüfd^chirurgifchen Stubium, fo in Sin,},
in Salzburg, in Saibacp. 5(it beu Unioerfitäten ftanb jebe ber oier gacultäten
unter einem ©tubienbirector, einem außerhalb* beS SeprförpcrS ftehenben
höheren ©eamteu ober firchlicpen SBiirbenträger, fo 5 . ©. in ©rag in ber
3 eit oor 1848 bem SEBeihbifchof S^anj SSilbelm Dippmann für bie
theologifchen, bem ©uberuialrath utib ©orftanb beS f. f. SiScalamteS Seopolb
fiaSiter ©bien 0 . ^Irtpa für bie juribifcf^politifchen, bem ©ubernialrathc unD
SanbeSs©rotoniebicuS Jgna§ SRitter 0 . SRabhernp für bie mebicittifd)^
chirurgifchen, bem s 2(bt 00 m ©trahoo fuerottpmuS Jofeph 3eibler für bie
*> „gactifch mürben bie fännntlichen gäcper ber ppilofophifchen gocultät an fid>
rceittoS erflärt; ihr s 4Bert toar nur ber etneS notproenbigen Übels, um bureb baS*
felbe jum golbeneu Malbe ber ©rotroiffenfehaften $u gelangen"; Süfter, ORemoiren,
I., 69 f.
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452
gofeph greipert oon geifert.
philofoppifchen Stubien. $ie einzelnen gacultäten beftanbeu and allen jenen
$octoren, bie an berfelben Unioerfität promooiert worben waren ober Denen
bie gacultät nachträglich bie Aufnahme bewilligt hotte. 9(uch bie ©rofefforen
mußten, wenn fie nicht an berfelben Unioerfität grabuiert waren, rnn nad£j s
trägliche Aufnahme in bie gacultät einfehreiten unb bie baju gehörigen ©e*
bingungen erfüllen, ©inige thaten es, wie ©. an ber ©rager Unioerfität
©rofeffor Schnabel, aitbere, wie mein feliger ©ater, unterließen es, weil
fie fich fagten, bafd es ihnen nichts nüfcen würbe. ®enn an ben größeren
Unioerfitäten, unb namentlich in ber juribifchen unb in ber mebicinifchen
gacultät oon SBien unb ©rag, bilbeten bie nicht $um Sehrförper gehörigen
$octoren eine folche Überzahl, bafS bie wenigen ©rofefforen gegen fie faft
oerfchwanben. $aS geigte fich namentlich bei ben SBahlen 511 m 3)ecan, ber
ben unmittelbaren ©orftanb jeber gacultät bilbete; in SBien wie in ©rag
war eS Siegel, bafd $um $ecan nicht ein ©rofeffor, fonberit ein 9lboocat
ober praftifcher 2lr$t gewählt würbe; Schnabel fam, obwohl er fich ™
gacultät hotte aufnehmen laffen, nie ^um ®ecanat, baS zugleich wegen ber
Stigorofentajen ein fehr einträglicher ©ofteu war.
2ln ber mebicinifchen gacultät gab eS eigene (Surfe für gebammen,
für ©harmaceuten unb bann für ©hirurgen. ®iefe lateren, auch Sit>il= unb
2anbwunbärate genannt, ftanben auf einer minbern Stufe beS mebicinifchen
StubiumS; als ©orbilbung für fie würbe nicht baS oodftänbige ©pmnafium
erforbert, fonberu eS genügten bie oier unteren (©rantmatical')©laffeu
beS ©pmnafiumS ober auch öloß bie oierclaffige #auptjchule unb ein baraitf
folgeitbed jwei= ober breijähriges chirurgisches ‘liroeinium. ®ie „wiffenfchaft=
liehe" SRebicin bliefte barum auf biefe ©inrichtung hochntüthig herab, wobei
aöerbingS ©rotneib mitfpielte; benn nicht bloß auf bem Sanbe, felbft in
größeren Stäbten gab eS gefchiefte ©hirurgen, 8 U beiten oiele 2eute größeres
©ertraueu hatten als 511 grabitirten ®octoren. ®ie ©inrichtung hotte auch
ihre entfehiebeuen Sortheile. Xie ©hirurgie erforberte feine foftfpieligen
UnioerfitätSftubieu, bie ©ilbutig ber ©hirurgen war feine unioerfefle, fie
machten barum an baS Seben feine fo fyvtyn Slnfprüche wie ein 9J?ann, ber
nach brei$ehn ober oier^ehn ©tnbienjahren bie höchfte acabemifche SBürbe
erlangt hotte. $ie ©hirurgen waren barum eine ©Johlthat für ärmere unb
entlegenere ©egenbeit; fie fiebelten fich iw ©ebirge an, wo eS feine hohen
Honorare gab, beren fie auch nicht beburften, weil fie einfach unb befcheibeit
wie bie Seilte um fie herum lebten.
SllS ©orftufe für bie 2luSbilbung in ben technifchen gächern beftanbeu
Stealfchnlen, fo genannt oon ben „Stealien", bie bort gelehrt würben, im
©egeitfafo 511 beit ^umaniftifchen Stnbien au ben ©pmnafien. SRealfcfjulen gab
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Die gro&e UnterricbtsSteform.
453
et in ©öfjmen brei, eine in ©rag in ©erbinbung mit bem tedjnifdjen Snftitut,
bie jmeite in SReichenberg, bie britte in Siafonifc, bie beiben lefcteren nom
Präger SürfcGrzbifcbof Gblumtonfftj gegrünbet unb mit ©rämonftratenferu
t)om Stifte ©traboo befefct. ©t mar häufig, baft ficb ju ben SRealfcbulen
folcbe manbten, bie am ©pmnafium nicht genügt batten, unb bie ©pmnafiaften
fpotteten bafyer über bie Siealfcbulen unb nannten fie refugium asinorum.
Die höhere ©hife bet teebnifeben Unterrichtet maren bie teebnifeben Sebr=
anftalten, in ©rag furz „Dechnif", in SBien „©olptecbnicum" genannt, ©eibe
maren in ihrer Slrt beffere Stnftalten, unter beren ©rofefforen ficb mitunter
ausgezeichnete SRänner befanben; in 2Bien erfreuten ficb ©recht!, ©aum*
gartner, ©ttingtbaufen, in ©rag ©er ft ne r unb 8al( in g einet
europäifchen Stufet.
Slufeer ben genannten allgemeinen Sebranftalten beftanben gemiffe
©peciat'Sebranftalteu: bie mebicinifdb'Cbirurgijcbe Sofepb^Slcabemie in ber
Sllferftrafje zu SBien zur Slutbilbung oou 9Jtititär4irzten, bat Dbierarzneü
Snftitut in SBien, bie Sorftlebranftalt in 9Waria'©runn, bie orientaüfehe
Slcabemie in SBien. S(n ber lepteren mürbe auch ein ©ammelfurium non
juribifch^poütijchen Sachern üorgetragen; ber ©rofeffor für biefe mar
Dr. ©ngelbert SKa^imilian ©elinger, im Sabre 1848 SteicbttagSabgeorbneter
für ©ternberg. Über feine ©orträge machten ficb bie jungen ßente luftig.
Zum ©eifpiel menn er bat SBechfelrecht mit bem ©afce begann: „SJteine
sperren, bat SBechfelrecht, bat ich Sbnen öortragen merbe, gilt nicht in
Öfterreich, et gilt auch nicht in Deutfcblanb ober Srunfreicb, nicht in Stulien
ober ©nglanb, bat SBechfelrecht, bat Ste hören merben, gilt gar nirgenbt" zc.
Sluch am Dberefianum gab et ein juribijcb=politifcbeS ©tubium, unb zwar
ein ooüftänbiget mie an ben Unioerfitäten, mit ©rofefforen für jebet ber
obligaten Sacher, nur baft fie feine Sacuftät bilbeten. Die beiben Steumann,
Sofepb unb Seopolb, beibe 1848 in ben conftituierenben Steichttag abgeorbnet,
SJforiz ü. ©tubenrauch unb ©buarb Domafchef, ber Ungar Dr. ©nftat?
SBeuzel, SJtoriz ^epftler maren ganz tüchtige ©rofefforen.
Sille biefe Schuten oon unten bit hinauf maren ftrengftent Slbricbtungt*
anftalten. Setbft für bie meiften Sacher an ber Unioerfitöt maren fiebrbücber
uorgefchrieben, an bie ficb ber ©rofeffor batten fottte; hoch fab bie SBiener
f. f. ©tubien*f>of*Gommiffion burch bie Singer, menn ftrebfamere ©rofefforen
ihren eigenen SBeg einfehtugen. Son fleißigen unb aufmerffamen |>öreru
mürbe bem münbtichen ©ortragc nachgefchrieben, unb baraut entftanben
fogenannte 㨣plicationen", bie, menn bie Stbfaffung befonbert gut aut*
gefallen unb fauber abgetrieben mar, gleich Sebrbüchern föuflich uon einer
£>anb in bie anbere giengen.
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3ofep& greiperr uon geifert.
©ei Ausarbeitung unb ©enüfcung felbft^eigcncv ©ortragSpefte mui^ten
bie ©rofefforen üorfieptig fein. Über bie ©runbfäpe, bic oon ber Segierung
uorgefcpriebeit, über bie ©epranfen, bie oon bev t. !. ©tubien^of'ßommiffiou
gezogen waren, burften fie niept pinauSgepen. SBarnenbe ©eifpiele gab eä
genug. Der ©rofeffor Auguft Norbert Schnabel au ber ©rager juri*
bifepen gacultät patte ein für bie bamalige $eit fepr gutes Seprbucp ber
oergleicpeuben europäifepen ©tatiftit gefeprieben; weit barin bie conftitu*
tioneflen ©inrieptungen günftiger gefepitbert waren, als eS baS perrfepenbe
©pftem geftattete, war er nape baran, oom Sepramte entfernt $u werben;
nur baburep, bafS er reuniütpig ©efferung oerfpraep, entgieng er feinem
Scpicfjate. Der originelle guliuS ©cp nett er, ©rofeffor ber ©efepiepte
in ©raj, fanb es geratpen, fiep um einen ©often an einer aufeer^öfter-
reiepifepen Unioerfität umjufepen unb gieng aus bem Sanbe. gni Jtapre
1835 würbe ber SBiener ©rofeffor ber ©pilofoppie Öubwig Sembolb feinet
iiepramteS entpoben unb mit 700 fl. penfioniert.
An ber ppilofoppifepen unb fpäter auep an ber juribifcp=politijcpeu
gacultät gab eS neben ben orbeutlicpen freie, baS peifet unobligate gäcper,
oon benett einige fpftemifiert Waren, wie ©rjicpungSfunbe, Äftpetif, bie
piftorifepen ^ilfswiffenfcpaften, ©taatSrecpnungStunbe. gn ben lepten 3topren
uor 1848 pat bie Regierung auep einzelne ©rioatboccnten flngelaffen,
bie Weber ©efolbung noep Honorar genoffen unb in ber Segel wenig 3u*
pörer patten.
©S brauept niept gefagt $u werben, bafS bie öfterreiepifepen Unioevfitäten
bei einer fo fümnterlicpen ©inrieptung bei weitem niept ben ©ergleicp mit
beit beutfepen auSpalten tonnten, an benen ungleicp mepr Seprftüple beftanben,
manepe gäcper hoppelt, ja breifaep befept waren unb bie ©tubierenbeit eine
üiel freiere ©ewegung patten, ©ine AuSnapme maepten in Öfterreicp nur feit
ungefäpr ber SJiitte ber breifeiger gapre bie mcbicinifcp-cpirurgifcpen gacultäten
an ben Unioerfitäten oon SBien unb ©rag. Sie patten fogar einen anerfannten
Sorfprung oor ben meiften beutfepen gacultäten biefer Art, fo bafS junge
SWänner, bie auswärts bereits ben Doctorgrab erlangt patten, ju iprer lepten
AuSbilbung naep SBien unb ©rag tarnen. Der ©rünbe waren meprere.
©rftenS baS Slinitenwefen, baS fiep an ben fleineren beutfepen Unioerfitäten
wegen beS geringeren SJiaterialS an ftranfen unb Seiepen niept in gleiepem
®laf$e entwiefeln tonnte. S^eitenS eine Seipc oon gaepmännern erften Sanges;
in SBien patten &foba unb SotitanSfij neue Sapnen eröffnet, in ©rag
überragte ber geniale 0 ppol$er wopl aüe Kliuifer feiner 3*it unb glänjten
neben ipm Siebten ba cp er als Spemiter, Arlt als Augenarzt, ©itpa als
©pirurg. Drittens bie reiepe ©ntfaltung beS DocentenwefeuS, baS für bic
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Die große Unterrichte Oieform.
uerfäiebenften SpccicUfädjet eigene Surfe mitunter mit befonberen Stinifcn
eröffnete, bereit Befu^er *u einem großen Steile grabuierte Rectoren waren.
3n ißrag fiel hierbei baS größte Serbienft bem ©ubernialrath unb
S!anbeS*BrotomebicuS, bem Meinen einäugigen Sgnaj oon Jobbernij 511 .
©in Sprann oon unerbittlicher Strenge, führte er eine mnfterhafte Drbnung in
bem allgemeinen Sranfenfjaufe ein, begünftigte jeben ffortichritt unb tierfchaffte
jungen Wännern, beren Süchtigfeit er erfannte, alles, beffen fie jur Sultioierung
ihres fpecieden gacheS beburften. Siele biefer befcheibenen aber tüchtigen
unb ftrebfamen Socenten folgten mit ber Beit ehrenooflen Berufungen an
auswärtige Unioerfitäten, fo St i lui i dj unb nach beffen oorjeitigem Sobe
Scanjoni nach SBürjburg, Worawef, wenn ich wicht irre, gleichfalls
nach 9 Bürjburg, Bamberger nad) ©rlangen, ©ernp nach tpeibelberg.
2 .
2ln ber Spifce beS gejammten Schul» unb StubienwcfenS in ben
nicht»ungarijchcn Sänbern ftanb bie f. f. Stubien=£>of=@ominiffion. Sie war
eine felbftänbige Behörbe, fonbern eine Slbthcilung ber Bereinigten £>of=
fanjlei. Ser Dberfte Stander ©raf Snjaghi unb bie beiben $offanjler
Baron ftranj BUlerSborff unb Baron $ofeph SBeingarten waren ju»
gleich Bräfibenten ber Stubien»£>of= 6 ommiffion. SllS „Beifißer" ber Stnbien--.f>of=
©ommiffion fungierten gegen bie Witte ber üierjiger 3aljre bie £ofräthc
Baron Sürcfljeim, Bropft SlnbreaS Wefcßutar unb granj Schönaich
oon ber Bereinigten |>offanjlei unb ber §of=ßommiffionSrath Start gricbrich
Bernarb Be cf (für bie Schulen ber Wilitärgrenje) 00 m tpoffriegSratf), bann
bie Sirectoren ber juribifch»politifchen, ber mebicinifch=chirurgijchen, ber
pljilofophiichen unb ber theologijchen Stubien, bie ©ofräthe Baron Blappart,
Bitter oon Ba i m a n n, gran* Seraph- Saffian Jp a 11 a i ch f a unb Begierungö*
rath ©anonicuS granj 3enner, eublicf) ber BcgierungSrath Brälat Burfart»
hofer als Sircctor beS beutfchen SchulwcfenS. Sen Sorfifc führte Baron
BiHerSborff unb er war ohne Srage ber geeignete Wann baju. B'derSborff
war jebenfaüs bie bebeutenbfte unter ben bamaligen Berföntichfeiten ber
tpoffanjlei. ©r befaß bie oode ©inficht unb hegte ben lebhaften SBunfch, ans
ben oerrotteten 3 u ftönben eines Syt’temS, baS fich längft überlebt batte, in
freiere Bahnen hiuüberjulenten. SaS SBenige, waS in ben lebten fahren im
Bereiche ber Berwaltung in fortschrittlicher Bietung geschehen ober minbeftenS
oerfucht worben War, würbe feiner Anregung jugefchrieben. Senn ber Dberfte
«anjler galt in ber Weinung ber BorwärtSftrebenben als Bull, er ftanb
ganj unter bem ©influffe feines erften .öoffanjlerS, man jagte, er fuche ihn
511 copieren. 9luf BiHerSborff blieften ade, an ihn wenbeteu fich ade, bie
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Qofepp jjreiperr oon geifert.
eine Öerbefferung ber maltenben 3 «ftänbe anftrebten: jo ©raf Sranj ©tabion
©oitoerneur Don Irieft, jo ber eifrige ©obeftä Don SRailanb ©raf ©abrio Eafati,
beibe ftanben mit ipm in ©riefmecpjel. ©iüergborff unb ©tabion galten alg
TOnifter ber 3 ufunft.
Unter ben Scannern beg ßeprfacpg, bie ernftlicp eine SReform beg
Stubientoefeng anftrebten, marett an ber SBiener Unioerfität ber pocpbefäpigte
nnb oielfeitig gelehrte ©rofeffor ber ©otanif Stephan ©nblicper — er
mar nebft feinem ©erufgfacpe ©pracpfenner unb ©pitologe, er gab eine
cpinefifcpe ©rammati! peraug,*) er pat in ber |>ofbibliotpef ein Fragment
beg römifcpen 3uriften Ulpianug aufgefunben unb ebiert u. bgt. m. —
unb an ber ©rager ber ©rofeffor ber ©pilofoppie $r. gran 3 ®jner; unter
ben 9Ritteljcpul=Seprern — benn bamalg piepen fie nocp nicpt ©rofefforeu —
in Söiett ber ©iarift P. SBilpelnt ©oblapa oom afabemifcpen unb in ©rag
Sopann 2 luguft Zimmer mann oom Sleinfeitner ©pmnafium.
granj ®£ner, geb. ju SBien 1801, patte in jeiner ©aterftabt feine
afabemifcpe Saufbapn begonnen, unter bem gefeierten SRembolb ©pilofoppie
ftubiert unb mar bann nacp ©aoia gegangen, mo er bag Xoctorat macpte.
'Surcp SRembolb mar er mit ben ©cpriften Salate, aug ber ©cpule Jtacobi'g,
befannt gemorbeu, patte fiep aber bann ganj ber §erbarfjcpen ©pilofoppie
jugemanbt, bie er, alg er 1832 311 m ©rofefjor ber tpeoretifepen nnb practifcpen
©pilofoppie in ©rag ernannt mürbe, ber erjte in Öfterreicp auf ber ßepr
fandet 3 ur ©eltung braepte**). ©ein ©orgängcr, ©rof. 3 op. ©eitpner oon
ßicptenfelg, mar bei ben ©tubenten nicpt beliebt; fie blieften auf ipn alg
ßeprer mit einer gemiffen fureptfamen ©epeu; fie piclten ipn für tief,
loeil fie ipn niebt oerftanben; fie piepen ipn $erafleitog ben fünften. Unter
feinen Kollegen pielt ber ©rofeffor ber 9Ratpematif 'Er. Sabiglaug Sanbera
bie ftrengfte $iupt; er patte bie Drbnung eingefiiprt, bafg alle ©tubenten,
beren $apl big auf 300 ftieg, ftreng nacp bem Slfppabet fifcen mnjgten, fo
bafg fogleicp 31 t bemerfen mar, mo fiep eine ßücfe fanb, unb mepe bem, ber
fepfte, opne fiep oorper entfcpulbigt 31 t paben. $ag gerabe ©egentpeil oon
biejen beiben mar ber bamalg breipigjäprige ®£ner; er Oerlag nur feiten
*) $ie Wiener, bie ju jener 3<üt über aüee ipre ©Mfce maepten, jagten oon
ipnt: „$)ie©püologen fagen: Enbltcper ift ein großer ©otanifer — bie©otanifer jagen:
Enblicper ift ein grober ©pilologe — bie Epinefer fagen: Enblicper ift ein grober
Dfterreicper — bie C fterreieper fagen: Enblicper ift - ein grober Epinefer." (Epinefer —
eine 9lrt ©onberling, einer, ber burep feine üebengmeife ober feine Meinungen ober
feine ©eftrebungen oon ben 2lnbercn in etroag bijarrer Söeife abmeiept unb fiep in
biefer Eigenart burep bas Urtpeil 9lnberer nicpt leiten läfgtj
**) Stugfiiprlicp über Ejmer’s ©tubiengang 3)r. 8. ftranffurter, $pun,
Eyner unb ©oniß (©Men, Wölber, 1893) 8. 43—53.
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£>ie grobe Unterrichts=Neform.
457
einen Xfytii beä Satalogä, unb bann nur beShalb, meil eä fo tmrgefchrieben
mar. 2luch hatte er biefeS SKittel nicht nötpig. 3J?ufter^afte Drbnung unb
©tiße ^errfc^ten bei feinen ©orträgen; er gebot nicht burch Strenge unb
pebantifdjeS SBefen, er imponierte burch feine Stufje, burch feinen mitben
®ntft, burch feine, 9ldjtung unb zugleich Vertrauen ermedenbe ©erfönlichfeit,
bie Stubenten liebten unb öerehrten ihn. 2 lße£ ma£ oon bebeutenben Scannern
in ©rag oorhanben mar, äße bie oon einem f)öfjeren Streben befeelt maren,
fdjloffen fich an ©jner an: ber fd)on früher genannte £umanität 8 * 2 ehrer am
Äleinfeitner ©pmnafiunt gimmermann, ber ©rofeffor ber ©hpfif am ©olp*
technicum ßpriftian ® oppler, ber Neligion3*©rofeffor an ber SRealfchule P. granz
Sc^ueiber, ein Anhänger ©olzano’ä, ber junge ftrebfame ©raf 2 eo Ipun u. 81. m.
gut 3ubre 1841 beabfidjtigte ©£ner eine Steife nach $eutfd)lanb, er trollte
bie beutfdjen Untoerfitäten unb beren ©inrichtungen burch eigene Wnfchauung
fennen lernen; Dorzüglid) aber moflte er in ©öttingen feinen ßWeifter ^erbart
befugen, als er in ffltarienbab bie Nachricht oon beffen lobe erhielt, ©r
fnüpfte in Seipjig, in $aße, in gena intereffante ©efanntfchaften an, fo
in ©erlin mit ®r. ^ermann © o n i p, bamal§ ®t)mnafial* 2 ehrer am grauen
ftlofter, unb blieb mit ihnen fortan in brieflichem ©erfef)r.
3ni gapre 1844 nahm bie Stubien=£)of= 6 ommiffion — ober fagen mir
rid)tiger nahm ©illerSborff — einen Stnlauf z ur ©erbefferung ber
©pmnafiakStubien, unb Johann 9luguft 3 immermann mürbe bafür nach
28ien berufen, ©jner erfaunte fogleich, bafS mit ber Reform ber ©pmnafien bie
ber philofophifchen Stubien £mnb in Jpanb gehen müffe. 3)a£ ©rager Stubien*
Sirectorat forberte ihn zur Abgabe eines ©utachtenS herüber auf; bie 3)enf=
jchrift, bie er abfafSte, fanbte er am 6. Sluguft 1844 an ©ißerSborff, ber
ihn am 15. gnni 1845 nach 38ien berief, $ie ©orfdjläge, bie ©jner h^*
machte, finb befonberS baburch merfmiirbig, bafS er barin ein ÜNoment
heroorpob, baS feither ganz unb gar in ©ergeffenheit geraden mar. ©S
bürfteit, betonte er, an ben ©pmnaficn nicht blofc bie beutfche unb italienische,
es müßten auch bie flaoifchen Sprachen beriidfichtigt merben. „333ir merben
bann aßerbingS ©pmnafien oerfchiebener 9lrt haben. Slber ©inerleiheit ift an
unb für fich fein grofce£ ©ut, fonbern baS ©egentheil ift eine Nothmenbigfeit,
menn berfelbe $med unter oerfchiebenen Umftanben erreicht merben fofl. ®ie
©inerleiheit unter allen Umftanben forbern, hiefte ben 3med bem 9Nittel
opfern". Namentlich in ©Öhmen erheifche ber ßuftanb ber flatufchen Sprache
ernfte ©eachtung. „$er Unterzeichnete ift feit mehr als vierzehn Sohren ein
ftiller unparteiifcher ©eobachter feiner Umgebungen, unb eS erfcheint als
röthlich, eine SolfSfprache z u bilben, in melcher SNißionen ßRenfchen fich
aflein oerftänblich machen, melche ber ©anal ift, burch ben jeberlei ©ilbung
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458
gofeph greiherr oon geifert.
ihnen jufliefjt, beff^tt ©erfchlammung fie baher ifoliert unb mit materiellem
imb geiftigem Siechtum bebroht". ©ne fräftige Unterftiifcuug erhielte ber
Unterricht in ber böhmischen Sprache, meinte Epter, menn auch itgenb
einer ber übrigen leichteren ©egenftänbe böhmifch oorgetragen mürbe. Die
beutfefje Sprache müfSte aflerbingS an allen ©pmnafien als befonberer Sehr*
gegenftanb eingeführt, aber babei jeber Schein oermieben merben, als ob man
germanifieren mode.
5Wach Efner'S SWeinung sollte, mie früher ermähnt, bie Umgestaltung
ber ©pmnafien mit einer Reform ber philofophifchen Stubien £anb in £anb
gehen. Er brang barauf, bafS biefe (enteren aufhörten, eine ÜRittelftufe
^mifchen ©pmnafium unb Unioerfitöt ju bilben; bagegen sollte baS höhere
Stubium jener 2öiffenfdhaften, bie man im allgemeinen als bie philofophifchen
bezeichne, an ben Unioerfitäten als philofophijche gacultät ebenbürtig ben
anberen brei gacuftäten an bie Seite gestellt merben. $lnf ©illerSborffS
©orfchlag mürbe ein befonbereS Somite „jur ©eratfjung ber fünftigen
Einrichtung ber philofophifchen Stubien" eingefefct, beffen ©eratbungen
ber ©eififcer ber Stubien^of^Somntiffion, ber gelehrte ©iarift £>ofratf)
ßallafchfa leiten foüte. gm Eomite fafeen aujjer Ejner bie beiben
©rofefforen ber SBiener Unioerfitöt Enb lieber unb granj giefer; Ejner
mürbe mit ber Aufgabe betraut, eine Denfjchrift über biejen ©egenftanb
auSauarbeiten. Ejner hob barin fjeroor, bafS eine beffere ©eftaltung ber
höheren Stubien nicht erreicht merben fönne ohne eine größere greilseit ber
©emegung; er beantragte bis ju einem gemiffen ©rabe Sehrfreiheit unb für
gemiffe gächer Sernfreiheit. Die UniDerfitätS 5 ©rofefforen füllten in ihren
©ertragen nicht an bestimmte Sehrbücher gebunben fein; eS füllten ihnen
s 2lffiftenten beigegeben merben; man fotle ©riüatbocenten julaffen unb neben
ben orbentlichen ©rofefforen (ordinarii) aufjerorbentliche (extraordinarii) er*
nennen, ©on großem SBerte mar, maS er über bie claffifchen Stubien
fagte. „97eben bem Shriftcnthum ift baS claffifche Sllterthum bie ©runblage
ber mobernen Shiltur. DaS ift eine Dhatfache, bie mir nicht beliebig abänbern
fönneu. Ein ©olf, melcheS baS Stubium ber Elaffifer aufgäbe, mürbe feine
©ilbung oon beren SEBur^el abtrennen unb fich jugleich oon ber ©ilbung ber
übrigen Shilturoölfer ber ©egenmart loSlöfen." gm grühjahre 1847 maren
bie Arbeiten ber einberufenen Eommiffion beenbet; am 18. guiti erhielten
Ejner unb 3immermann bie SBeifung, nach ©rag jurüdjufehren.
SEBenn Ejner'S ©orfchläge angenommen mürben, fo fonnten biefe nicht
auf bie philofophifchen unb bie ©hmnafial-Stubien befchränft bleiben; eine
freiere Semegung mufste bann alle $meige beS öffentlichen Unterrichtes
burchbringen unb baS ganje Stubienmefen eine neue ©eftalt geminnen. Slflein
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Tie grofee Unterrichte {Reform.
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ßjner erfannte nur $u mopl, baj£ bie $eit faum barnaep fei, jo eingreifenbe
Sicherungen in$ SBerf $u fefcen. Taju fam, ba}3 an ber lebten entfepeibenben
Stelle bnrepau* feine Neigung für Experimente jolcper Slrt oorpanben toax.
©raperjog Submig, ber ©tefloertreter be$ SaijerS, mar ber treue unb
geporfame ©ruber be£ oerftorbenen SaiferS Sranj unb ber jäpejte Anhänger
be£ oon biejem begrünbeten {Regiments. „Siegen lajjett ift bie befte ©rlebigung",
pflegte er $u jagen, menn e$ fiep um SSorfd^läge panbelte, bie au$ bem
gemopnten ©eleife perauSjcpmeiften.
So mar benn, menn nicht etmaS MußerorbentlicpeS eintrat, oon oben
nicptS ju ermarten, jo unoerfennbar es in ben gebilbeten Streifen gäfjrte,
nach Sntfaltung rang. 3u Söien mar bieö bejonberS an $mei Orten ber
gafl, bie als ©rennpunft jolcher Seftrebungett gelten fonnten: im juribifcp-
politijehen ßejeoerein unb in ber mebicinijchen gacultät. Ter ßejeoerein, ju beffen
©rünbung ber Oberfte ©olijei*©räfibent ©raf ©ebluipftj nur nach Ungern
3ögeru jeine ©inmißigung gegeben hatte, ftanb unter ber Seitung oon ©rofeffor
jur. Tr. Mnton £>pe, Tr. Sllejanber ©ach, ©aron Sommaruga jun., bie
aße ber freien {Ricptung angehörten; in ber ©ibliothef beS ßejeoereineS
fanben fich aße neueren SBerfe, bie oon SBicptigfeit maren, mochten jie oerboten
jein ober nicht. 3n ber mebicinijchen ffacultät, bereu Toctoren regelmäßige ©er=
jammlungen 511 halten pflegten, füprte Submig 0 . ßöp 11 er, epebem ©utsperr
oon {Roftof bei ©rag (um 1840 Oerfauft an 3ofepp unb Slnna Snber), baS große
SBort; er patte geniale 3 been, bie er mit einer gemiffen neroöjen Seiben^
jepaft oortrug. ©on anberem ©parafter mar ©aron ©ruft 3 e ueßt er 3«
leben, ©icebirector ber mebtcinijcp-cpirurgijchen ©tubien. Mucp er mar
entjepieben für ben Sortjcpritt; boep er moßte niept in Sturm erobern,
bei ipm mar afleS rupig unb maßoofl; für feine ebleit ©efinnnngen jeugte
fein fcpöneS SBerfcpen „3ur Tiätetif ber Seele", baS rafcp beliebt mürbe
unb eine Auflage naep ber anbern erlebte, ©rillpar^er jagte oon ipnt,
bafS ipn oier Xugenben auSjeicpneten: {Recptfcpaffenpeit, SBaprpaftigfeit, SBopl^
moßen unb ©efepeibenpeit. 3apre 1847 pielt er eine SRebe über eine
notpmenbige {Reform ber Unioerfitäten, bie großem Muffepen maepte.*)
3n ©rag joßte für baS Scpuljapr 1847/48 Sjner {Rector SWagnri
ficuS merben, maS er aber, obmopl mieberpolt unb in ber märmften SBeife
in ipn gebrungen mürbe, ablepnte; ftatt jeiner mürbe Slbt |>icrom)muS
3eibler 00 m ©trapoo gemäplt, ein finbijcp^eitler 2Rann, ber jeinen Stolft
barein jefcte, bajs man oon ipm jagen fonnte, er fei jo unb jo oftmal Tecau
ber Jfacultät, jo unb jo oftmal {Rector ber Unioerjität gemefen. ©r gab ben
*) Jrranffurter S. 0—9. Tie „Tiätetif ber Seele" patte 1858 bereite bie
19. Mutlage erreicht, 1890 erfepien bie 40 Muflage.
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4ti(>
Qofeph Freiherr oon geifert.
Herren ^Jrofefforeu unb afabemifchen SBiirbenträgern an feiner Prälaten*
tafe( fehr gut ju effen unb p trinfen, unb bothafte Frager behaupteten,
biefe Tinern Ratten ihm am meiften ^u feinen SBürben üerholfen.
Ter ^erfonatftanb ber Stnbien^of*ßommiffion hatte [ich gegen ©nbe
1*47 $u einem großen Xtjeile geänbert; Türcfheim, Rapport, Waimaitn,
f>allafcf)fa unb ^urfarthofer maren gefdjieben; neu maren fmfratfj
Theol. Tr. 2lnbreat ®oI Imaper (für ©pmnafien unb Solftfchnlen) unb
bie Wegierungträtpe SBilhelm Gbler oottSBell für bie mebicinifchen, Sohann
Heinrich ©bler üon ftremer für bie juribifchen unb SRarian Söller O. S. B.
aut Sremtmiinfter für bie philofophifchen Stubien. Sie maren, mic et ja
nicht anbert fein fonnte, burchaut aut ben alten Schulen herüorgegangen,
SWämter bet herrfchenbeit Spftemt, gute Beamte, ehrenhaft unb pflichtgetreu.
Sie maren intgefammt mehr paffiüe Naturen; feinetmegt begeiftert für bie
beftehenbe Drbnung ber Eilige unb barunt meber abgeneigt noch roiber*
fpenftig gegen eine #nberung berfelben, nur muffte et üon oben befohlen
fein. 2lm meiften Sinn für berlei Weiterungen hatten Sremer unb Söller.
8 .
Tie politifche ®emegung bet fahret 1*48 in Dfterreich h°t $rag
oom 11 ., $u SBicn oom 13. SWärj ihren Slutgang genommen, bort üon ber
'■Berfamntlung böhmifcher Patrioten, jumeift Slaftenci, im St. SBenaeltbabe,
hier üou ber großen Stubentenbeputation in bat nieberöfterreichifche Saitbbaut.
Tie Petition ber SBiener Stubenten üerlangte Hebung bet Unterrichtet in
aßen $meigen, Sehr* unb Sernfrciheit in ben höheren Stubien; et mar bat
ein^unft unter üielen anbereu, melche bie SÜnberung bet politiidjen Spftemt
im allgemeinen ^um ^iele hatten. Tat Serbienft, bie Weform bet Unterricht*
mefent intbefonbere angeregt unb in ^(uft gebracht 51 t haben, gebürt
ohne Srage ber Präger Uniüerfität.
Söäprenb ber aufgeregten Spannung, bie nach bem fühnen Schritt am
11 . 9Wär$ in s J$rag ^errfchte unb melche burch bie alarmiereitben, aber un*
fixeren unb üermorrenen Wachrichten aut SEBien gesteigert marb, mürbe für
ben 15. SWärj eine '-Berfammlung ber Uniüerfität, s ßrofefforen unb Stubenten,
einberufen; fie foflte in bem großen s ßromotiont*SaaIe bet alten ßarolinum
abgehalten merben. Tr. ÜBilhelm ©abler, ein Teutfdjer aut SBartenberg
bei Wiemet, aber in ^rag $um eifrigen Slaftenec gemorben, eröffnete bie
Serathung mit einer Wnfprache an bie Stubenten, bie er aufforberte, fich
jur Wufrechthaltuug üon Drbnung unb ©efeplichfeit an bie Sürger anju*
fließen. Wach ihm (türmte Uffo |>orn auf bie Webnerbiihne. „2Ber ift
benn bat? Ter gehört ja nicht jur Uniüerfität!" hörte man in ben s ßrofefforen*
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Sie gro&e UnterrichtS*Steform.
401
©änfeit fragen, Saut unb förmlich mürbe bie ©inmenbung nicht erhoben,
fie märe auch !aum burchgebrungen. Sefanb mau fich boch im Saume! ber
jungen greifjeit, unb Tollte man fid) burdj pebantifche Stüdfichten beengen
(affen?! Uffo $orn, Srautenauer uon ©eburt, begabter s J$oet („ßamoenS"
1839; „©ötjmifcfje Sörfer", ©ebic^te 1847 u. a.) unb müthenber s .ßolta-
Sanier, olafteucifch angehaucht, fam, in figürlichem Sinn gefprochen, „recta
oom ©algen her"; er h a ^ e in $reSben eine Suedgefchidjte mit bem SJtaler
Arthur o. Starnberg gehabt unb mar baher oon ber fächfifchen ^olijei in
©emahrfam genommen morben. ©r mar ein feuriger Stebner, ber feine
jüngeren $uhörer mit fich fortrifS; aber auch mancher ber älteren sperren
niefte bem, maS er oortrug, ©eifad §u. So mürbe benn besoffen, eine
2 lbreffe an ben S'aifer ab^ufaffen, in melcher bie ©ebürfniffe unb SBünfche
ber Unioerfität bargelegt merben foüten: Sehr unb Sernfreiheit, afabemifche
©inrichtungen unb Siechte, ©leichftedung ber Stationatitäten unb ©onfeffionen
bei ©emerbung im öffentlichen Sehramt, $nberung beS bisherigen ©rüfungS-
mefenS unb ©inführung oon Staatsprüfungen, ©efud) auSlänbifcher Uni-
oerfitäten, Sunt* unb Schmimm^Unterricht, jule^t 9lffociationS-Stecht „nach beni
neueften SJtünchener Statut".
2lm 19. üJiära fuhr bie grofee Seputation ber ©inmohner ©ragS nad)
SBien ab; mit ihr im Stamen ber Unioerfität ber Secan ber juribifchen
gacultät SanbeS^lboocat Sr. ftarl Heinrich gifcher, im Stamen beS
©rofefforen*©odegiumS Sr. gofeph Siebtenbacher, s 4Srofeffor ber ©hentie,
unb für bie Stubenten je einer auS ben brei meltlichen gacultätcn. Siefe
Herren maren oon adern Slnfang barauf bebacht, ihre Angelegenheiten als eine
abgefonberte bel)anbeln 511 (affen, machten am 21 . mtb 22 . SJtärj ihre Stuf-
martung beim ft'aifer, überreichten ju Aderböchft Seffen ^änbett ihre Abrefie unb
giengen bann 511 m ©rafen Solomrat, bem bantaligen SJtinifterpräfibenten.
Siefer noch oor fur^em fo gefeierte Staatsmann machte ihnen jept einen
ftäglichen ©inbrud; bie lebten ©reigniffe hatten ihn bermafsen eingefchüchtert,
bafS er bie Präger UnioerfitätS-Seputation mit Shränen in ben Augen
empfietig; er höbe, flagte er ihnen, ftetS eine freiere ©eftaltung ber ©er*
Ijältniffe angeftrebt, aber ®r (er meinte Stetternich) fei ihm ftetS als
fnnberniS im SEBege geftanben. ©on ®otomrat giengen fie 511 ©i l( erS=
borff, ber ihnen 00 de ©eachtung ihrer Petition oerfprach; nur möchten
fie bebenfen, bafS im Augenblide fo oiele michtige unb bringenbe Singelegen-
heiten ju fchlichten feien unb bafS fie barum einige ©ebulb hoben müfSten.
SaS fahen fie fehr rnohl ein unb fehrten ziemlich befriebigt nach ©rag jurüd *»
*) ©bmunb Jpolenia, ©rinnerungen OBklS, §aaS, 1892) S. 08 f. ©t war
stud. jur. unb oon feinen SJtitfchülem in bie Seputation gewählt.
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462
^ofepl) Freiherr oon Jpelfert.
©inen unmittelbaren ©rfolg ^atte aber bie Slbreffe ber Frager Uniuerfität
boch. Senn e3 mar wohl fein zufälliges 3ufammentreffen, baf^ am 23. aRärj
eine $Ulerh. ©ntfcfjlieftung erfolgte, ber$ufolge „in ber s 2 lbficht, bie ®erbreitung
unb ®erooflfommnung beS ®olf£fct)ulunterrichteS fomie bie oollftänbigere
©ntmicflung miffeufcftaftlicher, technifcfter unb afabemifcher Stubien zu
beförbern", ein eigenes U nterrichtS*©? iuifterium errichtet werben
foßte. 3 um SKinifter ernannte ber fiaifer mit 9Werb. £mnbfchreiben oorn 26. 9flär$
beit 3^iten ®räfibenten beS Sßiener $lppellationS= unb ßriminalsObcr*
©erichteS ftranz Seraph Sreiherrn bon © o m m a r u g a, ber in ben Sagen barauf
bie ©efdjäfte übernahm unb in ber SBiener Rula feierlich ben ©runbfafc ber
Sehr- unb Sertifreifjeit, „burch feine Scfjranfe als jene ber conftitutioneDen
©efefte gebunben", proclamierte *) Sie Stubien=£>of= 6 ommiffion hörte bamit
auf: fie fungierte z*oar einige Sage noch fort, bi* fie jule^t formell anfge*
löst würbe ober oielmehr in baS Rtinifterium iibergieng, inbem ihre bis*
herigen Referenten 93ecf, ®oltmat)er, 3enner, t). äße 11, fireiner unb
Sloller Referenten beS ÜRinifteriumS mit bem Rang Don SRinifterial* ober
3ectionS-Rätl)cn Würben.
RJittlermeile War bie groftc ®ürger>Seputation mit ber ©rlebigung
ihrer Petition in ®rag eingetroffen, 27. 9ftärz, unb mit großem 3ubel
empfangen worben. Rur bie Unioerfität war unzufrieben; fie hatte eine
befoitbere Petition überreicht unb barum eine befonbere unb punftweife ®r*
lebiguitg erwartet; ftatt beffen war nur im 14. unb lebten fünfte ber ©rlebigung
ber ®iirger=®etition ganz allgemein gejagt: „Sem öffentlichen Unter¬
richte werben bie ben neuen Snftitutionen ^ufagenben ®er-
befferungen in an^gebehntem SRafee jugewenbet werben/* Ser
Unmutb ber ©tubenteu flieg immer höher, unb ba für ben 2lbenb eine feier¬
liche 3öaatination angeorbnet war, riefen fie burch bie Straften: „SluSlöfchen,
auSlöfcheit!" ©affenjungen unb ®öbel mifchten fich barein, unb wo nicht
fchncll an* ben Senfterit bie Sichter oerfchwanben, ba flogen Steine hinauf,
bafs bie Scheiben in Splitter giengcit. So Würbe aus ber Stabt be¬
leucht ung eine Stabtoerfiitfterung, worüber es Diele böfe 9Eßi$e gab.
9lm Sage barauf waren ©lieber beS afabemifchen Senate beim
Dbriftburggrafen ©rafen Rubolf Stab ioti, welchem fie bie Slufregung ber
Stubentenfchaft fchilberten unb um 53e)chwichtigung berfelben baten. Sie
einzelnen fünfte ber UnioerfitätS*®etition würben nun burchgenomnten, bie
©rlebigung berfelben besprochen unb zn ®apier gebracht, wobei ®rofeffor
*) Sie Rebe finbet ftch abgebrueft bei peintl, Wiener UnwerfitätS^lcten
» s Ißien 1848 Sommer) S. lü f.; auch befonberS: „Rebe beS ÜJtinifterS beS öffentlichen
Untererricbteö" groft $olio 2 ®I.
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$ie grobe UnterrichtS-fReform. 463
©jner einen oorjüglichen Slntheil hotte.*) ©raf Stabion nahm eS auf feine
eigene ©erantmortung, biefe Sormulieruug als prooiforifdje ©rlebigung ^in=
auSflugeben unb bamit mar ber Sturm befchmoren. Stabion oerpflichtete
fid), bie befinitioe ©rlebigung beim SRinifterium 311 ertoirfen unb reiste nod)
benfelben 5lbenb nach SSien ab. 9lm 31. SWärj erfolgte bie ministerielle
©rlebigung ber ©etitionSpunfte in giinftigem Sinne, bem Inhalte —
menu auch nicht bem SSortlaute — nach fo, ttrie fie oon ©rag auS be=
antragt rnorben mar; am 2 . 5lpril machte fie ®raf Stabion in ©rag funb,
am 3. oerlaS fie ber fRector SRagttificnS in ber 5tula, mo nun alles in
dulci jubilo toar. 3 n einem einzigen fünfte trat eine fomifdjc Snttäufchung
ein. Uffo §orn hotte am 15. beantragt unb bie ©erfammlung hotte eS per
acclamatinnem angenommen: „5lffociationSrecht nach bem lebten aRündjner
Statut". Uffo fporn t>atte offenbar nur oon bem Statut gehört, eS aber
nicht gelefen, unb bieS toar umfomehr bei feinen ßuhörern ber Sali. 3ept
mar bie ©emiöigung bcS SRinifteriumS ba unb man mollte miffen, maS
benn bieS äRünchner Statut enthalte, unb ba zeigte fich benn, bafS eS un¬
gemein fdjarfe ©eftimmungen gegen bie StubentenOerbinbungen enthielt.
®ie Überraschung mar ebenjo groß als unangenehm. 5lbcr maS mar 511
machen? «Tu l’as voulu, George Dandin!»
©on biefem Snterme^o abgesehen, fanit bie minifteriefle ©rlebigung
00 m 31. 9 Rär 3 1848 als bie ©runblage beffen angefehen merben,
maS nun halb im gefammten Unterrichtsmefen neu geftaltet
merben füllte, unb ber ©rager Unioerfität gebürt bie ®h re / b 11 tiefer
groben SReform bnreh ihre Anregung 00 m 15. 3Rärj unb bann burdj ihre
Oerniinftigeu SRatfchläge 00 m 28. ben 5lnftob gegeben 311 haben.**)
* *
*
©aron Sommaruga hotte olS UnterrichtS*9Rinifter ben ernften
SBiHen, bem oerrotteten Stubien=St)ftem eine beffere ©eftalt 3 U geben; er
befaß auch als Staatsmann Serftänbnis genug um einjufehen, bafS eS in
einer fo oieljprachigen Monarchie mit ber alleinigen ©flege beS ®entfchen
nicht abgethan fein fönne. ®aS erfte, maS er für feine gierte tt)at, mar,
fich mit einem Streife fähiger fenntniSreicher unb erfahrener 9Ränner 31 t
umgeben, melche bie nötigen ^Reformen 3 U berathen unb ©ntmitrfe jur
*) Sranffurtcr, a. a. C., S. 163.
**) Siehe auch £>eintl, UnioerfitätS mieten 9tr. 19, S. 12 : „Um bem offen t
liehen Unterrichte bie ben neuen ^nftitutionen jufagenben ©erbefferungen im aus*
gebehnteften 2RabS’tabe jumroenben, hoben Se. ÜRajeftät burch 51. h- ©ab.* Sehr. 00 m
23. üRärj 1848, ©unft 14, beschaffen, eine Umarbeitung ber bereits oorbereiteten
Stubienpläne $u oeranlaffen" :c. 9Rin. b. Qnnem, 00 m 31. 9Räv$ 1848, 3- 22 .
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464
ftofepp Jreiperr oon geifert.
Umgestaltung bet gefammten öffentlichen Unterricpttmefent autjuarbeiten hätten.
Gt mären biet bie SBiener Uuioerfitätt*©rofefforen X^cot. 5>r. $ofepp
Schein er, 3tor. $r. Slntou $pe, ©pil. $r. ©tep^att Gnblicper, Varon
Gruft Seucptertleben, ber ©rofeffor am ©olptecpnicum Slnton ©eprötter
nnb ber £mmanitätt*©rofeffor am SBiener afabemifepen ©pmnafiunt SBü^etm
©oblapa; bann aut ©rag: G^ner, ^afaftf nnb ßi^wermann.
^afarift Slbgang non ©rag am 3. 2lpril mürbe in ungemein feierlicher
SBeife begangen. Gbenfo tpeitnapmtooll mar ber Slbfcpieb Gjneft; benn et
mar für bie Stubenten ein hoppeltet geft: ein mepmütpiget, ben pocp-
oereprten unb geliebten fieprer aut iprer SJtitte 511 oerlierett, unb ein
erhebenbet, meil fie muftten, für melcp popen 3 ^«* er berufen, unb baft
uon feinem Gingreifen bat befte $u ermarten fei.
2>ie ÜDtitglieber ber Gomntiffion begrüßte eine Bufcprift bet Sfliniftert
00 m 4. Slpril, morin er fie berufen erflärte, bie Vorarbeiten 511 ben Slnträgeit
auf Verbefferung unb ^Regulierung bet öffentlichen Unterrichtet, bie ben
ein$uberufenben Steicptftänben gefteüt merben füllten, ju liefern. &afarif mar
babei intbefonbere für „bie Vertretung ber flaüifcpen ©tubien* unb ßiteratur*
^ntcreffen" auterfepen. Gr arbeitete für biefen 3^ecf eine Xenffcprift aut,
mie bie Gleichberechtigung ber beutfepen unb böpmifcpen Sprache in ber
Scpule burcpgufüpren märe .*) Sie erfte ©ipung biejer Gontmiffion fanb am
5. SIpril ftatt.
SBäprenb biefe Veratpuugen im ©ang mareu, mürben fepon ein$elue
Verfügungen getroffen, melcpe bat oorbereiteten unb einleiteten, mat bie
Gomntiffion im Sinne patte. Slm 6 . Slpril mürbe oerfügt, baft bie unmittel=
bare ßeitung ber Uniüerfitätt'Sacultäten, ber teepnifepen ßepranftalten unb
ber ©pmnafien bie ßeprförper berjelben übernehmen füllten. Sat mar alfo
bie Slbfcpaffuitg ber bisherigen außerhalb ber ßeprförper ftepenben Sirectoren
unb Vice-Sirectoren. Slm 9. Slpril richtete Sommaruga an alle ßänberepeft
einen Grlaft, bemjufolge alle Gingaben, bie früper an bie Stubien=£>of=
Gommiffion gemacht mürben, unmittelbar an bat SJtinifterium gerichtet
merben füllten. Von großer Vebeutung mar ber gleichfallt an alle ßänber-
epeft gerichtete 9JUnifterial=Grlaft 00 m 10 . Slpril. Sie ben Unioerfitäten
ertpeilte ßepr* unb ßernfreipeit, pieft et barin, fepe größere Steife ber
Stubierenben an Vorbilbung unb an Sapren ooraut, alt bie bitperigen
abfoloirten ©pmnafiaften befä&en. Sie bitperigen $mei fogenannten ppilo*
foppijepen 3 >op* 9 änge foUten baper oon ber Uniüerfität getrennt unb ju
ben ©pmnafien gefcplagen merben, bat baburep aut einem fecptclaffigen
*) 5lbgebrucft in C. C. M. 1848 II str. 171—197: MySlenky o prowedeni
stejn6ho präwa öeskeho i n£meck£ho jazyka na Skoläch öesk^’ch.
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Die grofee UnterrichtS^eform.
465
ein achtclaffigeS mürbe. Solche oerooüftänbigte ©pmnafien mären juoörberft
in ben UntoerfitätS* unb fianbeShauptftäbten einjurichten; an jenen Orten,
mo bisher abgefonbcrte philofophifche üehranftalten beftanben, mären biefe
mit ben bafelbft beftehenben ©pmnafien in eins ju oerfchmeljen; aufterbem
mären an einigen befonberS ftarf befndjten ©pmnafien jmei ©tubienjahre
anjufügen, mie in Säumen „oietleicht jn Äöniggräfc unb Sger." Die Sänber^
fteüen hätten für biefen 3med bie erforberlichen SRäumlic^feiten auSjumitteln,
bie Sorfchläge für Serufung tauglicher Sehkräfte ju machen 2 c.*) TOit SrlafS
öom 18. 3Rai mürben bie SolfSfchulen in Söien unb ©rag probiforifch
geregelt: bie ©farrfchuten oon brei Staffen füllten ju $auptfchulen ermeitert
merben; an ben Drioialfchulen füllten jomohl Lehrer als ©ehilfen fije
Sefofbungen betommen unb fomohl fie als ihre SBitmen penfionSfäfjig fein.
Um biefe 3 *it hatte bie 9teform=Sommiffiou ihre Serathungen bereits
gefchloffen.**) Saron ©ommaruga mollte eafartf unb Sjner feinem
SJinifterium einoerleiben, um fich ihrer Senntniffe unb Srfahrungen bteibenb
ju bebienen. Doch Safari! gieng nach ©rag jurücf, er mollte fich feinen
tiefgehenben ©tubien nicht entziehen. 9lurf) Sjner nahm bie ihm angebotene
©teile eines ÜKiuifterialratheS nicht an; auch er toünfchte auf feinen ©rager
Sehrftuhl, mo er unter ben jefcigen freieren Serhältniffen erft recht mirfen
311 tonnen hoffte, jurücfjuf ehren. Doch mufste er für'S erfte noch in SBien
bleiben, meil ihn ber 5Jiinifter mit ber Aufgabe betraute, bie Srgebniffe
ber SomntiffionS^Serathungen jufammenjuftellen unb ju formulieren. Die
Denffchrift, bie er herüber abfafste, führte ben Xitel „Sntmurf ber
©runbjitge beS öffentlichen Unterrichtes in Öfterreich"***) unb
enthielt ein ooüftänbigeS Stiftern, melcheS nicht blofj, mie ber Xitel befagte,
ben öffentlichen Unterricht oon unten bis in bie höchften ©tufen umfafSte,
fonbern auch ©nmbfäfce für ben ©rioat^ ober häuslichen Unterricht anfftellte.
Die SolfSfchulen füllten oerbeffert merben: in ben höheren Slaffen „populäre
'Jtotur*, aKenfchen' unb inSbefonbere SaterlanbSfunbe", baju „praftifche
Slnmeifung ju nüfclichen Sefchäftigungen, mie Saumjucht, meiblichen Arbeiten,
*) Slbgebrudt bei freintl ©. 37—40. DaS in ber 9Jttnifteriab3tegi|iratur
befinbliche Soncept 3- 102 U.*2Ji. ift burchauS oon ber £>anb Syner’S.
**) Ohne 3*neifel mar babei ein Slaborat mit in Srroägung gezogen morben,
baS mit bem Datum beS 21. 2Ipril 1848 auch gebrudt erfchien: ,,©lan einer jeit-
gemäßen Reform ber öfterretchifchen Unioerfttäten. Sntroorfen unb bem 3Jttni|terium
beS Unterrichtes überreicht oon bem Soßegium ber mebicinifch*cbirurgifcben ©tubien
ber t. !. JBiener £)ocbfcbule" (grofrS 0 22 ©palten; anbere Ausgabe 24 ©palten).
***) DaS Soncept, burchauS oon Syner’S §anb, befinbet ftch mertioürbiger*
roeife nicht in ber Btegiftratur beS Unterrichts * 2JtinifteriumS, fonbern im Sefifce
ber Samilie Sytter. '
Ile ftiitur. III. 3a^rg. 6. unb 7. $eft. (1902.) 30
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466
gofeph greiherr oon geifert
bann ©efang unb öeibeSiibungen" ; für bie fiinftigen ßc^rer ein Sanbibaten-
fiehrcurS non brei gahren; bie Songrua ber Sehrer auf bent Sanbe 200 fl.,
für bie Unterleder („©ehilfeu") 100 fl., in ben Stabten unb an beit
£>auptfcfiuten natürlich mehr: „Die Solfsfchute ift Sache ber ©enteinbe unb
finb non biefer bie Soften für ihre ©rhattung aufjubringen." Sürgerfdjulen
non brei Staffen an Stelle ber bisherigen nierten Eiaffe an ben $auptfd)uten.
©eatfchulen non brei Staffen. ©rittetjehuten anberer 2trt nach örtlichen
Sebürfniffen: ©enterbe*, Spinn*Schulen tc. ^Xec^uifc^e gnftitute.
©pmnafien achtclaffig. 8 tn ben Uninerfitäten Sehr* unb Sernf reiheit: „Die
©iitgtieber ber Saifertichen 2 lfabemie ber SBiffeufd^afteit 511 SBien finb als
foldje 5 U Sortefungen an ber Uninerfität berechtigt". Aufhebung ber SoncurS*
Prüfungen für baS Sehramt. Srioat^Docenten. Die gacultät befteht auS
fämmtlichen orbenttichen unb aufjerorbentfichen ©rofefforen unb jmei Sertretern
ber Sriuat*Docenten; bie nicht-lehrenben Doctoren foflen in |>infunft mit
ber Uninerfität unb gacultät nichts tneiter $u thun haben, eS fotle ihnen
btofe geftattet fein, außerhalb ber gacultät unb beffen Sehrförper eigene
Doctoren*Soflegien $u bilben. 2tn ber Spifce jeber gacultät ber Decan, auS
ber ©eifje ber orbenttichen ©rofefforen non biefen auf ein gafjr gewählt unb
nont ©rinifterium beftätigt. Die Seitung ber ®efammt*Unioerfität führt ber
afabemifche Senat mit bem ©ector ©tagnificuS an ber Spifce. Die Sache
ber afabemifchen ©ehörben tuirb eS inSbefonbere fein, bie DiScipIin unter
ben Stubenten aufre^t 511 haften, unb tuirb ihnen gegen Übertretungen ber
afabemifchen ©ejefce eine biSciptinare ©emalt juftehen.
* V
♦
Seröffentticht mürbe biefer Sntmurf nicht fogteich, meit fich bie
©egierung $ur felbengrit in einerSlrifiS befaub. Das ©Jiniftcrium ©itterSborff
hatte abbanfen müffen unb führte bie ©efdjäfte nur für fo lang fort, bis
baS neue ©finifterium gebitbet mar. gür baSfetbe maren Saron Shiübb
SBeffenberg atS ©tinifter beS 2luf$ern unb Saron 2lnton Dobthoff*
Di er als ©rinifter beS gnnern auSerfehen; baS Portefeuille beS Unter=
richtS mürbe erft @|ner, bann geuchterSteben angetragen; als beibe
ablehnten, übernahm Doblhoff bem ©amen nach baS ©rinifterium, bie tljat*
fächlichc Seitung hatte geuchterSteben mit ©jner an ber Seite. 2lm 18. guli
trat baS neue Sabinet in Dhätigfeit unb am fetben Dage mürbe ber
©eorganifationS*®ntmurf beS UnterrichtSmeienS ber Öffentlichfeit übergeben;
man motlte $uerft Stimmen barüber abhören, ehe baSfetbe bem conftituierenben
©eichstage $ur tegiStatorifchen Sehanbtung oorgetegt mürbe.*) Der „Drgani*
*> Der OrganifationS-Sntmurf erfchien in ber „2öiener«3ritung" in uier
gortfefcungen, ©r. 197 uom 18. btS ©r. 200 uom 21. Quü, unb bann als ©onber*
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Die große UnterricbtS=$Reform.
467
fationS*®ntmurf", mie man ihn fortan fur^meg nannte, bitbet ben eigentlichen
SluSgangSpunft unb bie ©runblage ber großen Unterricht«*9leform in
Öfterreich unb er befteht in feinen ^auptjiigen bi« heute, ©r h a * gleich
anfangs in fachmännifchen Greifen, aber auch vielfach int gebilbeten publicum
großen Slnflang gefunben, unb ganj befonber« freuten fich bie gebrücften
Schullehrer, baf« enblich einmal auch für fie beffere 3eiten fommen foßten.
©3 fehlte aber auch nicht an Dppofition. SSon Seite ber p^ilofop^ifd^en
^rofefforen liefen fßrotefte ein; fie mehrten fich bagegen, baf« man fie üon
UniüerfitätS* ober bod) S^ccal^^ofefToren $u ©hmnafiatlehrern f>crab^e^en
tuotle; auch fugten fie bie SJiaßregel als eine grunbfäfeliche Stufhebung ber
philofopljifchen Sacultäten an ben Unioerfitäten auf, ma« jeboch burchauS
nicht fo gemeint mar. ©ine gemichtige ©infprache erhoben bie ©ifchöfe, meil
ber ©influfS ber Kirche, namentlich auf bem ©ebiete ber ©olfsfchule, fünftig
bebeutenb mehr eingeengt merben foUte, als baS bisher ber SaU mar .*)
©nblich erhoben bie nicht=bocierenben Doctoren eine ©infprache, meil fie nach
bem „©ntmurf" üon ber Sacultät, alfo üon ber Uniüerfität auSgefchloffen
fein unb baher an ben gacultätsmahlen feinen Slntheil mehr h fl ^ cn füllten.
SeuchterSleben unb ©jner maren fleißig bei ber Slrbeit. ©iner
ihrer erften Schritte mar, baf« ©jner am 3. Sluguft 93 o n i fe — ber in*
^mifchen Sefjrer am ©pmnafium be« Stettiner SRarienftifteS gemorben mar
— ben Slntrag machte, nach SBien fommen unb an ber Reform ber
©pmnaften mitjuarbeiten.**) Slm 4. mürben bie fürstlichen unb münblichen
©oncurS=©rüfungen für Erlangung beS Sehramtes, fomie bie oeratteten
Normalien ber Disputation unb Promotion abgefchafft; bie ftrengen
DoctoratS^ßrüfungen füllten in ^infunft öffentlich fein. 9J?it Slüerhöchfter
©ntfchließung oom 19. betraute, auf ben Eintrag Seucf)terSleben'S, ©e. SWajeftät
ben ©rofeffor ©jrner mit ber unmittelbaren Seitung aller SIrbeiten ber
UnterrichtS=9teform unb ernannte ihn für biefe 3*ü $um SRinifterial^SRath.
Gpier nahm fich ben ©iariften $oblaha unb ben £mmanitätS=2ehrer Sari
©nf oon ber Surg, ©ruber beS unglücfliehen Sonüentualen oon Steif,
^ur Seite. ©S erfolgte fogleich ein entfeheibenber Schritt: mit ©rlafS oom
abbrucfin4°, §of»unbStaatSbrudterei. SeuchterSleben hot, roiemanau« unferer
Darftellung erficht, ben „©ntmurf" als fertige« 3Berf übernommen unb hotte fich
manche ©eftimmungen entfehiebener gemünfeht; oerglekpe feinen Sluffafc: „DaS
Slinifterium be« öffentlichen Unterricht« m öfterreich" in ber ©eil. $. s JJtorgenblatt
ber „Söiener 3citung" oom 17. December 1848.
*) ©ergleiche meinen Sluffafc „Der Sampf um bie Schule", Öft. Qahrb.
1889, S. 158—163.
**) Über bie ©erhanblungen jrcifchen ©jmer unb ©onife f. granffurter,
©. 75, 92—100.
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30*
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3ofeph Freiherr oon geifert.
28. mürben bic erften Sorbereitungen §ur Steugeftaltung beS ©pmnafiatmefenS
getroffen, namentlich ber Übergang t)om Elaffenlehrer* §um gochlehrer^Spftem,
bie ©inführung beS Unterrichts in ben SanbeSfprachen, in ber SRaturgefchichte
unb Shhftf- ® cr 2 - September brachte SSerbefferungen im Spftem ber 93olfS=
f(hule: bie SRutterfprache follte bie ©runblage bilben, ber SlnfchauungSunter*
rieht follte eingeführt unb für biefen 3roecf Sehrmittel*Sammlungen angelegt
merben; bie Serbefferung ber fogenannten Sräparanben^ßurfe mürbe in 9luS*
ficht genommen unb eS mürben für biefen 3toecf hier oon ben befähigteren
Sehrern an ben SBiener Solfsfchulen auSgefenbet, um bie Einrichtungen in
®eutfchlanb unb in ber Schmeij fennen ju lernen. 91m 8. September erteilte
baS SDtinifterium bem ©remiurn ber SBiener |>anbelsleute bie Erlaubnis, auf
beffen Soften eine eigene #anbelSfchule $u errichten.
9J?it Slllerhöchfter ©ntfchliefcnng oom 4. September mürbe ©Euer
befinitio $um äRinifterialrathe ernannt; auf bie SRücffehr nach Srag unb
an feine geliebte Sehrfanjel mufste er jefct üerjichten, er mar ber oberften
UnterrichtS*93ehörbe bleibenb einoerleibt. $>aS SBer! ber Reform mürbe
fchrittmeife fortgefefct. Son ben öfterreichifchen ©pntnafien mar eine gro&e
3ahl in geglichen |>änben. $ie Slofteroorftänbe unb Stiftsoberen ernannten
unb oerfefcten bie Sehrer nach eigenem ©rmeffen, baS h e ^ nach ^ cm
jemeiligen Sebürfniffe ihrer geiftUchen ©ommunität. $)aS follte nun aufhören,
bie ©erufung jum Sehramte, bie S3erfefcung unb ©eförberung ber Sehrer,
ihre Entfernung bem SRinifterium oorbehatten bleiben (20. September),
©ine tief einfdjneibenbe SRafjregel mar bie Aufhebung ber ßonoicte, bie
fich gleichfalls in geiftlichen $änben befanben; bie bisherigen Stiftspläfce
fotlten in £>anb*Stipenbien umgemanbelt unb biefe ben ©Itern ober Sor~
münbern ber Jünglinge übergeben merben. $)iefeS SoS traf baS Stabte
ßonoict, baS Sömenburg’jche ©onüict unb bie Stiftung SRanagetta in SBien,
baS ftänbifche Sonoict in ©rag, baS 2h ere ft anum in SnnSbrucf, bie ©onoicte
in ©räfc unb Semberg. $Rur mit ber großartigen Stiftung ber $aiferin
9Raria X^crefia, bem SBiener 2h ere fi°num, Qieng eS nicht fo rafch, meil
©pter bamit etmaS befonbereS im Sinne hotte: er motlte baS 2h erc P anum
ber Seitung ber ©iariften entnehmen, bie tüchtigften Sehrer unb ©äbagogen
aus ber SRonarchie einberufen unb auf biefem SBege eine SWufteranftalt für
©rjiehung unb Unterricht fchaffen.
SeuchterSleben mar äRebiciner, ÜRitglieb ber SBiener mebicinifcheit
Sacultät, beren Serhältniffe unb 3«ftänbe er genau formte unb beren
Steugeftaltung ihm baher junächft am $erjen lag. S)aS erfte mar, bafS bie
f. f. 3ofephS=2lcabemie aufgehoben merben follte, morüber allerbingS juerft
mit bem ffrieg^SRiuifterium oerhanbelt merben mufSte; eS follte nach
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2>ie grojje UnterricptS'Reform.
469
geuchterSteben'S SReinung fein befonbereS ©tubium für 3Rititär*$r$te geben,
fie füllten ihre SluSbilbung gleich allen anberen an ber Univerfität fich
ermerben. SBichtiger mären jmei anbere 9lngetegenf)eiten, von benen bie eine
bie mebicinifc^irurgiföen ©tubien überhaupt, bie jmeite bie mebicinifche
gacuttät ber SSiener Univerfität inSbefonbere betraf.
gn erfterer ©inficht fottte baS chirurgifche ©tubium aufhören, bie
mebicinifch 5 chirurgifchen Gurfe an ben Unioerfitäten, bann bie felbftänbigen
chirurgifchen Sehranftalten in ©aljburg unb Saibach füllten aufgehoben
merben. GS foüte binfiir feine Givit* unb Sanb*3Bunbärjte, feine „©aber",
fonbern nur miffenfchaftlich gebilbete '„äRebicin"*$octoren mehr geben. $ie
oorhanbenen Ghirurgen, benen man ihre ©efugniS nicht nehmen tonnte,
mottte man auSfterben taffen; hoch fottte ihnen freigeftettt merben, fich baS
mebicinifche $>octorat burch Slbtegung ber Rigorofen nachträgtich ju ermerben.
333aS bie SBicner mebicinifche gacultät betraf, fo fottte fie ben Stuf,
ben fie in ben lefcten fahren burch 9Ränner mie &foba unb RofitanSttj in
ben oon biefen beiben Koryphäen vertretenen gächern gewonnen hatte, auch
in ben anberen 3meigen fich verfchaffen. GS füllten barum fötche Sefjrfräfte,
von benen nicht ju ermarten tvar, bafS fie ben gortfchritten ber SBiffenfchaft
genügen fönnten, vom Sehramte entfernt unb an ihre ©teile neue tüchtige
ttRänner gemonnen merben. @3 befanben fich nämlich in ber gacultät einige
ältere Herren, bie §mar ihren burch bie ©tubienorbnung vorgejeichneten ©er*
pflichtungen als gehorfame unb friebtiebenbe Staatsbürger gemiffenhaft nach 5
tarnen; aber als lumina mundi, als Seuchten ber SBiffenfchaft ju glänjen,
ba$u hatten fie baS 3eug nicht, ©o erhielten benn ju Gnbe September ober
in ben erften Dctobertagen*) fünf SRitglieber beS SBiener mebicinifch 5
chirurgifchen ©tubiumS ihren unermarteten Slbfdjieb: Slbolf ©l ei fehl für
Ghemie, gofeph guliuS Germaf für ©hhP°I°9* e / ©taniStauS % ö11en t )i für
allgemeine ©atljologie, Gafpar gif eher für Raturgefchichte, gofeph Gbter
von SBattmann für praftifdje Ghirurgie. ©leifehl mar ber ättefte von
ihnen, 61 galjre, nach ihnt tarn SBattmann, geboren 1789, ber jüngfte mar
Germat mit 49 fahren, atfo alle noch in einem Sitter, mo fie in ber
gemohnten SSeife meitergehen unb manche gaf)re mirfen tonnten.
$och mit ber „gemohnten SBeife" fottte eS eben ein Gnbe haben,
neue Sahnen füllten gebrochen merben. ®a tarn ber 6. Dctober, bie Revolution
mar ba, unb geuchterSleben hatte blog baS Gehäffige ber SDiagregel auf
feine Schultern getaben, ohne baS SBofjlthätige berfelben, bie Serufung be*
mährter Sehrträfte unb bamit bie Gröffnung einer neuen 8tra ber natur*
*) Sl. u. ©ortrag oom 18., SUIerhöchfte Gntfchliefeung oom 28. September.
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470 Qofeph Freiherr oon geifert. Die grofee UnterriSte4Reform.
lüiffcitfc^aftlid^eit Stubien, einleiten $u tonnen. ©o (nüpfte fiS an feinen
SRarnen ein boppelter &af$: ber ber Ehirurgen, benen er ba$ Seben fauer
machen moüte, unb ber ber abgebanften Sßrofefforen, bie über ba3 Unrecht,
baS er ihnen miber Siedet unb Sitte angethan, #imme( unb Erbe
anriefen, SeuSterSleben befarn jefct Slngft, er erbat gleidj am 7. üon
Dobtyoff einen Urlaub unb üerfSmanb au3 SBien. Der Sinan$*3Jtinifter
Sr au 3, ber naS ber ä^prengung be$ SRinifteriunte 3Seffenberg*Dob(hoff
aße3 in aflem mar, beauftragte Ejmer, bie ©efSäfte be3 Unterrichte*
9Jtinifteriunte ju (eiten, bie mistigeren ©efSäfteftüde ihm, Srau3, jur
UnterfSrift üorjulegen. S$ner ^iett muthig au3; er liefe fiS int
3Rinifteria(*@ebäube eine proüiforifSe SBohnung h crr iSten unb arbeitete
mitten in ben SBirren unb ©räueln ber 3teüo(utton lag unb ÜRaSt in feinem
5(mte. SeuSteteleben mar unfiStbar gemorben, man mufäte niSt, mo er fiS
aufhielt. 9(13 er auf fein Urlaub3gefuS (eine Slntmort erhielt, fanbte er am
20 . ein äRajeftäte*@efuch um Enthebung üon feinem $often ein. Sr hatte
e3 bamit fo eilig, baf3 er fSon §mei Sage fpäter, 22. Dctober, au3 Stuffee
eine neue Eingabe an ba3 UnterriSt3*9Rinifterium fanbte, morin er um
fSfeunigfte Srtebignng feinet Snt(affung3gefuSe3 bat. Sr mar ein äRattn
üon meinem ©emüth, nicht fräftig unb (ampfe3muthig genug, um ben ©türmen,
bie er gegen fich unb fein SBirfen heranjiehen fah, bie ©tim ju bieten,
©einem SBefen miberftrebte aße ßtoheit, beren 9lu3bruS in jener fturm*
bemegten $eit jeben 9(ugenbUd ju gemärttgen mar. „SS bin für (eine
Aufgabe be3 Streitet gemaSt", h^ftf e3 in einer feiner SlufeeiSnungen*).
Später in feiner felbftgemähUen SlbgefSiebenheit oeröffentliSte er eine „Er*
tlärung an Sreunbe unb. Z^eitne^menbe" (93ei(. $um Slbenbbt. ber „SBiener
Leitung" üom 7. December), eine Strt SReStfertigung feinet begonnenen, aber
niSt ju Enbe geführten minifterießen 2Bir(en3. Die erften ©Sritte refornta*
torifS^r Xfjätigteit, betonte er, hätten begreifliScr SBeife üerneinenber SRatur
fein müffen, bann erft (onnte an ba3 9(ufbauen gebaSt merben, unb bie
3eit ba$u fei nahe gemefen, a(3 bie ungliidliSen 0ctober*Ereigniffe h^in*
gebroS^n feien unb eine p(ö$(iSe ©todung h cr & c ig e füh r t hätten.
*) ^ranffurter, 7.
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Dr. 3obanne$ Emmanuel Ueitb.
(Eine btugrapfjifcb.litterarifd)* £fnbie non Bbolf Jntter fcuf ler» C. S». K.
c^Kofjann ©mmanuel ©eitf) mürbe ju Kuttenplan im norbmefttichen
Qp Söhmen geboren (10.3uli 1787), alg ©ohn beg jübifchen ®rofetrafifanten
©aruch Seitl). Son feiner Sugenb fchrieb er felber an ©ebaftian ©runner:
„ 3 ch it>ei§ nur, bafö früh fchon, ohne mein ^injuthun, eine entfdjiebene
SBenbung jum pofitioen ©tauben in mir borgegangen." Ser Knabe fofl in
ber ©ibel feineg ©aterg manche ©lätter berflebt gefunben haben; er fuchte
in anberen ©jemplaren nach unb traf bie entfpredjenben ©teilen ber meffianifchen
©rophetien. Sag SRituale ber 3uben meefte in feinem lebenbigen ©eifte
gerabejtt bie ©pottluft. Ser Salmub ftie§ ihn ab, unb jmar umfo mehr, je
mehr er $u Sectionen gejmungeu marb, bamit er einmal ein großer Salmub*
rabbi merbe. ©elbft bie Slufflärerei SDlenbelgfohn'g blieb if)m nicht unbefannt
unb miberte ihn an. ©o mar fchon in ber ©ruft beg neunjährigen Knaben ein
innerer Kampf entftanben, non bem ©eith fpäter jehrieb, er habe 21 3 ahre
gemährt unb erft mit ber Saufe (1816) geenbet. Sarum bichtete er bon
feiner ^ugenb:
©ertehrt unb unbeholfen, in Dumpfheit auferjogen,
3 m alten ©ion fremb, im neuen nicht ju £aufe,
SBarb um bie beften Sage ber Sugeub ich betrogen.
©ineg nur mirfte bilbeitb auf ihn, bie fieetüre ber beutfehen ßlaffifer,
namentlich ©oethe’g, bie er in beg ©aterg Siicherei traf. Srei^ehnjährig trat
er in ©rag bereite in ben 5. ©urg beg Slttftäbter ©pmnafiumg; bie oier nieberen
hatte er fchon 511 ^paufe alg ©riüatift abfoloiert; bann befuchte er au ber
©rager Uniberfität bie ©hilofophie (1803—1806) unb ftnbierte ein 3ahr
SJtebicin. £ier fchon geigte fich feine feiten reiche ©egabung: er lernte
franaöfifch, mibmete fich „mit mahrer SButh" bem ©otanifieren, trieb SJfufif,
Malerei unb, mag fich fpäter alg bag üftüfclichfte ermiefen, er ftnbierte bie
^itteratur unb Sitteraturgefchichte, unb bereitg bom 17jährigen erfreuen
reijenbe, ©eüert nachahmenbe ©ebichte in 9Jteinert ; g „fiibitffa" (1804).
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472
Slbolf gnnerfofler.
Dbfchon nicht in günftigen ©erpältniffen, öerliefr er ©rag; bie Sehrfräfte
ber mebicinifchen gacultät maren ihm nicht genügenb, er gieng nach SBien (1808).
®rft ^atte er mit Stoth $u fämpfen, hoch bieä ftäfjtte feine Slrbeitefraft unb
©efchicflichfeit, unb feine Senntnte be3 graitjöfifchen bemirfte, baf$ ifjn ©ro*
feffor Seiht in ber granjofenjeit fdjon 1809 an einem SRilitärfpitafe oer*
menbete, ©alb errang er fidj fogar einen Stuf, unb $mar $unächft ate dichter
unb ®r$ähler: er oerfafste bie geftcantate jur geier beä Sliniferä #ilbe*
branb, fdjrieb ba£ Xejrtbuch jur beliebten Oper non ©promefc „$er Slugen*
ar$t", hatte fogar ba$ geftfpiel $ur geier ber SBieberfehr beä Saifer3 gran-*
für ba$ Ipeater an ber SBien ju bitten, unb ber Sllmanach „Slglaja",
Gaftellite „Selam" unb „$er Sammler" brachten Satiren, Siooellen, Sieber,
Epigramme oon ihm; eine3 feiner Sieber, ba£ Seiler oertonte, ift je|t
noch Soltelieb, e£ ift ba£ „Sieb oon ber gelbflafche". 6r mar auch einer
oom luftigen Sitteratenclub, ber atlmöchentlich in einem Socale ber ©ffiggaffe
jufammenfam unb in bem auch Srentano üerfeprte. $)och ben größten Stuf
errang itjm fein mebicinifcheS ©enie. ©ereite 1809 ^atte er neben bem
mebicinifchen auch ben tpierärjtlichen Gute befugt unb bort fepr gute
Gjrantina gemacht. 6r mürbe ©enfionär am Xbicrar^nct^Qnftitut unb
hier, obfebon erft 25 gapre alt unb noch nicht 3)octor ber SJtebicin, arbeitete
er jmei mebiciitifche ©iicher au£, bie fogleich ben Ganbibaten ber ©harmacie
ate Sebrbiicher oorgefchrieben mürben. Sie erfchienen 1812 bei ©eiftinger in
SBien: „$lbrif$ ber ÜTäuterfunbe für Öfonomen unb Jhierärjte" unb
„Spftematifche ©efchreibung ber oorjüglicpften in Öfterreich milbtoachfenben
ober in ©arten gemeinen 2lr$iteigemächfe"; teptereS gab er auch lateinifcp
herauf ate »Dissertatio inauguralis medico-botanica«. Site er bann 1812
feine Stigorojen machte, erregte er auf ba£ lebhaftefte bie Slufmerffamfeit
be3 faiferl. Seibarjte^ ©aron Stifft, be£ ©rüfungäpräfibenten, ber ihm $ei U
lebend gemogen blieb unb ihm auch ju feiner Garrifcre oerhalf. ®en 27. Sto-
oember 1812 promoüiert, mürbe er 1813 bereite Gorrepetitor am 2pi ers
ar$neisgnftitute, 1815, nach bem $obe be$ ©rof. ©iefe, prooiforifcher
$irector unb erfter ©rofeffor an bemfelbeit unb 31. guli 1819 „in Sin*
fehung ber oon ihm bemiefenen ©efchicflichfeit unb Sachfenntnte, fomie feinet
guten moralifchen Gporaftete" mirtlicher S)irector. Stoch Gorrepetitor, oer*
öffentlichte er 1814 ein neued, fepr gebiegeneä SBerf: „©runbrifä ber all*
gemeinen ©atpotogie unb Xh era Pie für angepenbe Xhicrärjte", unb für
$irector ©iep arbeitete er bie Goüegienhefte über Seuchenlehre unb ©eterinär*
poli$ei aite, bie er fpäter fammelte. Darauf entftanb ein SBerf, baS burch
15 gapre Schulbuch blieb, heute noch in hoher Schälung fteht unb ate ein
SJtufter genauer, tiefer unb hoch ferner $arfteflung gilt, ba$ 1817
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$r. gobanneS Emmanuel ©eit.
473
erftienene „§anbbut bcr Seterinärfunbe in befonberer ©ejic^ung auf bic
©eueren bcr nufcbarfien £au$ * Säugetiere. gür ©bpfifer, Kretötinirgen,
S^ierärjte unb Öfonomen." (Sejjte Auflage 1832.) 211 $ oberfter Seiter be$
erften $eterinärinftitute$ tjatte er ttiele unb oft weite Steifen $u maten;
feine Sortefungen waren fo ftarf befugt, baf$ man fie in einen ber größten
«ipörfäle berUnioerfität üerlegen muffte; aut beljnte fit fein ärjttiter Stuf
raft unb weit au$: trojfbem fanb er not Seit, aut bic ftönen fünfte ju
üben. 6 r muficierte unb tjatte fetbft ben ©eneratbafä ftubiert; er malte ge*»
(ungene ©orträtS; befonberS aber war er ein gefutter Witter oon geft*
cantaten (auf SRetternit, ©t*uar$enberg, beibe Staturforfter Sacquin K.),
unb feine Sieber waren if)rer 2 lnmutf), feine ©r^tungen unb 2luffä|je be$
feinen $umor$ wegen fefjr gerühmt. ®r ftanb in gtän^enber Stellung, not
glän$enbere ftanben trn in 2 lu$fut)t.
3 n biefem regen SBirfen gieng fein tief angelegter ©eift bennot nic^t
auf. „ 3 t habe mit 21 3 <t*e mütjfam burt ba$ alte Xeftament in’$
neue arbeiten müffen", geftefjt er felber. Slot ein gube, 50 g e$ tn fton
•$ur SReffe unb anberem ©otteabienft ber Katolifen. ©nblit am 4.3Rai 1816
empfieng er gu ©t. Kart in SBien bie Saufe, ©in 3atjr barauf finben wir
ben 30jät)rigen Sirector unb erften ©rofeffor be$ SeterinärinftituteS bereit#
an ber teotogiften gacultät immatricutiert. $)urt öier 3 af)re gibt er nun
ba$ fettene ©taufpiel: oberfter Seiter feine# au$ge$eitneten 3 fnftitute#,
actioer ©rofeffor ber Uniöerfität, praftifter 2lrjt, ©triftftefler unb jugleit
«Jpörer einer Unit>erfität#bi#ciplin $u fein unb babei in allem fit auSjuaeitnen,
benn aut feine tfjeologiften ©jamina Waren »eminenter«. 2Ba$ tn $u biefen
©tritten, was tn $um Opfer feiner ©teflung bewogen, tjat er nie oerraten.
Siur oon einer ©rfteinung wiffen wir, bie in biefer £eben$periobe
bebeutjam unb teitweife beftimmenb eingriff: bei einem Sobfranfen traf er
ben natmaligen ©eefauer Siftof, Unioerfitätäprofeffor P. Stoman 3 äugerle
O. S. B., unb biefer führte ü)n $u P. ©lemen$ SRaria £ofbauer. Stun tritt
aut Seit in ben £ofbauert rei#: ©tteget, SBerner, ©ttoffer, Klinfoioftröm,
SRablener, Staufter u. f. w. #ier lernte er aut ©ünter fennen unb lieben,
ben natmatigen ©fjilofopljen, ben ^ofbauer jum ©rieftertljum gebratt
haben foü. $ier aut ben Stübern Stnton unb ©eorg ©afft) befannt
geworben, grünbete er mit tuen auf ^ofbauer’a unb 2 Berner'$ Statt) bie
SSotenftrift „Ölzweige", bie, 1819 bi$ 1823 erfteinenb, öiel $ur fitt*
titen £>ebung be$ SSolfe# beitrug unb jefct not m gutem ©ebenfen ift.
Seit war oiet unb gern bei §ofbauer, er war aut ber beljanbelnbe 2 lrjt
in beffen Iobe$franteit. £ofbauer tjat tn $war nitt jurn ©rieftertume
berebet, aber gerabe ifjm haben wir ©eitf)'# ©igenart al$ £>omilet gu bauten.
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Nbolf Qnncrfoflcr.
benn nach Seitt)'« eigenem ®eftänbniffe mar e« Hofbauer'« täglicher, nach*
brucf«ooßer Spruch: „$a« Soangelium muf« ganj neu geprebigt merben",
bcr e« ihm antfjat; unb unftreitig ^at e« ber Einbrud, ben ^ofbauer auf
ihn machte, bemirtt, baf« Beith, mie er fagte, „ben 8 ?eft feine« Sebeit«
fich mit bem befd&äftigen unb für ba« arbeiten moßte, rna« allein emig unb
alfo allein mistig ift", baf« er bie SBelt oerlieft. 1821 lieb er fich feiner
Steflungen entheben, mürbe am 26. äuguft jum ©rieftet gemeint, am
16. September al« SRebemptorift „eingefleibet" unb primicierte am 17. Sep*
tember. Ein 3a^r fpäter (1822) leiftete er feine ©rofef«.
ßunäcöft trat er al« ©chriftfteßer mieberum in bie Öffentlichfeit.
1823 erfchien fein „$enfbüd)lein Dom fieiben Ehrifti". 3n Sorm Don
Betrachtungen für jeben lag ber Saften, finb e« ernfte, gemüth«tiefe
Ermägungen über ba« Seiben be« H errn mit ergreifenben Stufforberungen
pr Entfagung unb Selbftaufopferung; mof)I ber 2 lbglan§ ber Seelenerfahrungen
©eith'« in ben erften 3oh re n feine« Drben«leben«. Unb 1823 gab er mit
SBerner auch bie „Balfaminen* h c ^u«, in bereit Er$äf)Iuttgen unb Stuf^
fäfeen er ein ganj neue« ®ebiet religiöfer Schreibart $u pflegen begann, eine
s lixt „religiöfer ^umoriftit", mie SBerner'« Biograph fie nennt.
Sluch al« SRebiciner mar er mieber thätig. Eine gelungene Eur an feinem
©ruber Elia« mie« ihn auf Salomon £>af)nemann, unb Don bafjer batiert
e«, baf« er auch in ber Homöopathie $u ben Sebeutenbften $äf)lt. Er trat
in perfönlichen ©erfehr mit H°hnemann, marb SRitglieb ber fjomöopathifchen
©ereine Don ©alermo unb Baben, hoch baute er fich auch h^ r *n fein eigene«
Spftem. Wientanb bitrfe au«fcplief 3 lich 2 lßo=, Hbbto* ober Homöopath fein.
3ebe ßRethobe höbe ihr SBirfung«felb je nach 9lrt ber Sranfheit unb be«
fRatureß« be« ftranfen. S)ie Homöopathie fei epochemachenb für bie SBiffenfchaft
ber SRebicin, meil fie gegen bie einfeitige ©flege bcr 2)iagttoftif unb ©atf)o*
logie energifch bie michtigere X^erapic betone unb bie 2lpotf)efe mit Dielen,
leichten, einfachen SRittetn bereichere. $lber einfeitig märe e« auch Don ihr,
fdaDifche $ofi«regeln unb „Sdjüttelgeifter" einjuführen, e« miiffe hoch auch
bie $ofi« nach ftranfljeit unb St'ranfem fich richten. Er fteßte fich fogar
eine berartige Slpothefe jufammeit mit H^f e ber Saiettbrüber feine« Eofleg«,
unb jn erprobter ©raji« unb 511 feinen 91nficf)teu fant er burch bie reiche
Gelegenheit, bie il)m jit H a uf c unb namentlich auf SRiffionen geboten mürbe.
Toch feine H ail P t:r / ja 2eben«thätigfeit ift Don nun ab ba« ©rebigt*
amt. 9Rit P. äRablener unb fünbereit gieng er nach Dberfteier, mo bie
erften unb größten SRebemptoriften^JRiffionen gehalten mürben, fpäter bann —
um bie ©oofianer $u belehren — nach Dberöfterreich- 3 « SBien prebigte er
( yimeift in 9Raria=Stiegen. Unb ba mar e«, mo er 1826 feinen Stuf eine«
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$r. gopanne« Emmanuel Seitp.
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großen Homileten gewann. ^pier jeigte e« fid^ jum erftenmale, wie er nicht
bloß bie grauen, fonbern noch mehr bie SRänner anjog unb bie Sirene bi«
auf'« le^te Släpchen füllte. Slthemlo« laufdjte alle« bem Keinen, ^äf^licßen
Wanne bort auf ber Raitjel. ®leich feine erften SBorte feffelten. ®r begann
jumeift mit einem paefenben Silbe, ©leic^niffe ober „©efchichtchen", ba«
bereit« ben ganzen gnhalt ber Sßrebigt fpmbolifierte. ®egenftanb unb Steile
ber Srebigt waren fobann gewöhnlich in irgenb ein Silb gefleibet. @o hatte
er fidj (1826) „$ie SeibenStuertjeuge" gewählt; unb ba Jagte er 3 . ©.
über bie $>ornen!rone: „(Sine breifache ®ornenfrone trägt ber SRenfch auf
feinem Raupte, öon ber ihn ber bornengefrönte £eitanb entlebigen möchte:
eine au« Xifteln unb Kletten, ba« finb bie ®ebanfen unnüper Steugierbe;
eine au« Srenneffeln, ba« finb ©ebanten unb Segierben ber Unreinheit, unb
eine au« oertuirrten ©chlehbornen, ba« finb bie unnüpen ©ebanten unb
Sefümmerniffe um jeitlicpc ©üter." ®ie entfprechenben 8 eben«fituationen finb
auf ba«. pacfenbfte, greifbarfte gefcpilbert. ©teilen au« ber heiligen Schrift
werben nicht $u bloßer, troefener 93ewei«fiihrung ungezogen, fonbern ftet«
organijeh in bie Sßrebigt oerwoben, meift 3 U ergreifenben ©chilberungen.
3Ba« er theoretifch au«einanbergelegt, muf« ein überrafeßenbe«, feltene«
Seifpiel au« ber ®efchichte, eine Slnefbote, eine Sieben«beobachtnng auf ba«
lebenbigfte jufammenfaffen, oerbilblichen, ergänzen unb bem £>örer einprägen;
unb ba finb befonber« meifterhaft feine unerwarteten, felbft ba« S'leinfte
erfläreitben Slu«beutungen folcher Seifpiele, woburch fic eigentlich 3 U einer
s 21rt Allegorie erhoben werben; auch finb fie mit feinfter ^Berechnung auf ba«
©emüth be« Zuhörer« eingefügt: entweber am Slnfang, ihn 51 t feffeln, ober
mitten, meift nach uufrüttelnben, erfchütternben ©teilen, um ba« ©emiitl)
be« ^npörer« burch ruhige (Stählung wieber aufathmen 3 U taffen unb 311
neuen ©inbriiefen 3 U befähigen, ober gegen ©nbe, bie anjurathenben £ilf « 5
mittel barjulegen; bann fchließt benn faft jebe ^Srebigt mit ergreifenben
©ebet«worten, unb in ben erften fahren folgten auch noch txn b öar ®crfe.
geber ©egenftanb erhält feilte eigene, paefenbe gärbung: halb ift e« feiner,
oft farfaftifeper £mntor, halb erfchütternber ©rnft, bann wieber weiche, mit*
leib«üofle SBehntuth, bie er feinen ffunftwerfen einjuhattchen weiß.
©0 h°tte er ba« Snblifum fo^nfagen in ber $anb. SUte ^ßriefter
erzählten, baf« fie felbft $euge gewefen, wie er 3 . ©. einmal burch bie
einfache ©chilberuitg plöplicher ©nttäufchung eine« ©e^halfe« bie ganje
•^uhörerfchaft 311 m Sluflachen gebracht unb gleich barauf faft Men bie
Ih^önen in« 2luge gelocft. Unb hoch War in feinem Sortrage nur bie
flare, geiftreiche ©etonung feffelitb; 3 U ©eften hatte er abfolut feine Anlage,
auch erfchwang er fich nie bi« 3 um Satho«. SBa« bei ihm feffelte, war
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äbolf ^nnertofler.
nur ber (Seift. ®r bereitete fid^ aber auch mit allem gteifee oor, benn ba
itjm bie 9Rittel oerfagt feien, miiffe er fich nur „auf$ 3*^9 Perlegen",
äugenjeugen erzählten, toie fie if)n in ber 93ibliotf)ef trafen, auf bem ©oben
liegenb, ring£ mit aufgefchlagenen Solianten umgeben. 2(u3 ben ^eiligen
Vätern, au3 Segneri, ©ngelgraöe, ©trabe, ©tanifjurft u. f. tu., fotoie aud)
ftetä ait$ beit befferen ber iteueften ©chriftftellcr hoffe er fid) beit ©toff; feine
3Bettge)d)icbtc, fein ©pecilegium, feine Slnefbotenfammfung blieb unburchfucht,
fein au3ge$eid)nete£ @ebäd)tni$ unterftüfcte if)n, feine hohe Silbung betoaferte
ibn uor Xänbelei: e§ galt ibm ba3 $üd)fte, ba§ 3 eitgemäfecfte $u treffen,
aber ancb mit einem feffelnben ©etoanbe $u umfleiben, ben abftractcn Stoff,
tuie er fagte, „epifefe ftu gcftalten". äber ooit allem ba3 SunftboUfte ift
bie 3 u föntmenfteüung feiner Etjflen. 6 r burd)bad)te ficb feine Stoffe fo
lange, bis er ein eiuheitlid)e* ©an^eS getoann unb boeb toieber jebc Vrebigt
für fid) ein ©anje* blieb. 3a in ber ©ingangäprebigt $u ben „Seihend
tuerfyeugeit" tuerben eigentlich bie ©runbriffe ju brei ßpflen über beitfelbeit
©toff auäeinanbcrgclegt. s 2 ln^gefiibrt aber ift: bie £eiben3toerl$euge finb eine
Vilberfchrift, bie ©otte 3 SKiiben für —, unb ber SRenfdjen Sträuben gegen
bie Rettung unferer Seelen barftedt; bie breifeig ©ilberlittge bezeichnen, ben
Vrei$ ber Seele, bie Laterne: bie toaferc 2Bei3fjeit, bie Vanben: bie s JJfli(feten,
ber «frnfen: ba* ©etoiffen, bie äugcnbüHc: bie ^Religion, baä toeifee ©etoaub:
bie ©djulbcrgebung, unb bie ©cifeclu: bie bcffernbeit Strafgerichte; aber
mir ftellen bem fo üiele ^emmniffe entgegen: bie Toritenfrone ber ©cifte£*
zerftreutheit, ba* Sd)ilfrof)r unferer SBiHen^fcfetoäcfee, ba3 2 Bafd)bedcn unferer
©cmiffen^feeucfeelei, ba£ Sfreuj unferer 5ötberfpenftigfeit, ben ©aUcttfelcf) innerer
Verbitterung, bie 28itrfel fpielenben 2eid)tfinn£, beit Scfetoamm innerer
„Verfonberuitg", ber ©ottlofigfeit, feelfen fönnen ba nur noch bie
fieben Scfetocrter ber ©d)nter$en 3 fönigin, fonft brobt ber Untergang, unb ben
oerfinnbilben: 2aitzc, ©rab unb Siegel. ä$abrfd)einlich toar e3 ber Erfolg
unb ba£ Trängen feiner 3td)örer, toa3 il)it betoog, feinen erftett St)flu» 1826
and) in Xntd 511 geben; unb oou nun an blieb e£ ibnt ftetjeube ©etoofenfeeit,
ben Et)flu3 juerft fid) auSjubcnten, furz ju {fixieren, bann zu galten unb
ben gehaltenen nun „and; für* äuge jujubereiten" unb nach forgfältiger
^urefefeitung in Trud 511 geben, Sreilid) fotl bie Seife auefe bei if)nt diel
00 in 01a nje be£ gesprochenen 3Borte3 meggefegt haben, äuefe biirfte e3 001 t
biefer SRebaction herfontmen, toemt ihm mancher oortoerfcit ju ntüffen glaubt,
feine s #rebigten feien 511 toeitig praftifefe. Tenn er fdjciut hier bie praftifefeen,
in* Einzelne gefeenben ätttoenbungeu toeggelaffen 511 haben, oermuthlidj, toeil
eine gebntdte Vrebigt unioerfetl fein miiffe, praftifdje äntoenbungett aber
nad) Drt unb 3eit fid) änberten unb bafeer nur bei ber gehaltenen ihren
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$r. gohanneS (Emmanuel S3eith.
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gan$ paffenben $lafc Ratten. — ®aS mar feine Slrt $u arbeiten, baS fein
Stil, ©o mürbe Seith nicht fo fehr populär als intereffant, feffelnb,
anregenb. SRur in ber ©toffmahl h a * er fid) fpäter geänbert, unb ber
geänberte ©toff, ©peculation unb baS Sitter malten feine testen SBerfe etmaS
abftracter unb etmaS fernerer üerftänblid).
®er fich mehrenbe Sefuch ber SHrche „2Raria am ©eftabe" (SRaria
Stiegen) überhäufte bie SMreS mit SeelforgSarbeit. 3)aju tarnen SRiffioncn
in ber ©teiermart, ©eelforgSauShilfe öon grohnleiten aus. 1827 ^atte er
mieber bie gaftenprebigten. Gr befjanbelte eigentlich ben gleichen ©runb*
gehanten mie im SSorjahre, nur nahm er jefct jur Gintleibung bie „SBorte
ber geittbe S^rifti ^ (gebrueft 1827). geben Spruch eines geinbeS gefu
beutet er als SBort ber Süge, momit ©atan uns lodt, finbet in ihm aber
auch lieber eine SBeifung auf baS SBort ber SBahrfjeit, momit baS emige
SBort ititS retten möchte. 1828 befprach er ben Dpfertob gefu an fid),
a(S friebenbringenb ber ganzen SBett; er beleuchtete bie gbee beS Opfers
nach allen SSejiehungen. ©o entftanb baS ©üchlein „®aS griebenSopfer",
gebrudt 1828. 1829 griff er einzelne ©eftalten ber ^JaffionSgefchichte
heraus: s $etruS, StaiphaS, ^ßilatuS 2 c. . . . fie mürben ihm ju Silbern
beftimmter Glaffen unb Serhältniffe: „SebenSbilber aus ber ^affionSgefchichte",
1829 gebrudt. $abci gab er 1828 mit ©ilbert auch baS h^miletifche SBer!
„$er Sote üon Jericho" heraus, üeröffentlichte ein im ©eifte unb ©tile beS
IhomaS a ÄempiS gehaltenes ©ebetbuch: „gefuS meine Siebe", unb ju allebem
tarnen noch üiele £unberte, bie ben berühmten Seit!) auch xn leiblichen SRöthen
ju ärztlicher $ilfe riefen. Gr ftanb auf einem gelbe reichfter Ihätigteit.
Xrofcbem trat er 1830 aus ber Gongregation ans. ©ein Gintritt mar
überhaupt mehr ein ©chritt ber Segeifterung als beS mähren SerufeS. Sind)
einer beglaubigten Nachricht hat ih m fä on p - |>ofbauer gefagt: „$u mirft
eintreten, aber mieber austreten." $ie eigenthümliche ©eifteSanlage Seith'S
mar mit bem flöfterlichen Gommuneleben ferner üereinbar, mie bie fcharfe unb
fluge SRenfchenfenntniS P. $ofbauer'S üorauSfaf). Sille anberen GrftärungS=
oerfuche finb überflüffig. Gbel, mie er mar, hat übrigens Seith auefy nach
bem SluStritte nur Siebe unb Sichtung jur Gongregation gehegt unb ihr
folche SBohlthaten ermiefen, bafS er üon P. ©eneral äRauron fogar junt
Oblaten ber Gongregation anfgenommen mürbe.
®ie bamalS (1828—30) üon $r. $abft in einer „Sorfchule zur
fpeculatiüen Xheologie beS pofitiüen GhriftenthumS" unb in „3)er ÜRenfd)
unb feine ©efdjichte" bargelegte GreationS* unb gncarnationStheorie griff
Seit!) auf unb legte biefe gbeen, als er 1830 mieberum bie gaftenprebigten
hatte, benfelben ju ©runbe. ©o entftanb fein GpfluS über „$aS Saterunfer
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Nbolf ^nitcrfoflcr.
unb 9loe". Daä ©ebet ift ihm ein Spmbol be£ Greatiani&nuä; in ifjm befennt ba$
©efchaffene fein Slbhängigfein öorn Ungefchaffenen, unb barin liegt ja bie
eifte, bie 2 Bur$elmahrheit einer richtigen 3Beltanfchauuug, baher umfaßt auch
ba 3 Saterunfer, ba3 äRuftergebet, „alle ©efilbe ber ©laubenSlehre unb ber
fittlidhen SBa^r^eit". ©emif$ ein großartiger Stoff, unb if)n l)omiletifcß
populär ju machen, ein gemaltigea Unternehmen. Gr lehrte in ihm nicht
gerabe bie neuen Sbeen, aber er behanbelte ihn oon beren Stanbpunfte au£.
3hn mochte bie oertiefenbe Slrt anjiehen, moburch bie neuere Sichtung in bie
Dogmen ein$ubringen fuchte. Slnberen, namentlich feinen S lofteroberen, erfcßien
bie Sichtung’ etma3 oerbächtig, meil rationaliftifch- Das mag auch ber ©runb
gemefen fein, me^halb er ben Gpfluä: „Da3 Saterunfer" erft nach feinem
Sluätritte, al£ Gooperator ber s ßfarrfirche „$u ben neun Gfjören ber Gngel"
(„am £>of") herausgeben fonnte. Seine neuere, fpeculatiöe Sichtung jeigte
fogar auch baS ©ebetbud), ba£ er bamals brucfen ließ unb „GrfenntniS
unb Siebe" betitelte.
3 n ber Sfarre „am ^pof" hielt er 1831 auch jenen CplliiÄ, ben
Siele für feinen beften unb oollenbetften halten: „Die heiligen Serge" (gebritcft
1831). Deutfche Sefebücher bringen gerabe aus ihm 9Jtufter ber Seitlichen
Srofa. „G$ mar eine ebenfo originelle, mie h oc hpoetifche 3bee, bie £öf)en*
punfte ber Gntmicflung be$ alten unb neuen SunbeS an bie SergeShöhe«
51 t fnüpfen, melche ber Schauplafc biefer Dhatfadhen maren, unb fo bie Ser*
tettung ber £>auptjachen ber DffenbarungSgeichichte burch baS Silb jener 51 t
einer Sette uerbunbenen Serggipfel 51 t öeranjchaulichen." (2öme*Seith S. 122 .)
Damals jeigte fid) aber auch ber geniale 9lr$t. 3m ^erbfte 1831
erfchien bie Gholera. Übergroße Slngft unb Sermirmng ergriff baS Soll.
Grft nüfcte Seith feinen GinflufS als Sriefter: er hielt 511 St. Stefan eine
maffenhaft befueßte unb fogleich im Drucf oerbreitete Srebigt: „Die Gholera
im Sichte ber Sorfehung"; barin marntc er auch öor $u großer Slngft unb
befonberS oor gemiffen Glementen, toelche, bie Aufregung nüfcenb, Slifstrauen
unb Unorbnung fäen möchten. Dann griff er felber ein. 125 Gholevafranfe
nahm er in Sehanbtung, 122 rettete er — burch feine Homöopathie. Sein
Suf muchS berart, bafS er fogar tum ber baperifchen Segierung um Sath
befragt unb öeranlafSt mürbe, feine Slbpanblung: „Die Heilung unb Srophpla^iS
ber afiatijchen Gholera" (Hamm, Schmal^fche Sucphanblung, 1832) $u fchreibeit.
©erabe feine ^Srebigt über bie Gholera mag eS öeranlafSt haben, bafS
er einen Slonat fpäter bereite Domprebiger oon St. Stefan mar. Seith hatte
abmechfelnb mit bem anbern Domprebiger im einen 3ahre bie Sonntags*, im
anbern bie SefttagSprebigten ju halten. Gr fuchte jebe Serifope in einer
originellen, überall neue ©efichtSpunfte eröffnenben SBeife, mit erfchöpfenber
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$r. gobanneS (Emmanuel ©eith.
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©enüfjung ber eintägigen Duellen $u bemänteln. gm gah*e 1835 lourbe
ftaifer granj begraben, unb ©eith Ijatte bie Aufgabe, bei ben brei lobten-
feiern bie ©rebigten $u galten. Sie tourben int gleichen galjre gebrueft al 8
„ s 2luftria3 Irauer"; ©eith oerftanb e$ barin meiftertjaft, ben obligaten
©aneghrifuä mit toafjrer ©rbauung $u burchbringen unb ju abetn. (Er
übernahm auch fünfmal bie gaftenprebigten; baburch entftanben bie Sücher:
„$ie ©arabel oom üerlorenen Sohne" (gebr. 1837); „2)ie ©amaritin"
(gebr. 1838); „$)ie ©rloecfung be$ 2a$aru8" (gebr. 1842); »Mater dolorosa«
(gebr. 1844); „$ie Teilung be 8 ©linbgebornen" (gebr. 1845). Sludj ^ier
fafate er jebeä 2 ^ema in foeltljiftorifdjer ©ebeutung. gn ber ©arabel oom
oertorenen ©ohne $. ©. erflärt er ben jüngeren al 8 ba3 ^eibenthum, ben
älteren al 8 ba3 gubenthum. 3 um ßpflua „$ie Teilung be 8 ©linbgebornen"
machte er eiitgebenbe ©tubien über ba$ SBefen be3 Siebtes; „e3 ift loohl
überall ©eiouf$tfein 8 ftrebung unb loirflicheS ©eioufatfein bamit gemeint";
511 m ©runbgebattfen loählte er fich baher: 6 ^riftu 8 Ijat ber SBelt nicht
blofe ba3 Sicht gebracht, fonbern auch bie gäfjigfeit, ba 8 Sicht $u fefjeit.
Unb in ben 12 ©orträgen über bie Mater dolorosa befpracb er nicht
allein bie fieben Schmerlen 9Rarien$, fonbern bie Mater dolorosa al3 Sentrum
ber fchmerjenreichen äRenfchenioelt, al 8 äRutter gefu, be 8 leibenben $aupte£
ber URenfcbheit; al3 äRutter ber SRenfcben, al 8 ancilla domini; al 8 ©orbilb
ber grauen; al3 SBegioeiferin, SBecferin, Xröfterin; in ©ejiebung geftellt
ju ben ^auptfäd^Iic^ften ©erbältniffen be3 9Renfchenleben3; unb er befjanbelte
ben ©toff fpeculatio, pfpchologifcb, bogmatifch, boeb fo, baf£ ba$ p^itofop^ifc^e
©erüft ganj im gleifcb unb ©lut be 8 ©emütblebenS oerborgen blieb, b. b.
er fleibete e$ in feine feffelitbe „epifdje" gorm. — greie SWinuten nüpte
er ba^tt, einzelne gbeen auch in nooelliftifchen (Stählungen feftjubannen; unb
unb al£ ihm einft ein gebrüefter gamilienoater feine SRott) flagte, fammelte er
biefe (Stählungen in brei ©änbdjen unb fünfte ihm ba 8 SRanufcript, ba 8
hierauf 1834 al3 ^©rjählungen unb £mmore 8 fen" gebrueft lourbe. 1841 er=
fdjien eine ähnliche Sammlung, $loei ©änbehen „(Stählungen unb fleinc
Schriften". SRitter oon gührich h attc lounberbare geber$eichnungen üoit ben
©eheimniffen be 8 9iofenfran$e8 gemacht; ©eith lourbe um einen erflärenben
gebeten; berfelbe erfchien im ©rachtioerfe: »Rosa mystica« (1844).
$ och fonnte ©eith auf bie $>auer nicht mehr ben 5lnfturm ber Arbeit
beftehen; er erhielt auf feine ©itten bie (Enthebung oon ber 5)omprebigerfteüc
(1845), blieb aber in SBien, jufrieben mit ber targen ©enfion oon
800 fl. ^loeimal hatte er einen SRuf nach äRünchen an bie Unioerfität
erhalten, beibemale toie£ er ihn ab (1835, 1838). 1846 tuarb ihm fogar
ein Sanonicat oon greiburg Sngeboten, auch lehnte er ab. SRur bie
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2lbolf Snncrfofler.
Ernennung jum ©jrenbomljerrn Don ©aljburg nahm er an, melche ihm fein
©önner unb Serefjrer, Earbinal ©chmarjenberg, „für bie Serbienfte,
bie Seitb um bie fatf)olifd>e Sitteratur fich ermorben", Angeboten ^atte
(1847). Unb bie gacultät oon ©rag (1848) unb fpäter bie gacultät bon
SBien (1851) ernannten ifjn $um $octor ber Geologie, lefctere zugleich mit
ihm auch feinen greunb ©üntljer.
$lber gerabe in biefer SebenSperiobe, in ber -,8eit ber SRuhe, tyat er
eine S^ätigfeit entfaltet, bie mof)l jefct noch in Öfterreich fortmirft. ©elbft-
berftänblich mar er ein gefugter unb biel gelabener geftprebiger für ©rimi$en,
©atrojinien, SereinSfeiern u. f. m. $ie ©rebigten erfchienen bann gemöbnlich
in EinjelauSgaben, j. S. „®er Siebe ©efefc unb 9J?a&", bargeftettt an ben
Statuten beS SfranfeninftituteS für VanblungScomntiS. Sluch hatte er bereite
1846 für bie Kirche „am £of" bie gaftenprebigten übernommen. Sr moflte
faft ein ©eitenftüd ju feinem EpfluS „StoS griebenSopfer" aufammenftetten,
jenes bebanbelte baS KreujeSopfer, t^ier nahm er fich junt Sormurfe beffeit
gortfefcung, baS 9J?efSopfer. 9J?an f)ört ihn baS erftemal Hagen, bafS ihm
bie ^omitetifc^e Arbeit nicht mehr recht „Dom glede motte"; trofcbem Ratten
bie ©rebigten groben Erfolg unb mürbe baS Sud) »Eucharistia«, in bem fie
ben Sommer barauf erfchienen, fetjr biel unb gerne getefen.
gür 1847 mäbfte er fid) als gaftentfjema bie Slpoftelgef Richte unb
fdjilberte bie grobe SBirffamfeit ber 2Ipoftel ©etruS unb ©auluS, mie fich
beibe gegenfeitig ergänzten unb fo bie beiben ©runbfäulen ber fattjolifdjen
Sirene mürben; in ®rud gab er ben EpfluS erft 1849 fjerauS als „S)ie Säulen
ber Kirche." 3m Übrigen bermenbete er bie gröbere 9Rufje, feine „bomiletifdjen
Sorrätpe aufjuarbeiten". Er fuc^te fich früher gehaltene, noch nicht gebruefte
©rebigten ^ufammen unb oertbeilte fie auf bie ©onn* unb gefttage im gabrc;
auf bie meiften fielen $mei bis brei ©rebigten, melche ben ©ebanfen beS 2ageS
nach betriebenen Stiftungen Harlegten. 1846 begann er mit ber Verausgabe
unb 1855 brachte er ben fiebenten, ben ©cblufSbanb ber „Vomiletifchen
Sorträge für ©onn* unb gefttage" in bie Öffentlichfeit.
®ie ©iebt hatte ib« fo fränflid) gemacht unb faft benfunfäbig, bafS
er für 1848 $mar gaftenprebigten annabm, aber eigens ein leichteres, nicht
oiel ©tubium erforbernbeS $b cnta fwchen mufste. Er mäf)lte ben ©falm
»Miserere«, gab aber borläufig ben EpfluS'nof nicht in 2)rud. Xof mar
eS gerabe baS 3<*b r 1848, in bem er feine mirffamfte Xfjätigfeit begann.
ES mar bie SRebolution. $ie Autorität, ja alle pofitiben JRächte fchieneu
5 U ftürjen. $a mar eS Seitb, ber mit mehreren ©rieftern unb Saien ben
ffatholifenberein grünbete unb fo baS erftemal in Öfterreich bie Katljolifen
gegen bie Umfturjmächte organifierte. Sr hitft in aßen Sejirfen ber ©tabt
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£r. geranne# (Emmanuel 93eith*
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eine Slngal)! üon Sonferenjreben. 9Jtit Xr. Sec! gab er bie SBodjenfcfjrift
„Slufmärt#" h crai *3, bereu £auptartifel au# feiner geber floffen; unb al#
auch fie mit aßen übrigen Organen be# 9teüolution#jahre# behörblich verboten
mürbe, fejjte er bereit Xenbenjen in bem 1849 gegrünbeten „Dfterreichifchen
S3olf#freunbe" fort. Unb um in ber allgemeinen Sermirrung nicht auch bie
lefcte Orbnung erhaltenbe unb Orbnung fchaffenbe SRacht, bie ^Religion,
fchminben gu taffen unb namentlich bem beginnenben Xeutfchfatholici#mu#
enigegengutreten, fyelt er mehrere maffenhaft befugte, überau# mirffame
Sonferengprebigten über bie ®runbmahrheiten be# Satholici#mu#. 9J?an bropte
ihn üon ber Sange! gu fließen, er pidt aber unerfchrocfen Stanb. Xurcp
aß bieö mürbe er ber aJiittet- unb #altepunft be# bamaligen Söietter ßleru#,
ma# biefer auch tücfpaltlo# anerfannte, inbem in jenem gapre ber SBiener
Sleru# unter ©ebaftian Srunner'# Rührung ihm eigene einen filbenten
Sprenfelcp überreichte.
Unb al# bie SReüolution üorbei mar, nüfete er noch feine gange Autorität,
Härenb mitgufpreepen, inbem er bie melterpaltenbe, meltgeftaltenbe SRacpt ber
Steligion naepmie#. ©elegenpeit bot bie gaftengeit be# gapre# 1849. Xa#
©hriftentpum allein gibt greipeit, Orbnung, Seftanb in ber SBelt. Xiefen
©a$ beleuchtete Seit!) burch ©eenen an# ber ^Saffion, in beien ©chilberung
er genial ba# Silb ber Strömungen be# lebten gapre# gu geben muffte.
£ier finbet fich auch bie claffifche Sertpeibigung ber ^Berechtigung folcher
^rebigten. Sin gube patte im „greimütpigen" SSeith befepimpft, unb auch
anbeve Slätter betonten ben©afc: „Xie Solitif gehört nicht auf bie Sangef,
bie ©eiftlicpeu foßen beim Satecpi#mu# bleiben." ©ebaftian Srunner fchrieb
eine in üiergepn lagen gmeimal aufgelegte Slntmort: „Sremfen für ben
greimüthigen" unb im folgenben 3apre: „Sänget unb Solitif für Xr. Seitp'#
greunbe unb geinbe" (1850). Seit!) felbft fagte auf ber Sauget: „3a, bie
©eiftlicpen foßen beim Satecpi#mu# bleiben; aber e# gibt einen Heineren unb
einen größeren; ber Heinere ift für bie Sirfber, ber größere aber für bie
Srmacpfenen unb umfaf#t afle#, ma# beffernb ober üerfcplecpternb in# äRenfcpen*
leben eingreift, alfo auch ben focialenSerfepr." Unb unerfchrocfen üerurtpeilte
er am 28. äRärg bie blutbiirftige griüolität ber SReüolution, in ber Xraucrrebe,
bie er bei ber Xobtenfeier be# 1848 gelpncpten äRinifter# Satour hielt. Unter
bem Xitel: „SBerf ber Sühnung" veröffentlichte er fie erft im „Solf#freunb"
unb gab fie bann al# Slnpang gu ben feep# gaftenprebigten perau#, bie er
al# „Sßotitifcpe 5ßaffion#prebigten" (1849) bructen ließ. Xenfelben ©ebanfen,
ben jene gaftenprebigten behanbetten, befpraip er no<h einmal in ben gaften be#
Sapre# 1850, boch niept bloß üom üaterlänbifcpen, fonbern t>om aßgemeifr
menfcplicpen ©tanbpunfte au#. 3lu#gepenb üon ben SBörtcpen: „geh bin, ich
Äultur. III. 3aljrg. 6. unb 7. $rft. (1902.) 31
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482
SIbolf Qnnerfofler.
miß, id? habe", fc^ilbcrte unb richtete er bereite barnate ben brobenben
©ommuntemuS. SSJie einft Sären über bie Knaben ^ergefaüen feiett, bie ben
nach 3erufalem jieheuben ©lifäite berfpottet hatten, fo fei ber ßontmuntentite
ber 93är, ber über bie s ßriefter= unb 9teligion3fpötter plöfclicb ^ereinbrec^en
merbe. $iefer auch jefet noch actuefle ßpflua erfc^ien 1850 ate „SBeltleben
unb ©hriftenthum" (1849 hatte er auch Diele feiner Öeftprebigten rebigiert
unb unter bem Xitel „3eftprebigten" Deröffentlid&t).
@o enttoicfelte ber faft taub unb halb blinb geworbene Homilet eine großartige
fociale Xf)ätigfeit. Snjmifcben beftürmte iljn fein ©önner ©arbinal ©cbmarjen*
berg, ju ihm nach s #xa$ ju jießen. ©r luotjute im erjbifcßöflicßen Malate, unb
fein £auptmirfen mar auch jefct, ßoße Sefte burdj fein |>omilien ju ergeben,
Sonferenjen ju halten, auch mürbe er um ©jercitien gebeten, unb jmeimal
übernahm er gaftenprebigten. Slite feinem erften ©pfluS 1851 entftanb fein
Sucß »Caritas«. 3n finnigen, padenben Seifpielen unb an bie ÖafteneDan*
gelien anfdjließenben ^Betrachtungen feßilbert er bie Zeitige Siebe beS 3Renfcben=
berjen3, oon meiner ©otteS Siebe ju un3 ermibert unb naebgeabmt mirb
unb bic ficb gegen ©ott unb Sirene ate fireblicbe, gegen bie 9Jlenfdbbeit ate
gefellige, in ficb ate felbftlofe, mabrbeitfuebenbe, im SebenSfampfe ate fieg*
reieße, Treujtragenbe jeißt. — 1852 erflärte er mieberum ben $falm »Miserere«
mie 1848 in ber Sirche „am |>of" ju SBien, unb bieSmal gab er ben Spfhte
beraub unter bem Xitel: »Misericordia«. 3meimal burebbaebt, jmeimal ge*
halten unb enblicb jum ®rud rebigiert, gehören biefe SSorträge mobl auch
ju ben beften be3 genialen 9Ranne3. ®er $falm mit feinen an ficb lofe an
einanber gereihten ©ebeterufen mirb ihm ein propbetifcbeä ©anje, in metebem
ber Prophet Dormärte unb rüdmärte blidenb nicht bloß bie Rechtfertigung
be3 einjelnen 9JJenf<ben, fonbern noch mehr be£ ganjen 3Renfcbengefcbiecbte$
befebreibt.
Site ©jercitienmeifter nahm er feine Stoffe meift au3 ben ^ßfalmen,
befonbete au£ »Beati immaculati in via« (118 $ßf.). ©erabe bie ©jercitien
nun führten ihn oft nach SBien. ©o !am e3, bafö er 1854 bereite mieber
einen gaftenepfhte in SBien, in ber Pfarre auf ber Sanbftraße, halten
mufste. 3am S^ma mahlte er bie SBorte 3cfu: „3$ bin ber SBeg, bie
SBahrheit unb ba$ Beben." 3Rit ihnen betitelte er auch im ©ommer barauf
bie ganje SucbauSgabe ber SSorträge. SSeith befpracb juerft ba8 h^ebfte 8^1
beä SRenfcben, ben SBeg unb bie ©ebritte, bie ju bemfelben führen; fobann
ben SBeg ber Serberbnte: SBeg, SBabrbeit unb Beben, metebe bie SBelt an*
preist; unb febitbert bann ate ©egenfafc ben SBeg beS SJtittlerS, bie SBabr*
heit be$ SBirfenS in ihm, unb enblicb ba$ Beben in ihm im ®ie3feit£ unb
Senfeite. ©ehr febmierig mar biefer Stoff nicht bloß „burdj feinen uner*
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Zr. QohanneS Emmanuel SBcit^.
483
fchöpflichen gnholt, fonbern Oornehmlich burch baS gneinanberoerflochtenfein
feiner brei Ztyilt“. — 1855 Ijielt er bie jtoölf gaftenprebigten §u ©t. Seter
in SBien. Hier nahm er baS erftemal feinen «Stoff aus ber gaftenliturgie,
maS er fpäter noch jtoeintat that. ®r befprach bie gtoöff Srophe 5 ien be$
(S^arfamftag^, bie er bann citf gahre fpäter in Zrucf gab unter bem Xitel:
„^ßroptjejie unb ©taube". — ©anj toieber an SBien gefeffett mürbe er burch
ein plöfclicheS Ungtücf. Eine zufällige ©rfättung raubte ihm nämlich ba$ ®e*
hör faft ganj. ©r brauchte tägliche, tangmierige, tnüheooüe pflege, ba^u mar
er in $rag boch ju unbefannt.
Slber nun !am noch ein ©chlag: am 23. Gönner 1856 bie Serurtheilung
beS ©üntherianiSmuS. Sei P. Hofbauer mit ©ünttjer befannt, burch beffen
Siicher 1828/1829 fein greunb unb Serehrer getoorben, trat Seith namentlich
als Zomprebiger mit ihm in ben innigften Serfehr. 3m Haufe beS Zr. ©tücfer
unb in ber armen SBohnung beS Sriefterphilofopfjen oerfammelte fich oft ein
ertefener Streik hochöebilbeter, h oc ^ft«benber SWänner: Zr. ©tocf, ©reif,
Stof. SalmuS, Zr. Sapft, Seith u. f. m. $ier bitbete fich Seitt) feine philo*
fophifche SBettanfchauung. Seiber hotten beibe mit ber Zoologie ber Soweit,
inSbefonbere mit bem ftf- XhomaS fich nicht genug oertraut gemacht. äRandjje
3bee ift gernifS auch Seith'S ©chirne entfprungen, unb oiele Strtifet ber Spbia
fotten fo entftanben fein, bafS man ben Seitlichen unb ©ünther'fchen Slntheil
fo menig auSeinanber fcheiben fönne mie ben Stntheit ©oethe'S ober ©chiller'S
an ben Xeuien. 3m allgemeinen aber Oerhielt fich ®eith bloß attregenb unb
poputarifierenb. — SttS nun oon 9?om bie Serurtheitung erfolgte, fam über
©iinther juerft eine grofje Serfuchung. ®S galt nicht btofj SiebtingSgebanfen
aufeugeben, er Oertor eigentlich fogar feinen SebenSunterhatt, ba er nur befafe,
maS er fich erfchrieb unb nun ein neues gtujSbett fich SU Qtaben, fchon 3 U alt mar;
fein Sebürfnis mar es, befonberS in phitofophifchcn Zingen auf bem Saufenben 3 U
bteiben, nun fehlten auch bie SWittet, fich bie neueren Südjer 5 U oerfchaffen; unb
jubem t^atte er feine ganje gorfdjung ja nur angefangen, um ben herrfchenben
SantheiSmuS 51 t brechen unb ben Hegelianern, Hatfmrtianern, ©chctlingianern
eine Srücfe jurücf jur SBahrheit ju bauen. Za mar eS nun Seith, ber juerft
311 m greunbe gieng unb ihn jur Untermerfung bemog. Seith fefcte ihm auch eigene
hänbig baS UntermerfungSfchreiben auf, unb StuS IX. fagte, nachbem eS ihm
uorgelefen rnorben mar, jum ©eneratprocurator ber gra^iSfaner: „geh fenne
fetbft hitr in 9tom feinen fathotifcheren SJtann als ©ünther in SBien." —
3n bemfetben 3oh* e erfülle ber Sfotrer „am Hof“ Zr. ®*ith, bie gaften*
prebigten in feiner ßirche 3 U hotten. 9tngefichtS ber erfolgten Serurtheilung
glaubte Seith fich 9 anj surücfjie^en ju müffen; aber ©rjbifchof SRaufdjer, 311
bem ber Sforrer gieng, erflärte, bafS Seith baS Srebigen boch nicht oer*
31*
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484
9lbolf ^nnerfofler.
boten fei, bafS er boeb getoif^ alles bermeiben merbe, ma£ Slnftofe erregen
fönnte, Unb mie f<$on früher in „^ropbejie unb ©taube" gieng er auch bie£*
mal einem SieblingSgebanfen nach, nämli<b ben ©runbgebanfen unb bie innere
©ebanfenentmicflung au3 liturgifefeen Stebactionen berau^uforfeben: er maptte
fidfj bie fed)$ ©bangetienperifopen ber fecb$ gaftenfonntage, berfnüpfte beren
3npatt mit ben Kalenbernamen ber entfpreebenben Sonntage, b. b- ntit bem
erften SBorte ber gntroituäberfe: Invocabit, Reminiscere, Oculi, Laetare 2 C.
unb erlieft fo einen etmaä bagen, aber mefjr für bie praftifepen 8 ebürfniffe
be3 cpriftticben Sebent fiep eignenben Stoff. $Rie mar bie Sirene biepter ge*
füllt, unb allgemein mürben biefe Sßrebigten ju feinen befteu gewählt, fagt
Söme (S. 254). 3m näcpften 3<*btt (1857) burcpbadfjte er fiep bann bie
fed)3 5ßeri!openreif)eu ber fed)3 gaftenmoeben, tbeilte fiep benfelben entfprecpcnb
jeben Bortrag auch in fecbS fünfte unb fcpilberte au3 bem fe<b$facfeen ©eficbtS*
punfte ber Berifopen ©brifMS als Sobn beS äRenfcpen, Sobn ©otteS, Broppet,
König, ^oberpriefter unb Dpfer. Seibe fiep entfpreebenben, titurgifcb s b°mi=
letifcpen gaftencpflen berbanb er $u einem Sücblein, bem er, auf bie , 8 mölf*
^apt ber im grübjabr gehaltenen Borträge anfpielenb, ben 9tamen einer im
grübiabr blübenben ©artenprimulacee, „$obefatbeon" gab (erfepienen 1857).
$atte er 1856 baS cbriftlicbe Seben, 1857 bie Berfon Sb r if*i besprochen,
Bächlein unb Duelle gleicbfam alles &eitS, fo bebanbelt er 1858 in fecbS
Borträgen nun beren ©egentbeil: „$ie SWäcbte beS Unheils", unb mobl
um auf ben $auptfcbup gegen biefe äJiäcbte binsumeifen, liefe er mit ihnen
berbunben 1860 auch fecbS feiner $rebigten über bie 9JluttergotteS bruefen
unb gab baS Büchlein beraub als „®obefatbeon" mürbe $obe*
fatbeon in feinen jmei Ib e ^ en too^I jenes SBwr! Beitb'S, baS am meiften
ben blofe „praftifeben" Bebürfniffen ber ©haften ^Rechnung trägt. Doch trofc
aller Berbienfte beS grofeen Homileten lag angeficfetS feiner 3beengemeinfcbaft
mit ©üntber unb ber erfolgten Berurtbeilung beS ©üntberianiSmuS gemifS
begrünbeter Berbadfjt nabe auch gegen bie SBerfe Beitb'S. 3m eimal untere
breitete manfie baber ber 3nbejcongregation, 1858 unbl860.
Beibemale mürbe nichts 3lnftöfeigeS in ihnen gefunben. Beitb
mar eS eben gemobnt, feine Stoffe jmar aus ©üntberianifeben ©eficbtSpunften
$u betrachten, aber er berflodfjt nur fetten fpecififcfe ©üntberianifefee Sbeen
in biefelben. @r fcberjte fogar fetber, bafS feine greunbe über ihn böfe feien,
meil er feine $rebigten Diel ju menig fpeculatib „berfalje unb verpfeffere".
®aS mochte er nicht. ®r gab feinen Epllen obnebieS eine vielleicht
nur adju miffenfchaftliche ©runblage. gür 1862 j. 8 . batte er bie gaften*
borträge in ber Kapujinerlirche übernommen. ®r mahlte fich baju bie Stufen*
pfalmen (119—133); ba er aber nur jmölf Brebigten batte, liefe er bon
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Xr. 3(opanne$ Gmnmnuel ©eitp.
485
ben fünfeepit bcn 128.: »Saepe expugnaverunt me«, 131.: »Memento
Domine David« unb 133.: »Ecce nunc benedicite Dominum«, bie opnepin
befannteften unb flarften, au3 unb orbncte fiep bie übrigen frei nach feinem,
ben .fterrn at3 Befreier au$ ©üttbe uitb Xrübfal fcpitbernben ©ebaitfenfort=
fcpritte. Xa$u nun patte er fepon oor jtoei Sap^n (1860) feine ©tubieit
begonnen, gieng auf ben Urtext juriitf unb ftagt fetber in einem ©riefe, er
föitne niept oortoärt£ !omnten: „ber oielfättig oariierenben ©erftänbniffe ober
Unocrftänbniffe megen, bie auS ben üietartigen Deutungen unb (maforetpifepen)
©uuetationen ertoaepfen fitib" („3ttötf ©tufenpfalnten" gebr. 1862). Unb
at£ er 1863 abermals bie gaftenprebigten in ber Sapu^inerfircpe übernommen
patte, toäptte er fiep nieptä ©eringereä jum Xpema al£ bie Gintoürfe
ber Waturtoiffenfcpaften gegen ben ©tauben. Auf feinem ©ücpertifdje toaren
eben auep ftet3 bie neueften Söerfe ju finben, namentlich anep bie SSJerfe oon
©roteftanten unb atpeiftifepen Sirepenftiirmern. Gr blieb auf ber SBarte ber
3eit. 9?uit fap er, toie fiep gerabe bantate ein tteueä Antifreu$peer jufammen-
•*og, ba* mit Anthropologie, ©atäontotogie, ©eotogie u. f. to. bie SRauern
ber ftirepe breepen lootlte. Gr toäptte fiep bie erften eilf Gapitet ber
©eneftö unb geigte in meifterpafter, oft fein farfaftifeper ©otemif, toie im
toaprett ©egriffe ber ©cpöpfung, ber Gntftepung unb Gntmicflung ber
materiellen 2Bett, ber ®enefi$', Art= unb Abftammung^Ginpeit beä SWenfepen*
gefcl)lecpteÄ, ber Waffen* unb ©praepen*Xifferen$ fein toaprer SBiberfpruep
jtüifcpen Dtaturioiffenfcpaft unb ©tauben oorfomnten fönne. 1865 erfepien
biefer GpfluS als „Xie Anfänge ber s JJtenfepentoett" im Xrutf.
G3 toar fein fester gaftencpfluä. Am 5. guti 1863 traf ipn auf einem
Auffluge ptöfcticp eine Augenent^ünbung, bie $u oottftänbiger Grbtinbung füprte.
Xod) gan$ bliitb, fepoit tauge faft ganj taub, 76 gapre att, oon ©iept unb
Sd)mcr$en oerfriimmt, ein fteter ©efangener feinet 3immerä, tebte ber
geifte^getoattige, toiIIen£ftarfc ©rei3 anep jefct itoep ein Sebcn ber erftauntiepften
Arbeit. Gr erfanb fiep eine .ßufammenfteüung fltoeier fiineale, jtoifepen benen
er mit ©teiftift fd^rcibcn foitnte. Gbte grauen napnten fidp be£ atteinftepenben
©reifet an: bie gräutein Xfepiba, befonberä aber Antonie $önig beforgten
feine teibtiepe ©flege; gräutein Suife SBeintritt unb namenttiep Anna oon
.ftoffinger toaren feine fepriftfteflerifcpen ©epitfinnen; teptere ternte fogar
eigene pebräifep. ©ie tafen ipm oor. ©ie entzifferten feine Stoti^en, feptugen
ipm bie SSerfe ttad), fdjrieben feine Xictate unb beforgten bie 9teinfcprift ber
TOanufcripte, Xrurf unb Gorrectur.
So entftanb bie Aufgabe ber Gpflen: „Xie Anfänge ber SRenfcpen*
toett" unb „©roppe^ie unb ©taube". Au3 ettoa punbert itoep ungebrudten
©rebigteit toäptte er 37 au£, toetepe bie ©onntagSperifopen oom Aboettt bi£
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Slbolf gnneriofler.
©fingften beljanbelten, uitb bie« warb ber jweite 2f)eil ber „Homiletifdjen
Slbrentefe" 1866, beren erften er bereit« 1841 Deröffentlicfet batte. Unter
{einen papieren fanben fi<b auch Diele Entwürfe Don ^Betrachtungen über ben
118. ©falm »Beati immaculati in via«; fie Waren für ©jercitten entftanben,
unb nun orbnete, ooKenbete, „corrigierte unb caftigierte" er fie unb gab fie
1866 in 2)rud: „SJtebitationen über ben 118. fßfalm". — 2)och begann
er fogar auch Steue« ju fcbreiben. Sange fdjon batte er geplant, womöglich
bie ganje fßoefie unb ©efühl«tiefe unb ftimmung«DoUe SCrt ber ©falmen auch
in« 25eutfdje ju übertragen, b. b- nicht nur bie ©ebanfen !lar wieberjugeben,
fonbern auch bie Sieber wirtlich umjubidjten, bem bichterifdjen «Schwung unb
ber rhbthmifchen gorm be« Original« entfprechenb. @r fchieb fünfzig ber
Sieber, bie nur altteftamentlichem ©ebanfentreife entfprachen unb ooit ben
Steueren jwar oerftanben, aber nicht recht nachgefühlt werben fönnen, au«,
oon ben anberen aber entftanb eine meifterbafte Umbicbtung, ba« ©rbauung«*
buch „Hunbert fßfalmen", gebrudt 1868. ©ine 3)ame liefe ifen bitten, boch
fein „5)enfbüchlein Dom Seiben ©ferifti“/ ba« er 1823 gefdjrieben, neu auf*
julegen, boch oerfaf«te er lieber ein ganj neue«, nicht blofe Dom affetifcf)*
mpftifcpen, fonbern mehr fpeculatiDen «Stanbpunfte au« getriebene«; e« ift ber
1868 gebrudte „Seiben«weg be« fjerrn. SedjSunboierjig ^Betrachtungen für alle
Sage ber gaftenjeit". Sluch noch oielfach ärjtlich thätig, begann er fogar ein
■panbbucb ber Homöopathie ju biederen, muf«te e« jeboefj 1871 wieber auf*
geben. Slber jwei anbere wertooHe grüchte feine« ©enie« reifte bie bittere
Seiben«mufee. ©r wollte auch i e ßt noch bie gbeenbewegungen ber 3eit über*
fdjauen; barum oerfchaffte er fidj j. ©. Ulrici’« „®ott unb Statur",
Hamerling'« „9lha«oer", Hartmann’« „Ißhilofophie be« Unbewuf«ten" nnb
bie ©rjeugniffe be« ®arwini«mu«. gn einfamen «Stunben, namentlich fchlaf*
lofer Stächte, jogen hunbert prächtige ©ebanfen burch feinen Stopf; rafdj
würben fie in ffierfe, in ©rjählungen, in Dialoge gefaf«t unb notiert,
fpäter georbnet unb rebigiert, unb fo erfdjien 1871 ber erfte, 1873
ber jweite ©anb eine« SBerfe«, ba« er bem gnhalte gemäfe nach einem
glänjenb grüne aber ftadjlige Slätter tragenben, eine fehr bittere aber fehr
heilfame Slrjnei gewährenben Strauche (Hex aquifolium) „Stechpalmen"
benannte. $ie ©rjäljlungen, StooeHen, Sluffäfce, ©ebichte geifeeln mit töftlichem
Sarta«mu« im erften Übeile befonber« ben nihiliftifchem ©effimi«mu«, j. ©.
in ben „Stenograpbifdjen ©eridjten au« bem ggnorantenoereine", im jweiten
bie üefcenbenj* unb ©itbefoibentbeorie, befonber« im ©ebichte: „©in SReeting
bei ben Slntfjropoiben." — ©an} fo war auch bie jweite ©abe feiner
Seiben«mufee entftanben, nächtliche, in ©erfen fixierte ©ebanfen, beren Sammlung,
ba fie im Sßinter feine« Seben« aufgegangen, er nach ber Pirola rotundifolia
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$r. QotyanneS Emmanuel Seitt).
487
„Sintergrün" taufte unb 1875 bruefen liefe. Überhaupt ift e3 auffatlenb,
mie Seitfj gerabe im ^öcfefteit 2ttter faft ganz ber Sßoefie fidj mibmete. 5Wur
1872 bi3 1873 gieng er noch an eine aitbere Slrbeit. @r fudfjte „ben
ibeeüen 9Jeju3 jmifc^en ben Goangelien nnb ben ©piftetn be3 ®irchenjahre$
burchzuführen" unb, mie er in ber |>omilienfammlung, im ^omilienfranje, in
ber homitetifchen Ä^rentefe bie ©paugetien erflärt hatte, nun auch bie ©pifteln
bem gläubigen Sotfe ju erfefetiefeen unb fo bie innere ©infyeit Pon ®ogma
unb ©tho3, ©taube unb Sitte, Gtjriftentfjum unb Humanität aufzuzeigen;
bem Serfe gab er ben Xitel „Difaiofpne", ma3 im neuen Xeftamente
fRecfet unb Sitte unb beren Duette bezeichnet, „alfo ben ganzen 3nt)att bet
©Pangetien unbSriefe beeft". 1874 mürbe bie$ tepte fird^licfee SEBerf Seith’3
gebrueft. — Sonft zog e3 ihn mieber zur $oefie. ®r biefetete bie tateinifefeen
£>qmnen unb Sequenzen ber firefefiefeen Ritualien in3 Xeutfcfec um, meit fie
ihm a(3 ba3 fdjöne, äft^etifefee fiteib „reiner Drthobojie" erfcfjienen. Xie
ganze Sammlung ueröffenttiefete er bann 1875 at3 ©ebet* unb ©rbauungS*
buch fü* ©ebitbete unb gab ihm ben tieffinnigen Xitel au3 bem $ebräer=
briefe: „©hriftu3 geftern, feeute, emig." — Unb enbtich gieng er noch au
ein fchöneS, grofeangetegteS poetifcheS Serf: ba3 Such Sofeetetfe (ber Sei3*
heit) unb ba3 £ohe Sieb mit ber ganzen ©ebantentiefe, garbengtntf) unb
Stimmung be3 ^ebräifchen in3 Xeutfche umzubichten. ©r moltte „ba3 fett 5
fame, beinahe ^umoriftifche Such Salomos (ftohetetf}) in Serien illuftrieren".
®ie Strophen SatomoS rnerben mortgetreu überfefct, benfetben aber ftet3
oerfificierte, burch Permanbte, fetbft neuefte ©rtebniffe ittuftrierte ©rtäuterungen
oorauägefchieft; ba3 ©anze fchüefet bann mit einer Perforierten Saraphrafe
be3 fatomonifdhen Suchet. Xer Umbichtnug be3 $ohen Siebet fehieft er z« s
nädhft ein Sormort ooran, in bem er auch erttärt, er fetbft h<*to bie Sieber 5
famnttung für eine Serherrtichuug ber Pom Schöpfer georbneten fitttichen,
burch bie monogame, treue ©he getätigten Siebe; ba3 ©anze theilt er bann
in 15 ©efangftücfe ab, überfept fie mörtlich, gibt jebem eine ©rftäruug in
Srofa bei unb Perfucht z uin ©chlnffe eine tprifch 5 bramatifche 9tachbichtung
unb Santphrafe be3 ©anzen; hoch tarn er nur bi3 ©. 13 unb 15: e3
maren bie testen Sorte, bie er überhaupt fchrieb; — ba3 Serf fam erft
nach feinem lobe 1878 unPoltenbet unb uncorrigiert unb beSfmlb noch mit
mancher bunften Stelle behaftet in IBrucf: „SJofjetet unb $ohe3tieb."
„2lnt 3iele" hi c ft cn bie tepten Sorte, bie er in jenem Serie, noch
am SobeStage felber fchrieb; 89 3oh« h<*tte er getebt, Unzähliges gefchaffen,
noch mährenb ber testen breizehn 3ah r e zmötf Sänbe Peröffentticht. 2113 er
1872 feine Secunbiz feierte, mürbe er ©hrenbürger SiettS unb erhielt ba3
Gomthurfreuz be3 Sranz 3ofef3*Drben3, fpäter auch bie gotbene Satpator-
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griebridj ©aftelle. — 9Ibenb.
mebaiUe. 'Eocf) fehlte e« auch nicht an öeuten, bie, feine 0rtf)obo£te bejtoeifelnb
ihn fogar be« Sinöerftänbniffe« mit ben ttlttathotifen jieljen. Slber Ih°tfache
ift, baf« er oft ben 3tu«fpruch that: „93cm benen, welche ber SRuttergotte«
nicht bie Ehre geben, will ich nicht« miffen." Unb al« er feinen lob
nahen fühlte, oertangte ber greife ©anonicu« fetbft nach bem fßriefter,
beichtete, communicierte unb erhielt auf feine Sitten bie lefcte Ölung. 9lm
6 . SRoöember 1876 früh 8 Uhr ftarb er. ©atbinal ©chtoarjenberg hotte
eigen« für ihn, ©iinther unb ©reif eine ©ruft bauen laffen im äRafcteinä-
borfer griebhof. 53ort ruht er bei beiben greunben. ©in weifte« äRarmor»
Ireuj erhebt fich bariiber, auf beffen ©ocfel fteljt: „@inig im Seben, ©in«
im Xobe ruhen hier in ©ott: 9lnton ©ünther, fiaurenj ©reif, goftann 6m.
Seith." 91 n ber SBiener Unioerfität prangt 93eitfj’« 9tame in ben golbenen
Ehrentafeln breier gacultäten: ber SKebicin, ber Sh'f°f°Ph> e unb ber Iljeologie.
Hbetid.
Pun Jrifbrirfi Caftelle.
» djoit toirb cs bunfel im (Sefjeg,
Hur ^lebcrmäufe fjufdjeit fcbeu
lüic Hacbtgebanfen Überweg,
Die ffäubig Pommcti, alt mtb neu.
| ^fern ballt itodj eines Höffes £juf:
I Der (Eag trabt ftill iit’s £anb hinaus.
I Hings folgen feinem ^erreitrnf
Die £eiben all oon frans ju frans.
Unb fyinterbrein fdjleict>t fd?eu bie Hadjt
Unb fdjlägt ber IDelt ben OTaittel um —
Kaum, bafs am gann ein Ulunb itorf? Iacbt,
Dann ftetjt bas £ebeu ftarr unb (tumm.
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Die heilige Poesie der Hebräer.
»on J9rof. ®r. P. Hitoarb SriiJögl.
m.*)
$ie ©brüdje ©ileam* (9ium. 23 u. 24).
1. Sjmufj (©um. 23, 7-10).
7. AuS Aram ^olt ©alaf mich h er » ©toabS ftönig auS fernem Often:
„©Sohlan, uerroünfche mir $afob, roohlan, bo<h Ifrael fluche!"
8. „©Sie fchmäh’ ich, roemt ©ott nicht roie perroünfch’ich, roenn^ah nicht per*
fchmäbt, roünfdjt?"
9. „$ch feh T e$ non felfiger §öh*, non ben kugeln auS fchaue ich eS:
'©ieh\ ein ©olf, baS gefonbert roohnt, baS nicht ju ben Golfern jählt!
10. ©Ser miffet QafobS ©taub, roer j&hlt nur IfraelS ©iertheil?"
„$er ©erethten lob fei mein Enbe, möge ich fterben, roie fie!"
2. Bpnittl (23, 18—24).
18. „Auf benn, ©alaf, fyöttl ©ernimm mich, beS ©ippor ©ohn!
19. ©ott ift fein ©tenfch, ba|’S er löge, fein ©tenfchenfinb, bafS ihn gereute!
Er foH nicht tbun, nmS er fagt? ©idjt halten, roaS er uerfprochen?
20. ©iehe, ©egen hab’ idj empfangen: fegnet er, fann ich eS änbern?
21. 9tid)t$ 3 a lfd)e$ bemerft er an 3 ft fob, an Ifrael fieht er nichts ©djnöbeS
Qahroe, fein ©ott, ift mit ihm unb ftönigSjubel bei ihm.
22. AuS Ägypten hat ©ott eS geführt, bem ©üffel gleich ift eS unnahbar.
23. Glicht gibt eS in Sfafob 3 ftll ^ r » nicht Orafel in IfraelS ©litte.
3ur 3eit roirb 3afob gefagt unb Ifrael, roaS ©otteS ©athfchlufS.
24. ©ieh\ ein SBolf, baS ber ßöroin gleich baS fich erhebt roie ein fieu;
auffteht,
©id)t legt eS fleh, bis eS ben ©aub jehrt, bis eS trinft ber ©rfchlagenen ©lut"
3. Spriufj (24, 3-9).
3. ©ileam, ©eorS ©obn, fpricht, ber ©lann mit offenem Auge,
4. 2)er ©otteS ©Sorte pernommen, ber beS $ö<hften ©Siffen roeifj,
3)eS Allmächtigen ©chauen fdjaut, gebeugt unb enthüllten AugeS:
f>. „©Sie fchön, 3fafob, finb $eine 3 e ltef Ifrael, Steine ©ehaufung!
6. ©Sie breite ©Siefenthäler, roie ©ärten, am ©trome gepflanzt;
©Sie Aloe, non Qahroe gepflegt, roie ©ebern an ©Safferbächen!"
*) $et ®oc«I ber betonten Silbe ift fteta in Antiqua gebrueft.
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490
9tioarb ©d)lögl.
7. „Au8 feinen Eimern rinnt Söaffer, feine ©aaten finb reiflich beroäjfert.
Über Agag*) fleht § 06 ) fein König, feine ^errfdjaft roirb mächtig fidjjeigen.
8. Au$ Ägypten h^t ©ott e8 geführt, bem Büffel gleich ift unnahbar!
©3 uerjehrt bie brängenben Sölter unb ihre ©ebeine zermalmt e$.
9. §ingeftrecft liegt’3 roie ein £öroe, einer Söroin gleich: roer mag e$ reifen?'*
„©efegnet fei, roer 2)ich fegnet, oerflucht aber, roer $)ir flucht!"
4. $prudi (24, 15—24).
15. Bileam, SBeorS ©ohn, fpricht, ber 3Jtann mit offenem Auge,
16. $)er ©otte§ SBorte oentommen, ber be$ Jpöchften 2Biffen roei&,
2)e§ Allmächtigen ©djauen fchaut, gebeugt unb enthüllten AugeS:
17. „3ch fehe ihn, bo<h noch nicht jefct, ich fchaue ihn, aber nicht nahe!
Aufgeht ein ©tern au3 3afob, au$ Ifrael fommt ein §errfcher,
$er üttoabS ©chläfen jerfchlägt unb ben ©cheitel ber ©ohne AmmonS.
18. Unb Ebom roirb fein SBefifc, feine Jeinbe fchlägt Ifrael mit üütocht.
£>erabfteigt ein Iperrfcber au4 3 a ^b, oernichtenb, roa£ flüchtet au4 ©eir.
20. Amalef, Erftling ber SBölfer, $>eiit 2e&te$ ift nur 33erberben.
21. Kain,**) ift auch feft $>ein 2Bobnftfc, auf pfeifen gebaut $ein fRejt:
28. $)ein Untergang bleibet nicht and: Affurä öift roirb $ich fangen.
23 3Beh e bem, ber ba lebt, wenn bieS 24. ®och fommen non ©riechenlanb ©chiffe,
roahr roirb!
Affur $u beugen fammt lieber***); auch AffurS Enb’ ift 93erberben!"
$falm: 56. (55.)+)
1. $tr0pf|e.
2. ©ci mir gnäbig, 3 a hwe, ja gnäbig! ©tetd fchnappeu bie geinbe nach
mir!
3a, ftetd bebrängen fie mich; benn heftig befämpfen mich uiele.
6. ©tetö fchäbigen fie meine ©ad;e, roiber mich ift all ihr ©innen.
2 . £frupl|c.
7. ÜJteiner 3erfe lauern ft* auf, meinem Seben ftellen fie nach-
8. Qhreu 3rrenel jahf ihnen h ß iw, im ©rimme ftürje bie frechen!
9. 3Jteine fchlafloien Mächte tennft $>u; fiel)’ gnäbig auf meine Xfjränen!
8. £tropfir.
10. Reichen jurücf, meine 3einbe, fo roeifj ich, bafd 3ahroe mein ift.
(4.) Immerbar ruf ich ju I>ir, 11. (5a) in $>ir, 3ah’, behaupt’ ich wein
9techt.
12. (5b) Auf 3 a hwe nertrau ich, nicht 3 a h ift wein, (5c) roa$ fchabet mir
5 a 3 «h. Sleifch?
*) ift ber S i tel bet 2lmalc!iterföni0c; oet0l. ©obetfin, $ic ®d)tbeibber ©Ueomfpuicbe,©. 37.
**) —fteniter, Sroeio ber oon 9lbral)am obflommenben Hmolclitrr. ®cr bebräifdje lejt aei0t ein fcfiöne*
ffiortfpiel: Q6n—Äeniter, unb q£u—tfieft. — *♦*) Hffur unb Sber = Cft- unb ©eftfemiten; öergl.
ffioberfin, l. c., ©. 46; Rommel, Äuffd&e, ®. 273 ff. — +) $ul)m, ^folmen. $er $folm ftaramt
nadj ber $ebtäifd>en Überfdjrift non $aoib, al« ipn bie ^ilifter ju @atlj eroriffen (l ©am. 21, 11 ff.).
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$ie heilige $oefte ber Hebräer.
491
4. $fT0pllt\
13. ÜJlir obliegen, 3ahroe, ©elübbe, Sobopfer ruiU ich £)ir bringen,
14. $)er oom Sobe befreit meine Seele, benmtjrt meinen Jufe oor bem Anftofe,
9Iuf baf$ oor 3 a h lüC i<h roanble getroft im Sichte be$ SebenS.
$falm 59 (58).*)
1. $fT0pf|£.
2. ©ntreifee mich, 3ah, meinen fdjüfee mich oor meinen Drängern;
^einben,
3. ©ntreife* mich ben Übeltätern, roiber 93Iuthunbe fc^affe mir ftilfel
4. $>enn e$ trauten nach meinem Seben, e§ rotten fich freche gen mich.
1. ®ogonffrapf|o,
5. O^ne ©runb rüften fie fich: mach’ auf mir entgegen unb fchaue!
6. $a, $)n, 3ahroe ber §eere, Ifrael$©ott, mache auf,
Speimjufuchen bie frechen; fchone ber Sreulofen nicht!
1. ÜUfjrfoors.
7. Sie fommen beS AbenbS unb heulen, roie Jpunbe burchftreifenb bie Stabt!
(Epofre.
8. 2öie mit bem ÜJlunbe fie geifern! SBie fie fchmähen mit ihren Sippen!
Sagen fie hoch: „aßer hört e§?" unb: „Ob 3 a fob$ ©ott eSbemerft?"
9. $>och $u, 3ah, lacheft ihrer, £>u fpotteft all* ber Stollen.
2. Eefirfoor«,
10. alteine Starte, $>ich miU ich befingen, benn $)u, 3ahroe, bift meine 93urg.
2. &tvopfiz.
11. allein ©ott tommt mir gnäbig juoor, befiegen läfSt 3ah mich bie fteinbe.
12. Qahme, tobte fie itidjt, bamit e§ mein 93olf nicht oergeffe;
ailache fie flüchtig unb unfteit, Qahroe, mein Iperr, gib fte preiS!
2. ®egenfhr0pt|r.
13. Sünb 7 ift ba$ 5öort ihrer Sippen: 3fang’ fie in ihrem frochmuth.
Unb ihreg aileineibS roegen 14. Xilg’ ihren Srreoel im ©rimme,
aiuf bafs man in aller aSelt roiffe, $afS 3 a hn>e in 3 ft tob tjerrfcht.
1. ßefirfoor*.
15. Sie fommen beS AbenbS unb heulen, mie £mnbe burchftreifenb bie Stabt.
16. Sie fchmeifen umher nach 3?rafe unb fnurren, nicht fatt getoorben,
17. QnbeS $)eine allacht ich befinge unb Seine ©naöe bejuble;
Senn Su bift mir eine 93urg, eine 3 u flucht am Sage ber s Jloth-
*) *Radj ber Ijebrdifdjen Üluffdjrift non Xaoib oerfaftt, old Saul fein $aud oon $äfd)ern umftellen
lieg (l. Sam. 19, ll).
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492
SRitmrb ©cblögl.
2, fiefyrtocrs»
18. ÜJteine ©tärfe, 2)icb roiU idj befingen, beim $>u, Sa^roe, bift meine 93urg.
$er flfalm Watyum« (9tob 1).*)
1. $fr0plje.
2. (Sin eifember, räcbenber ©ott unb gewaltig im Qotnt ift 3 a broe.
3 c. ©ein 2öeg ift in ©türm unb SBetter, eine 2Bolfe ber ©taub feiner ^üge.
4. (Sr fdplt ba3 ÜJteer, baf§ e$ troefnet, unb ©tröme macht er uerfiegen.
ÄterfjfrlflfaJpfje.
4 c. SBafan unb Äarmel febmaebten, be§ Libanon 93lüte oerroellt.
5. $ie 33evge erbeben nor ihm, uor ihm erbittern bie £>ügel.
SBor feinem 93licf bebt bie Erbe, ber ErbfreiS unb feine *8eroobner.
( 6. Söeruermag feinen ©rimmju ertragen, roer ju trofeen feinem 3°*ne?
\ $em fjeuer gleichet fein 3°nt, nor ihm jerberften bie 3 e lf en -
) 7. 2Ber nertraut, bem ift 3 a b ro e gut, eine 3uflud)t am $age ber 9Rotb-
\ SOBerjuibrnfliebt, benfennetQabme, 8a. ber SBafferflut macht er ein Enbe.
( 9b. ©einen©egnern matter ben ©arauS 8b. 2)unfel nerfolgt feine Sreinbe.
\ 9c. 9Hcbt$roeimalfirafterbie©egner,10a. fte roerben roie Bornen oer$ebrt.
/ 9a. 2BaS (innen fie roiber 3 a broe? ©ie nergeb’n boeb roie bürre ©toppein.
\12. ©ie verrinnen roie grope ©eroäffer 3$ ftrafe fie einmal für immer.
J ..*>
(13. 3a jerbreeben roiU icb ibt 3oeb, ihre Sfeffeln roiH icb jerreifeen.
2. pfropf] C.
14. ©efcbloffen b<*t 3 a b über fie:
EbrloS foU fein ibr ©rab,
. *)
SBergeffen fei’n fie auf immer!
©dpiifebilb unb ©ufSbilb oertilg’ icb.
2. <j§£g?nffr0pl|?.
15a. Über*« ©ebirg jiebt ber 33ote, b.fiebe, er fünbet ben ^rieben!
d. 3«nifalem, jabl bein ©elübbe, c. 3«ba, begeh’ beine 3fefte,
e. S)enn nie mehr fommt er über 2)icb, f. nein, babin ift Belial, — nemiebtet!
Xet 60. (69.) fPfalin.***)
1. Sfroplji?.
3 3 a b, $U b»ft un« oerftofjen, gebrochen, gejürnei: roenbe bie fiage!
4. §aft erfebüttert baSßanb, e§ gefpalten: b e ^' feine Brüche; «4 roanft!
*) 9ladf Qappel, %)n $falm 9?abum, in feiner urfprünglidjen ©eftalt überfegt.
*♦) 3Me einzelnen $ erteilen beginnen int fcebrfiifdjen ber bleibe nad) mit ben ©ud>ftaben b*3
Älgljabet«; ber 16. unb 18. Ser* finb bei ber Überarbeitung ausgefallen.
*♦*) „$em Sorfteber über (bie ©ängerabtbeilung) Susän-edlth, ein 8ieb bon $abib jum ffinftubieren:
(gebietet) als er bie Hram&er nor ©etfcSRebot unb bie Äramder bor @oba befriegte, unb (al*) Qfob jurürf
febrte unb Gfbom in G£-melaeh fdflug, 18.000 Wann." ($ebräifd)e Überfdjrift.) ®ergl. 2 @am. 8, 3 ff;
10, 6; 1 $aral. 18, 12.
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Xie ^eilige $Joefie ber Hebräer.
493
1. <&£g?nffr0pf|£.
5. Xu lie&eft un3 93itt’reS nerfoften,
6. deinen Jürcbtigcrn gabft Xu ein 3eicben f
7. Um Xeine Sieben $u retten,
8. 3 a bme, ber ^eilige, fprad),
„Jroblodenb nertbeile ich ©icbem,
9. ÜJtein ift ©ileab unb ÜJianaffe
3uba ift fterrfeberftab mir,
2luf Ebom fefe’ ich ben jjufi,
11. ©er geleitet un3 nach 3Jloffar,
12. stiebt Xu, 3übr ber un3 uerftofeen,
mit laumeltnein trfinfteft Xu un3.
ficb nor bem Söogen ju flüchten.
hilf’ unb erböre un3!
gerebet büt Qabroe ber £>eere:
meffe an« baS Xb ft l tmn ©uffotb;
unb Ephraim ©ehr meines ftaupteS.
10. aber 'IRoab bininieber mein ©afebtopf.
auf’S ^3^Uifterlanb auch, ibm nerbünbet.
roer führt un3 in Ebom’3 ftauptftabt?
ber nicht au3jog mit unferen §eeren?
Ä>erf|rrlJU‘0plie.
2. Strupfje.
2. (öepenjlroplir.
13. §ilf uu3 nor bem iöebränger, benn ber 2Jleufcben fcilfe ift eitel!
3n Qab uollbringen mir ©rofeeS, vertreten mirb er unf're Xräuger.
SprüdK 2. — Siieb, pretfenb bie Sort^ile be$ ©efifced ber ^Bei^eit.
1. $fr0pl|e.
1. 9timmft Xu an, mein ©obu, meine unb bebÄltft Xu meine (Gebote,
sieben
2. Qnbem Xu ber ©ei3beit laufebeft, Xein $ers ber Eiujicbt rueibft;
3. Qa, wenn Xu ber flugbeit rufft, Xeine ©timme jur Einficbt erbebft;
4. ©enn Xu fie wie ©ilber fuebft, wie nach ©d)ä{jen nach ihr forfebeft:
1. ®£geiiffr0pf|c.
5. ©ivft Xu einfeb’n bie 3urcbt nor unb ©rfenntniS ©otte3 erlangen;
3abme
6. Xenn 3 a bme nerleibet ©ei3b«it, non ihm fommt ©rfenntniS unb
Einficbt,
7. ©abreS ©lüd but er für bie ©erabeit, Unftrftflicben ift er ein ©ebilb,
8. ^öebütenb bie ©ege be3 9t e cb t e 3, ben ©anbei ber frommen bewadjenb: —
1. <Ep0fre.
9. ©irft Xu einfeb’n Dtecbtlicbf eit, ©erabbeit, bie $fabe be3 ©uten;
Utecht,
10. Xenn ©ei3beit fommt in Xein unb©rfenntniS erquidtXeine©eele;
fcerj
11. Überlegung wirb Xicb behüten, beil’ge Einficbt wirb Xicb bewahren:
2. $fr0pl|e.
12. Xicb rettenb nom ©ege b e 3 nor Seuten, bie ©cblecbteS reben;
$öfen,
13. Xie nom $fab ber ©erabbeit abjiebn, baf3 man gebe auf finfteren ©egen;
14. Xie ftcb freuen, SBöfeS ju tbun, ficb ber Ärgften ©cblecbtig feit rühmen;
15. Xie ba frumm machen ihre *Bfabe unb irre geb’n auf ihren Bahnen:
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494
Dtiuarb ©chlögl.
2. (f}cpenITrupl|r.
16. $>ich rettenb uor frembem 2Beibe, uor ben glatten Dieben ber *vremben;
17. «Die ben 3reunb ihrer Qugenb uerläfSt, ibreS ©otteSbunbS uergeffenb;
1Ö. $)enn jum Xobe finlet i^r JpauS, ju ben Schatten führt ihre ©ahn:
19. 2ßer ju ihr gebt, lehret nicht wieber, ju wanbeln bie ^Bfabe beS SebenS
2. (fpufce.
20. $afS $u wanbleft ben 3öeg beS bie^fabe ber Dtecbtlicbleit wabreft;
©uten
21. Xenn bie Dteblicben erben baS Sanb, nur Unfträfliche bürfeu brin wohnen;
22. 2)od) bie ftreuler werben oer tilgt unb bie Xreulofen auSgerottet.
Sprüdje 3. - Üborlieb, fdjilbemb beit betrügen Sfotm berer, bie bet ÜBeiftbeit anlwugcn.
1. 9frnpf|e.
1. SBergifS nicht,o ©o bn,meiner5ßeifung, $)ein Sperj bewahr’ mein ©ebot;
2. $emt lange Xage unb 3 ft b*e, 8eben unb 5öobl|ein bringt bie$.
3. DUcht uerlaffen $ich Siebe unb Xreue, brum binbe fie um deinen JpalS:
4. ©o gewinnft 2)u ©unft unb Anfeb’n uor ©ott, fowie anch Dor SWenfcben.
5 Vertraue nur ganj auf Qabwe, deiner eigenen Einftcht mißtraue.
6. $In ib« benf auf all’ deinen fo wirber2)eine s 5fabe ebnen.
Söegen,
1. (SegenJJrpplje.
7. ©ei nicht weife in deinen Augen, fürchte $abwe unb meibe baS 53öfe:
8. ©o wirb Joeilung jutbeil deinem unb deinen ©ebeinen ©rquicfung.
gieifche
9. ©b** ^abwe uon feiner J£>abe, uom heften all deiner Ernte:
10. ©o wirb reichlich $ein ©peicher ftd) überftrömen uon DJloft $eine Leiter.
füllen,
11. $ie 3 uc bl 3 abweS uerichmÄb’ nicht, feiner Diügen lafS nicht 2)ich uerbriefjen;
mein ©obn,
12. J)enn, wen er liebt, ben ftraft er, wem er moljl will, bem fchicft
er Seib.
IDwfirclfhrpplie.
13. ©leidlich, wer 3BeiSbeit erlangt h^t, ber ÜJtenfch, ber Einficbt erreicht ;
14. 3b* *8efifc if* beffer als ©über unb beffer als ©olb ihr ©rwerb.
15. Korallen finb nicht fo foftbar, lein ftleinob wieget fie auf.
16. 3b*e Rechte beut lange $age, ihre Sinfe Dleichtbum unb Ehre.
17. 3b* e Söege ftnb liebliche DSege, unb all ihre $fabe finb S?riebe.
18. 2Ber fie bat, bem ift SebenSbaum fie, wie uon 3 a bn)e geftüfct ift, wen fie ftüfct.
19. $urch DBeiSbeit fdjuf Qabwe bie Erbe, fteüte feft ben ftimntel burch Einficht;
20. Qab’S ©rlenntniS tbeilte bie fluten, macht triefen bie 5Bollen uon £b ftU -
2. $trupl|t.
21. Verlier fie nicht, mein ©obn, aus ben Überlegung unb aöifien bewahre:
Augen
22. ©o finb deiner ©eele fie Seben unb Anmutb deinem fcalfe.
23. 2)ann wirft ruhig $u wanbeln, £)ein 3ufj wirb lein ftinbemiS finben
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SDie ^eilige ^oefie ber Hebräer.
495
24. ©cbläfft $u, fo brobtSÜr fein ©ebreden; rub’ft $u, fo fdjlummerfV $u füfj.
25. $u tbeilft nicht ben ©ebreefen ber n>enn anbridjt ber greuler 2$erberben.
$b°ren,
*2«. $enn Sabine ift 2)ir ptr ©eite unb beroabrt deinen ftu& oor
ber ©cblinge.
2. törprnjlropfir.
27. SBerfage bem dürftigen nichts, roenn ©ute$ ju tbun bei $)ir ftebt.
28. ©age nid)t deinem 9läd)ften: „ftomm’ unb „üRorgen", ba 2)u boeb b eu t’ fannft.
roieber!"
29. bereite bem 9täcbften nichts iööfeS, roäbrenb er rubig bei $)ir roeilt.
30. §>abte mit niemanbem grunbloS, roenn er $>ir nichts s -8öfeS getban b<*t.
31. $eneib’nicht ben 9Rann ber ©eroalttbat, unb erroäbfe nicht feine 2Bege.
32. $)enn ein ©reuet für Sab ift, roer boeb mit geblichen ift er per*
abirrt f t r a u l i cb.
$prud|.
33. S^b^ eJliicb ift im £aufe be$ boeb ber geblieben SBobnung er fegnet.
greolerS,
34. SBenn eS ©pöttern gilt, fpottet auch er, boeb ben 2)emütb’gen gibt er bie ©nabe.
35. $en 9Beifen roirb Ehre jutbeil, bo<h bie $b°ren erben nur ©cbtnacb.
Sprüche 4. — Cfborlieb, ent&alteitb bic Warnung bed ©ater« $um Streben nad) ©eiSüeit.
1. fctrupljr.
1. ©öbne, höret bie 3 uc bt beS mertt auf, um Einficbt ju lernen;
SBaterS,
2. $enn gute 8ebre geroäbr T ich, oerlafSt meine SBeifungen nicht.
3. 2)enn, als ©obn ich roarb meinem meiner SJlutter einziges $inb,
$ater,
4. 5>a lehrt’ er mich, alfo fprecbenb: „$)ein S>erj ^alte feft meine $Bovte;
SBeroabr’mein ©ebot, bafS £)u 7.2broie ben ©tern ^Deines AugS
lebeft, meine JBeifung.
1. <©*0*njfr0pf|e.
5. ©rroirb SBeiSbeit unb Einficbt, ner* unb roeicb’ nicht non meinen
giiS nicht, IReben.
6. 93erlafS fie nicht, fie roirb 2)icb hüten, £ieb’ fie, fte roirb $)icb beroabren.
7. ©rfte SöeiSbeit ift: brachte nach um allen 93efifc erroirb Einficbt.
3BeiSbeit,
8. §alt’ fie hoch, fo erhöbet fie 2)i<h, umarm’ fie, fie bringt 2)i<h ju Ehren.
9. SiebUcb belrftnjt fie $ein §aupt unb fchmüdt $>kb mit herrlicher $rone.
Ä>rdifrl|Trupl|^
10. £>öre, ©obn, auf meine fReben, fo roerben uiel deiner 3 a bre.
11. $er SßeiSbeit 2Beg roeif’ ich $ir, lafS 2)icb roanbeln ben $fab ber
©erabbeit.
12. 2Benn 5)u gebft, roirb $>ein ©ebritt roenn $)u läufft, fo roiilft $)u nicht
nicht beengt, ftraucheln.
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SRioarb ©chlögl.
13. §alt’ feft an ber 3 u <ht, lafS nicht loS, beroahre fte, fie ift Stein Seben.
14. betrittnicht ben $fab ber ftreoler, fdjreite nicht auf bemSöege ber 93öfen.
15. SBerfchmäh’ ihn unb geff nicht auf ihm,
16. Stenn raftloS oerüben ftc SööfeS,
17. Stenn ftc effen baS 93rot ihres JfreoelS
18. fcell leuchtet ber $fab ber Gerechten,
19. S>ocb ber ftreoler 2öeg gleicht bem
Tuntel,
meidf ihm auS unb jieh’ gerab’ weiter,
ruhen nimmer, bis anbre auch ftraucheln.
unb trinfen ben $Sein ber ©eroaltthat.
bem Sichte beS 3RittagS oergleichbar;
fie wiffen nicht, rooran fie ftraucheln.
2. Sfrupfio.
20. 2Rerfe, ©ohn, auf meine SBorte, leihe S)ein Ohr meinen Sieben:
21. Verliere fie nicht auS ben Augen, beroabre fie tief im Jperjen,
22. Stenn roer fte erlangt, hat baS Seben unb Reifung für all fein Sleifch-
23. SBor allem bemache Stein §erj, Senn oon ihm geht auS alles Seben.
24. §alte fern oon Sir fjalfch^eit beS 93erfehrtheit ber Sippen meibe.
ÜRunbeS,
2. <@egettßr0pl|?.
25. Sein Auge bliefe gerab* auS, Seine 3Bimpem richte nach oorne.
26. Ebne bie Q3ahn deines JugeS, beftimmt feien all' Seine 9Bege.
27. Sßeiche nicht rechts noch auch linfS ab, deinen 3 U 6 halt’ ferne uom 93öfen.
Senn bie 3Sege nach rechts, bie boch bie SBege nach littfS fmb oerfehrt.
fennt ©ott,
Er macht gerab’ Seine $faöe unb läfst ®ich in ^rieben roanbeln
Sprühe 5. — (Sfjorlieb, waraenb oor unreiner Siebe unb CSljebrud}.
1. £früpljc.
1. ÜJterfe, © o h n, auf m e i n e 3S e i S* meiner Einfic^t leihe 52>ein Ohr,
heit,
2. SafS Su SBohlflberlegtheit beroahreft unb ©rfenntniS behalte Sein 2Runb;
3. Senn fü& fmb ber Buhlerin Sippen unb glatter benn öl ihr ©aumen.
1. (ßegenftropfir.
4. 3lber hinterher ift fie roie 3Bermut, fcharf mie ein jweifchneibi&
6 <h ro e r t.
5. 3h* 3 U & fteigt jum Sobe hinab, jum ©cheol fteuert ihr ©chritt.
6. SafS fie ja nicht ben SebenSroeg roanble, man ft ihre'-Bahn, unb fte merft’S
nicht.
Wztifitlftvvpfit.
7. SSohlan, meine ©öhne, merft unb meidet nicht oon meinen
auf fReben:
8. t>alte ferne oon ihr deinen 9öeg, nahe nicht bem Sh°* ihres §aufe$,
9. SafS Su nicht hingeb’ft Seine $ugenb, bem ©raufamen, ach, ®eine 3[ahre;
10. SafS nicht Anbre, roaS Sem ift, eS oerjehren in frembem §aufe;
nehmen,
11. UnbS)u hinterher ftöhnen müffeft, wenn barbet Sein ftleifch unb SteinSeib f
12. Unb fagen: 3BaS hafSt' ich bie 3 u <h* «nb oerfebmähte mein §erj alle SRüge?
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$ie ^eilige ©oefie ber Hebräer.
497
13. ©Ba8 h ö *t’ ich nicht auf meine fiehrer unb artete nicht ii^re ©Beifung ?
14. 3aft gerieth ich in« h öc hft c Unglüd inmitten ber ganzen ©emeine.
2« ^trupfjr.
15. Xrinfe ©Baffer au3 eig’ner ©ifterne unb oom Ctuell $>eine$ eigenen
Brunnen«.
16. Soll $etn Oueü benn nach auften ftch auf bie Straften in ©Bafferbachen?
roenben,
17. Xk gehör’ er allein unb nicht Anberen neben Xk ;
18. ©efegnet ift bann $)ein ©orn unb ba$ ©Beib deiner $ugenb bir lieb.
19. $>ie liebliche, anmutige £>inbin — nur mit ihr allein höbe Umgang.
2» (örgrnpropfir.
löb^hve ©ruft beraufche 5J)ich ftetS, non ihrer Sieb’ magft $)u taumeln.
20. ©Boju roillft burch Anb’re Xu taumeln unb umarmen ein frembeS ©Beib?
21. ©ineS ^eben ©Bege fennt 3ahroe, unb er ebnet all feine ©ahnen.
22. 3)en 3rreoler fängt eigener Sfreoel, feiner Sünbe Strid hält ihn feft.
23. 2Begen Mangel an 3 u chtroirb erfterben, bahintaumeln ob feiner Xhor^eit.
Sprüdje 6. — (Sfjorlieb, entbaltenb oerfdjiebene <Dtafmungfu bec SBetöljeit.
1. Btvppfie.
1. $aft gebürgt 2)u, mein ©ohn, 3ür ben Anbern ben £>anbfchlag
deinem ©tächften, gegeben;
2. ©ift oerftridt $u burch $)eine 9teben, gefangen burch $eine ©Borte:
3. So thue, roa£ ich $ir fage, oielleicht fannft Xu 2)ich retten,
mein ©ohn.
5)enn Xu bift in ber Jpanb deines fei nicht läffig, treib* an deinen
©tächften: fjreunb;
4. Unb geroähre nicht ©cftlaf deinen Augen, nod) deinen ©Wimpern ©chlummer.
p. ©fette X ich au3 feiner £>anb, mie ein ©ogel au$ ber be$ QägerS.
1. 1
6. ©eh hoch ptr Ameife, fauler, betrachte fie, fo roirft Xu roeife.
7. ©ie fennet feinen Richter, noch Auffeher, noch auch ©ebieter:
8. 2)och fchafft fte im ©ommer ihr ©rot unb famntelt jur Erntezeit ©peife.
9. ©Bie lang* roillft Xu liegen, 3r a u l c r ? mann auffteh'n non deinem ©chlafe ?
10. ©tod) ein roenig fchlafen unb fchlummern, noch ein roenig bie £>änb' in ben ©choft:
11. Unb e§ fommt roie ein 5)ieb bie Armut unb 5)eine ©toth mie ein ©täuber.
Ä)cdir«lptopl|c.
12. ©in ©tidhtänuft, ein ^eillofer wer falfchen ©JtunbeS einher*
©Jt a n n i ft, geht,
13. ©Ber mit ben Augen jroinfert, mit güften unb Ringern rebet,
14. ©Ber oerfeftrt ift unb ©öfe$ roer jeberjeit ©treit nur ftiftet;
\ finnet,
15. $)rum mirb plöftlich fein Unglüd ihn jermalmen im ©tu ohne ©fettung.
fommen,
16. ©ed)3 $)inge finb, bie 3ah h a f § t, unb fieben finb ihm ein ©reuel:
17. ©tolje Augen, ßügenjungen unb §änbe, mit ©lut befledt;
18. ©in &erj, ba§ fceillofeS finnt, Süfte, bie fchnell finb jum ©öfen,
19. ©in 3euge, ber 5 a l f d) e 8 unb mer 3mietracht fä’t unter ©rübern.
befchroört,
32
Xic Äultur. III. 3afjrß. 6. unb 7. /£>eft. (,1902.)
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498
9tioarb ©d)lögl.
2. ^frupfie.
20. ©ohn, beioahre beS SBaterS ©ebot unb oerioirf nicht ber SDtutter SBeifung.
21. ©inbe fie fietS auf 5)ein §era unb roinbe ftc um deinen §alS.
22. SBenn 5)u gehft, möge fie 1 ) $ich geleiten, wenn 3)u rubft, möge fie 5)ich bemachen,
SSenn $u aufn>a<hft, fpredf fie 3)ich an; 23. benn ©ebot unb SBeifung finb Seudjten;
Unb Sicht unb SBege jum Seben finb ©trafen in 3°rn unb 3 uc ht,
24. SBor bem 9Beibe beS97ächften $)ich oor ber glatten 3 u *ige ber Sremben
fchüfcenb,
25. 33egehre nicht nach ihrer ©chönheit, noch fang* fie ®ich mit ihren Augen;
26. $enn gibft $)u für eine SDtefce afle§ bahin bis aufs 93rot:
5£)aSfrenvbe2Beib — geh ft 3)u erjaget baS (oft bare Seben.
ju ihm
2. (kegonpfrupfie.
27. Kannft 2)u Sfeuer holen im 93ufen, ohne bafS 3)eine Kleiber oerbrennen?
28. Ober gehn auf glühenben Kohlen, ohne bafS $)eine fjüße eS büßen?
29. ©o geht’S mit beS 97ächften Söeibe: roer eS anrührt, bleibet nicht ftrafloS.
30. $)en $)ieb oerachtet man nicht, ber ba ftiehlt, um ben junger ju ftillen;
31. ©tiehlt er fonft, fo fann er’S erjtatten, unb gibt er auch h in fei« 93ennögen.
32. 5)och ein $h or r mer ein Eh’roeib ©r richtet fich felbft jugrunbe.
oerführt,
33. ©chläge unb ©chanbe geroinnt er, unb feine ©darnach mirb nie enben.
34. 3)enn beS OJtanneS Eiferfucht brennt, nicht fchont er am Xage ber Drache.
35. 9Hd)t nimmt er 3t üd ficht auf nicht nimmt er, roaS immer
© ü h n e, b i e t e ft.
Sprüche 7. — (iborlieb: ©atnuiig bot Unjittfit.
1. Strupft*.
1. ünein ©obn, beroahr* meine unb behalte meine ©ebote.
3teben
2. ^Beroahr’ mein ©ebot, bafS $u lebeft, mie ben ©tem deines Aug’S meine
SSeifung.
3. 33inbe fie auf $>eine 3 in 9 er » fchreibe fie in 2)ein £)er&.
4. ©prichjurSöeiSheit: „meine©chmefter" unb heiße bie Einficht „Vertraute";
5. ©ie beroahr’ $>ich oor f rem bem oor ben glatten 3t eben ber grremben
29 e i b e,
1. ®OgOltpT0pf|O.
6. $)enn im genfter meines £>aufeS burchS ©itter fchaut’ ich hinauS;
7. £)a fah ich einfältige Seute, bemertt’ einen thörichten Jüngling.
8. 5)er gieng um bie Ede ber ©traße in ber Stiftung $u ihrem §aufe,
9. 3ar $)ämm’rung, am Abenb beS XageS, in finfterer 9tacht unb im Tuntel.
10. ©ieb\ ba lommt ihm ein 2öeib in fcurentracht, tücfifchen $er$enS.
entgegen
•) Sie ©eiSbfit.
X
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$)ie ^eilige ©oefie ber Hebräer.
499
11. Qm £>au3 ift fic ftürmifd), unbänbig,
12. ©alb braufeen, balb auf ben ©läfeen
13. Sie b»t ib n erreicht unb getüfSt
14. „freilSopfer lagen mir ob,
15. £)rum lomme ich 5)ir entgegen
16. „©ebeeft habe ich mein ©ett
17. 5Rein Säger b»b ? ich befprengt
18 SafS unS ÜRinne trinfen bis morgen,
19. $enn ber 3Rann ift ferne ©om §aufe,
20. $en Beutel nahm er mit fidb;
ihre Qüfee finben nicht SRufee.
[teilt fte lauemb fich bi« an bie Ede. —
unb b»t fub erfreut §u fagen:
gezahlt hab* idb b eu t’ mein ©elübbe.
unb finbe nun, ben icb gefudjt."
mit buntem ägyptifebem Teppich,
mit Aloe, ÜRyrrbe unb 3immet.
un$ ergö^cn an SiebeSluft.
ift auf weite [Reife gegangen,
erft am ©ollmonb fommt er nach
§ sl u f e."
2*
21. So bat fte ibn benn überrebet, burdb glatte [Reben ©erleitet:
22. ©löfelich gebt er ibr nach, wie ein Stier, ber jur Schlachtung
fommt,
©Ste ein ©Sibber ber Schlinge nabt, 23 b roie ein ©ogel ©erblenbet in$ [Re& eilt,
23catcht abnenb, bafS bie§ fein Xob, 23a bis ber ©feil ibm bie Seber burchbobrt.
2« ©egrnjlropfje.
unb merfe auf meine [Reben:
unb irre nicht auf ihren ©faben;
ja, bie fie gemorbet, finb jablloS.
hinab ju be§ XobeS ©emächern.
3priicf)e 8. — (Xborlieb: 8flbftempfet)lung ber ©eiabeit.
1. £troplie.
24. 91 uu benn, mein Sohn, höre mid)
25. Schweife nicht auf ihre ©Segc
26. $enn Viele bat fie febon erfchlagen,
27. 3um Scheol führet ihr 3Beg,
1. Siebe, bie 3Ö e i S ^ e i t ruft
2. ©uf bem ©ipfel ber §öben am ©Sege,
3. 9teben ben ^boren ber Stabt,
4. „$ln euch üRftnner ergebet mein [Ruf,
5. Suchet Ein ficht, ©infält’ge, in
Klugheit,
unb bie Ein ficht läfSt ficb ©ernebmen
mitten am Steige ftebt Re,
an ben ©forten erfcballt ihre Stimme,
meine Stimm’ an bie SRenfcbenfinber.
Qbr $b°*en, nehmet Verftanb an.
1. (Ssgsnjfrppft©.
6. $öret, Vortreffliches reb’ ich,
7. Qa, ©Wahrheit rebet mein ©aumen,
8. ©ereebtigfeit finb meine ©Sorte,
9. ©anj flar finb fte bem, ber Ver*
ftanb bat,
10. So nehmet benn 3 u cb t anftatt Silber,
meine Sippen preb’gen ©erabbeit.
meine Sippen oerabfebeuen greoel.
frei oon Xücfe unb Sift.
gerabe bem ORann ber ©rfenntniS.
unb ©rfenntniS lieber als ©olb.
Ä>©tfjf©lffrapfi©.
12. Qd), bie ©teiobeit, bab’ Älugbeit inne
13. Hoffart unb frodpnutb unb ©oSbeit
14. ©fein ift ber [Rath unb baS ©Siffen,
15 $urd) mich nur berrfeben bie Jperrfcber
unb befifee ©rfenntniS unb Umficbt.
unb ben 3Runb ber Verfebrtbeit b»fS ich.
mein ift bie Einficbt unb Stärfe.
unb oerorbnen bie üRäcbtigen [R e cb t e S.
32*
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500
fRivarb ©cblögl.
l*i. 2)urcb mich gebieten bie 3°rften unb bie ©rofeen, bie Siebter ber Erbe.
17. 3$ liebe bie, fo mich lieben, bie mich fudjen, bie finben mich.
18. SReicbtbum unb IHubm ftnb bei mir unb bauembe §abe unb Speil.
19. ©eine Sfrucbt ift beffer als ©olb unb als ©über mein ©rtrag.
20. $er ©ereebtigfeit ©ege roanbl’ich inmitten ber $fabe beS SRecbtS,
21. $ie mich lieben, roabrbaft be- unb ihre ©cbafcfammern füllenb.
reicbernb
2. £tropfje.
22. 3ab befafjmicb beim erften ©ebaffen, nor all' feinen ©erlen, uorlängft.
23. 33on Eroigfeit bin ich gefefct, feit ben Uranfängen ber Erbe.
24. 33or ben fjluten roarb icb geboren, beoor eS no<b Cuellorte gab;
25. SBeoor noch bie 93erge ficb b°&*n, oor ben ftügeln roarb icb geboren;
26. Terror Erbe unb $lur er gefebaffen unb beS Erbt reifes erfte ©cbollen.
2. (öegrnprupltr.
27. AIS er bie Fimmel gefeftigt, baS ©eroölbe gemacht ob ber 3lut;
28. 3US bie ©olfen er broben befeftigt, ba bie Duellen ber 31 u * erftarften;
29. SIS bem ©eere bie ©renjen er fef^tc: 30. roar ©erfmeifter icb bei ibm.
lag für Xag roar icb eitel ©onne, freubig febaffenb oor ibm allezeit,
31. 3reubig febaffenb auf feinem bei ben ©enfeben mit ©onne roeilenb.
ErbfreiS,
Sprudi.
32. ©o böret benn, ©öbne, auf mich; 33. böret 3 u cbt, bafS ibr roeife roerbet.
32 b. 5J)enn gl ü dl icb, roer meinen ©eg glüdlicb, roer höret auf mich,
einbält,
34. Xag für $ag meine $büren beroacbenb, meiner % b°re Woften bebütenb!
35. 3)enn roer mich befifet, befifet ßeben, 3>abroeS ©obigefallen erlangt er;
36. 2lber roer mich entbehrt, tbut fldj roer mich b a f8t, ber liebet ben $ob.
ßeib an;
Sprüdjc t*. — Gfjorlicb: ©aftmapl bet ffieiSljeit unb ber grau Xboröeit.
1. StVBptl?.
1. ©in £>auS bat bie SöeiSbeit gebaut, ficb auSgebau’n fieben ©äulen,
2. $at gefcblacbtet unb ©ein gemifebt unb ihren Xifdj auch bereitet;
3. 3)urcb bie ©ägbe ergebt if)r 9t uf auf ben bügeln ber ©tabt hoch oben:
1. Glegimffropfi*.
4. „©er einfältig, febre bter ein!" Unb roer tböriebt, ju bem fpriebt
fie;
5. „Kommet, effet mein 93rot, trinft ben ©ein, ben icb euch gemifebet!
6. fiafst bie Einfalt, aufbafsibr unb roanbelt bie ©ege bei
lebet Einficbt!"
H>i'direl|lropl|e.
7. „©er ben ©pötte rjureebtroei ft, roer ben 3reoler rügt, roirb befebimpft
holt ©ebanbe,
501
3)ie heilige ^oefie bcr Hebräer.
8. $Rilg 1 bcn Spötter nicht, fonft er rüg* ben Söeifen, fo roirb er 2>ich
$)ich Raffet; lieben,
9. ©ib bem Söeifen, fo wirb er noch ber ©erechte roiinfebt noch mehr ©r*
weifer, fenntniS."
10 „3ah$ furcht ift ber 2Öei$heit be3 §eiligftenftenntni$iftEinficht.
Anfang,
11. 5)urch mich werben oiel deiner $age unb mehren ftch £>eine $ahre;
12. $ift $)u weife, fo bift 3)u’8 für 3)ich; bift $)u Spötter, fo trägft 2)u’S allein."
2. Straps?.
13. Ofrau $h°*heit ift ohne fRuhe, eitel Einfalt unb ohne ©r«
f e n n t n i $.
14. Sie fifct oor ber 13)\m be$ §aufe$ auf bem Xhron, in ber Stabt hoch
oben,
15. Unb fle ruft, bie oorüber jieh’n unb gerabe geh'n ihren 2öeg:
2. (Sjegenßropfy?.
IG. „2öer einfältig, tehre hier ein!" Unb wer thöricht, ju bem fpricht
f ie:
17. „®eftohleneS Söaffer ift füfe unb heimliche8©rot fdpneefetwohl."
18. Unb er weife nicht, baf 4 Schatten baf8 $ um Sch eol geh’n ihre ©äfte. —
bort hänfen,
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Ceopold Kupelwieser.
(Erinnerungen (einer GLothter.
jWKlS mit beginn beS 18. 3ahrhunbertS Sari, ber Sohn Staifer SeopolbS I.,
baS Srbe ber Habsburger in Spanten antreten moUte, sog mit ihm
als ©olbat ein junger Xiroler aus bem Ultenthale nach ^Barcelona, ©ein
Warne mar 3ofef Ahtpelmiefer, unb er gehörte einer jener liroler dauern*
famitien an, melche fich für berechtigt hielten, ein Sappen su führen. AIS
ber lob Äaifer 3ofefS I. feinen ©ruber Sari 1711 in bie öfterreichifchen
Srblanbe surütfführte unb biefer als Sari VI. bie Regierung übernahm, mar
3ofef Sfupelmiefer einer berjenigen, melche mit bem Äaifer heimsogen, aber er
betrat nicht mehr fein ftifleS, entlegenes Alpeitthal, fonbern fam nach SBien,
mo er als faiferlicher Säger in SKeibling (©atterhölsel) eine Anftellung fanb.
©ein ©ohn Johann, geboren 1732 in SWeibling, mar ichott oollftänbig SBiener.
AIS SWagiftratSbeamter ber Haupt' unb Wefibensftabt oermählte er fleh um
1754 mit Wegina Hermelin, trat fpäter aus bem 2)ienfte ber ©tabt
SBien unb erbaute ober taufte einen Sifenbammer su S$iefting in Wieber=
öfterreich, melchen er bis su feinem lobe (1800) mit gutem Srfolge betrieb
$effen stoeiter ©ohn Sohanit, geboren 1759, oermählt um 1790 mit 3ofefa
©fpan, mar als ©auleiter bei bem ©aue beS SBiener=Weuftäbter SanaleS
befchäftigt. Sr mar ber ©ater beS SKanneS, bem bie oorliegenben ©lätter
gemibmet fittb, beS SKalerS unb ^3rofefforS an ber SBicner Afabemie ber
bilbenben Äünfte, Seopolb Äupelmiefer.
Am 17. October 1790 erblicfte biefer in ©iefting, am Ruße ber Wuine
©tarhemberg, baS Sicht ber SBelt. S)ort lebte feine ÜKutter im Haufe beS
©chmiegeroaterS, mährenb fein ©ater bei bem ermähnten ©chiffahrtS'Sanal*
baue 3ahre hinburch befchäftigt mar unb nur menig SJtuöe für ben Aufenthalt
bei ben ©einen fanb. Seopolb hatte stoei ältere ©rüber, 3ofef, geboren 1792,
unb Johann, geboren 1794, einen jüngeren ©ruber Sari, geboren 1798, unb
eine ©chmefter Slifabeth, geboren 1805. Wort) bor bem lobe beS ©roßoaterS
überflebelte bie SWutter im 3ahre 1798, um bem ©atten näher su feht, nach
©untramSborf unb fpäter nach SBiener^Weuftabt. Wach bem lobe beS @ro6*
oaterS sogen SeopolbS ©Item nach SBien, mo ber ©ater im ©erein mit feinem
älteren ©ruber eine ©ifen*, fiupfer^ unb ©efchirr^Jvabrif errichtete. Seopolb mar
in baS Alter gefommen, in bem ber ©rnft beS SebeitS, bie Schule, beginnt.
Sr befuchte eines ber erften Skioat=3nftitute SBienS, melcheS bon einem
gemiffen ©enatafio geleitet mürbe, unb frequentierte bort, nach ben beutfehen
Schulen, s*oei Slaffen ber Sateinfchule. Woch in fpäteren fahren ersählte er
gern Heine luftige Streiche, bie er bamalS mit feinen ©rübent ausführte.
Daheim hatten abmechfelnb Hofmeifter bie Aufficht über bie Snaben su
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i*eopolb ftupelwiefer.
503
führen; biefe fcheiiten nicht burdjgeheitbS gefchidte ‘ißäbagogen gewefen su
fein. Xod) bewahrte üeopotb feinen Lehrern, wenngleich mand)e berfelben
burd) ihre ^ßebanterlen bem jfrtaben (äftig würben, ein ehrcitbeS Slnbenfen.
Veionber* war e$ einer biefer Jpofmeifter, namens Vonora, ben er febr
liebte, weil biefer ber erfte war, ber üeopolb«* au^gefprochene* Xalent
nur bilbcttben Äunft ernannte unb gelegentlich für bie $lu$bilbung berfelben
eintrat. Sdioit in früher gugenb Perfertigte üeopolb au3 2Bad)3 unb Xhou
fleine gigürchen; biefe tarnen burch eine am £>ofe bebienftete grau in bie
£>änbe bc$ Äronprinaen gerbinanb unb feiner Schweftern unb trugen bent
flehten Äünftter eine s ßrad)tcaroffe mit fed)$ Schimmeln, natürlich au* .'goU,
al* ©egengeichenf ein. ©in fo wcrtPoüe* Spielzeug burftc Pott ben Äinbern
nid)t befchäbigt werben, barnnt trug e* bie Butter forgfant auf ben Xach*
hoben, Pott bort au* aber Perfchwanb e* ipurlo*, wahrfcheinlidi Pon
Xadjbetfern geflöhten, unb ber fleine Üeopolb hatte nichts pott feinem reblid)
erworbenen ©ute. 3u biefer Beit, e* war in ben fahren 1807 unb 1808,
brachte bie Familie einen Xheil be* Sommert in Vaben ju. Sind) ber
faiferlidje .§of war *ur felben Beit bort unb in feinem ©efolge, al* Beicher
lehrer ber iuttgeit ©raherjo ginnen, ber Vilbhauer Jauner ©blcr Pott galpatamt.
Xiefer fah bie hübfehett gigürchen, bie ber Äronprinj befaß, gewann
gntereffe für ben Verfertiger berfelben, befuchte ^eopolb* ©Item unb
forberte fie auf, ba* Xalent be* jungen Äünftler* nid)t brach liegen JU Ictffeit.
Xie golge war, baf* Vonora ^copolb ju bem s IRalcr Uiütfert führte, weldicr
ben erften 3eid)enunterrid)t übernahm. Vorn 9. gebruar 1809 an finbeit wir
ihn fchott an ber s 2lfabcmie. Vorerft wollte er Vilbhauer werben, bann aber
weitbete er ftd) ber Malerei ju unb halb perfuchte er fleh ht Vortrait*. Xa*
©rfte war ba* einer burd) gahre im elterlichen .s>aitfc bebienfteten $Ünb*frau.
So am Vegintt feiner fünftlcrifchcn Laufbahn ftehettb, befuchte er eine*
Xage* feine ©roßmutter, Regina Äupelwtefer, eine grau ooit flarem, tüchtigem
Verftanbe, bie 311 ihm fprad): »Xu barfft nicht glauben, baf* bu, wenn bu
vtünftler wirft, nid)t^ jtt lernen brauchft. ©in Waler mufd nicht bloß su
malen ocrftchen, er muf* and), um Xiidjtige* 311 leiftcit, ein gebilbeter unb
unterrichteter s ))lann fein.“ Xicfc Viorte mufften tiefen ©ittbruef auf üeopolb
gemacht haben, beitit ttod) im Filter citiertc er in banfbarer ©rinnerung biefe
'iöorte feiner ©roßmutter.
Von bem lfrieg*iahre 1809 foiutte öeopolb wenig erzählen, e*
fcheint bie gamilic nicht unmittelbar berührt 3 U haben. 3Rit feinem Vater
gieng er einmal nach Schönbruitn, um Napoleon 31 t fehen, unb befuchte ben
Vrater, al* bort nod) Verwunbete unb Xobte lagen. Xie golgett ber
politifchen ©reigitiffe blieben aber nicht au*, bie $irieg*jahre, mehr aber
noch ber ©intritt einiger wenig tauglidien Vcrfönlichfeiten in ba* ©efehäft
be* Vaters unb Dnfel* Perwanbelten halb ben VJohlftanb ber gamilie in
Wotf). ^eopolb* Vater ftarb im grühjahre 1813, unb pou biefer Beit au
muffte fid) ber noch nicht ftcbaehujährige Jüngling felbft erhalten unb gleich*
zeitig auf feine weitere fünftlerifdje s ^lu^bilbung bebacht fein. ®r lebte
im .\paufe feinet älteften Vruber* gofef, ber itad) bem SBunfche ber
©roßmuttcr einige Beit in ber oricntalifchcn Wfabcmie ftubiert hatte. $lber
noch Por VoUenbuug biefer Stubien würbe er Solbat, Perließ icboch ipäter
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504
Seopolb ftupelrotefer.
bicfe Saufbabn, um mit bcm Onfel bad ©ifengefdjäft ntübfelig fortgufübren.
Scopolb, io auf ftcf) fclbft angemiefen, muffte, mäbrenb er bei läge bie
©fabentie befuebte, bie ©benbe unb einen guten Ibeil ber 9läd)te gut
©entalung ber bamald febr beliebten lädierten ©ledjtaffen benüpen, um ftcb
feinen Unterhalt gu Perbienen.
Xie SBiener ©fabentie ber bilbenben Äünfte genofd bamald ein gemiffed
©nfeben, melcbed Piele junge Seute aud) aud ®eutfcf)lanb angog. ©o waren
Friebrid) Doerbed, bie ©rüber Schnorr, Friebrid) OliPier mäbrenb einer
längeren ober fürgeren Seit Schüler berfelben. $ie SRicbtung an ber
©fabemie mar bie fogenannte „claffifcbe“, fte bominierte burd) ben ©lang,
welchen Füger burd) ein mehr äußerlich blenbenbed ©Sirfen unb Schaffen um
fte gebreitet batte.
Seopolb Äupelmiefer war, ald er bie ©fabemie befudjte, gu jung, um
bie ©Jifdftänbe, welche berfelben bamald anhafteten, gu entpfinben. Übrigend
barf man nicht überfeben, bafd Äupelmiefer ficher gwei ©ortbeile aud feinem
erften Unterrichte, welchen bie ©rofefforen Jvrang ßaucig, Fofef Stebel unb
Johann Saptift Santpi ber Füngere leiteten (menigftend jtnb biefe auf feinem
Seugniffe unterfdjrieben), gegogen bat; er lernte correct geiebnen, bie Farben
richtig bebanbeln, alfo bie tedjnifchen ©runblagen ber Äunft. dreimal erhielt
Seopolb Äupelmiefcr ©reife; im Fahre 1814 ben gweiten unb 1816 ben erften
©reis im Seicbnen nach ber ©ntife unb 1819 ben Sambischen ©rci#. ®abei
war ber rege ©eift bed jungen Äüitfilerd bemüht, ftd) in ©Hem, mad ftd) ihm
nur immer barbot, ftenntniffe gu erwerben; fo benüpte er jebe ©elegenbeit,
in ber frangöfifeben Sprache oorwärtd gu fommeit. Fn ber ©fabemie würben
meiftend ©ompofttiond'Xbemen aud Corner gegeben, bied regte ben jungen
Äünftler an, fleh mit Feuereifer bem Stubium bed Saterd ber $id)tfunft
bingugeben. Um biefe Seit trug ihm auch feine Äunft ben erften Auftrag ein.
®in Unbefannter beftcUte bei bem jungen Zünftler eine ©ontpojüion nach
eigener Angabe: Napoleon will ben ©rbbaU befteigen, um auf bemfelben
feinen Ibron aufgufteflen, fällt babei aber herab. Xie ©udfübrung, welche
mit gwölf ©ulben honoriert würbe, gefiel fo gut, bafd ber ©efteUer gleich ein
gmeited ©jremplar perlangte.
Schon im Fahre 1816 perbiente ftd) Seopolb mit Perfchiebenen ©ortraitd
ein bübfdjed Sümmchen, welched er in erfter Sinie feinem Fleiße unb feiner
©emanbtbeit Perbanfte, benn bie eingelnen ©über würben auf bad allere
befcheibenfte honoriert. Fn ben Ferien folgte finpelwiefer ber ©inlabung
eined älteren Freunbed, Fafob ftädel, beffen Familie in ©umpolbdfirdjen ein
Sanbgut befaß; bort betheiligte er ftd) an allen länblichett Arbeiten, befonberd
legte er bei ber ©Seittlefe £>anb att unb erwarb ftd) in ber Sanbwirtfchaft
unb in ber ©otanif gang fcbäpbare Äenntniffe.
So entwidelte ftd) Shtpelmieier geiftig unb förperlid) trop aller ©tüben,
unb Pielleicht auch in Folge berfelben, in günftigfter ©Seife, ©r war pon febr
großem, ebenmäßigem, beinahe atblctifchem Körperbau unb befaß in allen
förperlichen Übungen eine beroorragenbe ©cfd)idlid)teit; befonberd mar er
ein audgegeiebneter Schwimmer. ©uf einem Sclbftportrait, melched er im
Fahre 1816 gemalt haben bürfte, fällt befonberd ber liebliche, unfchulbige
©udbrtid auf, ein fieuugeichen feined reinen, bieberen ©emiitbed. $ie Äunft,
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Seopolb ftupelrotefer.
505
bic für ihn ein £>eiligtbum mar, febüpte ihn Dor jeber yeichtfcrttgfeit unb
©emeinbeit. ®r tjatte bte in3 ©reifenalter ba$ ©lütf, an jebem Wenfcben
bie gute ©eite zu fehen; ma* aber mobl aud) bamit zufammenbieng, baf^
man e3 in feiner Wabe ttid)t Icicfit magte, bie etma oorbaitbene ©emeinbeit
ber ©efmnung berDorzufcbreit. Xrop feiner beiebränfteu üage unb ber
geringen Wittel, bie ibm zu ©ebotc jtanben, mürbe töupelmiefer balb in
einem Greife ooit geiftDollcn jungen Seuten, tbeilä Äünftlern, tbcil* Äunft*
freunbett, atö eine allgemein beliebte Berfönlicbfeit aufgenommen.
Xer Wittclpunft biefer ©efellfcbaft maren Sraitz Schober, ein junger
Sdooebe, in beffen mütterlichem .£>aufe bic jungen Weilte meift jufammen=
tarnen, unb ber Surift ftranz üon Brucbmann, ber ©obn eine* reichen ©roß
bärtbler*, ein Wann Don feltetten ©aben unb ooit großem geiftigen Sinfluf*
auf feine Umgebung, ^it bcrielben ©cieUfcbaft befanbett ficb aud) fvranz
Schubert, ber Diel jüngere Woriz ooit ©chmiitb (ber gerne ftupelmiefer feinen
Wcifter nannte), bie Scaler lieber unb Wohn, Bilbbatter Xietrid), ^ofef
Don ©pauit, ©ahD, X er fei, Sechentiter, Baron Xoblhoff u. a. nt. Unter ben
jungen Leuten blühte ein rege* geiftigen Weben, ein Streben ttad) allem
Schönen, eine Begeifterung für Ahutft unb Boefte. ®* mürbe muficicrt,
gezeichnet, gelefeit. Xa* Wibelungenlieb begeifterte fie fo, baf* fte fid) bic
Warnen ber Selben beleihen beilegten, Äupelmiefer hieß Wiibiger, ©chmiitb
©ifelher ba* Äittb, ©chubert befant ben Wanten be* Sänger* Golfer, ^n
biefer ©efellfcbaft mürben auch Au*flüge ttad) Apenbrutf unternommen,
mo eitt gaftfreier Vermalter fid) freute, bie heiteren jungen Weutc zu bemirten.
Wupclmicicr Deremigte mit feiitcnt Binfel fleine ©eenen au* bent bortigcit gcfeüigeit
Sieben unb Xreibett. Jvranz Sdmber befaß bie Aquarelle bi* ju feinem Xobe, unb
bttrd) bie ©iite be* lepten Beitper*, .'oerrn ooit Xuntba, marett fte fchoit in maitdier
Au*fteUung zu fcheit. ^ept int Befipe ber Stabt 2Sien, fchntüdcn fie ba*
Sd)ubert=8intmer be* Watbbaufe*. — Sollte man bamal* bie SSelt fehen unb
hatte itidit Diel ©elb in ber Xafdie, io muffte man zu miß gehen. 8meintal
unternahm .stupelmiefcr Don 58ieit au*? ^Säuberungen auf ben ©ditteeberg.
Wud) ntad)te er Au*flüge iit* ©alzbttrgifchc unb Dermod)te in biefer 2Seife
mehr ooit bent Sieben unb Xreibett be* Bolfe* zu beobaditeit, al* un* Aiinbern
dou heute zu fehen geftattet ift, meint mir ba* Waitb mit ber ©ifcitbabn burd)
gueren. Xie ©ehnfuebt, bie Xre*bcner ©alcric zu fehett, ließ ihn in
Begleitung be* Bilbbatter* Weid)l eine jyußtour Don SSien nad) Xre*beit
unternehmen. Xurd) mehrere Xage legten bie tauberer täglich fed)* Weilen
zuriief. Um ben Aufenthalt in Xreibett inöglichft billig zu geftalten, malte
Ahtpelmiefer feine £>au*mirte, Aberrn unb Jyrau Bucfelmantt. Bei folcheit
Ausflügen gcitoi* Atitpeltuiefer mit Dollen Bügen ba* Wette unb Schotte; er
mar ein icharfer Bcobad)ter unb fehrte reich an flehten ©rlebniffett unb
mit gefüllter Beidienntappe heim. Xie Xre*beitcr ©allerie ntad)te ihm einen
gemaltigen ©iitbrucf, unb ba* Berlangen, Italien mit feinen .Stunftfcbäpen zu
fcheit, ermadite in ihm itod) lebhafter, al* c* ichott früher ber ivall mar.
Bei ber erften .Stunftaii*ftcllung, mcld)e int ^ahre 1820 zu SSieit
ueranftaltet mürbe, trat and) töitpelmieicr mit einigen Bilbern in bie
Cffentlidtfeit. ©* maren etlid)e Dorzügliche Uortrait* ttttb ein fleine«* Bilb
itad) bent ©oethe’icben ©cbid)t „Xer Jvifcher".
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506
öeopolb Stupelroiefer.
Um biefe 3cit lernte Afupelmiefer feine fpätere Srau, Johanna Aiufc,
fennen, ein SJtäbcpen, baS außer bem Steig ber 3ugenb — ftc gäplte bamalS
erft feepgepn Sapre — aud) ben eines tief innigen ©emütpeS, einer reichen
©pantafte unb eines flaren ©erftänbniffeS für aHeS ©cpöne befaß, ffienn
aud) als Xocpter eines fubalternen Staatsbeamten in befepeibenen ©erhält-
niffen aufgemaepfen, ermarb fte ftd) bod) burd) bie Stegfamfeit ihres ©eifteS,
burd) ihr munberbareS ®ebäd)tnis unb ihre Empfänglicpfeit für alles Erhabene
unb ©roße eine oielfeitigc ©ilbung. Äupelmiefer mürbe bamalS iepon mit
größeren unb Heineren Slufträgen betraut. s 2lußer gaplr.eicpen ©orträtS,
melcpe aufgugäplen heute nicht mehr möglich ift, malte Atupelmiefer ein Slltar*
bilb mit ber ©eftimmung für Ungarn, ben heiligen Ergengel SJticpael barfteüenb.
Eine meitere SefteUung mar ein Porträt beS AtaiferS ftrang im Xoifon*
OrbenSfleib in ganger ftigur für ein .'oofamt. Xer Ataifer hatte eine
Abneigung, ftd) porträtieren gu laffen; bod) ber Vermittlung ber fiaifertn
Earolina $lugufta, melche bamalS ben jungen Äünftler fennen lernte, gelang
eS, ben Afaifer gum gebulbigen SluSparren gu bemegen, unb fo fant ein fehr
gutes ©ilbniS beSfelben guftanbe. Äupelmiefer burfte nach ©oben fommen
unb ben Äaifer, mäprenb berfelbe beim Speifen faß, porträtieren. Stad) Xifcp
hielt bie Äaiferin ihren ©emahl noch einige 3eit bei bem jungen Äünftler
gurütf, ber biefe Slugenblide gut benü&te. ®in Opfer potte aber At'upelmiefer
bringen müffen. Er hotte nämlich oor bem Äaifer nicht mit einem Schnurr-
hart erfdjeinen bürfen; beoor er nach ©aben gieng, mufste biefer, gur großen
©efriebigung beS fünftigen ScpmiegeroaterS Atupelmiefer'S, fallen. XaS
©orträt beS ÄaifcrS burfte, beoor eS an ben Ort feiner ©eftimmung
fam, im Stitterfaale ber faiferlicpen ©urg auSgeftellt merben unb erregte
allgemeines N 4luffehen.
©ie oiele Silbniffe beS AtaiferS Atupelmieicr noch in ber Jvolge nach
biefent erften malen mufste, läfst ftd) nicht mit ©eftimmtpeit fagen. Er
äußerte im Scherge barüber, bafS er meine, er fönnte ben Äaifer iepon mit
uerbunbenen klugen malen, fo genau höbe er feine 3üge im ©ebächtniS.
Von biefer Seit an intereffierte ftd) bie A^aiferin für ihren Schübling unb
bemaprte biefeS ^ntereffe ihm unb feinem ©irfen bis gu feinem lobe.
„9luf nad) Italien!" XieS ift mohl für jeben Äünftler ein begeifternber
Stuf. 3u Seginn biefeS ^ohrpunberts mar eS aber feine leichte Sache,
biefen ©unfep gu oermirflicpen. Seit unb ©clb maren bafür in oiel höherem
SJtaße nöthig als heute, ©egeiepnenb für bie bamaligett ßuftänbe ber
4lfabemie mar eS, bafS Atupelmiefer fein Stipenbium erhalten fonnte, obmohl
folcpe an oiel unbebeutenbere Kräfte gugemiefen mürben. Xa erhielt ber junge
At'ünftler oon einem ruffifepen Sbelmanne StamenS ©ereftn ben Eintrag, ihn
gu begleiten unb für ihn Sfiggen gu einem größeren ©erfe über Italien
gu malen. Ahtpelmiefer gieng auf ben ©orfcplag ein, unb bie beiberfeitigen
©ebingungen mürben feftgeftellt. Schmer ftel ber Slbfcpieb oon ber geliebten
©raut; aber beibc hofften auf ein balbigeS ©ieberfehen unb ahnten nicht,
bafS eS eine Trennung auf 3opre merben follte.
SJtit bem XaliSntan einer heiligen unb reinen AJiebe im bergen trat
Atupelmiefer bie Steife nach bem Sübett an. SS mar im Stooember 1843. Xer
©eg gieng burd) Steiermarf, über Allagcnfurt nad) Xrieft. 3n ©enebig, mo
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Beopolb ffupelrotefet.
507
ftd) bie Steifenben faft bcn ganzen Pionat Xecember aufpielten, mürbe ffupelmiefer
einigemale oorn Siceföntg, Srahersog Stainer, empfangen, melcher große« Sntereffe
an feinen Stilen zeigte. Slud) bem Patriarchen oon Senebig, üabi«lau« Porter,
fteflte ftd) ffupelmiefer oor, ber ben jungen ffünftler fepr lieben«mürbig empffeng,
ihn jurn ©peifen eittlub unb ihm ben Sorfdplag machte, ihn auf ber Stücfreife
*u porträtieren; hoch fant bie« erft oiel fpäter juftanbe. Sonora, ber bamal«
8elbtrieg«commiffär in Pabua mar, (am in Senebig mit ffupelmiefer jufammeit
unb mar febr erfreut barüber, baf« fein erfte« Urtheil über be« (leinen öeopolb
(ünftlerifche Segabung nun gerechtfertigt erfchien. Sei ber SBeiterreife mürbe
pabua, Serona unb Parma berührt. Slm (enteren Ort empfieng Plaria Üouife
ben ffünftler, befteüte ein Silb bei ihm, höchftmahrfcheinlich ein Porträt ihre«
Sater«, unb ließ ihm vielerlei ®mpfehlung«briefe mitgeben, fo baf« er fagen
fonnte, er reife oon bort au« „mie ein Courier, mit Sriefen oerfepen, nach
Dom". Über Sologna unb Slncona (amen bie Detfenben eitblid) am
* 21 . Jänner 18*24 in Dom an. £ier trennten ftd) Sereftn unb ffupelmiefer
uon einanber, bem Sertrage gemäß mar e« felbftoerftänblid), baf« Sereftn
alle Stilen an ftd) nahm.
ffupelmiefer mar nun frei unb fonnte feinen eigenen SBeg gehen. 3 m „®afe
©reco" fanb er in Dom einen ffrei« oon beutfehen ffünftlern, in bem er fid)
balb heimifd) fühlte. $)er ®inbrutf, melchen all' bie ffunftfcpäfee auf ffupelmiefer
machten, mar übermältigenb; überglüdlid) ftanb er oor Dafaef« Silbern,
aber unmitlfürlid) 30 g e« ihn ju ben alten Pleiftern hin, unb ba mar e« bie
geiftige Sermanbtfchaft ber alten italienifchen Pialer mit benen ber alten
beutfehen Schule, bie feinem &erjen befonber« mohl that. ©o maren e« ftiefole'«
reine, heilige ©eftalten, bie ihn oor s 2lllem anfpradjen; er ftubierte bie Silber
be« frommen Xominifatter« unb brang in ben finblid) reinen ©inn be«
Pteifter« ein, ber nicht ohne ©influf« auf ben gelehrigen Schüler blieb. 3 nt
Sereiite mit Tempel unb lunner zeichnete ffupelmiefer im Satifan in ber
Capelia di S. Lorenzo bie 5re«ten Sieiole'« au« bem Sieben unb Ptartüriunt
ber heiligen ®iafone ©tefanu« unb ^aurentiu«, fomie bie oier ®oangeliften.
Tiefe ©apelle mar bamal« nicht, mie heute, bem publicum geöffnet, fte biente
al« eine s 2lrt Dumpeltammer, unb man fchüttelte über bie SBünfcpe ber jungen
ffünftler jmar ben ffopf, ließ fte aber ein unb geftattete ihnen bort nach
.v>eraen«luft ju geiepnen. (Tiefe 3eichnungen mürben erft 30 3<thre fpäter in
Bonbon in ffupfer geftochett.) 3tt Dom oolljog fid) bamal« unter ben
ffünftlern eine ©cheibung ber ©eifter. Tie ®inen fudjten ba« Schöne
mehr in ber Nachahmung ber s 2 lntife, bie SInberen betraten ben chriftlidjen
Sobeit. Tie Meuteren, gu melchen ftd) ffupelmiefer balb entfepieben menbete,
luurben „Dagarener" genannt. Tie ®rfteren tpcilten bie Oerfdjiebeneit
Nidjtungcn itt ben breiten unb fchmalen SBeg. „Tie Sreiten", feprieb ffupel=
roiefer am 22 . Ptärg 1824, „feiitben un« fdjredlid) an, palten un« für Staat«*
uerrätper unb ftreigeifter, be«palb gibt e« oft oiel gu lachen, aud) oft gu
rechten unb gu fd)lid)ten. Tann gibt e« Schmanfenbe, melche ftd) nicht
au«fprechett au« Surcpt, e« bei ®tnem ober bem Slnberen gu oerberben.
®« ift gang toll, in einem fo engen ffrei« folcpe s Äbmed)«lung, aber mirflid)
baburch auch fepf oiel Üeben unb ffraft gu ftnben; menn bie« Sille« an feinem
plafce einft gur SBirfttng (ommt, fo (attn oiel ©ute« barau« entfprießen!"
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508
Seopolb Stupelroiefer.
kluger ben Zeichnungen nad) Siefoie, oon bencn Äupclmiefer gmei bcr
©oangeliften unb bcn öl. SaurentiuS ©Imofen fpenbenb auSfübrte, arbeitete
er an üerfdjiebenen Äaifer^orträtS, mit melchen er ftd) erbalten mufste. „kleine
$aiier*Sabrif, febrieb er im felben ©riefe, „ift febon in ©ang, fte fteben febon
bcr Seihe nad) ba; bie Sönter, b. b-, bie »beutfeben Sönter« haben ihre Sreube
an mir, bafS id) Äaifer malen unb ben Siefoie geiebnen fann. 9Ran fpenbet
mir megen ber Zeichnungen nad) Siefoie oon allen ©eiten großem 8ob unb
id) munb're mid) über ibr ©rfkunetj; fte halten ©UeS, maS au£ ©Jien fomrnt,
für fo in ^Sanier oerfuttfett, bafS fte eS nicht faffen fönnen, menn ein foldjer
SRanterift ihnen etmaS guoortbut. Sd) erfenne aber gugleid) ihre Siebe gunt
©Jahren unb ©Uten barin, unb maS ben ©Jiener Scblenbrian betrifft, fo ift
rnobl etmaS baran, nur märe eS traurig, menn man ben nicht abmerfen fönnte,
— unb biefe Sotbmenbigfeit lernt man hier auf brei ©liefe emfeben."
Die Äünftler famen abtoecbfelnb bei bem (Sitten ober ©nberen t>on
ihnen gufammen. Da mürbe bei italienifcbem ffiJein unb ©alat noch Ääfe unb
©djinfen feroiert. ^Rangelte eS an bem nötbigen ©eroice, fo mufften bie
Paletten als ©eroier=Sd)üffeln berbalten.
Sn ber ©efeUfcbaft, melche im „(Iaf£ ®reco M ihr ©tellbicbein batte,
maren auch mehrere ©roteftanten, bie ftd) gerne in religiöfe ©ontrooerfen
einließen. Äupelmicier’S SeligionSfettntniffe maren oon ber ©rt, mie man fie
eben in ©Jien, mo ber 3oieftniSmuS in ber ooüften ©lüte ftanb, bamalS
ermerben tonnte. Den ©roteftanten gegenüber mollte Äupelmiefer nun aber
nicht unmiffenb erfcheinen; er fieng an fleh um religiöfe Äenntniffe gu bemühen,
©eine reine ©eele mürbe Don ber ©röße unb öeiligfeit ber tatbolifchen
Äirdje übermältigt, unb er batte eS feinen proteftantifeben ®efäbrten gu
bauten, bafS er ein treuer ©obn ber Äircbe mürbe. ©S fcheint nicht, bäte
bei Ahtpelmiefer eine momentane ©Jenbung eingetreten ift, mobl aber ein
ftetigeS ©Jeiterfcbreiten, ein immer tieferes (Srfennen, eine maebfenbe Siebe
gur Äirche, bie ftd) nicht bloß an frommen ®efüblen genügen liefe, fonbern bie
gur opferfreubigen Dbat mürbe, ©elbftoerftänblid) ift eS, bafS fid) bamit
für Ä'upelmiefer’S tünftlerifchc Saufbabn eine neue Sichtung erfcblofS, eine
Dichtung, in ber er ©roßeS geleiftet bat unb ber er bis gunt Dobe treu
geblieben ift.
©iS ßnbe Suli 1824 blieb Äupelmiefer in Sont, er malte fleißig, um
ftd) ein Seiiegelb für bie &eintfebr gu oerbienen. Sott ©Jien aus machte man
ihm Hoffnung auf ein afabemifcbeS ©tipenbium, aber bie Sache gieng nicht
meiter. Da tarn ©ereftn mieber; er batte aus Sufslanb ®elb für fein Unternehmen
erhalten unb mollte nach ©icilien geben. Äupelmiefer follte ihn begleiten, bie
©ebingungen mürben neu geftellt, ©ereftn mar gu ©Hem bereit, febon barum,
meil Äupelmicjer’S ©ttfprücbe febr befdjeiben maren; biefer rechnete, bafS — ba ja
bie Seife unb ©erpflegung frei gehalten maren — bie ein ober gmei ©cubi per lag,
melche ©ereftn je nach ben ©rbeiten Derfprad), genügen mürben, um ihm barnacb
bie 4>eimreife ht fedjS ober acht ©Jochen gu ermöglichen.
Die £>ifee unb fcblecbte Suft in Som batten Äupelmiefer’S ©efunbbeit
angegriffen, unb fleine ©Mahnungen ber ©talaria machten ftd) bemerfbar. Unter
biefen ©erbältniffen trat er am 10. ©itguft bie Seife an, oorerft nad) Seapel,
mo er am 13. ©ugttft anfam unb am 20. mit ©ereftn gufammentraf. Sach
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Scopolb ftupelroiefer.
509
einem mehrtägigen Aufenthalt bafelbft uitb einem Ausflug auf ben Vefub
mürbe bie Steife non Steapel nach ©icilien mit bem Dampffcpiffe au^gefüprt.
Von SJteffuta au3, bon rno ber Ätna beftiegen mürbe, gieng e3 über ©atania
nach ©iracuS unb bon bort in ba£ innere be3 Raubes. Die Steifenben machten
übermä&ig meite DageStouren, ba bie Stacptperbergen meit bon einanber entfernt
lagen, ©inmal maren fie genötpigt, in einem fteinen Orte im freien unter
einem £au$thor gu übernachten, infolgebeffen Äupelmiefer, Verefin unb ihr
Diener am Sieber erfranften. Stach itoei meiteren anftrengenben Dagreifen
brachen fie, bom Sieber iibermältigt, in ©irgenti gufammen. Äupelmiefer mar
am 15. Stobember fchon bem Dobe nahe, unb atö er fleh gu erholen fchien,
mürbe feine noch fehr gefchmächte ©efunbheit burch ba£ Ableben Verefut’a tief
erfchüttert. Die hiermit berbunbenen geiftigeit unb förperlichen Anftrengungen
lÄupelmiefer berlieg ba$ Sett, um ba3 VegräbniS gu beforgeu) brachten ihn
neuerbingä an ben Stanb be3 ©rabe£. Der Argt gab ihn auf, berbot inbeffen
hoch noch ba3 Drinfen be$ uugefunben 2Baffer£. Der £>au$mirt, ein gutmütiger
SJtann, buchte jeboch, man fönnte, menit ber Äranfe ohnehin fterben müffe, hoch
noch beffen brennenben Dürft ftiUen, unb gab ihm reichlich gu trinfen. hierauf trat
in ber folgenben Stacht eine SBenbung gum Vefferen ein. Verefin, ber in Steapel
unb ©atania biel berbraucht hatte, mar ohne ©elb nach ©irgenti gefomnten,
feine Sachen mufften nun als Vfanb bort bleiben. Um Äupelmiefer nahm ftch
ein junger üiblänber namens* Dhale, al$ Stuffe ein öanbämann Verefin'*, an,
ber bie ©efepäfte be* Verdorbenen orbnete unb Äupelmiefer biele ©efälligfeiten
ermie*. Stach 3ü fahren fenbete Äupelmiefer £>errn Dhale gur ©rinnerung an
jene Zeit eine Meine Öanbfcpaft, ben Ätna barfteüenb, nach @t. AeterSburg.
Sn einer Sänfte muffte ftch Äupelmiefer nach Palermo bringen laffen
unb fehrte bon ba au* nach Steapel gurücf, mo er ©nbe December 1824 anfam.
Dort muffte er borerft abmarten, bi* bou Seite ber ruffifchen ©eianbtfchaft
Vereint'* ©efchäfte georbnet unb feine Anfprüche gebeeft maren. ©inige Veftellungen
erleichterten ihm ba* Sortfommen, unb bie Äaiferiit ©arolina Augufta fenbete
ihm eine Unterftüfcung bon 100 fl. Aber feine Kräfte erneuerten ftch nur fehr
langfam uub fo bergögerte ftch bie beabsichtigte Abreife. Sngmifcpen berfehrte
Ahtpelmieier biel mit ben bamal* in Steapel attmefenben öfterreiebifepen Officicren,
unter melchen er liebe Sreunbe gemanit. Dabei blieben feine fünftlerifchen
Arbeiten nicht gurücf. Au&er berjcpiebenenAorträt* malte er ein Heine* Ölgemälbe
nach ©oetpe’* „©rlfönig" unb fertigte berfepiebene Zeichnungen für bie .^ergogin
bon Sagan au. Äu§erft fcpmerglich berührte ihn gu biefer Zeit bie Stachricpt
uom Dobe Vonora'*. Schon baepte er baran, gufammen mit bem öfterreiepifepen
SJtilitär in bie Heimat guriiefgufehren; er entfcplof* ftep aber boep anber* unb
reifte am 15. Suli 1825, ba fiep bie ©elegenpeit bagu bot, mit einem öfterreiepifepen
Votfchaft*=©ourier bon Steapel ab, fap Stom nur im gluge, befuepte Siena
unb machte erft in gloreng einen längeren Aufenthalt, um, mie er jeprieb, feinen
lieben gicfole in beffen Heimat noch einmal gu begrüben. 3e näher er bem
Vaterlanbe fam, um fo gcmaltiger überfam ipn bie Sepnfucpt nach feiner
•'oeimat, feilten Sieben unb bor Allem nach feiner Vraut, unb entgücft jubelte
er auf, al* er bei ber Überfahrt über ben Ao bie Alpen mieber erblicfte. So
befcpleunigtc er benn nach Kräften feine Stücffepr. ©ein Verbleiben in Vologna
soar nur fitrg, gerrara unb Aabua paffierte er ohne Aufenthalt, hielt fiep in
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510 &opolb ftupelmiefer.
Senebig nur einen Sag, in Irieft smei läge auf unb fam am 7. Sluguft 1825
in SBien an.
©o fef)r ihm ber Slufentbalt in Jtalien burd) barte ©rlebniffe unb
gewaltiges Heimweh Verbittert mar, heilte bie tfeit biefe SBunben unb Äupelmiefer
ipracb in fpäteren fahren ftetS gern von ben Meinen unb größeren ©rlebniffen
feiner Steife.
Jn SBien traf er SJtancbeS veränbert. SJtebrerc liebe ftreunbe maren aus
bem Greife gefebieben, tbeilS bureb äußere, tbeilS burd) innere ©ritnbe baju
veranlagt. SBieber gruppierte ftd) eine Meine, aber gewählte ©efellfcbaft um
Srucbmann, ber ftd) Äupelmiefer anfcblofS. ©inige ber alten Sreunbe maren
geblieben, neue baju gefommen, im ganzen mar aber bereu 8abl verminbert.
2BaS ifupelmiefer in 9tom fennen gelernt, baS batte Srucbmann in ffiien
erfannt, unb aud) er mar aus bem bie SBiener ©efellfcbaft beftridenben
JnbifferentiSmuS ermaebt unb ein eifriger Äatbolif geworben.
©inige alte Jreunbe, meldje Äupelmiefer’S religiöfe 2lnfd)auuitg nicht
tbeilten, jogen ftd) von ibm aurüd. Später erfannten fte, baf$ er fein Äopi*
bänger geworben, bafS er benfelben frifdjen, reichen ©eift jurüdgebradjt batte,
bafS er ber alte, treue Jreunb geblieben mar unb bafS er ftetS bie größte
Xulbfamfeit gegen Slnbere übte, wenn fte aud) baS innere Seelenleben beS
ÄüttftlerS, aus welchem all’ bie reichen Sdjäfce, welche ©ott bineingelegt batte,
ftd) entmidelten, nicht Verftanben.
©inige Silber, welche Äupelwiefer gleich nach feiner Stüdfebr malte,
jogen bie Slufmerffamfeit weiterer Greife auf ftd). @3 waren bteS bie „^eiligen
brei Könige, bem Sterne folgenb“, welches bie foerjogin von Sagau taufte
unb „Xie Teilung beS XobiaS". Slußerbem malte er noch viele SorträtS, wie
Äupelwiefer überhaupt bis aurn Jahre 1840 viel mehr Sorträts als btftorifche
Silber ichuf, obwohl fein £>era unb Sinn ihn immer mehr ju biefen jog.
ftupelmiefer batte ftcb faum in SBien niebergelaffen, fo melbeten ftd)
febon junge üeute, bie feiner bervorragenben SJteifterfcbaft au folgen trachteten.
Unter biefen war wohl ber bebeutenbfte ©buarb Steinle, ber nur von feinem
12. bi$ 15. Jahr bie Sßiener SIfabemie befuebt batte, bann aber jmei Jahre
in tfupelmiefer’S Atelier arbeitete unb mit großer üiebe an bem SJteifter unb
ftreunbe, ber nach beS SaterS Xobe aud) fein Sormunb mürbe, bieng. Stadl
Äupelmiefer'S lob fchrieb er an beffen SBitme: *2113 id) ihn nach Jahren wieber
fab, war er gana baS alte 4>era, baS licbenSmürbigfte ©emiit, ber mid) in
meiner Jugenb nicht allein auf bie richtige Sahn ber $uitft geleitet, fonberri
mir noch weit Nichtigeres, bie Sahn ber Steligion unb ber Äircbe erfdjloffen bat.“
SBenn aud) noch ohne fiebere Stellung, bloß auf ben ©rwerb ber ftunft
augemieieit, führte Äupelwiefer bod) am 17. September 1820 feine Sraut beim
unb grünbete mit ihr, wenn eS auch an SJtübfalen mancher 2lrt nicht fehlte,
eine ber bettfbar glüdlidjften ©ben. Sei ber im ftaufe ber ©Item ßup gefeierten
JQocbaeit ließ ftd) fein treu gebliebener Jrcunb Schubert eS nicht nehmen, ben
vergnügt tanaenben ©äften feine herrlichen SBeifen aufaufpielen unb SJtoria Sd,minb
begrüßte bie junge ftrau als „Jrau SReifterin".
Salb nach feiner Serbeiratung fiel Äupelmiefer bie ©rbaltung feiner
verarmten SRutter unb ©cbwefter, fpäter aud) bie eines Steffen, feines ältefteit
SruberS Sohn, faft vollftänbig au.
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Leopolb ftupelwiefer.
511
Xiefe Umftäitbc unb aud), bafs ftd) Äupelwiefer baheim am wohlften
fühlte, PeranlafSten if)n, eilt jurüdgejogeneS Leben $u führen. 2US oerheirateter
SKanit hätte er ©inlabungen su gefellfcbaftlicbem Serfehr, wenn er fte annahm,
erwibern muffen, was er nicht fonnte unb was aud) feinem ernfter geworbenen
®efd)ntade nid)t mef)r entfprad). X)od) war fein £>auS unb fein befdjeibener
Xifd) jebem ftreunbe, ber ftd) bamit begnügen wollte, offen. Äupelwiefer war
ftetS ein freunblicher unb liebenSwürbiger Hausherr, aber ©chmaro&ern bot
feine Xafel fetnerlei ©enüffe.
2ln SBinterabenben laS er mit feiner jungen ftrau ernfte ©üd)er ober
befudjte feine Schwiegereltern, welchen er ein wahrer ©ohn war. 3Jtit ©ruchmann
unb einigen geiiteSocrwanbten ftreunben oerfehrte er häufig. ©ei biefen
3ufammenfünften, welche ftd) regelmäßig mieberholten, würben meiftenS gebiegene
SBerfe Porgelefen unb fobann befprodjen. SRehrere jüngere Äünftler traten
sufammen unb führten gegenfeitig gegebene ©ompofttionSarbeiten aus. XarauS
entfianb fpäter ein SBerf, baS unter bem Xitel „©hriftlicheS $unftftreben M in
bie Cffentlichfeit gelangte. ©S arbeiteten ba außer Äupelwiefer auch ftübridi,
Tempel, Äablif, Schul* u. 21. mit, bod) hatte baS Unternehmen feinen ©eftanb.
Xer Xob ber ftrau SrndwtanaS unb beffen ©djwefter, ftrau o. ©metana,
unb ber hierauf erfolgte ©intritt ber beiben Pcrwitweten SRänner in ben
SRebemptoriften-Orben brachten einen 9tifS in ben ftreuttbeSfreiS.
Xie Sommermonate 1833/34 brachte Äupelwiefer mit feiner Familie, bie
bamalS fchon Pier .^inber wählte, in Sloftemeuburg *u, wo er im September 1833
baS Pon ihm gemalte .t>auptaltarbilb in ber StiftSfirche auffteüte. ©eit
bem 3ahte 1831 war Äupelwiefer mit einem ©ehalte Pon 360 fl. (baS
Cuartiergelb mit eingerechnet) als ßorrcctor an ber 2lfabemie ber bilbenben
fünfte in ffiien angefteflt. 3m Jahre 1836 erhielt er Porerft ben Xitel eines
‘ißrofeffor# unb einige SRonate fpäter, nach Siebers 2lbgang Pon ber 2lfabemie,
aud) ben ©ehalt Pon 800 fl. unb 100 fl. Quartiergclb. Rührid), ber *u biefer
Beit nach Söien fam, würbe für Äupelwiefer ein ©rfafc für ©rudjmann. ©eibc
9Rcifter waren innig befreunbet, unb eS war bieS eine Sreunbfchaft, bie erft
ber Xob lüfte. Jn ben fahren jwifchen 1830—40 malte Äupelwiefer Piele
2lquarelle im 2luftrage ber ®r*her*oge Lubwig (©ruber beS ÄaiferS ftran*)
unb Jyran* ©arl nad) Ätopftod'S SReffiaS, Welche bie ©rjherjoge als ©efehettfe
für bie ftaiferin ©arolina 2lugufta Perwenbeten unb bie fpäter in ben ©eftp
bcs @r*her*ogS Karl Lubwig Übergiengen. Bwifdjen 1830 unb 1840 malte
ftupelwiefer bie 2lltarbilber für bie ©eitenaltäre ber Lichtcnthaler Äirche unb
baS £>auptaltarbilb in ber Xominifanerfirche. Jrn 3ah*e 1838 erhielt Shtpelwiefer
ben Sluftrag, ben bamaligeit Sürfc©r*bifd)of Pon Clrnüb, ©aron Sommerau,
*u porträtieren, ©r muffte *u biefem ©nbe nach Dlmiifc unb fttemfier reifen
unb führte bann baS Porträt in Lebensgröße, in ganzer ftigur, aus. ©oit
biefer Beit an erhielt Äupelwiefer oon bem ®r*bifd)of Pott Dlrnüfc mehrere
größere 2lufträge für Perfchiebene Kirchen uttb mufSte bcShalb öfters nad)
Olntüfc unb .fttemfter reifen, Wo*u man bamalS einen Beitaufwanb Pon faft
ebettfoPielen Xagen Wie heute ©tunben benöthigte.
Jm Jahre 1840 würbe Äupelwiefer ©hrenntitglieb ber 2lfabetnie Pott
SRailanb, fpäter auch ber Pon 9Ründ)en.
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512
tfeopolb ftupelmiefer.
Jiupelmiefer mar bcr ©rfte, meiner in Cfterreich in biefem Jabrbunbert
mieber al ftre?fo *u malen begann. $>ier banbeite e? ftd) nicht bloß um bie
Zeichnung ber ©arton? unb um bie 9Jtalerei, ber Siiitftler muffte auch sum &anb*
merf greifen, fid) ielbft ben 9Jtaurer abriebten, ber ben Slnmurf berjufteUeit
batte, unb ba? Schlemmen be? Sanbe? beforgen. Shtpelmiefer’? erfter Serfud)
in biefer s 2lrt mar ein Sruftbilb be? bl. Johanne? be? Xäufer? ober bem
laufftein ber Äircbe in 5Keuftift am SBalb, mo bamal? einer feiner ftreunbe,
s 2lmbro? SRoefner, al? Pfarrer lebte. Salb barnacb-malte er smei üRebaiUon?
in ber &au?capeüe be? $omberrenbofe? in SBien unb übernahm e? bann,
für ben ftauptaltar in ber neuen 3<>banne?fircbe in ber 'Praterftrage in SBien
bie 2lltars@emälbe bersufteUen.
®? maren 3ab*e angeftrengter ibätigfeit; nur feiten unb für* burd)
irgenb einen fleinen, mit feinen b^anmaebfenben Äinbern unternommenen
s ilu?flttg auf? Üanb unterbrochen. ®a Ahipelmieier im 3abre 1836 in ber
Sllferoorftabt eine SBobnuitg mit einem ©arten besog unb biefe 1840 mit einer
fchönen großen SBobnung im gräfl. Schönborn’fcheit 4>aufe, in ber jepigen
Üaubongaffe im VIII. Scsirfe SBien?, ocrtaufchte, buchte er nicht mehr baran,
mit ber fchon febr sablrcichen Familie auf? Üanb au sieben. ®iefe lepte SBobnung
bot oiele Slmtebmlicbfeiten; fte mar febr geräumig, eine alte £>errfd)aft?mobnung,
mit freilich etma? oerfaUener gräflicher Fracht. 3ene Simmer, melche einft bie
gräfl. Sdjönborn’fcbe ©alerie enthielten, maren mabre Pracbtfäle, mit grogen
Spiegeln, SKarmortijchen unb baroefen Xecfengemälbeit. Sie bienten ihm al?
Atelier unb sur Slufbemabrung ber oielen Karton?, bie er für feine Silber
gezeichnet batte. S)er parfäbnlicbe ©arten burfte oon ihm unb ben Seinen
beniipt merben. Sefonbcr? anmutbig marba? fogenamtte Salconjimnter, ba?
im Sommer ftet? al? Salon benüpt mürbe, ^m Sergleid) mit ben anberen
Zimmern mar e? nicht grog, batte aber einen Salcon in ben ©arten. $)ort
ocrlebte ber Zünftler mit feiner Familie manchen fchönen Slbenb. SBiener
Ahinftler unb ftrettnbe, fomie bebeutenbere Zünftler unb ©elebrte be? $lu?lanbe? f
bie ihr SBeg, fei e?, baf? fte nach Italien giengen ober oon bort tarnen, burd)
SBien führte ober bie fonft bie Xonauftabt befuchten, maren häufige unb
gern gefebene ©äfte. Slber auch bie beimifchen ftreunbe oerfammelten fid) bort
oft, unb ba ^ttpelmiefer bie SKufif febr liebte, mürbe auch t>iel mufteiert.
©ine Sreunbin feiner % öchter, Slugufte ©agner, eine s Pianiftin erften Stange?, beren
ftd) ältere SBiener mobl noch erinnern, perbrachte möcbentlid) einen Slbettb in ber
Familie unb mar ber muftfalifche SJtittelpuntt biefer gebiegeiten Unterhaltungen.
Sie fpielte bie ©laffifer mit SJteifterfcbaft unb fang mit Sorliebe Scbubert’fcbe
unb 9Jieubel?fobn’fd)e lieber. s JDtit ihrer Atunft nicht prunfenb, mar fte ftete
gerne bereit, auch mit minber Segabten Xuette unb Quartette einsuftubiereit
unb su ftngen unb fo tarn e?, baf? Schuberts bamal? noch mentg befanntc
©efang^Quartettc häufig sunt Sortrage gelangten. Stad) Slugufte ©agner’*?
frühem lob mar e? ba? ©bepaar ©ifenlobr, ba? häufig burd) feine ©efang?*
leiftungen im Salcoitsimmer bie SKugeftunben Ättpelmiefer’? Perfchönte.
®a mir an biefer Stelle fein genaue? Serjeichni? fämmtlichev
SBerfe JBeopolb $upelmieier’? geben föttnen, fo folleu hier nur jene berPor*
gehoben merben, melche gefenberte Venoben feine? Jlünftlerleben? sunt Slu? s
brtttfe bringen, ©ine iolche S*eriobe mar bie Arbeit in ber oben genannten
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Weopolb ftupelrotefer.
51 :*
Äirche in ber i3raterftraße. 3mei 3ah*e Arbeit fanit man für biefeS SBcrf
rechnen, benn im SBintcr seichnete Äupelmiefer bic dartonS, melche meit über
WebenSgröße gehalten futb, unb im Sommer malte er bann oom frühen ^Morgen
bis aum ftntenben $lbenb in ber eben erft neu erbauten Äircbe. freilich mürbe
SU biefer Beit noch manches anbere 93üb gefchaffen. Sefonbere Sorgfalt mibmete
Ahtpelmiefer ben oon ihm oermenbeten Farben, melche er (ich häufig felbft
bereitete. 3n ben lebten sehn fahren feines WebenS nahm er ftch basu nicht
mehr bie Seit. Neue (Srfinbungen auf bem ©ebiete ber ftarbenchemie liegen
ihm baS unnöthig erscheinen. 3lber jept, nach einer Sfteihe oon fahren, erfennt
man mohl, bafs Äupelmiefer'S ©ilbmerfe ber früheren ‘Periobe mit ben felbft
bereiteten Farben ttitoergleid)lid) flarer im dolorit fich erhalten haben als jene
feiner späteren Seit, in ber er ftch oielfad) neuer Farben bebiente.
3nt Spätßerbft 1845 unternahm er, nach längerer ^ßaufe, ben ersten
größeren Nusflug, für ben er fid) einen Urlaub oon Oiersehn Xagen gönnte.
(Sr reifte mit feiner ftrau ins Salsfammergut. Die Seranlaffung basu gab
ein SKtarbilb bcS bl. Ntartinus, bas er über Auftrag beS (SrshersogS Wubmig
für bie ©farrfirdje oon ©oijern gemalt hatte, ©ei biefer (Gelegenheit über¬
nahm er aud) eine ©es'tellung beS (SrshersogS Srans ßarl für ein SUtarbilb
nach 3fd)l. (Sine (Srfranfung im ©Jinter 1845—46 oeranlafSte ihn, 1846 eine dur
in ©oben bei ©Men su gebrauchen, melche er fpäter einigemale mieberholte.
Nuch mährenb seiner ©abecur malte er ftetS an Heineren ©ilbern, machte aber
beS Nachmittags mit feiner ihn begleitenben ©attin unb einem ober smei feiner
tfinber, melche abmechfelnb bei ihm maren, meitere ©uSflüge. Jm £>erbft 1847
reifte er in ©efeüfchaft ftühridfS nach 3fd)l, mo er baS $auptaltarbilb, ben
hl. NicolauS barftellenb, in bie ffirche brachte. Son ba auS gieng ber SBeg über
Nltötting, um ©ruchmann su fehen, bann meiter nach 9Künchen, mo bie bortigen
Zünftler ben beiben SBiener ©rofefforen einen überaus beglichen (Smpfang
bereiteten. Stuf ber Neife trafen fte noch mit Dr. 3ofef ftief, bem einftigen
©efchichtSlehrer beS ÄaiferS Srans 3ofef, unb Dr. Xheobalb Nisi,*) einem
©etter oon ÄupelmiefefS Srau, sufantmen. Die ©efellfchaft besuchte noch
NugSburg, Nürnberg, ©amberg unb NegenSburg.
Drofc ber Ungunft ber 3eiten erhielt Alupelmiejer im Frühling 1848 ben
xUuflrag, bie Decfe beS SaaleS im neuen Statthaltereigebäube mit ©ilbern
auS ber öfterreichifchen ©efchichte su fehmüefen. (Sr arbeitete mit oieler Wiebe
an biefem SBerfe. 3« einem ©ericht, melchen er über ©erlangen ber
Aiaiferin darolina ©uguita an biefelbe über bie (Sreigniffe biefeS Jahres
richtete, fchrieb er über feine eigene ©erfon: „3ch habe baS ©lücf, mich in
mein 2ljt)l ber $unft flüchten su fönnen unb ber ©ußenmelt nur bie nöthigfte
©ufmerffamfeit su mibmen. 3ch Oermenbete hiebei einige junge Weutc,
dbuarb dngerth, ©ogler unb Solbabitfd), als /pilfSfräfte unb mar baburd)
in ber glücflichen Wage, fie oon ben Dhorheiten unb oerbrecherifchen Umtrieben
absusiehen. Sie erfannten bieS banfbar an, unb inbem ich fte mit an ber
viunft ermärmte unb belebte, habe ich mit ihrer ©eihilfe einen großen Dheil
beS SaaleS beenben fönnen." Äupelmieier’S reblicher dharafter, feine Dreuc
gegen baS öfterreichifche ^aiferhauS empörte ftch gegen bie reoolutionäreit
©eftrebungen biefer Beit. (Sr mar ein SNann ber Dhat, oerfchmähte es
I^eobalb ftteiljerr t>. geft. 1882 als ^Jräftbent be$ Cberften $ericbt3bofe*.
Tie ttultur. III. 3af|rg. «. unb 7. $eft. ^ 1902 »
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514
8eopolb ßupelroiefer.
aber, feine Seit mit Spielereien hinsubringen. Deshalb fonnte er ftd) nicht
entfchließen, ber bamatö bejubelten ItRationalgarbe beiptreten, melche ftd) oft
mit recht lächerlichem ©olbatenfpiel befcpäftigte; bagegen trat er felbft=
Perftänblid) bei jeber ©elegenheit, bie fich ihnt bot, entfchieben für Kirche
nnb Äaifer ein. Siele Serbienfte ermarb er ftd) bei ber ©rünbung be#
®atbolifensSereine§, an beffen ©ntmitflung er mit Seitf) unb Slnberen arbeitete;
nnb fpäter bemühte er ftd) auch eifrig für bie ©inführung be3 fiehrling^
SereineS in ber Pfarre Sllferoorftabt. 3n ben Dctobertagen 1848 mufstc
er feine al gre3fo=2lrbeiten unterbrechen. SDSemt er auch nie eine SBaffe
ergriffen hatte, fo mar bod) fein entfcpiebeneä männliches Slnftreten ben
SRePolutionären gegenüber für baS Pon ihm bemohnte HauS ein Sdjup,
benn fein. fräftigeS unb muthigeS Serhalten binberte bie fogenannte
polnifche Öegion, ihr Hauptquartier bort aufpfchlagen. Sei ber Dhron-
befteigung Äaifer granj 3ofefS muffte Äupelmieier ein fleineS gamitien-
s 2lquareU für ben faiferlidjen Hof malen. Die SRutter beS SfaiferS, grau ©rs-
herpgin Sophie richtete bieSbepglid) ein eigenhänbigeS Schreiben an ihn.
3m 3«ni 1850 perlieh faifer grau* 3ofef bem Zünftler baS SRitterfreu*
beS granj 3ofef$=Drben3. 3nt Herbfte beSfelben 3ahreS reifte er auf Seran-
laffuttg beS ©rjherpgS Sttbmig nach Deutfcplanb. Der ffieg gieng mieber über
3fd)l, mo er im Aufträge beS Hofe§ bie ©emälbe für bie beiben Seitenaltäre
ber bortigen Ufarrfirche p malen hatte. Abermals maren gührid) unb für
einen Dheil ber Steife auch Stiji feine ©efährten. ©r berührte SRünchen, Stutt¬
gart, granffurt. DaS Steifend mar Ädln unb Straßburg. 3n Steuburg bei
Schioffer fah er ©teinle mieber unb nod) manchen guten alten greunb. ©r
fchricb nachhaufe, eS fornnte ihm Por, als fahre er Por ber 9Rariahilfer-8inie
herum, fo Pielen Sefannten begegne er. Sei ber Stüdreife begab er ftd) mit
gührid) Pon SRündjcn aus nach 0ber=2lmmergau. 3nt Sommer 1851 befudjtc
er, um im Aufträge ber ©rjherpgin Sophie ein Porträt \>ex SRarie SRoerl
anpfertigeit, in Segleitung feiner grau Dirol. Son 3fd)l aus, mo er nodi
©efdjäfte hatte, gieitg er nach 3nnSbrud unb SReran. Son bort au£ hätte
er gerne baS llltenthal, bie Heimat feiner Sorfahren befucht, aber bie
fchlechten SBege unb ber SRangel an Seit hielten ihn baoon ab. 3nt
StoPembcr beSjelben gahreS zeichnete ihn Sapft ^ßiuS IX. mit bem Stitterfreus
beS ©rcgor-OrbenS aus. 9Rit bem Seginn beS folgenben gahreS 185*2 mürben
bei ber Steorganiftcrung ber 9lfabemie bnrd) ben ©rafett Dbun je eine ber
neuerrichteten SReifterfdjuleu Äupelmiefer unb gührid) übergeben. 2lud) mürbe
bereit ©chalt perboppelt, b. h- mit 1600 fl. normiert. Die ©rrichtung biefer
SReiftcrfcpulen freute Afupelmiefer fehr, tropbem er infolge berfelben fein
fchöneS Atelier im ©chönborn’fcben Haufe mit einem folchen in ber 2(fabemic
pertaufdjen muffte, ma$ ihn auch nöthigte, außer bem Haufe p fpeifen unb
baburd) bie ihm liebe Sereiniguitg ber gamilie am SRittagStifd) aufpgeben.
3m grübling 1854 mar Äupelmiefer unter jetten Äünftlern, melchen bie
2lttSfd)müdung ber 8ercpenfelberfird)e übertragen mürbe, gührid) hatte ben
Auftrag erhalten, fomohl bie 2luSmahl mie bie ‘JMäfce für jene SRotioe p
beftimmen, toelche in ber neuerbauten ftirepe pr fünftlerifchen Darfteßung
gelangen füllten. Die ßompofttion ber fo feftgeftelltcn ©entälbc unb beren
StuSführung mar bann Sache jebeS einzelnen Äünftler^. So mar ifupelmiejer
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fieopolb Supelmtefer.
515
bie AuSfcbmiidung bcr Suppet mit ber Saritellung ber ad)t Oeligfetten unb
ber beiben ©eitenaltäre übertragen morben. Supelmiefer mäblte für bie
fpmbolifcbe Sarftellung ber acht ©eligfeiten Pier ©eenen aus bem alten unb
Pier aus bem neuen Xeftament, melcbe foaufagen ber praftiiebe AuSbrud ber
Pon ©briftuS bem £>errn gegebenen ©erbeißungen finb. Sie ©eitenattäre
mit ihrem SBanbfcbmutfe follten bie ©infepung beS atlerbeiligften ©aframenteS
beim lefcten Abenbmabl unb ben 3Rarien*©ultuS oerbilblidjen. Sie letztere
Sarftellung, bie atterfetigfte Jungfrau, umgeben Pon ben Zeitigen, bie bureb
©ermanbtfcbaft unb ©erebrmtg ibr befonberS nabe geftanben finb, mirb
Pietfad) als bie ©erle ber SRalereien in ber bortigen Sirdje beaeiebnet.
Siefe Arbeiten, melcbe erft 1860 Pollenbet mnrben, nabmen Supelmiefer'S
ArbeitSfraft nicht PoUftänbig in Anfprucb. @r arbeitete in biefem Zeitraum
noch Pieter Anbere nebenher. Sa bie Sircbe, ber feeXforglicben ©erbältniffe
megen, au einer Beit ihrem ßultuSamede übergeben rnerben follte, als ^roei
©emälbc unter bem Sttuftfcbor, melcbe Führich übernommen unb bereit
©artonS er febon geaeiebuet batte, noch nicht angeführt nmren, übernahm
Supelmiefer auf gübridfS ©itte auch bereu Ausführung, — ein Opfer,
melcbeS ber fetbftfcbaffenbe Sünftler ber Sirdje unb feinem gremtbe brachte.
Supelmiefer’S ©barafter btieb ficb Beit feines Gebens gleich, nur bafS
er im Atter in ber ©eurtbeilung Anberer noch mitber mürbe. ©on jeher mar
er allem ©efiinftelten abbotb unb Permieb ben äußeren fogenannten genialen
Auftrieb, meit er als Sünftler im mabren ©inne beS 5BorteS auf Äußer^
liebfeiten feinen SBSert tegte. SWicbt bloß feine greigebigfeit unb bie ©orgfatt, mit
melcber er auch gering beaablte ©über auSfübrte, aeigen feine große ©efutnung,
fonbern oor allem mar eS bie Art unb AJeife, mie er Sränfungen unb Burüd=
fefcungeu ertrug, morin biefer ebte Bug feines ©barafterS au Sage trat. üftic
groltte er feinen Leibern, im ©egentbeil fam er ihnen ftetS gütig entgegen unb
gemann fte bureb bie Öauterfeit beS ASefenS. ©einen ©cbütern mar er immer
ein mabrer ©ater unb grennb, bemüht ihnen au ratben, au helfen, ihnen Arbeit
an oerfebaffen unb biefelbe au förbern.
Supelmiefer’S ©Übung mar äußerft oietjeitig. Sein ©ebiet ber ASiffem
febaft mar ihm Pottfommen fremb, mit befonberer Sorliebe aber befafSte er ficb
mit ©efebiebte. Außer mit miffenfcbaftticben AJerfen gab er ficb auch gerne mit
feböner Literatur ab unb (iebte eS, gute ©lieber im gantilienfreife oorlefen au
taffen. 3n feinem Sefenntniffe a(S Satbolif mar er ftetS offen unb entfebieben.
@S mochten gute ober fcblecbtc ©brüten, Satbolifen unb ©roteftanten bei ihm
fein, er betete Por unb nach Xifcb, uttb menn baS AngetuStäuten erftang,
erhob er ficb, ohne ficb um Anbere au flimmern. ®S magte ficb über auch
fein Spötter an ihn, benn ohne bafS man ihn ftrenge nennen fonnte, butte er
bod) etmaS ungemein ©brfurdjtgebietenbeS an ficb- ©roße Xreue in ©rfüüung
jeglicher religiöfen ©flicht aeiebnete ihn ftetS aus unb bie Anbängticbfeit an
bie Sircbe mar ein ausgesprochener Bug feines ABefeitS. 3m eigenen £>aufe
hielt er feft an ber Aufredjtbaltung ber Päterticben Autorität, mar aber ein
äußerft tiebeooUer unb beforgter ©ater unb fühlte ftcb nirgenbS mobler als
im Sreife ber ©einen.
Sie Aufträge, metebe Supetmiefcr Pon ©eiten beS föofeS erhielt, brachten
ihn in ©erübrnng mit ben meiften älteren SWitgliebern beSfelben. ©o mit
33*
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i*eopolb ftupelioiefer.
Äoifcr Jerbinaitb, beit ©rsberjogen Submig, Anton, Johann, ivranj (Sari unb
Sräbersogtn Sophie. Sor aEem aber toor eS bie eble Äaiferin ßaroltno
Augufta, melche ihn nicht nur in Äunftangelegenheiten *u Stathe jog, fonbern
auch manche ihrer Dielen SBohlthaten, befonberS an Äünftler, burch feine
£anb fpenben lieg. Sie nahm an adelt ©retgntffen Antheil, melche baS Nebelt
Äupelmiefer’S ober feine Familie betrafen, *og in ©rfranfungSfäßen
ftetS genaue ©rfunbigungett über fein ober ber Seinen Sefinben ein uttb
berief ihn oft betreffs Serathungeit in ftch. AIS einft im Haufe, mo ftupel*
miefer mohnte, nachts ein fteuer auSgebrochen mar, melcheS einige Don feinet*
Säohnung entfernte Objecte oeraehrte, mar eS bie Äaiferin, melche gleich am
frühen SJtorgen anfragen lieg, mie eS ihm unb ben Seinen ergangen fei.
AIS Sührich burch bie Sreigniffe beS Jahres 1848 ganj gebrochen Don Schon*
linbe, mobin er mit feiner gamilie Dor ber Steoolution geflohen mar, int
folgenben Jahre mieber surücffehrte, beftedte bie Äaiferitt, auf Äupelmiefer’S
Sermenbung hin, bei bemfelbcn bie 3eitbilber. Aus einem Srief an bie hohe
Jyrau aus biefer 3eit geht herDor, mcldf marmeS Jntereffe er ben Arbeiten feines
rtreunbeS joßte. SJtit einer bebeutenbenSerfönlichfeit befreunbete ftch Äupelmiefer
noch in fpäteren Jahren, eS mar bieS ber bamaltge päpftlichc StuntiuS am öftere
reichifchen Hof unb fpätere (£arbinal unb ©rjbifcbof Don Bologna, Siale
Sreia. Sie Annäherung fanb fchon in ben SSiergigcr fahren ftatt, theils burch
Sefuche beS StuntiuS im Atelier beS ÄitnftlerS, theils burch Sefteßungen Don
Silbern über Auftrag ihm befreunbeter ^firchenfürften. Aus bem gefchäftlichett
Serfehr mürbe halb ein freunbfchaftlicher, Äupelmiefer berieth ftch mit bem
gelehrten Theologen über feine firdjlichen Sompofitionen, befonberS über bie
AuSmahl ber $arftedungen in ber Alt*üercpenfelber Kirche. $er Zünftler
mar ein häufiger @aft in ber päpftlichen Nuntiatur. Aus bem Jahre 1857
ftammt auch baS befanttte unb Diel Derehrte Her* Jefu*SiIb in ber UnioerfttätS*
firche. Jn ben Jahren 1856 unb 57 mufSte Stupelmiefer nach Äalocfa reifen,
mo er mehrere Silber für ben Hauptaltar beS bortigeit XorneS unb bas
Sorträt beS (SrsbiicpofS in malen hatte. Jm Jrühling 1857 befuchte er Don
bort aus feinen jmeiten Sohn, ber als Hüttenmeifter in Stefcpi&a im Sattat
angeftedt mar. Jm <t>erbft beS JahrcS 1859 mieberholte er biefe Steife mit
ieiner Jrau, um fein erfteS (Snfelfinb bort *u begrügen.
Obmohl fchon ein Sechziger, arbeitete ifupelmiefer noch mit oodftäitbiger
Jugenbfrifche. Stacpbem er im Jahre 1861 baS groge Altarbilb SJtaria*
Himmelfahrt für bie UnioerfttätSfircbe in SBien oodenbet hatte, machte er mit
ieiner Jamilie einen Ausflug nach 2Jtaria*3eß. Son SKüraauichlag aus (egte
er einen grogen Xhcil beS 2BegeS in ftug surücf unb mar für fein Alter fo
hräftig, bafS feine Sreunbe fo mie feine Jamilie ein gemiffeS Anrecht in haben
Schienen, für ihn ein hohes Alter in erhoffen. $a begann er anfangs 186£
*u träufeln, hoch befferte ftch baS llbel anfcheinenb, unb nach einer Sabecur in
lüffer fchrtc er SJtitte Auguft heiter unb oergnügt, mie er eS nach ieber
Steife mar, nach AMen aurücf. Am 16. September mohnte er ber Hochzeit
feines älteften Sohnes in $rentS bei unb machte, nach SBicn jurücfgefebrt,
mit bem jungen Aaar unb feinen übrigen $inbern noch eine Sßartie auf ben
^eopolbSberg. Acht Sage nach ber Hochseit erfranfte er aufs neue, unb eS
folgte eine Steihe Doit fcbmcrjlicben Sagen unb SJocpen. Jn meniger fchmers*
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Scopolb ftupelroiefer.
517
lieben Stunben oerfucbte er nod) 311 3 eid)nen uitb hörte gerne SRuftf, lange
aber Pertrug er Seiber nicht. Da 3 u !ant nod), baf£ bie Samilie bie Sobnung,
in ber fie 22 3 at)re gemobnt batte, infolge Verlaufs be£ §aufe£ mecbfeln
muffte. Xobfranf muffte er ftd) in einer Sänfte in bie neue Sobnung
bringen laffen. 211$ bie Seinen 311 einer Seit, in ber man fein ^eben nod)
31 t erbalten hoffte, gelegentlich be$ Überfiebeln* fein SÖtaljeug orbncteit, fagte
er mit einem Scuf 3 er: „©ebt bie al fn*c$fo' 3 rarben meg, id) merbc mit ihnen
nidit mehr malen fönnen." 21m 15. Wooember fühlte er ftd) frei Pott
Schmerlen, bie Sd)tnäd)e nahm aber fo 31 t, baf$ ihn fein ^eicbtPater
anfforberte, am folgcnbcit läge bie Sterbeiacramente 311 empfangen,
lie 2lnfunft feiner älteren Söhne, bie man telegraphifd) berufen batte,
fd)ien ihn 3 U erfreuen, iebod) mar er 311 fchmad), um an ihrer ©egenmart
tieferen 2lntl)eil 31 t nehmen. 2lm 17. Wooembcr 1862, eine halbe Stunbc
nad) Mittag, oerfd)ieb Itieopolb Atupelmiefer, fanft ltttb ohne lobe$fantpf,
umgeben tmn feiner Familie uitb feinem treuen Jyreunbe ©arl 9toe$ner.
©iitc 3 ahllofe 2 JJenge füllte am 19. s Jtoocmbcr in fpäter 2 lbenbftunbe
beit Stefan3*$om, in melchent .stupclmiefer’* Leichnam eingefegnet mürbe.
Seinen Sarg, ben ein £orbcerfraii 3 fd)ntüdte, trugen feine Schüler. 21m
folgenbcn lag mohnte ber lobtenmeffe in berfelben Ätrcbe and) bie Ataiferin
©arolina 2 (ugufta bei.
2tad) bent lobe feiner ©attin, im v Vhre 1883, mürben Ahtpelmiefer’*
fterblicbe Überrefte Pou bent Äircbbof in Säbring nad) beut in ©rin^ing
übertragen uitb bort in einem ©rabc mit ber fo fchr geliebten iyrau Per
einigt, ©in fdilichter üeicbenftein mit beut 23ilbc be$ auferftanbeiten 4>eilaub*^
fdimiicft ba$ ©rab. „3cb bin bie 21uferftcbung nnb ba$ £eben", biefc Sorte
umgeben ba$ 23ilb be$ A>eilanb$ nnb unter bemiclbcn ftehen bie Sorte be$
alten €fterliebe$:
„Sie Xu Pont lob erftanben bift,
Üaf$ utt$ erftebn, Jperr ^efu ©brift.“
©in Spruch ben er felbft fur 3 e Seit Por feinem lobe al$ paffenb für
ein Sterbe=2(nbenlen beseiebnete.
©emif$ paffen biefe Sorte für bie beiben treuen, glaubeu$ftarfeu
SWenfcben, melcbe unter biefem Steine einer feligen 21uferftebung entgegen
barren.
*
* *
9)tit Atupelmiefer fanf einer ber beroorragenbften Äünftler ber älteren
Siener Schule in$ ©rab. ©rnft Jvörfter, ber in feiner ©efd)id)te ber beutfebeu
fiunft gerabe biefer Schule, unb befonber$ Sübrid) nicht gerecht mirb, läf$t
bod) Atupelmiefer ooUe 2lnerfennung 3 « Sbeil merben, inbem er über ihn
iebreibt: „Öeopolb Atupelmiefer, bereite 1809 Schüler ber 2lfabemie, tbeilte
bie fünftlerifcbe unb religiöfe Sinue$meife Sübridf$, bod) ohne beffen gärten.
Sein Stil ift freier, breiter, bie formen ftnb größer, ber 2lu$brud unb bie
23emegung befeelter; meniger reich an ©ebanfencombination, beftfct er eine
poliere ©abe ber Unmittelbarfeit. Seft in ber Zeichnung, gefebidt im äJtalen,
gibt er icincn Serfen ba$ ©epräge einheitlicher SSoUenbung, beffen Sert
burd) ben baritber au$gegoffenen ©rnft ber 2luffaffung unb bie feierliche
s JJti(be ber XarfteUuitg erhöbt unb gefiebert mirb."
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518
Seopolb fiupetiotefer.
Die heutigen Äunftrichtungen, welche io fet»r au«einanber geben, werben
.tiupelroiefer fchwerlidj gerecht werben. Den Steatiften wirb er ju wenig, ber
ftrengen Schule ju oiel Steaiiftit bieten, beim er bat ftcb ftetd auf ber golbenen
SJtittelftrajje bewegt, Weber ben ©chmufc ber (Söffe mit beionbeTer Siebe
bebanbett, noch ben SJtenfchen, ben @ott nach (einem ©benbilbe geicbaffen,
burcb fteife, ecfige Bewegungen corrigieren wollen. Da feine meiften unb
ichönften Bilber Slltäre fdjmücfen, fo malte er häufig bie heiligen in
oerflärtem 3uftanbe u. jw. gern auf ©olbgrunb, welcher ichon an unb für
ftcb eine gewiffe Stube in ber ©eftalt forbert. Bon ben ©eficbtSjägen bi« jurn
Faltenwürfe herab, beut er befonbere 'ilufmerffamfeit fcbenlte, ift StUe« erhaben
unb feierlich. Doch werben bie Beuroncr .ffünftler finben, bafs ein hl- Stefanu«
im Dobe, felbft wenn er ben J&intmel offen ftebt, ftcb bodj nicht fo heftig
bewegen tonnte, wie er j. B. auf bem Slltarbilb in Steh bargefteüt ift Die
Stealiften hingegen werben finben, baf« berfelbe jum Dobe getroffene heilige
Stefanu« unb ber fcbon gefolterte hl- Fohanne« öon Stepomut in ber
SJteiblinger ÜHrcbe unmöglich oon fo oodenbeter Schönheit fein tonnten, wie
thipelmiefer fie auffaf«te unb barftellte; aber fte benfen eben nur an ben
momentanen Schmer^, nicht an bie übernatürliche ©tärtung, bie fcbon einen
Strahl ber Bertlärung, alfo ber übernatürlichen Schönheit über ben SJtärtprer
au«giefjt, unb biefen Strahl fab ber Äünftler mit feinem geiftigen Sluge unb
war beftrebt, ihn wieberjugeben. Fn biefem Strahle ift aber auch bie Stube
ber Bertlärung ju fuchen, welche fo häufig über ftupelmieier’« Bilber
au«gegoffen ift.
3Bie Äupelwiefer felbft über feine Bilber urtbeilte unb gerabe über ba«,
wa« wir ben Strahl bet Bertlärung nannten, jcigt ein Slu«fpruch, ben er
einige Btonate oor feinem Dobe einer Dame gegenüber tbat, bie ihm über
bie Schönheit eines SRarienbilbes, welche« er bamalS für bie ©rjhersogin
Sophie malte, eine $>öflichteit fagte; er ermiberte ihr: „3Bie wirb un« unfere
Äunft, wenn mir einft bie Jpeiligen im -t»immel fehen, nur al« elenbe
Stümperei erfcheinen!"
Pufferen Stuhm hat Atupelwiejer nicht gefucht. Da«, wa« er bei feinen
Bilbern wünfchte, baf« fie jur ©rbauung unb jur Frömmigteit beitragen
follen, ba« hat er ficher erreicht, unb wenn nach Fahrbunberten fein Stame
oielleicht ganj »erfchotlen ift, werben feine SBerte noch berebt ju ben tperjen
fprechen unb fo ihm, nach ben Sßorten ber Schrift, nachfolgen.
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Donau und Rhein.
(Ein (Sflatj.
Bon ®r. Union ®iirrhia*rf|t*r.
; Jfflfellgemach taucht hinter mir 93ifd)of ‘ißilgerim* ©tobt mit ihren ©iebeln
unb Ihürmen in ben ftluten ber Donau unter. Srnft unb eiitfam mirb
e* ringsum. Die „Äaiferin Slifabeth", ber ftolge Dampfer, auf bem ich bureb
bie bunfeht ©albberge be* Sahrifcpen ©albe* unb be* Hau*rucf in bie
Oftmarf pinuntergleite, mirb felbft immer ftiüer, immer gögernber unb oor=
richtiger; benn ba, mo lauernb mie eine gum Sprung fertige Üafce, bie Naub=
bürg Kogenbach ben 2auf ber Donau bemacht, prejfen ftet* muchtiger ragenb
unb brängenb bie ©erge ben Strom in ihre $lrme unb nur, in feparfer
©iegung fich gurücfmenbenb, um ben 2auerplafc ber Naubburg herum oermag
er gu entrinnen. Hier jchriUt bie Dampfpfeife burch bie ftiUen ©älber, bem
ftromaufmärt* fommenben Schiffe gum marnenben 3eicpen. Die Stöber ruhen
hier, nur ba* Steuer hilft bem Strome bie ftolge 2aft meiter tragen. Hier
läf*t e* fich gut träumen. Schmach nur ift ber erfte ^ßlafc befefct, unb bie
©enigen ftnb emft unb ftille mie ich. ©ieüeicht geht e* ihnen mie mir. 5luch
fie vielleicht empfinben ba* eigenartig Srnfte unb gum Sinnen ©inlabenbe
biefer Donaulanbfchaft unb ba* Hochgefühl, auf biefent merfmürbigften ber
Ströme @uropa* bahingufahren.
©ie oft hab’ ich in meiner .fiinbheit am Npein Don bir geträumt, bu
geheimni*DoHer Strom be* ©eften* unb Often*! s 2luf ber Äarte bin ich bir
oft gefolgt, mit ben Nibelungen in ©ebanfen binuntergegogen in Äönig ©Del*
Steich unb mit ben .ffreugfaprern auf bir in ba* milbe, geheimni*DoUe 2Kärchen=
lanb be* Orient* gerubert. Dann fah ich bich felbft unb lebte lange fchöne
Jahre an beinen Ufern. 2lber, mar e* ber Umftanb, baf* be* SJienfcpen Sepn=
fucht immer mieber nach ber Jugenb geht, ober mar e* etma* Unbefinierbare*,
ma* mie Dom Npein einft gur Donau, fo nun Don biefer gum Npein eine
unfichtbare ©riiefe be* Denfen* unb ©mpfinben* baute: meine ©ebanfen
febrten Don ber Donau gum Npein gurücf, unb Nätpfel gaben mir nun fie
beibe auf, bie beutfehen Ströme, bie fo nahe bei einanber ihre ©iege höben,
foDiel Don ber nämlichen ©efepiepte, Sage unb Kultur empfiengen unb hoch,
auf fo gang anberen ©egen eilenb, fo gar Derfchiebener 9lrt finb. Da* mar
e*, ma* al* fieitmotiD au* jenem Sinnen in ber Donauenge bei Hagcnbacp
fich herau*geftaltete unb hinunter unb hinunter auf bem bei allem ©ecpfel
gleichmäßig ernften Strom mich nicht mehr lo*laffen moßte.
Nahe beifammen fah ich Npein unb Donau. ®* ift ja nicht meit Don
ben büftern ©cpmargmalbhöpen, au* benen bie fleinen Oueflbäcpe ber Donau
rinnen, bi* gu ben fonnigen Hügeln, an benen fchon bie rheinifche Iraube
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520
$)r. 9lnton Xürrmaed>ter.
reift, ooit bem einfamen $bnle bcr ©rege unb ber ©rigad) bi# hinauf ju
ben ©ipfeht, oon bcnett au# man bie meiten lacbettben Sluren mit ber ftlbernen
•tfette be# SRheine#, ihrem fdjönften ©efcbmeibe, überftebt. Unb tief bninten
im Sdjofc ber ©erge, fagt man, miffen fogar bie ©eroäffer jaubernb nicht,
ment fte sueUen füllen, bem grünen ftarfen Sohn be# ©letfebereife# ober ber
braunen febmäebtigen Xodjter be# Scbmarsmalbe#. Xen ^Römern icbon mar
biefe# nabe ©eieinanber ber ©eiben aufgefallen, ©efebmifter haben Spätere
fte genannt, ©ut, mag e# einmal gelten, ba# ©ilb, mentt auch nur fo, bafe
un# Schein unb £onau mie *Rad)bar#finber erfcheinen. 2Bie $Racbbar#finber!
9Ran erzählt fie ftch gerne, bie ©efebiebte folcber $Racbbar#finber, unb immer
läuft fte barauf hinauf, baf# bei fo uerfebiebenem SBefen ihre ©ege meit t)on
ihrer ©iege giengen. Xarf ich oon einem SBefen, oon einem Sbarafter ber
Ströme fpreeben? 3cb sttjctflc nicht. ®# gibt 2anbfd)aft#= unb Stromcbaraftere,
unb bie beiben, bie ich meine, ftnb beutlicb genug.
Sonnig, fröhlich/ Dom Anfang an rafeber ©ntfaltung $ubrängenb, ift
ber SRbein. Herau#brecbenb au# bem grünen ©letfeberei# ber freien, liebten,
beherrfebenben SUpenhöhen ftürgt er ftcb hinunter mie mit einem feefen, ftege#=
fteberen ®ntfd)luf# in ba# 2anb, ba# er ba oben erblitfte. Spielenb überminbet
er bie Hinberniffe. Sie febeinen faft nur ba su fein, ihn rafcb su flären unb
fürforgenb ju ftählen. Unb fiehe, fchon lange oor bem ©obenfee öffnet ftcb ihm
meite#, reichet 2anb. Diefer felbft aber nimmt ihn auf mie ein ruhiger alter
Sreunb, ber einen ungeftümen, fcbaffen#froben Jüngling ju feinem ©eften in
Sdjranfen hält, ©efammelter ift benn auch ber SRbein gemorbeit, aber feiner
s 2lrt hoch treu geblieben. Unbeirrt bureb bie Scbranfen be# 3>ura ftürmt er
feurig über ihn hinweg, an heiteren Ufern oorbei, bi# mie au nimmer enbenbem,
frieblicbem 2auf ftcb ihm bei Safel bie herrliche 6bene meit aufthut. 3n ihren
gefegneten ©aueit ift er ber SReifter unb Herr. 5Rit allem, ma# fte haben,
geleiten fte ihn, mit bem oiele Stunbcn breitem ©ürtel febmerer Selber, mit
ben über fte binmeg sum 9ibeiu hinüber grüfcenben blauen ©ergreihen, beren
febönfte lannenftämme er bem SReere aufübrt, mit ben jahüofeit Slüffen unb
Säcben, bie alle jtt ihm hinunterjtreben. $lber auch al# Herr biefer meiten
2anbe ift er ber 2llte, bcr heitere, ftegenbe, jielfreubige SRbein. ©ie ein einiger
©inflang ift e# in biefer ganzen SRbeinlanbfcbaft. Selbft bie 9Renfcben, bie an
ben Ufern mohnen, unb ihre ©obnftätten ftnb auf ihn geftimmt. 3Me
fröhliebften unb rührigften bcr beutfeben Stämme ftfccn an bem Strome, unb
febimmernbe Stäbte unb febmuefe Dörfer fpiegeln ftcb in ihm unb brängen
ftcb mie helfenbe ©etrene immer eifriger an ihn heran, je näher bie ©ergmelt
be# Hun#rücf unb Xaunu# ihn einsuengen ftrebt. Unb nun ift e# ihnen boeb
gelungen! ©ie eine SRauer thürmen fte ftcb ihm entgegen. ©irb e# nun
anber# mit bem SRbein? s Jtur einen Slugenblicf miegt ba# ©ilb be# ©rnften,
Schmeren, be# Kampfe# oor. 2lber bann hat er in ba# Ihor Don ©ingen
triumphierenb feine gan*c $lrt geführt. Sa, er fteigert fte noch. Hier mirb er
*um SRhein ber fdjönftett Sagen, ber ebelften fRebeit, ber fröhliebften lieber,
be# bemegteften 2eben# unb Streben#. Saft bi# ju ben Quellen feiner Sieben^
flüffe hinauf ftrömt er hier feine eigene 9lrt, unb nur auf ben Hochflächen
broben, in ben tiefen Söinfeln ber Serge hält ftcb bie ®intönigleit berfteeft,
bie Xüfterfeit unb ba# Scbmeigen, bie ihm oergeblicb mehren moüten. ©enn
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Donau unb Rhein.
521
ihm, bent f)ocf) unb ftols ©nteilenben, bie fiebcn Serge bann nadjfcbauen, bann
grüßen ihn ba, wo er fein £>inberni* mehr gu bewältigen bot unb ber ©auch
be* Rteere* fchon berüberftreift, bie Dbürme be* Dome*, ber bie Schwere
alle* irbifdjen SRaterial* am leiebteften unb iebönften überwunben bat, unb
bie Sfttnen ber fröblicbften unb tbätigften Stabt an feinen Ufern. Da* Sanb
aber, bureb ba* er bann noch ber Rorbfee guwallt, ift ein ununterbrochene*
Denfmal ber ade* in ben Dienft einer großen Mraft gwingenben Arbeit, ber
fröhlich ftegenben Äultur.
Rirgenb* habe icb oon ber Donaulanbfdjaft äbnlicbe ©inbrüde gehabt,
unb ftet* erfebien e* mtr naturgemäß, baf* ihr Strom im Siebe fo oiel weniger
gepriefen würbe al* ber Rhein. Sie löft nicht jene heitere, fange*frobe Stimmung
au* wie ber Rhein. SBemt ich oerfueben fotlte, ben ©inbrurf, ben mir ber
Strom be* beutfeben ©üboften* immer wieber gemacht bat, in einem ffiort
gufammengufaffen, fo würbe ich fagen: ihm ift ba* ©rnfcßiniame eigen, fo
etwa* ähnliche* wie bie Schatten, bie ein fchwere* Ringen nach einem immer
wieber entfehwinbenben 3iel auch auf ein SRenfcbenleben gu werfen pflegt.
Mein anberer europäifcher Strom bat e* fo fchwer, feinen 2Beg gu finben.
Die Donau muf* tbatfächlich bie 2Belt, bie fte gu burebfließen bat, erft noch
eittberfen unb mübeooll immer wieber erobern. So ift e* fchon gang oben an
ihrem Sauf, wo fie gwifeben ben weißen Sel*abbängcn ber Rauben 2llp in
gabllofen SBinbungen unfeheinbar bureb grüne SBiefengrünbe fchlcidjt ober
unter bem Malfgeröüe gerabegu oerfebwinbet. So auch weiterhin. Si* gur
nieber^ungarifchen Diefebene berrfebt bie ©igenbeit eine* ftet* wieberbolten
SBecbfel* gwifeben beefenartigen ©beneit unb enggewunbenen Sergwegen. ©in
paar Stunben unterhalb ber Seifen, wo ber Sluf* gu bem fcbwinbelnben
Salfon be* Schlöffe* üon Sigmaringen hinaufträumt, ift ba* erfte Stal bie
^Beite gewonnen, bie rafch wechfelnb fleh wieber fchließt, auf* neue öffnet unb
auf* neue oerlegt wirb. Rur fcheinbar ift bie Sreibeit, welche bie Donau
unterhalb Ulm erreicht. Da* ift bie Freiheit be* oom Seben ©emiebenen, ba*
•Verrentbum be* ©iniamen. So siebt ber Sluf* feine Sahn gwifeben bem 3üra
unb ber Hochebene, bureb 93alb unb «'paibe, gwifeben Rieb unb 9Roo*, wie
bureb eine Slnbeutnng ber öftlidien Steppe, burch bie er einft feine Sluten
tragen wirb, träumerifch ernjt hier wie bort unb allein mit ftd) unb ben Stranb=
oögeln, beren beiferer Ruf nur bie Stille unterbricht, ©ans fo wie er ftnb
bie bunfeln ©ewäffer, bie ihm oon Rorben gufomnten. ©elbft ber Sech, ber
pfeilfchnelle s 2Upenfobn, büßt, je näher ber Donau, um fo mehr oon feiner
Wrt ein. Dann folgt, al* ©egenftiid gu ©chaffbaufen, ber wunberfebön wilbe
Selfenfchlunb oon SBeltenburg, Wo ber Sluf*, wie überwältigt oom $ura,
fteben gu bleiben febeint ober in bie Diefe ber ©rbe gurüdtebren will. Run
wieber ein Serien, ba* oon Äeblbeim, unb bann bi* Regen*burg hinab ein
oon ber Donau au*genagte* enge* Suratbal.
©rft wo bie Donau beffen £>aft enblid) entronnen ift, tlärt ftd) beutlicher
ihr Sauf. Cftwärt* muf* bie Sahn geben, bem gebeimni*ooüen Sanbe ber
aufgebenben Sonne, bem Orient entgegen. Schon fühlt man feine Räbe.
Ungarifcbe Saute tönten mir oom Serberi ber „Maiferin ©lifabetb" in*
Ohr. Rber fchon in Regen*burg, ber ©nbftation ber Donau'Dampffchiffabrt,
fann man fie hören unb frembartige ©eftchter feben, bie ben Stempel einer
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$r. 9lnton ^ürrroacc^tct.
anbcrcn SBelt p tragen fcheinen. Ungarifche Slamen la« ich innner wieber auf
ben Stabfäften, wenn Schleppet mit fchwer bepacften Jpoljfrachten an un«
oorüberfeuchten, unb ben tarnen feinet ungariicpen HJläbchen« hatte ba unb
bort einer in bie Uferfelfen gefripelt. SSorn Dccibent pm Orient, sporn
Schwarpjalb pr Steppe, Pom grunboerwachfenen &of be« 9Uamannen pnt
Seit be« Xartaren, ba« ift Biel unb Stäthfel be« $onaulauf« unb ber Äampf
ber ©egenfäpe fein ©runbpg. Äultur unb ©ilbwuch« berühren fich fort'
währenb nabe an ihr, felbft ba, wo fie am wenigften einjam ift. SBenn im
©üben bie reichen ©etreibebüget üftiebetbapern« mit ben pßllofen Dörfern
unb ©eböften in ben äJiulben unb im fruchtbaren 3iarthat ionnig herab fich
fenfen, fo behauptet im korben ba« öbc SBilb* unb Söalbgebiet be« Sapriichen
s fflalbe« tropig feinen $lap an ihr unb umfehattet fie ichließlich mit feiner
©infamfeit. SBieber muf« ber S33eg entbeeft unb erfämpft werben. Äaum ift
ber Äeffet Pon s 2lfchach erjchloffen, fo fperren ihn gewaltige ®ergutauern wieber,
bem ßin$er ®ecfen folgt ber ©reiner 2Balb, ber SBeitung oon 3Relf bie eng
gewunbeue. SBcdhau, ber Sumpf' unb 9luenwelt be« Äremfer ®ecfen« ber
©iener SBalb. Überall aber waltet ber ©ruft unb bie träumenbe Stille oor,
unb etwa« wie eine wilbe SWelancholie will ben Strom nicht laffen. Selbft
ba, wo bie gewaltige Äaiferftabt liegt, wo bie uralten Straßen au« bem
Oftenpm Sthcine unb au« bem9iorben pr s 2lbriafich freuten, wagt ftchnahe bie
einfam brütenbe Steppe be« SRarchfelbe« heran, unb eben erft ift ber Stephan«*
thurm Perfchwunben, ba ift bie $>onau fchon wieber pm ©ben menfehen* unb
fulturfcheuer StranbPögel geworben, kleine Karpathen unb ßeithagebirge unb
wieber bie Karpathen mit bem ©afonper*3Balb Perbinben fich, ben 2Beg in
ben Often p wehren, unb fübwärt« pnngen fie ben ftluf«.
$lber fchon hat er ein ßanb erreicht, wo ba« märchenhafte Stel be«
Schwarpmlbfluffe«, ber Orient, williger fich ihm öffnet. $ie weitefte ©bene
ift erfämpft, welche bie ®onau burchftrömt, ba« eigentliche ©egenbilb ber
oberrheinifchen liefebene. ®enn wie fo anber« ift e« hier! Selten nur treten
lachenbe ftluren hier an ben Strom heran, feine blauen ®ergpge geben ihm
ihr buftige« ©eleite, feine Stäbte unb $ome fpiegeln fich in ihm. $ffenber
Spuf nur, au« S)unft unb ©laft gewoben, ift ba« Silb, ba« brinnen in ber
heißen Steppe ber $uf«ta ben Strom mit aß' bem fehmüeft, wa« ihn reich
unb heiter machen würbe. Unnahbar finb, Pon Xicficht unb SRoor befept, bie
Ufer, eintönig ift bie 9tähe unb bie SBeite. Dafen ftnb bie Stäbte geworben,
tmlbwilbe Wirten auf ebenfo halbwilben Sterben erfcheinen ba unb bort al«
Staffage, unb wie bie Beltlager be« fernen mongolifchen Often« gemahnen
noch bie Dörfer ber Äumanier, bie hin unb wieber am Ufer liegen. 9lber
ein« hat bie $onau hier mit bem SRhein gemein. Sie ift Herrin biefe« ßanbe«,
jeboch in anberer 9lrt al« er. $ie ungebänbigte, bem ©eiepe ber Äultur fich
nicht mehr einfügenbe Herrin ift fie, maieftätifch, aber willfürltch, mehr
gefürchtet al« geliebt. 9Jtit einem SBort, au« ber fieinen Schwarpwlbtochter
ift bie orientalifche ®e«potin geworben. Smmer mehr gefeilt fich pm ®rnft bie
©ilbheit. 2)ie gewaltigften SBäffer ber Karpathen unb ber Dftalpen heran*
jiehenb, fprengt fie ben pm brüten 3Ral entgegengethürmten ÄarpathenwaU
unb raufcht burch bie Pforte be« Often«, ba« eiferne Ihor, mit jener wilben
ßeibenfchaftlichfeit, welche ber Snlturarbeit Pon Jahrhunberten gefpottet hat.
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3)onau unb Kbetn.
528
3öad bcr Kbein in feinen tuilben Anfängen mar, ift bie Donau im ftetig
erneuten Sampf am (Snbe ihrer Saufbabn geworben, nnb enbgiltig fern bleibt
ibr bed Kbeined ^eitere Fröblicbfeit. Schüchtern unb träumerifd) bat einft ber
Meine Fluid btnaufgegrüßt gu bem hoben ©öUer ber föobengollemburg; oon
bem Manbe, bem ein ©obn iened föaufed bie Segnungen meftlicber Sultur
brachte, bat er ftd) bureb eine SSilbnid abgefcbloffen, hinter ber er einfant
babinftrömt, um bureb einen Urmalb oon Kohr unb ein ©ölfergewirre bad
einfame 9Keer bed Dftend gn gewinnen, ein Strom ber ©egenfäße, ein rätbfel-
bafter Flufd bid and ®nbe.
Seit Fabrtaufenben ftßt bie ©pbiny ber großen 2Renfd)beitdgefd)id)tc
bed Oftend unb bed SBeftend an feinen Ufern. s 2ln feinem anberen ber Ströme
Suropad liegt fo oiel begraben bon großem ©efdjeben unb ©ergeben. $htcb
am Kbeine nicht: unb boeb haben beibe Flüffe nicht bloß bie Käbe ibred
geograpbifeben beginnend gemeinfam, fonbern and) ben Anfang ihrer ©efebiebte
unb ben lebenbigen Sulturaudtaufd) in langen Fabrbunberten. SEöer eine
Stelle fuebt an ber Donau, too ihm bied beutlicber oor bie Seele treten foll,
ber wirb auf unb ab an ihr mahlen fönnen, mag er nun auf bcr &öbe ftnnen
wollen, wo ießt bie weiße Suppel ber ©efreiungdbaUe ftebt, ober in bem
erhaben febönen fiaubfebaftdrunb, barinnen ©öcblartt unb bad Stift 3Relf
gebettet ftnb, ober an bem SSalbranb bed weitfebauenben Sablenberged ober
auf ben Kuinen ber Sönigdburg Sifegrab. 21n Donau unb Kbein, bie beibe
oon ben Selten ihre Kamen empfangen batten, niftete ftd) faft gleidjgeitig ber
römifebe s Xbler ein. Der öelbengeift eined Druiud unb bad ^errfebergenie bed
Xiberiud oerbanben bie ©efebiebte ber beiben Ströme brüberlid) auf Jahr'
bunberte mit cinanber. ©rengftröme bed Fmperiumd würben fte. Fefte ^ager
unb blübenbe ©täbte erftanben an ihren Ufern nnb am Strom bed Slrminiud
wie an bem bed SWarobob trat bic römifebe SKacbt unb Sultur mit ber nod)
febeu oor ihr weicbenben ©ermanenwelt in ©erübruitg. ©nger nod) warb bie
^-Bereinigung ber beiben Ströme unb ihre ©ebeutung ald Schuß wehr ber
alten Äultur, ald öabrian ben gewaltigen ©rengwall oon Seblbeim bid
Sobleng oollenbete. 2lber troßbem ftieg gerabe an biefen beiben bad Borgern
rotb ber neuen 3eit, bed SJtittelalterd, empor, ©ermanentbum unb ©briftem
tbum, ihre ©runbelemente, begegneten ftd) am frübeften an Kbein unb Donau.
Schon früh bilbeten ftcb hier bie erften ©briftengemeinben unb bie erften
Flutwellen ber germanifeben Sölferbewegung branbetcit über Kbein unb
Donau binaud.
Doch in bem SRoment, wo bad Imperium in ftd) gufammenfanf, beginnt
bie ©efebiebte an iebent ber beiben Ströme eigene SBege gu wanbeln. Der
heitere, fröhliche Kbein ift oon ber Dragif ber weltgefdjicbtlicben ©reigniffe, wie
fte bie Donau fab, Oerfdjont geblieben. Die großartige Söirffamfeit eined
bl. Seoerinud ald Jröfterd unb ©ermittlerd gwifeben Komanen unb ©ermanen
bat ber Kbein nicht gefeben, aber aud) nicht ben jammerooUen Äudgug einer
gangen ©eoölferung aud &eim unb Jpeimat unb bie arge Sernicbtung nicht,
welche bie Kömerftäbte an ber Donau bem Söilb unb bem SBalb überließ.
Sampflofcr, oerjöbnlicber gieng ber Umfcbwung am Kbeine oor ftcb- ©rftaunlid)
rafd) erwuebd hier bie neue Sultur bed SWittelalterd unb entfaltete fleh feine
neue politifebe Form. Fn einer gang natürlichen ©ntwicflung ftnb hier bie
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524
2>r. $lnton SMirrioaechter.
Alamannen unb namentlich bic Sranfen bic ©rben römiicher Äitltur gemorbett
unb haben fte in germanifchem ©eifte verjüngt. freilich bie erfte ©erbezeit
biefeS ^roceffe^ oerlief nicht ohne brutale Nücffcpläge, unb ber Strom einer
urfprünglichen ©ilbpeit, ber immer mieber über bie Schufcmehren be3 Nechte*
unb ber Sitte fcplug, muffte erft gebänbigt merben. ®a^ mar bie Aufgabe
bc£ ©hriftcnthumS unb feiner Slpoftel, bereit Straße ber Nhein mar. Sie
mürbe geleiftet in ftetä erneuten ©erfudjen, oon ber Stirn biefer ©arbaren,
bie fepon längft mit bem Äreuje bezeichnet mar, in ba$ &erz einzubringen.
Unb menn e3 gelang nach oielen ©Mißerfolgen, nach mancher büfteren Spat
ber ©ilbpeit, bie felbft baß Äleib beß ©briftenthumß bejepmupte, fo haben
auch ber Npein unb feine yanbfdiaft ihren Wntbeil baran, ber Strom, ber fo
leicht unb fpielenb zu ftreube unb frieblichem ©erfepr labet, bie üanbfcpaft,
rnelche fo reich unb milb zum oerföpnlicpen Neben* unb ©titeinanber ftimmt.
'sn ihr mürbe ber ©ermane zum chriftiichen ®eutfchen umgefchaffen unb ent*
tonebß am rafcheften feine Äultur, bie fein frembeß Element ftörte, ben fahren
beß Sturmeß unb $rangcß zu fahren ber ©lütc. Xa fam bann eine hoch 2
gemuthe Seit, mo ber Strom, 001 t ber Quelle biß zur ©tünbung chriftlich unb
beutfeh, bie Sebenßaber beß Ncicpcß $arlß beß ©roßen mürbe, mo bie Äaifer*
Pfalzen, bie in feinen ©eilen ftd) fpiegelten, ber $ort beß Necptcß unb ©efefceß
maren nnb bie beittfchen Stämme an feinem Ufer ftd) trafen unb fenneu
lernten, mo in feiner ©titte mit bem Stuhl beß hl- Sonifatiuß ein Sentrum
ber beutjehen Sircpe ftd) erhob, mo feine Herren* nnb Älofterpöfc ber ©olfß*
mirtfehaft ein ©tufter mürben, mo oon ber ©alaftfcpulc zu Aachen biß zu ber
beß Älofterß St. ©allen bie Quellen ber ©ilbung floffen unb oom Aachener
fünfter biß zum ^lan ber St. ©allener Älofterfircpe ein neueß fünftlerifcpeß
©Arbeit, bie erfte chriftlicfcbeutfcbe $unft ftd) oorbereitete.
©Mt biefer ©ntfaltungß* unb ©eftaltungßfraft aber muffte baß rheiniiebe
i*eben in feinem ©erhältniffe zur Xonau baß ©ebenbe unb fte bie ©mpfaitgenbe
merben. ©om Npcine her fanten bie ©laubenßboten, bie baß faft erlofcbene
©priftenthum an ber $onau neu belebten, tmm Scheine bie politifche 9Rad)t,
baß $errfd)ergefd)led)t, baß im 1). ^ahrpunbert ftrfj Negenßburg zur öauptftabt
erfor, bie neue fociale ftornt, bic neue Äunft. ^it bunfler Ahnung hat ftd)
bie Sage bafür baß ©mpfinben gemährt. $)aß ©poß, beffeit lanbfchaftliche
.^eimftätte ber Nhein ift, mürbe an ber $>onau zufammengefafßt unb an ber
Xonatt hiuab ziehen feine rheinifchen gelben, .tfriempilbe unb bie Nibelungen,
burd) ©ifchof ©ilgerimß Stabt, baß Xpor ber Dftmarf, an ©ferbing oorbei
zum •’oeim beß cblen Niibiger oon Pöchlarn unb meiter hiuab über ©tebelife
(©telf) unb ©tutaren (©tautern) ZU ©ßelß burc vil riche . . . geheizen Treisenmüre.
©ie oiel oon rbeinifcher Äraft ift immer mieber hinabgezogen an bem oftmärtß
gemenbeten Strom unb hat feine Ufer mit rpeinifepem ©lute getränft, mic
baß ®efd)led)t ber Nibelungen! Nber befruchtet hat boch biefer blutgetränfte
Same, nur hat er ftd) im Schoß ber eigenartigen $onanlanbfcpaft in anbercr
Nrt entmidelt.
©ährenb bort am Nheiit ber alte Üebenftaat ber ftranfen in überreicher
©ntfaltung in zahlreiche Xerritorialfplitter außeinanber nmcpß, ber Äleinftaaterei
zu, bereiteten ftd) an ber £>onau iepon jene Staatengebilbe oor, bie größere,
politifche, ja meltgefchichtliche ©ebeutung gemimten follten. $)aß «frcrzogtpnm
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Zonau unb Slpein.
525
Bauern pat auch bie fursficptigfte Bolitif feiner Werrfcper tiicf)t um bie Keim-
fraft s« einem größeren Staate bringen fönnen, unb ba, roo bie äitßerften
©nbpuufte ber meiten Steppe unb be3 mächtigen 3llpengebiete$ ftd) nachbarlich
berühren, fiel in ber Schlacht auf bem Sllarcpfelbe 1278 bie enbgiltige @nt=
icheibung über ben mie mit Slaturnotpmenbigfeit immer mieber unternommenen
Berfucp, einen ©roßftaat an ber Zonau p begrünben. ©in hinüber unb
herüber ift im 3Befentlicpen bie rbeinifepe ©efepiepte geblieben, bie ber Zonau
ein hinauf unb Winab. 3toar taufepten auch bie non korben unb Süben
fominenben ©inflüffe gar manche^ an ipr au$, unb namentlich biefer leptere,
am bem Üanbe Dietricht non Bern fommenbe, pat fiep einen Blnp an ihr
$11 iepaffen getonnt. 38er offenen 2luge» burep Baffau manbert unb ooti ba
bonaitabmärte, fann e* gar nicht überiepen, baf$ hier mit bem 3nn perab
ein ftarter Strom italienifcpcn Kultur' unb Kunftlebenä gugefloffen ift. So
erhielt bie Kunft an ber Zonait ipre oon ber rpeinifepen abmeiepenbe ©igeit=
art, bie Sreube namentlich an ben meiten Räumen. Zaburcp auch tarn c£,
baf» in einer 8cit, mo bie rpeinifepe Baufunft faft erftarrt mar, an ber Zonau
ein blüpenbeS Kunftleben 38unberoofle£ fcpuf, bie italienifcp^beutfcpe Barod^
funft bcS 17. unb 18. JaprpunbertS. 3(ber augenfälliger unb gemaltiger ift ber
;}ug be£ raftlofen hinauf unb Winab. Z)ie Zonau ift bie Oielumfämpfte große
Bölferftraße be$ 3Beften£ unb be§ 0ften§. Zie nach Dften bringenbe Kultur
be£ Dccibcnt# unb ber 3Bilbmucp£ ber öftlicpen Steppen haben fiep mieber
unb mieber an ipr in heißem Slingen gemeffen. 2ln ber Zoitau herauf sogen
bie Xobtengräber be* römifcpeit 3Beftreicpe£, bie Hunnen, unb ba$ ben Steppen
be~ DftenS entftammenbe Stoarenoolf hat an ipr Smatoplufö Slaoenreid)
be£ 38eften£ vernichtet. 3Bäprenb am Slpein ein reichet üeben unb Schaffen
in feftgemurseltem unb faft ungeftörtem 3Bacp$tpum heiter fiep entfalten burfte,
serftampften an ber Zonau bie milbeit Slomabenfcpmärme be$ ungarifepen
Steppenoolfe£ mieber unb mieber bie Srücptc harter Arbeit. 3Baprlicp, ber
Strom ber Kultur, ber ben 3Beg ber ®onau nahm, patte fepmer ju fämpfeit.
2lber er brang boep burep. Zer Kaifer bc£ 3Bcften3, beffeit ©eift noch heute,
mie bie Sage melbet, am Slpein in Weiterfeit bie Sieben fegnet, pat, mie ein
Slacpeengcl burep bie 38albberge ber Zonau bte snr Steppe bringenb, bie
aftatifepe Barbarei ber Goaren vernichtet. Slocp feiert ipit bie ernfter gemutpete
Sage be* Zonaulanbc$ al$ ben Slettcr biefer ©efilbe. 3lbmärt3 am Strome
ftiegen nach ihm bie Pioniere beutfeper Kultur, bie mit bem Kreus, bie mit
bem Spaten unb bie mit bem Scpmert, unb smangen ba£ Sol! be3 Oriente
in fefte ©rensen unb ju frieblicper Kulturarbeit. Sic patten fo bie Straßen
gebahnt unb gefepaffen, al3 ein Zeitalter fam, in melcpem ber cpriftlicpe 38eften,
bie Kaifer, bie am SRpeine ba* Kreus genommen, unb mit ihnen bie über^
jepüffige Kraft be£ rpeinifepen Slittertpumä in ba£ SJlorgenlaitb sogen: ba
tarnen bie Zage, mo bie Zonau mit bem Sipeine metteiferte, mo man aud)
in ben Bifcpofäftäbten an ipr oon Slolanb fang, bie Zpaten ber am Stpein
gemäpltcn unb gefrönten Kaiier in poetifeper ©pronif oerpcrrlicpte unb ben
Sang oon ben rpeinifepen Slibelungen für alle feiten rettete; mo am glänseuben
Jvürftenpof ber Babenberger bem ®eniu£ 3Baltper3 oon ber Bogclmeibe bic
jungen Scpmingen muepfen, bie er am Stpein bann für ben Wopenftaufcn
Bpilipp io mächtig regte, mo ber Bauer am Sipein unb an ber Zonau reich
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526
l)r. Litton Xürrwaecbter.
unb ftola tute ber ritterbüriige 3Rann auf feinem Eigen faß, wo baS ©eifpiel
ber freibeitftolzen rbeinifeb^n ©tobte bie an ber $onau nidjt roften ließ unb
ibr ©ürgertbnm fid) bie Sftefibenzeu ber Könige beS DftenS eroberte, wo weit
über bie Dftmarf hinaus beutfebe Äünftler in ©ilb unb ©tein ibr 9lnbenfen
binterließen. 3>aS waren bie Xage, wo bie Bette ber SKagparen zu Käufern
würben unb ber beutfebe ©flug bis in r ©ufsta geführt warb. Xa warb auch
ber Stein zu einem ber bebeutfamften SBerfe ber ©efebiebte gelegt. 9Wit einem
©eicblecbte, baS im SRbeingebiete beheimatet war, nahm baS beutfebe Äaifer=
tbum feinen Siß an ber Xonau, unb wäbreitb eS zugleich mit ben SRbeinlanben
in inniger ©erbinbung für feinen alten Inhalt blieb, febuf eS auS ben Kräften, bie
eSan berXonau fanb, ein neue*, fonbergearteteS ftarfeS ©ebilbe, ben Staat ber
/OabSburger. 9tur fo aber Warb eS möglich, bem erneuten unb furebtbarften
Wnfturm beS DftenS in beit Xürfenfriegeit Stanb in halten unb in retten,
waö bie beutfcb^ebriftliebe Äultur hier geidwffeit batte. XaS iß eine jener
Xbatfacben, in benen ber ©eift einer ©orfebung in ber ©efebiebte fühlbarer wirb,
unb ich brauche mich, glaube ich, nicht ber tiefen Wnbacbt unb Führung in
febämen, in ber ich twr bem Xenfmal ©tarbemberg'S in ©t. Stephan ftanb
unb bie Xropbäen jener großen Beit im 9Kufeum beS SftatbbauieS in SBien
betrachtete. Söäbrenb am SRbeine ber jamnteroollfte Egoismus unb feile
©enuisfuebt bem febönen Strom eine Epoche bunnifeber ©arbarei bringen
zu füllen febien, glänzte berXoitau ein neues, oon ibealen ©ebanfen getragenes,
tiefernfte«^ ftelbcnzeitalter auf. Xort am Scheine würben ©täbte unb Xomc
ber narften £>errfrbiucbt ^ubwig XIV. geopfert, ohne bafS bie SRacbe alle
Aftäfte beS ©olfeS zu einer großen Xbat ^ufammenfebweißte. Berfplittert
waren fie in taufenb ^iebtigfeiten, bie ^bperhiltur franfte bort an allen ihren
Schwächen. Eroberer legten oben unb unten bie eiferne Sauft auf ben Strom
unb hätten fein reiches ßeben erftieft, wenn eS zu erßicfen gewefeit wäre. $ln
ber Xonau aber ftreifte ein großer ©ebante alles Äleinlicbe ab, ber beS hoben
Kampfes, beS 9tingenS um bie böcbften ©üter, ber Freiheit, ber Religion,
ber Äultur. .§ocb unb lieber, ©eiftlicb unb ©Seitlich waren wie ein 9Jtaitn,
unb waS bie Nationen Europas an föelbenfeelen unb Ebeln batten, fcblofs
fleh aufs engfte hier jufammcu unb trug baS unbefletfte ©anner fiegreidi
hinab Pom .^ablenberge bis an bie berftenben dauern ©elgrabS.
Bwei Sabrbunberte finb unterbeffen Pergangen unb eS ift PieleS anberS
geworben an ben beiben Strömen unb in ihrem ©crbältniS gu einanber. $lm
Cheine ftieg in lepter Eonfequenz jenes SahrbunbertS, baS feine üanbe
erniebrigt batte, ber ©bler beS franzöfifeben ÄaifertbuntS triumpbierenb empor,
itnb gleichzeitig würben au ber Xonait bie ^nßgnicn beS Pom SRbein einft
ausgegangenen SRcicbcS in oollftänbigen Reliquien. Dtacb Cften gieng wieber
ber üauf ber ©Seltgcfcbidße. Ein neuer, ©ölter jufammenraffenber ©ttila war
gefommen, aber Pon ©Seften her. X)a jebod), wo ber Äircbtburm Pon Vipern
zum Äablenberg hinauf unb zu EpelS SReicb binabgriißt, warb ihm zum erften
s UZale £>alt geboten in einem beißen, begeifterten Kampfe. Es war ber lepte
biefer ©rt in ben Xonaitlanben. ©Sie Entlräftung unb Lethargie fiel eS nun
über fte, wie eine jaucbzeitbe SiegcSfreubc überfam eS ben SRbein. Sr fab
feine größten Xage, bie fiegreicben Apecre ber Perbünbetcn Sölfer unb Sürßen,
bie furchtbare Sergeltung Pon 1870 für feine einfttge Entwürbigung unb bic
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Tonern unb Rhein.
527
©eburt eineä neuen ftarfen beutfdjen Reiche#. ®in febmere# Opfer freilid)
foftete fein ©erben. $a# lebte äußerliche, {lautliche ©anb, böd Rhein unb
3>onau noch üerfnüpft batte, mürbe jerrtffen. Sangfam, aber ftetig batte ftdi
in bem $onauftaate ein ©rocef# üoüsogen, ber feinen ©barafter ummanbelte,
ibn, menn icb fo fügen barf, Pont Scbmarsmalb meg sunt Orient rüden ließ
unb ibn jum Xummelplafc gefeploier ©iüfür, nationaler Seibenidjaft unb
brütenber SRelandjolie machte, So miegt ba# ©ilb be# Srnfte# unb be#
Äantpfe# unb ber ©egenfäfce mieber an bem Strome Por. ©irb c# fo
bleiben? ©eginnt mirflicb ein neue# Beitalter be# Often# an ber ®onau?
©er meiß e#?
Rabesu 2000 3abre geigen ftcb ®onau unb Rhein in mecbfelnber, aber nie
gans aufbörenber ©erbinbung. Rabe mie ihre geograpbtfcbe Heimat, haben bie
Ströme auch bie Quellen ber ©efebiebte, au# benen fte belebt unb gefpeift merben.
©erfebiebenartig aber, mie fte in ihrem geograpbifeben ©barafter ftnb, ftnb fte auch
im £>inblitf auf bie gefdjicbtlicbe Sorm, toelcbe ftcb an beiben Strömen beraub
bilbet. Srifcbe, fajt leichte unb heitere ©ntmidlung auf ber einen ©eite, tfantpf
unb ernfte#, oft büftere# Gingen auf ber anberen. ©ieHeicbt barf man e# aud)
fo bejeiebnen: ber Rhein ift geograpbifcb unb gefcbicbtlicb ber beutfebe Strom,
mo beutfebe 2lrt unb .ttraft, Pon ber Süße einer reichen Sanbfcbaft unterftüpt,
ftcb naturgemäß unb reich unb frifcb entmideln fonnte. $ie ®onau ift ber
Strom ber ©ermittlung jmiieben beutfeber Sanbfcbaft unb öftlidjer Steppe,
smiieben beutfeber Äultur unb ber öftlicben Reaction bagegen, ber Strom, mo
bie beutfebe ©efebiebte ftcb in bie einer anberen ©eit untsufe&cn batte. So ift
ber Rhein ber Strom einer ©olf#gefd)icbtc, bie $onau ein meltgefcbicbtlicber
Strom.
Stber ber Teutfcbe bat troßbem ein Recht, ja ba# größte Recht auf ihn.
©r bat ihn ber ©ilbni# unb bem ©arbarentbum abgerungen. Unb nicht ber
©ermanc mar e#, fonbern ber cbriftlicbe $cutfcbe. 9Rir fällt jefct, mo ich oft
mit Sebnfncbt mieber surüd an bie febönen Xonautage benfe, bie ftimmung#-
oolle s 2lbenbftunbe mieber ein, bie ich auf ber ^erraffe be# Stiftet SWelf oer=
brachte, um ba# herrliche Sanbfcbaft#runb mieber unb mieber stt genießen. 3d)
iah nach ©eitened hinüber, beffen grauer Ibnrm, al# ob er erzählen moüe,
SU mir herüber grüßte. 3d) fuebte über bie fruchtbaren ©eftlbe binmeg bie
Stelle, mo Pöchlarn liegen muffte. 2lud) bie finfter bereiniebattenben ©älber
be# Säuerling ftreifte mein ©lid. 3d) menbete mich aber auch oft, um in bie
offene Stift#fircbe binehtsufeben. ®enn mit ftet# neuem ©ntsüden erfüllte midi
biefc# großartige ©erf Kranbauer’#, bie ©rabftätte ber erften Sabettberger.
9Jtid) bünfte aber, fte mitiammt bem großartigen Stift unb feinen Äunfc
icbä&en unb feiner foftbaren ©ibliotbe! unb ber Stabt ba brunten unb beit
meit gelichteten ©älbent unb ben fegenfdjmeren Selbem fei fo recht ein
Xcitfmal beutfdieit ©irfen# an bem ernften Strom, oor bem eigentlich aller
£>aber ber Religionen unb Rationen oerftummen müf#te in bem einen
©cfüble be# Xaitfe# für ba# ©eiebaffene.
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ßedicbte.
Pon BitliftrbtooliÄtftlih.
Uöflel aus dem Süden,
#|ögel fommeu aus bem Silben,
bringen uns ben £en 3 jurücf.
länger ftnb mir nicht gefebiebeu
Don ber ^reube, non bem (Slürf.
Kommen Ijer auf Sommerliifteu,
IHac^en meinem £]cr$cit marm,
Hub in jüfieit Peilcbenbüften
£öst ficb auf ber alte barm.
(Einem bah’ id? meine Seele
Kuoertrant ror langer Seit,
Dafs fie länger ficb nidjt quäle,
Don bem jeböuen £anbe roeit.
llnb nun fteig’ idj auf ben f^iigel,
Kuf bic Berge (Lag für (Eag, -
barre, bafs fein golb’ner ^lügel
niir fie micber bringen mag.
Umdwcndcrin Ratur,
^bermutb au allen <Etfeu!
IPobinaus noch, gute IDelt?
Kojen maebfeu auf ben beefen,
Hub im (Solbe ftarrt bie IDelt.
Ulcissdorn,
<^>elbc Blumen roti ber IDiefe,
Blaue Blumen aus bem IDalb,
Don ben beefeu brad? idj biefe:
3a, nun fommt ber Sommer halb.
Ilm bie Scfyönfycit ftreiteu alle,
Doll r»on (Eifer ober §oru,
3ebes tniü, bafs es gefalle,
Uub es blüt }t fogar ber Dorn.
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9ti<f»arb oon firalif. — ©ebüfjte.
529
Wand’rers Iftorgcnrast.
^ie liegt bie tDelt im 5 ouuenfd?eiu
§u meinen (fügen flar nnb rein!
3 m IDinb regt leife fidj ber Saum!
Ulir fällt ber (Effau in meinen IDein.
Scbwernnitb.
Saiteitfpiel, aus meiner fjanb!
^eut ftt}’ id? fd?meigenb, itnnermanbt,
f?ent fing’ unb jag* ich nid?t ein 2Dort,
(Dbmolfl id? brauchte UTufenljort,
®bmol?l fo übel mir 311 HTutf?,
Dafs mir bas Singen tffäte gut.
Dod? fürd?t* id?, roenn bie Sippen id?
^eut öffnete, fo mürbe ftd?
<£iu (Eon entringen alfo grafs,
Dafs felbft bie JTlufe mürbe blafs. —
Drum fd?meig* id? ftilf in fold?em Sd?mcr3,
Unb ofjne Teilung bleibt mein f}er3.
Ulacbstbum.
^ein gaujes Sein ift umgewaubelt,
Dod? fjab* id? uid?ts getrau, gefjaubelt.
3d? blieb 31t f^aits, ein ntüber IDanb’rer,
Unb bod? marb id? 31t £?aus ein Unb’rer.
<£s mäd?ft unb blüfft bie gait3e JDelt;
Sin id?’s allein, ber inue f?ält? —
Cf) füge Cuft I 3 d? fd?ane ftill,
IDie meine Seele mad?feti miU.
Brachfeld.
^ n>mtber|<i;öne fiebeusjeit I
IDie liegt mir alle£ Sorgen meit,
IDeuit id? au fte nur beufe,
3 tt fte mid? nur oerfeufe.
Srad? ruf?et meines (Seiftes ^felb,
Ton feines Pfluges <2r3 3erquält,
Darauf ftatt golb’iter 5 f?reu
Blanblümelein ftd? mehren.
Bilder ohne Gnade.
J|dj gierig rorber gar uicie pfaöe
Had? fd?önen Silbern offne tßnabe;
Hun inöd?t* id? gnabenoolfre feffn
Unb uid?t beachten, ob fte fcbött.
<£s ift bod? beffer f}ulb unb (Sttab*
Als Sdfönlfeit, bie nid?t (Sttabe f?at.
Die Shiltur. III. 3 al)rg. unb 7 $eft. (1902.)
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;i4
Otfried.
(Sptrdjt l&irhtung in \mm (förjangcn.
l?on »riitrab Stabil.
(Sdjluf*.)
fünfter Gesang.
Hm KTunecbbrunntn.
Sie wob ein Kleib ans feibeweidjen Jfäbcit
Unb €id?enlattb unb Köslein (tieft’ fie brein:
(für fie foll es bas 2 l>ort ber Siebe rebeit,
Soll itjres ftillen IDnnfches 33 ote fein.
IDie wirb fein Auge lendeten oor (Entliefen,
Scgt fie bie Acrrlidjfeit t?ot ihm 3ntljal!
Sie eilt, bod> nirgenbs ift er 31t erblicfen,
Hiebt in ber Kammer, nicht int IHämterfaal,
Aicfyt auf bem Söller unb nidjt ah ber (Eiche,
Il>o fonft er gerne fafi nttb fcfyrieb unb fattn —
So wirb es fein bann, wenn ber Sieberreidn*
§u ^ulbas grauem (Etjore 50g oonbamt!
Sie läfst ficb auf ber ITtoosbanF fcbwellenb nette,
Sie benft bem Käthfel trüben niicfes nach,
IParum fid> fetymiebet eines (Slücfes Kette,
Die, eh’ he wirb, ein Schicffal fdbon 3erbrad>.
„IDas Fant ein (Eraum unb ntadjte midj befangen,
Die Reiter wie ein Kinb burchs Seben lief?
IDarum oerweljrt er mir, nach ihm 3U langen,
llnb werft ben IDunfdj, ber mir im bereit fdjlief?"
Jfaft wollt ein Zürnen iljren (Seift bewegen,
(Ein §ürnen gegen (Dtfriebs hohen Sinn —
Da fteht fie nahe bas (Sebüfdi ffdj regen
Unb „®tfrieb!" ruft fie, ftürntenb eilt fie fyiit —
Doch fteht fie plötjlich, bis ins Aer3 etfehrorfen —
IDoljl ift es (Dtfricb, aber fterbensbleich,
Am Klcibe Flebt ihm niut, auch in ben Sorfett,
Unb oon bem Arme trieft es 3tim <$cfträud\
„Um alles fage, (Otfricb, was ge|\heljeu!"
So ruft fie; bebeub fafst fie feine f}anb;
Als wollte fie in feine Seele (eben,
So blieb ihr Aug’ 311 feinem Ang* gewanbt.
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Ctfrieb.
„Hur mühe!" fpracb er, unb jic füljrt ilni fachte
^>unt Sift — ben IPeg be^eidjnet er mit ^ 31 nt;
Sie 3ürnt ftcb, bafs fie jeftt es erft beachte,
2 Pie auf bcn Armen iljm ein 2 Ttägbfein rnljt.
Sie bettet rafd? bas Kinb auf meicbem 2 Hoofe,
Dann trotfnet fie bas £?htt pom wunben Arm,
Umljullt itjn, nicht 311 ftreng unb nidjt 3U Iofc,
Unb briieft bie Sippen brauf roll Sieb* unb Tjarnt.
Pa meidet non itjm ber Scfymädje bleicher Schleier,
Aus feinem Auge blitzt ein 23 licf poll (ßlut:
„ 3 cb ncibc feines dürften Siegesfeier,
So reid? be3aljlft bu mir ben (Tropfen 23 lut,
Pen idj pergofs um biefer 2 Paife Sebeit
3 m Kampfe mit bcs 2 Palbes Ungetljier.
Pie 2Hutter lag 3U (Tob perfeljrt baneben —
Amt ift bas Kinb 311 eigen mir unb — btr.
Poch lafs uns langfam nach bem Aofc mattbeln,
Pie Knechte fenben um ben Seicfanam aus —
3 cb meiß, bu wirft an biefem Kinbc Raubein,
Als lief ein Sdjmefterlein pon bir im Aans.
3 ft biefes £}änbcben nicht gemacht 3um Küffen ?
Sinb biefc Socfen nid)t gefponnen <$olb ?
Pas 3arte fjälsdjen hätte bluten muffen,
Aätt’ nidjt ein (Engel mich 3um ®rt geholt.
Aocfy flct? bie iDangen an, fo runb unb lieblidt,
Hur finb fie blafs pom Scbrecf unb pon ber Aottj,
Pie meidjen Sippen auch — ach, wie betrüblich,
Pafs all bie £>ierbe einmal reift bem (Tob!
Pntm follen mir, mas liebemert, auch lieben
mit aller Kraft, folaug es lebt unb lacht —
Himm biefes Büchlein, brinnen ftebt gefchrieben,
2 Pas hohe Sieb* um bich gefüllt, gebucht.
Pies Pergament fei bir 311m Augebenfen,
2 Penn ich nidjt meile ntefyr in beiner Half;
mein Schicffal miü’s: 3 ch rnufs bie Schritte lenfeti
Aon Alnmenauen nad? ber ^felfenljöbV'
Sie fagte nichts, boeb barg fie in ben galten
Pie Blätter forgfam mie ben größten Schaft:
Aocb mufste lange fie ber IPunbe malten,
Pa ließ bie Sorge nicht ber Aeugier piaft.
Podj als bie Sonne fanf mit itjren (Sluten,
3 m Saube leife 30g ber Abenbminb,
Als Aerr unb Knecfyt pom IPerf bes (Tages rutjteu,
Per Kranfe fchlief unb bas permaiste Kinb,
Pa gieug fie eilenbs 3itr geliebten €id>e,
2 Po Iängft ber Aögelchor im Saube fchlief;
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9 Jteinvab ®abil.
Port füllte rott ber Bruft bie gierbereidje
Pas Büchlein, las mtb faitn iinb feilste tief.
„3d? mill bir anbers" — biefi es — „nimmer lagen
Pie 2Pcbntutb, bie ben (Seift mir fattft burdtficljt,
Auch anbers nicht bir in bie Seele fragen
Als mit bem meiberollften IHinnelieb.
Penn mas ich fyttycs habe 511 rerFüitben,
Pas fügt fidj in bie menfebenfpradte nidtt;
IPenn (Seift unb (Seift für einig fid? rcrbüuben,
3 ft Sprache notb, bie man im ftimtnel fpricht.
Pie fchönften lieber bab’ idt mie ein IPeben
3 m IPalbe nur gehört, fo leis unb meit;
cEin Blatt, auf bem bie IPorte follten fteben,
3 ft beit befcbrieb’nen Blättern norgerci^t.
3d> tjabe ebebem gefudtt ben Jfrieben —
Pafs ich i^n batte, mar mir nidyt bemufst;
3dt bin nun erft non aller Hui]’ gefchieben,
Seit mir bein Baute leuchtet in ber Bruft.
Pod? mill id? nicht um meinen ^rieben flehen,
IPentt biefeit (Sott bir CEbeure 3tigetljeilt;
3ch miü ben gatten Sdjmerj barum erftel^eu,
Per an ber Strafte bein es Sehens meilt.
Bur eines mufst bu immer mir bebenfen:
3 tt meinem Sinne motjnt ein hehrer Stol3,
Per jmingt mid?, meinen Schritt jur 311 lenFen,
Permefyrt bie Blüte mir von niebrent £7013.
Pu mufst barum, fomeit bie Sterne reichen,
Befiegen jeber (Engenb bellen Schein —
Pie Sonne barf bir nid?t an helle gleichen,
Pie Silie nicht mie bu fo fchulblos fein."
Sie las noch als bie Dämmerung gefunFen
mit leifem v flügel auf bas grüne Sanb;
3 m Büfette glühten taufenb Fleine v funFen —
Sie las noch als ihr Pater oor ihr ftanb.
IPie wenn ein Blift ber £iche Stamm 3crfplittert,
So fdneefte fie bes eignen Bantetts Klang,
Hub mie ein Heb, bas bie Perfolger mittert,
So furchtfam blicFte fie, fo tobesbang.
Poch nicht oerbergen molltc fie bie Spenbe,
Pie hohe Suft, hoch nun iln* Seib gebradtt —
Per Pater nimmt bas Büchlein in bie hänbe,
<£r fehiittelt oft fein haupt unb ladjt unb lacfyt.
Poch mie er liest, ba legen ernfte galten
Sich um beit IThinb unb auf bie bolje Stirn —
£r neigt fich nor ber reinen Siebe IPalten
IPie Silbermeiben oor bem flogen ^irn.
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Dtfrieb.
533
< 5 ar enblid? urirb cs feud?t in feinen Augen
Beim letzten Blatte, bas am Banbe Ijieng,
(Er fül?It bes £eibes XPurm am £}er3en faugen
XPte bamals, ba fein IPeib 311 (Srabe gieng:
„€s mar im (Eraitm, ba marft bu mir geworben;
Pom (Sram 3erriffen ftanb id? an bem Sarg —
Am 5 d?rein, ber meinen reichten Schaft erworben,
Am Kerf er, ber mein beftes Ceben barg.
Unb (Djränen flojfen unb (Sebete fliegen
hinauf 3um tymmel um mein fd?önftes (Sut,
Pa faf^ id? beinc Bruft jid? atljmenb uriegen,
Unb in bie IPange ftieg bir neues Blut.
Pas Auge fd?lugft bu auf, bas munberoolle,
Pu fagteft mir ein (Eroft«, ein Sd?mer3cnswort:
Pafs bid? ber tymmel mir nod? feigen wolle —
ZTad? breien (Lagen aber giengft bu fort!
Pa nafjm id? bebeitb bid? in meine Arme,
3 d? brüefte bid? an meine XPange an;
So l?ol?e IPorte fprad? id?, liebeswarme,
XPie nur ein 3 rbifd?cr fie reben fanit.
IPas man in 3 al?ren füllen mag unb benfen,
Pas brang ans meinem (Seift in beine Bruft —
3 d? moüte fd?nell bir alle Siebe fd?enfen,
Pie fonft nur einem Seben mirb bewnfst.
Pa warb es liebt — id? fal? ben (Lraum 3erftieben:
Perfd?wunben ift bie Sorge unb bie Klag’,
Pod? will id? bid? oon l?eute an fo lieben,
Als ftürbeft bu mir an bem britten (Lag."
3 m Aug’ bes Paters blinfte nod? bie §ät?re,
Als er bie Seibc um bie Blätter manb;
(Er nal?m bie (Eod?ter 3ärtlid? an ber Aanb
Unb fprad? bie IPorte einer fünften £ef?re:
„Pu fiel?j*t ben Stern bort über jener Jfid?te?
Sie fann baf?itt nid?t, wo ber X?ot?e jiel?t,
Unb er l?emicber nid?t aus feinem £id?te,
XPenn aud? fein Stral?! l?erab 3ur £>olben gel?t.
Sie müfsten beibe fid? in (Sram oer3et?ren,
IPär’ Penfen il?nen eigen unb (Semütl?;
Pid? aber möge biefes < 51 eid?nis let?ren,
Pen Branb 3U flietjn, in bem bein (Slücf oerglüljt.“
Bnn ilires IPortes l?arrenb l?ält er inne;
Sie aber fielet ben Pater fragenb an:
„IPas t?inbert, bafs ein (Slücf, auf bas id? fmne,
Pas Sd?icf|al nimmer mir gemäßen fann?"
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534
ÜJteinrab Sabil.
(Er fprad?: „§u fämpfeit für ben lEbriftenglauben,
^iir alles (Eble fafst er nach bem Schmert —
IDiUft bu bem fymmel einen gelben rauben ?
3 u beincn Jfeffcln falfn, tras (Sott gehört?
Du barfft unb roillft nietet folche (Efyat rollbringen,
llnb trenn bu roollteft, fehlte bir bie IHacht:
Den HusertDätylten fann bie IDelt nicfyt 3tringeu
llnb nidjt umfdjlingen, treil ihn (Sott betracht.
Drum nimm ben Hatb: Du foüft nod? beute trenben
Ton biefem Huserfornen 6erj unb Sinn:
(Es glüt^t ein jebes < 5 ut in fremben Ejanben,
Doch Haub an (Sott ift bitterfter (Setrinn.“
Sum l^ofe famen fie; er fiifst bie IPange,
Die fendjt ron ber rerftotjlnen (Ebräne mar.
Sie gieng jnr Kammer, boeb fie bliette lange
§ur ZTadpt hinaus, bie frieblid? lag unb Flar.
§nerft erfdjienen fternelos bie Han nt c,
Dann flammt’ es an bem fjimntel: £id?t an Sicht —
(Erft raufdjten itjr ein banges Sieb bie Häuine,
Docfy immer fdnniegeu fie rom (Erofte nicfyt:
„Du irillft, bu follft nicht rauben (Sottes (Eigen,
Dodj barfft bu fletfn um bas, mas iljm gehört:
IPiU er ftdj gnäbig beiner Hitte neigen,
So bifl bu fünbelos unb unbetbört.
Dodj ftretft er treljrenb bir bie Ejanb entgegen,
Dann irenbc beineu Sinn ron feinem (Sut.
(Ein Hrumten quillt an bunfleu IDalbestregen
Dort eile t^in unb triuf ron jeiner Jflut.
(Sar oftmals fjörteft bu bie IPunberfage:
IPer ron ber Quelle fcfylürft um Mitternacht —
IDas immer er für Setjnfucht in fich trage,
3 tjni trirb erfüllt ber IDunfcfy, ben er gebacht."
Sie rafft fich auf, rerbüllt bie jarten (Slieber,
Hinimt ron ber IDanb ben leichten, blaufen Speer
llnb eilt 311m IDalb — bergauf — 311m (Etjale nieber —
Zlun fteljt fie lanfehenb — Stille rings nmtjer:
Sie fdjaut im Monbeitfchein bie blaffen €icfyen,
Sie ftefyt am ^els, aus bem ber Hrnnnen quoll;
liier liegt ein Stamm — fie finbet all bie Reichen,
Dodj tro ber Quell, ron bem fie trinfen foll ?
(Ein Häufchen fließt — hoch oben in ben Steigen,
llnb feine IDelle neßt ben bleichen Kies:
ll>as tjilft bir alles Suchen, alles neigen ? —
l>erfiegt beitt lioffeii — trelf bein parabies!
€n&c t>e$ ffinften (Pefantjes.
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535
Otfrteb.
Sechster Gesang.
jungfräuliche Ctebe*
Huf meiner ^an? am breiten Stamm ber (Siebe
Saß eiitfam ba bes 33 lanfenmalbers Kinb.
3 tjr in bas Hutlits, in bas fcbme^eitbleichc,
(Trieb leis ein gelbes matt ber fühle IPinb.
Perfdjtrunben ift bes £en3es reiches mühen,
Perfchwunben ihrer IDangen Hofenglut —
Pie Scfytpalben unb bie Nachtigallen 3ieben,
Schon lange flog non ihr ber frohe IHutb.
Sie benft bes frühlings unb ber Sänger Streiten,
IDie monnig ihrem liefen bort gefebehn —
Pa hört fte leichten (Sang — es Hingt im Schreiten
(Ein Saitenjpiel — er naht ihr ungefebn.
€r läfst fich jenfeits auf bie JHoosbanf nieber,
nietet ahnenb, men bie (Eiche pon ihm trennt;
So ftimmt er an bie trauerpollften lieber,
Pas £eib enthüllenb, bas im herben brennt:
„mft bu mieber an ber Stelle,
2Tlit ben furchen im (Seficht,
(Sram, bu treuefter (Sefelle?
Heb, gar lange bliebft bu nid^t!
Schöne (Lage finb pergangen,
Seit bu leife giengft roit hier —
^frenbe fant, ein mütenprangen
^og fich um bie Seele mir;
llnb mir mar, als foUt’ oom £eibe
£ebeitlang gefebieben fein —
Heb, bu Fommft — unb fich, mir beibe
Sinb mie fouft allein — allein!"
#
„Spiele, finge, lache, tan3e
Künftig immer mie bis heut’,
IPanble hin im jreubengla^e,
Hlle IPege glürfbeftreut!
mögen nie bie golbnen (Eräume,
Pie pon meiner Panb bicb 3iebn,
IPie ber IPüftc palmenbäume
Kraitfenb beinern Hug entfliebn!
Pir 3nliebe miU ich febmeigen,
fernab lenfen meinen Schritt,
llnb ich will öir niemals 3eigen,
IPas ich £eibes um bich litt."
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ÜJteinrab 6abil.
„ 3 th fürchte nicht bes Donar lauten Jammer:
<Er frad>t, er bröbnt, bie U?clt läfst er beftebn —
Soll menben fleh eilt ( 5 lücf 51t tiefftem 3 amnter,
Sold? ITanbeln mill nur leis unb fanft gefd?eh»t.
(Ein fleittes IDörtlein mar’s auf meine ^rage,
(Ein ITörtlcin, bas bettt Ulunb mit £ä<heln fprach —
(Ein (Eobesengel gieng mit ftuntmer Klage —
ITlein (Eobesengel meinettb burebs (Scmach."
•
„ITas liegt baran, ob bn mir Jfreube gibft,
(Ob bu mir fagft, u>ie numig bn mich liebft?
U?as liegt baran ?
Die £üfte meh’n an einen fernen (Ort,
Unb mit ben lüften fehroinbet and? beitt IDort —
U?as liegt baratt ?
ITas liegt baratt, wenn mich bie Hebe fränft?
So manchem, ift bie Kruft pom (ßram beengt,
IDas liegt baran ?
Ulan brüeft uns einmal hoch bie «Rügen 31t —
ITir ftnbett eine lange, fattfte Kut?* —
U?as liegt baran ?
Was liegt baratt, wenn oljne Sonncnftrahl
(Eitt £ebett fidi perjebrt in feiner Qual,
U?as liegt baratt?
Den man gebettet auf bie (Eobtenbahr,
(Ob ber in feinem £ebett fröfylitb tpar —
2Tas liegt baran?"
*
(Es brattg beut IlTäbcbett in ber Seele (Eiefeu
Der Schmer}, ber biefe trüben £ieber fpatttt;
Da machten £ieb unb £eib, bie leife fcbliefctt,
Unb legten ib?re Klugheit itt beit Kann.
Kun hätte fte ben Torfat} leicht gebrochen,
Dem 3 üngling 31t perbergen ihren Sinn;
Sie mär’ 311 ihm getreten, h^tt’ gesprochen:
,,C) glaube nicht, bafs ich bir abbolb bin!" —
2 Där’ nicht ber Täter ba pon mcitent Kitte
§nm trauten Kinbe eben beimgefebrt.
(Er fleht bie beibett unb in ihrer UTitte
£äfst er ftch nieber, gürtet ab bas Schmert
Unb reicht es (Otfrieb mit ber fanften Klage:
„U?er führt es einft, wenn mir bie Kraft entflicht?
ITer fchii^t mir mohl bas Kinb an jenem (Eage,
IDenn über meinem (Srab bie JTolfe 3ieht ?
Hls ich bein ebles Denfett fab unb hanbcln,
IDie mürbe mir bas her} ber Jfreube poll!
So herdich fanb id? feinen 3 üngling manbeln —
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Dtfrieö.
537
Pir würbe meiner Siebe reicbfter Soll.
Pa ließ id) gerne meine Hoffnung raufen
Um einer frohen gnfunft falbes Hilb:
Pu warft bes IPalbes i^err mir im (Gebanfcn,
(Gefährte meinem Kinb unb Schüßer milb.
Poch als ich enblicb fah bein ftol^es Pichten,
Pem Berrrt 311 bienen an bem lummelsthron,
Pa mufst* ich meiner Hoffnung Hau nernichten —
ZTicht rauben null ich bir beit (Gotteslohn.
ZTic mär’ es mir unb meinem Kiube Segen,
Pich fernjufyaltcn bem erwählten (Prt —
Prum riettj ich meiner (Trauten, allermegen
§u meiben beinc nähe unb bein IPort.
Pod) als ber IDangen Hofen ih»r erbleichten,
Kein Säckeln flog um ihren fügen ITTunb —
mich fdjämt es nicht, bafs ihre (Ehräncn weichten
lllir (Eroß unb Porfaß auf ben tiefflen (Gruttb.
And) beiue Sieber fageu nur pou Seiben,
2 Per trüge bas uod) ferner in (Sebulb ? —
3 d) fah es ein: bu mufst pon hinnen fcheibeit,
Unb bafs bu mufst — id) trage nicht bie Sduilb.
§um ^freunbe ritt ich ttod), mir Hathcs holen -
3 d) bring bir (Grüße pou ber cSigibjell,
Unb was er fprach — id) fünb es unperftohlcn —
£)ör’ an bie !Pal)l unb fiire auf ber Stell:
IPillft bu ein (Eroft fein biefer Sdjme^ensbleidjen,
Per Süßen Sdjirmer werben unb (Gemahl,
So magft bu mir bie Paitb 3um Hititbe reichen,
Unb bich begrüßt noch heut als iierrn bas (Ehal;
Poch willft bu wattbeln auf ben hohem pfabeu,
IPas ich nidjt fchclten will unb fcbelten Faun,
So heilt uns wohl bie Seit auch biefen Schaben,
Hur 3011111’ bein Höfsleitt halb unb 3ieh’ ponbann.
Su €igil geh, er will bid) hingeleiteu
#um (Gotteshoufe: wo bie Jfulba fließt —
3 m Klofterfrieben magft bu bid) bereiten
Pem (Eag, ber bich als (Drbensfinb begrüßt.
Huti fage, wie bu benfft — ein lang Hefinneit
3 ft bir, bem Klugen, ftdjer nimmer uotl):
Pu faunft bariiber nad) Port Anbeginnen,
Kennft meine ^rage — wie ber (Greis ben (Eob."
Unb (Dtfrieb athmet tief. <£r fieht bie fjolbe
Illit innig warmen Hlicfeit lange au:
„ 3 ch weiß nicht, wie mein (Glücf id) pretfen foilte,
2 Pär* ich nicht id) — war’ id) ein aubrer mann,
^iihlt’ ich geboren mid) 311m Kinberwiegeit,
(Ein IPeib 311 1)^9™ unb im ftchren Sd)raitf
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538
üfteinrab Sabil.
Pas (Selb 511 mehren, auf bem Jfell 3U liegen
llnb nad> ber 3 agb 3U fröfjneu füfjem (Eranf:
IPcnn id> bas (Slütf auf jenen pfabeit fäbe,
Pie pou ber menge Ijartgetreten finb —
Pen Bimmel fänb* im engen Baus ber (Etje,
IPen näfym’ icb lieber als bies bolbe Kinb?
Poch fdjeiitt es mir, als fei pon anbrer (Erbe
Per Stoff gemailt, aus bem mich (Sott gemacht;
Hicfyt weiben mag ich, wie ficb labt bie ßerbe,
3 dj will nur fcfyau’n ber Blüte fel’ge praebt.
3 d? wei§ es wol}l, bafs alle anbers benfen,
mit meinem Sinne fdjein’ icb eudj ein (Ebor;
Podj will icb anbers nicht mein Höfslein lenfen
Bis nach bem Siele, bas mir (Sott erfor!
Per wäljlt ben IPefen allen ihre £ofe,
€r lenft auch mir beit Sinn 3U meinem IPoljl:
€s fliegt ber Jfalter nach bem Puft ber Hofe,
Pie Haupe lebt unb ftirbt auf intern Kol?l.
3 cb will unb mitfs 311m flohen, Böcbften ftreben,
llnb follt* ich miffen allen frohen mntb;
Prnm fattn idj nicht als IHann bes IPeibes leben —
Pem Polfe weiten mufs ich Kraft unb Blut;
Pem beutfdyen £aub bes Bimmels IPort 3U fünben,
Parnacb begehrt mein ßer3, perlaugt mein (Seift;
Pes IDiffens Hebeltiefen auftugrünben,
Pas ift bie ßoffnuitg, bie rnidj ftets umfreist.
3 dj will (Sebanfen, bie fidj wonnig regen
3 n ßaupt unb Be^en gleid? im Baum ber Saft,
Pem IPeibe „ITtenfdjljeit" an ben Bnfen legen
Bis eble Kinber meiner ftol3cn Kraft!
Prum auf nad? Jfulba — morgen will ich 3ieben —
IPo mir bie Brüber wohnen, gleid?gefinnt,
ber Berufung €itgcl mir entfliegen,
llnb mir ber 3 ugeub Scbaffettsbrang entrinnt!
lt>o grojge (Slocfen ^eierflänge bröljnen,
Per 0pferraucb 311m botjen Bogen fdjwebt,
IPo poll ber Bubacbt taufenb Stimmen tönen,
Pa fei mein (Eag — ein 0 pfer felbft — gelebt.
0 fyotjes IPerF, auf pergament 3U malen,
IPas lang por uns ein weifer lllanu gebadit;
mit brei geeinten Jfingem £idu 311 ftrablen
IPie jener, ber bie IjeUe IPelt gemacht.
Bin fernen 0 rte wirb fein IPort gelcfen,
IPenu auch ber Penfer in ber gelle bleibt;
Pie arbeitfame l^aub, fie mag perwefeit —
llnfterblid) finb bie Blätter, bie fie febreibt.
Pie Bäume, bie bu pflaii3eft, werben fallen,
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Ctfrieb.
539
3 n beinern fjanfe fpicli bereinft ber tPinb,
Das IPort, bas bu gerebet, mufs perballen,
Pergejfen beiner mirb bas €nfelfinb;
Dodj an ber ^ulba mirb bie ^fefte ragen
Unb trotjen einer langen, böfen geit:
Dort leben mirb mein (Seift in jpäten (Lagen,
Klein £ieb ertönen einer (Emigfeit.
Hun mag beitt ebler Sinn es moljl crfeljen,
IParnm nad) ^fnlba leitet meine IPaljl;
Dod? mögeft bn mein IPort and) recht oerftetjen —
3 cb fann nicht merben beinern Kinb (Semaljl,
Dod> (Jrennb ibr # bleiben mill idj bis 3nm (Srabc,
Sie Ijüten als ber <Erbe fdjönften Port;
Dem ^immel fchenf id>, mas icfy bin nnb habe,
^ür niidj perlang id) mir ein fleines IPort:
3 d) j'chreib’ cs in mein Per} mit golbnen Reichen,
3 d) mill midi bran erfreuen fpät unb frül>;
IPirb meine 3 ubitfy einem Iltanue reichen
Die fuße Panb? Aun fpricb bas IPörtlein: Hie!"
Aegeiftert blitjten ba bie fdjönften laugen,
Sic mollt* es jagen, aber ihren IlTunb
Perfdjlofs ber Pater: „Aimmer fann es taugen" —
So rief er ans — „31t jdjliejjen foldien Punb!
guni IHanne mill bas IPeib fidj liebenb jcfymiegen,
Das mar unb bleibt, folang bie Sonne fdjeint;
Den Spröfsling miU fie auf ben Armen miegen —
So tjat fie (Sott pon Anbeginn oereint.
IPiUft bu oerlaugen, bafs bie £iebc, Silbe
Pom giel fich meitbe, bem fie (Sott erfchuf?
Dafs fie mit einem oben £eben büjge,
IPeil Ijeut’ in it^r noch fchlummert ber Pernf?
Aie pflegen merben fie bei* Ciebe Pänbe,
Anr iljrer (Etjränen lächeln bas (Sefinb,
Hub gefyt fie il?rcn leeren Kreis 311 <Enbe —
Kein IHann am (Srabe meint, fein 3ärtlicb Kinb.
Drum, millft bu folgen beinern tjoljen guge,
So bring’ bein Opfer rein unb bring’ cs gan3;
3 ft beine £iebe grob U11 ^ f re * vom Cnige,
So gönn’ ber Sieben iljren Pod>3eitsfran3."
Der 3 üngling fall ber 3 ungfran (L^ranen rinnen,
Da marb itjm fchmer bas Per3 nnb eng bie I 3 ruft,
€r naljm bas IPort nad) langem, bangem Sinnen:
„IPas bu mir fünbeft, mar mir fdjon bemnfst.
3 ch fat) ber IHenjcf^en Denfen, (Djun unb Poffen,
3 dj fat) ber IPeibesfeele auf ben (Srunb:
Du haft bie IPaljrljeit in ben Kern getroffen —
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540
9Hetnrab Sabtl.
Poch nicht jerriffni meinen fdjdnen Bun&.
Pie ITtenfdjen, bie auf breiter Straße wanbent,
Pie fat| bein Buge banbeln, wie bu fpricbft;
Poch Unrecht thuft bu, wenn bu 311 ben anbern
Pie fdjötte Seele beincr (Eocbter fliebft.
Pie locft wie midj bas (Eble uub bas Botje,
Pie wanbelt nicht gemeinen Lebensweg,
Pas fyöcbfte ^ifl t»or Hng, ^ as glän^enbfrobe,
IDill i d) fie führen auf bem ftcilen Steg.
IPettit einft mein Harne Fliitgt in weiten lanbett,
Pann benFt fie meiner mit ber böd?ftett £uft:
Sie weiß es ja: bie ftarFen Klänge fanben
Purcb fie nur itjren IPeg in meine Biruft.
llnb mit ben IPcrFen einer frönen £iebc
(Erfüllen foü fie ihren £ebensFreis —
(Es gibt Fein lUeib, bas ibjr 311 neiben bliebe,
IPenn §eit unb (Sut fte groß 311 näßen weiß.
<Es wotyit bie Hotlj um fie in allen Fjüttcn,
Pie mag fie linbern, tröften jeben (Sram:
Ulan wirb mit €iebe reich fie überfebütten
(Gleich einem (Engel, ber ront Bimmel Farn.
c£iu KinMein nahm fte febott aus UTutterarmen,
Pie Falt uub hart geworben bureb ben'CEob —
So manches weint nodj, möchte gern erwärmen,
mit Kinbesliebe 3ablen Kleib unb Brot.
So wirb fte ttidfl ein öbes £ebett fpitiitctt,
Sie webt ein reidt geftieftes JPunberbanb;
IPic frenitblicb wirb itjr (Eag um (Eag nerrinnen,
Unb Siebe Fiifst ibjr noch bie tobte Banb.
3 d> aber will bes Bintmels reicbfteit Segen
3 m (Shitgebet erflehen auf ihr Banpt —
Per Pradje mufs ftcb ihr 311 ^üßen legen
Uub Feine £ocfe wirb ihr Fütjn geraubt.
Uub traute Sdjweftern mag fte fid? aefelleit,
Pie ebler Sinn 311111 Kratt3e um fie reitjt —
pem (Seifte, ber mich tauft in ^ulbamelleit,
Pent gleichen (Seifte feien fte geweift.
Uub eine Blume wirb ityr Sein untraitFett,
So fdiön fie maebfett in bes Bintmels £uft:
Pie füllt beit (Seift mit lieblichen (SebaitFcn,
Pie gießt ins Ber3 bett woitnefamftcn Puft.
P11 möcbteft biefe IPnnberblittne Feinten ?
Huf inettfcbet^uttgeti wobitt it>r Haute ttidfl —
Pen mag ber (Seifter dbor bir rübntenb nennen,
Bei ihnen blitzt fie gern — im Flateit Sicht 1
Hur feiten fällt ein Korn aus Bimntelsböbett
Pas treibt bie IPm^el itt ben Be^ensgruttb,
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CtfrieD.
541
So ift es mir ttttb beinern Kinb gefdyelyen:
„ 3 ungfräulidy Sieben" nennt fle fdywady mein !Hunb.
„ 3 ungfränlidy Sieben" ift bie reinfte Hofe,
Sie bietet reidyes Hlülyen ftatt ber Jfrudyt:
3 fyr Feimt bie fyagebutte nidyt im Sdyofte,
Dody ftaunenb fielet bei* (Eag auf feiner ^lucbt.
„ 3 ungfräulid? Sieben" toädyst nur in beit (Suten,
Unb ifyr (Sentütly — es wirb ein t^eiligtlyum. —
»3 un 9f r äulidy Sieben"! (Seme mödyt idy bluten
§u (Eob für bidy unb beines Hamens Hntym!
Des Hblergejftes ^lügel ift gebunben,
IDenn ilyn bas EDeib mit weidyettt Hrttt umfdylang;
Hur wer fidy eine Seelenbraut gefuitbett,
IDirb tyody bie Sdywingett tyeben lebenslang.
(Es mag ftdy warm im fyeint ber (Elye wolynen,
Solange Streit unb Sorge brin nidyt lyaust;
Dody oft fdyott faty idy Seib bie Siebe lohnen,
Dom fteten Sturme mandyes Dady umbraust.
0 Fönnt’ idy beinern (Seift ein £idyt entjünben,
3 n bem mein rtug' ber (Oyeuren gufunft fdyaut —
Du wollteft nidyt beit welFen Kratt3 ityr winben,
Du fälyft fte gern als ewig reine Hraut.
IDofyl tyoff’ idy nimmer biefes IDerF 311 enbett,
Dody trag’ idy in ber Seele lieben (Eroft:
Du wirft ber (Eodyter t}er3 nidyt 001t mir wenbett,
Der fymmel lyat mir biefes 3iigelost.
Unb nimmer fotnmt ber (Eag, ror bem idy bange,
IDettn traumhaft ber (SebanFe midy bejdyleidyt,
IPo ein gemein Hegelyren nady ilyr lange,
2Do fte beut Jfrembcn ityre Hedyte reidyt.
jfür bie 311 Flein mir fdyiett bas reidyfte Jfütyleii,
Die meine Seele alt bie Sterne tyob —
Der follt’ ein Ulann beit Schleier roly 3erwülylen,
Den 3art mein (Seift um ityre Sdyöuheit wob?
3 dy mödyte fte mit (Sottes (Slatt3 uevFlären,
Huf bafs fie gleidye einer Sidytgeftalt,
U?ie bürfte fte ein ftnnlidyes Hegelyren
(Erniebrigen ber niebrigftett (Sewalt?
3 d? Famt es Flar in beinern Äuge fdyauett,
Du holbe, bafs bu mir 3U eigen bift;
0 biefer Hotfdyaft will idy gerne trauen:
3 d) weift, bafs nimmer midy bein t}er3 nergifst.
So 3tely’ idy bentt mit ^rofyftntt in bie ^erne,
<Es leitet midy bie ftol3e ^urerflcht:
IDenn btt von mir audy einmal liefteft gerne,
So fanitft bn nidyt — idy weift — bu Fanttft es nidyt I"
€nt* t*s fecf?sten <?rfangts.
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'JJleinrab 3 abil.
Siebenter ßesang.
Scheiden und Meiden.
§um Blanfeubergc acht auf (eilten £fi§cit
Per 3 üngling bei bem elften Sonttettftrabl;
(Er will pott freier Bob’ noch einmal grüfteit
Pen ftiUen IPalb, bas träum erfüllte (Thal.
3 bnt pocfyt bas lierj, ihm fetteten ficb bie £iber,
IPie feine Seele trittft bas weite Kuttb:
„ 3 cb geh ron bir, unb ob bicb jemals wieber
Pleitt Buge febaut, bem Bimmel ift es Fmib.
Prttm lais mich biv für alle (Staben b auf eit,
Pie gaftlicb bu bem Jjremben baft gewährt:
Per Bäume Kauften, bliitenreidu's Kaufen
llttb (QuellgefUiftcr baft bu mir befebert.
ITlicb freuten beiiter Pöglein liebe Stimmen,
Mir neigten Raiter ihre ^Iiigelpradp;
3 d? fab ben lllottb am IDaibesranbe glimmen,
Piel tanfenb Siebter bellten mir bie Kacbt.
Unb (Eraumgebilbe traten ans ben Schatten
Unb rebeten 311 mir fo füß unb fanft,
Pie Boffmmg ftanb auf beineu grünen Platten,
Pie (Treue fpracb au beiner Bäche Kauft.
^iir alles habe Panf! Pes IPinbes IPebett,
(Es bringt auf ftarfem ^liige (SlocFettflattg,
llttb ^ulba mittft mir pott ben fernen Bötjeu,
^iir C^ 3 ott 31t ftreitett bort mein £eben lang.
Binab 311m Banfe betttt, wo jene wohnen,
Pie meine Seele liebt fo warnt unb tief;
IPie wollt’ ich ftüttblicb ihre (Treue lohnen,
IPettn nicht ein Scbirffal mich pon binnen rief!
(Es harre Beil auf allen IPalbeswegen,
Kur Jfreube blülje auf ber grünen Bu,
llttb niemals möge bie (Sefabr fict) legen
ginn Pfabe, ben ba geht bie eble Jfran.
Kie follett (Tbräneu itt bas Bäcbleitt fließen,
Kur jubeln foll fie mit bem Pogelcbor,
Unb eilettb tttögeft bu ben IPeg pcrfoblic^ett,
IPettn Untren nabt, bu e^befcblagett (Thor!
Per Segen (Sottes wotytt’ in biejen Ulattern,
(Ein (Engel fcfywebe über biefent Padj:
lllit jflammeufdtmert perfdtcucb’ er alles (Trauern,
Pont lieben Baupte jebes Ungemach.'*
(Er gebt 311m Uläutterfaal, bem weiten, honett,
(Er tritt 3» Blattfcutbales eruftem Berrtt:
„0 fäbft bu meines i'eibes flamme lofyen,
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Dtfrieb.
543
Dafs mtd? 3ur perlte füf^rt mein Sebeusfteru.
(Jaft möcbt’ tcf? meinen itttb mid? reuig legen
fht betne guabeitpolle Daterbruft,
Dir fagen: „Halt mich ab non meinen ZDegen!" —
Dod? eine Stimme ruft: bu mufst — bu mufst!
So roill ich einmal noch ins Hitge blirfen,
Die 6 anb 3um flbfcbieb reichen betttem Kittb;
mit leibettnoller IDontie mich erqutrfeit —
Uitb bann, mein Höfsleitt, fliege mie ber ZDinb!
Heran, bn liebes finge floruntjogen,
Dom Hegen mar ncrfjüllt beitt Himmelsblau?
ZTun glänzt ein Sächeln mie ber ^riebensbogen
Unb mie ber Somtenftrabl im IlTorgenthatt.
(D glaube nicht, bafs uns bie ^eme fdjeibe —
So lang’ bu meiner benPft, bin ich bir nab,
Unb ich nergejf bid> nidjt in £uft unb Eeibc:
3 n H er 3 unb Haupt btft bn mir immer ba.
So lebet motjl! Hun foll mein Höfslein fliegen —
Der Dbfdjieb mie ber (Eob, fie feien fdjnell!
fluch IDalbntann Pomntt unb mill fleh ^örtlich fehmiegen ?
Du treue Seele in bem fchmar^en Jfell!" —
Unb nor bem (Eljore ftebt bie lUagb, bie alte,
Die 3 ubitb cinft au ihrer Hruft gefaugt;
Huf itjrer Stirne thront fo manche ^alte —
Den Harfen hat bas £eben ihr gebeugt.
Die fafst pertraulicb an ber Hattb ben Heiter,
Sie hält ben Jfingcr brotjenb por ihn Hin:
„iDenb’ um bein Höfslein, jietje nimmer meiter!
IDas Pam bir in ben träumepollen Sinn ?
IDiUft bu bie Scbönfte einem anbern laffett,
Unb Knecht unb ITTagb unb all bas reiche < 5 ut ?
(Ein ^rentber mirb bie HcrrlichPeit untfaffen,
Dir mirb Pom £eibe fiebett bann bas Hlitt.
IDas bu bir ausgeherft im Sdymarmerfinne,
3 ft IDahugebübe, bas bich arg betrügt:
mit beitter monbesPalten (Seiftesniinne
Hat nie ftdi noch ein JDeibeshen genügt.
IDotjl mirb bich 3 ubith cmiglich perehren,
fluch beiner lange benPen noch mit Ha™ 1 »
Doch mill ein ITtann flc marme Siebe lehren —
Sie ift ein IDeib — fie ftnPt in feinen firm.
Des mollt’ ich noch in (Treuen bich gemahnen,
IDiemobl id? meifc, bafs idj mein IDort perlor;
So geh beim hin auf beineu irren Hahnen,
Dm ebler, guter, liebemerter (Thor!"
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544
ÜJleinvab 6abil.
Das Höfslein fdjarrte oft mit feinen laufen —
Solang’ bie Alte fprad) — ror ebler l^aft;
Hun (türmt cs bin — es flingt ein banges Hufen —
Der Heiter aber tyilt nun nimmer Haft,
mit Zttufce läfst er erft bas Höfslein traben,
lAo frembe Berge, neue ZAälber fteljn,
Dann fteigt er ab, ju rutyn nnb (ich 31t laben,
Hub ad), ba mufs er neuen lAaruer fefyn.
Am Brunnen, in bem Schatten einer Budje
Hnbt ftunolt aus con weiter lAattbcrfcbaft,
Er grüfjt ben 0tfricb mit bem Sängerfprudje
Hub reicht ihm r>on ber Hebe rottjem Saft:
„nimm biefen (Tropfen an im alten Becher,
(Seuieft ityn auf bas l^eil ber fdjönften Braut;
3d) bring itjii auf ben meifen £ebeus3ed)er —
nur Fünb’ mir eins: lAaun werbet itjr getraut?
Erinnerft bu bicb ttod) bes beitem Krieges,
Den Klugbeit mit ber (Träumerei geführt?
3 d) fyojfe, bafs am (Tage meines Sieges
lind) meine Kehle ^eftesluft rerfpürt.
§um DanPe fing’ ich eud) bie fcböufteu lieber
Aon eines Ablers t)immell]obem Jflug,
Den boeb fein Jflügel ans ber fy>f)e wieber
gunt warmen Hefte miibgeworbeit trug."
.,ITCicb führt mein lAeg 31t Jfulbas beilger Sd) welle" —
„So modjt* bicb nicht bas wouuefame Kinb?
llnb bu oergräbft ben (Sram in ober §cüe!
^iir anbre (Tröftung ift beirt Auge blinb?
lAenu bir nid)t ba ber Aod^eit Aörtier fcballeu,
So 3ietje rul)ig weiter in bie ZAelt:
Aor anbem Augen ftnbeft bu (Sefallcu
Hub eine 3ubitb ttod), bie bir gefällt."
„0 folcbes ift es nid)t," — fo fprid)t ber anbre —
„lAas mich 311m Et)or ber (Sottesfämpfer bringt;
Die £iebc wollte biubern, bafs id) wattbre —
Der Huf bes Aimmels ift es, ber mich swingt."
„lAie ? fjör’id) redjt?" — fo ruft ber lAanberfänger —
„Du liegcft folcbc IHaib im Sdjmer3 3nriicf?
So faljre wotjll 3 d) rebc nimmer länger
mit einem IHörber an bem eignen (Sliicf!
Es wirb bid) halb ber trübe Sinn befd)leid)en,
Dir in bie 0 t)ren tönen ein „ 5 » fpätl"
Es wirb ber (Sram bir bittre (Tränte reichen,
ZAcil bu ber ^renbe ^euermein rerfchmäbt.
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Ctftieö.
545
2 Po bift bu Stab, wo bift bu meine £cier?
Kicfyt lange jiet^n mir metjr burd? (Slnt imb IPinb —
3 fyr Saiten tönet balb bcr fdjönfteu Jfeier:
IPir gehn 31t tröften ein oerlajfcn Kinbl"
€nbc bes fifbrmen (Sefunges
Jldjtcr Gesang.
Gekrönt.
IPie Kaufdien Hingt es hoher ITTeeresmogen,
Pocfy ift es nur ber ITTenge froher Prang,
Pie 311 bem (Sottcsljaufe Fdm ge3ogen
< 5 ur jfeftesfeier unter (SlocfenFlang.
Bus all bes 2 ?nd>enwalbes fernen (Sauen,
Koch weiter mailten fie oom beutfehen £anb,
Per % fnlba nengcwählten Berru 311 fcbaiieu,
Pen fegnen mill bes Utain^erhirteu Banb.
Pas ift ein Farben, Kufen, Keben, Jfragen!
(Sar oftmals tönt es „<£igil" aus bem <£fjor -
Hub immer mieber mnfs es einer fagen,
IParnm ber Katgar feinen Stab uerlor.
Pes neuen lUünfters fyodjgetfjiirnttc Klaffen,
Sie fprechen ftill bes PolFes Klagen aus;
So marb aus (Qual unb Sdjmciß nnb bittrem Baffen
3 m 23 ucbcuwalbe manch ein fto^es Baus.
Pa gläit3ten wofyl bie Böfe unb bie Ställe,
Poch fricrcnb gieug ber Brüte oou bem (Eljor;
Pie trüber quälten fidj in IPalb unb §elle —
Kur Hlühe gieng aus iljrem ^leijg Terror.
So haben IUöndj nnb Kauer glcidi empfnubeu
Pes fto^en ITtannes fchmere (Eidjcnfauft —
Kitn bat ber König ihm beit Brtn gebnnbeit,
Unb „€tgil" ift ber Klang, ber jnbelnb braust.
Pie UTcnge fdjmeigt — es öffnen ftch bie Chore,
Pa fdjreitet aus bem ernften Kriiberljaus,
(Seleitet oon ber Schüler langem Cfjore,
Per IPäljler unb bcr (Säfte 5^9 heraus.
(Erft giengcu ba bcr Krüber fchlichte paare,
Pann Fam ber HTöndjc cbelftol3er gug;
Pie Schöffen brauf, ummallt oom laugen fyiare,
Kuu gieng ber Pogt, ber Schwert nnb (ait3e trug.
Piel (Srafen waren bort in Königs Hanum,
Pie Kecfytes pflegten im (Djüringerlaub —
Unb nun nadj maudicm Bbt unb Kifchof Farnen
Per Biftnlf unb bcr €igil Battb in Banb.
$ie Äultur. in. Clafitß. «. unb 7 . $efr. (ü )02 )
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546
üfteinrab 6abil.
IDie rctftc ha, mie brängtc fld? bie UTenge,
Den (Er^bifchof 3U fchaueu nnb ben Abt —
(Ein ZDeiblein nur ftaub ru^ig im (Scbrängc,
JDeil fte gefetjn, mas fie 311 fcbn gehabt
3 m Ctjor ber Spüler gieng er, bocb im Kleibe
Des Dater Benebict — fo mar es Brauch —;
Sie fjatt* itjn angefcbn mit I^er3eleibe /
3 l?m feft bie panb gebrürft in (Eile auch.
„IDie blafs er ift pon pielent tiefen Deufcu,
€rrcgt unb falt mar feine liebe X^aub;
Könnt’ id? it?m bod? bie fchmere Kunbe fd'cnfen!" —
Sic blicft’ iljm trübe nach, bis er perfdjmanb.
Diel fjuubert mären in ben Dom gegangen,
Hod? außen ftanb ber (Eigentjolbc Schar:
Die (Etföre fangen unb bie parfen Hange.1,
€in IHeer von Sicht umftofs ben podjaltar.
ZTid?t mill ich all bas Sieblidje c^äblen,
IDas nad? betn 0pfer froh bie IHenge fd?aut:
IDie ftch bem Stifte ließ ber Abt permäfylen,
Befiß ergriff pom (Snte feiner Braut.
Die 3 uful auf bem paupte, mit bem Stabe
§og eublid? er 311m äbtlicbeu Palaft,
pier brachte man ifym reiche ^feftesgabe,
(Er l^iclt inbes auf fyofjem Stuhle Haft.
Der fromme Submtg febenft ihm burd? ben (Srafcn
Dorf Ulaffcnbcim im Königs*Uutergau;
(Ein Heginolt, bem alle (Erben fchlafen,
Bringt, mas ityn eigen unter pimmelsblau.
(Sraf Afis gibt ihm breimal bunbert Sente,
(Ein <Engelbred?t ben Bifaug unb bie ITlagb;
And? Bleonfmiuba mirft ben palm ins IDcite:
So mirb bem (Sute unb ber JDelt entfagt.
Unb reic fommen tjer, bas paupt gcfdjoren,
Sie tragen um ben pals ben (Slocfeuftrang,
Die ^reipeit geben fie für (Sott perloren,
Sie mollen Knechte fein ipr lieben lang.
£s tjob fid? nun ber Abt poii feinem (Eljrone,
Den Daitf, ben Segen tput er allen funb:
„Dafs eure Siebe reid? ber pimmel lohne,
Soll emig flepn für euch ber Brüber ITTunb.
gur (Etjrc (Sottes merben pfalmen fd?allen,
Dollenbct foll erblübn bes Miinfters prad?t,
Unb in ber Bücherei gemeinten pallen,
Sei (Sottes IDort gemehrt nnb treu bemacht.
^nr IDatyrbcit foll ber Schule Banner führen
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Ctfrieb.
Per beutfcben 3 ugenb Pampfbcrcites Peer;
Pie (Slnt ber Bruberliebe will id) feieren,
(Euch bclfeub nahn in jeglicher Kcfdjwer.
IPcr hungert, Pontm art unfre (Ehür um Spcife,
tPer bürftet, ftnbe hier ben CabetranP,
(Ein Pach gewähren wir bem müben (Sreife,
Pie Teilung bem, ber an ber Seele PranP.
Unb (Sottesbäufer werben eucfj erfteben
3 n jebem Porfe burdy ben ^udjcuwalb,
Poch Plug unb milbe foü bas Jt>erP gefc^e^eu,
Kein CPpfer fei’s, bei bem ein Seufäer h«*llt."
Hun fdywieg er, unb es gicng 311m ^eftesmafyle.
2 Die wogte ba ber (Säfte lauter Schwarm!
(Es würbe frö^firf^ im bePrän3ten Saale
Pud? mancher, ben gebrücPt ein langer fjarm.
llub 3wifcben ihnen jitjcn ^ulbas Söhne,
Sie muntern jebeit (Saft mit IPort unb (ErattP —
Per eine fcfywärmt ront fdjönen Keicb ber Cöne,
Per anbre rebet einen beitreu Schwan?.
Pem fremben (Safte weist man jene Hlänuer,
Pon benen ferne Plang ber h(>h e Huf:
Pen JprePulf aller tiefen Pinge Kenner,
Pen Kacholf, ber bas ftol^e IHünfter fcbuf.
Por allen Kaban, ber pom Kreu3 gebidjtet,
Pie fcfoönfte beutfdje palme jener ^eit;
Pen Ufwarb, ber ben XMicf 3ur richtet,
(Er fchrieb auf Königswunfch ber Kirdje Streit.
Pier fit^t bes Kaban Schreiber, ber gefcbwinbe,
Per bod?gelebrte Strabo IPalafrieb;
Port finut ein £iutpert, wo ben (Ebron er finbc —
3 bm wohnt bie Perrfd?erPraft im rtugenlib.
Per Kaban fängt pon Kuuen an 311 reben
Unb pon bes Xllfllas erhabnem Buch;
(Er fpinnt bie (Seifter ein in golbne ^äbeu —
Pa h e bt ber Illai^er fid? 311m ^eftesfprud?.
»Ad multos annos!« mtb bie Becher Plingen,
3 um Pbtc geht ber (Säfte langer §ug,
Per IHönche Keihen aud>; bas war ein Pringen!
Pie KellerPnecbte füllten manchen Krug.
Pis jeber wieber feinen platj genommen,
Pa winPt’ ber Pbt bem Kabanus: 311m Keft
£afs aus ber 3 nneitfchule (Dtfrieb Pommen,
HTit feinem £ieb perfcbön’ er mir bas ^eft.
Per Sänger Pam. (Er fang ron Seelenweibe,
Pom (Sottesberge, wo bie Keiubeit fpriefjt,
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548
Weinvab Sabil.
Pou ber <£ittfaguug (Slüd, vom IPomteleibe,
Das mir ein tyocbgefinntes licr^ geniefjt.
Unb aüc laufdytcn, Stille mar im Saale,
Sum <£nbe fparten fic ben Beifall nicht.
3hm reicht ber Pbt bie meingefüllte Schale,
3nbcs er leife 3U bem Sd>üler fpridit:
„Die IPorte fiimmeu nicht 311 blaffen IPangeu,
Die (Ebne jubeln, bas (Semiith ift fermer —"
„3ch fal| ein trübes Pug\ bas madjt mir Bangen:
jDenu gar ber Üob im Blaitfenmalbe mär’!
Des Blanfenljofcs UTagb, ber 3 ll &**k flmme,
Stanb an bem IPeg, als man ins lHünfter gieng;
31|r Blicf mar fo, als galt er einem Samme,
Das man 3um Schlachten aus ber Ijerbc fteng.
(Entlafst mich brum, es 3ieljt mich nach bem (Drte,
IPo mir non öfters Kunbe marb;
Schon lange blieb ich ohne (Ereuemorte,
Hach Botfdjaft led?3’ ich, lieblich ober hart."
Der Pbt entließ ihn unb er gieng 3m Stelle,
Wo bnitfle Bäume bauten eine Pacht.
Huf einem Stein, nmjebäumt oon milber IPeUe,
Sa§ ieite Botin, mie 3ur (Eobtenmacbt.
„Du briugft mir (Erauermär’," fo rief ber Sänger.
„3ft 3ubitb franf? ber Pater? eines tobt?"
„Picht franf, nicht tobt — bodj meile hier nicht länger,
Befämpf bas Unheil, bas bir felber brol|t."
„ITlir felber? — «Eines müfst ich nur 311 nennen,
Dies beufen, hieße fchmäh’n bas treufte ^er}.
Du follteft beffer beiuen Sicbliug fenneu,
Du irreft ober treibft mir beiuen Scheiß."
Doch jene traurig: „iPär’ es eins von beiben!
(Ein 3ahr oon meinem Sehen gäb’ ich brum --
3d| lieb cud? beibe, ntufs für beibe leiben,
Drum ruf ich noch einmal: Kehr um, fetjr um!"
Der 3üngling fleht in ihrem Auge (Ehränen,
„Du meinft! IPas trieb bich Heues in bie Pngft?
IPirb überntädüig fo ber 3ungfran Sehnen,
Dafs bn vielleicht gar um ihr Sehen baugft?"
Doch jene fd?üttelt mit bem grauen Raupte:
„3ch fürchte nur, bafs ihre Siebe ftirbt:
Die Hanfe, ber mau ihre Stüße raubte,
^ällt auf ben falten Bobeu unb rerbirbt.
Doch aus ber IPu^el treibt bie neue Hanfe,
Unb bie gebeiht 11m einen aubertt Pfahl:
IPeun bn nicht fomrnft — mich jchüttelt ber (Sebaufe —
IPirb jener ftnuolt 3ubitljs «Ehgemahl!"
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Ctfrieb.
549
„Pu fchwärmft!" fo rebet (Dtfrieb unter Rittern,
„Per tfnnolt? — nein! - Pas glaube, wer es fannl
Perftehft bicfy fcfylecht, bie .führten auf3uwittern —
(Ein fjunolt wirb wotjl feiner 3 ubittj Plann."
„Pu täufdjeft bicb," fpricfyt tyrn bas lüeib bawiber,
„(Er liebte IPein, jet$t liebt er nur bie Ittaib,
fjieng auf bie 6arfe, ließ bie Schelmenliebcr,
llbt für beu fterrn im (Sau (Sericfytbarfeit.
<Er wohnt im t^ofe fdiott feit rielen (Eageit,
3 n ihm erfennt ber tferr ben fiinftgeit Sotjn —"
„llnb 3 ubittj ?" — „Picfe läfst ron ihren Klagen,
Pem (Sarne naiver geht bas Dögleitt fd)on.
UTait lehrt fie 5weifeln an bes Ittattnes £icbe,
Per anbres träumt, was er geliebt, rerläfst.
Plan rebet ifjr rom (Slücf ber Pluttertriebe —
Pein .fernfein nnb bie §eit, fie tf^uvt ben Heft.
Prum fomnt nnb rette beines Gebens ^rieben!
3 cb hatte feine Hui} bei (Eag nnb Hacht,
Bis ich bie trübe Kunbc bir befdneben:
Pu fchliefft, id} hielt an beinern (Slücf e IPadit."
Unb jener fpridit nach endlichem Bebettfen:
„ 3 d> fage beiner (Eren ben größten Panf;
Poch niufst btt wohl allein nad} l^attfe lenfen:
3 d} fleh erfcfyüttert, aber ohne JPanf.
Pie Jfertte barf bie freien nicht erfälteit,
Sonft war bie Ciebe feine ^immclsglut;
£äfst fie ben Sperling für ben Bbler gelten,
Pann ift ihr ja ber Hbler riel 3U gut.
So mag fie beuit fidi einen Sperling wählen,
Sie baue fich mit ihm ein warmes Heft:
3 ft mein fie wert — fie wirb fid> nicht rermählen —
Wenn unwert, gut bann, bafs fie midj rerlafst.
Sie gab mir ja fein fPort; was fie rerfprochen
Pnrdy ihrer Augen womtefamen Blicf,
<Es fei wie biefer gweig ron mir gebrochen,
Per Freiheit .fülle geb ich itjr 3urücf.
Pies magft bn wiffen nnb auch ihr rerfünbeit,
Poch forge nicht 511 riel um meinen Sdjmer3 —
gwei .flügel Reifen mir aus bunflcn (Srünbett:
Per hohe Stol3, bie Siebe himmelwärts."
(Er fprach’s unb gieug von ihr mit feftem Schritte,
3 nbes bie Botin ftanb wie blifcgeriihrt;
Sie rang nad} IPorten einer fanften Bitte,
3 hn hatte fchoit fein Scbicffal fortgeführt,
gum Pliinfter gieng er. 3 n ber hfi^m Stille,
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550
SJleinrab Sabil.
Da mollt er K ft erflehen bem (Semütb.
§um (Etjorgefteiue trug ihn auch fein IDille,
Dran lehnt er nun bie Stirn, bie fieberglüht:
Da rührt es leis ihn an mit einem Ringer,
(Es ift ber Hbt, ber aus bem (Eraum ihn febeuebt
„ 3 cb weift, mas bir gefd^n, bu armer Singer,
Dein £tug’ perrätlj es, trübe, tränenfeucht,
lllit Flarcrn ^licfe fab ich biefes Fomnten —
Doch freue biefy, nun minFt bir erft ber Sieg,
Tiicbt €rbeumiune Faun bem Ittöndje frommen,
(Setheilte Seele lebt in ftetem Krieg.
Du mirft ben Strom ber Scbme^en überfebreiten,
Daun roirb ftcb öffueu bir ein neu (Seftlb,
Der Jfriebe mirb bie IDege bir bereiten,
Derblaffen mirb in bir bas ttjeure £Wb.
Dann mirft bu erft bie (Seiftesflügd regen,
(Ein tierrfdjer merbeu im (SebattFeureicb;
£tuf beineu Sippen mohnett mirb ber Segen,
Hiebt mirft bu Sieber fingen füg unb meidt.
Dir merbeu Könige bie fjänbe brücFeu,
Heficgt pou beiiter (Eöue Fjocbgemalt:
Dein frommer Sang mirb eine IDelt beglüefen,
Die Sünbe fließt, mo beinc Stimme fdjallt.
Die Ciebc beiner Hrüber mirb umfdymeben,
(Ein Sternenhimmel, beiue fdyöne IDclt:
IDer alles für bas (Sottesreicb gegeben,
Dem mirb barum piel taufeubmal €ntgelt.
IDobl mar es mas bu bir ausgejonnen,
Dod? ift bie (Erbe folcfyer Blüte rauh —
Kaum auftnfcbliegcu h^t fie ftd? begonnen,
Unb febou pe^ehrte fte ber Falte (Ehau.
Unb Fönnte beitte 3arte Siebe leben,
Wer mollte fchät$eu bereu eble prad?t?
man höhnte bidj unb beiner Seele Streben,
IDcil Feiner fo mie bu gefühlt, gebadet.
ZDer mollte beiner (Sröge trau’u unb glauben,
3 br iiiebrer Sinn allein febeiut ihnen mahr.
ZDer nicht mie fie perlaugt nach Pollen (Erauben,
Die Beere mehrt man ihm. bie KattFe gar.
ZDetin bu nicht gehft ben breiten IDeg ber IHenge,
ZDcnn bu nicht thuft ben altgemohnten brauch,
macht man bir beine pfabe rauh nnb enge,
Ulan nimmt bie let$te, reinfte Snft bir audt.
Du mufst 3U ihnen ftehn im IDoUett, fjanbeltt,
ZDie fie mufst bu im DenFen niebrig fein —
Sonft barfft bu nimmer unter menfeben matibeltt
UTufst muttfchlos merbeu mie ein (Sott pott Stein.
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Otfrieb.
551
Die (Sröge mit bent Erbettglüif vermählen,
Das wollteft bn — bu büjjeft nun bie Schulb.
Du fannft ber beiben eines nur erwählen,
Kein phöbus ftnbet Dpljrobitens fjulb."
„Du rebeft wahr" — fo fpricht ber junge Sänger —
„So tjatt’ idj nie ben £anf ber IDelt erfamtt;
XZun will idj beiner ZDeisfyeit nimmer länger
Den Pfab vermehren, fdjliefjett ben Dcrftanb.
Docfy biefcs eine werb’ idj nie mir reimen —
Den ZDiberfprudj, ber in ber ZDelt befteljt —
Dafs fo viel Blüten in ber 3 ugenb feinten,
Die bodj ein (froft fo halb 311 (Eobe weljt.
(Einft wollt’ id? mit ben Döglein aufwärts fliegen,
Einft wollt’ ich mid? auf tjofyen ZPolfen wiegen,—
ZDas feierlich in meiner Seele flang,
Die gan3e ZHadjt bes Sieben uttb bcs Schönen,
Die wollt’ idj wortlos, namenlos oertönen
3 n einen taufenbfachen 3 ubelfang;
Doch Idente mödjt’ idy mit ben wilben ZPettcru
Die Bli^e unaufhörlich nieberfebmettern
§um nadjterfüilten, tobesbangen (Efjal,
3 nt §orne, bafs auf biefer falfcben Erben
Hie will bie ^reube ooll unb bauernb werben,
ftus jebem (Sliicf fo früfye quillt bie (Quall"
ITTit fächeln fpridjt ber &bt: „ZDic fönitte tragen
(Ein Saum bie £aft, wenn jebe Blüte reift’?
Drum follft bu uidyt bie Hoffnungen beflagen,
Die bein (Sefcbicf barmtier^g nieberftveift.
Denn foll ber Baum im £en3e feböuer ftratjleu,
So müffett Bluten fpriejgen otjne ^rucht:
Die Hoffnung fam, bie Seele bir 311 malen,
Du aber 3ftrueft ifjrer fcfynellen Jflucfyt?
Du wirft noch manchen ^els gebroden jdjauett,
rtuf ben bein (Slücf 31t grünben bu gebucht —
Den Z}er3ensfrieben fannft bu immer bauen
Huf jebem (Sruttbe burdj bie ZDillensmacbt.
Don biefer (Erbe nichts unb nichts oerlangen,
Das ift ber IDeistjeit beftes, Ijödjftes §iel —
Huf foldjer wirft bu niemals bangen,
Da wirft bn nie ber eitlen ZDünfcbe Spiel.
Dein Sinn ift fjod?; bod? höljer ntufst bn fliegen,
Sonft locft bidj nod? bie Ctjortjeit in itjr Z^aus.
ZDas f^ülfe bir ein mattes ^lügelwiegen —
Du wärft nur fjalb ein Dogel, f^alb bie ZTtans.
Erft wenn bu fannft oon jebem ZDuitfdjc fcfyeiben,
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ÜJleinrab Sabil.
Patin mirb bid? nie ber grofee Porfatt reu’n
§u leben einem Polf, fo arm in leiben,
fo arm aud>, menu fie hoffen nnb (ich freu’tt."
Pa hob ber 3 üngling an : „ 3 d? mill perfcbnie^eit.
IPas mar es hoch, um bas ich midi gefränft?
Ein fchmach tSefchöpf, mit einem armen liefen,
Pas neuem Ulanne neue liebe fcheitft!
(Ein Piug, bas lebt, 511 fchlafen unb 311 effen,
Pen leib 311 fchniiicfen mit bem ^litterftaat,
3 m fühlten Hrnt bes Dreiers 311 pergrffen
Pes mähren jfreunbes hocbgeftitutcu Hath.
Piumeg mit ihr mtb ihrer ganzen (Silbe!
Piitroeg bie Blätter, ihrem Huhnt gemeiht!
Pie ^ulba trage fte burch manch (Sefilbe,
fie mögen ruhtt im Itteer für alle Seit.
3 d> mill nur mehr bie frommen (Eöuc lorfen
Aus meinen Saiten unb ans meinem (Seift:
<£s fliug’ mein fang mie Huf ber Kirctyenglocfcu,
Per fiinber mahnt, ber (Sottes liebe preist.
3<h müfste nicht, mas mir 311 miinfdien bliebe —
»Es mar ja (Trug ber hefte, fdjönfte (Eraum!
Hicfyt luft 1111b lol^t, fein lob 1111b feine liebe
IPiU ich perlaugcu poit bem lebeitsbanm.
Hie foU bie IPehmutlj mir bas fjerj befcbleicheu!
IPie ^riebeuseugel auf bem fdilachtfelb gehn,
fo mill id) (Eröffnttg allen OTübett reichen —
Poch lächeln bei ber Plenfcheu luft unb IPebit!“
£nt>c t>e» iicfrren (Pefnttacs.
neunter Gesang.
Zutn frieden.
Pie Richten auf bes Hlanfetiberges (Sipfel,
fie jdüittclu uugentiith ihr hohes Paupt,
llttb leite raufebt es bnreb bie (Eattneumipfel:
„ 2 Per hätte biefcs Eub’ rom lieb geglaubt?"
3 m Hlatifeuhofe mirb 511m (Taft gefprungeu,
§u tollen fpielmaiiiispoj)cu piel gelacht,
IHaudi übermüthig liebleiu mirb gefungeu,
Pie ^enerbräubc hellen rings bie Hadjt.
Illit JPouuc läfst ber Punolt ftch beueibeu
Ilm feinen Hcichtbum, um fein fchöues IPeib;
Pen fiiiggeitoffen recht beit (Tag 311 leiben,
Jfafst er bie Hrant pertraulich um bett leib.
Pa hat Erinnerung aus aitberu (Eagett
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Otfrieb.
einen Jüngling por ben (Seift geführt,
Der tief im %r3eu auch ihr Bilb getragen,
Doch faum bie ^anb mit leichtem Drutf berührt.
Unb leife IDeljmutt) fafst fte beim (Sebettfcn,
Sie flüchtet aus bem meufcbenreicfyeu Saal:
Hoch eine (Efjräne mill fic jenem febeufeu
Hm beiPgeit 0rt 3um aUerle^tenmal.
Sur trauten Kammer fiifjrt fic ber (Sebanfc
Hu jene lieber, bie ber t^cljre fpradj;
Sie fyolt bas Pergament pom €id?cufdjraitfc
Der mächtig thront im magblicbeti (Setnacb.
Unb mie fie manbelt bureb bas UIägbe3immer,
Da läcbelt jie ein blonbes Köpflein an:
Um jenen fragt bas Kinb, fo fyeut mie immer.
Der itjm fo r>iel bes Sieben augetfyau.
Unb Jubitb Füfst bas Kinb auf meicfyc IDaugeu.
Sie milbert tröftenb bes Dermalsten Darm.
Das Kinb mill boffmutgftrableub nad? ilir langen,
Da nimmt bie Braut bas lUägbleiu auf ben Hrnt.
Sum JDalbe gellt fic, fommt 311 jener <Eid>e,
Die mitgelebt ben fd?öufteu ^rütylingstranm;
Da mirb es ihr, als ob bas Sehen meidic —
Sie ftubet 0 tfrieb au bem breiten Bannt.
(Er fieht fie febmeigenb au uttb mill ficb meubeu
mit rafebem Schritte uaefy bem bidjteit Hain,
Da meint bas Kinb mit ausgeftreefteu Hauben,
Unb 3 ubitb ruft roll Seltner}: „Der^eibu, rer^eibu!"
„Der^eibu" — fpriebt jener— „bem, ber fdmlbbelabeu!
Du logft mir nicht; bn baft midi nicht beraubt:
3 d> felber tänfebte mich 31t meinem Schaben,
Dicmeil ich, mas ich fyoffte, and» geglaubt.
(Ein Junten Siebe glomm bir in ber Seele,
3 cb fab bie flamme bis 311111 Himmel fprühn —
(Ein itlabdien marft bu ohne Arg mtb ^eble,
3 cb aber faf? ben <£t>ernb in bir gliibu.
So ntufs id? beim bie Jfrndit ber Torheit tragen,
Unb glaube mir — fie laftet uidit fo fermer!
IDas ich tu bir perlor, ift uidit 311 flageit —
Denn mas icb fnebte, bift bu ja uidjt mehr.
Sägft bu im lichten Kleibe auf ber Bahre
Unb trügeft 11m bie Sotfett biefeu Kran3,
Daun lebt’ ich mobl bem (Srame meine 3 at>rc —
Doch mein’ ich nicht bei beinern Hod^eitstai^.
Bemeinen föuut’ ich nur, mas idi perloreu —
Dich aber gab icb freien Umttjes fyiit,
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554
9Jleinrab <5abtl.
Hls id? mir meinen ftoljen IPeg crForcn,
ITTeiii Huge hob 3U fchöuerem (Seminn.
Pu Fouuteft nicht erfaffen folrf? ein Streben,
Hud? bein Behüter ho* es nicht erFattitt —
Pn mollteft nicht ein (EttgclsFleib bir rnebett
Hur manbeltt im alltäglichen (Semattb.
So mögft bu benn in beiner £?ütte mohneit,
Pa bu als priefterin nicht bienen magft.
Pes ITtanues (Eren foll bir bie Siebe lohnen,
Pafs nie ber (Eag crfcheiite, bem bn FlagjV'
Sic brüeft ihr (Eüchleiu an bie büfteru Augen.
Pie Stimme bebt, inbem fie Ieife fpridjt:
„Per ftärFfte JTtäbche::millc mag nicht taugen,
Pie IPelt beftürmt ihn, bis er fällt mtb bricht.
Prum follft bu nicht mit (Eabelrebe fcbeibeit,
(Es Faun bich reuen bod? in aubrer < 5 eit.
(Es mar ein ^eittb, ber Fämpfte mi uns beiben:
Pie JPelt uitb ihre UnrcrftäubigFcit."
(Er jagt gerührt: „ 3 ch uehrn ftc au, bie Hebe.
Hidjt bu, nicht idj, IPelt nur hot bie Sdjulb —
Pie Fünbet allem Roheit ihre Jehbe,
Hur bas (Semeittc freut fid? ihrer fytlb.
3 ch mill bidy auch nicht fchmäheu, bich nicht hoffen;
Was bu gethan, es mar bein großes Hecht.
(Satt3 ohne BitterFeit mill ich bich laffeu,
IDill fegueii bich, mill j'egnett bein (Befehlest
Hach langem IPalleu mögeft bu im Hreiic
Per heften Kiitber flnben beine Huh’ —
Poch beten follft and? bu, bafs meine Heife
ITlich immer höhern Stenten führe 311.
Hur eines fleh ich noch: itt beineu fjänben
(Erägft bu ein Büchlein, bas ich bir gefchcnFt —
Pie lieber lafs utidy 311 beit Schmcj'teru fenben,
Pie lange ruhn, in Fühle ^lut gefenFt
Penn blieben biefe Blätter bir 31t eigen,
2 Pte Föttttf ich h^ten mich ror Sdjimpf uttb Schmach ?
Pein UTamt, ber mürbe unter Cächeln 3eigett
Pent (Safte, mas ein h^rlig fühlen fprach-
5 n feines IPcibes Büfett ntöcht’ er fettFeu
Sein ftaupt — im Auge. bie gemeine £uft —
Hub meiner jpottenb mürb’ er ba gebetiFeu
Per hohen Siebe iit ber Schmärmerbruft.
Httn mag ich leichten £jer3eits meite^iebett,
Pa mir gelöst, mas irgenb noch uns baub:
Unt rollig meinem (Erattme 311 entfliehen,
SeuF 7 ich bie Schritte 311m Henteterlaub.
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Otfrieb.
55
Bidjt an ber ^fulba will td? weiter wollten,
Sie raufäjt mir ewig bas oerfenfte Heb - -
Ittan fämpft 31t IDeißenbttrg um gleid?e Kronen,
Dort frag* idj um eilt Schwert niib tret’ ins (Slieb.“
Da fielet er eilt paar Kiitberaugeit leuchten
Poll £ieb* unb ^rcube uub bod? r>oll ber Sd?eu.
€r fütjlt es, wie bie IDimpertt fidj iljm feud?teit;
„Du bijt bie fiebe," — ruft er — „bift bie dreul"
Pott fleiiteit formen läfst er ftd? umfaffeit,
<Hr nimmt beit Kufs oott ttnfdjulbrollem ITtunb.
„Uttb mnfs tdj audj bidj, flettter €ugel, Iaffett -
mit beittesgleicfyett ewig fielet mein Butib! —
Bocb ein (Sebettfett tteljm’ idj in bie Jcrite:
Du fagteft eiuft tu uttf’rer golb’ttett §eit:
*Dett (Sottesfoffit befutigeit tjört tdj gerne« —
Httu ift bie £eier folgern Saug bereit.
Uub bauten mnfs idj and? bafür itt (Treuen,
Dafs (Sott in beinc Balje midj geführt:
Denn biefes große freuen uttb Bereuen
£}at meinen Sang gefräftet uttb ge3iert.
So lebe wotjl!" — Sie fjandjt ein leifes (Srüjjen,
3 ubes er würbtg febreitet nadj bem IPalb —
IPie 3Üritettb aud? bes fyniolt Buf erfdjallt:
Sie let^iit am Baum ttitb läfst bie (Efjräueit fließen.
€nbe.
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Rundschau.
(Sin neuedüßerf über bie © i y t i n i f ch e Kapelle, *$er roeiheoolle
Naum ber ©alaftfapeüe bed ©atifand mit feinem herrlichen ©chtnude non ber §>anb
hochberühmter SÜleifter jieht immer roieber bie 9 lufmerffantfeit unb "ftorfcbertbätigfeit
ber ftunftgelehrten in feinen ©annfreid. Kaum bafd und $arl ftufti in feinem
„Michelangelo" (Leipzig, ©reitfopf & Partei, 1900 ) mit ben geiftreichen ©eiträgen
jur Erflärung ber 2 Berfe unb bed Menfchen auch neue ©eRchtdpunfte für bad ©er
ftänbnid bed grogartigen Söölbungdfchmuded ber ©iytina erfdjloffen unb bie Deutung
auf eine bidher augeradü gelaffene, aber febr zuoerläfRge Erunblage gefteüt bat,
tritt (Srnft eteinmann — mohlbefannt burdi fehr rerbienftpolle ©eiträge zur italicnifcbcn
ftunftgeichichte — mit feinem monumentalen äderte „$ie ©iftinijche Äapeüe"
(Erfter ©anb: ©au unb ©chmud ber Kapelle unter ©iytud IV. — München, ©er
lagdanftalt ft. ©rudmann, 1901 , 100 M.) auf ben ©lan. $>adfelbe ift in Anlage unb
nornehmer s 2ludfüRrung feined einzigartigen ©toffed burchaud roitrbig unb bietet bie
erfte einheitlich gefchloffene ©ehanblung bed in feiner ganzen ©ebeutung tief erfafdten
Eegenftanbed.
^af* biefe neue ©irtina ©ublication in fo überaus glänjenber füudftattung
erfdieineit fann, ift ber Munificenj bed ^eutfchen Neichid zu bauten, roeldjed bie
Mittel für bie prächtige Herstellung bed ©$:rfed bewilligte. 9 IHe amtlichen ftactoren
liegen fich bie ftörberung bedfelben märmftend angelegen fein; eine oom ©taatd
fecretär bed ftnnern (Grafen ©ofabon)dtp«©tebner eingefefcte ©onbercommifRon, ber¬
auch ber feinRnnige Nath bed tunfiperftänbigen Somcapitulard unb päpfthehen Haud
pvälaten $r. ftriebrid) ©djneiber in Mainz nidit fehlte, ftanb bem ©earbeiter mit
reidjer Erfahrung zur ©eite. $ie befannte Münchener ©erlagdanftalt ft. ©rudmann.
ipeldjer ber 3ufd>ufd aud Neid) 3 mitteln bie in jeber HinRcht gebiegene £>erftellung
mefentlid) erleichterte, h at au f $rud unb illuftratiue ©udftattung bie bentbar grögte
Sorgfalt oerroenbet unb in bem unähnlichen Xejrtbanbe eine tppographifche Mufter
leiftung erzielt; bie Xafeln ber Mappe, bie ^iwei Ebromolithographien unb aufeer
25 ©bototppieu noch Reben ©hotolithograpRten bieten, beruhen mie alle Einzelheiten
aud ben ©lanbgemälben, ber ^IrdRteftur unb ©culptur auf Neuaufnahmen unb per«
mittein eine ftülle neuer s 2lnfcgauuugen.
$er 710 Cluartfeiten umfaffenbe erfte Xeytbanb, bem 260 9 lbbilbungen mtt
oft reizenben ‘Detaild beigegeben finb, behanbelt bie ©augef(hichte ber ftapelle unb
ihre s Kudfchmüdung unter ©irtud IV. $ie Seo^efeüfchaft barf ed mit befonberer
(^enugthuung erfüllen, bald ber auch pon ihr in feinen ipiffenfd)aftli<hen ©eftrebungen
geförberte Cfterretcher $>r. Heinrich ©ogatfdjev in Nom bie burchaud felbftänbige
©earbeitung ber im Anhänge mitgethcilten $ocumente geliefert hat. $)ie bid auf
bad Mleinfte Reh erftredenbe (Mntblicbfeit unb Eetoiffenhaftigfeit, bie ber Unter*
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Wunöfdjau.
f)57
zeichnete an feinem ehemaligen Schüler jeberjeil überaus hocbgefchäfet half berechtigt
nnbebingt ju ber fchon non ©teinmann felbft auSgefprocheneu Hoffnung, bafs bie
eintägigen Oueüen nunmehr nollftänbig erfdjöpft ftnb. Durch Bogatfdjer’S ÜRit*
arbeiterfchaft hat auch Deutfd)ȣ)iterreich einen gewiffen Bntheil an bem 3uftanbc>
tommeu ber monumentalen $ublication über bie ©iptina.
Die neun Slbfchnitte beS erften BanbeS, beneu aufeer bem Documentenanhange
Bogatfcher’S noch ein Anhang über bie Biographen ©i?tuS IV. unb ein anberer über
Bortraitbarftellungeu unb ÜRebaillen biefes BapfteS folgen, entrollen in ©teinmann’ß
anjiehenber Darftellung jeffelnbe Silber aus einer groben (Epoche italienifdjer ftunft*
3 rür fie wirb ber £üntergrunb beS 3 ettmilieuS oortreffüch gezeichnet ; alle Begebungen
am frofe beS tunftfinnigen Äirchenfürften unb feiner Umgebung treten mit J^eroor»
hebung ber oon ©ijrtuS IV. befchäftigten Wrchiteften, Bilbhauer unb ÜJtaler, oon
benen nur ÜRelozzo ba f^orli, Benozzo ©ozzolt, Bietro Berugino, Dotnentco
©hirlanbajo genannt feien, in einer gewiffen ©efchloffenheit ber ©rfcbeinung uor
uns. 3 hncn fdjliefet ftch bie alle (Einzelheiten erfchöpfenbe Baugefd)icf)te beS
Hapellenraumes unb bie BMirbigung feinet ©culpturenjchmudeS an, worauf auf bie
Malereien ber Kapelle felbft in ber grünblichften, überaus oiel s JteueS bietenben
BearbeitungSweife ©ebritt für ©chritt eingegangen wirb. Die $lutheile ber umbrachen
i:nb ber florentinifchen Bteifter, beS Buca ©ignoreüi ober beS Bartolonteo bella
©atta erfahren fichere Umgrenzung unb feinfühligfte, untüchtige Erflarung, welche
^anbzeichttungen ber nerfchieheuften ©ammluttgen in [Rom, BMen, Florenz, beliebig.
Berlin, Baris u. a a. O. fachgemäß l^cranjieht. ftitr bie Sharafteriftit ber befchäftigten
ttiinftler ftrömt eine gülle neuer, fehr intereffanter (Einzelheiten ju. £)ier wirb bas
fcharf prägenbe ©efdjid t>eS Bearbeiter«, ber ab unb ju aud) auf technifche fragen,
bie WrbeitStbeiluug in ber utnbrifcben 3 Berfflätte unb bie baburd) erforöerlidje ftrengere
©cheibung ber ft nftlcrhänbe näher eingeht, ganz offenfid)tli©d)on bie 2lrt ber
Befjanblung erhöht baS ©efiihl, bafS man nahezu überall gefieberten (Ergebniffeti
gegeuüberfteht. s lBenn aud) hie unb ba eine (leine Berichtigung ober eine aubere
'lluffaffung gelteub gemadjt werben foUte, waS bei einem fo gewaltigen ©toffe wahr
fcheinlich ift, fo wirb baburch ait ben £>auptergebnifien ber Darlegungen ©teinmann’S
faum etwa* 2 Befentli<hes geänbert werben, ©ie büvfen in ihrer Bebachtnahme auf
alle Einzelheiten beS DenfmaleS unb auf baS mit ihnen in Beziehungen ftehenbe,
weit oerftveute Belegmaterial oom heutigen ©tanbpunfte ber ftunftforfchung als ab’
fchließenb bezeichnet werben unb laffen burchwegs erlernten, bafS für bte ööiung einer
wirtlid) großen Aufgabe ber richtige Blann gefunden würbe, beffen beutfehem Jvorfcher=
fleifee bie ewige ©tabt bie wiirbigfte Bublication eine« ihrer hernorragenbften ftunft*
bentmale ju banfen haben wirb, wenn bie hauptfächlich auf ORichelangelo’S Berfönlichfeit
unb ftunft fich concentrierenbe fjortfefeung oorliegt.
©eraöe im 3ufammenhange mit ber wohfoerbienten Bnerfennung, welche
gewifs überall bem fo BortrefflidjeS bietenben Bearbeiter unb bem bie JperauSgabe
ermöglichenben hochherzigen Befchluffe beS Deutfdjen [Reichstages gezollt werben
wirb, fallt e« hoppelt fchwer, mit einem allerbingS biefe beiben gactoren burchaus
nicht treffenben Xabel zu tieften. Es gilt ben oon ber BerlagSanftalt zu Befprechunge-
Zwecfen oerfchidten „Biufterheften", bie Borwort, ^nhaltSoerzeichni«, brei ober oier (!)
Teytbogen beS ©anzen (!!) unb eine Brobe beS [RegifterS bieten unb mit ben beige
fchloffenen brei Xafeltt bie ©runblage eines [Referates bitben follen. (SS liegt auf ber
i^anb, bafS von einer fo prächtigen Bublication, beren BreiSanfefeung mit 100 3 Rf.
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558
[Runbfchau.
wirklich mäßig genannt werben barf, nicht viele fRecenfionSeyempIare verteilt werben
können. 2 öo man aber nach bem ©^araftcr be« Vlatte« mit einer — roenn aueb
befchräuften — Abfaßmöglichkeit be« 2 öerfeS rechnet, follte nicht bie Verkeilung
ber tRecenfton«eyemplare in ba« auSgefprochene ©egentheü von bem verfallen,
wa« bei ber fplenbiben AuSftattung be« ©anjen fonft fo angenehm berührt. ©ine
geroiffenhafte Vefprechung, bie bem ©anjen gelten fofl, läfst fuh logifchcrweife nicht
auf wenigen Vruchftüden aufbauen unb jwingt ben [Referenten, ficb auf einem
anbern, nicht an jebem Crte leichten V?ege einen ©inblicf in ba« V 3 ert felbft ju
verfchaffen. Appelliert „bie außergewöhnliche Vebeutung be« Unternehmens" in höherem
©rabe an bie Beachtung weiterer Greife, bann muf« für bie ©rweefung berfelben
von ber Vcrlagsbuchhanblung auch ein größere« Opfer gebracht werben benn ein
mehr als befcheibeneS, an fi<h wertlofeS SRufterheft, für welche« bie Veanfpruchutig
ber 3 “fenbung eine« Velegabjuge« fich wirtlich etwa« fehr mertwürbig au«nimmt.
Ratten unS ber 'PublicationSgegenftanb, bie in jeber Vejiehung anerfennenSwerie
^Bearbeitung unb bie höchft. würbige AuSftattung nicht baju verpflichtet, gerabe bie
Greife ber fieo*©efettfchaft auf baS wirtlich h^orragenbe 2 öerk aufmertfam $u
machen, baS ÜRufterheft al« folcheS hätte hier fonft feine 3 *ile oerbient. ÜRöge bas
felbe nicht für ähnliche Unternehmungen eine gewiffe flRuftergiltigfeit erlangen!
Qofeph 9 tcuwirth.
* *
*
ftant unb bieSternenbewohner. Daf« ftant ein Anhänger ber
Sehre von ben Stemenbewohnern war, ift peinlich befannt. Vkniger befannt finb
bie eigenartigen Vorftellungen, bie er fich auf ©runb von Analogiefcßlüffen über bie
benfenben ©efdjöpfe in unferem s ^lanetenfpftem bilbejte. s ßohle in feinen „Sternen
weiten unb ihre Bewohner" (ftöln 18519 ), bem einigen neueren beutfehen VJerfe, bas
bie Jtrage fpftematifch behanbelt, weist (S. 52 ) nun mit 9 ta<hbrucf auf ftant als
einen Vertreter ber 'PluralitätStheorie hin. ©« ivirb beshalb von ^ntereffe fein,
wenn wir bie phantafievollen Ableitungen ft a nt’s hier mittheilen: wir geben
feinen ©ebanfengang ( 9 laturgefchichte beS Rimmels. AuSg. ftehrbach,* S. 150—158
in abgekürzter Jorm, aber in möglichftem Anfchlufs an feine eigenen Vtarte wieber:
„ 3 k bin ber Anficbt, baf« es eben nicht nothwenbig fei, $u behaupten, aOe
Planeten müfsten bewohnt fein, ob es gleich eine Ungereimtheit wäre, bie« in
Anfeßen aller ober auch nur ber meiften zu leugnen: benn e« wäre Verwegenheit
bes ÜRenfcßen, ftch von ber s Jtothwenbigfeit feine« Dafein« fo zu fchmeicheln, baf« er
bie ganze übrige Schöpfung für vergeblich hält, bie nicht eine genaue Abjielung auf
fein ©efchlecßt al« ben ORittelpunft ihrer 3 wecfe mit fich führt. Die meiften unter
ben 'Planeten finb gewif« bewohnt, unb bie e« nicht finb, werben e« bereinft werben.
Vta« für Verßältniffe werben nun unter ben verfchiebenen Arten biefer ©inwohner
burch bie '«Beziehung ihre« Crte« in bem Vkltgebäube ju bem SRittelpunfte, barau«
ftch bie VJärme verbreitet, bie alle« belebt, verurfacht werben? Der 9 Renfch, ber
unter allen vernünftigen VJefen baSjenige ift, ba« wir am beutlichften fennen, muf«
in biefer Vergleichung jurn allgemeinen Vejiehungspunfte bienen.
„©« ift gewif«, bafs ber 9 Renfch fotvohl in Anfehen ber Deutlichkeit feiner Vegriffe
unb Vorftellungen, al« auch ber Seligkeit, biefelben zu verbinben unb zu vergleichen,
welche man ba« Vermögen zu benken nennt, von ber Vefcßaffenheit ber ÜRaterie völlig
abhängt, an bie ber Schöpfer ihn gebunben hut. 3 Bir fchließen bie« au« ber Dßat
fache, baf« nach bem üRaße, al« fein ftörper im Saufe feine« Seben« fich au«bilbet.
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föunbfdjart.
559
bie $äbigfeiten feiner benfenben 9 totur ctuc^ bie gehörigen ©rabe ber Vollfommenbeit
befommen unb erft ein gefe&teS unb männliches Vermögen erlangen, roenn bie
3fafern feiner Söerfjeuge bie ^eftigfeit unb $>auerbaftigfeit überfommen b a &* n »
roelche bie Vollenbung ihrer s 2 luSbilbung ift. Siebt man ferner baS ^eben ber
meiften ÜJtenfchen an, fo roirb man bemerfen, bafS ber üftenfch unter allen ®efrf>öpfen
am roenigften ben Qvoed feinet 'SafeinS erreicht, roeil er feine oorjiiglichen fyäbig*
(eiten ju folchen Vbfichten oerbraucht, bie bie übrigen ©reaturen mit roeit minberen
3 fähig(citen unb hoch roeit ficherer erreichen; unb roenn man bie Urfacbe ber Einher-
niffe unterfucht, roelche bie menfcblicbe Statur in einer fo tiefen ©miebrigung erhalten,
fo finbet fie fich in ber (Grobheit ber ÜJtaterie, in bie fein geiftiger $b*il oerfenft ift.
$>ie ©robbeit beS Stoffes unb beS ©eroebeS in bem Baue ber menfglichen Statur
ift bie Urfacbe berjenigen Trägheit, roelche bie gäbtgkiten ber Seele in einer beftän
bigen ÜRattigfeit unb Straftloflgfeit erhält. ©S erhellt hierauf beutlid), bafs
bie Strafte ber m e n f <h 1 1 ch e n Seele non ben^inberniffen einer-
groben OJtaterie, an bie fie innig ft oerbunben roerben, ein ge
fchränft unb gehemmt roerben.
„Vber eS ift etroaS noch ORerfroiirbigereS, bafs biefe fpecififche Befchaffenbeit
beS Stoffes eine roefentlicbe Begebung ju bem ©rabe beS ©influffeS böt, roomit bie
Sonne nach bem 9 Jtoße ihres VbftanbeS fie belebt. 35 aS geuer oerbreitet fich auS
bem VUttelpunfte beS VkltfpftemeS, um bie ÜJlaterie in ber nötigen fRegung ju
erhalten, unb barum entfpricht jebem Wbftanb oon ber Sonne foroohl bei ben Planeten
als bei ihren Beroobnem eine beftimmte dichte ihrer Materie, ©in Beroobner ber
©rbe roürbe in einer erbitteren Sphäre geroaltfame Beroegungen unb eine 3 errüttung
feiner Statur erleiben, ba fein BilbungSftoff für einen gröberen ©rab ber SBärme
su leicht unb flüchtig ift, roährenb ein Beroobner ber VenuS in einer fühlen Rimmels
gegenb erftarren unb in einer öeblofigfeit uerberben roürbe. ©benfo müffen eS roeit
bittere unb flüchtigere Vtoterien fein, auS benen ber Eörper ber Qupiterberoobner
befiehl, bamit bie geringe Regung, roomit bie Sonne in biefem Vbftanb roirfen fann,
biefe Viafcbinen ebenfo fräftig beroegen fann, als fie eS in ben unteren ©egenben
oerrichtet, unb bamit ich alles in einem allgemeinen begriffe jufammenfaffe: ber
Stoff, roorauS bie ©inroobner oerfchiebener Planeten gebilbet
finb, mufS überhaupt oon befto leichterer unb feinerer 91 rt unb
bie ©lafticität ber ^öf*** 1 fammt ber oortheilhaften Anlage ihres
'-Baues mufS befto oollfommener fein nach bemORaße, als fie roeiter
oon ber Sonne ab ft eben.
„VMr höben fo eine Vergleichung jroifchen ber Befchaffenbeit ber ÜRaterie,
roomit bie oemiinftigen ©efchöpfe auf ben Blaneten roefentlich oereinigt finb, auS
gemacht. 9 tacb ber früheren Betrachtung müffen roir fcbließen, bafS biefe Verbältniffe
eine Sfolge auch in Vnfeben ihrer geiftigen Stöhißfctten nach fich sieben. Vknn nad)
biefen Betrachtungen bie geiftigen ^ähigfeiten eine nothroenbige 9 lbbängigfeit oor
ben Stoffen ber ÜRafchine haben, roelche fte beroohnen, fo roerben roir mit mehr
als roahrfcheinlieber Bermutbung Jagen fönnen: bafS bie Xrefflidjfeit ber
benfenben Naturen, bie föurtigfeit in ihren Borftellungen, bie
$)eutlicbf eit unb Öebhaftigfeit ber Begriffe, bie fie bureb äußerliche
©inbrüefe befommen, fammt bem Vermögen, fie jufammenjufefceu,
enblich auch bie Behenbigfeit in ber roirflicben Ausübung, fürs
ber ganje Umfang ihrer Vollfommenbeit unter einer geroiffen
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560
Munbfdjau.
9t e g e l ft e h e n, nad) roeldjer b i e feiben n a ch bem Verhältnis bes
MbftanbeS ihrer VBobnpläfte oon bcr Sonne immer trefflicher unb
oollfommener merben.
„MuS biefem Verhältnis erfefyen mir, bafs bie menfchliche Matur, roelche in ber
Leiter ber Vkfen gleichfam bie mittelfte Sproffe inne l)at, mitten zwifchen ben zwei
du|er)ten ©rennen ber Vollfommenbeit ftebt, oon beren beiben ©nben fle gleicbroeit
entfernt ift.*) Vtenn bie Vorftellung ber erbabenften Cilaffe uemünftiger (Kreaturen,
bie ben Jupiter ober ben Saturn bemobnen, ihre ©iferfucbt reizt unb fte burch
©rfenntnis ihrer eigenen ^tiebricjfeit bemiitbipt, fo fann ber Mnblitf ber niebrigen
Stufen fie mieberum jufrieben fprecben unb beruhigen, bie in ben Planeten Venus
unb hierfür roeit unter bie Vollfommenbeit ber menfcblicben Statur erniebrigt fmb.
9 Belcb’ ein bemunberungSmiirbtgcr ^Inblicf! Von ber einen Seite feben mir benfenbe
Wefcböpfe, bei benen ein ©rönlänber ober Jpottentotte ein Memton fein mürbe,
unb auf ber anberen Seite anbere, bie biefen als einen Riffen bemunbern."
Soroeit ber „geiftreicbe unb logifcb rooblgeorbnete Iraum", roie ^iebntann
biefe Xebuctioncn einmal nennt <3ur Mnalpfe ber VMrflicbfeit, 3. Mufl. S. 408 1 .
Übrigens entroitfelten ftant’s 3*itgettoifen Sonnet, Lambert, lauter unb
Malier ganz ähnliche Mnfchauungen (ogl. 3 ö cf l e r r ©efchichte beV Siebungen
zmifchen Ib^logie unb Maturroiffenfchaft. (Gütersloh, 1879 . II., 84 ff.)
Mions Wi'tller.
* *
*
Xie britte ©miffion ber claffifeben MnbachtSbiIber ber^eo
( 9 efel Ifcbaf t läfSt in ihrer Musmabl nahezu überall eine facboerftänbige, gefebiefte
N?anb erfennen, bie im allgemeinen Madjbilbungen beroorragenber VJerfe anerfannter
Weifter bieten raiU. Xer ©ebanfe, auf bem V*ege bes in breite VeoölferungSfchicbten
bringenben, oft $ur Ö^nb genommenen MnbadjtSbilbes neben bem ©rbauungSzmecfe
gleichzeitig zwanglos etmas zur Vertiefung ber noch recht zuriief gebliebenen Kenntnis
grofeer Schöpfungen firdblicher ftunft beizutragen, ift nur zu billigen. Xenn mas bisher
an folgen MnbadjtSbilbern in bie fränbe ber (Sänften fönt, burfte ^umeift als höhere
©efchmadlofigfeit bezeichnet merben. £ner that Mbljilfe bringenb notb, bie mit MuSmabl
beS ©Uten roirflich auf grobe, zur Mnbacht ftimmenbe ftunftmerfe zuriidgreift, mit ©r
fchliebung bobeitsuoller ober anmutbiger ©ebanfen bie (Erbauung bebt unb nebenbei
auch Vereblung bes ©efcbmactes nicht auberacht läfSt. Xie Webrzabl ber neuen
Vilbcben barf als gut bezeichnet merben. ©ine noch fachgemäbere Mnmenbung ber
jeftt auf fo anfebnlicher Jpöbe ftehenben mobemen MeprobuctionSmittel hätte in
manchen Stücfen zweifellos VeffereS erzielen laffen. Xie banfenSmerten Urfprungs
angaben auf ber Mücffeite fmb burchauS ^uüerläffig bis auf jene für bie *ßetruS
ftatue in Morn, für melche baS ^reftbalten ^ ev auch uon 8*unz 3 £an. ftrauS acceptierten
3 eitbeftimmung (©efdjichte ber chriftlichen ftunft, I., S. 231 ) fuh empfehlen biirfte.
3 . M.
*> ^11* Äant bie* frtjrieb (öor 1754), waren Uranu* unb Neptun norij nicht cnrbccft.
Mebacteur: Xr. J^ranz Schnürer.
3of. JWotb’iche $icrlag*bwct)lKmbliin 0 . — $ud)bnicferei Hmbr. Cpi&, Söien.
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moderne ü'nwände gegen die christliche moral.
Bon Br. pfptipp ßnrtb,
er fittticfje ©rnft beS ©hriftenthumS mar eS, ber bielfach feine ©rfolge
herbeifüprte. Abgefehen oon ben ©ormürfen, benen eS in feinen erften
Seiten oon ©eiten ber Reiben auSgefefct mar unb bie tfyeiüoeife in UnfenntniS
uitb SRifSoerftänbniS, theilmeife mohl auch in böSmißiger SerläumbungSfucht
i^ren ©runb hoben, mürbe biefer fittliche ©ruft lange $eit hinburch nicht in
grage gefteüt. Um fo befremblicher mag eS auf ben erften ©lief erfdf)einen, menn
in neuerer Seit bie ©ehauptung aufgefteüt mirb, an feiner ©ittenleljre gerabe
miiffe baS S^riftent^um eines XageS febeitern. ©o befonberS oon £>artmann
unb Drems, oon £artmann in feinem £auptmerfe „Das fittliche ©emufst*
fein" (2. Auf!., ©erlin, 1885), mo er alle feitberigen SRoralfpfteme, inSbe*
fonbere baS cfjriftlicbe als burcbauS ungenügenb barfteüt, oon $ rem S in feinem
©uebe „Die beutfehe ©peculation feitSant" (©erlin, 1898, 2©änbe; f. baSSor*
mort beS I. SanbeS unb bie Darftellung beS $artmann’fchen ©pftemS, ©anb II).
AüerbingS leugnet man nicht ben Heroismus unb bie AufopferungSfreubigfeit
oieler ©hriften, man ftellt auch nicht in Abrebe, bafS baS ©hriftenthum tbatfäcblicb
baS forbert, maS fachlich ober objectio als fittlich gut ju beaeichnen ift, nur
baS finbet man tabetnSmert, bafS baS ©hriftenthum bie ©rhabenpeit unb
Feinheit beS ©ittengefefceS felbft oerunreinige. Die ©rh oben!) eit beS ©itten=
gefefeeS foü gefährbet fein burch bie Aufteilung ber fittlichen ©orfchriften
als pofitibe ©ebote unb ©erböte ©otteS, als ©efehle beS Aßerhöchften, feine
Feinheit burch bie SRücffid^t auf ben 2ohn*) in ber ©migfeit, melcbe baS
©hriftenthum in feinen ©orfchriften nahelegt, oft auch auSfchliefelich empfiehlt.
Die erfte „©chattenfeite" ber chriftlichen äRoral d)arafterifiert man mit bem
Wanten „^eteronemie" (grembgefefclichfeit) unb ftellt ihr bie „Autonomie"
ber ©ittlichteit als gorberung gegenüber, bie jmeite mit bem SWertmort
„Sohnfucht", ber gegenüber man bie fogenannte „Uneigennüfcigfeit" ber
*) ©on ber ©träfe, für bie im Allgemeinen ähnliche ©runbfä&e gelten roie für
ben 2ohn, reben mir fpeciell ni<ht.
36
®ic fhiltur. III. 3abrfl. 8. ^cft. (1902.)
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562
$r. «Philipp ftneib.
äRoral proclamiert. ©utberlet („Gthif unb fReligrott", 3Jlünfter, 1892,
©eite 102—114), ©d&anj („Apologie", I. Uj-, greiburg, 1887, ©. 217
bi« 223), ©d)ett („®ott unb ©eift", II. %\)., fßaberbom, 1896, ©. 620
bi« 638, 663—683, unb „Religion unb Offenbarung", fßaberborn, 1901,
©. 417 — 422), IBibio („®ie moberne äRoral" in ©trafjb. X^eot. ©tubien,
br«g. 0. ®f)rbarb unb SRüHer, greiburg, 1896, ©. 74—100, unb „2)er
fittliche ©otte«bewei«", SBürjburg, 1899), ©chneiber („©örtliche SBelt*
orbnung unb religionälofe ©ittlichfeit", ßaberborn, 1900, ©. 496—527),
9J? a u « b a <h (Sieten be« V. internat. Gongreffe« fathol. ©eiehrten, äRündjen,
1901, @. 190), fßeter« (®ie chriftlichen begriffe ber ©ittlictjfeit unb
©eligfeit 2c. [Snauguralbiff., äRünfter, 1902, befjanbelt junäcljft einige ein»
leitenbe ©efid)t«punfte, ba« ©anje wirb fpäter erfcheinen]) haben theil« mehr,
theil« minber ausführlich in uortrefflidjfter SBeife bie ©ittlichfeit auch unter
jenen ®efidjt«punften behanbelt.*) 2)a« golgenbe ftet)t oielfadE) unter bent
Ginfluf« biefer Stutoren; nur ift e« in einigen fünften etwa« au«gebaut.
I.
3n bem Sorwurfe ber Srembgefefclichfeit finb bie ®ebenfen ent*
batten, baf« ber SBert be« Sittlichen nur au« bem SBiDen ®otte«, nicht aber
au« feinem ©egenftanb t?ergeleitet wirb unb baf« eine Befolgung ber gött*
liehen ©ebote feine jubjectioe, innere ©ittlichfeit, fonbern tiöc^ftenS eine
äußere ©efefclichfeit erjeugen fönne.
25a« äfloralprinctp be« göttlichen SBiHen« befagt, baf« etwa« nur
be«batb unb au« feinem anberen ®runbe fittlich ober unfittlich fei, a(« weil
e« ©ott geboten ober oerboten f>abe.**) ©ott forbert ©ehorfam gegen ba«
Sittengefefc — nicht, weil e« gut ift, fonbern weil e« fein ©ebot ift; unb ba«
©ittengefefc felbft ift nicht an fich gut, fonbern nur, weil e« ber SluSbrucf
be« göttlichen SBillen« ift. ©ott fönnte auch ba« ©egentheil wollen unb
auch bann würbe fein SBiüe gerecht unb gut fein.
SJtag fein, baf« einzelne XEieologctt fo weit giengen, baf« fie ftatt
©otte« SBiHen göttliche SßiHfür annahmen (2)un« ©cotu«), burch bie chrift*
liehe fiel)« ift eine berartige ejtreme Stellung nicht im geringften geforbert.
jpat man boch immer im SSefentlidjen baran feftgehalten, einige« fei üon
©ott befohlen, weil e« gut fei, unb anbere« fei gut, weil e« ©ott
befohlen hübe. ®orau«gefe&t, baf« ber ©ehorfam gegen ©ott al« ben SBeifen
unb ^eiligen gut ift, fönnen wir gewif« nicht Slnftofj nehmen an ber Sei)re,
*) SBenn nur bie gegnerifche öitteratur nicht achtlo« an biefen bebeutenben
Grfcbctnungen oorübergeht!
**) ^artmann, Sittliche« ®erouf«tfein, 2. Slufl., S. 86.
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SJtoberne Einwänbe gegen bie chriftliche SRoral.
563
fcafs manches, was an fich inbifferent erfcheint, eben burdj ben ©efefjl ®otteS gut
wirb. $och wir ^aben ja bie 3rage gefteHt, ob eS nur beSwegen ein ©ittlic^ed
gebe, weil ©ott baS ober jenes befohlen habe. St. £h°maS (P. II, qu. 91, art. IV)
oerneint bieS ganj auSbrücflich, Wenn er jagt, bafs außer unb neben bem
Ulaturgefefe auch ein pofitio göttlich ©efefe fei, unb wenn er bie 9toth=
wenbigteit beS pofitioen ©efepeS aus ber ©efcung eines übernatürlichen
.RieleS unb aus ber Unsicherheit unb üKanget^aftigfeit ber menfdjlichen
ErfenntniS beS ©ittlich*©uten begrünbet. $ie Vertreter ber autonomen
©ittlidjfeit reben in herrlichen ©Sorten t>on bem ®ott, ber in unfere ©ruft
hinabgeftiegen fei unb bort als Wir felber feienb ju uns fpricht. „Slber
nicht als WunberbareS Dratel fifct er ba brinnen, wie man fonft wohl
meinte, fonbem in ber natürlichen ~®ntwicflungSgejchichte hat cr uns bie=
jenige ©umme t>on Eigenfdjaften auSgebilbet, mit benen unfer fittlicheS
Urteil fich entfaltet, aus benen ber warme llrtrieb entfpringt, baS für recht
unb gut Erfannte ju öerwirflichen — eS geht eben auch in ber fittlichen
J S33elt alles natürlich $u; unb eS ift barum auch nicht weniger ber ©uls=
fchlag göttlichen SebenS."*) SBären biefe ©Sorte nicht bon einem 9Woniften
gefprodjen, ber bie Unterfchiebenheit bon ®ott unb ©Seit leugnet, wir fönnten
fie faft herübernehmen. Sludj bem Sl^muS jufolge ift Sott in unfere ©ruft
hinabgeftiegen, nicht wie ein Dratel, nicht als wir felber feienb, aber baS
®efühl unb bie ErfenntniS beS ®uten hat er unferer Seele eingeprägt,
wenigstens ber Slntage nach, unb hat fie empfänglich gemacht für jenen
ntilben, aber unerbittlichen 3ug, ben baS ©ittlich-®ute auf und auSübt. ©Seil
wir baS ®ute fühlen, weil wir baS ®ute erfennen, Weil eS uns als boH^
Sehenswert fich barfteUt, beSwegen thun wir eS. Stehen wir bamit unter
einem anberem ©efefce als bem ber eigenen ErfenntniS beS ®uten unb beS
inneren SriebeS $um ®uten, ber tief in unferer ©ruft wohnt? „ES ift ein
beftimmter unb urfprünglidjer llnterfchieb jwifchen ©ut unb ©öfe; eS gibt
eine beftimmte Drbnung beS ©uten, baS burch feine innere SiebenSwürbigteit
unb feinen inneren Slbel bie uneigennüpige ßiebe, baS ©Sohlgefatlen unb bie
Sichtung beS ©SiHenS auf fich äi e ht • • Xhotfac^e ber inneren Ser*
pflichtung fann auf ©runb ber inneren Erfahrung anerfannt Werben, ohne
bajS bie ErfenntniS ©otteS als ber üerpflichtenben SUtacpt unmittelbar bamit üer=
bunben wirb .. ."**) Ertennen wir aber an, bafS auch ohne ben auSbriicflichen
©ebanfen an ©ott bie innere ©erpflidjtung erfannt unb erfüllt werben fann,
was anberS foH uns wohl anfprecpen unb bewegen als baS ©ute felbft?
*) öartmann, a. a. C., 6. 94.
**) Schell, a. a. 0., ®. 620.
36*
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564
S>r. Philipp ftneib.
freilich ift eg eine anbere 3rage, ob toir bie Verpflichtung bei tieferem 9iad^
beuten anerfennen mögen, ohne ®ott alg lebten unb höchften ®ruub bcrfelben ju
finben. Verpflichtung ift SBiHengmacht. Unb SBidengmacht übt nur eine Verfon
aug; nicht bag gegenftänbliche ®ute, fonbern bie persönliche ®üte ift hinreidjenber
Verpflichtungggrunb. Slutonom in bem Sinne, alg ob jeber bag ©efeft beg
®uten fich felber mache, bag ®efühl unb bie ffiraft beg ®uten Selber fich
gebe, tann hoch fein SBefen in ber SBelt ber ®rf Meinung fein. 9tur bag,
mag nicht gemorben, nur bag, mag fich felbft begrünbet, nur bag tann auch
fich felbft ©efefc beg ®uten fein. Unb ®ott ift eg. ®r ift bag emige Sitten*
gefefc felbft, er ift $ugleich auch ber emige Vollzug beg Sittengefefceg, er ift
bag Sittengefefc in fßerfon ober bag perfonificierte, felbftbemufgte, mefenßafte
Sittcngefep. Db biefer ®ott nun Pon innen burch unfere Sftatur, ober ooit
außen burch eine pofitioe Offenbarung bie ©rfenntnig beg ©uteit unb bie
Anregung ba$u ung mittheilt, ift an unb für fich flleic^fliitig, obmopl
mir ja fagen müffen, eg entspreche ber fühlenbett unb benfenben 9tatur beg
3Renfchen mehr, bafg er burch bag eigene ©efühl unb bag eigene Stenten in
bie Vebeutung unb ben SBert beg ®uten einbringt. 9luch mirb baburch eine
größere ©ottähnlichteit h cr fleft e flt/ b a ®ott auch au $ fich h^raug bag ©ute
erfennt unb ooHaieht.
®otteg äußere SKittheilung nun, mie fie thatfädjlich im pofitioeit
©efefc (j. V. „®u follft Vater unb 9ftutter ehren") oorliegt, mill nicht alg
bloßer Vefeßl ber SBiHfür gelten — er miU ung feinegmegg nahe legen,
bafg er auch befehlen fönntc: „$u follft Vater unb äJiutter nicht ehren".
s 2luch mirb biefer Vefehl nicht alg bloße SBillfür oon ung empfunben, fonbern
mir miffen, bafg eine emige SBeigljeit unb £>eiligfeit nur bag ®ute befehlen
tann. SBenn mir alfo Vater unb ÜJJutter ehren, meil ®ott eg geboten, fo
thun mir eg auch, tueil mir miffen, bafg bag etmag ©uteg ift. Unb moper
miffen mir eg? SBir miffen eg einmal birect aug unferem ©efühl für bag
©ute unb aug unferer ©rfenntnig beg ©Uten, mir miffen eg aber auch
inbircct, meil eine höhere SBeigheit eg ung fagt, bie hödjfte ^eiligfeit eg ung
oorfchreibt. ®g‘gibt nun unftreitig 3äHe, mo mir auf ben erften Vlicf bag
Raubein aug biretter ®rtenntnig beg ©uten höher merten alg bag £>anbeln
aug inbiretter Srteuntnig. 2Ber einem Firmen ein Sllmofen gibt, meil er fein
@lenb bebauert unb feiner SMoth ein ffinbe machen miU, fcheint höher ju
ftehen alg ber, meiner eg tput, um bem ©ebote ©otteg $u gehorchen. 3lflein
beibeg foH fich nicht augfdjließen. Seber fßrebiger unb Katechet meiß, bafg
man neben bem Vefeßle ©otteg auch hi nttj eift auf bie Sftoth beg Strmen unb
bag ©efühl für feine Sage $u meefen fucht, bamit feinem ®lenb abgeholfen
merbe. Ster 3nhölt einer £>anblung mirb alfo teinegmegg unbeachtet
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üttobeme Einroänbe gegw bie cbriftlicbe üftoral.
565
getaffen. Unb babei bietet ba3 pofitioe ©ebot noch anbere Sichtfeiten. SEBir
achten in feiner ©efolgttng nicht allein ben Urheber be3 ©ittengefefteä, fonbent
ba3 perfönfidje ©ittengefeft felbft. Unfere Achtung fteigt bon bem gegen*
ftänblidjen ©uten hinauf ju ber perfönlidjen ©üte. $ie Schäftung ber ©itt*
lidjfeit, wie fie in einer ©erfon un3 entgegentritt, ift hoch feineäwegS
wertlos. Übt benn nicht baS ©eifpiel — itnb baS ©eifpiel unb fein EinflufS
grünbet fich hoch auf bie Schäftung beS Sittlichen, wie eS in einer ©erfon
itn$ entgegentritt — übt eS nicht einen tiefen 9?achbrucf aus, wirb eS nicht
bon allen ©ittenlehrern empfohlen? 3ft nicht biefe Eoncretifierung beS Sittlichen,
wenn ich f° feigen barf, bem gegenftänbtichen Sittlichen gleichwertig? üRan
wirb unS entgegenhalten, baf$ ©efehl unb ©eifpiel nur ben Unmünbigen
nöthig finb, bie eben noch nicht bie Stufe ber fittlichen ©elbftänbigfeit
erreicht haben. 9iun, in bem Sinne münbig, bafS wir uns felbft als
Urheber beS SittengefefteS ertennen, werben wir niemals fein. $a3 Sitten*
gefeft tritt an uns h^tan als etwas bon uns SerfchiebeneS. Db fein
©egenftanb nun als gewollt burd) einen tjö^ren SBiHen ober als geübt
burch ein ©eifpiel an uns h er antritt, baS ift, im ©runbe genommen, nicht
bon ber ©ebentung, bie man ihm gerne beilegen möchte. Unb ift außerbem
ber Solang beS Sittlichen nicht mehr gefiebert, wenn im ©etümmel ber
Seibenfdjaften, wo baS ©efiihl für baS ©nte unb bie ErfenntniS beS ©Uten
berbunfelt werben, ber flare göttliche ©efehl 51 t uns fpricht, ber ©ertreter
ber Sittlichfeit felbft an ©teile beS Sittlichen unb mit bem Sittlichen ju
uns rebet? $ie ©erfechter ber ejtrenuautonomen 9Jtoral faffen bie menfc^liehe
Utatur ibealer als fie ift. 2BaS erft werben fofl, benfen fie fich fchon als
geworben. $er 9ftenfch foH auf jene Stufe, wo er ohne äußere -JRittheilung unb
unmittelbar erfennt unb thut, erft gehoben werben. Unb er wirb fie erreicht
haben in ber ewigen ©ereinigung mit ©ott, wo er in ©ott unb aus ©ott
baS ©ute erfenut unb will. MerbingS wirb biefe ©ereinigung immer noch
nicht eine fo enge fein, wie fie ber SftoniSmuS fchon für baS Erbenteben
ftatuiert. ffiir werben nicht fagen fönnen: „©ott ift in unfere ©ruft hinab*
geftiegeu unb als wir felber feienb fpricht er $u unS". 2Wein eS ift hoch bie
ntöglichft unmittelbare ErfenntniS, bie Wir t>om ©uten in unb burch ©ott
haben, unmittelbarer als fie jeftt burch unfere inneren Kräfte ooH-jogen
wirb. s 3lber wie gefagt, biefe Stufe foll erft erreicht werben. 2)aS
pofitioe ©ebot ©otteS hinbert unS ni(ht, auch hi** Won immer mehr auS
innerer unb birecter ErfenntniS beS ©uten 5 U hanbeln. Xenn feinet fdjließt
baS anbere auS. Mein auch SWünbigften wirb baS ©ebot hier immer eine
Stüfte fein, eine Stüfte für bie ErfenntniS, wenn fie bem Egoismus abge*
rungeu werben rnitfs, ba wo er biefe ju beeiitfluffett fucht, eine Stüfte für
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566
35r. Philipp Äneib.
ben SBiden, wenn bet ®goi«mu« bem ©ittengefefc £ro§ bieten möchte. SU«
fnedjtifche gurdjt freilich foQ bie fRüdficht auf ben ©efefcgeber niemals
mitten, fonbern nur al« @^rfurc£)t, b. h- al« eine Surcht, bie ba« Sitten*
gefefe unb ben Sittengefefcgeber jugteid) ehrt.
^artmann meint: „Stuf bem ©tanbpunft ber §eteronontie mirb bie
Sichtung eigentlich nur bem ©efefcgeber gejodt, unb bem ©efefc nur inbirect
al« einem Slu«fluf« unb Slppenbij be« geachteten ©efeggeber«; auf bem Staub*
punft ber Slutonomie mirb im ©egentheil bie Sichtung bem unperfönlichen
©efefc al« folchem . . . nur um feine« Inhalte« megen gejodt unb erft rütf»
rnärt« fällt ein SBiberfchein biefer Sichtung aHf ben ©efefcgeber al« ben
Urheber eine« fo adjtenStoerten ©efefee«."*) Stu« bem, ma« mir bi«her feft*
geftedt haben, ergibt fid), baf« in biefen SBorten ^Richtige« mit Unrichtigem
fich mifcht. ®« tann fich nämlich eine birecte Sichtung be« ©efefcgeber« unb
eine birecte Sichtung be« ©efefce« miteinanber oerbinben. Xljatfäc^lic^ ift bie«
ber gad, infofern ba« pofitioe ©efefc ©otte« ju bem fRaturgefefc hinjufommt,
ba« mir in unferer ©ruft tragen, geriter fefct bie inbirecte Sichtung be« ©efefce«
Porau«, baf« ein roeifer unb heiliget ©efefcgeber e« gegeben hat, ber e« burdj unb
in fich «lö gut erteunt. @« ift alfo biefe inbirecte Sichtung be« ©efefce« feine
bloß formale, fonbern auch eine Schälung megen be« Inhalte«, ben mir —
ba« pofitioe ©efefc für fich allein betrachtet — mittelbar unb inbirect
al« gut ertennen. 3$ fefce au«brüd(id) h<n}u: „2)a8 pofitioe ©efej} für fich
adein betrachtet," meil ja eine birecte ©rfenntni« ber ©üte be« gebotenen
Inhalte« theil« fchon oorhanben ift, theil« auch folgt unb jtoar bei ben
einjetnen, nach Älter, latent, ©itbung u. f. m. ©erfchiebenen in Der*
fchiebener SBeife.
dRefjr SBert fcheint gelegt merben ju müffen auf ba« anbere ©ebenfen,
ein ©efolgen be« göttlichen ©ebote« fei fubjectio fittlich mertlo« unb erzeuge
höchften« Legalität. Segatität ift ba« bloße ©efolgen eine« ©efefce«, eben
meil e« ©efefc ift, unb jmar ein äußere« ©efolgen ohne innere SBärrne für
ba« ©ebotene. De internis non iudicat praetor. £>artmann ift ber Stnficht,
auch bie ©eobadjtung be« göttlichen ©ebote« fei haften« Segatität. „$)ie
SluSfüljrung eine« in ber gorm be« ©ebote« tunbgegebenen fremben SBiden«
bleibt ein äußerlicher medjanifcher ©rocef«, beffen fRefultat ^öc^ftenS eine
äußerliche medjanifdje Segatität be« $anbeln«, aber feine innerliche ÜRoralität
fein fann."**) „$er ©erjuch, burch Ausführung eine« fremben SBiden« ein
$anbeln oon fubjectio fittlidjem SBert ju erjielen, ift ebenfo oerfehrt al«
*).«. a. 0., ©. 93.
**) Sl. a. 0., ©. 89.
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SJloberne ©inrocinbe gegen bie chriftliche Sütoral. 567
bie SSentfthung, burd) baS Effen eines anberen fett ju werben."’ 1 ') Stuf
ben testen Einwanb, ber in ber gorm eines tBergteidjeS gegeben ift, aut»
mortet ©djneiber ebenfalls in ®ergteid)Sform, unb bie Slntwort ift böllig
auSreidjenb ju feiner Sntfräftung: „SStan tann aber burd» ©peifen fatt unb
fett werben, bie man nicht fetbft befchafft ober zubereitet hot."**) ES liegt
in bem ©ebot eben bie Stnjeige eines wertöotten 3nhoIteS. liefen erfenne
id) burch baS ©ebot unb ootljiebe it»n in ber ^Befolgung beS ©eboteS. ®ie
Überzeugung, bafS ©ott nur SBertöotleS gebiete, ift ja außer adern ^weifet.
$aben wir benn baS Staturgefefc, baS in uns wohnt, fetbft bereitet? 3ft
eS nicht auch baS SBerf beffen, burch ben wir finb unb (eben ? ©elbft ©ott
finb wir eben nicht, unb wenn $artmann oon biefem ©tanbpunft aus
argumentiert, fo trennt unS nicht bie (frage: §eteronomie ober Stutonomie,
fonbern bie (frage: SJtoniSmuS ober ? ©elbftbeftimmung ift
freilich nöthig jur Erzielung oon fitttichem SBert, aber nicht bie abfotute
©etbftbeftimmung beS ens a se. StnberenfallS miifSte jebe gef djöp fliehe
©itttichteit in (frage gefteüt werben. Unb warum !ann benn burch ®e=
fotgung beS göttlichen ©eboteS nicht bloß Segatität, fonbern auch SRoralität
erzeugt werben? StuS oieten ©rflnben. ErftenS: ®aS göttliche ©ebot
fd)tießt bie SBertfehäfeung beS ©ebotenen rtid^t aus, fonbern e i n. 3ntfitenS:
$aS göttliche ©ebot hinbert nicht bie greiheit ber ©etbftbeftimmung. drittens:
$aS göttliche ©ebot als baS ©ebot beS aümiffenben ©otteS, ber $erj
itnb Stieren burchforfcht, fann fich auch ouf bie innere ©efinnung beziehen
unb nicht allein auf ben äußeren Stet. Viertens: 2)aS göttliche ©ebot bezieht
[ich auf Xinge, für bie wir auch fdjon im ©efüßl unb im oerftanbeSmäßigen
Erlennen ©inn unb ®erftänbniS hoben. Stehmen wir baS ©ebot: ®u
foQft ®ater unb SJtutter ehren. Schließt biefeS ©ebot bie ©chäfcung beS
Inhaltes ans? Stein. Schließt eS fie nicht oielmeßr ein? 3a; benn ber»
ietbe ©ott hot auch bie Siebe zu ben Eltern inS ©efütjl unb bie ErfenntniS
beS SBerteS unb ber Pflicht ber Elternliebe in allen ihren gönnen in baS
Renten gelegt. ®afS ©ott burch ein ©ebot hinzutritt, oerftärft nur noch
bie Roheit beS 3nholteS unb bie Überzeugung oon ber ®erbinblid)feit biefer
Pflicht, ©o würbe baS ©ebot zu allen 3 e >ten im SEirifteitt^um aufgefafst.
Stfenn ^artmann alfo meint, nur äußerliche Segalität fei 3n>etf unb golge
beS ©eboteS, fo tennt er eben bie Sluffaffung beS EhriftenthumS nicht ganz-
II.
@S ift gewifS feftzupolten, bafS eS einen Unterfdjieb jwiicheu ©enujS
unb ©ittlichleit gibt. ®eibeS wirb als oerfdjieben empfunben unb als uer»
■■■) 31. a. D., ©. 80.
**) ©chneiber, a. a. C., ©. 501.
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568
$)r. Philipp ilnetb.
Rieben erfmtnt. SBenn ber ^Begriff „fittlich" nicht jufammenfaHen fofl mit
bem Vegriff „nüftlich" unb »enn in feiner SBeife ba£ Sittliche als ein
SluSflufS beS Utüfclichen ober als bem SJiüfelichen in irgenb einer SBeife
untergeorbnet betrachtet »erben foll (e$ führt jum »ahren eigenen ober
fremben ©lücf, alfo ift e$ gut), fo rnufS eS möglich fein, ben Segriff be$
Sittlichen $u beftimmen ohne SRücfficht auf baS SRüfcliche. ©3 mufS begleichen
möglich fein, ba$ Sittliche in feinem SBert $u erfennen unb $u oolljiehen,
ohne babei noch au et»a3 attbereS ju benfen als nur an baS ©ine, bafS
ba$ Sittliche in lefeter Sinie auch ftu einem ©lüefe führen mufS. ©erabe in
biefent ©ebanfen, ber allein ber menfehlichen SJiatur entfpredjenb ift, ba mir
nicht allein bie Slnlage jum Sittlichen, fonbern auch & en b nm
als funbamentale Strebungen in uns tragen, gerabe in ihm »in man bie
grunbfäfcliche ©efahr ber Verunreinigung beS Sittlichen erblicfen. Unb j»ar
in nieten SRücffichten. ©eben »ir $uerft bie SluSfteHungen unfereS £aupt-
gegnerS §artmann, um bann biefe einzelnen SRücffichten flar unb beftimmt
herauSjufteHen. „SUS ©egenmotio gegen unfittlicheS $anbeln fteüt gefu#
bie Slnbrohung pon Strafen ober beS SluSfdjluffeS non Verheißungen ebenfo
burchgängig auf (2Ratth. 5, 20; 6, 15; 7, 1; 25, 41—46; 3D?arc. 3, 38;
9, 42; Suc. 13, 3 unb 5; 6, 25), »ie er bie Verheißung turn Sohn als
SKotio beS fittlichen $anbeln3 ®r forbert auf $um Verjicht auf
alle irbifchen ©üter unb alles irbifche ©lücf (einfcßließlich ber gantilienbanbe),
inbem er t^unbertfältigen Sohn bafiir im Senfeit# Perheißt (9Katth- 19, 29),
er empfiehlt, bie »ohlmoüenbeu §aublungen fo eingurichten, bafS man nicht
et»a fchon fjicnieben einen natürlichen Sohn bafür finbe, ba einem fouft ber
übernatürliche eittfchlüpfen fönnte (Suc. 14, 12—14) unb räth au$ beut*
felben ©runbe, bie ©utthaten im Verborgenen $u thun, aber nicht et»a,
»eil eS an fich fchöner ift, »eitit eine gute If»* Pom Ihöter für immer
Perborgen gehalten »irb, fonbern bamit ihm nicht irbifche Slnerfenttung jit
theil »erbe, »eiche ihm ben großen öffentlichen Sohn im £>immcl, auf
»eichen eS eigentlich abgefehen ift, Por»egnähme (9Rattt). 6, 1—6). ©S
»irb fomit auch bie Sinnahme be$ ©oangeliumS $u einem Siete ber Klugheit,
feilte Slbmeifung für ben SWeitfchen £ur Xhorheit (9Jtottf). 25, 2 unb 4), ba
eS nur bie ©rfaufung eines großen ©uteS burch SßreiSgebung eiltet fleinen
gilt (TOattf). 13, 44 — 46); bie Perlangte SintteSänberung ift bemnach auch
hier bie golge eines fing beredjnenben ©goiSmuS, ber nur baS irbifche 3id
mit bem jenfeitigen pertaufcht, nachbem er eingefehett h^t, bafS er babei fein
gntereffe am befteu »ahrnimntt." *)
*) frartntann, Sittl. Vero., S. 38.
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ÜWoberne Ginroänbe gegen bie c^riftlic^e ÜJtoral. 569
^ähnliche Vlnfchauungen finb in ber mobernen unb mobernftcn Sitteratur
weit oerbreitet. „$en abfotuten SerpflichtungSgrunb gur Soßbringung be£
erfannten Rechten unb ®uten unb bie abfolute ©ürgfdjaft ber ©rreichbarfeit
ber fittlichen 3^ccfe !ann bie ©itttichfeit nur in ber frommen ©ejiehung
auf ®ott, alfo in ber Religion finben. Srreilid^ nicht in ber SBeife, baf3 bie
Religion eine rein äußerliche ©tiifce ber ©ittlidjfeit abgebe unb baf# Hoffnung
auf ©etohnung ober Surdjt oor Strafe bie ÜRotioe be3 fittlichen #anbeln§
mürben; benn bad märe ber SBürbe ber ©ittlic^feit ebenfomenig mie ber
SBürbe ber Religion entfprechenb."*)
Vlu$ bem Slngeführten ergeben fidj für utt£ mehrere SfröQen-
Sft baä ©efüfel unb ba3 ©erlangen, ba$ Ghrifhtö in feinen Sägern
beroorrufen miß, nur ber ®goi$muS be£ berechneten Sntereffeä, nur ber ©inn
für 2uft unb ©tücf ober ift e$ mehr al3 ba3?
3ft ba3, ma3 objectio empfiehlt al£ Sohn, ber erftrebt merben
foß, nur ßohn, b. h- nur ÜRittel jum ®emtf§ ober ift e3 mehr als ba$?
Sinb ©ofltommenheit unb ©tücf mirflich objectio unvereinbar getrennt?
Schliefet bie Rücffidjt auf ben Sofen bie Rücffidjt auf bie innere ©üte
unb Schönheit ber Hanblung au£?
SBir beantmorten biefe gragen in umgefehrter Reihenfolge. Schliefet
bie Rüdficfet auf ben Sofen bie Rücfficfet auf bie 2ieben3mürbigfeit ber
Hanblung, in fich, in ihrem ©egenftanb betrachtet, au£? SBir fönnen ben
Sohn in einer breifachen Beziehung betrachten, menn mir eben unter Sohn
aller oerftehen, ma$ infolge ber betreffenben Hanblung ju einer Sefriebigung,
einer SBohlfeinSempfinbung führt. Sn biefem Sinn ift Sohn junächft bie
©efriebigung be* ©emiffenS, ba§ Hochgefühl ber voßbrachten Hanbluitg, ba£
Sob, ba$ man fich felbft fpenben !ann, bie ©emiffenäruhe, bie Harmonie
^mifchen Sein unb Soßen. Sch h a l* c & für ein verfehltet Seginnen, bie
Riicfficfet auf biefen Sohn autfchliefeen $u moßen. $ie Vlutfchliefeuug erfcheint
mir alt unnatürlich unb alt unmöglich. SBenn bat ©emiffen fiep regt,
miß et, mie jebe anbere ftraft, eben befriebigt fein, unb aut ber ©efriebigung
folgt ein gemiffet SBohlbehagen, biefe# SBort in feinem reinften Sinne gefaxt.
Gine anbere Vlrt von Sohn märe ber Sohn, ber nach ber Drbnung ber Ratur,
alfo ganj naturgentäfe, mie von felbft, mie bie SBirfuitg aut ber Urfacfee folgt.
VI ut einem fittlichen ©erhalten in Sejug auf ben ©enuft, and bem teuften
Scheu, bat ja in specie mit bem Ramen „fittlidj" belegt mirb, folgt ©efunbheit
unb Straft bet ©eifte# unb Körper#, alfo eine mertvoße SBefentbefchaffenheit,
e* folgt naturgemäfe baraut bie Sichtung von ©eiten fittlicher ©erfonen unb
*) Richter, 3)ie Gmancipation ber Schule oon ber Etvcfee, Seipjig, 1870, S. 63.
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570
$r. $f>ilipp ftneib.
ÄnbereS. SBarum man beim fittlichen Raubein barauf feine 9türffid)t nehmen
ioü unb barf, ift meinet ©rachtenS nicht einjufe^en. ©efcen mir nun als
bie atlernaturgemäßefte golge bie Sichtung unb Siebe beS ^eiligen ©otteS,
marum foH biefeS ©ut nicht erftrebt merben bürfen? ©efcen mir ferner baS
©inmirfen ©otteS auf uns, baS biefer Ächtung unb Siebe entfprid)t, fo fteht
bieS in fo inniger Berbinbung mit ber ©ittlichfeit felbft, bafS nie unb
nimmer ein Streben barnad) auSgefchtoffen $u merben braucht auS bem
Bereiche ber ©ittlichfeit. Sohn in einem britten Sinne enblich ift jener Sohn,
melier äußerlich ber fittlichen #anblung tyinjugefügt ift, mie j. B. eine
Beladung in ©elb, bie ber Staat bem 9tetter eines Ungtücflichen in
ÄuSfidjt fteBt. ®ie Stücffidjt auf biefen Sohn fcheint mir, menn man nur
ben Sohn unb nicht auch in irgenb einer SBeife, menigftenS inbirect, bie
©fite ber #anblung im Äuge Ijat, bie ©anblung fittlid) merttoS $u machen;
hat man aber theitS bie ©iite ber #anblung felbft, theitS auch ben Sohn
im Äuge, fo erreicht bie ^anblung jmeifelSohne nid^t jenen fittlichen SBert,
ben baS ©utijanbeln birect ober inbirect um beS ©uten millen barftellt, ohne
jeboch jur fittlicß flechten ju merben. ®abei ift nod) $u beachten, bafS bie
Berleihung eines äußeren Sohnes für baS ©ute fchon burch bie 9tü<fficht auf bie
Selbftungenügenbheit ber menfcßlichen SRatur bebingt ift. Äuch bie mobernften
©thifer*), bejiehungSmeife Bäbagogen, finb ber Änficht, auS ©rünben ber
menfdjlichen Sdjmädje unb namentlich oor ooüenbeter ©eifieSentmicffung
fönne man oerfudjen, ben SBillen, ber fich ja birect auf baS ©ute an
fid) richten foH, menigftenS inbirect auf baS ©ute $u rieten burch ben
bamit oerbunbenen Sohn. SRachher fei allerbingS ein birecter SEBiüe $u
erzielen. ®enn man hält bod) im SSejentlichen baran feft, bafS „Belohnungen
unb Beftrafungen" nur als „fünftlidje unb ber reinen ©ittlichfeit frembartige
©inmirf ungen auf baS ®hun unb Saffen ber ÜRenfcßen" $u betrachten feien.**)
®S ift überbieS nicht $u oergeffen, bafS Sohn unb Strafe auch Reifen
fönnen, einen birecten SBillen herbeijuführen, inbem fie nämlich ©ute,
bejm. baS Böfe nachbrüdlichcr jum BemufStfein bringen. BorauSgefefet ift
babei bie ©mpfinbung bafür unb bie fiberjeugung baPon, bafS eben nur baS
©ute belohnt unb nur baS Böfe beftraft mirb.
Sinb Bollfommenheit unb ©tücfSgenufS unvereinbare ©egenfäfce? $aS
mar bie ^meite grage, bie mir aufftellten. 3d) glaube, bafS bie oerneinenbe
*) Bgl. j. B. Baumann, Über ©haratter unb SMenSbübung, Berlin 1897,
in „Äbhanblungen jur päbagogifchen Biologie unb BhPftologte" herauSgegebcn
oon $. Schiller unb Ih- 3i*h c n, I. Bb., £>eft 3. — ÜJtefier, ®ie ©irffamfeit ber
Äperception, Berlin 1897, a. a. O., II. Bb., £>eft 8.
**) $itteS, Schule ber Bäbagogtf, 3. Äufl., Seipjtg unb SBien, 1880, S. 132.
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SRoberne Sinroänbe gegen bie d)riftlicbe 'DtoraL 571
Antwort unanfechtbar ift. Dbjectiö betrachtet, ift eS nicht mehr als felbft»
berftänbtich, bafS ein fittlidjeS Verhalten auch i u einem 3uftanb beS
©efriebigtfeinS fährt, ©ibt ei eine ©ittlichteit unb gibt ei ein ®lücf, fo
rnufS fich beibeS jufantmenfinben. ©ubjectio betrautet, lönnen mir und ber
Überzeugung nicht berfdhließen, bafS bie Slnlage jur ©ittlichteit unb ber
Drieb naih ©lücffeligteit als gleichmäßige, funbamentate ©trebungen ein
gleiches Siecht auf ©odenbung in ber (Erreichung ihres Objectes befifcen.
DaS ©ine ober baS Slnbere für fich aQein unb ohne baS Stnbere beftehenb
erfchiene mir oom ©tanbpuntt ber menfchlichen Statur auS als ein unnatürliches
unb zugleich unmögliches StuSeinanberreißen beS einen moOenben unb
fühlenben SItenfchenmefenS in zwei getrennte SBefen. Die Sorberung alfo, bafS
beim fittlidjen $anbeln bie Stücfficht auf ®lücf öoHftänbig auSzufcßließen fei,
ift ber Sage ber @ad)e nach einfach eine unnatürliche Unmöglichfeit. „Der
SJienfdj bleibt auch in feiner fitttichen ©etf)ätigung an bie ihm angeborene
Staturbeftimmtljeit gebunben, infolge beffen er unmiberftehlich genöthigt ift,
feine eigene Statur unb SSefenljeit z u bejahen unb beren aüfeitige ©eröotl=
tommnung unb ©efetigung zu begehren. Sr mürbe alfo ben unbeweglichen
Dobfeinb ber ©ittlichteit beftänbig in fich herumtragen, roenn er ohne alle
Stücfficht auf baS eigene ©elbft baS ©ute z u tf)un unb feine Pflicht z 11
erfüllen hätte. Das märe ein geheimniSboDeS, furchtbares SerhängniS."*)
Stach liefen geftftellungen gehen mir zur ©eantmortung ber fragen
über, bie mir gefteüt hoben im SlnfchlufS an bie DarfteHung ber ©ittenlehre
Sefn, mie fie $artmann (f. oben) gegeben unb bie ©ormürfe, bie er erhebt,
namentlich ben einen ©orrnurf, bie Sorberungen beS ^eilanbeS manbelten
bie ©ebote ber ©ittlichteit um in bloße filugljeitSregeln. Sft baS, maS
ShriftuS objectio empfiehlt, nur Sohn, b. h- SRittel zum ©enufS, ober ift ei
mehr als baS? @S mürbe öon jeher feftgehalten, bafS baS felige Seben beS
SenfeitS $eiligfeit unb ©eligfeit zugleich ift, wie auch ©ott felbft heilig unb
felig zugleich ift. Sticht, roeil eine Smigteit in ©eligfeit unfer 3iet ift, ift
baS gut, maS uns zur ©eligteit führt, fonbern meil etrnaS gut ift, führt
eS unS zur ©eligfeit. SBaS @t. DhomaS P. II qu. II, art. 7 — qu. 90
art. 2 feftfteüt, bafS bie beatitudo ober felicitas vitae humanae lefcteS 3iel beS
SJtenfchen fei, fönnte aQerbingS im Sinne unferer ©egner mifsoerftanben merben.
Die ©lücffeligfeit ift ja gemifS tefctcS 3iel beS ÜRenfchen, aber bie ©lücfieligfeit
in ber ^»eiligfeit. ©eibe fallen ber Sache nach z u f am men, aber menn mir
ihre Sßtirbe unb bie ©riorität ber einen ober ber anberen betrachten, bie
*) ©ebneiber, a. a. O., S. 510.
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572
$)r. ©bilipp ftneib.
Priorität in bcr göttlichen 3 to«ffef}ung unb bie Priorität in ber menfdjlichen
3 ielftrebung, fo ift bie |>eiligfeit, bie ©oHfommenheit ba3 erfte unb bie
©eligfeit baä $Weite. ^arttnann meint, ba$ ©hriftenthum benfe bei bent
SluSbrucf ©eligfeit nur an ben ®lücf 3 genuf 8 unb nenne bann ba$ gut,
wa£ nach bem ©Sillen ©otte£ ju btefer ©eligfeit führt unb weil e$ ba$u führt.
3ene ©Sorte beS Sate<hi3mu3: „Sch bin auf ®rben, um ®ott $u erfennen,
®ott ju lieben, Sott ju bienen, unb baburch in ben £immel ju fomrnen,"
faf£t er offenbar fo auf: ©ott hot einen 0 rt finnlidjer unb geiftiger Sreuben
bereitet (Fimmel). Sn biefen Ort nun nimmt er nur bie auf, bie oorber
fich ben ©ebingungen unterworfen h Q ben, bie er fteHt. $iefe ©ebingungen
aber finb enthalten in ben Sorfdjriften, bie er gegeben fjat. ©Sie ein Slrbeitt
geber einen beftimmten Sohn feftgefefet ^at für eine t>on ihm geforberte
Arbeit, fo müffen mir atte arbeiten im Sinne ©otteS, um ben Sohn be*
Rimmels ju erlangen. Sine folche rein äußerliche ©uffaffung be£ ©erhältniffeS
non ©otteäbienft $u ©otte£lof)n, oon lugenb ju ©eligfeit, wonach ba3 Seben
auf @rben allerbingS eine ©peculation auf bie ®üter beS SenfeitS wäre,
eine fo äußerliche Sluffaffung be3 ©egriffeS „$ienft ©otte$" ift burch bie
chriftliche Sehre nicht im entfernteren geforbert. 9lHerbing£ würbe ein 3 u f a b
im fratechi$mu§, „um baburch üoUfommen unb fetig 511 werben," jebeit
3 meifel heben, allein auch bie gegenwärtige gaffung läfst eine fo äußerliche
Stilllegung nicht ju. würbe niemals ber ©ebanfe auSgefchloffen, baf$
^wifchen ber ©efinnung im $ie£feit£ unb bem ©djicffal im SenfeitS ein
innerer 3 wföntmenhang befteht unb nicht bloß ein äußerer, ber eben nur
baburch hergeftellt wirb, baf$ ©ott gewiffe ^anblungen jur ©ebingung ber
©eligfeit macht. ©Sa£ in ber Smigfeit gefchenft wirb, ift eine höhere fittliche
©otltommenheit, ma3 baju führt, ift ebenfalls ein gewiffer ©rab ber
©oüfommeitheit, eine gewiffe Stufe fittlicher ©efinnung, eine gewiffe Seiftung
au fittlichen £>anblungen.
Sitttichfeit aber ift ©ottähnlichfeit; unb ©ottähnlichfeit h^t b nx golge
eine ©ottnähe im Sinne ber ©ereinigung ®otte$ mit bem SRenfchen,
bie gemif£ oerfchiebene ©rabe juläf^t. ®urch biefe ©ottnähe aber wirb
auch eine X^eilrta^me an ber ©eligfeit @otte3 h^rbeigeführt. . 933 i e biefe
©eligfeit nun auch bie Sinne unb bie ©innlichfeit ergreift, braucht nicht
erörtert 511 werben. Sn biefer ©Seife fteßt fich bie ©eligfeit bar als mit ber
Öeiligfeit innerlich ocrmaitbt, al3 ein ©uäflufä ber £>eitigfeit unb als in feiner
©Seife bev ^eiligfeit fremb. ©Senn man fich bemgegeitüber fragt, warum biefe
beglüefenbe ©ottnähe nicht auch fch° n al| f ®rben bem Sittlichen gefchenft
wirb, fo ift jti antworten, baf£ wir eben für unfer Srbenleben in bie bie 8 feitige
©Seit mit allen ihren SRängeln unb Schont eingejwängt finb. ©chneiber
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dJtoberne ©imuänbe gegen bic d^riftiic^e ÜJtoral. 573
(a. a. 0., @. 519) weift barauf hin, bafä bic gottfd)auenbe Seele beit
höchften ©rab ihrer aüfcitigcn Sodenbung in bcr ©ntfaltung unb ©ethätigung
aller ihrer Slnlagcn erreicht unb eben baburdj begliidt wirb. Die ©ntfattung
unb ©ethätigung bcr Anlagen (jurn ©rfennen unb Sieben) ift £>eiligleit,
ber ©Iüd3genuf3, bcr baburd) ljergeftedt wirb, ©eligfeit.
©obalb wir annehmen, baf^ |>eiligfeit unb ©eligfeit innerlich Oerwanbt
finb, ift e3 bcr ©ittlichfeit in feiner SGBeife entgegen, auch nad) biefer
©eligfeit al$ bem Sohn ber ^eiligfeit 511 ftreben. Slderbingä ift
hier geforbert, bafa unfer Streben fid) junäc^ft auf bie ©olfommenheit richte,
bafs ^unäc^ft unb birect bie £eiligfeit gewollt werbe. Damit fann unb foU
fid) aber auch bie Überzeugung oerbinben, bafS eben bie ^eiligfeit zur
©eligfeit führen muf§, unb auch biefer ©ebanfe f am un£ mitbeftimmen.
Sreilidj ift aud) ^ier Wieber feftjufteUen, in welcher ©Seife biefer ©ebanfe
mitwirft. @3 fann bie innere Stimmung fo fein, bafS fid) einer fagt:
„3<h würbe bie fittliche |>anblung nicht oodbringen, wenn nicht ber Sohn
bamit oevbunben wäre." Diefe ©efinnung ift feine fittliche. ©obann fönnen
fid) bie 9tücffid)ten auf |>eiligfeit unb Seligfeit fo mifdjen, baf£ entweber
bie eine ober bie anbere im ©orbergrunb fteht. Der ©rab ber ©ittlidjfeit
ift barnaeß z u beftimmen. Slm reinften ift bie ©ittlidjfeit bann, wenn ber
©ebanfe an bie ©odfommenheit im ©orbergrunb fteht unb nur eben bie
Überzeugung fieß bamit oerbinbet, bafä bie ©odfommenßeit aueß z um ©lud
führen muf3. DafS biefer ©rab nidjt bei allen äRenfcßen z u erreichen ift,
zeigt ein ©lief auf bereu ffierfcßiebenßeit in Anlagen unb ©ilbung. 3 n
ftarfen ©erjueßungen zu* böien Suft muf3 ber ©ebanfe an ba£ ©lüd mit=
wirfeit, aud) in Seib unb Drübfal.
©Senn wir nun barnaeß bie ©ittenprebigteu bc$ |>eilanbe3 beurteilen
unb bie grage aufwerfen, bie wir zuerft geftellt haben, fo wirb ber ©orwurf
einer bloßen ©peculation auf ^immlifc^e ©üter fein 9tecßt oerlieren. Die
grage lautete: „ 3 ft ba$ ©efü^t unb ba£ ©erlangen, baö ©^riftuö in feinen
3 ußörern h**no**ufen wid, nur ber ®goi3mu3 beä berec^nenben gntereffeS,
nur ber ©inn für Suft unb ©lüd, ober ift e£ mehr al£ ba3?" ift
mehr al# ba3. SlderbingS weift 3 *fu$ in ben oon ^mrtmann (f. oben)
angeführten Steden nur auf ben ^immltfc^en ©rfafc für bie irbifd^en Opfer
hin, aüein er fefct eben in feinen 3 uffa***u ba3 ®efühl unb bie Überzeugung
oorauS, bafS nur ba3 ©ute fo herrliche grüeßte trägt. Daf£ ber ^eilaitb
ba3 gewifS nicht außer Sicht ließ, geht heroor au 8 feiner anberen Sorberung:
„ 3 h* f°flet oodfommeit fein, wie euer ©ater im Fimmel oodfommen ift"
(äJtatth. 5, 48). ©Senn ber $eilanb ferner oon jenem Sohn in ©itbern
fpraeß, bie ihn, WenigftenS bem ©Sortlante nach, einen ben guten £>anb*
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5)r. ^itipp Äneib.
:>74
hingen rein äuftertich ^injugcfugtcn erfcheinen taffen fönnten, fo finbct ba«
feine Erttärung in bent ©ilbung«ftanbe feiner 3wf)örer. $ie Offenbarung, ba«
^eigt ein ©tief auf ihre ®efchi<hte, nimmt immer 9tiicffid)t auf bie Sefdjaffen*
beit unb gaffung«fraft ber Empfänger ber Offenbarung.
2 lber ^artmann nimmt Slnftofe an jeber gorm be« ©eibebatten« üon
Sohn für ba« fittliche Streben. Er mill ba« ©tücf Pon ber Sitttichfeit, beit
©enttf« pon ber ©otlfommenheit PöHig au«fchtiefjen. „Sie Xbeologte^ aufter
Stanbe, ben Haren ffiorttaut unb Sinn ber Spangetien abjuteugnen, fuebt
noch bc«te ba« tran«fcenbenbeubämoniftifche äRoralprincip menigften« at«
untergeorbnete«, fecitnbäre« ©rincip aufrecht ju erbatten. ©ibt e« aber
überhaupt ein unfetbftfüchtige« äRoralprincip, fo finfen alle au« ber Selbft^
fuebt abgeleiteten £anbtungen fofort jur moratifeben gnbifferenj b cra &; bann
toirb atfo ba« etbifebe ©erf einer au« unfelbftfücbtigen SJtotipen möglichen
.'panbtung fofort baburch Pernichtet, baf« felbftjüchtige äRotiPe unb 3iete ficb
in ben 2RotiPation«procef« mit einbrängen unb bie fetbfttofe Sauterfeit ber
fitttichen ©efinnung mit gemeinem Egoi«mu« burchtränfen. Sie« erfennen
bie Pernünftigeren Ibeotogen auch an unb forbern be«batb Pom SRenfchen,
er fotte ba« ®ute tbun unb ba« ©öfe taffen, nur be«balb, meit e« ®ott
geboten bube, nicht um be« Sohne« mitten ober um bem Schaben ber Seele
$u entgehen; fo mirb ba« jüngfte ®ericbt unb ber gan$e Unfterbtichfeit«gtaube
mirftich au«gefcbieben unb al« ©ruitblage moratifcher ©ertbeftimmung fomie
at« 9Rotio fitttichen £>anbetn« enbgiltig Permorfeit, b. b- ba« tran«fcenbent*
cubämoniftifche äRoratpriucip ber Epangetien unb be« gefammten christlichen
EntmicHung«gange« befinitip aufgegeben/'
„2tber fetbft biefer Heinere 2beil oernünftiger 2b e °t°9^ magte $um
größeren 2 b e *t boch mieber noch nicht, mit bem ©orttaut unb unjmeibeutigen
©eift ber epangetifchen Serbeifcungen 511 brechen ttitb möchte be«megen bie
jenfeitige ©ergettung at« accibentietle golge be« fitttichen ober unfittlichen
imnbetn« conferpieren, nachbem er fie at« ©runblage eine« üRoralprincip«
oermorfen; er Pertangt, baf« ber -JRenfcb ^mar fetig fein fotl in ber Hoffnung
ber einigen Sctigfeit (SRom. 8 , 24) unb fein ganje« Seben erfüllt unb burch*
leuchtet taffen fein fotl Pon biefer greube über bie ihn für feine Sugenb
ermartenbe bintmlifebe greube, baf« er aber ficb trofcbent Pon biefer accibentieDen
gotge feilte« $anbeht« auf feine ©eife beim £>anbetn beeinftuffen taffen fotl.
Siefe gorberung loiberfpricht aber ben unabänberlidjen ®efefcen ber SKotioation,
inbem fie Pertangt, baf« ber SRenfch eine ©orfteflung Pon ftärffter äRotiPation«'
fraft beftänbig Por Slugen fabelt unb babei biefe Sorftetlung nicht at« SKotio
auf fich loirfen taffen fotte, obgleich cr eben ba« tbut ober ba« tbun fotl,
toa« au« jenem 9Rotio ficb ergibt ober ergeben mürbe, ©irb biefe gorberung
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Üftobeme Simoänbe gegen bie chriftlidje 9Jtoral. 575
trofe ihres pfhdjologifchen SBiberfinneS bennodj feftgehalten, fo ergibt fich
aus ihr nothmenbig bie ©elbfttäufchung, bafS man bie tfjatfächfich burch baS
tran^fcenbent^egoiftifc^e 9ftotio b^töorgerufenen £anblungen als SluSflufS einer
burch feinerlei ©elbftjucht getrübten rein ethifchen ©efinnung anfieht. ©olche
©elbfttäufchung fü^rt aber unmittelbar $u p^arifäifc^em lugenbftolg unb bei
ber UnauSbleiblichfeit richtigerer Sinblide in ben mähren 9ftotiüationSprocefS
p^arifäifc^cr Heuchelei, jum ©runfen mit einer burch bie Xhat erprobten
ethifchen ©efinnung, bie in biefem 9Jtafee gar nicht oorhanben ift, ba ihre
angeblichen grüßte auf einem anberen Saume getoachfen finb."*)
Nichtige ©runbgebanfen finb in ben SBorten £>artmann'S unftreitig
enthalten, aber auch unberechtigte ©ormürfe unb falfche Slnfchauungen. $aS
emige Seben, nur als ©eligfeit gefaxt, mar nie äRoralprincip b. h- eS mürbe
nie bie Sehre oertreten, eS fei etmaS gut unb ooÜjiehenSmert, meil eS jum
ernigen Seben als jum ©lücfSgenufS allein führe. Sielmehr mürbe bei
bent ©egriff „SmigeS Seben" auch an bie £>eiligfeit biefeS Sebent
gebacht, unb biefe ^eiligfeit mürbe als bie Krone unb ffioüenbung ber
bieSfeitigen ©ittlichfeit aufgefaföt. $)aS irbifche Xugenbleben (fteufchheit, Stächften-
liebe u. f. m.) fofl nnS biefer £eifigfeit fähig unb mürbig machen, ^partmann
meint ferner, bie ©lücffeligfeit merbe nur als „accibentielle golge"
ber ©ittlichfeit gebacht, ©ie mirb oielmehr als mef ent liehe golge
bargefteöt. ®ie ©ittlichfeit m u f S bie ©eligfeit im ©efolge h a ^ n al3 einen
mefentlichen 21uSflufS. Sine oemünftige Setradjtung ber 2Renfchennatur als
einer moüenbeit unb füfjlenben, als einer ber ©oKfommenheit unb beS ©lücfeS
fähigen, als einer nach Jpeiligfeit unb ©eligfeit oerlangenben jeigt bieS
unmiberleglich. 9llfo ift ber SgoiSmuS fogar $u einem mefentlichen ©eftaitb-
theil ber fittlidjen ©efinnung gemacht? SgoiSmuS als Selbftfucht gemifS
nicht, aber SgoiSmuS als georbnete ©elbftliebe, menn mir baS 2Bort
SgoiSmuS in biefem reineren Sinne nehmen bürfen. $ocb oergeffen mir
nicht bie pfpchologifche ©chmierigfeit, bie |>artmann im SlnfdjlufS baran
erhebt. Sr meint, ber ©ebanfe an bie ©eligfeit ergreife fo mächtig baS
Streben beS 9Wenfchen, bafS ber ©ebanfe an bie ©ittlichfeit nicht mehr als
mirffame Kraft auftreten fönne. SlUein baS ift pfpchologifch nicht richtig.
Xer TOenfch ift nicht einbeutig beftimmt, fonbern er fann fich aus ÜRotiüeit
ber oerfchiebenften 8lrt beftimmen. gür baS bie^feitige Seben ift bie ©eftimmung
fehr einfach ju benfen. ®a bie ©eligfeit, bie $u ermarten ift, in ber 3nfunft
liegt, fo ergreift fie nicht mit aller ©ehemenj baS Srfennen unb ©Sollen beS
9Jtenfchen, ja ber 9J?enf<h fann fie gegenüber bem ©ebanfen an bie fittlidje
©oüfommenheit burchauS in ben £>intergrunb treten laffen. Unb baS mirb
*) frartmann, a. a. D., S. 43.
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57ti $r. '^iltpp Äneib. 3Jtoberne ©inroänbe flehen bie c^riflltc^e ÜJtoral
er umfomefjr thun, je mehr er geiftig fittlidj burchgebilbet ift. ©raftifcß
fteHt fic^ bie Sache fo bar: Suft ift ju ermatten in ber ©wigfeit, ßuft bietet
bie unfitttidje ^anbhtng in ber ©egenmart. Seibe Ratten fieß meßr ober
weniger ba3 ©(eichgemicht, unb ber ©ebanfe an bie ©ittlicßfeit fattn um fo
eher Poit au3fcßlaggebenber Sebeutung werben. SBie e3 in ber ©wigfeit fein
wirb, baoon reben mir f)ier nicht. Slber auch bort wirb ber ©oH$ug ber
©ittlidjfeit nicht oerbrängt bureß ben ®enuf£ ber ©eligfeit. ©eibe werben
fo erfannt, baf$ bie £ei(igfeit im Sorbergrunb ftet)t.
ffieitn wir att bem gegenüber bie mobernen 2lnfcßauungen betrauten,
wonach ßoßn unb Strafe nur fünfttteße unb ber ©ittlicßfeit frembartige
9Kitte( ber ©rjießung finb, wonach ßoßn unb ©träfe nur eine relatio
meufchUcße, nicht aber eine abfohlte Sebeutung haben,*) wonach bureß ßobu
unb ©träfe junäcßft nur ein inbirect auf bie ©ittlicßfeit fieß rießtenber SBiüe
erhielt werben fofl, ber fieß bann fpäter in einen birect unb oßne ben ßoßn
unb bie ©träfe auf ba8 ©ittlicßs©ute gerichteten Permanbeln muf$,**) fo gilt
ba£ allerbingS tßeilmeife oon einem ßoßn unb einer Strafe, bie ber ©ittlicßfeit
be^w. Unfittlicßfeit äußerlich ^injugefügt finb, nicht aber Pon jenem ßoßn,
ber eine naturgemäße unb innere golge ber ©ittlicßfeit ift. Unb audj
bezüglich biefeS fioßne$ ift feftjußalten, bafä bie ©ittlicßfeit um fo reiner ift,
je mehr ber ©ebanfe an bie ©ittlichfeit in ben ©orbergrunb tritt unb ber
©ebanfe an ba3 ©lüd in ben £intergrunb, baf$ aber eine üRifcßung biejer
©ebanfen • niemals eine unfittliche ober fittlicß tüerttofe £anblung erzeugt.
®iefer 9lnfcßauung gibt auch S'ircßenteßre 9lu$brutf, wenn fie jmifeßen
einer unpoüfommenen ©otteSliebe unb einer PoDfommenen unterfcheibet, $u*
gleich aber jebem bie Aufgabe ftcHt, fich jur Poflfommenen ©otteätiebe b. b.
$ur reinen ©ittlichfeit ^inburc^juarbeiten. $)enn ©ott lieben ßeißt feine
Jpeiligfeit, ba$ perfönfieße ©ittengefeß achten unb fcßäßen.
*) $)itte3, a. a. 0.
**) ©aumann, a. a. 0. unb üüteffer, a. a. 0.
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Zur Würdigung Friedrich Bebbel s nebst allerlei
Excursen über Wiener Cbeater und Epigonen.
jaus Jaitlafs Einer neuen T^ebbel-Jausgabe.
Bon Htdjarb bou Blutft.
beu ftereotppen SBenbungen ber berufsmäßigen SitteraturgefchichtS'
Qj fchreibung gehört bie Klage über bie Sterilität beS beutfehen Xtjeater^
im 19. 3faf>r^nnbcrt, baS SBort natürlich nicht auf bie SKenge, fonbern auf beu
23er t angemanbt. SidjtS !aun ungerechter fein. Käthchen oon #eilbronn —
König DttofarS ©tücf unb ®nbe — 3ubittj — Der Serfchtoenber — Der
©rbförfter — ©raf 6ffej — ©orfi$ U^Ifelbt — Die Karolinger — Der
s JReifter oon Satmt)ra — baS finb Dramen immerhin ^weiter Drbnung, aber
auch uicht geringer: unb menn mir an Stelle ber Ditel bie Samen ber Slutoreit
einfefeen: Kteift, ©riflparjer, $ebbet, Saimunb, Submig, Saube, ©reif,
SBilbcnbruch, SBitbranbt, fo ift baS eine cßronologifch gefchfoffene Seihe, mit
ber fein anbereS Sotf fich meffen fann; unb menn toir gar eine Seihe ber
Seiftungen unb Datente britten Sauget auffteflen, fo finb mir noch immer
nicht tief gefunfen; benn Die Schutb — Der Rechter oon Saoenna — 3opf
unb Schtoert — ©ärgerlich unb Somantifdj — Die 3ournatiften — ©raf
iporn — Schach bem König — DaS oierte ©ebot — ober: Siüttner, £>atm,
©uftfoto, Saucrnfetb, ftreptag, SBeiteit, Schauffert, Slnjengruber, finb freitid)
$um Dheite halb oergeffen, fönnen fich aber noch immer neben atlebem, ma*
Vorfahren unb Sadjbarn geteiftet h a ^n, ruhig fetjen taffen. Ohne atfo
in beu Streit um ben SBert ober Untoert beffen, rnaS bie brei testen Suftren
heroorgebracht haben, einjugehett, fönnen toir behaupten, baS ein fotch glän$enber
Kreis oon ©pigonen, tuie er fich um unfere Dichterfürften gruppiert, 31 t
feiner Seit unb bei feinem Sotfe beftanben huf- Dabei hübe« mir eS nicht
nöthig gehabt, auf beliebte ÜDtobeautoren, mie ihrer Kofcebue, Saupach,
Seftrop, bie Sirch 5 Sfeiffer, üRofer, Sofen u. 0 . a. maren, bie mirftich eine
gan$e Stufe tiefer flehen, ^u greifen. Sein, bie bramatifche Srobuctiön beS
19. Snh^hnnbert^ enthält manchen ©betftein, bet" eS üerbient, nicht im
mohtoermahrten Käftcpen gehalten, fonbern h^orgehott 311 toerben an baS
helle Sicht beS DageS ober — ber Sühne.
Tie Kultur. III 3at>rg 8. £eft. (liH>2.) U7
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578
Wtdjarb oon Blutp.
®« ift baper burcpau« anguerfennert, baf« fiel}, angeregt guerft burep
SBilpelm ©eperer (t 1886), bie wiffenfcpaftlidje Stritif mit ©ifer, ©rnft wd>
©rfolg auf bie Bearbeitung biefeS ©ebieteS geworfen pat, unb e« wäre nur
gu wünjepen, bafS bie Xpeaterbirectoren bie ©infid)t unb ben Btufp hätten,
in ben Slrdjiöeit ihrer Binnen gu ftöbern unb gu fudjen: fie würben mancherlei
finben, wa§ bie Blühe lohnte unb bem auch ber materielle ©rfolg nicht oer»
fagt bliebe, ©o erinnere ich mich recht gut, waS ich «ft Beispiel unb Beweis
anführen barf, oor ungefähr 20 fahren auf einer gang Reinen Brooing'
bühne, bie einen greifen, wohl belefenen unb wohl routinierten Begijfeur
bejah — längft betft ihn baS ©rab —, gwei lang üergeffene ©Warnen ge=
jehen gu haben, beren mächtigem ©inbrud ich mich f° wenig wie ba« ge*
fammte Bublicum gu entgiehen oermochte, — ein Bublicum, baS burch bie
Bähe ber £>auptftabt berwähnt, bei mäfeigfter Bitbung burcpauS nicht an=
fprucpslo« war.
®aS eine biefer ®ramen war überbieS nach bem Urtheile ber Sitterar»
hiftoriler ein „Büprftüd gewöhnlichfter ©orte". ©8 war Baupacp’S „Sfibor
unb Olga", bie ©efdjicpte oon ber tragifepen Siebe eine« Seibeigenen gu einer
SSürftentocpter. Über Baupacp adjfelgudenb abguurtheilen, gehört in ber
litterarifcpen SBett gum guten Sone; feine „Flachheit" ift ein fritifdjeS ©logina.
„®S war fein ©ohn Slpoll«, ber bir bie SBorte lieh", fagt f>ebbel im Brologe
gu feinen Bibelungen oon jenem Borgänger. aber in „Sfibor unb Olga" ift
ein mirfungSooKer Stoff mit grobem teepnifdjen ©efdjid oerarbeitet, freilich
mit ben fdjlidjten Btitteln jener „alten friminellen Sluffaffung beS ©Warna«",
wie fie B. 9Jt. SEBerner (#ebbel’S SBerfe, III., ©. XL) nennt, ber wir aber
ben Blacbetp unb ben Söallenftein gu oerbanten hoben. Unb fo würbe fich
in ber langen Beipc Baupacp’feper ©Warnen felbft im $openftaufencbRu« noch
baS eine ober anbere finben, ba« auch heute ben ©rfolg nicht oerfagte. ©r
war eben ein ©peaterpracticu«, ber fein Bublicum fannte; unb wenn jich
biefcS noch f° grünblich geänbert hat in fieben ©iecennien, fo oerfügte er
gu Seiten wenigften« über einige jener ©öne, bie nie oerfagen. Heinrich Saube
hat gang gut gewußt, baf« er feiner ©affe biente, wenn er trofc äße« Spotte«
Sapr um Sapr ben „SDlüHer unb fein ®inb" auf bie Bühne brachte.
Bon Saube nämlich war ba« gweite jener oergeffenen Stüde, ba« ich
auf ber Reinen Brcwingbüpne fah, „Btontrofe, ber fcpwarge Blarfgraf", ein
©rauerfpiel, ba« wohl wenige unter ben Stimmführern ber mobernen firitif
gefepen hoben werben. Unb wie anber« wirR e« oon ber Bühne als bei ber
blofjen Seetüre! Saube war eben in noch fiel höherem Blafee ©peaterpraftifeT
als Baupach unb jeprieb befanntlicp feine fpäteren ©tüde ben $offcpaufpietern
auf ben Seib. ©o finb feine ©eftalten im richtigen Sinne tppifdj unb
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3ur 99iifet$juig §ebber$ ncbft allerlei (Eycurfen überSötener X^eater u. Epigonen. 579
«harafteriftifch ^ugftid) 3)af3 fid) bie großen ©harafterbarfteller bet ©egen*
mart eine fo banfbare 9b&e mie bie be3 ©rommell entgegen laffen, ift eben
nur aus ber ooflfomntenen UnManntheit be$ Stüdes $u erflären: „SJtontrofe"
uerfeßmanb au$ Politiken ©rüitbea, an bie l)eute nach 43 fahren fein
URenfd) mehr benft, trofc raufchenben (Shrfolged nach einer einzigen Aufführung
für immer au£ bem ^Repertoire be3 ©urgth«ater3. ©4 märe 3eü, & mieber
heraufeuholen, menn nicht auf ber SRingftraße, fa hoch an ber ©eripherie;
itnb menn Seint'S „Spinnerin am Sreuj" ©eifaff finbet, fann man e$
felbft mit ßaube'3 „©ernfteinheje" miebenim magen, bie gleich reich ift an
ftimmungSooflen SRomenten unb oon gebrungenerem ©au. S)a fueßen unfere
Xfjeaterbirectoren nach guten ßuftfpielen, unb ich fenne faum ein unter-
haltenberea als ben „Statthalter oon ©engalen", ba£ — e$ behanbelt in
altliberaler Altflugheit ben Stur$ eines lorpminifteriumS — im i$af)Tt 1897
in SBien oon actuetlfter SSirfnng hätte fein müffen, aber auch tyutt oon
feiner fomifchen Sraft gernifS nichts eingebüßt hat.
3 u biefen ©etrachtuugen merben mir angeregt burch eine fc^öne unb
vornehme Ausgabe ber ^ebbeffeßen 3)ramen oon bem ßemberger ©rofeffor
Sticharb ÜRaria SBerner,*) ber feinen Seruf $u biefer Aufgabe burch bie
fchöne Slacßlefe jum ©rieftoechfel in miirbigfter SBeife nachgemiefen hat. SBenn
irgenb einer unter ben (Epigonen, fo oerbient Sriebrich £>ebbet bie fritifche
©emühung, bie ihm ber ©eiehrte gemibmet, unb bie oornehme AuSftattung,
in bie bie SerlagSbuchhanblung feine SBerfe gefleibet hat. ©erabe hinfichtlid)
<£)ebbefS ift eine ooUftänbige Urnmertung beS UrtheileS eingetreten, £eute
lernt man in ber Schule, maS bie Station anerfannt hat, bafS Steift, ©rill-
parier, $ebbel $u ben großen Xragifern beS beutfehen ©olfeS gehören; oor
50 fahren behanbelte man Sleift mit ©rabbe jufammen als bramatifche
llnhotbe; ©rillparjer fannte unb nannte man faum unb £>ebbel — ja ba
wufS man in Qulian Schmibt'S Sitteraturgefchichte felbft nachlefen. £eute
mürben foldje pamphletiftifdje Feuilletons nicht mehr Aufmerffamfeit finben
als etma bie ftrategifdjen Sritifen ©leibtreu'S ober baS noch oerein^elt
immer erflingenbe göpfifeße ©ebelfer gegen SRicßarb SBagner; um 1860 aber
gab £err 3ulian Schmibt ben Xon an, unb Hebbel galt biefer hämifchen
Sritif gegenüber als ein oertorener 9Wann. $aS ift nun freilich anberS
gemorben. Unb menn furj nach feinem Xobe bie Apologeten fchmeren Stanb
hatten, haben es ^eute bie ©anegprifer befto leichter, unb eS mirb gerathen
fein, ber brohenben Überfchäfcung gegenüber, bie fo leicht an Autoren, bie
*) 9t. ÜJt. SBerner: Jriebrich fcebbers fämmtlicbe Söerfe, hiftorifch*fritifche
Ausgabe. ©erlin, ©. ©ehr (©. ©oef), ©anb I—III. trauten (1841—1858). 3)ie
»ollftänbige Ausgabe ift auf jroölf ©änbe berechnet.
37*
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580 »iidjarb oon 3Ruth.
bic SWitwelt linfS liegen liefe, furjmeg alles meifterhaft finbet, bie nötige
Unbefangenheit ju bewahren.
©on bem Sorwurfe ber Überfchäfcung unb Übertreibung mufS ber
neuefte Herausgeber aüerbingS freigefprochen werben. SBoljl unterliegt aud)
er wie jeber, ben feine Arbeit $wingt, fich oielleicht burd) Sabre in bie SBerfe
eines gewaltigen DenferS ju oerfenfen, bem Sinbrude ber mächtigen ©erfön*
liebfeit, aber er wahrt fich boefe burchauS bie ©genfehaften, bie ihn auch
fonft auSjeichnen: fritifchen ©lief unb nüchternes Urtheil; in Stapreifung unb
Ablehnung ift er ftetS gleich mafeooD. 3 u überfcbäfcen fcheint er unS nur bie
Komöbien, benen gegenüber wir ben aüerbingS alten unb jum Schlagworte
geworbenen ©orwurf, bafS fie gefünftelt unb bizarr feien, hoch nicht für
Ungerechtfertigt halten. Unb auch bezüglich ber ©übnenwirtfamfeit ber
Hebbel'fchen Dramen lann man ihm nicht in allem beipflichten. Oben habe
ich ber SBieberaufnahme guter alter Stüde aus Kräften baS SBort gerebet,
unb fo glaube ich auch, bafS ber „SRubin" fo gut wie irgenb eine phantaftifche
Komöbie oon ftulba wohl auf bie Sühne gebracht werben fönnte;*) auch
„9Richel 2lngelo" erwiefe fich fieser wirffam; Warum „©pgeS unb fein Sting",
bei bem ber Herausgeber merfwürbigerweife bie Dbeatereinrichtung unb
Aufführung gar nicht erwähnt, fo fchnell oom ^Repertoire beS Surg*
theaterS, baS ihn oor fünf fahren wieber aufnahm, oerfchwunben ift, ift
mir nicht befannt. 2lber manche anbere feiner Dramen, oor allem ber
„Diamant", „DaS Drauerfpiel in Sicilien", finb nach nnferen ©egriffen
wohl unaufführbar; felbft oon einer SBieberaufnahme ber „©enofeoa", bie ber
Herausgeber mit einiger ©itterfeit Oerlangt, fönnten wir unS nicht üiel oer*
fprechen. ®S ift eine Dbatfacbe, bafS auch jene Dramen Hebbel'S, bie fich
auf ber ©ühne behauptet haben, wohl nur oier: „Subitb", „SRaria
2Ragbafena", „SlgneS ©ernauer", „Die SRibelungen", nur feiten über bie
Sretter gehen. Die oolle ©unft beS ©ublicumS, wie fie heute ©riHparjer
entgegenfommt unb felbft grofee Schwächen Kfeift'S erträgt, hat fich H^b * 1
noch nicht 51 t erobern oermocht. Sch fage noch nicht, weil eS immerhin
möglich ift, bafS auch Hebbel'S 3eit fommt, Wenn ihn baS ©ubticum
erft recht fennen gelernt hat, wo$u bie fchöne unb ftattliche Ausgabe baS
3 hre beitragen mag.
Den SBienern ift Hebbel $u herbe; unb mufSte Doch felbft für ©rill*
parier burch Heinrich ßaube baS Derrain Schritt für Schritt jurüderobert
werben, benfelben fiaube, 511 bem Hebbel in fein rechtes ©erhältniS 5 U
*) Die Hoff eenen biirften burchauS nicht geftrichen werben; fie ftnb beS (Eontraftes
halber, in bem fie $u ben ©auemfeenen ftehen, nothwenbig, iiberbieS in ber SchlufS
feene oovauSgefeftt.
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3ur ©ßürbtgung £>ebbers nebft allerlei ©ycurfen über 9Biener Beater u. ©pigoncn. 581
gelangen oermochte. Sie ©ejiehungen $ebbel'S jurn ©urgtheater bebürfen erft
fritifc^er unb unbefangener Unterfuchung. SEÖir höben oben betont, bafS Saube
in erfter Sinie Xheaterpraftifer war. SBir wollen weiter noch seigen, bafS
ber geringere ©rfolg auch ber größten SBerte ^>ebbet f ö ,in technifchen gehlern
feinen ©runb ^ot. Schon baS war ein trennenbeS ÜRoment. Sie Senfur*
ftriche, unter benen ber Sirector gewifS nicht minber ju leiben hatte als ber
9lutor, bie er aber gegen biefen ju oertreten hatte, tarnen nun ju beu
s 2lnforberungen ber Sortierung ^in$u. SaS mufSte baS SerhältniS ber norb=
beutfehen Emigranten, bie fich beibe bärbeißig *) $u geben pflegten, noch aer*
fchärfen. ©or allem aber ift ju berücffichtigen, bafS £ebbel ber ©atte einer
©urgfehaufpieferin war, nnb jwar — eS ift nöthig, baS einmal naeßbrikftieß
ju betonen — einer Schaufpielerin burcbauS ^weiten StaugeS.
®S mufS mit aller 6 ntfchiebenheit barauf gefehen werben, bafS fich
nicht ein litterarhiftorifcher ÜRpthnS bilbet, unb baS fcheint bezüglich ber
Sdjaufpielerin grau ©hriftine £ebbelim beften 3uge ju fein. **) s JiichtS tonnte
mir ferner liegen, als ben ©harafter ©hriftinenS anjugreifen; unmöglich ift
eS, ben günftigen ©inbruef ju üertennen, ben fie auf ben bis bahin unfteten
dichter nahm; aber fein ©erhältniS jum ©urgtheater Würbe burch bie ©he
mit einer Schaufpielerin ungünftig beeinflufst. Um bie Stellung ©hriftinenS
auf ber ©ühne 511 beurteilen, barf man nicht oergeffen, bafS fie jwei ganj
oerfchiebenen ©erioben ber ©nrgtheaterentwicflung angehörle, ber rein claffifchen,
in ber fie feßon neben ber überlegenen SRettich einen fchweren Stanb hatte,
unb ber beS Überganges jurn StealiSmuS, in ber fie neben ber gewaltigen
SBolter unb ber geiftreidjen ©abillon, bie fich erft in reifen Eahrcn 5 U doller
f)öhe entfaltete, oollftänbig jurüdftehen mnfste. grau $ebbel fprach flar unb
falt, mit einer Sentlichfeit, bie bie hantige Schaufpielergeneration nur 51 t
fchr oermiffen läfst; bie SBorte pflegte fie mit wohlgerunbeten ©ewegungen
ber frönen Sfrme flu begleiten, hierin bem Seifpiele ber Sftettich folgenb;
nuanciertes Spiel im heutigen Sinne unb bie ftunft ber Steigerung waren
ihr fremb: bemgemäf* wären Sprechrollen ihre Sache gewefen; ben ©harafter^
*) geh habe als ftnabe Hebbel noch oft gefehen, ba er in ber ©räunerftraftc
luohnte, auf bem ©raben ober Stoct4m*©ifen, ber bamalS fein ©löfc mar, fonbern
eine tune, enge ©affage, in ber fich gemiffen Stunben beS $ageS bie ©tenge
beftänbig ftaute unb brängte. Sa fchob fich ber ©tarnt burch, fcheinbar ohne auf
feine Umgebung $u achten unb rote uor fich hinmurmelnb, baS Jpaupt, über bem ein
fchmalfrämpiger hoher !£mt faß, ftetS gefenft, fo bafS man nur feiten einen rafdjen
©lief aus ben blanen klugen, bie baS rothumbartete 9lntlifc merfroiirbtg oerfchönten,
51 t erpafchen oermochte.
**) geh habe grau Hebbel ,piele bufcenbmale, namentlich häufig in ben
gahren 1860—64 gefehen.
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582
Nüparb von ÜJlutp.
rollen aber, bie fie gu fpielen patte, genügte fie gewöpnlicp nicht: erträglich
als Hergogin grieblanb, ttmr fie abftofjenb als gmperiali. Unb »nenn Hebbel
fogt, bafS „SJtariamne, »nie in URarmor gemeißelt, baS SBefen (SpriftinenS
barftefle" (II, XLIV), beweist baS nur, »nie fie ihm erfcpien, nicht »nie fit
»nar. SluS ben Segiepungen beS Hebbel’fcpen HaufeS gum öurgtpeater aber
SBaffen gu fcpmieben gu einer ungünftt'gen SBeurtpeilung Heinrich Saube’3,
märe eine litterarpiftorifcpe gätfcpung. SBenn bie „Nibelungen“ in SBicn
nicht ben öoflen unb nachhaltigen (Srfolg hatten, ben fie nach »h rcr ©ebeutung.
beanfprucpen fonnten, tnar nur bie ©efepung fchulb. gür ben dichter War
eS einfach inbiScutabet, bafS jentanb anberer als feine Shriftine bie ©runpilb
(Viele. Nber gerabe biefer Nofle war grau Hebbel burcpauS niept, gewacpfcn.
gnSbefonbere in ben mpftifcpen ©eenen beS SlnfangeS nerfagte fie ooflftänbig:
bie ©ifton, an fich lang unb fcpn>er öerftänbticp, fiel ab, unb bie lühle
Stimmung blieb perrfepenb im Hanfe.*) geber Nero ber SBolter forberte bir
Nolle ber ©runpUb; nein, fie mufste — um beS {Weiten XpeileS wißen,
alfo aus fritifcher ©ebanterie — bie ftriempitb fpielen, beren tinblicher Zart¬
heit in ben erften Sieten ihr ganges SBefen wiberftrebte. ©o tarn ei, baf£
bie Stufführung ber Nibelungen fo fühl oerlief, bafS man fich «ft oiele gaprt
nach t>ed dichter# lobe an bin {Weiten Ipeil wagte.
$aS ©urgtpeater hatte an grau Stolter eine gewaltige ^ebbel^arfteßeriit
gewonnen. Stber baS ©ublicum blieb fühl. ®u3 ben oerfchiebenften ©rünben.
„gubitp" hatte in SBien ben XobeSftofj befommen burch — Neftrop. Such
baS ift nur bei genauer Kenntnis ber ©erfönlicpteiten oerftänblich- geh habt
nie ein mächtigeres fcpanfpielerifcpeS ftemperament gefehen als Subwig ßötoe;
in bem Stanne war afleS @lut unb Seibenfcpaft; nichts erfcpien ftubiert unb
ausgearbeitet, aßeS fepien aus bem gnnerften perauSgufommen; fo gang War
er mit feiner Noße oerwachfen. 3Jtan mufSte (epeu, was in Söwe'S ^änben
aus einer Nebenfigur, wie fie etwa ber gßo ober ber Narr im „Sear“ ift,
würbe. $er $otoferneS**) nun lag Söwe gang befonberS; aber eine fo aus»
gefproepene gnbioibualität bot natürlich auep vielerlei StngriffSpunfte, unb
für foldje ©chwäcpen patte Neftrop ein fcparfeS Sluge. ©epon burep bit
NtaSfe begwang er baS ©ublicum — „gubitp" war umgebracht. @3 wäre
gu münfepen gewefen, bafS ber Herausgeber biefem ©untte größere Stuf*
merffamfeit gefepenft pätte. ga, wir fännen ben weiteren SBunfcp niept unter*
brüefen, bafS bie ©arobie in einen ber lefcten Sänbe ooßftänbig aufgenommrn
*) Sollte auS gleiCpgeitigen Sritifen etwa anbereS perauSgelefen werben, roa&
icp übrigens niept glaube, fo bin icp niept in ber Sage, beSpalb auep nur baS ©eringfte
an meinen ©epauptungen gu änbem.
**» gep felbft pabe Söwe als i>olofemeS niept mepr gefepen.
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3ut Söürbigung frebbel’S nebft allerlei ©ycurfen über Wiener $peater u. ©pigonen. 583
merben möchte. Sßaröbien bemeifen an unb für fich, bajS baS jurn Objecte
genommene SBerf eine gemiffe Sebeutung ^at; fie beefen technifche Schmähen
auf unb lehren bie Stimmung ber $eitgenoffen fennen. ®eShalb gehören jte
in ben fritifdjen Apparat. SBoht ärgern fie bie ©oterie unb merben beSmegen
gerne tobtgefchmiegen, mie e$ jum ©eifpiele im Vorjahre mit be$ pfeubo*
npmen ^ermann Korbermann „Stiefamidingen" gefchetjen ift, einer fchneibigen
unb unterljaltenben Varobie be$ „3ohanniSfeuer" oon Subermann, auf bie
mir gerabe aus biefem ©runbe beiläufig aufmerfjam machen moflen. Slber
baS fann, felbft menn noch fo oiel Vanalität, ja ©emeinheit in biefeit
Vrobucten fid* breit macht, bie fjiftorifdje ftritit nicht ber Verpflichtung
überleben, oon ihnen Kenntnis $u nehmen.
So haben äußerlichfeiten bei „3ubith" unb ben „Stibelungen" ben
©rfolg beeinträchtigt; anberS bei „SJtaria SJtagbalena", „©enofeoa", „£>erobeS
unb SRariamne". 3n ber SBolter mar eine großartige $arftederin für bie
Kode ber ftlara gemonnen. *) Slber auch ^ cr fein voller ©rfolg. SJtan machte
baS peinliche beS Ih«na$ bafür oerantmortlich, — ber „Srbförfter" ift
meit peinigenber. Stan ftieß fich an ber fortmähreuben Vefprechung beS $u*
ftanbeS ber #elbin, — jebe fran^öftf^e ©hebruchSfomöbie ift unanftänbiger;
bie Vefefcung unb Stufführung maren oorjügtich; man mirb alfo mohl ober
übel nach anberen ©rünben fuchen müffen. Stach meiner Überjeugung finb
e$ technifche Stängel, Schmächen ber Peripetie unb ber S*ataftrophe. griebrich,
ber Secretär, fpielt in ben lebten Sieten eine fo bebeutenbe Kode, bafS nach
einem alten ©rfahrungSgefefce feine Vorführung in ber ©jpofition bringenb
münfchenSmert märe; jo aber tritt er fo fpät in bie ©anblung, bafS mir
fein rechtes 3ntereffe mehr an ihm geminnen. 3ubem ift bie Scene, mie er
mit ber Viftole auf ben feigen Stebenbuhler einbringt, eine menig gliicfliche
Kachahmung ber gleichen Situation in „Sfabale unb Siebe", baS ©anje
muthet an mie eine tragijehe Varobie beS tragifomifchen Originals. 3n
biefer Scene ift Seonljarb ein in ben SBurm hineingearbeiteter Sfalb. $afS
bann ade ihr ©nbe finben unb griebrich noch einmal gu biefem ßmeefe auf
bie Vühne gebracht mirb, fchmächt ben ©inbruef ber gemaltig angelegten
ftataftrophe in ganj unoerhältniSmäßiger SEeife. So fommt eS, bafS bie
leßten Äcte abfaden.
„©enooeüa" hat Saube nicht mieber aufgenommen. 3ch glaube mit
Stecht. Sticht als ob ich mich ber Schönheit unb Vebeutung biefer Xragöbie
oerfchlöffe, aber fie bietet unüberminbtieße innere unb äußere Schmierigfeiten.
3unächft baS mangelitbe ©benmaß ihrer Ztyiie: ber britte Slct jählt 1003,
*) 3ch habe baS Stiict auf bem Vurgtpeater erft in ben fiebriger fahren
gefehen.
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584
Stiiharb oon SJhith.
ber werte 936 Serfe. Mu3 bem britten Stete hat #ebbel felbft für bie
Muffüljrung 441 SSerfe geftrichen. — Ta3 ift bic Sänge eines normalen
XljeateracteS; benn 2500 SSerfe finb ungefähr baS ÜRa£tmum, baS baS
$ublicum einer grofjen, gutgeleiteten Sühne an einem Mbenb oerträgt; an
einer Keinen Sühne, wo ber TecorationSwechfet unb ber SRangel eigener
©arberoben für bie #auptbarfteller lange Stell* unb UmKeibepaufen mit fidj
bringen, mufS noch weit unter biefe $ahl tyerabgegangen werben.*) Stun
ift aber |>ebbel fein Stfjetor; feine Tranten oertragen ©triebe weit fermerer
als etwa bie ©djifler'fdjen; feiner Tichtung gefehlt bnreh ftarfe Äürjung
Unrecht. Ta$u fommen in ber „©ettooeoa" noch gan$ befonberS bie langen
Mbfeitdreben, bie bon ben übrigen auf ber Sühne Sefchäftigten nicht oer
nomnten werben follen, einmal (IV. 6 ., 53. 2612—2645) 33 SSerfe in
einem Mthem, für bie Stolle beS ©olo tjunberte oon Serfen. ©ie machen
bie Stolle beS ftummen 3uhörer3 uniäglich fdjwierig; bie o^nebieS paffioe
unb beS^alb bem publicum weit hinein in bie ^anblung nicht Oerftänbliche
©enooeoa wirb baburdj 51 t einer faft nicht ju bewältigenben Aufgabe. ©ine
befonbere ©djwierigfeit liegt auch in ber ÜberrafdjungSfcene (III. 15): unter
bem Sette ber ^atbenttteibeten $elbin wirb ber angebliche Siebhaber, ber
burch £>eftigfeit abftofeeub wirfen foD, fKroorgejogen nnb auf ber ©teile
niebergeftofeeu. SBie mufS jebe ber neun Serfonen, bie in biefer ©eene auf'
treten, gefpielt werben, wie müffen biefe Stollen befefct fein, wenn ber Muftritt
nicht lächerlich wirfen fofl! ftür Keine Sühnen bic reine Unmöglichfeit, für
grojje gleichfalls ber wunbe $nnft, an bem fie gewöhnlich fcheitern.' ߣ
fommen noch nnbere Umftänbe baju: bie Entfernung einer £>auptperfon auS
ber Peripetie, hier ber ©enooeoa, bie unferen Slugen burch anberthalb Mete
(1100 Serfe) entzogen bleibt, ift immer bebenflich; bie Stene beS ©olo
(S; 2583) fommt oiel ju rafch: wie fann ihn ber Schmer^ beS ©rafen
io fehr erfchüttern, wenn baS ber Vlnblitf ber Seiben beS unfchulbigen SScibeS
unb SinbeS nicht oermochte?!
Stoch unberS ift eS mit „fterobeS unb SJtariamne". 3 ür ^pebbel h^t,
wie „3nbith^, „Stubin", ber Dperntejt „©teinwurf", bie oer^errte ©pifobe
in ber „©enooeoa", enblich „£erobe3" beweifen, bie Subenfrage gan-v
bejonberen Steij. Mber nicht fein ©egenfap $u ben «Seitftrömungen ^lt baS
Stücf ferne, fonbern eine innere Schwäche. Ta3 Socalcolorit unb bie Ser^
Wertung beS hiftarif^en $intergrunbeS, bie Sümpfe, bie jur Schlacht oon
Slctium führen, finb ihm nicht gelungen. Ter einzige ©entnrio litnS ift
*; SJtit bem Stachfpiele h<*t „©enooeoa" circa 3900 Serfe. — ipebbel tröftetc
fichr bafS baS bie Sänge ber „Staria Stuart" fei; aber eine Srooinjbühne miifSte
mehr als ein Trittheil ftreichen.
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ßur ©ürbigung Ipebbers ncbft allerlei ©ycurfen über ©iener Xfeeater u. ©pigonen. 585
ein römifcher XppuS; alle übrigen finb 9Renfd)en wie anbere, aber nicht
antife SRenfchen, ft>eber 9tömer, noch 3uben. ©ang unb gar nicht flar
erfcheint in ben ©harafteren ber oft betonte ©egenfafc gwifdjen 3 uben unb
®aliläern. $iefeS Unoermögen ^iftorifc^er gärbung, baS fich auch in ber
„AgiteS Sernauer" geigt, fchwädjt ben ©inbrud; bagu, wie 9t. SR. ©erner
richtig bemerft, baS geteilte Sntereffe. Sticht wenig, möchte ich hingufügen,
auch ORängel ber ©haraftergeichnung. ®er ^arifäer, Ijodjfafjrenb, werffeeilig,
erfcheint uns als ein feuchter, bis wir plöfclich erfahren, bafS er ein SRärttjrer
ift; Salome, bie feierliche Schwefter unb Schwägerin, erfcheint gu Seginn
fleinlich unb unoerftänbig, befchränft, fo bafS ihr Anteil an ber Rührung
ber ffataftrophe uns nicht behagen fann. $erlei rächt fich- Snt 9toman
oergeihlich, finb auf ber Sühne jolche Sflconfequengen in ber ©haraftergeichnung
faft ausnahmslos tobbringenb.
®S war mir bantm 511 tf)un bargulegen, bafS wir bei aller Sewunberung
für jpebbel hoch gugeben muffen, bafS eS bie eigenen Schwächen ber Stüde
finb, bie ooüen (Erfolgen wenigftenS in ©ien im ©ege ftanben; nur beim
erfteu ber SRibelungen mochte falfche Sefefcung baran Schulb fein.
$en reinfteit ©rfolg hatte ber gweite X^eil ber SRibelungen unb „Agnes
Sernauer".*) ©enn alfo bei Hebbel nicht gelang, was bei ©ritlparger
burchgefept würbe, barf man bie oerfchiebenen Surgtheaterleitungen nicht
bafür oerantwortlich machen. Sei ©ritlparger traten locale unb patriotifche
SRotiue hinju, unb wie man in feinen lebten Sohren gewetteifert hatte, ihn
mit ©hrenbegeugungen gu überhäufen, fo glaubte man nach feinem lobe alles
gut machen gu muffen, was bie oorhergehenbe ®eneration an ihm oerfchulbet
hatte. Sch ha^e mich felbft mit bem gangen Snbficum in einer geftuorfteflung
gelangweilt, in ber ,,©eh bem, ber lügt" oon lauter erften &räften glängenb
gefpielt würbe; aber Xableau gu Seginn, oerflärte Süfte gurn Schluffe, alles,
was ©ieit au Sitteraturgröfeen aller Sonfeffionen befiel, im ©arquet, ber
mafegebenbe föritifer ber „SReuen freien s 45rcffe" baS £>auS mit Strenge
mufternb — wie hätte eS fich ba gefchidt, fich 5 U langweilen?! Seber ocr=
fieberte ben Machbar, wie föftlich baS fei — unb feiner fam gum gweiten*
male wieber. Unb auch ö£m ©rillparger haben bie ©erfe, bie nach feinem
lobe auf bie Sühne gebracht würben, fo bebentenb fie fein mögen, nicht
nur bie „Sübin oon Xolebo", felbft ber weit höher ftehenbe „Srnbergwift
*) Sch felbft habe „Agnes Sernauer", ich glaube unter $>mgelftebt, in reefet
fd)led>tev Aufführung gefehen. kleben einer reijenben AgneS war Siraftel als §er$og
Albvecht gan$ ungenügenb unb polterte unb tobte baS Stüd jugrunbe. dagegen
fefeuf tfubwig Wabiüon im ©rafen Xörring eine padenbe ©eftalt, ein SeweiS, was
ein geiftooller Scfeaufpieler aus ber fleinften Atolle ju machen weife.
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586
©icbarb oon ÜWutb-
in #ab$burg" nur Achtungserfolge errungen. Die Grwähnung beS „©ruber*
.poiftS", in beffen Aufführung ba$ Stabttljeater, ba$ bamalS über jroei
®horafterfpieler erften (Ranges, fiobe unb griebmann, oerfügte, bem Surg*
tljeater in überrafcfjenber SBeife um eine SBocfje juöorfam, bringt un$ »ieber
auf Heinrich fiaube, ju beffen gelungenften, freilieb nie oerjieljenen Streichen
biefer ffiettfampf gehört.*) ©lag man über fiaube’S ©£>arafter urteilen wie
man will; mag feine fonftige Schriftftellerei noch fo tief ftehen, als Dramatifer
ift er böchft achtbar, unb feine ©ebeutung für ba$ Söiener Dljeaterleben fann
gar nicht ho<h genug angefchtagen werben. ®r h at «rft bie (Refuttate ber
SReoolution fojufagen praftifdj tiquibiert; er t)at juerftbie ®lafjifer mit
einer gewiffen ©odftänbigteit in ftetem Kampfe mit ber nadjmärjlichen Gertfur
auf bie ©üljne gebracht; er h°t unter ben fchwierigften ©erhältniffen einer
grofsen Saht aufftrebenber Dalente ben SBeg geebnet, unb wenn man ihm
übertriebene ©flege be$ ffranjofenthumS oorwarf, barf man nidjt oergeffen,
bafS biefer 3«fafc bamalS nothwenbig war, nrn in ben ftocfenben Kreislauf
neues fieben ju bringen; er hoi baS ©urgtljeater aus ben ©anben jener
fteifen ©ianier gelöst, ju ber in forgfamer ©flege unoerftanbener Drabition
ber SBeimarifche GlafficiSmuS entartet war; er hot mit unoergleichlichem
©liefe ber beutfehen ©üljne eine 8ln$af)l ihr« größten Datente, fiewinSfp
unb bie SBolter, eine Sanbrod unb eine Schratt jugefüljrt; er hot burch
bie (Srünbung beS StabttljeaterS fchon als atternber SRann einen frifchen
Sug in baS SBiener Dheaterleben gebracht, ber erft baS Dafein jener
©ühnen ermöglichte, bie heute als ©oltS*, (Raimunb* unb SubilöumStheater
heroorragenbe ©flegeftätten beutfdjer Kunft in SBien barftellen. 8(1$ oor
3ahreSfrift bie SReclamepofaunen bie 8lufführung beS „König ßbipuS" »er*
fünbeten, hotte man oergeffen, bafS fiaube fein Stabttljeater mit ber „8tnti*
gone" in Doppetbefefeung er öffnete, bie Stbenb um 8lbenb medjfelte, jebe
©öde, oon ber $elbin (bie SBewerfa unb bie SBeifje) bis jur fteinften, in
anberen £änben — unb baS oor 30 3«h ren / &o boch Uhl unb Speibel,
bie ihn fo ganj oergeffen tonnten, längft im ©arterre baS Schwert ber
Kritif fchwangen.
*) 3th höbe fiaube im Surgtfjeater oftmals gefeben, roo et, neben 3buna
ftpenb, in einer fioge beS jioeiten IRangeS jebe Sorflellung, baS OpemglaS in ber
franb, mit größter Aufmerffamleit oerfolgte, inbeS baS ©ublicum mit grobem ^ntereffe
fein ©erhalten beim 9lctfd)luffe beobachtete, benn eS galt als auSgemacht, bafS fein
in ber Ibot ziemlich felteneS ©erfchrotnben ftets irgenb einen acuten Dabei bebeutete.
Gr mar ein Heines, unterfefeteS ©München mit groben 3ügen oon echt flaoifchem
tppuS — er ftammte betanntlicb auS bem fiauftßer ©öenbenlanbe —, baS ®eficbt
oon bichtem, ftruppigem ©arte umrahmt.
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3ur BJürbigung fcebbel’S nebft allerlei (Srcurfen über ÜBiener Ißeater u. (Epigonen. 587
Doch genug Don Öaube, beffen SebenSlaitf nocß einer umfaffenben unb
unbefangenen Darfteüung harrt. @8 foQte nur beliefen »erben, baf8 bie
eigenartigen SBiener Berßältniffe ber fünfziger unb Sechzig« 3aßre genauer
Unterteilung bebürfen, oßne bie man Sitteraturgef(f)icf)te nid)t feßreiben fann,
unb baf8 e8 nicht angebt, einen Autor, ber betoujst unb unbemufst Don
biefem (betriebe beeinflußt loirb, barjufteQen ohne grünblicbe fteuntniS feiner
Umgebung. 3n biefer Beziehung aber meist bie neuefte HebbetauSgabe eine
hoppelte Sütfe auf, bie Bernacßläffigung ber Xbeaterbejiebungen unb ben
Mangel einer ^Biographie.
3n ben meiften SäKen erfahren mir gmar ba8 Datum ber erften Auf»
füßrung unb ftnb bie Zbeaterbearbeitungen in ben SeSarten berüdfießtigt;
aber baS genügt ni<bt. SBir glauben, Don einer tritifeßen Ausgabe in biefer
Beziehung »ier Momente forbern $u bilrfen, Don benen bei SSerner aber nur
eines erfebeint. 6r feßieft ben einzelnen Dramen gefft» unb gebaltooüe Analpfen
oorauS, bie auch baS Decßnifcße einigermaßen berüdfießtigen. 3n biefer Jpinficf)t
follte aber meit größere ©rünblicßfeit berrfeben. 2BaS man Don einer tritifeßen
Ausgabe forbern barf, ift bie eingebenbfte Darstellung ber oerfeßiebenen
Bearbeitungen: bie Anbetungen, bie ber Dieter felbft am abgefebtoffenen
Dejte oomaßm; bie Sürjungen, ju benen er fi«b felbft entfcblofS; bie Striche,
bie er ben Dßeaterbirectionen unb ber Senfur concebieren mufste. Den
größten SBert hoben freilich jene Anbetungen, bie er fpontan oornimmt; fie
geftatten einen Sinblid in bie SBerfftatt beS Zünftlers unb eröffnen unS baS
BerftänbniS für jene Art beS Schaffens, bie man mit bem pbantaftifeben
Scblagmorte ütießfcbe’S als bie bionßfifeße bezeichnet bot. Der Öefer fotl nicht
gejmungen fein, bie Abtoeidjungen mübfam aus einem SSufte Don Varianten,
Drudfeßlern unb ScbreiberfcbruQen jufammenjuftoppeln; Umfang, Denbenj,
Bebeutung ber Anbetungen ihm in georbneter unb iiberficbtlicber SJeife bar»
zulegen, ift Sache beS Herausgebers, Barianten meeßaniieß znfammenjuftelleu
unb bruefen zu laffen, ift jeber Seminarzögling im britten Semefter imftanbe.
3Ber einen (Jlaffifer „fritijcß" b«ou8geben miß, mufS fieß ßößerer Anforbc»
rungeit Derfeben. — 3utn Dritten forbern mir, maS bem Herausgeber fci
feiner Bertrautbeit mit bem Stoffe ein Seichtes fein mufS, ein genaue Dar»
fteüung beS BerßältniffeS beS Autors z um Theater mit Büdficßt auf bas
einzelne Stiid. SJtit melcßen Bühnen b at er oerfebrt? reelle hoben ißn,
roelcße bot er gefueßt ? mit melcßen Abficßten ift er bureßgebrungen, mit
melcßen gefeßeitert ? 9Ran menbe nießt ein, bafS baS in bie Darfteüung beS
äußeren SebenSlaufeS geßört, ber oielmeßr nur in AuSnaßmSfciflen, menu
fieß ein Befucß, eine Steife ober gar eine AufentßaltSüeränberung baean tniipft,
babureß beeinflufSt mirb; eS ift im ©egentßeile eine Bloßlegung ber. innerften
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588 Wicßarb oon ÜJiutb-
gäben, bie fid) oorn Autor jum ftunftwert, ju ben dürfte Hern unb 511 m
publicum, ichüngen. ®aher benn auch bie weiteren gragen: wo unb wie oft
ift baS ©tüd auf bie ®üf)ne gefommen? wie ift eS oufgenommen worben,
00 m publicum, oon ber Sfritit? wie ^at eS fich behauptet? — Unb mit
ber Seantwortung biefer lebten grage gelangen wir 511 nnferer oierten gorbe*
rung, $ur Storfteflung ber SBürbigung beS eingelnen ©tüde^ in ber ©egen¬
wart : wirb eS noch gegeben ? ^at eS AuSficht, oerbient eS überhaupt wieber
anfgenommen ju werben? — ®aS finb aber gragen, auf bie un$ bie oor-
(iegenbe Ausgabe bie Antwort faft überall fdjulbig bleibt.
$amit ift aber auch ber enge änfammen^ang jwifd^en fritifdjer AuS-
gäbe unb Piographie bargethan. IR. ÜJt. SBerner §at fich begnügt, in bie
einzelnen ©inleitungen, bie in elegantefter gorm gehalten unb ebenfo lefend^
wert als lesbar finb, jene biographifchen $aten 51 t oerflechten, bie jnr Se-
urtheilung ber Sebeutung, bie baS ©tüd für bie ©ntwidlung beS Autors
befifct, unumgänglich nothwenbig finb, unb fo (ann fich ber ßefer aflerbingS
aus ben breijehn (Einleitungen ein ffi$§enhafteS Pilb beS SebenSlaufeS Hebbef S
^ufammenfteDen; aber ber ©toff ift liidenhaft unb jerriffen. 3Ran (ann ficb
nur bcnfen, bafS SBerner bie 93iogrop^te felbftänbig in größtem SRaße $u
bieten beabfichtigt ober etwa oon anberer ©eite erwartet; aber auch io biefem
gatle hätte eine, wenn auch noch f° fnappe, hoch io gewiffem 3Raße oofl=
ftänbige Piographie 00 bie ©pifce beS SBerteS gehört. SBaS unbebingt not^
wenbig ift für bie erften feiten HebbefS, baS ift ein Jtinerar unb bann
eine chronologifche tiberficht ber SBerfe, nach bent ©rfdjeinen georbnet.
$ie Anorbnung ber Ausgabe ift bie übliche nach bent öhtfter beS
SBeimarer ©oethe: Ginleitungen oon bleibenber Pebeutung, ber lejt iit
oerfchwenbevifcher AuSftattung, SeSarten mit jenem Pienenfleiß unb jener
ängftlichen Sorgfalt jufammengetragen, bie ber fritifcfcphitologifche ©tumpf-
finit oon feinen Pefennent forbert. S)och ift eS ein ©ebot ber Ghrlichteit
$u befennen, bafS SBerner weniger pebantifdj ift als bie meiften feiner
gaepgenoffen unb bafS feine, Parianten $umeift wirtliche Abweichungen finb,
bie wir nur bebauern nicht oon ihm felbft oerarbeitet $u fehen. ®ie golge
buoott ift, bafS biefe Ausgabe eine üReuge oon ©injelunterfuchungen, Grör-
terungen unb Abhanblitugen anregen wirb, bie in Jeitfdjriften, Afabentien
unb Jahresberichten, Programmen ic. begraben, nicht nur bem großen
publicum, fonbern fogar ber eigentlich litterarifchen SBelt fremb bleiben unb
in ihrer Berfplitterung uirgenbs 511 einem Abfchluffe führen, ben ju
gewinnen bem Herausgeber, ber ben gefammten ©toff in großartiger SBeife
beherrfcht, oerhältniSmäßig leicht gewefen fein miifSte. ®ie Philologen
werben achfel^udenb erwibern, bafS biefe gorberung uuoerftänbig unb jene
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ßuv SBiirbigung Hebbers nebft allerlei ©rcurfen über Sötener X^eater u. ©pigonen. 58 l j
Anregung. gerabe baS fünfte Siel unb ber fjöcfjfte Sohn beS Herausgeber*
fei; ich !ann mich nicht 511 ber Slnfchauung entfdjliefeen, baf# eine fo
umfangreiche (zmölfbänbige) unb bemitach foftfpielige SluSgabe eine Möge
OTateriatienfammlung fein foü. $iefen Vraudj ber claffifdjen Vß^ilologie
als fefte SRethobe auf moberne Autoren anzumenben, mürbe ich gegenüber
ber Pietät ber älteren ©entration für einen SRütffchritt unb für einen
bebenflichen §emmfchnh ber meiteren ©ntmicflung holten. SRit einem SEBorte:
©öbefe ift mir lieber als bie SBeimarer. 3)aS lefcte SBort mirb mit fixerem
Xacte baS publicum fprechen.
3)er Xejt ift oben als oerfchmenberifch auSgeftattet bezeichnet. 9Rit
Dotier Überlegung. ©S Derbient bie ^öc^fte Slnerfennung, bafS bie 2Berfe
eines Richters Don ber Vebeutnng $ebbef$ in Dornehmer SluSftattung, auf
gutem Rapier, in reinem $rucfe erfcheinen. 2tber eS ift eine ungerecht*
fertigte Verfchmenbung, bafS in ben VerSbramen bie Siamen ber rebenben
Verfonen als Überfchriften erfcheinen. SBir möchten mit biefer Derfchmen*
berifchen ©emohnheit ein* für allemal gebrochen fehen; bei Stichompthie ift
fie hüfSlich, bei in ber ÜRitte abgefefctem Verfe ftörenb; fie bet Vrofa
anzumenben, fällt niemattbem ein. ©S geht baburch ber Staunt für Xaufenbe
Don feilen oertoren.*) SBenn nach Sogen honoriert toirb, geminnen Vud) s
brncter unb Slutor unb bie ffoften tragen Verleger unb publicum. ®ie
Siegel aber ift eine ganz unnüfee Verteuerung beS ohnehin foftfpieligen
SBerfeS, bie ein toefentlicheS ^inberniS feiner Verbreitung bilbet. Somit
fprechen äfthetifche, praftifche unb ethifche ©rünbe gegen biefeS Verfahren.
3ch hoffe, bafS alle SluSftedungen, bie zu unterbieten ich mich «ich*
cntjcpliefeen tonnte, ben ©inbruct gemacht hoben, bafS ihr ^meef einzig bie
Jörberung beS Unternehmens ift; baS Streben, z ur befferen SBürbigung
eines Richters beizutragen, ber noch immer nicht nach ©ebür erfannt unb
gefchäfct ift, unb bamit zum Verftäitbniffe einer $eit, bie mir zum
noch felbft mitgelebt hoben unb beren ffenntniS mir im Sichte objectioer
s 2Bal)rheit ber Stammelt überliefert fehen möchten. So fdjeiben mir bettn
Dott ber neuen £ebbel*9luSgabe utit bem SBunfche, bafS eS bem gelehrten
unb umfichtigen Herausgeber Dergönnt fein möge, baS SBerf, mie er eS mit
glüdtichem SBurfe begonnen, mit fixerer $anb unb in furzer ftrift zu oollenben.
v JJian toirb baS gerne glauben, wenn ich als Veifpiel anführe, bafs auf Seite
248 beS erften VanbeS 13 Überfchriften unb 6 Verfe ftehen, S. 251, 12 Über
fchriften unb V\, Verfe, S. 252, 11 Überfchriften unb 11 Verfe u. f. f.
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]o$epl) Sreiberr von Belfert,
(ErlebnilTe unb Criimtrungtn.
IV.
t gvüftz HnfBrridif «-Reform.
4 .
J « !am ba« äJlinifterinm gelijr Schwarzenberg-, in welchem ich Unter *
ftaat«-@ecretär für ben Unterricht war; al« fotc^er ftanb ich unter
Stabion, welchem al* SRinifter be« 3nnent bie Angelegenheiten be« Unter=
rieht« ju^etheitt blieben, bi« ich müh für bie Annahme be« Portefeuille*
erflärt fabelt würbe. 2Bie früher erwähnt, behanbette mich be«halb ©tabion
nnb behanbelten mich feine ©odegen al* ÜKinifter in spe. ©tabion brang
jefct nicht weiter in mich, er bartete auf bie 3eit, Wo wir bleibenb in SBien
fein nnb bort ungeftört an unfere Arbeiten würben gehen fönnen, bann muffe
meine ©rnennung erfolgen. ÜKeinc Antwort war ftet«: „SBettn ©ie feinen
anbern finbeit."
®i« bahin war aber ©tabion Unterricht«4Rinifter, nicht blofe bmt
Stauten nach. ®i fchenfte mir $mar unbebingte« Vertrauen, er that nicht ba*
geringfte, ohne mich &u fragen, unb er that ade«, wa« ich oorfchtug unb
wozu ich rieth. ®« fam meine« ©rinnern« nicht Oor, baf« er mir etwa« oer=
weigert ober wefentliehe ©inwenbungen erhoben hätte; Wohl aber erinnere
ich nt ich eine* Sade«, wo er, oiedeicht gegen feine eigene Überzeugung,
oorfchned auf meine ^been eingegangen war. ®« betraf bie ®hmnafien in
@ali§ien, alfo bent Sanbe, ba« er al* früherer ©ouberneur fo genau fanntc,
bezüglich beren ich c * nc einfehneibenbe -äKafjregel, ich glaube in ruthenicis, oor^
gefchtagen hatte; barüber war in potnifchen Greifen heftiger Särm entftanben
unb Stabion fagte mir eine« Jage«: „Sieber geifert, mir fcheint, in biefer
Sache haben wir uit« etwa« zu weit oorgelaffen!"
Söie au« biefem Seifpiele zu erfehen, gieng ade« burch mich, über
nicht« bebeutfamere« ohne ihn. 3n ber Sieget würben folche Angelegenheiten
ZWifcheit ihm unb mir befprodjen; meift fehr furz, ba bie Serftänbigung
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Die grofte Unterri<ht*-Seform.
591
fc^ncH ^erbeigefü^rt war; ba* gefchah in feinem ©ureau, ebenfo häufig aber
auf unferen SlbenWSpajiergängen. ©Sichtigere ¥lctenftüde Würben non ihm
approbiert, bie ®jcpebitionen oon ihm unterfchrieben, namentlich, wie fief) oon
felbft Derfteht, äße Vorträge an ben Kaifer.
¥113 ich bie öeitung be* äJtinifterium* übernahm, war e* folgenber ©Seife
eingerichtet. 3u**ft tarnen bie oier 3acultät*=Seferenten: SRinifteriatrath Dom*
herr 3 c « n e r für bie theologifchen, unb bie ©ection*räthe Dr. 3obann Heinrich
©Wer D. Bremer für bie iuribifd) s pontifchen, ©Wer o. 9EBe11 für bie
mebicinifch*chirurgifchen, P. SRarian So Her für bie philöf ophifchen ©tubien. gür
bie ©pmnafialftubien war ajtinifterialrath Dheol. Dr. ©nbrea* ©oltmaper
al* gewefener „Director" berfelben Referent. Da* ©tubien* unb Schul*
wefen ber SRilitärgrenje beforgte ber ©tinifterialrath im Krieg*minijterium
Karl Sed. 5ür ba* ©olfäfchutwefen war niemanb ba; ba*fetbe blieb oor*
läufig ben einzelnen ©ubemien unb 2anbe*fteßen $anb in £>anb mit ben
©ijehöfen überlaffen. Da nun aber auch biefer ©efchäft*$weig Dom äRinifterium
in bie $anb genommen werben foßte, ^atte man, ich tonte fdjon unter
geudjterWeben, ben nieberöfterreichifchen Segierung**@ccretär Sfriebrich Sitter
d. |>entt bem 9Rinifterium einftweilen „augetheilt". ®r war eine poetifch-
oeranlagte Satur, Äfthetifer, Dichter, SDtufiffenner unb jeigte ein warme*
§er$ für feine ©chuflehrer, beren öfonomifche ©teflung ja barnal* noch rinc
erbärmliche war. ©eneral*9?eferent unb ftanjtei^Director war 3ofeph Sllbrecht
©Wer oon ©ergenftamm. ©r war ber SieWing unb bie ©ertrauen*perfon
SeudjterWeben'* gewefen, ber ihn, wie früher erwähnt, Dom 3Rinifterial=
©ecretär, ber ©ergenftamm noch iw 2Rär$ 1848 gewefen, bi* jum ©iinifterial*
rath erhoben hotte. ©r war ©ureaumamt im orbinärften ©inne be* ©Sorte*,
Don einer fwh cren Äuffaffung feine ©pur, ber afle* that, Wa* ihm aufge*
tragen würbe, aber auch nicht* mehr, ©teichwof)! War er nicht ohne aße
©ilbung, er hotte namentlich Sinn für bie ©efchichte feiner Saterftabt unb
hat ein ganj nette* ©üchlein gefchrieben „©Sien im 3oh^ 1725" (©traufi’
©Sitwe, ¥(. Sommer, 1847).
Die eigentliche Seele be* äJtinifterium* war ©En er. ®r war, wie wir
un* erinnern, halb nach ©ilbung be* conftitutioneflen Unterricht**9Rinifterium*
au* $rag berufen worben, um bemfelben al* „wiffenfchoftlicher ©eirath" $u
bienen, „eine 3*onie ouf bie gewefene ©tubien^of-ßommiffion", wie ©jner
felbft meinte, „ber e* etwa* fpät eingefaßen ift, baf* fie al* Seiterin afler
wiffenfchaftlichen ©ilbung auch wiffenfchaftlicher Kräfte bebarf". ©ein ©er*
hältni* ju mir war ein folche*, wie ich wir e* nicht beffer wünfehen fonnte,
obwohl e* mein ©emüth ju Anfang etwa* bebrüdte: er, beffen Schüler ich
in ©rag gewefen war, $u bem ich noch immer mit einer gewiffen ©hrerbietung
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592
3ofepb Freiherr uon jpelfert.
hinaufblidte, er, ber fe^r gereifte SJtann, ber jefct unter einem fo jungen
5ant ftanb, mie ich mar! ©leichmohl hat er biefe feine je|ige Stellung mir
gegenüber nie aufieradjt gelaffen. So fet)r er mir an 3a^ren, an $enntniffen,
an ©rfaljrung, an ruhigem Urtheil überlegen mar, er fjat fich in feiner
Stiftung etrnaS h e *auSgenontmen, maS er nicht jubor mir oorgetragen nnb
moju er nicht meine guftimmung eingeholt batte.
©leid) nach Sonftitnierung beS SRinifteriumS fanbte mir Spier einen
(SonceptS-Veamten, Varon Stiefel, ben er Dom SRinifterium beS 3nnern
„entlehnte, ba mir feinen haben, ben ich anftänbig proburieren fönnte", ein
jüngeres „ffanäIei*3nbiDibium", 3ofepb Schön bach, „fehr DertäfStidj in ber
^Manipulation, aberjum ßoncept nicht ju brauchen", nnb einen SlmtSbiener,
unb ich hatte nun in fi'remfier niein ©räfibial^Vureau. Da übrigens alle*
in SBien ausgearbeitet mürbe unb baSjenige, maS Don Äremfier aus $u
beforgen mar, meift ich felbft unmittelbar Derfügte, fo batte Stiefel eigentlich
meuig $u tbun unb ich beschäftigte ihn bamit, bafS ich ihm neue Vüdjer unb
©rofdjüren, bie in baS Unterrichtsfach einfchtugen, jum lefen unb ejrcerpieren gab.
3mifcben mir unb Sjner mar nun ber SSerfehr ein fehr reger. Säglid)
befam ich einen ©ad Sieten aus SBien, meift Don einem Schreiben Spter’S
begleitet, morin er mich über alle Vorgänge, Sntmürfe, Vorbereitungen in
Kenntnis erhielt; bei mistigen Stücfen machte mich Spter brieflich aut
gemiffe fünfte, bie bei ber Veurtheilung in'S Sluge ju faffen mären, in
einem furzen Votum aüfmerffam. Säglich gieng Don mir ein ©afet nach
SBien jurüd, Sieten, bie ich approbiert ober $u benen ich meine Vemerfungeu
gemacht batte.
Üaufenbe Stücfe, bereu Srlebigung nicht aufgefchobeit merben tonnte,
besorgte Spter in SBien felbft unb unterfertigte bie betreffenben Sjpebitioneu.
Slüe anbereu Steinfchriften mürben nach Sremfier gefehlt, ju meiner obec
Stabion'S Unterfertigung. Sbenfo fanbte mir @pter alle Don ihm erlebigten
Stüde jnr nachträglichen ©inficht, in ber erften 3eit felbft einfache ßurrentien,
um mich mit bem ®ang ber ©efchäfte befannt ju machen unb mich in ber
Überficht berfelben ju erhalten.
®S mar bemunberungSmürbig, mie fich biefer SRann ber Satheber,
dou $auS aus ©elefjrter unb Schriftsteller, in baS Vureaumefen b^ein*
gefunben hatte. ®r lebte jefct ganj nur in biefem, Dom SRorgen bis in bie
Stacht; ich benfe, & Wirt ihm i e fcl 3dt übrig, ju feinen geliebten
Vüchent ju greifen, in beneu er bis noch w>r menigen ötonaten faft auS'
fchliefeenb gelebt hatte. Dabei fanb er fich iw & en Slngelegenheiten ber
philofophifchen Sacultäten ebenfo pirecht mie in benen ber theologifchen,
juribifchen unb mebicinifchen, im UnioerfitätSmefen ebenfo mie in ben ©pmuafial-
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$)ie grobe UnterricbtS*}Reform.
59a
in ben tedjnifdjen, in bcn ®ol(Sfchul*2lngelegenheiten. $ie ®ielfeitig(eit feinet
SBiffenS, eine gofge ber Sirt unb SBeife, mie bie £erbart'fche s ß^ilofob^ic
ifyre Slufgaben auffafSte, (am ihm hierbei Dorjüglich auftatten.
®ine etmaS unbehagliche Stellung hatte ich meinem Vorgänger im
Slmte gegenüber. SBaS geuchterSleben gemefen, baS mar jefct ich, toa* er je^t
mar, fonnte ich mieber merben; er hatte meidjen rnüffen, um mir s .ßlafc 511
machen, auch mich fonnte baS 2oS treffen, einem dritten ®lafc ju machen.
JeuchterSleben mar nicht Diel über Dierjig Saljre alt. SÜS er Unter^StaatS*
fecretär im SRinifterium gemorben, hatte er bie einträgliche Stelle als ®ice=
$irector ber mebicinifchen Stubien jurücfgelegt; jefct (am biefe Stelle nicht
mieber jur Sefefcung, ba fie in baS neue Stubien^Shftem nicht pafste. Nach*
bem ihm meine Srnennung befannt gemorben, hatte er an mich ein auS*
führlicheS Schreiben gerichtet. „3$ habe bie mir gemorbene Slufgabe au
einer $eit unb unter SSerhältniffen übernommen, mo ein energischer Singriff,
ein eittfchiebeneS £anbeln unerläfslich mar, menn baS ®ertraueu aller,
benen bie Neform in biefem $meige beS Staatslebens am $ei^en lag, nicht
getäufcht merben Sollte"; an mir als feinem Nachfolger merbe es nun fein,
bie Schritte, bie er unternommen, „entmeber jurüdjuthun ober nnficher meiter
au führen ober ans 6 nbe ^n treiben". 2)abei bemarb er fich bei Stabion
unb bei mir um ®ermenbung in unferem SRinifterium. „Sine untergeorbnete
Stelle in einem SRinifterium, in meinem man eine leitenbe eingenommen hat,
benimmt ber ®hre unb bem SBirfen nach meinem ©efühle nichts; biefer
bureaufratifche ©efichtSpunlt follte minbeftenS auS einem conftitutionellen
SRinifterium gemiefen fein". ®r erbot fich, ba ja bei ber beabfichtigten
"Reform beS öffentlichen Unterrichtes jeber Smeig beSfelbeu feinen JJfachmanu
haben merbe, baS Neferat über bie mebicinifchen Stubien 511 übernehmen.
Slber mar eS unferfeits nicht $u bebenfen, ob man einen SRann in biefe
Stellung bringen burfte, ber burch feine, menn auch burchauS gerechtfertigten
SRa®eln fo Diel Seibenfchaft ermedt, fo Diel £>afS auf fich gefaben hatte?
SllS eS alfo barauS nichts mürbe, bemarb er fich bei ©tabion als SRinijter
beS Innern um eine Stelle in bem neu creierten 3Rebicinal*©ollegium; allein
eS mürben ihm anbere, feineSmegS burchauS tüchtigere, Dorgejogen. So mar ber
bebauernSmerthe unb gemifs oortreffliche SRann jefct thatfächlich nichts als ein=.
racher 3)octor StRebicinae, ber fich eigentlich nie mit ber ®rajiS abgegeben hatte.
* *
*
SöaS nunmehr juerft gefcheheu mufSte, mar eine ^Regelung beS äRinifteriumS,
gana befonberS im ®erfonalftanbe: für baS Diele unb mistige, maS in allen
3meigen beS öffentlichen Unterrichtes in Singriff genommen merben follte,
reichten bie bisherigen ^Referate offenbar nicht auS.
Tie ffultur. 111 . 3ahtß. 8. ( 1902 .) 38
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594
3ofepb greiberv von Jpclfcvt.
8 lm 7. $ecember fc^tc ©ergenftamm einen ©lan „$ur {Reform be«
Unterricbt«*3Rinifterium«" auf, melden ©per mit feinen eigenen ©orfeblägen be^
gleitete unb mir nach ßremfier fanbte. ©ei ber früheren f. !. ©tubien^
$of * ©ommiffion Ratten möcbentlicb ober üier^ebntägig gemeinicbaftlicbc
Sifeungen ftattgefunben, ma« ber Sache nicht öiet nüfcte, ba ja boeb nur ber
gaebreferent ba« entfebeibenbe ©utaebten abgeben fonnte; auch trug e« gemif«
nicht pr ©efcbleunigung ber ®efcbäft«bebanblung bei. ©tabion batte bei ben
©ubernien unb 2anbe«fteIIen bie ®remial*©eratbung abgefebafft; jeher {Referent
füllte für fein befonbere« gad) bem Statthalter üerantmortlicb fein; «richtigere
©egenftänbe füllte ber Referent üor beren ©earbeitung bem Statthalter üor*
tragen unb mit biefem befpreeben. ©ine folcbe ©inriebtung feblug nun
©ergenftamm auch für ba« Unterricbt«'aRinifterium üor, ma« genehmigt mürbe.
{Run bie {Referate. ®ie ©hef« ber einzelnen ©ureau« füllten, mie
©ergenftamm meinte, nur bie laufenben ©efebäfte beforgen, . meü bieie
ihre 3eit fo fehr in 91nfprucb nähmen, baf« man üon ihnen nicht forbern
fönne, ficb auch mit ber {Reform ihre« 3meige« befchäftigen; leptere fei
Sache be« eigen« für bie {Refornt=grage berufenen {Referenten. ©jrner bin r
gegen meinte, bie ^auptfadje fei, baf« für jeben ^eig be« öffentlichen
Unterricbt«meien« ein tüchtiger 3Rann gefunben merbe, meil hierin allein bic
©ürgfebaft liege, „baf« bie ©efebäfte nicht mie früher ju einer meebanifeben
Öaubhabung ber beftehenben ©orfebriften, ohne ©inbringen in ben ©eift unb
ohne Streben, biefen ©eijt felbft p üerbeffern, herabfinfen"; habe bann ßbc
Vlbtheilung einen bemäbrten gacbmann al« {Referenten, bann fei biefer unb
fein anberer berufen, bie jeitgemäfee Umgeftaltung feine« ©ebiete« in bie
£)anb p nehmen. $a« mar gan^ richtig: menn aber ©per meiter meinte,
bann fei ber bi«berige {Referent für bie {Reorganifation, alfo er felber, über*
flüffig, fo mar er im Unrecht. $enn e« beburfte über ben {Referenten in ben
einzelnen Unterricbt«ämeigen eine« 3Ranne«, ber ba« ©attje ber ©tubienreform
in föänben hatte unb bafür forgte, baf« bie unerläßliche Harmonie, ber
gegenfeitige Bufammenhang unb bie gegenfeitigen ©epfjungen ber üerfebiebenen
Unter ricbt«$meige gemährt blieben. 911« gacb*{Referenten füllten jene für bie
Unioerfität«*gacultäten bleiben; p biefen fämen aber h^u: einer für ba«
©pmnafialmefeit, einer für bie Solf«fcbulen, einer für bie teebnifeben 2ebr=
auftalten, SRealfchulen, gorft* unb anbere Specialjcbulen, alfo, mit Jpinp*
reebnung be« ©eneralien* unb Saitjlei={Referenten, ftatt ber bi«berigen fünf
gacb s 9teferenten nunmehr acht.
gür bie {Reorganifation ber ©pmnafien hatte ©per, mie mir miffen,
feit langem Hermann ©onip in 91u«ficbt genommen, hatte auch mit ihm
unter geucbter«leben'« Sigibe bereit« angefnüpft. Unter bem neuen aRinifterium
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3)ie große Unterrichts ^Reform.
595
tarn (Spter auf bicfcn Sorfcßlag juriicf unb fcßrieb, nacßbem er bie ©rmäcßtigung
t>aju erhalten, gleich ant 28. 9tobember au Sonifc mit ber Slufforberung,
ficß nunmehr enbgiltig $u erflären. @S mar nicßt geplant, ißn bem äRinifterium
einauoerlcibeit, fonbern ibm eine Seßrfanael an ber SBiener Uniberfität ju
berleißcn unb ißn in biefer Stellung für bie Umgeftaltung ber ©pmnafien,
mie fie im DrganiiatiouSs®ntmurfe geplant mar, ju bermenben.
gür bie SReorganifation ber Uniberfitäten, unb inSbefonbere ber juribifcß*
Politiken gacultäten, braute (Spier beit ©rofeffor am I^erefianum ®r. ©buarb
‘Jomafcßef in Sorfcßlag. lomafcßef mar früher ©rofeffor an ber Öemberger
Uniberfität gemefen unb batte bort ein gutes 2lnbenfen binterlaffen. 6 r mar
^ugleicß 3Rit'$erauSgeber ber bon bem gefeierten ©rofeffor granj ffiagner
begrünbeten „Öfterreicßifcßen ^itfeßrift für SRecßtS* unb ©taatSmiffenfcßaft", im
©anjeit ein 9Rann, bon bem ficb jmedntäßige Sorfcßläge ermarten ließen.
Dieben ^omafeßef mar © t u b e n r a u cb, gleichfalls ©rofeffor am Iberefianum,
eine beacßtenSmerthe Straft, fomobl als Sebrer mie als ©cbriftfteller in feinem
gaeße; er follte an bie SBieuer Uniberfität gezogen merben. gür bie
IReorganifatiort ber jnribifcß*politifcßen SBiffeufcßaften mar mir bie ©efannt=
febaft bon großem s Jtupen, bie icb im $ecember in Kremfier mit ©rofeffor
3>r. 3 ofepb ©öjl aus äRüncßen maeßte. ®r mar jugleicß Sbgeorbneter im
granffurter Parlament unb mit Slbolf ©aur aus SlugSburg als SReicßS*
©ommiffär in Slngelegenbeit beS SerfaßrenS mit Robert Slum naeß Öfterreicß
gefeßiett morben. ©r maeßte mieß mit ber ©inrießtung ber ftaatSmiffenfcßaft=
ließen ober cameraliftifcßeu gacultät belannt, bie an einigen beutfcßeit
Uniberfitäten jmifeßen ber juribifcßen unb mebicinifcßen beftaub, unb berfprad)
mir, menn er naeß granffurt pirücfgefeßrt fein merbe, näßereS hierüber mit*
pitßeilen. 6 r ßielt feine 3uiage unb fanbte mir einen fiectionSfatalog ber
$Riincßeuer Uniberfität, bie eine folcße gacultät befaß; es beftanbeit an ißr
fünf orbentlicße unb jmei außerorbentlicße ©rofeffuren: für ginan^funbe, für
^olijei^SBiffenfcßaft, für 9?ationalöfonomie, für Statiftif, für Saitb* unb
gorftmirtfeßaft, für .panbelsmiffenfcßaft, für ©emerbefunbe, für ©eograpßie
unb ©etrefactenfunbe 2 c.
®ie Durchführung ber Reform beS UnterricßtSmefenS fonnte nießt
allein bom ©entrum auSgeßen, namentlich maS bie Solfsfcßule unb bie
aWittelfcßulen betraf, unb eS mar barum meiter nötßig, aueß in ben einzelnen
Königreichen unb Sänbern gacßmäniter pi befteHen, mäßrenb biefe ©efcßäfte
bisßer einfach in ben SureauS ber fianbeSftcfle erlebigt mürben. Das füßrte
*u ber ©cßaffung berSaubeSfcßulrätße. ©olcße gab eS bereits in ©rag unb
in fientberg, fie maren aber mäßrenb ber ftürmifeßen Seit in gan$ ungehöriger
SBeife ptftanbe gefommen; meniger ber faeßmännifeße Seruf als bie politifeße
38*
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r>96
3ofepß Sreißerr von geifert.
»tießtung ßatten bei ber Söaßl ber einzelnen aJtänner bcu Aumfcßfag gegeben.
„Der Sanbemfcßulratß", wie ©jrner fieß bie ©aeße backte, „mufm fünftift
eine ©eßörbe fein, wie bam ©uberitium ober bie ©ameraU©erwaltung; er
foll etwa aum brei Snbivibuen befteßen, jebenfaßm einem für bie ©offmfcßule,
einem für bie ©pmnafien unb aitbere SJiittelfcßuIen; em foß ißm geftattet
fein, gelegenßeitlicß anbere Sacßmäitner in verftärfter Anjaßl beließen.“
©nbfieß erfeßien em notßweubig, auch für bie ©ubliciftif ju forgen.
Xam Unterricßtmwefen follte von unten bim ßinauf auf neue ©runblageu
gefteflt werben, nnb bam roar ein fo großartigem SBerf, bafm man bebaebt
fein mufmte, bam publicum in forttväbrenber Sfemttnim beffen, wam im ©ange
mar, 51 t erbalten unb bam Sntereffe bemfelben bafür ju gewinnen. ©m tvar
bam namentlich @ta bi on'm Säunfcß, unb in biefern Sinne fd^rieb icb fcboti
am 27. November an ©jener: em foßte bafür ein eigener 9Kann gewonnen
werben, „bamit ©ie bnreb bie äWaffe ntinber wichtiger laufenber ©ejcßäfte
nicht abgeßalten werben, Sßre gan$e X^ätigfeit ben größeren umfaffenben
Arbeiten unb ber ßeitung bem ©attjeit jujnwenben." 3 n ber Ißat unternahm
cm ©jener, einige jüngere äRänner ßeran$uäießen, bie ficb bereitm in ber
^ournaliftif verfueßt bitten ober von benen er voraumfeßte, bafm fie, von
ißm gehörig inftrniert unb informiert, ben richtigen Ion treffen würben,
©r baeßte babei au Ir. Stöbert $i mm ermann, ber barnaim an ber
Wiener Sternwarte vermenbet würbe, aber alm aumgefproeßener ©oljanift
meßr ju ben pßilofopßifcßen ©tubieit ßinueigte; an ©rofeffor ©eßmibt*
© 0 e b e I, meinen früheren ©oßegen in Strafau, ber nun bureß bie ©utlaffung
ber „beutfeßen" ©rofefforen um fein ©rot gefommen war; an $errn v. ©eitp,
einen natürlichen ©oßn bem berühmten ©ubliciften. A(m icß bieje Starnen
(am, ftieg in mir bie ©eforguim auf, bafm fieß in folcßen £änbcu ber
Srantfurtiauimmum breit maeßen würbe; boeß ©per antwortete: „SWeinc
Siberalen Werben nießt ultra*beutfeß fcßreibeit, bafür werbe icß forgen; eßer
füreßte icß, fie feßreiben gar nießt. ©im ßeute wenigftenm ßabe icß feine
$eile gefeßen. gorbere man von ben Seuten ßingeßen auf einen fpecieflen
©egeuftanb, nießt b(om aßgemeine fragen, unb fie ßaben Weber 3 eit noeß
üuft . 41 ©0 war em in ber Ißat; bam, wam Wir im Unterricßtmrninifterium
vorßatten, war ben Seutcßen fremb, nnb wenn ©jener einen beleßrenben Artifel
ßaben Woßte, wie er ißn baeßte unb Woßte, rnufmte er ißn meift felbft feßreiben.
Aucß bie ©egriinbung einer Schulleitung fam in Srage; oßne eine
folcße, meinte ©jener, (affen fieß nacßßa(tige Umgeftaltungen nießt benfen;
bie .ßeitfeßrift rnüfmte mit ber Steform gleicßen ©cßritt halten, fie einleiten,
förbern unb befeftigeu; bie Stage fei nur, wie vie( ber SRinifter barauf
verwenben woße: „©iiügem wirb woß( bureß Abonnenten eingeßen, boeß auf
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Die große Unterrichts Reform.
597
oiel ift niept ju regnen, eine ®hmnaftal*,3eitfchrift put ein fleitteS publicum,
eine Schulleitung ein fe^r armes."
3 n ftremfier ftetlte fiep mir gegen ©nbe Stooember Slbolf Stitter oon
2BolfSfron oor, ber bis zum 4. December blieb unb mit bem ich in biefer
^eit faft täglich beifammen mar. ©r mar 3lmtS*©ontrolor bei ber ©rünner
f. f. £otto*Direction, einem ©often, ben er um beS lieben ©rotes mitten oerfap.
Denn er mar ein Wann non fcpäfcenSmerten Senntniffen, oott Siebe für
©efepiepte, SHtertpum uub Sunft, auch Schriftftefler auf biefem ©ebiete.
Unter anberm ^atte er einen „offenen ©rief" über bie $uftänbe ß er ©jener
UnioerfitätS*©ibtiothef gefeprieben, megen beffen ihn ber ©ibliothefar Sranz
Sechner ber Denunciation befcpulbigte, unb nun lagen fich bie beibett
©eiehrten coram populo litterarifch in ben paaren. SBolfSfron'S $erjettS^
mnnfeh n>ur, int UnterricptSminifterium angeftettt unb baburep, mie er mir
Schrieb, „oon einer oerfehlten SebenSbahit auf bie rechte gebracht 51 t
merben." Sch theilte bieS ©per mit, bev mir antmortete: „3fcp habe über
SBolfSfron fein Urteil, ich erlaube mir nur 51 t bemerfen, bafS mir Wänner
brauchen, bie fogieich an ben Arbeiten theilnebmeu fönnen, nicht folche,
bie erft Wonate brauchen, um fich 5 U orientieren."
giir „BeitungS* unb ©üeper^orftubien" fcplug ©per ben Sofeph
Wozart oor. Wozart mar „öfficial" im Winifterium beS dufteren, patte
aber menig 51 t thun, „Danf bem Schienbrian," mie mir ©per fchrieb, „ber
bort ganz nichtige Sucapacitäten heroorhebt unb einen mahrhaft ausgezeichneten
ftopf feiern läfSt, meil er fich fehlet repräfentiert unb nirgenbS oorbrängt."
Unter ben „nichtigen ^ncapacitäten" meinte ©per ben SegationSrath |>übner.
Der oerftanb eS aflerbingS trefflich, fiep geltenb unb bemerfbar ju machen
unb mar ganz ber SRnnn ber glatten 9Waniereu unb ber glatten Siebe, mie
ihn bie Diplomatie braucht; babei mar er aber nichts meniger als eine
„3ncapacität", fonbern ein Wann oon Seift, oon Senntniffen unb einer
nicht geringen ©elefenheit. Wozart mar in feiner ©rfcheinung unb feinem
äufcereu Söefeit baS gerabe ©egeutheil oon £übner: (infifch unb eefig, über*
haupt ein Sonberling, ber oon SRepräfentation feinen Dunft h a ^te. Dabei
mar Wozart oon einer phänomenalen £>äfSlicpfeit; über fein Säbeln, baS
ihn noch niepr entftettte, meil er bie üorberen 3 üpne faft alle oerloren putte,
erlaubte ich mir ben 33ßip: er hübe gleich ber Seit nur einen ^apn. Doch
biefe unfepöne Schale barg einen foftbaren Sern. Wozart befafc reiche
Spracpfenntniffe unb mar überhaupt ein Wann oon allgemeiner unb oor*
Züglicp claffifcper ©ilbung, ein ppilofoppifcper ©eift, ber fich i>on ©per
ungezogen fühlte mie biefer oon ihm. 3ni ganzen mar Wozart mehr zum
gelehrten ©vitbler als zum praftifchen ©efchäftSmann geschaffen; boep in
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598
gofeph greifen: von geifert.
einem äRinifteriunt, bei bem es luefeittlid^ mit ber pflege nnb görberuttg.
ber SBiffenfchafteit ju thun gab, hat er fid^ binnen furjer grift eingearbeitet
unb ift ein fehr brauchbarer Seamter gemorben, ber bem Staate treffliche
Dienfte leiftete. Da 9Jio$art mit ber italienifchen Sprache unb Sitteratur
oertraut mar, fo liefe er fich für baS Stubium im lombarbo^oenetiauifcheu
Königreiche fehr gut braunen. Sorläufig mürbe er aber blofe in aufeerorbentliche
Sermenbung genommen, fo bafS er neben feiner Sefcfeäftigung im auSmärtigeu
kirnte eine Stemuneration bejog.
*
* *
An Semerbungen um Sermenbung im Unterrichtsfach fehlte eS, mie
fich begreifen läfSt, burchauS nicht, unb ich mürbe üom erften Augenblicfe,
ba meine Ernennung befannt gemorben, mit Sitten, Anerbietungen, Sor~
fchlägen beftiirmt. s Jtoch beoor biefc förmlich ausgesprochen mar, tarn mir
ein Schreiben grauj gfibor $rofd)fo’d ju, ben ich aus meinen Stubieu
her fannte. Er hatte früh begonnen, fich auf ichriftftellerifehern ©ebiete $u
oerfuchen, eines feiner Dramen, baS in Sibirien fpielte, mar in ®rag 0011
Dilettanten gefpielt morben. Sr mar jefct Soli^ei^Eommiffär in Sinj, bodj
feine Steigung jog ihn jitm Sehrfache, er mänfefete eine Stelle am ©pmitafium,
momöglich in ben £umanitätSclaffen. P. Abalbert Kune£, Srämonftratenfer
oon Depl, am Srager $iariften*©hmnafium mein 9Witfchüler, jefct jmeiter
Affiftent ber ffiiener Sternmarte, miinfehte Serfefcung nach Srag, „ba ber
Sau ber neuen Sternmarte bereits bemiüigt" fei unb baher bie oerntehrtc
Arbeit bie Seifteflung einer ^pilfsfraft nothmenbig machen merbe.*>
Dh*ot.*Dr. Johann gabian, jefct Srofeffor in Saljburg, münfehte gleich*
falls bie Serfefcung nach Srag, unb baS gleiche erbat fich Sh^ s ® r - Boren*
©abriel, Srofeffor in ©ras, „um beit hoffnungSdoüeit Söhnen meines
SaterlanbeS als philofophifcher Süprer $u bienen." Srofeffor Johann Ehlupp
in Semberg bat um ©ehaltsoorrüdung: mein feliger Sater, fein „hoch*
oerehrter greunb unb ©önner," habe ihm $ur Sehrfanjet oerholfett unb er
hoffe nun, ber Sohn merbe bie SöiHfährigfeit beS SaterS auf ihn übev=
tragen. Einen her^erreifeenben Srief erhielt ich Oon grau äJtathilbe Saufofcft):
ihr SKaun, mein grettnb unb Stubiengenoffe, an einem @t}mitafium im
Senetianifchen angefteüt, jefct mit Urlaub in Srag, moüe nach gtalien
jurüeffehren, „mo jefct noch ®neg ift^" ltub fie mit ben Kinbern in Srag
juritdlaffen; ihre Sage fei fchrecflich, unb fie bejehmöre mich, ihm einen Soften
außerhalb gtalienS ju derfchaffeit. SWattche ber Sittfteller ftedten fich hinter
irgenb einen mir nahefteljenben Srotector; mie mir SRubolf Sreftel oom
*) Setanntlich ift biefe SeioiUiguitg bis heute nicht realiftert morben; ber pro-
jcctierte Neubau follte, roenn ich mich recht erinnere, auf bie ÜJtarienfchan$e fommen.
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Tie grofee Unterricht* 5 9tefarm.
599
fflünifter Krau* bringenb empfohlen mürbe, fo empfahlen mir ©ruef bcu
s JJteb.*Tr. ©reuniitg, „ben au*ge$eichnetften 3ögling Tiefenbach'* ", mein
9teich*tag*s®olIega Tr. geifalif einen fran*öfifchen Sprachlehrer am
Srümter ©pmitafium, JRr. 9luguft (Snarb k. *c. Unb ba* atte^ in ben erften
©Jochen meiner ©mtierung, in ber ich wich falbft wft 5 urec h* b n P^ben hotte!
Sluch befangen mürbe ich bereit*! Ter Dlmüfcer 2 ehramt**©anbibat
3t. äöolf mar am 3 . September t>om SRinifterium jum Supplenten ber
böhmifchen 2 ehrfan§el an ber bortigen philofophüchen gacultät berufen morben.
Tie ©rofefforen hatten fan, mie er nachberhanb erfahren, nicht borgefchlogen,
ja £>anu* unb ^jelcelet fogar eine ©ermahrung gegen biefe (Ernennung, meil
fie ohne (Einbernehmung ber gacultät erfolgt mar, eingereicht. SBotf legte
be*hofb feine (Ernennung 5 urücf, ba e* nicht feine Slbfidjt fein fönne, fich
in eine Körperfdjaft ohne bereit 3 u fammung ein$ubrängen „unb ich e ' ne
Stellung $u erlangen ftrebe, in ber ich in Trieben unb Harmonie mit jeher*
mann bie Silbung ber gugenb förbern fann". (Er bat um eine Humanität**
lehrerftelle in ©riinn unb legte, um ©roben feiner Befähigung $u geben, ein
©ebicht in lateinifcher unb eine* in griechischer Sprache oor, beibe 511 meinem
©rei* unb Sob oon ihm felbft oerfaf*t.
(E* maren aber auch jofehe, bie gerabeju einen ©often im
Unterrichtäminifterium felbft anftrebten, unb bie menigften maren fo ehrlich,
einjugeftehen, baf* e* ihnen nur barum ju faun fei, ©rot ober beffere*
©rot $u befommen; bie meiften berfaherten, fie thäteu ihren Schritt
au* reinem gntereffe für bie Sache. Tenn ba* Uuterricht*mefen unb
bie ©olitif haben ba* miteinanber gemein, baf* jeher fein SBörtchen mit*
iprechen ju fönnen glaubt. SBer nur felbft feine Schulen mit leiblichem
(Erfolge burefaaufen hot, meint barum bie Befähigung ju hoben, on* ^ u ^ er
treten ober boch mitarbeiten $u tönnen. Ta bcrfpürte ber eine einen „unmiber*
ftehlichcn Trang $u rnirfen" unb glaubte biefen nirgenb* beffer al* im
Unterricht**9Rinifterium fallen $u tönnen, „oorberhanb unentgeltlich ohne
allen 9tang unb Titel". (Ein anberer hotte längft ^freiere ©ebanten" über
3?eorganifierung be* Sanität*mefen*, über ©egenftänbe ber 2 anbe*tultur ober
auf bem ©ebiete ber Kunft unb meinte, biefen ©ebanten am beften in ber
betreffenben ©btheilung be* Unterricht**9Rinifterium* ©eltitng beridfaffen ju
tönnen. Sin britter hotte „einen ooOftänbigen (Erjiehung*plan üon ber ©eburt
be* Kinbe* bi* $u ben gacultät*ftubien, biefe ejclufioe, nach ollen feinen
©er$meigungen entmorfen"; mie fönnte er biefen beffer realifieren, al* burch
feine ©ermenbuitg im Unterricht*s3Rinifterium ?! Unb merfmürbigermeife, bie
meiften folget meltoerbeffernber ober nrnmäljenber ©läne hotten ganj junge
2eute, bie felbft faum erft etn paar Schritte in* praftifdje 2 ebcn gemacht
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m)
^ofeph Freiherr oon geifert.
patten. s 2luch mein alter Sreunb P. Sttpanafiu« ©ernparb melbete fiep bei
mir, aber nicpt, um für fiep ober für anbere etma« zu erbitten. ®er minifterielle
©ntmurf über bie SReorganifation be« Unterricptsmefen« befriebigte ipit gar
nicpt. Multa sed non multum enthalte er unb ba« «unicum necessarium»
fei faft üergeffen. @r beforgte, „baf« unfer Unterricht in ähnlicher SBeife mie
in 3rantreicp au«arte unb auf biejem SBege einen ,@eifterfturm herauf*
befcpmören merbe, ber bie eble unb nocp unoerborbene fttaft unjerer SSötfer
oernicpten miif«te. (Glauben Sie mir," fitpr er fort, „nicpt fomopl SBiffen*
fcpaft unb allerlei Äenntniffe bebarf ein freiem Solf al« oielmepr ausgezeichnete
ßparaftere unb ©erecptigfeitSliebe; biefe aber murmeln zulefct immer nur in
ber Steligiofität, im ©lauben, unb mer biefe ©runbfäulen aller politifcpeu
greipeit auf ben jefct lanbläufigen oagen EumaniSmu«, ober beutlicper, auf
ben mobernen 3nbifferenti«mu« grünbeu miü, ber bauet auf ©anb unb grabt
ber greipeit, meiner Überzeugung nach, ba« ©rab."
9lucp au« grauffurt a. SW. erhielt ich ein Schreiben. 3Jtein greunb
5)r. Smil SRöfcler unb mein ehemaliger Srafauer Kollege SWafomiczta
maren SWitglieber ber bortigen *Wational*®erfammlitng. SWafomiczfa mar, trofc
feinet uvjlaoifcpen Flamen«, ein üerbiffener $eutfcper, bem aQed ©laoifcpe in
bie Seele jumiber mar. Slucp SRöftler mar oon beutfcper ©efinnung unb
ben lenbenjen feiner flaoifcpett SanbSleute nichts meniger als gemogen:
aber er fümmerte fiep im ©runbe nicht oiel um politif, er ftecfte auch
in granffurt lieber in ©itcperu unb Urfunben. ©0 gerietben beibe in
bie ?tepe ber ftaifer*Preufcen, au« benen fie fiep nicht mieber loSreiben
tonnten. Öfterreich mar ihnen jefct nur ein 9lnpängfel oon $eutfcptanb, nach
biefem füllte eS fiep richten, oon granffurt foüte eS jeine SBeifungen erhalten
unb befolgen. SRöfcler pieng mit einer rührenbeit ^ärtlicpfcit an feiner Heimat
— er mar au« Sriij: in ©Öhmen — unb erapfanb bie« jept in ber grembe
nur um fo tiefer. @r oerfolgte alle«, ma« fich in Öfterreich zutrug, mit
marmem 3utereffe. „9Rit melcher Spannung mir unferem ©aterlanbe fern*
fteheitbe Wbgcorbnete jeber .ßeitungSnacpricpt entgegenfehen, bie nn« au« unferer
Öeimat Sdtnbe bringt, ift mopl erflärbar. 3Rit ber Sntfernung mächft bie
Siebe für ben Oaterlänbifcheit ©oben unb oergröfeent fich bie Sorgen um
ba« 2Bopl unb 28epe be« fianbe«. 9tur mit. ©angen febe ich ber 3utunft
entgegen." 6« erfolgte bie Einrichtung SRobert ©lum’«, momit SBinbifcp®räp
bem beutfehen Parlamente ben Trieben fünbigte; eS erfchien ba« Programm
Schwarzenberg - ©tabion, ba« ben fä'aiferftaat unabhängig oon Seutfcplanb
auf feine eigenen ©eine fteflt, nitb nun tonnte fich greunb SRöfjler oor ©e-
ftürjung nicht faffeii: „XaS finb ©rfepeinungen", fchrieb er mir, „bie alle«
übertreffen, ma« mir hoch immer beflagten". fRöfjler fah mit ber mieber ge*
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601
3ofepb greifterr oon geifert. $)ie gro&e UnterricfttS^eform.
wpnneneu Straft ber ^Regierung bic alte ginfterniS über Öfterreich herein 5
brechen unb- befdjtoor mich, ba$u nicht bie £anb $u bieten. „fiannft bu mir
ernftlich fagen, baf^ ein anbereS geiftigeö Seben in Schule nnb frnuS er^
ftehen foü? 'SafS jene Sfluft, bie, angeblich nur burdj Stetternich gefdjaffen,
linier Streben hemmte unb eS nicht jur ©lüthe fommen lieft, auSgefüüt
werben fotl ? s Jlocft einer freieren Serfaffung ber Uniüerfität ftrebten wir ja
im ftiflen äße mit füfter 3 nbrunft, wir felbft gefneeftteten, einer befferen
güljrung wert! Steurer geifert, lebe ferner biefen gbeen, bie bu ja früher
felbft gebilligt haft!" ©r feftilberte mir mit grellen garben bie $eit, „wo
wilbe gluten über ben 2lder ftinbroufen, ben ber Sämann für fiinftige geiftige
grueftt bereiten foll; wo Sturm unb Söcttcr ben SKüdblid unb bie SorauS^
ficht trüben; Wo ber ©oben fdjwanft, ber ©oben, auf bem man feft unb
unerfcfiütterlicft ftehen foflte! $aS foü eine Aufgabe fein für einen noch jungen
©tarnt? ©in alter Staatsmann würbe fie faum 51t erfüllen wagen! 3a,
föuute ein SegenSwunfcf) eines deiner älteften unb treueften gveunbe ®ir
bie Aufgabe erleichtern! könnte ber SBunfcft gliihenbfter ©aterlanbsliebe eines
für bie ©röfte unb ©lüthe geiftiger fträfte tief begeifterten ÖfterreidjerS baS
3iel ber Söfung deines ©erufeS näher rüden! ©on Schmeichlern, Schürfen
unb Höflingen", fo fdjlofS 9töftler feine ©tahnung, „bift $u gewifs umgeben,
aber eine Sprache, wie bie meinige, ift jutoeileu Wie frifcheS Queüwaffer,
baS für ben ©tagen befonberS am ©Jörgen fehr gefunb ift". 3<h tonnte nicht
fogleich antworten; er feftrieb mir ein ^weites*, britteSmal: „$u haft fein
SBort beS IrofteS für mich, $u, ber ntir gemifS offene ©rflärungen
geben fönnteft?!" ©nblich fanb ich 3 ?it 51 t einem längeren ©riefe, aus welchem
er erjehen fonnte, bafS meine Slnjchauuugen fich nicht geänbert hatten. 6 r
banfte mir begliidt unb erfreut. Seine ©eforgniS, WaS bie ©eftaltung beS Unter*
lichtes in Öfterreid) betraf, foüte fich nicht erfiiüen; im ©egentheil, als er
einige 3 ah*e fpäter SBien befuchte, brüdte er mir feine ©ewunberung aus.
©r wäre nun gern nach Öfterreich jurüdgefommen; aber feine politifche
Haltung in granffurt hatte ihm ben SBeg baftin uerfperrt. Unfer junge
ttaifer woüte 001t ben oier Öfterreichern, bic für baS preuftifche Erbfaifer*
thum geftimmt hatten, ein für aüemal nichts wiffen. ©öftler fanb in ‘J'eutfch 5
lanb eine befcheibene, aber anftänbige Steüung, er führte ein geliebtes SBeib
heim — aber baS Heimweh überwanb er nicht, ©ine tiefe Schwermut!) he
mächtigte fich feiner immer mehr, unb fo oerlieft er eines lageS fein |>auS
unb fehlte nicht mehr jurüd; im nahen SEBalbe fanb man iftn erhängt.
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Bischof (Uilbelm Kettelet
Bon Cfiomae H)*l|0f*r (t).
I.
^frine einjigbafteßenbe ©rfcßeinung in ber SEBeltgefchichte ift e*, roie bie
fat^oUfd^e Sirene e* üerftanben hot, nicht nur allen ftulturfactoren,
auf bie fie im Saufe ber gahrhunberte geftoßen ift, fich ohne Aufgabe be*
eigenen SBefen* anjupaffen uttb ihnen gerecht ju toerben, fonbern auch bie*
felben in fich aufjunehmen itnb fie jn oevebelu. 3)ie Slirche (S^rifti ift nicht bei
ben guben fielen geblieben, beneu ja juerft bie Srot>botfchaft galt; ba*
.peflenenthum unb ba* Stömerthum, toie fdjließlich ba* ©ermanenthum hoben
eine neue Auferftehung burch ©hnftu* gefeiert, unb auch bie beibett größten
geiftigen ©etocgitngen be* SWittelalter* unb ber begimtenben SReujeit, ber
Ariftoteli*mu* be* breijehnten unb ber $umani*mu* be* fechjehnten 3ahr*
ßunbert* fanben bei ber Sircße mohlmotlenbe* ©erftänbni* unb roeitefte*
©ntgegenfommen. ®* ift alfo eigentlich felbftnerftänblich, baf* auch bie fociale
Strömung be* neunjehnteu gaprhunbert* üon ber Kirche nicht überfeinen
iperben tonnte. $eute gilt bied fchon al* tmHeubete Jhotiacße, ba bie Äirche
bereite burch Seo XIII. officiell bie fociale grage in ihren ©ereid) gezogen
hat. Aber barnm finb bie einjelnen Schritte, burch bi* fich eine jolcße
Annäherung allmählich öolljogen hot, hoppelt intereffant.
©rincipiell unb in großem 9Raßftabe ift biefe Annäherung juerft
burch einen beutfehen ©ifcßof erfolgt, burch ben ÜRainjer Dberhirten
Wilhelm Zettel er.
3Bof)i hoben fich um einjelne gingen focialer v Jtatur fchon oor ihm
mehrere anberc toeitblidenbe SRänner hoh^ ©erbienfte enoorbeu; e* fei h^ 1 ’
nur au ben maderen ©efellenoater SJolping erinnert. Allein biefe unb ähnliche
©erfuche mufften naturgemäß auf ein engere* ©ebiet befeßräntt bleiben unb
moHteti auch nicht* anbere*. 6rft Setteler hot mit eminent praftifchem ©lid
unb mit ber Autorität be* ©ifchof* biefe einjelnen Sorarbeiten auf eine
aßumfaffenbe großartige Safi* geftellt, toenn er auch bie Au*führung bc*
©ebäube*, ju bem er ben ©runb gelegt, ber 3utunft überlaffen muf*te,
toeil eine folcße Arbeit eben bie Shaft eine* einjelnen äRenfdjen überfteigt.
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©ifchof Wilhelm Äettelcr.
603
3ebenfall3 ift Sfetteler’S SBcrf ein jo bebeutfameä, baf$ oielleicht bie ©efchichte
ipäterer Seiten, wenn bie fociafc grage unferer läge ihre Antwort gefuttben
hoben unb jebermann non ihrer eminenten ©ebeutung burchbrungen fein wirb,
ben SJiainjer ©ifchof alä einen ber für bie ftulturgefchichte beä 19. 3aßr*
bunbertd bebeutenbften fatfyolifdjen Dberhirten feiern wirb.
SBenit e3 fidj borura hanbelt, Äetteler'S ©ebeutung als focialer ©ifchof
mit einigen wenigen 3 ügen 5 U jchilbern, jo tommt baS, wa£ man jonft oon
ihm in ber Öffentttdjteü weiß unb woran ^eute jeber beim SluSfprechen be$
Samens Setteler junächft benfen bürfte, in feiner SBeife in ©etracht. 5)ie
©efchühtSwiffenfchaft hat ja nicht bie Aufgabe, bie einjelnen Jpanblungen
eines einzelnen 9WanneS ber Steife nach aufjujählen, unb wenn fie aud)
biefe (Sinjelt^aten pflichtgemäß regiftriert, fo fomrnt für bie ^iftorifc^e
©ebeutung einer ©erfönlicßfeit hoch bloß baSjenige in grage, worin biefelbc
ber 9Q?itwelt neue ©ahnen gewiejen unb auf bie Fachwelt maßgebenben
©influfS gewonnen hat. Sängft h' ntcr wnS liegt bie ^eit, ba man fieß bie
©efeßiehte als eine Summe twu auSwenbig ju lernenben 3ahre£$ahfen fammt
ben 5 U biefen 3 a hkn gehörigen „4>aupt* unb StaatSactioneu" baeßte. SBenu
man fieß baher in ben Siebziger 3aßren über ftctteler’S Spaltung auf bem
oaticanifchen ©oncil unb über feine bemüthige Unterwerfung unter beffen
©ejcßlüffe lebhaft unterhielt ober wenn ttetteler eine 3 ?itfang eine wichtige
politifche Solle fpielte, fo finb biefe ©tappen feinet Sebent hoch nur oon
recht ephemerer ©ebeutung gegenüber feinen unfterblichen Scrbienften um bie
fociole grage.
gür bie ©efammtbeurtheilung Sletteler'S ift biejer ©^fichtSpunft uoit
heroorragenber Xragweite. 3Mit Stecht legt bie moberne ©efehichtswiffenfehaft
auf ben ©ßarafter eines SJtanneS ben größten Sacßbrucf; benn nur auf
genauer pfpchologifcßer ©runblage finb wir imftanbe, ein witftich getreues
unb hoher ^iftorifd^e^ ©ilb einer ©erfönlidjfeit unb ihre# SBirfenS 31 t
gewinnen. ®ie firchengefcßichtliche gorfefjung hat am wenigften ®runb, in
mifsoerftanbenem apologetifchen gntereffe biefe# gunbament 3 U öernachläffigen,
unb wieoiel gerobe in biefer Sichtung noch $ü thun MX bat SUbeVt ©hrßarb
in (einer s 2luffeßen erregenben SintrittSoorlefung über bie Rirchengefchichte
mit allem Sachbrucf betont. Slber eine folche pfpchologifche ©harafteriftif wirb
wohl am ollererften mifSrathen, wenn ein im ©arteibienft ftehenber politifcher
3ournalift fie oerfucht. ©erabe hiafichtüch fietteler'S fann bie ©reffe nicht
baoon freigefprochen werben, baS pfpchologifche ©ilb beS großen ©ifchofs bis
}ur Unfenntlichfeit entftellt 3 U haben, — unb hoch ift eS eigentlich gar nicht io
ichwer, einen fo offenen unb geraben ©harafter wie Äetteler in feinem
Sinnen unb brachten nachsuempfinben unb 31 t begreifen.
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IbomaS SBepofer.
tl<)4
^cr ©runbfehler, ber bisher ju aßen abträglichen Beurteilungen oon
Stetteler’S ©harafter SlnlafS gegeben hot/ bürfte mohl ber fein, bafS man
ben ganj unmiffenfchaftlichen SBeg eiugefchlagen hot, irgenb einen miflfürlicheu
HWafeftab anjnnehmen nnb mit biefem bann Setteler'S SBirff amfeit $u meffen.
Sluf biefe SBeife mirb man aber überhaupt feiner einzigen hiftorif^eu
Berfönlidjfeit gerecht Serben; unb gerabe fotche Beurteiler mürben fich am
aüererften fträuben, menn man ihnen gegenüber baS gleiche Verfahren jur
Slnmenbung brächte. SBentt ein ©holerifer — um ölten, aber noch
populären ©harafterfategorien hier ber Slnfchaulichfeit megen beyubehaltett —
einen SWelancholifer nach feinem eigenen ©mpfinben beurtheilt, fann baS
(Ergebnis nur ein unfreunblicheS fein, unb baS ©leidje mirb eintreten, menn
ein Saitguinifer unb ein ^h^egmatifer oon ihren eigenen fubjectioen BorauS*
fepuugen aus eiuanber prüfen.
®anj unb gar uumiffenfchaftlich ift eS ferner, jemanbent jujumutben,
er foße nicht bis ju einem gemiffen ©rabe ein'&inb feiner 3eit fein; jeber
ÜRenfch fteht hoch bemufst ober unbemitfst unter ber ^errfdjaft feiner ©r^iehung
unb beS ©influffeS feiner Umgebung unb Perhält fich biefen gactoren
gegenüber je nach feinem ©harafter mehr ober meniger ^uftimmenb ober
ablehncnb.
SBemt jentanb ber ©pröfslittg eines alten meftphälifchen SlbelSgeftlechteS
ift, einen guriften unb BermaltungSbeamten jum Bater hat unb felbft gurift
unb BermaltungSbeamter mar, fo mirb niemanb fich tounbern, bafS ber
Betreffenbe bei ber gührung irgenb eines StmteS unbemufSt jene ©igeit*
thümlichfeiten jum SluSbrucf bringt, bie ben Slriftofraten nnb ben gurifteu
charafterifieren. ©o mar eS bei fietteler, unb eS ift nicht einjufehen, mic
eS hätte anberS fein mögen. Unb menn jemanb Pier gahre in einem
©r^iehungSinftitut ber gefuiten angebracht h a *> fo mirb eS leicht erflärlidi
iein, menn biefer 3ögling auch fpäter noch c i ne auSgefprochene Anhänglichkeit
an ben Drben funbgibt, mie bieS Stetteler thut, fo mie auch anberfeits
begreiflich ift, bafS gerabe ein 9Witglieb ber ©efeßfdjaft gefu eS auf fid).
nahm, eine ausführliche Biographie beS BifdjofS au fchreibett, ber in SBort
nnb Schrift fo marnt für bie ©ache beS DrbenS eingetreteu ift.*)
.Stetteler hot juerft 3uS ftnbiert unb mar bann einige 3*it unter'
georbneter BermaltungSbeamter. ®amit ift feine ©eifteSrichtung im aflgemeineit
aur ©eniige gefennjeichnet. SBenu nun biefer junge äftann fich SSncfter*
ftanbe htgeaogen fühlt, fo bringt er an baS Xhcologie-Stubium bereits eine
föeibe oon BorauSfepuitgen mit, bie eS böchft unmahrfcheinlich machen, er
*i Ctto «Pfißf S. J., S3ifd)of oon ftetteler. Trei Bänbe. Btainj, gran* $irdh
heim, 1899.
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©ifchof ©Mlhelm .Hcttelev.
(505
werbe fid^ jefct auf einmal bic tljeologifche SB i f {c n f d) a f t 511 feinem i*eben*=
beruf ermäßen. Mau (aitn ja eilt tüchtiger uitb frommer ©ricfter unb auch
©ifchof fein, ohne beSfjalb bie theologifche SBSiffenfd^aft burch 5)etail=
mtterfuchungen geförbert ju haben. Unb wer nicht felbft miffenfdjaftlicb
tljätig gemefen ift, h fl t auch in ber Siegel nicht bie ©egeifterung für rein
miffenfchaftlicheä Streben, tuie fie allen jenen eigen ift, bie mitten im
wiffcnfchaftlichen Sebeit fteheu unb au bemfelben theilnehmenb unb jelbft=
ichaffenb ihre fiebenöfreube finbett. SBeitit alfo nicht einmal ®öllinger'* ®iu=
flnf$ — ftetteler hat ja in München unb bei Xöllinger Ih co ^°üi e ftubiert -
binreichte, au£ bem jungen 3 uriften unb Xh c °l°fl* n einen ®elehrteit ju
machen, io brachte jebenfaHS ber weite ©lief, ben ba3 theologifche Stubium
für ade ßrfcheinungen be$ fachlichen Sebent ber Sergangenheit nttb ^ufnuft
eröffnet, reichhaltigen Stufen. 2)enn berfelbe Mann, ber auf bem oaticanifchen
(Xoncil fich mit manchen feiner bentfehen Wmtäbrüber an theologifcher
©elehrfamfeit nicht meffen tonnte, hat fie alle auf einem anberen ©ebiete
iibertroffeu, ba3 jwar nicht in bie theoretifchc, aber in bic praftifche
Xheologie einfehlägt: auf bem Selbe ber focialett S*age, wo er bahubrechenb
geworben ift.
Sßäre ftdteler ein Mann ber SBiffenjchaft gewefeti, bann hätte er
ba* ©roblent, auf beffen ©ebeutung er nur traft feiltet SlmteS als ©ifchof
unb auf ©runb oon frentben Arbeiten ^imoeifen tonnte, felbftäubig an$u=
faffen oerfneht; er hätte bann bie ©efchichte ber ©ejiehuugeu ber (ShnftuS-
veligion flur ©efeflfchaftSorbnuug burch alle 3 ahfh un berte oerfolgt, hätte bie
einzelnen ©robleme fchou im Urchriftenthum, in ber oorconftantinifchen
Mivche, in ben Schriften ber ©äter, bei ben bebeutenberen Scholaftifern bee
Mittelalters, in ber groben Sitteratur aller SlulturOölfer feit ber ©rfiubung
ber ©uchbrucfertunft längft augebeutet gefuuben, unb biefe mannigfache
©ejiehuug ber focialeu fragen jur Xogmatit unb (Sthif, ja $ur (Sjegefe unb
Jrtirchenrecht hätte wohl ein SBerf geboren, baS für jeben fpätereu Social-
polititer eine Sunbgrube geworben wäre oon unberechenbarem SinflujS unb
bauernbem SBert. So aber hat bie Stachwelt oon ftetteler, bem Schrift
fteüer, nur ein paar längft überholte ©rofdjüren unb ©rebigten übertommeu,
unb was oon feiner träftigen ©erfönlichfeit übrig geblieben ift, baS ift
eigentlich nur ber gewaltige 3 m p u l S, ben er ber Mitwelt gegeben hat unb
ber fich auf bie Slachweft mächtig fortpflanjt.
21ber wir machen ja auch ©olumbuS teinen ©orrnurf barauS, bafs er
nicht gleich auf ber erften ffleltfahrt baS Seftlanb 2ImerifaS entbeeft hat;
benn bie ^auptfadje war hoch, einmal 511 jeigen, baf# ber 2Beg nach 2Beft*
inbien feine ßhimäre fei; unb fo fehr wir bie weiteren Sahnten unb
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TbomaS Sebofer.
<;<)(>
^orifuttgcn ber ©izarro’S unb Sortez’ unb wie fie aüe betfeen mögen,
begriifeen, ebenfowenig wirb baS ©erbienft ber ©ntbeefung einer neuen
Seit bent fitbnen ©enuefen ftreitig gemaft.
So mufS auf jugegeben werben, bafS eS über Setteler hinauf noch
überreiche Arbeit in Ifeeorie unb ©rajiS ber ©efeKffaftSorbnung gibt:
aber er ift unb bleibt bof ber erfte fatboliffe beutffe ©iff oi,
ber mit weifer £>anb baS SoIumbuS=®i ber ©ocialreform auf bie ©pifce
fteHte — unb fiebe, eS ftanb fofort unb ftetjt nof!
II.
©ei einer weientlif impulfioen, fföpferiffen Statur jeigen fif bie
Spuren beffen, was fr fpäter eine weltgeffiftlife ©ebeutung erwirbt, in
ber Stege! ffon in SüngtingSjabren; bie weitere ©ntwicflung bient bann
mehr ba$u, bie bem frühreifen Slufbraufen ftets anbaftenben ©flacfen in
(angfantem Serbegange ab^ufRütteln unb bie urfprünglicbe 3bee ben fat*
fächlicfecn Serbältniffen, für beren richtige Sürbigung bem feurigen Säugling
natürlich bie nöfige Erfahrung fehlt, anzupaffen unb fo, wenn bie Umftänbe
eS günftig fügen, wirtlich $auernbeS ju fchaffett. ©ei einer fo receptioen
Statur wie Stetteler bagegen braucht man feine frühzeitigen Stnfäfce feiner
focialpolitifchen 2fätigfeit 511 fliehen; bie ©runblagen Waren freilich, wie
bei jebem fafotiffen ©riefter, in bem tbeologifcben $>offfulunterrif t
gegeben, allein eS beburfte mächtig einwirfenbet äufeerer SInläffe, um bie
©c^iebung 511 ben neuen Stiftungen in ber erft erftebenben mobernett
©efeflffaftswiffenffaft berzufteflen.
Setteler (geboren 1811) war bereits fiebenunbbreifeig Sabre ölt
geworben unb hatte ffon längere 3^t als Sanbpfarrer in köpften gewirft,
als er, bamalS in feiner ©igenffaft als SDtitglieb ber Steif Süerfammlung
zu Sranffurt Weilenb, in ber bort abgehaltenen „©rften Serfammlung ber
fatboliffeu ©ereilte $eutfflanbS" im SlnfflttfS an eine oorhergehenbe Stcbe
bcS Sorffeitben §ofrafS SttfS bie gewichtigen Sorte fpraefe:
„ 3 br ©orff enber hat naf gewiefen, wie bie religiöfen Sereine ihre „
Aufgabe löfen foüen. ©iite Slufgabe für bie näffte 3ufunft rege if in
3brem .fielen nochmals au, bie Slufgabe ber Steligion bezüglich ber focialen
©erbältniffe. ®ic fchwerfte ftrage, bie bei allen gefefclifen ©eftimmungen,
bei aßen Staatsformen nof nicht gelöst ift, baS ift bie fociale Srage.
3f fantt cS mit aöer Sahrheit auSfprechen: bie ©fwierigfeit, bie ©röfee,
bie Dringliffeit biefer Stufgabe erfüllt rnif mit ber gröfeten fjhreube. Stift
bie Stof freut mif, bie if in Sahrheit im tiefften Kerzen mitfühle, nif t
baS ©lenb meiner ©rüber, nein, fonbern bafs es jefct fif zeigen wirb unb
zeigen mttfS, Welfe Äirfe bie Sraft ber göttlifen Sahrheit in fif trage.
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®ifcbof ©ilbelm Ketteier.
607
®* Wirb ficb jeigen, bafS bcr fatbolifcben Sirene bic enblicbe Söfung ber
iocialen Stage oorbefealten ift; beitn ber Staat, mag er Seftimntungeit
treffen, welche er will, bot baju nicht bie Straft. ©inen ähnlichen ©ebanfen
bat ein würbiger proteftantifd^er ®eiftlicfeer in ber ®aul£fircbe mtegefproeben.
'Ser Kampf jmifeben proteftantifebeni unb fatbolifcbem ®lauben auf bem
®ebiete be£ ®ogma$ werbe fortan ruhen, bagegen ber Kampf entfteben auf
bem ®ebiete ber focialen Stage . . ."*)
3fn biefen SBorten fpiegelt ficb beutlid) ber ©eficfetöwinfel, unter welchem
fpäter auch bem ©ifcbof bie fociale Stage erfd^ien. $aä wi(b gäbrenbe Sieben
be£ SleoolutionSjabreS 1848 bot auf Ketteier nacbboltigen ©inbruef gemacht,
unb bie ©etbeiligung am Sranffurter Parlament tonnte ben au$ feiner
ibtjflifcben Stube aufgefebeuebten Sianbpfarrer nur in ber Slnfcbauung beftärfen,
baf# eine neue 3cit angebrochen fei. SBenn ein fo b^toorragenber Sübter
ber Katbolifen wie 93ute fo energifcb bie ®ebeutung ber focialen Stage
betont unb wenn auf proteftantifeber Seite gerabe auf biefem ©ebiete ein
©ettfampf gwijcben KatbolictemuS unb ®roteftanttemu3 angefünbigt wirb,
mute boeb wol)l eine Seuentatur wie Ketteier ber inneren Segeifteruug Staunt
geben. ®r blieb aber nicht bei ©orten fielen, fonbern tiefe ihnen auch atebalb
bie $bot folgen.
©in anberer bötte ficb jept oielleicbt in eine grofee ®ibliotbef gefegt,
um ficb bie einfeblägige Sitteratur eiu$uarbeiten; ba£ war aber niefet
Ketteierte SBBeife. 3lte fatbolifeber ®riefter glaubte er ficb gcruftet genug,
um fofort (Siooember unb Secember 1848) im Som ju SRainj eine Steifte
oon ®rebigten $u holten, welche ba$ aUe£ bebanbelten, Wa£ ficb Kettele r
bantate unter bem ®egriff „fociale Stage" baefete, nämlich bie Ib^nata:
Sie fociale Stage, bie wichtigste Stoge ber ©egenwart, Sehre öom @igentbum*=
reefet, ooit ber Steibeit unb oon ber ®eftimmung be£ ©tenfeben, ©be unb
Samilie, Autorität ber fatbolifeften Kirche.
Ketteter liefe biefe ®rebigten auch bruefen, unb fo erfefeien fein erfte$
felbftänbigeä Scferiftcben unter bem Sitef: „Sie grofeen focialen Stagen ber
©egenwart. Secb$ $rebigten, gehalten im hoben Sont ju SJtainj oon
©ilbelm oon Ketteier, Pfarrer oon hopften, SJtitglieb be$ beutfeben Steife=
tage£. Sa£ Honorar $um Seiten be$ wobltbätigen SereineS oom heiligen
Siuceng oon ®aul $u SJtainj".
Natürlich Würbe ba£ Xbema oon ber focialen Stage in ben $rebigten
Ketteierte fortbin oft berührt; allein eine fociale Xbätigfeit im größeren
SJtaßftabe fonnte er Weber al£ Pfarrer in köpften noch ate $robft oon
*) Sei ^3fiilf, a. a. O, I, 164.
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608
2t)omas ©tepofer.
St. £>ebmig in ©erliit entluicfelii, foubern ftc mar ipm erft gegönnt alg © i f cp o f
oon SWaing ^1850 big 1877).
3ept fanb er bie poepmiflfommene ©elegenpeit, pier Anftalteu für uer-
maprlofte ftinber, bort Stanfenpäufer nnb ein SRettunggpaug ber grauen uont
guten Ritten ing fieben gu rufen, mopltpätige Sereine gu förbern ober neu
gu organifieren u. bergl. Ten ©efeflenoereiuen fepenfte er feine gang befonbere
Aufmerffamfeit, nnb eg ejiftiert noep ber ©ntmurf eineg bem beutfcpeit
©pigeopat oorgulegenben ©laneg, monaep in jeber größeren fatpolifepen Stabt
Teutfcplanbg ein ©efellenpaug mit eigenem Seelforger gu grünben fei, au
bag bie Pfarrer ipre ben SBopnort mecpfelnben |>anbmerfgburf(pen gu meifen
hätten.*)
Selbftoerftänblicp bepnte er fein SBirfen auep auf bie focialeit unb
religiöfen Serpältniffe beg ©auernftanbeg aug.
Auf ber XV. ©eneraloerfammlung ber fatpolifepen Sereine Teutfcp^
lanbg, bie oom 21. big 24. September 1863 gu granffurt tagte unb bei
ber fein ©ruber SBilbericp präfibierte, fpielte er eine peroorrageube 9tolle,
unb pier napm bag fatpolifepe Teutfcplanb gum erftenmale gu ber focialeu
grage in iprer ©efammtpeit Stellung, fo bafg biefe ©eneratoerfammlung
mie feine früpere ben Stempel beg Socialen trug. Tie peroorragenbfteit
fatpolifcpeit Socialpolitifer jener 3eit traten alg SRebner auf: ber jepige
©arbiital unb gürftergbifepof Oon 28ien Tr. ©rufepa für ben ©efeHenocrein,
Seporlemer^Alft für bie oermaprloften ^iitber, ©ofen für bie Arbeiterfrage,
Scpüren für bie $anbmerferfrage, töapuginerpater Tpeobofiug für ba*
gabrifgmefen. Allein eg müffen fepr oiele Unflarpeiten gutage getreten fein,
fo bafg man gur ©infiept gelangte, eg bebiirfe noep fepr eingepenber Stubien:
baper mürbe ber Antrag beg SÖtainger Tomcapitularg £>einricp alg SRefolution
angenommen: „Tie fatpolifepe ©eneraloerfammlung . . . empfieplt ben
ftatpolifen briitgeitb, fiep mit bem Stubium ber großen focialen 3^itfrage gu
befepäftigen ..."
©inen SBiberpall fanb biefe 9iefolution fofort auf ber in SWünepeii
unmittelbar barnaep tagenben Xpeologenberfammlung (eröffnet 28. September
1863) in bem Töüinger einen Antrag auf „eingepeitbere ©efepäftigung beg
©lerug mit ber focialen grage" fteUte.
Stetteler mar ber erfte, ber eg mit biefem Stubium fofort ©rnft napm.
3m 3ünner 1864 fepte er fiep burep einen anonpmen ©rief mit
aff alle in ©erbinbmtg, ber bamalg in außerfircplicpen Greifen mopl bie
erfte Autorität auf focialem ©ebiete mar. SaffaHe ließ fiep gmar unter Ser*
*) ©fttlf, a. a. C., II., 175 ff.
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Sifdjof SBilbelm bettelet.
609
meid auf bie Slnonpmität ber 3ufcbrift nicht in $5etaild ein, machte aber beit
Sifcßof auf einige feiner ©Triften aufmerffam, in benen berfetbe eine
correctere $>arftettung ber Saffatte'fdjen I^eorien finbett fönne, ald fie in
bent anonymen Srief, ber fich nur auf 3eitungdartifel ftüfcte, gegeben fei.
SRan erficht aud Saffatte'd Slntmort, bafd Äetteler offenbar bidfjer nicht ein*
mal bie bebeutenbften ©Triften aud gegnerifchem Säger eingefeljen ^atte,
trofcbem er fich feit 1848 unb fdjon früher mit ben eintägigen Problemen
befchäftigt ^atte; er mar eben ein SKann ber 2^at unb glaubte, bafd
Srfaljrung unb Seobad)tung bad meifte tbue *)
®afd ffetteler jefct anfieng, Saffaße'd Originalfchriften eingebenb p
ftubieren, ftebt außer 3toeifel; cd märe eine mistige unb banfbare Unter-
fucßung, feftpftetten, mad fich ber fatbolifche Sifcßof (in bem fofort p
befprechenben Such unb jpäter) oon bem berühmten ©ociatiftenfübrer ange*
eignet ^at, unb mo er eigene SBege manbelt.**)
2)a SaffaCte fich auf eine anonpme Sorrefponben$ nicht einließ unb
Setteler feinen tarnen nicht nennen mochte, fo ließ le&terer — biedmal
burcß einen feiner 3)omcapitulare — an ben burcß focialpolitifche Arbeiten
befannten Subliciften Sictor Slimd $uber fcßreiben unb erhielt auch eine
febr eingebenbe Slntmort bezüglich ber StrBeiterfrage. Schabe, bafd bad umfang*
reiche Schreiben |>uber'd nid)t oottftänbig oorliegt; ed märe fonft möglich, beffeit
Sinflufd auf ®etteler feftpftetten.***)
^ebenfattd geminnen mir ein beiläufiged 93ilb baoon, mie ernft ftetteler
unter bem ©inbrucf ber ^ranffurter ©eneraloerfammfung bon 1863 bie
tbeoretifcße ©eite ber focialen grage pm ©egenftanb feiner Sefchäftigung
machte. Slld Srucßt erfcßien fdjon im grü^jaßr 1864 St'etteler’d £>aupt*
merf: „$ie Arbeiterfrage unb bad ©fjriftentfjum".
Stld Sifcbof intereffiert ihn §ier ^auptfäcßlicß bie religiöfe Seite ber
Sache: „3cb bin meit oon ber Anmaßung entfernt, biefen ©egenftanb er*
fcßöpfen pmoüen; er ift überhaupt noch nicht fprucßreif. 3cß miU uietmeßr
nur einen Meinen Seitrag bap liefern unb indbefonbere eine Seite ber Sache,
nämlich ihr Serbältnid prn Sbriftentbum, bie bidber fo menig Serücfficbtigung
gefunben b<M, mit adern Stucbbrucf bcroorbeben."
$ad SBer! mirfte „bahnbrecßenb", mie SBinbtborft in einem Sormort
pr oierten Auflage bed Sucbed fecßdunbjmanjig 3fabre fpäter erflärte, inbem
er ben längft oerftorbenen Sifdbof ald „oon Sitten oerebrten Sebrer unb
Sorfämpfer fatbolifcb'focialer Seftrebungen" feierte: „@d ift unb bleibt
*) $en Srief ftetteler’d unb ßaffatte’d Shttroort f. bei Sfülf, II., 183 ff.
**) Sei Sfülf finbet fich b^rüber leiber gar ni(btd.
.***) $ie (Einleitung, batiert oom 29. Jänner 1864, ftebt bei Sfiilf, II., 168
Xie fhiltur. TU. Safcrg. $eft. (1902.) 39
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610
$()oma£ £BeI)ofer.
unjer Stuhm, baf« ein fatholifcper ftirchenfürft e« war, melcher juerft ben
SRuth hatte, ju einer 3^it, ba ba« SRanchefterthum bie ganje öffentliche
SReinung beherrfchte, ... bie gähne ber chrifttidjen ©ocialreform auf$u=
pflanjen.* **) )
@« mar mirflidh eine 2J)at. gnfolge be« Auffehen«, ba« bie ©djrift
bei greunb unb geinb erregte, begann man fich allmählich für bie Sache
felbft mehr unb mehr $u intereffieren. 3)ie ©ubliciftif griff lebhaft in bie
$i«cuffion ein; e« entftanben, bem neugemecften Sebürfniffe entfprechenb, in
flachen bie ^ffi^rifttic^^focialen ©lätter", rebigiert non Schüren,
ber un« bereit« auf ber granffurter ^atholitenoerfammtung an ber ©eite
Karbinal ©rufdha'« al« Stebner begegnet ift, unb non Kaplan ©djing«;
öfter hatten biefe Stätter Anlaf«, fiep auf fletteler al« ben „berebten
bifchöflidhen Arbeiterfreunb, unfer ©orbitb auf bem cpriftlid^
focialem ©ebiete," ju berufen.*’ 11 )
®urdh fein SBerf über bie Arbeiterfrage mar ifetteler mit einem
Schlage eine mafegebenbe ©erfönlicpleit auf bem ©ebiete ber focialen grage
gemorben. ©eine SRitbrüber im ®pi«copat confultierten ihn, ffatholiten unb
©roteftanten be« 3n* unb Au«lanbe« thaten be«gleichen. 9Ran mar fich
eigentlich erft bemuf«t gemorben, baf« bie Söfung ber focialen grage ohne
©rei«gebung be« Kpriftenthum« möglich fei. Unb, ma« nicht ju unterfchäfcen
ift, Setteler'« ©egeifterung mie nicht minber fein herrliche« ©eifpiel rif«
empfängliche ©emüther fort.
SBir haben bi«her Sfetteler Don ben erften Anfängen feiner focialen
©emiihungen in granffurt 1848 bi« jum ^öpepunft feiner Sntmicflung
begleitet. SBir haben ba« ©Serben unb Steifen jener Xpat oerfolgt, bie ihm
mehr noch al« feine praftifch 5 fociale unb innerfirchliche SBirtfamfeit einen
bebeutenben ©lap in ber ©efchichte ber SRenfcpheit fiebert.
Später nahmen bie mit bem ©aticanum oerbunbenen ASirren unb ber
Shilturfampf feine Sfraft unb feine geber nach einer anbem ©eite bergeftalt
in Anfpruch, baf« bie fociale grage ein menig jurüeftrat; allein er hörte nie
auf, jte aufmerffam ju Derfolgen, unb in feinen ©apieren finben fich
*) ©fülf, II., 188.
**) ©fülf, II., 190. ®« Dürfte mit bem ®rf<heinen biefer ©lätter ber Au«brud
„cpriftlich-focial" jum erftenmal al« princtpieQe ©ejeiepnung einer beftimmten
Stiftung — aber nicht in ©erbinbung mit einem beftimmten politifdpen ©rogramm
— in ber Oeffentlühteit al« terminus technicus oenuenbet roorben fein.
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'Jtyilip 'IBitfop. ber Academia dell arte }u Seneblfl. tili
nod) jatjlreidje (Entwürfe ju Slbfjanblungen unb ©rofdjüren über fociale
©egenftänbe.*)
SBenn aber Stetteler burcf) ben ffirfolg jeine« Sudje« über bie Arbeiter*
frage unfterbtidj geworben ift, bann müffen wir anerfennen, baf« gerabe
batnit jein C^arafter fidj bent unbefangenen ©eurt^eiter im günjtigjten Sidjtc
barbietet. SUögen nur aQe, bie fidj berufen glauben, an ber Söfung ber
jocialen 3rage mitjuarbeiten, Itetteler’« 2Ranne«mutI) mit ftetteler’ä grömmigfeit
unb fietteler'« 2Baljrfjeit$tiebe mit Setteler’« ©elbftlofigfeit unb aufopfernber
fRädjftentiebe oereinen! $ann wirb bie fociale $rage rafc^er gelöft werben,
al« e« bisher ben Stnjdjein bat.
*) ». a. O., III, 288 ff.
3» der Academia dell arte z* Ueaedig.
Fon Philipp ÄHffcop.
Äier atmet hohe, feierliche Huh\
w 33reit liegt bie Sonne in ben flogen Sälen.
Zlur bann unb mann ruft bir non ben Canälen
IPeidj unb oerfdjlafen eine IDelle 311 .
3d? fd?reite jögernb burdj bie jto^e prad?t.
Dodj fafs* icfj’s faum, uermirrt unb fdjeu oermunbert,
Unb ftaune, mas 3ahrhunbert auf 3ahrh«nbert
Un <Slan 3 unb £iebrei 3 hier herbeigebracht.
(Ein unermefsner, bunter Segen quillt
Don allen ZDänben ftrahlenb auf mich »lieber.
Unb alles trifft ftd? boch in einem mieber:
Ulabonnenbilb liangt an Ulabonnenbilb.
3n ihm eint jtch bie Sehnfucht aller §eit
^armonifch h»er 3 ur feierlichen (Einheit,
§um Jjobenlieb ber Schönheit unb ber Heinheit,
Das triumphiert ob Staub unb Zliebrigfeit l
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39 *
Wiener Kunstleben (Jänner bis tt)ai 1002).
»on üufrpfj Tfiteuhtirf!|.
f er erfte Schritt ins neue Qabrbunbert butte ntancb boffaungSfroben AuSblicf
in bie SCunftbewegung ber allemä(bften 3ufunft eröffnet; bereits ber jweite
löst man(be Erwartung erfreulich ein unb bringt eine ungewöhnlich große mitte ber
mannigfaebften Anregungen, beren Aufnahme an bie 93erarbeitungSfäbigfeit beS
CublicumS bereits ganj außerorbentlicb hob* Anforberungen ftettt. Oteue Unternehmer
unb ©ebanfen gliebern ficb bem obnebin fdjon weitgewgenen Streife beS SBiener
.UunftlebenS erfolgreich an unb führen fub mit oiel ©efebmad unb ©efdpd auf bem
fo funftfreunblichen SBoben Asiens recht glüdlicb ein.
An ihrer Spifce ftebt ber Stünftlerbunb Jpagen" mit feinen brei Aufteilungen,
bie im allgemeinen einen künftigen ©inbrud machten. Der Arcbitett Qoiepb Urban
bat ein Drittel ber ttJlarftbatte in ber 3*blifcgaffe anfprechenb für ein annehmbar
beleuchtetes AuSftellungSgebäube ju abaptieren oerftanben, bem ein 3ug b^terer Jeft
liebfeit eigen ift. 3n bem JJa^abenrelief führt ABilbelm öepba bie maebtootte ©eftalt
ber 'Callas Athene als '-öefchüfcerin ber fünfte oor, beren Segnungen baS oor ihr
barrenbe SBolf erwartet. 3*icbnung unb Farbengebung beS aus farbigen föunftfteinen
bergeftellten 3öerfeS haben etwas 'ClafatartigeS an fi<h, baS an ber bie Aufmerffant
teit feffelnben Stirnfeite eigentlich nicht unangenehm wirft unb realiftifeber
.Uecfbeit felbft baS 9Bort läfst. Für bie bei aller ©efebeibenbeit anbeimelnbe JKaum
geftaltung, beren Decoration SRaimunb ©ermela unb tttubolf Stonopa übertragen
war, ift man bei ber Seceffion in bie Schule gegangen unb bat ficb bie Üflöglicbfeit
mecbfelnber ©intbeilung nach ben jeweiligen AuSfteflungSbebürfniffen gefiebert. ©S
war nur ganj fachgemäß, bafS gerabe bie erfte AuSftettung beS Jpagenbmtbes ben
Schwerpunft barauf legte, über bie Dichtung unb CeiftungSfäbigfeit feiner ttJtttglieber
felbft ju orientieren, fie mufSte eigentlich nad) ben 'Cerbältniffen unferer Jage, bie
ein flareS Farbebefennen forbern, einen programmatifeben ©harafter erhalten unb
bem 'Cublkum bie Augen öffnen bariiber, was ber Jpagenbunb will unb anftrebt.
©r ift feine zweite Seceffion, aber nicht frei oon einem feceffioniftifchen ©infchlage,
ber in feine Übertreibungen oerfättt, aber offenen $Mid für bie Söetbätigung beS
^Hechtes auf baS Suchen nach neuen formen unb AuSbrudSmitteln befunbet Sicheren
Schrittes fchiittelt man ben erftiefenben Staub oeralteter Auffaffung beim riiftigen
AorwärtSftreben oon ben Füßen, wo es notbtbut, ohne ficb in bimmelftürmenbe
©rperimente ber ©efcbmadlofigfeit ,*u oevlieren, unb meibet mit oiel Daft bie nicht
immer gefchmacfooll marfierte Cofe felbftgefättigen SBorfämpfertbumS. Diefe oornebme
3 uriidbaltung ftebt bem fragenbunbe gut an unb bat ihm rafch manchen ^rreunb
erworben. Die ©röffnungsauSftellung beS 'CunbeS oereinigte eine anfebnliche Anjaßl
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SBiener ftunftleben (Jänner fciS 3Jlai 1902). 613
guter Arbeiten, in benen ausnahmslos ein fefyr emfteS (Streben nach innerer Samm>
lung unb 9luSreifung, ein gefthalten an anerfannt ©utem unb ein jielbewufSteS
Gängen nach feuern einfefcen. — Der Mehrjahl ber $heilnehmer ber ©röffnungs
auSfteHung begegnete man in ber anfangs SJlärj eröffneten weiten BuSftellung
wieber, bei welcher ber Sdpuerpunft auf 3eichnungen r Mabierungen, $$lluftTationen
unb Werfen ber ftleinfunft lag. 'Der ©ipSabgufS beS für Öinj beftimmten Stifter-
DenfmaleS non MathauSfp, eine braue, aber etroaS trocfene unb fpiefcbürgetliche
Schöpfung, bilbete in biefem Nahmen eine Ausnahme; baS BSefen beS Meifters
finnigfter Maturfchilberung ift in biefem B3erfe faft nur nebenbei geftreift,
aber auch nicht annähemb erfchöpft. gaft ein Viertel aller s 2luSftellungSobjecte
hatten ber in DreSben lebenbe ftarl Mebij unb feine grau ©milie Mebiv
Belifan beigefteuert: erfterer erweist fich als ein ganj hemorragenber ©harafter
fchilberer non fchärffter Beobachtung, ber baS gnbioibuelle mit ftcherem ©riffe
hemorjuholen nerfteht. ©in 3«9 architectonifcher Strenge geht burch bie Bübantage
non grau Mebij-Belifan, p e r baS lanbfchaftliche Stillleben befonberS jufagt. Den
3auber beS beutfchen Märchens fuchten 12 nortrefflich ausgeführte Aquarelle ju er-
ichliefeen, um beren figürliche ©ompofitionen non i*efler’S Jpanb ber ©efchmacf
3of. Urban’s elegante, fmngemäfje Umrahmung $u fdjaffen nerftanb. Sie fnüpfen
ben Stoff an ben ©ebanten beS MonatSwechfelS in mitunter äufcerft feinfühliger
Bkife an, fo baS im ©laSfarge ruhenbe Schneewittchen an ben bie Matur in ©rabeS
ruhe büUenben ganuar, baS burch ben BrinjenfufS jum l*eben wieber erwachenbe
Dornröschen an Den neues Sieben in bie ©otteSwelt jaubemben Mär$. Überaus reijenb
wirb baS „Marienfinb" behanbelt. ©S mag fein, bafS ab unb ju eine bem Böefen beS
Härchens nicht gan$ entfprechenbe Berfeinerung einer über baS BolfSthümliche
etwas hinausrüefenben s 2luffaffung burchfchlägt; aber im ©anjen befriebigt bas
(Gebotene im hohen ©rabe. Das B*oject für bie 9luSfcbmiicfung einer UnioerfitätS
'Jlula oon s 2lle?ranber ©olfc, bas in ber Jpauptbarftellung ber BMffenfchaft bie oier
^acultäten beigefellt unb ihnen Wahrheit unb Bhantafie Seite gibt, erfcheint für
feinen 3n?ect $u wenig grofeiigig unb monumental; bagegen fmb feine beiben Motioe
aus ber Bretagne uoll zarter Stimmung, gn intereffanter, objwar burchauS nicht
überall anfprechenber BJeife hol fich 9luguft Jpoffmann oon Beftenhof ben ftampf bes
Minotaurus mit IbefeuS mrecht gelegt, bei welchem man bie fich angftooll brängenbe
Mäbchenfchar nach ihrer ©ewanbbehanblung birect als eine faft ballettinäfeige 3ugabe
nicht angenehm empfinbet. Dagegen ift ber protgg jum Angriff anfefcenbe Stier*
menfeb unb fein in gefummelter ftraft ihm unerfchrocfen entgegentretenber ©egner
fehl* wirfungSuoll inS 'Mittel geftellt. — Mit ber am 21. Mpril eröffneten 5luSfteHung
„Die ft unft im i*eben beS ftinbeS" ftellte fich ber Jpagenbunb recht gliicflich auf
Den Boben einer oon oiel Beifall begleiteten ©egenwartSbewegung. Die Unterrichts
uerwaltung batte fich uon allem Anfänge an bes ©ebanfens, bie oon bem beutfchen
Buchgewerbeoereine in i*eip$ig lufammengeftellte Btonberausftellung, welche in i*eip}ig,
DreSben, München, Mürnberg unb Stuttgart fo grogen Wnflang gefunben hotte,
auch bem BMener Bublicum jugänglich $u machen, in freunblidpter görberung ange
nommen. Sehr treffenb hob ber UnterrichtSminifter in ber ©röffnungSanfprache heroor*
bafS es eine ber ebelften, uon weiteren Beuölferungsf reifen unterftü&ungSwerten
©rüehungsaufgaben bleibe, „ben Sinn beS ftinbeS für baS Schöne empfänglich ju
machen, baburch feine Bhantafie $u bereichern unb $u lenfen, fein ©emiitb *u be
leben unb iu oerebeln unb, inbem für biefen 3«^ geeignete Beranftaltungcn in
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3ofeph SReuroirth.
§auS unb Schule für bie hinter ber Reichen unb Firmen iite 3Berf gefegt roerben,
bie profee ÜJlaffe beS 33olteS zu befähigen, an bem berrltdrften Scbafce unferet ftultur,
ben unS bie $unft gegeben, geniejjenb theilzunehmen." Um für eine folche Anregung
eine möglichft breite ©runblage zu fdjaffen, ber bie §ärte beS 3n>angeS fembleiben
foU, roerben *ßäbagogik unb ßunft mit oiel Überlegung unb 3urückhaltung oorgehen
müffen: benn baS fchüchtern fproffenbe ^flänzlein beS allgemeineren ftunftintereffeS,
baö bie Äunft nicht als eine gern b«üargefebrte 'JRebenfache beS SuyuS, fonbem als
menfchenoerebelnbe (Ergänzung beS SebenS erfajfen lehrt, ©erträgt nicht eine Xreib
hauSentroicklung gemagter (Experimente, fonbem forbert rückficbtSoolIfte pflege ber
'Phantafte, beS ©emütbeS unb fcerzenS. ©chulmeifterliche ©ngherjigfeit roirb babei
nicht auf ihre ftoften tommen, für biefe Aufgabe tljut meiter SBltcf hoppelt notb-
3h« zeigten bie ^eranftalter ber AuSftettung, Unterrid^tSoerroaltung, beutfdjer *öuch=
geroerbeoerein unb ftagenbunb, bei ber retjoollen Jorm ber Darbietung in h<>b*iu
®rabe. 3a, bafs bem bie ^hautafte beS ÄinbeS fo fehr befchäftigenben Spiele erhöhte
Beachtung gefchenft mürbe, hat ö*u AuSftellungSrahmen mit ®lück roeitergejogen.
Die beiben Äinberjimmer, roelche ßarl §anS 3arap nach (Entwürfen beS Architekten
Urban auSführte, fmb mit all ihrem lieben Xanb ber oerfchiebenften Spielzeugs
tategorien unb mit ben oon ftafmtann glücklich charakterifierten Xhierbilbem ber
'©änbe recht nett unb enthalten in ihrer AuSftattung, ob man nun puppen, Ärippe,
3agb ober SBauemborf ins Auge fafSt, eine fchier unabfehbare ^ülle beS ÄHnber*
genuffeS. .Sie laffen ftch aber höchftens als intereffante, auch entbehrbare Beigaben
betrachten, benen allgemeine s 43ebeutung nur in einem recht befchränften ®rabe ju
fommt, roeil nicht oiele bie SJtittel höben roerben, fich folche 3wtmer anjufchaffen.
s ©aS jeboch auf bie Söecfung ber Äunftanfchauung unb ftunftfreube in ber ftinber
menge, auf bie Schaffung einer ertragreicheren unb fruchtbareren ©runblage für bie
fünftlerifctje Kultur bes ganzen Voltes abzielt, tnufS mehr mit bem für breitere
'BeoölkerungSfchichten (Erreichbaren rechnen unb nicht in erfter fiinie an ben SBeftfc
eines reich gefüllten Beutels gebunben erfcheinen. ftür bie ßunftanregung beS StinbeS
in roeiten Greifen roirb baS auch befcheibenen Mitteln roirtlich (Erreichbare ftch an
erfter Stelle behaupten. 93on grobem Qntereffe roar bie ®ruppe hiftorifchcn Spiel
Zeuges. Der ftellenroeife nach alten Sebjelterformen h^rgeftellte SBanbfchmuck knüpfte
glücklich in ber tftaumauSftattung an ÜJtärcheneinjelheiten an, bie immer roieber baS
Äinberherj ganz erfüllen. 3m allgemeinen traten bie Joauptjroede ber Aufteilung
fcharf ^eruor: Jperftellung beS künftlerifchen s J5kmbfchmucteS für baS Schulzimmer
unb bie ftinberftube, um frühe ©enufSfähigkeit unb Jteube an ber Shrnft in ben
jungen Jperzen zu roeefen; eine mehr künftlerifche AuSftattung beS mobernen Silber
bucheS, in ber ja bie ©erladffche ^ugeubbücherei bereits ganz fteroorragenbeS leiftet;
Umgeftaltung beS 3*ichenunterrichteS, ber mehr an bie Statur unb bie AnfchauungS-
roelt beS fttnbeS anknüpfen foll. Dr. 93olkmann aus Leipzig fuchte burch einen
Vortrag im öfterreichifchen ÜJtufeum bie ©efichtSpuntte zu beleuchten, roelche für bie
3ufammenftellung bes bem leipziger s 43uchgeroerbepereineS gehörigen AuSfteUungS
grunbftockeS mafegebenö roaren. Damit kann man ftch einoerftanben erklären, bafs
es ftch nicht um Aufbiirbung eines neuen UnterridhtSgegenftanbeS hanble, fonbem
bafs man baS Äinb tn eine Umgebung bringe, in ber eS bie Dinge oon felbft
künftlerifch fehen lernt. Auch Director Julius üeifching oom mährifchen ©eroerbe
mufeum in $rimn, ber ftch für bie ganze grage fehr lebhaft interefftert, unterftüttte
bas AuSftellungSuntemehmen mit einem Vorträge.
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VMener Äunfilebcrt (Jänner bi« 9Rai 1902).
Gl 5
(Sine anbere 2lu«ftellung ber „Jtunft im Sieben be« Äinbe«" mürbe in ber
Ottafringer Vürgerfchule oeranftaltet. §ier hat ber 3*i$*nlebrer 3°f c Ph SHachfelner
ben Verfuch gemacht, mit bet alten DJtethobe be« 3eic^enuntcrric^teö nach birect ge
zeichneten Vorlagen, fpecieS nach geometrifchen Figuren zu brechen unb bie ftinber
unmittelbar nach ber Statur, nach blättern — auch iw getrocfnetem 3 u ftanbe — unb
Blüten, nach oerfchiebenen anberen ©egenftänben zeichnen zu laffen. Die s 2lu«fteüung
biefer Sattlerarbeiten überzeugt ganz augenfällig non bem (Srfpriefilichen bieie« Vor
gange«, ben nur umficbtigfte Anleitung unb forgfältigfte &hrmittelau«roahl fo unge¬
mein ertragfähig machten. (S« ift in h^h^ ©*abe erfreulich zu feben, melche Sicher*
heit ber Vuffaffung unb melche ©eroanbtheit ber fReprobuction bie Sfinber binnen
einer oerhältni«mä6ig furzen 3eit erreichten, &ier hobelt eS fith thatfächlich um all¬
gemein gangbare Vfube ber Äunft im geben be« Jlinbe«. ^ebenfalls oerbient ba«
oon Vlachfelner (Erreichte für bie göfung ber Srage einer SReform be« 3eichenunter-
richte« ooüe Beachtung ber mafegebenben Streife.
Durch längere 3eit begegnete man in ben $age«blättern ber SRubrif „28 i e n e r
•tfunftroanber ungen". Diefelben galten ber Vefichtigung ber ftunfifchäfte ber
2Biener Vuläfte unb Vrioatfammlungen unb oermittelten aufjerbem 3wtritt unb (Sin
blic! in bie Atelier« Wiener Zünftler, beren Schaff en«ftätte fennen ju lernen für
Viele feinen geringeren fReiz hat al« ba« Schmelgen in ftunftfchöpfungen ber 93er
gangenheit unb ber ©efchmacf ber 2Bohnraumau«ftattung ber ©egenroart. Die 3«
menbung be« ftartenerlöfe« für mohlthätige ßroecfe machte bie Vefriebigung be«
tfunftbebiirfniffe« ber über bie erforberlidje 3^it oerfiigenben Greife zugleich ber
öumanitätäförberung bienftbar. Vielleicht hat gcrabe bie SRücfficht barauf in einzelnen
fällen bie geroif« nicht ungerechtfertigten Vebenfen jurücfgebrängt, einer großen Ve-
fuchermenge bie Vforten be« funftgefchmücften £>eim« ju öffnen. Welche giiüe ber
Schäfte in 2Biener Valäften, Vnuatfammlungen unb Vtelier« enthalten, zeigte bie
Meichhaltigfeit be« Programme« für bie oom 15. Februar bi« 15. 2lpril reichenben
28anberungen, melche mit bem Valai« Schönborn begannen. s ilufter bemfelben roaren
bie f. f. Hofburg, ba« ^fiuanzminifterium (Stabtpalaft be« Vnnjen (hegen), bie
Valai« 8ancforon«fi, ftin«fp, s 2luer«perg, &opo«- s Rmerling, Vourgoing, Schönburg,
Vuul o. Schöller, 9Rautner*9Rarfhof, Vallaoicini, giechtenftein; bie Interieur« bei
^errn o. Sehen!, bei ^rau ÜRanfieroicz, Dr. Wuguft ^epmann, bie ©alerien (Sjemin,
v lllfreb Straffer, gubroig gobmapr; bie Atelier« 9fte«, ftunbmann, 3umbufch, s Jkobft,
8a«zlo, Vngeli, Schmib, Xautenhapn, ftauffungen, lina Vlau, Seib, ÜRarfchaÜ,
.^orooift, ©harlemont, ftafparibe«, iftöfchl, 2Bafchmann u. a. zugänglich- 3>m Valai«
be« Unterricht«minifterium« fonnte man bie (Srroerbungen für bie moberne ©alerie
berechtigen, unter melchen 9tub. o. 9Ut am ftärfften oertreten ift. 2RÜ grogem Danfe
begrü&ten e« bie ftunftmanberer, baf« ihnen bie gieben«mürbigfeit ber Jyrau Varonin
farftel e« ermöglichte, ben in 2Bien« Vaugefdachte eine fo gro&e Wolle fpielenben
'Urchiteften auch al« Sammler fennen zu lernen, beffen Shmftfinnbethätigung beftimmte
Wücffchlüffe auf bie perfönlichen 2lnfchauungen be« SReifter« oennittelt. Vei bem
Jfabrifanten ©. Xauffig überrafchte aufeer ber Jyarbenpracht ber (Sngelharbt’fchen
2Banbgemälbe namentlich bie gefchmacfoolle ©ebiegenheit mobernen Mobiliar«. Von
ganz befonberem ^ntereffe mar ba« mit au«erlefenen Schäften unb einem mohl nur
feiten roieberbegegnenben .Hunftoerftänbniffe gefchmücfte Valai« gancforon«fi, bei beffen
Vefichtigung bie Vefudjerzahl fo grofe mar, baf« ba« (Sornitz für einige ßeit bie
Ihare fperren laffen muf«te öier ift alle« auf ben perfönlichen ©efdpnacf be« Ve
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^ofeph Weimnrty-
fi&erS, ber bic alte ftunft ebenfo h oc h fchäfct, als er bie ©egenmartsbeftrebungen
merfthätig förbert, in ber feinfühligen VSeife geftimmt unb bilbet roirflid) eilte
©ehenSroürbigfeit SöienS. ©8 mürbe oiel ju roeit führen unb eigentlich einen ©onber«
artifel beanfprudjen, mollte man, felbft nur im pflüge, be$ VUermichtigften gebenfen,
maS bie 9Iufmerffamfeit ber Äunftroanberer 2BienS an jeher einzelnen ©tätte gam
befonberS erregte. s 2lltberiibmte ©tüde, oft an glänjenbe SWeiftemamen anfnüpfenb,
unb manche Schöpfungen ber SWobeme mürben bei biefer (Gelegenheit VuSgangS
punfte einer über ben näheren VefanntenfreiS ber Vefifcer hinanSgreifenben ftunft-
freube. Vton barf bie bamit gegebene Anregung nicht unter«, aber auch nicht über
fchäften. Denn im Verhältnis $ur (Gefammtbeoö If erung SöienS mar bie Vnjahl ber
Xheilnehmer an ben Kunftroanberungen burdjauS nicht $u groß, meil gar Mancher,
ber ftch fonft fehr gerne angefchloffen hätte, nicht über bie freie 3«it für baS fo
umfangreiche Programm oerfügte. 3öer übrigens einzelne Objecte näher unb mit
(GenufS beftchtigen min, mirb nach mie oor an bie liebenSmürbige ©onbererlaubnis
ber 53eft^cr appeUieren, bie ja meift fonft gern ertbeilt mirb. 3nfammenhange
mit ben Stunftroanberungen mar es nicht unmiUfommen, bafS ber im SBiener ftunft
befifce fo oortrefflich orientirte ftunftforfcßer Dr. Dßeobor o. ^rimmel in mehreren
Feuilletons über bie (Galerie (Ejernin, über bie ©alerie Schönborn^Bucßbeim, bie
Sammlung Ferftel, anbere „uerborgene ftunftmerfe in VMen" unb über bie aller«
bingS nach 2lmerifa gemanberte ©emälbefammlung Vreper fehr fachgemäße 9luS*
führungen brachte. DaS (Eomite, melcheS bem mohlthätigen 3«iecfe ein mein
erträgniS oon 26.356 ftronen juroenben tonnte, plant für ben nächften SBinter
eine Söieberßolung ber Äünftmanberungen mit gleicher Vbficht ber (Ertrags
oerroenbung.
Durch einen Ve§eichnungSanflang fühlt man ftch oieUeid)t gebrängt, ben ftunft«
manberungen unter ben auf Wiener Voben neuen (Erfcheinungen baS im ©aale X
beS öfterreichifchen iltufeumS feit 24. 2lpril auSgeftellte VJanbermufeutn beS
'JJtinifteriums für (EultuS unb Unterricht anjureißen. DaSfelbe foU in
erfter Öinie ben nicht über öffentliche ftunftmanberungen oerfügenben Vrooinjjtäbten
bie Anregung §u fiinftlerifcbem (Genießen unb VerftänbniS oermitteln. DaS auSge¬
ftellte Material umfafSt meift oor$üglicße einfarbige fHeprobuctionen oon Äunftroerfen
ber Vlaftif unb Malerei beS 19. ^ahrhunberteS unb legt baS Jpauptgeroicht auf bie
(Einführung in bie Veftrebungen ber ©egenroartSfunft. (ES h<*t ja gemifS oiel für
(ich, gerabe über biefe roeitere Streife aufauflären, benen ber regelmäßige Vefuch oon
'Musftellungen unb Sammlungen nicht möglich ift. Das VebiirfniS nach «wer fach
männifchen Orientierung läfst ficb nicht beftreiten. 3h re Vertiefung ift geplant burch
bie Veranftaltung oon Vorträgen, melche an ben für bie VuSfteUung gemäblten
Orten bei ber WuSftellungSeröffnung ober roährenb ber VuSfteUungSbauer abgehalten
unb burch bie Vorführung von Sfioptifonbilbern belebt merben follen; lefctere bietet
bie 'JJtöglicbfeit, gefchichtlich roichtige lEntroidlungömomente burch bie Vnfcßauung flar
w machen. Diefe einleitenben Vorträge maren bem CiuftoS beS öfterr. SJtufeumS
Dr. GJtorii Dreger übertragen, ber am 22., 24. unb 26 9lpril mit fehr fachgemäßen
(Erläuterungen bie neue Unternehmung einführte. Sie h<*t für bie mit Äunftfamm
lungen gefegnete fHeftben* meniger Vebeutung als für bie fleine s Jkooin$ftabt, beren
Vemobnern fie bie Vugen öffnen helfen mill für baS (Erbebenbe ber ftunft. 3n biefer
.'Oinftcht fann üe mit ber 3«it hoffentlich manchen Glußen ftiftcn unb $ur Verebelung
bee allgemeinen ftunftoerftänbnifies mefentlich beitragen
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Wiener kunftleben (Gönner bi« 9Jtai 1902). 017
©nblich fei unter ben neuen ©rfcheinungen für bie Hebung ber kuuftpflege,
fcie gleichfalls über ben Söiener Voben hinaus fruchtbar gu werben oerfprecheii, ba«
Ergebnis ber auf Anregung berCeo*©efellfchaft erfolgten V*ei«con
currengen oergeidjnet, oon reellen jene für eine einfache ^farrfirdje unb
für ein Neliquiar gur Nnfberoahrung eine« ©ranium« burch ba« ÜJtinifterium
für ©ultu« unb Unterricht, bie für ein heilige« ©rab unb ben Hochaltar
einer X)omfirche burch bie öeo*©efellfchaft felbft eingeleitet unb erlebigt rourben.
Nrn lebhafteren war ber Vkttbewerb für eine einfache Vfarrfirche, für welchen nicht
weniger al« 44 Vrojecte eingereicht rourben. £)ie rege Vetheiligung lieb in fehr er
treulicher VSeife erfennen, baf« e« nur einer oon mafegebenben ©teilen au«gehenben
Anregung bebarf, um bie Slrchiteften unferer Xage für bie Ööfung ber Aufgaben
fachlicher Vaufunft wirtlich gu intereffieren. ^rincipieUe Veben(en machten fleh gegen
irgenb eine ^ormengebung al« folche nicht geltenb. $ür bie 3uerfennung ber greife,
bie gu je 1000 fronen äeopolb Vauer, Vhmibalb Meininger unb 3. 3nfche gufielen,
gab, abgefehen oon ber Verücffuhtigung liturgifcher ©rforberniffe, ber fi’mftlerifche
V*ert ber Entwürfe ben NuSfchlag. X)ie in ben fogenannten hiftorifchen ©tilen ge
baltenen Vrojecte boten nicht oiel VerüdfichtigenSroerte« unb roaren gegenüber ben
Anhängern ber ÜJtobeme ober ben ber letzteren fuh balb mehr, halb minber auSge^
fprochen nähemben ^rojectanten in ber ÜJlinbergahl. X)iefe Xhatfache gibt für bie
Nlöglichfeit bauernber ^Behauptung ber trabitionellen ©tilformen ernftlich gu benten
unb ift nicht gu unterfchäfcen. X)ie Nührigfeit ber ÜJloberne hat ftch mit unbeftreitbarem
©rfolge auch auf ba« ©ebiet be« kirchenbaue« gewagt unb wirb fuh, wenn ba«
beute noch oft anhaftenbe s 2lbfonberli<he, Überlabene unb ÜJlifSoerftanbene überrounben
ift, vielleicht auf bemfelben gu behaupten roiffen. X)enn e« fteeft viel ©mft unb giel
bewufstes Sollen, eine frifch pulfierenbe SebenSfraft in biefem ©infe&en, bem bie
hiftorifchen ©tile mit einer au«gefprochenen SDlorofität, matten ©reifenhaftigteit unb
(ehr troefenen Nüchternheit gegenüberftehen. Nlag auch ber kirchenbau h eu * e nicht
mehr bie fiihrenbe Nolle wie in ben lagen ber ©othif haben, fo bleibt er hoch noch
ba« tiinftlerifch weiheoollfte Problem ber Vaufunft. 3ür feine Söfung fleh mit einer
'«Hngabl neuer ©ebanfen eingefept gu hnben unb ernftlich in Vetracht getommen gu
fein, bezeichnet für bie Ntobevne ein Vorbringen auf bi«her oerfchloffene« ©ebiet. ©s
wirb oon ihrem Xafte abbängen, ob fie ftch auf bemfelben behaupten unb erhöhte
<Geltung gu erringen oermag, ba hi** ba« 3uriicfbrängen ber Xrabition fernerer als
anberSwo ift. 3n ber Neliquiarconcurreng, für welche nur fteben ©ntwiirfe eingereicht
waren, würbe ber erfte Vrei« non 5(X) fronen bem Vilbhauer ^elegnp guerfannt
unb non ber 3uerfennung be« gweiten greife« abgefehen, obgroar einige Entwürfe
beachtenswerte tünftlerifche ©ingelheiten boten. X)ie non ber &o*©efeüfchaft felbft
alebigten ©oncurrengen für ein heilig ©rab unb ben Hochaltar einer S)omfirche
nerliefen ergebnislos. 3ür erftere« waren oon 9 Bewerbern 11 Vrojecte übergeben
worben, beren oerhältniSmäBig befte« wegen wefentlicher liturgifcher Vebenfen betreff«
ber Nusgeftaltung be« ©rpofitorium« einen -Brei« nicht erlangen fonnte. Um aber
ein billige« unb wiirbige« heilige« ©rab, ba« für ben praftifchen ©ebrauch empfohlen
werben fönnte, in abfehbarev 3«t gu erlangen, würbe bem X)irectorium ber tfeo
©efellfchaft empfohlen, bei gleichgeitiger Erhöhung ber greife, für welche bereit« bie
©efammtfumme oon 2000 krönen bewilligt erfcheint, einen neuen befdjränften 5Bett
bewerb einguletten. Von ben groei Jpochaltarentwürfen errang (einer ben 'Preis, ©ine
pom Nlinifterium in NuSficht genommene Vublication wirb über bie oier ©ow
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^ofeph Weurotrtb.
currenten unb babci auch über Vorzüge ber nicht mit greifen bebauten Gntroürfe
roeitere Greife orientieren, Die AuSftedung oder Gntroürfe in ber Afabemie ber
bilbenben fünfte bot benfelben ohnehin Gelegenheit, baS Gefammtmaterial unmittel
bar nebeneinanber fennen $u lernen. Die jum X^eil negativen Grgebniffe fmb nicht
minber lehrreich, Sie geigen, bafS bie Veroältigung ber geteilten Aufgaben ben
ftünftlem unferer 3eit etroaS feitab liegt unb ©chroierigfeiten macht, roeü Aufträge
biefer Art nicht alltäglich ftnb unb Verüdfichtigung von GefichtSpunften forbent, mit
melchen nur eine roirfliche Vertiefung in ben fachlichen 3^>ecf ftch erfolgreich atyu
finben vermag. DafS für eine folche in unferen Xagen mit ben in IRebe ftebenben
döettberoerbern bie VermittlungSbrüde gefchlagen mürbe unb an ihnen ftch baS
tereffe ber Zünftler für bie Ausführung tirchlicher Arbeiten ftch neubelebte, bleibt bei*
unbeftreitbare, in bie Augen fpringenbe Grfolg ber burch bie i*eo*GefeÖf(haft veran
lafSten Action.
Unter ben ftänbigen Veranstaltungen unfereS ShmftlebenS behaupteten nach
ber Starte beS VefucbeS unb nach ber &bhaftigfeit ber DiScuffion roieber bie
AuSftellungen ber Vereinigung bilbenber Zünftler Cfterreich«
„Seceffion" ben erften Vlafc. 3ebe berfelben hufa ein befonbereS 3ugftüd. ^ür
bie Jebruar* unb dRärjauSftedung mar eS Vödlin’S „ÜReereSibpUe", melche befanntlicb
baS Unterrichtsministerium für bie mobeme Galerie erroarb. ©ie jäblt tu jenen
dReereSbarftedungen beS dReifter«, bie in baS feuchtplätfchembe Iritonenleben unb
feine von ©eebunben unb anberem dReergethier belebte Umgebung führen. Die
)RaumauSnüßung für bie Gompofition, bie VeroegungSmotive, döedenfchlag unb
döolfenjug teigen bie volle dteife ber Ausführung. An Seuchtfraft ber Qfarbe bie bei
ber feineSroegS fehr glücfliehen Auffteüung nicht recht jur Geltung tarn, Steht baS
V$erf hinter anberen Vödlin Schöpfungen etmaS jurüd, roirb aber ein guter Vcr
treter beS dReifter« auf Wiener Voben bleiben. Die AuSftedung mar auf öfterretchifche
unb beutfehe Zünftler (aus München, Verlin, VreSlau, Stuttgart, DreSben) befchränft
Die Vtünchener ftiinftlervereinigung „Scholle" betheiligte ftch corporativ; einzelne
ber ihr angehörigen dRaler Guftav Vechler, dRap Fehler, Grich Grler-Samaben unb
Jriß Grler, SBalther Georgi, Abolf dRün*er, *ranj Voigt unb Robert dßeife
maren Sogar mit jroei bis brei döerfen vertreten. Gin eigentlich paefenbe« Vilb
von großer GeftaltungSfraft befanb ftch nicht unter ihnen. dtubolf v. Alt er
möglichte an jroei au« ben fahren 1873 unb 1901 ftammenben VÜbem („dktntbeon
in dtoro" unb „Goifern") ben intereffanten Vergleich feiner ArbeitSroeife vor mehr
als einem Vierteljahrhunbert unb in ber Gegenmart. Ginige £anbfchaften von Guft.
ftlimt zeigten bereits befannte Vorzüge. Die AuSftedung eines von ihm noch nicht
voUenbeten VorträtS mar ein dRifSgriff. Gin folcheS ©tüd aus ber Jpanb eine« ver¬
storbenen .Hiinftler« begegnet pietätvoller Aufnahme, vom lebenben verlangt man —
unb ba« mit JRecht — ba« fertige. Viedeicht ließe man eine folche Gptravagam
noch ruhig über ftch ergeben, ivenn baS döerf gan* Au&ergeroöhnlicheS $u Sagen
batte, maS hier gar ntebt ber JfaU mar. Denn auch ein halbes 3ahr Später hätte
bie« Vilbni« faum eine hochgehenbe DiScuffion erregt. dRanchen Vefucher verftimmten
bie in ^arbe itnb 3et<hnung garten „Golbfifche" SUimt’S, in melchen gemiffe Gimeln
beiten beS menschlichen Körper« turn dRinbeften auf eine ber gröberen dRenge nicht
gerabe fpmpathifchen dßeife etivaS oftentativ in ben Vorbergrunb gerüdt mürben,
d&nu auch ba« Übrige ganj brillant gemalt ift, thut eS hoch ber VMrfung eines Gemälbe*
Gintrag, menn ba« Gefühl mancher Vefucher ftch tu feiner näheren Veftchtigung erft
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BMener Shmftleben Jänner bik 3Jlai 1902). Hl9
burcbfämpfen mufk. Bolle Beachtung fanbcn bie oon (£mil Orlif aukgeftellten Stüde,
welche bie Bielfeitigfeit bek jungen ftünftlerk red^t günftig §ur Geltung brachten, (Sin
faft einjähriger Aufenthalt in ^apan felbft erflärt feine Nfeifterfcbaft in ber äunft bek
Jarbenholjfchnittek, in welcher Orlif nach Nfotioen unb Jormenfpracbe faft Japaner
geworben ju fein fcheint. Auk Allem fpricht eine fraftoolle Berfönlicbfeit oon ftarfem
BtoHen unb können, bie bei 3uoerläffigfeit ber 3^i<hwung gefcbmadooll componiert
unb prächtig coloriert. $ie jeidptenben fünfte famen abgefehen oon Orlif auch in
ber (SoUection ber Originale ju „©erlacb’k 3ugenbbü<berei" jum SBorte, bie in
Bertholb fieffler’k $)arfteHungen ju „$>ek Änaben Bhtnberhorn", in ben oon ftarl
^htinger, 3gn. Jafcbner unb A. Söeifegärber gearbeiteten Bilbern ju ben (5>rimm’fcben
Härchen, in (Sjefcbfa’k ^Uuftrationen $u $ebel'k „Scbafcfäftlein" ober in ben an
(ftchenborff’S ©ebicbte anfcblie&enben (£ompofitionen oon &orft*Scbulfce fehr glücflid)
bie nunmehrige Unabhängigfeit ber beutfchen Bucbiüuftration — befonberk be*
Btärcbenk — oon ber Nachahmung Bktlther (irane'k oeranfcbauücbten. 3)ak quillt
wirflich in ber Sprache beutfcher ftunft auk ben liefen bek beutfchen $emüthek unb
greift mit feinem Ipumor, feiner fprubelnben (Sinbilbungkfraft unb wieber mit ber
Schlichtheit bek SoneS an’k §erj. 4 3m Allgemeinen war ber (Sinbrud ber 13. Seceffions
aukftellung günftig, ber Verlauf für bie Zünftler, welche mehr alk ein drittel ber
aukgeftellten Söerfe oerfauften, auch materiell befriebigenb.
3n einer bikher noch nicht bagewefenen B$eife machte bie 14. Aufteilung ber
Seceifion ein einjigek bebeutenbek ftunftwerf jurn $>auptan$iehungepunfte ber $)ar
bietungen, nämlich 9Jtay ftlinger’k nach 15jähr. Arbeit oollenbeten „Beethooen".
Jür feine meiheoolle Aufftellung, ber ein fleinerer Naum unb eine etwak anbere
Beleuchtung wahrfcheinlich günftiger geweien wären, fucbten bie Wiener ftünftler
einen eigenartigen Nahmen $u fchaffen, einen ber BMrfung ber Älinger Schöpfung
fich unterorbnenben unb fte zugleich hrbenben Naum, beffen möglichft unaufbringlidje
Aufchmücfung ber Nlalerei unb Bilbnerei *ufaUen follten. (Sinem gemeinfam aus«
gearbeiteten Blane jufolge betheiligte üch faft jebek Seceffionkmitglieb an ber Aus
tübrung biefer Arbeit, welche an bie Selbftlofigfeit unb CpfermiHigfeit ber H'ünftlev
infofern hohe Anforberungen ftellte, alk biefe Aukfchmüdung nach Schluff ber Aue
ftellung theilweife hetabgefchlagen werben unb ber Vernichtung anheimfaUen ntufe.
(Sk läfkt fich gar nicht beftreiten, bafk etwak ®rofjek in einer folchen jielbewufkten
Aukgeftaltung bek ^nnenraumes liegen fann, bafk eine burch oielev jpänbe Arbeit
entftanbene Naumfcböpfung biefer Art, bie mit allen febönen Nebenkarten immer noch
nicht jum Anfafce einer mobemen Xempelfunft hinaufgefchraubt werben fann, fchon
eine gewiffe s Beif)e an fleh trage. §ier erfchien fte alk eine öulbigung für bak Akrf
ftünger’k, aber zugleich auch alk Verfuch einer einheitlich fdjaffenben Naumfunft, ber
ja manches recht Übertriebene geboten, jeboch nicht minber manch mertoollen Ringer*
jeig für neue 3iele gegeben hat. Nur empfiehlt ek fich nicht, bafk man bie Sache
ber Öffentlichfeit gegenüber fo barfteUt, alk ob überhaupt je&t erfi burch bie Naum
funft bie Seceffion unb ihre Begebungen entbeeft worben wäre. Sie ift ben großen
Nömerbauten, bem romanifchen unb gothifchen Stile, ber Nenaiffance' unb Barocf
epoche bereits wohl befannt gewefen. s JNan benfe $. B. nur an bak Softem
romanifcher ftirchenbemalung, an bie allerbingk feltenen Beifpiele wohlerhaltener
Btanb* unb QHakmalereien ber gothifchen Beriobe. Unb ek wirb gewifk noch lange
bauern, ehe bie mobernc Bewegung unk fo oornehme Näume fchenfen unb fdpnüden
wirb, wie fie in ben öfterreiebifeben ftlöftem St. Florian, .Hloftemeuburg, in ben
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620 ^ofepb Reuivirtb.
Vibliotbetefälen ju s Hbmont unb bet Wiener §ofbibliotbef in ivirflicb monumentaler
V&eife auSgefübrt mürben.
Die fünftlerifcbe ©efammtleitung lag in ben fcänben ^ofepb £>offmann’s, ber
ben SluSftellungSräumen ben (Sbarafter ber ^Monumentalität fiebern ivoHte unb in
ber Slmvenbung burcbauS echten ÜJtoterialeS fomie in ber gormenfpradbe größte
(Einfachheit anftrebte. Die arcbiteftontfcbe ©üeberung ber 2öänbe mürbe burcb ben
v Becbfel rauben VeivurfeS unb glatt verpufeter flächen verfugt „Me ftärfer für ftch
felbft fprecbenben Xbeile" beS gemalten unb plaftifcben 2 Banbfdjmucfe§ biteben auf
bie ©eitenfäle befcbränft, um bie Ruhe für ben ©enufS be§ JnxuptroerfeS ju magren.
Da letzteres burcb Öffnungen ber ©eitenfäle gegen ben SMittelfaal von erhöhtem
©tanbpunfte unb aus; ber (Entfernung ficbtbar mar, mürbe ber an einen vor
gefcbriebenen Runbgang gehaltene Vefucber mit einer geroiffen fünftlerifcben Wtcbt
auf ba$ Veetbovenbenfmal vorbereitet. Unftreitig lag in bem ©anjen trofc alles
©trebenS nach (Einfachheit fcbon etivaS ju viel fünftlerifcbeS Raffinement, baS bem
im ftunftgenuffe bereite etivaS verivöbnten ©aumen beö ©egemvartSmenfeben burcb
befonberS geroürjte neue Sederbiffen §u vei$en fuebt. 9luf baS ©etünfitelte mürbe
mieberbolt ftärfered ©emiebt gelegt al$ auf bie $unft. 9lm meiften befproeben mürben
bie an ben oberen Vtenbbälften beS linfen ©eitenfaaleS frieSartig bi n l au fart* n
©anbgemälbe, bie ©uftao Älimt in ftafainfarbe auf aufgetragenem ©tue! auSgefübrt
bat ©ie febilberten in jufantmenbängenbet ftolge bie ©ebnfuebt nach bem ©lüd unb
bie Reiben ber OMenfcbbeit, beren Bitten ben moblgeriifteten ©tarfen $um Ringen
nach bem ©lüde beftimmen, bie feinblidjen ©eroalten unb bie barübet bwroeg
fliegenben VMinfcbe ber SMenfcben, bie ©tiHung ber ©liideSfebnfucbt in ber Voefie
unb bas Jpinüberfübren bureb bie ftunft ins Reich beS Qbealen, reinfter greube unb
reinften ©lüdeS in bem ber (Sb^r ber s Jarabiefe^engel jubelt: „SJreube, feböner
©ötterfunfe! liefen ftufs ber ganzen 2Belt." Diefe Vilberfolge als eine ©cböpfung
3 U betrachten, bie, mie manche glauben machen mollten, an ©eftaltungSfraft unb
©ebanfeninbalt felbft einen Rlicbelangelo in ©chatten ftelle, bürfte roobl nur einigen
unbebingt ©laubigen beS neuen MunftevangeliumS belieben geroefen fein, ©elbft
ein aufrichtiger Jreunb ber mobernen Veftrebungen, ber bie guten (Einjelbeiten bes
Mlimt’fcben SßerfeS gern jugeftebt tonnte ftcb faum für bie $lnerfennung ber ©efammt
leiftung ermärmen. ^n ihr fteden fo viel aufbringlicbe Unflätigleiten, bafS man fich,
ohne ben Xugenbbolb fpielen ju roollen, birect angemtbert fühlen mufS. ©ie jum
©cbmude eine« auf möglkbft 3 ablreicben Vefucb reebnenben SluSftellungSunternebmenS
*u machen, bas in erfter Cinie jur Vereblung bes ©efcbmadeS unb $ut Gilbung be«
^erjens beitragen roill, fcheint jum minbeften ein ÜJtifSgriff 3 U fein, ©iulio Romano
bat im s ßala\}o bei Ie in Rtantua ja auch fo manches bargeftellt, baS etwas febr
freie ©eenen in gan* unjmeibeutiger 2 öeife bebanbelt; aber bie bamit bebauten
Räume maren vom Einfang an nicht allgemeinem Vefucbe zugänglich. Unb menn
man fich bavauf beruft, bafS bas äBabre baS Vtefen ber Äunft auSmache unb überall
bort, mo e« fich um emfte ftunftbeftrebungen banble, ohne ©infcbränlung jum 3öorte
fommen folle, fo läfst fich biefer ©runbfab feineSmegS ohne eine geroiffe Rüdficbt
nähme auf £rt unb berart anmenben, bafS gerabe baS am meiften abftofjenbe
am augenfälligftett enthüllt merben ntuf«. 3 ^ ntünblicber Rtittbeilung läfst ftcb für
ba« bitterfte SSktb^ oft eine milbe $onn ber Vermittlung finben; ja, man hält &
fogar für eine Vflicb* guten gefellfchaftlicben VerfebreS, nicht jebe SBab^b«*» bie man
fennt, meiteren Greifen im vollen Umfange mihutbeilen. Die JVortn fiinftlerifcber
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Wiener ftunftleben (Jänner bie 9Jtai 1902)
621
Vftttbeilung n)irb baher wohl ebenfo wenig in baS ©ebiet beS brutal fahren greifen
bürfen, wenn fte ftch an bie große OJtenge wenbet, bie nicht abgeftofeen, fonbern an
gezogen werben foll. Auch in ber juriicfhaltenben Abmeffung beffen, was in ^fällen
wie in bem oorliegenben oor ein gro&eS publicum gebraut werben barf, liegt eine
ftunft 2öenn man ftcb jum Verbreiter einer neuen ftarfen ftunft, beS SBafjren unb
beS ©efchmacfoollen aufwirft unb baS Volf für bie Anerfennung neuer 9fr ccn
erziehen will, bann foll man tyrn nic^t jur ©inführung fchlechte ßoft oorfefeen, welche
bie ÜJlebrbeit unbebingt anwibert unb abftöfet, unb fich feineSwegS bamit tröften,
bie ©efammtheit werbe auch an folche Derbheiten ftch gewönnen. ®ie Art ihrer Auf
faffung unb Darftellung mag immerhin Diel &unft jetgen, für beren ganj unbefangenen,
oon jeber ftnnlichen Vegung freibleibenben ©enufS aber bie Allgemeinheit nicht reif
ift unb nicht fo leicht reif werben wirb. 3nriictweifung unb Verfpottung fonft
förberungSwerter Begebungen gerabeju he*auSforbern unb beenge auSgefprochene
Begünftigung in eine baS Söeitere oorftchtig abwartenbe ober bereits birect ablehnenbe
Stellung hineinbrängen, ift minbeftenS unflug. „Viel ?feinb, oiel ©hr!" ift ein feht
beherjigenSwertheS Vkihtwovt; eS !ann unb foll auch jur fünftlerifchen Selbftjucht
führen, beren ftochhaltung ftetS jur Hebung wahrer $unft mehr beigetragen hat als
irgenb eine in eingebilbeter Freiheit fchwelgenbe ©efchmacfloftgfeit. Doch genug baoon! —
ber äufjeren Anorbnung wich man oon ber bisherigen Gepflogenheit ber Hummern*
beigabe infofern ab, als man ben einzelnen Werfen ftatt ber 3ahlen bie mitunter recht
hiibfchen Stünftlermonogramme beigab. Diefelben würben auch ben Angaben beS
.HatalogeS beigefefct, ben Criginalholjfchnitte oon Anbri, Qettmar, ^rriebr. Äönig,
Murjweil, Vtay Ben$, Wilhelm Sift, ©lena Suffch-ÜJtofooSfp, ÜJtoll, ftoloman 'Utofev,
ftel. o. 3Jtprba<h, Crlif unb ©rnft Stöhr fdpnücften. DafS jumeift ber DarftellungS
gegenftanb oerfchwiegen würbe, bei bem ja hoch nicht auSfchlie&lich ber Auffchlufs
über bie in jebem ©injelfalle gehanbhabte $echnif, fonbern jugleich ber DarftellungS
inhalt intereffiert, foll Dielen AuSftellungSbefuchem abgegangen fein. Die ©infchaltung
Der Ausführungen über Vaumfunft auS Minger’S Schrift „Vtalerei unb 3*Hhnung"
galt gleich bem Vorworte oon ©rnft Stöhr ber ©rflärung ber ©ebanfen, welche $u
Diefer neuen AusfteüungSform geführt hatten, ©in auSgefprochener ÜJlifSgriff war
bas AuSftellungsplafat, beffen Selbftjwecf mit bem AuSfchnitte aus einem AuS
ftellungSwerfe gänzlich aufgegeben würbe.
Mlinger’S „Beethooen" felbft war bei oortrefflieber Beleuchtung in bem
Üftittelfaale aufgeftellt unb fam in einfanter ©röfje wirtlich $u einer ergreifenben
BMrfung. Denn bie beiben im rücfwärtigen Xheüe beS Saales angeorbneten
Brunnennifchen mit ben oon Vieh- Buffd) auS blauem Stampfbeton mobellierten
Figuren, beren gebunbene Auffaffung an manches Vorbilb auS bem Alterthume
gemahnt, Drängten ftch ebenfowenig oor als bie ftranjträgerinnen oon Vub. Bacher
auf ben Bfailem oor ber Stimwanb; auch an ihnen finb Anflänge an bie ftunft
Des AlterthumS ganj unoertennbar. Die grofee 9Jtenge intereffierte an bem Beethooen*
benfmale junächft bie fo augenfällige Vtonnigfaltigfeit beS VteterialeS; oier Btovntor
arten, Bronce, ©Ifenbein unb Ipalbebelfteine oereinigen ftch h*w ju* fünftlerifchen
Berförperung eines großen ©ebanfenS. AuS ben Beenden ftammt ber wolfenartig
lieh oorfchiebenbe Unterbau unb ber auf ihm fauernbe Abler, auS BaroS baS foft
bare VSeife ber Achtbaren Q'lcifc^theile; golbgelber, reichgeaberter öaafer Dnpj: ift für
DaS bie Beine oerhüUenbe ©ewanb oerwenbet. Den mit Wachreliefs ringsum
gefchmiicften Broncefeffel, eine h^öorragenbe tfeiftung moberner ©iefefunft, jiert ein
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Qofepb 9teuroirtb.
ti22
aud Onqr unb Opalftüden gebildeter ÜJtofaifftreifen, oon bcm fünf ©ngeldföpfe in
(Slfenbeinfcbni&erei ftcb prächtig abbeben, ob^roar habet etroad oon ber monumentalen
SRube bed ©anjen oerloren gebt. $)afd einer berfelben mit bem 3eigefinger bed oor
mittig neben bem rechten $lügel ftcb oorftrecfenben hänbcbend nach bem haupte
Veetbooen’d bedeutet, ifi recht naio gebacbt. 2>ie $arfteüung bed ©eroaltigen trägt
ben Stempel ^o^cr ftunft an fid). 3n ber etroad oorgeneigten, jeben 9lugenblid §u
tbatenfrifchem (Erbeben unb Bodbrecben bereiten haltung, in ben gefammelte Straft
tünbenben geballten Rauften ift bei aller SBeltoer lorenbeit unb Slbfebr oon ber 91U-
tagdumgebung bad grofee 3Befen Veetbooen’d monumental oerförpert. 2Bie bad 9lntlU’>
unb ber oorgebeugte Oberförper mit bem fräftigen Jpald unb 9tacfen, fomie mit ben
tragfäbigen Schultern ins geiftige Mittel gefteHt find unb ihnen alled Reimer! fidj
in einer ganj beftimmten 9lbftufung unterorbnet, erscheint feinfühlig abgeroogen. %ex
fpmbolifcbe flugbereite 5lbler, ber ftcb roie ber föomponift oon ber 2Belt abfebrt unb,
febon auf bem s Iöolfenranbe lauernd, noch in böb ere Legionen ftcb erbeben möchte,
nimmt bad hauptmotio ber ßornpofitiondinbalted nochmals geradezu unauffällig auf
unb oerftärft bad Mächtige feiner SBirfung. Vei bem Schöpfer bed noch immer
oielgenannten ©emälbed „©briftud im Clpmp", bad bie ©egenüberftellung bed höcbften
jroeier einanber entgegengefettten Gelten bebanbeln roill, befrembet und in ben Reliefe
bed Ibronfeffeld feinedroegd bad (Eingehen auf bie gleichen Vorftellungdfreife, auf
antifed heibentbum unb ^btiftentbum. $antaludqual unb SünbenfaH fchlagen oer^
rnanbte Saiten menfglichen hodpnutbed unb ^fteoeld an. Unb roenn ber Vteifter bao
©olgatbabrama an ber 9tüdfeite über bie ben 2Bellen entfteigenbe Scbönbeitdgöttin
ftellt, fo mirb barin unftreitig bie ftinftlerifcbe hinbeutung auf ben Sieg bed ©haften
tbumed über bie Qbeale ber 9lntife erblidt merben bürfen. $)ie haltung bed ©efreujigten
*eigt mehrere nicht gerabe anfpreebenbe härten. $ad Beuchten unb Vlinfen ber
abgefchliffenen Seitenroangen beeinträchtigt bie SRube bed (£inbru<fed, mäbrenb bad
oon ben ©ngeldföpfen burebbroebene blaue Opalbanb bie SRüdlebne roirfungdooll
abfcbliefet Ohne bie Irompetenftöfee oerftärfen §u roollen, bafd man ftcb 3 um Vergleiche
mit erftclaffigen üfteifterroerfen bed Vbtbiad ober üJticbelangelo gebrängt fühle, mirb
man oorurtbeildfrei unb gern jugeben, bafd ftltnger’d „Veetbooen” unftreitig bie
beroorragenbfte Schöpfung beutfeber ^Maftif unfered jungen ^abrbunberted fei. Sic
gerabe in SBien $um erftenmale oor ein grofeed Slunftpublicum gebracht au h a ben,
bleibt ein grofced Verbienft ber Seceffion, für beren SludfteUung Älinger außerdem
einen febr angehenden unb feinen Vtäbcbenfopf aud ÜHarmor unb einen fraftooUen
Vronce Athleten beigefteUt batte. $ie hohe fünftlerifcbe Vebeutung bed VJerfed läfdt
ed leicht begreiflich erfebeinen, bafd balb nach ber 9ludftellungderöffnung bie Ver
mirtlicbung bed ©ebanfend ind 2luge gefafdt mürbe, bad Veetbooenbenfmal bleibenb
für s Iöien ju ermerben, bad bamit jroeifellod eine beroorragenbe Sebendroürbigfeit in
ber nicht unbeträchtlichen 3<*bl feiner er f tcn ftunftfcbäfee binjugeroonnen hätte. — $rofc
mancher birect abfto&enber ©injelbeiten mar bie 14. Seceffiondaudfteüung in ber
hauptfacbe immerhin eine eigenartige, über ©eroobnbeitdbarbietungen jielberoufdt
binaudgebenbe fünftlerifcbe Unternehmung, beren Xbeilnebmer ben Segen einer 3n*ä
unb Veftimmung babenben 9lrbeit an ftcb erfahren unb lernen rooKten. hoffentlich
lernt man für bie 3ufunft gefchmadlofe OJtifdgriffe meiben, bie bem JJörberadroerten
ber neuen Dichtung nur abträglich ftnb unb ben ^ctbfreichen ©egnem berfelben
9Baffer auf bie 9lblebnungdmüble treiben. 55)enn bafd alled, mad bie 9ludftellung
bot, fchön unb über jeben Xabel erhaben mar, glauben hoch bie Seceffiondmitglieber
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Wiener Munftleben (Jänner biß ÜRai 1992).
62;5
feibft nicht; als 2Renfchenroert roar fte ja non allem Anbeginne beftimmt, nur Stüd
roerf §u fein unb trofc eine« geroifß ganj feltenen Äunftgenuffeß ben Stempel beß nicht
burchauß Vefriebigenben, beß in geroiffer Vejiehung Unoollenbeten an ftch ju tragen.
Die SecefftonßaußfteUung mit bem Älinger’fdjen „Veethopen" alß 3Rittelpunft
peranlafßte ben Unio.=Vtof. Dr. (Guibo 9lbler, in feinen Vorlefungen ftch über bie
äußere Erlernung beß Eomponiften unb bie Veethopen*Vilbroerfe näher außjufprechen
unb auf bie Ebenbürtigkeit ber Schöpfungen oon 3umbufch unb Jünger htnjuroeifen,
roelche perfchiebene Probleme ju löfen perfuchen. gn *>ex Vubget*Eommiffion beß
§errenbaufeß rourbe mit houptfächlicher !peranjiebung ber Vierte SUimt’ß bie „Iran!
hafte (Gefchmadßentroidlung" ber 3^it -erörtert unb perlangt, bafß baß Unterrichtß
minifterium eine folche Eunft nicht unterftüßen, fonbent alleß aufbieten folle, um
biefc Dichtung einjubämmen. 2Rinifter Dr. p. Partei lehnte bie birecte Etnflufß*
nähme auf bie Entroidlung einer $unftri<htung mit [Recht ab, ba eß roeber in feiner
9Racht liege, noch er eß für richtig h a lte, bie freie Entroidlung ber ftunft ju hemmen,
feibft roenn er bie ÜRadjt baju hotte. gn ber Verroaltung beß ftunftrejfortß höbe
er nicht feinen eigenen (Gefchmad burchsufeßen, fonbent müffe ftch ben perfdjtebenen
Äunftrichtungen gegenüber objectip perhalten unb aüeß unterlaffen, maß bie $unft
entroidlung hinten tonnte, (Geroifß barf jebermann über ein öffentlich außgefteütee
ftunftroerf fein Urtheil außfprechen; aber bei beoorjugter Stellung mufß bieß ftetß aud)
mit [Rüdftcht auf bie Vebeutung beß für bie Erörterung gewählten Crteß gefchehen.
Einen folchen ungeroöhnlich ftarten 3lnjiehungßpun!t, roie ihn bie rührige
Seceffton in Älinger’ß „Veethopen" gewonnen hotte, befaßen bie perfchiebenen 33 e r-
anftaltungen im Zünftler häufe nicht. 3>h r e [Reihe eröffnete bie Slußftellung
oon Vierten Ebuarbß p. fiidjtenfelß unb beß tünftlerifchen [Radjlaffeß pon Eugen
Zettel, roelche ben Unterfchieb ber Sluffaffung unb Vehanblung beiber Zünftler in
intereffanter 3Bcifc peranfchaulichte unb bie (Gelegenheit jur Vergleichung ber foge
nannten alten Dechnif mit ben mobemen Darftellungßgrunbfäßen bot. (Gleichzeitig
fteüte ftoppap im mittleren Vorterrefaale beß Äiinftlerhaufeß ^orträtß mehrerer
s JRitglieber beß s 2lllerhöchften ftaiferhaufeß auß, benen ftch noch bie VUbniffe per
fchiebener ^föoltchfeiten ber oornehmen Sööiener (Gef ellfchaftßf reife, roie beß ehemaligen
Oberfthofmeifterß 3h^cr 2Rajeftät ber perftorbenen ftatferin, Varon [Ropcfa, ber Erb-
printeffmnen $arl unb Johann Schwarzenberg, ber grau Ääthe Dreher, anfchloffen.
Unter biefen äßerfen ßoppap’ß rourbe baß Vilbniß ber neupermählten gürftin
EUfabeth ju äßinbifchgräß alß baß anmuthigfte gerühmt. [Roch im Qanuar eröffnete
ber s 2lquarelliftenclub feine 16. 9lußfteüung, beren VSerte nicht gerabe ju oft über
'JRittelmäfügteit hinaußgiengen. — Die am 22. ÜRärz 1902 eröffnete ^ahreßaußfieüung
ber (Genoffenfchaft ber bilbenben ftünftler SBienß umfafßte roieber roeit über 500 Vierte,
roorunter ja mancheß intereffante, roenn auch nicht gerabe piel henrorragenbeß roar.
3Rit einiger Vefriebigung tonnte man feftftellen, bafß bie einheimischen 3Raler, objroar
biefelben im Vergleiche ju früheren 9lußftellungen an 3ohl weniger brachten, gegen
baß befonberß burch Verlin unb Variß oertretene Slußlanb nicht jurüdftanben. Denn
ber fiocaloerein ber allgemeinen beutfehen ftunftgenoffenfehaft hotte mehr Verfehlteß
alß (Gelungeneß beigefteUt. Die granjofen rourben faft oon ben Vorifer Slmeritanem
übertroffen, bie freilich gleichfaüß nicht burch befonbere Darbietungen feffelten. Eß
gab im (Ganzen mancheß Slnfprechenbe, bei bem man auch länger alß einen klugen-
blid gern perroeilte. [über man rourbe beim Vergleiche mit ben Unternehmungen
beß fcagenbunbeß ober Seceffton bie Empfinbung nicht loß, bafß ein geroiffer Drud
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624
3ofeph 'Jleuwirth.
be« ÜWiiben auf bei* Veranftaltung lafte unb ber 3«fl einer fröhlichen Darbietung
fehle ober wenigften« ftarf auriief trete. ÜNehrere recht tüchtige Üeiftungen umfaßte
bie (Gruppe ber Vilbniffe, für welche $. ©. £ä«&lo ba« Porträt Sr. §eiligfeit be«
Vapjte« &o XIII. unb jene« be« ©arbinal« ^HampoUa beigefteüt b^- tfeßtere« war
oiellekht ba« befte Vilbni« ber 9lu«fteüung, bebeutenb in Sluffaffung unb $lu«führung.
^luch in bem Sueger^orträte oon Vochwal«fi fteefen gute 3üge eine« Wepräfentation«
bilbe«, ba« bei malerifcher Schlichtheit leben«wahre VMrtung erreicht. l*eopolfc>
Joorooife, beffen intereffante« Selbftbilbni« etwa« gefchledt au«fah, blieb in bem
Vilbniffe Sr. OTajeftät be« Äaifer« eigentlich oon bem beftriefenben 3ouber lieben«
mürbiger '^erfönlichfeit in innigfter 3rühlung mit menfchlicher Jpoheit fehr oiel
fchulbig. Die Vertretung ber religiöfen unb gefchichtUchen Vtalerei fönnte nicht
befriebigen. Söenn Qehubo ©pftein in feinem „Ipiob" feine einbringliche Jarbenbe
berrfchung mehr ber oirtuofen Vehanblung be« SRaffentppifchen al« einer groben
!berau«bilbung be« erfdjütternben 9Jtotioe« juwenbet, fo bleibt er un« eben bie fraupt
fache fchulbig. Tyaft ba«felbe begegnet bei „Vhurao’« Xrübfinn 44 oon ^[ean fiecomte
be 'Jtoup ober bei „$efu« ruht bei SJtortha unb ÜRaria au«" oon 3of. ÜJtariu« $lop.
Vkx« ber berliner Otto ©ngel al« „Veweinung ©hnfti" au«ftellt, fommt mit
einem unoerfennbaren Sdpoanfen jwifdjen älteren unb jüngeren Vorbilbem trofc
guten SBiüen« über gejuchte s ?ofe nicht binau« unb rührt feine«ioeg« an ben Saiten
berjbetoegenber Xragd gerabe biefe« Stoffe«, bei beffen' '-Betrachtung auch unfere
Seele bi« $u einem gewiffen (Grabe fdpnerjerfüllt mitoibrieren muf«. ©in berb
jugreifenbe« Speftafelftücf brachte ber ÜDliinchener 3e*tonanb (Göß in feiner „Ver-
fuchung be« heil. 2lntoniu«", welche bie VMirbe religiöfer ©rbauung«barfteüun<t
eigentlich gan* prei«gibt. fritdjcod erfcheint in feinem „§eil. (Genooefa" betitelten
Vierte für alle« anbere mehr intereffiert al« bafür, in ber §auptgeftalt auch einen
allgemeiner befannten Jpauptjug ber i*egenbe fünftlerifch $u oerförpern; wa« fte al«
Veiwerf umgeben foüte, ift fo jur £>auptfache geworben, baf« bie Eilige birect $ur
Staffage h^ubfinft, wobei e« au«gefprochene (Gefdpnadloftgfeit bleibt, bie« Viert
auch nur bem Xitel nach auf ba« (Gebiet religiöfer Darftellungen hinüberjurüden.
Solche Veiläufigfeit«motiüe oerbienen entfdpebenfte Ablehnung; fte niißen ber emften
.Hunft gar nicht« unb bringen ba« erjählenbe ftirchenbilb nur in ÜJtif«crebit. Da«
eigentliche (Gefdpcht«bilb oertraten am augenfäUigften, aber nicht am glüdlichften
©ichftätt „3wifchen iiignp unb Veile Miance", Vlefferfdpnitt „Xülp’« Verwunbung".
Center Schuh „Der große fturfürft in ber Schlacht bei unb >Köber
„Der leßte Staat«rath be« groben Murfiirften". Die Vebeutung ber Darftellungs-
momente läf«t fich gar nicht beftreiten; umfomehr jene ber DarfteUung felbft, bie in
eine folche Plattheit eine« wohlanftehenben Vortrag«tonee oerfällt, baf« eher alles
anbere al« eine politifdppatriotifche (Erhebung erhielt werben fann. Solange bie
(Gefdpchtemaletei folche Xenben^pfabe wanbeit, wirb fte faum höheren ©rebit erlangen.
©« ift bei un« felbft nicht oiel beffer. Da« lehrt un« „Die (Gefangennahme liola
Wiert^i’« butch Marl IV. auf bem frrabfdpn tn Vrag" be« jüngft oerftorbenen
tichechifchen Üflaler« 2B. Vrojtf. Sie ift ebenfo oofl hohler Vhtafe wie ba« befannte
Memälbe „Tu felix Austria nube“ ; ja au« leßterem unb anberen VroJif^Vierfen
ftnb manebe Figuren unb Darftellung«ein$elheiten einfach herübergenommen unb faft
in ber Vrt profeffton«mäfeigen Wbfchreiben« gan* geiftlo« oerwertet. So entwürbigt
fich bie (Gefdpcht«malerei felbft, bie nicht mit ber (Gröfee be« Stoffe« unb ber Vc-
hanblung al« Jvübrerin ftch behauptet, fonbern in (Gefälligfeit«bienften perflacht unt>
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Wiener Hunftleben (Jänner bis ÜJtoi,1202). 625
berabfommt. einen frifcbcren Ion feblägt öubwig Hoch an in feinem ®ouacbebilbe
„(Sin Oberftlieutenant beS 2. Infanterieregiments überbringt am 22. ^aai 1757,
nach bamaligem ©ebrauebe oon 20 $oftiUonen gefolgt, an bie Haiferin ÜJtoria Iberefta
nach Scbönbrunn bie Nachricht oom Siege oon Holin."
Unter ben plaftifcben AuSfteüungSobjecten oerbienten nähere Beachtung bie
tüchtigen ©Köpfungen unferer einbeimifeben ÜJtebailleure Sdpoarß, s ltfafcbmann,
^öreitbut, s #awlif unb 2Jtarfcball. Söiirbig präfentiert ficb baS in grofeügiger Cin
faebbeit gehaltene Denfmal für ben Pfarrer Qof. Straufe oon Xbeobor Cbarlemont,
Der nicht rninber in ben ÜftarmorreliefS „Singenbe 2Räb<ben" unb „3eicbner" mit
feiner (Smpfinbung auf bie öebenSwabrbeit einer oon 91ebenfäcblicbem freibleibenben
DarfteUung baS Hauptgewicht legt, ABäbrenb feine für ein Orabmal berechnete
„Trauer", ber Anf länge an bas Cbriftinengrabmal Canooa’S nicht ganz fremb finb,
ihrem 3wecfe entfprecbenb wirb, ftößt 3in$fer’S „Auferftebung" mit ihrem SütifSoei
bältniffe jroifchen 5igur unb fltaum gerabeju ab. Anfprecbenber gelingt eS bem
Münchener $8altbafar Schmitt in ber 9Jtarmorbüfte „St Abalbero oon Hambach"
unb im ($HpSrelief „St. ÜJtoyimilian" eine geioiffe Aöieberbelebung mittelalterlicher
DarftellungSweife, welche oon wirtlicher Durcbgeiftigung erfüllt ift. Die Aftberhofev
'43üfte oon Hauffungen unb bie Haiferbiifte oon s $enbl finb immerhin achtenswerte
Arbeiten. ASeigl’S „$8eetbooen" batte gerabe gegenüber bem in ber Seceffion aus
geteilten Hlingerwerfe einen ferneren Stanb; fein ISorträtrelief ber oerftorbenen
Haiferin eiifabetb gehört zweifellos $u ben befferen Darfteüungen biefer Hategorie.
Die Unterftüßung ber funftfmnigen Jperrfcherin ermöglichte bem S3ilbbauer Harl
Sdpoerzef bie ^ollenbung ber auSgefteüten 9teconftruction beS öffentlichen Parthenon
giebels, über welche ber genannte Hünftler im >Hepräfentationsfaale beS Zünftler
baufeS einen Sortrag h^*- Jvüt letzteres würbe bie Schaffung eines ^räfibenten
faaleS befchloffen, in welchem lüften ober $3ilbniffe aUer bisherige ^täfibenten ber
Oenoffenfdpift bauernb zur AuffteUung gelangen foüen.
DaS öfterreichifche s Utufeum für Hunft unb ^ubuftrie oeran
ftaltete in ber s 43erichtSperiobe feine AuSfteUung im großen Stile, 'über einige Heinere
Ausheilungen bes rührigen ^nftitutes, in welchem, wie bereits früher, Rührungen
burch bie Sammlungen oon ben einzelnen AbtbeilungSoorftänben aüwödjentlid)
zweimal feit bem 2. April wieber aufgenommen würben, boten anregenbe Abwech*
lung. Den 3eitoertreib einer oomebmen Dame beS 18. 3ahth un ^ er l eö iüuftrierten bie
bunten öidpbrude oon *!eloir für baS s T6ert »Une femme de qualitä«. .Heine CinzeL
heit beS frioolen ÖebenS ber erwähnten (Epoche ift iiberfehen, manche mit einer
behaglichen Schlüpfrigfeit, Zieles wirflich geiftreich behanbelt. Die 'Blumenmalerin
3rma Homlofp, weldie burch mehrere $abre Lehrerin ber Crzherzogin OJtaria Tberefta
war, ftellte eine größere Anzahl oon Arbeiten auS, benen ftcb liebeoollfteS Stubium
ber 9tatur unb größte ©ewiffenbaftigfeit unb Sorgfalt ber Ausführung nicht ab
fpreeben ließen, eine 3^it lang beherbergte baS öfterreichifche ÜDiufeum auch bie
Collection beS oom öfterreichifchen UnterricbtSminifterium begrünbeten iöanbev*
mufeumS, oon bem fchon oben bie SRebe war. Das (Ergebnis ber Concurrenz
für (Entwürfe funftgewerblicher Objecte auS bem ^oftiteltajrfonb war feineSwegs
befonberS günftig, ba bie Schreibzimmer eigentlich nichts empfehlenswertes boten
unb felbft bei ben etwas mehr anfpreebenben Speifezimmereinricbtungen nur ber
zweite Breis bem Ardpteften Otto 2Bptrlif juerfannt würbe. 5>ür ben entwurf
einer plaque würbe eine mit 31. December 1202 befriftete Concurrenz mit brei
Xie Shiltur. III. Satrrg ü. Jpeft HH)2.) 40
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3ofepb Keumirtb.
020
greifen aus bem ftoftiteltatfonb (2500, 1500 unb 800 Slronen) auSgefcbrieben, an
melier öfterreidjifdje ©taatSangebörige ober innerhalb beS ©ebieteS ber im Keicb*
ratbe oertretenen ftönigreicbe unb ifönber anfäffige Mnftler fub beteiligen tönnen.
Kicbt minber eifrig beteiligte ficb baS üttufeum an ben Vorbereitungen für bie
MuSfteüungen in lurin unb üonbon; an leßterem Crte mill baS öfterreidjifefte
ftunftgeroerbe barauf auSgeben, ben in eine Vnzabl oon Interieurs jerfaüenben
KuSfteUungSräumen ben fünftlerifcb oornebmeu (£batafter eines einheitlich ge^
fdjloffenen VilbeS zu geben unb zugleich ben IppuS eleganter ©efellfchaftSräume
ZU bieten, roelcber ben fpecififcb öfterreiebifeben Ion burebflingen laffen foü.
s 4öäb^ en b ber SBintermonate mürben auch mehrere VortragScpflen, jum größten
Ibeile in Verbinbung mit tfichtbilberoorfübrungen, oeranftaltet; eS fpracben
Vrofefjor Keuroirtb über „Vtittelalterlicbe $unft in Cfterreid)", s Jkofeffor Keifcb
über „Vompeji", 9Mer ©eligmann über „©oftüm- unb DecorationSmefen oon einft
unb jeßt" unb s }kof. Julius o. ©cbloffer über „ftunftfammler unb ftunftfammlungen in
alter unb neuer 3eit". ©roßen VeifaU fanben bie Vorträge beS 9JtalerS ©mil Crlif über
„£eben unb ftunft in 3apan", beren lebenSoolle Darlegungen überall auf Ibatfacben
bafierten, roelcbc ber Äünftler felbft roäbtenb feinet längeren Aufenthaltes in Sapan
an tfanb unb Leuten, an Ifcbensfiibrung unb Munft)Köpfungen fennen gelernt hotte.
Die AuSftellung ber Vereinigung öfterreidpfeber bilbenber Äünftler unb Äünff
lerinnen in ber Kientergaffe bot manches gut gemeinte, aber nicht immer gut ge
lungene SBerf. Uber Vtittelmäßigfeit gieng eigentlich feines hinaus. $er öfter
reiebtfehe ftunftoercin, roelcber infolge ber Kieberteifeung beS ©cbönbrunnetbaufeS burdb
längere 3ett feine AuSftellungStbätigfeit fiftiert batte, eröffnete am 19. April im
neuen Katbbaufe feine AuSftellung: auch biefe brachte nichts ©rmäbnenSmerteS.
Die SCunftfalonS blieben in ben Vabnen ihrer befannten Kübrigfeit.
Vom rein tiinftlerifcben ©taubpunfte begegnete großem Qntereffe bie am 9. ÜHärz
im ©alon s ßi8fo eröffnete AuSftellung oon Arbeiten beS Deutfcbböbmen ©mil
Crlif, bie zahlreiche ©tubien aus Vöbmen, fcoHanb, ©nglanb unb Qapan um*
fafSten unb einen Zünftler oon roirflicb ausgeprägtem ©botafter erfennen laffen.
©r beberrfebt bie oerfchiebenartigften leebnifen mit hoher 2Jteifterfcbaft unb ftellt
überall baS tbatfäcblicb SBirfungSoofle in ben Vorbergrunb. 3n ftolzfcbnitten,
©teinbruef unb Kubierungen befd^äftigt ihn bouptfäcblicb bie mit menigen ©trieben
lebenSroahr bingefeßte menfcblicbc pigur. ©eine Ex-libris zeigen zum Ibeil feine
©rfinbung. ©elbft in ben japanifchen ÜHotioen oerleugnet Crlif nirgenbS feine
eigene Katur unb betont immer nur entfebiebener baS auch bureb frembe Vorbilbet
unb ©tubien im fremben Sanbe geläuterte Veftreben, ftets baS 5Befentli<be mit
natürlicher Einmuth benjorjufebren. Veim Vergleiche mit ben oor ber ^apanfabrt
liegenben ©tiiefen ift es augenfällig, bafS Crlif hetber geroorben ift, aber in ber
farne ganz außerorbentlicb oiel für feine $unft gelernt bot. Unb um biefelbe 3eit,
in melcher biefe AuSftellung (Gelegenheit bot, bie abroecbSlungSreicbe ©pracbe ber
Munft CrlifS fennen ju lernen, oerftärfte ber junge ÜJteifter ben ©inbrud bureb bie
oben ermähnten Vorträge im Cfterreicbifcben SJtufeum, bie barauf abzielten, manche
falfcbe VorfteUungen ber Europäer über 3apan unb feine Serbältniffe richtig ju
ftellen; auch hier zeigte er feine oolle frerrfebaft über ungezroungenen, feblicbten, aber
mirffamen AuSbrud. — Der ftunftfalon Artaria lenfte in zweifacher 3öeife bie
Aufmerffamfeit ber Ceffentlichfeit auf ficb. $n ben Vfingfttagen mürbe ber nach
ben Vlänen beS ftrebfamen Ard)iteften Dr. gabiani ooHenbete Veubau beS &unftbaufe3
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Wiener M'unftleben (Qänner bis 9Bai 1902). 6 2 7
«ingeweiht, für beffen BerfaufSräume reiche Lühtzufubr febr gut oermittelt ift. $)en
fdjönen AuSfteUungSraum fcbmücfen bret grofee Crigtnalbilber liepolo’S, ein alter
ftamilienbefiß auS ber Billa ©irola am ©omerfee, bie im 18. Qabrhunberte gfcanceSco
Artaria, bem ©ro&oater beS beseitigen QirmainhaberS, gehörte. Bor 30 fahren nach
Wien gebracht unb in ben Depots bis jum Dctober 1900 oetgeffen, feierten fle mit
bem neu erftehenben $>aufe eine Art Auferftehung. Sie bieten mptbologifche Allegorien
non Luft, ©tbe unb Waffer mit ber ganzen föftlichen Qarbenfreube ber Benezianer,
ja im Bieere mit einer griffe gemalt, bie oon felbft einen Vergleich mit Böcflin
aufbrängt. Aber außer biefen Schöpfungen alter Munft intereffierte bie ©röffnungS*
auSfteüung bei Artaria auch burch Werfe oon ©auermann, Ubbe, WalbmüHer, üttoll,
Babierungen oon Qerbinanb Schmußer, burch Silber unb Lithographien oon üttprbacb,
(leine Bronzearbeiten oon ©urfchner u. A. — £)ie Munfträume beS „$>orotbeumS" bezog
zuerft bie ©oflection ber Weltreifebilber oon Qofef Ipoffmann im Bereine mit anberen
Werfen beSfelben SJteifterS; biefe Aufteilung hotte auch ben Bmecf, behufs BertaufeS
bem Bublifum eine bequeme BeficbtigungSgelegenbeit zu geben, für roelche fich bie
Molomrat» unb ©mminger-Säle gut eignen. — ©ine Aufteilung eigener Art oer¬
einigten baS ©ifenbahn- unb franbelSminifterium in ber — ©epäcfSbaüe beS Weft
babnbofeS, nämlich jene' befonberS malerifchen ©tabtebilber unb Alpenlanbfchaften
CefterreicbS, welche für bie Auf chmücfung beS ©oncertfaaleS unb eines als Beifebureau
zu geftaltenben Baumes ber Lonboner Aufteilung beftimmt unb bamach angethan
finb, bie hohe lanbfchaftüche Schönheit unferer Heimat in ihrer entzücfenben Btannig
faltigfeit oor einem Weltpublifum auch im AuSlanbe zu ©h^en zu bringen. — ©inem
flcinen Mreife oon Munftfreunben mar bie Befichtigung oon BübernJpanS ©antner’S
ermöglicht, bes einzigen SBalerS beS BrütftentbumS Liecbtenftein, welcher fich oorwiegenb
ber Behanblung oon Stoffen biefeS ©ebieteS mit oiel ©efe^ief unb flotter Beherrfchung
ber Qarbe wibmet. ^Die ihn befeelenbe Batiirlicbfeit flingt befonberS auS feinen
Borträtffizzen, $>orftppen unb Ifetflubien beroor, bie burfwegS feine ©mpfinbung
erfüllt. — $)ie BepräfentationSräume beS 9BinifterratbS*BräfibiumS öffneten fich für
bte Beit oom 21. bis 24. Qebruar einer AuSftellung oon ©emälben, ©culpturen unb
BippeS, an welcher fich nur Amateure auS bem Maiferbaufe fowie aus ben erften
©efellfchaftSfreifen (auS bem ^ofabel wie aus bem biplomatiffen ©orpS) betheiligten.
TaS ©rträgniS ber Beranftaltung oon mehr als 2000 fronen würbe bem Minberafpl
in Breitenfee zugemenbet. Unter ben AuSftellern befanben fich bie ©rzberzoge Ctto
unb Marl Stephan, bie ©rzberzoginnen SBarie Balerie, ÜJlarie Qofepba, SJtotia
Tberefia, ©lifabeth ©lotilbe unb ©lotilbe SBarie, bie Herzogin oon Württemberg,
Herzogin unb Brinzeffin oon Barma, Qiirftin Alfreb Winbifcbgräß, Qürftin oon
Ihurn unb Sayis, bie Bnnzeffinnen Winbifchgräß, Wrebe, AuerSperg, ÜJtarie
Liecbtenftein, Borghefe, bie löfter beS beutfehen BotfchafterS dürften ©ulenburg u. A.
Btanfe ber Arbeiten zagten in erfreulichfter Weife, mit welchem ©rnfte unb Ber
ftänbniffe Berfönlichfeiten beS JpofeS unb beS Wiener AbelS ber Munftiibung felbft
fich mibmen; mehr als eine-hätte auch iu AuSftellungen oon BerufSfünftlem oer
biente Beachtung gefunben. — Qm Munftgewerbeoereine waren bie ©efchenfe unb
Abreffen auSgeftellt, welche bem ©rzberzoge Bainer unb ber ©rzberzogin SBarie an
läfSlich ibter golbenen Hochzeit aus weiten Greifen ber Beoölferung, oon tüpftlerifchen
unb gelehrten Mörperfcbaften entgegengebracht würben. Biele ber ©egenftänbe zeich
neten fich burch hohe« Munftwertb unb gefchmacfooüe Ausführung auS. 2)ie 3 a bl
ber Befucber biefer AuSftellung iiberftieg weit 30.000.
40*
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3ofeph Leuwirth.
628
3für bie Architef tur fommt baS fchon früher besprochene Ergebnis ber
burch bie 2eo*©efeUfchaft angeregten ftirchenbauconcurrena in erfter i*inie in betracht
ES war mannigfachen Angriffen — auch in nicht immer taftooDen Sonberfchriften —
auSgefeßt, fanb aber auch warme Berthcibiger. Schon bie nächften 3ahre werben ja
lehren müjfen, was; fleh bauemb ju galten oermag, eoentuell weitere (Altung
erringen wirb. Bloße Lebensarten geben hier nicht ben AuSfdjlag. Ein Artifel Qofepß
Baper’S behanbelte „Die Moberne unb bie ^iftorifchen Bauftile". An einer anberen
Stelle feßte fleh berfelbe Afthetifer mit ber Lichtung Otto Wagner’S unb ihren
©runbfäßen auSeinanber. Die 3^0* ber Errichtung eines neuen Monumentalbaues
für baS ^riegSminifterium hielt bie ftünftlerfreife immer noch in lebhafter Erregung
unb führte fogar au einem gemeinfamen Schritte ber fonft feiten geeint oorgehenben
Parteien. Am 3. April überreichte eine Deputation beS Ingenieur- unb Ardjiteften
oereineS, ber ©enoffenfehaft bilbenber Äünftler unb ber Seceffion Sr. Majeftät bem
Äaifer ein ©efuch, baS bamit fchlofS, eS möge angeorbnet werben, bafS alle ftünftler
Österreichs unb Ungarns au einem öffentlichen Wettbewerbe für biefen Monumental
bau hetangeaogen würben. Die Beriicfficbtigung ber Wünfcße ber ftünftler würbe in
bulbooller Weife in AuSficht gefteUt, wenn bie $hatfache fpruchreif wäre. Man barf
fich im ^ntereffe ber ftunft nur freuen, bafS beim Befanntwerben ber Abficht bes
ftriegSminifteriumS, bie 'ßläne für ben Leubau burch feine eigene Bauabtßeilung
ausarbeiten au laffen, bie ftünftlerfreife in einer gemeinfamen ^ntereffenoertretung
wieber aufammengefiihrt würben. Mit Lecht würbe in ben Sorberathungen über
ben au untemehmenben Schritt in ber ftünftlergenoffenfchaft barauf hingewiefen,
bafS bem fünftlerifchen Wettbewerbe bei ber Ausführung oon Staatsbauten ein fo
geringer Spielraum gegönnt fei; liegt bod) gerabe in ihm bie ©elegenßeit au einer
freieren Entfaltung ber Strafte.
Durch mehrere Wochen ftanb bie Angelegenheit ber Leftaurierung beS Liefen-
thoreS bei St. Stephan auf ber lagesorbnung. Das UnterrichtSminifterium lehnte
nach BefcßlufS feiner ftunftcommiffion bie Ausführung beS noch oon Jriebrich von
Schmibt htrftantmenben BrojecteS ab, welches bekanntlich oor nabeau awei 3ub*
jehnten mit naheau gleicher ikbßaftigfeit befämpft unb aurüdgeftellt worben war.
DaS größte Lecht aur Einfpracße oinbicierte fleh bie „Seceffion", welche auch ein
biefe Angelegenheit beßanbelnbeS Schriftchen Sr. Ejrcellena beS $errn ^räfibenten
^reißerm oon geifert mit einer fcharfen ©egenerflärung beantwortete, ©elegenheit
unb Berechtigung au einer ©egenoorftellung wirb in einem folcheit Julie (ein Ein
Sichtiger ben wirtlichen ftunftintereffenten beftreiten wollen, wenn fit babei ißten
Stanbpunft mehr mit eigenen Anfichten unb fachgemäßer Überaeugung als mit bem
Schilbe ber ©egnerfchaft LuSfin’S gegen fogenannte Leftaurierungen beefen. Darüber
hat fleh ja auch Lcumann in feinem Auffaße „LuSfin unb bie Lenooierung oon
St. Sfepßan in Wien" (3eit, Jpeft 380) ausgesprochen. Mit ruhiger Sacßlicßfeit, bie
wohlthuenb oon anberen manchmal wißig fein follenben, aber etwas albern geratenen
Bemerfungen abftach, erörterte AloiS Liegel baS ftiir unb Wiber. Se. Ejceflen*
Freiherr oon geifert als Bräfibent ber Eentralcommiffion für ftunft- unb htftorifdhe
Dentmale unb Dombaumeifter Hermann fanben in einer Bnoataubiena ©elegenheit,
Sr. Majeftät bem ftaifer bie Blüne beS gegenwärtigen unb beS projezierten BeftanbeS
beS LiefenthoreS ooraulegen unb au ertlären. 3 m ©emeinberathe ber Stabt Wien
würbe ber Antrag eingebratht, ber Stabtrath möge fich mit JJeftßaltung beS ©emeitibe*
rathsbefchluffes oom 9. Mai 1882 auS areßiteftonifeßen, ßiftorifeßen unb fünftlerifchen
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s 2öietter Äunftleben (Jänner bi'? 9Rai 1902)
029
fHüdfidjten gegen jebe fo einfchneibenbe &nberung roie bie in Vorfdflag gebrachte
beS SRiefentboreS zu St. Stepban auSfprecben. Profeffor X)r. 3B. 51. Reumann, ber
befanntlkb feit langer 3eit febon an einer ©efebiebte non St. Stepbart arbeitet unb jebe
bamit $ufamtnenbängenbe 5$rage vertritt, ^ielt am 13.9Rai im StabtratbSfißungSfaale
für bie ©emeinberatSmitglieber einen bureb Ckbtbilber erläuterten Vortrag über bie
5lngelegenbeit. (£S gebt roobl bei folcben miebtigen Aktionen nicht gut an, bie anbenvärtS
— roie bei ber frrage ber >Heftaurierung unb beS 5luSbaueS beS £>eibelberger Schlöffet —
mit vollftem Rechte vorgebraebten Vebenfen für jeben anberen fyall einfach zu generali
iieren. Wie gar mancher ber einft als muftergiltig gepriefenen ®runbfäfce SSioüet le
Xuc’S unb anberer ftcb überlebt bat, fo roirb auch *RuSfin gerabe für VefiaurierungS»
arbeiten geroifS nicht allzeit bie böcbfte Offenbarung ber Äunftgerecbtigfeit bleiben.
3Ran bat ja ohne fRuSfin burch leiber febr beflagenSroerte 3teftaurierungS-2RifSgriffe
febon viel gelernt, roie man manches nicht machen foll. Unb bie feit einigen fahren
fo lebhaft einfefcenbe Veroegung ber Xenf malpflege roirb uns geroifS über SRuSfin
hinaus ben richtigen Weg finben laffen. Xenn bie öegnerfebaft gegen pietätlofeS
ober ftilroibrigeS Vorgehen bei flteftaurierungen regt üch, mie z* 53. bie Äratauer
'JERifSbilligungStunbgebung gegen bie ^Renovierung bei* Waroelfirdje zeigt, bereit
allgemein unb roirb unS oom Verfehlten zum Wütigen führen. ÜRan barf gefpannt
fein, roofür man ficb an ma&gebenber Stelle, nachbem bei ber letzten commiffionellen
53efid)tigung beS fRiefentbores alle Sacbverfianbigen bie Vaugebrecben beS beseitigen
SuftanbeS unb bie Unmöglichteit ihrer Weiterbelaffung feftgeftellt haben, nunmehr
entfebeiben roirb. — Xie Verbanblungen über bie SReftaurierung ber 5Rinoritenfircbe
finb eben im 3uge. 3b r * Wrunblage bilbet baS oon '45vofeffor l^unfc entroorfene
unb oom UnterrichtSminifterium angefaufte Project, baS nach ben Wiinfcben beS
5lctionScomikS noch einigen Umgeftaltungen unterzogen werben mufS. Xer 5lnbau
beS pfarrbaufeS an ber Sübfa^abe biirfte roohl halb in Angriff genommen roerben.
5ür Wiens Xenfmälerbeftanb ift eS oon größter Wicbtigfeit, bafS enblich ben urieber»
holten Einträgen ber oben ermähnten (fentralcommiffion betreffs ber Meftaurierung
ber ÄarlStirche ftattgegeben iverbe, beren allernächftc Umgebung foeben ftarten
5lnberungen unterroorfen ift l*S bleibt abjuroarten, ob auch alle ber Wirfung bes
herrlichen PauroerfeS zuftatten tommen roerben. Xringenbe Abhilfe erheifchen aber
zahlreiche am 5luf?eren üchtbare unb in Veforgni* erregenber Weife roachfenbe Vau
gebrechen, beren s Jlid)tbebebung für ben Jvortbcftanb eines berühmten Xenfmales
uaterlänbifcher Äunft eine fchroere ©efabr bebeuten roiirbe; hier mufe rafch, aber im
vollem Umfange ber 5lotbroenbigfeit eingegriffen roerben unb läfst fid> ohne irgenb
eine preisgebung roefentlicher Thcile ber ganze urfpriinglicbe Vcftanb fiebern, ^n
(yrroägung biefer Thatfadjen bat ber Stabtratl) an bie Statthalterei baS 5Infucben
gerichtet, bie ^Renovierung ber Äarlsfircbe balbigft in Eingriff nehmen unb jebenfallo
bis zu bem 3^tpun(te burchfiihren zu laffen, in roelcbem ber s )?eubau beS ftäbtifeben
'DtufeumS abgefchloffeti fein roirb. (*ine auf bem Voben ber Xentmalererbaltung
ftehenbe Angelegenheit roar ber Eintrag beS Xombaumeifter* Hermann, bie auS brei
Figuren beftebenbe Steingruppe beS bem Abbruche verfallenen WinterbiertjaufeS, roeldje
als ein Wiener Wahrzeichen befannt ift, an bem Aeubaue roieber entfprechenb
anzubringen ober für baS ftäbtifche Plufeum zu erroerben. 311 ben Sißungen bcs
VubgetauSfcbuffeS unb beS Parlamentes rourbe bie Tfrage ber Xentmalererbaltung
überhaupt öfter unb eirtgebenber als in früheren fahren erörtert. 3 n te* Herren
hauSftftung vertrat Se. (Reellem fyreiherr von geifert neuerlich ieinen Eintrag auf
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630
Jofepb Dleumirtb
Erlaffung eine« ©efefce« betreffenb beit ©<buft oon Vaubenfmalen mit roefentlicber
Erroeiterung ber Vegrünbung unb erreichte bie 3un>eifung be«felben an eine ©pecial
comntiffion, ber nebft anberen greifen: 0> ©autfcb, ©raf i*andoron«fi, Subroig Stob
ntepr unb ©raf ^riebrich ©cbönbont angebören. Xamit märe nach mehrjährigen
oergeblicben Verfudjen enblicb ber erfte entfcbeibenbe ©cbritt getban, non bent ftcb
eine fachgemäßere unb gefeplicb geregelte Erhaltung be« oaterlänbifcben ftunft
befiHee» erboffen läföt.
9teben ben Vierten ber ^laftif, bie fcbon int Nahmen einzelner 9lu«fteUungen
befprocben mürben, laffen ftcb nicht gerabe oiel felbftänbig auftretenbe ©culptur
fcböpfungen oerjeicbnen. Vor bem ^otlamentögebäube merben eben bie Vorbereitungen
*ur 9luffteüung be« SWonumentalbrunnen« getroffen; jur Verfefcung ber au« poei
Xb^ticn beftebenben Hauptfigur, ber üJhneroa unb ber anberen Figuren uon grofeem
©eroichte müffen eigene Strähne angefertigt merben, ba bie fonft gebräuchlichen nicht
au«reicben. Sfunbmann b<U bie fedj« üfteter hohe Hauptfigur unb bie beibeit
Verfonificationen ber Elbe unb ©aoe bereit« ooltenbet, ebenfo H« 0 ö Hoerbtl ben 3nn
unb bie ©)onau, roelcbe bie Vovberfeite be« Vrunnen« fcbmüden follen. Xautenbapn
fteüte nicht minber bie allegorifcben ©eftalten ber gefe&gebenben unb au«iibenben
©eroalt fertig. Viel befprocben itmrbe bie 3 ur 9Jtarmorau«fübrung beftimmte Varbara
ftatue ber Vilbbauerin Xberefa <5feobororona 9tie«; fte ift ein Auftrag be« Unterricht«-
minifterium«. 3n bent Votträt be« ©rafen HanS Vftlqef erreichte biefelbe Siünftlerin
eine allgemein anertannte leben«oolle 9lbnlicbfeit. 9luf Einlabung be« ©ornite« für
bie Errichtung eine« Vrabm«benfmale« erflärten fich ÜJtay SUinger, 3o& an u
Siarl ^unbmann unb jRubolf £öepr bereit, an ber Veroerbung ftch $u betbeiligen.
5ür Eormon« bei ©ör$ oollenbete Ebmunb Hoffmann oon 5lfpernburg ba« ©ip«
mobell eine« eben jur ©uf«au«fiibrung übergebenen ©tanbbilbe« SUtayimilian« I.,
beffen Slufftellung im 3abre 1900 anläßlich ber 400jährigen Vereinigung oon ©ön
unb ©rabi«fa mit bem bub«burgifcben Hauäbeftpe befcbloffen mürbe. $em ©traun^
Banner'Xenfmalcomitf ftellte ber ©tabtratb, melcber bem Vilbbauer Jrip 3*rcitf<b bie
Vronceausfübrung einer oon ihm mobeüierten Vüfte be« Er^berjog« Rainer übertrug,
eine ©uboention oon 6000 K tur Verfügung, fobalb bie für bie £)enfmal«berftellung
nötbige ©umme oon 70.000 K gefiebert fein mürbe. 511« ©dpnud für ben oor ber
eoangelifchen ©chule liegenben Xh e ^ be« Starl«plapee ift ein üttonumentalbrunnen
in 5lu«rtcht genommen, für melden bie im ©emeinbebeftp befinbliche 3 t 0 ur „SUtabe
mit Jifch" oon Xügner in Vronce au«gefiibrt merben foll. Vorzügliche Vilbni«treue
erreid^te ber Vilbbauer ©djroer in einem ©ip«mobeU für ba« ©rabrelief be«
eoangelifchen Vfarrer« Jormep. 3 m 5ltelier ©arlo Vanni tonnte man bie in
©arraramarmor überleben«grofe beegeftellte ©ruppe „X>as ©pbinygebeimni«" oon ÜJtobame
oan ber Hoeoen, ber ©emabltn be« ehemaligen nieberlänbifdjen ©efanbten, fepen.
Jür 9leutitfcbein oollenbete Vrenet ein roiirbige« Üaifer ^ofefXenfmal. 5ln bem
Haufe 9k. 72 ber Hubifgaffe in Venjing mürbe am 22 . 3Jtai eine oon 3<>b* 93enf
auegefüprte Wicbarb Vkigner ©ebenftafel enthüllt, beren ÜJtitte ein Oteliefbruftbilbni«
be« berühmten ©omponiften fcbmüdt; berfelbe arbeitete hiev 1363—1864 „roäbrenb ber
trübften 3eit feine« i*eben«" an feinem fonnigften Vterfe „X)ie Vteifierftnger". 3u>ei
läge nach biefer ©ntbüllungsfeicr fanb in iünj bie Enthüllung be« fcbon ermähnten
©tifterbenfmal« oon 9la tbau«hj ftatt. Vetreff« ber in ber oor jährigen ©ipung be«
Äunftratbe« erörterten 5luffteUung oon Vüften öfterreicbifcher dichter im Volt«garten
eröffnete ba« Cberftbofmeifteramt, baf« eine Entfcbeibung erft erfolgen fönne, menn
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Wiener Munftleben (Jänner bis 3Dlai 1902).
031
ein Sr. Ü^ajeftät bem Maifer §ut* ©enebmigung porlegbareS beftimmtes 'Jkoject
ausgearbeitet fei. ^ebettfaü^ ift ein VormärtSfommen ber Angelegenheit, beren
Moftenfrage noch ber Söfung f)ön:t, nicht fobalb ju ermarten. 3rür bie fünftlerifcbe
Belebung ber bem StepbanSptoß* sugefebrten freien Söanb ber *ßcteräfircbe b at
Aubolf 3öepr brei ©ntmürfe angefertigt. Daä ©omite bat fich für einen entfliehen,
ber Marl ben ©ro&en als ©riinber ber Vetersfircbe barfteüt. Auds hier ift bie für
©rtbeilung beS befinitioen Auftrages fo roiebtige Moftenbebedung noch nicht oorbanben.
ÜJftt Jreube begrüßte man bie VMebereröffnung ber AuSftellung ber
epbefifeben 3runbe in bem Xempel bes VolfSgartens, in melier neben ben
febon berounberten Stiiden (C^p^ebe, Mnabe mit ber ©an$, junge ©riedsin, Campen-
träger) eine Anjabl neuer gunbe, befonberS ba$ Relief ber fterbenben Amajone,
intereffierte. Auch bie am 21. ÜJtai abgebaltene ^abreSoerfaminlung beS archäologischen
x ^nftituteS lenfte mit ber Veröffentlichung ber babei erstatteten Veridjte bie Aufmerf-
famfeit beS funftftnnigen VublkumS auf bie ©pbefu$41nternebmung, bie in VMen
oon allem Anfänge an bie gröfjte ^örberung fanb. Der Verein Jarnuntum“,
ber fchon nabeju *roei 3 a ^ c ^nte bie alte Aömernieberlaffung bur(hforfcht f ftebt im
Vegriff, in Deutfcb Altenburg nach ben oon Cbmann unb Hirftein ausgearbeiteten
Vlänen ein anfebnlicbcS Sammlungsgebäube ju errichten, bas $u Veginn beS nächsten
Jahres oollftänbig eingerichtet ber ftaatlichen Verroaltung übergeben roerben foll.
Vei ber Aufführung oon Neubauten in ber Vogner- unb Aotbentburmftrafee mürben
Aefte ber alten Aömeranlage gefunben. Außer 3iegelfteinpeln ber 10. r 13. unb
14. Cegion legte man an ber ©de ber Aotbentbunn- unb Moblmeffergaffe bie runbe
©de ber UmfaffungSmauer beS römifchen CagerS bloß, bie intereffante Auffchlüffe
über bie VefeftigungSart bot. Dem §>eere$mufeum mürbe oon Sr. ^DZajeftät bem Maifer
Sochor’s großes ©entälbe „Das ©aoalleriegefecht bei Strejetiß am 3. Quli 1806"
gefchenft. DaS Unterricbtsminifterium totes berfelben ©ammlung bie ©ufsformen
$u bem ©rjberjog MarlDenfmal in Aßien unb $u ber Caibadjer Aabeßfpbüfte, forote
baS Originalmobell $u bem Cöroen oon Afpern — insgefammt oon Jemtom — $u.
Aach bem Xeftamente bes fiirjlicb oerftorbenen Vrioatiers unb eifrigen Munfifamntlers
Marl ©olbfehmibt f ollen beim Ableben seiner ©attin mehrere mertooüe Munftmerfe»
barunter „Die Steinigung bes heiligen Stephanus" oon ©entile ba fabriano, eine
AJarmorbüfte bes ©ofimo I. oon Vtebici oon Simone Vianco, in ben Vefiß bes
.^ofmufeums übergeben, iyür bie ftäbtifchen Sammlungen mürbe ber Anfauf bes
.'Ölaroaceffchen Moloffalgetnälbes „VMen oom Mablenberge aus" unb ber Jpuber’fdjen
©emälbe Marl oon Cotbringen unb ©rnft Aübiger oon Starbemberg, fomie einer
VMener Xppe oon Mupfer befchloffen.
Von ber Crganifation bes Munftamtes, bie Cberbauratb 'Jkofeffor Ctto
Vtagner oor einiger 3eit im Munftratbe jur Sprache gebracht b<*t, ift eigentlid) nur
laut geroorben, bafs nunmehr auch ber Ingenieur unb Architettenoerein fomie bie
©enoffenfehaft ber bilbenben Miinftler SBiens bie ©rroägung ber Vertoirflicbung biefer
Jrage inS Auge gefafst unb befonbere ©omiteS bafiir geroäblt haben. ©s fann
feinem 3roeifel unterliegen, bafs eine folche Institution, menn fie oon Vureaufratisntus
ftd) ebenfo frei *u galten roüfSte mie oon einfeitiger fiinftlerifcber Veoormunbung,
für bie ©ntmidlung ber bilbenben Munft in Cfterreich manchen bestimmten Außen
ftiften mürbe. AUerbingS bürfte bie praftifebe Durchführung, menn sie mirflid)
unooreingenommen erfolgt, auf große Schmierigfeiten ftoften: benn mit rabicalem
unb riidfichtslofem Vorgeben allein lässt fid) noch uidjt alles, oielleicht böcbftenS
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632
3ofeph Reuwittb.
noch größere Verbitterung einzelner Parteien erzielen. Aber eine mehr einheitliche
Auftaffung, eine gleichmä&igere Veachtung ader mit ber ftunftpflege jufammen
bängenben fragen fönnte nicht fdjaben. 3n weiteren Greifen erregte e« Veftemben,
baf« ber ftunftrath ju feiner Sifcung einberufen würbe, obzwar e« an allgemein
zu erörtemben Angelegenheiten nicht fehlt.
X)er (Errichtung ber mobernen ©alletie wollen Staat, Sanb unb
Stabt fuh vereint annehmen. ftür bie Unterbringung ber Sammlung, welche 2Berfe
ber Malerei, ber graphifdjen fünfte, ber Vlaftif, be« Äunftgewerbe«, Vläne unb
Entwürfe für Vauten enthalten unb bie (Entwidlung ber ftunft in Cfterreid) feit
bem Regierungsantritte Sr. dJlajeftät be« ftaifer« oeranfchaulichen, jugleidj aber
auch dWeifterwerte be« AuSlanbe« enthalten fall, ift ba« neu zu errichtenbe hiftorifche
üRufeum ber Stabt VMen in AuSficht genommen. Von Seiten ber oben genannten
(ErhaltungSfactoren follen jährlich je 60.000, 30.000 unb 20.000 K für neue (Er«
Werbungen gewibmet werben; Staat unb Stabt theilen fich in bie Regiefoften,
(Ecfterer trägt au&erbem bie föoften für ba« oom UnterrichtSminifterium ju beftellenbe
Verfonal, beffen XÜrector einem mit breijähriger QrunctionSbauer ju emennenben
Kuratorium bie Vorfdjläge für Reuerwerbungen erftattet. $n biefem Kuratorium,
für welche« ein beftimmter Schlüffel ber Vertretung aufgefteHt würbe, wäre bie
Miinftlerfchaft felbft mit fed)S Vertretern zu bebenfen. X)er Anfauf oon ftunftroerfen
au« ben Mitteln zweier ober aller oertragfchliefeenben Xheile wiiifSte nach Xhunlichfeit
oermieben werben unb biirfte nur erfolgen, wenn man fi<h oorher über ba« (Eigen*
thumsrecht geeinigt hätte. Vei VMbmungen ohne Suweifung in ein beftimmte«
(Eigenthum erfolge le&tere in einer oon oomherein burch ba« Bo« feftjuftellenben
Reihenfolge. X)ie ©aleriebeftänbe oerbleiben felbft bei Auflöfung be« Vertrage« für
immerwährenbe Seiten in VHen. X>ie Anlage be« ©anzen mufe al« eine recht
fchwerfäHige unb complicierte bezeichnet werben. X)ie Erwerbungen wirflich bebeutenber
U^erfe biirften bei ber Rücfficht auf bie oerfchiebenen Jonb« zu manchen Verwicflungen
führen, bie ber oorfchlagenbe $irector halb al« Vleigewichte guten dBiden« fennen
lernen würbe. (E« wäre gewif« grofeer Xact erforberlich, um trofc all biefer Ve
fchränfungen eine fiinftlerifch oomehme Sammlung jufammenjubringen, bie jeben
Augenblicf wieber in brei Sammlungen zerfallen fann. XJiefer Au«weg wirb ber
Sache faum zw jener Vebeutung oerhelfen, bie ben Anregern oorfchwebte. Auch
ba« Vrooiforium einer Unterbringung in einem anberen SRufeumSbaue läf«t fidi
nicht al« gliicfliehe Öofung, fonbern nur al« ein faum empfehlen«werter Verlegenheit«
au«weg bezeichnen. VMU man ba« ©rofce, bann wolle man e« ganz, ohne oon adern
Anfänge ba« Stabium einer gewiffen Verfumpfung zu fchaffen, in beren lähmenber
Atmofpbäre bie (Entwicflungsfähigfeit langfam, aber ficher abftirbr. 3hw fodte ein
ber ©egenmartsfunft fo förberliche« Vroject nicht in ben erften AuSfnhrungSanfätzen
geopfert werben.
(Enbe Rtai gelängten bie erften (Exemplare ber neuen 50 K Roten
zur Ausgabe, an welchen fid) bie technifche Veroodfommnung ber Ausführung auf
ben erften Vlicf erfennen läf«t. X>ie 3ei<hwung be« Rotenbilbe«, beffen figuralen
Iheil Rubolf Röfeler beforgte, inbe« bie ornamentalen Detail« nach Angaben be«
Vanfbructereibirector« Arthur Rabbernp pon Rubolf Vembt au«geführt fmb, fteht
unter bem Einfluffe ber Rtobeme. Rtan barf fid) freuen, baf« in unfere neuen
Rotenbilber im Vergleiche zu manchen älteren wenigften« ber Anfat* zu einem mehr
fiinftlerifcben 3uge gefommen ift.
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Wiener ftunftleben föännev bi«; ÜJtai 1902).
638
Ter ftaufluft beS publicum§ roar bei ben oerfchiebenen Ausheilungen
unb Auctionen mannigfach Gelegenheit geboten, ben ftunftbefifc burch Anfäufe zu
oergröfeern. Tas UnterrichtSminifterium erwarb in fehr anerfennenSwerter Söetfe
manch wirtlich h^f^ ©tüd für ben $8eftanb ber mobernen ©allerie, welche, wie
bie anläßlich ber Äunftwanberungen im UnterrichtSminifterium auSgeftellte Collection
zeigte, gerabe oon biefer ©eite bie 3uroenbung einer nicht unbeträchtlichen Anzahl
beachtenswerter Schöpfungen erwarten barf. ©elbft Arbeiten einzelner tarnen,
Z. *8. eine im ©alon s BiSfo erworbene ©tubie oon ÜJtorie ÜJtüller, hoben unter
biefelbe bereits Aufnahme gefunben.Starfen AbfafeeS erfreuten fich bie abroecfeSlungS
reichen Leitungen Orlifs, beren eigenartige ftorotenfprache im Iperjen gar manches
Munftfreunbes baS Verlangen nach einzelnen ©tüden auffteigen liefe, 3n ber
Auction beS reichhaltigen ftunftlagers ©. Äenbe tarnen unter Ölgemälben unb
Aquarellen alter unb moberner SJleifter auch 2Berfe oon Lenbach, Scfeöbl u. a. zur
33erfteigerung; bie Abtheilung feltener ftupferftiche, Schabfunftblätter, Mabierungen
unb Jpoljfchnitte, ©täbteanfichten, öftetreich-ungarifcher AbelSporträtS umfafSte auch
bie ebenfo interefiante als mertoolle Sammlung beS Jreiberm o. gelber, welche
allein 20.000 alte Porträts berühmter ?*erfönlichf eiten aller unb Länber zählt.
Cinc Collection ähnlicher Art, nämlich bie Hurtl ^rieblowsfn’hhe -Porträtfammlung
berühmter Ärjte unb Aaturforfdjer (10.000 Blätter) würbe für baS ftupferfticheabinet
ber f. f. Joofbibliotfeef erworben, bas mit Hinzurechnung ber erft jiingft erfolgten
Cinoerleibung ber 20.000 dummem umfaffenben Porträt) ammlung ber f. t. Hof
tfeeaterintenbanz in ber ’Porträtabtfeeilung nunmehr runb 100.000 Blätter befifct.
'Profector Tr. A. SJneblowsfq hotte ben berühmten Anatomen zur Anlage einer
foldjen Sammlung angeregt, bie Hb^tl Anregung unb 3*tffreuung in feiner
'Perchtolbsborfer Cinfamfeit bringen follte, unb ergänzte ben HprtPf<h*n $eftanb
oon 2000 dummem feit 1885 mit uiel Umficht unb grofeen Opfern bis auf 10.000.
Tie in ihrer Art einzige Sammlung, welche ganze SflilbniSreifeen einer unb berfeiben
'Pevfönlid)feit in oerfchiebenen Lebensaltern bietet, hot wegen ihres wohl einzig
baftehenben 9ieid)thumes an $ilbniffen Wiener Ärzte auch eine gewiffe localgefchicht
liehe 'Pebeutung; bie fiinftlerifche liegt wohl nicht in letzter Linie in ben für bie
Cntwitflung ber Lithographie intereffanten blättern, bie ja wäferenb ber Cpoche
.Hriehuber’S nicht blofe burch bie 'Perfönlkfefeit bes Targcftellten, fonbern auch burd)
bie Tarftellungsart intereffieren. Cs war baher ein hoppelt glücflicher Gebaute,
gerabe biefes für ASien befonberS fchäpenSwerte Material burch bleibenbe Ginreihung
in ben Aeftanb eines unferer größten öffentlichen ^uftitute oor 3evfplitterung ju
bewahren unb bem SBiener Aoben in feiner auch burch bie s Perfon bes erften Aefifeers
intereffanten Gefchloffenheit zu erhalten. — Aerfteigerungsamte bes Torotheums^
bas burd) Aerfd)icfung uon Aerfteigerungsliften ben ^ntereffentenfreis über bie Gr
werbungsfähigfeit oerfchiebenartigfter Objecte auf bem Laufenben erhält, hotten
mehrere ftunftauctionen einen recht guten Crfolg; fo würben bie Sammlungen oon
»tubolf Sattler unb Waphael Kirchner uon einem befannten ftunftfreunbe im Ganzen
erworben. 3n bem an biefer Stelle auch allgemeiner Aeftcfetigung zugänglkfeen
Munftbefitje ber Familie Stabler oerbienten nächft guten alten s Profaneinrichtungs
gegenftänben mehrere gothifche unb bpzantinifche Stiicfe auS alten .Hirchen unb
Mlöftern, prächtige Aeliquiare alle Beachtung. Aom 18. fPtärz an gelangten bei
Gilbofer unb >Kanfchburg zahlreiche ftupferitidje, Aquarelle uub Hanbzeichnungen
«gegen 1900 Hummern» zur Aetfteigerung, barunter ber Xfeeaterfaal, baS Jyefetin
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3ofeph Weuwirth-
Zimmer unb bas Vieujr=Laque;3tmmer in ©chönbrumt oon 9tub. Alt, ©tubien non
Danhaufer, 9t. Xonner, gr. ©auermann, $wei Vorträtaquarelle oon Kriehuber, oer
fchiebene ÜJliniaturporträtS, zwei bcrfelben aus bcr berühmten ftunftfammer 9tubolf II.
in Vrag. 3m ©chönbrunnerhaufe fam ©nbe April bie wertooHe ftupferftichfammlung
auS bem SRac^affc beS VrofefforS £)r. 3- 3- Vohl $ um SJerfaufe; außer theilroeife fehr
fcltcnen alten englifchen unb franjöfifchen Tupfer- unb Jarbenftichen, §ol*f dritten, 9tabie
rangen, Lithographien, VorträtS, ©täbteanfichten, ^iftorifd^en unb befonberS VMcner
blättern enthielt fie auch f«hr ^übfe^e Aquarelle oon Cpij unb manche gefugte Auto
gramme, fo brei fehr intereffante Briefe oon 9ti<harb Söagnet. Unter bem Verweigerung*-
gute einer anberen Vrioatfammhmg befanben ftch oier 3Berfe oon 3 an ©riffier.
Unter ben Vublicationen feien an erfter ©teile bie oon frofrath o. äöedbeder
beforgte britte Auflage beS IpanbbucheS ber ft'unftpüege in Cefterreich genannt, roelche
gegen' ihre Vorgängerin an Umfang fehr beträchtlich gewachien ift. v 2öaS in ben
oerfchiebenen ©ebieten unfereS weiten VaterlanbeS irgenbroie mit Äunft fid) befchäftigt,
in ihre pflege unb Jörberang berufsmäßig ober bloß oom ©tanbpunfte ber ftunft
freunblichteit unb beS Sammelnd eingreift, erfcheint in biefem franbbuche fachgemäß
unb überfichtlich eingereiht, X>ie Inappen, gut orientierenben Eingaben geigen uns
erft ben ganzen 9teichthum unfereS einheimifchen AtunftguteS, bie weit auSgreiienbe
Organifation beS ftunftunterrichteS, bie oielfeitige 3 n t ere )1 en & e i&ätigung funft-
förbernber Äörperfchaften; man gewinnt h^r eine zuoerläffige VorfteUung baoon,
wie bie öffentliche Äunftpflege unb prioate ^nitiatioe einanber bie fcanb reichen, um
Der Allgemeinheit in Ausübung unb 2Bertfd)ä&ung ber Äunft werfthätig zur ©eite
zu ftehen. X)aS planmäßige 3ufammenroirfen oon Vehörben, Vereinen, öffentlichen unb
prioaten ©ammlungen, oon Unterrid)tSanftalten aller Art wirb nach bem im Jpanbbuche
ber ftunftpflege oereinigten Viateriale erft in oollem Umfange oerftanben unb ge
würbigt werben; es ift um manches beffer, als man in ftiinftlerfreifen unb in
ber Ceffentlichleit oielfach gelten laffen will, ftatt fich oom Jperzen beS Vorhanbenen
zu freuen. AIS eine AuSlefe ber aüerbebeutenbften Schöpfungen auf bem ©ebiete ber
bilbenben Alunft im 3<*hre 1901 repräfentiert fid) bie oon bem VMener Verleger
üJtay Jperjig herausgegebene »Ars Novae, öeren 45 forgfältig auSgeführte Jpelio
graoiiren großen Formates Varon ÜJtprbach mit oiel ©efchmad unb Xact auSgewählt
hat. Oefterreicher, 9Jtagparen, X)eutfche, Jvranzofen, Vuffen, ©panier, ©fanbinaoier
unb Schweizer fanben Aufnahme; ben über bie 3<*bresentmicflung orientierenben
leyt lieferte 3 u liuS Vteier (^aefe, ber 3nha&er beS V^rifer »Maison moderne«, bcr
zwar geiftreich, aber auch recht oberflächlich fchreibt. Auch bie Jpeliograoitren, bie ja
plaftifche 2Berfe fo oortrefflich zur ©eltung fommen laffen, erweifen fich für bie
©iebergabe oon ©emälben nicht überall als einwanbfrei. X)aS oom Unterrichts
minifterium herausgegebene ©egantini Vtert barf als eine heroorragenbe Leiftung ein*
beimifcher VuchauSftattungsfunft bezeichnet werben; bie 63 ftunftbeilagen, theilS in
$eliograoiire, theilS in 3arbenbrud auSgefiibrt, oerbienen jumeift aufrichtiges Lob. X)a*
felbe tann man bem Xejrte, ben X)r. 3ranz ©eroaeS, ber Äunftreferent ber „Aeuen
freien Vreffe" gefchrieben h«t, nicht burchwegS zollen, ©o glüdlich er auch bem
Lebenswege beS VteifterS nachgegangen ift unb mit oiel Umficht wieberholt neues
Material einzuflechten oerftanb, ift baS Vu<h hoch nicht mit ber auch für biefen 3all
unerläßlichen Cbjectioität gefchrieben. Vegeifterung für ben XarftellungSgegenftanb
fteht jebem Viographen gut an; ohne fie ift eine wirtlich gute LebenSbefdjreibung
überhaupt nicht bentbar. Aber üe barf nicht ftellenweifc zur Uebertreibung werben.
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Wiener Stunftleben Jänner bi« ÜJtoi 1902). <>;15
als ob es Ähnliche« überhaupt noch nie gegeben hätte, gefchroeige benn je roieber
geben fönnte. Sonft ergeben bie öobeSfanfaren unangenehmen 9JtifSflang, ber hier
ab unb $u roirflich burchfchlägt. 9toch biefer Seite läfSt fich bie DarfteUung be«
SebenSgangeS nicht muftergiltig nennen; fie ift nicht frei oon Sünben gegen ben
guten ©efchmad, ben eine fo oornehm auftretenbe Äunftpublication nie au« ben
klugen oerlieren barf. ÜJtöge bei anberen ähnlichen Unternehmungen auch nie
oergeffen werben, baf$ folche Veröffentlichungen, bie geroii« ein fünftletifche« unb
litterarifche« ©hrenbenfmal für einen beroorragenben Üfleifter bebeuten, um fo größeren
funfterjiehlichen 9tußen ftiften, in je weitere Streife fie tommen, baf« ihnen nach ber
VerfaufSmöglichfeit eine größere Verbreitung auch in bem 5Rittelftanbe gefiebert fei;
benn auf ba« roirflich ©ro&e foll nicht in erfter öinie ber ©elbfacf, fonbem ba«
ttunftbebürfni« ber Allgemeinheit Anfpruch haben. DafS leßtere« Segantini bereit
roirflich als einen ihm fpmpathifcheu ÜJleifter betrachtet, ben man näher fennen lernen
roifl, beweist am beften bie jroeite Auflage ber im Wiener Verlage erfchienenen
Vtonographie über „©iooanni Segantini," beren QUuftrationSfchmud Viele« recht gut
oeranfchaulicht. ^5>ie ©efellfchaft für oeroielfältigenbe ftunft hat ftch eine neue große
Aufgabe gefteUt, inbem fie ben Antrag annahm, bie groß angelegte „©efehiebte ber
graphifchen fünfte", oon welcher bie bem Abfchluffe nahe „Veroielfältigenbe Äunft
ber ©egenroart" nur einen Iheü bilbet, roeiterjuführen unb bem befannten Dree
bener Specialforfcher Vrofeffor Vtay £ehrS bie Abfaffung einer ©efchichte be« beut
feben unb nieberlänbifchen StupferftidjeS be« 15 ^ahrhunbert« ju übertragen. Die
f. f. ©entralcommiffion für ©rforfchung unb ©rhaltung ber Stunft* unb hiftorifchen
Denfmale hat befchloffen, alljährlich an Stelle ihrer oierteljährlich erfebeinenben
„ÜJtittheilungen" jroei Vublicationen h^auStugeben. Die noch bm Xitel „9Jht
theilungen" fefthaltenben VfonatSblätter follen Normalien unb Verfonalien, Sißung«
referate, Angaben über Vermehrung ber Vibliothef unb be« Archios ber Zentral
commiffion foroie fleine bisher als Aoti^en oeröffentlichte Vftttheilungen bringen;
am ©nbe eine« jeben Jahres foll ein Jahrbuch größere roiffenfchaftliche Abhanblungen
unb Oflittbeilungen, foroie eine fpftematifch georbnete Ueberücbt ber roiffenfchaftlichen
Veroegung unb ©rgebniffe auf bem Arbeitsgebiete ber f. f. ^entralcommiffion oer
öffentlichen. Ji'tr beibe Vablicationen ift ba« gleiche Jormat unb ein geroeinfaiue«
Wegifter in AuSficht genommen. Die Webaction liegt bei ben Unioerfitätsprofefforen
Dr. SBilhelm Siubitfchef unb Dt*. Alois N Jtiegl in guten fränben. Die Vearbeitung
ber ©rgebniffe ber oon ber i*eo=©efellfchaft angeregten fünftlcrifd)en AÖettbeioerbe,
über bie oben berichtet würbe, in ber oom Üflinifterium geplanten Vublication hat
UnioerfitätSprofeffor Dr. Joeinrich Srooboba übernommen, ber üd) um ba« ^uftanbe
fotnmen ber ganzen Action bie meiften Verbienfte erworben hat unb ber Fühlung
ber Stirche mit ber Stunft ber 3«it fchr entfehieben ba« Vtort rebet. ^n roiffenfehaft
liehen Streifen erregte große« Auffehen bie oon $ofrath Ikof- Dr. ^ofepb ttarabacef
in ber feierlichen Sißung ber Afabemie ber VMffenf chaften gemachte ÜJlittheilung über
bie Auffinbung be« SthalifenfchloffeS Stoffeir Amra in ber norbarabifchen VMifte. Sie
ift bent jungen Vriefter ber Clntüßer ©rtbiöcefe Dr. Alois s JJtufü unb bem Vtaler
Alphon« & 'JAielich in V$ien $u bauten, ber mit unfäglidjen Vtühen bie bem
9. ^ahrhunbevte entftammenben Vkmbgemälbe beS alten, einft prächtig gefchmiidten
VabefchloffeS aufnahm. 3h re roiffenfchaftliche Vearbeitung wirb uns neue Auffchlitffe
über bie ntohammebanifche Slunft unb ihre DarfteUungsfonnen bringen unb oorau«
fichtlich mit mancher bisher lanbläufigen Anfchauung aufräumen.
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(»30 ^ofepb Aeuwirtl). Wiener Siunftleben (Fänner bi« HJlai 1902).
Aud) ohne einen neuen Vortrag beS ftunftgewerbereformator« §enri oan be
^Belbe ifl bie Frage ber Reform ber F^auenfleibung nicht Jur >)tuhs ge
fommen. Fn beut zunt 1. ÜJJärz ausgegebenen fcefte ber „3)ofumente ber F^uen"
finb bie (Ergebnifie einer über biefen bunft bei Zünftlern, $rjten, Äfthettfern,
©chneibern unb grauen gehaltenen Umfraße mitgetheilt. 6« hat oiel für fich, wenn
brofeffor Alfreb »toller im Warnen ber männlichen Siünftler bie üJtitoerantwortung
für. bie fiinftige Frauentracht ablehnt, ba man al« F*au gelebt haben müffe, um
über Frauenfleibung auch non einem anberen als oom becoratioen ©tanbpunfte
mitwreben. 511« Vtortführerin ber fKeformfleibbemegung bi^t m ^rauenclub am
24. »Jiärz baroneffe Tratte über „3)aS Weformfleib in äfthetifch fünftlerifcher be
leuchtung" einen großen Vortrag, an beffen ©pifce fie Stellte, baf« bie grauen
fleibung feineSwegS auf ftoften ber ©chönheit reformiert werben foüe. ©ie fielst
in bem ftiinftler weniger einen Jyitbrer als einen anregenben berather unb will
bie immer gleichen Jvorberungen ber Watur mit bem natürlichen ©chönheitSgefiihle
m (Einflang gebracht wiffen. $ie Webnerin fdjlofS ihre oon begeifterung für bie
Sache getragenen Ausführungen: „Fd) zweifle nicht, baf« wir manche« ©chöne auf*
geben miiffen, wenn wir unfere .Hleibung einfehneibenb oeränbem — (Eingebilbete«,
aber auch wirflich ©chöne«. 5$ir oerlieren aber nichts babei; benn wir taufchen e«
nur gegen anbere Schönheiten ein unb gegen gröbere unb werthoollere, t>or Allem
gegen bie Schönheit ber ungehemmmten frohen Straft unb ©efunbheit". 0b ein
folche« Aufgeben unb (Eintaufdjen bort, wo bie weibliche (Eitelfeit ein fo gewichtige«
SBort mitzureben hat, fo leicht unb rafch burchgreifenb wirb, bleibt wohl mit Wedu
abjuwarten. 2Bo VBedsfel unb ©egenf at* sich wie in biefer F*age bisher auSfchliefSlicb
in bie Rührung theilten, wirb ein allgemeine« (Einlenfen in anbere Bahnen oorau«
fichtlid) lange auf grobe ©chwierigteiten ftoben, bie fich weber mit (ErtquSten noch
mit Vorträgen beseitigen laffen. SWanch lebhafte (Entgegnung riefen bie Ausführungen
be« $r. Friß btolff heroor, ber im Frattenclub am 28. Jyebruar über „^ie fünft
(erifche Bewegung in ^eutfchlanb unb bie F*au" fprach unb auf bie (Einfeitigfeit
ber heutigen Frauenbewegung ziemlich fcharf htnwies, ba man ftet« nur oon einer
Frauenrecht«bewegung, niemal« oon einer Ftaueupflichtbewegung höre. (Er trat bafiiv
ein, baf« bie Frau gewiffermaben bie Pflicht habe, ben ÜJlann jur ftunft zu erziehen
unb erwartet nur uon ben unberührten Frauen eine Weorganifation ber ftunft.
©o biirfen bie erften s JJtonate be« Fahre« 1902 in ben ftunftbarbietungen
unb Munftanregungen wirflich al« abwechslungsreich unb manche« ©ute bringen!»
bezeichnet werben. Wlanche Xfjatfachen fprechen für eine Belebung unb Vertiefung
be« Futeveffe« an allgemeinen .Hunftfragen, beren (Erörterung nicht wenig jur
ftärferen ©eltenbmadsung be« wirflich berechtigten beitragen wirb, llnferc 3eü ift
oiel weniger al« eine anbere barnach angethan, fich etwa« al« tfunft aufzwingen
zu laffen, wa« ba« 5Öefen ber ftunft oerleugnet unb in einem unbegreiflichen (Eult
oerbohrtefter ©elbftherrlichfeit au«artet. ^ie 3ufunft wirb lehren, wa« baoon al«
triebfräftiger 3u>cig am bäume ber .Hunft fid) behauptet ober abftivbt.
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Das Rotbkeblcben.
Bon Selnta lagcrlüf.
©in 3 ig autorifterte ttbcrfe&ung aus bem Schroebifchen oon granciS *D2aro.
Jv" S nun *u bei* 3*tt, als Unfer §err bie SBelt erfchuf, als er nicht nur §immel
unb ©rbe fchuf, fonbern auch alle Ihiere unb $flan 3 en, unb ihnen zugleich
ihre Flamen gab.
©S gibt niele ©efchichten auS jener 3*tt; unb roüfste man fte alle, fo ruitfdte
man auch bie ©rfläruitg für alles in ber 2öelt, baS man jefet nicht oerftehen !ann.
«Damals roar eS, bafS eS fkh eines lageS begab, als Unfer §err im Ikrabieie
fafe unb bie SJögel malte, bafS bie fjarbe in UnfereS §errn Sarbenfchale ausgieng,
fo bafS ber Stieglifc ohne 3arbe geblieben märe, roenn Unfer jperr nicht alle s j$infel
au feinen Gebern abgetrocfnet hätte.
Unb bamatS roar eS, bafS ber ©fei feine langen Ohren befam, lueil er Reh
nicht ntevfte, melden Manien er erhalten hatte, ©r oergafe eS, foroie er nur ein paar
Schritte auf ben Fluren beS ^arabiefeS gemacht hatte, unb breimal tarn er juriief
unb fragte, mie er ^ei§e, bis Unfer £>err ein fleht roenig ungebulbig mürbe, ihn
bei beiben Ohren nahm unb fagte: „Dein fRame ift ©fei, ©fei, ©fei."
Unb roährenb er fo fprach, 30 g er feine Ohren aus, bamit er ein beffereS
©ehör befam unb ftch merfte, roaS man ihm fagte.
Slm fei ben läge mar eS auch, bafS bie hielte geftraft mürbe. Denn als bie
s !üene erfchaffen mar, begann fie fogleich fronig ju fammeln, unb Ihiere unb SRenfdjen,
bie merften, mie fiib ber £>onig buftete, famen unb mollten ihn toften. Slber bie
'-Biene mollte alles für ftch behalten unb jagte mit ihren giftigen Stichen alle fort,
bie ftch ber ^onigmabe näherten. Dies fah Unfer §err unb allfogleich rief er bie
Biene ju ftch unb ftrafte fie. „3>ch oerlteh bir bie ©abe, &onig ju fammeln, ber baS
Süfeefte in ber Schöpfung ift," fagte Unfer §err, „aber bamit gab ich bir nicht bas
SRecht, hart gegen beinen fftächften ju fein. üRerfe bir nun, jebeSmal, menn bu
jemanben ftichft, ber beinen §onig foften null, mufSt bu fterben!"
Sich ja, bamalS roar eS, bafS bie ©rille blinb mürbe unb bie Slmeifc ihre
f?lügcl einbiifete; eS begab ftch fo uiel SöunberlicheS an biefem läge.
Unfer &err fafe grofe unb milb ben ganzen lag ba unb fchuf unb erroedte
3 um Öeben, unb gegen Slbenb fam eS ihm in ben Sinn, einen fleinen grauen Bogel
3 U erfchaffen.
„SRerfe bir, bafS bein Spante IRothtehlchen ift!“ fagte Unfer £>err ju bem Bogel,
als er fertig roar. Unb er fe&te ihn auf feine flache §anb unb liefe ihn fliegen.
Slber als ber Bogel ein SBeilchen umhergeflogen roar unb ftch bie fcfeöne ©rbe
befehen hatte, auf ber er leben follte, befam er auch ßuft, ftch felbft 3 U betrachten.
Da fah er, bafS er gan$ grau roar, unb feine Stehle roar ebenfo grau roie aUeS
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Selma tfagerlöf.
<>38
anbere. Das fRothfehldjen roenbete unb breite ftd^ unb fpiegelte ftc^ im ^Baffer, aber
e$ !onnte feine einige rothe Qrebcr entbeefen.
Da flog ber 93ogel jurücf &u Unferem Jöerrn.
Unfer §err thronte gut unb ntilbe, auS feinen £>änben giengen Schmetterlinge
heroor, bie um fein ftaupt flatterten, Xauben gurrten auf feinen Schultern, unb aus
bem '-Boben rings um ihn fprofSten bie IRofe, bie öilie unb ba$ Xaufenbfchönchen.
DaS §erj be$ Keinen 23ogelS pochte heftig oor SBangigfeit, aber in leichten
33ogen flog er bo<h immer näher unb näher ju Unferem !perm unb fchliefelich liefe
er Reh auf f:iner $anb nieber.
Da fragte Unfer Jperr, roaS fern ^Begehren märe.
„3$ möchte bicb nur um ©ineS fragen," fagte ber fleine SBogel.
„5BaS ift eS, baS bu roiffen roiHfi?" fragte Unfer §err.
„2Barum foll icb fRothfehlchen feigen, menn ich boch ganj grau bin oom
Schnabel bis jurn Schwanke? 2Barum roerbe ich IRothfehlchen genannt, roenn icb
feine emsige rothe fteber mein ©igen nenne?"
Unb ber 93ogeI fah Unferen $errn flehenb mit feinen flemen fchroarjen
Wuglrin an unb roenbete baS Köpfchen. IRingS umher fah er Srafane, ganj rotb
unter einem leichten ©olbftaub, Papageien mit reichen rothen fcalSfrägen, £>äh ne
mit rothen Stämmen, gar nicht oon ben Schmetterlingen, ©olbRfchen unb fRofen &u
fprechen. Unb natürlich bachte er, roie roenig nothroenbig mar, nur ein einiger
fleiner tropfen 3farbe auf feine s Bruft, unb er mar ein fdjöner 33ogel unb fein
9tame fehiefte Reh für ihn.
„2Barum foll ich SRothfehlchen heißen, roenn ich ganj grau bin," fragte ber
$$ogel abermals unb roartete, bafS Unfer S>err fagen follte:
„2lch, mein Srreunb, ich fefje, bafS ich oergeffen habe, beine iBruftfebern roth
SU malen, aber roarte nur einen &ugenblicf, fo roirb eS gefchehen."
2lber Unfer £>err lächelte nur füll unb fagte:
„3cb höbe bich ^Rotkehlchen genannt, unb fRothfehlchen follft Du heifeen, aber
bu mufSt felbft jufehen, bafS bu bir beine rothen SBruftfebern oerbienft."
Unb bamit erhob Unfer £>err bie franb unb liefe ben SBogel auf’S neue in
bie 3Belt hinausfliegen.
Der 93ogel Rog unter tiefen ©rübeleien hinab in$ s JktvabieS. 2BaS follte
roohl ein Heiner 93ogel, roie er, thun fönnen, um Reh rothe Gebern ju oerfchaffen ?
DaS ©insige, roaS ihm einRel, roar, fein SReft in einen Dornenbufcfe ju
bauen. ©r niftete srotfehen ben Stacheln in bem bitten Dornengeftrüpp. ©S roar, als
hätte er erroartet, bafS ein fRofenblatt an feiner Hehle haften bleiben unb ihr feine
Tyarbe geben roürbe.
♦ *
*
©ine unenblicbe ÜRenge oon fahren roar oerfloffen feit biefern Xage, ber
ber frohefte ber ©rbe roar. Seit biefer 3eit hatten foroohl Xhic^e als SRenfchen baS
s BarabieS oerlaffen unb Reh über bie ©rbe oerbreitet. Unb bie SRenfchen hatten eS
fo roeit gebracht, bafS Re eS erlernt hatten, ben $Boben &u bebauen unb baS 9Reer ju
befahren, Re hatten Reh Hieiber unö 3teraten oerfchafft, ja Re hatten febon längft
gelernt, grofee Xempel unb mächtige Stäbte ju bauen, roie Xhcbctt, IRom unb ^erufalem.
So brach ein neuer Xag an, ber auch in ber ©efdRchte ber ©rbe lange nicht
oergeffen roerben follte, unb an bem ÜRorgen biefeS XageS fafe baS ^Rotkehlchen
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£)a« SRotbfeblcben.
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auf einem Meinen nacften tnigel oor ben dauern 3fc ru fol cm $ unb fang feinen
jungen oor, bie in einem Meinen s Jieft in einem niebrigen $ornenbufdj ruhfen.
S)a« ßtotbteblcb™ erjagte feinen kleinen non bem rounberbaren Schöpfung«
tage unb non ber Benennung, foroie jebeö erleben e$ erjäblt bat, non bem
erften an, ba« ©otte« ©Bort gehört unb au« ©otte« §anb (jerootgegangen mar.
„Unb febt nun," fcblof« eS betrübt, „fo niele Qabre ftnb nerfloffen, fo niele
fHofen haben geblüht, fo niele junge ©ögel fmb au« ihren ©iern gefroren, feit bem
ScböpfungStage, fo niele, baf« feiner fie jäblen fann, aber ba« IRotbfeblcben ift noch
immer ein Meiner, grauer ©ogel, e§ ift ihm noch nicht gelungen, feine rotben ©ruft
febern $u erringen."
3)ie Meinen jungen riffelt ihre Schnäbel meit auf unb fragten, ob ihre
©orfabren nicht nerfucht batten, irgenb eine ©rofetbat ju ooßbrtngen, um bie
unfcbäfcbare rotbe Jarbe $u erringen.
„Söir haben aße« getban, roa« mir fonnten," fagte ber Meine ©ogel, „aber
mir finb alle gefebeitert. Schon ba« erfte DRotbfeblcben traf einmal einen anberen
©ogel, ber ihm oöflig glich, unb eS begann fogleicb, biefen mit fo heftiger ttiebe $u
lieben, baf« eS feine ©ruft erglühen fühlte. Sich, bachte e§ ba, nun oerftebe ich,
eS ift Unfere« !perrn Slbficbt, baf« ich fo b^ife liebe, "baf« meine ©ruftfebern ftch oon
ber öiebeSglut, bie in meinem §er$en mobnt, rotb färben. Slber eS febeiterte, fo mie
alle nach ihm febeiterten, unb fo mie auch ib* feheitern merbet."
$ie Meinen jungen jroitfeherten mifSoergnügt, fie begannen febon barüber
ju trauern, baf« bie rotbe ffarbe nicht ihre Meine flaumige ©ruft fcbmücfen follte.
„Söir hofften auch auf ben ©efang," fagte ber alte ©ogel, in langgejogenen
löneu fprechenb. „Schon ba« erfte ©otbfeblcbeu fang fo, baf« feine ©ruft oor
©egeifterung fcbrooll, unb eS roagte roieber ju hoffen. Sich, bachte e§, bie Sange«^
glut, bie in meiner Seele mobnt, roirb meine ©ruftfebern rotb färben. ©ber e«
febeiterte, foroie alle nach ihm gefebeitert fmb, fomie auch ihr febeitern roerbet."
Söieber hörte man ein trübfelige« ©iepfen au« ben balbnadten fehlen ber jungen.
„SBir hofften auch auf unferen ÜRutb unb unfere Xapferfeit," fagte ber ©ogel
„Schon ba« erfte ©othfebldjen fämpfte tapfer mit anberen ©ögeln, unb feine ©ruft
glühte oon ÄampfeSluft. Sich, bachte e«, meine ©ruftfebern roeiben ficb rotb färben
oon ber Streitluft, bie in meinem £>erjen flammt. ©ber eS febeiterte, fo mie alle
nach ihm febeiterten, fo roie auch ihr febrilem roerbet."
$>ie Meinen jungen piepften mutbig, baf« fie e§ hoch oerfuchen rooüten, ben
erftrebten ©rei« *u geroinnen, aber ber alte ©ogel antwortete ihnen betrübt, baf«
bie« unmöglich fei. 2Ba§ fonnten fie hoffen, roenn fo Diele ausgezeichnete ©erfahren
ba« 3*el nicht erreicht hotten? 2Ba« fonnten fie mehr tbun als lieben, fingen
nnb fämpfen? 2Ba« fonnten —-
$)er ©ogel hielt mitten im Sa&e in ne, benn au« einem ber $bore Jerusalem«
fam eine ÜJtenfcbenmenge gezogen, unb bie ganje Schar eilte ben §ügel hinan,
mo ber ©ogel fein 9left batte.
$a roaren Leiter auf ftoljen ©offen, ftrieger mit eifeubefcblagenen Sanbalen,
fcenferSfnecbte mit Nägeln unb dämmern, ba roaren roürbig einberfebreitenbe ©riefter
nnb dichter, roeinenbe 3rrauen unb aßen ooran eine ÜJtenge roilbumherlaufenben
©olfe«, ein greuliche«, beulenbe« ©eleite oon Sanbftreicbern.
3)er fleine graue ©ogel fab jittemb auf bem ßtanbe feine« 9teft«. ©r fürchtete
eben ©ugenblicf, baf« ber Meine $)ornenbufcb niebergetreten unb feine fleinen jungen
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Selma tfagerlof. Da$ fRotbfeb leben*
qetöbtet werben würben. „fJlebmt euch in acht," rief er ben tleinen fcbu&lofen jungen
ju, „friecbt jufammen unb oerbaltet euch ftiU! frier fommt ein ^ferb, ba8 gerabe
über un8 babingebt! frier fommt ein Krieger mit eifenbefcblagenen Sanbalen! frier
fommt bie ganje milbe Schar berangeftürmt!"
SJttt einem 9Jtole bürte ber Bogel mit feinen 2öarnung8rufen auf, er würbe
Hill unb ftuinm. ©r »ergab beinahe bie ©efabr, in ber er fdjwebte.
Blöfclicb hüpfte er binab in baS fHeft unb breitete bie glügel über feine jungen
„fftein, ba8 ift ju eutfefclicb," fagte er. „3cb will nicht, bafS ihr biefen 9lnblicf
febt — ba fmb brei fWiffetbäter, bie gefreujigt werben follen."
Unb er breitete ängftlicb bie Qrlügel au8, bamit bie kleinen nicht feben fonnten
Sie oernabmen nur bonnernbe frammerfcbläge, ^ummerrufe unb ba8 roilbe ©efcbrei
be8 Bolfe8.
Da8 fRotbfeblcbcn folgte bem ganjen Scbaufpiel mit s 2lugen, bie n<h nor
©ntfefeen weiteten. @8 fonnte bie Blicfe nicht oon ben brei Ungliidlicben weuben.
„2öie graufam biefe fUJenfcben fmb!'' fagte ber Bogel na(h einem Milchen
„©8 ift ihnen nicht genug, baf8 fie biefe armen BSefen auf’8 Kreuj nageln, nein,
auf bem Stopfe be8 einen buben ftc noch eine Krone auS ftecbenben Konten befeftigt."
„3dj febe, baf8 bie Dornen feine Stirne oerwunbet buben, fu bafe Blut
fliefet," fuhr e8 fort. „Unb biefer 2Rann ift fo fchön unb fiebt mit fo milben Blicfeu
um ficb, baf8 Qeber ihn lieben müfste. @8 ift mir, al8 gienge eine Bfeilfpifce burd>
mein frerj, wenn ich ihn leiben febe."
Der fleine Bogel begann ein immer ftärfere8 iHitleib mit bem Dornengefröuten
ju fühlen. „5öenn ich mein trüber, ber s ilbler, wäre/' bacbte er, „würbe ich bie 9tägel
au8 feinen fränben reihen unb mit meinen ftarfen Klauen all’ biefe oerfcheuchen,
bie ihn peinigen."
©* fab, wie baS Blut auf bie Stirne be8 ©efreujigten tropfte, unb ba
fonnte e8 nicht mehr in feinem Riefte ftille bleiben.
„Söenn ich uucb nur flein unb fcbwach bin, muf8 ich hoch etioa8 für biefen
armen ©equälten tbun fönnen," bacbte ber Bogel, unb er oerlieh fein 9teft unb flog
binau8 in bie Cuft, weite Kreife um ben ©efreujigten befcbreibenb.
©r umfreifte ihn mehrere fötale, ohne baf8 er ficb getraute berunjufomnieu,
benn er war ein febeuer fleiner Bogel, ber e8 nie gewagt butte, ficb einem SJtenfdjen
ju nähern. 3Iber fo aügemacb faföte er fUtutb, flog gauj nabe heran unb $og mit
feinem Schnabel einen Dorn au8, ber in bie Stirn be8 ©efreujigten gebrungen war.
9Iber wäbrenö er bie8 tbat, fiel ein Iropfen oon bem Blute be8 ©efreujigten
binab auf bie Bruft beo BogelS. Der oerbreitete ficb rafcb unb färbte all bie fleineu
jarten Bruftfebern.
2Bie ber Bogel wieber in fein 9teft fam, riefen ihm jeine fleineu 3ungeu b xl 1
„Deine Bruft ift rotb, beine Bruftfebern fmb rötber al8 fRofen!"
„@8 ift nur ein Blutstropfen oon ber Stirne bes armen üJiaune8,“ fagte
ber Bogel. ,,©i oerfchwinbet, fo wie ich in einem Bach habe ober in einer
flaren CueUe."
2lber wie ber fleine Bogel auch babete, oerfebwanö boeb nicht bie rotbe JJarbe
oon feiner Bruft, unb als feine fleineu jungen berangewaebfen waren, leuchtete bie
blutrotbe ftarbe auch oon ihren Bruftfebern, fo wie fie auf jebeS fRotbfeblcbenS Bruft
unb Kehle leuchtet, bis auf ben heutigen Dag.
»tebacteur: Dr. Jranj Schnürer.
3 oj. ftottTfcbe «crlafl*bud)Öaitblnn0. — JHudjbrwferei Wmbr. Cpifc, ®ien.
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