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Full text of "Die Kultur - Zeitschrift für Wissenschaft, Litteratur und Kunst 3.1901-1902 Harvard"

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iiiiii 


HW 



HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 


FROM THE BEQUEST OF 


MRS. ANNE E. P. SEVER 

OF BOSTON 


Widow of Col. James Warren Ser er 
(CUm of 1817) 
























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«ttjcfttff 

für 


JJEHfienfdjaft, ÜKttetatur nn& ftunft. 



III. jfabrgang. 
1901/1902. 



e r a u 8 g e g c b t n 

von &cr 





Üeo*(Befellfd)aft. 


jgBten uit6 Stuttgart. 

3of. X?etUgebucbb<*nMutig. 

1908 . 


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-P“(r t.hyrrxy- 


S-fe-O,- 2-. 




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Inhalt des dritten Jahrganges. 


Huf fitze: 

Seite 

^aumgarten, 9Rfgr. 3)r. tfktul 
SRaria, in ÜRiincben: 95 o r a u S* 
fefcungSlofe gorfcbung, freie 
Söiff enfcbaf t unb Slatboli« 
ciSmuS.241 


$ ü r r n> a e ch t e r, 2)r. 21., ©pmnaftal- 
leerer in SÖürjburg: $)onauunb 

®in Sffap.519 

@r im mich, $>r. 33irgü, o. ö. 38rof. 
an ber beutfcben Unioerfität in *Prag: 
Otto SBillmann’S fünfuno* 
jroanjigjäbrige Xfjätigfeit 
am $rager päbagogif djen 
UnioerfitätSf eminar. . . 223 
&amann S. 2R., in ©öfroeinftein, 


Oberfranfen: Sichert . 415 

§ a r t n> i g %\). t Obeipealfcbulprofeffor 
in 9Br.»yteuftabt: Über flüffige 
8uft. .. 90 


geifert, S)r. 3of. 2lley. greif). o., 

©r. üJlaj. roirfl. ©eh. SRatb in äßien: 
Srlebniffe unb Erinnerungen. 

II. SJhnifterium ©ebroarjenberg* 
©tabion. — III 3»n Äremfier. — 

IV. 3)ie grobe UnterricbtSreform. 

1, 97, 183, 273, 343, 449, 590 

jpirn, 3Dr. 3of., o. ö. 2kof. an ber 
UnioerfUät 3Öien: $)er$atboli* 
ciSmuS unb baS XX. 3abr= 

bunbert .161 

3nnerfofIer, P. Slbolf, C. SS. R., 
in ©rulicb: 2>r. 3 ob- ®mm. 93e i t b- 
SinebiograpbifdHitterarifdje ©tubie. 471 
3ppen £b- 51., f. unb f. ©eneral* 
EonfuI in ©futari: 3)aS religiöfe 
3ßrotectorat Ofterreich-Un* 
garnS in ber lürfei. . . . 298 


$ n e i b, $r. Philipp, 3Stof. am 3ßriefter 
©eminar in ÜRainj: ORoberne Sin= 
roänbe gegen bie cbrift liebe 
üRoral.561 


Seite 

ßralif, 3)r. SRicbarb oon, in 2Bien: 
5Utnorbifcbe S)icbtfunft. 81, 214 

-: 2Ibam Xrabert. . . . 25a 

-: Äulturibeale.321 

(Stupelroiefer) 8eop. äupelroiefer. 
Erinnerungen feiner Jocbter. . . 502: 

ORantuani, $>r. 3of., 2Imanuenft$ 
ber fcofbibliotbef in 2Öien: P. fr a r t* 
mann'8 Oratorium „©anct 
granciScuS". 379 

9Rüller, $r. 2llopS, inSBonn: S)ie 

9$biJ°fopbieber2Iftronomie. 

330, 428 

9Rutb, $r. SRidjarb o., $)irector beS 
nieb.'öfterr. 8anbeS»8ebrerfeminar$ 
in ©t. gölten : $ie n e u e b e u t f cb e 
SRedjtfcbreibung.171 

-: 3«t SBilrbigung fjriebricb 

£>ebbel’S nebft allerlei Sy- 
curfenüberSöiener^b^otcr 
unb Epigonen.577 

*Ra gl, P. SraSmuS, O. Cist., in 
freiligenfreuj : 2)ie «Dormition de 
la sainte Vierge».36 

SReuroirtb, 3)r gofepb, o. ö. $rof. 
an ber Xecbn. ^ocbftbule in SBien: 
Wiener ftunftleben (Jänner 

big 3uli 1901). 49, 134 

-:2Biener$un ft leben (£>erbft 

1901). 359 

— —: Wiener ftunftleben 

(gänner bis guni 1902). 612 

fttöSler, P. 2luguftin, C. SS. R., in 

nrr»_ a _ x • '_. rr>< • * » x_ 


üRautern (©teiermarf): % i e f u 11 u r- 
gefcbicbtlicbe33ebeutungoon 
3acbariaS2öerner’SEntn)icf* 

lungSgang.19 

©djleinifc, 0. grb- o., in 8onbon: 
Sntbedung altfran^öfifcber 
33r oncerefief S in ftero. . . 46- 


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Seite ; 

©^leufener, 5)r. 2B., Oberlehrer, I 

in ÜJtoins: Unfehlbarfeit unb | 

freie 3forfchung.401 1 

©chlögl, $)r. P. 9linarb, O. Cist., | 

$heol.’9$rof. in jpeiligenfreus: $)ie i 

heilige *ßoefie ber Hebräer. I 

II., III. 125, 489 | 

Xacoli, SInton SJlarqujS, in 2öien: 1 

Harrain unb ba3 Überleben I 

be§ *ßaf f enben.121! 

SBebofer Xhomaä (f): SBifchof ! 
Söilhelm Äetteler. . . . . 602 j 

Brziblungen: j 

©fdje Ibach £>an3, in Äöln: 2öie 
ich dichter rourbe. 3ugenb= i 

erinnerungen.148 

§anbel*2Rassetti, ©nrica 3reiin n., 
in 2Bten: $)er SBerräther. 

9loneUe.66 I 

^ a g e r l ö f ©elma, in ^falun (©chroeben): 

$a$ 9tothlelchen. 9Iu§ bem I 
©dpnebifchen non 3?ranci$ 3Jtoro. . 637 
©abil, P. 9Jfeinrab, O. S. B., in 
SBien: Otfrieb. ©pifdje Dichtung 
in 9 ©efängen. . . . 311, 386, 530 

6 tdtd>tt: 

©aftell e ftriebr., in flachen: 9lbenb. 488 
$ontanig, 3)r. Äarl, in ftlofterneu* 
bürg: Parabel.310 


©eite 

ftieSgen Mauren*, in Äöln: $)er 

hinter. . ..147 

ftralif, 2)r. Oficharb n., in SBien: 

©ebichte.528 

Srabert, £>r. Slbam, in 28ien: 

93ifion. 272 

SBitfop ^BhilipPf in SJiünfter i. $B.: 

3 n ber Academia dell arte 
SU SBenebig.611 


Rundfcbau: 


78 

78 

79 

79 

80 
80 


©efälfchte alte ÜJtonufcripte. 

$)eutfche tfitteratur in ^nnfreich 

5lutograpbenbanbel. 

$rof. 9Jta;r üftüller’S ©ibliothef. 

2öa3 ein i lieb inert fein fann. . 

?kei$aufgaben. 

$)er 9lntheil ber Slatholifen am ac& 
bemifchen öehramte in *ßreufjen (B.) 158 
3fechner über bie Äunft (A. M.). . . 159 
2Bie bas „©efcer unb 2Belte’fche 
ßirchenlertfon" juftanbe fam. . . 237 

geifert, 3ofeph 5 r h- n., $a$ neue 
fr erber’fcbe ©onnerfationSleyifon. . 240 

^euinirth, $rof. 3)r. 3°i c Ph» ©in 
neues 3Öerf über bie ©iptinifcbe 

©apeüe.556 

3JI ü 11 e r 9llopS, Äant unb bie©temen* 

beinohner.558 

3)ie britte ©miffion ber claffifchen s 2ln- 
bachtSbilber berßeo*©efellfchaft (J. N.). 560 




8 rür bie »ebaction beraititt>ortli<$: Dr. ftrana ©(^nüret. 
Budjbrudetel ttmbr. Opifc, Wien. 


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]o$epb Treiben von Belfert. 

(ErlEbitilTe unb (Erinntningen. 

II. 

®inij!srium j&ditoari^nb^r0-^fatri0iu 

1. 

2llS gürft gelijScBmarsenbergim Dctober 1848 in Dlmiifc er jcBien 
galt er ben Seuten, bie unt feine Slnfunft mufften, einfach als ein ©eneral ooit 
ber 2lrmee Stabefcfp'S, mie ja $u jener aucB anbere l)öl)eve Dfficiere in 
ber mäfjrifdjen £>auptftabt erfcBienen. © 01 t einer fjöljeren Seftimmung beS 
gürften f)atte im ©ublicum unb, mie mir gefefyen Baben, felbft in 2lbgeorbneten* 
(reifen niemanb eine SIBnung. ©cBmarjenberg Batte bamalS fein 48. 2ebenS- 
ja^r eben erft jurücfgelegt, — geb. 2 . Dctober 1800 511 Stumau in ©öBmen, — 
er mar Bo<B unb fdf)lanf bon SBudjä, folbatifcB aufrecht nnb gerabe in feiner 
Haltung; feine ©eficBtS^üge, bie geinljeit feiner |>änbe unb feiner ganzen 
©eftalt trugen ein auSgefprocBen ariftofratijcBeS ©epräge; ber fur^e unb 
fc^neße unb babei leichte Schritt berrietB — biefeit ßinbrucf Bat er mir bon 
allem Anfang gemacBt — ©ertrautBeit mit bent glatten Stoben beS §ofmanneS 
unb beS Diplomaten. 

2 lriftofrat bont SBirbel bis $ur $eBe mar aucB ©raf granj ©tabion, 
um fecBS 3aBrc junger als ©cBmaraenberg, geb. ju SBien, 27. 3uli 1806. 
Sei ©tabion mar alles lang, fein ©eficBt, fein |>alS, feine ©eftalt,-bie fid), 
roie eS bei BocBgemacBfenen Männern borjufommeu pflegt, mit bem Dbertörper 
etmaS nacB born neigte, ©eine gan^e ©rfcBeinung mar, mie ficB £>einricß 
©laut bon iBm aitSbrüdte, eine folcBe, bie, in einer nocB fo großen ©efellfcBaft 
einmal gefeBen, einen bleibenben ©inbrud ^urücfließ. ©tabion’S SluftaucBen in 
Dlmüfc erfuBr bie gerabe entgegeugefefcte Deutung als jene ScBmarjenberg'S: 
alle faBen in iBm ben fünftigen SRiuifter unb Ijulbigten iBm als folcBent. ©r 
felbft leBnte bieS in entliehener ©Seife ab, in bertrauten Streifen mollte er 
BöcBftenS als SRiniftermacBer gelten. 

DodB bieS mar er im ©runbe nidjt. Sr mar für ben Slugenblid nur 
SKinifter f ucB er: SRinifter macBer mar ein anberev. 2ln bemfelben 19. Dctober, 

$ie ftutut. III. 3ol)rfl., l. $eft (1901.) 1 


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2 


gofepp greiherr oon geifert. 


bon meinem baS gemilberte faifcrlic^c SWanifeft baticrte unb an beffen Por* 
abenb Schmalenberg mit Saffer, SRaper unb mir baS Spiel bcr Kafce mit bcr 2RauS, 
nur nicht mit fo graufamem SluSgang gefpielt hatte, mar dou ©e. SWajeftät ein 
^anbfdjreiben unterzeichnet, baS ben gürften mit bem Aufträge betraute, ein 
neues SWinifterium ju bilben. Paron SBeffenberg mürbe mit huftwoti 
gnäbigen SluSbrüden feines PoftenS enthoben unb mit bem ©rofefreuz beS 
©t. ©tephanSorbenS ausgezeichnet . . ., baS er bereits feit breifeig fahren 
befafe. ®erlei ÜDtifSgriffe tarnen in jener 3ett, mo man bielfach ohne prioren 
arbeitete, mehr als einmal oor. 

gürft ©chtoarzenberg, feit mehr als zwei ^ecennien an ben §öfen bon 
©t. Petersburg, Sonbon, Xurin, SReapet bermenbet, mar baburch ben inneren 
Perf)ältniffen feines PaterlanbeS entfrembet morben, unb auS biefem ©runbe 
mar ifem ©tabion, ber bie öfterreichifchen 3uftänbe unb SSer^ättniffe genau 
fannte, höchft miflfomnten unb nüfclich, ba er ifem bei ber 9tuSmaf)l ber 
Perfönlichteiten für bie oerfchiebenen Portefeuilles behilflich fein tonnte. 

2 . 

$ie Sage beS Gleiches, bon ben ausmärtigen Perljältniffen ganz ab* 
gefehen, mar bamals eine nahezu oerzmeifelte: bie $aupt* unb SRefibenzftabt 
in hellem Slufftanb, ein ungarifcheS $eer jenfeitS ber Seitha unb ber SDtarch, 
Don mo ifem bie Porrüdung gegen SBien freiftanb, im tombarbifch s benezi s 
anifchen Königreich momentane SBaffenruhe, bie jeben 2lugenblid gebroden 
merben tonnte, ©alizien unb Krafau zur Sloth in Drbnung gehalten, in 
allen anberen SReichSlanben, baS treue lirol allein ausgenommen, eine geregte, 
minbeftenS eine zweifelhafte Stimmung. 

S)ieS galt zumal bon Pöfemen, baS unter ben beseitigen Perhältniffen 
oon befonberer SBichtigleit mar. ®ie Stimmung hier War unb blieb eine ge* 
theilte: bie einen für, bie anberen gegen SBien. 

$)ie beutfehen Pereine, bie beutfcheit Journale, bie beutfehen ©täbte 
grofe unb flein fchwärmten für SBien. *$er Kampf in SBien", biefe cS in 
einer Slbreffe ber ©tabt Sluffig uom 16., „ift nicht, mie man uns meiS* 
machen min, ein Kampf ber SBühlerei unb Slnarchie gegen bie gefefcliche ©emalt, 
fonbent ein Kampf ber gefeplichen Freiheit unb ber gerechten Sntrüftung gegen 
bie Stänfe einer anti*beutfd)en, reactionören $ofpartei. $>aS Polt bon SBien, 
Segion, ^ationalgarbe unb Slrbeiter, ift bemunberungSmürbig, baS Senehmen ber 
hohenSteichSüerfantmlung über alles menfchlicheSoberhaben." ®erbeutfehePerein 
in Sluffig briidte in einer Slbreffe bom gleichen läge „feine tiefe Perachtung 
allen jenen auS, bie theilS in böfer Slbficht, theilS auS geigheit unb Pflicht* 
bergeffenljeit ben Poften, an ben fie baS Pertraucn beS PolfeS berufen hat, 


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ÜRiniftcrium Schn)arjenberg*Stabion. 


3 


fchmachtoofl üerlaffen haben". der Sejirföoerein oon Seitmerifc »erlangte, baf$ 
bie äbgeorbneten »on drautenau (2Reb. dr. 3ran$ Steife) unb lacfeau (meine 
UBenigleit) ihrer SRanbate »erluftig erllärt unb anbere an ihrerftatt gewählt 
werben. 3n Steichenberg erhob ber beutfefee Eentralüerein feine Stimme 
gewaltig für SBien; e3 feiefe fogar, e3 würben greifbaren »on bort SBien 
$u $i(fe eiten. Uffo ^orn polterte unb bonnerte bort. „3ft e$ benn noch 
nicht an ber fragte ein ^ager Slatt, „baf£ Uffo £>orn feinen aller* 

orte mif3glü<ften ©aftfpielen ein Enbe macht? Sann er benn nicht ohne 
tjia^co leben?! 41 SSfenticfe gieng e3 in ben Stabten mit gemachter S9e»ölferung 
$u, wenn bie deutfben ba3 Übergewicht hatten; fo in Hilfen, Wo bem fi^reiä* 
arjt dr. granj (öfoba eine Stofcenmufif bargebracht würbe, weit er ben 
Stei<h3tag »erlaffen hatte. 

3n ber böfemifchen $auptftabt war jene Stimmung überwiegenb, bie 
in ber SBiener Steootution ein fla»enfeinbliche$ 93ünbni£ jmifchen ber gran!* 
furter Sinfen unb bem $offuth'fchen 2Ragt)ari£mu£ erbtiefte doch gab e3 fetbft 
im ffaüifchen Ih c ü ber Präger SBeüölferung immer noch einige, bie gleich 
ihren beutfehen SanbSleuten mit SBien fpmpathifierten. 9tm 15. Dctober ftetlte 
in einer geheimen Sifcung ber Sloüanäfä Stpa 3ur. dr. SB i t ä! ben Antrag, 
bie deputierten aufjuforbern, für SBien »ermittelnb einjufchreiten. S a b i n a 
ober ein aitberer unterftüfcte ben Stntrag: „ Siegt SBien, fo jerfäHt bie 9Kon* 
orchie; fallt eft, tarnt tritt !äJtilitär*deapoti3mu$ ein!" ®r. Schebe! tratbiefer 
Sluffaffung entgegen: .„SBien muj3 gebemiithigt werben; benn e3 hat fich bie 
Suprematie angemafet, unb baä fteht mit ben ©runbfäfeen ber Eonföberation 
unb ber ©teithberedjtigung im SBiberfpruche." Stieger fagte: „Siegt SBien, 
bann ift ed mit unferer Nationalität au§; fällt e£, bann ift bie greiheit 
barum noch nicht begraben, die Erhebung »on SBien ift eine franffurtifdj 5 
magparif(he; auch wenn fie gebrochen fein wirb, fann in SBien nicht weiter 
frei getagt werben; man wirb ben Steich$tag an einen attberen Drt »er* 
oerlegen müffen." 

SBitäFS Antrag fiel, unb e$ würbe auf ben Eintrag granj $aw!i£eF$ 
befchloffen, fich unbebingt mit ben Schritten ber böfjmifchen 9lbgeorbneten 
einöerftanben ju erllären. 5lm dage barauf erfchien eine deputation ber Slo* 
»anSfä Stpa in ber S3ürger*3teffource, wo fich unfere Slbgeorbneten noch immer 
$u oerfammeln pflegten, unb überreichte ben festeren eine 9Sertrauen£=9lbreffe: 
„der 9htäfchuf$ ber Sloüanäfä Stpa hat in Erwägung ber jefcigen eitt= 
fcheibenben Epoche unb um einen einigen unb einträchtigen ©eift in unferer Station 
$u erhaltenden ©efblufä gefaxt, aßen in ©rag anwefettben sperren Steich3ratf)*= 
Slbgeorbneten auäjufprechen, baf£ er mit ihrer $anblung£weife einüerftanbeit 
fei, bafd er bie oon ihnen unternommenen Schritte billige unb baf$ er fie 

l* 


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4 


3>ofepf) Freiherr oon J^elfert. 


in ihrem ©eftreben, bie nationale Freiheit 51 t mähren, ju unterftüßen bereit 
fei." ©alacfp nahm bie Slbreffe banfenb entgegen unb brüefte feine greube 
barüber au«, „baf« ein fo bebeutenber Serein mie bie ©loüan«fä 2 tpa ber 
gleichen politifchen HJteinung fei mie er unb feine reich«täglichen Kollegen." 

Sie Sicherheit üon ©rag blieb, mie e« 3Binbifch@rä| in feiner ©roda* 
mation au«gefprochen hatte, ber ©ürgerjehaft unb ben ©tubenten überlaffen. 
51m 16. erhielten bie ©tubenten 1500 ®emef)re $u ihrer ©emaffnung unb 
mähten ben Suriften 3 0 r 0 & $u ihrem Kommanbanten; fie baten, baf« ihnen 
im ©ebäube be« Normal*©chulbücherüerlag« eine SRäumlichfeit für ihre 
$auptmache eingeräumt merbe. 

Sluch bie ©loüan«fä Sipa nahm fich ber Sache an. Kiner ihrer ©efchlftffe 
betraf bie SBehrfraft be« Sanbe«: ber ©tabtrath möge bie ^Regierung 
angehen, baf« bie Stationalgarbe orbentlich bemaffnet toerbe; SBämra 
unb KhtubimSltj beantragten, einen Kongreß üon Slbgeorbneten aller 
ßtationalgarben ©Öhmen« in ©rag abjuhalten. 

Unter ber ©tubentenfehaft mar bie Stimmung getheilt: bie böfjmifchen 
©tubenten hatten ben Slbgeorbneten, bie beutfehen fdjtüanften. 3n einer 
©erfammlung ber lefcteren mürbe bie 3rage berathen, ob fie ihre SBiener 
Kommilitonen mit einer Slbreffe begrüben foflten. Kinige fpradjen bagegen: 
man fenne bie Urfachen unb bie ,3iele ber SBiener ©emegung nicht genau; 
mürbe man fich für biefelbe au«fprechen, fo mürbe barau« ein neuer 3 toiefpalt 
mit ihren böhmifchen Kollegen entftehen; auch fei ja ben SBienern mit bloßen 
SBorten nicht gebient. Slnbere fprachen für thatfächliche £>ilfeleiftung, am 
heftigften ein 3lu«länber, ein ©tubent au« Sre«lau: ber ®ampf be« SRilitär« 
fei unconftitutioneß; 3e(Ia£id habe Sefagt: er folge bem Stufe ber Slanonett, 
barum ftehe er üor SBien; SBinbifch®räfc habe in feinen Slbfchieb«morten 
an bie Frager gefchrieben, feine Pflicht rufe ihn nach SBien: „alfo fein ©efehl, 
üerfaffung«mäfng contrafigniert, ^at bie beiben ©enerale an bie ©ofteu gefteßt, 
bie fie einnehmen!" 3nlefct entfehieb bie 9Ret)rheit bafür, baf« bie SBiener 
©tubenten buvch eine Slbreffe begrüßt merben. Sludh ber beutfdje ©erein in 
©rag fanbte einige Sage fpäter eine Spmpathie=Slbreffe nach SBien. 

3. 

SBa« gieug in biefer 3eit in SBien üor, unb mie ftanb e« ba mit 
bem 9teich«tage ?! $n SBien nahm ber Sinanjminifter ©aron St r a u «, ber 
einzige uon aßen SERitgliebern be« Kabinete« SBeffenberg-Soblfjoff, ber ba* 
felbft ^urücfgeblieben mar, eine ©teflung ein, bie einen fallen Schein 
auf ihn merfen muf«te unb bie in ber Shnt öon beiten, bie außerhalb 
ftanben, befonber« üon ber conferüatiüeu ©artei, ben fogenannten ©utgefinnten, 
ihm gemaltig üerübelt mürbe. 


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ÜJUntfterium Sd)ioar3enberg«Stabion. 


5 


Sieben ifjm ftanb in ber ber Stebolntion oerfallenen Stabt ber Pcäfibent' 
beS conftituierenben SteidjStageS, in Sßaljrljeit beS unt mefyr als bie |>älfte 
feiner SDlitglieber oerminberten StefteS beSfelben, an oberfter Stelle, gran$ 
Smolfa, trofc feiner norbifdjeit $erfunft eine fyeifeblütige Statur, mar üorn 
#auS aus Steüolutionär. „2öenn eS nidjt um ©uretmiflen märe", fcferieb er 
an bie Seinen nacfe ßemberg, „fo befäitbe id) micfe, ftatt feier in ben Stäumen 
ber SBinterreitfdjule $u fifeen, braufeen an ben Sinien, um mit ben Solbaten 
Äugeln ju medjfeln." SlÜein er befämpfte feine Statur, er Ijielt in ber Stellung 
aus, bie ifem baS Pertrauen feiner SftitsSlbgeorbneteu angemiefen featte, uitb 
fam ben mit biefer Stellung öerbuitbenen Obliegenheiten gemiffenfeaft nadj. 
3n ber Sljat, ©erecfetigfeit unb Wahrheitsliebe gebieten anjuerfennen, bafS 
ber 2ltl*9Dtinifter ÄrauS unb ber tmrfipenbe ßeiter beS SBiener Stumpf* 
Parlamentes Smolfa ,gerabe baburdj, bafS fie auf ihren Soften anSharrten, 
unabfehbareS Unheil Oon ber Stabt, ja oon ber SDlouarcfeie abgemenbet fjaben. 
Renten mir uns ben SteicfeStag meg, melden Smolfa mit Älugfjeit unb mafe* 
Ooller Stufee oon extremen SDlaferegeln feruju^atten mufSte, unb benfen mir 
uns Paron Philipp ÄrauS meg, ber in feiner Perfon bie ganje Stegierung 
repräfentierte unb bieS mit ebenfo grofeer Umficfet als ©efcfeicflicfefeit burd)* 
jufüfereit mufSte, fo läfst ficfe gar nicht abfehen, maS aus SBien, maS aus 
Öfterreich, maS aus gan$ Sftittel * Europa gemorben märe, ©ntmeber gemann 
baS Proletariat bie Oberhanb unb eS entftanb eine Slnarcfeie ber milbeften 
Slrt, ober ein entfcfeloffener SteOolutionär rifs bie ©emalt an ficfe unb führte 
eine SchredenSregierung ein, bie öor feinem Plutbabe jurürfjcfeanberte. @S 
gabÜJtänner in SBien, felbft unter ben Slbgeorbneten, bie man folcfeer ^unblutigen 
fähig fealten fonnte! 

$)ie Stellung ÄrauS' mar einfach unb flar: er mar faiferlicfeer 
SWinifter, feiner ber anberen Stätfee ber Ärotte mar auf feinem piafce, folglich 
fjatte er fie alle ju erfefcen. Slucfe Smolfa'S Stellung mar flar: er mar 
erfter Sice * Präfibent beS conftituierenben Steidj^tageS unb Ijatte, ba ber 
Präfibent nicht $ur Stelle mar, ben SteichStag 51 t leiten. $ie Schmierigfeit 
lag nur barin, bafS eS einen actioen 9teid)3tag eigentlich nicht gab, meil 
t>on ben SDlitgliebern nicht fo oiele in SBien geblieben maren, als man jur 
PefchlufSfähigfeit brauchte, nämlich über bie |>älfte. $>enn bie bö^ntijcfee 
Stecfete mar eS ja nicht allein, bie SBien ben Stüden gefefert featte; aufeer 
oielen einzelnen Slbgeorbneten auS oerfcfeiebenen Säubern maren eS neun norb* 
tirolifcfee, bie in 3fnnSbrud baSfclbe tfeaten, maS bie böfemtfcfeen in Prag. 
Sie Oerfagten bem SteicfeStage in beffen jepiger ©eftalt bie Slnerfeunuttg, unb 
mit ifenen hielten eS ber SluSfcfeufS beS liroler ßanbtageS, bie StegierungS* 
unb 2anbeS*93el)örben, bie Sürgerfcfeaft oou 3 nnSbrucf. 9lm 14. Dctober 


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6 


3ofeph ffreiherr *>on eifert. 


nmrbe eine Slbreffe an ben Steifer ausgefertigt. ®S mürbe barin Slbfdjeu vor 
ben ©räueln beS 6 . Dctober auSgefprochen: alle (Sfyrfurdjt gegen bie geheiligte 
s #erfon ©r. Sftajeftät fei oertefet; ber conftitutioneHe Ih^on fei nur bort. 
Wo fich ber Steifer in $erfon befinbe; 9tuhe unb ©efefetichfeit fönne erft 
mieberJehren, „bis Sure Sftajeftät, umgeben von einem in feinen ®erathungen 
nicht geftörten SleicftStage unb oon freigemählten SKiniftern, in ber Sage fein 
werben, 3h rcn treuen ®öl!em bie jugefiefterten SBohlthaten ju verwirf liehen." 
Sllfo auch öort biefer ©eite ein SWifStrauen gegen ben SBiener SleicftStag unb 
zugleich bie Einbeulung, benfelben aus feiner gegenwärtigen SftifSlage heraus« 
jujiehen. ©S Würbe von ben Dirolern befcftloffen, bie Slbreffe burch eine 
Deputation nach Dfmüfc $u beförbern. 

$on ben norbtirolifdjen Slbgeorbneten Waren bloft jwei in SBieit 
jurücfgeblieben: Dr. Sohann ©eorg 3Bör$ (für 3mft) unb ber in SBien 
anfäffige Slbvocat Dr. SlnbreaS ©rebter (für ©chwaj); von ber böhmifchen 
SRechten fünf: ©ibon (3®«)/ ©abil (Deutfcftbrob), SooS (Soutim), 
< 2 >embera (Pilgram) unb ®orrofcft ößrag IV.); Dr. ©bewarb 3onäf 
(33ranbeiS a. b. @.) war nicht mit feinen Sanbsleuten nach $rag gegangen, 
aber auch nicht in SBien geblieben, fonbern hatte fich, um neutral bie weitere 
©ntmieftung abjumarten, in baS nahe 93aben — „©chmarjgelbomih", wie eS 
Von ber Sinfen genannt Würbe, — jurüefgejogen. Dafür waren, wie fchon 
früher ermähnt, oon ben Stbgeorbneten anberer Sänber manche abgefallen, 
fo bafS bie 93än!e in ber SBinterreitfchnle täglich mehr Süden aufmiefen. 
99e$eichnenb in biefer 3licf)tung war bie Slrt unb SBeife, wie am ll.Dctober 
bie s ßräfibentenwahl oorgenommen würbe, nämlich per acclamationem. 9tach 
ber ©efcftäftSorbnung follte bie SBafjI burch Stimmzettel oorgenommen werben, 
unb ©molf a machte barauf aufmerffam; allein SlbamSSotocfi unb $ i 11 e r S* 
borff liefen baS nicht zu, mahrfcheinlich weit fie fürchteten, eS möchte bann 
ZU läge Jommen, bafS bie befcftlufsfähige Sln^ahl nicht vorhanben war. Der 
^Sräfibent unb ber Schriftführer gaben fi<h alle erbenJliche 9Jlühe, jufammen- 
juhalten, maS noch beifammen war. SBenn einer ber Slnmefenben SDtieue 
machte, ben ©aal $u verlaffen, etwa um eines leiblichen SebürfniffeS halber, 
fo pafSte ber Schriftführer SBifer ober einer ber anberen fogleich auf unb 
lieft ihn ni<ht gehen, beoor er fein ©hrenmort gegeben, bafS er znrücffehren 
wolle. SBenn eS ju einem SBefcftluffe fam uitb fich ein unb ber anbere nicht 
fügen wollte, fueftten ihn bie anberen einjufcftüchtern. ©o blieb bei einer 
Slbftimmung ber Slbgeorbnete Dr. © a n z w 0 h t (für Sufcwic in SRähren) fifceit; 
ba rief ihm ber rabicale ©mreJer (für Sichtenwalb in ©teiermarf) 511 : 
„SBerbet 3hr aufftehen, 3h r 3^fuit?!"; er gieng auf ihn loS unb würbe 
fich vielleicht thätlich an ihm vergriffen haben, wenn nicht anbere bajWifcheit 


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ORinifterium ©d)roar$enberg‘6tabion. 


7 


getreten mären. 2Ug man erfuhr, bafg Sa ff er im ^ermanen^tugfehuffe 
Äußerungen getßan hotte, bie gegen bag ^errfc^enbe Dreiben gerichtet maren, 
mürbe fein Staute auf bie s #rofcriptionglifte gefept unb empfieng er non mohf* 
meinenber ©eite ben Statt), fich ein anbermat fliiger $u Ratten. Sn ben 
öffentlichen ©jungen legte fid) mitunter ber Sßräfibent fetbft ing SJtittel. 
Sn irgenb einer Slngetegenheit motlte Saffer einen Antrag fteHen; ©motta, 
ber einfehen modjte, bafg ber Sache baburch hoch nicht geholfen mürbe, gab 
ihm üon feinem ©ifce h^rab einen SBin!, fifcen ju bleiben, mag benn Saffer 
auch that. 

Überhaupt mufften unfere nach Dlmüp gefommenen ßoKegen, mie 
Sifchcr, 9? eit matt, befonberg aber Saffer, metch' tepterer ber 
Steichgtagg^ermanena angehörte, ung allerhanb ju erzählen, mag in SBien 
hinter ben Eoutiffen üorgieng. 2lm 16. Dctober h°tf fich ©motfa bamit, 
bafg er bem SteidjStage berichtete, eg feien 222 Quittungen üon ben 2lbge* 
orbneten eingetaufen unb üon ber ßaffa 202 augbe$af)It morben, „barnach 
mir immer in ber Sage finb, üoOjähtig ^ier $u erjeheineu". Dafg unter biefeit 
Quittungen eine große Slnjahl bloß ein gef cßidt, nicht perföntich übergeben 
mar, mürbe üon ihm meigtich üerfchmiegen. 2l(g gegen @nbe ber ©ipung 
fichSaagjfiemicä erhob unb aufmertfam machte, eg fei nicht bie befcßlufg* 
fähige Slnjahl üorfjanben, mürbe ihm $ugerufen: „Stein, nein; bag mar 
früher, meil ba mehrere meggegangen maren!" Sn einer ber nächftcn 
©jungen moflte ber gatijifche Stbgeorbnete SJopiet (©taraföt) bie Stamen 
berjenigen miffen, bie fich am 16. $u ber Steidjgtaggcaffa gebrängt hätten; 
mie eg feien eg 222 gemefen unb nun, ba eg $ur Stbftimmung fomme, 
feien !aum 150 anmefenb. 

Steichgtagg'Slbgeorbnete maren im ©anjen 379, mehr atg bie Hälfte 
baüon mar jur Sefdjlufgfähigfeit nothmenbig (§ 34 ber ©efcßäftgorbnung), 
alfo 190. Sie füllte man biefe 3oh* sujammenbringen ? Daju maren curio;e 
ßunftftücfe nothmenbig! 2lbolphe Xhi er ^ h fl t einmal gefagt: bie ffunft, 
ein annehmbareg Subget jufammen^ubringen, beftehe barin, bie 3^ff ern Qefchicft 
$u gruppieren. Dag manbte nun ©motfa auf bie Shtgjählung ber 2Ibge* 
georbneten an, bie er $. ©. in folgenber SBeife gruppierte: 


anmefenb im ©aale 160 

im SJermanenj'Stugfchuffe 23 

an SeHatid abgefanbt 2 

Deputation nach Otntüfc 10 

Summa 195 


Stun ift eg ja eine befannte ©acbe, bafg bei ®efd)(ufgfaffungen unb 
biejenigen gewählt merben Jönnen, bie perföntich anmefenb finb unb mirflid) 


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8 


Qofepb greifjerr oon geifert. 


il)re (Stimmen abgeben. AÜein im Dctober mürbe alg ©runbfafc aufgeftellt 
«nb auggefproeben, baf# bie im $ienfte beg {Reicbgtageg auggefanbten ober 
bekräftigten • SRitglieber mitge$äblt merben müffen. ©g tjief} bag: aug ber 
s Jtotb eine lugenb machen. $aju tarn aber, bafg üon ben SDtitgliebern ber 
Sermanen^Sommiffion, bie Smolla 5 U ben 160 Anmefenben tiinjugejä^lt 
batte, oiele, öiefleiebt ber größere Xbeil, im ©aale felbft maren, bie auf 
folcbe Art hoppelt gewählt mürben. 3n ber Sijjung oom 17. fagte ©molta: 
„SRacb ber 3 ä^Utttg fiiib 172 antuefenb, im permanenten Augfcbuffe finb 25, 
jufammen alfo 197". Abgeorbneter 93ö f e (filofter^rabifcb): „$ie meiften aug 
bem 9Iu^f<f)iiffe finb hier anmefenb." Smolfa fagte, er merbe in ben Aug* 
fc^ufd binauffebiefen. Sorrofcf): „Unb ing Sefejimmer, menn icb bitten barf." 
Db biefett beiben Anregungen entfproeben mürbe unb mit meinem ©rfolg, 
barüber febmeigt bie ©ejebiebte. 


4. 

SBäbrenb in folcber SBeife in SSJien unb in $rag bebattiert unb 
beputiert, abrejfiert unb petitioniert mürbe, nabmen bie militärischen SRafc 
regeln jum Anmarfcb gegen SBien ihren unaufgebattenen gortgang. Am 
17. fuhr oon ^rag bie gelbpreffe ab, aug ber £aag’fcben <Sd^riftgie§erci 
mit Settern für bie oerfcbiebeiten Sanbegfpracben auggeftattet. Am 18. 
mar eine Batterie 001 t .gmölfpfüubern $ur Abfahrt bereit, fie mar mit 
Strängen unb ©eminben üon Slumcn gefcbmüctt, alg gienge eg ju einer 
£od)äeit3feier. Tancben mirtten bie beiben Sloüafenfübrer £tür unb 
§urban, um -*ur Unterftüfcung ber faiferlicben Armee eine bemaffnete 6 r* 
bcbitng in ihrer Heimat in ©ang 51 t fefccn. Auf ^tür'g Antrieb mürbe üon 
ber Sloüangfä Stpa befcbloffeit, eine ©ommiffion nieberjufe^en, melcbe SRittel 
unb 2Bege augfinbig machen foßte, um fübflaüifcben Stubenten, bie mit 
Umgebung oon 9ßeft in Srag ftubieren moßten, bei ben Siirgern ffiobnung 
unb Unterhalt $u üerfcbaffeit. 

$ie Sruppen 2Binbifcb®rä$', bie „böbmifebe Armee", $ogen näher 
unb näher gegen 9ßien heran. 2 >ag SBiener {Regiment £entfcbmeifter ÜRr. 4 
betam eine anbere Seftimmung, mag ja begreiflich mar, ba man bie fibelen 
Serchenfelber, Sichtenthaler, £>ungelbrunner 2 c. nicht gegen ihre eigenen Settern 
unb Srüber ing Seuer fehietnt mollte. $ag {Regiment mürbe auf ber {Rorb* 
bahn gegen Dlmitfc birigiert unb füllte meiter nach Iroppau tommen; cg 
hätten fich, biefe eg in SBien, unter ben Solbaten Sympathien für ben 
Aufftanb gezeigt. Auch ou f bie beutfeheu Gruppen aug Söhmen unb s JÖiäl)ren, 
fagte man meiter, fönue fich 2 Binbifch@räp nicht üerlaffen. 3 n Sglau hatten 


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SJtinifterium ©cßn)arjenberg*©tabion. 


9 


bie Dfficiere ißren auä Süniggräfe unb 3<Wßftabt ßeranmarfcßierenben 
Gruppen ba£ SBort geben müffen, baf$ man fie nicßt gegen SBien gebrauchen 
merbe, fonbern nur gegen ben äußeren fteinb. märe baßer, meinten bie 
SSiener Sournale, ßocß an ber $eit, bafd ber SReicßätag eine freifinnige 
SSrodamation an ba£ SRititär ricßte. 

Slttein bie Dßatfacßen miberfpracßen biefen ©eriicßten. Die einzige 
©tabt in 3Räßren, mo ficß bie ©ßmpatßien für SSien nicht auf bloße 
Strafen unb Dedamationen befcßränften, mar Sriinn. Dort beftieg am 
18. morgend eine Stnjäßt Slationalgarben unb ©tubenten — moßlfolcße, bie ficß 
au£ Dlmüß entfernt hatten — ben Eifenbaßn^ug, um ben SBienern 51 t £>ilfe ju 
eiten. SUIein in Sunbenburg mürben fie Don einer Slbtßeilung ftßeoenßüfler 
9ir. 35, SBerbbejir! Hilfen, alfo größtentßeite Deutfcße, in Empfang ge¬ 
nommen unb entmaffnet. 3Jtit bem näcßften 3 U 9 fant nacß Srünn bie 9iacß- 
ricßt baoon mit atterßanb geßäffigem Slufpufc: bie faiferticßen ©otbaten 
feien mit ben Sriinnern roß umgegangen, hätten ißnen Ußren, SRinge unb 
anbere SSertfacßen geraubt, darüber entftanb in ben erften -Racßmittag^ 
ftunben eine gemaltige Stufregung. Raufen oon Arbeitern, mit Knütteln, 
^otäbtdden, Warfen, dämmern u. bgl. bemaffnet, jogeit burcß bie ©traßen, 
befdjimpften unb bebroßten bie ©otbaten ber ©arnifon. Da£ SRititär mürbe 
in bie Safernen gezogen, bie_ ÜRationatgarbe mürbe attarmiert, oon melcßer 
fogteicß bie $auptmacße unb alle einzelnen Söacßpoften bcfe^t mürben. Der 
SRationalgarbe-Eommanbant ®.=9R. Sofepß Stitter oon SRalter ertieß eine 
fiunbmacßung unb fanbte ben s J$lafcmajor $ofcpß ©eßmitt oon Sämmer? 
5 e 11 mit einigen SIbgeorbneten ber SRationatgarbe nacß Sunbenburg, um an 
Drt unb ©teile eine Untersuchung über ben SSorfaü ein^uleiten. hierauf 
trat gegen 4 Ußr nacßmittag3 in ber mäßrifeßen öauptftabt 9tuße ein. Docß 
ber Vorfall geigte nur ju beuttieß, baf£ bie Wiener Slufftänbifcßen im 
Srrtßum maren, menn fie auf einen Slbfalt oon „beutfeßen" Druppen 
regneten. 3n biefer fteigenben SRotß befeßtoffen ber SteicßStag, ber ®emeinbe- 
ratß Oon SBien unb bie fRationalgarbe eine neue Stbrcffe an ben Siaifer; 
einer großen Deputation biefer brei Körperhaften fönten fieß Stbgeorbnete 
jener auSmärtigen SBeßrmannfcßaften aitfcßließen, bie au$ $rünn, Sin$, 
©afyburg unb ®raj ben SBienern gu $ilfe gejogen maren. 

Der SReicßätag, ßieß e§ in jener Stbreffe, ßatte e§ für feine ^fließt, 
bem Kaifer bie beftimmtefte Serficßerung $u geben, baf£ bie SRttße unb 
©ießerßeit 2Bien3 feiner SBieberßerfteltung bebürfe, ba bieje nießt im geringften 
geftört feien; nur allein bie in ber Umgebung ber ^auptftabt jufammen* 
gezogenen Druppen unb bie feinbfetige Haltung berjelbeu feien e£, ma£ bie 
SSiener Seoölferung in Stufregung oerfepe unb ju Stiftungen gegen broßenbe 


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10 


Qofeph greifen: uon geifert. 


Angriffe nötige. „SBemt SBien befcfjulbigt »irb", fagte ber ©emeinberath, 
„bafS in feinen 3Jlauerit Slnarchie ^errfc^e, fo fann nur er»ibert »erben, 
bafS in SBien bie Drbnung unb bie {Ruhe einer belagerten ©tabt $u finben 
fei." ©S mögen baper bie Druppen jurüefgejogen, ber SanuS oon Kroatien 
non SBien »egbeorbert »erben unb bie ©enbung beS dürften SBinbifch©räfc 
gegen SBien unterbleiben; eS möge bie ©arnifon oon SBien auf ein SRinimum 
herabgefefct unb babei auf „$er»enbung oolfSthümlicher SRilitärförper" 
gefehen »erben. „Der $err ©eneral ber ©aoallerie ©raf SluerSperg", fyiefy eS 
in ber Slbreffe ber SRationalgarbe, „beziehe mit feinem SRilitär bie ©arnifon 
tum SBien, beren $tnjahl aber 10.000 9Jtann in allem nie überfteigen 
möge" unb »ooon namentlich ^bie Sinienregimenter SRaffau, fiatour, fo»ie 
auch SBtbna ©heoau^legerS" auSgefchloffen »erben foüen. DaS ÜJlilitär »erbe 
auf bie Serfaffung beeibigt unb erhalte bie SBeifung, bafS eS im Snnern 
beS SanbeS nur über Slufforberung ber ßiüilbehörben einfehreiten bürfe. Die 
93olfS»ehr »erbe burch ein oom {Reichstage fogleich ju erlaffenbeS ©efefc 
organifiert, unb ©e. 9Rajeftät möge fechS SRänner aus ber gefammten 
{Rationalgarbe jum Slbjutantenbienfle in ber $ofburg beftimmen. DaS t>on 
©r. ÜRajeftät jugefagte „oolfsthümlidje SRinifterium" »erbe fchleunigft ge= 
hübet, ©e. ÜRajeftät geruhe, „©ich in 3h* allzeit getreues SBien juriief* 
jubegeben," unb, „bern Dränge 3h re ^ &erjenS folgenb, eine allgemeine 
Slmneftie nach ^ em Anträge beS {Reichstages $u erlaffen." Schließlich gab ber 
{Reichstag „jur SBahrung feiner SBürbe" bie feierliche ©rflärung ab, „bafS 
er niemals in feiner ooflfontnten freien {Beratung oon irgenb einer ©eite 
geftört »urbe unb bafS er feine Verlegung an einen anberen Drt als eine 
3umuthung jurücf»eifen miiffe, als h a & c cr feine h°^ c Stellung, feine 
heilige Pflicht jemals burch ßinflüffe Don außen he* außer Slugen gelaffen 
ober als fei er fähig, bieS in 3ufunft 51 t thun." 

Die große SBiener Deputation, eigentlich bie brei Deputationen, trafen 
am 20. in Dlntüfc ein. Die Deputation beS SBiener ©emeinberatbeS erhielt noch 
benfelben Slbenb üon SBef f enberg ben Sefcheib, ihre Slbreffe fei ©r. ÜRajeftät 
oorgelegt »orben; ba fie aber ©itten enthalte, auf beren ©rfiillung man unter 
gegen»ärtigen llmftänben nicht eingehen fönne, fo »ürbe ihnen befannt gegeben, 
bafS man fid) in allem, »aS bie $erftellung ber gefefclichen Drbnung in SBien 
betreffe, an ben dürften SBinbifch©rä|j ju »enben bö&e; übrigens bürfe man 
hoffen, bafS burch bie Kunbmachung ©r. ÜRajeftät oom 19. ben billigen 
SBünfchen ber SBiener ©ürger entfprochen »orben fei. Sluch bie beiben anberen 
Deputationen »urben »eher beim ®aifer noch beim 6r$he*äog 5ran$ $arl 
oorgelaffen; oon SBeffenberg empfiengen fie feinen ©efcheib, fonbern »urben 
einfach an ben dürften SBinbifch©rä|j ge»iefen. 


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3Jlimf4ctium SchroarjenbergsStabion. 11 

5. 

Strn 20 . abenbg maren Srauner unb ich jurücf in fßrag, mohin mir 
Dag SKaitifeft bont 19. brauten. Slnt anbcrn Sage mar eg in böhntifcher 
fiberfefcung in Nar. Nob. i. 165 $u lefen; aber auch jeneg oont 16., melcheg 
(entere big bahin, fooiel ich meifc, oon feinem anbem Frager ober SBiener 
Sournale gebracht morben mar. 

Sin bentfelben läge, 21 . Dctober, prangte bie erfte Kanone ber Sürger* 
mehr oor bem 2tltftäbter 9tatt)fjau$. $eutfche Slätter machten fic^ barüber 
luftig: „SBie öiet Kanonen fjat $rag?" fragten jie; Slntmort: „Sine am 
Slltftäbter SRing nnb 36*) auf ber SRarienfc^anje!" Sin einem frönen morgen, 
hiefe eg meiter; ^abe man unter ber Slltftäbter Kanone eine fleine f)öl$erne 
gefunben: „Tsie Kanone am grofeen SRing friegt gunge", fpöttelte bag Frager 
Slbenbblatt. 

®ie erfte Stimme in allen Slngelegenheiten, nid)t btofj ber Stabt fßrag, 
fonbern beg ganzen böhntifchen ßanbeg, ^atte jefct fo jiemlid) bie S l o ü a u g f d 
Sipa. Sie hatte nach itjren Statuten jmei Sifcungen in ber SBoche ab^u* 
galten; fie hielt aber jefct alle Xage rnelche ab. $ie bebeutenbften männer 
ber £>auptftabt fanben fich ba ein; mag oon flaoifchen ^Berühmtheiten nach 
Srag fant, mürbe bei ihr eingeführt. Sie flärte bag 5ßublicnm in Slacateu 
über bie allgemeine Sage auf, berichtigte falfd^e Nachrichten, trat Sügen unb 
©ntftellungen entgegen. Sie 50 g praftifche gragen in ben 93ereich ihrer 
Erörterungen, fudjte bie Sehörben in Slngelegenbeiten ber öffentlichen SSohlfahrt 
$u unterftüfeen. Sie nahm ©efuche ihrer mitbürger in allen Slngelegenheiten 
entgegen, in benen fich biefe oertrauengooß. an fie manbten, unb fuchte 
biejelben, fatlg fie mit bem Snfjölte einoerftanben mar, bei ben Sebörbeit 
ju unterftityen nnb 51 t förbern. ©g fam oor, bafg felbft aug beutfehen 
®egenben Srioate ober ©emeinben fich an Slooangfd Stpa menbeten unb ihr 
ihre Sefchmerben ang £>er$ legten, -mitunter famen bie SfingfMSreigniffe mieber 
$ur Sprache. 3n ber Sifcung 00 m 21 . mürbe eine ©ingabe ber grau £>onorata 
3ap beriefen, morin biefelbe bat, bie Slooangfd Sipa möge fich bermenben, 
bafg eine Slnjaht oon Sefchulbigten, mie ©raf s J$otocfi, Xurarigfi, SRabajemgfi, 
Sürger ^pa£ef u. Sl., bie feit ben Sfingfttagen ob bem Frager Schlöffe 
in #aft fafjen, freigelaffen mürben. $er 3 eitpunft für bie Sorbringnng einer 
fotchen Sitte fdjien bei ber günftigen Stimmung, bie jefct im £auptquatier 
beg gürften SBinbifch©räfc gegen bie Srager herrfchte, nicht übel gemäbtt. 
Sluch motlten Ndr. NoO. (£. 167, S. 658) miffen, bafg ber Stecfbrief, mit 
welchem nach ben 3unitagen $r. Kampelif ocrfolgt mürbe, jurücfgenommen fei. 

*) Nämlich bie militärifeben. 


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12 


Qofepf) Freiherr oon geifert. 


©in wechielootleS ©ilb bot bie Sipung oom 22 . ®a !ant bic 
SReorganifation ber Suftij in grage; gur. ®r. frliebert fprach für ©in* 
richtung oon ©ollegiatgerichten, was #ofrath SBenjet fr ul honet, melier 
bcr Sipung beiwohnte, befürwortete; eS Würbe befdjloffen, an alle ©emeinben 
©öhmenS bie Slufforberung zu richten, ihre 3 uftimmung ju biefem ©efchluffe 511 
erflären unb fdjriftliche ©ingaben hierüber an bie 2lbreffe ber SlooanSfd 2tpa, 
9lltftabt ©ethlehemäplap 9lr. ©. 258, zu richten. §urban unb Stur fprachen 
für ihre Stoüafen; erfterer banfte in Ijerjtidjen SSorten für alles, waS bie 
SloüanSfd 2tpa bisher in ihrem igntereffe getpan unb bat, ihnen biefe ZtyiU 
nähme auch für bie 3 utunft JU bewahren; <stür hob heroor, „bafS nirgenbS 
baS flaüifche ©fernent fo blühe, nirgenbS bie flaüifche 3bee fo zur Steife 
gebiehen fei, wie in ©rag". ®ann trat ©ilem ®ulan Sambl auf, ber, 
eben auS Slgram h e ^ m S e ^e^rt, freunblichc ©rüfte ber Sübjlaüen brachte, bie 
fortan bie gleiche ©ofitif mit ben ©echen einhatten wollten. 3um Schluffe 
Würbe granz 2abiStauS ©elafoüSfp, feit 1842 ejpatriirt unb als ©rofeffor 
ber flapifchen Sprache unb Sitteratur in ©reSlau angefteHt, in ben Saal geführt 
unb öon ber ganzen ©erfammlung mit 3 uruf unb |>änbef(atfchen begrübt; 
tief ergriffen Don biefer ungezwungenen §utbigung, banfte er mit warmen 
SBorten. „®ie fieben gahre," fagte er, „bie ich außerhalb meiner theuren 
Heimat zugebracht, erachte ich für bie mageren frühe ber ©ibel; ich hoffe, 
bafs nun fieben fette nachfolgen werben, wo ich in meiner £>eimat unb zum 
Stufen berfelben werbe Wirten fönnen". 

gn folcher SBeife war bieSloüanSfd Sipa in ©rag ungefähr baSfelbe, waS 
iitt grüpling unb erften Sommer ber SicherheitS*2luSfchufS für Sßien gewefen 
war. Sie würbe aber mit ber 3eit weit mehr als biefer, weil fie fich über 
baS ganze 2anb, foweit eS nicht üon ®eutfchen bewohnt war, mehr unb 
mehr ausbreitete. 3u ollen wichtigeren Orten entftanben 3*oeigoereine; ja in 
©rag felbft bilbete fid) ein folcher auf ber frleinfeite, unter beffen Statuten 
bie ©eftimmung aufgenommen würbe, bafS bie SRitglieber beS ^auptoereineS 
auch bei ben ©erfammlungen beS 3roeigüereineS 3utritt hoben foHten. Slufcer* 
holb ber ©renzen ©öpmenS, im fernen ©roatien, in ®alntatien bilbeten fich 
©ereiue nach bem SRufter ber ©rager SloüanSfd 2tpa unb traten mit ihr in Sorre* 
fponbeuz unb ©erfehr. Ohne grage war bieS ein ganz abnormes ©erhältniS. 
3 n ruhigen, georbneten 3 eiten hot alles feinen beftimmt angewiesenen ©lap, 
feinen genau umfehriebenen SBirfungSfreiS; ba Waltet bie lanbeSfürftliche 
^Regierung unb finb bie ©epörben in ihrer oerfchiebcnen Unter* unb Über* 
orbnung; in conftitutionelleu Staaten finb baneben bie oou ber ©erfaffung 
Zur ®h e ^uohme an ber ©efepgebung unb autonomen ©erwaltung getroffenen 
©inrichtungen; ©riüatüereine politischen ©harafterS, noch bazu folche mit 


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5Rinifterium Scbroarjenberg^tabion. 


13 


meiter Sersmeigung im Sanbe, ja über bie ©renjen beg fianbeg ^inau^, 
bie neben ben Sebörben unb derfaffunggmäßigen Organen ben Seruf, fid> 
in bie innere nnb felbft äußere Solitif gu mifcßen, aug ihrem eigenen SBiQen 
unb ©rmeffen Verleiten, fönnen ba nicht gebulbet merben. Slber jefct maren 
eben feine ruhigen 3 e ^ cn / feine nach öden Seiten georbneten Serbältniffe, 
unb fo fonnte eg fomrnen, bafg ein großer 'Jfyeil ber Seoölferung einer 
berartigenSereinigung oon 3R itbürgern mie bieSlotxingfä ßipa danf mufgte unb 
bafg bie Stegierunggbebörben felbft fie gemäbren ließen, fo lang ficß biefelbe 
in ihrem Sluftreten umficßtig unb lopal hielt unb ficß Don bem Seftreben 
leiten ließ, überall für Slufrecßtfjaltung ber Drbnung unb eineg guten 
©eifteg ju mirfen, löbliche 3 mecfe ju förbern unb gu unterftüften. 

* * 

* 

©eit Srauner unb ich aug Dlrnüp gurücf mären, mar man in Frager 
ßreifen fcßon barüber einig, bafg ber conftituierenbe SReicbgtag nicht länger 
in SBien bleiben fönne, unb bie grage mar nur: in melcfje anbere ©tobt 
er Derlegt merben folle? 2 Bir Slbgeorbnete Ratten, mie ficß ber geneigte 
ßefer erinnern mirb, ursprünglich Srünn bafür oorgefcßlagen. $amel 
Soromgfp ßatte ficßin feinem 9tär. 9too. lebhaft bafür eingefcfet, Srauner 
unb ich Ratten mäbrenb unfereg Sßeileng am faiferlicßen ©oflager baran 
feftge^alten. 9Wein bie oon ung oorgefcßlagene oorläufige 3 ufammenfunft 
am 20. fjatte in Srünn DoUftänbig giagco gemacht*) 

3 n ben leitenben Greifen in Dlmüfc machte man feine äJlienc, 
auf unferen Sorfcßlag einjugefjen, mag nach ben Srünner Vorgängen Dom 
18. niemanb SBunber nehmen fonnte. Slucß &amli£ef fam jefct bon feiner 
früheren Sebauptung gurücf, inbem er erflärte, bafg fieß neuefter 3 e it in 
Srünn ein ben Söhnten unb ©laben entfeßieben feinbfeliger ©eift funb* 
gegeben ßabe. ©o berfiel man benn auf ffremfier, oßne bafg ich angugeben 
müfgte, bon mern ber ©ebanfe guerft angeregt morben. 5Rär. 97oo. brachten bie 

*) 3n meinen papieren finbet ftch folgenbe: 

Xelegrapßifcbe depefeße aug s lkag eingelangt um 3 l / 4 naeßmittagg. 
©ubernial^räfibent an &reigßauptmann in Clmiiß. 

9lbgeorbnete Srauner unb geifert haben 3ng 9tr. VII morgen im Olmüfeer 
Saßnßofe jur Sefprecßung mit jroei Srager deputierten abwroarten. Eg mirb 
bemerft, bafg ber 3ng VII bei regelmäßigem Serfeßr um 4 Ubr ft*üß in 
Clmüß eintreffen foU. 

Som f. f. Xelegrapben Sureau ju Clmiifc am 17. Cctober 1848. 

Sfeiffer, f. f. Xelegrapßift. 

• 3n meiner Erinnerung ift biefer 3nnfcßenfall oerroifebt; icb benfe, eg rcaren 
Äarl ^atolicef unb ein 3meiter auf ber dureßreife nach Sriinn begriffen, mo fte für 
ben 20. „SJtenfcßen" fueßten, b. ß. SHeicßgtagsgenoffen, aber nicht einen fanben. 


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14 


Qfofeph Freiherr pon geifert 


SRittheilung in berfelben Rümmer, in melier fic Srauner'S unb meine Rücf* 
fehr aus Dlrnüfc gemelbet hatten, mit bem Seifafce, bafS aüe Sßafyrfc^einlidjfeit 
bafür fpredje, bafS ber Reichstag nach fi'remfier merbe oerlegt merben. 
91m 22. fprad^ baoon im gleichen Sone Ranni Sift. i. 19. Um in biefer 
Sache fidler $u gehen, mürbe oon uns böhmifchen SIbgeorbneten befchloffen, 
jtuei aus unferer SRitte nach Dlmüfe $u fenben unb bem ffaifer bie Sitte 
oorjutragen: „Sr möge fobalb als möglich ben conftituierenben Reichstag 
nach ffremfier einberufen", ©emäfjlt mürben Salacfp unb S infaS. 


Son ber böhmifchen Sournaliftif mürben unfere Seftrebungen fort« 
mäfyrenb unterftüfet. ©ie blieften ooü 3u0erficht einem Umfdjmung in ber 
öfterreichifchen Solitif entgegen. „Sie Solitif beS öfterreichifchen $errfcher* 
^aufeS mar bisher eine auSfchliefjenb beutfdje, nun mirb fie eine flauen* 
freunbliche fein." liefen @afc behanbelten bie böhmifchen SageSblätter 
unb 3^itfc^riften in ber mannigfachen SBeife. „3Ran mirft ben öfter* 
reichten ©lauen oor, bafS fie bie Rationalität über bie Öreifjeit fefctea« 
Mein biefer Sormurf ift ungerecht. Sie ©lauen lieben bie Freiheit fo gut, 
mie anbere Sölfer; aber uor adern hanbelt es fich barum, baS nationale 
©elbftbemnfstfein ju fräftigen, benn erft biefeS macht ein Soll für bie greifet 
fähig, macht eS berfelben mürbig. Sine Ration mufS erft fein, ehe fie 
frei fein fann. Unfere 21bgeorbneten mufSten fehr mohl, marum fie in 
SBien mit bem SRinifterium giengen, baSfelbe $u galten unb ju unterftüfcen 
fugten; benn bie ©egner beS SRinifteriumS maren jene Seutfcheu, bie fein 
$ehl barauS machen, bafS ihnen an ber Spnaftie nichts liege, bafS eS ihnen 
nur um bie Einheit SeutfdjlanbS ju tljun fei, ber fobann baS ©laoenthum 
ber meftlichen Sänber jum Opfer faden müfste, mie jenes ber öftlidjen ber 
Meinherrfchaft beS SRagpariSmuS. Ser öfterreichifche Seutfche ift fo lange 
unfer geinb unb jener ber Regierung, fo lange er nicht anerfennen mid, bafS 
ein ©taat mie Öfterreich nur in einer Sonföberation feiner fo oielen unb 
oerfchiebenen Sölferftämme feinen Seftanb unb fein 3iel finben fönne." 

'Sie Rümmer 165 ber Rär. Roo. enthielt auch einen Seitartifel £amel 
SoromStp'S, morin er ausführte, bie Sntercffen beS faiferlichen £>ofeS unb 
bie 3ntereffen ber öfterreichifchen ©lauen feien in biefem Mgenblicfe auf baS 
innigfte miteiitanber uerflochteu. ^333ir müffen an ber Regierung halten, bamit 
mir in Serbinbung unb SBechielmirfuitg mit unferen flauijchen Sriibern 
bleiben." Ser f>of müffe an Öfterreich halten, meil bieS feine Slaiferfrone. 
fei, melche Uoit ber einen ©eite bie Seutfchen, uon ber anberen bie SRagparen 
entjmeibrechen moden. Me öfterreichifcheu ©lauen, fagt £>amli£ef meiter. 


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2Rinifterium ©chroarjenberg-Stabion. 


15 


feien in biefer Sßolitif mit unS einoerftanben: bie ©übftaoen, bie ©loDafen 
unb SRuttjenen, nur bie Solen nicht. 

6 . 

SBie fich benfen läfSt, mar bie {ReootutionSpartei in SBien über bie 
Haltung ber böhmifchen Äbgeorbneten unb ber Frager Seoötferung auf baS 
äu&erfte erbittert; bafS fie ganj offen jurn #ofe fjietten unb mit biefem 
Derfehrten, oerfefcte bie {Rabicaten in eine mahre SButfj. Unter bem Xitel 
„3)ie $anf barfeit ber ©jechen" Veröffentlichte 2. #aucf ein Flugblatt, morin 
eS ^iefe: „3ft baS ber $anf, ben ifjr bem freifinnigen SBien, ber Sorfämpferin 
ber greiheit, bafür abftattet, bafS eS, als ihr (im 3uni) oon SBinbifch®räfc 
bebro^t maret, euch in SBort unb ©djrift oertheibigte ? 3h r lohnt baS, mie 
eS euch jiemt: inbem ifjr euch mit unferen Unterbrücfern Derbinbet; inbent 
ihr lügt unb Ifjatfacfjen entfteUt; inbem ihr unfere heilige gerechte SRotfjmefjr 
nerläumbet!" Ratten oorbern bie Gjec^en ben SBienernate nationale Separatsten 
gegolten, fo mürben fie jefct beS ©eroiliSmuS befdjulbigt, als untermürfige 
©djleppträger ber $pnaftie bezeichnet. „Sie, bie böhmifchen 9lbgeorbneten, 
finb bie jüngfte {Raupe, bie an ber Stute unferer greiheit nagt. 2)od) $um 
minbeften treten fie offen auf. SBir miffen, maS unfer jefct harrt: ein 
öfterreichifche^ ©taatSminifterium — in (laStau ober Seitomifcfjl!" 

3n SBien tarn ber {Reichstag mehr unb mehr ins ©ebrange. 9lm 21. 
braute ber „Sote für lirol unb Sorarlberg" eine ©rflärung ber beutfd) 5 
tirolifchen Slbgeorbneten: ber SBiener {Reichstag fjabe bie ©secutiogemalt an 
ftch geriffen unb baburch feine Sefugniffe Übertritten; fie für ihre Serfon 
fetten ftch burd) *h r äRanbat nicht für berechtigt, an Sefdjlüffen folcher 2lrt 
theitjunehmen unb burch ihre Slnmefenheit biefetben ju fanctionieren. 9lm 
22. Dctober fefcte in geiftrifc an ber 3Rur ber fteirifche Slbgeorbnete ©bler 
o. Ih*nnfetb eine „offene ©rftärung" auf, bie einige läge fpäter im ©rajer 
„£erotb"*) $u tefen mar. ©r nannte ohne Urnfchmeife baS Ireiben in SBien 
ein anarchifcheS; er ftagte bie Übergriffe an, beren ftch bie in SBien snrücf* 
gebliebenen 9lbgeorbneten als {Reichstag fchutbig machten; fobatb einmal 
gefefcliche 3 u ftänbe in SBien geraffen, ber {Reichstag in bie Sage oerfefct 
fein merbe, feine Arbeiten ungeftört unb mit Dotier Freiheit mieber aufju* 
nehmen, merbe er, Ihinnfetb, nicht fäumen, fich an ben Drt feiner Seftimmung 
$u Derfügen unb feine Pflichten als 9lbgeorbneter mit allem ©ifer ju erfüllen. 

3n ber Xhat mürbe ber lerroriSmuS ber reDolutionären Partei in 
SBien immer unerträglicher. 3n einer ©ifcung ftellte ©raf 91 baut Sotocfi 
einen Antrag, für ben fich etma 10 SRitglieber erhoben; hoch unbänbigeS 

*) *Rr. 67 oom 25. Dctober, ©. 267. 


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16 


3ofeph grtetyerr oon Jpelfert. 


3tWen Port bcn ©alerien nötigte fie, fic^ rnieber ju fefcen. 2WeS ©efühl 
für parfamentarifche ©itte unb Slnftanb fc^icn auS bcm SReichStagSfaale 
gefchmunben. 2US eines XagS, fo mürbe mir erjagt, eine 21bftimmung burch 
Stimmzettel Porgenontnten merben follte, zählte man in ber befannten SBeife 
184 2lbgeorbnete; hoch beim £erau£jiel)en auS ber Urne fanben fic^ 28 Zettel 
mehr. 2öie mar baS gefommen? ©anz einfach: eS Ratten einzelne ber Slnmefenben 
mehr als je einen 3^ttel abgegeben, ©iner Pon ber 2in!en erjagte eS nach* 
träglich lacßenb: er ^abe brei 3 e UeI in bie Urne gemorfen. 

Slber noch SlrgereS !am Por. 3n einem 2lrtifel ber $Rär. $RoP. l)ie& 
eS, man fyabt fich in s J5rag anfangs oermunberf, mic eS benn möglich fei, 
bafs ber SReicßStag in SBien noch immer befchlufsfähiö fei: „$och nnfere 
Sermunberung hot auf gehört unb fid) in bie griinblichfte Seracßtung umge^ 
manbelt, feit mir bie ©emijSheit erlangt hoben, bafs frembe ^erfonen auf 
ben Santen ber Slbgeorbneten. fifcen unb bei ber Slbftimmung mitge^äblt 
merben. SBir fpreeßen biefe Sefcßulbigung nkbt leiebtfinnig auS, mir tonnten 
tarnen nennen." 3n ber £ßot mürben mir ganj beftimmte ^ßerfonen bezeichnet: 
ber Slbgeorbnete ©abil höbe feinen Sruber in ben ©aal mitgenommen; 
ein Kaufmann Sulfa auS bem SBaßlbezirfe $eutfcßbrob, .einer ber ©ebritber 
Strabal feien unter ben Slbgeorbneten gefeffen. 2luf richtige Slbgeorbnete, 
bie in SBien geblieben maren, hoben naebberbanb uns beftätigt, fie Ratten in 
ben Stinten Serfonen gefeßen, beren ^5^t}fiognomie ißnen ganz unbefannt mar 
unb bie auch feiner ihrer SRacßbarn ihnen ju nennen muffte. ^er Sräfibent 
unb bie ©cßriftfüßrer, ber ungemein aufmerffame unb fleißige SBifer 
nicht ausgenommen,*) ließen fich berlei Umftänbe entgehen. 

3n biefen lagen ber Xoflßeit unb Scrmirrüng tauften in SBien bie 
abenteuerlicßften ©erüchte auf; bie SReoolutionäre fuchten bamit ber SePölferung 
SRutß einzuflößen. „SBir fönnen eS erleben, bafs hinter bem SRücfen beS 
(aus Srag) abjiebenben SombarbierS SBinbifchSräß. eine furchtbare ©rßebung 
ftattfinbet, bie ben feßmanfenben 2ßron PolleubS in Irütnrner feßlägt." Salb 
barauf mürbe in ber ©tabt Perbreitet, in Söhnten fei eine SReoolution auS« 
gebrochen, Sürft 3Binbifcß®räfc habe eilig DImüfc Perlaffen unb feine Gruppen 
ftatt nach SBien-gegen Srag führen müffen. „ffiS mirb berußtet," mar im 
„©tubenten ©ourier" ju lefen, „bafs in ©ger eine große SRilitärrepolution 

*) $cb höbe mir fngen laffen, bafS $r. SBifer als Schriftführer in ber 
Dctoberjeit ein genaues Tagebuch führte unb barin auch bie geringften 3n)ifchenfäöe, 
bie ju feiner Kenntnis tarnen, aufjeichnete. $)iefe ^lufjeidmungen finb,.mie mir fpäter 
mitgetyeilt mürbe, auS feinem RacßlafS in bgS Binjer SJtufeum ober inö BanbeS* 
'Jlrcpio gefommen, unb eS oerlohnte fid) mohl ber ÜJUiße, in biefer ^infießt Racßfcßau 
ju holten. 


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SRinifterium ©chroarjenberg»©tabion. 


17 


auSgebrochen fei; möge ber gütige £immct ihr guten Erfolg berieten!" 
Dann fprach man mieber bon einem Attentat in Dlrnüp: auf ben Saifer, nach 
Anbern auf ben Erzherzog granj Sari fei gesoffen unb berfelbe ber* 
munbet morben. 

©elbftberftänblicf) braute immer ber nädjfte lag bie Überzeugung, 
bafS an atT biefen Webereien fein mahreS SBort mar. SBaS bon berläfS* 
liehen Wachrichten ju ben SBienern gelangte, lautete ganz anberS. Die grofee 
Deputation beS Weid)$tageS unb beS SBiener ©emeinberatheS mar, mie mir 
erzählt höben, in Dlmüfc gar nicht gehört, fonbern einfach an ben dürften 
SBinbifcfe@räp bermiefen morben. Als fie aber am 21. fpät abenbS in Sunben* 
bürg cintraf, fonnte fie nicht mehr borgelaffen merben unb mufste, ba äße 
berfügbaren Wäume bom SKilitär befept maren, bie Wacht in ben SBaggonS 
Zubringen. Sari Sernbrunn, befannter unter ben Warnen Director Earl, 
Oemeinberath unb SWitgtieb ber Deputation, berliefe hier feine ®enoffen unb 
eilte nach SBien borauS, um bafelbft Sericht bon bem fläglichen AuSgang 
ihrer SWiffion am faiferlichen i&oflager abzuftatten; er ahnte mohl, bafS eS 
feinen Oenoffen beim dürften SBinbifch®räp nicht beffer ergehen merbe. ©o fam 
eS auch. Am felben läge berlegte ber f. f. gelbmarföaß fein Hauptquartier 
nach ©tammerSborf, alfo näher nach SBien. Die Deputierten, mit Ausnahme 
beS Directory Earl, reiften ihm nach. Erft am 22. morgens fonnten fie 
bor bem Aßgemaltigen erscheinen. Er liefe fie faum zu SBort fommen. „SReine 
Herren," fagte er im ftrengen Done, „maS ©ie mir zu fagen höben, meife ich 
aße3. ©ie finb, hoffe ich, SKänner aus ben Weihen ber ©utgefimtten. Helfen 
©ie mir, meine fchmierige Aufgabe fo fchneß als möglich löfen. Dazu gehört 
bie unbebingte Übergabe ber ©tabt unb bie Ablieferung ber SBaffen. ®efchieht 
bieS gleich, toohl unb gut; gefchieht eS nicht, merbe ich, fo ferner eS mir 
anfommt, z« ben energifcheften SRitteln greifen." Als fich einer ber Ab* 
georbneten bie grage erlaubte, mie eS mit ben ÜJtärz* unb 9Kai*Srrungen* 
fchaften ftehe, fagte er: „Das finben ©ie in bem SRanifeft ©r. SRajeftät 
beS SaiferS!" Dabei liefe er ihnen z*oei grofee ©aquete unb ein oerfiegelteS 
Decret überreichen, mit bem fie nach SBien znrücffuhren. Doch nicht aße; 
einige erbaten fich ©äffe aus bem Hauptquartier, um in eine ber ©robinzial* 
Höuptftäbte zwrücfzufehren; baburch mürbe bie 3ahl ber in SBien zurücf* 
bleibenben Abgeorbneten abermals geringer. Drei bon ihnen mürben in gloribs* 
borf uom SRilitär angehalten, ©molfa fanbte einen Eilboten in baS 
faiferliche Hauptquartier. Son bort fam ber ©efehl, fie freizulaffen; eS hiefe: 
eS fei ein SJtifSberftänbniS gemefen. 

SBaS aber befanb fich in &en beiben ©aqueten? Exemplare beS faifer* 
liehen SRanifefteS bom 16. unb eine ©roclamation beS SelbmarfchaßS, laut 
t>i« Jhiltnr. III. 3afcrg 1. $eft- (1901.) 2 


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18 Qofepp 3?reif)err oon geifert, ÜJtinifterium ©eproarjenberg*©tabion. 

bercn er SBieit in VelagerungSftanb erflärte! $a£ verfiegelte ©Treiben an 
ben ©emeinberatp enthielt ben ©efet^t be£ dürften 2 Binbifcp©räp, ba3 ©lanifeft 
unb bie Vrodamation nnvermeilt $u veröffentlichen, nnb bie ©rflärung, baf$ 
er ben ©emeinberatp für ben Vollzug verantmortlicp ntacpe. $a3 mar 
beuttich gefprocpen; man mufäte nun in SBieit, mie man mit bem Selb* 
marfcpall ftanb! 

9?och eine anbere ©enbfepaft traf am 22 . in ©tammer$borf ein. ®ie 
beutfepe Rational* Verfamntlung patte ben babifepen ©epeimratp Sari SBelcf er 
unb beit mürttembergifepen Dberft 9Ko3(e naep Öfterreich gefanbt, um 
bafelbft „in bem Sampfe ber Parteien", mie man e3 in Sranffurt nannte, 
eine Vermittlung ju verfuepen. SXtach SBien fetbft giengen bie beiben 9lbge* 
orbneteit nicht, fie manbten fich unmittelbar an ben Sürften 58inbifcp©räp 
unb trafen in ber Racpt vom 21 . jum 22 . in ©tammeraborf ein. ©ie 
mürben im faiferlicpen Hauptquartier pöfliep empfangen, ©eneral 2 Bqf 8 
fant, fie im Rauten be3 SdbmarfcpallS $u begrüßen, ©ie fpeiften mit ben 
faiferlicpen ©eneralen, in bereit ©efeUfcpaft fie fich fepr bepagücp füllten, 
©ie äußerten ihre Vermunberung, fo nie! Sruppen ju finben, „fie patten 
geglaubt, alle feien in Italien". 2113 fie vor ben dürften geführt unb vor* 
gelaffen mürben, mar ipr ©ntpfang freilidp ein anberer, al3 fie gehofft patten, 
©ie jogeit ipre Vollmacpt auö ber Safcpe, ber faiferlicpe Sdbmarfcpall 
erflärte, er brauepe fie niept $u fepen, fie gelte bei ipm nieptS. „®3 fepeint 
faft", fagte er ipnen beißenb, „baf£ fie für bie SBiener Rebellen Partei 
nepmett!" Sll$ fie fiep uermaprteit: ba$ fei niept ipre äJteinung, fie feien 
bloß beauftragt, jmifepen ben ftreitenben Parteien $u vermitteln, erflärte 
er ipiten, e3 gebe pier feine Parteien, e3 gebe nur bie faiferlicpe 3Jtacpt unb 
bie Revolution in SBien; er brauepe feine Vermittlung unb bulbe feine; fein 
eigener Saifer vermöge ba3 niept. ©ie glaubten fidp auf ba3 Veifpiel in 
Vrag berufen ju bürfen. „3ep bin in Sßrag nur 51 t milb verfapren", ent* 
gegnete barfcp ber faiferlicpe gelbperr. „5)amate pat man miep in meinen 
Vorfeprungen breimal gefreujt. 3>cp pobe ntir barum jept uneingefepränfte 
Vollntacßt erbeten; idp mürbe fonft meinen S)egen $u ben Süßen ©r. SRajeftät 
niebergelegt paben." @3 mürbe ipnen, fagte er jum ©epluffe, barum auep 
nieptö nüfceit, naep Dlrnüp ju gepen, ba von bort itacp Sranffurt eine 
©rfläntng abgegangen fei, baf3 man feine 2 lrt ber Vermittlung anjunepmen 
gefottnen fei. 

(ftortfefcunß im nfid)flcn #cft.) 




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Die kulturgeschichtliche Bedeutung 
von Zacharias (Uerner’s Entwicklungsgang. 

Bon Bug. Kdölor. 

er gefeierte SRationalöfonom ©uftav ©chmofler veröffentlichte 1888 ein 
28er!: „$ur Sitteraturgefcgichte ber Staate* unb Socialmiffenfchaften", 
eine Sammlung von SlbfjQnbtungen, unter benen bie erfte ©teile eine fritifcge 
$arfteHung beS ethifdjen unb fulturgefchicgtlichen ©tanbpunfteS ©cgifler'S ein' 
nimmt. Stuf ben erften Slicf fönnte eS befremben, bafS ^ier ©djiller'S 
1795 erfcgienene „Sriefe über bie äfthetifcge Erziehung beS äRenfcgen" Von 
etnem heutigen Vertreter ber ©ocialmiffenfchaft auf ihren SBert für bie ©egen- 
n>art geprüft merben. Slflein mit 9ted)t h a * ©demolier hiermit bie fjofye 
Sebeutung ber ^ßoefie überhaupt für bie ©eifteSentmicflung ber SSölfer unb ber 
äRenfdjfjeit anerfannt. SBer moflte auch eine Sulturgefcgichte für möglich 
halten, ohne #omer unb ©ophofleS, ohne S)ante unb ©hafefpeare ju er* 
mahnen! $luS bemfelben ©runbe möchte ich bie ^lufmerffamfeit auf 

bie Julturgefchichtliche Sebeutung eines Richters h' n ^ n ^ en / bex S^ar nicht 
als ©tern erfter ©röge am $immel ber s J$oefie glänzt, beffen perfönlicher 
©ntmicflungSgang aber befto intereffanter ift, bei bem dichten unb Seben in 
feltener SBeife eins ift, auf 3 r i e b r i ch Submig 3 a cf) a r i a S SB e r n e r. 

SRerhoürbig, mie feiten bei einem Spanne, finb fchon bie öligeren 
ffierhältniffe in SBerner'S ©ntmicflungSgange, tvenn mir fie nach beit 

geographifcgen Stationen feines SebenSmegeS verfolgen. Sit Königsberg 
1768 geboren, Verlebte er bort feine Kinbljeit; bort eignete er fich als 

einziger ©ohn beS UniverfitätS * s J$rofefforS unb Sheater-ßenforS SBerner 
ben fcgarfen SDialeft an, ber ihn auf ben Kanzeln von SBien als SSreugett 
fenntlich machte. 2Iuf ber KönigSberger Univerfität ift er ber ©cgüler Kaufs, 
ber feine Sreunbfcgaft gegen SBerner'S ®ater auf ben ©ohtt überträgt. $ort 
hat SBerner bie bamalS angeftauntc neue SBeiSheit aus ber Duelle getrunfen. 
©eine jmeite SebenSftation ift SBarfchau. SllS Sccretär ber preugifcgen 

®omänen!ammer legt er feine bamaligen phantaftifchen, unflareit ^läne zur 
Steform ber SBelt in bem einzigartigen ®rama „®ie ©ohne beS XgalS" 

2 * 



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20 


Slugufitin SRöSler. 


nieber. 9iie tjat tleinticher 9tationalität«fanati«mu8 ©erner’8 für 3)eutfchlanb« 
©röfje begeifterte« $erj eingeengt. 3)ort aber, in ber ehemaligen fpauptftabt be« 
ungtücttichen fßolen, ift fein tpeiteS $erj imSJiitgefü^l noch weiter geworben, 
©eine fonberbare, au« blofjer iperjenäneigung in SBarfdjau gefchtoffene ®he mit 
einer SSolin, bie ebenfowenig beutjch wie er potnifch oerftanb, gibt baoon 
3eugni«. 1805—1807 finben wir SBerner in 33er 1 in, im ÜJtittelpunlte ber 
bamatigen Slufflärung. ^ier jeigt er in ber burdjgängig oeränberten jWeiten 
Stuflage feine« 35rama« „3)ie ©öhne be« I^at«" ben gortfchritt feiner 
Stnfichten unb feine« poetifcfjen Sonnen«. $ier geht fein 3>rama „SJiartin 
fintier ober bie ©eilje ber ffraft" über bie Stühne. Sitlein gerabe t)ier 
tonnte SBerner’ä (Seift ant wenigften 9tuf)e finben. 3)iefe« Verlangen nach 
Stieben führt ihn ju ©oethe nach SB ei mar. (Soethe ift e« gewefen, ber 
©emer jur Stbfaffung jene« furjen Irauer« unb ©chaufpiete« „$er 
24. Februar" oeran(af«te, ba« ihn unter bie ©chicffat«biihter eingereiht 
hat. Stuf bem SBeimarer Xheater würbe ba«fetbe unter ©oethe’8 Seitung 
aufgeführt, unb biefelbe St)re wiberfuhr feiner Iragöbie „SBanba", bie biet 
mehr at« „3)er 24. gebruar" fataliftifdje« ©epräge jeigt, fogar breimat. 
S3i« jum lobe h ot SBerner für ben dichter ©oethe eine begeifterte SJer* 
ehrung bejeugt, obwohl batb eine unau«füttbare Stuft ben „alten Reiben" 
oon bem „ißrebiger be« Sreuje«" trennte. Stuf bie perföntidje Stetanntfcfjaft 
mit bem „unioerjettften unb tlarften fDtanne feiner 3eit", wie ©oethe oon 
SBerner genannt worben ift, folgt für biefen .ber mehrmonattiche Slufenthatt 
in Soppet am ©enferfee bei ber geiftreichften grau jener 3eit, ber 
fBaronin o. ©tagt. Stichtiger ift SBerner bi« bahin taum oon 3entanb 
burchichaut worben, at« oon biefer Stau, ©ie fagte ihm auch, toa« ihm 
fehle, unb bejeidjnete ihm Stom at« ben Drt, wo er finben würbe, wa« er 
brauche, ©o fam SBerner nach 9t om. 3)er faft oierjätjrige Slufenthatt 
bafelbft fdjliejjt ben entfdjeibenbften SBenbepuntt feine« Beben« ein, feine am 
19. Slprit 1810 erfolgte Slbtegung be« fatljolifchen ©Iauben«befenntniffe«. 
Stach feiner fßriefterweihe in Stjchaffenburg h at er SBien jum ©chauplafce 
feiner rafttofen geifttichen Ihätigfeit bi« §u feinem lobe 17. Jänner 1823 
gemacht. — 

SBa« ift nun SBerner innerlich auf btefem SBege oon Königsberg 
nach ©arfchau, oon SBarfcfjau nach S3ertin, oon Stettin nach SBeimar, oon 
SBeimar jum ©enferfee, oon bort nach Stom unb oon 9iom nach SBien 
geworben? 35a« ift’«, wa« unfer 3ntereffe feffett unb wa« un« feine Schriften, 
feine ©orte unb feine ©itten unb feine 3$aten beantworten fotlen. 35a« 
ift junächft ©erner'« höchft eigene Kulturgefchichte. 3)enn be« ebten 
griebr. Beop. oon ©totberg ©ort ift wahr: „3 eber SRenfch ^at feine 


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3)ie fulturgefchichtliche SBebeutung d. 3a$ Söeraer'S ©ntioicflungSgang. 21 

©efchichte $u tfjuit, — uitb bafS fie gut ausfalle, ^ängt nief)t bom 
latente ab, toetcheS fid^ feiner gibt, fonbern bom SBillen, ben toenige mit 
Sauterfeit beS ©inneS unb unbebingt fjaben toollen." ©S ift toahr, baf$ 
bie SKaturanlagen ben gtücftidjen ober ungtücftichen ©harafter ber SebenS* 
gefehlte nicht allein bebingen, aber bie Serfcfyiebenfjeit biefer Anlagen 
betoirfen bod), bafS jeber SRenfch eine bon allen anberen berfdjiebene ®efdjichte 
hat unb manchmal einen fehr auffaflenben SitbungSgang burchmacht. $on 
SBerner'S geiftiger Segabung rnüffen mir baher auSgehen. ©djtoertich fann 
Semanbem ber SbealiSmuS mehr angeboren fein atS SBerner. ffunft unb 
Stetigion finb ihm, bereint mit echter Siebe, bie ®reieinigfeit, bon ber baS #eit 
ber äJtenfd)t)eit abhängt. 3m ®egenfafe ju bem fdjalen SRationatiSmuS, ber baS 
©nbe beS 18. 3öf|r^unbertd geiftig beröbet hatte, fließt er fich baher begeiftert 
an bie Stomantifer an. ®ie ©eljnfucht nach ber häuften SBahrheit berjefjrt ihn. 
Mein er theitt mit ben Stomantifern auch baS unfichere Umhertappen, baS 
unbefriebigte Sehnen, bie Unflarfjeit ber ©ebanfen. ©r preist ben ©tauben 
unb rühmt baS SBiffen, aber er toeiß eigentlich toeber bon bem einen, noch 
bon bem anbern Stechenfdjaft $u geben, ©in pantheiftifcheS unb naturatiftifdjeS 
©IjaoS fann feine SBettanfchauung genannt toerben. ©eine erften ®ramen 
berfefcen unfern ©eift in ein Stebetfanb. ^ne^u fommt ber ausgeprägte, 
ftarf metanchotifche 3w in SBerner'S SBefen, ber fich in feiner Siebe junt 
©eheimniSbollen offenbart, ©o geftattet fich fein ©innen unb $khten $u 
einem fchtoärmerifchen, toehmüthigen SRpfticiSmuS. „3<h hafte", fchrieb er 
bamatS, „3efum ©hriftum für ben einzigen, höchften SReifter ber SRaurerei, 
hatte SRaurerei, $unft unb Steligion für innigft bertoanbt, {Religion als 
SRutter, SRaurerei unb ffunft als ©chtoeftern; ich hafte ®unft nicht für ein 
©piettoerf, fonbern für baS ernfte, fmfjepriefierliche ©efchäft, zugleich aber 
auch fi* r bie lebenslängliche halbe ©efä^rtin ber ©tücftichen, benen fie ficb 
offenbart. 3<ß glaube, bafS ber Sünftler nicht bloß charmanter ©efettfehafter 
ober SebenSphitofoph, fonbern ^riefter beS ©trugen fei, bafS bie burch 
jämmerliche einfeitige Stufftärung beS SerftanbeS fo tief hinabgefunfene 
SRenfchheit nicht noch mehr aufgeflärt, fonbern abgeftärt toerben rnufS burch 
bie ©emeinbe ber Zeitigen nicht im groß*fatholif<hen, fonbern im oerebelten, 
toahrhaft fathotifchen ©inne. 3<h ölaubc, bafS ber jefct alles unter bie 
güße tretenbe ffigoiSntuS als ber toahre Slntichrift burch Stetigion, Kiinft unb 
SRaurerei gemeinfchaftlich berbrängt, bafS ber SRenfchheit ber ganj bemichtete 
©inn für baS fettige, fofte eS toaS eS tootle, toiebergegeben toerben rnufS." 
©ein großes 1803 bottenbeteS bramatifcheS ©ebicht „®ie ©öhne beS IhalS", 
beffen erften er „$ie lempter auf ©ppern" benannte, toährenb ber 

jtoeite %ty\l „®ie ßreugeSbrüber" heißt, ift bie Stucht biefer SBeltanfchauung. 


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22 


Muguftin IRöSler. 


X)er fctbftöerfc^ulbctc Untergang beS geheimnisvollen iXemplerorbenS toirb int 
erften Steile oorgefübrt; allein ber ®eift beS DrbenS ift nicht untergegangen. 
SBerner läfSt beufelben itn feiten S^eil uerflärt auferfteben. 

$er 9Jtenfcben Xugenb unterliegt ber Prüfung, 

$er 9Jtenfcben SöoSbeit tro&t in ftoljer Ohnmacht, 

Unb beiber klugen beeft bie SinfterniS; 

Allein baS Safter bient bem era’gen ^Billen; 
öerfläret roirb bie Xugenb an bem ©rabe, 

©S ftraft bie 9temefiS, unb burd) bie ©äbrung 
©iebt man beS JriebcnS febönen ©tern entglübn. 

3m Prologe jurn jmeiten Xbeile, bm biefe ©tropfe entnommen ift, 
febilbert er, toie Diele taufenb 3roerglein, b. i. bie materialiftifebe, rationaliftifebe 
5ßb^°i°Pb^f baS alte Steuj ju befeitigen ficb bemühen. $ocb biefe 23entü* 
bungen mißlingen: 

X)a fcballet ein geroalt’ger Baut oon oben: 

„©enug beS eiteln frechen 9torrentbeibing!" — 

Unb furcbterfüüt oerfroeb ba3 SBölflein ficb. 

X>ann febroebte ftrablenb aus bem offnen Fimmel 
X)aS grobe, roabre, alte Äreuj b^unter. 

©o febmebte unoerfebrt auf Xaubenfcbroingen, 

X)ie Jftafcenföpfe febmanben in ibr Nichts. 

Unb eine grobe Äircbe marb ber SöeltbaU 
5luf einem eroig grünen ©rabeSrafen, 

Unb auf ber Äircbe ftanb baS grobe Äreuj; 

X)ie ©rbe marb ein ©acrament beS SleifcbeS, 

X)aS ÜJleer ein ©acrament beS Tbeirgen SBluteS, 

X)ie 3merge mürben liefen, benn fie bnben 
X)ie Häupter ficb empor $um em’gen Bicbt. 

Unb aus ber Suft unb flamme tönt eS nieber, 

Unb ©rb’ unb Söaffer tönten laut eS mieber, 

Unb alle SBefen fangen ben (Sboral: 

X)a3 Beben foll ben graufen Xob bedingen, 

X)er ©taub hinauf ju feinem Urquell bringen, 

SBenn er ficb fclbft oerlieret unb mit Sreube 
©id> in baS grobe äöefenatl ergiebt. 

®aS ift „ber ibealiftifebe fitotboliciSmuS", toie SBerner bamalS baS 
3iel feines geiftigen SRingenS nannte. Slber berfelbe ift fo bunfel, fo nebelhaft; 
er befriebigt rneber bie ©läubigen, noch bie Ungläubigen. X)unfler freilich 
ift biefer untergegangene unb toiebererftanbene Xemplerorben, baS Symbol 
ber nach ©rlöfung ringenben 3Jienfcbbeit nicht als baS, toaS ©oetbe in ben 
beiben Ib^^ cn faneS Sauft bar^ufteden ficb bemüht bat- 3n ber Ibat ftebt 
SBemer’3 jmeitbeiligeS ®rama ju bem jmeitbeiligen ©oetbe'fcben Sauft in 


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3)ie fulturgefchicbtlicbe ©ebentun 9 o. 3ncb- 9Bemer’$ ©ntioüf lungSgang. 23 

merftoürbiger fßarattele. 3 eber bcr bcibcn dichter ^at in biefen ©tücfen 
fich felbft unb feine SBeltanfchauung gefdjilbert. $a£ 2 luffaflenbfte an biefer 
parallele ift nur, bafS fie bisher ben Sitterarbiftorifern fo menig aufgefallen 
ift. $er größere dichter unb SDieifter ber ©piacbe tritt uns im Sauft ent* 
gegen; in ben „Söhnen beS I^afö" aber ber tiefere fßfpdjolog unb bie 
fraftooöere SRfligiofität. ®er 93ergteich fällt nieht $u SBerner'S Ungunften aus, 
toenn mir mit feinen fß^antafien baS träumerifche $errbilb be$ fatbolifch 
gebauten Rimmels am Schluffe oon ©oetbe’S „Sauft" oergleichen unb 5 . 93. 
ben #pmnu3 ^ören, ben ©oetfye feinen „aufabfehmebenben Pater ecstaticus" 
fingen läfst. 

©roiger 2öonnebranb, 

©lübenbeS Siebebanb, 

©iebenber ©cbmerj ber $8ruft, 

©cbäumenbe ©otteSluft. 

Pfeile, burebbringet mich, 

Sanjen, bejminget mich, 
beulen, jerfebmettert mich, 

93Ufce, burebmeffert mich; 

$afS ja baS Nichtige, 

5lUeS oerfliicbtige 
©längen beS 3)auerftern 
©roiger Siebe ftern. 

®S ift freilich rbetorifeber, aber auch ernfter unb ttmbrer unb tröftlicher, 
menn SBerner in feinem ©pilog felbft bie Deutung ber „Xbalföbne" gibt 
unb feine eigene Unficberbeit belennt: 

D traurig 93ilb non armen 2ttenfcbenleben! 

©oll unfer S 00 S baS auch, 93rüber f fein? 

©oll aller ©Uten angeftrengteS ©treben 
$urcb plumpe ^öo^bett immer mifSgebeib’n ? 

9Barb barum uns allein baS Siebt gegeben, 

Um uns ju ©taubeStnecbten einjuroeib’n ? 

2)er bobe Xraum, bie 9Jtenfcbbcit $u oollenben, 

©oll er in einem ero’gen ©cblummer enben? 

3cb beb', eS ©ud) ju fagen, meine trüber, 

2BaS mancher roobl oon ©ueb febon lang empfanb: 

9lucb unf're flamme, bie 00 m Fimmel nieber, 

$)ie 2öelt ju reinen fam, — ift ausgebrannt. 

2BaS hilft ber 9lltar unS! — fie febrt nicht roieber, 

©ie jog oon bannen in ein ftembeS Sanb. 

®ieUeicbt, bafS mir fie treulich nicht gehütet, 

SBielleicbt, bafS fte ein neues Seben brütet! 

2)ocb maS eS fei, — bereitet ©ueb unb betet; 

$)enn eroig ftirbt eS nicht, baS beü’ge Siebt! 


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24 


Mgufiin fööSler. 


2 Rir ift, als ob ein neuer Xag fich rötbet, — 

Den alten, trüber, ben erroedt Sb* nicht! 

9tod) roirb ber UrtbeüSfprucb geroogen, — tretet 
2Rit frommer ©epeu oor’S ^eilige ©eriebt! — 

Denn baS bleibt roabr: baS X^al ift niept geftorben, 

Unb nur im ©lauben roirb baS §eil erroorben. 

®on bem ©lauben aber, ben er f)ier greift, unb feinem’ Korrelat, bem 
SBiffen, ^atte SBerner 'bamalS, als er 1807 am Sätarefonntag noch bie 
Zueignung jur ameiten Mflage feinet Dramas feprieb, feine flare ®or* 
ftellung. Den KatpoliciSmuS, ben er läutern rooflte, rühmte er jmar bamalS 
fepon niept bloß als „baS größte SJieifterftüd menfcplicper SrfinbungSfraft, 
fonbern auch, menn er geläutert roirb, als baS befte unter ben ©rjeugniffen 
ber K^riftu^religion, baS allen übrigen cpriftlicpen unb uncpriftlicpen SteligionS* 
formen für ein Zeitalter, melcpeS ben ©inn ber frönen ®riecpbeit auf 
immer oerloren, bor^ujie^en fei". Mein biefe ^ocpfcpäfcung bejog fiep nur 
auf ben poetifepen ©epalt beS KatboliciSmuS; berfelbe galt ihm nur als eine 
mieber aufgegrabene mptbologijcpe gunbgrube. 

SBie ganj umgeänbert, roie flar finben mir if)n fieben 3ab rc fpäter, als 
er, nach grünblicpen ©tubien tron 8?om jurüdgefebrt, in SBien bie fatl)olifcf)e 
©laubenSlebre oerfünbet! Das nebelhafte M mar ber ©rfenntniS beS 
perfönlicpen ©otteS gemichen, ber erbichtete Dh<Ubunb jur mahrhaften Sircpe 
gemorben, er unterfchieb auep jefct noch &mifcpen geläutertem KatpoliciSmuS 
unb ungeläutertem, aber er fuchte ben Unterfchieb nicht mehr in ber Sehre, 
fonbern in ben &er$en, melche biefe Sehre aufgenommen h a ^ cn * SBenter 
fclbft ha* ben SBeg unb bie ©rünbe §u biefer Untmanblung bem dürften 
Dalberg alfo angegeben: „$on 3?eue über eine Un^pl früherer Serirrungen 
gefoltert, fam ich naep ^ om - Ungleich mehr, baS fann ich betheuern, ate 
ber äfthetifche ®omp unfereS SftituS, f^t biefe Steue unb bie Seere, bie ich 
nach einem lebenslänglichen Sagen nach leeren ©enüffen in meinem Snnern 
entpfanb, gefeilt ju bem für jeben confequenten SWenfcpen Unbefriebigenben 
beS $roteftantiSmuS unb DeiSmuS, melchen ich toit bie ©enüffe in feinen 
meiften formen erfepöpft unb baher um fo grünblicher oerachten gelernt 
hatte, mich für bie ®nabe empfänglich gemacht. 3b r göttlicher Strahl traf 
mein £>erj; icp gieng am ©rünbonnerftage ate am 19. Slpril 1810 $u 9tom 
jum ©lauben ber Säter über." — Daher bie Klarheit unb Sicherheit, momit 
er jept in feinen Siebern mie in feinen ®rebigten auftritt. Über baS 
fchmachtenbe, fü&Ii<pe Siebesträumen ber SRomantifer, tron bem auch ber eble 
SftotroliS nicht frei ift, bricht er in Slfchaffenburg am 17. Sebruar 1813 
in bem Sonett „an bie mobernften beutfepen unb chriftlichen Dichterlinge" 
ben Stab. 


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®ie fulturgefchichtliche ©ebeutung o. 8ach SBerner’S ©ntroidlungSgang. 25 

$em argen 3rran$tyum follt ihr jroar entfagen, 

$>od) nicht burch flechten ©ang unS Xeutfdje fchreden; 

®emt eure ©erfelei, biberbe mieden, 

3 ft h°lpricht, um felbft ©atan ju oerjagen. 

2113 tücht’ge Triften fodt ihr euch betragen, 

$>od) nic^t im füfjen Siebes trieb euch ftreden, 

®emt ©hrifti jünger roaren nimmer ©eden; 

21m ©Iauben mufS ©ernunft empor auch ragen! 

O ©ott, ®u toeifet unb ich roeifj mein ©ebrechen! 

3 ch habe felber oiel unb fchioer gefiinbigt, 

3 >th fann ben ©tab nicht über anbre brechen. 

$od> fagen barf ith’S, frei unS unoerholen, 

®afS, eh T bein SBort in Xeutfchlanb toirb oerfünbigt, 

SUfanjerei ber Xeufel erft mufS holen. 

Xagegen betont er jefct immer wieber, bafS ber ©laube unb baS 
©hriftenthum alles natürlich SBaljre unb Schöne oereblen. StirgenbS oieHeicht 
hat er eS beffer getljan, als in feiner ©rebigt auf ben Zeitigen 2luguftinuS 
am 3. September 1815. „®aS £errlichfte aller 3oitalter in fich oereinigenb," 
fagt er, „fteht ©t. SluguftinuS auf bem ©ipfel aller menfglichen Silbung unb 
wiberlegt aufs glorreichfte burch fein blofjeS ®afein fchon ben ebenfo fchem* 
baren als wefenlofen Einwurf, bafS baS ©hriftenthum bie freie Entfaltung 
unb mannigfaltigfte SluSbilbung ber ebelften Kräfte beS SJtenfchen h^ntme. 
Stein, im Strahle unferer ©nabenfonne oerborren bie fünften ©litten ber 
3Jtenfchh«it nicht, fie fprie&en nur umfo herrlicher empor." Unb inbem er 
{ich inSbefonbere an bie ©ebilbeten unter feinen ßahörern toenbet unb ihnen 
„bie Xheaterfritif beS gebilbetften aller chriftlicheu ©Seifen", nämlich beS ^eiligen 
SuguftinuS, oorführt, fügt er bei: „©laubt 3h r > mich treibt, baS ju 
fagen, fanatifcher ffiifer ? Keineswegs! 3<h verwerfe bie Xljeater nicht unbe* 
bingt; mögen Don ihnen herab gefcheibte 2eute baS ©olt belehren ober fich 
belehren laffen, lächelnb ober weinenb über baS bort bilblich bargefteHte 
troffige unb Oerjagte Xing, genannt SJtenfchenherj! 2lber fann ber noch 
ungeprüften Sugenb baS nicht ©ift fein, toaS ber fchon geprüften Erfahrung 

Dielleicht Salfam ift? . . . Unb weil ich nicht nach ®wrem seitlichen, 

Wohl aber nach Eurem ewigen Seifall geije, fo rufe ich noch einmal: 
Xhörichte SJtütter, unweife ©äter unb ©rjieher, lafSt ab, bie Euch bei 

Euper eigenen ewigen ©crantwortlichfeit Don ©ott anDertrauten jungen 
©emüther burch albernen Xaumel ju Dergiften, fonbern burch fchulblofe 

Sreuben bilbet fie jum #öchften ber SJtenfchheit, bem Haren, gefunben 
rüftigen ©rnfte!" — „Sin ich", fo fügt er in einer für ©ebilbete 


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26 


^tuguftin 9tö$ler. 


beftimmten Stachfcbrift $u biefer Sßrebigt ^biefer Sitte wegen etwa 

ein Schwärmer ober gar ein poetifd^er Stenegat, ber, weit er ben ^riefter* 
roef angejogen ^at, ba« Stügelfteib ber ^Soefie oerbammt? Stein, e« gibt 
woht nicht jwei ©emänber inniger Oereint, at« jenen Stocf unb biefe« Äfeib. 
3 ebocf| jener tjerrlidje Xalar, er warb mir über mein Serbienft gefchenft, 
wenn auch für bie ©wigfeit! Xiefe« fd^öne Stügetfleib aber, e« warb mir 
angeboren, unb bantbar unb freubig Ijoffe ich e«, mein f)öd)fte3 irbifche« 
©ut, nicht bi« jum ©rabe bloß, fonbern — wenn ©ott mir barmherjig ift 
— auch am oerftärten Seibe noch $u tragen! Sltfo 3f)r, bie 3h r mich mein 
Öeben lang mif«oerftanben ^abt unb mif«oerftehen werbet, erlaubt, baf« ich 
Such, jwar wiber Suren SBiHen oießeicht, tiebe, aber hoch ein wenig auch 
belaste!" — $a« Hingt nun gart$ anber« at« bie frühere mpttjologifche, 
melancholifche Schwärmerei; fo fpridjt auch fön religiöfer ganatifer unb in 
retigiöfem SBafjn Serftricfter. @0 ift SBerner fortgefchritten au« bem ©eifte«* 
itebel $ur ©eifte«ffarheit, t)om 3^rthum jur SBahrheit, Oom tranthaft mpftifchen 
Schwärmer jum chrifttichen SJtpftifer. Sür ihn bebrütete ba« fo oiel, at« 
oon gieberphemtafien jum gefunben frifchen Seben. 

Siet fchärfer unb oiel auffaßenber jeboch at« biefe intettectuette 
Sntwicftung ift bie moratifche Oon ber Unfittticßteit 5 U fittticher Selb ft* 
beherrfchung. Sieben bem tiefen retigiöfen ©efüht unb im fchärfften ©egenfafc 
ba$u hoHe SBerner eine unheimlich gtühenbe unb freoethaft frühzeitig jur 
hohen Stamme entjünbete Sinntichföt at« Staturantage in fich- Irug ihn 
fein ibealer, religiöfer Schwung auf bie haften £i>hen be« ©eifte«, fo jerrte 
ihn biefe gemeine Sinne«tuft in bie tiefen Slbgrünbe unfitttichen Schmujje« 
hinunter. SJtit biefem , 8 miefpalt im $eraen fteht er am 20 . 3 uli 1808 am 
SUjeinfatt jit Schaffhaufen. Sr fietjt in ben tanjenben unb tofenben SBaffer* 
wogen fein eigene« Silb, unb in feinem ©eifte entfpinnt fich jmifc&en ihm 
unb ben SBogen ein $wiegefpräch, ba« feine h<>h c bicßterifche ^Begabung bezeugt: 

©eroäffer, ihr raffelnben, raufchenben, ra«t ihr? — oon mannen, rooju? 
„Sntronnen au« Siebe, mir rangen unb ringen jur Siebe, roie bu!" 

Siaffelnbe, träumenbe löchter 00 m eroigen Schaum, 

Slehmt mich mit au« bem Staum, au« ber Arbeit ber 3eit 
3n bie Smigfeit! — „SBa« hetfdjeft $u?" — Shih'. 

Unb fte lachen baju. 

Sich, fönnt’ ich noch roeilen bei Such, 

Such gleich! Sich, fönnt’ ich lieben! — 

SBerner ftanb barnal« im 40. 2eben«jaf)re, at« er oor ben SBogen am 
StheinfaH über fein tiebeteere« £er$ ttagte. SBa« Stnatreon, £ora$, 0Oib at« 


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Die fulturgefdjichtliche 93ebeutung o. 3<nh- SBerner’S (SntwicflungSgang. 27 

Siebe befangen lfaben, baS ^atte er aHerbingS öerfoftet. Slber baS mar eben 
fein ©djmer$, bafs er bie wahre Siebe mit finnlichent ©enufS fdjutbboll per* 
mechfelt hatte. 2US er hier 3aljre faäter in 5toren$ weilte, fefetc er über folgenbe 
Sonette bie Überfchrift: „21m Schluffe meines 44. SebenSfahreS." 

2BaS ich auf ©rben noch $u bitten ^abe r 
3ft wenig, unb ich will eS ©ud) erjagen; 

Um £Hut)m unb föeichthum mag ich @ott nicht quälen, 

DeS Teufels ©triefe fmb ber ©tol$, bie §abe. 

Slur Unfchulb möcht’ ich wieber mir erwählen. 

Doch nichts erroeeft bie, wenn fte gieng $u ©rabe; 

Der irb’fchen Siebe Xaumelfelch, bie Sabe 
S3on ©ift, tbat fie bem Xobe mir oermählen. 

Den SBolluftbecher, ich hab’ ihn geleeret, 

©elbft baS ©elüft nach Sorbeem ift gef Rieben 
93on mir, unb matt oom kennen, Jpaften, fiärmen, 

*4Bitt’ ich nur um ein 2öinfelchen mit Rieben, 

2öo bie, wonach ich mir betrieben, 

Die brei mir würben: Orbnung, ©tille, 2öärme. 

* * 

* 

Die regelrechte, falle, warme §ütte, 

Unb b'rin mein 'Domenlager auf gef plagen; 

DaS ift, was ©ott ich barf $u bitten wagen, 

2öenn auS ich mein geprefSteS §er$ ihm fchütte. 

3n meines wilben DafeinS ©lütentagen, 

Da hatt’ ich mohl noch manche fühne '-Bitte, 

Stoch bamalS hott’ ich fte, als ich bie ©dritte 
SBefliigelnb, Stom juerft empor fah ragen! 

Doch maS ich fah auf Stoma’S h^il’gen 3innen, 

DaS ©orgohaupt meines oerprafSten SebenS, 

Söerfteinert mich! — ©in Xobter nach ^Belebung 

©chmacht’ ich — ob taufenb tfebenSbäche rinnen — 

SluS einem, ber oielleicht mir rann oergebenS, 
trüber, baS ift ein ferneres Söort: „Vergebung". 

* * 

* 

Vergebung! — Sich wie fall ich Dich erftreben? — 

3h r ©chwachen, benen ©ift ich h a b’ gebietet, 

3h* anbem, beren ©eufjerlaft gefchichtet 

Siuf’S §erj mir ift, baS nicht ben ©tein fann heben! 


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28 


Slugufhn Rödler. 


Vergebung mir? — Unb ifjr, bic meinem Seben, 

SllS e$ noch fcbulbloS mar &u ©ott gerichtet, 

$>en ©iftfelcb reichtet, ber eS bot oemiebtet, 

Vergebung roiU ich, b’rurn fei euch vergeben! 

Xex, melier rein ift r bete mit bem deinen 
Unb meibe mich! 2Ber ©ünber ift unb jittert, 

Sbo i$ ein ju meinem HauS, bem ftitlen! 

$)ocb bir r ©emengfel, ba$ nur ftifcel roittert, 

SBereu’n nicht roiU, noch tbun, nur plappemb febeinen — 

3)ir roiU icb fortan nicht mehr tbun ben SiUen. 

@o bot Serner felbft feine ©ntmieftung bont unfittticben ©cbmäcbting ju 
fittficber ®raft, bon ber ©daberei ber ©ünbe $ur Freiheit ber ©nabe nicht ein* 
mat nur, fonbem im Übcrmafe oft befunbet, nicht mit Sorten btofc, fonbern in 
ber Ibat. ®3 mar ibm fcbnterjlicb ernft mit bem Sorte, baß bie 9teue im 93u&e* 
tbun beftebt, unb bon feiner SRücffebr jur fatbolifeben SJtutterfircbe an hoben 
auch feine ©egner ibm feinen fittli^en UJtafel mehr nacbmeifen fönnen. Son 
ba an bot er nicht mehr ohnmächtig gefeufjt: „Sieb fönnf ich lieben!" 2)aS 
feige Slufgeben ber Sßerfönticbfeit, bie gleicbfom bor ficb felber in ein unbefannteS 
SW flüchten moHte, mürbe jur befonnenen, bdligenben ©ntfagung ber ©ünbe. 
SSon 9tom aurücfgefebrt, bot er in Slfcboffenburg 1814 in feiner „Seihe ber 
Unfraft" feiner energifeben Hinfebr $ur mabren Siebe SluSbrucf gegeben: 

„5)urcb falfcbe Suft oerlocfet unb bureb baS Spiel ber Sinne, 

$ocb roiffenb, baß aus Siebe ber Duell ber Sefen rinne, 

Se&t’ ich ber franfen Sofluft S3ilb feef auf ber Siebe $b*on, 

Unb bureb bieS ©aufelblenbroerf fpracb ich ber Sabrbeit §obn." 

„®3 ift ein Hauptmangel unferer beutfdjen Sprache," fagt er in einer 
Slnmerfung ju biefem poetifeben SefenntniS, „baß mir für ©boritoS fein 
beutfcbeS Sort hoben! 3<b mürbe borfebtogen, fie Siebe ju nennen unb mit 
biefem fo oft mißbrauchten Sorte fparfam umjugeben; bagegen für bie 
fogenannte (irbifebe) Siebe baS alte Sort SJtinne mieber in ©urS ju fefcen". 

Sn feinem felbfterlebten, lefcten ©ebiebte „UnftätS SRorgenpfalm", morin 
er baS SerbältniS bon Statur unb ©nabe febilbert, läßt er ficb felbft anreben: 

„$u alteS ft'inb unb junges 93lut, 

ORußt freuj unb quer jur Siebe!" 

©in unbefangener ©lief auf bie Sitteraturgefcbicbte geigte un$ mehr als 
eine Sorppbäe auf bem beutfeben Parnaß als Serner'S ©enoffen in ber 
Serirrung. So, Serner ftebt, abgefeben bon feinem Seben, in feinen s 45oefien 
reiner ba, als bie meiften; in feiner $eriobe finbet man bei ihm ein äftbetifdjeS 
Hätfcbdn- ber ©ünbe. dagegen bot bie ©efebiebte menige litterarifebe ©röften 


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®ie hüturgefcßußtlicße ©ebeutung v. 3<nß. SBerner’« @ntroidlung«gang. 29 

berjeicßnet, bie au« äßnlicßen ©erirrungen ficß fo ernft ßerau«gearbeitet ßaben. 
$ie #erjen«fultur ift bei SBerner burcß Kampf jum bollen Siege gelangt; 
er ßat feine fittlicße ®efcßicßte mirtlicß getßan. 

®amit ßängt bie fernere ©ntmidiung nacß einer britten SRicßtung ßin 
jufammen: nämlicß ber gortfcßritt bon untätiger Iräumerei ju tßatträftiger 
Slrbeit am SEBoßl ber SRenfcbßeit. SEBerner ßat nie feinen ©eruf jurn fittlicßen 
^Reformator unb ©rebiger trofc aller Ungefcßicfticßteit $u prattifcßer SEßätigleit 
berleugnen tönnen. 3ßm toa* aucß fein bicßterifcße« latent nur SRittel ju 
biefem 3^- „3cß berficßere unb befeuere ®ir", fcßrieb er 1803 an feinen 
§erjen«freunb £>i&ig, „baf« icß alle poetifcßen fiorbeertronen für bie greube 
Eingabe, nicßt etwa Stifter, bloß äJiitglieb einer ecßt retigiöfen Secte ju 
fein, benn icß bin überjeugt, baf« < ba« bie £auptfacße ift, marum e« ber 
SEBett notß tßut, unb baf« alle Kunft nur ©ropptäen ju biefem ©nbjmect 
finb. 3Ba« lönnten jeßn gefüßlbotle, reine, begeifterte Jünglinge ju einem 
3toecfe berbünbet, mit ber SEBelt in religiöfer #inficßt machen, memt fie 
meniger fcßreiben unb rneßr tßun mollten, unb menn e« möglich märe, nocß 
junge Seute ju finben. — ®aßer tßut e« mir in ber Seele meß, menn icß 
bie ßerrlicßen Kräfte ber neuen äRenfcßen, be« Schlegel, be« Xied, be« Scßleier* 
macßer u. f. m. berfcßmenbet, ben einen eine Komöbie, ben anbern ein Sournal, 
ben britten romantifcße ®icßtungen, Sonett« unb ©ott meiß ma« liefern feße, 
fie bon großen Sieden, mie bie granjofen bon ber Sanbung in (Snglanb 
praßten ßöre, unb bocß leine emfte SEenbenj, leine berbunbene Harmonie ju 
bem großem 3^ leine SRealifierung ber göttlichen 3bee einer gefeHigen 
Serbinbuug ebler greunbe jum ßöcßften 3roed erblide . . . 8llle« poetifcße 
Anbeuten bon ßoßen ©erbinbungen, anbrecßenber SKorgenrötße u. f. m. tann 
nicßt« ßelfen; geben muf« man ber SBelt, ber jämmerlicßen, bon ©ott 
entfrembeten SBelt, ba« Seifpiel einer folcßen ©erbinbung in ©rofa, in 
natura; fie mag Secte, Drben, mie fie miH getauft merben, unb tann icß 
ju einem folcßen 3toede mitmirten, fo miH icß gern meine poetifcße geber, bie 
mir nur baju ein ©eßitel ift, nieberlegen auf einig, bann merbe icß fagen 
tönnen: „i cß lebe". — 811« SBerner bei grau b. Staäl meitte, tonnte er biefe 
feine Sbficßt fo menig berbergen, baf« fie ißn in ißrem äBerte >De l’Alle- 
magne« (c. 24) cßaratterifiert ßat: e« ßabe ben 8lnfcßein, at« mode 
er „ein geßeimni«bolIe« Spftem ber SReligion unb ber Siebe mit £ilfe ber 
bramatifcßen Kunft berbreiten". SCttein mit feiner untlaren Scßtoärmerei, bie 
ßeute bem ßefer in feinen „Sößnen be« ®ßal«" neben fo biel ©eifte«blifcen 
oft genug Kopffcßütteln berurfacßt, märe er nie an« 3iel getommen. ©on 
SRom aber jurüdgeteßrt, entmidelt er eine frucßtbare Xßätigtcit auf ber 
Kanjel, bie er taum gefucßt ßatte, bie aber befto meßr begeßrt mürbe, gn 


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30 


Sluguftin $Rö«ler. 


feiner erften ©rebigt erftärt er ba« SBort Ebrifti an bie ©ünberin: „3b r 
finb niete ©ünben oergeben, meit fie nie! geliebt b<rt\ ba«fetbe SBort, ba« 
nach feinem Xeftamente auf feinem ©rabftein eingemeißelt merben foflte, unb 
barin fcßitbert er ba« SBefen ber mif«getciteten Siebe, beren gotgcn unb 
beren £>titung. 

©o ift SBerner auch bie* an’« 3^ gefommen; non einem unpraftifcßen 
©cbmärmer, beffen p^antaftifd^e ©täne mit Sachen aufgenommen mürben, 
bat er ficb ju einem fettenen ©erfünber ber cbriftticben SBabrbeit futtiniert. 
©eine „ft'ulturgef Richte", in ber fo niete $)iffonan$en un« ftören, Hingt 
ba^er fdbtießticb in einem reinen, froben grieben«accorb au«. Siacbbem er 
ficb bucbftäblicb in SBien $u Xobe gearbeitet, beißt e« non feinen testen 
lagen auf bem Xobe«bette: „©eine liebfte S3efcbäftigung mäbrenb feiner 
testen ftranfljeit mar ba« ©ebet . . . fo beiter mar unb blieb fein ©eift, 
baf« er, obgteicb non 2obe«fcbmäcbe niebergebrüeft unb unfähig irgenb einer 
Sabung ober Erquicfung, bennoeß SBift unb Saune genug übrig bereit, um 
mit manchem Scherbe bie £>errfcbaft feinet ©eifte« über alles teibticbe ffitenb 
unb, ma« unenbticb mehr ift, bie ©nabe $u bcurfunben, momit ber ©ater 
ber Erbarmungen feine ©eete fräftigte." — 

2Kit biefer Ermahnung ber apoftolifeben Strbeiten SBerner’« in SBien* 
ftebeu mir bereits bei ber Slntmort auf bie grage, ma« fein Entmicftung«* 
gang für feine .ßdtgenoffen, für ben Anfang be« 19. 3ab rs 
bunbert« futturgefebiebttieb bebeutet. gn einem SBorte au«gebrüdft 
tautet bie Slntmort: SBerner’« Entmicftu«g«gang 50 g nach ficb 
eine ©cbeibung ber ©ei ft er. ©ein Stuftreten auf ben Sandeln non 
SBien bteibt auch bem nicht cbriftticben Sutturbiftoriter, falls er nur bie SBabrbcit 
liebt, ein ©bänomen. Sein anberer b<*t bamat« neben bem apoftolifeben 
P. $ofbauer fo mächtig bie Sinmobner non SBien angejogen unb in ber 
Sluguftinerfircbe $ur 3cit be« SBiener Eongreffe« bie gefrönten Häupter um feine 
franset nerfammett, mie er. Slt3 er einmal in ber granjtefanerfircbe prebigte, 
beißt e«, roßten bie Earoffen in Un$abt nor bie Sfircbtbüre, bie Seute 
brängten ficb maffenbaft biit$u, unb bie ©olijeimacbe reichte nicht mehr au«, 
um bie Drbnung auf ber ©traße aufrecht $u erbatten; e« muf«te noch eine 
SBacbe-Slbtbeitung Siüraffiere erfebeinen. (@eb. ©runner, Eiemen« £>ofbauer. 
@. 178.) Eine intereffante ©eriebterftattung herüber befifcen mir in einem 
©riefe ber berühmten 2od)ter 2Renbet«fobn ? « (II. 339), Dorothea n. ©ebteget, 
an ihren SJlamt, griebrieb ö - © ebteget, nom 16. ßRärj 1816. ES ift böcbft 
intereffant, bie SBanbtung be« Urteile« über SBerner an ihr ju beobachten. 
®ie geiftreicbe grau batte SBerner’« ©efebrung mit 9Rif«trauen betrachtet, 
©ie gebt in ihrer ßritif über bie „SBeibe ber Unfraft", bie ja ©onberbar* 


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Sie fulturgefchichtliche ©ebeutung t>. 3ach* SBerner’S SntroicflungSgang. 31 

feiten unb ©efd^maeftofigfeiten enthält, bis }ur Ungerechtigfeit. Nachbem fic 
ihn 1814 perfönlich fennen gelernt hat, finbet fie, bafS feine Unterhaltung 
meit ungejtoungener unb natürlicher fei, als feine Schriften, ©an} unleiblich 
fomutt ihr nur „bie ungeheuere SchnupftabafSbofe unb ber gemeine Serlincr 
Sialect" oor. 3n bem ermähnten ©riefe anberthalb 3ahre fpäter aber berichtet 
fie ihrem ©atten golgenbeS: „SBerner prebigt greitag Nachmittag bei ben 
Urfulinerinnen unb Sonntag nachmittag bei ben Sluguftinern. Sie Sonntags* 
prebigten . . . höbe ich gehört unb merbe bie brei fotgenben auch hören, 
©ei ben Urfulinen ift eS immer }u doß, bie Kirche }u flein. Sie ©rebigten 
öon SBerner fahren fort, gurore }u machen; man brängt fich hi n i u > bafS eS 
eine Suft ift. Seute gehen hin, bie feit SJtenfchengebenfen in feiner ffirche 
mären; fie fchimpfen auf ihn, gehen hoch aber immer mieber hin; bie oor* 
nehmen Seute fdjon um 6 Uhr abenbS, um nur bie ©rebigt }u hören. 
Sr thut fehr oieleS ©ute, benn nicht allein feine ©rebigten merben befucht, 
fonbem auch alle anberen ©rebiger ber Stabt unb ber ©orftäbte, unb biefe 
geben fich ntehr 9Rühe, ba fie fehen, bafS bie Kirchen mieber befugt merben. 
9luf ben 2lbenb fragen fich bie eleganten Samen unb Herren: SBo maren 
Sie in ber ©rebigt? mie hat Shnen bie ©rebigt gefallen? — fo mie man 
fonft nach bem Skater ober Soncert fragt." — SaS ift ein ©ericht über 
ben lebenben SBerner; nehmen mir hir}u ben, melier 1823, nachbem er 
berfchieben, über feinen Sob unb fein ScgräbniS gebrueft mürbe: „©ornehme 
unb Niebere, geingebilbete unb SJtenfchen ber gemeinen Slaffen brängten fich 
hin}u, um banfbar bie erfalteten £)änbe }u füffen, ja nicht burch biefeS 
©enehmen bloß, fonbern oor allen Änmefenben freimüthig }it befcnneit, bafS 
fie burch ihn mieber auf ben SBeg beS £eileS unb }ur SrfenntniS ber 
SBahrheit geführt morben feien." 

SBelchen SinflufS SBerner auf bie ©oefie feiner 3*it auSgeübt hat, 
fann in fur}en SBorten gefagt merben. Sr hörte nicht auf }u bitten, mie 
feine Xragöbien „$unigunbe" unb „Sie SNutter ber äKaffabäer" be}eugen, 
obgleich i^m feine apoftolifchen Arbeiten faum einige Stunben ba}u ließen. 
Sie Siebe }um ©aterlanbe unb }ur Neligion finb bie SNotibe babon. 
Soflenbete Äunftmerfe finb fie trofc aßen echt bichterifchen ©eifteS fo menig 
mie bie früheren. Sarin aber befteljt ber hrilfame SinflufS SBerner'S, bafS 
er, mie griebrieß Schlegel, „bie Nomantif ernft nnb confequent in fich burch* 
gelebt hat". (Sichenborff.) 

äber ift er nicht auch für fein 3eitalter ber berüchtigte ©ater beS 
SchicffalSbrama gemorben? So ift menigftenS in ben |mnbbüchern ber 
beutfeßen Sitteratur }u lefen, unb bie meiften ©ebilbeten miffen üon SBerner 
faum etmaS anbereS. 3« SBahrheit hat meber SBerner felbft baran gebacht, 


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32 


Sluguftm 9tö$ler. 


bem Drama biefc Stiftung $u geben, noch ift er barin mafcgebenb gemefen. 
SDtit Stecht bot ©icbenborff in feiner ©efcbidjte ber poetifcben Sitteratur Deutfcb* 
lanbS in bem Slbfcbnitte über SBerner (II. 83—126) biefern ©egenftanbe fein 
SBort gemibmet. Seber Dichter, ber nicht gläubig bie SUaterfjanb ber Sorfebung 
im cbriftlicben Sinne anerfcnnt, Wirb unmiUfürlicb fataliftifcbe 3^gc in 
baS SDtenfcbenleben jeicbnen, fobalb er baSfelbe non feiner ernften ©eite 
barjufteUen unternimmt. 

Siele manbten ficb SBerner infolge feinet SntwicflungSgangeS ju; aber 
ebenfo niete, bie anfänglich i^nt jugetban waren, jogen ficb non ibm jurücf. 
Durch feine entfcbiebene Eingabe an bie Steligion beS $reuje3 mar er felbft 
für Siele $um 3eicben beS SBiberfprucbeS geworben. Unb b^rin beftebt nicht 
minber feine fulturgefcbicbtlicbe Sebeutung für feine 3 *R 9tm 
intereffanteften ift bie neränberte Stellung, bie ©oetbe gegen ihn einnabm. 

Der anfänglichen freunbfcbaftlicben Sejiebungen ©oetbe'S ju SBerner 
in SBeimar mürbe fcbon gebucht, ©o grunbnerfcbieben beibe auch fcbon 
bamalS waren, fo febr ©oetbe als Dieter SEBerner überragte, unb fo 
Wenig SBerner'S tiefcreligiöfer 3ug bem Slltmeifter jufagte: ©oetbe fonnte 
ihn bocb gut leiben unb f^rieb 1808: „@3 fommt mir, einem alten 
Reiben, ganj munberlicb nor, baS fficeuj auf meinem eigenen ©runb unb 
©oben aufgepflanjt ju feben unb ®b r ifti Blut unb SBunben poetifcb 
prebigen $u b ö *en, ohne bafS eS mir gerabe juwiber ift." — 8lm 
wenigften ftiefc er ficb baran, baf$ bei SBerner ber fittti^e Seicbtfinn 
bamalS fo oft mit bem ibealen Streben in SBiberfprucb geriete SDtan 
fann wohl fragen, wer leicbtfinniger gewefen fei. ©ern bifputierte ©oetbe 
mit ihm über baS ©briftentbum. ©inft richtete SBerner bei folcber ©elegenbeit 
am §ofe beS ©ro&berjogS oon SBeimar bie 3rage an ©oetbe, ob er jugebe, 
bafS ©ott bie Siebe fei. Statt ju antworten, wanbte ficb ©oetbe an bie 
Umftebenben unb fügte: ©ebe ich ihm 8«, bafS ©ott bie Siebe ift, fo bebuciert 
er mir baS ganje ©briftentbum. Das will ich aber nicht. 3u SBerner ficb 
wenbenb fpracb cr: „®ott ift nicht bie Siebe, ©ott ift alles." 

Die Differenz jwifcben bem SantbeiSmuS ©oetbe'S unb ben cbriftlicben 
©efinnungen SBerner'S b°& inbeS ben Serfebr jmifcben Seiben nicht auf. 
©anj anberS war eS, als SBerner, oon 9tom jurücffebrenb, ©oetbe wieber 
befucben wollte, ©oetbe fcbicfte ihm feinen ©obn entgegen mit ber ©rftärung, 
er möge ihm nicht über feine Schwelle fommen. SBerner bat auch als Äatbolit 
bie Sebeutung ©oetbe'S oerftanben unb lebenslänglich feinen poetifchen 
©eniuS bocbgefcbäpt; ©oetbe aber fonnte SBerner nicht mehr oerfteben. Stiebt 
beffer ergieng es SBerner bei Heineren ©eiftern. ©ein SDtpfticiSmuS bilbete 
ficb, fo bei&t eS oon ihm, in 9tom jur oölligen Serrücftbeit aus. Die felbft* 


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Die fulturflefdjic&tlidje ©ebeutung o. 3°$. SBerner’S ©ntroicflungSgang. 33 

füc^tigften SWotioe würben ihm unterfchoben. ,,©S ift oietleidjt fein SRomantifer", 
fchröbt ©idjeitborff non ihm, „im Beben unb noch im ©rabe fo unoerftänbig 
ober boshaft öerunglimpft worben, wie SBerner." SBer bie Sitteratur über 
SBerner bi# beate fennt, fann baS betätigen. SBie wobltbuenb ift bemgegen* 
über baS Urtbeit, welches SBerner’S treuer gugenbfreunb oon SBarf ebene ber, 
ber eble ©roteftant giftig, halb nach bem lobe SBerner’S 1823 in beffen 
SebenSabrifS abgegeben b at - ©ehr wenige haben SBerner fo gefannt wie er. 
„®S bat wobt", fo ftbreibt er über ibn, „nicht leicbt einen mit herrlicheren 
©laben für baS geiftlicbe Sebramt SluSgerüfteten gegeben, als SBernern, benn 
wie oft auch in oerfdjiebenen Slbfcbnitten feines ßebenS er feine Slnficbten 
änberte, immer blieb er ficb bod) in ber fpauptfacbe getreu, baS beißt, biefe 
^pauptfadje, SBirffamfeit im ©eiche ©otteS, blieb für ihn bie ^auptfaehe; immer 
war er ganj erfüllt oon bem, was er eben in ficb oerarbeitete, nnb immer 
gieng ihm ber berebte ÜRunb Oon bem über, Wooon ihm baS glübenbe $erj 
ooll war. Der ©erfaffer fann eS ihm nie genug banfen, bafS er in ihm, 
bem in aDc SBeltluft binauSftürmenben güngling, juerft ben Sinn für baS 
höhere anregte unb bafS er ihn bis an ben 9tanb feines ©rabeS nicht aus 
ben Stugen oerloren bat." ©acbbem er SBenter’S wirf liebe gebier nicht entfcbulbigt, 
aber feinem ©ingen unb ©treben gegenübergeftellt bat, ruft er feinen 
unberufenen Stiftern ju: „D 3bv, an bie biefe SBorte gerichtet finb, wenn 
3br biefe 93lätter jur $anb genommen, um barin einige ©canbale ju fueßen, 
wie 3b r fte in Suren Ibeejirfeln mit geläufiger 3nnge ju oerarbeiten 
gewohnt feib, unb wenn Such ©ure Scheu oor jebem ernften SBorte bis 
bieber bat fommen taffen, möchte ©uer ©ewiffen ©uren Slugen einen ©Riegel 
oorbalten, in bem 3b r ® uer fllatteS nnb mattes ©ilb in feiner wahren 
©eftalt erblicfen fönnet, unb in ©ure febwerbörigen Obren mit bröbnenber 
Stimme bie SBorte unfereS £>eilanbeS bonnern: ,3ftr Heuchler, jiebet juerft 
ben ©alten aus ©uren Slugen, barnadj febet, wie 3br ben Splitter aus 
©ureS ©ruberS Sluge jiebet! 1 " 

3Ju ber Ibat: man fann einen hoben ©reis für ben anSfefcen, ber in 
SBerner’S ©rebigten ober Dichtungen nach feinem lebten ©chritt jum 3'ele 
ein 3ei<hen ber Serrüdtbeit finben fann; es müfste benn fein, bafS ber 
©ucher ben ©lauben an ©briftuS ben ©etreujigten felbft für Slrgernis unb 
eine Dborbeit hält- SBenn trobbem SBerner’S ©eue unb Strbeit für Slberglaube 
erflärt worben ift, fo ift oon ben geinben beS ©briftentbumS eben feine 
fulturgefcbicbtlicbe Sebeutung für feine 3eit gefennjeiebnet: er bahnte als 
$ero(b bem föreuje ben SBeg burch feine 3 e it. Sin baS oom 
„©ormalttjrannen", wie er ©apoleon nannte, befreite Deutfcblanb bat er 
1814 einen flantmenben Slnfruf gerichtet, bie 3eit ju beffern. 

$ie Shiltur. III. 3a$rg. 1. $eft. (1901.) 3 


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34 


9Iuguftin ßtöSler. 


„Hat tüchtig, bauemb, fteber ba$ SRächfte bann gethan, 

©o roirb bie 3 ^it r bie gute, ftdj roohl non felbcr nah’n. 

Die 3«t ift nicht, nur roir ftnb, unb roir, — roir ftnb bic 3*it; 

Drum, ftnb roir fclbft nur gut erft, ift gute 3*it nicht roeit!" — 

Damit aber bie Hoffnungen unb SBefcfjtüffe ber oerbünbeten Deutfdjen 
auf eine beffere 3 e ^ nicht ein Parturiunt montes werben, fchlie&t er feinen 
äufruf alfo: „Darum Hämmert Sud) nicht an fßapierbaßen, bie $erreifcen, 
nicht an Kanonen, bie oerroften, nicht an SESeib unb Kinb, Habe, HauS unb 
Hof, bie fterben unb oerberben, nicht an irgenb einen äRauIwurfShügel ober 
gar an einen ©urer fliegenben Drachen, fonbern, um einen fixeren SRücfljalt 
$u haben, an ben ®erg ©otteS, ben ewigen: an Slfler (bisher oon uns 
nicht ungeftraft oerlaffenen, niemals, oon niemanbem ungeftraft ju oertaffenben) 
©ott, fttilanb unb 9ticf)ter, unfern H errn 3 efum ©hriftum!" 

Hiermit ip ber ^auptfa^e nach auch gefagt, was SBerner'S ©ntwidlungS* 
gang für unfere 3eit unb für jebe Seit bebeutet. 

Die SBaffer beS DtheinfafleS rauften freute noch ebenfo toie oor 92 
Sauren, ba SBerner oor ihnen ftanb unb fie fragte: „©ewäffer, ihr raffelnben, 
raufchenben, rast, — oon wannen, woju?" — 

DaS taufenbjährige Donnern unb Dofen beS jungen SRheinftromeS 
über bie Seifen oon ©djafffjaufen ift aber nur ein fdjWadjcS 33ilb oon bem 
bonnernben „SBo^u?", baS jeberjeit jeben benlenben ßJtenfchen bei ber 
^Betrachtung beS SKenfchenlebenS unb ber SRenfchengefdjidjte burchjucft. SBon 
ber Slntwort barauf hängt bie Kultur ab, — unb bie Stntwort lautet 
immer wie bie SBerner’S: „©ntronnen aus Siebe, wir rangen unb ringen 
jur Siebe — wie Du!" 

DaS ift bie SBebeutung oon SBerner'S ©ntwicfiungSgang für unfere 3eit. 

Unb fehen wir hier auf jene moberne Staturwiffenf^aft, Wie fie fich 
etwa in $äitl oerförpert, unb beren lefcteS 9?efume 9Jta£ Slorbau mit ben 
äBorten wiebergibt: „Die Kulturmenfchheit Wieberholt im ©ro&en baS S3or* 
gehen beS 3nbioibuumS, baS feinen Kummer in ber Slafche ju erfäufen fucht". 
(Sonoentioneße Sügen, ©. 15), fo erfennen wir erft ganj bie Wahrheit Oon 
äBerner'S SluSjpruch: „Ohne baS einzig wahre ©hriftenthum ift bie ^hifofophte 
ein^ unlöslicher Draum, bie Sßoefie Schaum, bie ©efchichte eine Süge, baS 
Helbenthum Digerfinn." 

SBo alfo werben wir bie Sbeale fuchen, ba bie SJtenfchheit ohne 
3 beate nicht fortfehreiten, gefchweige benn beftehen fann? ©twa in ber 
reinen SRenfchlichteit, bie angeblich ©oethe in feinen mtythologifierenben 
fßhantafien gefchilbert hat? SBir fönnen leine 3foeale braunen, bie nicht 
realifiert werben lönnen. SBie aber foß ber 3bealiSmuS, ben ©oethe in 


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$ie tulturgefd)i$tlid)e SBebeutung t>. 3ac^. 2öernerS ©ntroidlungSgang. 35 

feinem pantfjeiftifdjeu StaturatiSmuS geprebigt fyat, oerwirftictjt werben? GS 
bleibt nur übrig, auf baS SEBemerS fjinauweifen,. baS er öon ber 

fatljotifdjen Sirene gelernt fyat, unb ba£ non GJjriftuS bem ©efreu^igten 
reatifiert worben ift. ®a3 ift bie fatl)otifd)e ©uperiorität, Wetdje berufen ift, 
ben Sieg über bie Snferiorität beS materialiftij^en S^itgeifte^ baoonjutragen. 
greitief) btiefen aucf| fyeute nie! taufenb 3toergtein, wie ficb SBerner oor 
ljunbert Sagten auSgebrücft Ijat, auf bie £öf)e ber Kultur, bie öom föreuje 
ausgegangen ift unb auSgeljt, unb weil fie biefetbe nicf}t $u erreichen öer* 
mögen, nennen fie biefelbe mit bem gucf}£ nor ben tjod>f)ängenben SBein* 
trauben in ber gäbet Inferiorität 4 . 93on iljnen gilt baS SBort SBernerS: „Sie 
Sfjat ift Ijeut ein 3n>erg, baS UJiaut ein 9tiefe." 



3* 


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Die „Dormition de la sainte Uierge“. 

fcoit (^rasmuö Bagl* 

(*> 

» Id im #erbfte bed 3aßred 1898 bie tetegrapßifdj'e 9?ad)ridjt burcf) bie 
3eitungen gieng, $aifer SBilfyelm II. non Xeutfd)lanb l)abe bie 
>Dormition de la sainte Vierge« ertoorben unb ergreife am 31. Dctober 
1898 banon ©efifc, mag fidj mancher ßefer bicfer ßcitfc^rift gefragt 
fjaben: 2Bad ift bad für eine Örttidjfeit, mad l)at ed bamit für eine ®e* 
roanbtnid, bafd man fid) fo beeilt, Europa non beren Erwerbung in Stenntnid 
ju fefeen? Xie nötljigften Sluffdjlüffe fonnte aud} jeher fofort in ber Xaged* 
preffe erhalten. ®d fei ein ®runbftücf in Serufalem, auf ©ion (bem füb* 
roeftlicßen unb työdtften ber #ügel, auf benen bie ©tabt erbaut ift), außerhalb 
ber ©tabtmauer, atoifcßen bem fogenanuten |>aud bed Saipfjad unb bem 
Eönaculum toeftroärtd, gelegen. Sluf biefem tocrbe nadj einer Xrabition ber 
©terbeort (dormitio bad Entfcßlafen) ber feligften Sungfrau SJtaria gefugt, 
©efjr Siele mögen bamald ben SBunfdj gehegt fjaben, Stäfjered über biefe 
Xrabition ju erfahren, ju roiffen, ob mir ed ba mit einer aud apoftotifcßer 
3 eit ftammenben Überlieferung $u tfyun fjaben unb toelcße ®ettnfdl)eit ifyr in 
biefer |>inficf)t jutomme. Solchem allgemein berechtigten SBunfcßc $u entfpredjcn, 
tourbe bie 3rage öon nerfcbiebenen ©dien $um ®egenftanbe toiffenfcßaftlicfier 
Unterfucßung gemacht. Sid fjeute liegen barüber brei größere Arbeiten nor, jtoei 
non fatpotifcher, eine non proteftantifdjer ©eite. Xie erfteren finb $u bauten: 
Xr. Earl 9Jtommert, Sfanrer ju ©d)toeini$ ( s ßraiß.*©d)Iefien), mit bem 
Xitel: „XieXormitio unb bad beutfdjc ®ruitbftitcf auf bem 
trabitionetten $ion." (Seipjig 1899.) unb bem ald $atriftiter allbe* 
fannten Xombed)ant Xr. 3of. SKirfcßl in SBürjburg: „Xad £>aud unb 
@rab ber f)t. Jungfrau 9Jtaria." (Sltainj 1900); bie proteftantifcße 
ftammt non bem gelehrten Srofeffor Xr. Xl)eob. 3 a $ n in Erlangen: „X i e 
Dormitio Sanctae Virginis unb bad £aud bed 3of). SKarcud." 
(Seidig 1899, ©eparatabbrucf aud ber „ s Jteuen Slirdjlicßen 3dtfdjrift".) ÜKandjera 
mag bie ftrage nocß ald uugelödted Stätßfel im £>er$en fcßlummern, aubere merbcn 
•eine Seleßrung, toenn aucf) nicht gerabe eine $ufriebenftetlenbe, erfahren ßaben. 


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3)ie «Dormition de la sainte Vierge«. 


37 


©o möctyten bcnn aucty bie folgenben 3 «len eine antmort auf biefe, immer 
nocty actuette Sragc geben. 

©enn mir an bie ©rforfctyung ber angebeuteten Irabition tyerantreten*), 
fo begegnen mir fogleicty $mei großen Parteien. ®ie einen ®etetyrten fuctyen 
mit ber äRenge ber alten 3*ugen ©terbetyauS unb ©rab äRarienS in 3ernfalem, 
bie anberen aber motten, äRaria tyabe ityr Seben in ©ptyefuS befetyloffen unb 
bort ityr ©rab gefunben. Setytere anfictyt mar, menn man bon bem ftyrifctyen 
©ctyriftfteller abulfarabfcty beS 13. 3atyrtyunbertS abfietyt, bis in baS 17. Satyr* 
tyunbert unbefannt. ©rftmalS mürbe fie oerfoctyten bon bem gelctyrten unb 
frommen franjöfifctyen abW liflemont in feiner Kirctyengefctyictytc >Memoires 
pour servir ä l’histoire ecclesiastique des six premiers si&cles.« (®ariS 1693.) 
3tym folgten tyierin ®eletyrte Derfctyiebener Sänber bis in bie neuefte Sdt 
©ie ftüfct ficty tyauptfäctylicty auf einige ©orte eines ©ctyreibenS ber Später 
beS ©oncilS Don ©ptyefuS an ben ©teruS unb baS $olf Don ©onftantinopel 
Dom Satyte 431. $iefeS ©oncil mar jufammengetreten megen ber fietyre beS 
®atriarctyen SReftoriuS Don ©onftantinopel, ber bie gottmenfctytictye $erfoit 
©tyrifti leugnete unb barum SRaria nictyt baS Attribut „©otteSgebärerin" 
juerfennen mottte. 3« bem genannten ©(tyreiben motten bie ®äter beS ©oncilS 
GleruS unb ®olf Don ©onftantinopel mit ber SSerurttyeilung ityreS ®atriarctyen 
befannt mactyen unb beuten auf ein munberbareS ©alten ber götttictyen ®or* 
fetyung tyin, baS ficty barin offenbart, bafS SReftoriuS gerabe in ©ptyefuS Der* 
urttyeüt mürbe, in jener ©tobt, bie ficty befonberer 93e$ietyung jum Slpoftet 
SotyanneS unb jur SRuitergoiteS erfreute. 5)ie 9Irt ber ©ejietyung mirb aber 
nictyt beutlicty auSgefproctyen; eS tyeißt ettiptifety: „in melctyer (Stabt) ber 
Ityeolog SotyanneS unb bie jungfräutictye ©otteSgebärerin, bie tyeilige äRaria". . . 
Snbern man nun ergänzt „gelebt tyaben unb ityre ®rabftätte gefunben", tyat 
man baS Argument. Stnbere ergänzen jmar bloß bie ©opula „finb", bie im 
©riectyifctyen unb Sateinifctyen tyäufig auSfättt, oerftetyen aber bie ©orte in 
bemfelben Sinne. ®ie äRöglictyfeit einer folctyen ©inncSergänjung geben mir 
otyne meiterS ju. Unb menn eS bie einzig möglictye ift, bann ift eS aucty ge* 
mifS, bafS in ben ©orten bie in Siebe ftetyenbe Irabition auSgefproctyen ift. 
aber ift eS aucty mirflicty bie einzig möglictye? 3)aS mufS entfetyieben geleugnet 
merben. ®er Sinn fann oielmetyr fein: mo 3&tyanneS unb äRaria ityre heilig* 
ttyümer tyaben unb fpecietle SJeretyrung genießen. ®enn, mie SRirfctyt jeigt, mar 
eS bereits bamalS üblicty, mit bem einfactyen Xitel einer $irctye biefe felbft 
ju bejeictynen, fo bafS „apoftel SotyanneS" =®irctye beS apoftetS 3otyanneS. 
Unb in ©ptyefuS beftanb ttyatfäctylicty eine SotyanneSfirctye über bem ®rabe 
beS apoftelS, unb in ber -äRarienfirctye mürbe baS ©oncil gefeiert, ©enn man 

*) 3ur Sitteratur f. äRommert unb Stirfctyl. 


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38 


©ra3mu$ *Ragl. 


jefct ^injunimmt, bafS man in ©phefuS unb Kleinafien meber nor bcm 
3aljre 431, noch nach bemfelben non einem bort befinblichen 9Rariengrabe 
etmaS meifi, fo fann man nicht jmeifeln, bafS bie ©Uipfe in lefcterem Sinne 
ergänzt merben mufS. SBäre eine ältere Irabition norhanben gemefen, fo 
müßten mir eine Spur non ihr menigftcnS bei ©olptrateS unb in bem 
©ilgerbericpt ber Silnia finben. ©olptrateS, ©ifcpof unb äRetropolit non 
©ppefuS, beruft fiep jur ^Rechtfertigung ber abmeiepenben, lleinafiatifcpen 
Ofterfeier in einem Schreiben an ben ©apft ©ictor I. (192—201) auf ner* 
fepiebene „gro&e 2eucpten", baS Reifet berühmte, heilige ©erfönlicpleiten, bie 
in Slfien entfdjlafen finb. $a er barunter ben Slpoftel SoponneS, ©pilippuS 
unb feine löcpter aufführt unb mit piftorifcp*trabitionellen Semertungen niept 
fpart, fo tann lein ßmeifel fein, bafS er auch SRaria nennen mürbe, menn 
fie mit 3oponneS in Kleinafien gemefen märe. ®enn baf$ äRaria eine anbere 
Obfernanz befolgt hätte als 3o^aitneS, ber gall nerbient leine meitere ®r* 
örterung. Unb eine eppefinifepe äRarientrabition tonnte ©olptrateS non ©ppefuS 
niept unbetannt bleiben. ®r ermähnt fie niept, alfo pat fie niept beftanben. 
Silnia, eine fromme Slquitanerin, beren SReifebericpt man feit 1887 mieber 
tennt, befuepte gelegentlich einer SBaflfaprt in baS heilige ßonb (385—88) 
auch baS So^attne^graB in ©ppefuS. ©on einem SRariengrab meifj fie niepta. 
ßubern höben mir anbere mit bem ©oncilSbocumente gleicpalterige Schrift* 
ftüde, bie äße ber SReftoriuSfacpe ihre ©ntftepung nerbanten. 3« öllen, 
namentlich aber in einer Homilie, bie non ©prill, bem ©orfipenben beS 
EoncilS, in ber äRarienlircpe in ©ppefuS gehalten mürbe, hätte bie Irabition 
non bem 2Rariengrabe gefepidt Sermenbung finben tönnen. 2lber nirgenbS 
ift eine Spur banon. $afS man etma nach tont ®oncit baS ©rab äRarienS 
in ©ppefuS gefugt hätte, bafür pat noch niemanb ben ©emeis erbracht. 
Unter biefen Umftänben tann man in ben ©Sorten ber ©äter non ©ppefuS 
unmöglich bie Irabition non einem bort befinblicpen äRariengrabe finben, 
mollte man nicht etma gar mit 3opn biefelbe non einer rafch auftretenben 
unb ebenfo rafcp mieber nerfchminbenben Sage nerftehen. 

SReueS 2eben mollte man ber Slnficpt nom Sphefinifchen Slufentpatte 
unb ©rabe SRarienS einhauchen burch Heranziehung ber Offenbarungen ber 
©nna Katharina ©mmeriep. 2)er Serfuch gieng non franzöfifeper Seite aus 
unb fanb niele greunbe. ®er eifrigfte unb gelehrtefte non ihnen ift 2. gond S. J. 
Katharina ©mmerich mar Sluguftinerfcpmefter auf bem Slgnetenberg bei S)ülmen 
unb lebte nach Aufhebung biefeS KlofterS 1812 in llöfterlicper ©infamleit 
in einem Häufen ^ genannten StäbtcpenS (t 1824). Seit SluSgang beS. 
3apre3 1812 hotte fie Stigmata (SBunbmale an Hänben, güfjen unb an 
ber Seite). $iefe fromme Klofterfrau nun hat in ©etrachtungen baS 2eben 


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$ie »Dormition de la sainte Vierge*. 


39 


3 efu unb äKarien« gefdjäut, bie burch beit befannten ®idjter Siemen« 
Brentano aufgejeichnet mürben. Dbrnohl fie fetbft meit baoon entfernt mar, 
ihren 3Rittheilungen ^iftorifc^en Stjarafter beijulegen, fo glaubte man bocf) 
mit SRücfficht auf ihre feltfamen, namentlich geograpf)ifcb = topograp^ift^c« 
ßenntniffe, bie ftet« burd) Efiftorifcbe Sorrectheit fich auSjeichnen fallen, fie 
im 3 ntereffe ^iftorijc^er ftorfchung oermerten ju bärfen. Slu« ihren ÜRit» 
theilungen erfährt man, baf« üJiaria ihre testen SebenSjahre in einem ©ebirg«» 
häuSchen ungefähr 3 ober 3 */ 2 ©tunben {üblich üon Sph e i lI 3, ba« fie genau 
betreibt, jugebracht höbe unb bafelbft geftorben fei. ®a« $äu«<hen mill 
man in einer Stuine auf bem -Jtachtigallenberg (Bulbul-dagh), 3 '/* ©tunben 
füblich oon @ph«l ug , bie bei ben ©riechen Panhagia Kapuli (Slflheilige be« 
23)oreS) heilt« miebergefunben hoben. Sereit« hot fich bort neben öielen 
©injelpilgem ein gro|er franjöfifcher Silgerjug eingefunben, um an ber 
Stätte ihre« lobe« unb in ber 9iähe ihre« einftigen ©rabe« äRaria ben 
Xribut ber Serebrung .barju bringen. SBir fönnen baoon abfehen, baf« bie 
Übereinitimmung jmifchen bem oon S. ©mmeridh befchriebenen Räuschen unb 
bet aufgefnnbenen SRuine benn boch feine fo ooUftänbige ift, fteHen aber, mie 
e« ÜRirfcfjl thut, ben oifionären 9Jtittheilungen $?. ©mmerich« bie anberer 
Slofterfrauen gegenüber, nämlich bie ber hl- Sirgitta Oon ©chmeben (1302 
bi« 1373) unb ber fpanifchen Slbtiffin SRaria oon Slgreba (1602—1665), 
bie beibe lob unb ©rab Sftaria« nach 3 «ufalem oerlegen. Überbie« meifen 
mir barauf hin, baf« ber mefentliche 3 nf)olt oon Katharina« äRittljeilungen 
in auffälliger SBeife mit ber ©rjäfjlung be« apofrt)ph en Suche« De dormitione 
b. Mariae übereinftimmt unb an großen, fiiftorifc^eit ©chmierigfeiten, ja 
Unmöglichfeiten leibet. Um nur etma« heroorjuheben, foü SWaria im 3“hre 
48 unferer 3eitredjnung geftorben unb 3ocobu« ber ältere bamal« noch am 
Seben gemefen fein.*) S 8 a« über ben gleichseitigen 3nftanb Serufalem« gefagt 
mirb, fcheint ein ooHer SlnachroniSmu« ju fein unb nur für bie 3eit nach 
ber 3etftörung biefer ©tabt, atfo nach 70 unferer 3eitrecf)nung ju paffen. 
SBenn mir auch jugeftehen, baf« bie äRittheilungen änna Katharina ©mmerid)’« 
intereffant unb oielfach ftaunenerregenb finb, fo baf« man fich be« ©ebanfen« 
nicht erroehren fann, oiele« höbe ba« ehemalige, arme, meftphätifche Säuern» 
mäbchen nur burch übernatürliche Erleuchtung gemuf«t, unb baf« e« ein 
intereffante«, faum ooüftänbig lösbare« pfhdjologifcht« Problem fei, fich im 
©injelnen ju fragen, ma« übernatürliche ©abe fei, ma« unfchulbige« Shontafie» 
fpiel mit Sermertung legenbarifchen SBiffen«, — aber eine Duelle hiftorijehen 
SBiffenS fönnen mir in ihnen nicht anerfennen. 

*) flach forif<h»arabifchem Jejte be« 58. De dormitione roar ber bereit« oev* 
ftorbene 3ocobu« neben anberen für bie ©egenroart beim lobe SJlaria« roieber jum 
Seben erroedt rootben. 


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40 


©radrnud 9togl. 


SBir fiitb nach bcm ©efagten aber auch nur $u fe^r berechtigt, unfer 
3»itereffe unb nufere Slufmerffamfeit allein mehr ber jerufalemitanifchen 
Srabition ju fdjenfen. SBir motten aber ba fogleid) auf unferen eigentlichen 
©egenftanb lodgehen unb und fragen: SBie fteht ed mit ber Xrabition, bafd 
SRaria auf ©ion gelebt habe unb geftorben fei? 

®er erfte, ber und baOon SRadjridjt gibt, ift SDtobeftud; er brötft fich 
aber noch buntel unb geheimnidoott aud. ^Deutlicher lautet bie ßunbe bei 
©opl)roniud. Seibe beugen ö^ören bem 7. S^^unberte an unb toaren 
Sßatriardhen oon Serufalem; erfterer 631—634, lefcterer 634—638. ®on 
ihnen an ^ören mir bann continuierlidj bie 9tachricht im SRorgen* unb 
Slbenblanbe. SBir finben fie bei bem SRetropoliten Stnbread oon ®reta, früher 
9Rönch in Serufalem (t 720), im K^roniton bed im übrigen fo rnenig 
befannten ©ippolpt oon lieben (ca. 700), bei bem Sammler ber patriftifdjen 
Xrabitionen 3o^anned 2>amadcenud (f ca. 760). 3m Slbenbtanbe finb ed bie 
Steifeberichte ber ©ilger, burdh bie fie in Umlauf tarn. ®ad erfte 9Ral lefen 
mir fie im ©eridjte bed gattifchen Sifdjofed Slrculf, ber um 670 bad heilige 
Sanb befugte unb beffen SReifeerinnerungen burdh Slbamnanud, 2tbt oon Sana 
(£pe an ber SRorbfiifte Oon Schottlanb), aufgejeichnet mürben. SBir lefen fie 
fobann in bem ©ilgerbucfje bed SBillibalb, nachmaligen Sifcfjofed oon ©ichftätt, 
ber ald SDWnd) oon SRonte Sajfino an ben heiligen Stätten gemeilt, meiterd, 
um oon fpäteren $u fchmeigen, in bem SBerfe De locis sanctis, melched ber 
gelehrte englifche ©enebictiner ©eba (f 735) auf ®runb ber bamald oor* 
hanbenen Sitteratur abgefajdt hat. 

Sluf ©ion mirb ber lob SRariend auch Oerlegt in einer lateinifchen 
uitb ber hierin fich miberfprechenben arabifchen Überfefcung bed Schrift« 
ftiided De dormitione ober De transitu b. Mariae (Heimgang SRariä). 2)iefed 
apofrpphe ©uch ift urfprünglich griechich abgefafdt unb erfreute fich einer 
meiten ©erbreitung. SBir fennen baoon Überfehungen in bad Sateinifche, 
©prijehe, Soptifche, Slrabifche. ®ie le^te jeigen alle unter einanber oft fef)r 
bebeutenbe Stbmeidjungen, unb bie ©eiehrten finb über ihre Urfprungdoer* 
hältniffe nicht einig. 3)ie oerfchiebenen ©eftalten ober ©erichte, beren man 
5 mei ober brei ju uitterjcheiben hat, hoben fehr alte ©ejeugung, im 5., refp. 
6. (ja oiefleicht fchon im 4.) 3ah*h un bert. SRach ber mahrfcheinlicheren 
SReinung, mie' fie Bahn unb SRirfdjl oertreten, ift bie ©runbgeftalt bed 
©uched Snbe bed 4. 3ah*hunberted abgefafdt morben. Dbmohl nun ©ion 
jebenfalld nicht in biejem Urtexte gelefen mürbe unb ed auch mehr ald 
jmeifelhaft ift, ob ed auch nur oon SRobeftud barin genannt. mürbe, fo mar 
biefer längere ©jeurd hoch gerechtfertigt, ba bad ©chriftftücf für unfere grage 
Oon großer ©ebeutung ift. $enn bie 9?achricf)ten, bie mir oon anbermärtd 


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$)ie »Dormition de la sainte Vierge«. 41 

her erhalten, berühren ficb, memt fie nicht birect aud ibnt genommen finb, 
mit bem ^n^atte biefed öuebed auf bad innigfte. 

Über bei ber 9Re$tgal)( ber oben aufgefübrten 3*ugen toirt) nicht nur 
allgemein ber ©ion genannt, fonbern fie rniffen nodb ®enauered ju berieten 
über bie benfmürbige Stätte, mo üRaria geftorben fei. ©o febon Sop^roniud, 
ber bie Sirene auf bem ©ion als biefen Drt bejeidbnet. 3a, Slrculf bezeichnet 
in bem ©lan, ben er und non ber ©iondfirdje gibt, noch genauer bie ©üb« 
ofteefe atd bie ©teile, mo SRaria geftorben. 3b» folgt mit Weiner 8lb« 
meid&ung ©eba. 

©o febön nun biefe betaiüierte 9tad^rid^t ift, fie läfdt und oon oorne« 
herein boeb ju feiner redeten greube fommen, ba bie ganze Xrabition fidb 
auf fo üerbältnidmä&ig fpäte Beugen ftüfct. B<*bu mifdt ibr barum, zumal 
unter ben alten Beugen noch ein SBiberfprucb beftebt, gar feine ®laub* 
mürbigfeit bei, unb audb SKommert ift, fomeit ed menigftend bie ©iondfirebe 
betrifft, anberer Sfoficbt. ©tebt ed mirflidj fo fcblimm um fie? — ®d fd&eint, 
bafd fie boeb auf einige ©laubmürbigfeit 2lnfprucb machen barf. 

3m oierten 3ol>rbunbcrt feben mir näntlicb, bafd in 3erufalem eine 
Socaltrabition über bad ®rab SJlariend beftebt. greilidb, alle 3ioeifet übee 
bie SBabrbeit biefer 3tacbricbt finb nicht audgefcbloffen. S)enn ba mir, mie 
gefagt mürbe, bie Urgeftalt bed Sudfjed De dormitione nicht fennen, — unb 
in ibm bu&eu mir allem Slnfcbeine nach ben erften Beugen biefer Irabition, 
— fo müffen mir auf feine oerfebiebenen lejte SRücfficbt nehmen. Sd finb 
nun grieebifebe lejtedfragmente befannt gemorben, bie einer auch uuter bem 
tarnen bed ©ifcbofd 3obunned uon X^effatonic^ (oor 800) oerbreiteten lejted« 
geftalt angebören, mo bie Drtdangabe über bad ®rab SKariend fehlt. 2Iucb in 
ber Srjäbtung bed b*- ®tegor oon lourd (t 596) über ben lob unb bie 
Serberrlicbung äJtariend, bie mit bem mefentlicben 3ubult obigen Sucbed 
übereinftimmt, mirb fein Drt genannt. Slber oon biefen $mei ©ersten ab« 
gefeben, mirb in allen gomten bed apofrtjpben ©uebed, auch in ber febr ftarf 
abmeicbenben foptifeben Srjäblung bed Soobiud, ©etbfemane ober bad 22)ul 
Sofapbut ald ©egräbnidort bezeichnet.*) SBenn man noch baju nimmt, bafd 
ficb auch in einem legte ber X£>effaIontcber ®eftalt an anberer ©tefle eine 
inbirecte, buitfle £inbeutung finbet, fo mufd man ed ald böcbft mabrfcbeinlicb 
bezeichnen, bafd bie Socalangabe über bad äJiariengrab febon im Urtexte ent« 
halten mar. ®a nun bie apofrt)pben Stählungen, mie afle Dichtungen ber 
©age, ficb gemöbnlicb an einen biftorifeben Sem, an eine mabre ©egebenbeit 

*) ©o auch im foptifeben „öeben ÜJlariä" bei g. ßtobinfon, Coptic apo- 
cryphal gospels. Sambribge 1896, ©. 128, 41; oergl. ©. 207. 


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42 


®ra$mu5 9togl. 


onf^Iiefeen, burcb bcn fic fic^ felbet bcn Schein ber Sabrbeit geben motten, 
fo ift e3 mehr als unttmljrfcfjeinlicfj, baf$ mir e3 in biefer DrtSbejeicbnuug 
mit einer blofjen giction ju tbun haben, b. b- mit anberen Sorten, mir 
fönnen aus bem Suche ouf ba3 Sorbanbenfein einer Xrabition über ba3 
9Rariengrab fchlie&en. 3b rc |>eimat fann nur 3crufoIem gemefen fein. 

Um üerfd}iebenen ©inmänben ju entgegen, bie gegen fie erhoben mürben 
unb noch erhoben merben fönnten, müffen mir fie näher cbarafterifieren. Sor allem 
bürfen mir fie nicht als officiette ober ßebr*Xrabition benfen. $ann bürfen 
mir uns auch ihren SerfcreitungSfreiS nicht gar ju meit »orftetten. ®enn 
Sifchof ©ipipbaniuS auf Supern (f 406), ber früher -äRöndb in ©aläftina 
gemefen, unb ber fdjon genannte ©atriarch äRobeftuS uon 3erufalem ftetten 
eine Srabition über ben lob SRarienS in 3lbrebe. 2luch bie Sorte beS noch 
ju nennenben Suoenal bürfen nicht anberS oerftanben merben. Sei foldjer 
Sluffaffung oerfcbminben alle ©cfjmierigfeiten. Sir begreifen leidet, marum bei 
alteren unb bei ©cbriftftettern beS oierten 3ab*banbertS, bie uns fo oirie 
biftorifdj * topograpbifche Sfenntuiffe mittbeilen, ihrer feine ©rmäbnung ge* 
icfjiefjt. ©3 mar eine localbefchränfte Irabition, bie, ehe man baS ©rab 
S^rifti mieber aufgefunben unb überbaut batte, nicht baS allgemeine 3nter* 
effe erregte. $a3 ©rab felbft mar {ebenfalls noch feit ber XituS*3«i unter 
©tein unb Schutt »erborgen .*) Sir merben eS aber auch nidbt mehr un* 
benfbar finben, bafS nicht alle Elemente biefer Irabition bei ber erften Wuf* 
jeic^nung beS Sucres De dormitione Aufnahme gefunben. SJtufS ja auch 
3o^n bezüglich ber an ber ©ionSfirche Ijaftenben Irabitionen gefte^en, bafS 
fie »on feinem ©c^riftfteUer beS erften SnbrtaufenbS ooDftänbig aufgejä^lt merben. 

Seitere 3eugen für baS ©rab SRarienS bei ©etfjfemane haben mir 
an einem armenifcfjen Srief beS fogenannten ©ionpfiuS Slreopagita, oon 
bem eS jeboch nicht allgemein jugegeben ift, bafS er oon bem Serfaffer ber 
übrigen Sionpfifchen Schriften ^errü^rt (nach ben ©inen um 500, nach ben 
Slnberen im 4. 3ab*hunbert), an b«n Sifchofe 3u»enal üon 3*™falem, 
ber fiep bafür auf „eine alte unb fepr mapre Irabition" beruft (451), 
beffen 3eugni3, menn auch angefocpten, toa^rfd^eintid^ echt ift, unb feit 
SluSgang beS 6. 3abrf)unbertS in ben fortlaufenben Sßachricbten beS SKorgen* 
unb 2lbenblanbe3. 3a eS ift nicpt unglaubmürbig, rnaS Ip- 3apn meint, 
bafS eine bieSbejüglicpe Semerfung fdpon in ben nur fragmentarifcp erhaltenen, 
gnoftifcpen 3abanneS*Slcten beS SeuciuS ©parinuS (um 160/170) enthalten 
mar, fo bafS mir ben gaben ber Überlieferung jur apoftolifcben 3eit jurücf* 
laufen feben fönnten. 

*) ©o ^ftrfcpl. 


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5>ie »Dormition de la sainte Vierge«. 


43 


SSBenn mir eS nadj fot^er ©ejeugung n>cnigftcnö als Ijöcfjft toaty* 
fdjeinlidj bejeidjnen müffen, bafS fid^ in Serufalcm eine örtliche genaue 
Irabition über baS ©rab SRarienS ermatten tjat, bann haben mir immerhin 
©runb $u glauben, bafS auch bie jünger bezeugte SRachricht, SRaria fyabe 
auf ©ion gemohnt unb fei ant ©Iaj}e ber fpäteren ©ionSfirche, beS alten 
©önaculunt ober gar in biefent felbft geftorben, auf Xrabition beruhe, aurnal 
mir ja an ber apotrpphen Siteratur beS $meiten 3tof)t!)unbert$ feljen, bafö 
baS Änbenten unb bie ©ereljrung äJlarienS bis in bie apoftolifdje 3eit jurüd* 
reicht. I^atfac^Iid^ mirb in ben ©eridtjten beS ©uctjeS De dormitione ber 
©terbeort SRarienS gemöljnlich im ©egenfafce $u ©ethfemane in bie ©tabt 
Oerlegt, ja in einer griechischen XejteSform mirb bei ber Übertragung beS 
ßeichnamS birect ber SluSbrud „außerhalb ber ©tabt" gebraust.*) $arin 
fann man eine ©eftätigung für bie Annahme ber Irabition finben. 

$oth mirb ihre ©siftenj burch fcheinbar birecten SBiberfprudh gefährbet. 
©inmal mirb in Xejten ber Dormitio oon SKaria'S „eigenem £auS" (griecf)ifcfj; 
ähnlich in ber toptifdjen ©rjähtung beS I^eobofiu^) ober „ihrem £aufe" 
(in ber einen fprifchen ©eftalt) gefprochen; baburch erfcheint alfo menigftenS 
bie Sinnahme einer trabitioneüen ©e^iehung jur ©ionSfirche umgeftofjen. 
®em gegenüber fei bemertt, bafS eS fef)r jmeifelhaft ift, ob biefe ©emertung 
jur urfprünglidhen Dormitio gehört, ba fie nidjt in allen XegteSformen 
enthalten ift. 3« noch fdjlimmere ©efaljr fommt fie burch ben SReifebericht 
beS Slntonin oon ©iacenja (um 570), ber jur äRarienfircfje bei ©ethfemane 
bemerft, fie fotte (birect) an ber ©teile ihres ©terbehaufeS ftehen. SBohl 
ift auch hier mieber ber lejt in ben $anbfdjriften nicht fij, aber aller 
SBahrfcheinlidjfeit nach gehört bie ©emerfung jur Urfchrift. ©ine ganj 
ähnliche ÜRachricht, mie bei Slntonin, haben mir in einer lateinifchen ©rjählung 
ber Dormitio. $och auch baburch mirb unfere Sinnahme nicht in Srage 
geftettt. 5)enn in biefer Slngabe haben mir aller 2Bahrfcheinlicf)teit nach 
mieber ein jüngeres, fjiftorifdjeä ©ebilbe oor uns. ©ein ©ntftehen bürften 
mir aus ben apofrtjphen, griedhifchen Slcta SoanniS beS ©rodjoroS (um 500) 
lernen tonnen, mo bei bem 3tamen ©ethfemane beigefügt mirb, „mo auch 
feine (©hriftuS) ganj unoerfehrte unb aHfjeilige SRutter bie Stacht ju^ubringen 
pflegte (rfili^eco).“**) ®ie hierin auSgefprodjene 2BaI)rljeit, bie ja jeberjeit 
bem djriftlidjen ffimpfinben nahe gelegen, bafs nämlich SDlaria oftmals an 
ben ßeibenSftätten ihres ©ohneS gemeilt ^abe, bürfte ju bem ©erüdhte 

*) 3feblt in einer SWünchener Jpanbfchrift beS 12. 3uhrbunbertS, mo aber aud) 
anbere 3ufäfce fehlen. 

**) ®iefe 5toti§ ftebt jroar nur in einer ber oielen fcanbfdjriften biefeS ©uc^eS 
(9JtatIanb r 10. 3nhrhunbert), aber man mufS mit 3<*bn nuch bereu ©djtheit erfennen. 


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44 


©roSrnuS Ragl. 


(Rebentrabition) SlnlafS gegeben haben, bafS HJiaria in ober bei ©ethfemane felbft 
gewohnt habe. $iefeS ©erücht, baS $u ben Dfjren beS fßtlgerö oon ©iacenza 
fam, tourbe in feinem Steifebericht fixiert. ®ie toiberfprechenben SDtittheilungen, 
bie ebenfo über Sohn* unb ©terbehauS SDtariaS in 3erufalem gemalt 
tourben unb bie ein nur en passant antoefenber Pilger nicht auf ihre 
Sahrljeit prüfen tonnte, bürften auch ber ©runb für baS fo befrembenbe 
©d|toeigen beS toaljrfdjeinlid) afrifanifchen Slrchibiacon Zheoboftuft (um 530) 
fein. ®r ermähnt in feinem Pilgerbuche bie SDtarienfirche im H)ale Sofapljat, 
gibt aber feine nähere ©rflärung. ®er ©earbeiter ber arabifefjen Dormitio 
aber hat beibe Wngaben in fein ©uch aufgenommen, ofjne auch nur auf ben 
Siberfprudh irgenb toelche Stütfficht ju neunten. 

Senn toir alfo auch ber Xrabition, ÜJtaria habe auf ©ion getooljnt 
unb fei bort geftorben, in feiner Seife ©etoifsheit Oinbicieren fönnen, fo 
läfSt fid(j auf ber anberen ©eite boefj toieber fein ©runb finben, tooburch fie 
um alle Sahrfcheinlichfeit unb ©laubtoiirbigfeit gebraut mürbe. 

Stoch einige Sorte über ben Drt, auf ben bie Xrabition lautet! Sir fefjett 
aus ben oben oorgeführten 3^ugniffen, bafS Sofjn* unb ©terbeort (dormitio) 
ÜWarienS in innigfter ©eaiefjung mit ber ©ionSfirche genannt toirb, ja ber XobeS* 
ort ber SRutter ©ottcS in ber lepteren oerehrt tourbe. 9Rit ber ©ionSfirche 
blieb biefe ©erehrung auch bis in baS 13. Sahrhunbert oerfnüpft. ®rft im 
14. 3a^r^unbert, als man bie 1244 burd) bie ®f) are &mer jerftörte Kirche 
mieber, unb ztoar in fleineren SWaßftabe, aufbaute, mürbe bie Stätte aus 
ber ®ircfje IjinauSoerlegt, juerft nörblic^, feit bem 16. Su^unbert meift 
toeftlidj, beim griechischen Patriarchen ®h r 9 fanthuS (1726) norbtoeftlich oon 
ber ©ionSfirche, in melier Stiftung auch baS neuertoorbene ©runbftüd liegt. 

ßeptereS hat fornit auf bie ©erehrung ber alten ©Triften feinen 21n* 
fpruch- StichtSbeftomeniger fommt biefer Steuermerbung hoch h°h^ ©ebeutung 
511 . $a eS nicht möglich ift, baS ©önaculunt, baS auch bt\ btn SDtohamebanern 
hohe ©erehrung genießt, — bafs eS auf bem ©runbe ber alten ©ionSfirche 
fteht, mirb oon allen zugegeben, — z u ermerben, fo tmjfs eS fchon fyofye 
©efriebigung getoähren, auf nachbarlichem ©oben eine ©tätte $u befipen, mo 
bie jebem ®f)riftenher$en fo theueren Steminifcenzen ber alten ©ionSfirche 
oerehrt toerben fönnen. Unb ihrer finb oiele. ®enn fie mar geheiligt burch 
©^rifti lepteS Slbenbmal (baher Coenaculum), bei bem Gf^riftuö baS Siebes* 
geheimniS beS neuen ©unbeS, bie ^eilige ©uchariftie, eingefept, fie mar 
geheiligt burch bie Srfcheinungen beS auferftanbenen ^peilanbeS, burch bk 
©nfepuug beS ©ußfacramenteS, fie mar geheiligt burch bie ©eifteStaufe am 
Pfingftfefte, fie mar bie ©eburtsftätte ber Sirche ©^rifti unb barum fchon 
oor 2llterS mit bem Xitel „SRutter aller Kirchen" ausgezeichnet, ©ie mar 


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$ie »Dormition de la sainte Vierge«. 45 

auch bie erfte Äirdje bcr Stiften in 3crufalem. ®erabe biefer te^te Eh*en* 
oorjug bietet für unfere SKdrientrabition eine ©eftätigung. ®enn eS ift fehr 
toafjrfcfjeinlid), bafS ber ©ifchof ber Stabt unb mohl auch bie Styoftel, 
folange fie in Serufalem anmefenb maren, fid^ in ber unmittelbaren 9tähe 
ober Umgebung ber ffirdje, bie fo Doll Don ^eiligen Erinnerungen mar, 
niebergelaffen t|aben. SBenigftenS mirb im 4. 3a^t|unbert 3<*cobuS als 
©ifchof in Serbinbung mit ber ©ionSlirche genannt.*) ®a nun Don EhriftuS 
ielbft 3Raria ber Dbforge beS WpoftelS 3o^anneö anbertraut mar, mo mirb 
fie ba anberS SEohnung erhalten t|aben, als mit ben 2tyofteln bei bem 
„Dbergemacfje" ober SlbenbmalSfaale ? 

SEBeit eS fich beim Eönaculum um einen fo überaus etjrmürbigen unb 
geheiligten ©oben ^anbclt, fo mag fich auch ber beutfehe ©erein für baS 
heilige 2anb, nachbem eS ihnt gelungen ift, nachbarlichen ®runb $u 
ermerben, für feine Dielen äRühen genugfam entlohnt betrachten, ©eit 
3ohren mar er beftrebt, fich, menn fchon baS Eönaculum nicht ermerbbar 
if tj menigftenS in ber 9tähe auf bem ®runbe, ber als $ormitio galt, 
eine Slnfieblung $u fchaffen. 21ße ©emühungen fcheiterten, ba auch biefer 
ben äRuSlimen als geheiligt galt unb jubem unberäußerlicfjer ftamilien* 
befifc mar. Enblich ift auf biplomatifchem SBege baS Schmierige erreicht 
morben. $urch unmittelbares Eingreifen beS beutfehen ffaiferS unb ©errni tu 
lung beS ©ultan ift für mehr als 100.000 ÜRarf baS gemünfehte ®runb= 
ftücf in ben ©efifc $aifer SBilhelm II. übergegangen, ber eS bem ©ereine für 
baS ^eilige ßanb jur 9tu|nief$ung übergab. 

SBir ftimmen gern in bie Sreube unb ben 3ubel ein, ber bie £erjen ber 
beutfehen fiatholiten beShalb bemegt. ®ie Ih at toor ein ©ieg sielbemufster, 
unermüblicher 8lrbeit. 3Ran ift auch bereits baran gegangen, bem ®efchenfe 
feine Dolle SBertung ju geben. ®er ®runbftein ift gelegt, unb fleißige £änbe 
regen fich, ben ©au emporjubringen. SBer 1903 baS ©lücf hoben mirb, bie 
heil, ©tabt $u befuchen, bem.mirb mahrfcheinlich bereits Sfirche unb Älofter 
„aJtariä Heimgang" Don ©ion her als Stätte beutfeher ©ietät unb ©aftlichfeit 
entgegenminien. 

*) ©ei bieier Annahme laffen ftch auch leicht bie oerfebiebenen Eingaben, bie 
über ben ehemaligen ©efU*er bieieS OrleS gemacht roerben, oerftehen. 



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€ntdeckung 

altfranzösisdm Bronzereliefs in Kew. 

©oit 3faeifi. fo. Stftloiitih. 

t nlängft tourben in einem Haufe, meines als ©epenbenj aum fönigticfeen 
^alaft in Kern gehört, fünf alte ©roncereliefS franjöfifchen UrfprungS 
entbecft, bie als Kunftmerfe erften SRangeS bei allen ©achöerftänbigen unb 
auch bei ben Siebfjabent ein fo allgemeines 3ntereffe erregten, bafS bie Der* 
ftorbene Königin ©ictoria genehmigte, biefetben in ber englifchen Kunft* 
abt^eilung auf ber ©arifer SBeltauSfteDung auSjuftellen. ©o mie Kaifer 
SBilhelm ber franjöfifchen UHalerei burch ®arleihung feiner SBatteau’S eine 
befonbere Slufmerffamfeit ertoeifen mollte, in ähnlicher Strt gebachte bie 
Königin ©ictoria bie fran^öfifche Silbhauerfunft ju ehren. 

Kern, ber 3unbort beS Kunftfcha&eS, ift befannt burch feinen pracht* 
Pollen botanifchen ©arten unb ©arf. ^ier, in bem bunflen 3^1^ eines 
äunt Schlöffe gehörigen 9tebengebäubeS, befanben fich bisher bie ermähnten 
SReliefS, etma amei HJteter non bem gufcboben entfernt, in bie SBanb ein* 
gelaffen. 3n bem 2Jtaf$e, als biefe 2Banb mit Ölfarbe geftridjen mürbe, hatten 
bie SRetiefS burch & en SReuanftridE) mitauleiben, unb eS ift nur einem 3 u faH 
ju öerbanfen, bafS fchliefjlich biefe nötlig unbeachteten Kunftmerfe, bie man für 
©ipSarbeiten gehalten hatte, im eigentlichen unb uneigentlichen Sinne mieber 
an baS Tageslicht httDorgejogen mürben. 

®er Urfprung ber SBerfe ift franjofifch, unb bie 3^it ber ffintftehung 
ber in Hochrelief pollenbet ausgeführten Slrbeiten ift in bie 5 meite Hälfte beS 
17. Sahrhunberts $u verlegen. ®ie Sujets finb ®arftettungen oon th aU 
fächtichen Segebenheiten aus ber StegierungSepoche ßubmigS XIV., im heroifdjen 
unb monumentalen Stile. ®er König ift als ber SJtittelpunft unb als bie 
Hauptfigur aufgefafst. ®S mirb nicht leicht fein, ohne SBeitereS $u entfcheiben, 
ob bie fünf Arbeiten als eine golge ober menigftenS als eine in ibeeüer 
©ejiehung jufammenhängenbe Kette gelten füllen. ®ie ©röfje ber ÜRebaittonS 
beträgt brei 3ufj im ®urchmeffer; ihr ©emicht pro ©tücf annähernb hunbert 
©funb. ®S bürfte faunt jmeifelhaft fein, bafs biefe SRebaiflonS als Ih c ^ e 
eines öffentlichen, $u fiebjeiten SubmigS XIV. unb ihm $u ®h rcn gefegten 
SKonumenteS angefehen rnerben müffen. SBahrfcheinlich mürbe baS ©efamrnt* 


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©ntbedung altfranjöftfdjer SBron^creliefö in Kern. 47 

toerf in ber SReüolution ju ©nbe beS oorigen 3ö^t^unbcrt^ $erftört unb bic 
fraglichen ©ronjen nach ©nglanb oerfauft. SBie fie aber an ihren jefcigen 
Sunbort gelangten, ift bisher Oößig unaufgeflärt. ®aS Sitter beS Königs 
auf ben ®arfteßungen ift auf 40—45 3&h rc $u fchäpen, unb fotoohl aus 
biefeni ©runbe, toie aud) aus anberen Slnjeichen tann bie ©ntftefjung ber 
Arbeiten in baS 3ah r 1680 gefefet toerben. ®S ift befannt, bafS furj nad) 
bem ftrieben oon SRimtoegen ber König in oielen ©täbten granfreichS ©iegeS* 
monumente errichten liefe. 

3« einer ber ©ompofitionen ift ber König in ber ÜRitte feines $of* 
ftaateS bargeftettt, toi e er ein in DbeliSfenform errichtetes URonument ben 
©ehörben übergibt, ©in anbereS SRebaißon ftetit Subtoig XIV. im KrönungS* 
ornat bar, im Segriff, frembe ©efanbte ju empfangen, oon benen jtoei ihm 
fitonen übeneichen. Einer ber ©efanbten tragt ben banifchen ©lephanten* 
orben. 3n ben anberen abbilbungen fefeen mir ben König an ber ©pifce 
feiner ^Regimenter in eroberte ©täbte einjiehen. 

®a feine Signatur irgenb toelcfeer art ju entbeefen ift, fo fommen 
aus inneren unb äufeeren ©rünben toaferfcheinlich nur bie ©ilbhauer 
©opfeüoj, ©irarbon ober ©ierre ©uget als ^erftefler ber SBerfe in ©etracht. 
Xrofebem nun heröorragenbe Fachmänner in ©aris bie befte ©elegenfeeit be* 
fafeen, biefe funftfeiftorifch mistigen Objecte mit ben ÜReiftertoerfen ber brei 
genannten ©ilbhauer ju oergleichen, fo oermochten fie bisher hoch fein enb* 
giltigeS Urtfeeil $ur ©ache abjugeben. ffiopfeooj: (1640—1720) ^ätte fe^r 
toohl auf gaben toie bie oorliegenbe töfen fönnen, hoch finben fich meiner 
anfiefet nach * n feinen SBerfen feinerfei anflänge an bie ®arfteßungen 
in ben Ketoer SfleliefS. 3u feinen berühmteften ©chöpfungen gehört in erfter 
Sinte baS ©rabmal beS ©arbinalS SRajarin: ber ©arbinal fniet über bem 
©arfophag, hi nter ihw ©eniuS, linfS bie ©ronjeftatue ber Klugheit, 

rechts ber Ireue unb oorn beS ftriebenS, ferner bie SRarmorftatue ber Siebe 
unb ber SReligion. Sieben lefcterer hat im Souore bie fehr ebel ausgeführte 
©üfte ©offuet'S auffteßung erhalten, ©efanntlich führt biefer ganje ©aal 
im Souore ben ÜRamen: »Salle de Coysevox«. aufeerbem befinben fid) h' cr 
oon ihm bie ©orträtbüften beS SRalerS Se ©ruit, ber ßRaria abelaibe 
oon ©aoopen als ®iana unb beS KünftterS ©elbftporträt. ©eine Figuren 
finb auSbrucfSooÜ unb erfüßt oon Beben, ©ine oorjügliche arbeit oon ihm ift 
enblich baS ©rabmal beS SRinifterS ©olbert in ber Kirche ©t. ©uftache in ©aris. 

3Rehr SBa^rfc^eintic^feit für bie Urheberfchaft ber SReliefS bietet ein 
Sergleich mit ben arbeiten ©uget'S, ber in bem ©Hl ©ernini'SfeineKünft* 
merfe bilbete. %m 3&h re 1602 fchuf er feine f° berühmt geworbene ©ruppe 
für ben ©arf oon äRarfeißeS: „2Rilo oon Kroton oon einem Sötten jer* 


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48 0. ü. ©d&letnifc. ©ntbedung altfranjöftfc^et ©roitjerclicf« in Stern: 

riffen". SBeiter« führte er im Stuftrage 2ubmig« XIV. au«: „$erfeu« befreit 
Slnbromeba" unb „Siogene« unb Sltejanber ber ©roße", ba«jenige SBerf, 
meteße« ®uget moI)t al« SSerfertiger ber fogenannten ,,®em*9telief«" erfdjeinen 
taffen tönnte. 3 n ben$ügen Sttejanber« be« ©roßen finbet fiefj eine gemiffe 
9ßorträtäf}nlichfeit mit benen 2ubmig« XIV., unb in fdjmeicfjterifdier SBeife ift 
biefer feßr ebet, fein ©efotge bagegen meßr realiftifefj bargeftettt. SBenn nun 
aud? biefe befonberen Sigentßümtidjfeiten in ben 93ronaeretief« gleichfalls jum 
3tu«brud tommen, fo gemäßen fie bocß feinen abfotut fidleren 93emei« für bie 
Urßeberfdjaft, ba ju jener ®pocße faft alle franjöfifcßen Sfünftter, um bie 
©trauten ber föniglidjen ©nabenfonne auf fid} $u tenfen, meßr ober minber 
in berfetben SBeife fd)tneid)etten. 

äReine perföntiche Slnfid&t neigt baju, ©irarbon at« ben Stutor ber 
SRelief« anjuerfeitnen. ©irarbon'« (1630—1715) 93tüte$eit faßt in bie 
©tanjepoeße 2ubmig« XIV. SRacß 2e 93run'« lobe (1690) mürbe if)m bie 
2eitung ber für ben ÜRonarc^en bcfcßäftigten 93itbl)auer übertragen, ©t^on 
au« biefem ©runbe aßein mirb $um minbeften fein ©influf« überaß bemerf* 
bar, fo bafS mir e« hier oießeid&t mit SBerfen ju tfjun haben, toeteße feiner 
©dhute entftammen. Stber ©irarbon mar e« ^auptfäcßtic^, ber bie eigentlichen 
äRonumente für 2ubmig XIV. entioarf, fo §. 93. bie berühmte SReiterftatue, 
meteße 1699 auf bem Place Vendöme errichtet unb bann 1792 jerftört 
tuurbe. SBäßrenb Sßuget Sttejanber ben ©roßen mit ben $ügen 2ubmig« XIV. 
feßuf, fteßte umgefehrt ©irarbon ben ftönig mit einer an Sttejanber an* 
ttingenben, ibealifierten Sßorträtähnlichfeit bar. Siefe Sluffaffung taffen audh bie 
S?em*SRelief« erfennen, mie ©irarbon fieß überhaupt am beften in bie Sin* 
f(f)auung3toeife feines fönigtießen Stuftraggeber« ßinein $u beuten oermo^t 
hat. Sa« fchöne ©rabmat be« ©arbinat« {Richelieu in ber ffireße ber ©or* 
bonne bitbet eine« ber oortrefftidjften SBerfe be« SReifter«. Sie tiegenbe gigur 
be« SHrcßenfürften mit ben aflegorifdjen SRebenftatuen ruht über ben irbifdhen 
SReften {Richelieu'«, ber al« Soctor ber Sorbonne im Saßre 1635 ben 
©runbftein 51 t biefer Sirdje legte. 3 h rc ga 9 abe fdhmüden oier ©tatnen be* 
rüljmter Kirchenlehrer, 51 t benen ©irarbon ebenfafl« 3eichnungen unb ©nt* 
mürfe geliefert fjatte. Sie SBanb oberhalb be« {Ricßetieu*Senfmate« feßmüden 
bie 93itbniffe 93offuet’«, ©t. 93ernharb'«, S^oma« üon Stquin'« u. a. 

Schließlich mirb ber Umftanb nicht unintereffant erfcheinen, baf« ba« 
Sronjemateriat ber fünf SRebaißon« al« Kanonenmetafl jener ©poche anatpfiert 
mürbe, atfo jebenfafl« oon eroberten ©efcßü|en herrührt. 


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4 'K ?fl ^ 4 4 4 4; 4 


44 4^4 4»4 4 4-4 44+4444 4 

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* 

-4 

4 * 


Kliener Kunstleben (Jänner bis Juli 1901 ). 

Eon 30f*pf| Bfcutoirf ff. 

« ber bem Veginne beS neuen QahrhunbertS ftra^lte ber Stern ber &unft* 
freunblichfeit. X)ie erfte Qa^rcö^älftc beS neuen 3^itabfc^nitte^ f in bem t>or* 
auSfichtlich bie Veftrebungen ber ntobernen Wichtung über fur$ ober lang ju einem 
ganj beftimmten Vbfchluffe gelangen miiffen unb auS bem Stabium beS SudjenS 
unb VerfuchenS, befpöttelter 3JUf^griffe unb wunberlicher SdjruUen auf bie Vfabe 
wahrer Shmft fich jurücffinben unb bei aller Betonung beS (Eigenartigen geänberter 
3 eiten in lebenbiger Fühlung mit bem wirtlich ©rofeen ber Vergangenheit bleiben 
werben, eröffnete auf bem Wiener Voben in mehr als einer Dichtung oerheifeungS* 
oollen SluSblicf. Qn einer ftattlicben 9In$abl größerer unb fleinerer WuSfteUungen 
fonnte baS publicum wieber jum Xheil f e b r beachtenswerten Schöpfungen ber 
jeitgenöffifchen föunft näher treten, in melden bem Gingen nach einem neuen 3 nb<*lte 
unb neuen fformen unbeftrcitbare, wenn auch nicht immer oolle (Erfolge befcbieben 
roaren. Vber mit ©enugthuung bürfte man bie ^ortfchritte ber Klärung unb öäuterung 
auch in ber Wichtung oerjeichnen, bafS weitere Streife ber Veoölterung baS oon oiel* 
genannten unb beifallsgewohnten UJleiftern ©ebotene nicht mehr blinbüngS als unbcbingt 
anjuftaunenbe Offenbarung eines höheren ©eifteS, ber bem ©efchmactSurtheile 9lnberer 
alles, felbft gefdpnactlofe (Eptraoaganjen jujumuthen berechtigt fei, hinnehmen unb 
trititloS quittieren, fonbern immer mehr ihr stecht betonen unb geltenb machen, über 
baS ©efehene auch ih re Meinung abjugeben. $ln einem folgen Verhältniffe erftartt 
baS Qntereffe für bie $unft, ohne welches eine wahre ftunftförberung nicht bentbar 
ift; ihrer tann baS Weue ebenfo wenig entrathen, als baS 2Ute in ihr ja immer 
ermiefenermafcen eine §auptftüfce gefunben hat. 3« ben 9luSftellungen 30 g nicht allein 
bie SRannigfaltigteit beS VuSgefteUten an, fonbern erfreute auch bie Xhatfache, bafS 
einheimifche Wteifier unb Schulen fxch auf ber Jpöhe ber 3eit jeigen, mit (Ernft unb 
uollfter Eingebung für bie (Erreichung grofeer 3iefe unb für bie Weubelebung unferer 
ftunftoerhältniffe fleh einfefcen. Reifen bie jungen Xalente in ber ihnen burchfchnittlich 
noch nothwenbigen Selbftjucht auS unb oerlieren über bem ©ebanten an fich weber 
ben ©lief für baS ©an$e, noch baS ©efühl ihrer Veftimmung für baSfelbe, bann 
braucht unS um einen wirtlichen 9luffchwung ber ftunft in VMen nicht bange ju werben. 

X)ieam meiften anjiehenben9luSftelIungen oeranftaltete wieber bie „Seccffion". 
X)ie erfte galt nahezu auSf<hlie&lich ber Vorführung ber 2Berte eines in ber VoUfraft 
feines Schaffens t>om Xobe bahingerafften WtolerS, ber feiner VaterlanbSjugehörigteit 
nach jroar Öfterreicher war, aber bis ju feinem !pinfcbeiben eigentlich in ben oorberften 
Weihen ber italicnifchen SWaler ftanb, ©iooanni Segantini’S. So würbe 

3>ie ftultur. III. 3a$rfl. l. $eft. (1901.) 4 


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50 


3ofepf) SReuwirth. 


wenigftenS ein $fyeü ber Slnerfennung nachgeholt, bie bet grofce Xobte non feinem 
Vaterlanbe forbern burfte; unb äöien mufS ben Veranftaltern ber ©egantini*$luS* 
ftellung aufrichtig 3)anf wiffen für bie Gelegenheit, einen ber bebeutenbften Sllpen- 
weltSmaler, in beffen ^Berten fo oiel anheimelnbe 3«ge gerabe ben Öfterreicher an* 
fprechen, genau fennen &u lernen. Glicht nur eine ganz anfehnliche 3ahl non £>aupt= 
werfen, fonbern auch eine Vtenge fleineter Arbeiten unb 3ei<hnungen geftatteten 
eine auf oerläfSlichfte 9lnfchauung gegriinbete Verfolgung beS ^ oc^iit ter eff an tcn 
GntwidlungSgangeS ©egantini’S oon grühleiftungen ab bis ju bem breitheiligen 
Vlpenpanorama hinauf, über beffen ^rtigftellung ber £>anb beS 5JieifterS ber 
Vinfel entfanf. kleben ber wuchtigen s Jtoturauffaffung feiner nunmehr in ber 
neuen Vinafothet ju 9Jtünchen aufgeftellten „©choüe" entjiidten manche wirflkh 
poetifch geftimmte ©tücfe, 3 ar ^cit ber Vlumen unb ber ^ßflanjenftubien, weiheooUe 
unb ergreifenbe Vehanblung ber 9Jlutterbeftimmung, bie Reinheit beS originellen 
„$Ruf"=9JtotioeS, bie prächtige „freimtehr oom SBalbc", bie 9taioüät ber „Lobelie" f 
bie Fnnigfeit ber ©eene „Veim kreuze". 3a, eS fällt faft fchwer, auf bie befonbere 
Erwähnung jebeS einzelnen ©tüdeS z u oerjichten, ba jebem befonberer SReij jufommt 
unb jebeS irgenb einen beachtenswerten VuffchlufS über ©igenthümlichteiten ©egantini’S 
ju geben oennag. ‘Die 2lrt feiner 3eidptung unb feiner pifantherben ÜJtalweife würbe 
Vielen erft an biefem 2luSftellungSmaterial überhaupt uerftänblich, baS fo überzeugenb 
oeranfchauUchte, wie raffiniert unb troßbem naturtreu ber SJteifter bie Oflalwerte feiner 
Farbentöne abjufchätjen unb ju oerwenben wufSte. ÜJtit ihm ftarb ein wirtlich bebeutenber 
SEKaler, ber jur Geltenbmächung feiner fraftooUen Verfönlichfeit fleh jroar miihfam, 
aber erfolgreich burchgerungen hatte unb einfamer 3n>iefprache mit einer groben 
Statur fein GröfeteS banfte. 2öie ftch bieS ooüjogen, machten am beften feine Vkrte 
flar, beren Vorführung in 3öien jum erftenmale baS öfterreichifche Vublicum mit 
9tachbruct auf bie SeiftungSfähigfeit eines aus Öfterreichs Gauen ftammenben, heroor* 
ragenben Zünftlers hinwieS. — üftit fünftlerifchem Feingefühle gefeilte man, offenbar in 
ber Überzeugung, bafS nur wirtlich VeachtenSwerteS ber Vnreihung witrbig wäre, 
ben ©egantini'2öerfen bloß eine ganz Heine 3af)I oon ©chöpfungen anberer ÜJteifter 
oerfchiebener Nationen bei. Unter benfeiben ragt befonberS ber ©panier 3g. 3uloaga 
heroor, ein ÜJteifter ber ©haratteriftif, ber einem VelaSquez ober Gopa jiclberoufst 
nachftrebt unb mit Vefchräntung auf baS fiinftlerifch oirtuoS behanbelte §auptfächliche 
einbringlichfter SBirtung ftcher bleibt, ob er nun ein ©tiergefecht, bie Verfügung einer 
©tönen, bie ©chaufpielerin öola ober ben dichter $)on Vtiguel be ©egooie oorführt 
ober unS einen Vlid in baS Treiben ber „rue de t’amour" werfen läfSt! kleben 
ihm fintt baS V^affelfeuer malerifcher Vlenbeffecte VeSnarb’s rafd) zufammen; eS läfSt 
felbft im Vilbe einer s Jftjane, bie ebenfo gut Glicht ^ejane genannt werben tönnte, 
falt. Vtehr als bie Arbeiten oon G. 2JtelcherS, £>enri Vtartin, (Sh- VSoobburp,' Guft. 
©ourtoiS, SKene ÜJtenarb ober öe ©ibaner feffelte ber gcbantenreiche „Ulrich oon Butten" 
$ertcricb’3 mit ben wunberooüen D^efleyen auf bem prachtooll gemalten Vcmzer. ÜJtay 
ftlinger böctlinifiert etwas in einem (SptluS oon Banbfdjaften, bie im §inblid auf 
ihre rein becoratioe Veftimmung für ein ©tiegenhauS oon bem bie s 2luSftellung& 
anorbnung leitenben s 3llfreb Voller feinfühlig in bie 2Öanb eingelaffen würben. Qn 
höherem Grabe als ber Vtaler intereffierte ber Vilbhauer ftlinger, namentlich burch 
feine reizenbe „ftauernbe" unb bie ^albfigur Wffenjeff, welche burch bie grünen ©bei- 
fteine ber funtelnben klugen unb burch bie Verfchiebenheit beS 9flarmortoneS für 
Fleifchtheile, §aar unb Gewanb fonft nicht gebräuchliche ^InziehungSeigenthümlichfeiten 


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SBiener ftunftleben (3änner bis 3uli 1901). 


51 


gewinnt unb benfeiben im ©eftchtSauSbrucfe herrifche ©ntfchloffenheit unb unerfättliche 
3öilbheit bcr Seibenfchaft beigefellt. 9Bährenb bie ©culpturen SUinger’S rafch gfreunbc 
unb wie bie „ßauernbe" auch Käufer finben, bebarf eS immerhin einiger 3eit unb Ntühe, 
um baS Söefen ber Ißlaftif beS ^ranjofen Nobin ju erfaffen, beren oerfchwimmenbe 
Umriffe, j. 33. an „SNonb unb ©rbe", unS junächft oielleicht nicht besagen, aber mit 
ihrem Abgehen oon ber fonft üblichen ftatuarifchen ©trenge ein neues ©tilmoment 
beS ©mpfinbungSauSbructeS marfieren. Am ergreifenbften wirften feine „93ürger oon 
Calais", welche bei Unterwerfung ber ©tabt ben ftegreichen ©nglänbern auSgeliefert 
werben, um burch ihren Dob bie 93aterftabt unb ihre SNitbürger oor weiteren 93e= 
brüefungen burch bie ^einbe ju befreien. Die fechS mächtigen ©eftalten oerförpem 
eine wahre ©tufenleiter ber ©mpfinbungen, trofcig bewufSter Aufopferung, bie noch 
in JeinbeShafS aufgeht, bis jum h e i& emporquellenben. ©dpnerje beS in blühenber 
3ugenb gerabe bem Xobe ©ntgegengehenben. 

Die Söefucher ber ©egantini*AuSftellung höben gewifS burchwegS bie geringe 
3ahl ber fnapp 100 iiberfchreitenben SBerfe als eine grofee, bie ©enufSfähigfeit 
erhöhenbe 2Bohlthat empfunben, welche ein Vertiefen in bie einzelnen Objecte wefentlich 
förbert. ©ie oerbient überall bort Nachahmung, wo man inhaltlich 93ebeutenbeS jur 
©eltung unb wirtlichen Anerfennung bringen will; benn bie ©egenftanbSfülle, an 
welcher bie allerbingS gröberen AuSftellungen in München ober 93erlin — nicht jum 
§eile ber ©ache — immer noch fefthalten, untergräbt unb hemmt bie AufnahmS* 
fähigteit ber 93efucher in ^o^em ©rabe. Qe mehr man ihnen wirtlich uermitteln will, 
um fo geringer wirb bie 3&hl ber 9Berte einer AuSftellung bleiben müffen, bie mit 
einer folchen 93efchränfung ihren fünfterjiehlichen 3Bert wefentlieh W fteigern oermag. 
2Jkm fann biefem oon ber ©eceffion meift gliicflkh feftgehaltenen AuSfteUungSgrunb* 
fafce, ber oon einer fonft gern gehanbhabten ©epflogenheit abweicht, nur weite 93er* 
breitung unb Nachahmung münfehen. 

Die ©egantini-AuSftellung weefte begreiflicherweife ben 9©unfch, bafS wenigftenS 
ein !$auptwerf beS NteifterS — wenn möglich fein grofeeS Sriptpchon ber Alpen* 
weit — für eine ber erften 3öiener ©ammlungen erworben werben möchte. ©S gelang 
ber „©eceffion" felbft, mit Unterftüfcung oon funftfreunblicher ©eite h^ bie ben 
Ntaler oortrefflich charafterifierenben „böfen SNütter" ju erwerben, welches SBerf in 
ber $u errichtenben „Ntobernen ©alerie" feinen $lafe finben foll. Die ungarifche 
Negierung taufte für bie 93ubapeftcr Nationalgalerie ben „©ngel beS SebenS", unb 
in bie 93erliner Nationalgalerie h' e ^ ber nach feinem $obe erft ju gröberer An 
erfennung gelangenbe Xrentiner Nteifter eben feinen ©injug. Unter bem für ihn 
gefteigerten Qfttereffc gab ber „Aßiener 93erlag" eine mit Abbilbungen reich auS* 
geftattete ©egantini>9Nonographie h^töuS. DaS Ntinifterium für ©ultuS unb 
Unterricht fafSte gleichfalls in’S Auge, ber 9Biirbigung beS groben einbeimifchen 
NialerS eine oontehme ©onberpublication ju wibmen, beren leytbearbeitung bem 
©chriftfteüer Dr. $ran$ ©eroaeS übertragen würbe, inbeS bie tppographifche unb 
illuftratioe AuSftattung beS fachmännifchen 93eiratheS oon ©eite beS l^ofratheS 
Dr. ©ber, ber ftünftler Ntofer unb Anbri, fowie beS £>of* unb UnioerfitätSbuchbrucferS 
2pol$höufen fich erfreut. Ntit ber Ausführung biefeS A3erfeS, bem in ben beften 
mobernen NeprobuctionSoerfahren bie h er oorragenbften ©chöpfungen ©egantini’S 
überwiegenb mit bem Neije ber Jarbe felbft beigegeben werben follen, lentt bie 
UnterrichtSoerwaltung an ber ©chwelle beS neuen ^a^r^unbert^ in 93ahnen ein 
beren 2Beiterbefchreiten nur mit aufrichtiger 3reube unb ©enugthuung begrübt werben 

4* 


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52 


3ofeph SReuwirth. 


!aitn. ©ar mancher öfterrekhifche SDleiftcr — unb jroar nicht nur mobcme — barf 
gleiten Anfpruch auf ähnliche Mürbigung feiner SÖerfe burd^ eine fachgemäße Mono* 
graphie ergeben. An geeigneten Kräften bafiir fehlt e$ unter bem jungen SRachwuchfe 
ber ftunfthiftorifer burcfjauS nicht. ©oll bie Unternehmung aber eine wirflich oolfS- 
erziehliche Vebeutung gewinnen, bann barf man freilich nicht auSfchließlich Fracht* 
werfe bringen, beren hoher Kaufpreis nur reichen Liebhabern erfcßwingbar ift, fonbem 
muf$ barauf bebacht fein, folgen Monographien, bie bei ben fjortfchritten ber 
mobemen SReprobuctionStechnif f<hon mit geringeren Soften oortrefflich unb inftructio 
iüuftriert werben fönnen, auch burch eine VreiSherabminberung bie Äaufmöglichfeit 
in breiteren ©Richten zu fichem. Le&tere hu&en auf Äunftanregung unb auf Ve* 
lehrung über bie Vebeutung ber £>eimat für bie allgemeine Äunftentwicflung ebenfo 
großen Anfpruch wie bie begüterten. Die weite Verbreitung ber ßnacffuß’fchen 
Äünftlermonographien, bie ganz oereinzelt öfterreichifche Meifter, wie Defregger ein* 
beziehen, fpricht am beften bafiir, bafS auch in weiteren Streifen baS VebürfniS unb 
Verlangen nach allgemein oerftänblicher funftgefchichtlicher Aufflärung befteht, bie zur 
Velebung beS £>eimat3gefühleS, z ur VMirbigung unb (Erhaltung beS einheimifchen 
DenfmälerbeftanbeS ganz außerorbentlid) oiel beitragen fann. 

9tach biefer Abfchweifung, bie wohl am naturgemäßeren an bie ©egantini- 
AuSftellung birect angefchloffen würbe, zurüd S u ben übrigen Veranftaltungen ber 
„©eceffion"! 3h*e 3rrühjahr3 = AuSftellung, mit welcher bie erfte AuSftellungS- 
befabe abfchlofS, war infoferne noch mehr auf ben burch bie unmittelbare Vor* 
gängerin angefchlagenen Xon geftimmt, als fie zum erftenmale eS unternahm, ein 
gefdjloffeneS Vilb ber mobemen öfterreichifchen Slunft zu geben unb an 
einer Auswahl beS Veften zu Z^u, was fie bereite erreicht unb auf welchen 2Begen 
unb mit welchen Mitteln fte weiterzufommen ftrebe. Der ^auptfadje nach mufSte 
biefe AuSftellung einen auSgefprodjenen VZiener 3ug annehmen unb zeigte manch' 
achtenswerten JJortfchritt ber neuen Dichtung, bie ebenfo energifch als zielbewusst 
um ©eltung ringt unb fich in oerhältniSmäßig furzer 3eit wohluerbiente Veachtung 
zu ftchem oerftanb. @3 hatte gewifS oiel für fich, erft, nachbem baS Vublicum — wie 
baS Vorwort beS StatalogeS oerfichert — oor ben (Emanationen frember $unft- 
anfchauungen feine eigenen theilS berichtigen, theilS feftigen gelernt, oor bemfeiben 
burch eine AuSftellung beS Veften zu marfieren, „oon welchem fünfte aus bie 
eigene $hätigfeit ihren AuSgang nehme". Denn man gab an berfelben ©teile mit 
Dollem Otechte zu, bafS mit biefer Veranftaltung noch „nicht ein erreichtes 3iel 
gefeiert" werben folle, welche Vefcheibenheit zmar angenehm berührt, aber nicht ganz 
mit (Erörterungen im Anfdjluffe an bie zehnte ©ecefftonSAuSftellung übereinftimmt. 
Auch h eu te fann bie 3öiener ©eceffton trofc manch' fchöner Leiftung unb manches 
trefflichen XalenteS feiner Mitglieber nicht behaupten, bafS fie zu ih*em engeren 
Streife einen wirflich großen, bahnbrechenben unb machtooü führenben Meifter zähle, 
ber, wie in anberen oielgenannten ftunftepochen ober an wenigen VZenbepunften beS 
StunftlebenS, alles in ben Vann feiner genialen Verfönlicßfeit zwingt; Auffehen zu 
erregen unb im Anfdjluffe an ftunftfchöpfungen lebhaften ©ebanfenauStaufch über 
bicfeiben unb ©runbfäße beS MunftgenuffeS, fowie über baS $Re<ht ber Eritif ein- 
Zuleiten, bezeugt noch nicht baS Vorhanbenfein eines foldjen Führers, fonbem 
höchftenS einer Darbietung, in beren feineSwegS übereinftimmenber Veurtljeilung 
entgegengefeßte Anfchauungen ftarf aufeinanber prallen. 


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©teuer Äunftleben (Jänner bis 3uli 1901). 53 

$ieS mar ber gatt bei ©uftao ^Iimt§ „SDebicin", gleichber oielbefprodjenen 
„Shitofophi*" atö geftfaalfchmucf für bie ©iener Unioerfität beftimmt. 3m 33er* 
gleiche ju legerem ©erfe (äfst ficb ein gemiffer gortfchritt, eine gemiffe Abflärung 
nicht oerfennen. Som Stanbpunfte ber garbentedjnif unb ber ©ompofttion überragt 
bie „aJtebicin" unzweifelhaft bie „Shifof°Pbie"; ihre rein malerifchen Dualitäten finb 
erheblich bebeutenber. ©leichmohl ftanb weitaus bie üJtehrjahl ber Sefucher bent 
©erfe mit bem ©efühle auSgefprodjenen UnjufriebenfetnS unb üJUfSbehagenS gegen* 
über. Dicht Sielen gelang eS, ohne eingehenben ©ommentar ftch in bem aufeerorbentlich 
lebhaft bewegten 3)urcheinanber ber um ben £ob gruppierten giguren nur hnl&megS 
jurechtjufinben unb menigftenS bie ftauptmotioe richtig ^erau^ufd^ölen. 2)ie 3reft= 
ftellung biefer $hatfache foll feineSmegS ben ginger auf einen unter allen Umftänben 
rounben Sunft legen. Auch 3 U anberen 3*itm unb an anberen Orten fmb oiel* 
gepriefene unb noch h ey tc mit Decht bemunberte Dteifterwerfe meber oon allen Seit¬ 
genoffen noch oon fpäteren ©enerationen fofort in allen ©injelheiten oerftanben unb 
aufgenommen roorben; um bie Deutung mancher nicht gerabe weit jurüdliegenber 
müht ftch heute bie funftgefchichtliche gorfchung immer wieber ab. 3 mm erhin wirb 
aber bie leichte inhaltliche Serftänblichfeit einer monumentalen ftünftfchöpfung bie 
Serbreitung ber Kenntnis unb Schälung beS ©erfeS gar toefentlich unterftüfeen 
unb jur geftigung einer barin oertretenen neuen Achtung befonberS beitragen. 3)iefe 
5Doppelaufgabe, toelche für bie ©mführung neuer Anfchauungen auSfchlaggebenb 
werben fann, hut ftlimt’S „ÜWebicin" nicht gelöft. Auch fte ift ein emfteS, tüchtiges 
©erf beS DteifterS, aber fein Triumph ber SHobeme, bie noch SeffereS unb AuS* 
gereiftereS bringen mufS, roenn fte neben älteren, bereit theilroeife in Serruf 
gefommenen Dichtungen einft oor bem Urteile ber ©efchichte in ©h ren beftehen will. 
S)ie §eilSgöttin mit bem nachbrücflichften fcinmeife auf alles bem Xobe Serfatlene 
in unmittelbarfte Serbinbung zu bringen, ©erben unb Vergehen beS üttenfchen ihr 
beijuorbnen, mar gemifS ein nicht gerabe ferne üegenber ©ebanfe. Aus bem 
©eftaltengemirr um ben lob in ber ftlimt’fchm „Diebicin" über ber burch bie 
ASfulap*SchIange fenntlichen £>pgiea tritt er oiel weniger flar zutage, als er follte, 
um ju feffeln, ju überjeugen unb babei zugleich für bie Art ber StorfteHungSmeife 
unb ihre Dichtung zu gewinnen. 

®af« ber zehnten SeceffionS^AuSftellung ftlimt’S „Dtebicin" tro&bem ein 
^auptjugftücf würbe, lag in anberen, fpäter noch näher zu erörtentben Umftänben. 
2öaS fte aufeer biefem ©erfe enthielt, liefe in ben Schöpfungen ber mobemen ©iener 
oiel lebenbigen SchönheitSfmn unb oftmals einen feinen ©efchmacf erfennen, ben 
Srof. Kolo Dtofer unb bie Arbeiten Seopolb Sauer unb gof. tyktnil befonberS 
auch in bem ganzen Arrangement ber Aufteilung bethätigten. 9Jtit einem unbeftreit* 
baren Sehagen nahm man abermals bie niebrige 3«hl ber nur 209 Dummem um* 
faffenbeu AuSftellungSgegenftänbe hin, bie einem ©enuffe berfelben ohne Abfpannung 
unb ©mtübung fehr juftatten fam. 

Unter ihnen 30 g fchon burch bie Art ber Anorbnungen eine ©alerie oon 
SorträtS an, in welcher 2ift, SDehoffer, Auchentaller, Ant. Domaf, SUimt, Anbri 
Äurjweil, Sacher, ©. 2uffch*9JtacomSfp fehr achtbar oertreten fmb. 2>en ©iener, 
fprach wohl ganz befonberS Sacher’S — fpäter auch in ÜJtünchen beifäüig begrüfeteS — 
„SilbniS jweier grauen" mit feiner liebenSmürbigen 3nnigfeit unb fchlichten Sor* 
nehmheit an; auch bie buftige Anmuth beS oon ©uft. ftlimt beigefteüten tarnen» 
porträtö, über bem ebenfo oiel Scfjalfhaftigfeit als holbe ©eiblichfeit lag, fanb laute 


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54 


3ofeph Reuwirth. 


5lnerfennung. ©ie würbe nicht miitber 3ferb. 5Inbri jutfjeil für bie padenbe Gebens* 
Wahrheit, mit welker er ben Bilbhauer ©chimfowiß oorführte. treffliche ©harafteriftif 
gelang bem ßrafauer 3Jie^offer in bem fonft nicht anjiehenben Bilbniffe eines 
t)octorS. ©ie oernachläfftgt jugunften non färben* unb BeleuchtungSfpielereien, bie 
l)ier gar nicht am Blaße finb, ber in üftünchen lebenbe Rub. Rifel in feinem ©elbft* 
porträt. 5Iuch außerhalb ber mit einer geroiffen ©efchloffenheit auftretenben BilbniS* 
gruppe fanben fich noch mehrere tüchtige Bilbniffe an anberen ©teilen beS ©aaleS; 
aufeer einer ftlimt’fchen t)ame in ©chwarj mit oielen coloriftifchen ^feinheiten ein 
§>errenbilbniS©ngelhart’S, beffen „Sanbftreicher", tro^ gewiffer Vorzüge ber 5luffaffung, 
faum über Vfittelmäfeigfeit hinauSfommt, weil ihm bie eigentliche Vertiefung fehlt. 

Rächft bem Bilbniffe bot bie Sanbfchaft manch’ oortrefflicheS ©tüd. 9Rit 
märchenhafter garbenftimmung oerflärt ÜJtap. Senj in feineni anmutigen triptpchon 
„5lm 3Sege jum Bhmberlanb" fomohl ben poetifchen Sichtertanj unb ben prächtigen 
Btalbfee, als auch ben Saubfönig. QebeS Sicht* unb ©chattenbetail fteht im t>ienfte 
fein abgeroogener BMrfung, bei welcher peinlich genaue Berechnung nicht fo erfichtlich 
ift, wie bei SJtoll’S großem Qnterieur, baS jwar eine 3iiHe oerfchiebenartigfter, glänjenb 
beobachteter unb oirtuoS oorgetragener Sichtwerte bietet, aber oon einer gewiffen 
unbehaglich wirfenben ©efuchtheit nicht frei ift. Söeit mehr Beifall fanben beSfelbcn 
MiinftlerS „©änfemarfch" ober „VergifSmeinnicht"«, feine „BMnterfonne" unb „©urnpf". 
9Jtehr als bie in blau oioletter Dämpfung oerfchwimmenbe 5lbenbftimmung BMlhelm 
Bernat$iFS jieht bie fyettt ^arbenfreube 5lnt. RowafS an, währenb fich mit ber 
£pper t>achauerei, welcher 51. ^öljel bis $ur Unfchönheit hnlbigt, faum Biele $u 
befreunben oermochten. 2Bie anberS oerfteht eS ba $. o. Btprbad) intimen Reijen 
ber Sanbfchaft beijufommen, bie ©uftao ftümt gleichfalls in mehreren fleinen Bilbem 
ebenfo jart ju empfinben, wie malerifch feft$uhalten weife. $n’S Sanbfchaftliche ftreiften 
theilweife auch bie 5llt*2Berfe „Qrriefach", „Blaß in £>aüftatt" unb „Jriebhof in 
©aftein" hinüber, an benen beS greifen BteifterS Verehrer fich aufrichtig erfreuten, 
troß mancher gärten unb 5lbfonberlichfeiten burchbringt $ran$ 2ö. 3äger’S Arbeiten 
ein ftarf entwidelteS ©efühl für 5Birf ungen lanbfchaftlicher ©igenart, baS freilich an 
bie äraft beS mitimter etwas berb jugreifenben 51.§änifch nicht heranreicht. 5lb unb ju 
mochte manch’ 5luSfteüungSbefucher gerabe in einzelnen Sanbfchaften, welche ein 
vielfach erfolgreich unb ehrenooll gepflegtes ©enre ber öfterreichifchen Stunft nur 
glüdlich weiter ju oertreten fchienen, oergebenS bie eigentlichen ©eceffionSqualitäten 
ober baS, was bie Btenge fchlechthin bafür hält, fuchen. ©S jeigte fich gerabe in 
biefer ©ruppe, bafS beS trennenben burchauS nicht fo oiel ift, um erfreuliche Be¬ 
rührung mit anbern unbebingt auSjufchliefeen. 

$n feiner 5irt einzig ftanb 5* Bfprbach, beffen Vielfeitigfeit auch ein oon 
Badhaufen auSgefiihrter ftniipfteppich bezeugte, mit feinem ©chlachtenbilbe ba, 
baS bem h^benmüthigen Vorgehen beS 54. Infanterie Regimentes „5llt-©tarhemberg" 
bei ©ommacampagna am 24. ^uli 1848 gemibmet ift. ÜJtit bem gefchichtlich befannten 
„Dritese Hanaci“ feuert ber Oberftlieutenant Baron ©unftenau, beffen Tochter ^rau 
©bith oon ÜJtauthner^Vtarfhof baS Bilb bem Regimente fpenbete, bie Btonnfchaft 
jum ©türme an. t)cr ehemalige Cfficier im Btaler h^t h* er mit feinfühliger 
Befchränfung auf alles Btefentliche, mit einer felbft bis in bie Bferbehaltung 
bringenben pfpdjologifchen Vertiefung, mit ber bunftigen lointergrunbftimmung ber 
Sanbfchaft ein gan$ oortrefflicheS ©chlachtenftüd gefchaffen, baS ba jeigt, bafS eS 
unS nicht an Btalern mangelt, welche grofee Momente unferer 5lrmeegefchichte ooll 


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SBiener ßunftleben (Qcinner bi« ftuli 1901). 


55 


ju erfaffen unb mirfung«ooü barjüftcücn miffen. 5ln innerer ©efchloffenheit ber 
©ompofition wie in ben $rarbenmerten fteht ÜJtprbadf« ©chöpfung erheblich über 
bent im oorigen §erbfte im Siünftlerhaufe auSgeftellten „©aoalleriefampfe bei ©tr ejetifc" 
non ©ochor, objmar le&terer roeit prunf* unb geräufchooller auftrat, ma« allerbing« 
bie Mängel be« 2Berfe« nicht ju oerbeefen oermochte. Da« wirtlich Skbeutenbe be» 
hauptet auch ün fchlichteren ©ewanbe mit feiner 9taturmahrheit immer feinen 3Bert. 

3n feinen acht ©oinpofttionen jum Härchen „Der geftiefelte ftater" h<U 
ßiebenmein ein 3Berf ooü naioer grifche, föftlicher fiaune unb einer in bas 3Befen 
be« beutfehen ÜJtärchen« glütflich einbringenben Gharafteriftif beigeftellt, beffen 3feacb" 
tung roirflicb roohlthat. ©in herber 3 U 8 geht burch ben ©pclu« „Die s J$eft" ^on bem 
Frager 5eliy Renern ein, ber menfchlichem ©lenbe tief in« 5luge geflaut haben muf« 
um bemfelben fo hetjbemegenbe löne abjugeminnen; nicht jeber ift gan$ rein, aber 
bas ©anje paeft, objwar ©injelheiten etwa« Ouälenbe« unb ©equälte« befifcen. 511« 
SJteifter ber Kubierung erweist fich mieber gerbinanb © chm über, ob er nun bie 3üfle 
3kml §epfe’« mit vorzüglicher ©harafterifierung«fraft fefthält, ben 33ilbhauer 5ior» 
fchann in feinem 5ltelier norführt, harmlofe Vorgänge be« 5lUtag«leben« bchanbelt 
ober mit feinem Sölicfe fportliche ©leganj einer jugenblichen Leiterin mit ihrem »toffe 
jum ©egenftanbe fiinftlerifcher Darftellung wählt. 3 e t1 m a r’s „©timntungen" fmb nur 
$um X^eil recht gelungen, $t o l b’S „5lpofalppfe" wirb be« 9Jtotioe« nicht gan$ §err. 
SJlancheS Unbeholfene boten bie 53uchfchmucfblätter oon &an« 'Jrjibram; bie Arbeiten 
oon 9Jt. fturjmeil unb ©. o. &empf fanben freunbliche Beachtung, beren ftch auch bie 
flotten ©ntmürfe oon 51. §pnai« für 3n>icfelbilbcr im böhmifchen 2anbe«mufeum ju 
*)3rag erfreuten. 

Unter ben ©culpturen mar nächft ber §er$ Qefu ©tatue oon Cthmar ©chirn» 
fomifc „Der 3öanberer" oon Dticharb fiuffch, einem noch jungen, oiel oerfprechenben 
ÜJteifter, bie bebeutenbfte ©chöpfung, beren ©ebanfe nach 5lngabe be« ftiinftler« auf 
ba« ©ebicht »Sombre Eglogue« jurüefgeht. Die tfaft quälenber ©ebanfen ruht mit 
fernerer 2Bucht auf bem 9tacfen be« jögernb unb argmöbnifd) Dahinfchreitenben, ber 
fich färoer auf ben §>irtenftab ftiiht. Der 5$ole 33ol. 3Mega« mirb immerhin noch einige 
3eit brauchen, bi« ihm bie fünftlerifch oollenbete $erau«arbeitung großer 3been, für 
bie er eine geroiffe Vorliebe befunbet, wirtlich gelingt. ‘Den „3öeltanfang" ober „Da« 
©nbe ber 3Belt" beroältigt er feineSmeg«. Da« angftoolle ©eftaltenburcheinanber be« 
lefcteren erfchöpft burchau« nicht ba« granbiofe Xhema. 5luch ba« „©efpräch ber ©e^ 
banfen" bietet birect unfehöne Serjerrungen, in welchen noch ©türm unb Drang ber 
Äiinftlerfeele etwa« ungeberbig burcheinanbermogen. 3Jlag auch *>iel gefunbe ftraft, 
Urfprünglichfeit ber ©mpfinbung unb ©efühleftärte in biefen 5lrbeiten fteefen, fo 
braucht hoch ba« 3htblifum nicht alle Unarten unb 5lbfonberlid)feiten, bie !eine«weg« allein 
ba« 5Befen ber „OJtoberne" auSmachen, ruhig hinsunehmen ober banfenb an^uftaunen. 
3ebe Ungeberbigteit, bie in anerfannt guter ©efellfchaft jur ©eltung lommen will, 
muf« — ohne baf« fie fich babei felbft ooüftänbig ju oerleugnen braucht — bem in 
berfelben brauche gewiffe 3wflcftänbniffe machen, üölofee 3laturwüchfigfeit 

wirb einfach abgelehnt. 5ln bem fehlen ber 33iega« 333erfe hätte bie ©eceffions=5luS- 
ftellung nicht« oerloren; in bem ihnen jugefaüenen §albbun!el fmb fie glüdlicherweife 
ohnehin faum alljufehr beachtet worben. Ireffliehe« ©ingehen auf ba« 5öefen einer 
3krfönlichleit zeigte 9ticharb ^at\6 in ber 53orträtbüfte be« ©omponiften s 5ater ^)art- 
mann, 9t. Xautenhapn in jener Ütub. 33raun ? « 


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56 


3<>feph 9teuwirth. 


Die Ardjiteftur oertraten Otto SBagner, tfeopolb Vauer unb Qofef ^Pleönit. 
SRehr als beS ©rfteren ftapujinerfirche unb ftaifergruft intereffierte fein Vroject für 
baS fyiftorifcfye Vtufeum ber Stabt Söien, burch baS ber Anfafc ju einem groben 3 U 0C 
geht. ©ine wirflich grobe Archtteftur im Sinne bahnbredjenber Schöpfungen anberer 
Stilepochen ift eS nicht; noch weniger Vauer’S ©ntwurf für baS IftathhauS in Qägern* 
borf. ©erabe in ber Vaufunft läfSt fuh bei ber Spröbigfeit beS SERaterialeö baS 9teue 
burchauS nicht fo rafch meiftern wie auf ben übrigen ftunftgebieten; fo finb benn 
alle Veftrebungen für einen neuen Vauftil bisher nicht über halb mehr, balb minber 
glüdlidje Verfuche hinauSgefommen. 

Xheüweife ganj oortreffüche formen bieten bie SUbergegenftänbe Otto 
2Bagner’S, an beren Ausführung auch bie Architeften ©mit §oppe, $arl ^ifchl, $arl 
©rünanger unb ber SJtaler Äarl ©berer ftch betheiligt haben $ier oereinigen fich 
praftifche 9lu&barfeit, bie auS bem 3roedmäbigfeitSgefühle ber ©onftructionSübung er¬ 
wächst, ©ebiegenheit unb Vornehmheit. Unter ben funftgewerblichen Objecten fielen 
ein ben Viebermeierftil wieber aufnehmenber, aber auf bie Vtoberae ftimmenber Vücher 
fdpranf ÜJtofer’S, eine Vriefpapiercaffette unb ein SRauchfäftchen oon Seopolb Vauer, 
eine Vitrine oon 3 . Jpoffmann anfprechenb auf; ihre Ausführung ftammt oon VortoiS 
unb giy. 

Die Xhatfache, bafS bie jehnte SeceffionS-AuSfteUung in ihrer ©efammtheit nur 
oon öfterreichifchen Zünftlern befchidt war, alfo eine öfterreichifche im engften Sinne 
beS VBorteS genannt werben mufSte, rechtfertigte hierorts ein etwas näheres ©ingehen 
auf ihre Darbietungen, ^bie beftimmt waren, einen Überblid über bie Veftrebungen ber 
üftoberne — oorwiegenb gerabe auf bem VMener Vobcn — ju geben. DaS ©efammt- 
nioeau beS ©rreidjten ift immerhin recht achtenswert; oftmals geben ©efchmad 
unb lebenbiger Schönheitsftnn ben ©runbton an. 9Jtit München, Verlin ober Darm- 
ftabt braucht bie VBiener Seceffion ben Vergleich nicht ju fcheuen. 2öaS fte in wenigen 
fahren ju leiften oermochte, wirb fein wahrer ftunftoerftänbiger unb Äunftfreunb 
mit mitleibigem Achfeljuden ablehnen, fonbern als Veweife emften StrebenS, mit 
neuen Mitteln unb mit einer neuen AuffaffungSmeife VebeutenbeS ju erreichen unb 
einen neuerlichen Auffchwung ber ftunft anjubahnen, näher in’S Auge faffen müffen. 
©ine Shmftrichtung, bie bereits ber ooUen Veachtung beS AuSlanbeS ftch erfreut unb 
in angefehenen auSlänbifchen ffachblättern, wie m Öonboner „Stubio" ober im 
„3rigaro ^DuftrS", ernftliche SBürbigung unb oiel VeifaU finbet, oerbient wenigftenS, 
bafS jeber, bem ein frifcheS ftunftleben §erjenSfache ift, feine Stellung ju ber 
üftoberne nicht blofe mit oftentatioer Vegation beS AuSftellungSbefucheS marfiere. 
s JtirgenbS thut für ein oerläfSlicheS, felbftänbigeS Urtheil pcrfönliche Anfchauung fo 
noth, als in fragen ber Stunft. 

9Jtan braucht trofcbem baS gute SRecht anberer Vteinung, ja felbft ooüftänbiger 
Ablehnung nicht preiSjugeben. VlinblingS in Äunftfragen unbebingt©efolgfchaft leiften, 
ift einfach Äopflofxgfeit. ©erabe bei ber jehnten SeceffionS-AuSftellung jeigte baS Söiener 
Vublicum, bafS eS fi<h feine UrtheilSberechtigung nicht oerfürjen laffe. Älimt’S 
„Vtebicin" erfuhr in weiten Greifen, beren Vefuchermenge gerabe burch bie an baS 
Vilb anfniipfenbe erregte DiScuffion in ben XageSblättern unb burch eine 3ntopdto*wn 
im Varlamente noch wefentlieh gefteigert würbe, eine auSgefprochene Ablehnung; alle 
gegenteiligen Vehauptungen fönnen biefe Xhatfache nicht auS ber 2öelt fchaffen. $rür 
jeben, ber ftunftfragen oorurtheilSfrei gegenüberfteht, gibt eS feinen 3n>eifel barüber, 
bafS bie Interpellation 0 . Sfene’S unb ©enoffen gegen baS fflimt’fche Vilb unb bie 


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3öiener ftunftleben (Sännet bi« Sult 1901). 


57 


bureb ba«felbe oertretene SRicbtung ebenfo wenig am mar, roie bie ©rflärung 
be« ©eceffion«obmanne« $arl ÜMI, roelcbe bie boeb roeitau« ben größten $beil be« 
Vefucberpublicum« bilbenben fiaien blofe jum ©eniefeen ber ftunftroerfe, fonft aber 
jum ©ebroeigen oerpfliebten roiH unb ba« Urtbeil über biefelben ber 9Racbroelt ju* 
roei«t. SBeber eine parlamentarifcbe Äörperfcbaft, noch eine bebörblicbe Verfügung 
farni bie fjortentroicflung non Äunftricbtungen bauemb beeinfluffen, roelcbe, roie 
bet Unterricbt«minifter Dr. non fcartel in ber 3nterpeüation«beantroortung febr 
jutreffenb bemerfte, „bureb tieferliegenbe Vkmblungen be« gefammten materiellen 
unb geifügen Seben« bebingt werben." Qm 3ufammenbange bamit hob ber Unter* 
ricbt«minifter mit 9Recbt ^cruor: „Der geläuterte ©efebmaef be« funftfinnigen Vubli* 
cum«, in meinem eine gefunbe fömftricbtung allein auf bie Dauer ihren ftalt finbet, 
febeint ein nerläfSlicberer unb gerechterer Siebter, al« e« eine Vebörbe ju fein ner* 
möchte." ©efunbe Äunft unb Läuterung be« ©efebmaef e« be« publicum« fteben in 
unbeftreitbarer 2Becbfelbejiebung. ©ine @efcbmacf«läuterung fann ftcb aber nur noll= 
jieben, roenn 9lnfcbauung eine« Stunfüoerfe« unb anregenber ©ebanfenau«taufcb über ba«* 
felbe innig §anb in £>anb geben, ©o gut bie Äunft bie ^rreibeit be« ©ebaffen« al« ihre tfeben«* 
bebingung in Shtfprucb nehmen barf, roirb ein gefunber ©efebmaef jeberjeit ba« SRecbt 
nneingefebränfter (Erörterung über Äunftroerfe unb ftunftfragen für ficb beanfpruchen 
bürfen. 2Ber ftolj an bie ©üm feine« §aufe« fe&t „Der 3üt ihre $unft — ber 
ftunft ihre Sreibeit", muf« auch ben 3ütgenoffen ba« oolle fHecbt ber ÜJReinung«- 
äufeetung über Eunftroerfe laffen, ohne roelcbe« eine gefunbe Stunftricbtung einfach 
nnbenfbar ift. 3bn* n an ber ©ebroeüe be« 20. Sabrbunbert« jujumutben, ftcb betreff« 
be« SBerte« non $unftf<böpfungen mit einer erft oon ber 9lacbroelt einjulöfenben 
Urtbeil«anroeifung ju begnügen, fonft aber in ehrfürchtigem ©ebroeigen ju oerharren 
unb an ber Vebeutung au«gefteüter ftunftroerfe nicht ju jroeifeln, geht entfebieben 
oiel ju roeit. Daf« bie $unft unferer 3üt, roie 9JM behauptet, ber überroiegenben 
ÜJtehrheit ber ©ebilbeten fremb bleibe, entfpriebt nicht ben Xbatfacben. Die aüjährlicb 
in fo oielen ©täbten üeranftalteten $lu«ftellungen, ihr roaebfenber Vefucb, bie mannig¬ 
fachen, auch in ^ßrioathäufer roanbernben Einläufe beftäügen gerabe ein 3unebmen 
be« ftunfüntereffe« im Vergleiche ju früheren 3«ten. Da«felbe ift ohne freie« 9lu«* 
fpreeben über ftunftroerfe nicht möglich; lefctere« läf«t ftcb nicht einfach binroegbecre* 
üeren, roenn man fonft regen Vefucb ber 9lu«fteüungen, ©rtbeilung üon Aufträgen, 
Anläufe erwartet, bei welchen Veranlaffungen e« ben Zünftlern hoch geroif« lieber 
fein muf«, überroiegenb ein publicum nor fld> ju haben, ba« ficb beftrebt, eigene« 
Urtbeil ju befi&en. ©ine noch um ©eltung ringenbe Dichtung follte etroa« mehr 
Dulbfamfeit beroeifen; aüerbing« beobachtet man, baf« meift neue ©trömungen im 
Äunftleben gleich rücffi<bt«lo« gegen ihre Vorgängerinnen unb ihre 3*it geroefenftnb. Vter 
aber felbft Dulbung unb unbebingte Freiheit für ficb in 2lnfprucb nimmt, barf fie 
nicht gerabe bemjenigen roefentlicb befebränfen wollen, an beffen ©enuf«fähigfeit für 
bie ebelften Darbietungen be« 3Jtenfcbengeifte« feine eigenen ©chöpfungen appellieren, 
©leicbe SRecbte, gleiche Vfücbten! Da« Sach ftummen ©enuffe« läf«t unfere 3^it ftcb 
nicht mehr auflegen. Der ©treit um ftlimt’« „Üftebicin" hat auch noch anbere Ve* 
hauptungen au« ftünftlerfreifen gejeiügt, bie ju roiberlegen ben DRahmen biefer ge* 
brängten Überficbt roeit überfebreiten roürbe. 9tur eine fei noch erwähnt. Xherefe 
Seobororona 9Rie« erflärt: „Der furchtbare JJeinb, ber ftcb jroifeben ben febaffenben 
ftünftler unb ba« Vublicum brängt, finb bie ©alerien, bie SQRufeen." ©eroif«, ohne 
ba« erhaltene ©rofce oergangener 3üten fäme ba« Vebeutenbe, oielleicbt fogar ba« 


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58 


Sofepb SReuroirtb. 


Mittelmäßige bcr ©egenroart oiel rafcber zur ©eltung, roeil man eS als einzige 
Offenbarung biunebmen mürbe. VMrflicb HetoorragenbeS unb ©enialeS roirb fi<h all* 
Zeit feinen neben großen Schöpfungen ber Vergangenheit erobern unb biefelben 
alö SERafeftab für feine eigene Vebeutung nicht miffen rooüen; benn eS mufS einem 
groben Meifter nur ermünfebt fein, bafS burd) Vergleichung ber VJerfe oor aller 
V$elt offenfunbig roerbe, um mie oiel Haupteslängen er bie Söeflen aller ©poeben 
überrage. SBiirbe $Umt heute einftimmig ber Vorrang oor einem Michelangelo ober 
'JtubenS ober einem ber groben Venezianer juerfannt, fo märe eS fraglich, ob noch 
jemanb aus ftünftlerfreifen bie ©alerien unb Mufeen als furchtbaren geinb ber 
fchaffenben Mnftler bezeichnen mürbe. Man machte für ben 5aU Älimt eben alle 
Mbroebrmittel aus ber ©ntfchulbigungSrüftfammer mobil. Selbft ein Öefeabenb ber 
„©oncorbia" mürbe oon Hermann Vahr ju einer „Vebe über ÄUrnt" benüßt, in 
melcber ber geiftreiche ©onferencier mit ben ©egnem beS Älimt’fchen VilbeS ziemlich 
ftreng in’S ©ericht gieng unb zum Schluffe fogar auf bie ©oentualität anfpielte, 
bafS bie Rührer ber SeceffionSberoegung ben VuSroanberungSgebanfen — oielleicht 
nach bem ber Mobeme fo freunblich gefinnten ^Darmftabt — ermägen möchten. 3)a= 
gegen fanb ber Schriftfteller Vaul Jöilbelm ben geroifS fchön ^mftebenben Mutb, in 
einer anberen ©onference bie Seceffion „als ein burch bie 3*it gebenbeS lieber" z u 
bezeichnen unb bem ftimftler einen hoben ©rab oon Pietät, $lnfchlufS an bie fünft* 
lerifebe Xrabition zu empfehlen unb ihm überhaupt oorzubalten, er ftebc leiber beute nicht 
auf bem Stanbpunfte, bafS er „ber Menfchbeit gegenüber geroiffe Verpflichtungen" habe. 
£>aS Maß ber s Jteclame für bie Seceffion machte enblich ooll bie ©onfiScatkur jenes 
HefteS ber SeceffionSzeitfcbrift „Ver Sacrum“, baS Sfizzen zu einem öffentlich auS* 
geftellten ftunftroerfe (ftlimt’S „Mebicin") brachte; erfolgte auch hie Aufhebung ber 
Vefchlagnabme, fo mar hoch baS Heft, mie baS 28erf nur noch intereffanter gemorben. 

So bat bie zeb«te s 2luSftellung ber Seceffion, roclcbe baS neue 3abr ntit 
einem prächtigen Malenber begrüßte unb zu beffen 9luSfchmüdung fein ftihfierte 
Beiträge oerfchiebener Mitglieber gefchmacfooU oereinigte, auch hie ©rörterung mistiger 
©runbfäßc für baS ganze ftunfileben in glufS gebracht unb mit berfelben eine 
Steigerung beS MunftintereffeS unb töunftoerftänbniffeS erzielt, ßefctere fei unS an 
bem Veginne beS neuen QabrbunbcrteS ein oerbeißungSoolleS Anzeichen für Höhung 
beS ftunftlebenS in ber 3ufunft. 3e reger bie SHScuffion, befto ferner bie Stagnation! 

2öie nach hetn Sturme bie s 2Bogen aUmäblich fi<h mieber beruhigen, fo folgte 
auch ber eben erörterten ©rregung mit ber elften $luSftellung ber Seceffion 
eine zu)ar beachtenSraerte, aber nicht 2lußergeroöbnlicheS bietenbe Veranftaltung. Sie 
führte bie Vierte bes orbentlicben MitgliebeS 3»ofef Victor fträmer, befonberS 
feine fiinftlerifche Ausbeute einer längeren Steife nach $gppten, Sprien unb Valäftina, 
oor. ©inzelne Stüde liefeen überzeugenb bie befonbere Anlage beS MeifterS erfennen, 
in bie Sonberbeiten frember fiänber unb ihrer Veraobner fid) feinfühlig zu oerfenfen. 
5lber auch bie fonftigen Arbeiten, roelche ftch biefem intereffanteften Xtyilt anreibten, 
bezeugten ebenfo oiel emfteS Streben als ein mit höbet 9luffaffung ber Aufgabe 
auSgebilbeteS fchöneS Talent, oon bem mir noch Reiferes erroarten bürfett. 

“Sie ©enoffenfehaft ber btlbenben Slünftler VHenS eröffnete baS 
20. ^abtbunbert mit einer febr anregenben unb lehrreichen 9lquarelliften‘9Iu$* 
ftellung im Zünftler häuf e, roelche mit ber früheren 3eühuung$*VuSftetlung 
ber Seceffion ben Vergleich nicht zu fcheuen braucht. 3n fieben Säle maren nahezu 
400 Hummern oertbeilt, barunter ganz reizenbe Sachen, roelche oiele Vefucher roirflich 


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Söiener Zunftleben (Jänner bi« 3uli 1091.) 


59 


freuten unb gerabe bie öfterreichifchen SJteifter auf einer anerfennen«wertcn 

©tufe ber Seherrfchung be« Aquarell« jeigten. ^icfelbe tritt ganj befonber« in ben 
Sanbfchaften $utage, auf jenem ©ebiete, für welche« bie SJtoler Öfterreich« burd) ba« 
ganje 19. 3<*hrhunbert einen ganj aufeerorbentltd) geübten ©lief, feinen ©efdpnad unb 
tüchtige Schulung befunbet haben. 2)ie Au«wahl ber SStotioe ift oorwiegenb gefällig; 
faft nirgenb« regt fich ein fchaufteHerifche« Sfaturburfchenthum in aufbringlicher 
2öeife, eher oerein$elt etwa« conoentionelle 3ö^m^ett f ber bie Stüdficht auf feine 
©efellfchaftsfreife oorfdpoebt. darüber fann allerbing« ab unb ju bie SBahrhaftigfeit 
be« Serhältniife« jur Statur felbft leiben unb auch ein ©tüd lebhafteren Zünftler- 
naturelle geopfert werben, wenn man fi<b ju bem 3ugeftänbniffe bewegen läf«t, bie 
Statur nicht fo ju bieten, wie fie tbatfäcblicb ift, fonbern fte gewiffermafeen auf einen 
conoentioneßen $on $u ftimmen. $)a« 3 art ßr duftige unb ©onnige hot’« ben Sanb* 
fcbaftemalem Öfterreich« angetban. ©h ar l em ont’« „Säume am ©ee", ©imont)’« „SUd 
in’« SDlarcbfelb", £)arnaut’« „©onniger fterbfttag" oertreten biefe Stiftung, ber ftcb 
auch tüchtige Arbeiten ^ermann ©öbl’« anfdjliefeen, auf« glüdlicbfte. Stibarj, 3etfcbe, 
ttubwig §>an« 3ifcber, ber imprefftoniftifcb angehauchte J&einrich Xomec bleiben h'«l cr 
ihnen nicht jurüd. 3)aoib Zahn erhebt fich bereite ju einer ebenfo au«brud«ooflen 
wie einbrtnglicben 5öiebergabe bee perfönlid) ©h<*rafteriftifchen, in welcher ihn 8eo 
Sernharb ©ichhorn mit feinen Sauernföpfen noch um ein gutee ©tüd überragt. 
Sernt bewegt fleh mit feinen „Alten Raufern am Steuen SJtarfte in 2Bien" erfolgreich 
in ben Sahnen, auf welchen Stub. Alt fo oiel Anerfennung geerntet bat. 3n bae 
Solf«leben bee Shtrftelprater« unb aue bem Söiener Sßalbe greift 3oh. Step, ©eller 
mit gefehlter £>anb tyintin, welchee bae baftenbe AOtag«treiben mit manchen Zunft¬ 
griffen ber ntobernen Sarifer, mit oerfchiebenen Söagntffen ber JJarbengebung 
bebanbelt, ohne überall bie oolle Seweglichfeit ber bargeftellten Serfonen ju erreichen 
Stoch mehr oon Sari« beeinflußt ift $heobor Srudner; mit feinen Jarbenfpecialitäten 
werben fich nicht ju Siele näher befreunben tonnen, objrnar manchee in feinen Sorträt* 
ftubien recht gelungen genannt werben rnuf«. ©ie jogen ba« publicum weniger an al« 
bie Sorträt« oon Zarl ßfröfcbl, unter welchen ba« jweier Heiner Stäbchen befonber« 
ben Seifall ber kanten fanb, aber inhaltlich merfmürbig leer bleibt. 3)ie« ©chidfal 
theilt e« mit anberen gröfchlwerfen, bie ftcb bamit begnügen, nur ba« Oberflächlich« 
in glatter Spanier ju geben, ohne auf bie §erau«arbeitung be« ©eelifchen fich näher 
cin§ulaffen. fterb. Srunner’« „$n ber ©infamfeit" fprach ebenfo an wie bie 3eichnungen 
3ofef ©turnt’« ober bie ^oljfchnitte ©teinmann’« nach SDtarolb’fchen Aquarellen. Unter 
ben beutfehen Zünftlern feffelte iiächft £>an§ o. Sartel«, beffen SJteifterfchaft fich ganj 
befonber« in raffinierten Seleuchtung«effecten bei ber 2)arftellung hollänbifcher Sifcher- 
mäbchen §eigte, über fübnen Ofarbenfpielen aber bie Vertiefung in ba« SSefen ftarf 
jurüdfteflt, ganj befonber« ber Zarl«ruher Zarl SStutter mit ber herjevquidenben 
3nnigfeit feinet Serhältniffe« jur Statur unb mit ber fehlsten SBärme feiner Vor* 
trage«; wie anhcimelnb weife er bie Steije alter ©täbtehen ju behanbeln! Iperfomer’« 
Srunffdjilb „3)er Triumph ber ©tunbe" mit feinem 2)ufcenb in ©mail au«geführter 
Aßegorien, in beten ©ompofttionen mehr flügelnbe Zünftelei als wahre Zunft ftedt, 
ift wohl ein prablenbeS ©djauftüd, aber feine wirtlich fiinftlerifcbe iieiftung gewefen. 
©r jog bie Aufmerffamfeit auf ftch, ohne thatfächlich ju intereffieren, wie e« ja bei 
5Decoration«arbeiten fo oft ber gall ift. Siel mehr fügten un« bie feinen 3^ichnungen 
be« hochbegabten ©pfi« ju, auch Sajjani, gragiacomo, bie 3ranjofen Soutet be 
SJtouoel, ßfaffaelli u. A. waren gut oertreten. 2)er Aquarelliften»©lub burfte feine 


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60 3ofepb Sfleuwirth. 

15. Zustellung mit ttecht als in bcr Jmuptfache gelungen unb ihren 3wecf 
füHenb betrauten. 

53ei ber 28. $a hreSauSftellung im ftünftlerhauf e beeinträchtigte 
junächft bie faft auf 700 gediegene 3ohl ber ZuSftellungSobjecte fowohl bie Znnehm- 
lichfeit eines leichten, nicht ermübenben ©enuffeS als auch bie Beachtung ber ftunft* 
werfe felbft, benen fid? ein nicht burch bie SrüHe bebrängter ZuSftellungSbefucher mit 
mehr IRube unb ^ntcreffe roibmet ©egen frühere Zustellungen ift bie ©enoffenfehaft 
ber btlbenben ftünftler SöienS auch in biefem fünfte bereits rigorofer geworben, Sie 
wirb aber in fcinfunft manche baS dJhttelmafe nicht überragenbe, einer perfönlichen 
9lote entbehrenbe Seiftung ruhig juritefweifen biirfen, ohne befürchten ju müffen, bafS 
in ihren Zustellungen irgenb eine roefentliche öücfe empfunben mürbe. $at bei einer 
fünftlerifch feineSroegS hetoorftechenben Zrbcit ber 9Jtaler nicht einmal etroaS perfönüch 
3ntereffanteS $u fagen, bann laffe man getroft SBerfe beifeite, bie roeber über baS 
können noch über baS Qnbioibuum einen weiteren Greifen roünfchenSroerten ZuffchlufS 
bieten. T)ie ZuSfteüungSanorbnung oerrieth fonft guten ©efehmaef. 

^Diesmal trat in ber ©efammtheit ber ZuStcßer bie ©ruppe ber öfterreichifchen 
Zünftler mit erfreulichem 9tad)brucfe in ben ©orbergrunb, gewiffermafeen baS in ber 
ahnten SeceffionS’ZuSfteHung gebotene SBilb unferer einbeimifchen Äunftbeftrebungen 
erroeitemb unb abrunbenb. Zn ihre Spifee teile fich ber tiroler ©gger*Sien$ mit 
feinem oortrefflicfe aufgeftellten ©emälbe „T)aS $reu$", baS eine ©pifobe aus bem 
tiroler ftreiheitSfampfe im Qfahre 1809 behanbelt. 2Bie oon einer 3BinbSbraut 
getrieben, wäljt fich bem ©efchauer bie 2J?enge ber jum Zngriffe loSftürmenben ©auern 
entgegen, wetterharte, jum Äufeerften entfchloffene ©eftalten, beten ftührung bie 
betben Ziten mit hocherhobenem ftreuje übernommen haben. 95or ihnen raft ber 
unerbittlich bahinraffenbe Tob einher, oerfinnbilblicht burch ben fanatiterten Ziten, 
in beffen ftnoefeenhänben bie bluttriefenbe Senfe SBerberben bringenb broht. T)ie ihn 
erfüllenbe 2öuth, ©ntfdjloffenheit unb ©rbitterung reifet ben hinter ihm mit SBaffen 
aller Zrt hinftürmenben Raufen jur äufeerften ZufopferungSfähigfeit mit, bie für bie 
SBertbeibigung ber Freiheit unter bem Schube beS 5>öcfeften baS frerjblut ju oerfpri&en 
bereit ift. ©in grofeer 3«9 gebt burch baS auch in ber Farbenbehanblung ungemein 
emft gehaltenen 33ilb, in bem bie ÜJtonumentalfunft ber ©egenroart fech wiebet ju 
anfehnlicher $öbe emporfchwingt. $n bem „ s -8üfeer" unb bem „§eil. ©rabe" wirb bie 
tfarbe etwas büfler unb hört; gute ©harafteriftif jeiebnet baS hiftorifche 93ilb 3ofef 
Specfbacher’S aus, unb burch baS „5Balbmnere" weht ferne Stimmung. Züe Zrbeiten 
bezeugen ebenfo ernfteS Streben, wie auSreifenbeS, noch ©röfeereS nerheifeenbeS können. 
3n bie ©ruppe beS fciftorienbil'eS jählt auch baS SBerf non $aul ^oanowitS 
„&er$og 3errp IV. non Sothringen führt ©lifabeth non ftabSburg heim", ganj in 
ber Zrt mittelalterlicher ©emälbe aufgefafst, aber in ben ©eftalten mobern empfunben 
unb mit manch mobemer 3Jtalwirfung bebaut. 3Bie ber DJteifter fich ober babei 
bemüht, im ©efammteinbrude SBerfen ber 3ett gletchjulommen, in welcher bie Scene 
fich abfpielte, lehrt inSbefonbere bie Starbenfreube biefer Schöpfung; fie Hingt an bie 
oft fo bunten Töne ber 93u<h* unb Tafelmalerei beS auSgehenben SJUttelalterS an. 
Zuf einem anberen SBilbe hot ^oanowitS ben TppuS eines „Zlbanefen" ungemein 
lebenswahr feftgehalten. T)urch feinen ftarbenoortrag jeiefenet fich döilba’S „Znbetung 
ber heil- brei Könige" auS, in welcher baS aus ber Jpiitte heroorquellenbe Sicht bie 
©ruppe ber Znbetenben wirfungSooll umfpielt. Zuf religiöfeS ©ebiet wagt fich bieSmal 
auch ber befannte <Plafatfünftler ZlfonS OJtucha mit einem ®aterunfer-©pfluS, ber 


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SBiener Shmftleben (Jänner bi« 3ult 190L). 


61 


ganj in bei* aufgeblafen fcotylen ©hrafeologie eine« 2>orö fid) bewegt, weber ergreift 
noch jur ©nbacht ftiiumt. 2öo biefe SBirfung oerfagt bleibt, ift bie ©ehanblung biefe« 
eigentlich barauf abjieleuben ©toffe« fünftlerifch oerfehlt. ÜRan lennt ÜRucha’S ©rt 
fonft $u gut, al« baf« man ernftlich baran glauben fönnte, er habe fykx fleh gerabe 
felber gegeben. SBeit mehr ergreift in ber 3)arfteUung beSfelben ©toffe« ber ©ole 
Qofef 9Jtencina Strje«}, ber jwifchen ben ©itten be« ©aterunfer« unb bem ©olf«leben 
innige Fühlung h«juftellen fich bemüht, ab unb ju in einer ©injelheit fich swar arg 
oergreift, im @an$en aber burch 3nnigfeit ber ©mpfinbung (Erbauung unb ©lauben 
an ben Inifer oon oben $u beleben weife, obzwar feine Orarbeneyceffe manche« ©b* 
ftofeenbe haben. Unter ben öfterreichifchen Sanbfchaftern intereffierte gan* befonber« ©ug. 
©chaeffer burch feinen an einem 9tooembemachmittage aufgenommenen „©lief auf ben 
©chafberg*©ebirg«ftod am SBolfgangfee", in welchem STOaffer, Suft unb ©ebirge gleich 
meifterhaft behanbelt fmb. bem „^eiteren ©priltage im 2öienerwalbe" bewegt fuh 
ber fchaffen«frohe Äünftler, beffen „üttotio bei ©reitenjee" gleich einem jart geftimmten 
„SBalbeSbunfel" freunblich anmuthete, wieber erfolgreich auf einem erft burch ihn 
in feiner eigenartigen ©djönbeit erfchloffenen ©oben. ©udj Jpugo 3)arnaut hat abermal« 
einige oortreffliche ©tüde beigefteuert, fo bie burch ßraft ber Jarbentöne auSgejeichnete 
„©irfenpartie", bie hübfehen ©totioe ber „©Balbftrafee", ,,©u« einem alten ©arte" 
unb be« „9torbifchen ©auernhaufe«". ^anfa’S „©appelallee" hält gleichzeitig bie 
©timmung oor bem SoSbredjen eine« ©ewitter« recht gefebid: feft. Jpeinrich $omec 
bot aufeer bem prächtigen ©ouacheftüd ,,©uf ber ©infchicht" unb bem ölgemälbe 
,,©m ©benb" ein burch jarte Sichtnuancen wirflich heworragenbe« 0*ofee« ©Bert 
,,©n ber $onau". Um bie ,,©t. ©epomuf=©tatue bei ©aljburg" weife Seo Oteiffenftein 
ein fchöne« ©tüd gut gefehener unb farbenfräftig wiebergegebener 9tetur glüdlich 
ju bannen, ©ie befriebigt mehr al« ba« Sanbfchaftliche in ben ©ilbern be« auf ben 
©Wiener ©uSftellungen fonft meift recht annehmbar oertretenen ©rager« ©nt fcubcöef, 
objwar über benfelben oiel poetifcher hauch liegt, ber aber in bem „©benb" burch 
©tumpfheit ber garbe etwa« oerlievt, weil lefttere nicht fo fchr bie ©benbftimmung 
erreicht, fonbern h«^abbrüdt Q[n ber „©fpche" wie im „©Ifentanj" bringt er bie 
©eftalten, bie für ba« ©ilb gar nicht« ju fagen haben unb ebenjo gut fehlen fönnten, 
nicht über eine fdjablonenhafte ©ofe hinau«. ©buarb ©eith’« 9taturempfinbung tritt 
im „herbftbeginn" ganj annehmbar jutage; ©bolf $>itfcheiner wählt für feine ©ilber 
©lotioe au« ber ©egenb oon $rai«mauer unb Sanglebarit unb erfchliefet fehr 
anfprechenb bie fReije ber fceitnat; ihnen geht auch ©buarb 3*tfche, 5. ©. in feinem 
©ilbe ,,©u« ©tein a. b. $on'au", in ben ©totioen ,,©u« bem ©Balöoiertel" unb 
,,©ei Sichtenwörth" oerftänbniSooll nach- $a« ©ilbni« war ziemlich gut oertreten. 
©ochwal«fi hat fowohl ben ©rafen ftojiebrobjfi, al« auch ben ehemaligen ©tinifter 
9Jtabep«fi lebenswahr charafterifiert; beSgleidjen ftellte SäSjlö Süchtige« bei, fo bie 
©orträt« 3b*er fönigl. ftoheit ber ©rbprinjeffin oon £>ohenjollern °bcr ber ©räfin 
©fefonic«, währenb ba« fehr conoentionelle ©ilbni« be« ©rafen frarrach im $oifon* 
Ornate oon S’©Uemanb ganj falt läfSt unb mehr ein IHepräfentationSftüd al« eine 
Äunftleiftung bleibt. 3öeit roirfungSooller präfentiert fich ba ba« ©elbftporträt be« 
flrafauer SJtoler« 3ofef iütencina &r&e«i. Über ©lätte ber ©ehanblung gehen bie 
©ilbniffe oon llarl gröfchl unb 91. o. ©lehoffer nicht hinau«; fie tonnen burch bie 
©rt ihrer ©uffaffung für bie betreffenben ©erfönlichfeiten faum einige« Qntereffe 
erweden. ©iel beffec gelingt bie« grau 9Jtarie SRofenthal*!patfchef, beren ÜJtänner* 
bilbni« neuerlich ba« tüchtige können ber ftünftlerin bezeugt, ©tarf an ba« ©orträt* 


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62 


Qofeph Aeuwirtß. 


artige ftreifen einige AepräfentationSbilber, wie bie „Zröffjtung beS Beroborfer 
Äaifer Sranj Qofeph’XheaterS am 27. ©eptember 1899" non §anS Xernple, ber 
„Befuch ©r. 9Jtajeftät beS ftaiferS bei §errn Arthur Ärupp in Bernborf 44 non 
Aubolf ©rooboba unb bie „Jpulbiguttg ber Söaibmänner ÖfterreidjS" non 3P0ntunt 
Ajbufiewtq, ber außer einer Anjahl non Borträtftubien auch bie Bilbniffe 
ber ©rjtjerjoge ftranj SJerbinanb non Öfterreid^Zfte unb Qranj ©aloator 
auSgefteHt hatte. Die Ausführung folcher, beftimmten fteierlicfyfeiten geltenber 2Berfe 
fteüt an ben Äiinftler hohe Anforberungen in ber Befchränfung feiner (Eigenart, 
auf bie eS bem Auftraggeber roeniger anfommt, als auf eine möglichft bilbniStreue, 
rein äußerliche Aneinanbetreihung ber Qefttheilnehmer. öeßtere mag in ben genannten 
brei Söerlen immerhin fo weit erreicht fein, um mäßigen Anfpriichen $u genügen, 
aber e$ fteeft in ihnen fooiel ©teifheit unb Xrocfenheit ber DarfteHungSweife, bafS 
baran bie Cebenbigfeit ber Bewegung faft erftidt. Derfelben bürfen auch Borwürfe, 
benen bie Beobachtung eines gewiffen Zeremoniells beftimmte ©renjen jieht, niemals 
entrathen. Qe beffer ber üfteifter ben ©tanbpunlt fünftlerifcher Freiheit mit einer 
folgen Aiidftchtnahme $u oereinen roeiß, um fo größer tuirb bie Söitfung feiner 
Arbeit fern. 2Bte haben hoch bie Ateifter anberer 3etten unb Böller ähnliche Borgänge 
IcbenSooll wiebergegeben! ©o lange unfere Zünftler ftch nicht ju ihrer Auffaffung 
befennen, werben ihre oielfach anS ©chablonenhafte ftreifenben 3eüfchilberungen 
immer abfaüen. @an§ BortrefflicheS bieten bagegen bie fleinen BorträtS oon Qftbor 
Kaufmann, ber ben armen polnifchen Quben auf ben ©runb ber ©eele fieht, ftch in 
bie ooüe Zrfaffung beS QnbioibuumS oertieft unb bei feiner Darftellung ftch perfönlich 
erioärmt. Den Xgpen beS Söienet BolfSlebenS wenbet ftch £)anS Sarwin mit ©lud 
$u; ebenfo intereffierle ©eilet burch Socalcolorit in feinem „Aachmittag ber Bfuigft* 
tooche im Brater $u 2öien" unb in einer „BJiener DJtorltfcene." Auf benfelben Boben 
führte Zarl Bippich mit feinem „ftarlSplafc 44 unb „©chwarjenbergplafe", bem „Bart* 
ring 14 unb „Aafchmarft 4 ' in ©ien ober mit feiner „Demolierung ber Qran$ QofepßS* 
Äaferne". AicolauS ©chattenftein läf^t unS auf einem inS Zigenthum beS^rafauer 
AationalntufeumS übergegangenen 9Berfe fogar einen Blid „Qn Untersuchungshaft' 4 
thun, in welcher bie Berhafteten mit ©chachfpielen ftch bie 3eit oertreiben. 

Qu ber ©ruppe ber Blaftif, in welcher Qoßann Ben! mit ben Borträt’ 
büften beS BaronS Bejecnp unb beS §>ofratßeS Brofeffor föapoft oertreten war, 
feffelte Aktiver A. o. £>opfgartner burch bie ©ipSgruppe „Samia", bei welcher 
namentlich ber fchöne Änabenförper oortrefflich gelungen ift. „OrefteS" unb ein 
„Qrrfinniger" oon Anfelm 3in3ler oerriethen feine Beobachtung beS ©eelenlebenS; 
§anS Bitterlich charatterifterte in ber im Aufträge ber Zommune SBien für bie 
Barifer 2öeltauSftellung auSgefithrten Atarmorbüfte feinen „©riöparjer" ein wenig 
§u fehr bureaulratifch. Süchtige Borträtbüften waren oon Aidjarb föauffungen bei- 
geiteüt. Die Arbeiten ber Zifeleure unb AtebaiÜeure boten faft ausnahmslos 
Beachtenswertes unb hielten ftch auf ber fröbe beS AufeS, beffen biefer $unft*weig 
ftch mit Aecht erfreut. Die SAeifterfchaft Aubolf AtarfchalTS trat namentlich in ben 
Bronjeplaguetten mit ben BorträtS ©r. Atajeftät beS ftaijerS unb beS ©chriftfteHerS 
ÄarlweiS jutage. ©charff traf in einer Denfmünje ben $opf öeS um bie görberung 
beS AMener ÄunftlebenS hochoerbieuten AicolauS Duntba ungemein lebenswahr. 
Die Bronjegebenltafel jur Zrintterung an bie Zinweihung beS XheaterS tn Bernborf, 
welche für £>errn Arthur ftrupp auSgeführt würbe, entbehrt auch in bem oon Aubolf 
Bernt ftamntenben architeltonifch'becoratioen Aufbau beS höheren ßunftwerteS. granj 


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dfiiener ftunftleben (Jänner bis 3uli 1901). 


63 


©arolif jeigte feine ©ielfeitigfeit in einem gefchmadood auSgeroählten Tableau mit 
©ufS* unb ©rägemebaiden. ©eter ©reithut'S ©ronjeplaquetten „Porträt" unb 
„dlutomobilclub" reiften ftch in biefe ©ruppe Dodfommen gleichwertig ein. 

dRit ©efriebigung fei hetnorgehoben, bafS auch bie dlrchitefturftubien unb 
©ntroürfe bieSmal etroaS mehr ©lafc fanben als fonft unb manches ^ ntcrc ff ante 
enthielten. dlra augenfädigften roar ber ©oncurrenjentrourf oon SRubolf $>id für 
eine Uninerfität in ©alifornien. ©in grober 3ug geht burch baS ©an$e, beffen 
©injelbeiten jebodj nicht burchroegS gleichmäfeig gelöst ftnb. fjranj Freiherr ü. Traufe 
unb 3[ofepb $ölf, döilhelm Qelinet, dRaj Regele, $arl unb Julius dRapreber, Heinrich 
döolf, CSfar Reumann, Arthur ©aron, $atl $rod unb dllfreb ©aftedij erbrachten 
ben ©eroeiS, bafS eS noch eine ftatlicbe dteibe oon dlrchiteften gibt, melcbe nicht 
jäh mit ader Überlieferung brechen, ohne babei gefdpnadloS jebe ©erüdfichtigung 
mobemer ©eftrebungen abjulebnen. döie immer, feffelte dlnton Söeber burch eine 
tlnjahl oon ©ntroürfen, bte roieber für fein feines ©titoerftänbniS fprachen. 

6 o tonnten bie in ber 28. ^ahreSauSftedung beS ftünftlerhaufeS oertretenen 
öfterreichifchen dReifter neben ber sehnten ©ecefftonS»dluSftedung auf aden ©ebieten 
mit ©hren beftehen, roenn auch feines ihrer döerte eine öffentliche $iScuffton he*' 
norrief, roelcbe fo Diel dluffehen erregte, roie bie burch Älimt’S „dRebicin" DeranlafSte. 
5)ie ÄünftIerhauS*dluSftedung enthielt aber neben ber öfterreichifchen dlbtheilung, bie 
bei einer gröberen ©efchloffenheit ber dlnorbnung roohl noch etroaS nachbrüdlicher 
jur ©eltung gefommen märe, gar manche ©djöpfung auSlänbifcher ft'ünftler, oor 
melcher man gerne oerroeilte. 

©S mar ein lobenSroerter ©ebanfe, ber ©rinnerung an dlrnolb ©ödlin eine 
Vorführung einer gröberen dlnjahl feiner döerte ju roibmen. öeiber lieb ftch bei 
ber Äürje ber 3eit unb bei ber ablehnenben fcaltung einiger ©ilbeigenthümer nicht 
gerabe Diel sufammenbringen. dlber unter ben jehn ©ödlin-Vilbern roar immerhin 
fo oiel ^ntereffanteS, bafS baS ©ödlin*©abinet ein beionberer WnsiehungS^ 
punft ber ftünftlerhauS - dluSftedung mürbe, ©raf ßarl fiandoronSft hätte in 
befannter liebenSroiirbiger 3uDortommenheit auS feinem reichen Shtnftbefi&e einen 
„Triton" beigeftedt, ber ju ben föftlichften dReereSbilbern ©ödlin’S jählt. 3>tt ihnen 
hat befanntlich ber dReifter theilrceife baS ©efte feiner felbft gegeben. dluch hier hat 
er bie ©inöbe unb baS ©raufen beS dReereS, über roelcbe ber behaglich auf ber 
Klippe boefenbe Triton bie klänge feines dRufchelborneS hin&iehen läfst, granbioS jur 
S)arftedung gebracht. $>te phantaftifch*frohe föünftlerlaune fpricht nicht minber aus 
bem w 3fifchenben ©an" unb bem „über einen dlbgrunb fpringenben ©entaurenpaare", 
bie aderbingS bem „Triton" nicht gleichfommen. Qn bie ©vuppe ber non ©ödlin 
fo oft unb gerne gebrachten ©iden am dReere gehört bie „IRuine am dReere" (int 
©eftfce ron ©h- ^h<Wh in döien), su beren triibfeliger dRonumentalität bie ganje 
Sanbfchaft in einer rounbetbar hetben ©trenge roirtungSoodft geftiinmt iit. dBelch’ 
©egenfafe ber dluffaffung ju biefem döerte fpiegelt ftch in ber reijenben „FritbltngShpmite" 
(©igenthum beS $>r. o. ©leichroeber in ©erlin) mit ihrer anjiehenben Farbenpracht, in 
ber roirfüch ein ganjeS ^ubellieb beS SenjeS erflingt! frier jeigt ftch ber ©olorift 
©ödlin ebenfo poefteood, als technifch grofe. dBieber ein anberer ©eift geht burch bie 
2 )r. ©arnid fieberet in dfiien gehörige „Cleopatra", beren 3üge jenen ber ©attin 
beS Zünftlers entlehnt ftnb; auf ihnen liegt ber ©chatten beS SobeS, auf beffen 
^etannaben foroohl ber gleifchton, als auch bie um baS Jpanbgelenf ringelnbe 
©chlange hinbeutet. 3« noder ©röge erhebt ftch ©ödltn, beffen jroei ©orträts Dom 


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64 


Qofepß ateuwirtß. 


Stanbpunfte wirtlicher 5Mlbni$meifterf<ßaft recht mittelmäßig genannt werben tonnten 
in feinem lefeten Söerte „‘Der Ävieg". ©S tßut bem Söerte ber Schöpfung feinen 
©intrag, baf« e« in ber Sluffajfung mit ben berühmten apofalpptifcßen Weitern 
Dürer’« ließ eigentlich naße berührt. 2luf einer dRäßre, an beren ftalfe bie ba« 
Unheil einläutenbe Schede baumelt, jagt ber orbengefchmücfte Tobe«fcßnitter mit ber 
Senfe einher; ihm folgen bie himmelftürmenbe 2Butß unb bie rüdficbt«lo« brein- 
fchlagenbe 3etftörung. Sie braufen über ber in grühling«pracht flebetteten Stabt 
baßm, beren aßnung«lofe 93ewoßner unb dBoßlftanb ihrem erbarmung«lofen Witte 
jurn Opfer faden foden. Die dßtrfung be« ©anjen ift jweifello« bebeutenber, al« 
auf bem befannten Söiibe Stud’« in ber dJlünchener *Binatotßef, mit welchem ein 
Vergleich ftdh gerabeju aufbrängt. SBödlin’« Wcitertriad oertörpert oiel gewaltiger bie 
Seben unb SBefiß oerßeerenben döirf ungen ber ©eißel ber dRenfcßbeit, ob$war bie 
garbenbeßanblung oon einer gewiffen Wo^eit nicht frei ift, bie freilich gerabe hier 
non bem dRcifter mit aibficßt in ben Dienft be« ©an$en geftedt fein mag. Selbft bei 
ber geringen dlnjaßl ber in recht befchränfter 3eit auftreibbaren döerfe mar ©ödlin 
im döiener Äünftlerßaufe immerhin gerabe nach ben charafteriftifchen Seiten feiner 
Tßätigfeit berart oertreten, baf« jebem 53efucßer tlar werben tonnte, wie niel unfere 
3eit mit bem Heimgänge be« dReifter« oerloren. 

dReßr burch bie ©efchloffenheit be« 'Auftreten«, al« burch einige ganj befonber« 
heroorragenbe Silber wirften bie StarlSrußer, beren SReicßthum an Sanbfcßafteu ftch 
über brei Säle nerbreitete, aber feineSweg« überad burch bie dRacßt be« dRotioe« 
unb feiner dJeßanblung fo ju feffeln oermoeßte, bafS nicht ab unb $u eine gewiffe 
©intönigfeit empfunben würbe, ©uftao Scßönleber befchränft fieß nicht nur auf bie 
jutraulicße dlnmutß feßwäbiießer Stäbtcßen mit ißren laufcßigen ©affen unb döinfeln, 
fonbern gebt auch ben Weiten Italien« unb anberer Sänber offenen ^ölideö unb 
mit farbenfießerer §anb nach; in ber dßiebergabe baßinfeßießenben döaffer« entfaltet 
er eine befonbere DReifterfcßaft, bie dtebelftiminungen gleich feinfühlig gerecht wirb, 
©r ift bie bebeutenbfte unb ftärffte Straft ber ftavl«rußer, neben welcher £xm« n. 
SSolfmann, griebrieß $admorgen, gran$ £>ein, dlbolf Sunfe, dRay Sieber ließ in 
norberfter Weiße ju behaupten wiffen. S3iel Temperament entfaltet Albert ftaueifen 
befonber« in ber „&eimfeßr oor bem ©eroitter". Die Seiftungen ber $arl«rußer 
Damen ^öertßa dBelte, ©milie Stephan, Jpelene Stroineper überragen bureßweg« nießt 
ba« dRittelmaß unb fönnten ganj feßlen, oßne baf« ber ©inbrud, beu bie SBerfe 
ber für bie ^Beurteilung ber StarlSrußer ©ruppe in Söetracßt tommenben dReifter 
ßeroorrufen, irgenb eine beträchtliche ©inbuße erleiben würbe. Angeficßt« ber fonftigen 
güde ber ÄarlSrußer wäre ber Aerjicßt auf Dinge, bie ja recht nett au$gefüßrt 
finb, bariiber hinauf jeboeß nießt« SBefonbere« $u jagen ßabeit, niemanbem feßwer 
gefaden. 

Die 3Borp«weber fteinr. Vogeler, Otto dRoberjoßn, £>an« Am ©nbe unb grifc 
Ooerbed waren wie immer feßr oortßeilßaft oertreten, Auch AMdp framaeßer erwarb fieß 
neue greunbe. Ant. o. döerner’« 53ilb „ftaifer aöilßelm I. bei ben Sicßterfelber ©abetten" 
erßebt fteß in nießt« über bie oben befproebenen döerfe Temple’«, Swoboba« unb Ajbu« 
fiewicj’, fonbern bleibt oielmeßr hinter biefen fünftlerifcß feineöweg« erfreulichen Darbie¬ 
tungen noeß um ein gut Stüd juri’td; ißni mangelt bie lebenbige SBejießung ber ©injel- 
ßeiten jueinanber unb compofttionede Abrunbung faft ebenfo, wie wirf ließ ntalerifcße 
©mpfinbung, bie mit ber 3«t ju gehen weiß, oßne baf« fie irgenb welche gewagte 
Seitenfprünge mitjumaeßen braucht, gür bie ©ruppe ber berliner dReifter ßaben 


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65 


SBiener Kunftleben (Sänner bi« 9fali 1901). 

31. Tormann, (Srnft Otto, £>ugo $ogel, @rnft ftauSmann, 3rranj 33ombach, ®ugen 
©rächt, 3Ufreb Scherte«, ©mft £>ilbebranb u. 31. manch’ gute« ©ilb bcigcftcucrt; 
ab unb ju märe eine ^armonifebere ^fatbinäufammenftimmung ermiinfebt, bie ©ortrag«* 
barten ju meiben nerfieht. Sehr lebenbig geftaltet JÖUhelm Kuhnert feine nor einem 
Steppenbranbe fliichtenben ©lephanten, bie bem ihnen auf bem f3rufee folgenben 
©erbetben gemiffermaben mit uofler ©rfenntni« ber ©efährlichfeit ber Situation ju 
enteilen ftreben. Die SBucht be« Dahinftürmen« be« entfeffelten (Elemente«, wie ber 
geängftigten Xbiere padt unmitlfürlich. ©aul ütteperheim’S „Umjug ber Kunftreiter" 
hält mirfung«noll lebenswahre $ppen feft. Die „Jpaibelanbfchaft" unb „©öhmerlanb" 
non bem ©tünchener (ShatleS 3. ©almiö, beffen „£>auS im SBalbe" ungemein an* 
heimelt, foroie ber „©irfenmalb", bie „3Ute ÜJiü^lc" unb ber „©uchenmalb" non ©eter 
©aul 2RüHer wetteifern miteinanber in ber Darbietung feinfmnig abgelaufcbter lanb* 
fchaftlicher Schönheit. ©ier Porträt« non Senbach’S §anb, unter roelcben ber ©erfön* 
licbfeit nach baS beS §ofratheS Dt. Dbeobor ©omperj am meiften feffeln mochte, 
im Kunftmerte aber nicht baS bebeutenbfte mar, jeigten auf« neue manche« non 
be« ©teifterS belannten ©orjiigen. Ulpiano« ©heca’S „&er Untergang Pompeji« 4 ' ift 
in feinen Dimenfionen ein grobe« ©ilb, beffen fünftlerifcber Inhalt trofe einer 
anfehnlithen 3rülle non ©totinen un« metfmürbig wenig fagt. Sie mürbe für eine 
monumentale ©efchichtSbarftellung non fo padenber ©raufigfeit noU au«reichen, roenn 
fte mit weniger theatralifcher Hohlheit behanbelt wäre. 

Die 3lu«ftellung im Künftlerhaufe war reich in greifen bebacht. 3Iubet bem 
für weitere fünf bewilligten Kaiferpretfe non 400 Ducatm für einen öfter* 

reichifchen Zünftler unb brei Karl &tbwigS*©tobaiüen, bie bem Karlsruher Schönleber, 
©ochmalSti unb ©aul ^oanowitS juftelen, tarnen nächft ben groben unb flehten 
golbenen StaatSmebaillen ber ökichel = KünftlerpreiS non 3200 Kronen, jmei nom 
Sruchfef« 0rtib Dobner n. Dobenau gewibmete ©hrenpreife non je 1000 Kronen, ein 
gleich hoher KönigSmarter * ©reis unb ber ©rei« non 20 Kronen non ber Schüfcen= 
gilbe ber 3Biener Künftlergenoffenfchaft felbft jur ©ergebung. 


(Sdjfaf« im n&djften $eft.) 



%\t Jlultur. UI. Salto, l. $eft. (1901.) 


5 


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9tad)bni(f verboten. 


Der Uerrätber. 

Bonrllr mm <E. fr. Ijanfr t l-TOaf f rUt. 


Si ceciderit lignuiu ad anstrum aut 
ad aquilonem, in quooumque loco ceci 
derit, ibi erit. (Eccl. XI. 3.) 



§err, erbarme $)icb meiner!" 


2)aS ift 9Jtario Salentini, ber ©omöbienfpieler aus SoScana, julegt ©ecretär beS 
englifcben Sltbeiften 3Jtoc ©nboll, ber feinen £>errn in Serlin nerratben bat an bie 
eoangelifcbe ©pnobe, uerratben bis aufs Slut, oerratben bis auf ©trang unb ©cbn> er 
baS ift 2Rario Salentini, ber ba im ©cblattmannbauS gegenüber bem ©driften 
ffgt, bie beifee ©tirne in beibe JQänbe oergraben, bie trüppelbafte Sruft an bie $nie 
gebrüdt, betenb: „O £>err, erbarme $)icb meiner!" 


Unten auf ber ©trage lärmt bie taufenbföpffge 2Jlenge, beren SButb er nur 
burtb ein Söunber entfommen ift, unb roenn aus bem roilben ©timmengemirr 
ein 9tame bewwffcblägt, hält er geh feie ©tim fefter unb betet er lauter: „£>err 
erbarme 3)icb meiner!" 


55>ie aHernäcbfte ©efabr ift jroar norbei; aber ber XobeSfdjrecfen liegt ibm 
non früher noch in ben ©liebem, unb barum betet er. 


©tbredlicb roar’S. 2Bie er nom ©cbroanen tommenb, norm fHatbbciufe, barin 
fein nerralbener §err bie Folter litt, auSfcbroagte — oerbammter SBein! —, bafS 
er feinen frerrn auS JpafS unb ni<bt auS (briftlicbem ©ifer überliefert unb bieS unb 
baS auf ibn gelogen hätte; bie Seute hörend; ftarre ©egcbter — groge klugen 
bann plöglicb. 


Salentini fcgüttelt geh,' feilte £>aut riefelt, als ftünbe neben ihm ber Xob. 
.... $ann plöglicb febrie baS rotbe ÜJtäbcben mit burebbringenber ©timme: 
$)u! $)u! S)u ©eburfe, 3)u! £>u! $)aS Stäbchen! $ein Stäbchen, eine fRacbegöttin, 
ein trompetenblafenber ©eridjtSengel! — ©r mar mit einmal nüchtern. „2BaS bab" 
ich gefagt? 3$ bab’ nichts gefagt!" Unb auf unb fort wollte er — aber brei, fünf 
geben Männer, eine ganje SJieute fegte ihm nach, hegte ihn bie ©panbauifebe ©trage 
hinauf, o £>err, erbarme $>icb! ßraft unb 2ltbem oerliegen ihn febon, ba fügt eS 
©ott, bafS aus ber $lanberSgaffe ein 2Bagen jroifeben ign unb feine Verfolger 
fährt; er ftürjt blinblingS in’S näcbftbefte offene $b°*i hört bie milbe $$agb oorbei* 
rafen, banft ©ott für feine Rettung, unb fobalb ihm bie aitternben Seine roieber 
parieren, lauft er ©tiegen auf unb auf bis unter 3)acb in eine ftammer, wo Stiften 


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S)er 93errätber. 


67 


unb Saften, ©triefe unb ©tränge, aüerbanb Srarn beifantmen ift, fefct ftd^ ba in 
einem 2öinfel auf einer Sifte nieber unb rebet ft<^ uor, baf« er lachen fann, roeil’« noch 
fo roobl geraden bat. 

2Benn er nur lacben f ö n n t e! 2öiü er lo«lacben, fo hört er uon ber ©trafje au« 
bem Särm beutlicb feinen tarnen, unb bann fommt ibm roieber ba« 3itt cr it unb 
ba« SBeten. 

©« fängt an ibn ju rourmen, unb er rebet ft<b ju: »Via coraggio! SBeffer 
fte fluchen bir brunten, al« jie fueben bicb b^oben unb b«uf«n bicb. Fandonie! 
9©ofür roollten fte mich benfen? 2Ba« ift meine ©ünbe gegen feine? $a« bi«eben, 
roa« ieb auf ibn gelogen habe, trägt’« nicht au«; bie £>auptfcbulb, berentroegen er 
f erben muf«, bie bab’ nicht ich auf ihn gelogen, bie febrour ficb ber 9torr felbft auf 
fein fcaupt mit feinem bintroütbigen: Deum non esse probo. — Um ba« muf« er 
fterben, unb ba« freut mich ... SJreut mich!" fnirfebte ber ÜJtenfcb, febier roütbenb, 
baf« ihm'« nicht t>om §erjen fam. „Ober foH ich uieüeicbt meinen, menn ber ju 
©runbe gebt, ber jroifeben mir unb meiner Siebe ftanb?" — Siebe! ©ehr gut! 
9ln bie Siebe benfen, fo fommt ber $af« oon felbft. ©r benft unb benft. 

O $)u ^abr ftebjebnbunbertfteben! 

$>a fuhr gtanebeftin mit feiner Gruppe oon ^Jari«, roo fte im föniglicben 
©ebaufpiel agiert batten, über ben ©anal unb gab 93orfteüungen in Sonbon unb bec 
Umgegend SBalentini fpielte bie ©öferoiebter, feine ©eliebte 3foarb mit ber göttlich 
fcblanfen Taille bie fenthnentalen fcelbinnen. 33on fVrogmore famen fte auf ba« 
©cblof« be« 9Iuguftu« SJtac ©nboH, eine« neugebaefenen ©beimanne« in ber ©raffebaft 
©urrep. 

2>ie §alle ift grob unb htftig* uott 2Bacb«ferjen unb Sampen erleuchtet, bie 
3ufcbauerfcbaft ftnb bei breifjig febmarje Herren oon ber Sonboner Slfabemie unb 
eine roeifee 3)ame. 

O roeifce $ame! O roeifee Xaube! 3b r 9lntlift mar roeife roie Silien, auf bie 
bie SJtorpenfonne febeint, ihr staden unb ihre fcänbe roaren roeifj roie 9Ilabafter; 
fte batte fein fleifcblicbe« Srleifcb, fonbem eine« au« ^ö^ercr ©ubftanj. 3b rc S>aare 
bufteten unb flimmerten unter bem *Jhtber; jroei fleine Söddjen füf«ten ihre ©tivn 
— roelcbe klugen! Sich, unb ba« ©rübeben im Sinn. 

2luf bem Skater agierten fte Jartuffe. 

*Et si vous condamnez l’aveu que je vous fais, 

Vous devez vous en prendre ä vos charmants attraits. 

D£s que j’en vis briller la splendeur, plus qu’ humaine, 

De mon intärieur vous fütes souveraine.« 

S3alentini* Xartuffe fagt e« ju feiner Partnerin Qfoarb, aber er meint e« roeber 
ihr, noch ©Imire, fonbem ber roeifeen $>ame im ^arfett. Unb er empfinbet ein rotlbe« 
©äbrot 33lute«, roie ber OJtonn, ber neben ihr ftfct, ben 9lrm auf ihre ©tubllebne 
legt. $)er 9Jtonn ift ber §err be« Jpaufe«, unb bie $)ame ift feine grau, eine ©räfin 
au« ^reufeenlanb. O roei&e $ame! ©ie ift bie Unfdjulb felbft, unb ift boeb an allem 
fcbulb. ©ie ift febulb, baf« Salentini ben Xartuffe, in ber 2Sutb feiner neuen Siebe, 
bie ihn roie ein fliegenbe« gieber überfallen bat, fo paffioniert fpielt, roie noch nie; 
fo au«gejeicbnet, baf« ihn ber £>err be« £>aufe« nach bem ©piel ju ftcb befebeibet 
unb ihn mit einem ÜJtäcenatenläcbeln fragt, ob er nicht Suft hätte, für immer auf 
bem ©cblof« ju bleiben — al« Seibcotnicu«, Sammerbuffo — ber 9tame tbäte nicht« 


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68 


©. o. £>anbel*2Jtajjetti. 


jur ©athe; fie ift fchulb, bafS ©alentini auf bem Schlöffe bleibt, wiewohl ibm fein 
©ewiffen — er batte barnalS noch eins — faßt, bafS er hier mehr fünbigen wirb 
in ©ebanlen, als er mit ber 3foarb in ber $hat gefünbigt. 


Üftabonna, 3hr, 3h r fetb an allem fcbulb. 9Benn 3br nicht oon mir geliebt 
fein wolltet, warum warb 3b r benn fo fcbön? 9tein! stiebt 3$r feib fcbulb an allem, 
ber anbere ift fcbulb. 2Benn er nicht gewefen wäre — b^lige ©taria! fo hätte ich 
Such ja befifeen bürfen. 

0 3> a b r ftebjebnbunbertnnbneben! 

©ie fifct auf bem ©aal mit einer Arbeit. ©S ift eine Xapifferie, ein tleiner 
2lmot, für ihren fterrn. 3b re fcanb fliegt emfig auf unb nieber, ihr ©efidjt ift 
etwas erbibt non ber Arbeit, unb fcbön! $)ie ©cbeeve fällt ihr biaunter. 3b r $err 
fibt neben ihr, liest, — ber ©life foll ihn erfragen! — rührt ftch nicht. ©alentini fpringt 
nach ber ©cbeere. ÜJttt einem bolbfeligen Sächeln, einem fächeln, wie’S fein ©taler 
malen fönnte, nimmt fie bie ©cbeere. »Grazia!« — »Grazie«, corrigiert ihr §err. Statut 
lacht er unb meint, fie follte itaüenifcb lernen — bei feinem gamuluS ©alentini. 
9tun weife ©alentini hoch, woju er in $oScana geboren ift unb nicht in SIftrachan. 
StafS er fie baS ©erb amare lehren fann, barum ift er in XoScana geboren. 


©ie ftnb mitfammen allein. 9tur ihr Stnabe ift noch ba; ber fpielt beim genfter 
mit ihrem Papagei. ©alentini lehrt ihr baS ©erb amare conjugieren unb glüht fie 
babei mit feigen ©liefen an, bie fie oerftehen mufS, ift fie nicht ein pures &inb. 
9lber fie ift ein ßinb unb oerfteht ihn nicht. Ober ift’S nielleicht, bafS fie ihn wegen 
feiner ÜRifSgeftalt barmherjig nicht nerftehen will? »Io amo — il mio caro 
Agosto«, conjugiert fie unb lacht baju, — lacht wie ein ßinb, baS einen häfSlichen 
©ogel im ©piel tobtbrüdt. 3>er ©ogel ift fein armes §erj. 

©ie quält ihn öfters fo, ohne etwas ©öfeS ju meinen. 2>enn in baS üebfte 
unb füfeefte ©eplauber, baS in feiner ©ruft bange 2Bolluft weeft, bringt Tie ben 
©tann hinein, ben er h a fSt unb ben er erwürgen möchte, fürchtete er nicht, baburch 
auch fie ju tobten. — ©Uft über ihn! — Stommt er herein in feinem frelbenfchritt, 
fchaut er, ben 9lrm auf ihre ©tuhllehne gelegt, in ihre ©üdjer — ben Slrm auf ber 

©tuhUehne, mehr erlaubt er fi<h nie.©life über ihn! ©inmal nur hat er fie 

gefüfst; als er fie in Xhränen unb ben Sehrer halbrafenb oor Söuth über bie 
fehlerhafte ©onftruction ihres ©chulfafeeS: »Anzi il mio Agosto £ il mio paradiso« 
fanb. »Bisogna studiare di piü«, fagte er bamalS ju ihr, unb jum fiehrer: »Si 
vyole pazienza«. 

S)u haft gut reben, bu ©atan! Pazienza! Qa, pazienza! ©tunben in deiner 
©chreibftube fifeen, nicht wahr, unb 3)eine hirnoerbrannten ©peculationen bictanbo* 
fchreiben, unb baneben fchlägt fie mit jarten Ringern ©laoecpmbel unb fingt 
bie neue galante 9lrietta, bie in ihrem ÜJtunb ein ©itgelhpmnuS wirb: 

„§at Staoib felbft, ber weltberufne Krieger, 

©S benen Söeibem nicht oerbacht —" 

unb bafS £>u bann, wenn $)u bie geber in ber §anb beS armen ©chreiberS jittem 
fiehft, üieüeicbt noch fragft: „©alentini, ftört 2)ich bie ©tufif?" 


©inmal haben fie ©efellfchaft auf bem ©chloffe, oiele ©eiehrte unb auch 
fchöne grauen, ©alentini fagt feiner Herrin bei £ifch unter ber ©lume eines ©onettS, 


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3)er Serräther. 


69 


bafS Re bie ©chönfte ift r unb bafS er Re liebt, ©ie blicft ihn beftürjt an, aber ber 
§err ©emahl finbet ben 93erS aderliebft unb lacht fte aus ihrer SBerlegenheit heraus, 
©r fennt leinen Argroohn unb feine ©iferfucht; als ihr dtalph $horeSbg, ber ©ebidjte 
auf fte machte, ba$ ©ürtelbanb füfSte, lachte er auch, dtalph ühoreSbp, ber 
Königin ®hinxrg, ein AboniS; roaS ift benn S3alentini! ©chon fein Söucfel bringt ihn 
auRer {frage. 


O $a\)x ftebjehnhunbertunbfteben! ©S roar hoch Rhön ba$ %af)x, trofc adern 
SiebeSelenb. Jperr ©ott, roie ganj anberS elenb rourbetr feitbem! 

$urch’S 93obenfenfter beS ©chlattmannhaufeS fchaut ein roilber, Rhroarjer Fimmel 
herein. $ie ©onne hat Reh hinter Rhroeren SBolfen oerfteeft. O Souife 3frieberifa, 
meine ©onne, auch 3)u giengft unter! 


3b*e ©tunbe fam, oon ber fte nimmer genefen fodte. ©edjS Wonate, fechsehn 
Wonate, jroei 3abre Recht Re bahin. Oft fgleicht 93alentini an ihre $biir, hordR* 
hört Re ftöhnen ober Rhroächlich haften; oft roirft er Reh oor ihrer $hürRhroede hin 
unb füfSt ben Söoben. ©inft trifft ihn fo ihr Wann unb fragt ihn freunblich, ob 
er etroaS oerloren hat 


2)er arme SBalentini hat ihr ©chmeraenSjimmer nur roenige Wale betreten 
bürfen. ©inmal, roo er ihr oon ber dteife unb ben feltfamen Abenteuern ihres fleinen 
Fünfers Bericht abftatten mufSte. ©efpannt auf ben ©Ibogen emporgerichtet, laufcht 
Re feinen döorten. ©o oerfaden Re auSReht mit ben bunfelumranbeten Augen, 
eingefadenen SBangen, tobtenhaft oortretenben 3ähnen, fo ift Re bo<h noch immer 
fchön; Rhöner als bie rotben ©öttinnen, bie Reh auf ber geioirften Tapete hinter ihr 
mit ihren rohen Rieten brüften. 

„$)anf, lieber iperr 93alentini, für ©ure ©utheit gegen meinen jungen", fpricht 
Re leife unb fährt ihm mit ber franb über bi e gßonge, auf bie ihn laut feinem Bericht 
ba$ $inb gefüfSt hat. ©ie meint’S bem $inb, aber in ihm Rammt bie Regier rafenb 
auf, unb jeöt ift’S gut, bafS ihr Wann ins 3intmer fommt unb ben SSalentini mit 
feinem gnäbigen „©ebreiben mir jefct" erinnert, bafS SSalentini nichts ift, als ein 
Gebienter ©einer ©naben. 


3mei Wonate barauf mufS ber SBebiente ©einer ©naben in ber §ade bei 
ben Afabemifern auShalten, bie oom fleinen datier unb groben IpomeruS fchroafcen, 
inbeS brüben bie frerrin ftirbt. 

Unb rooran ftirbt Re? 3)er $8lifc fod ihn erRhlagen! An ihrer Siebe ju ihm, 
an feinem $uffe. — — - — — — — — — —— — — — — 

3)a iR er, ber echte, rechte toScaniRhe £>afS, fchlägt burch mie ber ^ßulS breier 
fräftiger Wänner, unb ba ift bie rechte fataniRhe Suft am Rtacheroerf. ©terben muf* 
er jefct, roie ein döurm, ber ©rhabene; unb eS gef dReht ihm recht unb eS freut mich... 
Orür bte dtache habe ich gelebt, fod Re mich reuen? 5SaS roäre ich für ein Wann? 
§ab mir bie dtad&e fauer roerben laffen. ©r benft unb benft. — ©S Raub ihm ja 
nach ihrem Xobe frei, fein oorigeS 3i0eunerleben roieber anjufangen, Reh eine neue 
Siebe ju fuchen; er that’S nicht; er blieb bei ihrem Wann, ©r froch oor ihm unb 
biente ihm mit bem inbrünftigen dßunfehe, ihm einmal Rhroer ju fchaben. ©r fchrieb 
ihm feine ©chartefen unermüblüh ab, er machte ihm ben SfteifemarRhad, ben Kammer* 


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70 


E. o. &anbet*üWajsctti. 


bicner unb 93ertrauten. $er §err fdjrour nicht ^ö^cr al« bei feiner Ergebenheit 
unb Xreue. Unb ber Xveuergebene Heibete ben fcerrn feinen Xag an ober au«, er 
überlegte benn, roo an feinem ßeib bie angemeffenfte Stelle für einen Xobe«ftich 
märe; er beflieg auf ber Weife fein Schiff unb feinen Xburm mit ihm, er buchte 
benn, ihn §u ertränfen ober in bie $iefe ju flogen; er hatte taufenb meuchlerifche 
*ßläne, unb baf« er fech« Monate oerftreichen lieg, ohne einen einzigen au«juführen, 
ba« fam einzig baoon, baf« ihm gegen feinen 2Biflen bie unfchulbigen ftinber jene« 
ÜHenfchen erbarmten; ber blonbe Änabe jumal, ber immer roieber mit feiner halben 
SWutter Stimme ben SRacheteufel in Stolentini’« 93ruft einfehläferte. 

9Iber ber böfe ©eift mar ftarf unb machte allemal roieber auf. Einmal, um 
nimmer einjufchlafen. $)a« roar bahier in Berlin. $>er £>err hatte burdj allerlei 
tugenbhafte ©emeinpläfce unb baburdj, baf« er — SBalentini bilbete ftch ein, prahlerifch 

— oont ßiebe«tob feiner 3)ame fprach, ben roelfchen Unecht bi« jur Xoflroutg gereift. 

9tun famen bie ^rebiger unb oerlangten 3*ugniffe roiber ben Sltgeiften, ber ihnen 
burch feine gottlofe Schrift in spe fehr gefährlich ju roerben brohte. SSalentini gab 
bie 3eugniffe, hie fte oerlangten, unb noch anbere, liignerifcbe, bie fie nicht oerlangt 
hatten, aber gut gebrauchen fonnten, unb lieferte fo feinen §>erm an’« ÜJleffer, roie 
guba« that. 

*Pfui! Speicher Vergleich! Ein bla«phemifcher Vergleich. guba«, ber SBerräther 
be« Sohne« ©otte«, unb SBalentini, ba« Söerfyeug ber göttlichen ©erechtigfeit bem 
©otte«feinb gegenüber. *1)a« Hingt roenigften« fchön, ift’« auch nicht roahr. — ©otte«* 
feinb, fo fagen bie eoangelifchen trieft er hwr. geh fage mein geinb. 33lute 
3)u ba brinnen nur jutob. ÜJtir ift’« nicht leib, ßeib ift mir nur, baf« ich mein 
halbe« 3eugni« im ^aufch roiberrufen habe, $ann ich’«, fo ftell’ ich’« noch ganj 
her unb mach $)ich @otte«leugner hoch noch ju einem — h a haha! 

$)er 3Belf<he lachte, unb bie«mal faft oom £>er$en. $)ann ftanb er auf, roeil 
er eine Unruhe in fich hatte, gieng an« 93obenfenfter unb fpähte gegen ba« fRathhnu«. 
5)a begab ftch nicht«, unb er jroeifelte nicht, baf« fie brinnen feinen £>erm, trofo be« 
entlaftenben 3*ugniffe« ber Sftefce, roeiterpeinigten. Ober oieüeicht hatten ftc bie SJiefce 
gar nicht hineingelaffen ? 

$er 9Iltan be« Söärifchen §aufe« jog plöglich feine 5lufmerffamfeit auf ftch- 
©ine flattliche grau, bie er al« bie 93ifchöfin*) fannte, ftanb auf bem 5lltan, ben 
recht« ber fteineme ©laube mit bem ftelch, linf« bie fleinerne ßiebe mit bem S>erjen 
flanfierte, unb fpähte neugierig nach bem Sfathhau«. 

3)iefe ©eiber! 9lu<h bie geiftltche grau Söifchöfin fchntinft geh ba« ©eficht, 

— roohl nur, um bem £>errn 93if<hof ju gefallen. $er tritt foeben au« ber Xhür 
$u ihr hcrau«. „Ealotte unb SJfojett hat er roie ein ÜJtonftgnore", benft ftch 93alentini 
unb lacht in ftch hinein, ,,ba« &ugere ift recht römifch, aber — eine $8ifchöftn muf« 
er boch haben. 11 

$er $8ifchof frug mit leicht umflorter Stimme auf bie Strage hinunter, roa« 
mit bem armen 3Jtonn im SKathhau« fei, man folle ihn boch enblich entlaffen, nach* 
bem ftch in ber $eufel«pact al« eine ßüge feine« Wiener« qualificiert habe. 

Ein Bürger antroortete ehrerbietig: „$on ber golter gelaffen, Euer 2Bürben 
unb ©naben, fagen fte, ift er fchon, aber er liegt brinnen in Ohnmacht. Sie haben 
grab ben ©eiftlichen ju ihm geholt." 

*) ©emahlin be« Superintenbenten. 


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Der Verrätber. 


71 


Der Vifdjof unb feine fttau oerlie&en eilig ben Valcon. Valentine Irocb non 
feinem ®u«gud in bie Kammer jurüd. ©in wüfte« ©efübl jwang ihn, ficb wieber 
auf bie ftifte $u fefeen. 

Den ©eiftlicben geholt. Irinnen liegt er in Ohnmacht. Da« hört fich fläglich 
an. ©r bat fo »icled gelitten, ftolj unb aufrecht. Unb jefct liegt er in Ohnmacht. 
3Bie gebt ba« ju? 

$n ben Werfer gieng er ftolj unb aufrecht, unb oor ben Richtern ftanb er 
beut morgen ganj wie ein fcero« in ber Vpotbeofe. Die icbmufeigften Vnfdjulbigungen, 
bie böfeften Drohungen ber dichter, ba« Vnatbem ber erjümten ^ßriefter unb jule&t 
bie Vu«antwortung feinet eblen Seibe« an ben genfer, ba« alle« trug er ftolj unb 
töniglicb, unb jefet foU er fdjwacb geworben fein, ohnmächtig brinliegen. ^Id> ©ott! 

Die leiblichen Scbmerjen allein haben ba« nicht getban, bie brechen einen 
SJtenfchen mit feftem VBiüen nicht fo fcbnell. Vielleicht tbat e« bie Scham über fo 
tiefe ©ntwürbigung; oieHeicht .... oielleicht tbat e« ba« fcerjleib, baf« ibn gerabe 
Valentini in biefe« tieffte ©lenb geftofeen batte; fein lieber Valentini, bem er 
fooiel ©ute« getban. 

,,©ute«? Viel" 

„Seugne e« nicht ab!" 

„3$ leugne e«, unb Du lügft!" ftreitet ber Sünber gegen bie Vtabnftimme 
in feiner Vruft. Vber er bringt fie nicht jur fRube. 

„®ute« fooiel!" fängt fie roieber an. ©« ift eine Vltemann«fthnme, ber Vite 
ftdfet roiberlich mit ber 3unge an. „5Ba« benn Vöfe«?" 

„Übergenug!" fchreit Valentin fo wütbenb, al« rebete er mit einem ÜRenfchen 
oon fjleifcb unb Vein. „Daf« er ..." — 3um £>enfer, warum fäüt ihm lein oernünfrtge« 
Vrgument ein? 

„So ? — 5Ba« benn ? Daf« bie feböne Dame fein war, war ba« ein Unrecht 
gegen Dich? Daf« er ihr einen $uf« juoiel gab, weil fie ibn bat, war ba« an ‘Dir 
gefünbigt? Du aber, Du foHteft nicht begebren Deine« fRäcbften 2Beib!" 

Die Stimme nimmt jefet Söefen an. Der Vtenfcb ftebt ba, bem fie einmal 
gehört bat; er lommt au« bem ©rabe, Inöchern unb lang, fein ftleifcb ift an ben 
Knochen angetroefnet, er bledt bie jabnlofen tiefer. „ftinb, Äinb, wa« baft getban! 
Den! an Deine Sünben, fiolo, benf’ an Deine Situben! Glicht blofj ba« feböne 
SBeib baft Du ihm mif«gönnt, fonbern alle«, wa« er an fietb unb Seele mehr unb 
beffer batte al« Du. fReibifcb warft Du wie ber Xeufel!" 

So fpricht ber Vabre ©ianantonio, ber ftinberlebrer au« 3ano, ber bem oerlaffenen 
3inbelfinb Vtario ein Vater gewefen, beoor’« in bie 2Belt gerietb unb oon ber SBelt 
oerborben würbe; ober oielmebr, fo fpricht, in ber Vilbung be« alten ftapujiner«, 
ba« ©ewiffen be« Unglüdieligen, ba« lang ein tobter Sumpf war, aber nun ein paar 
belle SBafferblafen wirft, — gute ©ebanfen, wie fie ©ott aud) bem burcbteufeltften 
SRenfcben einmal im Ceben gibt. 

„Dein feine« ©ewanb, Dein ooüer Veutel, Dein gute« Seben, ba« Du nun brei 
ganje 9(abre fübrft, wem banfft Du’«? 3öer bat für alle Deine Vebürfniffe geforgt 
unb alle Deine Saunen ertragen? — OJtorio, wa« bift Du für ein ORcnfcb!" 

„ßaf« mich in 9iub! ©efcheben ift gegeben! Rort muf« ich, ba« ift bie 
Hauptfach’, oon bem oermalebeiten Vflafter!" bricht Valentini au«. ©an$ laut, um 
bie Stimme ju übertönen. „Qft ba unten erft alle« oorbei, fo mach’ ich mich fort. 


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72 


©. o. $anbel«9Jtaftetti. 


ich ©clb genug auf ein Pferb, ba3 mich bi3 Prag unb non bannen bis PBien 
unb über ben Prenner bringt? 2Bo ift mein 2Bed)fel auf bie ßippmann?" 

Ungebulbig, mit manch gemurmeltem Qrluch fu<ht er feine Tafchen au3. 
ber ÜJtanteltafche ftedt fein Portefeuille. ©3 ift Parifer Arbeit, roeifjeS ßeber, unb 
trägt bie mit Tinte gefdjriebene T)et)ife»Le vray amy sait pardonner«. ©ine ©efdjichte 
bängt baran.' Ob er mill ober nicht, er muf3 jefet an bie ©efchidjte benfen. 
Setp^ig jerroarfen fte ftch über eine in Tupfer geftoebene T)anae. Palentini fanb fie 
fdjön, fein &err WuguftuS aber fanb fie frech; unb im Söortgefecht tarn bem 2Iuguftu3 
bie hörte Webe au3: T>u höft einen lafterbaften ©efchmad. T)ie Webe tbat ihm 
nachher leib, er laufte ba3 Portefeuille, febrieb bie 55>coife barauf, gab e3 feinem 
Puffo, legte ihm bie §anb begütigenb auf ben fruntmen Wüden unb fpracb baju: 
»Senti ti chieggo perdono . . . .« 

T)a3 ift bie ©efchichte, — nicht niel baran; unb hoch lehrt fte jefet bem Per- 
räther ba3 ^nnerfte um unb um. Unb mann er aller 2Bohlthaten, bie jener ÜJtann 
ihm erroiefen, ohne Scham unb ohne Weue ju benfen imftanbe märe: bie3 fanfte 
»Senti ti chieggo perdono«, eine Abbitte ber Tugenbftrenge an bie TBüftheit, bie ihr, 
tn gebrechlichem Körper roohnenb, Wfitleib einflöfet, — biefe feböne, brüberlicb lieb- 
fofenbe franb — bie treiben ihm baS heifee Plut in3 ©efiebt unb machen, baf3 er 
plöfelich aufftöhnt: „.^ätt’ ich e3 nicht getban!" 

©r ermannt ftch- ©3 ift ja noch nicht alle3 gegeben. T)a3 Wrgfte ift noch 
nicht gefächen. T)a3 fann man noch oerfeüten. 

Ti chieggo perdono .... 

2Bie lieb er ba§ fagte. Unb bie §anb, bie £>anb .. . Wtorio fühlt mit einem- 
mal eine Wrt Seibenfchaft für biefe §>anb. Wein, fte foH nicht mobern, biefe gütige 
£>anb! ber SWann foll nicht fterben! SWario mill fein Wtörber fein. 

Pom Pact unb oon ber fatanifchen Unjucht höt ihn Wtario im Waufch lebig 
gefprochen; oon ber ©ottlofigfeit fpricht er ihn nüchtern oor bem ©ollegio lo3. — 
Sprechen mirb er morgen fchon; unb er mirb fpreeben roie ein Puch nnb all ihre 
Sophismen überroittben. 

„Theure gelehrte Herren, ich febmöre e3 ©uch heilig (Wleineib ift beffer al3 
üttorb), ba3 Puch non ber Ratio ift nicht au3 feinem $opf; bem Pannio, Pomponatio 
unb Spinoja ift e3 abgeftohlen. Wlfo müf3te man biefe, au3 beten Schriften er nur 
al3 ©uriofa bie nerroogenften Säfee entnahm, ftatt feiner hinrichten. T)a3 fönnt 
3hr nimmer, roeil fte tobt ftnb, ihn aber müf3t 3hr leben laffen, fo 3hr gerecht feib, — 
benn ba3 unb ba3 unb ba3 höt er ©ute3 getban. Sfanu benn ein ©ottlofer tugenb 
haft fein? Wein. T)ie tugenb fommt ja oon ©ott her. Ergo!" 

3a, fo muf3 e3 gehen. Proben im bunflen Fimmel erfcheint ein ©lanj, bie 
Sonne fommt au3 ben SBolfen, fcbie&t blifeartige Strahlen um fleh herum. Unb in 
Palentini’3 Seele roirb’S auch licht, ©r höt bie erfte ©utthat feine3 bunflen 8eben3 
ooübracht, — ben Jperrn t>om Tob gerettet, — unb roie leicht ba3 noch baju gieng! 

WktS mirb ber fterr thun, roenn fte ihn freigegeben höben? benft Palentini, 
blieft gegen’3 Wathhöu3; e3 quält ihn, bafö ftch ba noch immer nichts regt. &alt! 
jefet fommt etroaS. T)er Priefter; er fommt non linf3 gefeucht; ein blutbefchmierter 
junge, roohl non ben JJreimannSleuten einer, rennt neben ihm. 

»Festina lente!« fagt Palentini. Sein Wtunb ift hört unb troefen; ihn 
fchaubert, meil fte fo eilen. Sobalb fte im WathböuSthor oerfchmunben ftnb, rebet 
er ftch ein, er hätte ftch bie ®ile nur eingebilbet, uitb fpinnt feine Phantaften meiter. 


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Xer ©erräther. 


73 


2BaS thut bcr $err, roemt ftc ihn freigelaffen haben? ©r roirb roohl titele 2Bod>en 
liegen bei feiner Schiflieger ober im 2öirt$hauS, benn franf unb rounb roirb er fein 
am Seib unb an ber Seele. 2Bie nun? 2öagt eS fein reuiger Unecht, ihn h^mzu- 
fuchen r ihm feine Xienfte auf8 neue anzutragen? 

©r roagt eS. ©r rutfdjt auf feinen Änien inS Äranfenjimmer jum ©ette, ino 
fein §err in Schmerzen liegt, unb bittet ihn: „©erzeiht, ich habe gefünbigt flor 
©ott unb an ©ud>; ich bin’S nicht roert, ©uer Unecht ju fein, nehmt 3h r aber 
bennoch auf, fo foHt 3ftt SBunSer ber $reue fehen, roie florbem SGBunber ber $üde." 

Xer ßranle roenbet fein bunfleS §aupt im Riffen oerachtungSüoll ab. MeS 
fann ein ebler ©tonn flerjeihen, alles, nur nicht ©iebertradfl .... Soll nun ©alentini 
uerzroeifeln ? ©ein. ©r fleht baS füfte blonbe ftinb an, bafS e$ foü beim ©ater für 
ihn bitten. Unb ba$ Äinb bittet: „©ater, nerjeih bem armen ©alentini! ©r hat’S 
nicht fo gemeint, ©r roirb’S nicht roieberthun!" ©efegnet feift Xu, nichts ahnenbe 
Unfchulb! — Xer ©ater ift gerührt, ©r roenbet fleh im Riffen roieber henim, — 
mühfam, — lächelt. 9luS ben Xeden unb ©erbänben ftredt fleh eine abgezehrte jpanb. 
„©torio, eS ift gut, ich nerjeihe Xir, Xu bleibft bei mir." 

XaS ift ©röfte. ©orneiüe’S 9lugufluS uerfchroinbet bagegen. 2Ba$, ©orneille’S 
SluguftuS ift ein gefchrooHener Xeclamator. 

»O siäcles, o mSmoire, 

Conservez ä jamais ma derniäre victoire!« 

XaS flnb SBorte, SBorte, hohfcS ©atftoS. 9lber: „©torio, Xu bleibft bei mir", 
— nach allem, roa$ geflhehen .... 

£>a! 2BaS % ift ba unten roieber loS? ^euerlärm? 

©alentini blidt auS bem ftenfter, — ängftig, jögernb. Xie Strafte noH, — an 
ben 3*nftern, auf ben Altanen fieute, ein roüfteS ©oncevt oou Stimmen... baS plöfelich 
in ©tormein erftirbt. ©iilitärifcher ©ommanboruf theilt bie ©tenge. ©un fommt 
ber traurige 3ug. ©oran eine ftutfehe im Schritt, hintennach bie oon flier Solbaten 
getragene ©ahre. Unter bem bünnen 3*ug, roomit fle überbedt ift, fleht man bie 
Umriffe einer ©tonnSgeftalt mit breiten Schultern, fdflanfen lüften. — Xiefe Schultern 
unb lüften, roie hat fle ihm ber budlige SBicht geneibet! Xie ©ahre fchüttert, aber 
ber ©tonn regt fleh nicht. 3ft er roirflich nur ohnmächtig ober . . . ©iS jum £>alfe 
fchlägt bem Späher im SchlattmannhauS bie roilbe £>erzenSangft. 

D nicht tobt! ©ur nicht tobt! 

Xie ©ahre ift jefct unter bem SchlattmannhauS angetommen unb hält ba, 
roeil ber oorauffahrenbe SBagen beim ©ärifeften $au$ flehen geblieben ift, roo ber 
©ifchof am $h° rc wartet, um mit ben Ceuten im SBagen ju fprechen. 

Xer £>auptmann, ber mit noch fechS©tonn bie©ahre begleitet, hat grofte ©tohe, 
baS hevjubrängenbe ©olf abjuroehren. 3to tiefem ßampf gefdfleht’S, bafS bie Xede 
oon ber ©ahre h^runtergeriffen roirb. ©in ScftredenSfchrei geht burchS ©olf. ©S fleht 
baS SBert feiner ©riefter, unb ©alentini fleht fein 2Berf. 

Sieht feinen $etrn baliegen reglos, bleich, flarr, untrüglich oom Xob 
gezeichnet; ja, ©erräther, fdjau Xir bie klugen auS, je mehr Xu fchauft, je 
beffer flehft Xu’S, roie ihn ber £ob gezeichnet hat oom Stopf bis zu ben Süften; 
unb trägt fein roeifteS 2IntU& auch mehr ben 5luSbrud beS Sieges als ber Seiben, 
fo öffnen bafür an feinem entblöftten Seib bie ©eiftel* unb 3angenrounben, an benen 
ber herrliche oerblutet ift, ihre fdjarlachrothen Sippen unb fdjreien roehe! roehe! über 


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74 


©. o. §anbel*2Jtojjetti. 


feine ©örber, oor allem aber roebe über ben falfcben SBalentini, ben er au« bem 
Staube aufgelefen, bem er mit fo freigebiger §anb ©efebenfe über ©efebenfe machte, 
unb jener b<*t’3 ihm roölfifcb gelohnt. 

„3$ muf« fort!" äcbjt SBalentini, „fort nach $rag, nach ©ien, nach . . . 
fort! $cb fann ba« nicht anfebauen! ©« macht mich oerrüdt! ©arum beefen fte ihn 
nicht ju? Die grauen füllten hoch — O Madonna, Madonna santissima!" 

Äfft ihn ber Satan? ©« finb ja jroei. Sieben bem ÜHann liegt, auf feinen 
Kleibern gebettet, ein $inb. ©« fchmiegt ben ©onbfopf an feine blutige Söruft. 
Xraurig fte^t ba« au«, über alle ©afjen. Da« Äinb ift fein ßinb, fein $inb, ba« 
fie $ur 3eugenfchaft roiber ihn preffen roollten, bie £mnbe, roeil — ja, roeil SBalentini 
ihn fo bünbifch oerläutnbet batte. — 93alentini, ihr $inb! 9Icb, unb bleich! »Viole 
a gigli miste«, roie Xaffo fagt — ober 9lriofto — roer immer. Unb bie klugen, 
fonft jroei Stüdchen lachenben Fimmel«, lichtlo«, roie tobte« ©affer. 

$$or 93alentini’« Slugen breben ftch £>immel unb ©rbe; rinnen ÜHenfchen unb 
Käufer in ein graue« SJteer jufammen. „Der ©ann tobt unb ba« flünb? $err ©ott, 
nur ba«, nur ein«, nur ba« ftinb laf« nicht tobt fein!" 

@r ift oon Sinnen. ©r roeife nicht, roa« er tbut. ©r lehnt ftch mit ftopf unb 5lchfeln 
roeit au« bem genfter unb fdjreit hinunter: „Sie fab nicht beibe tobt, nein, nicht beibe ?" 

Über ben 8htf fchauen bie fieute unten einanber an, flauen recht«, lint«, 
mit offenen ©ünbern unb ©Iofeaugen. ,,©a« roar ba« ? ©arft Du’« ? ©arft Du’« ? 
9tein, e« fam oon ba oben." 

Huf einmal eine 3eterftimme; „Der ©elfche! Schaut roie ber ba ftfct, ba« 
93eeft!" 9tun bricht ein Xumult lo«, unb au« bem Xuntult gellt roieber ber 3 c ter: 

„Der ©ann ift tobt unb ba« $inb, unb Du bift fchulb, unb Du muf«t bangen!" 

93alentini bricht oernichtet in bie $nie. 

„Der ©ann ift tobt, ba« $inb ift tobt! Du, Du, Du ©örber Du! Xrompete 
be« ©erichte«! Den SBater baft Du gemorbet, ba« Äinb baft Du gemorbet! 93er« 
bammter, oerjroeifle!" 

©a« fich jefet auf ber Strafee begibt, ba« immer roachfenbe, furchtbare Xob- 
gefchrei be« 93öbel«, ba« 9Iu«fteigen be« £>au«ooigte« au« ber ©aroffe, fein rafche« 
^3erbanbelu mit bem ftauptmann unb ba« £o«f(breiten be« öauptmanne« unb 
feiner öeute auf« Schlattmannbau«, in beffen Xbar fie oerfchroinben: all biefe« b^t 
unb fiebt 93alentini mit ftumpfftnniger ©leichgiltigfeit; aber roie fte ben tobten Dulber 
unb fein blonbe« ©ngelchen roieber jubeden unb forttragen, ba roirb ihm entfeplich 
roeb, unb er fängt an $u fchluchjen. 

»Fandonie !« macht er plö&Uch unb lacht fcbroächUcb oor fich b'n. ©einen 
nüpt nicht«, rooju roeiut er benn ? 8af«t Jungfern unb ftrofobile roeinen. ftain, 3uba«, 
unb roeinft Du 93lut, für Dich ift feine ©nabe hier unb bort, SBerbammter, oerjroeifle! 

©r fchleppt fich ootn genfter roeg nach ber Äifte. Da hängen Stricte unb 
Stränge, unb in ber ©anb ftedt ein ©ifenbafen. Da« richtigfte 3ugerüft für einen, 
ber ben $uba«tob fterben roid. Sterben muf« unb roiU er. — Via coraggio . . . . 
©« ift ja nur ein Slugenblid! Qa! 9lber ber ift fcbredlicb. kalter Schroeife bricht ihm 
au«. Scbredlicber Xob!. .. Unb ba« anbere öanb, oon bem bie ^riefter immer 
reben. 

Über bie §>oljtreppe flirren Schritte, ©er ift’«? früher famen Ceute $um 
Xhor herein, roer fte roaren, roeife er nimmer, er roeife überhaupt gar nicht«, fein 
ftopf ift ganj oerroirrt, er (ann an nicht« mehr benfen, al« an roei&e«, leuchtenbe« 


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$er ©errfither. 


75 


von bunfelrothen ©unben jerriffeneS 3fleif4 uitb an blaue ÄinbeSaugen, bie glanjloS 
jum Jrimmel fiarren, unb an bie ©ocfshömer unb ben 04fenfchwanj beS Teufels 
in einem gewiffen ©emälbe. 

$>ie Zfyüx ber ©ob^nfammer fpringt auf. $)er Offtcier fteht ba im ftürafS 
unb ©tantel, mehrere ©tänner hinter ihm. 

(Sr tritt auf ben ©elften $u unb fpricht im 3)ienftton, aus bem man aber 
bie ©ntrüftung beS ehrlichen ©tanneS gegen ben Schürfen gut h**auShört: „§err 
©alentini, 3&* roerbet’S wohl nicht leugnen, bafS 3br’§ feib, bieweil mir unS vom 
©oHegienhauS fennen." ©r legt ihm bie §anb fchwer auf bie oerfriippelte 3lchfel: 
„©tufS (Such bitten mit hinabjufommen. 3h* f*ib in Sr. ©tajeftät tarnen oerhaftet." 

3)ie Solbaten flauen ben fchwarjen Unholb fchabenfroh an. $er bringt fein 
armeS ©ort f^rfür. ©r nieft unb folgt bem Officier auS ber ©obenfammer bie 
§ol$fiiege hinab. 9luf ber Stiege fragt er ihn: 

„©aS gefchieht mit mir?" 

„3h* fommt auf ben ftalanbShof", entgegnet ber Officier. ©ach einer ©aufe 
fragt ber ©elfche aufs neue: ,,©a$ gefchieht bann mit mir? ©erbe ich bann gehenft?" 

„3hr oerbtentet’S. ©arum höbt 3h* biefen armen ©tenfehen fo fchänblich 
oerläumbet ? ©fui über (Such!" 

„9lber ... auf bie Xortur fomme ich boch nicht ?" fragt ©alentini faum hörbar, 
lehnt ftch babei matt an bie ©anb, bafS eS bem Officier beinah erbarmt. 

„34 weife nicht, wie bie £>errn baS halten wollen. ©enn 3br alles gefteht . . 
Jreilich, wann’S recht gienge, foüte man (Such plagen iuie ben anbern." 

„3a", ftöhnt ©alentini. 

Sie waren im £>aIbtto<! angelangt, ©in paar ©tägbe unb ein ©tann in 
Jpembärmeln ftanben ba, gafften unb tufchelten. 

„£>err £>auptmann", bat ©alentini, „erlaubt 3h*, bafS ich noch einmal hinauf« 
gehe, meinen §ut ju halen? 34 möchte nicht ohne iput auf bie Strafee." 

„©uer £err, als wir ihn arreftierten, mufste barhaupt unb mit gebunbenen 
£>änben burch bie halbe Stabt gehen", fagte ber frauptmann. 

„Slber ich fehe fo sigeunerifd) auS, liebfter §err, ich fchäme mich!" befchwor 
ihn ©alentini. 

„CafSt fchauen. deiner $reu, 3b* f^fet wechant auS; ftnb ©uch broben bie 
3lebermäufe in ben $opf gefommen? — $>cnnwifc, ber §err will feinen £mt 
holen, ben er oben gelaffen hat. $)u begleiteft ihn hinauf unb achteft mir auf ihn. 
— 34 mufS ©u4 aber bitten, ©uch ju fputen, mein £>err ©alentini." 

3)ennwife liefe ben ©elften oorangehen. $)er haftete bie Xreppe hinan, als gelte 
eS fein öeben. 3)er Solbat folgte ihm, immer jwei Staffeln nehmenb, auf ben Werfen. 

$ln ber ©obentfeür blieb ©alentini ftefeen. „§err $)ennwifc", fagte er ju feinem 
©achter, rafch unb h*ife* athmenb, „wollt 3br mir eine große iÜeb’ thun?" 

„©ei meiner Seele, nein", entgegnete ber Solbat. 

„$ennt 3br —" ber ©elfcfee jog mit jitternben Ringern baS ©ortefeuille auS 
bem ©ufen unb entnahm ihm ein ©apier, „bie Sufanna Sippmann hier?" 

„fiipp — ja. ©om Sehen. 3ft ©r. ©tajeftät fcofjübin, wohnt ba brunten —" 
ber ©tarnt wieS mit bem Daumen über bie 2ld)fel nach rechts. ,,©aS ift mit ber?" 

„Seht baS ©apier ba. ©ann 3h* baS ber fiippmannin jeigt, jahlt fte ©uch 
feunbert Scaler auf bie §anb. — 34 f4^nt ©uch baS ©apier, unb 3h* lafSt mich 
gehen unb allein meinen $>ut fuchen." 


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76 


©. p. fcanbel-SJtaföetti. 


„3)arf i<$ ni4t. 3b* lönntet ©u4 umbringen ober au«fneifen." 

„9lu«fneifen! Mio Dio! $>urcb« genfter auf bie ©trabe? *8in i4 eine Stab? 
Umbringen foHt’ i4 mi4 ? SBarum benn ? 34 leb’ non £>erjen gern, wann nur tbr 
mi4 leben laffet. Übrigen« ift jeber ©igenmörber ein 9tarr, roie 3<>fepbu« in feinen 
Antiquit6s judalques baarf4arf beweist. — 34 will allein fein, weil — 3b* fagt’« 
ja ni4t weiter — weit i4 beten will. 34 bin ein grober ©iinber, unb ©otte« 3om... 
5)a — fo 3b* auf Rapier ni4t gebt — oier gute golbene ©ulben." 

$>er ©olbat la4t. 33alentini’S IRebe ift ibm buntel, nur ba« oom Seten teu4tet 
ibm ein, unb no4 ntebr — am meiften — ba« gute ©olb. 

„^un fo gebt", fagt er ^afttg, „aber ma4t f4neH — ber haftet brunten 
f4on. Unb ba« ^Papier für bie 3rau Sippmannin gebt mir nur no4 brauf." 

3nbe« ber SBadere beibe«, 2Be4fet unb ©olb, forgfam in feinem ©tiefet unter« 
bra4te, eilte SBalentini in bie Söobentammer, §og bie Xbü* b***ter fi4 ju; gieng na4 
ber ©de, wo bie $ifte ftanb unb bie ©tride biengen; rif« einen langen ©trid berab, 
fnüpfte eine ©4linge hinein, fprang auf bie Stifte, befeftigte ba« ©eil an bem £>a!en 
oberhalb berfelben unb legte ft4 bie ©4linge mit f4lotterigen Ringern um ben £>al«. 

,,2Ba« tbuft 5)u, Stolentini?" fragt eine f4wa4e ©timme in fein Ohr. 
9to4 einmal bie ©timme be« alten Äapujiner« ©tanantonio: „3ft ba« ber 2Beg? 

$en will ©ott ni4t, ©ott will." 

üJtebr fagt bie ©timme ni4t, benn ein Körper, ber über fte gewäljt wirb, brüdt 
fte tobt. ©§ ift ber weifje Körper eine« 5Jtanne«, mit gräf«li4en rotben 2öunben bebedt. 

,,£)a« bab’ i4 getban, bafür gibt'« leine ©nabe. Via coraggio ! Jahr’ i4 sum 
Teufel, fo fahr’ i4 jum Teufel, bin felbft ein Teufel, bab’ ben flJtann ermorbet, ber 
mir ©ute« tbat, unb fein arme« $inb baju. Felice notte, Signori! 2)a§ ift ba« ©nb." 

©r läf«t bie gfüfee über ben IRanb ber ftifte hinab. 3n>*i 3lugenblide lebt 
er nod). 3 rc ei 3lugenblide, aber bie fmb über jebe SBorftellung fur4tbar. 3)ie 
förperli4e $obe«notb ift ni4t«. 2Ba« er fleht unb hört, wie feine leibli4*n ©inne 
f4on erftorben ftnb, ba«, ba« ift Clual über Xobe«qual. 

3« einem ©lanjmeer, ba« plöfcli4 in bie Obnma4t«finfterniS bineinflutet, 
fiebt er ben wetfeen Körper mit ben rotben 3Bunben, f4webenb; oier ©ngel tragen ihn 
flügelf4lagenb unb allelujaftngenb auf ihren ©4ultem empor, böb**r immer höher, 
bi« er nur mehr wie ein 3llabafterfplitter erf4eint unb bie ©ngel wie oier winjige 
golbene SBö’gel. 9tur fingen hört man fie no4 — ganj leife. 314 r f4ön ... wie . . . 

3äb oerf4lingt ein ©etöfe ba« Sieb, ©rbbebenbonner, beulen, ©cbatalS* 
gelä4ter. 93ier ©ngel f4wirren be*an. ©reuli4e ©ngel mit JflebermauSflügeln 
unb ©extern wie $eftlei4en. — SBalentinU — ©ie faffen ihn, reifen ihn mit fi4 
in bie blutrotbe 9ta4t, in ben 3lbgrunb. Unb au« bem 3lbgrunb ber §öHe f4auen 
ihm jwei f4redli4* klugen unter mächtigem 33od«gebörne unoerwanbt entgegen, ©o 

fahrt er jum Xeufel, wirb felbft ein Teufel, unb ba« ift ba« ©nb. 

♦ * 

* 

$)er ©olbat Dennwifc batte ruhig an ber $bü* gewartet, folang er brin 
©eräuf4 hörte. 311« bie« oerftummte, würbe er ftufcig. Ob benn ber ©ujon wirllid) 
betete? Ob er ni4t etwa — ©ott behüt’ un« — both au«getniffen war über bie 
£)ä4er wie eine Stab? — $er 2Jtann ftiefe raf4 bie $bü*e auf unb fab in bie Kammer. 
Unb laum batte er bineingefeben, fo tbat er einen mörberli4en 3lu4 r benn gerabe 
ihm gegenüber bieng ber 2Belf4e an einem §>afen, ben $opf auf bie linle ©4ulter 
geneigt, unb war f4on fd^warj im ©eficbt. — — — 


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$)er Serväther. 


77 


teS nüfcte SDennwifc nichts, bafS er fi<h oor feinem Eauptmann auf ben 
höüifchen EalSoerbreher weilanb beS fterrn Obrifteu non Sinter auSrebete; er mufSte 
in Slrreft. Ster Eauptmann felber gieng, nadjbent er bie Seiche ^atte abfdjneiben 
unb in eine Stube fchaffen laffen, jiemlic^ ferneren EeraenS unbegleitet auf bie ©affe 
hinaus, bem EauSooigt baS ©efchehniS mitjutheilen. . 


S)er EauSooigt wartete fchon unb rief non weitem: „Eabt 3hr ben Ealunfen?" 

„©ott hat ihn, teuer ©naben, ober wahrfcheinlicher, ber Satan, er ift fein eigener 
Pächter unb genfer worben, ittbem er fich »nie $$ubaS mit einem Strid erhängte. 
3<h bin baran nicht febulb, wie ich teuer ©naben gleich erzählen werbe." 

„Xheurer Erilanb!", rief ber JpauSnoigt, „was 3hr ntir fagt! — $>eut geht’S 
ja fchier wie im Sieb: Ster SJiann erhentt fich in bem Staü, bie 3frau ba in ben 
Srunnen fprang". „S>rei ÜJtorbthat an einem ÜHorgen", ergänate ber ÄriegSmann, 
ber baS Schelmenlieb tannte. Ster EöuSooigt fah ihn betroffen an unb fchüttelte 
langfam ben $opf. 

„Sobfälle müfSt 3hr fögen, nicht Sftorbe. — 3ft er auch wirtlich tobt? S)aS 
ift fehr fchabe. 3$ mufS ihn befichtigen, benn bie Sach’ mufS in bie Sieten biefeS 
ungliidfeligen SroceffuS ba. §abt bie ©ewogenheit, mich an begleiten." 

Ster Eöuptmann fchlug bie Eöfen anfammen. „teuer ©naben Wiener. — 
teuer ©naben werben fehen, bafS er fo tobt ift, wie ich fagte." 

„ter hätt’ feine Seel’ noch retten tönnen," perorierten Seine ©naben, als beibe 
mitfammen burch bie ÜJtenge, bie laut murrte unb grollte, weil fie um baS Spectatel 
einer Einrichtung betrogen war, nach bem SchlattmannhauS fchritten. 

„Eat nicht jener arme Unglüdfelige, ben wir h eute für feinen ©otteSfreoel 
— wohl a« hart — geaüchtigt höben, burch einen Seufaer in lefcter Stunb’ feine 
Seele faloiert? wenigftenS hoff' a« ©ott, bafS ihn ©ott begnabete." 

„Sich ©ott ja," rief ber Eöuptmann, „ich glaub’ eS feft! SBenn ich ein folcheS 
ÜHarterthum fo helbenmä&ig auSftehe....." 

„Sitte nichts non ÜJtorterthum!" belehrte ihn ber Sllte. „Non poena facit 
martyrem, sed causa. SBenn er gerettet würbe, ift’S nicht burch feine ÜJtorter, fonbern 
burch fein lefcteS ©ebet. S)ie Seute freilich werben fagen, baS war nichts wert, weil 
wir’S auS ihm h^auSgefoltert höben. S)aS ift aber ein brutales fRaifomtement. 2öaS 
war’ benn baS ©ebet beS rechten Schächers, ben fie auch önS &reua hinten mufSten, 
beoor er in fich gieng ? — 2Bir höben, §exx Eöuptmann, h*nte ben rechten unb ben 
linlen Schächer fterben gefehen. 2Bie fo wahr fagt bo<h ber Söeife: 9tur einer, bamit 
niemanb oermeffen werbe.. . 9Ber fagt bodj fo?" unterbrach fich ber Sllte in feinem 
IRebeftrom. „$dj mein, ein Äircbenoater ? §txx Eöuptmann, eS intriguiert mich, 
wifSt Shr’S nicht?" 

3)er Officier that ein furaeS Sachen. „$ch! @uer ©naben fpaffen. 2öir armen 
ÄriegSleute finb froh, wann wir unfern tarnen fchreiben unb einen Siebermann 
oon einem Schelmen unterfcheiben fönnen . . ." 

„3hr feib bifftg. £>a, nun fällt er mir bei. SluguftinuS! Unb ber Spruch Reifet 
genau: 9tur einer, bamit feiner oermeffen werbe, einer, bamit niemanb oeraweifle." 


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mm 


Rundschau. 

©efälfcbte alte SJtanufcripte. — 33iS oor wenigen fahren würben in 
$af<bgar gefällte alte ÜJtanufcripte in groRer 3abl in ben §anbel gebraut unb swar t>or* 
jugSweife in bet ©tabt Ä^otan. $)ie SJtanufcriptbücber befteben auS blättern, bie non 
fPrägeftempeln aus SBirnbaumbolj bebrudt Rnb, wobei niele bet SBucbftaben alletbingS 
echten alten $ocumenten entlehnt Rnb. 3)aS non ben 3rälfcbem angewanbte Verfahren tft 
im groRen ©anjen folgenbeS. SRacbbem man bie ©lätter bebrudt bat, bängt man Re in 
ben IRaucbfang, bis Re baS erforberlicbe alte 9luSfeben befommen, unb heftet Re bann 
mit fupfernen Nägeln unb ftupferplatten jufammen. hierauf werben bie Blätter 
leiebt befeuchtet unb mit ©anb beftreut, bie föupfemägel unb glatten mit einer ©äure 
bebanbelt, um ©rünfpan ju erzeugen, unb enbUcb nergräbt man baS fo entftanbene 
„alte" 33ucb in bet 2öüfte, bort, wo eS gefunben werben foü. 3u* 3eit, als Kapitän 
$eafg Rcb jum erftenmal in Äb°lw aufbielt (1898), würben üjm webet eebte, noch 
gefälfebte 93ücber angeboten, woraus er fdRieRt, bafS baS ©ebeimniS nerratben worben 
war unb bafS beSbalb auch bie $8eRfcer echter föanbfcbriften bamit jurüdbielten, aus 
furcht, bafS man ihren 93eR& für fjälfcbungen galten fönne. $)eafp nennt ben Flamen 
eines SftanneS in Äbotan, ^Slarn 2l!bun, ber faft alle europäifeben 9ieifenben in ben 
©täbten Oft XurfeftanS unb fogar ben gefürchteten rufRfcben ©eneralconful in Stafcbgar, 
^etrowSfp, mit gefälfebten 3Jtanufcripten befcbwinbelt b^t unb auch bafür beftraft 
worben fein foll. ©oen £>ebin b^t 1895 in ber 2Büfte Xafla üttafan mehrere 
ÜJtanufcripte gefunben, unb &wei baoon auf ©eite 53, ©anb II feines 9leifewer!eS 
abgebilbet; ber fdRuebifcbe ftorf<ber gibt ihnen ein 5llter oon 1300 fahren, ©ie 
febeinen, nach bem abgelegenen ^unbort ju urtbeilen, echt $u fein. 9lucb auf feiner 
jetzigen Steife b^t ©neu §ebin alte ^anbfebriften in öftlicben 2BüftentbeiIen Oft* 
$urfeftanS gefunben. Über ben 29ert biefer offenbar febr oerfdRebenartigen alten 
©ebriftbenfmäler wirb erft eine genauere Unterfucbung ^luffdRufS geben fönnen, bie 
gleid^eitig bie ©preu oom 29ei$en fonbern müfSte. 3. 3* 93* 

* * 

* 

beutfebe Citteratur in granfreidR — 3)er bäuRg gegen bie Jftanjofen 
gerichtete ©orwurf, Re befitmmerten Rcb nicht genügenb um bie auSlänbifcben Kulturen 
unb Sitteraturen, beginnt, wie man ber „©oft" auS ©ariS fiirjlicb febrieb, hinfälliger 
ju werben, befonberS foweit bie UnioerRtäten in betracht fommen. 2luf biefen erfreut 
Rcb bie beutfebe 9itteratur in all ihren $unbgebungen bis ju ben allermobemften unb 
allerfiibnften einer auRerorbentlicben Beachtung unb pflege, wie Rcb oorjüglicb auS 
bem für bie oerfdRebenen ftocbfcbulen oon bem UnterricbtSminifter erlaffenen Programm 
für bie Sijentiaten ^)iffertationen erfennen läfSt. 2öir Rnben in biefem ©rogramm 
für bie ^abre 1902 bis 1904 ben jungen ©bilologen auRer ben 2Berten unferer 
älafRter für ihre Arbeiten 3ur 2luSroabl gefteHt: ©tonnS „Aquis submersus“, ©uffe’S 
©ammlung „teuere beutfebe fipri!" mit ©ebidRen oon Annette o. Drofte^ülSboff, 


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fRunbfchau. 


79 


9Jtörife, Srreiligratb, Reibet, Eerroegb, Eendell, Zehntel, Siliencron u. f. ro., ferner 
Subermann’3 „©bre", „©3 roar" unb „©lüd im Söinlel", Eauptmann’S „29eber" 
„SSerfunfene ©lode" unb „^ufyrmann Eenfcbel", ©berS’ „Homo sum“, SBcnebij:’ 
„Sonntagsjäger" unb JßrocefS", Scbeffel’S „©ffebarb" unb „Trompeter oon Sädingen", 
Söagner’S „Xamtbäufer" unb „2Heifterftnger oon Nürnberg", ©ottfrieb SMer’S „SRomeo 
unb 3ulta auf bem Xorfe" u. a. m. ©in weitherzigeres Programm läfSt ficb geroifS 

faum benfen, felbft in Xeutfchlanb nicht. 

* * 

* 

v 9lutograpbenbanbel. —- 5lutograpben bürften roobl nirgenbS fo b<>b e 
greife erjielen roie in Bonbon, So mürbe unlängft bei einer Sluction in ©nglanbS 
Eauptftabt ein Slutograpb oon b<>b«w biftorifd^w 2Bert, nämlich ein $8rief beS 
EenterS ^amfon, in bem er bie oon ibm oolljogene Einrichtung CubroigS XVI. 
febilbert unb ben hob«* 2Hut unglüdlicben ÜHonarcben rühmt, für 625 JJrancS 
ugefcblagen. ©in anbereS oon fiubroig XVI. am 5. 3uli 1792 an ben ^ßräftbenten 
ber SRationaloerfammlung gerichtetes Schreiben erhielte 500 grancS. ©in 53rief ber 
9Jhne. föolanb oom 2. Januar 1785, roorin fle ihre Steife nach öonbon befebreibt 
unb bie in 3franfreicb gegen bie ©nglänber berrfebenbe feinbfelige Stimmung auf’3 
tieffte beflagt, mürbe für 275 3francS erftanben, foroie ein Schreiben fRobeSpierre’S, 

batiert oom 27. Xecember 1793, für 425 grancS. 

* * 

* 

^rofeffor 2Jtaj 2JlüllerS ©ibliotbef, bie 15.000 53änbe, 81 SanSfrit* 
Eanbfcbriften, barunter mehrere Unica unb oiele iüuftrierte SBerfe umfaßte, ift nach 
Qapan oerfauft roorben. XafS fte nach 3apan roanberte, anftatt in ©nglanb ju 
bleiben ober nach Xeutfchlanb oerlauft ju roerben, muffte 53efremben erregen; bie 
Sache foll inbeffen folgenbermafeen jufammenbängen. 9facb ber 53eftimmung beS 
SBerftorbenen foüte bie $8ibIiotbef als ein ©anjeS oerfauft, jufammengebalten unb, 
roomöglicb mit feinem tarnen oerfeben, untergebraebt roerben; bem SöerfaufSpreiS 
(70.000 ÜHarf) b fl tte er «ne oor etroa fecbS fahren oorgenommene Schälung ju 
©runbe gelegt. 3n>ei gro&e englifebe 53ibliotbefen in ber ^rooinj liegen fich ben 
Katalog fommen, fanben aber, bafö fte bereite mehr als bie Eälfte ber barin auf= 
geführten Bücher befaßen unb fonnten für bie anbere Eälfte ben für bie ganje 
Sammlung feftgefefcten *ßrei3 nicht erlegen, fich auch nicht mit 8000 ober mehr 
Xoubletten belaften. ©ine anbere englifebe ©ibliotbef gälte bie Sammlung gern 
erroorben, fonnte ba$ aber nicht, roeil fie für angeroanbte Söiffenfcbaften gegrünbet 
roorben roar. ©in grofeer Sonboner ©ucbbänbler erflärte fcblie&licb, bie Einterbliebenen 
roürben nie imftanbe fein, bie Sammlung als ein ©anjeS ju oerfaufen. Sooiel für 
©nglanb. 3BaS Xeutfdjlanb betrifft, fo hätten jroei bebeutenbe beutfehe 53u<bbänbler 
ben Katalog etroa fünf ÜHonate in Eänben gehabt, ohne bafS fte ein ©ebot übermittelt 
hätten. MerbingS machte eine beutfehe 53ibliotbef ein ©ebot, aber biefeS lautete 
nur auf bie Eälfte beS ScbäfcungSroerteS. ^njroifcben roar oon 3apan ein Angebot 
gefommen, auf baS bie Einterbliebenen, ba fte bie 53ibliotbef roeber in ©nglanb 
noch i« Xeutfchlanb ju annehmbaren 53ebingungen oerfaufen fonnten, eingiengen. 
XHe Japaner nahmen bie ©ibliotbef, ohne bie Überfenbung beS ÄatalogeS abjuroarten, 
jum Scbä&ungSroert. X)ie Unioerfttät Xofio baut eine befonbere Ealle für bie 
33ücher, bie ben tarnen „9Jlay 3JtüHer-S8ibIiotbef" führen roirb. ©in reicher ^npnner 
SBaron Qroafafi, trägt bie fämmtlicben Soften unb macht ber Unioevfität bie 53ibliotbef 

jum ©efcbenl. * * 53. '-8. 

• 


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80 


Öhtnbfcbau, 


2Ba8 ein Sieb wert fein fann. — 2>afg ein einfaches Sieb fi4 unter 
Umftänben alg wahre ©olbgrube erweifen fann, bag belegt einer ber erften Sonboner 
SJtujifoerleger in einer englifeben 3*itf4nft bureb ein paar intereffante Beifpiele. 
©3 fei baraug folgenbeg wiebergegeben: 34 funn oerftebern, fdjreibt er, bafg niele 
©olbbergwerfe, bie bureb ein grofeeg ©apital in ©ang gebracht werben, nicht fo niel 
non bem foftbaren 3Rineral ergeben, wie ein einjigeg glücfücbeS Sieb, bag ber 
©omponift mefleiebt in einer halben ©tunbe probuciert but. 34 fönnte au§ bem 
©tegreif ein 2)ufcenb Sieber nennen, bie jebe$ einen ©rtrag non 200.000 2Rarf 
abgeworfen buben. 25a ift $. B. SJtagcberoni’g oorjüglicbe Ballabe „For all Eternity“. 
34 fann jwar ni4t genau fagen, wieoiel biefeg Sieb febon abgeworfen but, aber 
oor ni4t ju langer 3«t würbe bag Berlaggrecbt auf 44.800 OJtarf gefcbäfct, eine 
©umrne, für bie eg oerfauft würbe, ©erabe biefeg Sieb würbe urfprünglüb einem 
Sonboner Berleger für 200 2ftarf angeboten, unb er feblug bag Angebot aug. 3Jtan 
barf natürlich nicht bag SKififo ber Verleger uergeffen. 2batfäcbli4 ift uon je bunbert 
Siebern, bie mir angeboten werben, faurn eing bie 2)rucf‘ unb Berlaggfoften wert. 
Unter ben Siebern, bie einen 9tufcen oon mehr aig 200.000 SJtorf gebracht buben, 
ift in erfter Sinie ©uüioan’g weltberübmteg „Lost Chord“ ju erwähnen. 2)iefeg Sieb 
würbe tbutfäcbli4 in weniger alg einer ©tunbe componiert, unb für biefe einftünbige 
Arbeit erhielt ber ©omponift 200.000 SJtarf an Abgaben. 2)amit uerglicben ftnb 
Bejahungen, wie 9tubgarb Äipling fte erhält, ju unbebeutenb, um erwähnt ju werben. 
2)ag Sieb „In Old Madrid“ mufg feinem Verleger faft 400.000 ÜJtorf gebracht buben, 
benn feine Beliebtheit war piele 3ub** feh* 0to6- 3« ben „©olbminen" würbe ich 
auch rechnen „The Better Land“, „The River of Years“, „For ever and for ever“ 
„Good*bye“, „The Devont Lover“, „Nancy Lee“, um nur ein bulbeg 2)ufcenb ju 
erwähnen, beren ©efammtertrag ni4t weniger alg 1,200.000 SJtarf betragen buben 
fann. Unter ben jefct beliebten Siebern, bie jeboeb bie älteren nicht uerbrängenr 
oerfpreeben „The River of Life“ „The Flight of Ages“ unb „Beauty ’s Eyes“ eine 

für ©omponiften unb Berleger gleich reiche ©mte. 

* * 

* 

Breigaufgabe. — 2)er Berwaltunggratb ber SBebefinb’fcben Breteftiftung 
für beutfebe ©ef4i4te but für 1901 big 1906 folgenbe B*eigaufgabe gefteflt: „©ine 
fritif4e ©efcbi4te ber fä<bfif4en Bigtbumggrünbungen in ber farolingifeben 3*it." 
2>er B*eig beträgt 3300 3ftarf. 

♦ * 

* 

Breigaufgabe. — 2)ie pbilofopbif4e Sucultät ber Unioerfität ©öttingen ftellte 
für bag 3ubr 1904 aug ber Benecfe’fchen B*eigftiftung folgenbe Breteaufgabe: „2)ie 
^acultät wünfebt eine ^iftorif4e unb befebreibenbe 2)arftellung ber neulateinifeben 
weltli4en Sprif 2)eutfcblanbg wäbrenb beg fecbjebnten unb ftebjebnten 3 a b*bunbertg 
unb im 3lnfcblufg baran eine Unterfucbung beg ©influffeg, ben biefe Sprif auf bie 
in beutfeber Sprache oerfafgte 2>i<htung beg ftebjebnten 3ub*b un & er tg auggeübt but 
2>ie au&erbeutfcben 9leulateiner, ingbefonbere ber SfUeberlanbe, werben babei auggiebig 
berücffi4tigt werben müffen; bagegen liegt bie ©pigrammenbiebtung unb bie rein 
bibaftifebe Boefte ni4t im Nahmen ber Aufgabe." — Bewerbunggfcbriften ftnb.big 
31. Sluguft 1903 an bie Jacultät einjufenben. 2)et erfte B*eig beträgt 3400 SJtarf, 
ber jweite 680 SJtarf. 


fHebacteur: 2)r. granj ©ebnürer. 

3of. ffloty’föe ®erlafl«biid$anbluiiQ. — ©ucfjbrucferei 9lmbr. 0pi&, ©ien. 


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Altnordische Dichtkunst. 

Bon Dr. Rtdjarb fc. Krank. 

f ic altnorbifcße Sitterotur aeicfjnet fich nicht nur burcß eine unoergleictjUdje 
lt)rifch s epifche ^JSoefie unb burcß eine ebenfo originale ^ßrofabicßtung and, 
fie fteßt auch burcß bie SluSbilbung einer poetifcßen Xecßnif faft ohne Sergleicß 
ba. ^öcßftenS bei ben 3nbern !ann man, befonberS maS bie lec^nif beS 
Dramas betrifft, eine gleich auSgebilbete 2f)corie finben. 5)aS, maS uns baS 
dajfijche älterthum hinterlaffen hot, ift in biefcr 93e$iehung Diel unzulänglicher. 
3)ic s JJoetifen unb SR^ctorifen beS 9lriftoteleS, £>oraz, ßicero, Ouintilian bieten 
rneitau^ nicht bie Klarheit unb Sicherheit, n>omit unfere altnorbifdhen Quellen 
baS SBefen ber Ipoefte im Sern crfaffcn unb bem Schüler ju unmittelbarem 
praftifchen ©ebrauch überliefern. 3<f) Dermuthe ztoar, bafö ähnliche Secßnifen 
auch bem griedhifchcit unb röniifchen dichter zur £>anb mären; fonft ließe 
fich bie mejfterlidhe Sicherheit ber Iprifchen unb bramatifchcn Sunftiibung 
faum erflären. 3lber mir hoben nichts mehr baoou erhalten. 

dagegen miö eS bie Saune ber Überlieferung ober auch ein wenig 
ber ßßarafter biefer urgermanifcheu Snnftauffaffung, bafS unS bie altnorbifche 
s 45oefie mefcntlich in bibactijchem Sinn unb Mahnten erhalten mürbe, ©egen 
baS ©itbe ber großen unb fruchtbaren Sfalbenzeit hot man nämlich baS, 
maS bisher auch nur mtiitblich unb lebettbig im SemujStfein beS SolfeS unb 
feiner SBortfüßrer mar, fcßriftlich fixiert unb gcfammclt. 9lnt 6nbe biefer Mcifje 
ftcht ber berühmte 3Slänber Snorri Sturlufon (1179 —1241), ber 
SSerfaffer ober Mebactor ber (Sbba unb Sfalba. „@bba" foH ja fo uiel mie 
„ s J}oetif" bebeuten, unb biefe Sammlungen mürben zufammeugeftctlt z u bem 
ßmeef, als SSorbilber, als Sehre z» bienen. 

3n brei Steile verfallen biefe Arbeiten unb geben fo bem 3ünger in 
miinfchenSmerter Slarßeit bie brei £auptlehren feiner Sunft: 1. bie Sehre 
Dom poetifeßen Stoff, als melcßer mit richtiger Schärfe auSfchließlich bie 
„Sage" im haften Sinn erfannt mirb, 2. bie Sehre uott ber poetifeßen 
Sprache unb 3. bie Sehre Don ben Strophenformen. 

®en erften Xßeil fonn ich ^ cr übergehen, beim ich fefee bie öfters 
uerbeutfeßte profaifeße 6bba als befannt DorauS. Micßt fo befamtt fiitb bie 

Xit »litur. III. CJaörfl., s. £eft (i»oi.) 6 


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H2 IHi^arb o. Stralit. 

Sorreben gu bicfer Sagenfammlung, bie eine Anfnüpfung unb Au#gleicf)ung 
ber germanijehen ©ötterfage mit ber Sibet unb ber griedjifdjen ©öttermelt 
aiif theil# euhemeriftifcher, teil# atlegorifcher ©runblage {neben. $)ie Schöpfung 
Abam# unb Soa#, bie Koaflut rnirb ergäbt unb ber Abfall ber Ktenfehen 
Dom mähren ©tauben. „Aber nichts beftominber gemährte ©ott irbifche ©oben 
unb 3Bei#beit, fo baf# fie oerftanben alle irbijehen ®inge unb ade ffirfcheinungen, 
bie fie feiert tonnten in Suft unb ©rbe. $)a# bebachten fie unb munberten fid), 
mie ba# gugienge, baf# bie ©rbe unb bie X^iere unb bie Söget hätten gleiche# 
SBefen in manchen Gingen unb boch ungleich in ber Art. Scrg unb Stein 
oerglichen fie mit föhnen unb Seinen ber ßebenben. Sie fchloffen au# 2Bach#= 
thum unb SBelfen, baf# bie @rbc tebenb märe, freilich fürchterlich alt unb 
mächtig. 3u ihr al# ihrer ©cbärerin gälten fie ihre ©efchlechter gurücf. 
Auch fchloffen fie au# bem öerfchiebenen ©ang ber £)imntel#geichen, baf# ein 
Steurer berfelben ba fein miiffe. ®iefem unb allen Gingen gaben fie Kamen 
auf mannige SBeife, fo mie bie Söller fich fchieben unb bie Sungen (ich 
oeränberten." Son 3&n)after, bem ©rbauer be# babplonifchen 2hurm#, erhub 
fich ber 3rrthum ber ©ötteroerehrung. @r nannte fich Saal. Sein Srrthum 
mürbe oom fretifchen Saturnu# erneuert, ber oor feinem Sohne Jupiter 
nach b cm Korben floh unb fich Kjörbh nannte. @r lehrte ba bie SKenfchen 
pflügen unb SBein pflaitgen. Dbhinn floh bann tior Sontpeiu# unb behauptete, 
ber alte Sriamu# g U jein. Sh rt K]i a h^fe nach feiner 3rau Sngg- £f)orr n>ar 
ber Sohn SKemnon'#, Sif bie Sibptle, Xbmbbeim ift Ih™fien. $iefe 9tfcn 
fuhren nach ben Korbtanben, mo Stönig ©plfe fie befitcht. Kun jefct ba# 
4&auptftiicf ber ©bba, ©plfe'# Xäufchung (©plfaginning) ein. Sn einem 
3mijchenmort mirb noch Utije# mit 2ofi Oerglichen. ®ann folgen „Sragi'# 
Keben", unb enblich mahnt noch einKachmort: „Aber bie# ift nun gu fagen 
jungen Stalben, bie nach ber Sfalbfchaft, ihrer SBortfüüe unb ben alten Se= 
nennungen begehren, baf# bie# Such nur gu ihrer Setehrung gu oerftchen 
ift, nicht, um an bie heibnifchen ©ötter gu glauben." 

Kur ba# Atlegorifche, ba# Sropifche, bie Serfonificationen, bie poetifche 
Serlebenbigung ber Katur unb ©efchichte follte man at# ein unumgängliche# 
Sngrebien# ber poetifchen ©eftattung au# ber SKptbologie lernen, bie ja auch 
einmal au# bem AHegori#mu# entftanben mar. Kur bie cuttliche Serehrung, 
bie Abgötterei follte at# irrtümlich üermieben merben. Aljo gereinigt erfchien 
bie SJtpthologie nicht mehr jchäblich, fonbern fogar geeignet, gum Schmucfe 
chriftticher ©egenftänbe gu bienen. 6# ift biejetbe ©rfcheinung, bie bei ber 
Sermenbung antifer SKotioe in ber christlichen S'unft burch gange SKittet- 
alter, unb auch in ber Soefie g. S. bei $)ante, Sannagaro auftritt. 


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SUtnorbifche 3)i<htfunft. 88 

®omit fchliefjt ber crfte Ifjeil ber altnorbifchen ©oetif, bic ßbba, unb 
beginnt bie eigentliche ©falba, bie ©falbfchaftSrebe (©falbffaparmal), bie 
Sehre öom poetifchen ÄuSbntcf. 2 luch fie tuirb^ tüie ba3 Sorhergehenbe, in 
bialogifcher SBeife abgeljanbelt. ®er ®ichtergott ©rage ift eä, ber bem 2Reer= 
geift Megir auf feine fragen bie ganje Xh cor ie auSeinanberfefct. Sch gebe 
aus biefem bi^er meinet SBiffenä nicht überfefcten Sractat im folgenben einen 
'ÄuSjug be3 SBichtigften nach einer ftberfefcung, bie ich fahren angefertigt 
habe nicht in philologifchem, fonbern in rein fachlichem, prattifchem Qntereffe. 

ß3 mirb mit ©eifpielen fennjeichnenber Umfehreibung begonnen. 3uerft 
tommen bie oerfchiebenen au$ bem 9Wpthu$ ju erflärenben Umfchreibungeu 
für bie S)icht!unft. ©o fagt 3 . ©. 2 lrnor 3 arlaf!alb: 

ß3 brauft ba3 „©ier 9lttoater$" (= Dichtung): 

$>eine Xhaten, £>errfcher, 

Xreibt e3 mich ju tünben, 

9Jteine ©ruft erleichternd 
Ober fo fpricht SJtcf: 

3 >er treue ®ott, ber oftmals 
9Wir !am $um ^eiligen ©echer 
$e3 2 lfeugottd ber SRaben, 

SEBeicht bem traurigen dichter. 

Unb fo fang ßptoinb, ber „©falbentöbter": 

Unb ©iegfrieb, ber ben Schläuen einft 
$)e3 fiaftengottä (Dbhin’3) ba3 Sier gereicht, 

Serlor ben 2 eib 11 . f. m. 

©0 Ulf Uggajon: 

®er meitberiihmte 9luhme§gott 
leitet 51 t beä ©ohneä 
$ohem ©cheiterhaufen, — 

$er ©ang fließt mir 00 m DJittnbe. 

5)unfler fingt Sorntaf: 

$er ßrbenherr, ber ©ären 
©änbigt, fehmüeft be3 Sichters 
©time. 9tinba’£ Siebe 
SBich bem Sauber JDgger’d 
ßinfacher fagt ©teiuthor: 

Sch freue mich am toenigen, 

®och tounberalten 9flctf)e 

2 )e$ frieggebietenben 3reunbe3 

Sener polben ©unlab (b. i. Dbf)in'£). 

g* 


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84 


Siicbarb o. flralit. 


@o 9tef: 

#ebrer SBatgotb bu, 

Der $immet8mölbung ffönig, 

Dir allein oerbanfen 
2Bir bie Straft jur Sichtung. 

So ffiinar ©fatagtamm (©ebaflfpeer): 

SKein 9tmt ift'S, be§ f>eergotte$ (Dbbin'3) 
Iran! bem f>errn ber Skiffe (bem S'önig) 
greubig ju^utrinfen 
Stiebt ber greia gönn' icb'3. 

So fagt Ityorfnalb ©tönbuffalb: 

9tun f)ab' ich manches 
©emifebt in ben 2Retb 
Des non ©ör gehonten, 

©ure'S Srbeit (b. i. Dbbin'S). 

Ober fo Drm SteintborSfon: 

©ringt bie ©iergefä&e 
Unb meines lobten Seiche 
3ufammen in eine $afle! 

$ört Dmatin’S Iran!, ihr Wenden! 

©o lieber Sief: 

Der Iran! beS ©teinbergootfeS (ber 8tt)crge) 
©rregt ben Seift beS Iborftein. 

@3 raufest ber CueU ber ©ergfrau’n. 

3u bören befebf ich ben SJienfcben. 

©o ©gi(: 

©aftlicb toar ber giirft mir; 

Drum fing' icb fein 2ob. 

3cb brachte Dbbin'S SDietb 
9litf ©nglaitbS ©oben. 

©o ©lum ©eirafon: 

■Diänner, bört! ©om Iran! ber 
Slfen miü icb trinfen. 

D'rum gebiet' icb ©ebtoeigen. 

SJriegSfang fotlt ibr höre* 1 - 
©o ©btoinb: 

geh miinfebte ©ebör 
giir baS toonnige Siieb, 

©iS bafS icb berichtet 


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SUtnorbifdje $id}tfunft. 


85 


©iHing^ 9tad)e, 

33i3 baf§ feine Slbfunft 
$on beit ©öttent icfj fagte 
3 m Seffettranf 

$e3 ©algengetragenen ( 0 bbin’£). 

©o ©inar ©fataglamm: 

Den ©eetoolf (Schiff) lenft bg£ ©ebot beS. fi'önigS. 

STOir gefällt be£ dürften Slbfidjt. 

4>ocf) fc^tägt Dbbrörir^ SBoge (ber Dic^tertranf) 

9tn be$ ©ange§ Rippen. 

#fjnltd) berfetbe: 

9?un mädjft bie SBoge be3 Steffels; 

3 b r gelben in ber £>a(Ie, 

£ordE)et auf unb tauftet 
Dem ©djiff ber gelfemuofjner! 

©o ©ilif ©ubrunarfon: 

©ei Sftic^ter bu ber SreunbfdjaftS- 
©oben, toenn ber ©ame 
DeS Steffeln 511 SönigS 6 ^ren 
3 m Selb beä ©eifteS auftuäcbft. 

©0 fagt 3Bölu*@teiit: 

Sgil tron ©laumberg! $äre 
Den ©trom beS SreunbeS Sftimer’ä! 

©r raufet um bie Stippen beS ©aumenS; 

Dbunb'S (Dbfjin’S) Snnb toarb mir gegeben. 

©0 0 rm ©teintborfon: 

SReitte Sieber treffen 
Seinen; ©pott nicht mifcb r icf) 

3u beut ©ang beS SBibur; 

®in ein bieb'rer SangeSfcbmieb. 

60 Ulf Uggafon: 

DeS SriegSgottS Iran! beranfdbt 
Olafs ©eift, beS milben 
Unb fingen $ernt. len toil! icb 
Saben ju ©rimner’S (Obbin'S) ©abe. 

8 fDe biefe Umfcbreibungen erflären fid) toon felbft aus bem finnreicfjeit 
SRljtboS Dom Dicbtertranf, beit bie 3toerge guerft aus ftmafer'S Slut ntifcben, 
ben bann bie SRiefen rauben unb in brei Steffeln burcb ©unlöbb oertoabreit 
(affen, ben enbtidb SBobait biefen nach manchen ©efabrett unb Arbeiten entliftet. 


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86 


Richarb t>. Kralit. 


3)aher Reifet bie Dichtung noch: Kroafer'S ©lut, tfroergenfchiff, gtoergenmeth, 
Riefenmeth, SuttungSmeth, ObhinSmeth, SIfenmeth, ©atergelb ber Riefen, 
Saft Dbhrörir'S unb ©oben'S uitb Son'S (ber brei Keffel), «Saft ber fmit* 
berge, Sang, Sunb ober Saft unb ©abe Dbhin’S u. f. to. 

Run folgert bie Umfehreibungen ber Stfen, bie ich übergebe, ba jie in 
SimrücfS Überfepung ber f>auptfache nach, aber ohne bie citierten Sfalben- 
ftrop^en, oorliegen. S)urchfichtiger als in biefen ©ötterbenennungen erfcheint 
bie TOegorie in einigen anberen, oielgebrauchten Gegriffen. So toirb ber 
i m m e l als ^irnfdjale beS liefen $mer, als Arbeit ober Sürbe ber öiet* 
3toerge, als £>elm Sßeftri'S, 5luftri% Sitbri'S, Rorbri'S bezeichnet, als ©rbe 
ber Sonne, beS 2RonbeS, ber Sterne unb ber Stürme ober ber Sternbilber, 
beS SBagenS u. f. m., als £>elm ober §auS ber Suft, ber ©rbe, ber Sonne, 
©inige ©eifpiete aus ber Sfalbenpoefie: $eS Königs SRilbe toar berühmt 
unter ber alten f>irnfd)ale $mer'S (?lrnor 3arlaffalb). ©8 Serledjjt bie 
Arbeit s 2luftri'S (berf.). 2>er ©rbe Sohn (3^or) fuhr $u SBagen jurn ©ifen- 
fpiel; ber SBeg beS SRonbeS aber erbebte unter ifjm (2l)iobolf b. £min). 2Bic 
immer auch mich, 0 $ife (Srau), ber $err ber gtoergenbürbe aufnehmen toirb, 
er tentt baS Reich beS StegenmegeS; ich toeifj, baf$ er ein mächtiger König 
ift. — 3ener, ber ba toarf bie Singen beS ©aterS ber Schlittfchuhbife 
(Iljiaffi, ©ater ber Slabt)i) in bie toeite Scpüffel ber SBinbe über manniger 
9Renf<hen Sipe. — ©3 fehlt Diel, bafS ein befferer SJlenfdjenfcpüper tpachfe 
am ©ntnb ber Söinbfdjüffel, umgeben bom tönenben SReer. — ®en ^eiligen 
£>errn beS popen ©rbenzeltS ruf' ich eher jurn Stifter an für biefen ©efang, 
als bie SRenfchen; benn jener ift ^e^rer. 2)aS Sieb beginne! (Stein 
.^erbiSarfon). — D treuerer König ber ©rbe beS 2ageS, pilf bent tpeuren 
$ermunb! (9lmor 3arnaffalb). — 'Serfelbe: D magrer §err ber Sonnen* 
zelte, hilf bu bem mutigen Rögentoalb. — $afltoarb: Knut mehrt baS Saub, 
wie ber allmächtige ©ott ben glän^cnben Saal ber ©erge. - 9lruor: S)ev 
meife SRichael fchäpt baS, toaS unrecht, unb alles, toaS gut fcheint. ®arauf 
fcheibet ber König beS Sonnenhelms auf bem Richtftuhle bie äRenfchen. — 
2Bie man fieht, mifchen fich hier rein cpriftliche 2lnfchauttngen in bie alle- 
gorifche Sage. 

2>ie ©rbe roirb umfehrieben als Sleijch beS Urriefeu $mer, üRutter 
beS Ih ör / Xochter Dnar'S, ©raut Obhin'S, Rebenbuhlerin grigg'S unb Rinba'S 
unb ©unlöbh'S, Schtoiegermutter Sif'S, ©oben unb ©rnnb beS SBinbfaalS, See 
ber X^icrc, lochter ber Rächt, Schioefter ^lube’S unb £ag’S. 3^ei ©eifpiele 
t)on ^allfreb ©anbräbaffalb, bem „fchtoierigen Sfalben": ®er Rath gtücfte; 
fo gefchah eS, bafS jener fdjneürathenbe Sreunb beS Königs barauf bie ein* 
^ige lochter Dnar'S, bie mit ©äumeit betleibete, ^eimfii^rte. Ober noch 


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SUtnorbifdje SÜcptfunft. 


87 


fünfter: ©S gelang bem gelben, ber bie Slaben reijt, bie ©raut beS 
JtammaugS, bie breitföpfige, burch bie Siebe beS Stahls ju fich ju toefett 
ib. h- ein ßanb ju erobern). 

®te ©ee mirb Umtrieben als $)mir'S, beS SBeltriejen, ©tut, als 
©ernahl Slan’S nnb ©ater ber neun StgirStöchter, auch ©rbe berfelben unb ber 
Schiffe, ber gifche, beS ©ifeS, SEBeg ber ©eefönige, Sling ber ©itanbe, £>auS 
beS ©unbS, beS längs unb ber Stippen, Erbe ber gifchangel, ber ©eeoöget 
unb beS SBinbeS 5 . 93. (0mt bon Sarrep): Sahrt toohl! ^rauften an ber 
Säfte raufet $mir'S ©lut. — Sief: ©erabe trägt baS SBettthier feine 
roogenumbrängte ©ruft burdjS SJleer oou SBeften; baS $adh ber SBalfifche 
njirb in bie §ötje geioorfen: id) erwarte Sanb oor bem ©chifffchnabel. — 
©Dein: 2ltS bie heftigen unb rauchenben ©ergroirbet, bie f roftgenährten, auf* 
hoben unb auSeinanberjagten bie 2lgirStöchter, bie fturmfrohen. — Sief: 
©pmer'S (= #gir'S) falte SSiala (= Slan) rnirft oft ben ©ären ber Schiffs* 
feite (baS ©djiff) in $gir'S Slawen, too bie 9Boge mit ©raufen branbet. — 
$)erfetbe: 3)och baS Stofs ber ungeheuren ©Sogen (= ©d^iff) / mit ffiaffer 
befpri^t, hob bie ©ruft, bie rothbematte, aus bem Slawen ber fchäumenbeu 
Slan. — ©inar ©futafon: ®aS SlofS beS ©chroanenfelbs (= Schiff) macht 
ben ©eegrunb in SBirbet oerfinfen. — $erfetbe: Xie raufchenbe Erbe ber 
Äuget urnmaflt bie Säften. Ober: $ie Jpotmfeffet (= ©ee) treibt ben ©ee* 
mannSrabeu (— Schiff). 0ber: ber $otmranb. (= ©ee), in §erbftfälte 
fchaubernb, toarf ben bitten ©chtittfchuh ber ©ee (= Schiff). Ober: ®er 
ftramme ©ürtet ber falten Sanbe fpringt auSeinanber oor bem ©orb. — 
©näbjörn: ©ie fagen, bie menfehenf einbliche SRühte ber Stippen (= ©ee) 
roerbe außerhalb beS SlanbeS ber ©rbe aufgerührt oou jenen neun ffljeer* 
fchtoeftern, bie baS Säger, barauf bie Schiffe ju ruhen pflegen, oor langem 
jerfchlagen h a & cn - ® er Slingoertheiter (= Sönig) bitrchfchneibet ^amleth'S 
SRüpte (= ©ee) mit bem ©chiff*borb. 

Stuu folgen Umfehreibungen ber Sonne. ©0 jagt ©fuli Iporfteinfon: 
©lett'S ftrahtenbe ©attin, bie götterflare, befchreitet fchuetl bie ©emächer ber 
©öttin; ba fam baS gute Sicht beS toeifjgefleibeten SRonbS. — ©inar 
©futafon: 2Bo immer bie hohe Stamme beS SuftfaalS über unferen heh r en 
Sreunb, ben golbgebigften (Sönig) bahinfehreitet. 

®er ©Sinb heifet gornjot'S ©ohn, ©ruber Ägir's nnb beS $euerS, 
©recher ber ©äume, ©djaben, ©erberben, £unb ober ©Solf ber Segel unb 
©äume; j. S. ©oein: $uerft fiengeu ftornjot'S Söhne an, ben Schnee ju treiben. 

2>aS3euer helfet ©ruber beS ©Sittbs unb Ägir'S, löbter unb Schaben 
ber ©äume nnb Jpänfer, Sonne ber Käufer. 


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88 


Sticparb o. £ralif. 


Ser SBinter peifjt 2Binbfüpl'3 ©opn, Söbter ber SBürme, 3^t ber 
Stürme, j. ©.: 3cp ratpe bem blinben Wanne, bafö er piet jufrteben mit 
SBiitbfüpf 3 ©opne (ebe (0rm ©teintporäfon). Ober 3l3grim: Ser ©iegerringer, 
ber greigebige (fi'önig) burcplebte jenen ©cpmer$ ber ©erlange (ben SBinter) 
barauf in Spranbpeim. 

Ser Sommer bagegen ift ©üfjminb'ä ©opn, grueptjeit, ©lücf ber 
SBärrne; j. S. (®gil): Stößer be3 SBolfeapnä (Slönig)! ©Urningen mir 
unfere pepren ©cpmerter! ©rofee Singe muffen mir uodbringen in biefer 
greubenaeit ber ©cplangen. 

Sine grofce Stode bei ben altnorbifcpen ©falben ebenfo mie bei 
Sicptern anberer 3^italter unb Sölfer fpiett ba3 ©olb; e3 mirb nadj 
befannten Wptpen umfeprieben al3 geuer Wgir'S unb Stan'3, ber Weergötter, 
in beffen Saat e$ ftatt be3 Sid^te^ teuftet, at3 Saub be3 $aine3 ©tafir, 
al3 £>aar ber ©öttin ©if, al3 pauptbanb gitüa’S, Spränen greia’3, Wunb' 
rebe, Sprache ober Sßort ber liefen, meil biefe einft mangels anberer 
gnftrumente ba3 ©olb bei einer ©rbtpeilung mit bem Wunbe mafjen; als 
Sropfen, Siegen ober Stauer be3 SSJunberriitg^ Srattpner ober ber Slugen 
greia% al$ Dlterbufje, SSeprgefb ber 9(feit, geuer ber SBaffer ober ber 
|>anb, stippen ober Sliufen ber §anb 2C. 

Sinige Seifpiele. ©o jagt Srage: Seim Srinfgelag erhielt icp t)om 
Sönig ba3 geuer be£ fifcpreicpeit Weere3; ba$ gab mir ber giirft für ben 
Xranf giölnir'3 (bic Sicptung). 

So ©prninb ber ©fatbeutöbter: Sie Sonne, fcpeinenb in guda'$ 
Sanb, glänzte mäprenb .jpafon'3 ganzer 3^it ben ©falben auf ben Sergen, 
bie llder’3 ©d^iff (ben ©cplittfcpnp) tragen. 

So fagt ©fitli Sporfteinfon: Siele Kämpfer, mit Worbfeuer fcpabenb, 
erhielten am Worgen oiele „Spränen ber greia", meil mir ben Wann Der* 
trieben patten; ba mären mir babei. Sinar ©ftilajoit fingt: Sie parte SBacpt 
be£ Wecre3 braepte neuliep mir bett ©cpnee ber ©cpüffelit (Silber). Ober 
noep fiipiter: Ser frieg3füpne £elb, ber, Dbpin^ Serfammlung (ba3 £eer) 
umbröngenb, Streit erregt, gab mir bie Socpter ber äöanenbraut, bie über= 
mäeptige (greia'3't; jener mäeptige üeitfer ber Scpmerteroerjantmlung füprte 
bie Socpter ber ©efn (greia'3), befprengt mit ben Kopien (©luten) bc$ 
2 Bege3, ber oon ©antref* ©cpmänen betreten mirb, in ba3 Sett be$ ©falben. 
Sa3 peifjt einfach: ber Sicpter ift gut bejaplt morben. Ober: gep pörte, 
bie Wägbe grobpi^ patten eifrig gemaplett ba$ ftiffen ber ©cplange (@olb). 
Sie3 Wcpl genja’3 tragen bie reicpeit ©eiten meiner $l£t in £ot& eingelegt. 
Se£ milbeit &önig$ ®ut maept ben Sicpter angejepen. — 


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9Utnorbif<$e $td)tfunft. 89 

l^iobolf unb ajtbere ©falben benennen bog ©olb nach König Krafe, 
bcr e« einft, um bic Derfolgenben geinbe aufjuhalten, auf bcr glucht au«ge* 
ftreut ^atte: $er König befäct feineu Wannen ba« reichtragenbe Mderfelb 
ber {Ringe, bie e« lieben, an ben ©liebem ju bleiben (b. i. bie $anb), mit 
bem ©amen t>ou ?)rfa'« ©efchlecht; ber lafterfliefyenbe £err be« SReidj« 
beftTeute mir felbft ba« gelb be« ^abidjt«, ba« mit marnten gleifch bebedtc 
(bie £anb), mit bcr lichten ©aat Krafe'«. gm alten Sjarfamal toerben bie 
Benennungen be« ©olbe« alfo gehäuft: 

1 . gener freigebigfte König gab feinem ©efolge ber genja Söerf, 
gafner’« Wittgarb, ©lafir'« ©liihlaub, ©rane’« fchöne ©iirbe, ^raupner’« 
theuren ©<h»t>eij 3 , bie $aunen ©rabroolf'« (be« ®rachen). 

2 . ®« gab ber milbe König, bie Wannen empfiengen: ©if’« £aar, 
@i« ber £>anb, Ottern erjmungene ©ufce, bie Säuren ber Warball (greia), 
ba« geuer Droita'«, P>e’« (be« {Riefen) glänjenbe {Reben. 

3. 2Bir giengen fchöngefchmüdt mit 2t)iaffe^ ©erhanblungen. ®er 
Krieg«toeife erfreute Diele Wänner mit be« {Rheine« {Rotherj, bem Streit 
ber {Ribelungen; jenen fampffüfjnen König fchüfce ber fcfjroeigenbe ©alber! 

©inar ©fulafon nennt ©ilber unb ©olb jufammen: ben ©djnee unb 
ba« geuer be« Beutel«. ©r fingt aud): ®ie glamrne be« Weere« (©olb) 
bleibt täglich über bem meinen Schnee ber ©djüffel (©ilber); hoch ber König, 
ben ©djnabel be« ©eeroffe« (Schiffe«) mit ©drüben fchmüdenb, ^egt frei* 
gebigen ©inn. 9tie fann ber Schnee ber ©chüffeln fchmel^en toegen be« geuer« 
be« tönenben 9laltt>ege«. ®en König, ber bie golbenen ©piralringe au«theilt, 
nennen bie ©falben ©olbbrecher, ©olbmerfer, ©olbfeinb; B. fingt Dttar 
ber ©cbtoar$e: geh bebarf be« SBohltoollen« bcr h?h ren Wannen be« ©olb* 
brecher«; h^r innen ift bie ftarfe ©d)ar beim frieg«funbigen gürften." Ober 
©inar ©falaglam: „$er ©olbfenber läf«t ben |>errn ber ©rbe ?)gger'« Üranf 
genießen, ©eine föftlichen ©efchenfe empfieng ich." Ober 2h orn >alb Blanbaffalb: 
„®er ©olbfeinb mirft bie Kohlen be« $lrme«; ber König gibt rothe Schäle; 
bcr Beruic&ter ber Übelthäter ftreut bie Saft ©rane'«." 

(Sctyufä im näcfjftcn #cft.> 



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(Iber flüssige Cuft. 

fcon prof. ® fi. 1 . 1 |arttoig. 

alter Scott fc^ilbert in einem Stomon bie ungläubige 93ermunberung 
eiltet Orientalen, al# ein Sreu^faljrer oon feiner falten Jpeimat 
berichtet, bafö ba# SEBaffer im SBinter l)art unb feft merbe unb in Stucfc 
gefdjlagen merben fönne. Unb jener Orientale glaubte an bie SBunber oon 
Saufenb uitb eine Siadjt. 

3 n unferen lagen taffen bie greifbareren SBunber ber mobernen Xedjnif 
un# manche# Seltfame gemöljnlid) erfcfjeineit; bennod) merben mir moljl faunt 
ein äljnlidje# Staunen unterbrücfen fönnen, menn mir junt erfteit SWale Ijören, 
bafö e# gelungen ift, bie 2 uft in ben flüffigen 3 ll ftanb über^ufü^ren. 

®er tedjnifd^amerifanifc^e ©eift fpridjt bereite oon einem anbredjenbett 
„gafjrtjunbert ber flüffigen 2 uft" unb finnt in f)unbert köpfen ber praftifdjen 
Sermenbbarfeit be# neuen SRebinm# nadE), mir guten ©uropäer aber beitfen 
langfamer unb muffen bie feltfame Sunbe junäc^ft intellectueü oerarbeiten, 
um unfer $enfen gleicf)fam an neue Sitten unb ©cbräucfje 311 gcmöl)nen. 

2 Bir erinnern un# an bie öier ©lemente be# ©mpebofle#: 2uft, SBaffer, 
©rbe, geuer al# 9tepräfentanten be# Xrodfenen, geudjten, Satten unb 
3Barmen. SBenit mir aud) längft in ber ©Ijemie biefe Unterfdjeibung fallen 
gelaffen unb un# mit etlichen 70 bi# 80 ©lementeu üertraut gemacht l)aben, 
ift bodj in unferer 93 orfteflung etma# Oon ber alten ‘Benfmeife jurücf geblieben, 
unb e# ift un# ein unfagbar frembartiger Slnblicf, meint mir bie 2 uft in 
einem 93ecf)ergla# al# eine fjeflblaue, mäfferige gliiffigfeit oor un# l)aben, 
meldje auf bie falte ©rbe gegoffett, aufjifc^t unb oerbampft, „mie mentt 
SBaffer mit gcucr fidf) menget." SBir merben an bie Sfjafejpeare'fdfjen 
.öejenfprüc^e erinnert, bettn ba# Irocfene idjeint naf# unb ba# Saite gleich 
zeitig toarm 511 fein; bcutlicfyer fonnte ©mpebofle# nidjt miberlegt merben. 

©inft fdjrieb Seppler feinen Iraum 00 m äRonb, um feinen 3citgenoffen 
flar &u machen, baf# einem Sftonbbemoptter ba# SBeltall ganj anbei*# al# 
un# ©rbenmefen erfd^einen müf#te. git ueuefter $e\t erörtern Oerfcfyiebene 
Sfypfiologen mit großem Sdjarffittn bie grage, mie un# bie SBelt erfdjeineit 
mürbe, menn mir oon 9?atur au# mit aitberen Siitne#merfäeugen au#geftattet 
mären, 5 . 93 . ftatt ^meier 9lugen nur ein einzige# befäften u. f. m. ©bettfo 


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Über fliifftge Suft. 


91 


ermähnt T)u Sßrel in feinem Such „Ter Spiritismus", meid) reicher unb 
feltfamer ©mpfinbungSjumac^S aus einer — immerhin benfbaren — nernlichen 
Serbinbung unfereS ©etjörorganeS unb beS ©efichtSfinneS remitieren mürbe. 
SBir müfSten bann nothmenbigermeife bie öerfdjiebenen Soeben als auf^ 
einanberfolgenbe Töne hören unb umgefehrt bie Tonleiter als ftarbenfcala 
f e h e n. 

SB 05 U aber biefe phantaftifdEjen Speculatioueu ? Unjer SorfteüungSfreiS 
änbert fich bod) fchon in ber beftehenben ©onftetlation foSmologifcher unb 
organifdjer SebenSbebingungen beinahe mit jeber neuen uaturmiffenfchaftlicheu 
©rnmgenfchaft. Sluch bie Serflüffigung ber Suft mufS unfer SSeltbilb neränberu. 

SBir fteljen nor einer X^atfac^e: bie Suft, bie mir atfjmen, bie unfere 
@rbe als gasförmiges SKeer umhüllt unb gegen bett SBeltraum abgrenjt, 
ift bei einer Temperatur non ungefähr 200° ßclfiuS unter 9tufl als flitffig 
norjuftellen. Tie Suft fann nun nicht mehr als ber ©eneralnertreter beS 
gasförmigen $uftanbeS gelten, ben man bisher auch nöflig jutreffenb als 
„luftförmigen" charafterifieren burfte. Tie Suft ift nielmehr als ber Tampf 
einer glüffigfeit ju betrachten, bie bei — 200° fiebet. Ter 21uSbrucf 
,,fieben // fcheint aßerbingS für eine folche tiefe Temperatur nnpaffenb gemäht 
ju fein, ba mir unmiflfürlich an bie 100 ° SBärme beS fochenbeit SBafferS 
benfen müffen. Toch höben mir jebe SBärmeangabe als eine bloft relative 
anjufehen, unb jeber fförper non gemöhnlicber Temperatur ift h f i 6 gegenüber 
ber falten fluffigen Suft. 

SBir mevben banadh begreifen, bafS ein beliebiger ©egenftanb, in flüffige 
Suft gemorfen, ein Stufeifchen nerurfacht, mie menn ein glühenber Stahl in 
falteS SBaffer getaucht mirb. Sein ©jperiment fönnte unS anschaulicher bie 
Slelatinität ber 9taturnorgänge nerbeutlichen. 

2)tan hotte früher Tämpfe unb ©afe ftrenge gefonbert. $US unter* 
fcheibenbeS SRerfmal nahm man an, bafS ein T)ampf burch Trutf jit ner= 
flüffigen fei, maS für ein ©aS nicht galt. Später, als eS gelang, bie 
Stohlenfäure burch flroßeti T)rud ju conbenfiercn, unterfchieb man itod) 
fogenannte coercible unb permanente ©afe. 3 *i ben teueren, bie auch 
einem T)rud non mehreren taufenb Sltmofphären*» miberftanben, rechnete mau 
bie Suft, b. h- ©tidftoff unb Sauerftoff, ferner SBafferftoff u. a. 

T)a lieferte Mnbrems im 3öh rc 1869 eitblich eine befriebigenbe 
Söfuug. (Sr seigte, bafS eS für jeben Tampf eine „fritifdje Temperatur" 
gäbe, oberhalb melier berfelbe bei noch f° großem Trud gasförmig bleibe. 

*) 1 Sltmofphäre = 1 Kilogramm pro Ouabratcentimeter. 


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1)2 


©rof. Tb- g. Wartung. 


3Bir fönnen un§ biefe$, öuf bett erften ©lid anßbeinenb merfmürbige 
©ermatten auf folgenbe SBeife einfach erfläreit. Sa$ Sieben einer glüffigfeit 
bebeutet bie Ummanblung berfetben in ben Sampf* ober ©aSjuftanb. Ser 
entftebenbe Sampf b a *> um auä ber glüffigfeit entweihen ju fönnen, ben auf 
berfelben laftenben ßuftbruef flu öbertoinben. SBenn mir bafjer fagen, ba£ 
TBaffer fiebet bei 100 °, fo meinen mir bamit, bafS ber bei 100 ° entmiefette 
fBafferbampf eine Spannfraft befifct, bie gerabe fo groß ift, mie ber äußere 
Suftbrud, ber normal einem ©arometerftanb oon 760 SRiflimeter entfpriebt. 
gft baber ber auf ber Söafferoberflädje laftenbe Srud ein geringerer, fo mufs 
ba3 Sieben bereite bei einer niebrigeren Temperatur beginnen. Tbatfäcbticb 
fann man unter ber Suftpumpe ba§ Söaffer febon bei 80° jum Sieben 
bringen, menit bie Suft auf bie fjafbe Sicbtigfeit gebracht mirb, bei 60°, 
menn ber Srud nur mehr V» ^Itmofpbäte beträgt u. f. m. 

Umgefefjrt aber mirb bei fteigenbem Srud ba£ Sieben nur bei erhöhter 
Temperatur eintreten. Unter flmei Sttmofpbären Srud mirb ba£ SBaffer erft 
bei ungefähr 120 °, unter 10 9ltmofpbären Srud bei etma 180° fieben, 
b. b- bei 180° befifct ber SKafferbampf eine Spannfraft oon 10 Sltmofpbären. 

©reifet man nun SEaffev in einem gesoffenen ©efäß, fo baf$ ber 
"Dampf nicht inä greie entmeicben fann, bann mirb biefer felbft Sießlicb 
bureb feine Spannfraft ba£ meitere Sieben berbinbern. Ser Sampf ift bann 
ber üorbanbenen Temperatur entfprecbenb „gefättigt". 

©ei meiterer ©rmärmuitg gebt abermals etma§ Söaffer in Sampf 
über, mobureb bie Sampfbicbte unb ber Sampfbrud immer größer mirb, bie 
Siebte ber reftierenben glüffigfeit aber ftetig abnimmt. ©£ muf£ baber enblicb 
eine Temperatur erreicht merben, bei melier bie Siebte be£ Sampfe£ gerabe 
fo groß ift mie jene be£ 2öaffer3, unb biefe nennen mir eben bie „fritifebe 
Temperatur". 

Sie beträgt für SBaffer 365°. Oberhalb berfelben mürbe baS SBaffer 
in flüffigem gnftanbe eine geringere Siebte al£ ber gefättigte Sampf befifcen, 
b. b- oorbanbeite 3Raffe mürbe ein größere^ ©olumen flüffig, al3 bampf* 
förmig einnebmen. Sa£ ift aber unmöglich- Senn bie berrfebenbe Sampf* 
fpannung ift bei 365° auf 200 9ltmofpbären geftiegen, unb bie Subftanfl 
mirb ficb naturgemäß in feite gorm oermanbeln, melcbe biefem hoben Srud 
am meifteu miberftebt, unb ba$ ift bie gorm be£ fleinften ©olumen# unb ber 
größten Siebte: bie Sampfform, b. b- oberhalb ber fritifeben Temperatur 
muf$ bie glüffigfeit ooflftänbig in Sampf übergeben. 

gm ©runbe genommen läf£t ficb *n biefem fritifeben 3uftanbe über* 
baupt ein ftrenger Unterfebieb jmifcbeit glüffigfeit unb Sampf nicht faffen. 
fflir pichen ben lepteren kanten nur oor, meil bie Subftanfl bei Abnahme 


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Über flüffiflc Suft. 


93 

beS TrudeS immer mehr bie Gigenfchaften eine* ©afeS geigt. Unb als ©aS 
merben mir nunmehr jeben Körper oberhalb feiner fritifchen Temperatur 
begegnen, mäljrenb er unterhalb berfelben in coercibter Tampfform auftritt. 

Tie Kohlenfäure, meldEje fchon bet ber fritifchen Temperatur non 31'* 
©ärme unter 75 Sltmofphären Derflüffigt merben fann, ift bemnach für 
getüöfjnttdj gerabegu als Tampf angufehen, nur über -f 0 ift ft* — ber- 
gteichSmeife gefprodhen — ein permanentes *^aS. 

äRenbelefeff fyat in biefem Sinn auch bie fritifcfje Temperatur beit 
abfoluten Siebepunft einer gliiffigfeit genannt, ba bei biefer Temperatur baS 
Sieben ohne SRüdficht auf ben äußeren Trud erfolgt. ©aS^ mir gemöhnlich 
als Siebepunft begegnen, geigt nur feite Temperatur an, bei mefdjer eine 
3tüfpgfeit unter bem normalen Suftbrud bon 760 SKiüimetern in Tampf 
übergebt. 

Tiefer Siebepunft liegt natürlich tief unter ber fritifchen Temperatur. 
Ter Siebepnnft b*S ©afferS liegt 265° tiefer, benn erft über 365° mirb 
ber ©afferbampf permanent. Ter Siebepuuft ber Kohlenfäure liegt bei 
— 78°, morauS erflärlich mirb, marum mir biefen Körper für gemöhnlich 
als „®aS" anfpredjen. 

©ir Kulten überhaupt ©afe als überfpfcte Tämpfe anfehen, bie fefjr 
meit bou ihrem SättigungSpunft entfernt finb, b. h- bereu Siebepunft fefjv 
tief liegt. 

Sluf biefc ©eife fönnen mir bie SRelatimtät ber Slggregatguftäube 
gebanflich feftfteflen. Um ben ©ebanfeit gur Tf)at merben gu laffen, bebitrfen 
mir atlerbingS noch ber $erftellung tmu feljr tiefen Temperaturen. 

©ir gehen oon gmei fet)r befannteit ©rfdjeinungen aus. ©ir befeuchten 
bie Jpanb mit ©affer, Sllfohol ober SÜtljer unb führen burch rafche SPemegung 
baS Serbunften ber glüifigfeit heröri. S8ir oerfpüreit in ber §anb ein ftarfeS 
Kältegefühl. Tie 3tfüffigfeit h a * beim SSerbunften ©ärme oerbraucht unb 
feiner nächfteu Umgebung, ber ^anbfläche, entgogeu. GS entftcht fogettannte 
SerbunftungSfälte. 

Tie gmeite Grfcheinuitg fann leicht beobachtet merben, menn man burch 
®lafen einen falten Suftftrom ergeugen mill. ©ir fpifcen gu biefem Sefjufe 
bie Sippen, um einen möglichst fleinen Spalt h^rgufteUen, unb preffett bie 
Suft aus unfereu ßungen in bie 5ftunbf)öl)le, moburch fie contprimiert mirb 
unb nun burch bie enge ÜERuttböffnung unter ftarfcm Trud iitS «freie tritt. 
£ier tritt nun eine plcgliche, bitrch ben oermiitberten Suftbrud bebingte 
Gntfpanuung ein, bie Suft behüt fich atiS, leiftet gegen ben äußeren ©iber= 
ftanb eine Slrbeit, mogu fie ©arme bebarf, unb bie Temperatur beS fonft 
marnten SlthemS mirb bebeutenb erniebrigt. Tiefe beiben alltäglichen Gr^ 


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94 s $rof. g. £>artn)ig. 

Meinungen enthalten bie ©runbprincipien ber anjutoenbenben 2 l 6 füljlung$s 
metljoben. 

©0 gelang e§ im gafere 1&77 ©ailletet, oerfdfjiebene „permanente" 
©afe ju berflüffigen. ©r oerbidjtete aunäcfeft ba3 ©a3 in einer engen SRöfjre 
auf einige f)unbert 2 ltmofpf)ären unb füllte biefe SRöt)re burdj oerbunftenbe 
fdjroeflige Säure auf — 30° ab. Tann tiefe er ba$ comprimierte @a3 burd) 
einen engen £aljn in$ greie treten, moburcfe bie Temperatur unter ben 
fritifdjcn s ßunft gelaugte, monadE) Siebet' unb Tropfenbilbtntg eintrat. 

Hu gleicher Heit fteüte Rietet gröfeere SRengen ber ftiiffigen ©afe bar, 
inbem er ftatt ber fdjmefeligen ©äure, bie bei — 10 ° fiebet, ftiiffige Konten* 
fäure oertoenbete, beren ©iebepunft, toie bereite ermähnt, Diel tiefer liegt. 
Um bie öerbunftung berfelben ju beförbern, mürben jumpen bertoenbet, 
meldfje einerfeitä ba£ berbampfenbe ©a£ rafd) befeitigten, anbrerfeitö neue 
flüffige fi'oblenfäure aufüfjrten. Taburd? tmtrbe ba3 innere ©efäfe bereite auf 
eine Temperatur bon — 130° gebracht. 2tt)nlidf)e SRetljobcn rüferen bon 
Tetuar unb .£>ampfon fjer. 

Tie fabrifömäfeige $erftellung ber flüffigen Suft ift aber erft 1895 burd) 
einen Apparat bon s J 8 rofeffor Sinbe möglich getoorben. ©eine 3Retl)obe beruht 
auf einem Strei£procef£, bei bem Suft allein in Slntoenbung fommt. Ter 
Vorgang ift in turnen Hügen fotgenber: burrf) eine jtoeicplinbrige ©ompreffionS* 
pumpe mirb Suft auf 200 2 ltmofpf)ären berbic^tet unb burc§ Slntoenbung 
einer Sättemifcfjung auf — 10 ° gebracht. Tiefe Suft mirb ejpanbiert, baburdfj 
bebeutenb abgefüfelt unb neuerlich ber ©ompreffion^pumpe augefüf)rt. Turcfe 
biefe continuierlidje felbfttpätigc Slbfüfylung getaugt man batb ju jener 
Temperatur, bei melcfeer Suft unter normalem Trucf flüffig toirb. Tie 9tö^ren 
be3 Stpparate^ finb burefe ©cfeaftootle gegen bie ©imoirfung bon äufeever 
SBärnte möglidjft ifotiert. ®on Heit 3 U Heit fanit bie ftiiffige Suft burdj 
einen £>al)n in ein Temargefäfe abgetaffen merben. 

Tiefet offene ©efäfe ift boppelmanbig unb an ber gnnenfeite mit 
einem ©itberfpiegct bebeeft, ber alte auftreffenben SBärmeftrafjlen reftectiert. 
Taburd? erpätt fid) bie Suft berfyättntemäfeig lange flüffig, rneit bie an ber 
Dberfläcfje berbunftenbe Suft eine foldje ft'älte fyeroorruft, bafS bie barunter 
befinblidjen ©djidjten in bem ftüffigen 3 wfle*nb beharren. 

©iefet man bie flüffige Suft in ein gemöfjnlicfeeä S3edjergla3, fo beginnt 
fie lebhaft $u foefeen, mäfyrenb ba3 ®(a£ fid) rafefe burefe bie geudjtigfcit ber 
umgebenben Suft mit einer bitten SReiffe^id^te bebeeft unb an ben auffteigenben 
Suftbämpfen — toenn biefer 2tu3brutf geftattet ift — ber atmofpl)ärifcfje 
SBafferbunft ju biefeten Hebeln fiefe conbenfiert, fo baf3 bie flüffige Suft ju rauchen 
fdjeint unb efjer ben ©inbruef einer fjeifeen ©ubftanj madjt, toa£ 51 t ber ©iS* 


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Übet flüffige Suft. 


9 5 

jcfeicfete am ©laje feltfam contraftiert. £ätt mau einen glimmenben ©pan in 
baS ©las, jo beginnt er lebhaft 511 brennen unb oerfünbet jo bie Slutoefenfeeit 
beS ©auerftoffeS. 

(Genauere Untcrjucfeungen feabett nun gezeigt; bafS bie flüjjige Saft eine 
anbere 3ujammenfej}ung befifct als bie SUmofpfeäre. Dieje enthält neben 
4 feilen ©ticfjtoff 1 Dfeeit ©auerjtoff. Die flüffige Suft ijt erfeeblicfe fauer= 
ftoffreid&er, eS tommen 2 Dfeeile ©auerjtoff auf nur 1 Dfeeil ©ticfjtoff. 
Dies rüfert bafeer, bafS ber Sauerftoff fcfeon bei — 183°, ber ©ticfjtoff aber 
etft bei — 194° flitffig toirb. 

Damit ift aber $ugleicfe eine praftifcfee Slntoenbung gegeben. ©S tarnt 
bie flüffige Suft als folcfee — toeil fauerftoffreicfeer — $ur Verbefferung 
ber Suft in SBofen* unb fitanfenjimmern Vertoettbung finben. SlnbererfeitS 
fann burcfe eine geeignete Vorfeferung bei ber Verflüffigung nafeeju reiner 
©auerjtoff erzeugt toerben. 

9Rit biefem flüffigen ©auerftoff finb bie feübfcfeen Verfucfec möglich, 
bie Detoar auSgefiifert feat. ©r tiefe einen SBafferftoffftrom in flüffigem ©auer* 
fioff auffteigen unb oerbrennen. DaS bei ber Verbrennung entftefeenbe SBaffer 
fteigt als ©cfenee an bie Dberfläcfee: ©cfenee als Slfcfee toirft immerfein Oer= 
btüffenb. 

©ine äfenticfee Übercafcfeung bieten SeucfetgaS ober Slcetfelen, toelcfee, in 
flüffige Suft geleitet, in toeifee glocfen erjtarren unb in biejer gorm als 
©dfenee augejünbet toerben fönnen. 

glüffige Suft auf SBaffer gegoffen, formt ficfe in ftügelcfeen, bie auf 
bem 9Jioeau toie auf einer glüfeenben §erbplatte tanken unb oerbampfen, 
toäferenb bie barunter befinblicfee SBafferfläcfee 51 t ©iS erftarrt. ©ine S3lei~ 
gfocfe fann burcfe flüffige Suft 511 m Dötten gebracfet toerbett, ba baS Slei 
bei ber tiefen Demperatur feart unb fpröbe toirb. 

DaS finb aber nur DemonftrationSoerfucfee. Die ©feemie liefet toicfetigere 
Vortfeeile aus ber flüffigeit Suft. Durcfe rajcfee Verbunftung berjetben toirb 
eine jo grofee ffälte erzeugt, bajs aucfe ber SBafferftoff oerflüffigt toerbett 
fann. Umgefefert fann man triebet mit §ilfe biefeS conbenfierten SBafferftoffeS 
bie Suft fogar jurn ©efrieren bringen. 2J?an fann nun baburcfe auS ber Suft 
jene Stoffe auSfcfeeiben, toelcfee fcfetoerer als biefe flitffig toerbcn. Vrofeffor 
$. 91. SB. 9tamfat) ift in Sonbon eS auf biefem SBege gelungen, in ber 
Sltmofpfeäre fünf neue cfecmifcfee ©lemeute ju entbecfen: Slrgon, $eliitm, 
ffrppton, 9ieon unb Xenon, oon toelcfeen nur bie erften jtoei bisfeer näfeer 
befannt toarett. VorjugStoeife aber toirb’bie flüffige Suft $ur Unterjucfeung 
ber cfeemifcfeen 9leactionSfäfeigfeit bienen, toelcfee bei fo grofeer Sälte ftarf 
feerabgeminbert ift. 


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96 


3$rof. 3. i>artoig. Über flüfftge Suft. 


Die größte Ummäl$ung Derfpricht man fich für bieDechnit. ©harle 8 
Xripler in SRem^orf mochte 33erfuche, um bie flüffige Sufi als treibenbe 
ftraft für SRafchinen ju oermenben, ba fie ben 93ortheil bietet, ohne 6 r= 
jeugung Don §ifce ju arbeiten, ©ie foü ferner jur ©Reifung Don Sälteöfen 
Snmenbung finben, mie Dies bereite im oergangenen heißen ©ommer Derfucht 
toorben fein foü, unb enblich ^at bie flüffige Suft ©ingang in bie ©preng- 
tedjnif gefunben, 5 . S. beim ®au be£ ©implontunnete. Die Sortßeile biefe£ 
„©prengmittete ber gufunft" liegt in ber geringften ©ntmicflung Don ©afett, 
in ber SRöglichfeit, bie Patronen an 0rt unb ©teile ju erjeugen unb in 
ber 83ermeibung Don Derfpäteten ©splofionen unb unbeabfidjtigten 3ünbuugeu, 
meit bie $erfej}ung ke3 ©prengmittete auägefcßloffen ift. 

Damit eröffnet fich ein neuer 2Beg für ben Sergmertebetrieb, ein ©ei* 
trag jur Söfung ber ©chlagmetterfrage. 

SBir ^aben in aET biefen Slitmenbungen hauptsächlich &mei äRomente 
^erDorju^eben: bie tiefe Demperatur unb ben ©auerftoffgehalt ber flüffigcn 
Suft. biefem ©iitne ^at auch bie 2Rebicin oon bem neuen SWebium Sefip 
ergriffen. Die amerilanifchen Sirjte Söfjite unb ©earce berichten über bie 
©ermenbung ber fliiffigen Suft bei cßirurgifchen ©ingriffen, $ur Deöinfection 
unb für SfterDenfdpneracn. 9Merbing3 liegt uite $ur ©eurtheilung biefergragc 
noch ju geringes Material Dor. 

^ebenfalls aber I)at bie flüffige Suft bie ftille SSertftätte beS ©hemifer* 
tängft Derlaffen unb nimmt ihren SBeg burch bie gabrifen unb firanfeu^immer. 
Der grübelnbe X^coretifcr h<U fie mie eine müßige grage aufgeftöbert unb 
mie ein ©pieljeug ben miffenfcßaftliehen gbealiften gefcßentt. Unb toie fdjoit 
manches anbere miffcnfchaftliche ©pieljeug geminnt auch biefeö nun plöfclich 
für bie ©raftifer unb Slealiften Durch bie 2Röglichfeit einer einfachen 
©rjeugung im ©roßen an ©rnft nub ©ebeutung. 2 öir aber gebenfen nunmehr 
in banfbarer ©rinnerung ber Arbeiten eines garabap, ber rein platonifch 
noch jene SBege betrat, bie ju bem chemischen SRovbpol führen, jener lern- 
peratnr Don 273° ft alte, bie mir ben nbfoluten ÜRullpunft nennen unb ber 
mir Durch Die flüffige Suft micber um ein gutes ©titef näher gefommen finb. 



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]o$epl) Yreiberr von Belfert. 

<EvItbni|Te unb (Erinnerungen. 

II. 

üßimjterium Srf]htarjBnl)ßVfi-^tabt0n. 

7. 

JWlm 23. Dctober empfieng id) ein vom 22. batierte« Schreiben be$ 
SWinifter« SBeffenberg, mid) „in möglidjft furjer grift $u einer 
notfemenbigen Sefpredjung in Dtmüfc einjuftnben". 3>dj foitnte mir benfcit, um 
ma« e« fiefe Raubein merbe! ©o naljm iefe benn von meinem lieben SBeibdjen, 
faum baf« iefe mieber ein paar Sage mit ifjm $ugebrad)t batte, noch benfelben 
Stbenb Stbhieb unb beftieg ben ©ifenbal^ug, ber miefe nad) ber alten 
mäljrifdjen £auptftabt führen foHte. Senfetben gug benüpten $ ata cfp unb 
$infa«, bie fomit meine SReifegefä^rten mürben. 

Otmüfc mar bamat« ber potitifefje ©tittelpunft be« Steicfee«. Sa ber 
Kaifer bort fein £>oflager aufgefcfjlagen ^atte, nahmen auefe bie ©efanbten 
ber befreunbeten SDZäd^te bafelbft itjren jeitmeitigen SEBobnfifc. 9lu« aßen 
fremben Staaten, au« aflen öfterreic^ifc^en Säubern gab e« ein fortmäfjrenbe« 
Kommen unb ©ef)en. ©n^etne 93ertrauen«männer unb ganje Seputationen 
üon Politiken Körperhaften, ©täbten unb Säubern erfebienen jeben Sag. 
93om alten getbmarfcbatl in Italien mar ©raf $upn, f. !. 9Wajor im 
©eneralftabe, abgefdjidt, um ficb über ben ©tanb ber Singe norbmärt« ber 
Älpen ju informieren unb barüber an ba« §aupt=Duartier nad) SWailanb 
ju berichten. ®m 21. mar £>ut)n in Dtmüp eingetroffen unb nod) am fetben 
Sage üon ©r. SRajeftät empfangen morben. ©r tjatte bem Kaifer bie 
Änfic^ten fRabefctp'ä über bie Sage in gtatien üor^utragen unb be« Kaifer« 
meitere Sefebte einjuboten; er b<*tt e auch bie SSerfic^erung ju erneuern, baf« 
bie Hrmee in Statien in unerjcfjütterlidjer Sreue verharre unb bem 2Wer* 
bödjften Krieg«berrn unbebingten ©eborfam bemabre. 9Kit ficfetlicber greube 
üernatjm ber Kaifer biefe SEBorte; er tiefe bie Kaiferin ju fid) entbieten unb 
forberte #upn auf, in ihrer ©egenmart ba« ©efagte ju mieberbolen. Ser 
Kaifer reichte ber Kaiferin bie £anb unb fpradj mit tiefer SRübrung: „Sa« 

Die ShittuT. III. 3<$*0. 9 . $eft. (1901 ) 7 


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98 


3ofepb Freiherr pon eifert. 


habe ich üon 9Reinem SRarfchafl unb üon biefer braüen Armee ermartet." Die 
Äaiferin banfte bem Dfficier mit fernsten Augen für bie freubige Sotfdjaft . . . 

Sine Sreube anbern ©haralterS, ein magrer Xroft in ihrer traurigen Sage 
mürbe bem Saiferpaare jutbeil. lag für lag erfdjieneit halb aus biefem, halb 
aus jenem Sejirfe Sanberien berittener Säuern, um bem #ofe ihre fjulbigung 
ju bejeugen. ©ie jogen jmei unb jrnei, oft in langer SReilje, oor ben fürft* 
erjbifchöflichen ^Saloft unb hielten gemöhnlich unterhalb beS BalconS über 
bem ^aupttljore; ber Anführer in Begleitung eines ober jmeier aus ihrer 
SRitte oerfügte fidh in ben ©aal, um oor ben äRajeftäten einige SSBorte beS 
DanfeS unb ber (Ergebenheit ju fprechen. $umeift mar eine gefdhmücftr 
Bäuerin babei, bie bem Äaiferpaare länbliche ©aben überreichte: $ühner 
unb ©ier ober ein flectenlofeS Samm, einen lanbeSüblichen fitolatfdj u. bgl. 
SRanchmal gefchah eS, bafS ber fiaifer, nachbem er bie ©abe empfangen unb 
ben Stebner gütig angehört, bemfelben bie |>anb reichte, unb menn es biefer 
tief ergriffen ben ©einen unten erzählte, bann fielen biefe über feine $anb 
her, bie fie mit Hüffen bebedten, gleichfam um auch etmaS ton bem faifer= 
liehen ßänbebrud ju hoben. Mitunter fielen roohl auch lomifche ©eenen tor. 
©o fotl eines DageS eine Bauernbeputation erfchienen fein, bie ben Sfaifer, 
als ihnen biefer oerfidjerte, Oon ber Aufhebung ber fRobot foOe nichts 
jurüdgenommen merbeit, in aller Unterthänigfeit bat, er möge ihnen barauf 
feinen $anbfdjlag geben, ©ine boshafte Berfion lautete: er möge eS ihnen, 
bamit fie ber ©ad}e ganj ficher mären, auf einem ©tempelbogen betätigen. 
Dljatfächlich hotten oiele biefer fchlichten Seute üon ben neuen Einrichtungen 
fonberbare Begriffe. „34 bitte bich, toaS ift benn bas, Sonftitution ?" fragte 
ein $anät ben anbern. „SBeifjt', baS ift, menn ber Jtaifer in Benfion geht." 

Die grofjartigfte biefer Banberien mar am 21. in Dlmüfe eingejogen, 
alfo gerabe an bem läge, mo bie tefcte Deputation aus SBien bafelbft meilte. 
3Ret)r als taufenb Bauern bilbeten ben Sug unb eine Deputation überreichte 
bem Saiferpaare einen riefigen, mit Blumen unb aflerpanb «Jrlitter gefchmüdten 
Kolatfch, einen jener 3Roijftre»Kuchen, bei beffen Anfertigung ber Badofen 
auSeinanbergemorfen mirb. 

©S mar baS an einem ©amftage. Auf ben Sonntag barauf, 22. Dctober, 
fiel bie fogenannte £’aifer=fiirchmeih im ganjen SReidje. 9tiemalS noch 0 >ar 
biefe Oom Sanboolf mit freubigeren ©efühlen begangen morben, befonberS 
in ber gesegneten $ana! AuS allen ©djenlen ertönte SRufil, auf ben 
Danjböben brehte man fidj, hüpfte unb fprang man, an oielen Orten gab 
eS feftlidje Aufjüge. „DaS ift heuer eine Sirchmeih," fagten bie froheu 
Seutdjen, „mie mir unb unfere Bäter noch feine erlebt hoben, eine mah« 


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SRinifterium ©chroar3enberg*Stabion. 


99 


$aifer*$irchmeih, tüeil mir beit gütigen ßaifer in unferer SRitte ^aben, 
t)eT ung bie Robot gefchentt ^at!^ 

Unb noch ein ©efchenf machte ihnen ber $aifer burch ein patent, bag 

er on biefem Sage in Dlmüfc Unterzeichnete. 

♦ * 

♦ 

SlmSRorgen beg 24. tarnen Salacfq, Sinfag unb ich am Dlmüfcer 
Sahnhofe an. 2llg mir in ben ffiartefaal traten, maren ba einige Sürger 
uon ffremfier, bie ung mit freubeftrahleuben ©efichtern mittheilten, mie fie 
erft ate ®erüd)t uernommen hätten, bafg ber Reistag nach Ktemfier falle 
uerlegt merben; mie fie eg gar nicht Ratten glauben fönnen, bafg ihrer 
©tabt fotdfjeg ©lüd unb fo lmh e @h** unb Slugzeichnung folle belieben 
fein; mie fie aber jefct in Dfmüfc ganz fieser uernommen hatten, eg fei in 
ber Xh<rt fo befcplojfen, unb mie fie nun nach Stemfier jurüdeitten, um 
ihren SRitbürgern biefe überrafchenbe Sünbe ju bringen... SBag alfo Sßalacftj 
unb Sßinfag uom ^ofe erbitten füllten, mar bereitg entfliehen, unb fie Ratten 
barurn gleich am Sahnhofe bleiben unb auf ben nächften ®egenjug märten tonnen, 
ber fie nach $rag juriidbrächte. Sltlein ber münbliche Seridjt ber Stemfierer reichte 
hoch für fich allein nicht au§, unb bann fotlten ja bie beiben $rager Slbgeorbneten 
ermirten, bafg ber Reichstag „fo batb alg möglich" jufammenberufen merbe, 
morüber fie feine ©emifgheit h a ^ cn - ©o fuhren benn mir brei jufammen 
im SBagen in bie ©tabt unb ftiegen in bemfelben ®afthaufe ab, bag 
menige läge juoor Srauner unb mir jum Sibfteigequartier gebient h a ^ e - 
6 g ftanben nur jmei 3immer zu ©ebote, in beren einem Salacftj unb ich 
gemeinfchaftlich Unterfunft fanben. ®g mar fo früh am SRorgen, bafg mir noch 
ein menig ber Ruhe pflegen tonnten, ehe mir ung für unfer lagmerf riifteten. 

Sug melchem ©runbe ich nach Dlmüp berufen morben, barüber tonnte 
ich tootjl nach bem, mag ©tabion mit mir fchon in Sßrag oerhanbelt, unb 
nach ^ er 935eifc # mie er mich mährenb meineg lepten Slufenthalteg in Dlmüp 
an fich Ö^ogen h fl tt e # fuum in Steifet fein. 2luch mar eg ja allgemein 
befannt, bafg bie Silbung eineg neuen 3Rinifteriumg im SBerte fei, unb mein 
Rome mar in jüngfter $eit zu mieberholtenmalen genannt morben. Schon 
am 17. Dctober hatte im SBiener Reichstage folgenbe 9Rinifterlifte bie Runbe 
gemacht: 3nnereg ©tabion, 3ufti^ geifert, $anbet Srud, öffentliche Arbeiten 
Srauner, $rieg SBinbiichöraep, Sufcereg ©raf Serbinanb SoHorebo. Einige 
Xage fpäter brachten SBiener Slätter eine anbere Sifte, morin bie erften uier 
Ramen fich gleich blieben, für ben Srieg aber neben 9Eöinbifch@raefc auch 
Selben genannt mürbe; ferner: SBeffenberg alg -DRinifterpräfibent ohne Sorten 
feuifle, Salacfp für Unterricht; bie Ramen für Finanzen unb #uf$ereg, hiefe 
eg, feien noch nicht beftimmt. Slnbere Stätter nannten Seffenberg für bag 

7* 


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100 


gofepb greiherr oon geifert. 

#uf$cre, Sach für bie guf% ©raitd für bie ginan$en, Eajetan SRaper für 
bad gnnere. ©tabion fetbft hatte, ba ©rauner uitb ich in Dlmüj} maren, 
und erfucht, ihm jene 9tamen aufeufchreiben, auf welche unfere Partei ihre 
Slufmerff amfeit gerietet hätte. Sie böhmifepen 2lbgeorbneten Ratten fchon in 
©rag bie Sache mieberpolt befprochen, aber ifjr Urtpeil nicht feftgefteüt. gür 
bad Mftere mar unter und Eoüorebo genannt morben, aber auch ber 
t. f. ©efanbte ©raf Ebuarb SBopna in ©rüffef unb Dberft b. £>audlab, für 
bad gnnere ©ach unb Kajetan 9Raper; für ben ©lieg lieber #audlab, unb 
meiter bie ©enerate ©chönhald, granf; für bie guftij Soffer ober ©rauner; 
für bie öffentlichen Arbeiten Dberft b. SRapern, nach ihm ber ©taatdbahnen* 
gnfpector ^tloid IRegretli; für bie ginan$en ©raud, nach ihm ©aron ©tifft 
b. ä., für ben £anbel $ornboftel; auf bent Srouiüon, ber noch in meinen 
.§änben ift unb oon ©rauner ^errü^ren bürfte, ift bon einer fremben 
£anb — bie ©djriftyüge finb bie ©tabion'd — $ulefct hin^ugefügt: „Unter* 
rieht?", mofür mir feinen tarnen aufgefchrieben fjatten. Mufeerbem maren 
ober in unferen ©reifen noch berfchiebene tarnen unb mit mechfelnber ©e* 
ftimmung genannt morben: SSBeffenberg ald ©räfibent opne ©ortefeuille; * 
Schmerling für gnnered ober 3ufti^; ©tabion für bad Snnere, mit 3Raper, 
gifdper ober ©rauner ald Unterftaatdfecretär; ©ad) für bie Suftij mit 
Saffer ald Unterftaatdfecretär; ©rud ober #erjig für ben $anbel; Sobtyoff 
für öffentliche Arbeiten mit bem gatijifc^en Slbgeorbneten ©marjemdfi ald 
Unterftaatdfecretär; ©alacfp für Unterricht mit Ejner ober ©jafefiemica ald 
Unterftaatdfecretär; ©tameb s 3Ra^er für bie ginanjen, ©raf ©ubna für beu 
©rieg. Unfer ©eftreben mar bahin gerichtet, möglichft bie betriebenen Sänber 
$u berürffichtigen unb $mar Slbgeorbnete ju nennen, benen mir bie Eignung 
jutrauten. Über biefen ©reid hinaud mangelte und bie ©erfonenfenntnid; für bad 
duftere unb ben ©rieg nahmen mir tarnen bom btofjen §örenfagen, mir 
tappten bei unferer SBaht fojufagen auf bad ©erathemohl h*™m. 

SReinen tarnen hatten bie Unferen nicht genannt, geh mar ihnen mohl 
$u jung, unb barin hatten fie nicht Unrecht. Mein bei ©tabion mar gerabe 
biefer Umftanb meine Empfehlung. 28ie er felbft ein Original mar, fo liebte 
er auch bei feinen ÜRanoeubred bad Überrafchenbe, bad Ungemöpnliche. Ein 
SRinifter bon faum 28 gapren, bad mar gerabe nach feinem ©efehmaef. 

Ser 9?ame gelij Schmalenberg fanb fich in feinem biefer ©rogratmne; 
an ihn bachten meber mir, noch fonft jemanb in SBien ober ©rag. Eine 
befonbere ©chmierigfeit mar ed mit ©ach. *2Benn man ihn nur fänbe!" 
hiefe ed ironifch in einem ©latte; „berliert fich ber grofte SRheinftrom iw 
©anbe, marum nicht ber fleine ©ach?!" gn ber SReichdtagdfifcung bom 23. 
mar ein Schreiben ©acb'd beriefen morben, morin er ald „SRitglieb ber con* 


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Uftinifterium Scproarjenberg*Stabton. 


101 


ftituierenben ’ öfterreicpifepen SteiepSöerfammlung" fic^ mit Unmoptfein ent* 
fcpulbigte, ba$ ipn pinbere, feinen ©ifc im SteiepStage einjunepmen. „Pon 
mo ift bie Bufcßrift batiert ?" rief man aus ben Sänfeu ber 9lbgeorbneten; 
„SenDrt anjeigen!" Sarauf ©molfa: „Sie 3«Wtift ift öont 17. Dctober 1848 

datiert, ber Drt ift niept angegeben." 

* * 

# 

©obalb ber Sag fo meit üorgerüeft mar, bafS man jemanb auffucpen 
fonnte, gieng iep ju SBeffenber g, öon meinem iep bie (Sinfabung naep Dlmüfc 
empfangen patte, unb ju ©tabion, ber mir am näepften ftanb. Pon ipnen 
erhielt iep bie Peftätigung beffen, maS un£ peute früp bie Shemfierer gefagt 
patten: ©e. SRajeftät pabe am 22. ein üötanifeft unterjeiepnet, laut beffen 
ber conftituierenbe SteicpStag öon SBien naep Sremfier oertegt unb für ben 
15. Stoöember bapin einberufen fei. 

©tabion füprte miep gteiep ^urn gürften ©epmarjenberg unb fagte 
mir untermegS, um maS e£ fiep panbetn merbe. ©epmarjenberg faß an 
einem Meinen ©epreibtifep, erpob fiep, uns $u begrüßen unb napm, naepbem 
fiep ©tabion entfernt patte, feinen plap mieber ein; miep bat er einen 
©effel $ur ©eite be£ ©epreibtifepe^ einjunepmen. 3 >cß mar nun, Slntlifc gegen 
Stntlifc, mit bem SKanne allein, ber in ber näcpften 3irtunft bie entfcpeibeitbe 
Stolle in Dfterreiep übernepmen foflte. ®r fannte miep mopl jumeift nur 
aus bem, ma$ ipm ©tabion über miep gefagt patte. ®r patte miep, 
mie man fiep erinnern mirb, an jenem Slbenb mit Saffer unb 3Jtaper bei 
fiep gefepen; aber er fepien boep niept reept fieper, mie er miep eigenttiep ju 
nepnten pabe. ®r mar mir gegenüber troefen unb gemeffen, unb fepte mir 
nur bie ©runbfäpe auSeinanber, bie baS fünftige Sötinifterium $u beobaepten 
gebenfe: öon ben Perfönlicpfeiten, bie e$ bilben füllten, fpraep er nieptS; er 
muffte fie jur ©tunbe mopl felbft noep niept. 

9Kan gepe, fo fepte er mir in längerer Stebe auSeinanber, bei ber 
Silbung beS äRinifteriumS öon bem Streben au£, mit einem offenen Pro* 
gramme peroorjntreten; biefeS füllte in allen Hauptfragen Mar ben 3Beg 
bartegen, ben man einjnfeplagen gefonnen fei unb öon bem man niept 
abmeiepen merbe. SaS fünftige SOtinifterium molle baS öerbeefte ©piet gänjticp 
aufgeben, metcpeS baS früpere in gemiffeit 5lngelegenpeiten, mie in ber froatifep* 
nngarifepen, für gut befunben pabe. Sa$ fünftige Sltinifterium molle niept 
perfonen öertreten, bie um aüeS in ber SBett ein Portefeuille paben 
moflen, fonbern Principien, mit beren s 2 lnerfennung ober Wblepnung eS 
ftepe ober falle; falls baS 9Jtiniftcrium bie Sfleprpeit beS SteiepStageS für fein 
Programm niept geminnen fönne, merbe es einfaep ^urücftreten. SBorauf baS 
SRinifterium in feinem eigenen Greife palten muffe, baS fei uneingefepränfteS 


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102 


gofeph greiherr oon eifert. 


Pertrauen {einer ÜJlitgtieber gegeneinanber, aber ^gleich {trenge Perfchmiegenljeit 
nach außen, bis nicht ber geeignete ^eitpunft $u fprechen ober $u ßanbeln 
gefommen {ei. 

Das mar ber |>auptfache nach, {on>eit ich mich erinnere unb aus meinen 
{eßr fragmentarifchen Pormerfungen aus jener 3eit entnehme, alles, maS mir 
©chmarjenberg für'S erfte mittheilte. 9Rein Eintritt in baS SRinifterium mürbe 
oon ihm nicht berührt; ebenjo menig be^eichnete er baS-Portefeuille, baS 
man mir jugebacht höbe. Näheres theilte mir ©tabion mit, mit bem ich nun 
{ehr oiel beifammen mar. *3BaS bie SBatS Perfonen betrifft," fagte er mir 

ungefähr, „fo ift man oon ber 3bee abgegangen, ein fogenannteS EoalitionS* 
SRinifterium — mit Perücffichtigung ber oerfchiebenen Sänbergruppen unb 
Nationalitäten — ju bilben. Den Eintritt böbmifcher Parteimänner hält man 
für bebenflich, nnb bieS umfo mehr, als bie Perlegung beS Reichstages in 
eine mährifche ©tabt ohnehin ®nlafS genug bieten mirb, bie beutfehe Partei 
in Unruhe 511 oerfefcen." 2tlS ich Pnlacfp'S Namen nannte, machte ©tabion 
im mefentlichen biefelbe Einmenbung, bie Pafacfp fetbft in unferen Greifen 
mieberholt angeregt h a U c: fein Ginnte trage {0 auSgefprochen ben Stempel 
ber Partei ber er angehöre, bafS biefer Umftanb bem fünftigen 9Rinifterium 
nur fchaben fönnte unb feine eigene SBirffamfeit barin lähmen müfSte. SRinber 
entfdjieben fprach {ich ©tabion über Prauner auS, obgleich er, mie ich Mb 
entnehmen tonnte, auch liefen nicht münfehte. 3 h™ gatten bie böhmifchen 
Parteimänner inSgefammt für Separatsten, beren Denben$eu {ich mit ber 
Pilbung eines großen unb ftarfen Öfterreich nicht in Sintlang bringen 
ließen. Denn unter einem großen unb ftarfen Öfterreich bachte {ich ©tabion 
ein gleichförmiges, in gleiche unb Unterteile jertegteS ©an^eS, morin 

ein böhmifdjeS ©taatSrecht, ja ein Königreich Pöhmen feinen piafc hätte* 

Über bie Pefefcung beS SRinifteriumS beS 3nnern mar man noch 
im unflaren. ©egen Doblljoff maren Schmalenberg unb ©tabion burchouS 
geftimmt, unb baS mar nach feiner Haftung im SBiener Reichstage feßr 
begreiflich; 2Raper h°tte baS Stnbot entfliehen abgelehnt unb fit aflen* 
falls für baS 9Rinifterium ber öffentlichen Arbeiten angeboten. gür bie 
ginan$en follte KrauS bleiben, für bie 3uftij Padf), bafern er {ich finben 
ließe; fonft ©raf Preba, f. f. nieberöfterreichifcher Snnbrath, ber {ich in SBien bei 
einigen öffentlichen ©trafoerhanblungen beliebt gemacht hatte. gür ben $anbel 
mar Kart 0 . Prucf in Porfchlag. gür baS SRinifterium beS Krieges hatte 
©tabion einen eigenen Plan. Er moflte feinen ©enerat; auch hatten mehrere, 
benen man baS Portefeuille angeboten, bie Annahme entfliehen oermeigert. 
„SBarum follte man nicht", erflärte mir ©tabion, „ju einem ©pftem greifen, 
baS in Englanb oftmals mit beftem Erfolge angemenbet mürbe? Das Departement 


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SRinifterium Schroargenberg-Stabion. 


103 


bcr SRilitäroermaltung hot ja mit ber Seitung ber Operationen im gelbe 
nichts gu thun, marum faßte man eS nicht in bie $änbe eines Sicht* 
SlilitärS legen?" 3n ber Xfjot mürbe £ofrath Sitter b. ©chöflhaimb, ber 
ben Suf eines ber tüchtigften Beamten beS KriegSminifteriumS ^atte / nach 
Dlmüf} berufen; auch erflärte fich biefer bereit, jeben Boften angunehmen, 
auf ben man fan gu fteflen finbe. 

3Rir mar baS Bortefeuille beS öffentlichen Unterrichtes gugebacht. 3<h 
jdumte nicht, Bolacfp, als ich mit ihm in unferem ©afthofe allein mar 
hiebon gu benachrichtigen. @r geigte fich biefem Borhaben nicht gerabe abge* 
neigt, machte mich aber gleich auf bie groben Schmierigfeiten aufmerffam, 
mit beiten jebermann auf biefem Boften gu ringen hoben merbe, bem es 
Srnft fei, bie nationale ©leichberechtigung bttrehguführen. „®er 2Rann," 
meinte Bofacfh, „ber jefct bie Seitung beS öffentlichen Unterrichtes in Öfterreich 
übernimmt, mirb feine gange Kraft gufammennehmen müffen, um feiner Auf¬ 
gabe gerecht gu merben. S)enn er mirb es nicht blofc mit bem gemohnten 
Schienbrian, mit bureaufratifchen Borurtheilen, mit ber eingemurgelten 
3ofephinifchen Irabition gu thun hoben. ®ie Beüölferung felbft mirb ihm 
Schmierigfeiten machen, meil bei oielen Gltern baS BemufStfein noch nicht 
ermaßt ift, maS ihnen gufomme unb maS für bie 3ufunft ihres SachmuchfeS 
geboten fei. ®iefe merben barum bie erften fein, SBeherufe ertönen gu laffeti 
unb ben Siinifter anguflagen, ber fie nach feiner Übergeugung ben rechten 
ffleg führen miß". Sch fonnte Bolocfp nicht Unrecht geben, er befaft ©rfahrung, 
ich feine. 3ebenfaßS ftanb eS bei mir feft, mich oorerft mit meinen Beoger 
©enoffen gu berathen; ich hotte- mich feit bem 7. Dctober fo eng an fie ange* 
fchloffen, bafS ich nid^t glaubte, einen fo michtigen ©ntjchlufS faffen gu fönnen, 
ohne ihrer ^wftimmung unb Unterftü&ung ficher gu fein. 

3« biefem Sinne fprach ich mich auc h Qegen Stabion aus. Stabion 
fuchte mir biefen ©ebanfen auSgureben. @r fah überhaupt meine rege Ber* 
binbung mit ben SRataboren beS böhmifchen BölfeS nicht gern, ©r fannte 
mich als Anhänger ber grof}*öfterreichi)chen 3bee, unb mit biefer, meinte er, 
ftünben bie Slbfichten ber böhmifchen Boütifer in SBiberfpruch. 3ch meiner* 
feitS moflte baS nicht gugeben; fo oft ein SnlafS bagu fam, fuchte ich ihm 
begreiflich gu machen, bafS baSjenige, maS er böhmifchen Separatismus nenne, 
biefen Samen feineSmegS oerbiene. 

Stabion mufste meine Bebenfen Schm argen ber g mitgetheilt hoben, 
©enn als ich halb barauf biefem auf ber Strafe begegnete, nahm er mich unter 
ben Ärm unb begann mit mir ein ©efpräch- @r mar nun oiel freunblicher, 
i<h möchte fogen gutraulicher gegen mich unb rebete mir unoerfennbar gu bem 
ftoeefe gu, mich für baS fünftige Stinifterium feftguhalten. ©S mar bie 


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104 


Qofeph Freiherr oon geifert. 


Straße, bie gerabe auf baS $aupttf)or beS fürfterjbifchöflichen ©afafteS führt, 
— ich glaube grauen* ober äJlarienftraße ßeißt fie jefct, — unb in biefer 
giengen mir nun auf unb ab. $or bem ©ingang ber Stefibenj ftanben ©chilb* 
machen, bie, fo oft bie ©eneralSuniform in ihre Stäße fam, baS ©emeßr 
präfentierten, maS aber ©chmarjenberg gar nicht $u bemerfen feßien. ©r fprach 
faft allein, mich Schüchternen babei immer unter bem 9lrm haltenb, mäßrenb 
ich nur bann unb mann eine ©inmenbung machte ober eine ftrage bajmifeßen 
marf. ®on bem ©efpräcfje, ba£ jmifeßen nn£ geführt mürbe, ift mir nur ein 
fßunft im ©ebäcßtniffe geblieben. 3 ch t>ob nämlich ^eroor, bafS fich bie 
öffentliche 3Jieinung in ben SBiberfpruch nicht merbe $u finben vermögen, 
SBeffenberg unb ftrauS in einem SKinifterium ju fehen, — SBeffenberg, 
ber feit SBochen als alleiniger üölinifter um bie ©erfon beS ®aifer3 fungire, 
unb ft'rauS, ber feit bem 6 . Dctober in SBien £anb in |>anb mit bem 9?eich $ 5 
tage gehe, ©chmarjenberg fuchte mich barüber ju beruhigen: man merbe, 
fagte er, biefen SBiberfpruch 511 befeitigen miffen. 6 r erflärte fich aber nicht, 
ob SSeffenberg ober ob ffranS meinen foOe, unb oermieb es überhaupt auch 
bieSmal, pofitioe SRitthcilungen 511 machen. 

©0 hatte benn bie lange Unterrebung — fie mochte eine halbe 
©tunbe gebauert haben — für beibe Xt)eite fein beftimmteS Ergebnis. denn 
auch *<h fagte meber beftimmt ^u, noch lehnte ich beftimmt ab. 8 ln meine 
ftrau aber fchrieb ich am 27.: „dafs mir nach S'temfier müffen) mirft 
du fchon miffen. 0 b ich als einfacher deputierter hingehen merbe ober in 
anberer Stellung hier bleiben mufS, toeiß ich nicht: ich habe niich noch nicht 
erflärt, aber fchon halb geliefert. Söeiß ©ott, ich habe nicht barnach geftrebt 
unb märe froh, tnenn ich fo frei jurücfreifen fönnte, als ich frei hergefommen 
bin. 5lrmeS ftideS ßelafooic, mann merbe ich bich mieber fehen?!" denn eS 
batte in nnferent s ß(ane gelegen, bort einige Sßochen in ruhiger Slbgefdjiebenheit 
ju^ubringen. 

8 . 

Stach beS dagcS ©efchäften unb SJtühen mar beS SlbenbS in ber Siegel 
gefellige ßnfammenfunft im ©afthaufe, entmeber ebenerbig „anm ©oliath", 
ober im erften ©toefe beS anftoßenbeu ©ebäubeS „jum Sauer". ®S mar ba 
ein lebhaftes 51 b- unb Angehen, alte ©efannten trafen fich, neue ©efannt* 
fchaften mürben gemacht. 5ln einem unb bemfclben difche faßen frieblich 
untereinanber s J 8 erfonen ber oerfchiebenften 9 lrt, ©ioil unb SJtilitär, Stabicale 
unb ßonferoatioe, deutfehe unb ©laoen; benn s $olitif mürbe in ben ©efprädjen 
üermieben ober in munterer SSkife, ohne ben SlnberSbeufcnben ocrlefcen, 
berührt. Unter ben ©äfteu mar ein polnifcher giirft oon fenfeitS unferer 
©ren$en, menn ich nicht irre ein ©ulfomSfi, eine 9lrt Steoolntionär, beffen 


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SJtinifterium ©cbmarjenberg=©tabton. 


105 


Stome in ben Ickten ©reigniffen mef)rfac^ genannt morben mar; jefct in 
Dlmüfc mar nichts Dergleichen an ihm §u beobachten. Slitf mich machte er 
ben ©inbrud, als ob er fich ^ie^cr geflüchtet hätte, um tmr Verfolgungen 
ficher ju fein. 

Sine Vefanntfchaft gan$ anbern ©harafterS ermarb ich bwfch fieopolb 
Steumann. @3 mar ber früher ermähnte ®raf £>upn, eine echte ©olbaten* 
natur, bie auf mich btn beften ©inbrud machte. ®r fprach furj unb entfehieben, 
fo bafS man gleich muffte, moran man mit ihm mar. $lu3 ben VeDolntionären 
machte er fich gar nichts, ©eine Spaltung, ber SluSbrud feines ©efichteS, feine 
Siebe, alles trug ben ©tempel militärifcher Veftimmtheit unb ©ntfchloffenheit. 

2luch ben SegationSrath $übner lernte ich tonnen, aber nicht im 
©afthauS; er mar Diel ju fehr £>ofmann, um fich in eine ©efellfchaft ju 
mifchen, bie aus ben Derfchiebenften ©lementen aufammengefefct mar. ©r mar 
aulefct ©eneralconful in Seipjig gemefen, aber noch Dor bem 2lu3bruche ber 
Steoolution Dom dürften ÜJletternich nach SBien bentfen unb bann nach 
©lailanb gefchidt morben, jefct bie rechte §anb ©chmar^enberg'S. ©ine feine 
©eftalt, fehr höflich, aber ohne alle SBärme. ®r machte gefchmeibig unb 
juDorfommenb benen bie Boniteurs, bie beim dürften ju- unb abgiengen. 0b 
er etma eine höhere Veftimmung hatte, mar nicht befannt. 

©eit mehreren lagen meilten Söelder unb D. SJtoSle in Dlmüfc. 
©ie erfchienen manchmal in unferer ®efeflfchaft beim „Sauer", unb ba traf 
eS fich, bäte eines SlbenbS fie unb ich mit $aml tief an einem lifche 
faften. ®r mar nach Olmiifc gefommen, um fich als Sournalift in ber Slähe 
iu befehen, mie eS benn im jepigeit $auptpunfte beS SteidjeS ftehe unb maS 
ba Dorgepe. ©r mar in ber munterften Saune unb unterhielt mit feinem 
lebhaften ©efpräch, feinem SBifc, feinen naiDen Slufterungen bie gan^e 2 ifch« 
gefeflfdjaft. 3113 ich mich entfernte, giengen bie beiben 3teich3=©ommiffäre mit 
mir. „.£>ören ©ie", fagte auf ber Strafte SDloSle $u mir, „ift benn baS ber* 
fetbe $amltfef, Don bem in itnferen 3eitungen fo fürchterliche $inge $tt lefen 
finb?!" „$erfelbe ift e$!" „2lber, baS ift ja ein prächtiger Vurfch", rief 
SJtoSle Darauf. 3th ermiberte ihm: „freilich ift er'S. So gel)t eS moftl oft, 
bafS bie ®inge in ber 9täf)e anberS aitSfehen, als fie einem aus ber Seme 
erfcheinen, unb nun gar im ©erebe ber Seute unb in ben Varteiblättern!" 

®ie beiben beutfdjen 9teich3*Gommiffäre maren in Dlmüp, mie ich faum 
$u bemerfen brauche, um hier ihre SJtiffion 31 t erfüllen, nachbent biefelbe in 
©tammerSborf gefcheitert mar. 91Uubifch®raefc hatte ihnen mohl gejagt, fie 
mürben am faifertichen ^poflager unb beim SRinifterinm nichts auSrichten, ba 
er allein bie ganje Vollmacht habe, ©leichmohl meinten fie auch biefen ©chritt 
nicht unDerfucht laffen gu Jollen, unb bieS untfo meniger, als baS Vräfibium 


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106 


3ofepp 3rreiperr oon geifert. 


be3 SBiener SReiepStageS fie bringenb aufgeforbert patte, beim taifcrlid^en |>ofe 
„mögtiepft für Vermittlung unb Verfopnung gu mirfen". Sie mürben in Dfmüp 
aufgenommen, mieberpott oon SBeffenberg empfangen, auep gur 
faifertiepen Xafet gezogen. Stflein in ber ©aepe fetbft patten fie niept ben 
geringften ©rfotg. 9Jtan fagte ipnen in Dtrnüfc ba8jelbe, maS fie in ©tammer«* 
borf gepört patten, nur in mitberer Sonn. Vergebliep bemüpten fie ftep gu 
geigen, baf$ bie Ännapme ber Vermittlung ber beutfepen SReiepägematt für 
Öfterreiep in gmeifatper Vegiepung oon Vortpeil fei: einmal, meit bie Stuf* 
ftänbifepen in SBien fiep einer fotepett Vermittlung leiepter fügen mürben, unb 
bann, meit baburep ba$ innige VerpättniS gmifepen Öfterreiep unb ®eutfeptanb 
einen neuen oerftärfien SluSbrucf erpiette. SKan banfte ipnen für ipre mopt* 
meinenbe ©efinnung; man fanb in beut, ma8 fie oorbraepten, oiel SBapreS; 
allein man bebauerte non ben gegen SBien befeptoffenen SRaßregeln niept ab* 
taffen gu fönnen. 3n biefem Sinne fpraep SBeffenberg; in biefem Sinne 
befepieb fie ber Kaifer, bei metepern ipnen SBeffenberg eine Stubieng ermirfte; 
in biefem Sinne fpraepen ©rgpergog Srang $art unb bie anberen 2Rit* 
gtieber be3 ®aiferpaufe$, mit benen fie an ber taifertiepen Xafet in 
Verüprung famen. Se. 9Rajeftät, fagte man ipnen, pätten ©etbft bie ftraft 
gefunben, ber Unorbnung in 3pren Staaten gu fteuern. 

®effenungeacptet ließen bie beiben SReiep8*Eommiffäre oon iprem Vor* 
paben niept ab. So oft ipnen über bie ©reigniffe bei SBien eine neue SRaepriept 
gu!am, riepteten fie an SBeffenberg eine SRote, melepe biefer feprifttiep beant* 
morten muffte; benn fie mottten naep granffurt urfunbtiepe Vemeife barüber 
bringen, toaS unb mie fie oerpanbeft pätten. ®abei famen fie immer barauf 
gurücf, e3 fei bie beutfepe Sacpe, um bie fie fiep amtepmen müßten; benn 
e$ fei ©efapr, baf$ in SBien ba3 ‘Seutfeptpum bem Slaoentpum unterliege. 
Diefe Sluffaffung fonnte SBeffenberg niept gugeben. „$ie SReüotution", 
entgegnete er ipnen, „pat ein beutfepe^ ©emanb angelegt, bie beutfepen Sorben 
in SBien finb bie Slbgeiepen ber Partei be3 Umfturgeä. 6$ ift fein Äampf 
ber SRationatitäten, e§ panbett fiep um feine Umbitbung ber ÜJtonarepie in 
etn ftaüifepeS Öfterreiep. ®ie ÜJtaßregetn ber ^Regierung paben nur einen 
3me<f: Vefämpfung ber Slnarepie unb |)erftellung gefeplieper 3 u ftänbe. @4 
ift ein ffampf ber gefefcliepen ©ernaft, opne bie e§ feine ^Regierung gibt, 
gegen bie ©epreefenSperrfepaft, ein Sümpf ber ©rpattung gegen ben Umfturg." 

befannt mürbe, bafS ber $Reiep3tag naep Sremfier oertegt merbe, fam 
man in Sranffurt in neue Unrupe. „63 pat", feprieb ipnen Sepmerting, 
*am ©ifce ber beutfepen SReiepSgematt 3Rif3bifligung gefunben, baf3 ein Drt 
mitten in einer ftaoifepen Veoölferung at3 Sip be$ 9teiep3tage3 gemäplt 
morbeu ift; mie iep bie Verpättniffe fenne, märe Sing ein oiet geeigneterer 


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SJUnifterium Schroarjenberg*Stabion. 


107 


Si4 be$ £ofeS fowie beS ^Reichstages." Mein auch in biefem fünfte 
war nichts ju machen; bic 93orfteflungen SBefcfer'S unb 9RoSle'S blicbcit 
ohne Erfolg. Slm 26. Dctober fuhren SBeffenberg unb ber Dlmüfeer gürft* 
Erjbifchof äJtajimilian Sofephtfrh- &. Sommerau--93ecf^ nach Äremfier. 
$ier befaß ber Srjbifdjof eine prachtvolle unb weitläufige Sommer*9tefibena, 
bie er bem conftituiereuben SReidjStage unb ben verriebenen ÜRinifterien 
jur Verfügung fteflen wollte. SlloiS Seien, ber allgewaltige SReichStagS* 
Drbner, würbe aus $rag berufen, um bie Slbaptierung ber verriebenen 
Stäumlichleiten §u (eiten. 

* * 

* 

®m felben läge war eine abermalige Deputation von SBien abgegangeu, 
eS war nun fchon bie vierte ober fünfte, wenn man bie Senbung §ornboftel'S 
baju regnet. Der Sarnpf tobte bereite an ben meiften Sinien, als $ßi UerS- 
borff, $rato, gifchhof unb Slbam Sßotocfi SBien verließen. Stm 
26. abenbS trafen fie in Dlmüfc ein unb verfügten fr fogleich $ u SBeffenberg, 
bamit er ihnen für ben morgigen Dag eine2lubien$ bei ben SRajeftäten verfchaffe. 
SBeffenberg verfprach eS ihnen, machte fie aber zugleich aufmerffam, bafS fie 
auf einen Erfolg nicht ju rechnen hätten: eS fei, fügte er bei, in höchfiem - 
örabe $u bebauern, bafS eS fo weit f)abe fommen müffen; er pege ben 
lebhafteren SBunfch, bafS eS ein 3Kittel gäbe, ben furchtbaren Streit auf 
gütlichem SBege auSjugleichen; allein baS liege nicht in feiner 9Racht, ba ber 
faiferliche gelbmarfchafl bie uneingefchränfte Vollmacht fyabt, nach feinem 
Ermeffen vorjugehen. 

Slm 27. verfügten fich bie SBiener Slbgeorbneten $uerft $u ben beiben 
SReichS-Eomntiffären, um biefelben über bie Sage in SBien aufjuflären unb ihnen 
ben 3toe<f ihrer Senbung mityutheilen. Su ber neuen Slbreffe legte ber SReichS* 
tag „im Singefichte von ganj Europa unb mit bem heiligen Srnfte unver* 
brüchticherSBaprheitSliebe" bie neuerliche93erfidlerung ab, bafS gegenwärtig 
Weber Anarchie noch Empörung in SBienS äRauent herrfche; folche 3uftänbe 
Wnnten aber eintreten, „wenn bie 93evölferung burch bie 93ertagung beS 
^Reichstages ihren lebten ^altpunlt verlöre" unb wenn fie burch ®ewalt* 
maßregeln ju einem 93craweiflungSfampfe getrieben würbe. Unter folchen Um* 
jtanben h fl lte eS ber ^Reichstag „für ein Oebot feinet ©ewiffenS unb ber 
Stothwenbigfeit," auf feinem Soften auS^uparren unb poffe,bafS Seine 9Rajeftät 
Seine Swftimmung ju biefem „einmüthigen 93ejchluffe geben werbe". 3um 
Schluffe glaubte ber SReicpStag ben ffaifer an baS 93erfprecpen vom 6. Dctober 
erinnern ju bürfen, ein „Euer SRajeftät wie bem 93olfe gleich ergebenes 
SRiitifterium" ju berufen. 


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108 


gofeph greiherr oon geifert. 


gür beiifelben ©ormittag Ratten bie in Dltnüfc anwefenben Mgeorbneten 
beS SteichStageS eine ©erfammlung oerabrebet, bie in ber SBoljnung ©atthafar 
©Z db el'S eineö einheimifchen DlmüfcerS, ftattfinben foüte; bie oier ÜRitglieber 
ber SBiener Deputation waren gebeten, an biefer ©erfammlung t^eiljune^tnen. 
6 $ war ein fefyr grobes Simmcr, in weitem Streife waren Stühle hergerichtet, 
auf benen wir ©la§ nahmen. ©S waren: ber Hausherr, Sari ^erjig, 
9lfoiS gifeher, gebor Srorner (für ©ohm.*Samnih), Sodann Dooidf 
(für Sunftabt in SRährcn), Sajetan SRaper, Sari SBagner (für äRähr.* 
SReuftabt), ©alacli), ©inlaS, Sari $aw ft(ef, ©tabion unb ich, bann 
©rato, gifchhof, ©otocli unb ©iflerSborff.*) ©S ^errfc^te anfangs 
eine gebrüefte Stimmung. SRiemanb wollte mit ber Sprache heraus, unb baS 
War fe^r begreiflich. Die Dage in SBien mufSten beraten werben, unb bie 
barüber ju oerhanbeln hatten, waren oon einer ©eite folche, bie bis jum 
testen Slugenblicf in SBien auSharren wollten, oon ber anbern ©eite jene, 
bie bem Slufftanbe ben Sftücfen gelehrt hatten ober hoch jefct nicht mehr gefonnen 
waren, nach SBien ^urücfjufehren. ©nbtich wachte einer ben Anfang, eS folgte 
ein zweiter, ein britter. Mein fo oorfidjttg fie ihre SGBorte fteflen mochten, 
um ben anbern Xheit nicht zu oerlefcen, fo lonnte eS gule^t hoch nicht aus* 
bleiben, bafS zwei einanber fo fdjroff entgegenftehenbe Parteien hart aneinanber 
gerieten. Die SRitglieber ber SBiener Deputation fprachen oon einem Sampfe 
ber Dprannei gegen bie greifet, auf beren Unterbrütfnng eS abgefehen fei; 
oon ber helbenmüthigen ©ertheibigung SBienS, bie man unterftüfcen müffe, 
u. bgl. SRehrere ber SBiener MSreifcer pflichteten ihnen bei, aflerbingS in 
fanfterer Donart, weil man ihnen ja oorhatten lonnte: SBenn 3h r fo fehr 
für bie SBiener ©rfjebung feib, warum bleibt 3h? benn in Olmüb, warum 
geht 3h r nicht borthin, wo ©uer £crz ift? Die oon ber böhntifchen ©artei 
blieben ihren ©egnern bie Antwort nicht fchulbig; fie bemühten fich mit 
großer Schonung oor^ugehen, allein SluSbrücle wie „Anarchie", „Slufftanb", 
„Empörung", oon ber 9iotf)Wenbigteit, bie gefe^tiche Orbnung h^ufteflen 
u. bgl. fonnten hoch nicht auSbteiben. gebt nahm gifdjhof baS SBort 
unb gofs eine glut oon Serwünfchungen über bie böhmifchen Slbgeorbneten: 
fie feien es gewefen, bie ber ©ache ber greibeit ben erften ©tob Uerfefct; 
fie hätten ben gürften SBinbifch®raefc zum Sw gegen SBien aufgeforbert, 
hätten ihn oor feiner Slbreife mit einem garfeljuge ausgezeichnet 2 c. Der 
heftigen 9tebe folgte eine nicht minber heftige ©rwiberung, weint ich nicht 
irre oon ©infaS, bis fich Slbam ©otocli oon feinem ©ifec erhob unb, 

*) geh meinte, auch Dr. Sin ton ©ed (für SBittingau) habe an biefer ©er^ 
fammlung theilgenommen, ba er um biefe Seit ab unb 3 U nach Olmüfc tarn; er hat 
mir aber auf baS beftimmtefte oerftchert, er fei nie in 6 $äber$ SBohnung gewefen. 


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SJtinifterium SchroasenbergStabion. 


10i> 


einen ©lief auf bic Abgeorbneten auS ©Öhmen merfenb, fagte: „3Bo fold^e 
Anfichten tyerrfäen, fyabe ich nichts meiter 51 t thun". Damit fc^ritt er, ohne 
ben Hausherrn ober fonft jemanben ju grüfeen, mitten burch unferen ßreiS 
bem AuSgange ju; gemeffenen Schrittes, baS |>aupt ftof§ erhoben, baS Antlifr 
oon Seibenfc^aft gerötet. @r mar ein fdjöner SJlanu, unb ich ^abe nie ben 
AuSbrucf männlichen BornS unb ©ntrüftung in einer bornehmeren gorm 
gefehen: er erfchien mir in biefem Augenblicfe mie ein 2öme, ber mit ftoljer 
Stube aus ber SRitte feiner geinbe, bie ihn nicht anjugreifen magen, fich 
jnrücf^ieht. 

©alb nach ©otocfi'S Abgang erhoben fich ©rato, ©illerSborff 
unb gifchhof, ba bie ©tunbe hinaufte, mo fie $ur Anbien$ beim Saifer 
erfcheinen foüten. 2 Bir anberen btieben beifammen unb obmoht ber Sorfafl mit 
©otoefi eine arge ©erftimmung $urücfgelaffen hatte, fo tarnen jept bie inneren 
Angelegenheiten jur Sprache, unb ©atacf p ergriff baS SBort, mobei er „bie 
Siechte ber böhmijehen Ärone" ermähnte, ©tabion, ber neben mir fafj, gab 
mir einen leichten ©to& unb fagte leife: „Da fehen ©ie’S, mie er eS mit 
Öfterreich meint!" geh tonnte mich hier in feine AuSeinanberfefcung mit ihm 
eintaffen unb juefte nur mit ben Acbfefn, jum Beiden, bafS ich fein ©ebenfen 
nicht feilte. ©tabion freilich, luie er fich Steugeftaltung beS Staates 

buchte, tonnte fich ein grofceS, ftarfeS unb einiges Öfterreich, in meinem boeb 
„bie Siechte ber böbmifeben Srone" anerfanut merben follten, nicht benfen. 

Die Aubienj ber Söiener Deputation bei ben SJiajeftäten fiel auS mie 
alle früheren. Der Äaifer unb bie ^aiferin fchienen tief ergriffen oon ber 
©ebilberung, melche ihnen bie Abgeorbneten oon ber Sage in SBien machten. 
3 utefct aber 50 g ber Saifer aus feiner ©rufttafche ein ©apier unb las ihnen 
bie Antmort bor: ©r merbe, maS fie 3hnt im Stamen beS Söiener SteicbS* 
tageS borgebracht, in reifliche ©rmägung ziehen, ©eine (Sntfcbliefjung merbe 
er nachträglich betanntgeben. 

Die Abgeorbneten eilten $u äßeffenberg, ber ihnen nur mieberholen 
tonnte, maS er ihnen am Abenb jubor gefagt ^atte. Dann giengen fie ju 
A3 el cf er unb SR 0 Sie, bie ihnen besprachen, fich nochmals für bie Sache 
SBienS ju bermenben, aber ihnen nicht befehlen tonnten, eS merbe, nachbem 
bie ©ache febon fo meit gebiehen, taum etmaS fruchten, ©otoefi mar unge* 
heuer aufgeregt. AIS er auf ber ©trafte mit Alois gif eher jufammenteaf, 
rief er: „So lang nicht ein Dupenb fi^pfe fallen, mirb eS nicht beffer!"*) 

3n ber Dhut richteten bie beiben SteichS-Kommiffäre eine neue Slote 
au SBeffenberg. Schon am geftrigen Dage, biefe eS barin, hn^ man bon fern 

*) AIS ihn gif eher 1861, roo beibe im ©Mener SteichSrathe jufammentrafen, 
an jene SBorte erinnerte, fagte ©otocti: „geh mar bamalS mopl febr jung!" 


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110 


3ofeph Freiherr oon eifert. 


her große geuerSbrünfte in ber Stiftung oon SBien gefehen, heftigen unb 
anßaltenben fitononenbonner oon bortljer oernommen, ihnen felbft fei eine 
©roctamation beS gürften SBinbifch©raeb ooni 23. gu ©eficht gefommen, bie 
barin gefegten garten, ja maßlofen ©ebingungen müfsten bie ^öc^fte ©ereigt* 
heit ber SEBiener ^eroorrufen unb fie gum ^eftigfien SBiberftanbe entflammen; 
e$ fei barum tjöchfte 3rit, ben gelbmarfchaß oon ben äußerften SRaßregcln 
gurüdguhatten. SBeffenberg antwortete ben ©eiben noch an bemfelben Slbettb: 
9lid)t ber getbmarfchaU fei ber angreifenbe 2^ei( gewefen, fonbent er höbe 
gwei gegen feine Iruppen gerichtete Singriffe gurüdgejchlagen; bennoch höbe 
er bie grift gur 9iieberlegung ber SEBaffen um weitere 24 ©tunben oerlängert: 
„bafS übrigens ©mpörungen foldjer Slrt, Wie bie ber Proletarier in SEBien, 
nicht leicht ohne gwangSmittef unterbrüdt werben, hoben noch neuerlich bie 
©reigniffe in granffurt bewiefen." SefctereS war ein argumentum ad hominem 
für bie beiben Sperren 9teichS*Sommiffäre. 

©illerSborff, ©otocfi, gifchhof unb ©rato reisten noch benfelben 
Slbenb nach SEBien ab. bergig, ®romer, SBagner unb Sooftif, bie in ihren 
Vlnfdjouungen mehr ober mirtber mit ihnen fpmpathifierten ober wegen ihrer 
SBähler fpmpathifieren mufSten, fuhren mit ihnen, aber nur bis gloribSborf. 
©ie meinten ber ©adje SßienS beffer niifcen gtt fönnen, wenn fie in ihre 
SEBahtbegirfe giengen; es fei oon SEBichtigfeit, bafS fie fich mit ihren ©ommit* 
tenten ins ©inoernehmen festen unb biefe über bie Sage ber Singe auf* 
Körten, ihnen bie ©ebeutung beS SfteichStageS auSeinanberfefcten. 

* * 

* 

Sin bem Slbenb beS oielbeWegten SageS gieng ich io ©egleitung 
|)amit? ef'S oom „Sauer" nach |>oufe. $awlt£ef fam auf bie ©rager Sunitage 
gu fprechen unb machte mir intereffante 9Jtittheilungen. ®r unb feine ©artei, 
fagte er, hätten eS als ein Unglüd angefehen, bafö fo oiete ©ölen gu bem 
©laoen*©ongrefS erfchienen feien; bie ©ölen feien ihnen oon allem Slnfang 
Wie ©turmoögel erfchienen, bie ein Unwetter oorauSfehen ließen. „Unb ich 
oerfichere ©ie", fagte er gulefct, „ich, ©rauner unb Siieger, wir hoben in 
unferem 3 nn ^ren gewünfcht, bafS 3Binbifch©raeb fiege; benn jene unbe* 
fonnenen Seute würben baS größte Unglüd über unfer Eanb gebracht 
haben." 

3n biefen Sagen fam mein ©oufin Slbolf Schreiner burch Dfmüfc. 
SRein Dnfel ©rofeffor giang ©uftao ©chreiner in ©rag war Slbgeorbneter 
in granffurt; feine beiben ©ohne Slbolf unb 3Rori| rebigierten in feiner 
Slbwefenheit bie „©rager ßeitung". ©ie Waren beibe ultra*beutfch, unb ich 
erinnere mich noch on ben traurigen Xon, mit Welchem Slbolf, als Wir abenbS 


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ÜJUnifterium ©chroarjenberg‘©tabion. 


111 


au« bem (Safthaufe ^cim giengen, $u mir fagte: „Sllfo ift e« wahr, tun« 
ich lang nic^t habe glauben woflen, Wa« ich aber jept au« ben (Sefprächen 
an Eurem Xifdje bernommen höbe? So faß bie beutfd^e Sache prei«* 
gegeben, fo foü ber 9leich«tag nach Kvemfier tierlegt unb baburch cjedjifiert 
»erben! ?" 

3Rir tarnen nun Diele ©riefe $u, meisten« nach ©rag abreffirt, bon 
wo fie mir nachgefdjidt würben. 2luf biefem SBege erhielt ich bon meinem 
9teid)tag«*Eoflegen Stnton ©tar! au« galtenau jtoei Schreiben. Sr war ein 
wenig ©chwarjfeher unb fchilberte mit büfteren färben bie Stimmung, bie 
in ben beutfdjen (Segenben Söhnten« bie Dberhanb hatte. „S« fdjeint mir, 
baf« Emiffäre Ifarumgehen unb aufreijen. Slflgemein fampathifiert man mit 
ben SBienern, weil bie Seute au« 9tationalität«gefüf)f in ber SBiener 9tebeßion 
nur ba« Jlnfämpfen gegen ©laben unb Sfteaction fe^en wollen. 93on Meinem 
berg werben 9lufforberungen an bie ©täbte gefdjirft, ben SBienern ju $ilfe 
$u fommen, unb bon Eger faßen an 100 3Kann geben wollen. . . 34) 
erfahre eben," fepte er in einer 9tachfd)rift ba$u, „baf« ©tubenten au« SBien 
al« Emiffäre bie Seute aufwiegeln, unb e« ift auch einer nach Satfenan 
gefommen, wo feine Eltern finb. E« ift fetjr $u fürchten, baf« in ®öbmen 
ein 9lationalität«lampf an«bricbt, wenn bie ©adje in SBien nicht halb entfliehen 
wirb." 3n einem fpäteren Schreiben au« Ifchemin theilte er mir mit: „3n 
3h*ent SBahlbejirfe faßen ©lacate au« SBien circuliren, welche ba« SSol! 
aufforbern, ben SBienern $u |)ilfe $u ziehen, weil, wenn SBien unterliegt, 
mit 1. Sönuar bie SRobot unb aße (Siebigfeiten wieber in SBirffamfeit 
treten." Sr erinnerte mich an mein ©orhaben, einen offenen ©rief an meine 
SBäbler $u richten. Übrigen« hielt ©tar! treu $u unferer Partei, ber er fich 
feit feinem Slbgange bon SBien angefchloffen hatte. „da« Unheil", fchrieb 
er mir, „haben jene deputierten $u berantworten, bie in SBien geblieben finb 
unb bamit ber Stebeflion ben Slnfchein eine« Kampfe« für bie Freiheit gegen 
bie Unterbrücfung gegeben haben, die ©rodamatiouen be« 9teich«tage«, ba« 
Sieben bon Freiheit unb bom Kampf für biefelbe k. machen bie Seute ftupig; 
ßatt ben fcheufelichen SJiorb be« Satour öffentlich ju mif«bißigen, ftatt baf« 
ber 9leich«tag fogleich feinen Slbfdjeu unb ©erbammung über biefe unbejeichenbare 
©räuelthat au«gefprochen hätte, hat er bom ©iege be« ©olfe« unb ber Freiheit 
gefprochen! . . . 2llfo bom 24. b. 3R. an binnen jebn lagen höben wir 
im 9teich«tag ju erfcheinen, ober e« werben neue SBahlen au«gefchrieben. 
34 ) für meinen proteftire nicht bagegen unb bitte auch ©ie, nicht« 
in ähnlichem Sinne für mich ju thun. S« wäre überhaupt gut, wenn 
unfere Leitungen nicht« al« blofc Seitartifef brächten; wa« bon c^ec^ifd^en 
deputierten au«geht unb betannt gemacht wirb, wirb nicht geglaubt." 


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112 


3ofepb Sreitjerr oon geifert. 


SBaS mir ©tarf aus ben beutfdjen fianbftricben Böhmens fcbrieb, baS 
mürbe mir aus anberen ©egenben beftätigt. ®r. Sran^ Garant mar feiner 
Seit Slffiftent meinet BaterS an ber Präger Uniderfität für canonifcbeS Stecht 
gemefen unb batte eS, mie er mir fpäter erzählte, Dor^üglicb biefer Bermenbung 
ju banfen, bafS ihn baS ©tift 3roettl, mo bie ©teile beS BejirfSricbterS 
erlebigt mar, allen anberen Bemerbern Dorjog; er bat barum meinem 
feligen Bater ftetö ein banfbareS SInbenfen bemabrt. Garant nun feilte mir 
aus bem nieberöfterreiebifeben SBalbüiertet mit, bafS bie Dortige Beoölferung, 
mit SluSnabme einer geringen Qafy, burcbanS mit bem SBiener Slufftanbe 
fpntpatbifire: „9Ran flößt beut Söolfe £afS gegen alle Slnbänger ber ®pnaftic 
ein, unb man mufS auf alles gefafst fein. 3cb fämpfe mit bem Sntfcbluffe, 
mich ber Slrrnee anjufc^ließen, melcbe bie Anarchie betämpft, um mitjufömpfen. 
SS märe mir nicht möglich, rubig ^ujufeben, menn mein Bater lanb bem 
Slbgrunbe jueilen foflte." 

Bon SubomirSfi tarn mir ein ©ebreiben aus Sreimalbau ju. ®cr 
©cbmerj in feiner rechten $anb ^inberte ihn noch eigenbänbig bie Seber 
ju führen, unb fo feßrieb fein Brioatfecretär 3. ©ermatomsfi in feinem 
SRamen. Sr berlangte bunbert Sjemplare jenes äJianifefteS, baS ich ib m m 
Dlmüfc Dorgefefen batte, ba er in ben SBiener Leitungen nur baS Dom 1B 
gefunben habe, oon meinem ich ihm boeb ertlärt batte, bafS eS unter* 
brüeft merben unb in anberer Raffung erfebeinen follc. Sr fprad) feine 
Befürchtungen über bie „traurigften unb febreefliebften folgen" aus, * melcbe 
bie Beröffentlicbung jenes 2RanifefteS in ber urfprünglicben Raffung namentlich 
in ©ali$ieu haben merbe. Sr fab im ©eifte, mie bereits „ein bem 3abre 1846 
gleicher Slufftanb gegen bie polnifdje Sntefligenj" im SBerfe fei unb bat, 
mir böhmifchen SIbgeorbneten möchten „alle SRittel" Derfuchen, „um bie 
fchtechten folgen biefeS SKanifefteS abjumenben". «Sulefct fügte er mit eigener 
unficherer |>anb bie SBorte bei: „3ch febe bloß Unglüd über unferem 
ßanbe febmeben. Um ©otteSmiöen helfen ©ie! ©ie nur in Böhmen fönnen es! 
$a$ SJtanifeft beS ffaiferS, baS beS SReicbStageS bejmeefen nur eines, b. i. 
Sanbfturmü SBobin mirb baS führen?" 

Weiterer lautete ein Schreiben meines SreunbeS Köftler aus Krafau. 
3ch batte ihn gebeten, meine ©elbangelegeribeiten in Srafau $u beforgen, 
namentlich meinen ©ebalt ju beheben, hierauf fchrieb er mk in feiner 
ftets jooialen SBeife: „giir ftoöember, fagte mir ber ^iefige Sontrolor, be* 
(ommft ®u einen ® . . . ., naebbem beine ©age hier eingestellt ift unb 
®u ohnebieS als ®eputierter 150 fl. monatlich umfon ft bejiebft." ®er Brief 
fcbMS mit einem ©ruße an meine „göttliche ©emablin" unb „lebe recht 
mobl, ®u mein Slugapfel; eS füfst ®ich ®ein — Banfier Röftler." 


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Sttinifterium ©chroarjenbergsStabion. 


113 


9. 

SBic fah eS itt ber $eit, ba ©alacfp, ©infaS unb ich in Dlmüp 
weilten, in unferem golbenen ©rag aus? 

Sn ben erften Sagen nach unferer 3tbfat>rt befanb fich adeS noch fo 
Ziemlich auf bem alten Slecfe. <stür unb $urban weilten noch immer in ©rag 
unb Warben für ben Sreifcharenzug, ben fie in ihre Slobafei unternehmen 
wollten, ©pmpathien, ©elbbeträge unb 3teitoidige. Saneben liefen ©aben für 
bie Kroaten unb ©erben ein unb „Sdr. Sow." brauten bon Seit ju 3rit 
Serjeic^niffe ber empfangenen ©eiträge. $abel ©orobffp (Karl £>awltief) 
harrte tapfer an unferer ©eite aus unb öertfjeibigte mit ebenfo warmem 
©ifer als großer ©efdEjicflic^feit unfere Haltung. 21m 19. Dctober hatte bie 
Krafauer „Sutrzenfa" einen heftigen 2lrtifel gebraut, worin bie ©olitif ber 
©Öhmen angegriffen unb berfwhnt, bagegen jene ber ©ölen in ben #immel 
erhoben Würbe; bie ©ölen, hit$ eS, feien bie wahren ©orfämpfer unb 
Setter ber Sfteifjeit, bie ©tüpen beS ©labenthumS. ©egen biefen 21uSfad 
erfchien nun in ben „Sdr. Sow." Sr. 167 bom 24. ein 21rtifel „©oldci", 
worin £awli£ef bie SReifterfchaft feinet naturwüd)figen ©enieS entfaltete. 
9Rit unerbittlicher Schärfe ber 2ogif unb beS 2luSbrucfeS jeichnete er jene 
oerwerftiche ©olitif, bie fich in ben Schein ber greifinnigfeit unb ©olfS* 
thümlichfeit hüde, bie gemeinfame ©ache ber ©laben unb beS polnifchen 
©olfeS ju bertreten borgebe, in SBahrheit aber mit plumpem ©goiSmuS Hofe 
ben ©ortheil beS polnifchen 21belS im 2luge habe unb für biefen fämpfe. 

Sn einem 2eitartifel bom folgenben Sage charafterifierte er in 
fcharfer SBeife ben ©tanb ber betriebenen nationalen ©arteien in Öfterreich. 
„SBir öfterreichifchen ©laben", hiefe & barin, „haben baS erreicht, WaS unS 
' bor adern SRoth thut, nämlich bie ©leichberechtigung mit aden anberen, wir 
woden fortan feine SRebolution, weil wir überzeugt finb, bafS wir auf frieb* 
lichem SBege im Reichstage erfämpfen werben, roaS unS bon Supen ift . . . 
SBaS woden bagegen bie anberen? Sie äRagparen woden 2oStrennung unb 
tprannifdje Ädeinherrfchaft. Ser polnifche 21bel wid baS alte ©ölen mit ber 
Dberherrfchaft ber polnifchen Race über bie ruffifche unb litauifch'e unb ber 
Slriftofratie über baS gemeine ©olf. Sie Staüener ftreben 2oSreif$ung bon 
Öfterreich unb ein einiges Stalien, bie Sranffurter Unterwerfung ber öftere 
reichifchen ©unbeSlänber als untertänige ©robinzen unb ein einiges Seutfch* 
lanb an. Sie ade ftehen mit einanber im Sunbe, fie woden fein Öfterreich, 
fie machen Reoolution um eS $u zertrümmern, unS fcpreien fie als Reactionäre, 
als SegierungSfnechte auS; hoch im ©runbe woden fie nur, bafS wir nach 
ihrer ©feife tanken. SBir werben unS hüten, unS burch ihren ^opn unb ihre 
trügerifchcn ©hrafen bon unferem SBege abbringen zu taffen. SafS wir jept 

$ie Äultur. III. 2. £eft (1901.) 8 


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114 


gofepb greiberr oon geifert. 


mit ber Negierung uttb mit bcm ^>ofe galten, tbun mir nicht um bicfcr 
SBiflen unb aus Kriecherei, fonbcrn um unfertmiflen unb in bcr Überzeugung, 
bafS in biefer ©olitif gegenmärtig unfer Aller Sortbeil liegt". 

AIS biefer lefctere Artifel aber erfebien, butte bie bisherige politifebe 
Stimmung fomobl in ©rag, als auch in dielen ©egenben beS böbmifeben 
2anbeS umgefcblagen. Am 22. Dctober ^atte ©anuS 3ellafi£, ber Stolz 
ber öfterreiebifeben Slaöen, ein Schreiben an bie SlooanSfä 2ipa gerichtet. 
®r fpradj ficb barin über bie Stellung unb Aufgaben beS SlabentbumS in 
Öfterreicb auS unb fefcte bie ©emeggrünbe auSeinanber, bie ibn zu bcm 
ÜJtarfcbe gegen ©eft unb bann gegen SEBien oeranlafst butten, biefen beiben 
£>auptberben ber Slaoenfeinblicbfeit, unb fpenbete babei ber ©olitif ber ©öbmen 
marmeS 2ob. Ohne Steife! jüü r be baS Schreiben bie größte ©egeifterung 
beroorgerufen buben, nicht bloß im Scbofte ber SlooanSfä 2ipa unb in 
ben Greifen ber böbmijeben Abgeorbneten, fonbern in allen ©auen beS 
böbmifeben 2anbeS, toenn es nicht mit einer anbern Nachricht zufummen= 
gefallen märe. $enn zur felben 3eit, ba eS in ©rag eintraf, mürbe bie 
©roclamation beS gürften 2Binbijcb®räp Dom 23. aus ftepenborf befannt, 
unb nun mar alles ftarr oor Staunen unb Scbretfen über bie gorberungen, 
bie barin auSgefprocben maren: ©ebingungSlofe Untermerfung, Ablieferung 
aller SBaffen, Sperrung ber Aula, Auslieferung ber Häupter ber atabemifeben 
2egion unb öon ztuölf Stubenten als ©eifein, Unterbrütfung aller gournale 
mit Ausnahme ber „SBiener Rettung". 

3 m ©runbe mufste ficb jeber befonnene Kolititer fagen, bafS einer 
in hellem Aufftanbe begriffenen Stabt gegenüber nichts anbereS für ben 
Augenblicf getban merben fonnte, als ©emalt gegen ©emalt. Allein in 
©rag erinnerten biefe gorberungen nur zu febr an baS, maS man oier 
9Ronate früher felbft erfahren butte unb momit niemanb einoerftanben 
gemefen mar, als bie befannten Siebenunbfecbziger in ihrer Abreffe. Auch 
jefct maren eS faft nur biefe Siebenunbfecbziger, bie baS ©orgeben beS faifer* 
lieben gelbmarfcballS ganz natürlich, bureb bie 2age ber $inge in SBien 
geboten fanben. ©ei allen anDeren, ©öbmen mie ®eutfcben ohne Untcrfcbieb, 
mar geuer im 2)acb. ®ie Nabicalen butten mit einemmal bie Dberbanb 
gemonnen. 3n allen Körperhaften unb politifeben ©ereinen, in ®aft* unb 
ßaffeebäufern, auf Den Straften mürbe gegen baS „unconftitutioneüe ©erfahren" 
beS gürfteu 2Binbifcb®räfc gefproeften, peroriert, beclamiert, geflucht unb 
gefebimpft. SBebe bem, ber ein Sßort bagegen magte! Son ber Stegierung 
gefebab nichts, um ben Sturm ber 2eibenfcbaften zu befebmiebtigen. SBinbifcb 2 
©räfc mar fort, ber fräftige 2eo 2bun mar in bie ©de gebrüdt, unb fein 
Nachfolger ©aron 2Hecf£rp mar ohne Kraft unb baber ohne Anfeben. ®r 


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üJtinifterium ©cbroaraenberg=©tabion. 


115 


uerftanb e$ nur, mit Keinen SJtittetn ju operieren. 2ll£ fid^ in biefen Dagen 
unter ben Arbeitern ba£ ©erüebt oerbreitete, öon ben ©tabtüerorbneten motte 
bie ftrage ber äßafcbinen beraten merben, ma£ am 25. bie. ßeute in grofee 
Aufregung öerfefcte, fo baf^ ein neuer Stufftanb brobte, tiefe Wecj(ri) unter 
bie Arbeiter ©etb auätbeiten*), unb fo fam e3 üon biefer ©eite ju nid^tö 
ernfterem. 

Um fo heftiger gä^rte e3 megen ber Söiener Srage in ben ©emüttjern, 
unb $mar nicht btofe in ber |>auptftabt unb ben gröfeeren ©täbten, fonbern 
auch auf bem ßanbe. ©etbft in ftocfböbmifcben ©egenben trieben fidj ßeute 
herum, metefee ba3 Vertrauen ber «ebößerung in ihre Stbgeorbneten ju 
erbittern fuefeten. feien in SBien, fdjrieben bie £efcer, Slbgeorbnete, 
aber auch anbere Herren gemefen, bie ficb bitten befteeben taffen, um ba£ 
böbmifefee ßanb unb SSotf $u oerratben; ©trobacb allein habe $mei SJtittionen 
erbatten. Sn SBiener «lättern mürbe bie SJtiffion oon Vatacfq unb 
«in!a£ naefe Dtmüfj unb beren bortigeS gufammentreffen mit ben SBiener 
Deputaten in ber gebäffigften Sßeife bargeftetlt, ma§ auch in Vöbmen 
böfeS «tut machte. Unfere Stbgeorbneten oeröffenttiebten gegen folcbe ®nt* 
ftellungen eine offene ©rftärung; allein ba§ äJiifätrauen im «ubticum mar 
einmal angeregt unb tiefe ficb fo feiert nicht jerftreuen. 

Da£ ßofungSmort mar jefet: eine Äbreffe an ben ffaifer, bie eine 
Deputation nach Dtrnüfc bringen fotlte, um bem martialifeben Vorgeben beä 
dürften 2Binbifcb®räb ©inbolt $u tbun. Sn ber 2tbenb^@i^ung oom 
25. mürbe tum ber ©loOanStä ßipa befchtoffen, ben beutfdjen Verein ju 
begrüfeen, auf baf# er in biefer SIngetegenbeit £>anb in $anb mit ibr gebe. 
Sür ben 26. mürbe eine Volfäoerfammtung auf bie ©opbien*3nfet berufen, 
mo bie ßage 3Bien$ befprochen merben fotlte; ber 2tu£fcbu}£ ber ©toöanSfä ßipa 
fotlte barüber machen, bafä alleä in Drbnung üor ficb 9 e ^ e: i e ^ cr f ^ cr fp^echen 
motte, habe ficb oorerft bei ben StuSfcbüffen einfehreiben ju taffen unb im 
allgemeinen ju bezeichnen, morüber er reben motte ic. Sn ber «rager 
Veoölferung rief biefer SefdjtufS mannigfache «eforgniffe berbor; allerbanb 
©erüchte tiefen umher. „2Biü man", fagten bie Snrchtfamen, „bie fieiben* 
fchaften abermatö mie in ben Vfingfttagen bernufbefebmören?!" 3«be§ üerlief 
bie Votfaoerfammtung in aller Stube unb Drbnung. 

äßitttermeite mar bie 2lbreffe an ben Saifer abgefafät unb bie grofee 
Deputation nach Dtmüfc gemäbtt. ©ie beftanb aus Vertretern be3 ©tabt* 

*) 3rürftin ©cbönburg febrieb über $Jtecf£rp am 27. au$ Vrag an ihren 
©chmager im fiager oor Söien : „Du roarft fein gifebbein, depuis votre d6part ift er 
ein ÜJtorb*ßafirer geroorben, et s’est m^me vantä d’avoir fait distribuer de l’argent 
parmi les ouvriers, ce qui me parait ein gefährliches ^BaUiatio." 

8 * 


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116 


3ofeph Freiherr oon geifert. 


oerorbnetensßoflegiumS, beS 93ermaltungSratheS ber 9lationalgarbe unb ber 
atabemifchen ßegion, jufammen 28 Köpfe, mit bem 93ürgermeifter Dr. fflanfa 
an ber Spifce. 3 h rc Aufgabe mar, im tarnen ber ©tabt $rag ftürfprache 
„für baS ©chidfal ihrer ©chmefterftabt SBien" einjulegen: „@oB eine 
93eoölferung non 400.000 2ftenfd)en einem namenlofen (Slenbe preisgegeben 
merben? Stein, baS tarnt gerbinanb ber ©ütige nicht moßen! Sin 3h rt 
menben mir uns mit ber ooßen 3 u ^erfic^t, bafS bie äufeerften, jur 9Ser^ 
jmeiftung führenben SJtafjregetn nicht in Slnmenbung gebraut merben, beoor 
itid^t aße Sötittel erfd^öpft finb, bie ju einer friebtidjen ßöfung führen fönnten." 

Sin bemfelben Sage, an bem bie Deputation nach Dlmüfc abgehen foBte, 
29. Dctober, mar Sahnenmeihe ob bem Sp&eljrab. gürftin ©chönburg fdjrieb 
an ben gürften SBinbifch©räfc: „£>eute mirb teuftifch aus ber einen Kanone 

gesoffen, qui forme l’artillerie de la Nationalgarde." 

♦ * 

* 

3n Dlrnüfc t)errfc^te in biefen Sagen feine geringere Aufregung als in 
ben Oerfchiebenen Kreifen SßragS. Sluch bei uns bangte man megen ber ®nt* 
Reibung Oor SBien, nur in anberer Slrt. Der Delegraph arbeitete ununter= 
brocken. SJtinifter KrauS mar für einige ©tunben nach Dlmüfc gefommen; 
nachmittags am 28. reifte er mieber ab unb traf abenbS nach fitnfftünbiger 
gafjrt in SBien mieber ein. 93eröffentlid)t oon amtsmegen mürbe in Dlntüfc 
nichts, unb baS machte uns bie Sache bebenflid). Denn baS mufSten mir 
ja, unb mufste aBe SBelt, bafs ber Kampf bereits begonnen hatte. SBir lebten 
in fortmäbrenber Spannung, eine ©tunbe um bie anbere brohte etmaS neues 
$u bringen, ©o oft mir tonnten, eilten mir auf ben SSahnhof hinaus, nach* 
$ufragen, ob feine neue Sßoft eingetroffen fei. SBer oon SBien tarn, mürbe 
umringt unb befragt, befonberS Dfficiere. SBaS biefe auSfagten, tonnte unfere 
ßtueifel nicht befchmichtigen. @S fprach feine ©iegeSjuoerficht aus ihren SBorten: 
ber Kampf fei ein fehr erbitterter, bie ©tabt fcheine ju ernftem SBiberftanbe 
entfchloffen, fchon habe baS Militär niete Serlufte erfahren, niemanb fönne 
fagen, mie ber SluSgang fein merbe. ©eriiehte gab eS in SRenge, eins löste 
baS anbere ab. Sluch prioate SRittheilungen tarnen unS ju; benn fort* 
mährenb trafen ^erfonen ein, bie unmittelbar aus SBien tarnen unb bie 3u* 
ftänbe bort mit eigenen Slugen gejehen hatten: ber DerroriSmuS habe ben 
höchften ©rab erreicht, felbft gan^ beutfehe Slbgeorbnete hätten barüber $u 
ftagen. SSon SReffenfjaufer mar in ber ©tabt nicht nie! 511 hören noch 
3 U fehen; um }o mehr 511 lefen, benn aBe Sage erfchienen SRaueranfchläge 
non ihm, mitunter enblofe ©afcfchriften. Der eigentliche ßeiter ber SJerthei* 
bigung mar ber fleine 93 em, ber jebem mit bem ©rfchiefien brohte, ber 
nicht gleich parierte: feine SBorte $ünbeten, feine Stebe entflammte ben 


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SRinifterium Scproaräenberg-Stabion. 


117 


finfenben SJtuth- 35er Stbgeorbnete griebrich X^iemann (für SRumburg) 
hörte ihn eine$ XageS, afö ©em, memt id) nicht irre am ©raben, bie ßeute 
anrebete unb ifjnen ©efehte gab; Xfyiemamt fc^tiberte mir fpäter ben 6in= 
brucf, ben ©em'3 SBefen auf ihn gemalt: „Der 9J?amt", fagte er, „befifct 
eine bämonifche ©ematt, bie Stnberen hinjureißen unb fich bienftbar $u machen." 
©ine anbere ©eftalt mar ber ©rajer Dr. ©mperger. SBie ein grabiaoolo 
gefteibet, mit langem 3J?antet, ©iftolen im ©ürtel, ben entblößten Säbel in 
ber Stedjten, eilte er im Sturmfehritt burch bie Straßen, bafS bie ßeute 
uor ißm mie oor einem ©errüeften feßeu auäeinanber ftoben. 

SBien mar öb unb teer. Son ben befferen Stänben mar feßon tange nie* 
manb mehr in ber Stabt; in ben eleganteren Stabttßeiten ftanben ganje Raufer 
ohne 3nmohner; nur bie £>au£beforger maren noch ba. Dafür maren alte 
fteineren Stabte im fianbe unb in ben SRadjbarlänbern oon SBiener fttücßttingen 
überfüllt: in ßtnj, Srünn, fetbft in ©rag maren niete. 3n ber 9?ähe 

non SBien mar am meiften ©oben non ihnen angefüttt, ba3 bafür ben Spotte 
namen „Schmar$gelbomifc" erlieft; benn „fcßmarjgetb" ^ieß bamatä atteä, 
ma3 nicht mit ber SReoolution hielt. Sind) bie faiferltchen Ämter ftanben 
faft teer, fetbft in ben SRinifterien pietten nur SBenige auf ihren ©offen au3. 
©on bem Unterricßt^=9Winifterium, beffen ßeitung ich übernehmen fottte, maren 
nur bie ÜJZinifteriaträt^e @ e n er unb ber Sble non ©er gen ft a mm an ihrem 
©la&e; ber tefctere, ein Sertrauenämann be£ Unterftaat£fecretär£ geitchterS- 
leben, mar binnen einem halben Sfahre nom 9Rinifterialsßoncipiften ^um 
SRinifteriatrath ananciert, ein üftann non befchränften Öähigfeiten unb in feiner 
©efinnung ber ©mpörung nicht feßr abgeneigt, ©aron geuchter^teben fetbft, 
ber baS SRinifterium leiten fottte, hatte fich auä ber Stabt Oerloren, unb 
man fprach, er motte fein Stmt niebertegen. f)ie%, er fei burch bie 
"Drohungen ber ©h^ rur 9 en gefchredt, ba man muffte, er motte bie cßirur= 
giften Stnftalten aufheben unb ben Stanb ber ®h^ rur 9 en auSfterben taffen. 

ben „©hinxrgen" jähtten fich aber jept auch einfache Sarbiere, bie in ber 
mebicinifchen ßegion fehr ftart nertreten maren unb bort ben Don angaben; 
benn auch ben Stubenten maren bie befferen ©lemente zahlreich gefchieben. 
Selbft ber ©ürgermeifter Sei Her unb ber ©ice*©ürgermeifter Dr. getinfa 
maren aus SBien geflohen, unb ^mar, mie man ihnen fpöttifch nachfagte, fo 
eilig, bafä fie fich am Semmering $um erftenmat umfahen. 

©on ben SBiener Leitungen maren bie fteineren faft alle eingegangen, 
bie größeren mufften alle in ben Don ber 2tufftänbifdjen einftimmen. Setbft 
bie „SBiener 3eitung", bamate oon SRubolf o. ©itetberger rebigiert, febrieb 
non ben Stufftänbifcßen al3 ben „linieren", fo bafS eigentlich SBinbifch®räfe 
unb feine ©enerate bie „SRebetlen" maren, mie in ber Dßat ©em non ber 


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118 


gofeph greiherr uon geifert. 


belagernben 9lrmee nicht anberS als von bcn „StebeHentruppen" fprad}. Ser 
„Öfterreichifche Slopb", an beffen ©pifce ber geiftvolle SBarrenS ftanb, 
befanb fic^ burchauS unter bent XerroriSmuS ber SRabicalen, wahre ©chanb* 
9lrtifel muffte er aufnehmen. bie größeren ©rovin$blätter waren mehr 

ober minber rabicat, manche h e t}ten 9 an $ offen für ben Slufftanb; in Olmüfc 
felbft beftanb, wie früher erwähnt, ^öt^eT^ „Sie neue3eit", regierungS* 
feinblich über bie ÜJta&en. ©S that baher bringenb noth, für bie ^Regierung 
unb für bie ©runbfäfce unb gbeen, bie fie leiten foltten, ein verläfSlicheS« 
Organ ju fc^affen; ihre greunbe toie i^re ®egner verlangten in biefer 
fritifchen 3 «t authentifche SRachrichten auö bent thatfächlichen SJlittelpunfte 
beS Reiches. Sa war eS Sr. 21 n ton 93ecf, SteichStagS*Slbgeorbneter für 
SBittingau, ©rjieher im ©aufe beS gürften gohann Slbolf ©chwarjenberg 
unb Von baher feit galjren mit bem gürften gelij, aber and} mit bent 
©rafen ©tabion befannt, ber ben ©ebanfen eines publiciftifchen 3tegierungS= 
Organes anregte, baS in Dlmüfc erfcheinen follte. ©chwarjenberg unb 
©tabion griffen mit beibcn Vänben $u, Verlangten aber Von ifjrn, er felbft 
möge bie fieitung übernehmen. ßr erbot fidj ba$u, obwohl bie Aufgabe 
gewifS feine leichte war. ‘Sie ihm jur Verfügung geftellten ©elber waren 
fnapp, bie gnformirung feitenS ber Regierung war bürftig unb ängftlidj; 
bie Sruderei ©farnifol, wo „Sie neue 3cit" gebrucft würbe, $eigte 
fich einem confervativen Unternehmen anfangs abgeneigt. ÜberbieS fehlte 
eS in ber ©tabt faft an allen für bie Verausgabe eines großen ©latteS 
notbwenbigen VilfSmitteln: literarifdje Serbinbungen, ©orrefponbenten 
in ben widjtigften Orten mufsten erft gefugt werben. ©S gehörte in ber 
Xhat unter folgen Umftänben nicht gewöhnlicher SRuth unb eijerne 2htSbauer 
baju, ein folcheS Unternehmen 511 arrangiren unb burcf)$uführen. ©leicfjwohl 
War ©ed mit feinen Sorbereitungen halb jo weit, bafS am 28. October bie 
2Infünbiguitg erfolgen founte. Xitel ber neuen 3^itung war: „Öfterreichifdjer 
ßorrefponbent"; ©ed’S $Rame war nicht genannt, ©r h^Ue anfangs nur 
einen SRitarbeiter, bann jwei, von benen ber eine fräitflich War, ber jweite 
fich fpäter als geheimer SRepublifaner entpuppte. Sic fieitartifel fchrieb 
©ed in bcr erften 3 eit allein, bie ganje Stebactiou laftete auf ihm, bajtt bie 
2lbminiftration in vollem Umfang, ©rft als eS ihm gelang, ben Sr. ßonftantin 
©Jurjbach ju gewinnen, gieng bie ©ache flotter. 

Ser 28 October vergieng uns in Olmiifc in trüber ©timmung unb 
voll banger ©orgen. 2lm 29. würben jwei telegraphifche Sepefcheit burch 
©lacate veröffentlicht, fie melbeten gortfehritte beS 9RilitärS. gefct begannen 
felbft SRitglieber ber fiinfen an bem Siege beS 2lufftanbeS $u zweifeln unb mit 


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SJiintfterium Scbroar$enberg=Stabion. 


110 


Stangigfeit bic folgen ju ermägen, bic fid^ für fie einfteflen tonnten. StuS bent 
SSermanen^SluSfcbuffe mürbe mir ein tragifcb=fomifcber Stuftritt erjäf)(t. „SBaS 
mirb ber 2Binbifcb©räfc mit un£ machen?" ttagte ber lagere Umlauft. 
„2Ba£ er mit uns machen mirb?" fagte £>ubicfi, einer ber JRabicatften 
im SReicbätage; „aufbängen mirb er uns taffen!" „Sftacben Sie je|jt feine 
flechten SBifce! 3b r $oten feib baS Slufbängen gemoßnt — aber mir?!" 
©r gieng mit großen Stritten im 3intmer auf unb ab, unb bodt)afte Seute 
motten bemerft buben, bafS er ficb babei unmittfürticb öftere au feinen 
taugen §at3 fünfte. 

Umtauft mar übrigens nicht ber einzige oon ber Sinfen, bent eS 
nid^t recht geheuer $u merbeit anfiettg. Sie Ratten in ben früheren SDionaten 
ben SJiunb gemaltig oott genommen, jept mürben fie auf einmal fteintaut. 
Söhne r, ein JRebner oon großer Segabuitg, aber fein StJiann oott großem 
3Rutf), mar fcbon lang nicht im SteicbStag erfreuen. Stuf ber Straße mar 
er manchmal $u feßen, ein gemaltigeS Sc^mert an feiner Sinfen, um ficb 
bie eigene fturcfjt 00 m Seibe 5 U butten; ^ute^t mar er mie öerfcfjmunben, er 
ßatte ein ©taffenjimmer im Spital bezogen, um ba als Slranfer für alle 
gälte fidjer ju fein, ©ine ©efc^ic^te meiß ich aus fieserer Duelle, bie einen 
meiner eßrenmerten Sollegen oon ber Sinfen betraf, beffen Stauten ich unter- 
brüefen mitt. SttS baS ©ittriiefen ber faiferlicßeu Gruppen beoorftanb, erfebien 
er in bem Jpaitfe eines i^n feit Rubren oeraeßtenben SJtanneS unb bat ißn 
um feßübenbe Slufnabme. „SBie fönnen Sie elenber Schuft ficb einbilben" 
fagte ißm biefer, „bafS 3b nen ein ehrlicher Wann Unterftanb biete!" Diefe 
berbe Slbmeifung piclt jenen nicht ab, noch bringenber $u bitten; eS mar nicht 
baS erftemat, bafS er ähnliche ©brentitet aus bem SRunbe beS Stübern 
empfangen butte. SttS er burtnäefig abgemiefen mürbe, empfabt er ficb, 
fanb ficb aber unten beim |>auSmeifter ein unb fagte biefem, ber $err taffe 
ibm fagett, er fofle ibm einen Steller auffperren. Der |>auSmeifter tfjut, 
mie ibm geheißen marb, unb jener butte feinen 3u)ecf erreicht: einen Schlupf- 
minfet in einem |>aufe 511 finben, mo niemanb bie Slnmcfenbeit eines 
„SRotben" oermutben fonnte. 

* * 

* 

Slm 30. Dctober traf bie große Präger Deputation in Dtrniib ein. Stm 
fetben Dag mar bereits befannt, bafS ficb Sßien ergeben butte unb bie Druppen 
beS gefbrnarfcballS ficb unfebieften, bie innere Stabt $u beferen. SB et cf er 
unb SWoSte richteten ein tefcteS Schreiben an ben SJiinifter SBeffenberg, 
metebem fie an^eigten, bafS fie ihre üftiffion als geenbet betrachteten unb bafS 
fie baber feinen ©runb butten, tänger am faiferticben $oftager ju meiteu. 


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120 gofepb greiherr oon eifert. SJtinifterium SchroarjenbergsStabion. 

Sticht fo bic ©rager Deputation. Diefe meinte jefct erft recht ihr giir^ 
mort einlegen 511 müffen. Stm 31., um V 2 1 SJtittagS erfdjien fie bor bem 
Saifer unb fprac^ bie Hoffnung auä, „baf^ ber auänahmämeife 3 nftanb, in 
melden SBien getreten, borübergeöen unb bie Seforgniffe, melche bie 
Frager Sebölferung ^ege, halb böflig merben beseitigt merben." Die 
Slntmort be3 ®aifer§ lautete auSmeichenb: 6 r fühle fid) nicht in ber Sage, 
jefct fdjon einen beftimmten 2tu3fbruch ju tf)un. — Unbefriebigt non biefem 
Sefdjeib, festen bie Frager Slbgeorbneten noch am felben Dage eine neue 
Slbreffe auf: „@3 fann mohl nißt ber Sßifle ©urer äJtajeftät fein, bie 
Deputaten ber treuen böfjmifchen Station in einer ba3 ©efarnrntmohl ber 
SJtonarchie berü^renben Angelegenheit ohne eine beruhigenbe Antmort ju 
entlaffen." 3um ©chluffe fteUten fie bie Sitte, „baf$ im galle ber militärifchen 
©efefcung bon SBien mit Sermeibung jebeS auänahmSmeifen 3 wftanbeö bie 
©ibilautoritäten ungefäumt mieber in bie oofle SSirffamleit treten." £)b fie 
mit biefer jmeiten Abreffe bor ben S'aifer gelaffen mürben, meifj ich nicht, 
bejmeifle e3 aber. 9lm 1 . Stobember muffte man bereite bon bem friegerifd^en 
©infall ber Ungarn in Stieberöfterreich, bon bem ®apitulation£bruch 
SKeffen^aufer^, bon ber fiegreidjen Schlacht bei Schmechat, bon ber neuerlichen 
©efchiefjung ber Stabt, unb am 2 . Stobember reifte bie Präger Deputation, 
ohne etma* auSgerichtet $u hoben, bon Dlrnüp mieber ab. 



3nt lebten §citc fiat ft(fi Seite 7, Seile 2 seit unten, ein finnftßrettber $rucffef)ler eingefallen 
ftatt „unb" lies „nur". 


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Darwin und das Überleben des Passenden, 

Eun ftnfsn Bhrrguis Ztttoli. 

n einem chriftlichen Statte ben übrigens meniger non Darmin felbft, 
atS oon ben Darminiben oerfochtenen ©runbfap oon ber Stammet' 
gleichheit beS 9ßenfchen mit bem 5lffen miberlegen, hiefee ©ulen nach 9lt^cn 
tragen. £jier fann bie 9Jott)menbigfeit einer fotc^eu Sefprechuitg nicht OorauS* 
gefegt rnerben. SaS aber bie übrigen barminiftijchen Dh eor i eu betrifft, metdje 
fid) tljatfächfich ober a prima vista mit pofitinem ©tauben immerhin öerein* 
baren taffen, fo ^errfc^t noch in ben meiften djrifttichen Greifen eine gemiffe 
gebanfenlofe ©utmüthigteit, in ber man — ba man fchon gelungen ift,. 
manches oon fich 511 toeifen — froh ift, menigftenS einen als ©ntfchäbigung 
anjunebmen. 

©0 ift gerabe ber gunbamentalfatj beS DarminiSmuS oont Überleben 
beS ^Jaffenben eine auf oberflächlichen Stic! recht einteuchtenbe Xbeorie, welche 
oon nieten pofitio ©täubigen, mie non aüen SCRateriatiften als nahezu unum* 
ftöfltiche SBahrhcit angenommen mirb, nott ben erfteren natürlich unter Sor* 
auSfefcung beS ©chöpfungSacteS, non ben teueren atS Surrogat beSfetben. 

Sir behaupten fchtechthin, bafS biefer ©afc Oon ben SDtateriatiften 
am allermenigften anerfannt merben fotlte; benn er oerläfSt gerabe^u bie 
materiatiftifche SafiS, enthält aber beffenungeachtet auch für bie Sertreter 
ber buatiftifchen Seltauffaffung um fein Sota mehr Saprheit. 

3untat gerabe biefer @afc a(S ein ©runbfteiu beS materiatiftifchen Sbeen* 
gebäubeS gitt, fo ift er einer furjen Unterfuchung moht inert. 

Senn Darmin nom »Survive of the fit est« fpricht, fo fönnte er 
unter »fit« trofc ber einzigen Deutung beS engtifcheu Sprachgebrauches inimer= 
hin breierlei nerftehen, nämtich fit ioniet mie „bereits paffenb", 'ein Segriff 
ber im Sorte liegt, ober fit foniet toie „fich erft anpaffenb" ober enbtid) 
fit foniet roie „ametfmäflig". 

Serftehen mir unter bem Überteben beS Saffeuben bie Sortbauer beS 
bereits $affenben, meit ©tärferen, gegenüber bem Untergehen beS nicht 
Safflnben, meit an pppfifcher ffraft ititb WuSbauer ©chmächeren, fo behält 



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122 


91nton 2JtarquiS $aco!i. 


bcr ©aft einen fo flüchten Sinn, bafS mit ihn faft als Sljiotn betrauten, 
feine SBahrheit mithin feineSmegS bezweifeln unb ihn hö<hftenS als ©inleitung 
jur logifdfjen Segrünbung beS SlantpfeS umS $afein einer öeadjtung mürbigen 
fönnen. 2>iefer Sinn mar feineSmegS öon ®armin in feinen Saft fjinein* 
gelegt morben. 

®egreifen mir ferner unter fit baS fich erft unter oeränberten Umftänben 
Änpaffenbe, fo hoben mir ben ®egriff ber Slccomobation beS Organismus, 
welche aber, mie leicht eiitzufehen, erft ftattfinben fann, menu ber Organismus 
in allen feinen feilen unb Functionen au f fcj e früheren Untftänbe paffenb 
bereits ejiftiert. ©in ®ferb, meines in fehr faltem Silinta fein SBinterhaar 
anfeften mürbe, gienge zu ©runbe; nun fich fein £aar ber Temperatur an* 
pafSte, überlebt eS ein theoretifdj angenommenes, beffeit #aar fid} nicht 
oerbidjtet hätte. s 21ber auch Karmin weife, bafS in ber Sefttjeit alle Organismen 
im principe angepafst finb. Sprach er alfo oon einem Überleben, fo meinte 
er geologifdje Sorbiten, in benen fich biefer ®rocefS abgefpielt höbe. Gr meinte 
nicht bie Slccomobation, bie er nur als 21)ei( ber praftifchen ®etljätigung 
feines Saftes betrachtet, unb mit feinem Safte wollte er eben Diel mehr 
erflären, nämlich bie jeftt beftehenbe 3u>ecfmäfeigfeit ber Organismen unb 
mit ihr überhaupt ihre Gjriftenz. 

SBir fommen baper burch ben uon Tarmin felbft in feinen Saft hinein¬ 
gelegten Sinn anf bie oben angebeutete britte ®ebeutung beS 9IuSbrucfeS 
fit, nämlich gleich ^loecfntäfeig, ob^mar rein fprachliche Sebenfen bagegen ob* 
malten mögen. 

Tarmin meinte mithin, um überhaupt mit feiner £>ppothefe bie oben be* 
Zeichnete Frage nach bem Urfprung ber ztoecfmäfeigeit Organismen berühren zu 
fönnen, unter feinem Safte folgenbeS: „TaS bereitS3wecfmäfeige, refpectioe Slccomo* 
bationSfähigc überleben" ober: alles fei fo lange zugrunbe gegangen, bis etwas 
bermafeen SWobificierteS entftanb, bafS eS ben $(nforberungeit genügen unb ben 
ßmeef erfüllen fonnte. Tiefer s ßrocefS, ber [ich in ber Soweit oollzog, 
habe nun folgerichtig ben heutigen 3uftanb ber allgemeinen 3u>ecfmäfeigfeit 
Zum SRefultat. 

TaS 3ugrunbegehen beS nicht 3*uecfmäfeigeu fann nun entmeber als 
Zufällig ober als eine naturnothmenbige Folge feiner ©igenfehaft beS nicht 
3 wecfmäfeigen betrachtet werben. 

©in zufälliges 3ugrunbegeben ber nicht zmeefntäfeigen Organismen, 
welches gemiffermafeen ben zmeefntäfeigen unerwarteter SBeife ben $1 aft zum 
Fortbeftanbe freiliefe, märe eine ganz miHfitrliche unb ebenfo phantaftifche 
Mitnahme. SJtan fteHe fich nur oor, wie geringe ©haucen nach ber SSJahr- 
jcheinlichfeitSrechnung ber Tob fämmtlicher Organismen hot, bereit 3°h^ ba 


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$anotn unb baS Überleben beS s J$affenben. 123 

jte ja mieber ihre Kombination bent ßufatle oerbanfeit, faft gleich unenblicp 
*u fepen ift. 

Übrigens mar bieS üon $armin auch feineSmegS gemeint, ba er bocp 
feine Xpefe als ein entbecfteS Staturgefep, folglich als eine in ber Xpeorie 
auch b^ute noch geltenbe Siegel aufftettte. 

SBir muffen uns überhaupt in Erinnerung behalten, bafS ein Statur* 
gefep — unb baS fotl ber ©ap oom Überleben beS v ßaffenben fein — 
meber räumlich noch seitlich eine SluSnapme oerträgt, ebenfotoenig mie 
bie ©djmerfraft jemals ober irgenbmo ohne SBunber eine SlnSnapme auf' 
meifen fann. 

XaS Überleben beS 3toecfmäf$igen, refpectioe baS Untergehen beS 
nicht 3toecfmäfeigen mufS alfo, p a niept jufäHig fein fann, noch nach 
Xarmin jufäHig fein fott, ben ©runb in ber Statur beS 3totffmäfjigen ober 

nicht ätoecfmäfcigen folgen hoben. 

£>ier liegt bie unüberbriidbare ®luft, in melcpe baS ganje barminiftifepe 
©ebäube 511 ftürjen broht ober oielmehr bereits geftiirst ift. 

Xie Sßaprpeit beS fcholaftifchen ©apeS »actio in distans impossibile« 
taffen mir, maS ben räumlichen ©inn anbelangt, bapingefteflt (vielleicht toirb 
ber Schein, ber bagegen fpricht, burch fommenbe $ppfifer einmal grünblich 
befeitigt). SBer aber, ob Xualift, ©piritualift ober SJtateriatift, mirb ernftlid) 
behaupten motten, bafS bie SJtaterie im seitlichen Sinne auf Xiftans toirfen 
fönne ober ein nur in ber 3ufunft als blofte 3bee ejiftierenbeS ©tmaS auf 
bie SJtaterie surütf? 

XieS hot Xarmin nicht bebaept, als er baS Untergeben ber einen 
Kategorie oou Organismen auS ber ihr innemopnenben ©igenfepaft beS niept 
3 mechnä 6 igen erflärte. Xer 3 ^ed liegt boep in ber 3 ufunft unb fann nur 
manchmal oon einer Sntelligens im ooraitS geahnt merben. ©S fann alfo 
immer noch *>ie ©elegenpeit sum Serfucpe fommen, benfelben su erfüllen. 
S33ir fragen: mann ift ber 3eüpunft gefommen, in bein ber unsmetfrnäfeige 
Organismus fiep als folcper conftatiert unb untersugepen pat ? Unb fann 
niept ber groedmäfitgfte Organismus manchmal opne bie ©elegenpeit sur 
33etpätigung feiner 3toetfmäf$igfeit emittieren ? ©S müfste alfo jeber Organismus 
im SJtomente feines SßerbenS fofort feinen 3tved erfüllen, um emittieren 
SU fönnen. 

®S gibt barauf immerhin eine Slntmort; ber 3^ecf eines Organismus 
fann in ipm felbft liegen, in feiner eigenen Erhaltung, ©r liegt tpatfäcplicp 
auep öfters auSfcplie&licp barin. Xann lautet aber ber gunbamentalfap 
Xarmin'S, jeber ©eleprtenfloSfel enfleibet, fcplecptpin folgenbermafjen: „Stur 
baS lebt, emittiert, maS fo gestaltet ift, bafS eS leben, emittieren fann". tiefer 


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124 Litton ORarquiS $acoli. Darroin unt baS Überleben beS ^affenben. 

©afc taäre etibent, unb finnloS märe eS folglich, ihn aufzuftellen. gebenfallS 
barf bann auch Darmin nicht tont survive, tont Überleben fprechen; benn 
ein Organismus, ber bie gäfjigfeiten 511 m Seben im principe nicht befifct, 
beginnt nicht, ober menn man fö jagen barf, tcrfucht nicht einmal ju leben, 
braucht alfo gar nicht untergeben. 

3Bir glauben bamit nicht nur für unS bie £>altlofigfeit beS barminiftifchen 
Saftet bargetban ju haben, mir haben auch Qezeigt, bafS nach biefem ©afce 
ber SJtaterie ßigenfehaften beigelegt merben, melcbe nicht einmal bie menfeh- 
liehe Seele befifct unb melche gerabe ton ben äftateriatiften unter feiner 
Sebingung anerfannt merben. 

Als fdjeinbarer SftachmeiS ber SRichtigfeit ber Dh*fc 00 m Überleben 
beS $affenben fchien uns felbft einmal baS Phänomen, meines mit beut 
tarnen 3Jtimifri bezeichnet mirb. 

SRiemanb leugnet baS 33eftehen ber Neigung ber 9iatur, Dh* crc * n bie 
garben ihrer Umgebung $u fleiben. Sft jeboch biefe ßrfcheinung ein Ifytii 
ber thatfächlichen golgerungen beS bejprochenen ©afceS unb angeblichen 
•DtaturgefefceS, fo rnufS fie felbft ein SRaturgefefc fein unb tertrüge, mic 
oben angebeutet, feine einzige Ausnahme. Dem ift befanntlich nicht fo; 
eS gäbe feine bunten fi'äfer im ©raje, feine rothgefieberten Papageien in 
ben faftiggrünen ©aumfronen. 

DafS ber @<huf} ber betreffenben %\) iere, mie Darmin behauptet, ber 
3 mecf biefer ßrfcheinung fei, ift bereits ton Autoritäten miberlegt morben, 
inSbefonbere unter &inmeis auf bie feines Schußes bebürftigen Pflanzen, 
ja SRineralien, beren garben oft in auffatlenber SBeife berjenigen ihrer 
Umgebung nadhgeftimmt finb. 

SBenn mir eben biefeS Phänomen tereinigen mit beseitigen Analogien 
in ber Statur, aus beneit bie SJtaterialiften ihre AbftammungStheorie folgern, 
fo ermöglicht uns baS eine ebenfo plaufible als eble Auffaffnng. ßaffen mir 
Darmin im befchränften 9Raf$e feine ßntmicflung ber Arten (mie fie auch 
tor ihm nicht bezmeifelt mürbe), im großen unb ganzen aber gemöhnen mir 
uns, in ben Harmonien unb Analogien ber s Jtatur jenen einheitlichen ©til 
ZU fehen, ben mir gerne ben Sauftil ©otteS nennen mürben, ben fo ein¬ 
heitlichen ©ebaufen, ber fich bei ber ©chmäche unferer Auffaffung in taufenbe 
ton ßrfenntnismegen terzmeigt. SBirflichfeit liegt in biefem ©ebanfen 
baS ibeale ßnbe aller SBiffenfchaft. Diefer ift eine logifche ©leichung unb 
nicht eine chemifche gormel, ober tolfsthümlicher auSgcbriicft, ber eminent 
logifche SBitle ©otteS, ber außerhalb ber SCRaterie ftcht. 


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Die heilige Poesie der ßebräer. 

»du pvof. ®r. P. Bttrarl» S«fj I ß g l. 

II*) 

05 . (64.) DanTIicb ffir ©otte« ÜBobltbaten* 

1. Strophe. 

2. $>ir jiemt Sobgefang, gabwe, in Sion, 

Unb $)ir bejabl' man ©elübbe, 3. 2)u ©ebetSerbörer! 

3u ^ir fommt alles 4. $>ec Sünben wegen. 

©ro& ftnb wohl unfre Vergehn, allein $)u fübnft fie. 

1. <ö*£*nPr0pfj*. 

5. §eil un$, bie 2)u erwählt, ju wohnen bei £)ir, 

UnS ju jätt’gen mit deines £>aufe3 Segensgütern! 

6. SJtit höhten Xbaten btä fceilS erhörft $u unS, 

3)u £>ort aller Erbenbewohner, auch her fevnften Infein. 

Ä>i>tf|J>lflr0pfie. 

7. $)er fräftig bie $erge hält, mit Stacht gegürtet; 

8. $er beS ©leeres Traufen befänftigt, wie baS Xofen ber SBölfer. 

9. ©3 jittern ber Erbe Bewohner, oov deinen 3 e Kh*n. 

$>ie Reiche beS DJtorgenS unb AbenbS macheft £>u jubeln. 

2. Stropfje. 

10. fteimgefucht b a ft $>u baS Sanb unb eS reichlich gefegnet, 

ÜJlit bem ©otteSbacb, üoü beS SßafferS, fein Eorn bereitet. 

$>enn alfo bereiteft 2)u es: 11 feine gureben bemäffernb, 

Seine Schollen feidenb burch SJtegen, machft 2)u eS erweichen. 

2. (&*genflr0plj£. 

2)ufegneftfein©ad)Sthuml2unbtröneft baS g«br mit ©üte. 

$>ein ©eleife, triefenb oon gett, 13. machte triefen bie Steppe. 

5)af3 laut frohloden bie £>ügel 14. im grünen ©ewanbe 
Unb bie $bäler im ©olbe ber Saaten froh jauebjen unb fingen. 

®falm 9ö, 97, 98, 93, 100, 99**), ein große« Gborlieb: ^reiSIieb 3abwe«, be« ©ottfönig«.***) 

1. Stroplje. (I).f) 

96, 1. SingtgabwenneueSieber, | fingt gabwen alle Sanbe, | 2. fingt 

gab wen, preift feinen tarnen! 

SBertünbet fein §eil alle $age, | 3. erjählt jebem SBolf feinen IHuhm, | ben 
_ Reiben all* feine 2öunber! 

*) ©ergleitbe ben Sluffafc in biefer Seitfcbrift, II. 3abrg., S. 442—454. — Die Silbe, beren ®ocal 
in Sateinifd) gefegt ift, trägt ben Don. — 3n i. ift $u 45,5 ( Die ftultur", II. S. 44«) $u ergänzen: 
SBobtan, faljrre ßlQcflid), | fifjafp ©abrbeit unb ÜRecbt; il bann jeigt Dir, o .fttrlb, i Deine {Rechte SBunbcr. 

••) Vulgata: 95—97. 92. 99. 98. 

***) Daf« biefe Sieber ®rucf»ftücfe größerer ©efänge finb, j*eigt fefjou ber ®?angel an ftberfebriften 
9hir $falm 98 b«t bie Slufidjrift „ein ®ialm“ unb 'Sfalm 100: „ein Danfpjalm". Der Stil ift iejajauifd). 
Da« dborlieb warb cipcn« für ben ©otteSbienft gebicfjtet. 

t) Die lateintfdjen Hummern bezeichnen bie SBecbieldjöre. SRöglidjerweife haben nur jwei Qbdre ba« 
Sieb abwedjfelnb gelungen. 


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126 


SHioarb ©cfttögl. 

4. 3)enn grofj ift 3|abroe unb preislich, gar furchtbar über bie ©öfter; 

5. $>enn ber Reiben ©öfter finb ©öfcen, $ocb 3>ab*) bat ben fcimmel geraffen. 

6. Roheit unb ©Ianj ftnb fein §eroIb, ÜJlacbt unb Fracht feine SBo^nung. 

1. (Srgrnftrupftr. (II). 

7. ©ringt 3 a bnren, itjr- ©ölfergefchlecftter, | bringt 3[aftn)en SHuhm unb 

©reis, | 8. bringt Rahmen bie Ehr’ feines 9UmenS! 
©etretet mit ©aben ben ©orbof, | 9. betet an im heiligen ©cbntucfe, | betet uor 

3>ab, ade Sanbe. 

10. Sagt ben Reiben: „ftabme ift $önig, er bat gefeftigt ben ErbfreiS". 

11. ©3 freue fub fcimmel unb Erbe, eS braufe beS ©leeres fjüüe 

12. ©S jaudjje beS QrelbeS ©etbier, eS juble beS 2Balbe3 SMdicbt: 

Srftrtrrrfe. (I. II.) 

13. ©or 3abroe, benn er fomrnt, ja er fomrnt, §u rieten bie 

Erbe, 

3u richten nach IHecbt ben nach ©illigfeit alle bie ©ölter. 
ErbfreiS, 

l. »rtftrelffrupfte. (I -VI.) 

97, 1. I. $ab ift Äonig! ©§ freu’ fid} eS juble ber Infein ÜJlenge. 

bie Erbe, 

2. II. 3)unfle3 ©eraölf ift um ibn b« r auf [Hecht ift geftüfcet fein £b ron * 

3. III. geuer gebt uor ibm her unb umzingelt feine ©dritte. 

4. IV. ©eine©lifceerbeden ben ErbfreiS, bie Erbe fie^t eS unb bebt 

5. V. $ie©ergejerfcbmeftenroie2öacbS, t>or bent fterrn ber ganzen Erbe. 

6. VI. £)te!pimmelt>erfünben fein [Hecht* ade ©ölfer feb’n feinen SHubm. 

tbun, 

7. I. ©efcbämt ftnb bie ©ilberanbeter, $)ie ftcb ber ©öfcen rühmen. 

II. ©3 ^albigett ihm alle ©ötter, 8. ©ion hört eS unb freut ftcb. 

III. Unb ^ubaS Töchter froblocfen ob deiner ©ericbte, 3 ah me. 

10. IV. 3öerbaS©öfebafSt,benliebt3abroe, feiner frommen ©eelen beroahrt er. 

11. V. ©in Sicht geht auf bem Gerechten, unb fjreube ben ftersgeraben. 

12. VI. 3rreut euch, Gerechte, in 3 a bme, unb feiert fein heilig ©eb&btniS! 

2. Strupfte. (III.) 

98, 1. ©ingt 3ahmen neue Sieber, benn ©hmber bat er getban. 

Iftm half nur feine [Hechte, feinen heiligen Arm 2 tbat er funb. 

©ejeigt bat 3 a bme fein $eil, feine ©erechtigfeit uor ben ©öltem. 

3. ©einer £>ulb für 3 a ^b gebacht’ er, feiner $reue, gen IfraelS £>au3. 

©3 fab’n ade Enben ber Erbe baS JQeilSroerf unfereS ©otteS. 

2. (Srgrnftropftr. (IV.) 

4. Qauchjt 3 a broen a n e & r echt au g j n un fc fielet, 

Sanbe, 

5. ©pielet 3 a bmen jur Sittyx, &ur 3itber, mit lautem ©efange; 

*) 3of) = 


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£)ie ^eilige ©oefte ber hebräer. 


127 


6. ÜJtit trompeten unb hörnerfcbaü jaucht laut oor 3^bme, bem Siönig! 

7. 6$ braufeoeSÜfteereSfJülle, ber ErbfreiS unb feine ©eroobner. 

8. Älatfcbet ©eifall, ihr Ströme, jubelt, ihr ©erge, jumal: 

meJjrtrerJe. (HI. IV.) 

9. ©or^a&me, benn er fommt, jaerfommtjuricbtenbieErbe, 
3 u richten nach 81 echt ben nacb©illigfeitallebie©öl!er. 
Erbfrei4, 

2. »echr*lffr0plie. (III.—VI.) 

93, 1. III. 3 ab ift ßönigl 3n fcoljeit gef leibet, | gegürtet mit ©lacht ift $ab roe - | 

2. ©on Eroigfeit bift 2)u, 3a^roe. 

3. IV. ©lögen ©tröme ergeben, ^a&me, | mögen Ström’ ihre Stimme 

ergeben, | mögen Ströme ergeben ihr ©raufen: 

4. V. hehrer als braufenb ©ero&ffer, | b e b rer al4 ©leereSbranbung, | ja 

b e b r e r ift 3 a & in ber §ölje! 

5. VI. dtar uerläfSUcb ftnb $)eine 3 eu Ö cn , I ^eiligfeit jiemt deinem feaufe, | 

3 ab me, für alle 3 ei tat! 

100, 1. III. 3aucbjt 3 a ^roen ju, alle Öanbe, | 2. dienet Sfabmen mit 

greuben, | fommt oor fein Antlife mit 3[ubel! 

3. IV. Söiffet, baf$ 3> a §roe @ott ift; | $)a er un$ gemacht, fmb mir fein, | 

fein ©oll, feiner 3öeibe Scbäflein. 

4. V. ©ebt ein burcb fein $b°* mit $anf, | mit fiob in feinen ©orbof, | banfet 

ihm, preift feinen tarnen! 

5. VI. banfet 3fabr benn er ift gut, | benn feine £mlb roäbret eroig, | für unb 

für feine XreuM 

3. Sfvüpfiz. (V.) 

99, 1. $ab ift ftönig, jittert ihr ©ölfer, oor bem Äerubtbroner, ihr fianbe! 

2. 3 a broe ift grofc in Sion, über alle ©ölfer ergaben. 

3. ©reis deinem großen tarnen, $)enn b e b r unb ^eiltg ift er! 

4. (Sin rechtlicher Äönig bift 2)u, $u baft heil gefebaffen in $afob. 

BefjriierÄ. (V. VI.) 

5. (Sr bebet $ ab, unfren ©ott, | fallet nieberoorfeinemScbemel, | 

benn b ei lifl ift 3 a b* unfer ©o11! 

3. (SsgenfltaopljB. (VI.) 

6. ©lofe$ unb Aaron, bie ©riefter, unb Samuel riefen ihn an 

Sie riefen ju 3fab> unb er b ö *te, 7. au$ ber 2Bolfe, fpradb er au ihnen. 
$)a fie Steine Safcungen beiten, 8. $abroe, erbörteft S)u fie. 
(Sinüergebenber©ottroarftS>uibnen, ber all ihre Sünben oerjieb- 
Harter*. (V. VI.) 

9. (Srbebet 3ab, unf’ren ©ott, | fallet nieber oor f einem Schemel, 

S)enn heilig ift 3 a b, unfer ©o11! 

9lnna8 Sieb (1. Sam. 2, l—10 c) 

1. $tt0pll^ 

1 . ©4 jaulet mein h e *5 in 3» ab me, mein © o 11 bat mein horn*) erhöbt. 

3$ trofce nun meinen fjeinben, beiner h^fe mich freuenb; 

2 . 3Bo ift ein heü’QW rote 3ab me? roo ein geia, fo roie unfer ©ott? 

*) $orn = Änfeben. 


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128 


ßltoarb Schlögl. 


1 . ®p 0 onflr 0 pl|p. 

3. ßtebet nid)t immerfort grofj! (Suer SJtunb fpredje nic^t SBertneff’ne«! 

£)enn ein roiffenber ©ott ift $alpue r ein ©ott, ber bte Xh a *en prüft. 

4. 3 cclua I^l finb bie ftarfen Scbii&en, mit ftraft gegürtet bie Schmalen. 

5. £)ie Satten bienen um 33rot, bie §mngemben finb nun frei. 

$ie unfruchtbar mar, h^ geboren, oerroelft ift bte Einberreiche. 

6. 3 a fMoe macht tobt* unb lebenbig, ben Scheol öffnet unb fchliefet er. 

7. 3 a h n? e macht amt unb macht reich, Sturj unb Erhöhung mir!t er. 

2 . Straps* 

8. 9Iu« bem Staube erhebt er ben au« bem Äothe jieht er ben Armen, 

iürffgen, 

Sie ben dürften gleichjufteßen, auf Ehrenftühle fte fefeenb. 

$ e r E r b e Angeln ftnb 3 a h m e «, $enn er hat ben Erbfreia gefertigt. 


2. ©egeitptüpfie. 

9. (Sr behütet ber Rommen güfee, in #infterni« faßen bie krepier 
9ticht au« eigener färaftfiegetjemanb, 10. nur 3 ah me bedinget ben geinb. 
S)er Jpöchfte im Fimmel $er* 3 ah me richtet bie Erbe, 
malmt ihn, 


#abafuf 8, 2-19. 


2. 3 a h, ich oernahm beine $unbe, mit (Sntfefcen fah ich bein 2Berf. 

33or Ablauf ber 3 a bre ooflführ’ e«, | o.or Ablauf ber 3 a f)re jeig’ 

e«, | im 3°rne geben!’ ber (Srbarmuitg! 

3. ©ott mirb fommen oon $h e ntan, ber §eü’ge oont 33erge 'Jaran. 

$)en Fimmel bebeeft feine Roheit, feiner iperrlichfeit ooß ift bie Erbe. 

4. Unb fein ©lanj erfcheint tote ba« Sicht | Strahlen gehn oon ihm au«, | barunter 

birgt feine ßRacht ftd). 

5. 93or ihm geht h e r bk $eft, unb bie Seuche folgt feinen Schritten. 

6. (Sr fteht auf unb macht beben er fdjaut unb macht jittern bie 33öl!er. 

bie Erbe, 

(S« jerftieben bie eroigen 33erge, | e« oerfin!en bie &ügel ber Urjeit, | nur 

feine 2öege finb eroig. 

7. 3 a 9!°th finb bie Jütten oon ftofehan, e« gittern bie 3 e lte oon üJtibjan. 

8. ©ilt roohl ben 33 er gen, 3 a ^e, | ober ben Strömen bein 3°rn | ober ben 

ßtteeren bein ©rimm, 

2)af§ bu herjagft auf beinen hoffen, auf beinen 3Bagen be« eileS? 

9. ©eroaltig fchmingft bu ben 33ogen, | mit Pfeilen gefüflt ift bein Köcher; | 

bu fpalteft bie Ströme ju Xrocfnetn. 

10. (S« feh’n bich mit3ittern bie 33erge, e« roeichet be« $öaffer« Strom. 

$)er Abgrunb fchreit laut auf, bie Jpöhe ringet bie §änbe. 

11. £)ie Sonne tritt in ihr 3 e lt, I Sicht geh’n bab er beine Pfeile, | al«©lan$ 

bein bli&enber Speer. 

12. 3m 3orne burchjiehft bu bie Erbe, im ©rimme jertrittft bu bie 93 öl! er: 


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129 


$)ie ^eilige ©oefte ber Hebräer. 

13. 3)u jiehft aus jurn e i I beineS $u retten beinen ©efalbten. 

53o(!eS, 

beS QfreolerS £>aupt jerfchellft bu, fein §auS oom ©runb auS entrourjelnb 

14. ©eine Sfürften ftrafft bu geroaltig, | bie tobenb ben ÜRunb auffperren, | ju per* 

fdringen ben Armen im ©chlupflod). 

15. J)u lenfft burch baS OReer beine bafS fchäumen bie SSaffermaffen. 

»offe, 

16. 3$ oernahm’S — hoch nur ich hört’ eS — mit beben ben Sippen. 

podjenben $er$enS, 

gfäutniS burchbrang mein ©ebein, unb bie ftraft oerliejä meine güfee. 

3)ocb am Jage ber SRoth roerb' ich roenn er anbricht bem ©olf, baS un$ brängt. 

ftill fein, 

17. J)amt roirb bie 3feige nicht blüh’n, unb ber 2Beinftod bringt feine Früchte. 

J)eS ÖlbaumS 3rrud^t bleibet au$, auch bie gelber bieten nicht Nahrung. 

5luS ben Körben ftnb fort bie ©chafe, ber fRinber ©tfiUe finb leer. 

18. J)och ich merbe jubeln in 3 a hn>e, frohlocfeit im ©ott meines §eile$. 

19. 3ft boch 3 a &n)e, ber §err, meine ftraft; | er machet mich flinfer benn §inben, | 

läfSt feine §öb'n mich erfteigen. 

$aoU>3 «läge um Saul unb Sonattjan (2. Sam. l, 18—27). 

1. Strapfje* 

18. Vernimm, 3«ba, graufame tfunbe, 19. Ifrael, h^rm’ bich f ja hÄrm* bich! 
3)etne Jpöhen fahen (5rfchlag'ne, ach, n)ie finb bie gelben ge* 

fallen! 

1. ®*0*tt£rapfi*. 

20. Nichts fagt in ben ©trafjen non ©ath, nichtS melbet in ASfalon! 

© o n ft freu’n fich bie ©biüftobirnen, f o n ft jubelt ber Unreinen ©rut. 
WzxtiUlftvapfit. 

21. Verhörte, ©ilboa, | nicht falle Jhau II noch Stegen auf Euch, I ihr Jrug* 

gefilbe! || J)enn bort marb betrogen | ber ©djilb ber gelben. 

2Bar ber©chilb beS ©aul| nicht gefalbt, roie mit Öle, || 22 oom ©lute 
©rfchlagner, | oom ORarfe ber gelben?! 

23. Jonathan, ©aul — | bie ©eliebten unb Kolben, , im Sehen unb Job 

nicht getrennt, || roaren fchneHer als Abler, | ftärfer benn Söroen. 

22b. Jonathans ©ogen | mich niemals ^urüdt, || unb baS ©dauert beS ©aul | 

fehrte leer niemals heim. 

2. Stv tfplje. 

24. IfraelS Jöchter, | meinet um ©aul, || ber gefleibet ©uch hat I in ©charkuh 

unb ©inbon, || ber ©olbfchmud geheftet | auf Eure ©eroftnber. 

25. 2Bie fielen bie Selben! | J)ahin i ft ber ©u&! ||3<>natbanS Job | hat 

mein &erj auch getroffen! 

2» (©egsnpraptj*. 

26. ORein Serj h^ng an J)ir, | ©vuber 3°nathan! II 2Bie roarft J)u mir 
lieb, ©efaüener, J)u! || J)eine Siebe mar füfcer | benn grauen liebe! 

27. 3Bie bie SWutter ben ©ohn, | liebt' ich ^ich, 3°nathan! 3Bie fielen bie 

gelben! | J)ahin ift bie fRüftung! 

Sie Äuttut. m. 3a^rg. 2. ^ft (1901.) 9 


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130 SRioarb ©chlögl. 

Det 87. (86.) $falm: $er Ötottlofen fdjeinbareö @lütf.*) 

1. Sfr vpfi*. 

1. ©ifre nicht mit ben 93öferoichten, fteh nicht fdjeel auf Übeltäter! 

2. Denn ftc oerroelfen roie ©rag, unb tute Äraut oertrodnen fie. 

3. Vertrau’ auf 3 a () unb thu’ ©uteg, beroohne bag Sanb unb üb 7 Xreue 

4. Unb ergöfce an 3 a hme Dich, fo roirb er Deine Söünfche erfüllen 

5. Überlafg nur ^afjroe Dein © ch i d f a l, oertraue auf ihn, er roirb’g machen, 

6. Dem £>eil roirb erftrahlen roie Sicht, unb Dein 9te<ht roie ber belle ÜXlittag. 

7. Xrau nur ruhig bem §erm, er ift gut, unb h a n:e auf ihn, benn er ^ilft Dir. 

©ifre nicht mit bem OJtanne beg mit bem ÜRanne, ber IRänfe fchmiebet. 

©lüdeg, 

l. törgrnjfrflpfir. 

8. Safg ab uom grimmigen 3°nt, eifre nicht, benn eg ift nur jum 

93öfen; 

9. Denn bic 93öferoi<hter oergeh’n, roer auf 3 a hme hofft, ber erbt bag 

Sanb. 

10. 9h 1 ift ber ©ottlofe nicht mehr; fuchft Du, nicht finbeft Du ihn. 

11. Die Dulbfamen erben bag Sanb unb ergöfcen atn ^rieben fich- 

12. Der ©ottlofe ^afet ben ©erechten, unb fnirf cht roiber ihn mit ben 3üh n en:— 

13. Doch ber Jperr, er fpottet fein benn er fieht, bafg fein $ag roirb tommen 

14. Die © o 111 o f e n jücfen bag © ch ro e r t Unb fpannen bereite ihren 93 o g e n: — 

16. Doch 6 ch ro e r t bringt ing eigene unb ihr 93 o g e n — zertrümmert ift er. 

§er$, 

Älrrfjfeljfrtfplir. 

16. Deg ©erechten Armut ift mehr roert alg ber©ottlofengroßer9teichth«m; 

17. Denn ber ©ottlofen SRacht roirb bie ©erechten jebodh ftü&et 3 a hme. 

gebrochen, 

18. (Sr fennet ber geblichen Dage, ihr Erbe befielet für immer. 

19. 3 n ber 97oth roerben nicht fie zur Ipungergjeitroerben fie fatt. 

jufchanben, 

20 a. Doch bie © o 111 o f e n gehen jugrunbe, 25 c. ihr ©ante mufg betteln um 93rot. 
20 b. 3ahroeg fteinbe ftnb 93ränbe, bie allzumal aufgehn in fRauch- 

21. Der ©ottlofe borgt unb bezahlt nicht, ber ©eiechte übt SJtilbe unb fchenft. 

22. 2Ser gefegnet oon 3ah, erbt bag roem er flucht, ber roirb auggerottet. 

San b, 

23. 3 a hme geleitet ben 9Rann, beffen SBanbel ihm roohlgefftflt. 

24. 2öenn er fällt, roirb er nicht zerfcheHt, benn 3 a hme ftü&t feine Jpanb. 

* 25 3d) roar jung unb bin alt geroorben: ben ©erechten fah nie id) uerlaffen. 

26. Allzeit leiht er mit ÜJtilbe, unb fein ©ante gereichet zum 

©egen 

27. 9Reibe bag 93öfe, thu' ©uteg, fo roirft ruhig Du roohnenauf 

ero ig. 

*) ®on $5at>ib. 


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Xie ^eilige $oefie ber £)ebräer. 


131 


28. Xenn J3abioe liebet baS SRecht unb oerläfSt feine Stammen nicht. 

Xie 3$erfehrten roerben oertilgt unb ber ©ottlofen ©ame oernichtet; 

29. Xie ©erechten erben ba$ Sanb unb beroohnen eS ruhig für 

imm er. 

2 . Sttvpfi*. 

30. XeS © e r e ch t e n 9Runb rebet 2BeiSheit, unb feine 3 un ö e fpndjt SRecht. 

31. ©eines ©otteS ©efefc roohnt ihm inne, nicht roanfet jemals fein ©chritt. 

32. Xer ©ottlofe h a f3t ben ©ererbten unb lauert, um ihn ju tobten: — 

33. Xoch Qahroe oerläfSt ihn nicht, nicht läfSt er oerurtheilen ihn. 

34. 9Rtt 93ertrau 7 n roanble 3ah meS 5öege, fo IäfSt er baS öanb Xi<h erben. 

SBahrlich, Xu felbft roirft eS feh’n, an ber © o 111 o f e n Enbe Xich ioeibenb! 

2« (Segonpropfjo. 

35. Xen ©ottlofen fah ich erhöht, hoch ragen roie SibanonS ©ebern: — 

36. Xa fam ich, unb fieb 7 , er mar nicht mehr, ich fachte unb fanb ihn nicht. 

37. 2Bahre SReblichfeit, übe ©erabheit, ben grieblichen roinfet bie 3 u ^unft; 

38. Xod> bie ©ünber merben oertilgt, ber ©ottlofen 3 u fanfl ift troftloS. 

39. Xen ©erechten fommt$>ilfeoon 3 ah me, ber ihr ©d)ufe ift jur 3eit ber 97oth. 

40. 5fa, 3 a ^me hilft ihnen unb fchüfct fte, er rettet fie, meil fte oertraut. 


®er 40. (39 ) $falm: Hu? @o tt oertrau’ !♦) 

1 . &tvopfis. 

2. Sfeft oertraut 7 ich auf 3 a hme, unb er langte nach mir 

3. Unb jog mich empor auS bem Abgrunb, auS fchlammigem ©umpfe, 

Unb fteUte auf Reifen mich, bafS ich ficher nun f(hritt, 

4. Unb lehrt 7 mich ein neues Sieb, ein Soblieb auf ihn. 

SSiele fahn 7 S unb fürchteten ©ott uitö oertrauten auf ^ahroe. 

1. ©opottprflplje. 

5. ©lüdlid) ber ÜRann, ber Vertrauen auf 3 a h m e gefegt hat, 

Xer nicht ben Särmenben folgt, noch ben Sügenbienern. 

6. 3 ft hlreich, 3>ah, unfer ©ott, fmb Xeine s ÜBunber 

Unb Xeine fßläne für unS: — nichts ift Xir gleich. 

Söertünben möcht’ ich f ie laut, hoch unzählbar finb fie. 

!®>orflJ*Ipr0plio. 

7. Glicht oerlangft Xu Opfer unb Xu grubeft mir Ohren. 

©aben, 

sticht begehrft Xu fühnenbe Opfer, 8. ba fprach ich: ffa* bin ich! 

3* h a &e im 5)uche gelefen, rcaS mir barin gilt. 

9. Xeinen SBillen $u thun oerlang 7 ich. $ein ©efefc mohnt mir inne. 

2 . £fr 0 pfi*. 

10. 3ah, oerfünbet h a &' ich Xein $eil in grofeer 93erf ammlung. 

©iehe, nicht oerfchliefe 7 ich ben 9Jfanb, Xu roei&t eS roohl. 


*) (£in Sieb bon 35auib. 


rj* 


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132 


fRioarb ©chlögl. 


11. 2)cin SRecht oerbarg id) nicht in meinem §ergen. 

S)eine Xreue unb bein $>eil oerlün bete ich- 

Glicht fchroieg ich oon ©nabe unb oor grofjer ^erfammlung. 
SBahrheit 

2. ®*0onjfr0pfio. 

12. ©o oerfchliefce auch 2)u nicht, 3 a h ro e, X>eiit ©rbarmen oor mir; 

2)eine ©nabe unb Söabrbeit mögen mich ftetS behüten! 

13. 2>enn eS umringen mich ßeiben fonber 3 a hf; 

9Reine ©chulben trafen mich b art » baf$ nicht mehr ertrage, 

Übertreffen an 3 a hf meine £>aare; muthloS bin ich. 

»er 49. (48.) $falm: »as r&t^fel^afte ©lüd ber ©ottlofeit. 

1. 9fropfjo. 

2. §ört e$, ihr Hölter alle, oemehmt es ihr Erbenberoohner, 

3. 2Rögt hoch ober niebrig ihr fein, Reiche unb Arme gumal. 

4. ÜRein ÜRunb roill 2öei§^cit lehren, Einficbt mein finnenbeS §erg, 

5. ©inern ©prudje roill leihn ich mein Ohr, auf ber 3itb** löfen mein fHftthfel. 

1. ®o0ottjfrnpfjo. 

6. 3öarum mufS ich Ungliid erleben, roäbrenb ©lücf ben SBertehrten gutheil 

roirb, 

7. X)ie auf eigene SRacht nur oertraun unb auf ihre fReichthümer pochen? 

8. Unb hoch lauft (einer fuh loS, noch roirb ©ott fein ßöfegelb gahlen. 

9. 3<*» 5 U ift be* $rei$ feiner ©eele, oergichten mufS er 10. aufs Seben. 

Hterfiroljfroplir. 

11. ©ieht er hoch SBeife fterben unb Xhoren unb Darren oergehn. 

3b* Vermögen laffen fie anbern, 12. ba$ ©rab ift ihr §au$ auf eroig, 

3h** SBohnung burch alle ©efchlechter, fie, bie 8änb ? reien benannten: 

13. £)ocb ber ÜRenfch in Ehren oerfteht’S bem bummen S3ieh roirb er gleich. 

nicht, 

2 . Sfrapljr. 

14. ©o geht’3 ben 3 u * )e *f i cht , gen, fo enben, bie ihnen folgen: 

15. ©chafen gleich 9 e h n fl* jum ©cheol, auf bafS ber Xob fie bort roeibe; 

©eraberoegS gehn fie in$ ©rab, baS fie einfchüef&t, ben ©cheol gu 

füllen. 

16. 3>ocb mich roirb 3 a §me erlöfen, roenn ber ©cheol mich roiH erfaffen. 

2 . ®o0ottürapfto. 

17. fürchte nichts, roenn einer reich ift, roenn grob feines ftaufeS IRubin; 

18. £)enn ftirbt er, fo nimmt er nichts mit, noch folgt ihm fein IRuhm inS ©rab. 

19. ÜRag er im fieben fich fegnen, fuh preifen, roeil eS ihm gutgeht; — 

20. ©r (ommt boch gu feiner ©ippe, 3)ie eroig baS 2icht nicht fchauet. 

»et 51. (50.) $falm. 

1 . Stvapfi*. 

3. ©ei gnäbig mir, 3 a hme, in £>ulb, hüb’ ©rbarmen, tilg’ meine ©chulb. 

4. ©afdje mein Jperg oom ©chmufce, reinige mich oon ber ©ünbe. 

5. 2)ennichgefteh’meine©chulb, meine©ünbe hüb’ ft etS ich oor 

Augen. 


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$ie heilige ^oefie ber Hebräer. 


133 


1 . ® 0 g*npr 0 pfi 0 . 

6. 2ln$)irniir,3afy,l)&b’i$gefünbigt unb gethan, nmS böfe uor 5)ir, 

3)afS geregt ftch erroeife $>ein 2Bort unb fiegreich erfcheine 5)ein [Recht. 

7. ©ich, in ©chulben bin ich in Siinbe empfiengmich bie 

geboren,' 5Rutter. 

^rflJelptarpfj*. 

8. Siehe,§ulbunb£reueliebft$>u, 5)’rum thufi 3)u mir funb 2)eine 

Söeisheit. 

9. ©ntfünbigft $)u mich, roerb’ ich rein, unb roeifjer benn Schnee, läuterft2)u mich. 

10 . Sättige mich mit SBonne, lafS freuen mich nach meinem ßeiben. 

11 . Siehe nicht an meine Stinbe, ja, all 7 meine SchuIben tilge. 

12. (Sin reine§ $erj fchaffe mir, $ah, unb ben Starfmuth erneu’re in mir. 

13. Stojje mich wicht oon 5>ir, unb ben heißen ©eift nimm mir nicht. 

14. ©ib mir roieber bie 2Ö o n n e beS §eilS, unb mit ©rofemuth rüfie mich auS. 

15. $ann lehr’ ich bie ^reuler unb führe bie Sunber $ir ju. 

5De in [Rech l 

2 . $lr0pfj£. 

16. 3»ah, mehre bem ^ölutuergiefjen, bann preif’ ich $)ich als gerecht. 

17. $)u öffneft, o §err, meine Sippen, mein ORunb uerfünbet $ein 8ob. 

18. SBenn $)u roollteft, brächt’ ich bo©ranbopfer roönfcheft $)u 

^ir Opfer, nicht. 

2. ®0grnpr0pl|r. 

19. 3erfnirfchung ift $ah meS Op f er, ein bemüthig §er$ achteft 2)u. 

20 . Schmudte hoch Sion gnäbig unb baue ^erufalemS SJtauern: 

21 . a n n empf än g ft 2) u gerechte, bann mir ft 2)u SBranb opfer 

Opfer roünfchen. 


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Wiener Kunstleben Qänner bis 3uli 1901). 

fcmt Beutoirlfi* 

a8 öfterr eichifche Mufeum für &unft unb Qnbuftrie trat in ba* 
neue Qahrhunbert mit einer Aufteilung ber $Berte 9Balth«t ©rane'S, beS 
in manchen $unftfragen rafch a« einer geroiffen Führung entporgeftiegenen ©nglänberS, 
beffen Bebeutung unftreitig einige 3eit hinburch überfchäßt würbe. $>ieS würbe 
einem fo recht an bem Oteichthume beS AuSfteUungSmaterialeS Har, ba3 eine fehr 
ftarfe fRebuction ©ertragen hätte. ©ine fachgemäße Auswahl unb eine ben ©enufS 
weniger beeinträchtigenbe Aufteilung hätte baS ©tnbringen in baS Böefen beS- 
Zünftlers beträchtlich erleidhtert, ohne jebem baS Mitnehmen umfangreichen BallafteS 
beS Mittelmäßigen jujuntuthen. AllerbingS lernte man babei auch bie Schwäche , 
©rane'S ©erftehen, ber als Maler — man mag bie phrafenootle „Bifion BritanniaS", 
bie um Botticelli herumtänaelnbe „©eburt ber BenuS", ben in SRoffen wie Menfchejt 
gleich mifSglüdten „SRaub ber 'Jkoferpina“ ober bie „BSelteroberer“ betrachten — 
burchauS nicht bebeutenb ift; 3^d)uung unb fjarbe ber größeren Bilber zeigen 
burchwegS beträchtliche Schwächen. Bon biefen SJBerfen fann man uoüftänbig abfehen r 
wenn man in’S Auge fafSt, woran ber gute Solang beS Samens SBalther ©rane’£ 
anfnüpft. ©r hut gana ©oraüglicbe Bucharbeiten geichaffen, Märchen* unb ftinber* 
bücher ebenfo reiaenb, wie brollig iduftriert; fein „Afdjenbröbel", „©eftiefelter 
Äater", „IRothfäppchen", „A Floral Fantasy“ ober „The absurd ABC“ fchwelgen 
in grajiöfen, prächtigen ©infällen, bie für beutfcheS ©tjtpfinben manchmal juoiel 
©infchlag ber Umgangsformen ber engltfchen ©efellfchaft geigen, inbeS unfere Märchen* 
oorftellungen mit ihrem ©olfSmäßigcn ©runbtone berber unb einfacher ftnb. ©benfo- 
©iel AnregeitbeS ftedt in ©rane’S ©ntwürfen für Mofait, ©laSfenfter, Stoffe, objrnar 
hier fchon wieberholt bie Schwädje ber garbengebung unleugbar ift. Mancher BBinf 
beS MeifterS ift feit fahren auch Anbern augute gefontmen, in Söien felbft ©iefleicht 
theilweife weniger als anberSwo, weil bi^ bie Selbftänbigfeit ber tnobernen 
©efchmadSricßtung fich ©oit allem Anfänge an mit mehr ©lüd a« behaupten wufSte. 
3ur richtigen Abfchäßung biefeS Berhältniffeö hat auch bie äBalther ©rane^AuS* 
ftellung baS Qh** beigetragen. Sie war au biefer 3?it unb an biefem Orte gana an 
ihrem Blaße, wag Mutber, ber in feiner ©efcbichte ber Malerei beS 19. Qahrhunbertfc 
noch ©or wenigen fahren äBalther ©rane mit ©olltönenben SobeSerhebungen als 
„munberbaren Qüuftrator", als Meifter ©on ber ©raaie unb bem ©harafter ber 
primitioen Florentiner feierte, in feinen ben gleichen Zünftler auf« fchärffte h^ab- 
feßenben Ausführungen in ber „Seit“ ©om 19. Qänner 1901 entfchieben beftreiten 



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SBiener ßunftleben (Jänner bis 3uli 1901). 


135 


wollte. 2Jton lernte ©rane’S Stellung in ber Bewegung bet ÜDioberne oerftehen unb 
an ebenfo oerläfSlichem als umfaffenbem Materiale fixieren. 

3mei anbere umfangreiche 5luSfteüungen, welche im öfterreid/ifchen ÜJtufeum 
für ftunft unb 3ftbuftrie ber SBalther ©rane-5luSfteHung folgten, führten in fehr 
banfenSroerter SBeife auf ein weit oeraweigteS ©ebiet unferer einheimifchen föunft» 
thätigfeit hinüber, nämlich bie 51 uSftellungen ber fun ftgew er blichen 
3?achfchulen foroie ber $unftgewerbefchulen in 2öieit unb $rag. 
'^etanntlich beftfet Öfterreich eine ganj hctn°^9 e nöe Organifation zahlreicher, über 
alle ftronlänber oerbreiteter 53ilbungSanftalten, welche ftch jum 3töe fefcen, ju oer* 
hüten, bafS etwas oon ber tiinftlerifchen $robuction$fähigfeit ber 53eoölferung 
oerloren gehe, unb welche aud) ben minber heroorragenben Kräften eine jur 53ereblung 
beS SBoltSgefchmadeS führenbe Dichtung geben. üJiit biefer äielbewufsten Sammlung unb 
5luSnüfcung beS SSorhanbenen für bie Hebung ber tünftlerifchen Kultur beS ganjen 
StaatSwefenS erfüllt bie UnterrichtSoerwaltung eine ihrer ebelften unb oornehmften 
Pflichten. Die 5luSftellung ber Seiftungen biefer gachfchulen ergänjte tu ungemein 
erroünfehter 3Beife baS in ben 5luSftelIiingen ber Seceffion unb beS fti'mftlerhaufeS 
©ebotene; an biefen beiben Orten bie Schöpfungen unferer hohen tfunft nnb eine 
Jpeerfdjau über bie 5ln$abl unferer einheimifchen, fiinftlerifch h e roorragenben Talente, 
im öfterreichifchen üftufeum ein Überblicf über bie DurchfchnittSbegabung beftimmter 
©egenben unb bie an fte tnüpfenbe funftgewerbliche ^kobuction. 

3n ber 5luSftellung ber funftgewerblichen Jachfchulen waren bie Sänber ber 
bieöfeitigen ftteichShälfte auf eine fehr oerfchiebenartige 5Seife oertreten, was fich auS 
ben 3ielen ber an ber 5lu$ftellung betheiligten 86 5lnftalten non felbft ergeben 
mufSte. 9fn nielen berfelben roirb im 3eichnen, ÜRalen unb 9Robeüieren unmittelbar 
nach ber 9totur, im Stilifteren ber 3formen unb in ihrer SBerwenbung für bie 3 ro ede 
ber Decoratioit recht 5lchtenSwerteS geleiftet unb bie fo wichtige Selbftänbigfeit be$ 
SehenS unb 9to<hbenfenS über bie fünftlerifche 5luSnüfcung beS ©efehenen angeregt. 
5lnberwärtS gewinnt man burch bie ©ntwürfe unb 9Jtufter$eichnungen, bie au$ bent 
53ureau beS öfterreichifchen ÜJtufeumS ben fjachfchulen jugehen, lebenbige Fühlung 
mit ber ÜRoberne, ohne babei bie örtliche Färbung unb ©igenart preiSjugeben. 
ÜRit Vergnügen bemerft man, wie höher begabte Sehkräfte einzelne Schüler auch 
über baS DurchfchnittSmafc ber Semanforberungen hinauSjufühten wiffen, währenb 
manche bie 5lufgabe noch etwas leicht nehmen. So bieten bie 3*ichnungen ber 
Xriefter StaatSgemerbefchule ganj 33orjüglicheS. 3h ne « ftehen bie formeitfchönen unb 
technifch nortrefflichen Äunftfchlofferarbeiten non ftöniggräfc, bie Xhonwaren non 
XepUfc, theilweife auch jene non 53echpn unb 3naim, bie SBirfereien unb SÖebereien 
non 9teichenberg, Reichenau, Schludenau, ÜJtähr. Schönberg, Qägernborf, bie 
Schmucfgegenftänbe ber ©ablonjer unb Xurnauet 3>iibuftrie nielfach gleichwertig jur 
Seite, ©in gefunber 3ug einfacher SBiebergabe non 33olfStppen regt ftch in ^ cr 
Steinmefcenfchule in £>orife, inbeS bie fteiligenfchnifcereien auS 53ojen, §allftabt ober 
5Balachifch* s -U^eferitfch ju fehr im 53anne beS ©onoentionetlen bleiben unb nur auS* 
nahmSweife baS ©efühl ber 5litbacht beleben werben. Durch Reinheit ber 3oid)nung 
unb 5luSfühtung überragen bie Arbeiten oon ©ortina b'5lmpe^o unb 5lrco; beibe 
Öorjüge jeichnen auch niele Darbietungen öfterreichifcher Spieen* unb Stidereifunft 
auS. Die fRachbilbung non oier hiftorifchen 3i^^fru (auS ben Schlöffern fReiffenftein 
unb 93elthurnS, baS ÜJtaria Dhere|la=3intmer au3 Schönbrunn unb baS ©rnpire* 
3tmmer im UnterrichtSminifterium), welche auch in $ariS 5luffehen erregte, fteflt ber 


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136 


gofeph Sfleumirth. 


fjä^igfcit öfterreidjifcher gachfchulen, gefchichtlich ^eroorragenbc Objecte ebenfo ftiltreu 
mie gebiegen nachjufchaften, eilt glänjenbeS 3eugniS aus. T)aS Aioeau beS Erreichten 
ift in oielett Anftalten befriebigenb unb berechtigt jur Hoffnung auf einiDanbfreie 
Seiftungen felbft bort f mo h^te noch SJtittelmäßigfeit unb eine mehr hanbroerflicbe 
Auffaffung übem)iegen f bie ein fünftlerifcher £>auch ber 3eit SU Roherem tragen 
mufS. T)er bisher eingefchlagene 2Beg Derfpricht ooQen Erfolg. 

ES roar nur ein feiner 3«9 planmäßiger Vorführung einheimifchen AuS* 
ftellungSmaterialeS, ber AuSftellung ber gachfchulen eine folche ber beiben ftunft- 
gemerbefchulen in SSien unb in V*ag folgen ju laffen. Tüe erftere mar betreffs ber 
Unterbringung ihrer AuSftellungSobjecte augenfcbeinlicb in einigem Aachtheile, ba 
bie Entfaltung berfelben burch räumliche Veengung mehr behinbert mar als bie 
Vtager Schule. Vielleicht hätte ftch btefem Übelftanbe abhelfen laffen, menn man 
ben Sichthof, ben gleichseitig ber franjöftfche Keramiker Ebmonb Sachenal aus 
EhatiUon mit einer reichhaltigen EoUection feiner burch Öorm unb garbe bö$fi 
anjiehenben Arbeiten befefct h“^» ben AuSfteüungSjmeden ber eigenen Schule 
geroibmet hätte. Vei aller 3aoortommenheit gegen baS AuSroärtige füllte man bodj 
gegen ein fo eng mit bem OJtufeum oerbunbeneS gnftitut etmaS mehr billige SRüdfuht 
malten laffen. 5)aS mirtlich ©ute nerfchafft ftch felbft über räumliche Veenguttg 
hinaus ©eltung; fo au<h bie unter ÜJtgrbach’S umfichtiger Leitung erfolgreich empor* 
ftrebenbe SSiencr ßunftgeroerbefchule, melche bie Vrager Schmefteranftalt bereits 
erheblich überholt hat unb in ben Schulen fMIer'S, öoffmann’S, ÜJJofet'S, SJtgrbach’S, 
Straßer'S fehr VeachtenSmerteS erreicht. Glicht minber laffen alle übrigen Abteilungen 
ber Anftalt gut geroäblten Sehrgang uitb zugleich eine möglichft unbehinberte Ent* 
faltung ber Schülerinbinibualitäten mit ©enugthuung erfennen. T)aS ift in ben oor* 
liegenben Seiftungen ber Vrager Schule, unter benen ftch ia manches Süchtige, aber 
nichts roirtlich fceroorragenbeS finbet, feineSmegS ber gall, ba ftch bie Schüler mehr 
als einmal ben Aatuiformen gegenüber in peinlicher Verlegenheit befinben, mitunter 
ein merfroürbigeS gormen- unb garbengefühl befunben unb faft nur auSnahmSmeife 
bie Vetonung ihrer Eigenart uerfuchen, bie ja in ftunftgemerbefchulen nicht fofort 
etmaS Epochales fein foll, aber einen frifchen VBellenfchlag in ben ganzen Unterrichts* 
betrieb bringt. SUtan beobachtet ihn mit Vergnügen an ben geroifS burchauS nicht 
ausnahmslos einmanbfreien Arbeiten ber Wiener; fte bezeugen nicht nur baS Vor* 
banbenfein einer erfreulichen Talentejahl, fonbern auch bie trofc mancher Ungeberbig* 
feit unb einzelner gehlgriffe roader emporringenbe Selbftänbigfeit ber Auffaffung 
unb Ausführung. Sie finbet eine gan$ roefentliche görberung burch bie in Söien 
gebotene 9Jtöglichfeit, bafS b*n>orragenbe ^nbuftrieüe bie befferen Entmürfe gern 
jur Ausführung übernehmen, in melcher für bie Schüler roegen ber Velebung beS 
3medgefiihleS ihrer Arbeiten ein nicht ju unterfchäfeenber Anfporn liegt. T)aburch 
mirb jroifchen Schule unb Seben eine Vriide gefchlagen, beren Vefchreiten manchem 
Anfänger Don großem Vortheile merben kann. Ein gleiches Verhältnis fcheint in 
Vrag überhaupt nicht ju epiftieren, moourch ber bortigen Schule bei aller Tüchtigkeit 
mancher Seiftungen bie gerabe für eine funftgeroerbliche Anftalt als SebenSbebingung 
unerläfSliche innige gühlungnahme mit prattifcher gnbuftriethätigkeit fehlt. T)afS 
manche ihrer Sehrer nortreffliche Vorlagen in ähnlichen gälten bestellen, thut eS 
allein nicht; auch ber funftübenbe AachmuchS mufS non ihnen nicht nur fpftematifdhe 
Unterroeifung erhalten, fonbern auch burch fte früh unmittelbaren AnfchlufS an jene 
Greife geroinnen, auf melche er in feiner fpäteren VerufSthätigfeit oorroiegenb an- 


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SBiener Kunftleben (Jänner big Quli 1901). 


137 


geraiefen fein wirb. ©ei ber hohen ©umme fünftlerifcher '-Begabung, bie bet ©e* 
oöüerung ©öhmeng eigen ift, unb bei ber ganj aufjerorbentlichen ©ntwktlung ber 
oerfchiebenartigften, theilroeife $u ©fcltruf gelangten ^nbuftriejmeige biefeg Sanbeg 
füllte grrabe bie Frager Kunftgemerbefchule ihren ©tolj barein fe&en, ben fünftlerifchen 
3 [beenbebarf berfelben in richtiger Slugnüfcung aller ihrer Kräfte möglichft aug 
Eigenem $u beftreiten. Dag mufg beffer werben, alg eg berjeit ift, wenn bie Frager 
Schule ganj auf ber §öhe ihrer Aufgabe fielen will. 

2Bag bie ©ugftellungen ber ©eceffton, im Künftlerhaufe unb im öfterreic^ifc^en 
ÜRufeum an Arbeiten öfterretchifcher Zünftler unb Kunftjünger boten, barf alg ein 
nerheifeunggooller ©rufe an bag neue ^ahrhunbert betrachtet roerben. Überall ernfteg 
unb regeg ©treben, nielfach ho^hfte&cnbcö, anerfennunggmürbigeg können, jielbemufgteg 
3 refthalten an bem ©ernährten unb offener ©lief für bie ©erechtigung beg bleuen, 
unerfchrocfeneg Gingen nach neuen 9lugbruc!gformen unb 5Iugbrucfgmitteln, fünft* 
begabter 9tocbmuchg unb erfreulicheg 3ufammenarbeiten oerfchiebener funftförbernber 
Sfactoren: fdhroeUenbe Keime einer reichen ©aat, beren ftolje fruchte eine fchöne 
3ufunft ju jeitigen oerfpricht Die gan^e ©ewegung ftnbet bie ooüe ©eaebtung beg 
funftoerftänbigen ©uglanbeg. Dieg beftätigt am augenfälligften bie X^atfac^e, bafg 
bie fran$öfifche ^Regierung ben ©taatgrath ßouig ©ouquet, ben Director beg Depar* 
tementg für technifchen Unterricht, unb 2 Duoignan, Director ber ©orbereitungg- 
fchule an ber technifchen ftocbfcbule, junt ©tubium ber $achfcbuleu*©ugfteüung nach 
2 Bien belegierte unb ber eben an bie (Errichtung einer funftgewerblichen Sachfchule 
fchreitenbe ©tabtrath oon 9tancp jroei Fachleute ju gleichem 3roede nach Söien 
entfanbte. Slucb bie ©erliner unb Dresbener Greife febenften gerabe biefer ©ugfteöung 
oiel Slufmerffamfeit. 3n ©Men mürben bie ©orbereitungen für jroei öfterreichifche 
Slugftellungen im Sluglanbe eingeleitet, in melier auch 3n>eige ber funftgewerblichen 
©robuerton oertreten fein foüten, nämlich für bie ©ugftellungen in Kopenhagen unb 
©toctholm. ©eibe Unternehmungen h a ben oiel ©eifaH in ben genannten ©täbten 
gefunbenunb merben geroifg manchegjur Hebung beg öfterreichifchen ©yporteg beitragen. 

©on ben im öfterreichifchen SRufeum befonberg auggeftellten Arbeiten fei 
augbrücflich gebucht beg Kelcheg, melden ©aronin ©ogelfang * ©ruben im ©uftrage 
beg Oberfltämmereramteg nach (Entwürfen aug ben Abteilungen ber ©rofefforen 
Karger unb £>erbtle an ber Kunftgemerbefchule beg öfterreichifchen ©tufeumg aug- 
führte, ©e. ©iajeftät ber Kaifer hnt bieg 2öerf, beffen gufe oier 9tieHomebaiüong mit 
©eenen ber ©lifabethlegenbe fchmürfen, mährenb Diofen unb Bornen mit fpmbolifcher 
©ejiefjung auf bag SRofenmunber ber ^eiligen für bie weitere Decoration oerwenbet 
würben, für bie ©lifabeth 5 ©ebächtnigfapeüe ber JJubiläumgfirche in ber Seopolb* 
ftabt gewibmet. 

Dag öfterreichifche ORufeum oerfammelte bag tunftfmnige ©ublicum 
ber SRefibenj in feinen SRäumen auch $u anregenben ©orträgen, beren SReihe 
Dr. SBolfgang ÜR. ©chmib, ©ibliothefar am baprifchen fRational*9Rufeum in ÜRünchen, 
mit Darlegungen über „bie ©räber beutfeher Kaifer im Dom ju ©peper unb ihre 
(Eröffnung 1900" einleitete. folgten Architeft ©rof. 9Raj: f^reih- non 3rerftel mit 
Abführungen über „moberne Söohnhäufer" unb ^ofrath Dr. Sofeph ÜRaria ©ber 
mit „auggewählten ©apiteln über bag moberne photographifche 9teprobuctiong»©er« 
fahren". 9fegierungg*SRath Dr. ©buarb Seifching, ©ice«Director beg öfterreichifchen 
ÜRufeumg, fprach in febr geiftreicher unb anfchaulicher ©öeife über „moberne Kunft 
oor 100 fahren". 


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138 


Qofeph Steuroirth. 


Qn ben erften SJtonaten be$ QahreS 1901 oollenbete ©rof. 3rranz ÜJtatfcb 
fein für bie Söiener Unioerfität8'3Iula beftimmteS TJedengemälbe „T)er Sieg 
be$ ßtdjteS 1 ', ba£ einft nebenfllimt’S oielumftrittener „©hilofopbie" unb ber noch 
heftiger betämpften „SRebicin" als ÜJtittelbilb zu einer geroiffen bominierenben Geltung 
tommen foll. Qm ©injelnen oorzügltch gezeichnet, hält e$ fich mehr an bie trabitionelle 
3luffaffung monumentaler ©lafonbmalerei, melche j. ©. ben ©enetianern geläufig 
roar, ohne in ber ftarbenbehanblung auf ©igenthümlichteiten ber 9Jtoberae ju oer* 
pichten. SJtan barf gefpannt fein, mie bie Arbeiten ber beiben 9Jteifter, oon benen 
ftlimt noch bie „QuriSprubenz" unb ÜJtatfch bie „Theologie" ausführen foU, in bem 
genannten geftraume miteinanber hannonieren toerben. T)ann erft läfSt fich bie jefct 
rein afabemifche Qrage, ob man beffer baran gethan hätte, ben ganjen Auftrag nur 
einem Süteifter zujuroenben, mit Sicherheit beantroorten. 

T)ie Söiener ^unftfalonS brachten neben ben befprodjenen 3Iu3fteHungen 
eine folche ÜXtenge oon ftunftioerfen, baf£ au bie ©enufSfähigteit be8 tunftfreunbltchen 
©ubücumS roirtlich recht hochgefpannte 3Inforberungen geftellt mürben. 3118 3ei<hen 
einer im giuffe ber grauenberoegung ftehenben 3eit fei an erfter Stelle eine 31 u $- 
jtellungimSalon©t3fo genannt, beren ©eranftaltung bie ßünftlerinnen SJtarie 
©gner, Marianne o. ©fdjenburg, Sufanne ©ranitfeh, SJtarie ÜJlüöer, ©ugenie SJtunt, 
Xherefe Qeobororona StieS, ©ertha o. Tarnoczp unb Olga 2\Hfinger*giorian in bie 
&anb nahmen. Qhrer 3lufforberung maren ftebtoig o. grteblänber, bie ftarger*S<hülertn 
Sütarie Steffel, bie ©ilbhauerinnen ©Ifa o. Kalmar unb ÜJtelanie fporfefefg, Termine 
o. Qanba, ©räfin 3lbrienne Dötting, Henriette Caufota, g. 3Jtebi&*©eltfan, ©aroneffe 
©ifela o. gälte u. 31. mit halb mehr balb minber gelungenen 3lrbeiten gefolgt, bie 
theilroeife em ernfteS können zeigten unb nicht blofe als bilettierenbe ©eriudje betrachtet 
roerben roollten. Stubientopf, ©ilbniS unb ßanbfchaft maren am ftärfften, bie ©laftif 
fparfamer oertreten. Manche Söerte oerrtethen freilich noch ein ftarfeS Taften unb 
Suchen. T)er ©erfudj ber ftünftlerinnen, in gefcbloffener ©ruppe oor baS publicum 
ZU treten, gelang oollfiänbig. Sticht blofe ber Steiz ber Steuheit zog, fonbern auch bie 
©elegenheit, belehrenbe unb intereffante ©inblicfe in baS emfte Streben ber tarnen 
ZU geioinnen. ©efonberS bie StachmittagScercleS an einzelnen Tagen, beren ©intrittS* 
gelber zu ©unften ber SBiener greiioilligen StettungSgefeüfchaft beftimmt mürben, 
oerfammelten ^a^lreic^e ©efucher unb noch mehr ©efucherinnen in ben anheimelnben 
Stäumen unb förberten nicht minber baS ©erftänbniS als ben Verlauf beS 3lu3ge< 
fteflten. Ob eine folche geionberte 3luSftellung angeftchtS ber Thatiache, bafS bic 
©eranftalterinnen ihre 3lrbeiten fonft gerne im Äitnftlerhauie toie in ber Seceffion 
aufgenommen unb oorS publicum gebracht fahen, unbebingt nothroenbig mar, mag 
eine offene grage bleiben. Sie ertlärt fich tüohl hauptfächlich als ein ©eitrag zur 
SBiener grauenberoegung, meniger als ein foldjer zur ©efchichte bahnbrechenber 
Stichtungen ber Äunft auf Söiener ©oben, zu beren wirtlicher Hebung folche Unter’ 
nehmungett auch baS ©eringfte beitragen. 3ßer felbftänbig auftreten miß, muf$ 
im allgemeinen bod) mehr bieten als biefe 3luSftelIung, in roelcher baS über bie 
ÜJtittelma&igfeit IpinauSgehenbe fehr oereinjelt mar. Qm Salon ©iSto folgten ihr am 
15. gebruar bie ©oflectioauSftellungen beS SBiener ©rofefforS Stubolf Stibarz unb 
beS ©erliner ÜJteifterS Söalther öeiftitoro, roelche zwei ganz oerfchiebene Stichtungen 
ber Üanbfchaft8malerei be8 19. Qahrhunbert^ repräfentieren. T)enn Stibarz tnüpft 
birect au bie für fte auSfchlaggebenbe Schule oon gontainebleau an, z u t)eren 
fiihrenben üJteiftern er roährenb eines oieljährigen 3lufenthalte8 in Qranfreich in 


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SBiener ftunftleben (Qänner big Quli 1901). 


139 


unmittelbare ^Beziehungen trat, wufgte aber mit bem ihnen eigenen Daturempfinben 
feine öfterreichifche Eigenart glücklich zu oereinigen. garbenftimmung unb ©ruppieiung, 
welche bie Vebcutung ber ©inzelheiten nicht oerwifdü, fonbem jebe malerifch inbioibua* 
lifiert, oerrathen überall ©efchmacf unb intimfte ^Beziehungen jur Datur, eine mit 
großem Augbrucfgoermögen begabte Dteifterfchaft, an bie nicht viele unferer einheimifchen 
Sanbfchafter heranreichen. Anberg ABalther Seiftikow, bem eg oor allem auf ben 
tppifchen ©burafter einer öanbfchaft, ©infachheit ber Sinie unb ©ebunbenheit ber 
©ruppierung ankommt, wobei er mit ben (Einzelheiten oft recht willkürlich umfpringt. 
Diefe Auffaffung fiört mitunter bort, wo eg fich nicht blofe um becoratioe Aöirfungen, 
fonbern um ein Vilb alg folcheg ^anbelt; benn in biefem ftaHe ift innigere Fühlung 
mit ber Statur felbft künfilerifcheg ©rforbernig. ©lücklich rueife 2eifiikow, ber fich feine 
befonbere tfattnwfprache Sprecht gelegt hat unb bie malerifchen Augbrucfgmittel ber 
Dtobeme meifterlich h^bhabt, bie buftige 3^ttheit beg 2anbfchaftlichen in ihrem 
poetifchen Deize feftyubalten unb mit einem großen 3nge ju burchbringen. Die beiben 
ooneinanber roefentlich oerfchiebenen Achtungen ber Sanbfchaftgmalerei an zwei 
heroorragenben Vertretern unmittelbar oergleichen zu können, mar fehr inftructio. 
©päter oereinigte ber ©alon in einer Aufteilung SBerfe oon Slafparibeg, 

Äonopa, ©traka, ©uppantfdjitfch, SBilt, ©bith ©tengel unb oon bem Vilbhauer 
©urfchner, worauf bie Debaction ber Münchner illuftrierten 2öochenf<hri|t „3ugeub" 
oom 20. April big ©nbe ÜJtai mit mehr alg 200 Originalen ihrer oft recht originellen 
3Huftratoren biefelben Däume befefcte. — Qn ber ©alerie ÜJtiethkf erfreute fid) bie 
Augftellung beg fßorträtmalerg Otto oon Ärumhaar großer Veachtung. Die ABerke 
begfelben jeichnen ftch ebenfofehr burch Ähnlichkeit alg burcb feine, bem SBefeit beg 
DarzufteUenben ftch anfchmiegenbe Auffaffung, burch öiebengwürbigkeit ber ©haraf- 
teriftik unb treffliche garbengebuug aug. Die gleichseitig an bemfeiben Orte öffentlicher 
Veftchtigung zugängliche 3ahreg=3lugftellung beg „Wiener ©amera'©lubg" zeigte bie 
Öeiftunggfähigleit ber Siebhaber*Vhotographie nach ben oerfchiebenften Dichtungen 
auf einer anfehnlichen £>öhe unb in gar mannen Darbietungen oon einem toirflich 
Jünftlerifchen 3 U 9 C getragen; nicht geringereg ^ntereffe burften auch bie babei zutage 
tretenben tecbnifchen fjortfchritte beanfpruchen. 'Bei Dtiethke umfchlofg eine aobere Aug* 
ftellung Arbeiten oon ©l. o. Baufinger, Knüpfer, ©dpoaiger, ÜJüchetti u. a, foioie eine 
©ntwicflung ber Dkaltechnik oon ©. Berger. 3m Äunftfalon ^irfchler traten 
A. Kaufmann unb D. Äohn mit Sanbfchaften, bejiehunggioeife mit guten Dothftift* 
ftubien oor bie Öffentlichkeit. Die Äunfthanblung 2. 3- 9teumann lenkte bte 
Aufmerkfamkeit auf bie oon Btofeffor lloppap ftammenbe (Collection oerfchiebener 
Borträtg ber ÜJtitglieber beg Äaiferhaufeg, oon Angehörigen beg fcochabelg unb 
anberen bekannten Berfönlichkeiten. Deggleicben bot fte ©elegenheit, auch SBerfe 
mobemer Zünftler, roie oon $ranz ©tue!, ©. ÜJtay, griß o. Uhbe, 2enbach, Defregger, 
Änaug, ©chtler u. f. ro. kennen lernen. 3m Äunftgewerbeoereiu, roo Dombilber 
unb öfterreichifche Äunfigewerbearbeiten ju feben waren, oeranftaltete auch bie „Ber 
einigung öfterreichifcher bilbenber Äünftler unb Äünfilerinnen" ihre Aufteilung. Dev 
Dapoleon»6pklug, ben Ogkar Dey im ©alon „Venejia" augftellte, bewältigte in ben 
©injelbarftellungen nur augnahmgioeife bie ©röße ber SDotioe; boch läfgt fich leßteren 
em nähereg ©inbringen in ben gigantifchen ©toff nicht abfprechen. 3n ben ^eft- 
räumen beg neuen Dathhaufeg oereinigte bie oon ©erlach unb ©chenk oeranftaltete 
Augfteüung mancheg Anfprechenbe oon ©tuef, &limt, 9Jtatfch, ÜJtofer, ©ngelharbt. 
Der fübliche ©cffalon biefer gefträume war fchon früher jwei großen lufchbarftellungen 


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140 


gofepb ffteuwirtb. 


oon 2Beefer*$rell, bic ungarifcbe ftönigSburg zu Bubapeft in ihrer fünftigen Bollenbung 
unb bcn BMfahrtSort ÜJiaria«3eH bebanbelnb, eingeräumt worben. Arcbitefturmaler 
©rmin Benbl ooüenbete ein grofeeS Aquarell ber ^ernifcer Stal)!* unb ©ifenwerfe 
für ben ©ifcungSfaal beS neuen ©cböller’fchen BanthaufeS unb wenbet feine 
befonberS aud) Wiener Aufnahmen zu, non benen ber £>anbelSminifter ©all jene ber 
alten Boftgaffe mit bem ^anbelSminifterium unb ber $ominifanerfircbe anfaufte. 
3n$ ©ebäube ber ©artenbau-©efeüfcbaft lub bie Malerin ©ugenie S>eger»©affer zur 
Beftcbtigung ihrer Porträts unb ©tubien ein, bie mehr gleiß als ausgeprägte Äiinftler* 
fchaft befunbeten unb nirgenbS über baS Blittelmafe hinauSragten. ©ine ganz befonbere 
Eigenart offenbarte Dagegen grau Jpenriette üttanfteroicz in ben Bauneauj* unb 
9iabelmalereien, welche in ben Räumen beS Söiener grauenclubS auSgefieüt waren. 
Sie feffelten tecbnifch burch bie Bereinigung ber ÜJtolerei unb ©tiderei, inbem erftere 
für bie Aquarell» ober ©ouacbebehanblung beS weifeen AtlaShintergrunbeS beram 
gezogen, lefctere für bie Sßorbergrunbbarftellungen oerwertet ift. gaft burchwegS 
traten gewählter ©efcbmad unb feiner garbenfinn zutage; auSgeftellte Entwürfe, 
©tubien unb Aquarelle oermittelten in banfenSwerter Bteife näheren ©inblid in bie 
ArbeitSftätte ber ftünftlerin. ©inen auSgefprochen bem ftunftauSftellungSeinbrude ftd) 
nähernben Anftricb hatte auch &ie in ihrer Art hochintereffante ©imarofa’AuSftellung 
int ftünftlerbaufe, bie jmar einem anberen Ipauptjwede juftrebte, aber in bem Dafür 
aufgebrachten SJtateriale eine gülle fünftlerifcb gerabe für bie ©efdjicbte beS Söiener 
©eifteSlebenS ungemein wertooller Belege umfafSte. ©ie mochten für ben 5RufU 
hiftorifer noch weit bebeutungSooller fein als für Den ftunfthiftorifer, ftellten aber 
lefcteren nicht minber oor eine ganz merfmürbige Collection zahlreicher, in ihrer 
©efammtheit nur ferner auftreibbarer ©tüde, bie in üJtebaillen, BorträtS, fianb* 
fchaften unb ©enrebilbern ein treffliches ©ptegelbilb Iäugft oerrauldjter Xage unb ihrer 
ftunftauffaffung gewinnen liefeen. 

3n ben Ausheilungen machten üftalerei unb ßunftgewerbe ftdj am meiften 
geltenb. $)ie Arcbiteftur war in ihnen nur burch bie febon früher erwähnten 
Entwürfe oertreten. 3h* ftcUte ber BefcblufS beS Böiener ©emeinberatbeS, auf bem 
ßarlSplafce ein ftäbtifcheS fUtufeum ju erbauen, eine neue grobe Aufgabe, ©ie ift 
nunmehr über baS erfte BorbereitungSftabium binauSgerüdt, ba bereits im 2Jtai baS 
Bauprogramm, welkes ben $)oppelzroed eines hiftorifchen unb eines tfunftmufeumS 
inS Auge fafSt, feftgefteüt unb ber auf SBiener befchränfte SBettbewerb auSgefcbrieben 
worben. 3)et Bau, für beffen Ausführung 1,750.000 K auSgefefct finb, foü ft<b ber 
ßarlsfircbe unb ber tedjnifcben ftocbfcbule möglicbft harmonifcb anfcbliefeen, auS einem 
©outerrain, £>odjparterre, §albgefcbofS unb ftauptgefcbofS beftehen. gür bie ©ewinnung 
eines geeigneten BrojecteS ift eine bereits abgelaufene Borconcurrenj eingeleitet, 
auS welcher acht preisgefrönte ©ntroürfe jur engeren ©oncurrenz jugelaffen würben. 
©S tennjeiebnet bie IRübrigteit unferer fUtoberne, bafS Otto SBagner, ihr gührer auf 
bem ©ebiete ber Baufunft, fchon oor geftfteüung beS BauprogrammeS mit einem 
ausgearbeiteten Brojecte, beffen ©rläuterung ber ©tabtrath tnapp oor gabreSfdjlufS 
entgegennahm, auf bem Blafee war. ©ine zweite, für baS SBiener Arcbitefturbüb 
nicht minber wichtige grage febeint zunäcbft noch etwas zuriidgeftellt, nämlich baS 
Broject beS Arcbiteften Arnolb 8ofe, ben hinter bem ©tepbanSplafee jroifc^en ber 
©chuler- unb ©ingerftrafee gelegenen ©tabttheil in einen 30 m breiten ftaifer granz 
3ofephS«gubiläumSplab umzugeftalten; ©tabtregulierung unb ©tabtoerfebönerung mären 
in gleicher 2Beife an ber praftifeben unb fünftlerifcben ßöfung biefeS BroblemS 


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Wiener Kunftleben (Fänner big Fuli 1901). 


141 


beteiligt. Fm Frühjahre würbe bic 9luSftntüdung ber 3Retithariftenfird)e ooflenbet, 
bereit 93Uberftmud Fofeph kleinert, Litton £>lauaCef, ütitarb ÜRofer unb Fohann 
Suftner nat ben ©ntmürfen beS ©rbauerS ©amiflo ©itte ausführten. $a3 ©totten* 
ftift {tritt an bie miirbige Fnftanbfefcung ber ©rabftätten beS ©tifterS Heinrich II. 
Fafomirgott unb {RübigerS oon ©tarhemberg, beS bel&enmüthigen 23ertheibigerS oon 
3Bien. (Sine ©pecialität moberner 5lrtiteftur barf roo^t baS ©eftäftS» unb Söarem 
hauS genannt werben, baS zwar in ben alten £>anfaftäbten auch fton eine gewiffe 
Spotte fpielte, aber jefct ganz anberen Slnforberungen genügen mufS. F n feine ©nippe 
mhlt baS eben ooüenbete ÜRöbelhauS $ortoi$ unb fjiy in ber Ungargaffe nat ben 
Plänen oon ÜJtajr Staunt; bie Fasabe, bereit artiteftonifte ©lieberung eigentüd) 
entfällt, ift nur mit mattgrünen Fapencefateln befleibet unb ruht auf einem Unter¬ 
baue oon braunrotem ÜRarmor, ben ©iiterthore unb modrige SluSlagefenfter burt* 
breten. ©8 IäfSt fit nicht beftreiten, bafS ber oon ntobernen ©ebanfen befeelte 
9lrdjiteft fit reblid) unb theilweife erfolgreich bemühte, eine ber SBeftimmung beS 
$aueS möglitft bienlite Söfung ju finben. ©injelheiten berfelben toerben bei 
KaufhauSbauten ber nätften F Q h*e ab unb ju wieber begegnen unb manche 
Slbmanblungen erfahren. ÜJlit ©enugthuung fei oerjeichnet, bafS bie ©eifteSarbeit 
SBiener 9lrtiteften auch anbermärtS mit ©hren beftanb, inbem bei ber '-Beurteilung 
ber ©oncurrenjprojecte für baS 93ubapefter ©ebäube ber öfterreitift-ungariften 93anf 
bie SBiener SIrtiteften fJeUner unb Reimer ben zweiten, ^rofeffor Karl König ber 
tetnifchen §otftwle ben oierten $reiS errangen, ©eine ©ebanfen „über bie ÜRobeme 
in ber 9lrtiteftur" hat ^ofeph ©aper in einem anfprechenben Feuilleton, ber „bleuen 
Freien treffe" jufammengefafSt. 

3luf bem ©ebiete ber $laftif eröffnete baS ©rgebniS ber *Prei8concurrenz 
für baS fianner-©traufj*3)enfmal ben {Reigen beS neuen FahtnnbertS. Unter ben 
eingelieferten 51 ©ntroürfen fiel jenem beS £>elmerftülerS Franz ©eifert unb beS 
3lrtitetten {Robert Derlep ber erfte ^reiS §u; ben zweiten erhielt Franz 23ogel, ber 
©töpfer beS {Raimunb-$enfmalS, unb ben britten H. IBafjler. ©ine bis jum 17. Fänner 
bauembe 2IuSfteüung aller ©ntroürfe im Künftlerhaufe bot jebermann ©elegenheit, 
fit in ber ©ache felbft ein Urtheil ju bilben unb einen oorausfittlüh halb jur 
'Ausführung gelangenben neuen ©tmud ber Kaiferftabt au ber 5)onau fennen $u 
lernen. Xhatfätlit fonnte nur ber mit bem erften greife ausgezeichnete ©ntmurf 
als eine annähemb befriebigenbe Seiftung bejeitnet werben. Fm allgemeinen ffeinf 
gerabe bie 3roet§ahl ber Könige im Söalzerreite oon ben meiften ^Bewerbern als 
ein £>emmniS ber fünftleriften Söfung empfunben worben ju fein; gleitwohl 
begegnete manch’ ßuter ©infall, wenn er aut für ein 2)enfmal felbft nitt aus- 
reichte, bejfen §auptbeftimmung ©inzelne birect aus bem $uge oerloren. 9Bo eS 
eigentlit ein ©tücf ett 5öiener Kunft unb feine ©töpfer ju oerherrliten galt, hätte 
man gerabe oon ben Söiener ÜReiftern reiteren fünftleriften ©rtrag erwarten foüen. 
©elbft für ben ©ntmurf ©eifert’S bürften fit not Heine Änberungen empfehlen, 
beoor er $ur SluSführung gelangt. Für bie ©timfeiten ber groben ©entralfäulen- 
halle beS ?5arlamentSgebäubeS übernahmen bie SBilbhauer Karl ©terrer unb §ugo 
§aerbtl bie ©ruppen ber ©inigfeit im 93aterlanbe unb ber Siebe &um S3aterlanbe. 
©ie lieferten aut ©fijjen eines ©icero unb eines ©ophofleS für bie ©iftungsfäle beS 
§aufe£, in beren fRiften 18 oon SBiener 33ilbhauern auSjuführenbe ÜRarmorgeftalten 
bebeutenbe^Berfönlitfeiten beS claffiften 5llterthumS oerherrliten foüen. Fm 5lrfabenhofe 
ber Unioerfität gelangte zmiften ben S)enfmälern ©foba’S unb 9}an ©mieten’S jenes 


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142 


3ofeph SReuroirth- 


be$ betannten PfpchiaterS £h*obor OJlepnert jur Aufteilung. $em Stabtparte 
roibmctc ein gveunb beS PtolerS IHemi oan §aanen eine Pronjebüfte biefeS PünftlerS, 
tue non Silgner’S §anb ftammt unb bem Otonbeau oor bem (Eurfalon jur 3ierbe 
gereicht. $m Peftibüle beS SübbahnfjofeS rourbe eine in bem Atelier Pari Söafch* 
mann auSgeführte ©ebenftafel für ben Architeften Söilhelm bitter non 3flattich, ben 
PahnhofSerbauer, enthüllt; bas PilbniSrelief beweiben hat Slatticb’ö (Entelin, ßorle 
SSifdjer, zugleich eine (Entelin beS berühmten ÄflhetiterS 3fr. lh* recht lebend 

roahr mobeüiert. $in Aufträge beS (Erzherzogs (Eugen noüenbete SohanneS IKaSzfa 
in franjöfifdhem Sanbftein baS grofee Relief „SRofenrounber ber ^eiligen (EIifabeth"r 
für baS Pinberfpital in Dttafring ber Pilbhauer penbl, bem bie Ausführung einer 
Paiferftatue für baS neue Preisgericht in Olmiifc unb einer Paiferbiifte für bie 
öfterreicbifcbe ©efanbtfchaft in Petersburg juftel, eine „OJlabonna mit bem ^efuSfinbe*. 
Prof. n. 3umbufcb arbeitete an ber PoUenbung beS StanbbilbeS Paifer PöilhelniS I., 
baS nor ber Uniuerfität in Strafeburg jur Aufteilung fommen foDL 2)er dteftau- 
rierung beS (Eanooafchen ©rabbentmalS ber ^reiin non PillerSborff auf bem £>ie|inger 
SJriebbofe roibmete bie Stabtgemeinbe 2öien einen entfprecbenben Petraq. Xurch bie 
Art unb 2Bcife ber Vergebung ber Pilbhauerarbeiten für ben neuen frofburgbau 
fühlte fich bie Wiener Pilbhauergenoffenfchaft in ihren SebenSintereffen unb ihrer 
(Eyiftenz als fteuerjahlenbe Pürger tief unb empfinblich gefchäbigt unb in ihrer 
StanbeSefere herabgeroürbigt, ba gerabe bei einem folgen Ptonnmentalbaue baS 
fünftlerifche Söirten unb Schaffen ihrer Jirmen zum AuSbrude unb zur Poüenbung 
gelangen tonnte. Sie oerinahrte fich in einer entfchiebenen Diefolution gegen eine fie 
iibergehenbe ArbeitSjuroenbung unb nahm auch Stellung gegen bie Pergebung 
öffentlicher Arbeiten an gachfchulen Pom ©efichtSpuntte beS nach tiinftlerifcher 
Pernolltommnung unb Pefchäftigung ftrebenben AuftragroerberS fann man biefe 
Stellungnahme oerftehen, bie aber prattifdh faum zu bem gemünfchten 3i*k führen 
bürfte. $)er freien (Entfaltung ber Punft, bie nur baS Pefte im Auge behalten foü, 
ift ein folcher $rudt geroifS nicht zuträglich. 

5)er freier beS 400jährigen PeftanbeS ber nieberofterreichifchen Statthalterei 
ift bie Ausführung zweier oortrefflidjer (ErinnerungSplaquetten zu bauten. 3)ie eine 
roibmete ber Statthalter ©raf PielmanSegg, bie anbere Die Peamtenfchaft ber Statt¬ 
halterei, ber Polizeibirection unb ber PejirfShauptmannfchaften; bie Ausführung 
übernahmen bie beiben Pteifter öfterreichifcher Ptebailleurtunft Aleyanber Scharff 
unb Prof. Qofeph Sautenfeapn, einmal neben ben $oppclabler bie betreffenben 
Serrfdherreliefs (Ptayimilian I. unb öranj Qofeph I.) einfteüenb, baS anberemal ber 
Auftria bie ÜJtebaiüonporträtS bes erften oberften §auptmannS SBolfgang ^reiherm 
non Polheim unb Söartenburg, foroie beS Statthalters (Erich ©rafen PielmanSegg 
beigefellenb. AIS hohe Auszeichnung barf ber Pöiener ÜJlebailleurfunft bie Perufung 
fHubolf OJtarfchaÜ’S nach Dtom angerechnet roerben, ba eS fid) um bie Verteilung 
eines papftreliefS für eine ÜJlebaiUe hobelt, bie als Anbenfen au baS heilifl* 
in mehreren (Eyemplaren auSgeführt roerDen foll. Pei ber (Eoncurrenj um eine 
anbere (ErinnerungSmebaitle, welche baS t. f. VanbelSminifterium Den AuSfteHern 
unb Organifatoren ber öfterreichiiehen Abtheilungen ber parifer SöeltauSfteHung ju 
roibmen gebenft, rourbe unter 30 (Entroürfen jenem beS Prof. Stephan Schroarj ber 
erfte Preis juerfamtt, inbeS Subroig £mjer ben jroeiten unb SRubolf (Eizet ben 
britten erhielten. 


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VBiener flunftleben (Qämter bis 3fuli 1901). 


143 


Die VreiSauSfchreibung für Vanfnotenff izzen erzielte bie (Ein* 
reichung von 117 (Eoncurrenzarbeiten. Die Qurp, in roeldjer bcr SSahrung fünft* 
lerifcher Qntereffen burch Delegierung neuer froren auS ber ftünftlerfcßaft [Rechnung 
getragen mürbe, fprach bem Vubapefter Waler SabiSlauS fregebüS bett erften, bem 
Frager Veroerber Sölabimir 3upan$fu ben zweiten, bem 3Siener Waler (Ebuarb Veitß 
ben britten unb bem VMener Vertholb Söffler ben vierten VreiS zu. Vach beS 
(Erften (Entmurfe roerben bie 100 KWoten, nach jenem beS Dritten bie 1000 K 
Pfoten ^ergeftellt. Wan barf fiel) aufrichtig freuen, bafS eine für baS iDirtfc^aftlic^e 
Sehen beS ©taateS nicht belanglofe Qrage bieSmal eine beffere unb fachgemäßere 
Söfung fanb als bei ben fünftlerifch gänzlich unbefriebigenben 20 KWoten. 

Da3 UnterrichtSminifterium ließ bie verriebenen Ausfteßungen nicht vorüber* 
gehen, ohne auS ben -ihr zur Verfügung ftebenben 3onbS ftunftroerfe anjufaufen; 
vereinzelt mürbe auch hie (Gelegenheit mahrgenommen, $unftanfäufe auS privat* 
befiß, z* 93. ben von (Ebuarb [Ritter’S „Qagb nach her Äafce" ober [Ranftl’S „©chul* 
finbem" burchzuführen. ©chon ^eute befinben fich, mie ein ben Witgliebern beS 
SlunftratheS eingehänbigteS Verzeichnis feftfteüte, im (Eigenthume ber Unterrichts- 
vermaltung fo viele beacßtenSroerte ©tiicfe, bafS auS ihnen eine moberne (Gallerie 
gebilbet merben fönnte. DaS Vroject ber leßteren ift über baS ©tabium ber Vor* 
berathung noch nicht hiuauSgefommen. Den in ihr unterzubringenben ©ammlungett, 
melchen auch hie „Qubitb" beS Wiinchener VilbhauerS £mhn, „Die böfen Wütter" 
von ©egantini unb ^erterich’S „©piegel" zugeroenbet mürben, finb gefchenfroeife burch 
ben Architeften Alepanbet Rummel in Xrieft unb einen zweiten ungenannt jein 
moüenben ftunftfreunb bie beiben großen (Gemälbe von Way $linger „DaS Urtheil 
beS VariS" unb „(EhriftuS im Olpmp" einoerleibt morben. Qm ^unftrathe regten 
©e. (Ejrceüenz (Graf SancforonSfi für 2Sien bie (Errichtung eines roürbigen ©chminb* 
DentmalS unb fßrof. Veuivivtb bie Aufteilung von Vüften ber h^rvorragenbften 
öftemichifchcn Dichter an. Oberbaurath Vrof. Otto 2öagner lenfte bie Aufmer!- 
famfeit berfelben ftörperfchaft ber 5rage zu, bei ber VBieberoerbauung ber burch bie 
Abtragung ber ßaferne geroonnenen Vaufläcbe auf bem ©tubenringe für bie VBabvung 
fünftlerifcher Qntereffen nachbrüdlid)ft einzutreten. Auf Antrag ber Seo (Gejellfchaft 
befchlofS ber föunftrath einftimmig, einen Söettberoerb zur (Erlangung von Vlänen 
für eine einfache römifch’fatholifche Kirche in einer Sanbgemeinbe unb von (Ent* 
mürfen für ein [Reliquiar einzuletten; bie Austreibung bafiir ift bereits erfolgt. 
Dem ©chöpfer beS in Sinz aufzuftellenben ©ttfter DenfmaleS, bem Vtlbbauer Vrof. 
fRathauSfp, mürbe bie Ausführung einiger Abänberungen feines vorgelegten (Ent* 
murfeS empfohlen. 

Die Seo'(Gefellfchaft felbft ift nunmehr zur pflege unb Qörberung ber 
Ifunft in ein enger begrenztes Verhältnis getreten. Am 27. Qebruar conftituierte ftch 
unter zahlreicher Vetheiligung auS Mnftlerfreifen bie ©ection für bilbenbe ftunft. 
Diefelbe hat, geleitet von Univ.*Vrof. Dr. £>. ©moboba, fofort zu einer [Reihe von 
(Eoncurr$nzauSfcßreibungen für firchlicße 3wecfe ©teüung genommen. Qwei berfelben 
(einfache ^Sfarrfirche unb [Reliquiar) mürben burch Vermittlung beS ftunftvatbeS vom 
UnterrichtSminifterium metter geführt unb gehen eben praftifcher Söfung entgegen. 
Vom Directorium ber Seo*(Gefellfchaft mürben zur (Eoncurrenz für ben Hochaltar 
einer Domfirche unb für ein h^ ©rab je 3 rcei greife gemibmet. Die befannte 
©ammlung claffifcher AnbachtSbilber rcirb unter Dontanig’S untüchtiger Seitung 
fortgeführt. 


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144 


3ofepb 9teuroirtb. 


$ie ©enoffenfcbaftbilbenber Äünftler Söien« nahm in einer 
lebhaftes Bebauern au«fprecbenben fRefolution Stellung gu bem Pefcbluffe be« SBiener 
©emeinberatbe«, einen SBettberoerb für beu Umbau mehrerer Häufer in ber 5Raria» 
bilferftra&e aü«gufcbreiben, bei meinem roeber eine Prämiierung noch eine Honorierung 
ber oon einer 3urp al« befte begegneten Arbeiten ftattfinben foüte. @« barf nkbt 
SBunber nehmen. baf« bie genannte ©enoffenfebaft ber ©rroartung Au«brud gab, 
fein flRitglieb roerbe im Jpinblidte auf bie PSabrung ber ©tanbe«ebre ficb an biefem 
Pkttbemerbe betbeiligen. Qebe roürbige Petonung be« ftünftlerrecbte« barf auch in ben 
Greifen be« funftinterreffierten Publicum« auf 3uftimmung rechnen, bie rubiger 
3urüdmeifung oertürgenber Ungebürücbfeiten nicht fehlen roirb. Auch bie ftunft gebt 
nach Prot, unb jeber Arbeiter ift feinet Sohne« roert. 

©>er Peginn be« neuen 3abrbunbert« bat in ba« ^unftleben ber SReftbeng ein 
neue« ©lement eingefcbaltet, inbem eine innigere giiblung ber funftintereffierten Streife 
mit ber Archäologie oerfuebt mürbe. £)er ©tubienbetrieb berfelben bat bureb 
Pennborf’« raftlofe Pemübungen an aßen beutfeböfterreiebifeben Unioerfttäten ficb 
aufeerorbentlicb gehoben. $)ie auf Anregung be« früheren Unterricbt«minifter« Paron 
©autfeb in Angriff genommenen ©rabungen in ©pbefo« lieferten bereit« febr fcbäfcen«- 
merte ©rgebniffe, oon benen im reftaurierten ^b^f e a § tempel eine Au«roabl gur Au« 
ftetlung gelangte. 2>a« Hauptftüd berfelben mar bie au« 234 ©tüden oom Pilbbauer 
©türm jun. oorgüglicb mieber gufammengefefcte Prongeftatue eine« Athleten, ber mit 
einem ©djabeifen oon feiner linfen Hanbrourgel ba« Öl abguftreifen ftd) anfdjidt. 
Unter ben 32 auSgefiellten Objecten feffelten aufjerbem ein Herme«fopf polpfletifcben 
©tile«, ein 3rlöte blafenber ©atpr, ^rragmente eine« ebebem bemalten ©rotenfriefe« 
oom $beater au« ber 3«it Domitian’«. iRicbt minber gelangte burch ben Pericbt, 
roelcher in ber 3ab re 3oerfammIung ber ßRitglieber be« arcbäologifchen 3nftitute« über 
bie fReifen ber lefcteren, über Publicationen, 3funbe unb ©rabungen erftattet mürbe, 
eingebenbe Aufllärung über gielbemuf«t geleitete roiffenfcbaftlicbe unb zugleich funft* 
gefcbicbtlid) intereffante Unternehmungen gur ftenntni« meiterer Greife. 3a e« regte 
ftcb in ber Peoölferung felbft ba« Pevlangen,' bie in PMen bei ©rbau«bebungeu 
gutage geförberten römifeben Altertbiimer in einer befonberen ©ammlung gu oer¬ 
einigen. $er Anfang bagu ift bereit« gemacht. $er PHener ©emeinberatb beftellte 
eine arebäologifebe ©ommiffion, rcelcbe befcblof«, ein Museum Vindobonense 
gu grünben. für beffen Unterbringung oorläufig gmei ©äle ber ©cbuleinberfRainer* 
gaffe gur Perfügung geftellt mürben. P$irb biefe böcbft biöigen«roerte Action fad)- 
gemäfe au«geftaltet unb bie Peoölferung gut 3umenbung aller in ihren SRabmen 
fatlenben Objecte angeleitet, fo roirb e« geroif« gelingen, bie in ben lebten ftabrgebnten 
gemalten 3runbe au« ber Pergangenbeit PMen« gur fRömergeit gu einer in ficb gang 
gefcbloffenen Au«fteHung gu oereinigen. $ie ber Unternehmung bereit« gemalten 
SBibmungen begeugen in erfreulicher P$eife, baf« e« an roerftbätiger Unterftüfcung 
bureb bie Peoölferung nicht fehlt, ©iner ähnlichen Unternehmung, bem halb gur 
[Refibengftabt gerechneten ÜRufeum in ©arnuntum, für beffen Pau bie Arcbiteftcn 
Prof. Obmann unb Äirftein bie Pläne au«gearbeitet haben, mibmete bie ©tabt Söien 
eine Paufuboention. 

©ine anbere, auf breitere PHrfung berechnete Äunftangelegenbeit bat ©erbarb 
Otomberg in feiner Profchüre „Polf«funft" mit feinen Porfcblägen gur ©rriebtung 
einer PSiener $un ft balle angeregt, auf beren ©ingelbeiten bist nicht näher ein¬ 
gegangen roerben fann, obgmar fte manch ©ute« unb Pebergigen«roerte« enthalten, 


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ABiener Kunftleben (Qänner bis Quli 1901). 


145 


währenb anbereS birect jur Ablehnung ober jum ABiberfpruche herauSforbert $)ie 
„ambulante ©emälbegallerie beS beutfdjen Vereines jur Ser- 
breitung oon Kunfifinn", welche ber SBanberlefjrer Müller im Beater an ber 
Söien oorführte, barf gemifS auch als ein Mittel jur Selebung beS KunftintereffeS 
in weiteren SeoölferungSf dachten oerjeichnet werben. 55>ie ABibmung ©r. Majeftät 
beS KaiferS für bie Errichtung einer mobernen ©alerie in Srag unb bie ©chenfung 
ber beiben oben genannten Klingerbilber für eine ähnliche SBiener ©ammlung haben 
eine lebhaftere Erörterung über bie Wothmenbigfeit ber balbigen Errichtung berfelben 
neuerlich angeregt. 

$)er Umfafc auf bem Söiener Kunftmarfte mar, wie bie Anläufe in ben ein¬ 
zelnen Ausheilungen mahrnehmen ließen, nicht unbeträchtlich, wenn auch bie Kaufluft 
an bie Menge beS ©ebotenen feineSwegS heranreichte. Unter ben Audionen brachte 
ber ©alon „Sene$ia" eine größere ©emälbejahl; E. §irfchler leitete bie Serfteigerung 
beS WachlaffeS beS SBalbmüller-©chülerS Johann Sapt. ©öftl, in meinem fid) 
befonberS Miniaturen unb Aquarellcopien fanben. $nt oberen ©aale ber ©artenbau* 
©efeflfcbaft gelangten fclgemälbe hetoorragenber Meifter, barunter jmei ABerfe oon 

©chinbler unb „$er Afcherinittmoch" oon 3- Salat, nebft anberen Kunftobjecten 
§ur Serfteigerung. ©. Kenbe übernahm jene ber an Aquarellen unb ^anbjeichnungen 
reichen ©ammlung beS oevftorbenen SrofefforS ber technifchen §ocbhhule in ABien, 
3)r. $. Sohl, unb ber ©ammlung beS penfionierten ftäbtifdjen Oberbeamten E. ©eiS f 
in welcher nächft ben eben genannten jwei Kategorien auch Kupferftiche, Lithographien, 
hiftorifche Slätter unb ABiener ©eenen oertreten mären. £)er mit einem Sormorte 
aus ber 3feber beS 3)r. M. o. ABurabadj auSgeftattete Katalog ber ©ammlung 4ßohl 
roieS Slätter oon Wubolf, S^anz unb Qafob Alt, A. Achenbach, $anhaufer, $h- @nber, 

Süger, % 3fenbi, ©auermann, Kriehuber u. A. auf. Eine anbere burch 
©. Kenbe oeranftaltete Auction erregte im publicum noch größeres ^ntereffe, ba fie 
außer mehreren Porträts oon Sr* ©tuet, ber „Wofenfönigin" oon ©abr. May, bem 
Silbniffe ber ©aharet oon Lenbach unb ABerfen oon Defregger, Sautier unb Koppap 
noch Söcflin’S „3)rpnben" unb ABalbmüller’S „Sabenbe Mäbchen" umfafSte. 

3n baS SortragSprogramm ber ABiener $amen*Atabemie mar 
nebft anberen ein Sortrag über »Renovation de la Toilette de la Femmec einge* 
ftellt, ber fchon im Vorhinein burch bie Serfönlichteit beS Sortragenben, beS belgifchen 
MeifterS §enri oan be Selbe, große AnjiehungSfraft gewann. 3)aS $hema 
actuell, ber Sortragenöe ein Rührer auf ben Sfaben mobernen S)ecorationSftileS unb 
burch Setheiligung an ABiener Ausheilungen bereits roohlbetannt, ber ABiener Soben 
mit feiner lebenS« unb farbenfrohen Kleiberpracht befonberS empfänglich für 
Erörterungen über bie Reform ber 3rauenfleibung, baS gerabe auSlänbifchen Sor* 
tragenben gegenüber als ABtUfommengruß beliebte führen ber Weclametrommel felbft 
in fehr angefehenen SageSblättern, — bicS alles hatte bie Erwartung auf bie Offen¬ 
barungen beS neuen Kleiberpropheten außerorbentlich gefteigert. Kein ABunber, bafS 
eine grünbliche Enttäufdjung nicht auSblieb! ©ie mufSte ftch einftellen, wenn ber 
Sortragenbe, ber feine formen burchauS auS logifchen ©efefcen ableitet unb jeben 
überflüffigen ©chmud ablehnt, feinem fiinftleriichen ©laubenSbefenntniffe treu blieb 
unb nur oom 3mecfüollen al$ ber maßgebenben äfthetifchen Worm auSgieng. Logif 
unb ftrauenmobe, in welcher bie Laune, baS Abroeichenbe unb Auffällige eine fo 
heroorragenbe Wolle fpielen unb mit taufeitb tleinen Einfällen feitab oom Alltäglichen 
bie gefäüigften ABirtungen erjielen laffen, finb wohl fehler unter einen £>ut ju 

Dir ftultur. III. 3a*rfl. 2. $c?t. (1901.) 10 


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146 


Qofeph Seuwirth. 


bringen. ÜJton fann oom Serjicht auf überflüfftge 3icrbetailS r non Anpaffungen an 
Qnbioibualität unb Gelegenheit in Schnitt, Qarbe unb Decoration leicht unb fehr 
fchön reben, möglicherweife im Augenblide fogar einzelne für feine Anfcpauung 
gewinnen. Aber fchliefclich noch oerlangen, bafs bie bauten gerabe bei SJeftlichfeiten 
auf ben fonft geforberten QnbioibualiSmuS ihrer Reibung oerjicpten, für folche 
tHntäffe pep einem UniformSswange unterwerfen unb gleich ben Scannern ben — 
5racf tragen follen, p^fet bocp, bem Unmöglichen bie ßrone auffefcen. ©3 läfSt ftch 
faurn ernftlich annehmen, bafs San be Selbe felbft an irgenb eine umfaffenbere 
Durchführung feiner Sorfchläge gloubt. fyür SMen fntb fte bem Samen oergleichbar, 
ber auf felfigen Grunb unb ^wippen bie Dornen fiel. Stan patte oon einem ber 
befannteften Sannerträger ber ÜJtoberne, bie mit bem Alten grünblich aufauräumen 
ftch anfepidt, etwas anberes erwartet als einen allen bisherigen Srauch weit hinter 
fleh laffenben GonferoierungSoorfcplag für ba$ päfslichfte unb lächerlichfte ßleibungS* 
ftüd ber OJtänner, gegen welches fchon genug geeifert würbe. Sielleicht liegt nun 
barin Stetpobe, bafs ein Stoberner für bie '-Beibehaltung beS fonft angegriffenen 
Alten nicht nur eintritt, fonbern ihm fogar ein neues Gebiet erobern will. Qn fehr 
fcharfer unb geifitreicher Steife fefcte Dr. §mgo Ganj ftch in einem Sortrage über 
„bie ÜJtobemitätSmobe", welchen er am 18. April im Ateffenftpaftlicpen Glub hielt, 
mit ben oerfchicbenen fragen ber Stoberne auSeinanber. SteS er über ben Urfprung 
be$ überfpannten Genialität^* unb SerfönlicpteitSbegriffeS, über bie mannigfachen 
Äußerungen ber GenialitätSwiUlür oorbringt, werben gar manche juftimmenb - gut* 
heißen, felbft wenn fte mit Gan$ in bem Garbinalfafce nicht übereinftimmen, bafs 
bie ÜJtoberne weber neu noch fortfcprittlich, fonbern aufgewärmt unb reactionär fei. 
So treffftcher ift nur feiten mit ber ÜJtoberne abgerechnet worben. DajS aber, wie 
Ganj am Schluffe behauptet, bie StobernitätSmobe halb oorübergehen werbe unb 
ber Anfang oom Gnbe fepon gefommen fei, erfcheint immerhin noch reept zweifelhaft. 

DeS Dichters Stert oom Grnße beS SebenS unb ber Weiterleit ber ftunft 
bemühten ftch bie SBiener Äiinftler unb $unftjünger burch ihre GarneoalSoeran* 
ftaltungen jur Steifheit ju machen. Großer Sethetligung erfreute fich baS GarneoalS- 
feft ber Steener ftünftlergenoffenfcpaft am 18. Februar unter ber Deoife „GS ift 
erreicht". Gute fchier mterfchöppicpe 3üUe pöcpft origineller Gebartfen illufirierte auf 
bie mannigfacpfte Steife bie Sermirflidjung alles beffen, was bem SJenfcpengeifte noch 
als fiipnev Draurn oorfchmebt unb erft oon fommenben Gefchlechtern in bie $pat 
umgefeßt werben foü. Qm Gewanbe ber ftunft fuchten Wurnor unb Gefcpmad baS 
UnterbaltungSbebürfniS ju befriebigen, ob eS nun fatirifeper Abrechnung mit AuS* 
fchreitungen ber Seceffton, ber Gemälbefammlung ber „Alten Stell", ber Suftfcpiff* 
fahrt ober ben ÜJlarSbewohneru galt. Sehr japlreicp war auch ber Sejuch beS 
reijenben GoftiimfefteS ber S^ener 5tun[tgewerbe[d)ule, beffen Gin$elpeiten ben „$unft* 
früpling" aller ftunftepochen oeranfcpaultchen wollten; ein netter Gebanfe, bafs gerabe 
bie ber Seceffton nabeftebenbe jüngere Generation ftch tn ben Dienft ber ^rüpltngS* 
fcpönpeit fteUte, ber pier mit jenem ber ftunft ftch bis *u einem gewiffen Grabe 
ibentipeierte. Gerabe biefe Seranpaltungen, bie auch Sulefdpäge beS Shener ftunft* 
lebenS waren, befunbeten oiel Talent für bie Weroortauberung fein geftimmter GefellfchaftS- 
freunbe in ben Ännftlerfreifen, au ber auch anbere gern unb banfbar theilnahmen 

Gnbltch fei auch noch einiger peroorvagenber Äiinftler gebaut, bie ber Dob 
abberufen. Am 10. Qänitcr ftarb ber penftonierte Srofeffor ber Acabemie ber bilbenben 
fünfte, fötrl Sabnißfp, ein Steiper ber Stebailleurfunft, oon beffen oielgeübter Wanb 


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i*aurena ftieSgen. $er SBintcr. 


147 


eine grofee Stenge gefchäfcter unb fiinftlerifch ooüenbeter $>enfmünjen unb Gelegenheit^ 
mebaiden ftammt. $rei Sage [pater oerjehieb ber §iftorienmaler Jofef <ßlanf, ein 
GorneliuSfchüler, ber in ber 9luffaffung ber 9k*arener arbeitete. $)er SBilberfchmucf 
ber ©enebictinerftiftSfirche Jiecht in Sirol barf roohl als eme feiner ftauptfehöpfungen 
betrachtet merben; in dflilitärfreifen mar *JManf als *ßortratift nicht unbeliebt. 

ÜJtit ungeraöbnlicb lebenbigent unb breitem Strome flutete bie Shmftberoegung 
<iuf bem Wiener 33oben über bie Schmede be$ neuen JahrfjunbertS, oon bem mir 
erroarten rooüen, bafö in feinem Verlaufe unter künftigen $erhältniffen jur ©litte 
gelange, roaS jefct fo mannigfach unb hoffnungSooU anfefet. S)ie erfte Jahreshälfte 
ift mahrlich feine fd)Ied)te 9lnroeifung an bie 3«funft. 

3m* 


Der Ulinter. 

Von t au rein ßiedpen. 

S on bem grauen fjimmcl nieber 
^ fällt ber flotfenflaum. 

Stiü. Pie (Erbe träumt rom flieber 
heimlich ihren (Eraum. 


(Einer von ber Bettlergilbe 
Strccft bie gmeige meit 
Port ber Baum unb fleht um lllilbc 
Hub Barntberjigfeit. 

Bitteub hebt er feine 2 Jrmc. 

Pod? mit ftobttgefebrei 

o>iebt, gebräugt 311 fchmai^em Schmarme, 

Krähenrolf rorbei. 


Pas fiub Boten, bie bem alten 
fterrfeber jiebn roran, 

Per tu Kueittfchaft nur mag halten 
2Das ihm unterthau; 

finftern 2luges 30g er näher 
Don bem Sdjlofs im Borb. 

Both unb (Eleub feine Späher, 

Sein Dafall — ber IHorb. 

Sieh, bort fei^reitet er oont Ejartge. — 
2Jnf bett Rippen fluch, 

Schleppt er hinter fid? bas lange 
IPeijje feicheittucb. 




10 * 


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(Uie id) Did)ter wurde, 

^ugenberinnmmgen mm Ifang (Efifjelbadi. 

icf)ter! — $aS mar ein Sßort, baS ftang mir mie ©ngelSgefang in 
ber ©feie, feitbem id) ahnte, maS eS ^ei§t, ein dichter $u fein. Unb 
ich ahnte eS fdjon fel)r frühe! 

3n meinem £erjen mogte öon jeher etmaS, baS mochte mich glüdlicb 
unb elenb ju gleicher 3eit, baS rang nach Befreiung, baS burchflutete mein 
ganjeS ©ein unb fanb ben SSeg nod) nid)t, mie eS fid) offenbaren füllte. ©S 
maren Sieber ohne SBorte, bie Hangen mir jehon in ber Seele, als id) noch 
ein ffnabe öon fünf 3 ^ren mar. $ann backte id) an meine tobte ©roß* 
mutter, bie id) nie getannt, oon ber baljeim aber üiel erzählt mürbe, bann 
öerglid) ich mich mit ben anbern Sinbern, bie alle noch eine ®roßmutter 
Ratten, unb bann fam id) mir fe()r unglüd(id) oor. Unb meil ich meinem 
©efühle feinen anbern SluSbrud öerleifjen fonnte, nahm id) ben großen 
©aarfamm, fchlug ihn in ©eibenpapier unb blieS auf biefem munberlid)en 
SRufifinftrumente bie abfonberlid)ftcn 9JieIobicn, bis mir bie 2 f)ränen aus 
ben 2 lugen fprangen. 

3n ber Schule lernte ich alle ®ebid)te auSmenbig, bie baS Sefebuch 
mir bot, unb merfmiirbigermeife brauste id) fie nur brei* bis uiermal $u 
lefen, um fie aus bem ®ebäd)tniffe bcgeiftert ^erfagen $u fönnen. 3 efct lernte 
ic^ auch bie erften < Did)ternamen fenneit: ©filier unb ©oetlje, Ul)lanb unb 
©eibel, Sen au, ©idjenbovff unb grei(igratf). Slnbere Sinter fannte ich nicht, 
unb id) glaubte auch, eS feien bie einzigen dichter ber SBelt. 

«uf ben ftolaen ©ebanfen, felbft $id)ter ju merben, fam id) natürlich 
einftmeilen nod) nic^t; aber immer brängte eS mich, etmaS Ungeheuerliches 
ju benfen ober 511 tl)un, unb ba ich gar nichts kühneres mufste, marf ich 
Saternen ein. 3ch befam bie öerbienten Prügel unb beffeite mich, baS heißt, 
ich toarf feine Saternen mehr ein; aber ich tooHte Suloer erfinben, gauj 
neues unb beffereS Buloer, unb ba baS nicht glücfte, fletterte ich öuf bie 
höchflen Säume, fefcte mich auf einen abftehenben 8 lft unb turnte folange 
baran herum, bis eS mir gelang, in ben finien hängenb mit loSgelaffenen 



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SBie td) dichter rourbe. 


149 


£änben jmifchen £mnmel unb Erbe beit $opf nach unten baumeln $u taffen. 
25ag mar etmag Ungeheuerlidjeg, menigfteng malten eg mir bie anbern nid)t 
nach; aber eg befriebigte mich hoch nicht. Sltteg, mag ich unternahm, ftittte 
meinen Kjatenburft überhaupt nicht, felbft bag Schmimmen nicht, unb ich 
fchmamm bodj mie fein 3 ttw*er! 

SRanchmal manbelte mich auch bie 2uft an, meinen ffameraben eine 
mohlgefefcte Sßrebigt gu Ratten; bag märe hoch etmag: aber ich fchämte mich 
immer, ©inmal fafgte ich mir im ,,©fergraben" ein ©erj, ftieg auf eine ber 
bafetbft auggefchirrt ftehenben Starren uttb erflärte uon bort aug, jefot motte 
ich einmal eine ^ßrebigt galten. 25a aber gerabe eine manbernbe SRufifbanbe 
oorüberjog unb meine ©enoffen hinter ihr breinliefen, muffte ich megen 
9J?angel an 3u^örern meine 5J5rebigt aufgeben, nodj ehe ich fie begonnen hatte. 

Slm liebften fang ich; ber ©efang mar immer nodj ber befte Slugbrucf 
meiner Stimmung. Dft badjte ich mir aber etmag ganj anbereg babei; ich 
fonnte eg nur nicht fagen; be^alb pfiff ich eg. 3$ pfiff fiuitbenlang. 2>ie 
Seute fchüttelten ben ®opf über mich unb meinten, ich f)ätte SDtotten im 
$opf; e§ maren aber nur Sieber. Slugbrüden, mag mich bemegte, fonnte ich 
ja hoch nicht. 3<h mürbe immer fonberbarer, unb menn bie anbern Sungen 
Saftnacht ben ÜJtagfen nadjliefen, gierig ich allein in bie öerfchneiten Serge. 
3n lautem Särm unb bei bem Klange einer 25ref)orgel füllte ich mich 
immer unglüdlich; bann gieng ich in ben SBalb, unb eg mürbe beffer. 3<h 
ahmte bie Sogelftimmen nad): aber bag mar auch nicht bag Steckte, ©g faß 
mir in allen ©liebem mie eine Stranfljeit. ©nblid) fieng ich an, bie Sieber, 
bie ich fang, $u oeränbern: aber menn ich fie oeränbert hatte, fonnte ich fie 
nicht mehr fingen. $er 9t^ptf)mug mar eben oon mir oeränbert ober gar 
nicht berürffidjtigt morben. fah ein, bafg ich feine ßieber machen fönne, 
rein gar feine, unb bag mar bitter. Stuf bem Speicher baheim malte ich 
mit SBafferfarben üom 3ah*marfte grofce Snbianermorbgefchichten unb buchte 
mir allerlei munberlicheg 3eug babei, bag moüte ich bid)ten, unb meine 
fleine Schmefter SIgneg, bie ein halber Sunge mar unb atteg that, mag ich 
moflte, fottte eg fingen. Stber ich fonnte eg nicht bitten, ich fonnte eg nur 
benfen; menn ich e $ nieberfchreiben moflte, mar eg gar nichtg. ®ie 3Jlorb= 
gefehlten hangen üerftaubt auf unferm Speicher, bie SIgneg fang fie nicht 
unb ich immer noch fein dichter. 

S)a faufte ich mix aug meiner Sparbiichfe jmei £efte unb einen langen 
Sleiftift unb gieng bamit in ben SBalb. Sin ber entlegenften Stelle lag ich 
ftunbenlang auf bem SJtüden unb ftarrte burch bie minbbemegten Slätter in 
ben tiefblauen Fimmel hinein; hoch bie £>efte blieben leer. 


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150 


§anS @fd>elbad}. 


©nbli4 fefote id) mi4 z u £>aufe auf bcn Speicher dor bic alte £obel- 
banf, bie bort ftanb, unb färieb oben in baS erfte $eft mit fteifgemalten 
8u4ftaben „Der 9Balb\ 0bf4on ich immer fehr fc^Iec^t f4reiben unb 
zeuhnen fonnte, jeidjnete i 6) bo4 recfjtö unb linfS neben bie Überfdjrift 
SRaiblumen unb flebte einige paffenbe Slbziehbitber baju; benn mein SBerf 
follte gefd^müeft merben, mie fein anbereS. Unb bann febrieb id). ®S mar 
£jo4fommer, unb unter ben Dachziegeln ^crrfc^te eine graufame |>if}e; aber 
ich gieng immer mieber bahin, mo jmei eingefefcte ®laSzieget mir Sicht 
fpenbeten, unb enblidj maren beibe £efte doll. ©S maren dermorrene 
©ebilberungen beS S33albe^ in ©rofa, unb ich foä fie meiner äUeften ©4mefter 
dor. ©ie h^te mir mit ©ngelSgebulb ju unb ermunterte mich, mich noch 
mehr im „Sluffafc" ju üben. Sich ©ott, im Sluffafc! Unb eS follien hoch 
©ebiebte fein! Slber bei ©ebichten mar baS Rapier nur in ber 9Ritte bebrudt, 
unb bann rnaren immer regelmäßige Stbfäfce ba; ba ftedte eS alfo! ©onSReim 
unb SRhpthmuS ^atte ich no4 immer feine Stfjnung, unb niemanb mar ba, 
ber mich unterrichtet hätte. 34 mürbe auch nicht gemagt h<4en, jemanben 
banach ju fragen. 3BaS mufsten bie dom Dichten! DaS mar ja mie ein 
SBunber, unb SBunber brauchte man nur zu glauben, ohne fie ju derftehen. 

34 mar mittlermeiten oierjehn 3oh*e alt gemorben, auS ber elementar* 
f4ule entlaffen unb follte nun Sehrer merben. Da trat ein großes ©reigniS 
in mein Beben, baS ma4te mi4 jum Di4ter; baS mar mie ein plößlühtö 
Dhaumetter, mel4eS baS ©iS fprengt unb baS ftrömenbe, na4 ©efreiung 
brängenbe Element in jügellofer Freiheit einherbraufen läfSt. 

34 mar nie über Sonn unb feine Umgebung hinauSgefommen, hö4f* en * 
na4 S?öln, aber baS mar ni4tS meiter als eine große, frembe ©tabt, bie mi4 
fatt ließ. Sluch mit meinem bort mohnenben Dnfel derbanben mi4 feine befonberen 
^perjenSneigungen. 9J?it heimli4em ©4reden faß er meine feltenen @efu4e, 
befonberS feitbem i4 in feinem ©ef4äfte ben Strähnen umgebreht hotte unb 
baS ©pirituSfäfS4en faft ganz ausgelaufen mar. 34 fonnte eS nic^t mehr 
jnbrehen unb mar in meiner ©emiffeuSnoth fortgelaufen, ohne £>itfe tyxfoei* 
Zuholen, unb baS dergaß er mir nie! 

3ef}t aber follte i4 mit meinem ©ater zu beffen ©ruber fahren, meit 
hinauf na4 ber Sorelep! 34 fang ben ganzen Dag baS Sieb don ber 
Sorelep, unb als mir nun auf bem @4iffe faßen, als bie Sahne unb 
Dampfer an uns dorüberzogen, als glüffe, ©erge unb ©urgen dorüberglitten, 
ba fühlte i4 mi4 mie in einem 3)?är4enlanbe. Unb bann erft baS alte 
3e4*nhauS oben an ber Sorelep, bie Seifen unb SBälber, bie Biegen unb 
Srunnen unb bie treuherzigen 2Renf4en! SUI baS hinterließ einen gemaltigen 
©inbrud in meiner Seele, unb als i4 nun mieber baßeim faß, ba fd^rtcb 


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SBie iefe SDic^ter rourbe. 


151 


id) ein epoSäfenliefeeS ©ebiefet „3n ben Sergen", tuetc^e^ brei gan$e §efte 
füllte. SReirn unb SRfefetfemuS fehlten aÜerbingS auefe feier noefe; aber eS lag, 
ein gemiffer lonfaß in bem ©anjen, als ob eS nadj antifer SRetrif gebaut 
märe. $oefe baS mar noefe niefet baS SBidjtigfte; bic ööUig neuen ©inbrüde, 
bie id) in miefe aufgeuommen, brängten naefe neuer ©eftaltung. ©ineS 
SbenbS gieng iefe an'S SRfeeinufer, fefete miefe im $)unfeln auf einen SBeiben* 
ftumpf unb überliefe miefe bem £>eimmefe naefe jenen enfepidenben Orten, mo 
mein Sater feine erfte Sinbfeeit üertebt, unb bie mir fefeon aus feinen 
©rjäfelungen oertraut unb liebgemorben maren. ©rft füllte iefe in ungemiffen 
©efenfuefetSempfinbungen, bie ©mpfinbungen mürben flarer, bann fang id) fie 
ofene SBorte, bann fpraefe iefe bie SBorte im SRaufcfee ber Segeifterung 
ftammelnb öor miefe fein, fpraefe fie mieber unb mieber; ber SReim, ben iefe 
früfeer nur feier unb ba angemanbt featte, Rang mit aUer Seftimmtfeeit 
feinburefe, bie SBorte feüpften auf unb nieber mie ein ©efeifflein auf SSetten 
unb biefe gleicfemäfeige feüpfenbe Semegung maefete mir ungemeines Sefeagen: 
fo etmaS gieng auefe auf unb nieber in ben ©ebiefeten oon ©efeiüer unb 
©oetfee, unb iefe beclamierte unb trommelte ben 2act baju auf meinen 
finien: leiefeMeiefet, fefemer; teicfeMeiefet, fefemer; leidjMeicfet, fefemer; leiefet* 
leiefet, fefemer. Unb bann fprang iefe auf in grofeer ©rregung unb atfemete 
tief: id) mar bem ©efeeimnis auf ber ©pur, iefe featte ben 2act gefunben, 
featte bie Uranfänge ber ©efefce oon Steint unb StfeptfemuS entbedt! ©ntbedt, 
riefetig entbedt: benn bis jefct featte mir fein SRenfd) baoon gefproefeen 
Unb bann fafe iefe mieber ba unb beclamierte unb trommelte: 

3n bie Serge, in bie Serge, 

2luf bie Seifen unb £>öfe'it . . . 

Unb alä iefe naefe £aufe gieng, featte iefe mein erfteS ©ebiefet fertig. 
3cfe featte eS meinem ©ebäcfetniffe eingeprägt unb unter ber erften Straften* 
latente gleiefe niebergefeferieben. $)ie ©tropfeenglieberung fefelte jmar noefe; 
aber Steint unb StfeptfemuS maren entbedt, unb nun gieng'S meiter in jügef* 
lofer, unerfefeöpfliefeer ©efeaffenSluft, unb mein oäterliefeer Sreunb, ber Beferer 
©efemift, ben iefe in'S ©efeeimnis gezogen, rietfe mir, boefe jefct niefet fo Diel 
flu fefereiben, fonbern ju märten, bis iefe reifer gemorben, meil iefe fonft 
ipäter feinen ©toff mefer fänbe, ben iefe niefet fefeon bearbeitet. Sber iefe 
laefete in feellem Übermutfe unb erftärte ifem, menn iefe nur ©apier genug 
feätte, mollte iefe fefereiben ofene Staft, immerfort, immerfort; benn in meiner 
Seele bränge eS fiefe öor lauter Siebern. Unb mirfliefe mar eS mir, als 
muffe mein $>er$ fpringen oon all ben Siebern, bie barin feimten, als müffe 
iefe fie feinauSfingen in alle SBelt. Sorerft feielt iefe biefe Sieber noefe gefeeim, 
benn mer ©ebiefete maefete, mar oerrüdt, baS ftanb nun einmal feft. SIS 


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152 


£>ang (Sfdjelbad). 


aber ber ftriebhof in Sonn eingemeiht mürbe, fdjmiebpte ich jmei ©ebichte 
auf ben alten unb auf ben neuen Sriebhof unb fdjicfte fie bem SRebacteur 
ber „Seutfchen SReic^^eitung" ein. giebernb ertoartete ich bie nächfte 
Stummer, unb alg ich mich oerftohten 511 m zehntenmat an'g ©chaufenfter ber 
„SRei^eitung" fchlich, um ju fehen, ob an ©teile ber alten Stummer 
immer noch nicht bie neue hänge, ba ftoefte mein $erj in freubigem ©djrecf, 
benn meine beiben ©ebichte prangten bafelbft untereinanber, unb unter beiben 
ftanb fettgebrueft mein ganzer Stame. Sch lief burdj bie ©tragen unb fab 
bie SRenfcben nicht, icb fab immer nur bag 3eitunggblatt üor Singen. 3ch 
tuar gtiicflicb, mie nicht z« fagen, jefct mar ber Anfang gemacht, jefct mufften 
äße SRenjchen, bafg ich dichter fei, jept lachte mir eine fonnige, glüefliebe 
3ufunft! Sch munberte mich nur barüber, bafg bie SRenfchen fo mie an 
aßen Sagen an'mir oorübergieitgen, alg ahnten fie gar nichts oon bem 
Unerhörten, mag gefcheben. 

Sag Sefte martete jeboch noch auf mich- 2Ug ich in ben Sräparanben* 
Unterricht tarn, fafj ber ©chulinfpector fchon ba, ber mich immer bureb 

feine golbene Srifle anfah, bie klugen jufniff unb hin unb mieber eine 

S*ife ©chnupftabat nahm. @r fragte mich auffaßenb oft, unb alg mir nun 
nach $aufe gehen foflten, ^iclt er mich 5 urücf unb fragte mich oormurfgüofl, 
mie ich bazu fäme, ©ebichte zu machen unb bruefen ju taffen; ich faßte mich 
lieber mit nüplichen Singen beschäftigen. Sich ©ott, mag hotte ber SRann 
ein fchlechteg Serftänbnig für Soefie! Sch bemitleibete ihn oon ganzem 
©erzen unb bachte, er rebete fo ju mir aug reinem Srotneib. 3<b uerfprad) 
ihm, meiter feine ©ebichte mit meinem Starnen $tt oeröffentlichen; aber jept 
erfchienen fie in tanger ^Reihenfolge im ©onntaggbtatt ber „SReichgjeitung", 
mit ben Slnfanggbuchftaben meineg Stameng unterzeichnet. 

©. 6 . — fo mürbe ich bon meinen ©enoffen fortan genannt — 

fieng an, im SBeichbilbe feiner Saterftabt befannt zu merben. Unter ung 

gefagt, man hielt mich für ^alb oerrüeft; bie Smparanbentebrer liefen eg 
auch nic^t an ©pott fehlen, obfehon ich toufgte, bafg ber jüngere oon ihnen 
felbft bestich fchlechte ©etegenbeitggebichte machte. 

Sch trug mich aßen ©rnfteg mit bem ©ebanfen — ich mx noch nicht 
15 3ab re olt —, mein „Srotftubium" an ben Stagel z u hängen: tuenn 
ich dichter mürbe, brauchte ich fa nicht Sehrer zu merben. SRein ehemaliger 
guter Sehrer ©chmip überzeugte mich ober ©egentheit; oon ber $unft 
afleiu fönne man nicht leben, man müffe auch olg Soet einen Seruf hoben, 
ber einen ernähre, fouft oerhungere man. ©elbft Sautug fei nicht nur 
ber begeifterte Slpoftet, fonbern auch Seppichmirfer gemefen. ©r zeigte mir 
bann bie ibealen ©eiten beg Sehrerftanbeg. Sch hörte aufmerffamer ju, 


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2Bte id) Siebter rourbe. 


153 


al$ er tiieQeid^t abnte. Einige läge fpäter überragte id) ibn mit einem 
Oebidjte, bad iljm geigen füllte, mie icb ibn nerftanben: 

Odas? 

„3fdj »in Sdjulmeifter roerben!" 

^cflaloja*- 

©oll id) nun ein ^rörfter roerben, 
bem Söalbreoier ju jagen, 

Ober fofl im Süenft be$ Königs 
3 $ ©eroebr unb ©übel tragen? 

Ober foH icb Sieber bidjten, 

$>ie mir ftill im <per$en gliiben, 

©eifteSfunfen, roie ftc mandjmal 
2 luS ber 2Jtenfd)enfeele fprüben? 

©oH i<b fü^n baS ÜJleer befahren, 

3icb’n nach fremben, roilben Sanben? 

9tein, id) bleibe; benn eS ^ält mich 
§ier mit taufenb, taufenb tauben. 

9$ roiU nid)t nur 33rot uerbienen, 

3öiö auch meinen 2öeg erhellen, 

9BilI al§ treuer Wiener freubig 
^n ber ÜJlenfcbbeit 5Dienft mich ftellen. 

Eines fönnte mich beglüden 
Qn bem bunflen ‘Xbal ber Erben, 
könnte icb ein pfliebtgetreuer, 

©d)lid)ter, rechter Sebrer roerben! 

könnte icb ein Sebrer roerben, 
dürfte golb’nen ©amen ftreuen, 

©ern unb opferfreubig rooUt’ ich 
SJlicb bem $ienft ber OJtenfcbbeit roeiben! 

ftinberfeelen ju beglüden, 

2 )ie im ©lanj ber Unfcbulb blühen! 

©dbönfteS ©lüd beS freien OJtanneS, 

©ine ©eele ju ergeben! 

©olb’ne, reine ©aaten fäen. 
ftür beS feimmelS grofee Ernte, 

©ott, roie rodr’ icb $ir fo banfbar 
3Benn icb jene ftunft erlernte! 

O, roie roollt’ icb fte beroacben, 

3fcne reinen Engelfeelen; 


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154 


£mn8 Efchelbach. 


9ln bem läge ber Vergeltung 
Sollte feine Seele fehlen! 

§err, lafö mich bies ©lücf empfinben, 

Sd)önfie3 ©lüd ber bunflen Erben: 

O, lafö mich ein pflichtgetreuer, 

Schlichter, rechter öehrer werben! 

$a8 ©ebicht gefiel ihm; aber baheim fonnte ich mit meinen Verfugen - 
nicht fo recht anfommen; man fah, baf^ ich burch bie Verfefdjmieberei bie 
$eit jum Semen üerfäumte ober höchftenS Sinnig^ Voetif ftubierte, unb man 
fuchte mir ba£ dichten ju üerleiben; aber e£ mar, als menn man in ein 
Steuer blieS. @8 mürbe nur noch fd£)limmer; ich fdjrieb öiete |>efte üoU, unb 
felbft ein umfangreiches, bichterifcf) fein fotlenbeS Sagebuch führte ich- eigentlich 
fchrieb ich vielleicht nur be£f)olb fo viel, meil ba£ ©efchriebene mich nicht 
befriebigte, meil ich 93effere8 leiften mollte. 

Slber eS fang etrnaS in meiner Seele, unb menn ich SRufif hörte ober 
ein ©ebicht taS, fang e£ lauter, unb ich muffte nicht, maS mir mar. ®af)eim 
mürbe nach bem ÜKittageffen meift öorgelefen, oft fühlte ich mich tief ergriffen 
oon bem ©ehörten, unb bann gieng in bie Sdjufe mie ein SGadjtmanbetnber. 

2tm liebften börte ich meinem öielbelefenen Vater $it, menn er öon 
Schiller erzählte, mie er auf ber Sarlsfdjule gemefen. Seclamierte aber mein 
Vater bei feftlidjen Slnläffen „2>e3 Sängers Sluch" ober ein anbereS ©e= 
bicht, bann fühlte ich mich in gehobener Stimmung. 

Stunbenlang fonnte ich oor ben ©uchläben ftehen unb anbächtigen 
JperflenS all bie fchönen 93üd)er anfehen. SBenn ich einen ®tel taS, ber mir 
befonberS gefiel, j. 93. „$eS £>eraenS ©olgatha", badete ich mochenlang an 
baS 93uch unb mar betrübt, menn es aus bem Schaufenfter perfdjmunben 
mar. 93or allem intereffierte mich in ber UnioerfitätSbuchhonblnng ber ferner 
ju tefenbe 9lame eines 9ttanneS, ber bie ftattliche Steihe aß ber 93ücher ge* 
fdhrieben hotte, bie ba im Schaufenfter tag unb mir gemaltig imponierte. 3$ 
roufSte, bafS eS ein ©ngtänber unb ein großer Sichter gemefen. 3<h fcheute 
mich, ben fremben ferneren tarnen laut auS$ufprechen, meil ich eS jebenfaßS 
oerfehrt machen mürbe; aber menn ich oflein mar unb bie ®ugen fchfofS, 
fah ich immer in ©olbbudjftaben baS eine SBort: Shafefpeare! 

©nblich ftanb eS unumftöfjlich bei mir feft, ich moßte fo viele 93itcher 
fchreiben mie biefer Shafefpeare, ich mollte ein dichter merben! ÜRein $u= 
fünftiger 93eruf mürbe mir immer flarer. 3ch holte einmal in einer £umore3fe 
gelefen, bie dichter fenne man an fraufem $aar unb an fchorf ju beiben 
Seiten ber Stirn oortretenben Erhöhungen, bie fpottmeife „Sichterhörner" 
genannt mürben. 38oh r hoftig, eS ftimmte! Traufe £mare unb Sichterhörner 


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$öie ich Sichter würbe. 


155 


hatte ich fchon! ©ineS SageS bat mich eine mir frembe SRalerin, mit ißr 
in bie Sifla beS SanbrathS bon Sanbt ju gehen, nw ich öon *> cn jungen 
Samen gejeichnet merben follte. Sie äRalerin fchenfte mir fünfzehn ©rofchen, 
unb ich muffte bafür im ©artenhaufe mehrere Stunben lang ftiH fifcen. 
Ser alte fianbrath fritifierte aulept bie Zeichnungen unb fagte einer Same, 
bafS ihr ©ilb $u fdjarf marfiert fei unb ju fehr an baS ©rofil englifcher 
‘Dichter erinnere, ©ott noch! 9Jfein ©eficht hotte alfo Ähnlichkeit ntit englißhen 
Sichtern! 3efot toar eS ausgemacht: Sichter merben um jeben ©reis! 
Slber mie? 

©S mar feiner, ber'S mich gelehrt hätte; hoch ich nerfchlang alle Sücher, 
beren ich hobhoft merben tonnte, gute unb Schlechte, Schillert Sramen unb 
3nbianergefchichten. Sie Snbianergefchichten öerftanb ich atn beften; aber bie 
inhaltlich nur halb üerftanbeneu ©ebidjte unb Sramen Scßiller'S ließen hoch 
in meiner Seele mehr Slang juriicf, als äße Snbianergefchichten jufammen; 
fogar Schiüer'S Sramenfragmente laS ich nnb munberte mich, hafs ich babon 
nidhtS berftanb, rein gar nichts! 

SiSher hatte ich ©chißer'S Schaufpiele nur gelefeit, mar im Sheoter noch 
nie gemefen unb bettelte fo lange, bis ich bie Erlaubnis hotte, hinein^ugehen. 
*uf bem Xheaterjettel ftanb baS fchrecfhaft frembe SJort Shofefpeare, man 
gab ben „Saufmann bon ©enebig". Sen ©inbrucf, ben ber erfte Sh^t ber 
OerichtSfcene auf mich mochte, tann ich nicht fchilbern. 3$ mar außer mir. 
Sach ber Sorfteüung gieng ich nicht nach $oufe, fonbent an baS Sheinufer, 
bahin, mo eS am bunfelften mar. Sie ©isfchoflen ächjten im Strom, fchneiben* 
ber, bitterfalter SBinb fuhr mir ins ©eficht, aber er fühlte mich nicht; alles 
brannte, alles glühte in mir. Sch mufste nicht mehr, maS ich thot, aber mit 
auSgebreiteten Firmen lief ich bem Sturm entgegen unb bann fchrie ich milb 
unb gellenb in baS Sunfel ber Stacht. Anfangs mären es unartifulierte 
Schreie, unb bann mar ich ber 3ube, ber Sache forberte, mie ber im Schau* 
ipiet. „SBernt ein Sube einen ©hriften beleibigt, maS forbert berShrift? ®r 
forbert Sache! — Unb menn ein ©hrift einen Silben beleibigt, maS forbert 
ber Sube? ®r forbert Sache. — Sache!" Sch fpielte bie gan$e Scene für 
mich mit bem milben ©athoS eines leibenfchaftlichen finabenherjeitS. Sch fchrie 
unb meinte, unb eS mar ein ©lücf, bafS fein 9Jtenf<h meit unb breit $u fehen 
mar; man mürbe mich für oerrücft erflärt unb eingefperrt hoben, ©erftört 
fam ich na <h &oufe. Sch hotte einen Sichter gehört, ich hotte bie Siunft, bie 
große ftunft fennen gelernt unb ich marf mein Sagebuch, meine (Schichte unb 
aDeS, maS ich gefcßrieben, in baS geuer. 

©ine bämonifche ©lut fraß mir am .fperjcn, Sag unb Sacht ließ es 
mir feine Suhe; ich mor tief uitglücflich. Äber bann fam ein milber Srofc 


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156 


ftans ©fcftelbacft 


in meine Seele. 3cft ftatte einen Dicftter gefeften, ber ein SRiefe mar, unb ieft 
modte eö aufneftmen mit biefem SRiefen auf Seben unb Dob. ©iö jefct ftatte 
ieft gefpielt; aber nun fam bie Kunft, bie Kunft, bie mir näcftft ©ott unb 
ber SReligion ba3 #eiligfte mar. Unb ieft fefcte mieft ftin unb feftrieb ein Drama. 

SRatürlieft müf£te e$ ein ftiftorifefteö Kraftftüef fein; e$ fpielte in ber 
franjöfifeften SReoolution, unb ade ligermenfcften ber bamaligen fotlten 
in bent Drama eine SRode fpielen. Ein beutfcfter Sbealift al$ Opfer ber 
SReoolution mar bie £>auptperfon be3 Dramas, baS ben oieloerfpreeftenben 
Xitel „Slnt für ©lut" führte. 3<ft lief) mir oon bem alten ©räparanben* 
teurer ben britten ©anb non SBelter unb trieb „©orftubien". Dann gieng 
ieft an bie SluSfüftrung beS ©rofaftiiefeS. Sßäftrenb ber Slrbeit lebte ieft für 
bie SRitmelt nicftt meftr, adeS fieberte in mir. SRebete man mieft an, fo gab 
ieft gar teine ober oerfeftrte 2lntmorten, rief man mieft jum dJJittagStifeft, fo 
ftörte ieft nicfttS, ieft oergafj ©peife unb Dranf, aber bie 3eber flog in frampf* 
ftafter |>aft über baS Rapier. Die ©eränberung, bie in mir üorgieng, mar 
fo auffadenb, bafö mein ©ater mieft oft beforgt oon ber ©eite fter anfaft. 
Die ©erieftte ber ©räparanbetileftrer über meinen 31 eif$ lauteten ungünftiger 
als je, eS gieng nieftt fo meiter: man oerbot mir, baS Drama fertig 51 t feftreiben. 

21ber eS lieft mir feine SRufte, bie ©lutmänner ber SReüolution rüttelten 
mieft au£ bem ©cftlaf, naefttS ftanb ieft auf unb feftrieb fteimlieft meiter. Der 
3ufaH mollte eS, baf£ mein ©ater naeftts noeft in ber Kücfte SBaffer gum Drinfen 
ftolte unb babei in meinem ßimmer baS üieftt bemerfte. 3<ft fefte iftn noeft, 
mie er mitten in ber SRacftt fo beforgt oor mir ftanb unb mir fagte, baf£ 
ieft franf mürbe, ieft fode bocft um ©otteStoiden baS raftlofe ©eftreiben fein 
laffen unb an mein ©tubium benfen. 

Slnberen DageS naftm meine ältefte ©eftmefter, bie feftr energifeft mar, 
mir baS äJfanufcript ab, um e£ $u oerbrennen. 

3cft mar aus SRanb unb Sanb. dReine ©eftmefter, bie es aftnen moeftte, 
mie eS in mir ftürmte, begnügte fieft, ba£ dRanufcript in iftrer Kontmobe 
$u üerfcftlieften unb mir $u eröffnen, ieft mürbe baS Drama erft jurüefbefommen, 
menn ieft bie dlufnaftmeprüfung am Seminar beftanben. SRur langfam beruftigte 
ieft mieft. 3eft ftabe baS Drama nieftt aurücfoerlangt, unb als meine ©eftmefter 
e$ mir naeft 3öftren freimidig gab, marf ieft eS unbefeften ins Seuer. 

SRaeft biefen Sluftritten oerlegte ieft mieft ernftlieft auf baS ©tubium 
ber Diefttfunft; ieft laS ade tfteoretifeften ffierfe, beren ieft ftabftaft merben 
fonnte, unb oft jmeifelte ieft an meinem Dalent. 3« einer SebenSbefeftreibung 
ßorreggio’S ftatte ieft einft gelefen, bafö er ooder 3^eifel an feinem Können 
in eine Kunftfammlung gieng, bort bie SJerfe grofter dRaler betraefttete unb 
enblieft in gereefttem Künftlerftolje anörief: „Slueft ieft bin ein dRaler!" Das 


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SBte t<h Dichter lourbe. 


157 


fetbftfyerrlidje SBort mar mir mie aus ber Seele gefprochen; aber menn ich 
meine eigenen ©ebidfjte fritifierte ober bem mohlfeilen ©efpötte meiner ©enoffeit 
auSgefefet mar, jmeifelte ich oft baran, ob ich je baS Stecht hoben mürbe, 
gleich ©orreggio baS ftolje SBort ju rufen: „2Iu<h ich bin ein Dichter!" 

3dj nahm mich in ftrenge Selbftjucht, nnb unerbittlich jerpflücfte mein 
falter SBerftanb bie Sr^eugniffe meiner heißblütigen s JS^antafie. SBenn ich c $ 
hoch nur gemufft holte, bafS ich ein dichter gemefen; aber ich wogte nicht 
mehr, mit meinen ©ebichten oor meine Eltern %u treten. DaS dichten mar 
ja etmaS, maS mich om Sortfomnten hinberte. 

SSieteö, maS ich in bamaliger 3eit trieb, höbe ich oergeffen; aber 
einer Stunbe erinnere ich ntic^ noch mit voller Klarheit, einer Stunbe, bie 
für mein ganzes fiebert entfcheibenb mürbe, einer Stunbe, ba ich mir fchwur, 
ber Kunft treu ju bleiben auf allen Dornenmegeit. 9Rein fpätereS fieben mar 
ebenfo reich an Erfolgen mie an Entlaubungen, unb früh empfanb ich c $ 
bitter, bafS berjenige, ber fidj ber Kunft oerfchmorett hot mit ganjem |>er$en, 
allzeit alSTtn einfamer äßann burchS fieben geht; aber ich höbe eS nie bereut, 
jenen Knabenfehmur, mit bem ich ntein gon$eS Sein ber Kunft Oerpfänbete, 
nicht gebrochen ju hoben. 

Enblich aber, ich war etma fieb^ehn Sahre alt, fam auch ber klugen* 
Mief, ber mich für tiiele Enttäufchung, für mannen Spott, für langes, ehr* 
licheS Arbeiten im Dienfte ber Kunft entfehäbigte. 

Unter ben neuen ©ebichten, bie ich fortan nicht mehr öerbrantfte, 
befanben fidt) auch ©atlaben unb anbere erjählenbe Dichtungen. Sch benufcte 
eine gute Stunbe, ba SBater unb SJtutter gerabe allein maren, unb laS 
ihnen mein neuefteS ©ebid^t oor. ES führte ben Ditel „Sicht unb Schatten". 

£ochaufathmenb fchlofS ich nteinen begeifterten ®ortrag: hoch ftatt beS 
erhofften SeifallS blieb alles ftumm mie in einer Kirche. Enttäuscht fah ich 
auf SSater unb SKutter. Sie faßen ftiH ba unb fagten fein SBort; aber in 
ihren ®ugen ftanben Dfjränen. Da 50 g ein munberfeltfam ©efühl in mein 
£er$. Stumm gieng ich onS Senfter unb ftarrte hinaus, bis mir bie meite 
SBelt oerfchmamm in einer h^ßen, brennenben ©lücfSthräne. Unb in jener 
ernften SBeiheftunbe jubelte meine Seele jum erftenmal baS ftolje SBort: 

„Sluch ich &in ein Dieter!" 




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Rundschau 


Der Vntheil ber ßatholüen am atabemifchen Sehramte in 
S x e u 6 e n. Der ftönigSberger Ehemifcr Stofeffor Soffen batte fich am 27. Januar 1898 
an ben Vttnifter Stoffe mit ber Sitte geioanbt, „auS ben im OJtinifterium befinblichen 
Verfonalacten ftatiftifcbe Ermittlungen &u fchöpfen über bie inährenb ber lebten 
25 3fabre an ben preufjifcben Unioerfitäten thätigen Stofcfforen unb Docenten, welche 
hauptfächlich beren Eintritt in ben UnioerfitätSoerbanb, i^re Seförberung in bemfelben 
unb ihren Austritt auS bemfelben, ihre Eonfeffton unb ihre Heimat betreffen", unb 
ber ÜJltnifter batte biefe Eingabe am 2. 9Jlär$ beSfelben Qah*e$ babin beantwortet, 
bafS ber E.nficht in bie Serfonalacten beS ÜJlinifteriumS $u bem gebauten 3n>ede 
nichts im 3Bege ftebe, bie Veröffentlichung oon VctenauSjiigen jebocb ber minifteriellen 
©enebmiguitg oorbehalten bleiben müffe. 5Xuf Evunb biefer 3ufage bat bann Srofeffor 
Soffen feine Stubien über ben 3eittaum non 25 Semeftern (1884/5 bis 1896/y7) an 
Ort unb Stelle gemacht. 

DaS Ergebnis biefer Stubien liegt nun in befcbreibenber unb ta^eHarifcber 
3orm oor*) DaS Eanje jufammenfaffenb, fagt ber $önigSberger Swfeffor ju 
Eingang feiner Arbeit: 

1 . Die 3abl ber tatbolifcben Docenten an ben preu&ifdjen Unioerfitäten fleht in 
einem auffaflenben ÜJUfSoerbältniS $u ber 3ahl ber fatholifchen Staatsangehörigen 
VreufeenS. SBährenb bie Seoölferung 34,5 s Jteocent ftatholifen jählt, waren non 
ben währenb ber 25 Semefter au ben Unioei ft täten tbätigen Docenten nur 13 s Jteocent 
fatbolifd). 

2 . ‘Die fRiicfftänbigfeit ift -inbeffen nicht gleich bei ben. einzelnen Eiaffen ber 
Docenten. Scrücffkhtigt man bie Docenten aller JJacultäten, fo waren oon ben 
Orbinarien 18,3 Srocent, oon ben E^traorbinarien 13,8 Ikocent, oon ben Stioatbocenten 
9 ^ßrocent latholifch- Setrachtet man nur bie brei weltlichen Sacultäten, fo mären in 
biefen oon ben Orbinarien 16,5 Srocent, ooit ben Eytraorbinarien 12,4 'Jkocent, 
oon ben ^rioatbocenten 8,7 Srocent' fatholifch. DaS Verhältnis ift bemnach für bie 


*) „Der ^Intheil ber ftatbolifen am afabemifchen Sebramte 
in Sreu&en". Von Srof. Dr. 2Bilhelm Soffen. s J!ach ftatiftifchen Unterfuchungen. 
(2. Vereinsfchrift ber EörreSgefcllfchaft für 1901.) ftöln, 3- $ Sachern, 1901. 


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Nunbfcbau. 


lölt 


lüatholifen am günftigften in benjenigen ©tellungen, welche unter 3Ritwirfung ber 
3 facultäten non ber ©taatSregierung befefct werben, am ungünftigften in benjenigen, 
in welche jeber, alfo auch jebev fatbolifcbe (belehrte, ber bie Befähigung jur 
Befletbung berfelben nadpoeiSt, eintreten fann, wenn er will. (?) 

3. 5)ie Beförberung ber wenigen Äatbolifen, welche als ©ytraorbinarien ober 
Brioatbocenten an preujjiidjen Unioerfitaten in ben erwähnten 25 ©emeftern lehrten, 
war nicht fehlerer als biejenige ber Nicbtfatbolifen. 

4. ©eit bem 3- 1870 bot bie 3obl ber fatbolifdjen Orbinarien in ben brei 
weltlichen gacultäten augenommen, unb jwar nicht nur bie abfolute, fonbern auch 
bie relatioe 3 obl berfelben. dagegen ifi bie abfolute 3 obl ber fatbolifchen ©ytra 
orbinarien unb Brioatbocenten nicht im gleichem 9Raße geftiegen: bie relatioe 3 <*bl 
berfelben bot abgenommen. 

AIS ©cblufsfolgerung fpriebt ber Verfaffer ben ©ab ouS, bafS baS Angebot 
an fatbolifchen Brioatbocenten febr ungenügenb fei gegenüber ber Nachfrage. 
Entgegen manchen fatbolifchen BreiSftimmen $eutfcblanbS mufS b erüor 0 c ^°ben werben, 
bafö Soffen feineSwegS beabfiebtigt bat, bie preußifebe Negierung oon ihren begangenen 
©iinben rein ju wafchen; baS wäre ein tböricbteS Unterfangen. AIS 9Rann ber Söiffen* 
fchaft, ber bie beutlicbe ©pracbe ber 3 obkn oerftebt, bot er oielmebr fräftig auf bie 
imparitätifche Bebanblung unter bem SRinifterium non Naumer unb beren beute noch 
fühlbare folgen bingewiefen, ohne bie klugen gegenüber ben auf fatholifcher ©eite, 
begangenen Reblern ju oerfcbliefeen. $)enn wenn 1870 noch 11,22 fßrocent aller ^rioat* 
bocenten ber brei weltlichen ftacultäten fatbolifch waren unb 1896 97 nur noch 6,97 $ro* 
cent, fo fann man nicht fagen, bafS bavan bie Negierung allein ©chulb fei, wenngleich 
bie fdjlechte Bebanblung ber fatbolifchen Brioatbocenten wäbrenb beS ftulturfampfeS 
oon ©eiten ber Socultäten unb auch bet Negierung oom Verfaffer nicht geleugnet, 
fonbern auSbrüdlich anerfannt wirb. (Sine gewiffe Abfcßredung lag barin, bie jeboch 
auf bie heutigen Verbältniffe in feiner Söeife mehr pafSt. — 3)ie Arbeit Soffen’S 
ift unenblich mübfam gewefen; fie bot eine ©ntiagung gefoftet, bie nur ber oerftebt, 
ber ähnliche SRaterialien burchgearbeitet bot; fte bietet Sehren, bie mutatis 
mutandis in jebem Sanbe beberjigt werben follten, um bereutwillen weitefte 
Verbreitung berfelben im böcbften ©rabe erwünfeht ift. ©S wäre aufjerorbentlid) 
banfenSwert, wenn ber Verfaffer in ber halb notbwenbig werbenben Neuauflage 
ber Arbeit ftch mit feinen aablreichen ßritifern, benen er §um Xbeile fchon geantwortet 
hat, in einem eigenen ©apitel auSeinanberfefcen würbe. 2Ser ben in ber ©ebrift 
an 9 e ^genen Verbältniffen einigermaßen nabe geftanben bot, fann ben Ausführungen 
nur tn allen fünften beiftimmen. B. 


* * 

* / 

Rechner über bie ßunft. Rechner war jwar fein Zünftler, aber unfireitig 
ein ÜRann oon Urtheil. 3n einer großartigen Betrachtung feines „ 3 enb Aoefta" 
über bie Einordnung beS 2öabren, ©Uten unb ©cbönen ju ©ott findet ftch eine 
©teile (Saßwi&’fche Ausgabe, 1901, I, 236), bie eine fo feinfmnige Auffaffung oon 
bem 3wede ber Äunft unb bem 2Befen beS ©cbönen offenbart, bafS wir nicht umhin 
lönnen, fte bi** folgen ju laffen: 


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föurtbfdjau. 


„Die Äunft mag praffen mit färben unb mit Dänen, hoch geht fic enblüh 
betteln, roemt fte nicht fteht unb bleibt im Dienfte be« aüerhödpten Zünftler«. 

„SBiel 3i*rliche« unb roa« jur Suft be« 2luge«, mag be« 'JJlenfdjen $unft oer* 

fertigen, hoch bleibt’« nur ßünftlichfeit unb Danb, oermag’« nicht etroa« non be« 

ganjen ©otte^ SBalten unmittelbarer, anfc^aulic^er unb flarer jur ©vfenntni« un« 
ju bringen ober tiefer $u ©emüt *u führen, al« bie 2öelt unmittelbar e« felbft oermag. 
3hr Schauplafc ift ju grob, be^ SJlenfchen 53lidt ju furj. oermag bie ganje nicht auf 
einmal ju umfpannen; ba« SBalten ©orte« hol ju tiefen Sinn, ber menfdjliche 
©erftanb bringt gar ju lanafam ein, ergreift ber ßette ©lieber einzeln, nicht bie 
ganje $ette, je mehr er ftch oertitft, fo mehr oerbuntelt ftch’«; fo gilt e« nun (mit 
Jrilfe ber $unft, b. *K.) im Meinen Spiegel an ber Oberfläche ju jeigen, roa« im 
©roßen un« ju grob, an Diefe un« ju tief unb burch bie Diefe bunfel. Unb roie 

ber Zünftler bie 2Belt mit ©ott in’« kleine jiebt, fehn mir in feinem Döerf nun 

auch bie 2Öelt unb fpüreit brn Obern ©otte« brin; rote er ba« Diefe an bie Ober^ 
fläche h c H f*hn mir i m Schein ber Schönheit b;e ÜBahrheit heller unb fühlen, 
folcher Schein ift nur ber böchfte ©lanj oom Sicht ber SSahrheit felber, ber jur 
©rleuchtung ber SBelt auch bie ^erflärung fügt. Die ftunft, bie nicht« al« ftch 
oerflärt, ift nicht bie rechte ßunft unb thöricht, rühmt fie ftch, fie fei fich felbft 
genug. Sie gleicht mit aller ihrer Schöne nur bem $erflärung«fchein am ^Kiupt 
be« Jpeiligen. Daf« er ben ^eiligen fichtbar macht al« Sicht oon feinem eigenen 
Scheitel, ift’«, roa« allein be« Scheine« Schöne macht. Der heilige oerflärt ben 
Schein, unb brum ber Schein ben ^eiligen. Der allergrößte ^eilige aber, ba« ift 
ber heilige ©ott. 

„9£er fchelten roill bie ßunft, bai« fte im Äirchenbienft ba« ©örtliche Durch’« 
Sinnliche oerfleibe, ben ©eift, ber auf be« ©eifte« ©efen nur gehen foH, burch 

äußern Schein befteche,.ber roeiß nicht, baf« bie rechte ßunft nicht bie ift, 

bie ben ©eift noch mehr oerfleibet, oielmehr bie burchfeheinenb macht ba« llleib, baf« 
burch ba« ftleib ber Seib unb burch ben Seib ber ©eift erft hell unb beutlith fcheine; 
ber hat ben Sinne« rei^ gemeiner ftunft, hoch nicht ben Sinn ber rechten äunft 
im $luge. 

„Die fünfte ftehn nidht bloß im Dienft ber Kirche. 5öeit ift ihr Schauplafc, 
reich ihr Stoff. Doch ift’« allein bie Kirche, in beren Dienfte alle fünfte ftch int 
roahren Sinn ber Äunft oerfnüpfen formen. Unb nicht anber« foll*« mit ben fünften 
fein al« mit ben OJlenfchen, bie jroar nicht immer gemeinfam in ber ftirdhe roohnen 
unb ju fchaffen haben, hoch au« ber Kirche in ihre befonbern Käufer unb alle welt¬ 
lich* SBerroicfelung unb 3erftreuung ben Sinn mitnehmen follen, ber fte gebenfen 
läf«t # fte bleiben überall be« §öchften Diener unb trüber ju einanber." A. M. 


fRebacteur: Dr. 5 r a n j Schnürer. 

3 of. Äotb'fdje Setlöfl«bu^aitMun 0 . — ©udjbruderef«mbr. Oplfc, ©len. 


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Der Katbolicismus und das XX. Jahrhundert. 

Bort Jvfep ti Iftrn. 

ie her ©chlufS eines bürgerlichen gaßreS bent ©ingelnen oft einen gern 
benü^tenStnlafSbietet, um in feinen ‘’Prioat» unb perfönlichenSachen 
Dücffchau su halten auf Vergangenes unb oorfchauenb unb berechnenb bie 
3ufunft su ermeffen, fo ift eine gahrßunbertwenbe für fo Wancßen ber 
wißfommene 2luSgangSpunft su einer ■üöhenperipectiue über «fragen unb 
Dichtungen aßgemeineren ©harafterS. $er Übergang oom 19. auf baS 
•20. ^ahrhunbert hat eine erflecfliche Slngaßl folcher Überblicfe geseitigt. 28aS 
als unbeftritteneS Vetbienfl, als wahrhaft große ©rrungenfcßaft beS ooßenbeten 
Zeitraumes bafleht, namentlich auf bem großen ©ebiete empirifcher gorfcßung unb 
genialer ©rfinbung, finbet babei — wie fönnte es auch anberS fein — ein* 
ftimmige, lobpreifenbe SSürbigung. $afS biefe ©inßeßigfeit oeriagt, fobalb 
bie Debe geht oon principießen, grunblegenben 2lnf<hauungen, bei benen Wa§ 
unb 3aßl nicht mehr baS alleinige Kriterium bilben, ift begreiflich. 2lber 
biefe Slifferengierung geht bei ben ©inen mitunter bis sur ooßftänbigen 
Degation beffen, was auf ©eite ber Slnberen Sache bet Poßften inneren 
Überseugung ift. gn nicht su oerbeffernber DeprobuctionStreue fpiegelt fleh 
barin ber gewaltige ©eifterfampf beS surücfgelegten ©äculumS. Unb bei 
feinem Vunft tritt biefer ©egenfap fo augenfäflig su läge, als ba, wo bie 
©prache fommt auf cßriftlicße SBeltanfchauung, fpecieß auf ben ItatboliciSmuS. 
S5en ©inen ift berfelbe wenigftenS noch eine Wacht, welche, eben beShalb, mit 
bem gangen Düftgeug ber SSiffenfchaft, mit aßen Wittein aus ber SBaffen* 
fammer beS ©eifteS gu befampfen ift; Slnbere nehmen oon ihm nur noch 
Dct als oon einem ©ernennen, baS in feiner ben Diebergang oerbürgenben 
Inferiorität gum Witleib ober gum £>ohn bewegt, ßöchftenS nod) eines lebten 
©nabenftoßeS gu feiner Vernichtung für immer bebarf. gn eine biefer beiben 
Äategorien gehört ein fehr großer Sßeil ber iüngften ©äcularwerfe, foweit 
fle oon ben angebeuteten Urincipienfragen hanbeln. Siet Äatßolif, welcher 
biefen Shatbefianb oerfolgte, mag mit ©ehnfucht auSgeblicft haben, ob fleh 
benn auf bem weiten, aber lebhaft befahrenen Weere ber ©äculorpubliciftif 
nicht ein gaßrgeug finbe, baS mitten unter ben oiclen fremben unb feinblidjen 
«flaggen fein luftig gefpannteS ©egel mit bem Seichen beS ÄreugeS hochgu* 
hatten oermöge, ©erabe oor ©chlufS beS erften gaßreS nach ber 3fahr* 
Sic «alte. ui. 8. $cft. (1908.) 11 


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162 


3ofeph fctrn. 


hunbertwenbe bot fld) ber böcbwißfontntene Sährmann gefunben,*) wiflfommen 
feinen ©laubenSbrübern, beren Sache er in ebler §ornt unb grifteSgewaltiger 
©ewanbtheit vertritt; wißfontmen aber bod) wohl and) allen jenen 9lnberS* 
benfenben, toeldje einen ehrlichen, ritterlichen Kampf führen woßen, bei bent 
eS ftd) nicht um Sefriebigung niebriger Seibenfdjaften, fonbern um ben 
erhabenften Kampfpreis, bie Wahrheit, hanbelt. 

©hrharb ‘ift nicht weniger £>iftorifer als Theologe, unb fo barf wobt 
auch ber &iftorifcr non feiner prächtigen ©abe banbeln, bie er ber cbriftlicben 
SBelt auf ben ©eihnachtstifd) gelegt hat. Schon mit ben erften Säften fteßt 
er uns in medias res, ba er brei cparafteriftifcbe Srfdjeinungen oor 9lugen 
rücft, bie jeber fehen fann, ber nicht 93ogeIjtrau§politif treibt: ber KatholiciSmuS 
gilt Sielen als ber gefäbrlicbfte ©egner ber mobernen Kultur, in ben fatpo* 
lifchen Sänbern ooflzieht ftd) eine ftetS pnepntenbe ©ntfrembung Don ber 
Kirche, in einer äRenge non ©rfcheinungen tritt wacpfenbe Unpfriebenheit 
mit fachlichen Serhältniffen p Sage. tiefer Freiheit beS XpatbeftanbeS 
entfpricht eine breifache Srage: 38ie ift bie jeftige Sage cntftanben ? 3Borin 
befteht ber ©egenfaft gtüifcften Kirche unb moberner Kultur? SBelche 9luf* 
gaben harren ber Kirche beS 20. SahrpunbertS? 3ur ^Beantwortung biefer 
grragen, fpecieß ber erften, feftt ©hrharb beim SRittelalter ein als (bod) nur 
in gewiffcm Sinne) ber Beit ber Slüte beS KatholiciSmuS, als ber 3eit auch, 
in welcher ftd) bie SBurzeln ber fpäteren ausbreiten. $ie beiben höchften 
©ewalten ber ©rbe ftnb innig Derbunben, bie beS 3$apfteS unb beS KaiferS, 
ein SerbältniS, für jeben oon beiben förberlid), wenn auch nicht in gleichem 
SRafee. XaS Kaiferihunt fcpöpfte moralifche, baS 33apftthum bagegen nur 
phhftfcbe Kräftigung. $>iefer Serbinbung entfprad) bie gegenfeitige ®urd) s 
bringung beS ftaatlichen unb !ird)lid)en SebenS, eine Ihatfacpe, bie bei 
Setradjtung beS SRittelalterS nie aus bem 91uge p laffen ift. ©er baS bei 
Sehanblung ber mittelalterlichen @efd)id)te unterläfst, imputiert leicht „bem 
3}apftthum bie folgen Don ©runbanfchauungen, beren ftehlerhaftigfeit bem 
mittelalterlichen SRenfcpen gar nicht pnt SewufStfein tarn unb bie in leftter 
Sinie in allgemeinen Kulturoerhältniffen wurzeln". 2)aS ift fein wiffenfehaft* 
lieber Sorgang, fonbern wie im Säße &oenSbroed) 9$amphlctfchreiberei ber 
fchlimmften Sorte. Stad) biefer s JRethobe erfolgte and) fo oft bie 9luSfd)rotung 
ber ^ttquifition, „beren ©efd)id)te ben Doßgiltigen SeweiS erbracht hat* wie 
lange eS bauerte, bis bie Überzeugung gewonnen war, bafS geiftige Bewegungen 
nur burch geiftige Mittel innerlich beftegt werben fönnen, unb bafS bie 
^CHeinherrfchaft ber fatholifchen Kirche ohne 2lßeiitherrfd)aft beS fatholifchen 
©ebanfenS in aßen Schichten ber ©efeßfdjaft ein ^ing ber Unmöglichfeit 
fei", ©rgriffett flehen wir mit ©hrharb „beim 2lnblid beS ungebeuren r SlenbS, 


*) 2>r. 911bert (Sh*harb, ber KatholiciSmuS unb baS jwanjigfte 
3[ahrhunbert im Sichte ber fachlichen (Sntwidlung ber Neuzeit. (Stuttgart unb 98ien, 
3of. ßtoth, 1902, X unb 416 ®., 8°, 4 TI. 80 *ßf.) 


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3)er KatboliciSmuS unb ba$ XX. Qabrbunbert. 163< 

baS bic Snquifttion in ftd) üerförpert", aber bie ©erechtigfeit oerlangt zu 
betonen, „bafs (bereits) baS Xrientner Goncil nicht baran bachte, biefeS mittet- 
alterliche Machtmittel aufzufrifdjen unb bafs eS fchon bantalS nicht als ein 
bleibenbeS Snoentarftücfber fachlichen $)tSciplin betrachtet mürbe". 3m 2luS- 
qang beS Kampfes ber Zapfte gegen bte &ohenftaufen fteht @t)rt)arb ben „Sieg 
beS ©eiftcS über phoftfehe ©cmalt", moburd) bie Gpriftenheit „oorn mieber* 
attflebcnben antifrömijehen 3ntperium" gerettet mürbe, aber nicht einen 
„perfönlichen" Sieg ber köpfte, bie vielmehr „tobmübe" aus bem Kampfe 
jehieben. Sie Kataftrophe aber unter ©onifaz VIII. bebeutete bie Mahnung, 
„bafs bie mittelalterliche Macptfteßung beS ©apfithumS nicht ein mcfentlicher 
Seftanbtheil beS 9teicheS ©otteS auf Grben ift" unb „bafs noch ein höheres 
3beat päpstlicher ©irffamfeit in bem ©ebanfen beS ©apftthumS liege, 
als rnaS bis zu jener ©tunbe im Mittelalter oermirflicht morben mar". 
Gine berartige, ebenfo fachlich correcte mie gerechte ©ürbigung beS 
Mittelalters ift meit entfernt oom „©ejtreben, bie fachlichen Seifhingen biefer 
Seit mit Sähigfeit feftzuhalten unb (oon) bem ©mtiche, bie Beit felbft mieber 
aufleben zu laffen." Sen ©chmörmern, bie bieS moßten, hält fte oielmehr bie 
irrage entgegen: „©o fteht eS gefchrieben, bafs ben fachlichen 3nftitutionen 
beS MittelatterS in ihrer concreten Sorm abfotuter ©ert zufommt?" „$en 
©orzug einer ©eriobe aßen übrigen gegenüber fönntenur berjenige beftimmen, 
ber einen Ginblicf befäße in ©otteS unerforfchliche Stathfchlüffe unb einen 
Überblicf über bie ganze hiftorifche Gntmicflung beS GhriftenthumS." SiefeS 
Maßbalten binbert feineSmegS bie ooße $hterfennung ber mittelalterlichen 
Meiftermerfe „auf allen ©ebieten beS Kulturlebens", zu benen baS in ftolge 
ber unbegrenzten 3nbioibualifterung ftißofe 19. 3abrbunbert bemunbernb auf- 
zublicfen alle Urfache hot. 3n fchönen ©orten zeichnet Gbrbarb, mie ftch neben, 
nicht gegen ben geiftigen pochbau beS Mittelalters bie ©djolaftif, bie Mpftif ge- 
fteüt hot. „Grlofchen mar baS glänzeitbe, blenbenbe Sicbtmeer, baS ben 
mächtigen Sorn ber mittelalterlichen ©lütezeit burchflutete," bafür fpenbetc 
bann „ein Gmiglicbtlämpcben" ben religiöfen Seelen Sicht unb ©ärme. @3 
ift ein ähnlich finniges ©itb, mie Samprecht einmal bie chriftlidje £>qmnif bie 
©affionSblume genannt hat, bie bem ©lute Ghrifti entfproffen. 

®en Übergang zur neuen Beit marfiert am prägnanteften ber bemufste 
©egenfafc ber £>umaniften, namentlich ber jüngern, zu ben ©cbolaftifern. SaS 
Unrecht beiber hat Ghrharb pröciS gezeichnet: bie Grfteren fteUten ftch gegen bie 
Kirche „meil fte biefelbe mit ihrer mittelalterlichen Gricheinung ibentificiertcn": 
bie anberen „hielten frampfhaft feft an biefer mittelalterlichen Grfcheinung, 
meil fte biefelbe mit bem ©eien ber Kirche üermecbfelten." GS gab eine Krife 
für bie Kirche, bie fte ohne ihre „unzerftörbare Kraft" nicht überftanben hätte. 
3)enn bie bamaltgen köpfte als „gottbefteßte ©achter" haben ihre Aufgabe 
„nicht gelöst, menn auch menigftenS einige unter ihnen eS an ©erfueben nicht 
fehlen ließen", dagegen hoben eben btefe SRenaiffance*©äpfie „ben ©emeis 
bafür erbracht, bafS bie Kirche feine Tychtbin ber Gioilifation, ber inteßectueflcn 

11 * 


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164 


Sofepb $irn. 


unb äftbetifcben Seftrebungen bcr 9Renfd)beit ift", unb bcr ©iferer für 
baS §umanität3ibeal bat alle Urfacbe, bicfe Zapfte als „SBobltbäter bcr 
üRenfcbbeit" zu bretfen. Siefe Senter ber Äircbe, benen „baS Sott mit feinen 
religiöfen unb ftttlicben 9Wtben aus ben Stugen oerfcbwanb", butten auch nicht 
baS 3eug, ben ©türm, genannt bie ^Reformation, zu bannen, kulturelle unb 
nicbMortfcbrittliche SRomente buben bie ^Reformation geförbert: bie Such* 
brudertunft, bie emportommenbe „9Racbt ber politischen Autorität in tircblicben 
Gingen" unb bie ftarfe ‘JJerfönlicbfeit ber ^Reformatoren, bie, fo beflagenäwert 
ibr SBert, große 3iele verfolgten mit erftaunlicber ©nergie unb ben burcfc 
greifenbften SRitteln. Sie folgen ber fircblicben ^Revolution liegen am Sage: 
ba3 barbarifcbe Cujus regio, ber „ertremfte ©ubiectivtömuS, ber an bie ©teile 
ber einen fatboliicben SBabrbeit fed)£ verfcbiebene, einanber wiberfprecbenbe 
religiöfe ©runbauffaffungen fefcte", bie Unterorbnung be3 ©briftentbum3 unter 
ben ÜRationalgeift, wa£ einen SRüdfcbritt in bie vorcbriftlicben 3eiten bebeutete, 
(bieä ein befonberS lefenäwerter Slbfcbnitt bei ©brbarb), bie ©rftarfung be3 sming* 
gewaltigen ©taatefirchentbumä unb „ber beginnenbe 2lbfaH von bem SOBefen 
beä biftorifdjen ©briftentbumä felbft". Sa£ ftnb Srücbte, bie bereits gereift 
unter bem Saume liegen; ein ftcbereS Urtbeil über ben „©efammtwert" beS$ro= 
teftantiSmuS, ber ja noch nicht ber Sergangenbeit allein angebört, will ©brbarb 
nicht fällen, ©ern erfennt er an, bafS ber ^ßroteftantiSmuS „auf ben ©ebieten 
beS inteHectuellen, focialen unb allgemeinen fulturetlen Sebent, bant ben 
cbriftlicben kräften, bie auch in ihm mirffam ftnb, unb bant ihrer Serbinbung 
mit tbatfräftigen SoltSftämmen Seiftungen hoben unb bleibenben SBerteS 
bervorgebradft bot", er bot boeb „vom SBefen beS ©briftentbumS genug für 
ftd) gerettet, um auch zur OueHe ed)t religiöfen Sebent zu werben". 9lnt 
wenigften tann er ftcb mit bem katboliciSmuS in praftifeber öinftebt „auf bem 
©ebiete ber etbifdjen unb focialen SebenSfübrung im Sienfte ber Religion 
unb ber Utäcbftenliebe" meffen. Sei 2Riffionen ftört ben 'ißroteftantiSmuS fdjon 
fein nationaler ©baratter. 3>nfomeit er ftcb in ber Stolle eines „febarfen unb 
gefebäftigen ©enforS" gefällt, ift er ber aUergeringfte ©ebaben für bie tatbolifcbe 
kirebe. ^ebenfalls „fträubt ftd) bie djriftlicbe SetracbtungSweife ber ©efebiebte, 
in ber ^Reformation nur SRegativeS zu erbliden". Sabei mufS ber katbolit 
burcbauS nidjt irre werben an ber Überzeugung vom SBerte feiner kirebe, 
welche Überzeugung ihre unerfcbütterlicbe ©tüfce bot in ber Sbatfadje, 
bafS bie tatbolifcbe kirebe allein in ununterbrochener Kontinuität beftebt feit 
ben Sagen ©brifti unb ber Slpoftel, bafS fte „baS ganze ©briftentbum befifet" 
unb bafS in ihrem ©cbooße alle Sölfer aller Seiten ‘’ßlafc ftnben unb ihr 
allein von SInfang an univerfeller ©baratter eignet. Sarin erbebt fte ftcb „über 
iebe religiöfe ©emeinfebaft, bie je von SJtenfcben unter 9Renfcben gefebaffen würbe, 
unb rechtfertigt biftorifd) ib*en Slnfprud) auf göttliche ©rünbung unb gübrung.“ 
Sin bie erften Verluftreidjen Subtzebnte ber fReformationSftürme reibt ftcb 
bie SJeriobe ber fatbolifeben SReftauration, für beren gerechte Seurtbeilung ftetS 
baS SBort von ©brbarb zu beherzigen fein wirb: „Siefe SRüderobermtgen Vollzogen 


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$er ßatboliciSmuS unb baS XX. Sahrpunbert. 165 

ftch im großen unb ganzen nicht auf tpeologifcher ®runblage, fonbern auf ber 
juribifepen beS lerritorialfpftemS, baS beibe ©egner in gleicher SBeife ptincipieU 
anerfannten unb tpatfächlicb anmanbten". Aber bie toenigften, melcpe „fiep 
über bie ®egenreformation ftttlicp entrüften", geigen biefeS ©efüpl, memt fie 
Bon ber Einführung ber Deformation panbeln. 2>afS jene Seit ber Eroberung 
unb Dücferoberung einen abfcpließenben EonfeffionaliSmuS begünftigte, hat 
für ben objectioen Seobacpter nichts SefremblicpeS, benn nur barin 
lag für jebe Dichtung bie ©ernähr ihrer Erifteng. SeflagenSmert aber 
mar bie Abfcpließung infofern, „meil fie baS ©efühl für baS ©«nein* 
fame unb bie Entpfinbung ber Dothtoenbigfeit einer fchließlichen 9QBieber= 
Bereinigung, bie ja bie Aufgabe ber fircplicpen 3ufunft im Abenblanbe 
fein mufS, abfehmäepte unb gu gegenteiliger Serfennmtg unb Serurtpeilung 
ohne BorauSgepenbe Prüfung führte". ®er Sefuitenorben, baS bebeutenbfte 
SBerfgeug gur Durchführung ber Deftauration, ein großer Sunb, mie üöher 
einmal fagt, Bon gemeipten Dittern beS ©eifteS unb ber Äraft, finbet bei Ehrharb 
eine gang unb gar BorurtpeilSfreie SBürbigung. Er fießt feft: ber Drben ift 
firchenrechtlich ebenfo berechtigt, mie jebe anbere fatholifche OrbenSerfcpeinung 
aber auch nicht mehr als eine anbere; in feiner ftrammen Drganifation über* 
nahm er eS, ber entfehiebenfte Verfechter beS AutoritätSprincipS in ber 
Äircpe gu fein gegenüber ber Born äußerften ©ubiectioiSmuS auSgehenben 
Deformation; gang unguläfftg märe eS jeboeb, SefuitiSmuS unb ÄatholiciSmuS 
für Boüfommen ibentifch angufepen; mit ben Sejtrebungen beS DrbenS braucht 
ftch Diemanb gu ibentificieren; alle Drben unb bie SBeltpriefter aber follen 
in einen geiftigen ffiettftreit mit ber ©efeUfchaft eintreten, morin jebent feine 
Eigenthüntlicpfeit gemährt bleibe, „bamit ber gange innere Deichthum beS 
ÄatpoliciSmuS gum ©egen ber gangen Sbrifienbeit unb ber mobernen SBelt 
gur Entfaltung gelange". Eine BoUftänbig orientierenbe Sepanblung erfahren 
auch anbere „DeftaurationSfräfte", fo baS Eoncil Bon Irient unb bie geitge- 
nöffifchen köpfte. SKit einem biefer lefctern fleht ber ^JrocefS ©alileFS unb fein 
AuSgang in 3ufammenhang. Ehrharb betont: bie babei gur ©eltung gefommenen 
©runbfäfee mirb „fein Äatpolif ber ©egenmart gu Bertheibigen bereit fein unb 
ift feiner gu Bertheibigen Berpflichtet". Dabei ergab fleh aber bie michtige fiepre, 
„bafS gmifchen ber Dpeologie unb ben übrigen SBiffenfcpaften eine innere 
SBechfelbegiehung befteht unb bafS Bon ben lefcteren auf felbftänbigem SBege 
neue SBaprheiten gefunben merben, bie Bon ber Dpeologie auf ©runb einer 
einbringenben ©eifteSarbeit aufgenommen merben müffen". Següglicp ber fo 
oft ins Selb geführten §erenproceffe mirb mit Decht barauf Bermiefen, bafS 
fie „feine confeffioneüe Angelegenheit, meber eine fatholifche noch eine 
proteftantifepe, fonbern eine fulturpiftorifche Erfcheinung" maren, benn Seber* 
mann Itanb „unter bem EinflufS berfelben ©runbanfehauungen". 

9Rit ber Deftauration mar bei SBeitem nicht alles gethan. ©ie mar oft 
genug nur eine äußerliche, unb Sieles blieb ja bauernb oerloren. Sür Sranf= 
reich brach bie Semegung beS SanfeniuS herein, „bie mie fo manche anbere 


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166 


3ofepb £>trn. 


gur Segeneration beS religiöfen ©eifteS hätte führen fönnen, tnenn fte nicht 
in ©onflict mit ber fachlichen Autorität gerathen märe unb ftch auf baS Siel, 
baS fte erreichen mollte, beffer befonnen hätte". Unter Submig XIV. Derfanf 
ber ßleruS, fpecieß int Segalienftreit, gegenüber bent Staatsoberhaupt in 
einen „unmürbiqen SeroiliSmuS, bent felbft ein fo hochftehenber ©eift mie 
©offuet unterlag". Die beutfehen ©ifepöfe, noch immer gürften „mittelalterlicher 
©eftalt", tarnen nur gu oft ben in ber Seugeit „gefteigerten religiöfen unb fachlichen 
©ebürfniffen" nicht nach. Der SEBeltfürft oerbrangte ben Äirchenfürften, er hielt, 
um ©prharb’SSBort gu gebrauchen, in ber Siechten baS Scpmert, in berüinfen ben 
©Wenftab. Die jofeftnifepe Schule erzeugte „bie unfirchlichfte unb gugleicp geift* 
lofefte ©eneration oon ©otteSgelehrten, bie je in ber tatholifchen Äircpe ihr 
Unmefen getrieben hat". Ungehinbert, ja unterftüftt oon biefem ßleruS „gog 
ein antitirchlicher ©eift in bie tatholifchen Sänber, an bem fte feither tränten 
unb beffen Früchte mir noch nicht alle getoftet haben". Der grofce Säculari* 
fationSprocefS am ©eginn beS 19. 3ahrhunbertS entgog gmar ber Kirche 
'„fein inneres $raftelement" N aber hoch „gabireiche reale SRachtmittel". Sicht 
man baS 3acit bis gu biefem 3eitpunfte, mo nun auch bie frangöftfehe ^Cuf= 
flärung ihren SiegeSgug angetreten hat, fo gelangt man gum ©rgebniS: „enb* 
gütige Serftörung ber Harmonie gmiiehen ©lauben unb Semunft, Satur unb 
Offenbarung, Seligion unb Äultur". 

3m 19. 3ahrhunbert Ootlgog ftch nun noch eine Slrt „geiftige Säculari* 
fation", ba baS öffentliche üebeit „einen oormiegenb meltlichen Slnftricp betommen, 
ben eS niemals guoor in chriftlicher Seit gehabt". Die „aufflärerifcpsmarfa 
fchreierifchen" ©rpectorationen ber befannten Staterialiften, gmar „Don feinem 
Denfer ernft genommen", brangen in baS ©olf. Der empormaepfenbe Soda- 
liSmuS machte ftch fd)on in feinen ©rünbem „gum Dräger aller antichriftlichen 
©lemente", mährenb hoch bie grunblegenben 3been „aus bem Schafte beS 
©briftentbumS entnommen ftnb, meil fte nur hier gu finben maren". ©egen- 
über aß' biefen autoritätsfeinblichen ©rfebeinungen machte ftch im Greife ber 
Äircpe, heroorgerufen Dott ber „Sotb ber Seit", bie Xenbeng ber ßentralifterung 
geltenb. ©ang genau umfehreibt 6. ben berechtigten unb ben unberechtigten 
©entraliSmuS, oft UltrantontaniSmuS genannt. $IIS Seaction gegen frühere 
particulariftifcpe Sichtungen machten ftch mitunter abfolute UniformierungS* 
tenbengen bemerfbar, bie „gu ber übertriebenen, aber nicht gegenftanbSlofen 
©ehauptung ber Somanifterung" Slnlafs boten, ©rft ba bie Äircpenfpaltung 
einen fo gro§en Xheil ber germanifchen ©ölfer ber Äirche entgog, tonnte 
einer folcpen ©efürchtung Saum gegeben merben, mie lehr fte auch bem SBefen 
beS ÄatboliciSmuS miberfpricht. SBenn aber manche Äatholifen, mie eS oor* 
fomint, „ieber Anregung gur Selbftfritif unb allen neuen theologifchen Slufc 
faffungen TOfStrauen entgegenbringen", fo Derfchulben fte ben ©inbruef, als 
molle man „einem firchlicheu 51bfolutiSmuS im icplimmen Sinne beS SBorteS" 
gufteuern unb als fei in ber Kirche „iebe Segung ber 3nbiDibualität unb ieber 
fortfchrittliche Sug oerpönt". 


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$)er KatboliciSmuS unb ba§ XX. ^ahrpunbert 167 

3ebem bcr ba3 3eitalter ©iu£' IX. fenngeicpnenben ©reigniffe: ®nt* 
wicflung bcr Steufcpolaftif, ©rlaß be£ Spüabuä, Unfehlbarfeitöerflärung unb 
Sluflöfung be£ Kircpenftaateä, wibmet ©prparb eine eingepenbere ©efprecpung, 
wo eine Steipe lanbläufiger ^rrtpümer wiberlegt ober richtig geftedt Serben. 
$abei wirb ba8 gro§e Slrbeitsprogramm für bie heutige Xpeologie fixiert: 
©efiegung ber mobernen anticpriftlicpen ^ptlofoppie burch bie Slnerfennung 
ihrer SBabrpeitäelemente unb bie StuSfcpeibung ihrer 3n:thünter. SJtit oder 
wünfcpenSwerten ©räcifion unb ‘Seutlicpfeit wirb Sinn unb Sebeutung ber 
päpftlicpen ^nfadibiütät au^etnanbergefefct. 3n £>htftcpt auf ba3 ©cpicffal be3 
Äircpenjtaate3 erflärt ©prparb: ®ro§e§ Unrecht ift gefepepen, aber bieieä Staates 
„©ntftepen unb ©ergehen hot mit bem SBefen be£ Katpolicßmuä nicht ba£ 
©eringfte gu tpun". ©3 wirb oiele üefer intereffieren, non ©hrharb gu hören, 
baf^ ber berüchtigte ©raf £>oen3broecp ber einzige beutfehe Ipeologe ift, welcher 
(natürlich in feinen fatpolifcpen Xagen) Don einem bieäbegüglicpen Xogma 
gefprochen hot. Extrema ae tangunt. 

£>at ©hrporb, wie fepon bemertt, ber fotpolifcpen Xpeologie ein 3iel gefteeft, 
be£ Schweißet ber ©belften wert, fo wirb man, ohne an feinen perfönfiepen 
©eruf gu benten, begreifen, wie nahe ipm ber ©tanb ber tpeologifcpen 
tfacultäten geht. Sie fönnen ipm nicht genügen aß bloße @rgiepung3anftalten. 
SJtit ipm wirb fein ©inficptiger bicfelben neben ben fortbeftepenben ©emiitarien 
miffen woden. $aß ipm bie burep „poepgrabige Kurgficptigfeit ober freiwidige 
©linbpeit" berurfaepten Quertreibereien gegen eine fatpolifcpe Xpeologen* 
facultät in Straßburg fepr gu bergen gehen, woden wir ipm gern glauben. 
„Äatpolifen in füprenber ©tedung, benen bie Umwanblung ber Kircpe in ein 
Älofter mit recht bieten dauern unb recht fleinen 3eden aß $beal twrfcpwebte", 
werben leiber noch immer nicht ade. SJtit üoder Übereinftimmung ferner unter* 
fepreibe icp ba3 Urtpeil ©prparbß über ba3 ©roject einer fatpolifcpen Unibcr* 
fität. darüber curfteren fo biele fepiefe SJteinungen, bie twn fachlicher Un* 
fenntnß geugen, baß ber SJtapnruf: „©epauptung ber ©Option be3 fatpo* 
lifcpen ©ebanfeiß an ben beftepenben Unioerfttäten, SBiebergewiitnung ber bem 
Äatpolicßnuß entfrembeten Uniberfttäßfreife burep ben tpatfräftigen ©rweß 
feineT Kulturfreunblicpfeit unb feiner Kulturmacpt" niept genug ber ©epergigung 
empfohlen werben fann. 

Stach Sodenbung be£ Überblick unb Aufnahme be3 Xpatbeftanbeä 
ftedt ©prparb bie ftrage: 3fit ber ©egenfap gwifepen ber fatpolifcpen Kircpe 
unb ber mobernen 9ßelt ein abfoluter? Seine Antwort ift ein fräftigeä Stein. 
SlnberS wäre e3 nur, „wenn gwifepen bem Rortfcpritt, ben bie ©egenwart 
auf ten berfepiebenen ©ebieten be3 Kulturleben^ anftrebt, auf ber einen, unb 
ben ©runbfäpen be$ fatpolifcpen ßpriftentpunß auf ber anberen Seite ein 
unüberwinblicper ©egenfafc naepgewiefen würbe". $a3 ift nicht ber Sod. 3u 
folcpem mißglüeften Stacpweß ift mehr aß gu oft fo manche naturwiffen* 
fcpaftlicpe §bpotpefe „gunt £>opne ber SBiffenfcpaft" mißbraucht worben. 
$ucp ber heute fo bodtönenbe Stationalßnuß ift fein abfoluter ©egenfafc 


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168 


3ofeph §irn. 


inm UniverfaliSntuS bcr Äircbe, unb jubem ift btefer festere „wefentlicb 
religiöfer JRatur". 3n prächtigen ©orten preift ©hrharb beit ÄatholiciSmuS 
als barntonifebe Serföbnung beS confervativen unb fortfcbrittlicben ?5rincipS. 
„$en treibenben ©eiftern, benen bic hohe provibentielle Aufgabe geworben ift 
bie äJlenfcbbeit auf irgenb einem fultureHen 2lrbeitSfelbe vorwärts in brängen, 
borf man mit Siebe unb Segeifterung sujubeln, ohne bamit jenen ungerecht 
in werben, bie rüdwärtS fdjauen auf bie Seiftungen ber Sergangenbeit unb 
bort ein« fiebere unb fefte ©runblage für ihre Arbeit fueben unb fmben." 3n 
folcber Harmonie liegt „baS einzig ©rfpriefjlicbe für baS Kulturleben". „$ie 
3auberfraft beS berüefenben ©orteS von ber ftreibeit beS $enfenS unb 
SorfdjenS" foll unb barf ber Katbolif nicht bem ©egner übertaffen, er bat 
fie „auf ihr rid)tige^ 2Ra§ surüefgufübren bureb eine ftrenge 2lnalpfe beS 
SerbältniffeS swifeben Xenffreibeit unb Autorität". Unb fdjXieglicb fttb biefe 
beiben „an biefelben ©renjen gebunben": ©abrbeit, Sittlicbfeit unb 
©erechtigfeit. 3a, eS ift jwifeben beiben „ein pofitiveS SerbältniS" nachweisbar. 
$ie moberne Kultur bat ber Kirche „nichts von bem genommen, waS ihr 
wefentlicb ift". ©obl fmb viele weltliche 4?errfcbaftSrecbte ein 9?aub ber 3eiten 
geworben. 3ft beSbalb etwa bie fachliche ©entralgewalt als folcbe in Schaben 
gefommen? Unb bcr ©pifcopat? „®r braucht nur energifd) in Wollen, unb 
jeber ©iberftanb, ber im SJtittelalter ben Sifdjöfen fo oft in ben ©eg trat, 
ift beute gang unb gar unmöglich." Unb nicht Hemmungen ber mobernen 
Kultur ftnb eS, welche „bie im heutigen ßleruS aufgefpeicberte geiftige unb 
fittlicbe Kraft" binbern, „um einen wahren fachlichen Srübling mit reichen 
Slüten unb föftlicben Früchten in bie tatbolifeben Sänber einjieben in laffen". 
9luS all bem ergibt ficb nur bie eine Folgerung: „3)aS 3tel ber ©irffamfeit 
ber tatbolifeben Kirche tann nicht ein ewiger Kampf gegen bie moberne ©eit 
fein, fonbem bie Serföbnung beS mobernen ©eifteS mit bem KatboticiSmuS 
unb bureb biefe Serföbnung bie SRettung ber menfcblicben ©efedfebaft." 

Sei biefer ©onclufion angelangt, richtet ©hrharb ernfte SKahnworte an 
„bic Sräger ber mobernen Kultur", wie an bie Katbolifen. ©rftere forbert er auf 
m energifeber ©clbftpriifung. ©S gelte feinen Serjicbt „auf eine ber echten 
perlen, bie auf bem Kleibe ber mobernen Kultur prangen 1 ', ©ie bilben feinen 
©egenfap inx Kirche. 2>aS Unechte, bie SluSwücbfe abgeftreift, unb eine Srücfe 
wirb fleh finben. „©er ficb als treuer ©ohn feiner Kirche befennt, befennt ficb 
bamit nicht in ben menfcblicben Schwächen ihrer Vertreter unb ©lieber, 
fonbern in ben göttlichen Kräften, bie ficb in ihr offenbaren, nicht in ben 
seitgefcbicbtlicben ©anblungen ihrer irbifchen Saufbahn, fonbern in ben ewigen 
Sternen, bie ihrer göttlichen TOffion voranleucbten." Unb auch an fie, bie 
Katbolifen, richtet ©hrharb feine Mahnungen. SRachbem er ihre Slufgabe bahin 
äufammengefafSt: Ablegung beffen, waS als 3ugehör einer vergangenen 
®pod)e nur relativen fflert hatte unb in ber 3e^tjeit als UnVoHfommenbeit 
ficb barfteUt, ferner verftänbigeS ©ingehen auf alle religiöfen ©ebürfniffe, welche 
im heutigen Kulturleben wurzeln, enblich thatfräftige ©rweifung ber Kultur' 


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2)er ÄatboliciSmuS unb bas XX. ^ahrpunbert. 


169 


macht beS ÄatholiciSmuS, — richtet er ben 2lppe0 an fte, beit in biefen Wuf» 
gaben niebergelegten Wichten mit Wfpannung aller Äräfte nachaufommen- 
@S banbeit ftd» um getftige, roiffenfcpaftliche Arbeit, inSbefonbere auf bem 
Selbe ber Jpeologie, Wilofophie unb ©eicpichte. 2lucb ber 8aie roibme ftd), 
wenigitenS „innerhalb geroiffer ©renaen", bem theologischen Stubium, benn 
aud) bie Ipeologie ift wahre SBiffcnfchaftlichfeit. Wur bann, wenn ein WeligionS» 
unterricht (befonberS wichtig an ber Wtittelfcbule) „nicht auf ber £>öpe fteht", 
fann eine MbfallSbewegung etwa? auSrichten. Wicht weniger bebeutfam ift bie 
intenfiPe Wege ber beiben anberen SBiffenfchaften, neben benen aber auch 
bie jwei großen ©eifteSgebiete ber ftunft unb Literatur Beachtung, unb jwar 
größere als bisher, finben fotten. ©nblich nicht ju oergeffen ber wärmften 
Wege beS SolfSbilbungSweienS, bamit bie breiten SDtaffen „nicht anberSwo 
ihren ®rang nach Bilbung unb SiebenSluft befriebigen" unb babei „ben 
großartigen Weichthum an hohen üebenSgütem“ in ben ©ebanfen unb ©in» 
ridjtungen ber Äirdje oergeffen ober gar oerachten lernen. 

®aS großartige firchengefdjichttiche ©emälbe, baS ©hrharb mit Zünftler* 
hanb entwirft, ift ooß beS ernftcften ©oloritS. ©ar oieleS „gibt p benfen". 
Wer bem ftetS fefigehaltenen ibeaten 3uge entfpricßt auch ein opti» 
miftifcher, ein hoffnungsreicher, feftgewurjelt in ben göttlichen BerheißungS» 
Worten. Xie auffieigenbe ©ntwidtung beS firchlichen SebenS im 19. 3ahr= 
hunbert wirft im Berg (eich pnt „Üiefftanb" beS 18. BahthunbertS „wie ein 
fonniger SrühlingSmorgen nach langer SBinterfälte". SSenn ftd) bem Beobachter 
jwifchen heute unb bem chrijtlidjen Sllterthum eine gewiffe „Berwanbtfchaft" 
aufbrängt, fo ift bieS „nur als ein Bortheil ju betrachten". „®ie fatholifche 
•ffirche fteht iefct höher als im SJtittelalter unb weist gerabe auf beji ©entral» 
gebieten beS teligiöfen üebenS mächtige Sortfchritte auf", bie mit ber neujeit» 
liehen Kultur pofttioe Berbinbungen fudjen unb finben. Bereits ftnb Slttjeichen 
ba, welche auf SBieberoerföhnung beS „metaphofifchen unb empiriiehen 
35enfenS" hinbeuten, waS „in erfter üinie bem ÄatholiciSmuS augute fommen 
mujS". 3luf bie Srage, ob bie auS ber mobernen ©ntwidlung wadjfenben 
©efahren für ben ÄatholiciSmuS au überminben ftnb, antwortet ©hrharb mit 
ber „fräftigften Bejahung, bie ftd) ber Bruft eines ÜJtanneS entringen fann". 
freilich gilt eS ein fteteS Wengen unb Strbeiten, „nicht ein beguemeS, müßiges 
Jöerrfchen", ein Arbeiten „im Slienfte ber höchften 3beale ber Wlenfcbbeit, 
befruchtet unb oerflärt burd) bie wahre Siebe au ©ott unb a« ben SWenfdjen". 
< £iefd)öneSrud)tfolcber5lrbeitift oorliegenbeS Buch- ©hrharb ift an fte heran» 
getreten, gewappnet mit einer bewunberungSoollen Sülle oon SBiffen, getragen 
oon wahrhaft ibealer Begeiferung für baS ©Ute unb SBahre, erfüllt oon bet 
©inftcht beffen, was unferer Beit Wotb thut. ®er Weichthum befruebtenber 
©ebanfen ift gefleibet in baS ©ewanb einer blühenben Fiction, fo bafs Inhalt wie 
Sorm ben öefer feffeln. Wiemanb wirb baS SBerf anrföanb nehmen, ohne aus bem» 
felben geiftige ©rfrifchung au empfangen, ©egenüber all’ ben Boraügen erfchiene eS 
fleinlich, ftd) über untergeorbnete ©inaelpunfte, worüber man ja anberer SDfeinung 


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170 $ofepb §ira. $>er ftatbolicigmug unb ba$ XX. ^abrbunbert. 

fein fann, nitt@{)rt)arb augeinanberpfefcen. Siir fern ©efammtergebnig finb ftc 
bon feinem Sekng. ©eit SJtöbier, .£>ettinger unb ben beften Seiten ^öflinger'g 
ift fein ©ueb erfchienen au£ fatboiifcben Greifen, bem id) folcbe Sebeutung 
pnteffen fönnte, mie biefem. $(uf bie gro§e Seiftung ßbantberlain'g erfebien 
e£ fo redjt a tempo. 3n einem jüngft erfebienenen SBerf mar bon äJtöbler 
beiläufig p lefen: bei aller SInerfennung feineg 2Biffen£ habe man bei ibm 
ben ©htbruef ber ©Jabrböftigfeit nid)t haben fönnen. Ob auch gegen @br s 
barb einer ben traurigen 9Jtutb finben mirb p folcber ©ebauptung? ftretficb 
fab man mxft feiten einen ragenben Jburrn, um ben nicht Staben freisten 
unb freifebten. 



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Die neue deutsche Rechtschreibung. 

Eon 5r. IRitfiarfc fo. Mufft. 

f ie Unficfterßeit auf bern ©ebiete ber SRecßtfcßreibung bitbet feit reicftlicft einem 
falben Soßtßunberte ben ©egenftanb allgemeiner Silage. mar bie 
lefete lat bc£ greifen Safob ©rimm, baß er in ber ©inleitung jum „$eutfcßen 
SBörterbucfte" ba3 ooHe ©emießt feiner Autorität in bie SBage rnarf für eine 
Reform ber beutfeßen Schreibung; aber erft jefct, faft 40 3aßrc nach feinem 
Xobe, ift jum erftenmale unb non berufener unb einflußreicher ©eite ber 
hoffentlich mit ®rfolg gefrönte Sßerfuch unternommen morben, eine einheitliche 
beutfehe Schreibung burchjufefeen. ®3 erfcheint alfo in biefem Slugenblicfe toohl 
angemeffen, bie Stage fcoit üerfeßiebenen Seiten ju beleuchten, 2(nlaß, äRetßobe, 
3iel unb Sht&ficßten ber fReforrnbemegung fritifch ju ermägen. 

3>ie ©efchichte ift eigentlich nicht gar fo fcßlimm; e3 gab Beton, oor 
allem ba$ 17, Sahrhunbert, ba bie ©ermilberung toeit ärger mar; aber bie 
Semegung mühlt fo große Xiefeit auf, nicht nur, meil mächtige materielle 
Sntereffen in3 Spiel fommen, bie man früher gar nicht ahnte, bie Son- 
furrcn$ ber großen ©ueßbrueferoffirnen, fonbern üielmeßr beSßalb, meil jmei 
befonberS empfinblicße, fich miberftreitenbe Seiten be3 beutfeßen ©olfäcßaraftera 
berührt merben. 2>a£ ift ber 3nbimbuali£mu$, ber Srieb nach perföitlicfter 
Sreißcit, SelbftbeftimmungSrecßt, ber in ber s -ßolitif ate ©artifulari£mu£, im 
fokalen Seben gar oft al£ fRecßtßaberei auftritt. 3fcß fanntc einen äRufto 
leßrer, ber ganj einfach Stöcfl ßieß. £er Sttann fanb eines $age3, baß baS 
cf überfliiffig fei unb baß man ©igennamen feßreiben bürfe, mie man moHe, 
übrigens eine gemeinnerbreitete ungeheuerliche ©räfumption, ber mir Schreibungen 
mie SBincfelmann, ©oetße, ©ueß, unbeutfeße SluSfpracßen mie 2u-eger oerbanfen. 
©ergebenS mar eS, jenem Spanne oorjufteUen, baß bie ©erbinbung fl einen 
furjen ©tammoofal norauSfefce, ber eben bureß bie Serbiitbung cf angebentet 
merben fofle, baß alfo baS c ßier moßl SBert unb ©ebeutung ßabe, fieß rücf= 
beließe, unb baß eS nur jmei richtige Schreibungen beS SRamenS gebe, bei 
fuqem ©tammbofal: Stöcfl, bei langem unter Sluflöfung ber Serbinbung fl: 

*) $tefer Uuffafc ifl pglfid) Sdjrift* unb 'Srucfprobe ber neuen Schreibung. 


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172 


{Richarb o. ßRuth- 


Stöfel. Unfcr alter gremtb blieb trofetg bei feiner unbeutfdjen Schreibung 
unb bie gamilie, ber eine angefefjene Schriftfteflerin angehört, bemaljrt bie= 
felbe au3 Pietät bis auf ben heutigen Dag. — Dah, menn ber König von 
©apern ben Hnfpruch erhebt, fein p ju bemapren, 3fibor äRaper & Eie. 
baSfelbe Siecht befifcen, fann man nicht beftreiten. Unter folchen Umftänben 
hat eS natürlich nie eine 3 nftanj gegeben mie bie acadämie fran9aise, beren 
©oturn unbebingte ©ittigfeit gehabt hätte, unb baS grofje SBörterbuch, anftatt 
mie in granfreich eine gemeingiltige ÜRornt 51 t fchaffen, entflammte ben Streit 
erft recht. 

9tun fommt aber noch eine önbere Seite beS ©olfScharafterS ins 
Spiel, ber £>ang ju gelehrter ©rübelei unb Sprachpebanterie. SBäprenb man 
in granfreich unb Englanb, mo bie ftreng ^iftorifc^e Schreibung noch ganj 
anbere Schmierigfeiten fchafft unb burcpauS richtig $u fchreiben einen ^o^en 
©ilbungSgrab vorauSfefct, ber Sache ziemlich gleichgiltig gegenüberfteht, macht 
man in Deutfcplanb aus „Schreibfehlern" großem Hufheben, fieht in ihnen 
ein Seichen ber Unbilbung, betrachtet jeben, ber eine anbere ßRethobe ber 
Schreibung befolgt, als einen ffeper. 

Die ©emegung hielt mit bem erftarfenben üRationalgefühl gleichen 
Schritt. ©on Hnbeginn an aber freujten fich zmei feinbliche {Richtungen, Yx e 
hiftorifche unb bie phonetifche. Um ju einer richtigen Erflärung berfelben ju 
gelangen, muh öber etmaS meitcr auSgepott merben. Der alte Hbelung mar 
eS, ber vor mehr als einem 3öprpunbert bie fcheinbar unverfängliche unb 
afleS töfenbe {Regel auffteHte: „Schreibe, mie bu fpridjft!" ober voß* 
töncnber unb noch falfcher: „Schreibe, mie bu richtig fprichft!" 3Ran 
überfiept ba jmeierlei, bah baS Deutfcpe burcpauS feine ftreng pponetifcp, 
b. p. f^eng nach bent Sautflange geschriebene Sprache ift — baS f in Dfen 
ober £>afen flingt anbere als in $ofe ober laufen, baS ch in Sicht ober 3ecpe 
anberS als in riecht ober fchnarchen — unb bah baS h eu ^9 e Hiphöbet bem 
Sautbeftanbe mit nieten entspricht. So höben mir baS Seichen c / baS, halb 
f halb $ gefprochen, hoppelten, aber gar feinen Sautmert befifct; eS gibt jmei 
ganz verriebene f'Saute, bie im Htppabet richtig als eh nnb fe analog bem 
ef unb me gerieben fein follten, maS aber leiber nicht ber Saß ift; von ben 
vielen Konfonantenverbinbungen höben jmei, fm unb ff als qn unb bann 
tf als 5 , Hufnapme in baS Hlppabet gefunben, afle übrigen nicht; bie 3eichen 
für ben £>auch* unb 3 ifcptöut finb bie ganz miflfürlichen Söfammenfteßungen 
ch unb fch; baS Sachen p höt feinen Sautmert; bafür fehlen bem Hiphabet 
bie Umlaute, bie Diphthonge, baS cf unb p, bie fo häufigen pf, fp, ft u. f. m. 
Diefe {Reihe genügt hoffentlich, jeben Sefer $u überzeugen, bah fich ber Saut* 
beftanb ber Sprache unb ber Schrift nicht beefen, bah ölfo eine ftreng phonetifche 


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2>ie neue beutfdje iRedjtfdireibung. 


178 


Schreibung nicht burchfüfjrbar ift. $abei haben mir Oon ben {Eigentümlich* 
feiten ganj abgefehen, wie ber Sermenbung beS anlauteitben o in wenigen 
aber wichtigen ©örtern (SSater, Setter, Sieb, Sogei, oon, oor, oer* unb 
anbere, im Snlaute nur Sreuet; grembwörter nur Seilten unb Sogt, fonft 
immer wie w), bem oielumftrittenen th (man erflärte bie Differenjierungen 
ber %t)on = 2ef)merbe unb Ion = Schall, ber Ifjau unb baö lau für unerläfjlich, 
inbeS man bocb bei Ibor, norbbeutfch Xor, ber unb baö, längft baoon 
abgefommen mar); oon aitertümlicben Slbfonberlichteiten, wie ©tabt, fRljdn, 
P>b3 unb bergleicben. 

Über alle biefe ©(bwierigfeitcn festen ficf) bie Sanatifer ber rein 
Phonetiken Schreibung leichten Herjenö f)intueg. ©ie forberten Slbfchaffung 
beS 35ebnungö=b unb ber aus fremben Sprachen übernommenen Reichen, 
krieben alfo: fonfaw, Sümert, gifif, 3i>oilifajion, jäten, nemen, §an, 
©re u. f. f. 

Sie brangen nicht bur<h, nicht fomohl, weil bie Sti<htberücffi<htigung ber 
fremben iperfunft oieten als ein Reichert ber Unbilbung erfchien, als o i l m e r, 
weil ire ©ortbilber, wie wir fie l)ier geben, baS Auge beleibigten. 

®S läßt fk auch nicht leugnen, bah fie mit ihren rabifalen Steuerungen 
unb fdjranfenlofen Sorberungen baS ftinb mit bem ©abe auSfcf)ütteten. loch 
bleibt ihnen baS Serbienft, baS ©efährte ins Stollen gebracht ju hoben. 

$a trat 3afob ©rimm auf ben ©tan. Xie Sorrebe jum „leutken 
©örterbuche" ift batiert oom „2. merz 1854"; in biefer fteHte er bem 
gtofjen ©ubtifum neue, weitgehenbe Sorberungen, bie, wie wir uns heut 
geftehen müffen, ihrer ganjen Statur nach nicht baju angetan waren burdh* 
jubringen unb mehr Serwirrung brachten als Klarheit, ©r oertangte: 1. 21b* 
koffung ber beutken Srafturfdjrift, gegen bie er nicht weniger als fieben ©rünbe 
oorjubringen muhte, unb fonadj alleinige Slnwenbung beS SateinbrucfeS; 
2 . Slbkoffung ber ©rofefchreibung ber Hauptwörter. liefe beiben, bem 
Solte, nicht nur ber groben SJtaffe, fonbern auch ben ©ebilbeten, anftöfjigften 
Steuerungen, führte er auch burch; bie SluSmerjung ber DehnungSjeichen 
begnügte er fich anjuraten; neu mar auch baS oon ihm eingeführte abfcheuliche 
Reichen sz (masz, musz). 

Sragen wir nach ber ©erechtigung biefer ftreng logifdjen, aber wenig 
praftiken Sorkläge, fo liegt in biefen Attributen fchon baS Urteil, ©egen 
bie Sermerfung ber SJtajuSfel beim ©ubftantioum läfjt fich S ar nichts Stich* 
haltiges oorbringen; aber ber ©rfolg hot gezeigt, bah bie grobe SJtaffe baoon 
nktö wiffen miß: fein einjigeS ©uch, baS fich ber „©rimmifchen Schreibung" 
bebiente, oermochte oolfStümlich ju werben unb infolgebeffen blieben alle 
DtudWerfe, bie in weitere ftreife ju bringen rechneten, beim alten ©rauche, 


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174 


IRicßarb o. üftutß. 


fo baß ßeute nur einige wenige pßilologifcße 3^^riften bie ©ubftantioa 
Hein bruefen, inbeS bie beutle ©ewoßnßeit fogar über bie ©renje ju 
greifen feßeint (Xitel Wie: La Femme en Gris, La Main gauche, Op 
Hoop van Zegen, unb ä^itlic^e). Sticht einmal für ben ©erganfang, wo ber 
große ©ueßftabe cbenfowenig ©ereeßtigung ßat, tonnte bei ber jefcigen Reform' 
bewegung mehr als greifteHung erreicht werben. 

Die ©rünbe gegen bie grafturfeßrift waren bei weitem nießt fo über* 
3 eitgenb unb jwingenb; bem ^auptargumente, baß bie tleinen Sinber 
gejwungen feien, aeßt Süpßabete, non beneit oier unnüfe, $u lernen, fefctc 
man entgegen, baß bieg erfahrungsgemäß feine großen ©eßwierigfeiten bereite 
unb baß beim Durcßbringen ber Reform bie Übergangszeit, in ber boeß bie 
alte ©cßrift feßon mit Stücfficßt auf bie SJtaffe ber oorßanbenen Sitteratnr* 
erjeugniffc allgemein erlernt werben müßte, ©enerationen in Slnfprucß nehmen 
würbe. Deffenungeacßtet brang bie minber begrünbete Steuerung in weitere 
Greife; ©ßilologen un ^ ©iftorifer begannen ißre SBerfe mit lateinifeßen 
Settern $u bruefen; SDtatßematifer unb ©ßqfifer, aueß &iefe SKebijiner unb Iß *° e 
logen folgten ißrem ©eifpiele, inbeS bie Staturßiftorifer wie bie meiften übrigen 
gäcßer beim Sitten oerßarrten. ^eute fteßt bie ©aeße fo, baß bie Slntiqua in 
pßilologifcßcn unb mebijinifeßen 3citfcßriften auSfcßließlicß ßerrfeßt, in größeren 
ffierfen berfelben gäcßer übertoiegt, fonft aber nur auSi*ßmSmeife Slnwenbung 
finbet, fo baß babureß bie mäeßtige filuft, bie in Deuticßlanb jwifeßen ben 
SJtännern ber SBiffenfcßaft unb ber großen SOtenge, wir wieberßolen eS, nießt 
bem gemeinen SRamte fonbern ben ©ebilbeten, flafft, noeß erweitert würbe. 
Dem praftifeßen fünften, bem ein £eft etwa ber 3«tfcßrift für beutfcßeS 
Slltertum in bie £änbe fällt, erfeßeint bie ©efeßießte abfonberlicß unb bie 
Seftüre feßwierig; ber gemeine ©tarnt ßält, was er ba oor fieß fießt, gar 
nießt für beutfeß. 

©0 war bureß ©rimmS ©orftoß bie ©erwirrung nur oermeßrt. Die 
grage blieb, offen. Slber wäßrenb fieß baS große ©ublifum mit bilettantifeßer 
©efcßäftigfeit ftritt, Würbe fie an zwei ©teilen §u einer brennenben: in ben 
großen Drucfereien unb in ber ©cßule. Da jeber Äatßeberbefpot Oom ©cßuL 
meifterlein im abgelegenen Sltpentale bis $um ©eßeimen £>ofrat in ©effer* 
wiffenßanfen feine eigene ©cßreibung ßatte, bie er 001 t feinen unglüefließen 
©cßülern umfo energifeßer forberte, je meßr fie fieß twn ber altüblicßen 
entfernte, an ber bie maßgebenbe DageSpreffe mit 3äßi9fat feftßielt, unb ba 
bie ©ueßbruefer jur ©erzweiflung getrieben würben jwifeßen ben ©efcern, 
twn ben en jeber naeß anberer ©tetßobe gelernt ßatte, unb ben Autoren, twn 
benen jeber feine befonberen Saunen berüeffießtigt feßen wollte, würbe ber 
9iuf naeß einheitlicher ^Reform immer bringlicßer unb allgemeiner, fo baß 


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Die neue beutfdje Recht) chreibung. 


175 


enblidj bie Regierungen ihr Dh* nicht länger oerfdßiehen fonnten. 68 lam 
bie ber Enqueten. ©elbftuerftänblid) ging jebe Regierung ihren eigenen 
SBeg. ©artifulariSmuS unb 3nbioibualiSmuS feierten ihre fchönften Sriuinphe. 
Rad» einem Saljrjelfnt ber Streitigfeiten bot man eS gegen 1880 ju einer 
öfterreid)ifdjen, pteufjifchen, boirifeben, fächfifdjen u. f. w. Schreibung gebracht. 
Das Soljuwabohu wäre fertig gewefen, wenn nicht ein befonnener unb oer= 
.ftänbiger ©tann bie Sewegung in praftifdje ©ahnen gelenft hotte, fo bah 
bie S?leinlid)leit ber übrig gebliebenen ©erfchiebenheiten, bie man aber mit 
an ©tarrfinn grenjenber Eiferfüd)telei öerteibigte, allgemein empfunben würbe. 

Diefer ©tann war ber Erlanger ©rofeffor Rubolf 0. Raumer. ©chon 
1855, ein 2af)r nach l>er ©orrebe jum „Deutfchen SBörterbuche", war er mit 
feiner epochemachenben ©chrift „Über bie beutfche Red)tfd)reibung" aufgetreten ; 
21 3ahre fpäter, 1876, würbe er oon ben beutfchen ReichSregiernngen mit 
ber Aufarbeitung beS Entwurfes betraut, ber ber bamaligen Serliner 
Äonferenj ju ©runbe gelegt würbe; unb wenn auch bie Sorfchläge biefer 
©erfammlung über feine Anträge hinaufgingen, fo tonn man bod) behaupten, 
bah olle Reformen bif auf ben hantigen Sag auf feinen ©rinjipien unb 
Anregungen fufjen. Auch bie heutige Reform, beren Sharalter unb ©ebeutung 
in ganj anberem als in ben Einjelheiten ruht, ift nichts anberef als eine 
etwas rabifal angehauchte Durchführung ber Raunterifchen Sbeen. hier genügt 
ef, wenn wir jagen, bah er nach beiben ©eiten ju »ermitteln fuchte. ©eine 
Sofung war ©täfjigung, fo jwar, bah feine ©orfchläge ben Seilnehmern ber 
Serliner St'onferenj nicht genügten, bie »ielmehr in aßen ©unlten, wo 
©honetiler unb $iftori!er jufammentrafen, junt Seifpiel in ber AuSmerjung 
bef Sehnungf=h, weit über ihn hinausgingen. 

Aber bie Sefchlüffe biefer Sbnferenj trafen auf unerwarteten 5Biber= 
ftanb. Die fonferoatioe ©artei erhob fid) ju geharnifchtem ©rotefte. An ihrer 
©pifce ftanben ©Jänner wie ©toltle unb SiSmard, welch lefcterer mit Erlah 
Dom 28. Februar 1880 aßen Seamten jebe Abweichung oon ber ^extömm= 
liehen Schreibung in ber nad)brüdlichften AJeife unterfagte. Da bie führenben 
©eifter ber Station mit ber groben ©taffe einig waren, Ämter unb ©reffe 
am hergebrachten feftljielten, war ber ©erfud) einer tabilalen Reform 
ge jeheitert; bie Regierungen bereuten eiligft ihren aßjufüljnen ©orftoh unb 
fchlugen wiebet ©onberpfabe ein. 

SBemt wir uns fragen, woher benn biefe Abneigung gegen wohlgemeinte 
unb wohlbegrünbete Reformbeftrebungen, fo werben wir ben ©runb finben 
tn ber ©rünentifchweifheit unb bem Sathebereigenfinn. ©tan bojierte unb 
belretierte eben, ohne einjufeljen, bah ber howunfuluf, ben man in ber 
Retorte ber Schulweisheit jufammengebraut, boch nur ein nicht lebensfähiger 


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176 


Ricparb o. SRutl). 


SBechfelbalg mar. 9Ran wollte Vorurteile überminben unb fc^nitt tief in 
feftgemurgelte ©ewoljnheiten ein (an ffiortbilber wie 6re, ir, giwil, gewöhnt fich 
baS beutfche Sluge nicht mehr) unb bafierte auf ber VorauSfefcung einer oiel gu 
geteerten Vilbung (wie foH, »er riicfjt llaffifche Stubien gemacht, toiffen, 
baß baS aus bern Öateinijchen ftanunenbe factiftf) unb baS angeblich griedjifdje 
prattifch, transparent oon tranfpirieren gu unterfcßeiben fei?!). SRan wollte 
immer fommanbieren, wie gu fdjr eiben fei, mährenb bei bem ©hatalter 
beS beutfdjen Volles eine Reform nur bann 9IuSfid)t hat, allgemein burchgu» 
bringen, wenn fie nach fRöglidjleit ber VrajiS geregt, bie grage alfo jo 
gefteHt wirb: wie allgemein gefdjrieben wirb? 

durch biefen SRißerfoIg ber beutfchen Regierungen gewifcigt, ging bie 
öfterreidjifche UnterricbtSoerwaltung mit großer Vorficht oor. Räubern einige 
ffinquSten, auSjdjliefjlid) ans ©eiehrten gufammengefe^t, gu teinem Refultate 
geführt unb inSbejonbere bie Vorjdjläge beS Vereines „SRittelfchule", oon 
benen man fich ein praftifdjeS Refultat oerfprochen hatte, fich als oiel gu 
meitgehenb unb unoollstümlich erwiefen Ratten, belretierte baS Unterrichts» 
minifterium eine amtliche ©chulorthographie, bie es 1880 mit großer Energie 
burdjgufefcen mußte. diefetbe beruhte auf burdjauS richtigen ®runbfäfcen unb 
mar oom ©eifte praltifcßer SRäßigung burcßbrungen. ©rboft über ben Starr» 
fiitn ber ©eiehrten, hatte ber Referent im SRinifterium, feines 3ri<henS ein 
Vhhftf«» bie Reform mit ein paar näheren Velannten felbftänbig burchgefüljrt. 
So beftanb fie eigentlich auS lauter unfpftematifchen ffompromtffen; aber ber 
lerngefunbe Verftanb beS SRanneS hatte faft überall baS 3 e 'tgemäße unb 
durchführbare getroffen. @o weit wäre nun alles in ber Drbnung gemefen 
wenn man fich nicht mit echt öfterreichifcher 3aghaftigleit überall oor bem 
lebten entfcheibenben Schritte gefreut hätte nnb wenn nicht, worin fich bocf) 
ber SRangel fachmännifcher Seile fühlbar machte, eine SRenge gebächtniS* 
befchwerenber Snlonfequengen ftehen geblieben wären, die SRajuSlel fchränfte 
man nach SRögtichleit ein (nachhaufe, infolge, gugrunbegehen, teilnehmen, 
morgens, fonntagS u. f. f.), baS del)nungS»h würbe beibehalten, baS tlj im 
StuSlaute etwas befchränlt (SRaut neben SRuth, SBirt, Slrmut); bie Silben* 
trennung würbe oereinfacht; bei ben grembmörtern hielt man ängftlidj am 
hergebrachten, diefe Slngftlichleit, bagu einige Slbfonberlichleiten (löst, löblich, 
IRatthiaS unb anbere) oerhinberten baS durchbringen biefer Schreibung im 
großen fßublilum. SBir geben einige Veifpiele foldjer 3n!onfequengen, wie 
fie fich in ber „SBiener Slbenbpoft" oom 26. ÜWärg 1901 gufammen* 
gefteüt finben: 

Somptoir neben ejemt, 

VlieS neben gehrne unb ©rieß, 


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5)ie neue Oeutfctye SRechtfchreibung. 


177 


bar neben Sahre unb £aar, 

Schere neben ©eere unb ®^re f 
3)ialect neben ©harafter, 
faetifc^ neben praftifdj, 
gabrifant neben ftabrication, 

So£ neben 2Jtoo3, 
gebären neben führen, 

2 Biberfd)ein neben SBieberhaö, 

©Ulet neben ©(anfett u. o. a. 

Stofe biefe gebächtniäbefchwerenbe Schreibung nicht burchjubringen oer- 
mochte, fo ängftlicfe fie ber ©rafiä gerecht ju toerben oerfudjte, ift begreiflich- 
©in ganz befonbereä Stenz mar auch bie ©^Schreibung. $iefe hatten 9lbelung 
unb nach ihm 3 tafob ©rimm, ber freilich mit feinem sz nicht burchbrang, auf 
hiftorifcher ©runblage ju regeln unternommen, maä fidh jeboefe in ber ©raji£ 
als ju fchmierig erwie£. $a trat etwa in ben breifeiger fahren ber 
©rammatifer Sari §epfe, ber ©ater ©aute, mit einem ©orfchtage auf, ber 
immer weitere Sreife gewann unb auch in ber öfterreichifchen ©chulorthographic 
rücfhaltloä afzeptiert warb. ©& War in ber %at eine äufeerft praftifdje Söfung: 
ber gorbifche Snoten war burchhauen, — wenn man ba$ Schwert 5 U fdjwingen 
oerftanb. £>epfe fafete ba£ Reichen ff, in Sateinfchrift ss, im 9tu3laute f$, al£ 
bie ©erboppelung be£ fcharfen fe auf, a(fo ff = fe + fe. $a aber baä bie 
grofee SRaffe unb bie enorme SRehrzahl ber Sefjrer nicht Oerftanb, ba$ ©erhältniä 
oielmehr unaufgetlärt blieb, oermochte man auch Unterfchiebe in ber 
Schreibung wie Straße unb ©affe, liefen unb laffen, biifete unb füfäte, gufe 
unb glufS nicht $u begreifen unb oerwarf biefe Schreibung aU anfeheinenb 
infonfequent, inbeä fie hoch flar unb begrünbet wajr. S)ie ®rucfereien 
fträubten fich namentlich, ba£ Reichen ß auch im Sateinbrucfe einzuführen 
unb blieben nach wie oor babei, ben einfachen fcharfen Saut burdj f3 = fe 
ZU bezeichnen, Wa3 bent ©eifte ber ^epfe'fchen Schreibung juwiber ift. 

So gingen benn bie einzelnen Staaten getrennte SBege; bie Snaben, 
bie auä ber Schule traten, bie Sommi£, bie ihre gefchäftliche Saufbahn 
begannen, bie iungen ©eamten, bie bie erfte 9Infteflung erhielten, würben 
unzufrieben unb unwirfch angewiefen, fich ih rer Schutgewohnheiten z u 
entäufeern. $ie Schule aber hatte einen harten Stanb. $ie 3eichen, bie ben 
Sinbern täglich in hnnberten oon ©(afaten Oor Slugen traten, bie SBortbilber, 
bie ihnen taufenbfach in ber Xageäpreffe entgegenfahen, bie Schreibung, bie 
fie in ben maffenhaft in ihren §änben befinbli^en reich^beutfchen ©üchern 
angewanbt fanben, waren anbere, al£ fie ber Sehrer bot unb forberte. 

$ie Shiltur. III. Saftrfl. 3. fcfft. (1902.) 


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178 


SKtdjarb o. 2Rutb. 


$er 3uftanb lüar unhaltbar geworben, bie Klage aßgemein; aber 
niemanb ^atte bie ©nergie, mit beffernber £>anb einjugreifen. 

®a erfebien im Dctober 1900 im ©erläge von 81. ©icbler« SBwe. & ©obn 
in SSBien meine „SKetbobif ber beutjeben Stedjtfdjreibung für öfterreic^ifc^e 
Schulen", ein Heine« ©üebtein, ba« unbemerft oorübergegangen wäre, wenn 
ich eS nicht barin gewagt hätte, einen bireften Stppefl an ben öfterreiebifeben 
UnterricbtSminifter $u richten nnb benfelbeit an ®r. ö. gartet ein$u= 
fenben. $iefer ßlotfcbrei fanb ©eaebtung. $a« ift mein ©erbienft, äße« 
weitere Partei«. 

©S war ein befonbere« ®lücf, bab eben $um erftenmale ein SRicbtjurift, 
ein feinfinrtiger 5J5^iIologe, ber ooße« ©erftänbni« für bie ©acbe befab, bie 
leitenbe ©teßung inne tyatte. ®r. ö. gartet war erftaunt über bie 
Snfonfequenaen, wie fie in meinem ©ücblein jufammengefteßt Waren, unb 
erfaßte ben SReformgebanfen mit jietbewu^ter latfraft. ©aebfunbige, umfiebtige 
unb begeifterte Unterftüfcung fanb er an #ofrat 3ol)ann &uenter. 

Partei batte aber auch erfannt, bab jwei ©runbgebanfen, benen id) 
in jener ©d)rift SluSbrutf gegeben, richtig waren: bab eine ©erföbnung 
jwifdjen Schule unb ©ra£iS burc^gefefct werben* müffe, unb bab eS galt, eine 
xoivij ju febaffen, eine gemeine beutfdjc Schreibung, bie nur auf ber ®runb* 
tage einer Serftänbigung mit bem beutfeben Steife möglich war. $iefe War 
aber Vorher noch an^ubabnen mit ben SKännern ber ©rap«. @o lange bie 
Sucbbänbter ber grage inbifferent gegenüberftanben, bie Sucbbrutfer nie recht 
entfliehen mitgeben Wüßten, bie XageSpreffe au« gefcbäftlicbem gntereffe jäh 
am 8(ttbergebracbten feftbiett, tonnte von einer einbringenben unb bureb* 
greifenben SReform nicht bie Siebe fein. £ier ben |>ebel eingefeftt, unb ba« 
beiberfeitige ©ntgegenfommen burebgefefct ju höben, ift ba« erfte grobe 
©erbienft gartet«. 

8 tm 22. unb 23. SRärj 1901 fanb unter Sorfifc ©r. ©jeeßenj be« 
t. !. SRinifter« für Kultus nnb Unterricht, $r. SBilbelm SRitter oon gartet, 
eine ©nquete ftatt, in ber nicht wie in früheren Sabrjebnten bie ®etebrten 
ftritten, um bann oon ben 3uriften mit mäßiger £öflicbfeit binauSfomplimentiert 
$u werben, fonbern in ber Vertreter aßer 3toeige be« Unterricbt«wefen« 
neben ben Organen ber Staatsverwaltung unb ben SRännern ber ©raji« 
faben, fo bab ein grober 3«9 in bie ©erfammlung !am, eine zugleich 
gehobene unb boeb nüchterne ©ttmmung, eine Kapitulation be« gbealiSmu« 
vor ber realen ©rajiS. $a« SReue unb ®ute war, bab man nicht blob 8u 
einem oorau« beftimmten Programm ja ju fagen batte, fonbern bab bie 
©ahn wirtlich frei war, ber 2)iSfuffion feine ©ebranfen gezogen würben, 
fo bab i^er ©tanbpunft jur ®eltung fommen tonnte unb bie 8lutorität ber 


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Die neue beutfche föechtfchreibung. 


179 


Regierung nur fo meit in Slnfpruch genommen mürbe, alle Strömungen unb 
Strebungen auf ba3 gemeinfante 3«t ju fonjentrieren. Da auf aßen Seiten 
ber gute SBiße fyerrfdjte, mürbe, fo meit auch anfänglich bie SWeinungen ber 
ÜJtänner ber SBiffenfchaft unb ber ©ra&i 8 auSeinanberjugehen, bie 3 icte ber 
höheren unb ber elementaren ©ilbung auSeiuanberjuliegen fchienen, nach 
^ehuftünbigen Debatten eine Einigung erjielt unb eine 8afi3 gewonnen, auf 
ber fortjuarbeiten möglich mar .*) Da 8 mar nicht $um menigften ber mafc 
unb taftboßen Haltung be£ oorfifcenben 9Rinifter3 $u oerbanfen, unb ba3 ift 
^artete ameiteS grofteS Serbienft. Er hotte aße hingeriffen mit ber 
©egeifterung für ben ©ebanfen ber Schaffung ber xoivt]] jeber fühlte, bafe, 
menn man bieämal nicht jur Einigfeit gelange, bie Sache für immer ber* 
loren fei; unb baher ging baö ©otum ber Enquete bahin, fofort in ©er* 
hanblungen mit bem beutfchen SReiche ju treten, in benen jmar unfer Staubpunft 
nach ßtäften ju mähren, um ben ©reis ber Einigung aber nötigenfaflS in 
jebem ©unfte uachjugeben fei. 

ES galt alfo, bie fämmttichen beutfchen SReichSregierungen jum Stuf* 
geben ihres SonberftanbpunfteS unb jur Sinnahme unb Durchführung einer 
gemeingiltigen Schreibung ju beftimmen. Da& baS, unb $mar mit beifpiellofer 
tRafchheit gefdmh, ift baS britte grofje Serbienft £>artelS. 

Enbe 3mti 1901 fanb in ©erlin eine Enquete unter bem ©orfifce 
beS preufeifchen UnterrichtSminifterS 0 . Stubt ftatt, an ber als ©ertreter 
ÖfterreidjS £>ofrat |>uemer teilnahm. Er nutzte oft nachgeben unb manches 
Dpfer ber Überzeugung bringen, barunter einige, bie, mie mir fehen merben, 
ber Sache faum zum Sorteil gereichen. Slber fein ©reis mar ju hoch, eine 


*) SBir glauben einige ber eifrigften Teilnehmer ber EnquSte nennen ju bürfen, 
ohne unS einer Qftbiefretion fchulbig ju machen: oon Seite ber ^Regierung SeftionSchef 
0 . ©ernb,£>ofratDr.£memer, ber üRittelfchulreferent, unb ber ©olfSfchulreferentDr.^einj; 
ber ©eneralbireftor ber f. f. Schulbücheroerläge, bem bei ber Durchfübnmq ber 
^Reform bie größte Atolle jufallt, s JtegierungSrat Se SRonnier, bie beiben UnioerfitätS* 
profefforen §ofrat ^einjel unb SRtnor, bie SanbeSfchulinfpeftoren §ofrat Kummer 
unb Sarnpel, Direftor 0 . 9Ruth, Schulrat SBiUomifeer; als ©ertreter ber treffe ber 
feither oerftorbene Ehefrebafteur ber „SBiener 3eitung", DSfar Teuber, ber Schrift* 
leiter ^afeelt 00 m „Deutfchen ©olfsblatt" unb ber befannte Söiener SchriftfteHer 
©öfel. ©uchbrucf unb ©uchhanbel roaren burcb bie Herren §olzhaufen unb Qafper 
repräfentiert, bie ihren nicht immer foinjibierenben Stanbpunft roohl ju mähren 
mußten, mancherlei Schroierigfeiten erhoben, bann aber auch fräftig baS 3h« jur 
Erreichung beS gemeinfamen 3iele3 beitrugen unb ftch um bie görberung ber Sache 
bie roefentlichften ©erbienfte erroarben. — 3 n Deutfchlanb fcheint bie Durchführung^- 
arbeit in ben £>änben DubenS, beS ©erfafferö beS befannten Orthographien 
SöörterbudheS, ju liegen. 

U* 


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180 


Sticparb ü. ÜJhttp. 


©inigung ju erjielen, bic wefentlich bcr ©inficht uitb bem $afte be3 öftere 
rctc^ifc^cn Vertreters ju berbanfen ift. 

gragen wir nun um bie ©runbjüge bcr neuen Schreibung, bie unfere 
Sefer ja am aßermeiften intereffieren, fo ift barüber eigentlich htt$ft<h ^enig 
ju fagen. ©3 ift eben ein SBerf ber Stiichternheit, baS wenig greifbare unb 
auffaßenbe ©eiten bietet. 3m wefentlicfjen fufet bie ©inigung noch immer 
auf ben ©runbfäfcen StubolfS 0 . Staumer, wie fie, ben Verhältniffen ber 
©egenwart angepafet, in meiner oben jitierten (Schrift, bon ber ber erfte 
Stnftofe jur Steform auSging, jum StuSbrucfe gelangten. 

2 lm bentfehen $rucf unb ber ©rofefchreibung ber Hauptwörter würbe 
nicht gerüttelt; im übrigen galt ber ©rnnbfafc: möglichfte Vereinfachung 
unter Schonung ber ©ewohnheit unb, wo e$ angeht, ©ewährung möglichfter 
3 freif)eit. 2ln ber ©chreibung beS $ehnung3*h würbe feftgehatten; nur baS 
th würbe in beutfehen SBörtern enbgiltig aufgegeben, fo bafe man fünftig 
nicht nur SJtaut, 9Mut, rot, röten, Eltern, fonbent auch Xor, Xür, Seil, tun, 
Xat u. f. f. fchreibeit wirb. $a3 ift ein wirtlicher gortfehritt, ein unfäg* 
lieber ©ewinn für bie Schute, in $eutfchlanb fchon feit jwei Sa^r^e^nteit 
burchgebrungen; auch unfer Sluge Wirb fi(h rafch an bie neuen gormen 
gewöhnen, ebenfo Wie an tot, töten (teiber töbtich, ber SluSfprache jum Xrofc, 
ber Slbftammung oon lob ju liebe), ftatt be$ bezopften tobt, töbten. 

3n ber ©^Schreibung fam ein SJompromife juftanbe, baS bie SKänner 
ber SBiffenfcfeaft barbarifch finben werben, baS unS aber praftifch crfcheint. 
baS täppifche rnnbe 3 bor t (liest, löst, reist) Würbe natürlich aufgegeben; 
fS tritt Wieber in feine Rechte in ber ©ettnng beS fcharfen fe; baS ff ober 
ss für fe + fe würbe im gnlaute bor Vofalen beibehatten, im SluSlaute 
aber unb bor Sbnfonanten aufgegeben. 5llfo wie bisher: Raffen, bermiffen, 
Stoffe, Stüffe, 3eugni3, 3eugniffe; aber glufe wie gufe, fyafy (feaffeft) wie 
reifet (reifeeft). 3« biefem Sßuntte würbe bem Stnbringen ber Vudjbrucfer nach* 
gegeben, bie bie gorm ß im Sateinbrucfe urtb ebenfo }3 mit ber ©ettung ff nicht 
burchfüferen ju fömten erftärten; in ber £at ift bie Söfung fo einfach unb 
praftifch, bafe fie wofet geeignet erfcheint, rafch aßgemein bnrehjubringen. 

gitr bebenftich h a ^en wir nur baS für uns Öfterreicher neue Vrin^ip 
ber Silbentrennung. Sicher würben bei uns bie Saute ft, fp, pf, p unb cf 
nicht getrennt, alfo leisten, baS einzige, was bleibt; 2Be»fpe, fäm=pfen, 
trogen, ®*cfe; nunmehr: 3Bef-pe, lämp=fen, trotzen unb gar ®f*fe, ftriMen, 
Sof^fung, fchmüMen u. f. f. 3n biefer Vejiehung fürchten wir ftarfen 
SBiberftanb. 

Stuf befonbere ©chwierigfeit ftiefe bie ©inigung bezüglich ber Schreibung 
ber grembwörter. $a3 b mit m=©eltung, baS ph unb p würben faum 


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Die neue beutföe D^ec^tfc^reibung: 


181 


berührt; ba8 ! mit c*©eltung mürbe faft aßgemein af^eptiert, alfo: Kapitän, 
Koflege, Kommiffion, Konforbat, Korrefponbenj, Kurie, Klaffe, Doftor 
bireft u. f. m. Aber bei c mit $*®eltung oor e unb i mürbe in ben meiften 
Säßen bie Schreibung freigefteßt, alfo Eeremonie unb Zeremonie, Eicabe unb 
3ifabe, Eigarre unb Starre, ßölibat unb 3ö^6at, EpfluS unb ,8hftu$, 
Eplinber unb Sh^nber u. f. m. Da8 geht ju meit; benn ba hoch bie einzelne 
Schule ober ber einzelne ©ejir! fich einigen muh, merben baburch Unterfchiebe 
anberer Art geraffen, bie im praftifchen Seben fehr empfinblich merben 
tonnen. ®3 tritt bie alte Unficherheit ein, ber ba3 ®olf um jeben ®rei3 
ein Enbe gemacht miffen moßte. Unb nun bebente man, bah mit Stücfficht 
auf bie Sorbilbung noch nnbere Satituben gelaffen mürben, mie etma bie 
®orfilben beä* unb bef-, bis* unb bif*, tranS* unb tranf*, fuS* unb fuf*; 
fo haben mir mie einft bei abftraft (früher: abStract, abftract, abatraft, 
abftratt, baS jept nur auf biefe eine Söeife gefchrieben merben barf, toaS 
gemifj aflgemeine ®ißigung finbet) leiber neuerbingS mieber SBörter, bie au 
nicht meitiger als viererlei SBeife gefchrieben merben fönnen; $um Seifpiel: 

DeSceitbenj, Defcenbenj, DeSjenbena, Defjenbenä, 
maS im ©egenteife aßgemeinen Unmut erregen mirb. 

So ift bie neue Schreibung meit entfernt, ben ßharafter ibealer 
®oßenbung gu tragen; bie Einigung mar eben nur erreichbar burch eine 
SReihe oon Kontpromiffen unb größte SRachgiebigfeit oon öfterreic&ifcher Seite; 
aber, maS erreicht ift, ift ein fo mächtiger Sortfchritt, eine nationale Errungen* 
fchaft bott folcper ®ebeutung, baf$ mir barum noch 9 an 5 anbere ©ebredjen 
in Kauf nehmen möchten. SRoch aber ift eine michtige Stage offen, bie ber 
Durchführung unb beS DurchbringenS. 

3ur Beratung ber ÜbergangSmahregeln trat bie SBicner Enquete noch 
einmal am 8. ÜZooember 1901 jufammen. Es zeigten fich ©egenfäfce ber 
Sntereffen, bie aber burch guten SBißen unb medhfelfeitigeS Entgegenfommen 
leicht geebnet mürben. Die Suchhänbter, bie barauf hinmiefen, mie enorme 
Kapitalien in Schulbüchern alter Schreibung fie auf Säger hätten, erhielten eine 
fünfjährige ÜbergangSperiobe jugeftanben, in ber neben ben SBerfen neuer 
Schreibung auch bk alten noch beniifct merben bürfen, unb ben Droft, bah 
ja gerabe fie oon ber Steuerung tüchtigen bürgerlichen ©eminn ju h°ff en 
haben. Die ®ertreter beS höhnen Unterrichtes maren anfänglich fufyeffiüer 
Einführung geneigt; aber ba bie ®olfSfchulmänner barauf hinmiefen, bah in 
Öfterreich taufenbe oon ein* unb jmeiflaffigen Schulen beftehen, mo 6—14jährige 
Kinber in Abteilungen neben einanber unterrichtet merben, unb bah & nicht 
angehe, in einem 3immer jmeierlei Schreibung $u (ehren, bah atfo bie 
Einführung mit e i n e m Silage erfolgen rnüffe; ba auch bie Suchbrucfer auf 


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182 


9tid)acb o. ÜJlutt). 2>ie neue beutle SHed)t|djreibung. 


möglich ft rafdje Durchführung brangen unb bie Vertreter ber ißreffe «Härten, 
bafj oon ihrer ©eite bem ffortfchritte ganz gemijj fein $inberniS in ben 
SBeg gelegt werbe: ftimmte fchliefjlicf) alles einmütig für mögtichft rafcf)e 
Durchführung ber SReform. 

9Jtan benfe fich nur in bie Sage eines SefjrerS, ber, wie bieS in 
taufenben unb taufenben öfterreid>ifd)er ©djuten ber galt ift, ©nbe Sänner 1902 
mit ben Sinbern, bie ju feiner 5 reube fd)on recht geläufig tefcn unb eben 
mit linte ju ft^reiben beginnen, in ber gibel jum th unb ff fommt! ©oll 
er wirtlich bie ftinber noch mit ben abgefdjafften Ungetümen plagen, bamit 
fie im nädjfteit Dftober jurüdlernen miiffen? 3ft baS nicht ein Verbrechen 
an ben Sinbern?! SEBer baS ruhig überlegt, wirb nicht nur ber Durch' 
füljrung ber SReform Oom Schuljahre 1902 an juftimmen, fonbern auch 
unoerjüglich einjuteitenbe ÜbergangSmafjregeln oerlangen müffen. 

©ei bem, Wie ihm wolle, ein mächtiger ©chritt ift getan, ein grofjer 
SBurf ift gelungen. Unterbrücfen mir enblich einmal bie Neigung ju 
nörgelnber S'ritit; bebenfe feber, ber etwa eine liebgemorbene ©emotjnheit 
aufgeben mufj, baff nur burch ©elbftjucht unb ©clbftbeberrfcbung ber ©rfolg 
beS grojjen SBerfeS gcfictjert werben fann; freuen wir uns einer ©inigfeit. 
Wie fie auf biefem ®ebiete nie juOor erreicht worben ift! Vor allem Wirb 
es ©uclje ber treffe fein, ben unbegrenzten ©influfj, bete fie übt, inbem fie 
fjmnberttaufenben bie SBortbilber täglich oor Augen führt, in ben Dienft ber 
grofjen Sache ju fteHen unb fich fo bet Sulturmiffion, ber fie fich fo gerne 
rühmt, gewachfen ju zeigen. 

Den SRännetn aber, bie an bem SSerfe mitgefchaffen, 
gebührt ber Danf beS ganzen beutfchen VolfeS; fie hoben 
eine nationale ÜRiffion erfüllt im beften ©inne beS SBorteS. 
3n erfter Sinie fteh* ba berSDtinifter Dr. SEBilhelm SRitter oon 
$ a r t e l, beffen ©inficht unb Dattraft baS ®elingen z u 
banfen ift; ihm 5 unäft £ofrat Dr. Johann $uemer, beffen 
©achfenntniS unb Dafte wir bie ©inigung mit bem beutfchen 
SReiche jujufc^reibett hoben; enblich feine unermüblichen 
äRitarbeiter, bie SanbeSfdjulinfpeftoren |>of rat Summer 
unb Sampel; bem Schreiber biefer 3eilen aber wirb, baff er 
ben erften Anftofj geben unb bie ®runbzüge ziehen burfte zu 
biefem SRationalmerfe, ein ftolzer Droft bleiben gegenüber 
mancherlei Anfechtung am Abenbe feines SebenS. 


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]o$epl) Freiherr von Belfert. 

«Erlebniße unb (Erinnerungen. 

II. 

minijlcriunt j&xlitoariettberg-i&tabfait. 

f io. 

q( acfp unb ©infaS waren fcfjon am 28. Dctober nicht mehr in 
Olmüfc, £>amlitc! unb id) trafen am 30. in ©rag ein, am 31. 
ftiegen „ber größtmöglich Dtbenburgifche Dbcrft SJtoSle" unb ber „groß* 
(möglich ©aaben’fdje geheime Start) SB et cf er" im ©aftfjofe „}um fdjmarjen 
Stofs" ab; ebenbafeibft metbete baS grembenbucß am 1. Stoüember einen 
„£>r. SBagner, ©utsbefifcer auS Sin}". 

SBaS mid) betrifft, fo ffatte id) bem ©rafen Stabion in Dtmüfc erflärt, 
bafS icf) jebenfaßS noch einmal nad) ©rag gehen müffe, ehe id; mich in ber 
großen Slngelegenßeit entfdjiebc; trog allem, waS er bagegen ein}utoenben 
batte, mar id) entfchloffen, mich oorerft mit ben böhmifchen Slbgeorbneten 
}U befpredjen. So mar benn nach meinet Slnfunft in ©rag einer meiner 
erften ©ättge in bie 33ürger=3teffource, um meinen bisherigen ©enoffen mit* 
}utl)eilen, welche ©eftimmung mir beöorftehe. Sch füllte eine arge ©nttäufdjung 
erleben. ©S war Stieger unb, wenn ich wich gut erinnere, auch Scanner, 
bie ich bafelbft fanb unb an bie ich wich fogleich wanbte. Sie Ratten ohne 
Sweifel fcbon oon ©atacfi) erfahren, was mit mir in Dtmüß oorgegangen 
mar, unb ihre Rottung mar fühl, um nicht }u fagen abftoßenb. „Sieber 

Sreunb," fagte Stieger, „waS Du }u thun gebenfft, ift natürlich Deine 

Sache; als ein 3ugeftänbniS für unfere ©artei fönnen wir Deine Sernfung 
ins SJtinifterium nicht anfehen." Sch miß nicht leugnen, bafs mich biefe 
Antwort, ober oielmehr bie Slrt, wie fie gegeben mar, {ehr oerftimmte, ja 

berlejjte. Sw ©runbe holten fie wohl Stecht. Sch war lein iecho*flaoifcher 

Slbgeorbneter unb barum lonnte ich ntc^t als ihr Stepräfentant gelten. 
Slßein fie lannten meine ©runbfäfce, welche bie ihrigen waren. ©on meiner 
Seite als Slbgeorbneter eines beutfchen ©ejirfeS mußte ich baSfelbe, was 


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184. 


;Jofepb Freiherr non ©eifert. 


fic als Slbgeorbnete böhmifcher ©cjirfc verlangten: nationale ©leichberechtigung. 
SBürben fie ntrr freunblicher entgegnet höben, fo hätte id) mich wahrfcheinlidj 
entfdjloffen, baS Portefeuille anjunehmen. 3efet aber war ich auf mich felbft 
angewiefen, unb bie fraget ©oß id)? Sofl ich nicht? muffte ich aßein ent* 
fcheiben. 9tßmählig gelangte ich in meinen Erwägungen bafjin, baS Portefeuifle 
nicht anjunehmen, aber mich bem 9Winifterium mit meinem Xienfte jur 
Verfügung $u fteßen. 

* 

* * 

SBelcfer unb 9WoSle Ratten unoerfennbar bie 21 bficf)t, fich oor ihrer 
Südfefer nach granffurt in Prag umgehen, fich über ben ©tanb ber Xinge 
in Söhnten $u unterrichten unb, namentlich Was beffen Schiebungen $um 
beutfchen Seich betraf, womöglich eine Perftänbigung ju erzielen. Soch am 
31. Dctober erhielten Palacft) unb ich eine Sinlabung 001 t SBelder, ber 
unS von ihrer Slnfunft in Prag unterrichtete unb babei burchblicfen liefe, 
bafS er unb SRoSle eine Unterrebung mit unS Wünfchten. ©0 fanb ich ntich 
benn am 1 . Sovember nach acht Uhr abenbS im ©afthofe „jum fchwarjen 
SofS" ein, halb nach ntir erschien Palacfp. 3Bir festen unS um einen 
Xifd). XaS ©efpräch betraf anfangs bebeutungSlofe Slßtäglichfeiten. ®S 
bauerte aber nicht lang, fo berührte Palacffe ben lebten Sefchlufs beS 
Stanffurter Parlaments Vom 27. Dctober, bie berüchtigten §§ 2 unb 3 ber 
fiinftigen SeichSuerfaffitng: 

Sein XheU beS beutfchen Seiches fann mit nicht-beutfchen Sänbem 
511 einem Staate vereinigt fein. 

|>at ein beutfcheS Sanb mit einem nicht-beutfchen Sanbe baSfelbe 
Staatsoberhaupt, fo ift baS PerhältniS jwifchen beibeit Sänbem nach 
ben ©ruitbfähen ber reinen Perfonal^Union ju orbnen. 

Xamit waren wir medias in res gelangt, unb Palacft) formulierte 
gleich feinen ©tanbpunft: „2BaS ich verlange, läfSt fich in $wei Punfte p* 
fammenfaffen: erftenS, feinerlei ©efefcgebung von gninffurt aus über Öftere 
reich, un b jtoeitenS, bie gefammte öfterreichifefee SWilitärmacht fteht unter bem 
aßeinigen Sefefele unferer eigenen Scgierung. 2BaS biefe beiben punfte nicht 
berührt, baju biete ich wiflig bie £anb unb bin burcfeauS einverftanben, bafS 
baS PerhältniS jwifchen Öfterreich unb Xentfchlanb ein inniges unb bauembeS 
werbe." hierauf SBetcfer: „2tuch ich wünfefee Öfterreich einig unb ftarf, 
aßein ich faffe ih r PerhältniS $u einanber als PunbeSftaat auf: feine aß* 
gemeine öfterreichifche SeichSverfammlung, aber ein SeichS s ßongrefS, auf 
welchem fich ber üßfagpare, ber ©lave, ber Staliener eben fo gut ju $aufe 
finben, wie ber Xeutfcfee. Xaneben Würbe jcbeS Sänbergebiet bie Slutonomie 


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SRinifterium 6chn)araenberg«6tabion. 


185 


in inneren Slngelegenheiten auf feinem Sanbtage üben. S)ie öfterreichifch 5 
beutfehen Sänber aber müßten uugerbem einen befonberen gemeinfamen 
Sanbtag haben, wo fie ihre inneren ftaatSrechtlichenSerhättniffe, ihre ©eftimmungen 
in Slbfidjt auf ©chulwefen, ftirchenfachen 2c. mit Unterorbnung unter jene 
beS granffurter ©artamentS, etwa wie ber batyrifefje Sanbtag, regeln unb 
benen ber anberen beutfehen Sänber anpaffen." ©egen biefen ©orfchlag legten 
©alactp unb ich fogleich ©erwahrung ein: wie folle fich biefe 3>bec praftifd^ 
burd)füljren taffen ? S)a hätte man erfienS bie Sanbtage in allen einzelnen 
Sänbergebieten, jmeiten^ ben öfterreichifcfcbeutfchen ©eneraUSanbtag, welcher 
brittenS, wie Hercules am ©cheibewege, jwi)chen ber Unterorbnung unter ben 
öfterreichifchen 9teichS*©ongrefS unb jener unter baS beutfehe Parlament ftünbe. 
SBaS folle gesehen, wenn SBien unbgranffurt miteinanber in SBiberfpruch ge* 
rathen? geh inSbefonbere gieng auf bie inneren Seweggriinbe ber SBelcfer’fchen 
Slnficht ein: biefe feien offenbar zweifacher Slrt. Slber bem einen biefer beiben 
3 wecfe fönne genügt werben auch ohne baS zwitterhafte SKittelbing eines 
beutfch s öfterreichifchen ©eneral*SanbtageS, ber anbere werbe burch eine — wenn 
gleich nur t^eilweife — SluSfdjeibung aus bem öfterreichifchen ©efammtförper 
eher oerfümmert als geförbert. ®er eine Seweggrunb liege nämlich in ber 
©pmpathie, welche bie beutfehen Sewohner ber weftlichen Hälfte Öfterreichs 
natürlich z u ^ ren au&eröfterreichifchen ©tammeSbrübern h' n Z' e hc unb eS 
ihnen WünfchenSwert erfcheinen taffe, ihre gnftitutionen jene beS aufjer* 
öfterreichifchen $eutfchlanb möglichft anzupaffen; aber fönne biefeS 3iel nicht 
auch, nach SBunfch unb ©ebürfniS, erreicht werben, wenn man bie Sanbtage 
ber öfterreichifch'beutfchen Sänber jeben für fidj feines SlmteS walten laffe? 
2)er zweite Seweggrunb beS SBelcfer'fchen SlntrageS habe baS ©in* 
ftehen Öfterreichs für unb mit EDeutfchlanb gegen beffen geinbe nach Dften 
unb SBeften im Sluge; aber bebürfe eS nicht gerabe zur ©rfiiüung biefeS 
3wecfeS eines ftarfen, einigen, ungeteilten Öfterreich?. . . 

3ch habe mir ben weiteren ©ang ber bielfältigen SBechfelreben, welche 
biefen ©egenftanb nach ben oerfchiebenften ©eiten beleuchteten^ nicht an= 
gemerft; eS ift babei aber nichts üertoren, ba bie £auptfache auf beiben 
©eiten am ©nbe ber ©erhanblung bie gleiche blieb, wie bei ©eginn berfetben. 
©alaefh unb SBelcfer ftanben einanber gegenüber wie zwei ©eiehrte, bie mit 
ihren Slnfichten abgefchloffen hüben, oon benen fie nicht ablaffen fönnen unb 
in benen fie burch alle ©inwürfe unb ©egenbemerfungen nur noch mehr be* 
feftigt Werben. SBelcfer war ein rücffichtSloS fchroffer $eutfcher, ©alacfp war 
ein bie — auch ©efchenfe bringenben — ®anaer fürchtenber ©labe. SBelcfer fah 
alles beutfeh, ben ©tanz beutfeher ©röfje unb ÜJtocht, ein beutfcheS £>errfcher* 
hauS in Öfterreich, eine auSfchlie&enb beutfehe gbee in bem Stampfe gegen 


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186 


gofeph greihert oon eifert. 


Stapoleon I. Sßalacfp gönnte ben S)eut{d£n auf ihrem ®ebiete, wa$ fie 
woßten unb wünfehten, aber nicht auf öfterreichifchem; Öfterreich habe, Wenn 
gleich im innigen ©erfeljr mit bem außeröfterreic^ifc^en $eutfchlanb, feine eigenen 
3wecfe; cS fei in nationaler &infid)t fein auSfchliefeenb ober auch nur oor* 
wiegenb beutfefjer Staat, noch weniger in Politiker tc. ^alacfi? fah in 
SBelcfer'S Sluffaffung baS Slnftreben beutfeher ßberfyerrfdjaft über bie Slaoen, 
SBelcfer in jenem Sßalacfo 'S flaüifcheS Übergewicht über bie 3)eutfchen. 
„SBenn man bie öfterreid&ifc^en ®eutfchen," meinte er, „trennen wollte oon 
ihren aufeeröfterreichifchen StammeSbrübern, jo würbe baS feine guten grüßte 
tragen, bie liroler, bie Oberöfterreicher, bie Saljburger würben ju ©apern 
hinneigen, würben fid) lieber biefen anfchliefjen, als fich mit §aut unb paaren 
ben Slaoen überliefert ju fehen" . . . 

Unfere ©erhanblungeit würben burch einen S3efuch unterbrochen. ES 
war ber Eommanbiercnbe oon ©rag, g3K2. granj ®raf S'h eö cnhüHer- 
9Metfch, ein Heiner, eingetrocfneteS, aber lebhaftes unb fchneibigeS Männchen, 
baS ben beibeit 9teichScommiffären bie ©ifite erwiberte, bie fie ihm nach ih ter 
2lnfunft in ©rag gemacht hatten. ES mochte ihm fonberbar oorfommen, fie 
in unferer ©efeflfehaft $u finben; galt hoch ©alacfp ben faiferlicheit ©eneralen 
nnb 2Iubitoren ob bem £>rabf<hin als einer oon benjenigen, bie in ben gnni* 
tagen bie „gäben einer Weitoer$meigten Serfdhwörung" in £änben gehabt! 

fi'heOenhüDer empfahl fich &alb unb wir mochten unS nicht wieber 
jufammenfefeen; gesprochen war über itnferen ©egenftanb oon beiben Seiten genug 
worben, nnb bie Seit war jiemlich oorgerüeft. $)arum bereiteten fich ©alacftj 
unb ich jnm gortgehen, unterhielten uns aber noch eine SBeile ftehenb, 
©alacfp mit ©Selcfer, ich mit 9KoSle. ®er Dlbenburger jeigte fich babei 
feineSwegS fo fchroff in feinen Slnfichten wie fein ©abenfer Soßege. Er hatte 
feine SeforgniS, bafS baS beutfehe Element, auch wenn feines greunbeS ©orfchläge 
fehlfchlügen, werbe oerfiirjt werben; er ^egte oielmehr bie Hoffnung, bafS eS 
immer mehr ©oben gewinnen werbe. „3e weniger eS äußerlich 51t herrfchen anftreben 
wirb, befto größere Eroberungen wirb eS burch feine moralische Kraft machen. 
Zehnten wir ©ommern; oor fiinfhunbert gahren war eS rein jlaoifch, jefct ift 
es burchauS beutfeh." $iefeS Seifpiel tonnte ich wohl nicht als richtig gelten 
laffen; benn jefct fei im SlaoiSmuS baS Selbftbcwufstfein erwacht, waS 
früher nic^t ber gaß gewefen; ben Slaoen fei jefct in Öfterreich bie ©leich* 
berechtigung jugeftanben, währeitb bisher aße ©ortheile nnb Segünftignngen 
nur bem beutfdjen Element zugute gefommen feien. SföoSle gab ^u, bafS ber 
©anflaoiSmuS erft bann ju fürchten fei, wenn bie Slaoen, burch übergreifenbe 
Slnfprüche ber ®eutfchen $ur Selbftüertheibigung getrieben, auf ihren 
nationalen SRücfhalt, baS Stuffenthum, hingebrängt würben. „®er ©an* 


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SJUnifterium ©eßnmrjenberg*©tabion. 


187 


ftauiSmuS, meinen niete, fei ein ®efpenft", fagte er; „icß meine baS aueß; 
inbeffen ßat er baS mit ©efpenftern gemein, bafS fie benen erfeßeinen, bie 
fie mutßmißig ßeraufbefeßmören." ©r gieng auf meine 3 bee einer meeßfel* 
feitigen ©efcßicfung ber beiben Parlamente, beS öfterreießifeßen unb beS 
beutf^en, bureß ©enbfeßaften einer beftimmten 2In$aßt bon SKitgtiebern, 
eines DberbunbeS $mi|eßen bem öfterreießifeßen unb bem beutfeßen PunbeS* 
ftaate, eines ßongreffeS als Organes beSfetben, ein unb matte biefe 3bee 
meinen 2 lnficßten gemäß auS. Übereinftimmung in ben Pesießungen naeß 
außen, in ber £>anbetS* unb SBeeßfetgefefcgebung, im SKünjmefen; ineinauber* 
greifenbeS ©traßen* unb ©ifenbaßnnefc; Srei^ügigfeit unter foleßen Pe* 
feßränfungen, bafS nießt einer ber beiben Steile bem anbern fein Proletariat 
auftabe: baS, meinte er, mären bie ©egenftänbe, über meteße ber gemein* 
fame ßongrefS ju beraten ßätte. ,,©S mag nationaler fein, maS man in 
ftranffurt jurn Pefeßluffe erhoben, aber ftaatSmännifeß mar eS fieser nießt; 
mein ßoflega SBelefer geßt ßierin biet meiter, atS ieß eS für angemeffen 
ßatte. 3e toeferer man baS Panb mit ßfterreieß fnüpft, je meßr man 
ßfterreieß frei unb fetbftänbig täfSt, befto fefter mirb baS PünbniS auS* 
faßen, ©o paraboj baS Hingt, fo maßr ift eS." 

@o ßat fieß mir Dberft SDtoSte atS baS gezeigt, als maS er oon 
feinen maßoofl urtßeitenben granffurter ßoflegen erfannt unb ßocßgefeßäfct 
mürbe, atS ein moßtmoßenber, gebitbeter 9Kann. ©r ßatte bie angeneßme 
©rfeßeinung unb bie braueßbaren ©igenfeßaften eines ßößeren DfficierS, 
ber aueß 511 ©taatSgefcßäften feßon bietfaeß gebraueßt morben mar, bie 
fießere unb milbe SMifcßung beS fi'riegerifcßen unb Piirgerticßen, meteße 
oft ©eneratftabSofficiere auSjeicßnet. ®arum, menn baS beutfeße SteießS* 
äJtinifterium bertegeu mar um einen eßrticßen, gefunb um fieß bliefenben, bor* 
neßm*artigen 3Wann $u einer $erf<$icfung, fo mar immer ßJtoSle in erfter 
Steiße. ®afS feine unb SBelcfer’S äJtiffion in ber SBiener 0ctober*2lnge* 
tegenßeit feßeiterte, mar nießt feine, aueß nießt SBetefer'S ©cßutb. *) 

3m ©anjen mufSte fid) SSBelefer fagen, bafS er gegen Palacfß ebenfo 
menig etmaS auSgericßtet ßatte, atS juteßt gegen SEBeffenberg unb noeß früßer 
gegen 28inbifeß©räß. 2ln Slufforberungen, in ben öfterreießifeßen Parteifampf 
einjugreifen, feßtte eS ben beiben 9teießS*©ommiffären bis jum testen Stugen* 
bfiefe nießt. $er ,,©entrat*Perein für ®eutfcß*Pößmen" in Steießenberg 
ßatte noeß in ber testen Seit eine 2 lbreffe an ©e. SJtajeftät unb eine jmeite 
an bie „£oße 3teießS*ßommiffion" gerießtet.**) 3« ber lederen mürbe gebeten: 

*) Pgl. ÜJtori 3 0 . SJtoßt, fiebenS*©rinnerungen. (Stuttgart, beutfeße Per= 
IagS^nftalt, 1902) II. 6. 116. 

**) Slbgebrucft in „$)er Pote oon ber ©ger" 1848 9tr. 31 00 m 5. Slooember. 


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188 


gofeph greiherr oon Reifer . 


1 . baf^ „bie Autorität unb Integrität be« conftituierenben 
Sleich«tage« gewahrt werbe"; 

2 . baf$ ber ©tabt SBien „würbige unb annehmbare ©ebin* 
gungen" geftellt werben, „um in ben gewohnten 3uftonb fcurücffehren 
ju törnten"; 

3. bafö bie beutle Sleich«gewalt „feinerlei ©erlefcung be« 
conftitutioneßen ©rincip« unb ber Siechte be« freien ©ölte« 
bulben werbe". 

$ie Abreffe an ben Sfaifer war batiert oom 29., bie an bie beiben 
Sleich« s Gommiffäre oom 31. Dctober. Sefctere tonnte nicht oor bem 
2. SloOember nach Dlmüfr- tommen, Don Wo ]ie ohne 3*oeifeI ben beiben 
Herren nach ©rag nachgefchictt würbe, fagen wir am 3. Sloüember. Aßein 
um biefe $eit waren SBelcfer unb 9Jlo«le bereite auf bem SBege nach 
granffurt, wo fie ficherlid) anberc« ju thun hotten, al« fich nachträglich 
mit Angelegenheiten ju befchäftigen, bie bereite in gan$ anberer SBeife 
abgethan Waren. 

SBelcfer unb 9Jlo«le hotten noch Währenb ber ‘Dauer ihrer bornenooflen 
©enbung bie h^ftigften Angriffe ber granffurter Sinfen erfahren unb erfuhren 
bie« noch mehr nach ihrer Slücffunft in bie ©auföfirdje. Aber tonnten benn 
bie armen Sleichä-Gommiffäre etwa« baftir, baf« ihnen ber öfterreichifche 
gelbmarfchafl nicht parierte, ober baf« man in Dlntüfc fie wohl hörte, aber 
aulefct hoch tt)at, wa« man unabhängig oon ihnen für ba« (Geeignete hielt?! 
Am 30. Slooember beftieg SBelcfcr bie grantfurter Dribüne unb fuchte in 
einer mehrftünbigen Siebe bie ihm unb feinem Goflegen gemachten ©orwiirfe 
^urüct^uweifen. ©r entwicfelte babei an oielen ©teilen feine geringe ©efehief* 
lichfeit unb fepte ben Au«gelaffenheiten ber Sinfen eine fräftige, ja fcharfe, 
aber immer würbeoofle ©praefje entgegen, ©ein §auptbewei« gegen bie 
©efchulbigung, baf« fie nicht« au«geridjtet hotten, war ber, e« fei nur ihrer 
©inwirfung ju bauten gewefen, baf« 3Binbifch©räfc feine erften mafelofen 
Sebingungen in wefentlichen fünften geänbert unb baf« er bie grift jur 
©rfüflung berfelben um 24 ©tunben oerlängert höbe, (gn SBahrheit war 
bie« gewif« nicht ihrem ©influffe ju bauten, fonbern hot ber öfterreichifche 
gelbherr beibe« au« eigenem ©rmeffen gethan.) gm ©erlaufe feiner Siebe 
liefe SBelcfer fogar fchlauer SBeife bie SJlöglichfeit einfliefeen, baf« ben beiben 
Slei<h«=©ommiffären auch bie Slettung ber öfterrcichifchen ©erfaffung«juftänbe 
$u banfen fein mochte. „0b bie ©roctamation Oom 19. Dctober," fagte er, 
„fo fefer Oerfchieben oon ben ©roclantationen oom 15. unb 16., wegen 
ber Slachricht, baf« bie GentralgeWalt ©ommiffäre fehiefe (? !) 
ober wie immer erfolgt ift, weife ich nicht." Über bie Stellung unb 


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SJtinifterium Schn>arzenberg*Stabion. 


189 


©erhältniffe bcr öfterreidjifdjeit ©lauen fprac^ er ftd^ gemäßigter auS, als 
Palacft) unb ich nach feinen Sieben im „fchmarzen Stofs" am 1. Stoüember 
ermarten fonnten. 

* 

* * 

Unb maS mar eS mit bem „£r. SBagner, ©utsbefifcer aus 2inz", 
ber an bentfelben Slbenbe, fco Palacftj unb id) mit ben beutfdjen Steide 
©ommiffären im „fchmarzen Stofs" oerhanbetten, in eben biefern ©aftßaufe 
abgeftiegen mar? 

©S mar niemanb ©eringerer, als ber fo lang üergebenS gefügte ge* 
mefene Sufti^SKinifter ®r. SUejanber 33 a cf). ©ach ßatte fich am 6. Dctober, 
mie mir uns erinnern, — nacßbem eS ifjm gelungen mar, im 9tn^ug eines 
Proletariers aus bem HoffriegSrathSgebäube ju entfommen, — auf bem ©faciS 
bem SJtilitär angcfdjloffen unb mar mit biefern in ben ©cßmarjenbergifcfjen 
©arten gezogen, in beffen Sommerpalais ©raf Auersperg unb gürft Selig 
©cßmarjenberg if)r Hauptquartier auffcßtugen. 9lm aitberen SDtorgen mar 
©ach oerfcßmunben, niemanb mufste moßin. ©r mar — in mclcßer Söeife 
unb burdj melcße gäßrlicßfeiten meiß ich nicht — gliirflich nach ©njerSborf am 
©ebivge gefommen, ßattc fich bort feiner ©cßmefter Souife anoertraut unb 
mar oon ba nach Salzburg gereist, mo er unter ben Stamen „SSagner" in 
einem ©aftßofe abftieg. ®r ßatte gehofft, bort 9ilot)S Sifcßer ju finben, mit 
meinem er fich in ber $rit, ba biefer mieberßolt in SBien gemefen, jufept 
im conftituiercnben SteicßStag, befreunbet hatte« Sittein ^ifcßer mar im 
SteidjStag geblieben, unb fo mar ©ad) in Salzburg auf fich allein angemiefen. 
Um Oöttig ungefannt ju bleiben, ßätte er nicht bloß feinen Stamen, fonbern 
auch fein ©eficßt änbern müffen, baS ja fomoßl aus bem SteidjStage, als aus 
bem SBiener „©harioari" fo oielen Perfonen befannt mar. So ßat er fich 
moßl, mie ich benfe, in Salzburg ftrengen ^»au^arreft auferlegt unb ßödjfteuS 
bei nächtlichem ®unfel, baS oon ber bamaligen Salzburger Stabtbeleudjtung 
nicht feßr geftört mar, einen Spaziergang in freier 2uft erlaubt, ©leicßmo^l 
hatte ®r. SBifer auS 2inz, einer ber Schriftführer im ^Reichstage, feinen 
Aufenthalt auSgefunbet, ober ©ach hatte fich, ÜOTt Salzburg auS, bem 
SBifer anoertraut. Als bann SBifer erfahren, bafS ©ach gebucht merbe, 
hatte er baüon bem ffltinifter SrauS oertrauliche SWittheilung gemacht, unb 
nun mar Sach üon SBeffenberg nach Dlmüp citiert morben. ®ahin befanb 
er fich jefet über präg auf ber Steife. 

Am 3. Stooember — meinem 28. ©ebnrtStag — erschienen abenbS 
©trobach unb PinfaS bei mir unb feilten mir mit, bafS ©ach unter 
bem Stamen „SEBagner" angefommen fei unb mich z u fp*echen münfche; er 
motte fich ntit ben Süßrern ber ÜDtajorität in ben oerfchiebenen 2änbern 


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190 


gofeph gretherr oon eifert. 


oerftänbigen unb für biefen 3toecf morgen 10 Uhr bormittag« eine Pefpredjung 
mit mehreren bon un« hoben. gn Prag mar $mar feine ©efahr mehr für 
ihn; gleidjmofjl befielt er im ©aftljofe feinen angenommenen üßamen nod) 
bei, unb fo biel mir befannt, hot feine« ber Präger Xage«blätter bon feiner 
9lnmefenheit etma« ermähnt, obrnohf er hoch bor un« $lbgeorbueten fein 
|>ehf barau« machte. 

$ie 3ufantmenfunft mit Pach fanb in unferem gemöhnlidjen Per* 
einigung«tmnfte, im £>aufe „^unt fchtoar$en Stof«" ftatt. 6« mar mehr ein 
frohe« SBieberfinben unb Pegrüfcen, al« eine ernft geführte Perhanblung 
über einen beftimmten ©egenftanb. ©inen Slugenblitf nur flog mich Pach 
in eine genfternifche unb ermähnte bie lebten Vorgänge in Dlrnüfc, namentlich 
bie im SBerben begriffene Pilbung eine« neuen SRinifterium«. ®« circulierte 
nämlich bamal« in Dlmiifc folgenbe SRinifterlifte: SBeffenberg Präfibent, 
ohne Portefeuille, Schöllhaimb ffrieg, Preba gufti$, Prucf £anbel, geifert 
Unterricht, Shau« ginan$en, Schmalenberg duftere«. 911« ich nun, gleichfant 
mich entfchulbigenb, bemerfte, baf« ich mich burchau« nicht um eine Stelle 
barin bemorben, baf« man mich bielmehr genötigt höbe, ich übrigen« noch 
feine«meg« gefonnen fei, ben mir angetragenen Poften anjunehmen, fagte er: 
,,$a« meine ich jo 9 or nicht, lieber geifert; aber bie 3 u fommenftetlung ber 
Perfonen, mie fie bie öffentlichen Plätter bringen, muf« hoch auffallen; mie 
min man au« fo berfchiebenartigen ©lementen eine ©inheit $ufammenbringen ? 
6« fcheint, baf« man in Dlmüfc noch fein Kare«, fefte« 3*el hot." 3nfefct 
lub er mich ein, ihn in Dlmüfe, fobalb ich boljin fomme, aufjufuchen. 

11 . 

6« foHte nicht lange bauern, bi« ich ih m nachfolgte, um meiner lieben 
$eimat bauernb fiebemohl ju fagen; nicht al« ob ich fie niemal« mieber* 
fehen unb betreten mürbe, aber ich fonnte e«, menn ich ben Poften annahm, 
ber mir geboten mürbe, nur mehr al« Steifenber, al« ©aft tf)un. ®er gute 
5)echant ÜRacan fchrieb au« delafobic einen Prief um ben anberen, an 
meine Schmefter, an meine grau, an mich, um un« ju einem längeren 2luf* 
enthalte ein$ulaben. @r felbft fam nicht nach Prag, mo un« fein Pefuch fo 
fehr erfreut hoben mürbe. 

©r hotte in ber lebten 3eit einen fleinen Perbruf« mit ber Prager 
gournalifti!. @« mar bamal« eine Petition ber ©eiftlichfeit an ben 8teich«tag 
im 3 u ge, baf« fie im Pefifce unb ©enuffe ber ft'irchengüter gelaffen merbe; 
SRacan hotte bafür fleißig Unterfchriften gefammelt, unb ber |>amlWeffche 
»Veöerni list« mar barüber mit §ohn unb Spott über ihn hergefallen. „gft 
e« benn jeber ©efellfchaft erlaubt," fchrieb mir ber $echont, „Petitionen ju 


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9Riniftertum ©fnmrjenberg*©tabion. 


191 


überreifen, unb nur ber Sfirfe, ber ©efellfföft ber ®af oliten, foß baS 
nift gemährt fein ? $ie ©roteftanten ff änten fif, etmaS gegen fre 
©aftoren, bie Suben gegen fre {Rabbiner dor$ubringen; nur bie Kafolifen 
merben don ©friftftetlern frer eigenen Gonfeffion gegen fre ©eelforger 
defekt". ®eSholb nun motlte er in ber jefcigen Seit nift naf ©rag 
fomnten: „man rnöfte feinem Grff einen aflefanb ©emeggrünbe unter* 
ffieben!" Gr meinte mohl, jebermann in ben ©rager ©tragen müfSte eS 
fm anfehen, mer er fei! 

Son ber ©eftimmung, ber if entgegengieng, mufSte SRacan bereits. 
(Sr fei gefonnen gemefen, meinte er, mif gu beglücfmünff en; allein er höbe 
fifS überlegt, bafs. in ber gegenmärtigen Srifis ein ©often fotf er Art nift 
eben münffenSmert fei; if hotte als Abgeorbneter ohnebicS genug gu fun 
unb tönne ba auf bem Saterlanbe nüfcen. S^nlif bafte bie SKehrgahl 
meiner greunbe unb Angehörigen. „3f freue mif gu ijöxtn,“ ffrieb mir 
ber Gble d. ©tarf aus Iffemin, „bafs Sie bie angebotene ©teile nift an* 
genommen; benn if nehme gu marnten unb h^r^lifeti Anfeil an 3h nen / 
als bafs eS mir gleif giltig fein fönnte, bafs Sie fif dorgeitig abniifc en unb 
für bie 3ufunft unmöglif rnafen." AIS meine liebe Goufine Termine auf 
ihrem Kranfenlager erfuhr, maS mir bedorftanb, fagte fie ftill dor fif hin: 
„$er ©epi foH nift auf biefen ©oben gehen, baS ift ©latteis!" 

Sie mar baS einzige $tnb beS ®reiS*GommiffärS Anton geifert, 
älteren ©ruberS meines ©aterS, unb ber Suliana geb. d. SRottenberger, unb 
©raut eines fehr lieben unb braden jungen äJtanneS. ©ie mar halb naf 
nnferer {Riicffunft aus SBien erfrantt unb hotte feifer baS Sett nift der* 
laffen. ®aS engelSgute SKäbf en mar don garter Gonftitution; fie hotte jene feine, 
burfffeinenbe |mut unb jenen trügeriffen $auf ber SBangenröfe, bie lang 
befürften liegen, bafs ihre bleibenbe Heimat nift auf biefer Grbe fei. ©ie 
mürbe don lag gu lag ffmäfer; mit namenlofem ©fmerge fahen fre 
unglüeflif en Gltern, ihr liebedoller ©räutigamfie bahinfiefen. Am 7. {Rodember 
häufte fie ihre Seele aus, an bemfelben Sage, an melfem mif ein leie* 
gramm SBeffenberg'S undermeilt naf Dlmüfc rief. 25ort erhielt if einen dom 
10. batierten ©rief meiner grau: „$er geftrige lag mar ffön, bie Sonne 
ffien fo marm, ber Fimmel freute fif, einen ffönen, reinen (Sngel, unfere 
gute Termine, empfangen gu fönnen. 3f hotte baS traurige Amt, bie arme 
laute gu begleiten; if mar Senge ber traurigften ©eene, bie if nof erlebt 
habe, als mir fie megführten, fie ben lebten Abjfieb don ihrem einzigen 
Äinbe nahm. 3f fann ben ©fmerg jefct mohl begreifen unb benfe mir fn 
ffreeflifer, als menn baS fiinb feine (Sltern derliert." 3n fr ©tammbuf 


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192 


Sofeph Freiherr oon eifert. 


legte fie einige $aare ihrer »erftorbenen ftreunbin unb fd^rieb baju Stroben 
au« bem tiefergreifenben ©ebichte Senau'« „2ln Suife", ba« ich ihr öfter 
»orgelefen ^atte: 

®u bift bat)in! Sticht« fonnte retten 
Unb galten ®ich bei un« jurücf, 

®alt fniefte alle 8iebe«fetten 
$a« unerbittliche ©efe^ief . . . 

$ie gute, theilnahm«uotIe, ^artfü^Tenbe Seele! Sie ahnte nicht, baf« 
nicht ein Saljr »ergehen »erbe, unb »ieber »erbe ein fchöner $erbfttag fein, 
»erbe bie Sonne »arm Scheinen, unb »ieber »erbe fich ber $immel freuen, 
einen frönen, reinen Engel empfangen ju fönnen! Unb einer »erbe jurücb 
bleiben, ber e« fcßmerjlich empfinben »erbe, baf« jammerooUer, al« »enn 
ba« fi'inb feine Eltern ober bie Eltern ihr fi'inb »erlieren, e« fei, »enn in 
ber Slüte ber 3ah re unb ber innigften Siebe ba« SBefcn ihm »on ber 
Seite geriffen »irb, ba« ihm am Slltare ba« größte ©lücf angelobt h fl tte 
unb ihn jefct ba« größte Unglücf erfahren läf«t! 

* * * 

SEBährenb ber Sage, bie ich in Srag angebracht hatte, »ar bie Sage 
in Dtmüfc biefelbe geblieben. Sdh»arjenberg unb Stabion juchten 
noch immer SKinifter unb tonnten noch immer bie rechten nicht fittben. Sa« 
TOnifterium be« Sintern »ar in ber je&igen Sage nach bem £rieg«= 
aKinifterium ba« »ichtigfte. Sa Stabiott beharrlich ablehnte, bachte Sch»arjen- 
berg an ©ach, ber bereit« gefunben, aber noch nicht in Dlrnüfe eingetroffen 
»ar. „Sach brauchen »ir noth»enbig," fchrieb er am 3. SRooember an 
jeinen Sch»ager in Schönbrunn; „jeitte conftitutionefle, aber ftreng 
monarchijche ©efinnung, fein große« parlamentarijche« latent, fo»ie fein 
unantaftbarer ©riüatcharafter ftempefn ihn $u einem noth»enbigen äWitgliebe 
be« neuen SDWnifte rinnt«. SBenn feine Ernennung Aufregung »erurfachett 
follte, fo müffen »ir e« hinnehmen unb berfelben ju begegnen trachten." 
Über bie inneren Serhältniffe ber ©roüinjen befifce Sach aöerbing« feine 
Erfahrungen, allein fein Salent, feine Energie »ürben ba« gehlenbe ergänzen. 
„Schmerling ift u(tra=beutfch unb, fo Diel ich meiß, jtt fe^r ber 3Jtann be« 
Er^her^og« S^hann, um ber unfrige fein ju fönnen; übrigen« »eiß er Don 
ben Srooinjen auch nicht«. Stabion follte meiner 2lnficht nach noch Qefchont 
»erben; er felbft fcheint e« 51t »iinfehen. Er fann mir in feiner jefcigen 
Stellung für ben Slngenblicf mehr nüfcen, a(« »enn er SKinifter »äre." j$itr 
ba« SKinifterium ber Saftig »urbe ber |>ofrath Saul Sigmunb ». ©hequier 
be ÜRelh = 9tdba«b unb, al« biefer ablehnte, ber nieber=öfterr. Sanbrath 


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9Rintfterium ©chroarjenberg-Stabion. ' 193 

©eorg {Ritter 0 . 9D?itiS nach Dlmüfc berufen. 9D?itiS fagte $u. Mein über 
Stadjt ftieg ihm ber ®rnft ber Sage unb bie ©röfce ber ©erantmortung, bie 
er übernehmen foflte, ju Kopf; er geriet^ in eine fieberhafte Slufregung unb 
bat am anberen 9D?orgen, man möge ihm fein SBort jurüdgeben. 

Slm 5. Stoüember tourbe S3 a ch in Dfmüfc fichtbar. ®in ©ortefeuifle 3 U 
übernehmen, lehnte er in ber entfehiebenften SBeife ab. ©leichmohl meinte 
©chmarjenberg, ihn noch geminnen ju fönnen, unb fo fdjrieb er an SEBinbifch* 
©räfe: „©adj'S Slnfichten über bie Stellung ber Slrmee, über bie SlbelS* 
tJrage feien fo correct als möglich-" ®och bie 3 eit brängte, bereits breimal 
hatte SBeffenberg, noch immer nomineller 9Rinifter=©räfibent, ben Saifer um 
feine Snthebung gebeten; am 5. 9?oüember that er eS neuerbingS, unb bieS* 
mal bringenber als je. 3Ran mufste fich enblidt) entfeheiben. SBinbifch* 
©räfc mar für ©tabion; ©ach, meinte er, fei benn hoch für baS SWinifterium 
beS Snnent §u fehr SBicner; ©tabion bagegen h a & e i n ben öerfchiebenften 
©romnjen gebient unb biefelben burch eigene Slnfchauuttg fennen gelernt. Sn 
SIbgeorbnetensS'reifen mar man über biefen ©unft längft einig; man tonnte 
fich 9 ar benfen, bafS jemanb attberer als ©tabion SRinifter beS Snnern 
merben foHte, unb baS mürbe ihm täglich flefagt. SllS jefet noch ©chtoarjen^ 
berg in ihn brang, gab er enblidj nach, unb am 7. machte in Dlmüfc bie 
frohe {Rachricht bie SRunbe: „©tabion hat angenommen!" 

@o ftanben bie $inge, als ich a m 8 . S?oüember, morgens 5 Uhr, 
auf bem Dlmiifcer ©ahnhofe eintraf. Sch hatte t>on ©rag auS ben „Sohemia"* 
Ätutfdjat unb ben langen Urban, ßoitcipiften beim böhmifchen ©über* 
nium, ju {Reifegenoffen gehabt, bie aber meiter nach ®5ien fuhren. Sch ftieg 
im ©afthofe „ 5 um ©oliath" am Dberring ab unb machte mich balb auf 
bie ©eine, um ben „©utSbefiper aus Sinj" aufjufuchen. Slflein niemanb 
mufste etmaS öon einem „|>errn SBagner", er h a tte fein Sncognito bereits 
abgelegt unb mar nun unter feinem mähren 9?amen ju finben. Sch traf bei 
ihm ©alaeth, ber eben aus SBien fam, mo er bem Saron „Setladet", mie 
ihn bie SBiener nannten, einen politifchen ©efuch abgeftattet hatte. SllS ©ach 
unb ich allein maren, tarn baS ©efpräch au f baS {IRinifterium; ©ach ertlärte, 
er merbe nicht eintreten, er fei „unmöglich". 9D?ittagS ju lifche traf ich 
Schmalenberg unb ©tabion, bie mich nach bem ©peifen eifrig in'S ©ebet 
nahmen, bafS ich mich entfeheiben möge. 

©on Slbgeorbneten maren noch immer einige in Dlmüfc, barunter 
StlopS Sifcher unb ©ajetan 9Raper, mit benen ich öiel oerlehrte. SllS ich 
mit legerem über bie Steigerung ©ach'S, in'S SD?inifterium ju treten, fpradj, 
fagte er mir: „Xer ©ach meint, 2 Binbifch©räfc möge ihn nicht. $a hat er 
aber Unrecht, ©egen ©ach h Q t 2Binbifch©räfc nichts, ber ©tabion ift eS, 

$ie Jhiltur. III. 3a$rfl., 3- $eft. ( 1902 .) 13 


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194 


gofeph greiherr txm geifert. 


ben er nidjt mag." $er „fchmarje 9Jtaper" hatte für folche $inge ein feinet 
Städten, unb er hatte baS richtige getroffen. 2Binbif<h©räfc hat allerbingS, 
mie ich erzählt habe, im lefcten Slugenbtide barauf gebrungen, bafS Stabion 
in'S üJtinifterium trete; allein fpmpathifch mar ifjrn Stabion barum 
hoch nicht. Unb jmar aus fotgenbem ©runbe: im Sommer 1846, ba fich 
2Binbifch©räfc bie ®inge jurechttegte, um für eine ®ataftropf)e, bie DorauS* 
jufehen mar, bereit ju fein, hatte er fich brieflich aud) an Stabion gemenbet, 
um biefen in feine Kombination ein^ubejie^en. Stabion mar ba$umal fchon 
oft als fünftiger SKinifter genannt morben, er hatte einen großen, obmofjf 
mehr ftillen unb geheimen Slnfjang, aber gemifS nodj mehr laute unb 
lärmenbe ©egner, bie eS an Sormürfen unb Schimpfereien gegen ihn nicht 
fehlen liefen. Stabion moflte fich beSpatb bie $änbe frei halten unb lehnte 
in einem höflichen Schreiben bie Kinlabung SBinbifch®räfc' ab, maS, 
mie fich benfen täfSt, biefen nicht menig öerleptc. 3d) fann mir nicht 
beitfen, bafS Kajetan SKaper oon biefem S^ifchenfall etmaS mufste; ich 
felbft habe baoon erft nach langen fahren, als ich ©tubien für mein großes 
©efchichtsmerf machte, Slenntnis erlangt. 

Sftit ben anberen Portefeuilles mar man fo ziemlich im Steinen, gür 
ben §aitbel unb bie öffentlichen Arbeiten hattet). Srud jugefagt unb mar 
auS granffurt a. 3K. bereits in Dlmüfc eingetroffen. Bejügtich beS Baron 
®rauS mar man einige 3^it anfchliiffig. KS fchien hoch etmaS fonberbar, ben 
„Dctober*3ftinifter" in ein SKinifterium aufjunehmen, baS ben Stempel ber 
Sopalität unb Segitimität an ber Stirne tragen foUte; überbieS hatte ffrauS 
in £>epenborf einen unangenehmen Stuftritt mit bem dürften 2Binbifch©räfc 
gehabt.*) $>och anberfeitS fannte man feine vortrefflichen Kigenfchaften, fein 
auSgefprocheiteS Xatent für bie ginanjen, feine auSgebreitete ©efefcfenntniS, 
feine abminiftratiöe Krfahrung, unb am Knbe hatte man feinen anberen, auf 
ben man greifen fonnte. gür baS fi'riegSminifterium mar man benn hoch 
üon Stabion'S Borfchlag, einen 9?icht*3Rititär bamit $u betrauen, mieber 
abgefommen, unb eS mürbe befchloffen, ben ©eneral gran$ greiherrn 
t). Korbon ju berufen; er mar nach ber Kinnahme üon SBien jum Stabt* 
Kommanbanten ernannt morben unb mar megen feines humanen SBefenS bei 
ber Beöölferung nicht unbeliebt. Unter ben Slnhängern ber Regierung mährenb 
beS SBiener SteichStageS befanb fich ® ert öon Ihlunfelb; er hatte fetten 
gefprochen, aber babei gezeigt, bafs er gebiegene Senntniffe unb Krfahrungen 
im ©ebiete ber Sanbmirtfchaft unb beS Bergbaues befipe; ba§u fam in 
ber testen 3^it fein Slbfagebrief an ben revolutionären SfeichStag, unb fo 

*) Siehe meine „Belagerung unb Kinnahme SBienS im Dctober 1848", (Prag, 
$empSfp, 1869) S. 207. 


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9Rinifterium ©<hn>at 3 enberg=©tabion. 


195 


-festen er gan* geeignet, einen pla$ im oberften Statue ber ®rone einjuneljmen. 
2Ba« mich felbft betraf, fo blieb ich, obmohl auch Srucf unb ®rau« mir 
^urebeten, bei meiner Steigerung, ba« Portefeuille be« Unterrichte« anjunehnten ; 
ich erftärte mich aber bereit, einftmeilen in untergeorbneter Stellung bie 
©efdjäfte ju führen. 

©o mar benn jefct alle« beifammen, nur ein 3uf%9Rinifter fehlte 
noch. ®° fam man bemt auf ben ©ebanfen, nach 9®ten ju fahren 
unb bort einen ju fuchen. Sach fchlug ben §ofrath 9lbolf ftreiherrn b. 
Pratobebera bor, ben er al« tüchtigen Snriften unb achtung«merten 
©harafter fchilberte. SBir fuhren am 9. {Robember, 3 Uhr nachmittag« mit 
einem ©strajuge bon Dlmüfc ab: Schmalenberg, ©tabion, Sntd, Sach unb 
ich. 3lfoh3 Sifch^r unb ©ajetan SWaper fuhren mit un«. ftifcher führten 
Pribatgefchäfte nach SBien; auch mollte er ein menig h^rumhorchen, mie 
etma in ben berfd)iebenen Greifen bie Stimmung unb bie öffentliche SKeinung 
fei; namentlich mollte er Sach mit einigen Führern ber ßinfen in Serührung 
bringen unb beffen Sebettfen, baf« er „unmöglich" fei, beheben. 

Sach hotte mich eingelaben, in feiner SBohnung in ber ©ingerftrafte 
abjufteigen, mo mir fpät abenb« anfamen. 911« mir am aitbern äRorgeit beim 
grühftücf fafjen, nahm Sach bie „SBiener S^itung" bom 10. in bie £>anb, 
ftufcte unb reichte mir lächelnb — jene« ßächeln, ba« bie bon ber ßinfen 
fo fehr in ^arnifch bringen fonnte! — ba« Slatt hin, inbem er fagte: 
„{Ra ©ie, lieber geifert, ber 38inbifch©räfc macht'« fchnefl!" @« mar bie 
amtliche 2Rittheitung, baf« {Robert Slum am geftrigen läge 7 Uhr morgen« 
in ber Srigittenau ftanbrechtlich erfdjoffen morben. ®« mar bie erfte £in* 
richtung nach ben 0ctober*3agen, noch baju an einem ber ©erneuten, einem 
IDiitgliebe be« granffurter Parlament«. {Riemattb mar bamit jufriebener al« 
ber fächfifche ©efanbte in SBien, ber alte Saron Sönnerip. „®ott fei 
©)anf", fagte er $u ©chmarjenberg, „baf« 3h r wn« ben bom ^palfe gefchafft 
habt!" ®ann $mang er fich, eine ernfte äRiene anjunehnten: „3efct muf« ich 
aber in meine ®anjlei gehen unb im {Rainen meiner {Regierung ©infprache 
erheben, baf« man einen föniglidHächfifchen Unterthan fo ohne meiter« oor 
©ericht gezogen, abgeurtheilt unb hingerichtet hat." 

3n ber ©tobt unb überall, rnohin bie {Rachricht brang, mar bie 9luf- 
tegung allgemein, bei ben ©inen ©rftaunen über bie fühne ©ntfchloffenheit 
ber {Regierung unb Sefriebigung über einen 9lct ber ©erechtigfeit; bei ben 
Snberen, barunter befonber« bei benen bon ber ßinfen be« SReich«tage«, 
namenlofe Seftürjung, ja ©ntfefcen. ßöhner fagte ju einem Sefannten: 
,,2Ba« fann mir gesehen? @« liegt ja nicht« gegen mich bor!" ©leichtbohl 
litt e« ihn nicht länger in SBien, ba« {Balten ber SRilitärgemalt mar ihm 

13* 


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196 


Sofeph Freiherr oon geifert. 


unheimlich- ®a manbte er fich an ßeopolb {Reumann, ©rofeffor ber Sterte 
am Ifjerefianunt, 2lbgeorbneten für bie SBiener ßeopolbftabt. {Reumann mar 
SRitglieb be« Eentrum« unb galt al« einer ber unbebingteften Slnhänger ber 
{Regierung. Sr hatte bafür ben ©ptfcnamen „ber faif. fönigtiche {Reumann"; 
im SBiener „Ehariüari" mar fein Äbbilb nie anber« al« mit fchmar^en unb 
gelben Streifen $u fehen. ®iefen nun bat ßöhner, er möchte ihn unter 
feinen ©djufc nehmen, bamit er ungefährbet au« ber ©tabt fomme. ®er 
f. f. {Reumann ermiberte: „Sch meifc nicht, mie ich ba« nehmen foü? 
Übrigen« fage ich Sh n en: menn ich am 6 . Dctober ©ie um ©chufc gebeten 
hätte, ©ie mürben mir ihn, felbft menn ©ie gemoDt Ratten, gar nicht ^aben 
gemäßen Jönnen." 

3Ba« bie ©eroollftänbigung be« SRinifterium« betraf, fo hatte fie in 
SBicn jmei neue Erfolge aufjumeifen. perr bon 2f)innfelb au« ©teiermarf 
erflärte fidf) bereit, ba« SRinifterium für fianbe«cultur unb Sergmefen anjune^men. 
Eorbon hatte gegen bie Übernahme be« ffrieg«minifterium« jmar einige 
©ebettfen: mie fönite er al« einfacher ©eneral * SRajor gelbntarfchall* 
ßieutenant«, Selbjeugmeifter unb ©enerale ber EaoaHerie, ja gelbmarfdjätle 
unter fid^ haben? ©tabion fefcte ihm au«einanber: al« ffrieg«minifter ^abe 
er nur bie militärische ©ermattung; mit militärifchem {Rang unb Unterorbnung 
habe ba« nicht« ju thun. darauf ^in gab Eorbon nach- {Rur mit ©rato* 
beoera mar e« nicht«; er meigerte fich ebenfo, mie fidj ©reba, ©hequier, 
SRiti« gemeigert Ratten, unb jo blieb benn mieber itiemanb übrig al« ©ad). 

SEBir Ratten in fflien brei Xage bermeilt. 2lm 12 . morgen« fuhren 
mir mit einem Sjtrajug bi« putlein unb malten üon ba einen Slbfiedjer 
nach ffremfier, um nachjufehen, mie e« mit beit ©orbereitungen für ben 
SReicf)«tag ftef)e. 933er mar ber erfte, ben ich in ffremfier 511 fehen befam? 
ßöhner! Er muf«te fid) alfo auch ohne ben !. !. {Reumann einen ©affier* 
Schein jur Steife oon 9Bien $u oerfdjaffen gemuf«t haben. ßöhner befanb Sich 
in ffremfier mit Hermann © d) m i b t, meinem ehemaligen ffrafauer Eoüegen; 
ich traf ©chmibt im ©afthofe „$ur ©onne", unb er Schimpfte jefct über bie 
©olbaten ebenfo Sehr, mie er früher in ffrafau ihre ©artei genommen hatte. 

®er einzig gemaltige, ja allmächtige in ffremfier mar jefet 2 Uop« 3 eien, 
ber 8 teich«tag«* 0 rbner par excellence. ®ie 2 lnftalten, bie er in fünfter 
3eit getroffen, maren bortrefflid): ber ©ifcung«faal, bie Eommiffion«äimmer, 
bie ©ureau«, alle« mar auf ba« jmedmäfeigfte au«erfehen unb hergerichtet. 
211« fich geigte, baf« SRangel an Stühlen ba mar, telegraphierte er nach 
©rag: e« joden 150 Stühle au« bem böhmifchen ßanbtag«faale nach ffremfier 
gefchidt merben. Xetegramm au« ©rag an ben 3teich«tag«=0rbner Seien in 
ffremfier: „2luf meffen ©efepl? SRefedrq." Telegramm au« ffremfier an ben 


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OJlinifterium Schroarjenberg-Stabion. 


197 


©ubernial=Sice=Sräfibentett Saroit s Dfefcert) in s 45 rag: „2luf meinen, Seien." 
llnb bie Seffeln mürben gefd)idt. 2 luch für bic &üd)e, für bie Sieftauration$= 
Socalitätcn mar geforgt; in ber Clonbitorei lieft er un* burcft bie itieblicftfte 
bcr 3 u ^ er ^öcfertöd)ter beit trefflicftften ber SRofogtio’S creben^en. Xaneben 
muffte er in ber Stabt Quartiere für bie Mbgeorbiteten auSfinbig $u machen 
unb in ©tiibettj 51t fjaltcn. Tie jahlreidjen gali^ijcften Säuern mollte er in 
^mei groften Jpöfen nor ber Stabt unterbringen: ,,Sd) merbe mitten unter 
ihnen moftneit, bamit fie mir niemanb abfängt." Ta£ mirb er, fcftrieb ich 
meiner 2Rina, meint e» ba^u fontmt, mobl bleiben laffeit! 

Selen übte bie obcrfte $olijei itt firemficr, minbeftenä bilbete er ficft'ä 
ein. „Sn ber ganzen Stabt," c^plicierte er mir, „nimmt tticmanb Sefefjle an, 
al 3 non mir unb bie 001t mir gefertigt fittb. Seber, ber fid) einquartieren 
mill, mirb 51t mir gejeftieft, um einen Slufnahm^ettel $u erhalten. Schreibe 
id) barauf citt „n", ba» fteiftt „nein", io befommt er iit gauj Sremfier meber 
Quartier, itod) Speife unb Traut. 3 BiH er obitc biefe brei Tinge ftier bleiben, 
fein Üftenfch mirb il)it baratt liiitbcnt." ©leidpuoljl muffte er itid)t, bafä 
£öftner in Sremficr fei. 2ll£ id; ihm bie 3 mittheilte, fagte er mir mit 
fomifdjem ©ruft: „ s JZa feftau, brum mar mir beute fo übel!" 2luf bie 
Sournalifteit batte er c* befonber^ jeharf. Seber, ber aitfant, erhielt uon 
ibnt eine Strafprcbigt unb SOfabnuitg jur Sefferuug: „Sb r feib jtoar alle 
^lifantmeit Snntpe, Schufte, beut Teufel $u fd)lcd)t, Shr uerbient alle burd; 
bie Sauf gehangen $u merbeit" :c. Glitch bie armen Stenographen, bie boeft 
nichts 51t thuit hatten, als ba 3 auf$ufd)reibcn, ma§ aitbere fpradjeit, befantett 
feinen Humiden ( }u fühlen. 

2 lnberfeit£ mar er bcr beftc Slerl non bcr SBelt. Seber Slbgcorbncte 
mürbe auf ba* juuorfommenbfte non ihm aufgenommen, mohitte bei ihm, 
folange er itod; fein Quartier hatte, mürbe uon ifjm bemirtet. (Sr mar ein 
fcftlauer Stopf unb ift gemif$ babei itid)t fd;led)t gefahren Xhatfacfte aber ift, 
baf£ alle feine ßerftefluitgcn nid)t bie .pälfte noit beut fofteten, ma$ bafür 
ba$ f. f. Sauamt aufgerechnet haben mürbe. Selen befaft einen fauftifdjen 
2Bifc unb mar burd)au* nicht mählerifd) itt feinen 2 lu 3 briicfen, meber im 
Schlimmen noch int ©uten. Tenn er nerftattb e$ nidjt mettiger 51t fd;iiicid;elu 
al£ 51t fd;intpfen unb beibe3 in groftent Stil, ^unt Seifpiel: „ 3 ucrft uitfer 
Herrgott, bann ber fiaifer unb ba* SKiniftcrium, foitft feinte id) itid)t*!" 
ober gar: „Wad) unfereiit Herrgott fontmt glcid) ba§ SÖfinifterium." Ta 
er nun in ber Xf)at ber Regierung aithättglid) unb ergeben mar, ihr Tienfte 
leiftete, mo er nur fottitte, unb fid; 51t allem bercitmillig geigte, fo mar e§ 
begreiflich, baf$ er halb alle SRiniftcr für fid) cingeuomnteit hatte. „Sehen 
Sie," fagte einmal Srud 511 mir, „fold;e Wteitfdjen habe id) gern." 


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198 


gofepp greiperr oon §elfer\ 


®egen Slbenb {Rieben mir üon Sfremfier unb tarnen fpät in Dlmüfc an, 
SRein erfter ©ang am 13. morgen^ mar auf bie Poft. geh h a tte, mie ficf> 
üon felbft üerftept, biefe ganzen Sage nichts üon meiner lieben grau 
erfahren fönnen; ich feinte mich nach Stacprichten üon ihr unb ermartete 
einen poftlagernben ©rief ju finben; unb fo mar e$ auch $u meiner 
grofeen greube. 

gn 01 mü| mar ich üiel um Sadj, bem ich niept abliefe gu^ureben r 
bafS er ins SKinifterium trete; er fdjien ba£, obmopl er fiep noch immer 
ablepnenb üerpielt, niefet ungern gu hören. ®ineS XageS malten mir auf 
bem ©laciS bie Stunbe um bie ©tobt, als uns bie ©^her^ogin Sophie 
mit einer ihrer #ofbamen entgegenfam. ®ie ©r^er^ogin gieng auf Sadj $u 
unb liefe fiep mit ifem in ein fur^eS ©efprädj ein; ich trat natürlich befepeiben 
jur ©eite. Pacp'S entfcpiebeneS Auftreten am 2 . September, mo er ber 
$rone baS 9Recpt üorbepielt, bie Pefcpliiffc beS Parlamenten 51 t fanctionieren r 
patte ihm opne grage ben $anf unb bie ©pmpatpie beS |>ofe3 ermorben. — 
2 )aS mar auch bei ©tabion ber gad, ber auf Pacp’S ©intritt ben gröfeteu 
Sßert legte. Pacp brachte, um feine Steigerung ju rechtfertigen, einen ©runfc 
nach bem anbern üor, ©tabion modte feinen gelten (affen. Unter jenen 
©rüttben mar auch ber, beit er fdjon iw Prag gegen mich üorgebracht patte: 
baS äRinifterium fei auS jtt heterogenen ©(ementen aufammengefefct, eS fei 
ein ©ompromifS^Winifterium; er, 93ach, mürbe, fo fefcte er jept pin^u, iw 
bem ©abinet feine @tüpe finben. „$arin irrt Sach/' fagte ©tabion, ate 
ihm biefe $ufeerung hiwterbracht mürbe; „ich ()obe tyw fennen gelernt, feine 
Slnficpten finb auch bie wteinigen, auf mich W)irb er immer rechnen fönnen." 
$>a fam enblich bie ©ntfeheibung. ®ine£ XageS mar 2Uot)ä gif eher bei 
ihm unb beibe befpraepen biefe Slngelegenpeit, mobei gifeper aHeS aufbot r 
ihn $ur Slnnafeme gu bemegen. SRacpbem gifcher lang gefproepen, ©ach wur 
fchmach ermibert holte, entftanb eine fleine Paufe. ©ach fepten fiep bie ©oepe 
noch einmal 31 t überlegen, bann erhob er fiefe üon feinem ©ifce unb fagte: 
„SBoplan, ich W>iö es tpun!" Stm Slbenb beim „©oliatp" begrüfeten mir 
ipn fchon als äRinifter. 

* 

* * 

$aS 9Rinifterium mar jefct üodaäplig, ich 5 W>or nicht mirflicher SRinifter, 
aber ich 9 ölt a(S foteper, ber fich nur nicht förmlich erflärt hotte, ©ineS 
lageS fagte ©tabion in meiner ©egenmart: „geh miß feinen UnterftaatS= 
©ecretär" — beinahe jeber äRinifter hotte bamalS einen folcpen —, „ein 
UnterftaatS-Secretcir ift nichts als eine ßaft!" „geh banfe fcpön", fagte 
ich, „ba machen ©ie mir ein fcpöneS ©ompliment!" ®arauf ©tabion: 
„Sie meine ich i a wicht, ©ie betrachte ich o(S äRinifter, unb menn mir mit 


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2Jtinifterium 6chroargenberg*©tabion. 


199 


bcm 8teich«tag gu ©nbe finb unb mir nach SBien fornmen, mcrbctt Sic e« 
auch förmlich fein." (®r meinte feine Sluftöfung be« 8teich«tage«, an meldje 
barnal« niemanb backte, fonbern beffen regelrechten Slbfchluf«, nachbem 
er feine conftitnierenbe Slufgabe öollenbet höben mürbe.) 

Sa« üRinifterium mar ba, unb nun begannen bie gemeinfamen ©e* 
ratfjungen, bie in ber SBohnung unfere« ^räfibenten abgehalten mürben. 
Ser erfte -Kinifterrath fanb am 15. Soöember ftatt, ich habe ntir ben ©ang 
beleihen aufgegeichnet, unb e« bürfte ben Sefer vielleicht intereffieren, 
etma« Sähere« barüber gu erfahren. Slnmefenb maren: ©chmargenberg, 
©tabion, ©ruef, Shinnfelb, ©orbon, ©ach nnb ich; ®*au« mar 
für ben Slugenblicf in SBien. SBeffenberg mar gmar noch officietter SKinifter= 
präfibent, hoch in unferer 3Ritte erfchien er nicht; feine ©nthebung, um bie 
er ben ®aifer fo oft gebeten hatte, fonnte jefct jeben Sag erfolgen. 

I. Snerft famett Sepefcfjen au« ©rag an bie Seihe. ©ie lauteten fehr 

bebenflidf).' 3n ber ©tabt gebe e« mühlenbe unb hefeenbe ©lemente aller 
Slrt; bie au« SBien gurüefgefehrten 3ugügler, au« SBien geflüchtete Semo* 
traten unb ©tubenten; bie beiben Slpoftaten ©toll unb Songe arbeiteten für 
eine beutfd^fatholifche ©emeinbe unb regten ihre Zuhörer aU ch in politifcher 
Dichtung auf; ber bemofratifche ffierein halte eine ©ifcung nach ber anbern* 
„Ser ©ouoerneur ©raf SBicfenburg geigt fich fchmach, ift ein ©pielbatt in 
ben §änben ber giihrer; auf bie groftentheit« au« Stalienern beftehenbe 

©arnifon ift fein ©erlaf«. 3>n einem 3Birt«hau« hat man auf bie SSörber 

be« Satour, auf ben fünftigen SKörber be« Sfaifer« angeftofjen, in einem 

aitbern ba« ©ilbni« be« Saifer« öerbrannt." ©in Schreiben be« Selb* 

marfchatl« au« ©chönbrunn lautete ähnlich unb fprach bie Slbficht be« dürften 
au«, eine fliegenbe Kolonne nach ©rag gu entfenben. 

©om äKinifterrath mürbe befchloffen: ©raf SBicfenburg fei abguberufen 
unb gur Serantmortung nach Dlmüfc gu citieren; ber ©icepräfibent Sgnag 
Sitter b. SRarquet fei gu beauftragen, einftmeilen ba« ©ubernium gu leiten; 
er habe nachgufpüren, melche ©erbinbungen ber ©rager bemofratifche ©erein 
mit ben lebten SBiener ©reigniffen gehabt habe; ©erfonen, gegen bie fich 
Sngichten herau«fteüen, feien gu öerhaften; fall« auf bie ©tubenten*2egion 
eine ©chulb falle, fei fie aufgulöfen. 

II. 3ch ergriff ba« SBort unb fprach ungefähr fo: „3ch möchte hier 
ettoa« anregen, auf ma« ich intmer mieber gurüeffommen merbe. 3n ©rag 
finb Sruppen nöthig; in ©chlefien gährt e« ftill; ebenfo im nörblichen 
©Öhmen. SBenn bie Singe in ©erlin fchlimm au«gehen, haben mir vielleicht 
neue Slufftänbe. ©ie brauchen Sruppen auf allen ©eiten. SBa« merben 
©ie anfangen? Sa« £eer in Ungarn ober ba« in Italien fdjmächen? Sa 


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200 


^ofeph ^reihert oon geifert. 


hätte ich nun ein Hausmittel. SRadjen ©ie bcn Srieg in bcr ©lobafei ju 
einem populären! ©eben ©ie bera ©eneral ©imunii einfidjtSbofle SertrauenS* 
männer an bie ©eite, bie unter feiner Slufficfjt unb ßeitung baS Soff über 
ben Stieg belehren, aus bem Söffe ßeute für ben Stieg toerben, bie ©emorbenen 
unter bie gefaulten ©ofbaten eintheilen, unb ©ie tonnen aus ben brei 
Satnillonen, bie ©irnmtid jefct Ijat, binnen Jurjem ebenfo biete Regimenter 
fdjaffen, fönnen bamit brei anbere Regimenter in Rorbungarn entbehren unb 
anberSmo bermenben. SRehr nod&: eS ^anbett fich nicht bloß barurn, uns 
einen Sortheil ju berfdjaffen, fonbern auch bem Scinbe einen Sortiert $u 
entfliehen. 2>enn tljun mir nicht, rnaS ich gerätsen, fo merben eS bie Ungarn 
tpun, aus bem Söffe gegen uns ben ßanbfturm organifieren. $ie ©tobafen 
finb ein gutmütiges, aber inbolenteS Soff; mer juerft fomrnt, mahlt früher." 

9Rein Sorfchlag moflte nicht recht berfangen. Xent ©eneral ©orbon 
miberftrebte eS, ungefcfjulteS Soff unter feine gefaulten ©olbaten flu reifen, 
©djmarflenberg ermiberte mir: eS befinbe fich oljnebieS granj 3<uf) bei 
©imunii, eS fotte ein fejShafter ßanbfturm jur Sertheibigung ber Drtfcfjaften 
organifiert merben. 

III: ®er SriegSminifter, als ehemaliger SBiener ©tabteommanbant, 
fpradj bon ben Seichten, bie gegen mehrere SRitglieber beS Reichstages flutn 
Sorfchein gefommen, unb meinte, eS miiffe in biefer |>inficht eine Serfitgung 
getroffen toerben. darauf ich: „2)iefe Serfügung fönnte hoch tooht nur in 
einer Snftruction an bie ßentraHlnterfuchungS^Sommiffion beftehen, toie fich 
fetbe, fattS Slnjeigen folcher s 2lrt an fie gelangen, flu benehmen höbe." ®er 
Suftiflminifter tourbe bamit betraut, eine ^nftruction in biefem Sinne abjufaffen. 

IV. $er SRinifterpräfibent flieht ein Schreiben beS probiforifepen SRarine* 
Sommanbanten 3lttton Ritter b. SRartini herbor, morin biefer bie Roth* 
toenbigteit barlegt, bie faiferliche SriegSflotte flu bermehren: eS mären 
SriegSbampfer flu bauen ober burch Slnfauf 511 ertoerben; auf englifchen 
©chiffsmerften befänben fich ö * er öon RufSlanb befteüte SriegSfchiffe unb 
eS märe bielleicht möglich, bafS RufSlanb btefelben unferer Regierung abtrete. 
Srucf: „$gt)pten befipt eine bebeutenbe glotte bon ©egetfehiffen, eS miß fich 
eines Steiles berfelben entlebigen; bielleicht gelänge eS, eine 9lnjahl babon 
ju ermerben." ©S toarb befchloffen, fomoht in ©nglanb als in Sigppten 
hierüber anjufragen; an Irieft märe bie Slufforberung ju richten, ob eS 
nicht angienge, SriegSfchiffe im Snlanbe ju bauen unb bie SRafdjinen baju 
auS ©nglanb ju bejiehen. 

V. ©djmarjenberg bringt ben SanuS SeUaftd in ©rimterung: „Sefladid 
hat fich um bie Rettung ber SRonardjie große Serbienfte ermorben; eS gebürt 
ihm eine StuSjeichnung befonberer 2lrt, bie barin beftänbe, ihn junt ßanb* 


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üftinifterium ©chn>ar$enberg*6tabion. 


201 


unb 3Rilitärs©ouüerneur üon Dalmatien ju ernennen; ba$ mirb bie flaüifchen 
Dalmatiner befriebigen unb bie feparatiftifdjen Italiener im Baum galten. 
3 ugteid) fönnte man ihn zum ©ouüerneur üon Siume machen, ba$ er ohnebieS 
in feiner ©emalt hot. Die Siumaner Srage ift noch in ber ©djmebe; burch 
eine foldje Ernennung mirb ber Söfung nicht üorgegriffen, benn gum 
©ouüerneur !ann ber Saifer ernennen, men er miß. @3 mirb bamit meber 
bie SoSreifjung 3iumeS üon Ungarn, noch beffen ©inüerleibung in Sroatien 
auSgefprochen; aber e3 mirb ju ber einen ober anberen Söfung ber 3Beg 
gebahnt." 

SlfleS mar mit ben SluSfüfjrungen be3 SKinifterpräfibenten einüerftanben. 

VI. ©3 folgte eine fefyr intereffante, üon ©ach angeregte Debatte über 
bie militärifche ©erichtSbarfeit; ©orbon, ©rud unb ich fprachen ihre Sfnfic^tcn 
au3, mornit ich jebodj ben Sefer üerfdjonen miß. 

3m aßgemeinen mirb man zugeben, baf3 bie ©egenftänbe, bie gleich 
in biefer erften ©ifcung zur Sprache tarnen, mannigfaltiges Sutereffe boten, 
unb ich meinerfeitS !ann e3 nur bebauern, bafS ich mir nicht gleite 2 luf* 
Zeichnungen üon ben folgeuben ©ifcungen gemacht höbe. 3 <h höbe ou3 biefen 
nur einzelne ©apiere unb fonft nur aßgemeine Erinnerungen, ©ine ber erften 
Aufgaben mar bie Bufommenfteßung be3 ©rogrammS, mit melchem ba3 
©Jinifterium üor bie Öffentlichfeit treten foßte; bann aber eine ©ad)e üon 
ungleich höherer ©ebeutung. 

12 . 

©3 mar an einem ber erften ©erathung3*2lbenbe, als uns 
©chmarzenberg eröffnete, er höbe uns eine SJtittheilung üon ber aßer* 
größten SBichtigfeit zu machen, unb beifügte, bafS barüber unbebingteS ©tiß* 
fchmeigen nach oufjen feftgehalten merben müffeStaifer gerbinanb, 
ber fepon in 3un3brud zweimal höbe afrbanfen mollen, fei 
nun nicht länger zu hotten, Erzherzog Stanz Sari rnerbe 
auf bie Nachfolge üerzichten, ©rzherzog Sranz Sofeph merbe 
bie Regierung übernehmen; er feiburchbie üorangegangenen 
©reigniffe nach feiner ©eite h' n gebunben unb höbe baher 
üolHommen freie §änbe, um Öfterreich einer neuen Bufunft 
entgegenzuführen. 

3ch tonn eS nicht fchilbern, metchen ©inbrud biefe Eröffnung auf uns 
aße machte, ©tabion aflein ausgenommen, ber ohne 3*ueifel früher in baS 
©eheimniS gezogen mar. Der erfte, ber nach einer beflemmenben ©aufe 
baS SBort ergriff, mar ber SriegSminifter. „3o, fo ift'S recht/ fagte 
©orbon, „baS §eer braucht in ber jefcigen 3eit einen §errn, ber fich fehen 


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202 


3ofepf> Freiherr üon Jpelfert. 


(affen famt." 9tun fanb auch ber bebächtige Kraus 333orte, um feiner 
äReinung 9luSbrucf ju geben. ©r fpradj in entgegengefefctem Sinne, als fein 
©oflega oorn Kriege. „Das ift benn bodj eine fefyr bebenfliche @adje," 
meinte er; „bei bem jepigen Kaifer weiß man, woran fidj $u galten; aber 
ein junger $err, ber neu in bie ©efchäfte eintritt, — wer fann üorauSfagen, wie 
er fid) in biefer emften Sage benehmen wirb, wie man mit ihm auSfommen 
Wirb?" Schwarzenberg fudjte KrauS’ Seforgniffe z u befcfjwichtigen. 
„Übrigens", fügte er bei, „ift an ber ©ache nichts zu änbern; ber SRegierungS* 
werfet ift in ben 2 lüerf)öchften Steifen befdjfoffene Sache, unb bem SRinifterium 
bleibt nichts übrig, als z u beratfjcn, in welcher SBeife biefer ©ntfdjlufS in 
Ausführung 511 bringen fein wirb." ‘Damit War bie Dhatfache feftgeftedt; 
oon feinem ber attberen 2Rinifter Würbe eine Söißigung auSgefprocheit ober 
ein Sttwfel erhoben, unb eS würbe fomit fogteic^ begonnen, bie 9Robalitäten biefer 
funbamentalen Säuberung ber Politiken Sage in ©rwägung zu jie^en. 

9iach ben |>auSgefe|}en war ein faiferlicher Sßrinj mit bem achtzehnten 
3a^re regierungsfähig, ©r^erjog ftranz Sofeph h a **e am 18 - Auguft 1848 
biefeS SebenSalter erreicht, oon biefer ©eite beftanb alfo fein £>inberniS. 
©obann bie äRanifefte. Sollte bie Dhronentfagung, bie ®erzichtleiftung, bie 
Dh^onbefteigung in einer unb berfelben Urfuitbe erflärt werben? Ober foßte 
jeber biefer Acte oon einer befonberen Kunbmachung begleitet fein? Ober 
enblid), foßten Kaifer gerbinanb unb ©rzherzog granz Karl ein gemein' 
fchaftlicheS, ber neue Kaifer ein befonbereS 5Ranifeft erlaffen? ferner: 333er 
foßte in baS Vertrauen gezogen werben? ©oflten bie äRitglieber ber 
faiferlichen gamilie außer ben unmittelbar betheiligten fünf Sßerfonen — 
Kaifer unb Kaiferin, Sranj Karl unb Sophie, granj 3ofeph — in oorläufige 
Kenntnis gefegt ober erft im lebten Augenblide bem Acte felbft beigejogeu 
werben? $on anberen Sßerfönlichfeiten ftanb Sürft 333ittbifch@räfc außer 
Srrage: er war ja oon ber faiferlichen Samilie felbft unb jwar feßon feit 
ben 2Jiär$tagen in biefer Angelegenheit wieberholt berathen worben. Aber 
SRabefcfp, ber Serbientefte unter ben Serbienten, burfte man ihn üon ber 
ßRitwiffenfchaft eines fo einfeßneibenben ActeS auSfcßließen ? Doch wieber üon 
ber anbern ©eite: fönne man ihn, ber in Italien für fich aßein eine 
Armee fei, oon feinem Sßoften, wenn auch nur auf furze Seit abrufen? 
3 hn auf fchriftlichem ober auf münblichem S33ege auf eine fo weite ©nt* 
fernung in Kenntnis beffen ju fefcen, waS ja hoch «och nicht wirflid) 
gefchehen War, fchien auf feine 333eife gerathen. Unb Sefladid, ber ritterliche 
SBanuS, ber ben Schein beS $ochüerratheS nidht gefreut h^tte, um zu thun, 
waS nach feiner lopalen Überzeugung Ungarn gegenüber aßein bie ßRonarchic 
retten fonnte, burfte er übergangen werben? 


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SRinifterium ©chroarjenberg'Stabion. 


203 


Solper Stagen gab e$ noch ^unbert anbere, bie äße gelöft fein 
mufften, ehe man an bie 9lu3führung feftritt. $er SRinifterrath befchäftigte 
fich bamit täglich, ja man fann jagen ftünblich- $agmifchen bie anberen 
©efdjäfte, bie unä halb nach SBien, halb nach Sremfier riefen, fo baf£ mir 
in biefer 3eit faft ebenfo Diel auf ber Steife, al£ in Dlmitfc maren. SRehr 
atö einmal gefchah eS, baf£ mir un£, menn mäfjrenb ber Sifenbafjnfahrt 
eine Saufe eintrat, meil ein anberer 3ug abgemartet merben muffte, Dom 
@tation3chef ein 3immer auffperren tieften unb f)ier improoifierte Scrathung 
hielten. Sei einer biefer ©etegenfjeiten mar e£, menn mich meine ©innerung 
nicht täufeftt, baf§ ber Sefchlufä gefaxt mürbe, ben Saron Sulmer, ben 
politifcften Sreunb unb Seratper be£ SanuS Sellattd, mit in baä äRinifterium 
aufgunehmen. 

2 rofc biefer unabläffigen I^ätigfeit jog fich bie Angelegenheit, meil 
immer neue fragen auftauchten, gleichmohl in bie Sänge. Anberfeitö lieft 
e3 fich, ba ber SteicfjStag in Sremfier bereite gufamraentrat, nicht länger 
auffepieben, ba£ neue SRinifterinm oor bie Öffentlicpfeit treten gu taffen. 
9Rit ber 3 u fammenfteflung be3 Stogramm^ mürbe ich betraut, bie Der* 
feftiebenen SRinifter übergaben mir fcprifttich ihre Sorfcfttäge unb SBiinfche, 
namentlich ©tabion, Srau£, Sach/ Srucf; einige biefer ©aborate befinben 
fich noch h eu tt unter meinen papieren. 3ch befattb mich bamate in Sremfier, 
mo mir S^lcn eine fehr hübfd^e unb babei mohl gelegene SBohnung — 
gerabe gegenüber bem SRefibettgfchloffe, bei bem fürfcergbifchöflichen ®ut3* 
®irector —auägefucht hatte; auch fürSlmtäräumlichfeiten meinet 3Rinifterium£ 
mar geforgt. 2)a traf mich ein Telegramm beS dürften Schmalenberg au8 
Dlmüfc: „Sie merben gebeten, mit ben bemühten ©eftriften fogleich h' e h«t 
gu fommen." 

Am 21., einem $ienftag oormittagä, fuhr ich per Achfe nach Dlmüfc 
ab. SRein Steifegenoffe mar ®r. grang Schmitt. ©eftmitt mar in SBien 
ber erfte ^Sräfibent be3 9teich3tage£ gemefeit; jefct mar er mieber einfacher 
Abgeorbneter, feinet Serufeä Aboocat in SBien, ein fehr freunblicher, guoo x* 
fommenber ^err, mit bem ich mich untermegS fehr gut unterhielt. © mar 
ein alter Saften oon Sutfche, in ber mir fuhren, auf bem Socfe ein h fl na* 
fifcher Surfche. Stuf ber ©hauffee, in 5Rähe öon ®ub mit feiner ftattlichen, 
meithin fichtbaren Sirdje, Jam utt£ ein guhrmanuSmagen entgegen; unfer 
ßutfeher moßte auameidjen, that e3 aber fo ungefdjicft, baf£ ber Saftmagen 
mit feiner gangen ©chmere an unfere Sutfche anfuhr, fo bafä alle Stränge 
ber Sferbe riffen. Unfer Sutfcfter machte fich baran, ba£ Sebergeug mit 
©pagaten unb ©trideln gufammengubanbeln. ®a mir aber einfahen, baf£ 
ba3 3eug hoch nicht hatten mürbe, begab ich mich in ba8 nahe ®arf, um 


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204 


Sofepfe fjreifeerr uon ©eifert. 


uns eine einfache {ßritfdjfa ju oerfefeaffen, was ich in ber SBirtSftube ab* 
warten wollte. Es war ein reinliches ä^^er; ber Patriarch beS $aufeS, 
auf eine 39aitf hingeftredt, hielt eben fein {RachmittagSfchläfchen, aus welchem 
er bnreh mein Erfcheinen aufgewedt würbe; an einer fdjwarzen lafel fah ich 
mit Weifeer Sreibe (alfo nicht „fdjwarj auf weife", fonbent umgefehrt) bie 
SBirtShauSfchulbner oerzeidfenet, bamnter einen „^Brauner" mit 3 fl. 24 fr., 
einen „©molfa" mit 2 fl. $ie würbige |>auSfrau fuefete mir burch ®efpräch 
bie 3eit z u oertreiben, Wobei ich mit mit meinem lüdenhaften 93öhmifch 
ziemlich gut burchhalf. ®aS halbe ©tünbehen, baS ich in biefer Art ju* 
brachte, bie länbliche ©tiHe, bie mich umgab, ber Einbrud beS {Ruhigen unb 
©eorbneten, baS in bem £ofe h crr fchte, that mir in biefer arg bewegten unb 
erregten 3 *it unb bei meinem jefct fo rnhelofen ßeben fo behaglich Wohl, 
wie ich gar nicht fagen fann — es war für mich eine Sbfefle. 

©egen oier Uhr nachmittags Rieften ©chmitt unb ich auf unferem 
®auernwägelchen uitferen Einzug in Dlrnüfc. 

♦ * 

♦ 

Am felben Sage War enblich bie längft erbetene Entfeebung 3B e f f e tt* 
b e r g'S üon feinem Soften erfolgt. ®er Saifer liefe ihm als 3eicfeen banfenber 
Anerfennung feiner treuen unb opferwilligen $ienfte baS ©rofefreuj beS 
©t. ©tepfeanSOrbenS, nach bem ©olbenen Sliefee bie feöcfefte Auszeichnung 
für {JJerfonen Oon Sioit, überreichen; SBeffenberg lehnte entjchulbigenb ab, — 
weil er baS gleiche ©rofefreuz bereits bor breiunbreifeig Saferen, gleich nach 
bem ÜBiener Songreffe, erfealten featte. Sehniger folcher Art famen in jener 
3 eit, wo oielc homines novi in ben Ämtern Waren, bie mitunter ofene bie 
SBiener öoracten unb ©efeelfe arbeiteten, noch manche tor. ©o war einem 
SBiirgermeifter im 3Rarchfetbe, ber [ich in ben Seiten ber {Reoolution als 
gefinnungStüchtig unb tfeatfräftig bewäfert featte, bie grofee golbene ÜRebaille 
mit ber Sette zugefproefeen worben; ber lag ber feierlichen Übergabe war 
ba, unb ber zu Setfeeilenbe erfefeieu — mit ber grofeen golbenen äRebaille 
an ber Sette um ben £>alS, bie er für feine SSerbienfte fchon oor Sahnen 
erfealten featte . . . 

Am 22. fufer iefe mit ben SKiniftern naefe Sremfier, wo wir oon 3 e l e n 
mit einem 3rüfeftüd empfangen würben. ®arauf in bie fcfeöne ©t. ÜRauritiuS* 
SHrdfee: ber {Reichstag follte in bem „mäferifefeen {Rom" tagen, unb eS war 
bafeer in ber Drbnung, bafS er mit einem §eiligen*©eift*Amte eingeleitet 
Würbe. Scfe fafe oiele meiner Sreunbe oom Sentrum wieber, fie gratulierten 
mir zu meinem Eintritt in baS äRinifterium — Sin unb ber Anbere wofei 
mit etwas füfefaurer 2Riene — unb trugen mir mitunter aHerfeanb Anliegen 


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■äRinifterium ©chroarjenberg-Stabion. 


205 


t)or. Am beften Sßiflen, fagtc ich bei mir, foß eS mir gemifS nicht fehlen; 
aber an ©efchidtichfeit, an Kraft, an Ausbauer?! Der §immel gebe eS! 

9hm gieng eS in ben {ReichStagSfaal, mo baS erfte ©efchäft bie 
©räfibentenmahl mar. 3n AuSficht genommen maren ©trobach unb 
© m o I! a, jener bon ben Söhnten unb bem Eentrum, biefer bon ben ©ölen 
unb ber Sinfen. Die oon ber Sinfen maren faft äße am ©lafce; fe^r be¬ 
greiflich, meil fie, fo menig fie anfangs oon Kremfier etmaS hatten höten 
moßen, fich unter ben jefcigen Umftänben nirgenbS fixerer fühlten als im 
{Reichstag; hingegen born Eentrum unb bon ber {Rechten maren noch biete 
abmefenb. ©eint erften SBahlgang fielen 122 Stimmen auf ©trobach, 
121 auf ©rnotfa, baneben einige auf ©ißerSborff, ©chmitt, ©chufetfa. Es 
muffte ein zmeiter SBaljlgang erfolgen, unb jeftt erhielt ©trobach 124 Stimmen, 
©rnotfa aber 131 Stimmen, ©molfa mar fomit ©räfibent; baS Eentrum 
unb bie {Rechte hatten eine ßtiebertage erlitten, unb baS mar fein gutes Brisen 
für bie SBiebereröffnung ber ©crhanblungen. Seien telegraphierte nach ©rag • 
„£eute mürbe ©molfa bon ben abmefenben böhmifchen Abgeorbneten zum 
©räfibenten gemählt." Das 9Jlinifterium mar beftür^t, in büfterer Stimmung 
nahmen mir bei Selen baS 9Rittagmahl ein unb fuhren bann nach Dlmüfc 
zurüd. Am peinlichften mar ber faifertiche |>of babon berührt, an ber @pifce 
beS Kremfierer {Reichstages, bon beffen Spaltung fo biel abfjieng, ben 
„Dctober*©räfibeuten" fehen ju müffen; beim Dh ee ber ® r 5 h cr Sogin ©ophie 
herrschte an biefem Abenb tiefe 9hebergefchlagenheit. 

Übrigens mar, bon biefer politischen ©cbenflichfeit abgefehen, ©molfa 
als ©räfibent ebenfo ausgezeichnet als ©trobach- ©eibe maren gefchidt unb 
gemanbt, beibe umfichtig unb feft; ©arteilichfeit für feine politifchen 3reunbe 

ober gegen feine politifchen ©egner fonnte man feinem bon ©eiben bormerfen. 

* * 

* 

SReine Ausarbeitung ber miniftecießen ©rogrammrebe hatte ich bereits 
abgeliefert, ©ie mürbe bon Schmalenberg in ber Sorm unb bem Ion, 
ben ich ßegeben, nicht acceptiert; er gab fie feinem ©räfibialiS Hübner 
Zum UmgufS. SBenn ich mir h eu te bie Sache überlege, mufS ich bieS be* 
greiflich finben. Sch fonnte eine gute {Rebe hatten, ich mar nicht ungefchidt 
im Schriftlichen Auffafc, fei es juriftifchen ober politischen EharafterS; aber eine 
©taatsfehrift, mit ber fich bie oberften {Räthe ber Krone bor ber Öffentlichkeit 
einführen foßten, lag außer bem ©ereiche meiner bisherigen Erfahrung 
unb Übung. 2BaS mir fehlte, befaß |>übner burch feine mehrjährigen Dienfte 
in ber Diplomatie im boßen 9Raße. 3« ber ©ad)e felbft hat er an meinem 
Auffafce gemifS meber etmaS geänbert, noch neu hinzugetpan, bießeicht ein 
unb baS anbere übergangen; aber im AuSbrud hat er mohl nicht einen 


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206 


3ofeph greiherr oon geifert. 


Sa$ unoeränbert gelaffen. 3ch befifec oon meinem 9Tuffafee nur ©ruchftücfe 
unb !ann baher feinen ©ergleich anfteßen. 3ebe$faßS hat §übner feine 
Stufgabe oorzüglich gelöft. 

$aS 9Rinifterium mufSte non je|}t an für längere Seit feinen bleibenben 
Si& in Kremfier nehmen; benn bie Arbeiten beS Reichstages begannen. 3ch 
befanb mich in meiner neuen äBoljnung fehr mohl, ich t)atte nur menige 
Stritte in baS fürft s er$bifd)öftid)e ©alaiS, mo ber Reichstag feinen Sifc 
unb bie meiften SRinifter ihre SBohnung unb ihre Kanzleien Ratten; unb 
ebenfo hatte ich nur menige Stritte in ben herrlichen, auSgebehnten ©arf, 
ben bie SRarch burd^ftiefet. Rächft einem ber SluSgänge beSfelben inS greie 
befiitbet fich ein langet ©ebäube, an ber gront in antifer SBcife mit 
Säulen gegiert, fo bafS man eS für einen griedjifdjen Xempel Ratten founte; 
menn man aber hineintritt, zeigt eS fich als eine ÜReierei mit ben Staflungen 
für baS Rinboieh, afleS fehr fd)ön unb rein gehalten. $)ahin famen mir 
öfter auf unferen Spaziergängen unb hatten unfere greube an bem prächtigen 
SluSfehen ber X^iere. 3n einer fteinen Slbtheilung befanben fich bie jüngeren 
Kälber; ©ach machte fich ben Scherz unb meinte: „3)aS ift ja bie Slula." 
®er große, feifte Stier aber mürbe non boshaften fieuten „ber güfter" ge¬ 
nannt, unb biefe ©ejeichnung mürbe feßneß oolfsthümlich- 9Ran hat mir er* 
Zählt, eS fei eines XageS ein grember nach Kremfier gefommen unb 
habe gefragt, ob er „ben güfter" fehen fönne? „6ben ift bie 3eit, mo er 
gefüttert mirb", mürbe ihm geantmortet. 

9lm 26. morgens fchrieb ich eben einen ©rief an meine grau in 
©rag, als ich auf ber Ireppe zu meiner SBoßnung vielfache Schritte unb 
Säbelgeflirr oernahm. 3ch hatte bamalS bie Unart, mich nicht gleich für 

ben Sag anzuziehen, fonbern bis z u ber 3eit, mo ich auSgehen foßte, in 

Schlafrocf unb ©ommobeftiefeln zu bleiben. ©S mürbe geflopft, ich founte 
nicht anberS als „herein" rufen, unb ba maren bie Dfficiere ber ©antifon, 
an ihrer Spi$e ber SRajor beS ©lafceS; fie hatten bie Runbe bei ben 
SRiniftern gemacht unb famen nun auch mir als „Unterrichtö-SRinifter" 
ihre Slufmartung zu machen. 3ch befanb mich in ber größten Serlegenheit, 

ich bat um ©ntfchulbigung, bafS fie mich in folgern Stnzuge träfen, unb 

mürbe noch mehr befangen, als ber SRajor mich als „©jeeßenz" anfprach- 
3ch beprecierte, aßein eS half nichts; ber SRajor ließ fich einmal bie 
„©jeeßenz" nicht nehmen. 3ch hatte biefen Xitel fd)on einmal, auf unferen 
gahrten im ©jtrazug oon Kremfier nach SBien, oon einem ©ifenbahnbeamten 
erhalten. 

2lm 27. Rooember erfchienen fämmtliche SRinifter oor bem oerfammetten 
©aufe. gürft gelij Schmarzenberg betrat bie Rebnerbühne, tiefe Stiße 


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ÜJtinifterium S<hroarrenberg*Stabion. 


207 


^crrfd^tc im ©aale, unb er begann gu lefen. $aS Rapier jitterte in feinen £änben, 
benn obmohl er gar nicht fo alt mar, maren feine £änbe berart gefchmächt, 
bafS feine ©c^riftjüge lauter äi^dlinien bilbeten. Auch in feinem Antlift 
unb in feiner Stimme merfte man bie ^Befangenheit eines SRanneS, ber auf 
ben ©chlachtfelbern StalienS unerfchroden ben Kanonen gegenübergeftanben 
hatte, ber aber jeftt jum erftenmal oor einem bürgerlichen ©enat ju fprechen 
hatte. ®r mar Bläffer als gemöhnlich, er las unficher unb anfangs faft nur 
oernehmbar, meil im Saale afleS ben 2tthem anhielt, fo bafS man eine 
©tednabel tonnte faßen hö^n. Aflein halb mürbe eS lebenbig unb laut; 
benn jeftt trug er Säfte oor, bie Aßen mißtommen maren. „2Bir moßen bie 
conftitutioneße äKonarcftie, begrünbet auf ber gleichen ^Berechtigung unb un- 
behinberten ©ntmidlung aßer Nationalitäten (Aflgemeiner ©eifaß), fomie 
auf ber ©leidet aßer Staatsbürger üor bem ©ejefte (Aflgemeiner ©eifaß), 
gemährleiftet burch Öffentlichteit in aßen Steigen beS Staatshaushaltes 
(Aflgemeiner ©eifafl), getragen oon ber freien ©emeinbe unb ber freien 
©eftaltung ber Sänbertheile in aßen inneren Angelegenheiten (Aflgemeiner 
©eifafl), umfchlungen oon einem gemeinfamen Sanbe einer fräftigen ©entral* 
©emalt" (ABgemeiner ©eifaß). $amit mar baS ©iS gebrochen. Schmarrens 
berg'S ©ortrag mürbe mit jebem Safte fixerer, feine Stimme Ijob fich, als 
immer neue unb neue „©raoo" unb ©eifaßsfaloen ertönten. ber Iftöt 
tonnte jebe ©artei aus bem ©ortragc beS 9Jtinifters©räfibenten für fich nach 
Haufe tragen, maS ihr am meiften am Herren lag: bie Nccftte bie „©leid)* 
berechtigung ber Nationalitäten", baS ©entrum bie „Kräftigung ber Eentral* 
©emalt", bie fiinfe bie „Sache ber Freiheit", bie baS Ntinifterium, mie es 
in ber Nebe h^6, „ru ber feinigen machen merbe". 

Nun gieng ber ©ortrag ju ben einreinen Hauptfragen über. $ie 
äußerfte Sinfe h^tte fich mohl auf eine Strafprebigt gefafst gemacht, aßein 
„bie betlagenSmerten ©reigniffe" unb bie Nothmenbigfeit eines „AuSnahmS* 
ruftanbeS in 2Bien" mürben nur fchonenb berührt, unb bie Stifagen ftaran 
getnüpft, biefem ßuftanbe „fo halb eS bie ©erhältniffe geftatten" ein ©nbe 
ru machen. $ie italienifchen, bann bie ungarifchen Angelegenheiten tarnen 
an bie Neihe; bie feften unb entliehenen ©rtlärungen ber Negierung mürben 
mit großer Aufmerffamteit angehört, hoch ohne ©eifaflsbereigung, als mären 
bieS r« heitliche ©untte. 3uleftt bie beutfehe Srage unb bie ©erhältniffe im 
aßgemeinen, unb jeftt gab eS mieber einen ©eifafl nach *> cm anberen: Öftere 
reich merbe ruerft feine eigene ©erfaffung in Drbnung bringen unb bann 
feine ©erhältniffe ru Xeutfcßlanb regeln; baS Ntinifterium merbe nach ußen 
©eiten bie Sntereffen unb bie SCBürbe Öfterreichs mahren unb teinerlei 
beirrenben ©influfS oon außen auf bie unabhängige ©eftaltung unferer inneren 


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208 


Sofeph Freiherr oon geifert. 


©erhältniffe sulaffen (©raoo, ©rapo, ©raDo!). AIS Schmalenberg feilten 
©ortrag fchlofS unb Don ber Slebnerbühne auf feinen SJtinifterfife jufc^ritt, 
gab ihm großer, anhaltenber ©eifaß Don aßen ©eiten beS Kaufes baS ©e* 
leite. $aS SJtinifterium hotte gefiegt, unb $toar in einer glän^enben SEBeife. 

13. 

®ie jmeite ^oc^mic^tige Angelegenheit näherte fich nun ihrem Ab* 
fchluffe. Am 1. December abenbS befanben mir uns bei ©chtoarjenberg 51t 
einer testen ©erathung; aße erforberlidjen Urhinben mären ins Steine ge* 
febrieben, bie auSzugebenben SJtanifefte lagen in ber $ruderei jum Abziehen 
bereit. Stur über einen ©unft hotte ber 3Jtinifter*©räfibent noch im lefcten 
Augenblide ein Sebenfen. ®ie ©erathung mar geenbet, eS mar fpät an ber 
8 eit, man fuchte nach Überzieher, £ut unb ©tod. gürft ©djmarzenberg als 
Hausherr ftanb folbatifch gerabe in ber SJtitte beS gimmerS, um feine ©äfte 
Zu Derabfchicben. ®a erhob er feine ©timme: „Alfo meine Herren, mie foß 
eS fein: „ftranz Sofeph" ober „Sranz"? 3dj, bereite im Abgehen begriffen, 
machte auf biefe Anfprache lehrt unb fam fo gerabe Dor ben dürften z u 
ftehen, fo bafs er bie lefcte ftrage gleichfam an mich richtete unb ich *h m 
ermiberte: „0h, ich bitte fehr: nicht „Sranz" allein!" 

'Siefen eine SBort richtig aufgefafSt, mirb fich ber geneigte Sefer gegen* 
märtig holten müffen, melche ©egriffe unb ©cfühle fich bamalS an ben 
Staaten beS oorlefcten SJaiferS fniipften: Stetternich unb ©eblni^ft), AbfolutiS* 
muS unb ©enfur, aßeS baS repräfentierte bamalS ber Stame „Kaifer Sranz", 
unb aßeS baS fam mit biefem Staaten in ©rinneritng unb mürbe, fo hotte 
man bie ©mpfinbung, burch biefen Slamett mieber heraufbcfchmoren. 

„Alfo ,3 r a n z 3 0 f e p h ‘!" fogte ©chmarzenberg, ba niemanb anberer 

baS SBort ergriff, unb gab uns freunblichen Stachtgrufc. Dicfer furze @a$ 

gab aber, mie ich nachträglich aus $übner'S SJtemoiren erfehen höbe, fernere 

Arbeit. 3)enn aße Steinfchriften maren auf ben Staaten „3*anz ber Smeite" 

abgefafst, bie SJtanifefte ftanben auf ben Stamen „3ranz ber Smeite" im 

©a$e: binnen z e h n *) ©tunben — benn für ben morgigen lag mar ber 

feierliche Act bereits angefefct — mufste über Stacht aßeS neu abgetrieben, 

mufsten Don ben ©e^ern in ber ftruderei bie nöthigen Sinberungen angebracht 

merben. * 

♦ * 

©nblich mar er ba, ber zweite $ecember 1848, unb aßeS begab 
fich 9 c 9 cn od)t Uhr oormittagS in bie fürfterzbifchöfliche Stefibenz* Son 
Uniformen mar bei ©eamten bamalS feine Siebe, ber fchmarze 3ftod mufste 

*) £> ti bner treibt: „binnen oierunbjroanjig ©tunben"; ba$ ift ein lapsus 
memoriae sive calami. 


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ÜJttnifterium ©chroaraenberg* ©tabi on. 


209 


bei allen feierlichen ©elegenheiten bienen, SBenn ich nicht irre, mar eS #err 
o. Ihinnf^Ib, mit bem ich bie große Xreppe hinanftieg, burch bie fchon 
bicht gefüllten ©orfäle hinburch, in ben großen ©aal, mo baS folgenfchmere 
©reigniS oor fich gehen foflte. 3<h mar aber nicht lange barin, als man 
mir bebeutete, ich fbnne nicht ba bleiben, ba in bem für ben feierlichen 
2 lct oorbereiteten ©rotocofle mein 9lame nicht aufgenommen fei. @3 toaren 
barin nämlich außer ben fünf #auptperfonen nur bie ©rjherjoge unb ©rj* 
heqoginnen, bie toirflichen SJiinifter, bann 3ßinbifch©rä|} unb 3eßafi(J, enblich 
§übner als ©rototoflführer namhaft gemalt, ©o gieng ich benn in bie 
Sorfäte jurücf, too ber #offtaat, ©raf Seopolb BaJanSlp, ber Dlmüfcer 
SreiShauptmann ©raf 9Rercanbin, bie ©enerale unb höh eren Dfficiere, bie 
©pifcen ber ©efjörben *c. oerfammelt toaren. Stuf aßen ©efichtern toaren 
©rtoartung, ßleugierbe,, ©pamtung $u lefen. ®er ältefte ©rin$ beS 3rctb= 
marfcßaßS 3tittmeifter ©ring Sttfreb SBinbifchöräfc begrüßte mich nnb 
fragte: „3a, tooju hat man unS benn h^rher befdjieben?" 3ch ertoiberte 
auStoeichenb, als ob ich nichts müfSte ober nichts fagen bürfte. ©r felbft toufste 
eS burch feinen ©ater gan^ gut; aber jo unoerbrüchlich mürbe baS ©tifl* 
fchtoeigen beobachtet, bafS man felbft gegen folche, oon benen man oorauS* 
fefcen tonnte, fie feien in baS ®el)eimniS gezogen, ben Untoiffenben fpielte. 
3ch habe früher angebeutet, bafS felbft oon ber (aiferlicßen fjamilie nur bie 
unmittelbar betheiligten ©lieber in baS ©eheimniS gejogen toaren, oon 
fämmtlichen attberen ©rjhe^ogen unb ©r^erjoginnen toufSte eS (einer, ®r$* 
herjog Sari gerbinanb trat auf ben firiegSminifter ju: „Sagen ©ie 
mir, toaS ift benn eigentlich loS, bafS man unS $u fo früher ©tunbe hierher 
befteßt hat?" „Selieben fich ©ucr (aiferliche Roheit nur eine furje SBeile 
$u gebulben, eS mirb fogleich offenbar merben." 

gür unS braußen oergieng ettoa eine halbe ©tunbe, ba mürben bie 
gtügelthüren beS großen ©aaleS angelmeit aufgetßan unb aßeS brängte fich 
hinein. ®ie Sflerhöchften §errfchaften hatten fich bereits jurüefgejogen, einige 
©rjherjoginnen mit oermeinten ©efichtern entfernten fich eben burch bie ent* 
gegenftehenbe Xtjüre. ßlacßbem fich aßeS im ©aale oerfammelt hatte unb 
9tuhe eingetreten mar, ergriff gürft ©chmarjenberg baS SBort unb oer* 
(ünbetemit tief bemegter Stimme: „©e. SOtajeftät Saifer gerbinanb I. 
hat bem Ih*an entfagt, ©r^herjog granj Sari hat auf bie 
Nachfolge oerjichtet, Saifer granj Safeph 1 - hat ben Zfyxon 
beftiegen." ®er ©inbruef, ben biefe SBorte auf aße machte, bie nicht fchon 
früher baoon mufsten, läfSt fich nicht betreiben; tiefer, namentlicher ©mft 
jeigte fich bei ben ©inen, Kränen fo e r SRührung feuchteten bie Slugen ber 
änberen. ®enn biefe gebachten gerbinanb beS ©ütigen, gebauten ber Siebe, 

14 


Die ftultur. III. 3. $eft. (1902.) 


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210 


Sfofepl) greif) err oon geifert. 


bie er feinen SSölfern geroibmet, unb tute graufam unb unbantbar ei iljm 
feine SBiener »ergolten Ijatten; jene aber mosten benten, toaä Söaron ftrauS 
bamalö im SJJinifterratf) gefügt batte: „SBer tann toiffen, toaS ba tommen 
toirb!" . . . 

* 

* * 

Unmittelbar nach gesehener 93erfünbigung mürben bie SJiinifter, ich 
mit ihnen, oor ben neuen ßaifer berufen. 6r machte einen ungemein 
geminnenb$n ©inbruef unb jeigte bei afl ? feiner Sugenb eine Ruhe unb 
Sicherheit, bie $u bemunbern mar. Siirft Schmalenberg fteßte uns oor, 
ber SJaifer fagte ju jebem blofc tur5: „Sch empfehle 3h ne n baS SJiimfterium 
beS Snnern!" „Sch empfehle 3h«en bie Slngetegenheiten ber 3ufti$!" ic. 
33on ben acht ^erfonen, rnelche auf biefe Slrt als bie aflererften bie ©nabe 
genoffen, oon bem neu antretenben Monarchen empfangen ju merben, lebt 
heute nur einer: ber Schreiber biefer feilen! 

®S mar für uns anbere h öc hfte 3eit, nach ®remfier $u fahren. 
$)enn borthin mar telegraphiert morben: baS ßRinifterium fydbe eine 
mistige ©röffnung ju machen, ber s #räfibent merbe erfucht, eine au&erorbent* 
liehe Sifcung für 12 Uhr mittags einjuberufen. Sn^mifchen mürbe eS für 
uns nahezu ein Viertel nach 11 Uhr, ehe ^ir öon Dlmüp aufbrechen tonnten; 
auf bem ©almhof tonnte eS auch nicht fogleich loSgehen, unb fo mar es 
ein Uhr oorbei, ehe mir nach &uflein tarnen, mo mir noch per ®3agen nach 
Sfremfier $11 fahren patten. 2>ort hatte Smolfa richtig bie Sipung füröloefe 
jmölf einberufen unb hatten fiep bie Slbgeorbneten in ber größten Spannung 
unb Aufregung eingefunben. 2>enn oiele bachten mohl an eine Sluflöfung beS 
Reichstages ober an eine etma octropierte Säerfaffung; ben compromittierten 
äRitgliebern ber Sinten fepmebte etmaS oon einer SluSlicferung an bie ©erichte 
Oor. $ocp eS mürbe halb eins, cS mürbe eins, eS mürbe halb jmei, unb 
noch immer mar fein Rtinifter $u fehen. Unter ben Slbgeorbneten ^errfd^te 
UngemifSheit, Ungebulb, unb jefct auch fepon $rger, mie man fie perbefteßen 
unb bei $mei Stunben märten laffen fönne; einjelne giengen in ihrer Unruhe 
auS bem Saat hinaus, bann mieber in ben Saal $urücf. Schon maren oiele 
überbrüffig unb moflten baS ©ebäube oerlaffen, im ^ßräfibium fprach man 
baoon, bie Sipung ju oertagen, als eS nahezu jmei Uhr piep: „5)ie 9Rinifter 
finb ba!" Run eilte aßeS auf feine s $läpe, bie Spannung, maS ba erfolgen 
merbe, erreichte ben haften ©rab. 

3ürft Schmalenberg beftieg bie Iribüne unb begann bei 
tautlofer Stiße im Saale mit ben ©orten: „SReine Herren, heute ift 
ein hoher, ein melthiftorifcher Slct oor fich gegangen!" unb begann nun 
baS in Dlmüj} auf genommene Sßrotofofl perabaulefen. 211$ er nach einer 


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■äJUnifterium Scproarjenberg-Stabion. 


211 


langen Einleitung $u bem ©ape fom: ©e. SRajeftät fiaifer gerbinanb 
fjabe ben Entfdjlufd gefaxt, feine firone nieberjulegen, ba gieng ed burdj 
ben ©aal, tt>ie ein großer, aber ßalb erftiefter ©eufjer; icß ßabe aud ben 
©änfen ber Stecßten ein ftifled „Je2i§ Maria“ oernommen — mir feßien, 
Xornef fei ed gemefen —, icß ßabe ed gefeßen, mie biefer unb jener 
bie #änbe jum ®ebet faltete, ed mar ein ängftlicß ergreifenber SRoment! 
Stacß unb naeß !am rnieber meßr Seben in bie Serfammlung. ®ie ©teile 
oon ber Xßronbefteignng gran$ gofepß bed Erften lad ©eßmarjenberg 
mit erßößter Stimme unb jept braeß bie Serfammlung in lauten ©eifafl 
unb ^podjrufe aud. Ed folgte bad 21btretungd*9Ranifeft bed feßeibenben unb 
bed antretenben fiaiferd; in legerem mürben befonberd jene ©teilen lebhaft 
beflatfcßt, mo er feinen entfeßiebenen SBißen audfpracß, ben Sorberungen ber 
3eit unb bed gortfeßritted 511 entfpreeßen, £anb in $anb mit bem conftituieren* 
ben Steicßdtage $u geßen. ®ie greube, ber ©eifall, ber Sntßufiadmud fteigerten 
fieß, ald in einem meiteren SRaitifefte bad 2Rinifterium, beffen Programm 
mit fo entfeßiebenem Erfolge aufgenommen morben mar, beftätigt mürbe; 
unb oießeießt mir allein jmang ed ein oorübergeßenbed Säckeln ab, ald ber 
neue fiaifer bie Ermattung audfpracß, bad SRinifterium merbe „mit gleicher 
Xßätigfeit unb Xreue mie bidßer" fortfaßren, — ein SRinifterium, bad erft 
ein paar läge alt mar unb noeß nießtd in bie Söelt ßinaudgefcßidt ßatte, 
äld fein ©rogramm! Ed folgte ber faiferlicße ©rufe an ben Steicßdtag, sulept 
bie Ernennung bed Saron fiulnter ^um SRinifter oßne ©ortefeuiße, mad 
befonberd and ben ©änten ber Stecßten mit lebhafter greube begrübt 
mürbe. 

♦ * 

* 

©eßmarjenberg ßatte geenbet. Sr oerließ bie Stebnerbüßne unb gieng 
$u feinem SRinifterfip $urüd, Oon lautem, anßaltenbem ©eifaß begleitet. 
Stacßbem bie Stuße einigermaßen ßergeftcflt mar, fpraeß ber Steicßdtagd* 
©räfibent: „SReine Herren, nehmen mir biefe ßoeßmießtige SRittßeilung entgegen 
mit bem einftimmigen Stufe: Ed lebe ber conftitutioneMe fiaifer 
unb fiönig granj gofepß!" ®ie ganje ©erfammlung erßob fieß mit 
ben Stufen £ocß! Vivat! SlAva! äReßrere Slbgeorbnete melbeten fieß $um SBort. 

Seopolb Steumann erhielt ed juerft unb beantragte, bafd eine 
®eputation aud bem Steicßdtage gemäblt merbe, um in Dlmitp fomoßl ben 
jugenblicßen SRoitarcßen eßrfurcßtdüoß $u begrüßen, „jugleicß aber gerbinanb 
bem ®ütigen, bem ©cßöpfer ber greißeit unfered geliebten Öfterreicß ben 
Sludbrud bed nie erlöfcßenben Xanfed oon SRißionen bar^ubringen." Stacß 
ißm feßlug ©rauner oor, bafd für biefe Xeputation brei SRitglieber aud 
jebem ©ouoernement gemäßlt merben, unb barauf Eajetan ÜRaper, bafd 

14* 


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212 


Fofepp Brret&err oon geifert. 


bie Deputation gtüei Slbreffen mitnepme unb überbringe, eine ©egrüftungS* 
Slbreffe für ben ben Dpron befteigenben unb eine 2lbfcpieb3*Slbreffe für ben 
bie $rone nieberlegenben Äaifer. 

2BaS miep betrifft, fo pabe icp nie ben ©egenfap $toeier Organe in 
folgern ©rabe perauSgefüpU toie bei biefer ©elegenpeit. 9teumann'3 tiefe, ooß* 
tönenbe Stimme toirfte fpmpatpifcp, fie toar toie geraffen für bie gehobene, feierliche 
Stimmung, in ber fiep bie Serfammlung befanb. 9ticpt3 aber paffte toeniger 
für biefen UJtoment alä ba$ Organ SRaper'S. üJiaper toar burep unb burep 
8erftanbe$menfcp, unb baS gab fiep auch in feinem Organe funb, ba3 !Iar, 
aber fcharf unb fchneibenb toar unb jeber SBärme entbehrte, er fprach logifch 
$um ©erftanbe, aber nicht junt ©emüthe, ba@ gerabe in biefem SJlomente 
auf'3 tieffte bemegt uttb erregt mar. 

Snbeffen tourbe SRaper’a Antrag, fo toie bie feiner beiben Sorrebner 
angenommen. Stuf ©rauner’3 Eintrag beftimmte Smolfa fünf Herren für bie 
Slbfaffung ber beiben Slbreffen; unb jmar: SKaper, Seopolb 9teumann, 
Schufetfa, ©rauner unb giemiatf oto3f i, bie fiep in einem 9teben* 
faale fogleicp an ipre Arbeit machten. Um oier Upr nacpmittagS traten bie 
Slbgeorbneten ber oerfepiebenen ©ouoemementä in befonberen Stäumlicpteiten 
jufammen unb toäplte jebe3 feine brei SRitglieber. *) 

Slm 3. December, 3 Upr nacpmittagS erfepien bie Deputation oor bem 
jungen Kaifer. lieft fiep oon ipm ba$ gleicpe Jagen, toa3 früper oon 
bem dürften Scptoarjenberg gefagt tourbe: er patte, toie Stabepfp über ipn 
berieptet, niept mit ber ©irnper ge^udt, alä in ber peiften Scplacpt bei 
Santa Sucia Shigeln mieberpolt in feiner 9täpe einfeplugen. Slber jept ftanb 
ber Süngling jum erftenmal einem japlreicpen Greife gereifter äKänner 
gegenüber, bie ipn in feierlicher ©eife anfpraepen unb benen er in gleicher ©eife 
entgegnen foßte. ®r muffte, toaä er $u fagen patte, er patte eä fiep toopl 
überlegt; aber jept, ba er e3 auSbrüden toollte, mürbe er befangen, toäprenb 
Fürft Scptoaraenberg, ber pinter ipm ftanb unb faum einige Dage früper bie 
parlamentarifcpe Feuerprobe beftanben patte, ungebulbig eine ©rife naep ber 
anbere napm. ©leicpmopl mar au3 ben ©orten beä jungen KüiferS 5u ent¬ 
nehmen, bafS er bie Slbreffe be§ conftituierenben 9leicp§tage3 mit ©ergnügen 
entgegennepme unb bafa er münfepe unb poffe, baf£ ba3 ©erfaffungStoerf 

*) Fü* Slieber-Cfterreicp: ©reftel, Scpmitt, S(pufelta; für ©öpmen: ©alaefft, 
Start, Strobacp; für ©alijien: ©ierjcplejöti, Fa<ptmoioicä, Smolfa; für Ober- 
öfterreitp: ©ifer, ©acano, fiaffer; für Steiermart: ©tefenauer, ©ngetpofer, 
©leiöpadp; für ©äpren: £>ein, Sjabel, ©aper; für Ftlprien: ©af, Uüepitfdj, Scpoll; 
für ba$ Siiftenlanb: ©itteri, ©lacp, Spangper; für Dalmatien: Qoidjeoiö, Filippir 
©i<peli*©itturi; für Xirol: ftlebelSberg, 3nndle, ©rebler. 


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SJttnifterium ©cferoarjenberg^tabion. 


213 


batb öollenbet unb ifern oorgelegt toerben möge, bamit er e« prüfen unb 
bemfelben bie Kaiferlicfee ©anction erteilen Könne. diefer (entere ©afc mochte 
manchem ber deputierten be« meilanb „fouoerainen" 8teicfe«tage« niefet be* 
fonber« angenehm in ben Dferen Klingen; allein man befeerrfcfetc fiefe unb 
mit einem breifaefe bonnemben $ocfe enbete bie Slubienj. 

den alten ®aifer fanben bie deputierten niefet, mie fie ermartet Ratten, 
in Dlmüfc, er mar unmittelbar naefe ber dferonentfagung naefe ©rag abgereift, 
unb bafein mußten benn, auefe bie deputierten iferen 3Beg nehmen, ©ie maren in 
ber beften Saune, ber Sbgeorbnete für ©ercfetolbaborf (9l.*Ö.) liefe fiefe mäferenb 
ber ftafert ba« »Suselka ndm pi§e« oorfingen unb lachte im ®feor mit ben 
Slnbern mit. 3n ©rag fanb bie deputation feiten« ber ©ürgerfefeaft 
freunbtiefefte Stufnafeme; bagegen gab e« einige ©cfemierigKeiten auf bem 
|>rabfcfein. Äaifer gerbinanb münzte oor adern 9t u fee, bafür featte er fiefe 
ja oon ber 9tegierung ^urücKge^ogen! @r featte Verboten, deputationen oor 
ifen $u taffen, er mollte nur einaelne ©erfonen empfangen. 3«l^t liefe er 
fiefe boefe feerbei, für. bieämal eine 9lu«nafeme ju macfeen — e« mar ja gleich* 
fam fein lefeter 9tegierung«act! —; aber bie Herren mürben gebeten, ifere 
©aefee fo tur$ al« möglicfe $u macfeen. ©0 gefefeafe e« benn auefe. ©molKa 
feielt eine niefet fefer lange Slnfpracfee, in melcfeer er ben Sfaifer bat, bie 
ehrerbietige Slbreffe be« conftituierenben 9teicfe«tage« entgegenjunefemen, morauf 
ber ffaifer eine noefe Kürzere Slntmort abla«. damit mar ber Empfang $u 
@nbe unb bie deputation mürbe entlaffen. 9tocfe benfelben 2lbenb trat fie 
ifere SRüdKreife naefe ftremfier an, mo ©molKa in ber ©ifcung 00m 7. über 
ben ®rfotg bericfetetc. 

(3rortfcfctiiiQ im ndctjflen jpefl.) 



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Altnordische Dichtkunst. 

Bon Dr. Kirfjarb to. ßralih. 

(Sdjlufö.) 

< 

en 9K a u n umföreibt bie Dichtung mit feinen Sjaten, nach bem, wa$ 
er gewährt, nimmt ober thut, nach feinem ©igen, ba$ er tjat ober gibt, 
nach ©efchlecfjt, Sorfabren, Stachfommen. ©igenthümlicf) ift bie Sezeichnung 
burch Saumnamen, ©ötter* unb 9llfennamen 511m Sobe, Stiefennamen jum 
Schimpf. 3>ie grau wirb nach grauenfchmncf, ©olb, ©belgeftein, nach ben 
©etränlen, bie fie reicht ober gemährt, nach weiblichen Saumnamen, nach 
ben 9tamen ber Slfinneit, SBalfiiren, SRornen ober ®ifen bezeichnet. @0 befingt 
5. S. £aflarftein eine giirftin: „SBalb ber Siergefäfee! ich, gelohnt be$ 
SSJerfe^, glättete bir mit bem Sim$fteine ber Dichtung bie ©iebet be$ 
weiten ©ebäube$ meiner Strophen." Saum ber ©üter, Satten be$ gluf$* 
feuert, Säule be$ gluf$monbe$, Stüfee be$ 2Reergebcine$, SBattiire be$ 
9Jlethe$, Sirfe, ©ichc ber ©üter, Sinbe be$ Seiit$ heifet bie grau fonft bei 
ben Sfalben, ber 9Jlann: frieg$ftarfer Ulmbaum be$ flingenben ®rzregen$, 
Sperberbaum ber SBaffen, ber Sämpfe, ber gafjrten unb Arbeiten, ber Skiffe, 
?Rci$ ber ©rbe, Satten be$ 9JlorbzWeige$, £>ain be$ Schilbfcbabenä, Suj be$ 
Schiffet, ©fehenbaum be$ Dbhin$regett$, Srombeerftrauch be$ Schwertfifteä, 
fchrecflicher Shieg$ftab, junger 35orn ber Schäfte, ©rreger ber Slblergier. 

®er ffampf heifct tu ber ®ichterfprache: SBetter ber SBaffen ober 
Schilbe ober Dbhin'S ober ber SBalfüren, ober ber f>eerfönige ßärm unb 
©etöfe. So fagt £>ornflofi: ®er $önig ber Speere erregte Sturm mit ben 
Scannen, ba bie Sögel ber SBunben raufchten, im ©etöfe ber (SBattiire) 
Sfögul; rothe SBunben fpieen Slut. So Serfi: 911$ wir jünger Waren, festen 
ich geuer ben Säumen ber ©unb (gelben) fehr tauglich z u 
(ber SBattiire) Sturm. ®ie$ war ehmal$ gefagt. So ©pwinb: Unb jener 
$elb trug in „£>ar'$ SBetter" ba$ graue ©ewanb be$ SBolfeS. So ©inar: 
®er fühne gürft läf$t in bem Segel ber £>ilb ben ungeftüm raufchenben SBinb 
ber ©önbul blafen. ®a$ Schwert fchreit, wo ber £>agel ber Sogenfehne 
niebergeht. ©in anbere$ Seifpiel: 35ie geinbe be$ giirften erlagen unter ben 
drallen be$ 9lbler$ im ©etöfe ©önbul'3. 

SBaffen unb ^eerfleib foH nach ber Schlacht, nach Dbhin, nach *> en 
SBalmaiben unb |>eerfönigen bezeichnet werben. $ie Schilbe werben (wegen 



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2Utnorbif<he Dichtfunft. 


215 


ihrer Sefeftigung ön Sorb ber Skiffe) ©onne, SJtonb, Saub, Slife ober 
©ürtel ber ©chiffe genannt. Der ©chilb heißt auch Schiff Uller'S. Stuf ben 
alten ©djilben mar eS gebräuchlich, ben Staub, ber Saug genannt mar, §u 
bemalen, unb oon biefem Saug merben auch bie ©c^ilbe fo genannt. Die 
§iebmaffen, %te ober ©chmerter Reiften Seuer beS SlutS, ber SBunben ober 
Seiner, Seuer Dbhin'S, bte %te merben burch Stauten oott Stiefinnen be* 
jeichnet, ©tidjmaffen burch Schlangen unb gifche, ©chießmaffen merben mit 
$agel, Stegen ober ©türm umfdjrieben. Seifpiele: 

Die SJtänner, tragenb bie $üte be£ £ängegott3 ($elme), 

Zögerten, oom £ügel herabjufteigen. 

Denn eS festen if)iten nicht oergnüglidj, 

©o große ©efahr $u hefteten. 

©o Dinbr: Sllö ber SBibur ber Sriinne gelungen marb, baS ^ängenbe, 
flingenbe ®emanb Stöbet ab^umerfen, unnüfc burch bie ^erbrochenen Stinge, 
ba mürben bte ftürmifchen SJtecrroffe (Schiffe) jerftört. — ©o $aöfreb: Der 
ftar( tofenbe &agel ber Stoffen ©giFS tönt hart aufftoßenb auf £)amber*S 
©emanbe ber Säume (SJtänner) beä SJteerthicreS (Schiffet). Ober: Daher 
gefchieht eS, bafs ©örle'S glän^enbe ©emanbe oom Slule roth merben, megen 
beS StegenS ber SBunbenerje. Dies h°&' i<h ficher erfahren. — ©o ©rettir: 
Die gelben, bie bie Belte ber #laf(a (bie ©chilbburg, Deftubo) heraustrugen, 
fließen mit Stafen unb Särten vitfammen, beit ©türm ber 2Banb ber |)ilb 
(ber ©chilbe) erregenb. ©o ©inar: ©S mangelt nicht ber Sieben ber Slugen 
oon Db'S ©emahlin bem ©iS beS DacheS Stobe'S. DaS heißt, eS loirb ©olb 
(Sreia'S Dränen) unb ©über auf ©gilben jur Sertheilnng gebracht. Ober: 
DeS heiligen Dlaf'S ©efchlecht röthet $ur ©ee baS Setter ber ©chiffSfonne 
(bie glänvenben ©chilbe); bie SBölfin, leichengierig, folgt rafch ben ©puren 
ber Slbler. So Stef: Diefer frohe Jag leuchtete, an bent bie ©enber beS 
#anbfeuerS (bie ©olboertheiler, bie dürften) mir ben herrlichen SKonb beS 
©chiffSfchnabelS (einen fchönen ©chilb) auf ben Stinggalgen (Slrm) bängten. 
Ober: Der beherzte Erreger beS ©ergetöfeS burchbohrte ben Stoß (3aun, 
©urtel) beS ©djiffeS, ben fchön bemalten (nämlich ben ©chilb), mie Sirfen* 
rinbe; milb mar er in ber Schlacht. Ober: Die ©türme beS UßerfchiffS 
(beS ©djilbS) müthen heftig um ben Surften, ©o fagt fformaf: Die ©flacht 
müthete, als ber Stährer beS Stoffes ber ©rib, ber ben ®ampf erregte, oor* 
trat, ©auf S (Dbhin’S) tönenbeS Seuer (©chmert) tragenb. ©o Ulf Uggafon : 
Die OoHfräftige £ilb ber Serge (SBinb?) liefe ben ©leipnir beS D^eanS 
(baS ©efeiff) oormärtSgehen; aber bie SBölfe beS £elmfeuerS (beS ©chmerteS) 
oon #ropf S ©efolge marfen baS Stofs um. ©inar fingt: Som rathgemanbten 
Sürften befam ich -ta* ©iS rother ©chilbe (©chmert) mit Sreia'S SBangenthau 


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216 


SRi$atb o. ftralit. 


(®olb) befprengt. SBir führten in ber §anb beit ©traben be« Sdjitbe« (ba8 
Scfjwert). Ober: 3ene, bie auf bem Dljier oon 8teoil’8 ©rbe reiten (ba« ftnb bie 
Seemänner), fönnen beuttic^ feljen, tote bie Dradjen (Skiffe) liegen, jerljaut 
oon ber Schärfe ber Stiefin be« #etme« (oon ber Sljt). 9tef fagt: ©teine 
ftarfe, »übe ÜBalbfdjlange (Spieft) weift root)t in ben |>änben ber Scanner 
ju glänjen, wenn gelben jufammenf omrnen. 

Die pfeife werben £>agel be« ©ogen« ober be« Strang« ober ber 
Sdjlacftt genannt, }. ©. bei ©nar Sfataglam: Der ©ott be« Kriege« 
fdjüttelte tapfer ben $agel ber ©ogen ab t>on ben Segetn ber §latfa (ben 
Sdjilben); ber #elb, nidjt fdjonenb be« Sdjmerte«, forgte für ba« Seben ber 
SBölfe (burcft bie lobten). Ober |>aDfreb: Unb nicftt tonnten bie ©ewanbe 
ber mächtigen |>ilb,bie au« ©ifen genähten, bie gelben, bie ben junger be« fleifcft» 
freffenben Sogei« (be« ©eier«) ftiflen, oor bem |mgel be« Strange« oertfjeibigen. 

Die S dj t a d) tl>eiftt0bl)in'32Better, ober SBetter Söibrer’8 oberber jpetelinge. 

Da« Sd)iff wirb getennjcictynet at« Stof« ober Dljier, ober Sdjlittfdjul) 
ber Seefönige, ober ber See ober äljnlid); j. ©. bei £>ornflofi: Der fönig» 
lidje ^erftörer be« gelben SBogenpferbe«, an Sitter nod) ein Snabc, lieft mit 
gutem ©lüd bie Sd)iff«fd)näbel in« ©teer ftoften. So fagt ffirringar*Stein: 
Obwohl ba« ganje ©ott au« bem Sübeit 
Dem Statben fagt, e« fei ftrieg, 

©eginnen mir frot) unfere gatyrt unb bclaften 
©eiter'3 3Jiäb|re (Sdjiff) mit Steinen. 

Ober: Smein’8 Sol)n, ftart im Siege! 

Smeib’3 SRennttjiere (Sdjiffe), bie feitenlangen, 

3ül»rteft bu ben gelbroeg Sötfe’8 (ba« ©teer). 

Dljorb Sfaret«fon l)äuft oier Umfcfjreibungen be« Schiffe« in einer 
Strophe: Da« ©ferb be« Seitenborb« mürbe öom ©orbminb, ber Sigga 
umweht, geftridjen; ber SBinb jagte ben Slingfuft be« ©plfetanbe« gegen 
Säben über Stumar. Dann aber oerlieft ber Säufer be« Seeräuberweg« Sännt 
unb Slgbir, ber $engft be« Seebaum« (©iaftbaum«) rannte im Sauf an 
Sifti oorbei. Slljnlid) ©tarfu«: Der ©är ber SEBirbel (Schiff) burdjjog bie 
fdjnceigen $üget be« Scfttangenbufen« mit groftem Slnlauf; ber ©emattige 
burdjlief bie weiften ©ipfel ber SBogenwale; ber Snirfdjer be« ©teerfdjaum« 
betritt bie alten guftfteige ber Skiffe, ber ©ejj, gegen Stürme anfämpfenb, 
jertif« bie tönenben ©itrtel ber Stippen. Sönig $aralb Sigurbfon fingt: 
Da« Sdjiff fufjr bei ber weiten Sifilau (Sicitien) oorbei. 

Da fuhren wir mit ©radjt. 

Der $irfdj be« Serbetfe« (Schiff), bie Jünglinge tragenb, 
glog fdjneU, Wie ju erwarten war. 


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Slltnorbifche Dichtfunft. 


217 


©inar jagt: 933ir bereiten baS ©lenntl)ier beS -DteerfchaumS. Unb ÜRani: 
2i$aS mirft Du, ©reis, mit fchmachetn ßeib unb Meißen langen, beffen Kräfte 
abzunehmen begannen, betoirfen fönnen bei beu Jünglingen auf ber gifcf) s 
Otter ber See (auf bem ©d)iff). Sluch 2öolf, Schilbtuolf, Ochfe Reifet baS 
Schiff, auch SJtcitte ©chlittfchul); 3Bagen bei ©tprfar Dbbafon: Die Krieger 
HagenS trieben mit großem $orn bie ©dplbtoagen in bie ©dpteehiigel Heib'S, 
bem trefflichen ®ertheiler beS glufSfeuerS (beS ©olbeS) folgeub (b. t). bem 
freigebigen Könige). ©beufo bei Dhorbjönt: Der $ortoert()citer, jener Selafter 
beS h°f) cn H eeru >agenS, ber baS t)öd)fte ©liid beS meinen ©hrifte erlangte, 
befanb fich im GueH ber Daufe. 

Dies bilbet beit Übergang 51t ben Kennzeichnungen (£ 1) r i ft i. (Sr Reifet 
Schöpfer Himmels unb bei* ©rbe, ber ©ngel unb ber Sonne, ©teurer ber 
23elt, beS Himmelreiche^ unb ber ©ngel, König ber Himmel, ber ©oune unb 
ber ©ngel, König 001t 3orfala (3erufalem), oont Vorbau, non ©ricchenlanb, 
®erather ber Slpoftel unb heiliger SKäntter. Die älteren ©falben bezeichnten 
ihn auch Uüc h aitberS, tuic Eilif ©ubruttarjon: . 

Sie jagen, bajS er feinen ©ifc fycibe 
©egen ©üben, bei Urba'S Srunnen; 

©0 befeftigte ber König fttont'S fein 9teid), 

Mächtige ©emalt iibenb gegen bie ®erggötter. 

Ober mie ©fapti DhorobbSfon: Die 9ftad)t beS H crrn ker 9Rönche ift gro&, 
©ott oerntag am meiften. 

Der mächtige C£l)rift fd;uf bte ganze 2öclt 
Unb baute 9iomS H a ^ e - 

Ober mie 9 J?arfuS: Der König beS s 2 BinbfaalS (ber ßuft) jdptf ©rbe, 
Himmel uitb bie guten s 3 Jtcufd)eit. 

Ober bei ©ilif: Die reinen Scharen ber Hitmtrö oerehren gerne 
Den glorreichen Sohn äRarienS; 

Der König ber 3Kenfchen übt mal)rhafte 9Racf)t; 

©r ift ©ott 1111b SUtenjd). 

®ei ©ilif: Die große s Dtad)t beS ©otteSfreunbeS ift l)ö^er^ 

Site 9J?enfchcn oerfteheit fönnen; 

Doch ber milbe König ber ©ugel 
Jft heiliger unb heller ate alles. 

®ei Slrttor: giir ben ©rreger beS Kampfes fiel)' id) 

®eint hoh^n ®cfchütyer 
Der ©riechen unb ©arber; 

©0 belohn' ich ^ Königs ©cfcheitf. 


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218 


SRidjarb o. ßralif. 


(Einar ©tnlafon: gener glän^enbe, bcr ben ganzen SBcItfrci^ 
gn bcr ^ot)Ien ©anb einfchliefct, 

Der baS ©olt befchüfct, befahl bem 
SluSgejeichneten ß'önig, baS ^imntclreic^ 51 t öffnen. 

Die Röntge werben fo gefennjeichnet, bafS fie Senfer beS fianbeS, 
ober SBädjter ber (Erbe, ober Sanbburchwanbler, ober ©efolgSherren, ober 
Sdjüfcer beS SanbüolfeS heifcen, auch 2Bart beS ßanbeS, gelbwart. Stächft 
bem Slaifer ftefjt ber Stönig, ber über ein ©ottlanb herrfcht, biefem junächft 
bie ©djufcfönige (tributpflichtige) ober garte, bann bie Werfen (^erjoge) ober 
fianbmannen, wie fie in bänifcher 3 mtge, ober ©rafen, wie fie in ©ajlanb, 
Sarone, wie fie in ©nglanb Reißen. 2Ran nennt fie auch Srecher beS ©otbeS, 
©utmitbe, ©annermänner, ©olfsfteurer, ©ortämpfer beS £eere£ ober ber 
Schlacht. Demnächft finb bie SJiänner, bie patter (Hölbar) heiften, baS finb 
bie Säuern* bie nach ©efchlecht unb Stecht als 00 H gelten. Die mag ber 
©latbe ©eher beS ©utS, SBäc^ter, ©erföhner ber äRänner nennen. Dies 
gilt auch für Häuptlinge. Dann gibt eS ©efolgSleute, H°f m mtnen unb Höu^ 
teute ber Könige unb garte, fie h e ifeen auch gnnengefotge, SBe^rmannen, 
Sotbmannen; 5 . S. in einer ©troptje beS ©ighWater: 

Da war eS in biefem ©eitpferbe (©chiff) 

ÜWicht anberS, als ob bie gungfrau 
Den ©olbbegen ben 9Jleth bringe; 

©otcheS ©etöfe beS (Er^cS entftanb. 

Dttar ber ©djmarje fagt: 

geh bebarf beS SBohlwotlenS ber trefflichen ©utmannen 
DeS ©chwertbrecherS ©untrer. 

Hier innen ift baS tapfere gngefinbe 
©eim mutigen König. 

garte, H cr f cn unb Hofteute werben auch beS Königs SRauner, ©erather, 
©eiftfcer genannt; 5 . ©. beiH a ^freb: DerfriegSmächtige©eratherbeSKönigs, 
JRafch im 3 *>nt, bem bie ©chneHigteit gefällt, 
fiiefj bie ©ewanbe H a Ö en ’3, 

Die mit H ammcr genähten, um fid) tönen. 

Ober bei ©naebjörn: DeS ©otetungen ©erather läfst 

Den tangfeitigen ©tier beS SlpfelbaumS (©chiff) 

Die hörte SBetle burdjfchneiben 

9Kit bem ungeheuren Schwert feines Schnabels. 

Ober bei 2lrnor: äWich feffeln grofce ßeiben, 

Unb meine jungen Söhne tragen bie ihrigen 


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Wltnorbifcbe Dicbtfunft. 


219 


0b beS DobeS jenes föniglicben SeififcerS, 

Des friegSberübmten. 

0bcr bei £atlfreb: Der 3tatf) glüefte, bafS jener berebte 

Seirebner beS Königs barauf bie einzige Softer 
Dnar'S, bie mit Säumen befleibete, heiratete 
(b. b- ein 2anb ermarb). 

Sffiänner merben noch nach bem ©efcbledjte bezeichnet; j. S. fagtKor* 
mof: ®S tjöre ber freigebige ©obn beS foatjrfjaften ©enoffen $aralb’S: ich 
trage auf mein Srautbier ber Serggöttin (ber ©oefie). SlnberS S^iobotf: 
@S. hmdjS bem Sater Olafs 
DaS SBetter ber ©ifenfteine (bie ©flacht), 

BeugniS feiner Dapferfeit, 

SGBürbig beS 2obeS. 

2lrnor: Die biinnen ©cbmerter nermunbeten 

Die ftarten Krieger bei 9Köit im ©üben, 

2Bo bu, @efd)(edjt beS alten Stögnmalb, 

Unter ©gilben fanfeft. 

9tocb ben umfebreibenben Seaeidjnungen bebanbclt ber aftnorbifebe 
Ib^oretiter eine jmeite ©(affe ber poetifcbeit SuSbrücfe, bie nitum* 
febriebenen Sejeicbitungen (Ufenb b^iti). Darunter finb bauptfäcblicb bie 
©pnonpnia gemeint, mie für Dicbtfunft: 3tubm, ©eift ober SBij}, äJJäre, 
2ob. Doch rechnet er auch barunter Senennungen, bie mir als Umfcbreibungen 
auffaffen mürben, fo in folgenbem Seifpiel: ©ine Stiefin fpriebt ju Srage, 
bem alten ©talben: ©in Stiefin nennt man mich, 

Den ÜBonb beS StungnerfifceS, 

©uttoerjebrer ber Stiefen, 

©ebabe beS ©onnenlicbteS, 

©efellin ber SBala, 

SBart ber $ügelerbe (©räber), 

Serfcbtinger beS Rimmels, — 

3BaS ift ein 9tiefe aufcerbent? 

Unb er antmortet: ©inen ©falben nennen fie mich, 
ßieberfebmieb beS SBettererS, 

©aut'S (Dbbin'S) ©abenerfinber, 

©inen Dieter, einen fruchtbaren, 

Sgger'S Sierbringer, 

Der SBeifen Serfertiger, 

£>ocbfcbmieb beS ©efangeS; -- 
2 Ber ift ©falbe aufjerbem? 


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220 


Sicharb v. firalif. 


Snbere Seifbiete finb, Don Format: (Sin ißreiötieb mad)’ ich auf ben 
mären ©ofjit ©iegfrieb’8; ihm Dergalt ich Diel größeren Sangeäruhm. Ober 
non Xf)orbor ftotbeinäfon: Der Kämpfer ließ niete Sorten, ßaftfchiffe unb 
3adjten in bie ©ee fließen; be« ©falben Sofatieb mächft. Ober oon Utf 
Uggafon: 3<h öollenbete einft, jünger at« jefct, ein Suhmtieb; fo preife ich 
triegerifdje SWänner. Ober non Orm Steinthorfon: Siel toeniger at« ich 
münfdjen mürbe, ßa6’ idj 2Bortreid)tf)um; bie« ßnben mir oft. Da« ßob ber 
SRänner fing’ ich not ber reinen fjrau. 

Die ©ötter merben in biefer SEBeife at« Sanbe, £>afte, Sichter, 
Selige bejeidjnet; fo fagt (Sprninb: SBir machten be« König« ßob, ber 
©etigen Dranf, gleich einer ©teinbrücfe (fo bauerhaft). 

Stt« Samen be« $immel« merben gebraust unter anberen: (Snb* 
lang, ßichtfaljr, ber Dreßenbe, ©cßneienbe, SBeitblau; at« Samen ber 
©onne: Sab, Stötfje, 2tugengtanj, 9lIIfcßier, Schein, Sdjönrunb, 8mergenfpiel, 
Slbrötlje; at« Samen be« SSonbe«: Seu, Sieber, 3a^rjäßter, ©feiner, Schieler. 

Die (Srbe heißt noch: fianb, gelb, ®runb, ftalbe, ©elänbe, frnibe, 
$tob^n, giorgpn zc. Söolfnamen finb: ©ier, gred>, SBitnir, Pgr, Sargr. 
Der Särnamen merben 16 aufgejählt, ber $irfchnamen fieben. 

Sei biefer ©elegentjeit mirb für Stut bie Umfdjreibung „be« SBolfe« 
mitbe« Sier", für fieicßnam „be« Söotfe« reichliche« ®etreibe" mitgetheitt. 

®« folgt nun eine ausführliche Stufjäßtung oon ftofenamen ber ®ötter= 
unb £>etbenfage, nicht minber non alten Odjfennamen unb Sdjlattgennamen 
(Drache, gafner, Sörminganbr, Satter, Sibheger, ßinb, ®oin, SSoin, 
©rabmotf, ©raurütfen, ©rimm zc.) unb non Spnontjinen be« Sinbe«, be« 
©djafe« unb Sdjmeine«. 

9tt« Samen ber ßuft merben aufgeführt: ©inungagap, Stittetßeim, 
Sogetßeim, SBeibßeim. Der SBinb heißt noch SBetien, Knider, SBeiner, 
Sommerfahrer, SBirbet. 

(Sine große Solle fpielt ber Sabe unb ber 2lbter in ber Sfalbenpoejte, 
at« bie Sögel, bie fidj an ben ßeidjen ber gefallenen Seifen faltigen. Unb 
ebenfo reich finb bie Samen ber ©ee oertreten, al« be« Dummetplaße« ber 
SBifinger, at«: SSeer, Slegir, ©pmer, ßau, $af, Sieg, gifdjplafc, ©alj, 
Saf«, glut, ©olf. Sind) bie neun Dödjter be« ÜKeergotte« Stgir unb ber 
San, bie Skdenmäbcßen, muf«ten baju ihre Samen leihen. 3lu« ben jaht* 
reichen Stoben miß ich einige poetijcße ©teßen hernorfjeben. „Der König 
ftieß bie Schlange be« ©chiffSfdjnabel« in’« SJleer." — „Die falte SEBala ©pmet’8 
rif« oft ben Sären ber ©djiffSfeile (ba« Schiff) in Sigir« ©djlunb, mo bie 
SBoge mit Dofen branbet." — „Du führteft ben Schnabel be« harten ßaft= 
thier«, ba« ben ganjen (Srbfrei« burcbtauft, gen SBeften in bie hohe See." — 


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Ältnorbififte Didjtfunft. 


„583ir oerlieften bie bon ben Saufftangen ber ginnen burcfteitte ©rbe unb 
burcftftogen ba« 2J?eer." — „SJtit ben glänjenben ©eftiiten be« SKeere« 
burdjfureftteft bn bie glut; bie ©ee ftürjte auf bie fdjönen Skiffe." — 
„Da« ÜReerfcftiff warb betraut burdj ben Änprall ber ©ee." 

„Der ©djaum warb in $üget gebrängt; bie ftofte ©ee btinlte oon 
©olb; bie SJogen aber wufcften bie fücftterlicften Häupter ber Krieg«f<ftiffe." 
— „SKit bem geglätteten ©teuer burcftfcftnitteft bu bie wirbetnben SBeHen; 
ba« ©eget, beffen gäben SBeiber webten, flog jur ©pifce be« Ktafte«." — 
„Die ©ee brauft; bie SBeDe aber wirft ben weiften ©djaum auf ben rotften 
Äpfelbaum, wo ber SBifenb ber Stange auf öergolbetem ficfttenen ©iftnabet 
gäftnt." — „Die ungeheure SBoge ftttrjte ptöfclidj auf midj; bie weite ©ee 
(ub micft ju ficft nacft §au«; icft aber naftm bie ©intabung nicftt an" 
(b. ft. idj fam mit bem Seben baoon). — „3unädjft fefj' icft bie woftt* 
getannte ©djlange auf bem ftoften ©eget be« Äpfetbaume« (9Rafte8); ber 
©penber ber ©eeflamme (be« ©olbc«, ber gürft) beacftte, wie icft mit SEBorten 
bie ©latane ber glut betreibe." — „gerne fei’«, baf« icft mit frecftem 
Sieb oertäumben Wollte ben berebten Käufer ber 9Reere«fonne (be« ©otbe«); 
ein ©cftlecftter ift, ber bie Didjtfunft mifsbraucftt". 

Kamen be« geuer« finb: Softe, ©tanj, gtamme, ©ranb u. f. w. Kamen 
ber Kadjt: Kebet, ©rimm, Unforge, ©cfttafluft, Draumgöttin. 

^Benennungen oon Königen finb: Ättroatt, ©inwatt, ©olffterr, SEBeifer, 
ber fieftre, f>err, #erjog, SKitbing, Ktäring, Sanbretfe zc., j. ©. 

Der „Sber" tjörc ben ©eginn be« ©efang«. 

Der auf iftn gemalt ift. 

Da« Sobtieb auf ben König beginne! 
gener merfe woftl bie SEBeifen meine« ©ang«. 

Ober: „gib labe ein ben £>errn be« Dänentanb«, ben fatfengleidjen, 
ba« tfteure Sobtieb ju ftören". „Der Dagting gab ber Äblerbrnt bänifefte« 
©tut ju trinfen". 

©enennungen oon SKännern: Keden, SEBifinger, ©otftcn, Degen, Kämpen zc. 

gürnamen (Seinamen) ober SKitbejeicftn ungen werben at« eine 
britte Ärt ber poetifdjen ©praefte unterfeftieben. Darnacft wirb ein SKann at« 
©ater, Äftn, ©oftn, ©rbe, ©ruber, ©tut, Keffe, ©efeftlecftt, greunb, Kacft* 
fomme, Äbfomme, Sippe, Katftgenoffe, ©efpiet, Kubergenoffe, geinb, Döbter jc. 
eine« Stnberen bejeieftnet, ober nacft feinem $au«, ©eftiif, ©igen, Sanb. 

Der Kopf fteiftt umfeftrieben: Strbeit ober ©ürbe be« $atfe«, Sanb 
be« £>etme«, be« Ipute« unb be« $irn«, be« §aar«, ber Äugen, ©eftwert 
$eimbaltd zc., unumftftrieben: Jpaupt, ©tftäbet, §irnfcftate. 


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222 


ERid>arb p. Rralit. Slltnorbiicbe 3)id)tfunft. 


2 )ie klugen ^ei|en unumfcbrieben noch: ©efidjt, 2icf)t zc.; Umtrieben: 
Sonne, SRonb, Stf)ilbe, ©laS, ©betfteine ber ©rauen, ber ©d)täfen ober ber 
Stirn. $ie Obren beißen Saufeber unb £>örer, ober Äugen beS ©eböreS. 
2)er ÜRunb beißt @rbe ober $au8 ber 3unge, ber 3äbne, ber SEBorte, ber 
Sippen, ober umftbrieben: baS ©ebiff, beffen ©orb bie Sippen, beffen 
©teuer ober ERuber bie 3nnge ift. ®ie 3äbne beißen Stippen ober Seifen 
ber SEBorte, beS ElRunbeS, ber 3«nge. S)ie 3«nge beißt ©(ßmert ber ERebe 
ober beS ElRunbeS. TaS £war beißt SBalb beS ScbäbelS ober Raupte«, 
ober beS Sinnes, ber SEBangen, ber Kehle. $a8 §er$ beißt Korn, ©tein, 
Äpfel, ERufS, Kugel ber ©ruft ober beS ElRutbeS, auch f>au3, Sanb ober Seifen 
beS ©eifteS. ®ie ©ruft ift baS $auS, ber ®amm, baS ©ebiff beS |jerjen3, be$ 
©eifteS ober ber 8e6er, Sanb beS ElRutbeS, ber EDtinne. $er ©inn beißt 
SBinb ber ERiefinnen. 'Cie £>anb beißt Sanb ber SBaffen ober ©c^ilbe, ©aum 
ber Äcbfetn ober Ärnte, Sanb ber ©olbringe, ber $abid)te ober Satten. 
$>ie Süße beiden ©äume ber ©obten, SRemtfpieße beS SßegeS, beS ©angeS, 
ber ©pur. S)er S«ß beißt ©aum ober ©äute biefer ®inge, ober er toirb nach 
©cblittfdjuben, ©(buben unb fpofett uinfrfjrieben, als ©aum, ©eget, ERaa berfetben. 

3um ©ebtuffe folgen noch lange ERamenauf jäblungen oon gelben, ©ectönigen, 
SRiefen, ERiefinnen, ©ötter unb ©öttinnen, ©djtoertern unb ©pießen, ©djilben, 
©riinnen, Schiffen unb X^ieren jum überfi(btli(ben ©ebraueb ber ©talben. 

3Ran fiebt aus bem ©anjen. Weiten SEBert jene SReifter auf ben 
bidbterifdjen ÄuSbrud legten, mit bem ooßen ©emufStfein üon bem unbebingten 
Unterf(bieb jmifdjen ©oefie unb ©rofa. Unb in ber 2f) a t, gerabe fo 
wie ihre EEidjtungen bur(b bie unermübliebe Straft beS bilberrei(ben, 
gef(bmil(ften ÄuSbrudS oerbliiffen, fo entjüden ihre ©rofafagen toieber bur(b bie 
eiStatte, trodene ERadtbeit beS ÄuSbrudS unb ber ©afcbilbung, bie bis auf 
bie febeinbar graufame ©efübßofigteit ber ©eelenfcbilberung eiitmirft. 2>a3 
ift bie ^ocbfdjute beS ©tils, unb es mürbe gerabe unjerer 3eit nichts fdjaben, 
menn fie ein menig in biefe freilich ftrengere ©cßule gienge, nicht jum 3>ned 
unmittelbarer ERadjabmung, — bafür fie uns ju ferne, — mobt aber 
jur ©pmnaftif beS ©eifteS. 




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Otto (üillmann’s 

fünfundzwanzigjäbrige Cbätigkeit am Prager 
pädagogi$d>en Universitätsseminar, 

Eon 3?r. Birgit <@rimnti<fi. 

a« ©ebenen unb bie görberung be« Volf«fd)ulwefen« hängt auf’« 
innigfte mit einer tüchtigen Vilbung ber Setter jufamnten. ®iefclbe 
föliejjt fiauptfäc^lit^ jwei äRomente in fidj: ein folibe«, ^armonifd) einljeit» 
lidje« SBiffen, welche« ben Sehrer befähigt, bie gugenb in jene ©lemente 
menfchlicher ©rfenntni« einjnfüljren, welche bie für StUe notljwenbige ©runb» 
tage inteHectuefler unb etljifrfjer Kultur bilben, unb eine foldje päba = 
gogifdje Vorbereitung, tuelrfje ben 2el)rer in ©tanb fefct, im erjief) 5 
litten Unterrichte bleibenbc Kenntniffe §u »ermitteln unb »erläf«tiche, fittlid) 
eble ©haraltere ju bilben. ©ine jebe gorm ftaatlidjen Seben« wirb baher oon 
jenen ißerfonen, melden fie ba« ebenjo mistige al« oerantwortung«»olle Stmt 
eine« öffentlichen ©rjieher« überträgt, eine zweifache Sorbilbung »erlangen: 
eine tljeoretifchc unb eine praftifc^e. fpat ber Volf«fd)ullef)rer aud) nur bie 
Aufgabe, bie gugenb in elementarer SBeife mit bem für ba« Seben noth= 
»enbigen SBiffen feiner Seit belannt ju machen, fo muf«. bie Unterricht«» 
oertoaltung bod) ftet« im Sluge behalten, baf« eine jebe Seljrthätigfeit auf 
©eite be« Sehrenben eine höhere ©tufe be« SBiffen« »orau«fefct, al« jene ift, 
auf welche er ben Schüler erheben foH: fpftematifche ©inficht in ben ©ehalt 
be« Unterricht«ftoffe« unb in ben inneren S u f amnicl, h Qn fl feiner ©heile, fowie 
anberfeit« eine jum geiftigen ©igenthum geworbene ©rfaffung ber Vebeutung 
be« Unterrichte« für bie ©ntwictlung fittlicher ©efinnung al« ©runblage 
eine« eblen, feften ©harafter«. Slnberfeit« fann ber Staat »on bem S3otf«= 
fdjullehrer nur bann eine erfolgreiche SBirffamleit in ber ©rjiefjung ber 
Sugenb erwarten, wenn er bafür geforgt h»t, baf« berfelbe mit ben pftjdjo» 
logifdjen ©runblagen, ben Siele», SJtitteln unb äJtethoben einer jeben 
erjiehlidjen Spätigfeit oertraut gemacht wirb, unb jwar nicht bloß in ber 
gorm eine« theoretifdjen ©tubium« ber Sßäbagogif, foitbern auch burch 
praltifche ©inführung in bie erjiehenbe unb unterrichtenbe SBirffamfeit eine« 
öffentlichen ©rjicher«. 



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224 


©irgit ©timmid). 


Sine analoge Aufgabe fällt bem Staate in ©ejug auf bie $eran= 
bitbung jener ©erfönlidjteiten ju, welche er mit bem ßehramt an höheren 
Se^ran ft alten: ©tjmnafien, Stealfchulen, ßehrer* unb ßehrerinnen*©ilbung«* 
anftatten — toir nennen fie furjweg SWittelfchulen — betraut. Such 
hier tierlangt bie fac^Iic^e SBürbigung ber Sebeutung biefer Schulen als 
©ilbungöftätten für bie Srjiehung gerabe jener ®efeHfchaft«treife, welche 
beftimmt finb, einmal im öffentlichen ßeben bie Iräger fräftigen unb Weit* 
gehenben inteHectuellen unb et£)ifc^en Einfluffe« ju werben, tfjeoretifc^e 
unb praftifche ©orbilbung ber an biefelben berufenen ßehrer. Stur 
ift bie ßöfung biefer Aufgabe für bie Unterri<ht«oerwaltung nicht fo einfach, 
wie bie« burch bie Su«geftaltung ber ßehrer* unb ßehrerinnen*©itbung«* 
anftalten unferer 3eit für bie Su«bitbung ber ©olf«fdjuUehrer uerhältni«* 
rnäfjig ber gaH ift. Sur wiffenfdjaftlidjen SuSbilbung ber Eanbibaten 
beS ßehramte« an ben SRittetfchulen finb bie Unioerfitäten berufen; an 
biefen £>odjftätten wiffenfchaftlicher gorfdjung unb ßehre ift ihnen auch 
©elegenheit geboten, ihrem Silbung«gang unb bem wiffenfchaftlichen Staube 
ber Seit entfpredjenbe ©orlefungen au« ©äbagogif unb ihren wiffenfchaft* 
liehen ©orauSfefcungen ju hören: aber bie p ra f t ifdje Einführung in 
ba« ßehramt an ben üttittelfdjulen ift ein Problem, welche« in ben einzelnen 
fiulturlänbern noch immer feiner enbgiltigen ßöfung harrt. $>ie Unitierfitäten, 
welche ben gelehrten ©etrieb wiffenfchaftlicher gorfchung unb ßehre al« ihre 
fpecififche Aufgabe betrachten, lehnen in nicht geringer Sahl bie Übernahme 
biefer praltifdjen 2lu«bilbung ab. Unb bodj ift gerabe fie Pon eminenter 
Sebeutung für eine gebeihliche SBirfjamfeit ber ßehrer an höheren Schulen. 
3n bie wiffenfchaftlichen Probleme irgenb einer Stiftung unfere« Srlennen« 
eingeführt ju werben, ben Umfang unb bie Tragweite berfelben, bie SWettiobe 
unb ©efchidjte ihrer Searbeitung fennen jn lernen, ift eine ganj anbere 
Sache al« eine folche ©orbilbung ju genießen, welche ben ©etreffenben 
befähigt, bie gefieberten ftenntniffe einer SBiffenfcfjaft in jenem Umfang unb 
nach jener äKetljobe burch ben Unterricht ju »ermitteln, welche einerfeit« »on 
bem ©efammtbilbung«jiel ber ÜJiittelfchulen, anberfeit« Pon ber Stufe 
pfhchifdjer Sntwiiflung geforbert werben, auf Welcher ba« Schülermaterial 
ber SRittelfchulen fteht. „©on ber wiffenfchaftlichen ©orbilbung, welche 
gegebenen Satt« ja auch Jur afabentifcljen ßaufbahn ober jum ©riüatgelehrten* 
thum führen !ann, wefentlich oerfchieben ift bie p r a 11 i f dj e ©orbereitung, 
bie ben tünftigen ßehrer für feinen ©eruf au«rüften fofl. Seim Eintritt in 
jene ßaufbahn wirb nur bie wiffenfchaftlidje Xücfjtigleit, bie ßehrbefähigung 
nicht geprüft; in hohem Snfeljen fteht ber, welcher bie SBiffenfdjaft förbert 
unb ihr bur<h feine ftorf<hung neue, wichtige Ergebniffe gewinnt. 


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0.SBißmann’S 25 jäh r. Xhätigleit am ©rager päbag. UnioerfitätSfeminar. 225 

SlnberS fteht es mit bcm Sehrer, meiner fic^ bagu beftimmt, bic Knaben 
burch bic ©lemente Ijinburd) bis gu bcn Pforten ber SBiffenfchaft hinguleiten. 
3 *oifchen ihm uitb feinen 3 ö 9 li” 0 cn befinbet fich gunächft. eine gro&e $luft, 
unb er fann nicht umhin, gu ihnen herabgufteigen; toaS er auf ber Unioerfität 
gelernt hot, läfst fich nicht unmittelbar im Unterricht oertoenben, er mufS 
eS nietmehr fchulmä&ig umprägen, mufS fich ftetS im ©ingelnen toie im 
©attgen, im Steinen toie im ©roften bem geiftigen ©tanbpunft ber Schüler 
-angupaffen fuchen, immer auf SRittel finnen, ihnen baS ©ortoärtSfchreiten gu 
erleichtern unb fie ficher unb gleichmäßig an baS oorgefteefte 3**1 gu bringen. 
®abei foCt er bie ©igenart ber ©ingelnen beriicffichtigen, feine S)en!arbeit 
atfo nicht bloß bem Stoffe, fonbern gugleidj ber ^Beobachtung ber ^ßerfonen 
gutoenben; fchon hierin unb bann in ber ®ifciplin unb in ber aßgemeinen 
©eljanblung foß er fich olS ©rgietjer ber 3ugenb fühlen. 3d> brauche baS 
hier nicht näher auSgufüfjren, eins ift ohne loeitereS ttar: ber junge Sichrer 
fühlt fich, luenn er oon ber Unioerfität gur Schule fommt, in eine frembe 
SBelt oerfept, unb gtoar umfomehr, je tiefer er bort in bie SBiffenfchaft ein* 
gebrungen ift unb fich in ih r heimifch gemacht h fl t. SBiß er atfo ben Sin* 
forberungen feines ©erufeS genügen, fo gilt eS, eine neue S'unft gu 
lernen, ihre toiffenfchafttiche ©egrüttbung gu oerftehen unb 
ihre praftifdje Slntoenbung gu üben. Slflmählich hot fich benn auch 
bie Übergeugung, bafS für ben angehenben Sehrer eine päbagogifche 
Sorbilbung nothtoenbig fei, immer mehr burchgefept, toenn auch über 
bie Slrt beS beften Verfahrens noch fein ooßeS ©inOerftänbniS herrfcht." *) 

Sluch SB i 11 m a n n hebt bie SWothtoenbigfeit einer päbagogifd^praftifchen 
©orbilbung ber SRittelfchuflehrer heroor: „$er gorfcher unb ber Schulmann 
toerben nicht oon ben nämlichen Sntereffen geleitet; toiffenfchaftliche ©rfennt* 
niffe erarbeiten unb biefetben als Sehrgut oerarbeiten, finb Slufgaben oer* 
fchiebener Statur. $er UnioerfitätStehrer lehrt tuohl, ober ber fünftige 
Schulmann tuirb gu unterrichten hohen, toofür er an jenem nicht ein 
Sorbilb finbet. S)er UnioerfitätSunterricht hot ben 3«g gum Specialifteren, 
im Schulunterrichte mufS bagegen eine SRehrheit oon SBiffenfchaften gur 
3ufammenmirfung gebracht toerben; bei jenem fönuen fich hie SRethoben, 
nur bem Objecte nachgehenb, mannigfach bifferengieren, bei biefem finb burch* 
gehenbe SRethoben unb ift ©inheßigfeit ihres 3ufamntentoirfenS erforberlich." 

S)ie Serfuche, toelche in beutfehen Sanben gemacht toorben finb, um 
biefer eminent nächtigen Srorberung beS ©ebeihenS beS ©ilbungS* unb 

*) SB. 5 r i e S, $)ie ©orbilbung ber Sehrer für baS Sehramt. 3n ©aumeifter’S 
Ipanbbuch ber ©rjiehungS unb Unterrichtslehre für ^ö^cre Schuten. SRünchen 1895. 
II. ©anb, 1 . Slbtheilung. Seite 22 . ©ergteiche ebenbort Seite 113, 116. 

ftultur. III. 3at>r0 3. £eft. (1902.) 15 


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22 6 


SBirgil ©rimmicb. 


UnterricfetStoefenS ju genügen, haben Oerfcfeiebene ©eftaltungen angenommen. 
©$ tourben an ttnioerfitäten fiefjrfanjeln für Päbagogif, fpecieH für 
SDtittelfcfeulpäbagogif erriefetet, auf toeldjen Porlefungen über Päbagogif, 
©efebiefete ber Päbagogif, ®ibaftif, bie pfpcbologifcfeen ©runblagen ber ©r* 
jiefjnng u. a. gehalten toerben. 2Rit benfelben fteben päbagogifcfee 
©eminarien enttoeber rein t^eoretifc^er Statur ($. 93. ©öttingen) ober 
folcfee in 93erbinbung, in toelcfeen bie SKitglieber auch 8 U UnterricbtSüerfucfeen 
angeleitet unb angebalteit toerben (£>eibelberg, Seip^ig). 3n 3ena unb 93uba* 
peft b^ben biefe päbagogifcben ©eminarien ihre eigene ÜbungSfcbute, an toelcfeen 
bie ©anbibaten für baS Seferamt an höheren Spulen prattifcb oorgebilbet 
toerben. ©ine anbere 3ornt, biefem 93ebürfniS ju genügen, fiitb bie mit 
beftebenben SRittelfcfeulanftalten in SSerbinbung gebrachten ©eminarien ($afle, 
93erlin, ©iefeen). Slucb in ber ©eftalt ben Probejahren toar unb ift man 
beftrebt, ben ©anbibaten ben Sebramten an ben SWittelfcfeulen bie notbtoenbige 
prattifebe Einführung unb Erprobung $u oerfebaffen. 

3n Öfter reich tourbe mit ber SJtinifterialoerorbnung Oom Sabre 1884 
an bie ©infübrttng ben Probejahren im engeren Sinne gekritten. $er jepige 
!. f. Sanbenfcfeulinfpector in Sina ®r. 2ofef fioon ertoarb ficb um bie 5lun* 
geftaltung biefer Snftitution befonbere 93erbienfte. Sn ber ^3citfc^rift für 
bie öfterreiebifeben ©pmnafien* (1895) legte er ber Öffentlichst einen aun* 
fübrlicben 93ericbt über ban erfte Sabr ben oon ipnt aln ®irector ben ©taatn* 
gpmnafiumn im 9. 93ejirfe in ffiien eingerichteten unb geleiteten feminar* 
artigen Probejahren Oor. ®er SJtangel an ©anbibaten, toelcber befonbern oott 
bem Umftanb bebingt toar, bafn biefelben alnbalb nach abgelegter Staats* 
prüfnng mit ber „ooßen Sebroerpflicfetung einer orbentlicben Sebrfraft" an* 
gefteflt toerben mufnten, liefe aber leiber biefe Soon'fcfee ©inriefetung niefet $u 
bauernber 93lüte gelangen. 

®r. Sofef fioon ift als ©cfeulntann ein ©cfeüler SBillntanit'n: er 
jeiefenete ficb im Dctober 1876 als erften SRitglieb ben nach ben 93orfcfelägen 
SBißmann'n an ber pbilofopbifcfeen gacultät ber Prager Starl gerbinanbS* 
Unioerfität oom ffltinifter ©tremaper errichteten päbagogifcfeen©eminarn 
ein. ^ofratb SBißmann, ber unerfeferoefene 93orfämpfer einer ibealifiifcfeen 
SRicptung ber ppilofophifcfeen ©peculation, toclcfeer er in feinen 93orlefungen 
nnb Schriften ooßenbeten Slunbrucf oerleibt, ber tiefe ®enfer unb erfahrene 
©cfeulmamt, toelcber als grünblicfeer Senner ber SRefultate ben mobernen 
betrieben pfpcfeologifcfeer unb etpifefeer ftorfefeung, anberfeitn aber als begeifterter 
Vertreter ber ariftotelifdHcpolaftifcben, philosophia perennis fotoobl in feinem 
praftifefeen 9Birfen als auch in feiner febriftfteßerifefeen Xbätigfeit ein ©laffifer 
cbriftlicber Päbagogif genannt $u toerben oerbient, auf ben Öfterreicfe ftofy 


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0.SBiDmann’S 25jäbr. $hätigteit am Frager päbag. UnioerfttätSfemmar. 227 

fein barf, fonnte im Dctobcr bicfc^ 3ahre$ auf ein Bierteljahrhunbert fegend 
reichfter Slrbeit auf bem ©ebiete ber |>eranbilbung ber ©anbibaten für ba£ 
UWittelfchuttehramt jurücfblicfen, melche im folgenben einer eingehenberen ©ar* 
fteUung gemürbigt merben foB. 

SBillmann felbft tjat itn3 über biefe feine SBirffamfeit in ber Schrift: 
„®a$BragerpäbagogifcheUniberfität3feminarinbemerften 
Bierteljahrhunbert feinet Beftehen3" (SBien 1901)einenfadjmännifdjen 
Beruht in fdjtidjter Sorm borgelegt. ®uf feine Anregung unb Borfchläge mürbe 
<in ber philofophifchen gacultät ber ^rager Uniberfität bon SJtinifter ©tremapr 
«in päbagogifchen Seminar errietet, melden aber bis jum 3foh™ 1887 eine 
uormiegenb tf)eoretifc^e Btidfjtung berfolgte. ©rft im Sfaljre 1887 mürbe e$ 
mit bem I. $rag=$Reuftäbter ©pmnafium in Berbinbung gebracht unb burch 
bie praftifchen Übungen an biefem ©pmnafium geeignet, ben ffianbibaten auch 
«ine praftifdje Borbilbung ju gemähreit. SBurben biefe praftifchen Übungen 
anfangs nach pribatem Übereinfommen mit bem fiehrförper beS ©pmnafiumS 
eingerichtet, fo erhielt ihre Slbhaltung im $erbfte 1891 burch bie mini' 
fterieBe ©enehmigung unter bem UnterrichtSminifter ©autfeh officieBen 
©harafter. 3ahre 1899 mürben biefe Übungen an baS Brag*21Itftäbter 
©qmnafium, beffen Seitung bem ehemaligen SRitgliebe beS SBiflmann'fchen 
Seminars ©r. Slnton $ranf eben übertragen morben mar, berlegt. $Run' 
gelang eS SBiflmann, burchjufefcen, bafS bie ©eminarftunben ben Schülern 
beS ©qmnafiumS als lehrplanmäßige UnterrichtSftunben angerechnet merben; 
eS finb baher fämmtliche ©chüler ber betreffenben ©laffe bemalten, in ber 
SeminarunterrichtSftunbe $u erfcheinen, mährenb eS bis borthin ben Schülern 
freiftanb, fich an ber ©emiitarlection ju betheiligen ober nicht. 

®aS SBifimann'fche ©eminar fteBte fich nad) § 1 feiner Statuten bie 
Aufgabe, „feineBRitglieber ju felbftänbigem ßinbringen in bie miffeitfchaftliche 
Bäbagogif anjuleiten unb baburch ihre Befähigung für baS fiehramt ju 
erhöhen," unb moBte biefelbe nach § 8 ber Statuten burch folgenbe 
Übungen löfen: „1. Schriftliche Arbeiten unb Borträge über ©h cm * n aus 
bem ©ebiete ber aBgemeinen Bäbagogif, ber ©ibaftif, ber ©efchichte ber 
Bäbagogif unb ber Seh x * 9om ©chulmefen; 2. ßectüre, ©rflärung unb 
Äritit bon einfehlägigen, inSbefonbere philofophifch s päbagogifchen Schriften 
ober oon B^rtien aus folgen burch bie ba^u beftimmten BRitglieber; 3. freie 
©oBoquien ober ©ifputationen bor$ugSmeife im Slnfchluffe an bie übrigen 
Übungen unb bie päbagogifchen Bortefungen; 4. ©rläuterung bon ©efefcen 
unb Berorbnungen, melche baS ©chulmefen betreffen, mit bormiegenber 9tücf= 
ficht auf bie öfterreichifche Schulgefefogebung." ©ie Seminarmitglieber foBten 
alfo aunächft beranlafSt merben, burch felbftänbige Stubien in bie päbagogifchen 

15* 


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228 


©irgil ©rimmich. 


®ifciplinen ihrem gefammten Umfange nach eingeführt ju merben, in gegen« 
feitiger Anregung unb Kritif ben SRieberfchtag ihrer Stubien $u Wären, bie 
Sitteratur ber ©äbagogif burch gegenfeitigeS gufammenarbeiten fennen unb 
bie concreten gönnen beS öfterreidjifdjen ©chulmefenS in ihrer Serechtigung 
unb Sebeutung mürbigen ju lernen. 2)ie fpftematifche Sermittlung ber ent« 
fprechenben ffenntniffe aus ber ©äbagogif übernahmen bie Sorlcfungen. Um eine 
grünbliche Aufarbeitung ber päbagogifchen ©robleme $u ermöglichen, mürbe ben 
©eminavübungen für ein ober jmei ©emefter ein einheitlicher Stoff gegeben. 
Auch baS belebenbe, anregenbe unb auffrifchenbe 3Roment ber Dergleichen« 
ben ^Beobachtung frember Schulberhättniffe mürbe in feiner ©ebeutung für 
bie päbagogifche Silbung gemürbigt: ©eminarmitglieber mürben beranlafSt 
unb burch ©tipenbien unterftüfot, päbagogifche ©tubienreifen ins AuS« 
anb gu unternehmen unb barüber im Seminar $u berichten. $ie 3ide biefer 
©tubienreifen maren Reiften, ®reSben, ßeipjig, ©örlifc, ©erlin, £aüe . . . 
„Seiber muffte (fpäter) bon ber Erteilung bon SReifeftipenbien Umgang 
genommen merben, ba bie Siebuction beS ©etrageS ber ©tipenbien bon jährlichen 
600 ©ulben auf 360 ©utben Einfchränfungen nothmenbig machte." (©. 5.) 

©elbftübung ift aber für jebe Einführung in bie praftifche SBirffamfeit 
bie Jpauptfache. S)aher ruhte SBillmann in feiner ibealen ©egeifterung für bie 
Sache ber Hebung beS SRittelfchulmefenS nicht, bis er bie bormiegenb 
theoretifchen Übungen feinet ©eminarS mit praftifchen in Serbinbung fcfcen 
fonnte. gm gahre 1887 gelang eS ihm, junädhft in ber gorm pribaten 
ÜbereinfommenS, fein Seminar mit einem ©pmnafium in Serbinbung 51 t 
bringen, bis im £>erbft 1891 biefer meiterc Schritt auch bon ©eite beS 
Unterrichtsministeriums officieUe ©enehmigung erhielt. SRun trat ju ber 
urfprünglichen gaffung beS § 8 ber Statuten beS Seminars ber bebeutungS« 
bolle Sufafc, bafs bie 9Ritglieber auch „Sectionen über borher beftimmte 
SRaterien auf ©runb forgfältiger Sorbereitung bor Schülern einer 9Rittel« 
fchule in ©egenmart beS Seminars" ju hatten hoben. ©S ift flar, bafS mit 
biefer Einführung ber ©raftica ber Umfang ber theoretifchen Übungen 
eingefchränft merben mufste. $ie fachmännifche Einficht SBiHmann’S mufSte 
aber burch Sorlefungen, melche bie praftifchen Übungen einleitenb borbe« 
reiteten, feinen ©eminarmitgliebern einen ©rfafc für bie nothmenbig gemorbene 
Einfchränfung ber Xh eorct i ca ä u bieten, fomie er anberfeitS in fpecieHen 
Soüegien ben ©ehalt unb bie ©ebeutung beS DrganifationSentmurfeS unb 
ber gnftructionen bom gahre 1900 zum ©egenftanb befonberer ©eachtung machte. 

5Rach ben brei ©efichtSpunften ber bibaftifchen Sechnif, bibaf« 
tifchen gormengebung unb bibaftifchen Drganifation, bon 
melden SBiHmaun bie SBirffamfeit beS erziehlichen Unterrichtes betrachtet. 


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D. SBißmann'S 25jähr. ^ätigfeit am Präger päbag. UnioerfttätSfeminar. 229 

verfolgen auch bic {ßraftica feine# ©eminarS ein breifacheS 3**1: fie 
faßen bie SJtitglieber beS ©eminarS in bie oerfcfjiebcnen gotmen beS 
Unterrichts, in baS barfteflenbe, erflärenbe, entmicfelnbe, f)euriftifd^e unb 
befeftigenbe Sefjroerfahren einführen, ihn anleiten, ben SilbungSgehalt 
eines jeben SehrftoffeS z u erfaffen unb ihm ben ©ebanfen beS 
©efammtbitbungSgieteS beS Unterrichtes an äRittelfd)uten in bem 
gegenfeitigem 93e$iehen ber fiehrfächer auf einanber recht anfdjaulich jum 
©ettmfStfein bringen, bamit er lerne, einft fein fpecießeS Sehrfach nicht in 
fich abjchliejjenber Einfeitigfeit, fonbern fo gu betreiben, bafS er nach ber 
formeflen unb inhaltlichen Sebeutung beSfelben an ber Erreichung beS ®e* 
fammtjieleS beS erziehlichen Unterrichtes am ©pmnafium noch Äraften mitmirfe. 

DaS methobifch s technifche ©efefc ber Einhaltung unb flaren 
Durchführung ber charafteriftifchen formen beS SehruerfahrenS ift eine 
elementare Jlnforberung, meldje an jeben Sehrer, alfo auch an ben an SJtittel* 
faulen befchäftigten, gefteßt merben mitfS. Die Sluffaffung biefer Sonnen in 
ihren charafteriftifchen Eigenthümlichteiten, baS ftrenge SluSeinanberhalten 
berfelben, meines ben Sehrer oor jeber oermirrenben unb bie Erreichung beS 
Unterrichtszieles gefährbenben Sonfufion bemahrt, mufs fich *mher 
päbagogifche Seminar in feinen praftifchen Übungen junäc^ft zur Aufgabe 
fteßen, menn man auch nicht non ihm oerlangen fann, burch einige auf 
mehrere äRitglieber beS ©cminarS fich oertheilenbe praftifche Übungen ben 
Eanbibaten fchon oößig in bie praftifche £>anbhabung biefer mcthobifchen 
Dechnif einzufchulen. 3ft cS bem Eanbibaten zum ®enmfStfein gefommen, 
bafS bie Wirten beS SehroerfahrenS burch mefentlicf) eigenthümliche 93efchaffen= 
heiten eparafterifiert finb, ift er fich ber SRothmenbigfeit bemufst gemorben, 
bafS fie confequeitt eingehalten unb burchgeführt merben müffen, um baS 
entfprcchenbe Unterrichtsziel z u erreichen, bann h at er aus bem ©eminar 
jene praftifchen, auf Erfahrung beruhenben Kenntniffe mitgenommen, melche 
ihn bemegen merben, fich in biefer {Richtung immer mehr burchzubilben. 

3Rit ber technifchen Vermittlung unb Einprägung eines SehrftoffeS ift 
aber bie XThätigfeit eines erziehenben SehrerS nicht erfchöpft: er mufs bie 
bilbeitbe SRacht beS SehrftoffeS fomoljl an ftch als auch * n feinem 
Verhältniffe z« ben übrigen Sehrfächern z«r ©eltung z« bringen miffen. 5Rur 
fo ift jene Klippe beS Unterrichtes z u Oermeiben, bie barin befteht, bafS 
man ben ©eift beS ©chülerS mit einer SRenge oon Kenntniffen anpfropft, 
melche fein Seben hoben unb baher für Oie ©efinnungSbilbung unfruchtbar 
bleiben, meil fie in ihrem VilbungSmerte nicht erfafSt morben finb. Daher 
mar SBißmann bei ber 2lnSmahl unb Durchführung ber praftifchen Dhemen 
ftetS beftrebt, ben SRitgliebern feines Seminars ben VilbungSroert beS ein* 


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230 


Sirgil ©rintrmd}. 


jelnen Unterrichtsstoffe? forote feine Stellung jutn allgemeinen SilbungSjiel 
beS ©pmnafiumS jum Semufstfein ju bringen. 

Son bem Stanbpunfte biefer eminent päbagogifchen Sbeen finb bie 
Identen ju ȟrbigen, meld)e SEBillmann nach ber Darftetlung ber oben 
ermähnten Schrift oon Seite 8 bi? 13 für bie fßrattica feines Seminars 
auSgemählt hat. 3Kan mufS bie umfichtige unb feinfühtenbe Seminarleitung 
SEBillmann’S tennen gelernt haben, um ben SBert unb bie ^Berechtigung ber 
oon ihm jur Sehanblung geführten Dh cmen aus ben Gebieten ber alten 
Sprachen foroohl, mie beS mutterfprachlichen unb beS mathematifch=pht)fifalifchen 
Unterrichts nach ®ebür beurtheilen ju fönnen. Die einjelnen fernen mögen 
inberSrochürenadjgefehenmerben. DaS barfteHenbe, erflärenbe, entmicfelnbe unb 
heuriftifche Seljrberfahren beS gefchichttichen unb geographifefjen Unterrichtes 
fuchte SEBillmann gleichfalls in praftifchen Übungen jur Geltung ju bringen, 
in anberen ben Stanbpunft ber ©oncentration beS Unterrichtes für biefe Sehr» 
fächer ben Seminarmitgliebcrn Har ju machen, fomie er auch ben patriotifchen 
unb ethifdjen SilbungSgeljalt biefer Sehrfächer jur praftifchen Üluffaffung brachte. 

t$ür bie Sorbereitung ber Sraftica gibt SBillmann theils in 
ben einführenben Seminarfifcungen, theils bei ben unmittelbaren Sor» 
befprechungen ber Übungen, theils bei ber ft’ritif berjelben ben STOitgliebern 
feines Seminars fotgenbe Reifungen : 

1. DaS erfte ift ein grünblicheS Stubium beS betreffenben SehrftoffeS, 
infolge melcheS ber ßanbibat ihn fo beherrfchen lernt, als mürbe er an eine 
miffenfchaftliche Slrbeit über bie betreffenbe Srage gehen müffen. ©rünblicheS, 
folibeS Sßiffen ift ja auf Seite beS SeljrerS bie notljmenbigfte ©runblagc 
eines fruchtbaren Unterrichtes. 

2 . Die Scrmittlung beS SehrftoffeS an bie Schüler mufS junädjft 
baS Sluffaffen, Serftehen unb Sehalten beSfelben anftreben. Der SlnfdjaunngS» 
unterricht (3eigen oon ©egenftänben, Silbern, baS Slnjeichnen an bie Dafel, 
beutlidje SluSfpradje, baS ©horfpredjen), baS ©rfiären jum 3*oecfe beS 
SerftänbniffeS (SEBort», Sacherflärung, ©ntmicflung ber Segriffe, methobifdje 
gragenftetlung) unb ©inprägen beS SehrftoffeS (3ufammenfaffen beS Stoffes 
in Schlagmörtern, Stetigen, Überfichten) mirb nach ben üon SEBillmann feft» 
gehaltenen äMIjoben ber Eßraftica gefiebert. 

3. 35aS Slnfnitpfen an bereits ©elernteS, bie Slnmenbung beS Sehr» 
ftoffeS auf bie Sethätigung beS tljeoretifchen unb praftifchen UrtheilS, bie 
$erfteHung ber inneren Sejieljungen jmifchen ben oerfdjiebenen Sehrfächern 
beS Sehrplanes finb Momente beS Unterrichtes, beren Serücffichtigung SEBillmann 
ben SDtitgliebern feines Seminars bei ber Durchführung ber Eßraftica jur 
ftrengen Sflich* macht. 


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0. üBiümann’S 25jä&r. 5hätig!eit am fraget päbag. UnioerfltätSfemtnar. 231 

4. 2litd) ju übcrfic^tlic^er unb logifcher Durchführung be3 
heutiger Spraye be3 93ortrage3 unb einem methobifch richtigen ©ebrauch 
non Stage unb Slntwort hält SBiümann bie ©entinarntitglieber an. 

93ei ber Durchführung ber^ßraftica geht SBiümann in folgenber 
SBeife oor. s 2(m {Beginne eines jeben ©emefterS wirb ein {ßlan bet auä* 
ftuarbeitenben theoretifchen unb praftifchen Übungen entworfen, nach meinem 
ben einjelnen ©eminarmitgliebern ihre Sternen jugewiefen werben. Sür 
jebeS Sßrafticum wirb ein {Referent ober {Recenfent befigniert; berfelbe hat 
bie Aufgabe, fich in ben ©egenftanb beleihen fo ein^uarbeiten, bafS er bie 
fötitit ber gehaltenen UnterrichSftunbe fachlich einleiten fann. Die ÜRitglieber 
beS Seminar lehrförperS, welche aus bem Seminaroorftanb, bem als ÜRit* 
oorftanb fungierenben Director beS ©gmnafiumS, an welkem bie {ßraltica 
gehalten werben, unb einigen ©pmnafialprofefforen befteht, gehen bem ©anbibaten, 
welcher mit ber Abhaltung einer ©eminarlection betraut ift, mit {Rathfchlägen 
unb ülnweifungen an bie £anb. Seoor er feine UnterrichtSftunbe hält, ift er 
oerhalten, in ber ©laffe, oor welcher er aufeutreten hat, J u h°fpüieren unb 
mit ben entfprechenben Sehrmittcln fich oertraut $u machen, ©ine fefjr aweef* 
mäßige Sorbereitung beS ©anbibaten befteht barin, bafS ein ÜRitglieb beS 
SeminarlehrförperS fich mit ihm in bie SBehanblnng eines Dh ema 3 th*Ht 
unb oor ihm ben betreffenben Dheil beS UnterrichtSftoffeS in einer Seminar* 
fiftung jur Sehanblung bringt. üluch inhaltlich oerwanbte fiefjrftoffe werben 
in biefer Slbficht in aufeinanberfolgenben ©eminarfifeungen burchgenommen. 
Die Schüler ber betreffenben ©laffe beS ©pmnafiumS werben für gewöhnlich 
auf bie Seminarlehrftunbe nicht eigene oorbereitet. Die Seminarlection mufS 
ber ©anbibat in ©egenwart beS SeminarlehrförperS unb ber übrigen ÜRit* 
glieber beS Seminars haften. 5Rach Seenbigung ber Stunbe oerlaffen bie 
Schüler baS fiocale. 9tun hat ^unächft ber ©anbibat mit^utpeilen, welchen 
©inbruc! er felbft oon ber abgehaltenen UnterrichtSftunbe hat, welcher ÜRängel 
er fich bewußt ift, inwiefern unb aus welchen ©rünben er oon feinem 
fiehrplane für biefe fpecielle UnterrichtSftunbe abgegangen ift unb begleichen, 
darauf gibt ber im oorhincin beftimmte {Referent feine ffritif in Sejug auf 
Sorm unb Inhalt ber Sehrftunbe. 9?un folgen fritifche unb ergänjenbe 
Senterfungen oon Seite ber übrigen ÜRitglieber beS Seminars, beS Sach 5 
profefforS, ber übrigen Sßrofefforen, beS ©pmnafialbirectorS unb beS Seminar* 
oorftanbeS. Die fo gemachten fritifchen Semerfungen hat ber ©anbibat in 
einer betaittierten DiSpofition, welche er bem Seminaroorftanb übergibt, 51 t 
berüdfichtigen. Diefc DiSpofitionen ber {ßraftica werben bem SahreSberichte 
an baS ÜRinifterium beigefchloffen unb nach erfolgter {Rücffenbung im 2lrchioe 
beS Seminars aufbewahrt, bamit fie fpäter bei ber {Bearbeitung ähnlicher 


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232 


Sirgtl ©rimmid). 


Seemen lieber benüpt merben fönnen, eine Einrichtung, toeldje bie 9lrbeit«* 
continuität be« ©eminar« erhält unb e« ermöglicht, gemachte Erfahrungen 
unb erprobte ®arftellung«formen auch fpäter mieber Oermerten. 

3n ber SRiniftera loerorbnung für bie Prüfung ber San* 
bibaten be« ©qmnafial* unb Stealfchudehramte^ oom 30. 9Iuguft 1897 
heißt e«: „Seber Sanbibat h fl t mährenb feiner ©tubien^eit fich biejenige 
philofophifche unb päbagogifd)e Silbung anjueignen, bie jebem SRittelfchul* 
lehrer unentbehrlich ift, unb ^at ben Erfolg biefeö ©tubiurn« burch &u biefem 
3mecfe abjulegenbe ^Prüfungen (Eotloquien) barjuthun . . . Me Eanbibaten 
haben Sofloquienjengniffe über ein minbeften« breiftünbige« p^ilofop^ifdhc^ 
unb päbagogifche« Sotleg ober 3^ugniffe, baf« fie fich an einem p^ito= 
foptjifchen ober päbagogifchen ©eminarc thätig betheiligt höben, oorjulegen." 
(9lrtifel V.; 9lrtifel II. 2, b.) ®a alfo bie Setheiligung an einem päbagogifdj* 
prattifchen ©eminar nicht obligat ift, mürbe e« bem freien ©rmeffen, bem 
ffiifer unb Sntereffe ber ©tubierenben überlaffen, al« äRitglieber bie ©eminar* 
Übungen mitjumachen. ®ie ®auer ber SRitgliebfchaft umfaßte 2 bi« 6 ©emefter. 
SBährenb ber 25 3ahre feinet Seftcmbe« jähtte ba« äßillmann'fche ©eminar 
323 SKitglieber, mooon heute über 100 an ©pmnafien, barunter 12 ®irectoren 
mirten. 9ln anberen ßehranftalten fanben gegen 70 SRitgliebcr, barunter 
brei als ®irectoren, ©teüung. 9luch smei Unioerfität«profefforen unb einen 
ßanbe«jchulinfpector, ®r. 3 ofef ßoo«, jählt ba« ©eminar unter feine 
ehemaligen 2Ritglieber. ®a« ©eminar SBiümann'« muj«tc auch au«märtige 
Schulmänner in ben ßrei« feiner ^ntereffen ju sieben, fo befonber« ben 
ehemaligen ®irector ber grancfe'fchen Stiftungen in $alle ®r. Dtto 3 rief 
unb ben SRinifterialrath a. 3). 3>r. 91. Saumeifter au« 9Kiinchen. ©egen* 
märtig mirfen ®r. 9lnton grant, 9lnton 2Ricf)ötitf d)f e, Smerich 
SRütler unb 9lbolf ©ottmalb al« SCRitglieber be« ©emiitarlchrförper«, 
im engften 9Infchluf« unb Singehen auf bie päbagogifchen 3foeen be« ©eminar* 
oorftanbe«, fmfrath SBiHmann. 

SBiHmann felbft oergleicht bie SBirffamfeit feinet Seminar« im 
befonberen mit jener be« Seminar« an ben graitcfe'fchen Stiftungen in 
§atle unb be« oon Srof. ©top begrünbeten, oon Srof. ®r. SRein au«* 
geftalteten Seminar« in 3ena. 3)iefe ©egenüberftetlung oeranlaf«t ihn, 
ba« berechtigte Sebauern au«sufprechen, baf« fein Seminar infolge ber 
eigentümlichen ©chuloerhältniffe in Öfterreich $ur £eranbilbitng tüchtiger 
$ a up t( ehr er, ba« heißt oon ßehrfräften für ßehrer* unb ßehrerinnen* 
bilbung«anftalten, nur menig beitragen faitn unb baher nicht in ber ßage 
mar unb ift, auf bie 9lu«geftaltung ber Solf«fdjule jenen ©influf« au«ju* 
üben, ber sur miffenfchaftlicheit Srfaffung ber „Einheitlichfeit be« gefammten 


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D. SöiUmann’t 25jähr. Xhätigfett am Frager päbag. UniDerfttättfeminar. 233 

Vilbungtmefent" fo münfchentmert märe. 25 ie Errichtung einer 
eigenen Slbtfjeitung für angehenbe ^auptlehrcr unb für folche 
Volftfchullehrer, melche burch ihre miffenfdjaftliche unb befonbert 
päbagogifcfje Vilbung bie Eignung baju befunben, märe eine für bat ge* 
begliche äufammenmirfen aller öffentlichen Sehrperfonen dn ber einheitlichen 
Hebung bet öfterreichifchen Unterrichte* unb Erjiehungtmefent fehr heilfame 
Xhat, melche in meiterer 3lutgeftaltung bet päbagogifchen Unioerfitätt* 
feminart auch bie Einrichtung non befonberen Surfen für Srmeiterung unb 
Vertiefung ber Volftfchullehrerbitbung jur logifch nothmenbigen 3otge fm&en 
rnüftte. 9Wöge bie Erfüllung feinet bahin gehenben SBunfchet, melche 2BiH* 
mann in ben -lebten 3«^n feiner genannten Schrift autfpricht, ber mohl* 
oerbiente Sohn für feine unermiibliche unb ibeale Slrbeit an ber $ebung 
unferet gefammten Vilbungtmefent merben! 

3 m Slnfchlufe an biefen Söunfcf) einer meiteren entfprechenben 9lut* 
geftaltung bet SBiKmann’jchen päbagogifchen Unioerfitattfeminart unb unter 
bem frifchen perfönlichen Einbruct betfelben ftehenb, möchte ich eine Srage 
betonen, melche für bie görberung bet Unterrichte* unb Erjiehungtmefent 
an ben öfterreichifchen 9ßittelfchulen unb mittelbar auch an ben Völftfchulen 
non großer Xragtoeite unb gerabeju grunbtegenber Vebeutung ift. Ee ift 
bie grage ber päba gogifch^miffenfchaftlichen unb praftifchen 
Mutbilbung oon 9teligiont lebrern an ben ©tittelfchulen. 

25er Slteligiontunterricht, melier ja in h^tnorragenber SBeije 
jur Slutbilbung tüchtiger ©cfinnnng unb fefter Sharaftere berufen ift, b a r f 
an feiner Erjiebo ngtan ftalt, alfo auch nicht an ber Mittel* 
jdjule, nur nebenher gehen, ohne mit ben übrigen Sehrgegenftänben 
ber Slnftalt in innigftem Eontact ju ftehen; er mufe nach ben Vrincipien 
ber Eoncentration bet Unterrichtet, feiner Aufgabe bemuftt, bie formellen 
unb inhaltlichen gortfehritte in Unterricht unb Erziehung, 
ju melchen bie übrigen ©egenftänbe bet Sehrplanet bie Schüler in ftetiger 
Arbeit führen, oermerten, um in Srfaffung bet einheitlichen 
©ilbungtjielet, entfprechenb ber centralen Stellung, melche er in ben 
Aufgaben ber gngenbbitbung unb bet 3 u 0 enbunterrichtet einnimmt unb 
einnehmen muft, nach Kräften unb oerftänbnitooll an ber Erreichung 
betfelben mitmirfen $u fönnen. Soll er aber folgen Slnforberungen, 
beren Erfüllung für bie ©efinnungt* unb Sharc^fterbilbung ber gebilbeten 
Greife ber Veoölferung, ja mittelbar — burch Vermittlung ber Volftfchule — 
ber gefammten Veoölferung, oon bem beilfamften unb meitgehenbften Ein* 
fluft ift, genügen fönnen, fo miiffen auch i ene / Welche ?pir Ertheilung bet* 
felben berufen finb, in entfprechenber Steife theoretifch unb praftifch 


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234 


Virgil ©rtmtntdj. 


herangebilbet toerben. ®ie Sluffaffung religiöfer fragen ift natürlich in 
ben SJtittelfchulen eine gan$ anbere als in ber VolfSfchule; mit bet er* 
meiterten unb tiertieften Kenntnis ber SRatur unb beS SRenfchen, befonberS 
feiner etfjifäen Aufgaben, mufS bie Ermeiterung unb Vertiefung 
religiöfer Vilbung gleichen Schritt Rotten. Soßen bie Steife ber 
Veoölferung, melden bie Suitier berartiger Slnftalten einft angehören toerben, 
ben religiöfen gragen unb bent religiöfen Seben nicht in gleichgiltiger Ent* 
frembung gegenüberftehen ober in unrichtiger Erfaffung ihrer Vebeutung 
biefetben als einen überflüffigen, aus überlebten ©efeßfchajtsoerhältniffen 
übernommenen Vaßaft betrachten, fo müffen fie religiöfen Unterricht unb 
religiöfe Erziehung erhalten, toelche ihrer fonftigen VilbungSftufe formeß unb 
inhaltlich entspricht. SBie fann mau uon folgen Sreifen eine aufrichtige, 
toanne Vegeifterung für baS fegenSreiche VHrfen ber chriftlichen Sirche unb 
ihrer Einrichtungen oerlangen, toenn fie biefelben nicht in einer ihrer fort* 
gefchrittenen ©eifteSbilbung entfprechenben SBeife fennen unb fchäfceit gelernt 
haben? $)ie fflleichgiltigfeit unb gahrläffigfeit gegenüber ben fo frönen, 
Don erhabenen gbeen getragenen gormen beS fatholifdjen ©otteSbienfteS ift in 
nicht feltenen gäßen auf UnfenntniS jurücfyuführen, eine UnfenntniS, meiner 
in nachhaltiger Steife nur bann oorgebeugt toerben fann, toenn bie Sult* 
formen unfercr Sirche in ihrem ©ehatte ben Schülern folcher höherer Vn* 
ftalten immer toieber in einer bem fonftigen gortfehreiten ihrer (Seiftet- unb 
£>eraenSbilbung entfprechenben gorm jum VetonfStfein gebracht toerben. '©aS 
Sulturleben ber Sirche h a t fidr in einem folchen SRcichthum oon Schöpfungen 
ber Sunft unb Sitteratur entfaltet, bafS eS auf's h^chfte ju bebauern ift, 
toenn ein ©lieb berfelben biefe Erfdjeinungen in ihrem SBerte unb ihrer 
Vebeutung für baS gefammte Sulturleben nicht erfaffen unb fdjä^cn gelernt 
hat. SBarum foflte fich ber ©ebilbete für bie Erhaltung unb görberung biefer 
©üter feiner Sirche nicht ebenfo begeiftern fönnen toie für bie feinet VolfeS? 
5)ie Steflung ber Sirche in ber ©efeflfehaft, ihr SBirfen an ber Erhaltung 
unb görberung ihrer inteflectueflen unb etlichen ©üter mufS mm biefen 
Steifen ber Veüölferung immer tiefer unb grünblicher unb flarer erfaßt 
toerben, fofleit fie eS für ein ©liicf halten, einer folgen Sirche aitjugehören, 
foßen fie fich bafiir begeiftern, an ihrem gortbeftanb — fotoeit er burch 
enbliche gactoren bebingt ift — unb ber görberung ihrer gntereffen im 
engeren unb weiteren Sreife thatfräftig $u arbeiten. 

Solchen berechtigten Slnforberungen genügt aber ber ^Religionsunterricht 
an ben h ö h e rru 9lnftalten nicht, toenn er nach ®rt einer ÜRiniatur* 
Ih e alogie betrieben toirb unb ben Schülern Sehrbücher in bie £anb 
gibt, bie nichts anbereS als ein 9luS$ug aus gachlehrbüchern ber 


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0.5Biümann’S 25jä^r. Xbätigfeit am Frager päbag. UnioerfttätSfeminar. 235 

betreffenben ttjeologifdjen Xifciplinen finb unb baher twn beit Schülern 
Weber genügenb berftanben, noch ihrer SilbungSftufe entfprechenb für bie 
SluSbilbung ihrer ©efinnung verarbeitet werben fönnen. $er 9teligionS= 
unterricht an 9Rittelfchuien ift von bem an ber VolfSfchule fowohl rücffichtlich 
feines $iefeS als auch burch feine SDtethobe wefentlidj oerfchieben: baher fann 
auch eine päbagogifche 9luSbilbung ber X^eologteftubiereitben, welche nur auf 
bie VolfSfchulberhältniffe, auf bie „fiatechefe" im engeren Sinne 9tücfficht 
nimmt, unmöglich einem fo eminenten Vebürfniffe beS fatholifchen Unterrichte 
unb ffirjiehungSwefen genügen. ®ie Übernahme einer folgen 9teligionSlehrer* 
fteüe fotl nicht blofc von einer Prüfung abhängig gemacht werben, welche 
nur eine 9lrt SGßieberholung ber theologifdjen Nachprüfungen ift; fie !ann 
auch nicht bie nötige Sürgfdjaft geben, wenn fie nur baS ©tubium irgenb 
eines SehrbucheS ber Väbagogit unb SÖtethobit größeren ober geringeren 
Umfanges borauSfefct: eine theoretifche unb praftifche ®rfaffung 
ber Aufgaben unb äftethoben ber 9ft ittelf dhulpäbagogif, 
welche nicht etwa fchon burch &i c ®rinnerung an bie eigenen ©pmnafial* 
ftubien erfefct werben fann, ift bie unbebingt nothtoenbige VorauSfefcung für 
eine gebei^Iiche SBirffamfeit in einem fo eminent wichtigen unb einflußreichen 
Verufe, wie es baS 9lmt beS 9teligionSlehrerS an 9Rittelfchulen ift. ®S bem 
9teligionSlehrer überlaffen, fich erft burch eigene (Erfahrung in bie SDtittel* 
fchulpäbagogif mit ihren eigenen Aufgaben, ihrer eigenen $ibaftif einjnleben, 
ift nicht am Vlafce: {ebenfalls wäre für bie ©rfüflung ber befonberS fchwicrigen 
unb wichtigen Aufgabe biefeS 9ieligionSunterrichteS beffer geforgt, wenn bie 
©anbibaten biefeS Sehramtes fich in b e n päbagogifdjen UniberfitätS* 
feminarien analogen Snftituten theoretifch unb praftifdj für ihre 
fünftige 2lmtSthätigfeit auSrüften fönnten. „®er orbentliche Vtofeffor ber 
Iheologie 9t. £ofmann (Seip$ig) ift $irector eines päbagogifcheu Seminars. 
®r hält päbagogifdje Vortefungen nicht blofj für Iheologen unb bietet feinen 
©eminariften jum $wecf ihrer praftifchen 9luSbilbung eine breifache Übung: 

1 . theoretifchen Unterricht burch Einführung in bie wiffenfchaftlichen ®ifciplineu 
mit ftetem Hinweis auf bie praftifchen Slnforberungen beS Unterrichts; 

2 . ^Beobachtung Von Vorbilbern burch |>ofpitieren bei muftergiltigen Sehrern 
unb Vorführung ber oerfchiebenften ©chulorganiSmen; 3. eigene Sehrüerfuche. 
3n baS Seminar nimmt §ofmann ältere ©tubierenbe auf, welche ihre 
theoretifchen ©tubien bereits bis $u einem gewiffen ©rabe abgefchloffen 
haben, unb h<*t unter ben 2h^ ü ^°g e u befonberS biejenigen im 9luge, welche 
fünftig als 9teligionSlehrer an h^h ercn ©chulen wirfen wollen, benn eS ift, 
wie er fehr richtig bemerft, burch au S juoermeiben, bafSbaS wichtig ft e 
aller Sehrfächer ©aubibaten anbertrantwirb, welche ohne jebe 


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236 SB. ©rinttnidj. ©Mllmann’# 25j. Xbättgfeit am fraget päDag. UnioerfitätSfeminar. 

praftifd)* päbagogif che Sorbitbung ad eit 3 wf älfigfeiten be# 
©Sperimentieren# au#gefefct finb." (grie#, Die ©orbilbung ber 
ßehrer für ba# Sefjramt. S. 39.) — Da# mit bem ©äbagogium be# Älofter# 
Unferer lieben grau oerbunbene Eanbibatenconüict in SRagbeburg hat bie 
Aufgabe, „burch wiffenfchaftliche unb praftifd^e Anleitung tüchtige 9teligion#= 
teurer ju bifben, bie jugleich befähigt finb, orbentlidje äKitglieber ber ßehrer* 
collegien ju werben unb fich bei bem übrigen wiffenfchaftlichen Unterricht $u 
beteiligen." (6bb., S. 64.) 

©arbinal ©anglbauer hatte al# 9teligion#profeffor am ©bmnafium 
ber ©enebictiner oon Srem#münfter (1854—1875) ©elegenheit, in eigener 
jchulmännifcher Dhätigfeit bie wichtige unb Perantwortlicpe Stellung be# 
9teligion#unterrichte# junächft am ©tymnafium erlebenb fennen unb fchäfcen 
ju lernen. Sfein SBunber baher, baf# er, wie ich erft öor htrjem in ©rfahrung 
brachte, in ©rfaffung ber SBicptigfeit unb befonberen Xragweite ber oben 
bargelegten ©rwägungen, htrj Por feinemßeben#enbe nahe baran War, in SBien 
felbft ein gnftitut in'# ßeben ju rufen, welche# für bie £er a nbilbun g 
tüchtiger 9ieligion#lel)r er an ben ÜRittelfcpulen in biefem Sinne 
ju arbeiten berufen gewefen wäre. Der Dob pinberte ihn an ber fcplie&lichen 9lu#* 
führung feinet ©lane#. 911# engerer 3Ritbruber be# Perewigteu, hochnerbienten unb 
eblen Sircpenfürften ergreife ich mit greubeit anläßlich ber oben bargefteflten 
fünfunbjwanjigiäprigen ©eftanbfeier be# SBiHmann'fchen Seminar# bie ©elegen* 
heit, für bie Durchführung folcper gbeen eine ßanje ju brechen, wobei ich 
wohl weifi, baf# ich bie 9lufmerffamfeit ber berufenen unb mafegebenben 
gactoren auf biefe fo eminent Wichtige unb peilfame Sache nicht erft neu 
pinjulenfen habe. 2Barum füllte e# nicht möglich fein, eine in biefer Dichtung 
fich bewegenbe 9lu#geftaltung be# an ber SBiener theologifchen gacultät bereite 
beftehenben theologifchen Seminare# in Eingriff ju nehmen, beren Detail# ja 
felbftoerftänblich erft Sache ber ©eratpung unb Di#cuffion aller pieju be¬ 
rufenen gactoren fein mitf#te? 

©ine# fteht aber jefet fchonfeft: nach feinem Seminar ift ba# Sebürfni# 
groß unb mit fRücfficht auf manche concretc ©rfahruitg in weiten Greifen 
fo tief entpfunben, wie nach biefem. 9lfljufchmierig ift bie Aufgabe nicht, 
bafiir bürgen SBiümann'# ©rfolge an feinem päbagogifcpen Seminar in ©rag. 




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Rundschau. 

3m crften Fahre beS neuen 3uh*hunbertS hat hie ^erber’fche BerlagShanb 
lung eine ihrer größten Unternehmungen, baSSBefcerunb 5B e 11 e' f ch e Kirchen 
leyifon*), in 2. Auflage ju Enbe geführt. ES mögen bei biefer ©elegenheit einige 
BeminiScenjen am Blafce fein, bie P. S 2I. M. 2Beifc in feiner Biographie Benj. frerber’S 
(Freiburg 1890) über bie frerfteUung ber 1. Auflage biefeS MonumentalroerfeS gibt. 
Schon bie Borarbeiten, inSbefonbere jur fterfteUung beS BomenclatorS, hatten „eine 
rounberliche ©ef dachte", bie man an bem bejeichneten Orte, S. 18 ff., nachlefen !ann. 
9US biefer Bomenclator enblich, nach Fahreu, einigermafcen fertig uorlag, traf man 
nun gar noch bie Einrichtung, bie 3^h e ^ e beSfelben bei ben ©eiehrten herumjufenben, 
bamit jeber fich nach belieben felber feine 9Irtifel auSfuche. „Es mar eine 3eit ber 
©emütblicftfeit, in bie mir uns heute faum noch bweinbenfen fönnen. Bufe, fcheint 
eS, h«tte in ritterlicher ßiebenSroürbigfeit auf feiner Bkrbereife biefe ftaunenSroerte 
2Inorbnung erfunben. $ie folgen bauon laffen fich benfen. Feber fuchte fleh aus, 
roaS ihm gefiel. BWich liefen für einen 9lrtifel brei Bearbeitungen ein. Fa, roer 
hat benn bie befteüt ? hie& eS in ber Bebaction. Natürlich hatte fie niemanb befteUt. 
Feber that fröhlich, roaS ihm gefiel. Selten ift baS oft gebrauchte BUb oon ber 
©elebrtenrepubli! anfchaulicher uerroirUicht roorben, als in ben ftinbeStagen bes 
Freiburger SUrchenlejrifonS. $)ann oerlor roieber ein ©elehrter baS BerjeichniS ber 
2 Irtifel, bie er übernommen hatte unb fchrieb in ber $öelt herum, man möge ihm 
fagen, roaS er fich oorgenommen habe. 2lber ba mar guter Bath theuer. $)ie 
Bebaction roufste nichts baoon. ES mirb roohl im Bomenclator bemerft fein. Qa, 
aber roo ift benn ber Bomenclator? Bon bem hat fchon lange fein Menfch mehr 
gehört. 3uleHt foll er anBrofeffor B. gefchicft morben fein. $er erinnert ftch aUerbingS, 
ihn empfangen ju haben, aber er hat ihn oerlegt. . . . ©ro&e Sch'roierigfeiten machten 
befonberS auch bie Eenfurperhältniffe. Bm 28. Bpril 1846 fchreibt JQäuSle aus Söien 
(ber >ft«tS bienftbereite unb thätige Bermittler für öfterreich*)* »Bur barf eS bie 
fterber’fche Buchhanblung nicht oerabfäumen, bei ber öfterreichifchen Begierung eine 
Erlaubnis ju erroirfen, oermöge roelcher bie Brofefforen unb ßitteraten Öfterreichs 

olifchen äßerfe mitjuarbeiten. 2)enn aüe fchon ge^ 
nannten unb noch ju nennenben Mitarbeiter haben ihre 3ufage nur oorbehaltlich 
höherer f. f. öfterreichifcher Bereinigung geben fönnen. 2)ie Einholung lefcterer fann 
nicht bem Einjelnen jugemuthet, fonbern mufS oom §erm Unternehmer oeranftaltet 
roerben. Bielleicht ift bieS bereits gefchehen. Sonft roäre eS bei ber oorroaltenben 
©eroiffenhaftigfeit einzelner Herren Mitarbeiter ju bebauem, bafS felbe fchon genannt 
rourben, ehe auf obige, in ben öfterreichifchen Eenfurgefefcen funbierte höh ere Bereit 
ligung ftch berufen roerben fonnte. 4 Berber rear jeboch in ber gli'tcflichen Sage, auf 
biefeS Bebenfen am 25. Mai antroorten ju fönnen: .$)ie 3ufage ber Wiener $h e <>' 
logen gefchah mit auSbrücflicher Bereinigung ber f. f. ^ofpolijeifteUe, anfonft roir 
unS nicht erlaubt haben roürben, beren Barnen öffentlich ju nennen. 4 $ie Berhanb- 

•) 3n 2. «uflage begonnen bon 3of. ®arb. #ergeitrötber, fortgefefct Don $rof. $t. Stau Im. 
1* ©änbe, M. 132. — ©gl. «Hg. fiittcrahirbl. X. (190D <Sp. 737 ff. 


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238 


fHunbfchau. 


lungen burüber oermochten mir nicht mehr aufzufinben. ©S erhielt fich aber oon 
fpäterem Saturn eine abermalige »ehrfurchtSooüfie ^orftellung um gnäbige $>ifpen^ 
fation mehrerer ©eiehrten in ben faiferlichen «Staaten oon bem allerhöchften Verbote 
ber $heilnahme an auSroärtigen litterarifchen Unternehmungen rücfftchtlich beS fatho* 
lifdjen ÄirchenleyifonS*, gerichtet an bie ,hochpreisliche faiferlich-fönigliche $>ofpoli^ei- 
fteüe. 4 daraus möge aber niemanb 9lnlafS nehmen, auf Öfterreich einen Stein $u 
roerfen. Jobber finbet unter bem 28. Dctober 1846 auch bie roeltliche ©enfur in 
SBaben ,fehr läjfig‘, ja er fchreibt am 13. beleihen Monats an &äuSle: ,3)ie Söege 
ber ©enfur fmb bei uns langfamer als bei 3h ncn ‘" 

©efonberS fchroierig geftaltete ftch ber SSerfehr mit einzelnen Mitarbeitern. 
P. $öeife theüt eine 3teif)e bezeichnenber 3üge mit unb fahrt bann fort: „MeS bisher 
Erlebte rourbe in Schatten gefteüt burch einen 9Irtifel über eine geroiffe öfterreidhifche 
Stabt, ber im lebten 93anbe Aufnahme finben foHte. Über biefe Arbeit fönnte man 
auS ben oorhanbenen papieren einen roahren Vornan fchreiben. Sie mar einem 
Mann übertragen roorben, roelcher ftch fehr grobe SBerbienfte um baS ftirchenleyifon 
erroorben hat. $luch fonft hat er ftch gerbet in oielen Gingen als treuer, roohlrooüenber, 
bienfteifriger $reunb erroiefen. Berber oergalt eS ihm auch mit ber ganzen 9In* 
hänglichfeit unb $)anfbarfcit, bie ihn auSzeichnete. Späterhin aber oerfiel biefer 
©eiehrte, theilS burd) höchft roibrige ©efchicfe, theilS in Jolge oon 9teroenleiben 
bie er ftch toohl burch übermäßige Arbeit zugezogen hatte, in eine fehr gereijte 
Stimmung unb litt etroaS an 93erfolgungSroahn. fcätte man baS jum oorauS geroufSt, 
fo mürbe man ihm ben s 2lrtifel nicht übertragen haben. So aber toar biefer beftimmt, 
ein ^eifpiel bafür zu liefern, roaS fNeroofität, ©riinblicfefeit unb, bafS mir eS fagen, 
übertriebener Patriotismus jufammen im ftopfe eines ©eiehrten anrichten fönnen. 
Schon lange hatte nämlich ber gute frerr mit geheimem ©rolle bebauert, bafS baS 
ftirchenlejrifon noch feine ausführliche ©efchichte oon Öfterreich geliefert habe, freilich 
toirb fte außer ihm niemanb an biefem Orte gefucht unb oermifSt haben, ©r aber 
batte befdjloffen, bafS biefem Übelftanbe unbebingt abgeholfen toerben müffe. 9lun 
gieng bae s 2öerf feinem ©nbe entgegen. 2Benn alfo nicht ber s 2Irtifel, um ben eS fich 
hier hanbelt, fo gehalten mürbe, bafS bie gefatnmte öfterreichifche ©efchichte barin 
Unterfunft fanb, fo mar eS zu fpät. Sein Plan ftanb feft. Natürlich theilte er ihn 

niemanb mit, am roenigften Berber ober ber ftfebaction, bamit er nicht oereitelt 

roerbe. So gieng 3 a h* «ab lag bahin, unb ber fonft fo genaue, eifrige Mann 
brachte feinen ^Irtifel, liefe ficb aber auch fein Lebenszeichen entlocfcn, um fein ©e* 
heimniS nicht zu oerrathen. Mit ber 3eit mürbe bie Sache peinlich- ©S mar faft 
aller Stoff eingelaufen, baS Lerifon hätte eigentlich fchon fertig fein fönnen. 9Iber 
ber auSfteljenbe 9lrtifel moUte nid^t fommen. Man begann alfo bie bisher gebrauchten 
Mittel anzumenbcn. ©rfaferung in biefem ftache hatte man ja genug. Jperber fchrieb 

täglich einen Prief, auch zwei, einen fdjöner als ben anbern. 9US bie Bitten nichts 

fruchteten, folgten Porftellungen an baS ©eroiffen unb ben beroährten ©erechtigfeitS* 
finn beS alten 5 rc unbeS. Berber hielt ihm ben Schaben oor, ben er ihm oerurfadje, 
bie ©efahr, in melche er bie Arbeiter oerfefee, bie Perfchleppung eines SLerfeS, für 
baS er felber fo oiel getfean. Schliefelich fam bie Drohung, er roerbe bemnächft einen 
s Iöartbotcn inS IpauS erhalten, bem er täglich für ben Unterhalt 3 fl. 36 fr. zahlen 
müffe. Qnzroifchen mar ber ©elchrte mit feinen patriotifchen 9lbfichten ins reine ge* 
fommen unb fonnte alfo roenigftenS ein Lebenszeichen oon ftch geben, ©r eröffnete 
fein Unternehmen mit ber Mittheilung, bafS er bieSmal roohl einen Pogen für ftch 


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fttunbfdjau. 


239 


in Anfprud) nehmen müffe. Sun, meil er nur Saute gab, mar man fdjon jufrteben 
unb gab ihm gerne ben Sogen $u. Über eine Steile tarn eine Senbung mit ber 
Setnerfung, er merbe anbertbalb Sogen brauchen, frier fdjidtc er ben Anfang, bic 
ftortfeßung merbe folgen, in oierjebn lagen biirfte ber SdjlufS oorliegen. DaS mar 
am 18. Quli 1853. Qn ber $hat fam eine Sortfeßung, bann mieber eine, noch eine, 
abermals eine, im ganzen etma merjeljn, jebe auf ein Slättdjen gefchrieben, manch- 
mal auch nur einige 3eilen. Dann mürbe alles ftill. Da fieng frerber oon neuem 
an, feine ftunft $u oerfuchen. Sange umfonft. (*nblidj folgten fieben neue 3*ttel. 
Sad) einer langen Saufe abermals ein ©tiicflein. (*S märe halb noth gercorben, 
einen eigenen Sibliotfrefar ju ernennen, um bie Orbnung in ben iiberfanbten Seü 
trägen aufrecht $u erhalten. 9iun aber folgte nicht bloß feine neue 3ufenbung mehr, 
fonbern umgefehrt baS Serlangen, bem Serfaffer baS bereits Abgegebene juriicfju 
ftellen, bamit er eS genauer bearbeiten fönne. AUeS Sitten, drängen, Drohen ermieS 
ftch rcirtungSloS. ©S fei nicht abjufehen, raie (Gefahr im Serjug fein fönne, ba baS 
Skrf bem (htbe fo nahe fei. habe eine Serjögerung burchauS nicht mehr fo 
oiel auf fich, roie am Anfang. ,Die täglichen 3 fl. 36 fr. Skrtgelb 4 , fügt er bei, 
finb ein ©djrecffdjufS, melcher bei mir ohne ©efahr oerfnallt ift.‘ frerber mar rathloS. 
Am 2. ÜJlai 1854 erhielt er ju feinem ©ntfeßen bie Stittljeilung, ber Artifel merbe 
brei große Abtheilungen erhalten, er ftefre bereits bei Abtheilung I. Summer a 
9hm fuhr frerber baS fdjmerfte ©efdjiiß uor, baS er befaß. Darauf fam bie Antmort: 
.frerr, menn Sie mich unb fich auf ben ftopf ftellen, ich fann nicht mehr unb nicht 
fchneller arbeiten. ÜJtan mufS bie ganje öfterreichifche ©efdjichte in biefent Artifel 
unterbringen, unb bie llberfchrift gleicht gemiffermaßen einen @raSmüdcnneft, in 
baS ber ftudud feine ©ier gelegt hat.‘ DaS mar leiber nur ju treffenb. frerber, ber 
begreiflichermeife einer fleinen Aufregung nahe mar, fanb eS bod) über ben SpafS, 
bafS ber (belehrte nun fdjon mehrere Qah^ an biefent Artifel arbeite, ohne ihn ju 
förbern. Diefe Setnerfung öffnete bem leßteren bie Augen, unb er fafr ein, bafS ber 
Serleger nicht mehr bloß ,feine lanbeSbefannten Drangfdjüffe üerfdjmenbe*, fonbern 
mirflich ®mft mache. Daraufhtn erflärte er am 3. 3uni 1854 alle Schiebungen mit 
ihm abgebrochen. AllerbingS mar er halb mieber befdjmidjtigt. Dafür fchidte er nun 
aber folcbe Staffen oon Stanufcript, bafS ein eigener Sanb* für feine öfterreichifche 
©efdjidjte nothmenbig gemefen märe. Seim 6d)lufS einer Abtheilung maren eS fdjon 
308 Seiten. Die s Jicbactioit hatte feinen anbern Ausmeg mehr, als baS (Singefanbte 
furj ju überarbeiten. Darüber mar ber Serfaffer frocfr entriiftet, benn baS machte 
feinen Slan oollftänbig ju Schanben. DaS fei, erflärte er, eine uormärdidje (5enfur, 
maS bie Ofebaction an ihm oerübe. 4 Sdjließlidj blieb nichts übrig, als ben Artifel, 
ber ohnehin auch fo uodj über hunbert Drudfeiten utnfafSte, am 24. Quli 1854 
ab 3 ubred)cn unb bie Jortfcßung auf ben bereits in AuSfidjt genommenen (£rgän~ 
hungSbanb ju uerfdjiebcn. (S'S gieng aber bort um nidjtS beffer. 2öie inbeS alles auf ber 
2öelt ein (*nbe nimmt, fo audj biefe ©cfdjidjte. Am 18. Januar 1856 iiberfanbtc 
ber allju grünbliche Serfaffer huleßt bod) nod) ben AbfdjlufS feiner Seiträge mit bem 
AuSbrud feiner oollften Sefricbigung barüber, .uielleidjt ben längften Artifel im 
ftirdjenlerifon geliefert $u haben.**) frerber aber befdjlofS baS fo unangenehme (Erlebnis 

*) Gemeint ift ber Artifel Söien (bou .päuSle), bet im lebten ®anbe bie Seiten 983—1078 unb 
überbie# noefj im Subblcmentbaitb bie Seiten 1257—1307, aufammen alfo 1»>7 S. umfafst. 3n ber ^weiten, 
bebeutenb erweiterten Auflage nimmt ber Artifel „$Bien" (uon A. Starker unb Pt. Scbranf) 72 Spalten 
^ 3« Seiten ein 


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240 


Nunbfchau. 


mit einem Brief oom lebten $ecemb*er 1857, in bem er ftch ein 2)enfmal ber ©hre 
fefete, wie oielleicht burch wenige anbere Xhaten. hierüber nichts weiter als bie 
Berficherung, bafS ber ganze Vorgang an meiner ©eftnnung gegen ©ie nichts geänbert 
bat, unb bafS icb jefct, wie zur 3eit, ba unfere gefchäftlichen Beziehungen ftch in befter 
Orbnung unb ju gegenf eitiger 3ufriebenheit entwicfelt, 3föuen mit aufrichtiger 3rreunb* 
fcbaft unb SBertfchäfcung angehöre, unb in meinem freien in Beziehung auf ©ie 
fein anbereS ©efiibl begc f als baS ber Siebe. Stoffen ©ie uns barurn ben Vorfall 
ganz oergeffen, unb werben ©ie mir wieber fo gut, wie ©ie eS früher gewefen unb 
wie ich eS 3b nen aüezeit war unb mehr unb mehr geworben bin in bem Ntafje, als 
mannigfache Unannebmücbfeiten unb SBiberwärtigfeiten an ©ie herangetreten finb.‘" 

* 

* * 

3m VI. Jahrgang 1897 hat baS „Öfterr. Sitteraturblatt" in einer Neihe oon 
gebiegenen fachmännifchen ©inzelreferaten — „Rheologie", „Naturwiffenfchaften", 
„©efchichte“ — bie beiben grofeen'StonoerfationSlepifa oon BrocffjauS unb Nteper 
einer eingehenben Prüfung unterzogen, beren (Ergebnis barauf hiuauSlief, bafS oom 
©tanbpunfte beS gläubigen Triften feines biefer beiben Söerfe „unbebingt unb un* 
eingefchränft" empfohlen werben fönne. Namentlich ber ftatholif mufS ftch oft burch 
baS, was über £muptlehren feines ©laubenS unb feine religiöfen Übungen oom 
liberabproteftantifchen ©tanbpunfte aus oorgebracht wirb, auf baS empftnblichfte 
oerlefct fühlen. ©S ift baher ein wahres, nicht hoch genug anjufchlagenbeS SBerbienft 
ber ^erber’fchen BerlagShanblung, bafS fie feit fahren beftrebt ift, bem gläubig 
chriftüchen, namentlich fatholifchen Sefer, ober richtiger Nachfrager, ein föanbbuch 
ju liefern, aus welchem er mit ooller Beruhigung bie oon ihm gewünfehten 2luS 
fünfte fchöpfen fann. $)aS Jperber’fche Äonoerf ationSleyifon hat nun in 
britter Auflage ju erfcheinen begonnen, bie an Umfang unb s 2luSftattung einen ganz 
entfehiebenen Jortfchritt gegen ihre befcheibenen Borläufer befunbet unb in jeber 
£nnfid)t auf baS wännfte anempfohlen werben fann. Nuch biefe britte Auflage h a * 
bei weitem nicht ben Umfang feiner beiben älteren, fo zu fagen erbgefeffenen NUt* 
Werber, eS halt bie Ntttte zwifd)en „brevis esse laboro, obscurus fio“ beS 
^ürfchner'fcljen Xafchen-SepifonS mit feinen überaus fnappen 3lrtifelchen, unb ben 
mitunter übermäßig breiten Bbhanblungen BrodhauS’ unb ÜJteper’S. Um bieS burch 
ein Beifpiel anfchaulich z u wachen, umfafSt ber 9lrtifel „9Ilpen" bei $ürf<hner 
50 3rilen, bei SNeper 18 ©palten, bei BrocfhauS 17 ©palten, bei Berber, bie mafjoolle 
SNitte haltenb, 13 ©palten. $aS fcerber’fche 2öerf bringt in präcifer 3orm alles, was 
Zur Überftcht unb zum erften BerftänbniS beS betreffenben ©egenfianbeS nöthig ift r 
unb bieS umfomehr, als bie beigegebenen 9lbbilbungen unb graphifchen S)arftellungen 
in zioechnäfeiger BuSwahl unb Bnorbnung bem £eyte banfenSwert zu £>ilfe fommen. 
2öer nach einem tieferen ©ingehen oerlangt, mufS hoch jebenfallS zu ©pecialwerfen 
greifen, für welche bie jebem wichtigen Brtifel beigegebene Sitteratur-Überftcht als 
Führer bient. 5reih- o. geifert. 


Nebacteur: 5)r. JJranz ©chnürer. 

3o|. ORtotlj’fcpc ©eilöft*budjljaiiblung. — ©udjbriKferei Ämbt Äien 


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Uoraussetzungslose 

Forschung, freie Wissenschaft und Katbolicismus. 

Bon Paul Ätaria Baumgarf nt. 

ie neuefte ©efchichte beS allen SchlagmortcS „SoranSfehungSlofigfeit" 
barf trf) als befannt annehmen. $ie Sitteratur barüber ner^ettelt fid) 
bis in bie fleinften XageSblätter hinein, fie finbet fid) in ßeitfe^riften nnb 
beginnt ihren ßinjug in bie Siicher im eigentlichen Sinne 311 galten. 

Soßen mir Satholifen eS fchmer^oofl entpfinben, bafS biefe: Srteg 
entbrannt ift, ober foflen mir uns bariiber freuen? SReineS 6 rad)tenS hoben 
mir aßen ®runb, biefe umfangreiche AuSfprache 51 t begrüben. ©S läfst [ich 
burdjauS nicht leugnen, bafS in einer für aßen Autoritätsglauben Roherer 
unb hbchfter Art fritifchen 3cit eine berartige s 4?olemif üon erheblichftent 
9ht£en ift unb jmar intra muros et extra. 

Intra muros meil ftch aunächft — mit ber fieberen AnSficht auf fort= 
jebreitenben Ausgleich ber ©egenfäfce — eine Scheibung unter ben Satholifen 
felbft ooßjieht. ®ie görberer beS 2Biffenfd)aftSbetriebeS 511 immer umfang¬ 
reicherer ©rforfchung ber SSahrheit auf allen SSiffenSgebieten trennen fid) 
oorläufig Bott jenen, bie in fjeroifcher Selbftgenügfamteit gan$ ober theilmeife 
^erjicht leiften auf oerftanbeSmäfeige 2>urchbringung unb ©inorbnung moberiter 
©rrungenfehaften in bie Summe aßeS beffen, maS $ur Ausbreitung beS 
SReicbeS ©otteS auf ©rben nnb ber SBirfung beS £>eileS ber SJtaffen bienlid) 
ift. ßRit beut ©ebete aßein, fo notbmenbig unb beilfant eS ift, fönnen ficb 
nur fromme 2h° reu olS auSfchlieftlidjem Antiboton begnügen. ®ie feit fahren 
erörterte grage ber SRinbermertigfeit ber Satholifen — nicht fo fehr ber 
qualitatioen mie ber quantitatiuen — hot ju gemiffen greifbaren ©rgebniffeit 
geführt, bie fogar fdjon, fomeit baS Xeutfdje SReich in grage fommt, ihren 
meifterhaften ftatiftifchen AuSbrucf gefunbeit hoben. 

©S fann nicht SEBuitber nehmen, bafS ber Seginn beS 20 . gal)rhunbertS 
mit einer gemiffen Scheibung ber ©eifter unter ben Satholifen mit SRütfficbt 
auf baS miffenfchaftliche ©ebiet unb bie Auffaffung beS fultureßeit gort* 
fchritteS jufammeufäßt, mie benn ja auch felbftoerftänblich bie ©laubcnS* 

l<> 



$ic Äultiir. III. 3afjrg 4. $eft. (i‘J 02 .) 


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242 


©aul ÜJtoria ©aumgarten. 


unb ©ittenleßren in ißrer für alle Sfatßolifen gleichmäßig binbenben ®emalt 
bei biefem Kampfe außer ©efraeßt bleiben. 2 lber bie ©renjgebiete unb bie 
gragen niebercr Drbnung finb baS ©cßlacßtfelb, m auf ber einen ©eite ber 
meßt autorifierte SBarnungSruf: Officioram ac munerum, auf ber anberen 
©eite ber Stuf: Veritas nunquam nocet ertönt. ®ie einen broßen in ißrer 
©igenfeßaft al$ freimütige inquisitores haereticae pravitatis gleicß mit bent 
feßmeren ©efcßiifc ber ©enfurierung, moju fie bie Slutorifierung nur Don 
ißrem blinben ©ifer, ben fie mit bem ®ifer für ba3 Steicß ©otte§ oertoecßfeln, 
ßaben; bie Slnberen neßmen gorjeßungäfreißeit im oernünftigen ©inne in 
Slnfprucß, gerabe um bie mirfließ feftfteßenben unb bemiefeneti 
©rgebniffe menfeßtießer ©eifteätßätigfeit als mit beit ®ircßenteßren — nießt mit 
©cßutmeinungen — inburcßaitö notßmenbigem ©in! langfteßenb 511 ermeifen. 

ffiiferer ßat e3 ftetö gegeben unb toirb e3 ftetö geben. 2 tber e3 ift 
eine atte ©rfaßrung unb fie roirb jeben lag neu beftätigt, bafä e3 ißnen gar 
ju oft an ber großen ©aße be3 allgemeinen Überblicfe$ feßlt. ©ie feßen nur 
2lu3fcßnitte, ber ©lief für ba£ ®an§e unb auf ba3 ©an^e ift nießt oorßanben, 
unb fo ßolen fie fieß eine -Jtieberlage naeß ber aitbern, oßite fieß 31 t 
beffern, ma£ man a(3 feiten großen äRangel an ißnen beobachten faitn. 
gaft au£naßm3lo£ mufs man brittenS bie befeßämenbe ©rfaßrung maeßen, 
bafs biefe ©iferer oßne jebe ©iitficßt für bie ©ren^e ißreä SBiffetrö unb 
ÄönnenS finb, unb fie geßen in golge beffen mit bem leicßtfinnigften ®tutße 
ber SQSett an toiffenfcßaftlicße „Vernichtungen" ßeran, benen fie in feiner 
SBeife gemaeßfen finb. ©ei biefer Sage ber ®ittge mag e3 ja ßäufig ober 
oielmeßr meiftenS mit feßr erßebtießen Unanneßmlicßfeiten oerbunben fein, für 
faeß* unb jiclgemäßcn gortjeßritt feine Stimme 51 t erßeben, ba3 barf jeboeß 
Sliemanben, beffen Stellung unb Sfenntniffe e£ erlauben, abßalten, trofc afler 
Snfinuationen unb Serbäcßtigungen biefe fittlicße ©fließt jum 9?u|en ber 
fiircße $u erfüllen. 

©nblicß leßrt bie ©efeßießte ber äRenfcßßeit, bafS ba$ aufrichtige, gut 
georbnete ©treben nach oernunftgemäßem gortfeßritt immer noeß ben Sieg 
über ben tuiffenfcßaftlicßen Öuieti3mu3 badongetragen ßat unb baf3 bie 
©egenfäfcc innerßalb be£ S'atßotici^muö früßer ober fpäter ftetö einen ßar~ 
monifeßen SluSgfeicß gefunben ßaben. 

Extra muros ftiftet biefer ®eifte§fampf stuften, ioeil eben eine umfang* 
reieße 2lu£fpracße Don ßüben unb brübett bei einer, roenn aueß Meinen 3^ßt 
unferer ©egner bie ffirfenntniä zeitigen ßilft, bafä e§ mit ben ©orttmrfen 
gegen ben &atßolici£mu3 bureßauä nießt fo beftedt ift, ioie bie 9lrt ber 
angemenbeten Slngriffstoaffen unb bie miffenfcßaftlicßc Sebeutuitg ber ©egner 
auf ben erften ©lief oermutßen ließ. SKeßr als ©iner ift feßon befeßrt toorben 


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SJorausfefcungSlofe gorfcpung, freie SBiffenfcpaft unb ftatpolici$mu§. 243 

ober wenigstens auf bem SBege uacp DamaSfuS. Unb niept gerabc bie minber^ 
wertigften ©(erneute gehören ju biefen, oor atlem aber fofcpe Männer, bie in 
oerantwortungSdoder unb (ei tenber Stellung fiep auf feine „Schule" 
einfcpwören (affen fönnen. Die 51 t tragenbe Verantwortung für SHafenapmen 
allgemeiner 9(rt fiiptt baS Vlut, räumt bem Verftanbe mepr 9teepte ein unb 
derfcpafft einen offeneren Vlitf für bie begrünbeten 9lnfpriicpe don Minoritäten, 
Soweit ber praftifepe Dpei( beS wiffenfcpaftlicpen Betriebes in grage fommt. 

9tacpbem Montmfen fein erfteS üJtanifeft ertaffen patte unb g(eid) 
öurep o. £ertling'3 ©infpruep jur ßurücfnapme a((e^ SBefentlicpen in 
biefem Aufrufe gelungen worben war, melbete fiep Ma$ 2 en$ in Serlin 
mit feinem Vorträge „SRömifcper ©taube unb freie SBiffenfcpaft". 9 ((S britter 
im Sunbe erfepien Maj Sepmann in ©öttingen mit bem 9 (uffa(jc in ben 
s J 8 reupifcpen 3 aprbücpern über bie fireptiepe ©eitfur im jman^igfteit 3 apr= 
punbert. ©3 ift fein $ufad, bafS ade brei Vrofefforen, bie eingeftanbener- 
ntapeit bie ftatpolifen, ipre Sircpc unb ipre Sepre treffen wodten, 51 t jenen 
gepöreu, bie oon bem eigenttiepen 'JBefeit ber fatpolifepen S'ircpe, iprent 
2 eprgebäube unb ipren ffiinricptungen bie benfbar geringften Scnntniffe paben. 
SÖoper fie jeboep baS iprem ©eifte dorfepwebenbe 3 ^rrbi(b ber Sirepc unb 
ipreS depositum fidei genommen paben, oerfepweigen fie mit ebenfo überein= 
ftimntenber £artnäefigfeit. Dem möge fein wie immer, toei( Montmfen 
gefproepen patte, weil SRüncpen ben Anfang mit einer äuftimntungSabreffe 
gentaept patte, pielten fiep fepr diele ©cleprte ä raison des dehors für oer= 
pflieptet, iurare in verba magistri, obfepon eS feftftcpt, bafS niept Wenige ipre 
Unterfcprift nur mit feptoerem inneren SBibcrftanbe, bem Spange geporepenb, 
niept bem eigenen Driebe, gegeben paben. 

Der Angriff Momms'cn’S bebeutete niepts anbereS als eine entpfinblicpc 
Sfränfung ber wiffenfcpaftlicpen ©pre oder beseitigen £>od)fcpulleprcr, bie ipre 
wiffenfcpaftlicpe ©tedung mit iprem treuen ©(auben an bie geoffenbartcit 
VJaprpeiten beS fi'atpoliciSmitS Oereinigen. 2Bie icp fepott peroorpob, toar 
Sreiperr don $ert(ing ber erfte, ber Montmfen antwortete; ber zweite 
War s 4?x*ofeffor ©rauert, ber in einem (äugen 9luffape in ber berliner 
©ermania gegen ben beleibigenbcn „codegialen" Angriff Mommjen’S 
unb ber Übrigen wirfuitgSOodc Verwapruitg einlegte. Der britte ift.'pofratp 
Vrofeffor Dr. 3. 9R. Remter in 2 öicit, ber dor einigen Dagen eine eigene 
©eprift perauSgegeben pat, bie ben Ditel füprt: „VorauSfepungSlofc 
gorfepung, freie SBiffenfcpaft unb SatpoliciSmuS" ( 9 Bien, 
Vraumitder, 1902. 32 ©. in 2e;r.*8 0 ). 

Das .'peft jerfädt in dier 9(bfcpnittc, bereu erftcr ben Segriff ber 
oorauSfeftungSlofen gorfcpuitg unterjuept; bereu ^weiter eine ©rörteruitg über 

ir>* 


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244 


^aul OJtoria Saumgarten. 


freie SBiffenfchaft bringt; beven britter Don ber £errfchaft ber 2^eoIogen= 
fluten f)anbett unb beren üierter einen Seitrag jnr grage ber S'athotifchen 
Uniüerfität bringt. ftehe nicht an, biefer geiftüoden ®arftedung einer 
brennenben, principied mistigen XageSfrage eine fjofjc Sebeutung jujubiüigen. 
'Ser üornehme Xon ber Schrift ftidjt mohlthuenb ab non bem nicht fetten 
müften ftampfgefchrei ber ©egner in ber JageSpreffe, bie unerbittliche ßogif 
ber Schlußfolgerungen aus unangreifbaren Sorberfäfcen läßt ben mirfltch 
gefaulten $)enfer ertennen, unb ber greimnth in ber Setjanbtung ber 
Probleme ertaubt e$, auf bie Sicherheit feiner Stellung einen SRiicffchluß 
ZU machen. Remter mar ber berufene 9Kann, in biefen gragen z u fprechen, 
unb man muß ihm aufjerorbentlich banfbar fein, baß er fich in biefer 
eingehenben unb burchfchlagenben ffieife geäußert hat. 

3ch mit! uerfuchen, ben Snhatt ber Schrift furj jnfammenjufaffen. 
3>er Serfaffer fieht bei feiner Unterfnchung üon einer 9lpologetif ber fatpolifchen 
Dogmen an fich ab; er Meibt bei bem tpatfächlichen Seftanbe, baß e* 
gorfcher gibt, mclche bie ®ogmen ate mahr anerfennen, unb beautmortet bie 
grage: meines ift bie Stellung biefer gorfcher in ber SJiffenfchaft? 

Slbfolute ®orau$fe$ung£lofigfeit gibt e£ nicht, benn ohne jebe 
Sorau^fefcung gibt c$ feine gorfchung, unb märe e3 auch nur bie ein- 
fache ^perübernahme ber gorfchungSrefultate Slnberer, bie als richtig an ge¬ 
nommen merben, um barauf meiter zu bauen. Sebingte SorauSfefcungS* 
lofigfeit fann üon SWommfen unb ©enoffen auch nicht gemeint fein, fomeit 
ber ©etehrte, um gorfchungen zu erhärten, ^ppothefen üon größerer ober 
geringerer SJahrfcheintichfcit aufbaut, ©in einftimmigeS „9tein!" aller gorfcher, 
üorait ber Sftaturforfcher, bitbet bie Slntmort auf biefe grage. 2)ie SorauS* 
fefcung einer ÜBettanfchauung bagegen bürfte eher ins 9tuge gefaxt 
merben in bem üortiegenben Streite. @S ift unleugbare Xhatjache, baß ade 
©etehrten ohne Ausnahme irgenb eine s 2(rt üon SBettanfchauung haben 
mtiffen, menn man üon ber pathologischen ©rfcheinung ber abfotuten Sfeptifer 
aöfieht. $iefe3 Schlechthin muß atfo auch auSgefchloffen merben, unb ber ®reiS 
üerengert fich — übrigens geftehen baS bie ©egner auch rin — auf biejenigen, 
bie eine pofitiüe, religiöfe unb, noch näher bezeichnet, eine fatljolifche 
ffiettanfehanung haben. ®iefe geftftedungen macht ber Serfaffer nicht mid= 
fürlich, fonbern er ermeift fie aus burchauS zmingenben ©rünben als mahr. 

SBarnm fod nun befonberS bie fathotifche SBeltanfchauung jene Sor- 
auSfefcung fein, metche ber gorfcher nicht haben barf? SEBeit, mie bie ©egner 
fagen, biefe Überzeugungen mit unget)inberter freier gorfchung nicht in ©in* 
ftang zu bringen finfr. ®er Serfaffer ermeift fchtagenb, baß bem unter feinen 
ilmftänben fo fein fann, meit ber fatljotifche gorfcher nie gehinbert ift, eine 


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Vorausfefcungälofe gorfchung, freie SBiffenfchaft unb $atholici3mu3. 245 

f i <fy e r unb g e tu i f 3 erfannte 2Bat)rf)eit auägufprecheit, fonbern im ©egen- 
tfjeit fogar burch feine lattjolifc^e SBeltanfchauung verpflichtet toirb, bie afä 
gemifä feftgeftellte SBahrljeit gu oerfitnben unb gu vertreten. Taf3 er fo mit 
beu Togmen in Streit gerätsen fönnte, ift eine ©ehauptung, bie baburch 
nicht betoeiäfräftiger toirb, baf$ man fie fritif* unb bemei3lo$ bis gum 
ÜberbrufS mieberholt. @3 gibt einfach einen folgen gad nicht. Meinungen 
unb l^pothefen, fetbft menn fie noch fo gläubig üon einer noch fo groffcn 
dKenge für mahr gehalten toerben, bagegen bem fdjarf unterfuchenben ©erftanbe 
nicht al£ oodfommen fixere unb gmeifedoä ertoiefene unb jebergeit mieber 
ermetebare gorfchungärefultate unb Säfce ber SBiffenfchaft fich barfteden, h a ^ n 
in biefem 3ufammenhange {einerlei ©siftengberechtigung. Die nächfte ©eiehrten* 
generation rnirft folche Slartenhäufer — toa£ mir ade Tage erleben — 
fchoming£(o£ über ben Raufen unb oerbrennt bie ©öfcen falscher gorfchung. 
©benfo haubelt e3 fich babei nur um ba3 miffenfcfjaftlich ©rforfchbare über* 
haupt, ma£ bariiber hinau^liegt, toirb gtoar in uneitblich oielen Thcfen oor* 
getragen, hoch nicht gtoei Spfteme fommen gu bcmfelben ©rgebttiffe; adeS 
ba3 fcheibet alfo au§, unb auf biefem ©ebiete liegt eben faft ber gange 
Togmeninhalt, ber un$ burch bie Offenbarung vermittelt toirb, toeil ber 
forfcheitbe ©erftanb biefe Tinge nicht au$ fich i u erfennen oermag. ©rfennt 
man nicht barin bie ©jaetheit be3 gorfcherä, bafS er nie einen ©etoeiä 
gelten läi$t, ber nicht burdhmegS gtoittgenb ift? Ta£ finb adgemein aner* 
tonnte ©runbfäfce auf aden ©ebieten ber gorfchung. Sodten biefelbeit bei 
Jg>ppothefen unb ©gftemen, toelche man gegen bie tatholifchen Togmen in'S 
Selb führt, be^halb ihre ©iltigfeit oertieren, toeil fie, neben ihrer toiffett* 
fchaftlichen Seite, gum Stampfe gegen ben £atf)olici£mu3 bienen? 

Tie Sertoech^lung oon Sehr* unb Schulmeinungen mit tatholifchen 
Togmen bilbet ein erhebliches SWifSoerftänbniS iti biefer Srage. Ter 
ganatiSmuS ber tatholifchen Verfechter folcher Schulmeinungen, bie fie 
perfönlich gtoar für bie Sehre ber Siirche holten, bie eS objectio aber 
nicht finb, unb bie Seidjtigteit, mit ber entgegenfteheube Slnfichten Oerfefcert 
toerben, nähren biefem 9Kif£üerftäubniS unter ben ©egnern in iiberrafchenber 
SBeife. 3nr Slnftläruug ber Sache toerben oon Remter bie burch* 
fchlagenbften ©rünbe angeführt, bie mir h^r übergehen tönnen. 9lm Schluffe 
biefem erften 3lbfchnitte£ toirb feftgeftedt, bafS ber tatholifche gorfetjer ben 3toect 
jeber Sorfchung, bie ginbung ber SBahrljeit, mit oodfter greiheit oerfolgen 
tann, ohne bafS ihm bie tatholifchen Togmen baS geringfte $inberniS bereiten. 

greie SBiffenfchaft, mie im gtoeiten SIbfchnitte auSgeführt mirb, 
gemährt feine greiheit gegenüber ber SBahrheit als folcher; biefelbe rnufS 
öon einem mirflichen gorfcher iiberad ba anerfannt toerben, mo er fie finbet. 


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246 


©aul OJlaria ©auntgarten. 


9lucb barf biefelbe nicht mabr ober falfcb nennen, maS i^m beliebt, fonbern 
nur baS, maS als folcbeS ermiefen ift. 3^ifel^afted einfach mabr ober einfach 
falfcb ju nennen, ift auch nicht ertaubt, oielmebr müffen folcbe gorfcbungS* 
ergebniffe je naebbem als mabrfcbeinlicb ober unmabrfebeintieb bezeichnet 
merben. Die SBiffenfcbaft ift atfo in allen biefen ©ejiebungen nicht frei, 
grei bagegen ift fie, menn uns biefetbe als Summe beS aus ber gorfebung 
ficber ©rfannten mit^pinjugabe aller ^^pot^efen, SKeinungen unb Spfteme 
mit ©infcblufS aller gorfcbungSmittel unb gorfcbungSmetboben gegenübertritt. 
Diefer SBiffenfcbaft, mie fie in ben gorfdjem leibt unb lebt, mirb bie 
greibeit oinbiciert unb jugefproeben. DaS SBort oon ber freien SBiffen* 

febaft mitl bemnacb blofc befagen, unb barin mufS jeber logifcb gefcbulle 
®elebrte jufttmmen, bafS ein jeber bie greibeit b°^ jene Meinungen, 
^ppotbefen, Dbeorien nnb Spfteme aufjuftellen unb auSzufprecbett, melcbe er 
mitl, unb jene SWetboben ber gorfebung nach Setieben anjumenben, melcbe ibnt 
zmeefbientieb erfebeinen. SBirb er bei bem einen ober bem aitberen oon 
Seffermiffenben corrigiert, fo mnfS er ficb baS gefallen laffen, gleidjgittig 
mer eS ift, ber ibm biefe Sorrectnr ju Db e ü derben läfst. stimmt er fie 
an, fo banbclt er logifcb, t^ut er eS nicht, fo oerläfSt er ben SBeg ber 
SBiffenfcbaftlicbfeit. Der meitere SluSbau biefeS SafceS führt jur geftftellung, 
bafS bie beffermiffenbe Slutorität in gragen, bereu ©rforjebung bie menfeblicben 
©erftanbeSfräftc überfteigt, bie außerhalb beS cjacten gorfcbungSbetriebeS 
liegen, eine anberc fein mufS als bie eines miffenfcbaftlicben ©oHegen, unb 
für uns Satholilen ift baS im gegebenen gälte bie Stirere. SBir beugen uns 
beren überlegener ©infiebt, mo anbere ficb in bie unbemeiSbarften unb unbe* 
miefenften Dbeorien im Flamen ber „SBiffenfcbaft" verlieren, ©eugen mir 
unS nicht, fo ftellen mir ttnS außerhalb ber SBiffenfcbaft unb außerhalb ber 
Sircbe, maS jebem unbenommen ift, mie zahlreiche ©eifpiele zeigen. DafS bei 
ber Untermerfung fein Schaben für bie SBiffenfcbaft entftef)t, ergibt ficb 
ber Xhatfacbe, bafS eS ficb in folgen gäHen ftetS nur um 9Jteinungen 
hanbelt, melcbe auf jenem ©renzgebiete liegen, mo bie oolle ©rtenntniS, baS 
‘Durchbringen znr SBahrheit, bem SRenfcben mit £>ilfe ber gorfebung allein 
im großen ©anzen oerfagt ift unb bleiben mirb. 

Der „gatl ©atilei", ber nach folgen Ausführungen nnmeigerticb aus 
ber 9tüftfammer ^crt>orgeholt mirb, gibt bem ©erfaffer ©eranlaffung, znnäcbft 
ZU betonen, bafS bie ©erurtbeitung ©atilei'S auf ©ruttb oon theologifcben 
Meinungen unb Anficbten erfolgte, um bann ein SBort über bie f>errfcbaft 
oon Dheologenfcbulen im Allgemeinen zn fagen. 

©flicht ber Dheotogie als SBiffenfcbaft ift eS, bie gefammte meitfcblicbe 
©eifteSthätigfeit, unter oberfter, unantaftbarer .£>errfcbaft ber geoffenbarten 


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©orauSfefcungSlofe gorfchung, freie Söiifenfchaft unb SiatboliciSmuS. 247 

SBahrheiten, in ben Sienft ber SBiffenfchaft oon ©ott unb über ©ott ju 
fteflen, ein theologifcheS Sehrgebäube $u fchaffen, baS bie höchfte ©oflenbung 
ntenfchlichen SenfenS barfteOen fofl, bie überhaupt erreichbar ift. 3>n biefeS 
theologifche ©pftem aße gragen beS profanen ntenfchlichen SBiffenS einju* 
orbnen, in ihm ade neuen ©rgebniffe logifdj $u Jatalogifieren, mit Umficht 
unb ©mfigfeit an ber ©erooßfommnung beS ©aueS thätig ju fein unb 
niemafö ju raften, ift oberfte Pflicht biefer SBiffenfchaft. Siefe ift, meil 
ntenfchliche Xbjätigfeit, ftetS unb ju aßen 3*iten oerooßtomntnungSfähig, unb 
eS mufS baS Streben fämmtlicher ©otteSgelehrten fein, oon überall her 
©aufteine jum AuS= unb SBeiterbaue ^erbei^ufc^affen. Sie theologifche 
SBiffenfchaft theilt mit aßen anberen SBiffenfchaften bie Slbhängigfeit oon 
ben 3^itöerhältniffen ttnb ben in ihnen lebeitben SJtenfchen. ®S gibt bort 
ein Auf unb Wb, eS gibt ©lan^punfte in ber ©efchichte biefer SBiffenfchaft, 
aber eS famt unmöglich ein SluSruhen, einen freimifligen Stiflftanb, einen 
gemaßten unb beabfichtigten ©erdicht auf meitere, l)ö^er ftrebenbc Shätigfeit 
geben, unter bem Sorgeben, ber £>öhepunft menschlichen SrfennenS fei erreicht 
morben 51 t irgenb einer 3 eit. 

Ser ‘©erfaffer minbet bem heiligen ShomaS oon Slquin einen Sorbeer* 
franj unb cifennt bem phänomenalen ©enie beS ©ngelS ber Schule in 
begeisterten Porten baS Serbienft ju, in bisher ooflfommenfter SBeife bie 
SBiffenfchaft ber Sheologie aufgebaut ju h a ^en, bie Seiftung eines mähren 
©eitieS, bie für aße 3eiten aufrichtige ©emunberung oerbient. 

hieran fnüpft nun ©ernter einige Ausführungen über bie nach' 
thomiftifche 3eit an. ShomaS hat aße anberen Sheologenfchulen aümählich 
5 ur ©ebeutungSlofigleit herabgebriirft; ShomaS galt auch in nebenfächüchen 
Singen als textus receptus, Oon bem man faunt ab^umeichen magte. Seine 
Anhänger lebten fich im Saufe ber 3eit oielfach in einen gerabe^u unerlaubten 
ShomaScultuS hinein unb faheu ein Abmeicheu oon feiner Sehre faft mic 
einen ©erftoft gegen baS Sogma au. feilte mirb aßeS ad mentem divi 
Thomae tractiert, fo bafS man fich öor ber $ochflut ber fo bezeichnten SBerfe 
faum 311 retten meift. Sie theologifche SBiffenfchaft geht auf in ©ommentaren, 
bie ©pilofophie macht es nicht oiel beffer. Sie Sominitaner giengen fomeit, 
bafS fie gelobten — unb fie foflen eS heute noch thun —, nie etmaS ju 
lehren, maS gegen bie Sehre beS h^il. ShomaS ift. Reifet baS nicht einem 
SJtenfcfjen faft göttliche Autorität juerfennen? Sie golge baoon mar Srftarrnng 
Statt gortfehritt, £>aarfpalterei ftatt gorfchuug. 

gür bie oorlicgenbe grage finb biefe Ausführungen oon ©ebentung, 
meil petrefafte Schulmeinungen burchgängig zur Uubulbfamfeit führen, unb 
Zrnar in a 11 e n SBiffenfchaften, nicht blofe in ber Xheologie. Sic theologifcheit 


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248 


iktil ÜJlavirt ©aumgarten. 


Schulen nehmen für fid^ bic 9lutorität bcr letyrenben SHrcbe ju Unrecht in 
Slnfprucb, unb fo merben benn abmeicbenbe äReinungen mit großer ßeidjtigfeit 
als s 2 lbmeicbung oon bcr firdjlidjen Sehre bezeichnet unb bamit unberedjen* 
barer Schaben intra muros et extra angericfytet. ©o toirb bic großartige 
Seiftung beS ^eiligen Sfjomaä, bcr baS SBiffen feiner 3*it fo innig in fein 
tbeologifcbeS Spftcm ju oermeben muffte, in ben £änbett turjfic^tiger Epigonen 
Zum Unbeile, nicht nur für biejenigen, bie gegen bic ©cbulmeinung fetten, 
foubern für baS Slnfeben beS fiatboliciSmuS in ber SBiffenfcbaft überhaupt. 

3m Einzelnen belegt ber ©erfaffer bie Unbaltbarfeit ber Slnficbt, bafS 
alles 9?eue als minbeftenS bebenflicb, meil mit bem ®ogma nicht gut Pcreinbar, 
abzulebnen fei, bureb eine ©eifpiele auS ben SRaturmiffenfcbaften. 

Xaber fommt eS, bafS gernerftebenbe eS bem fiatboliciSmuS als folgern 
Zur Saft legen, toeun gefieberte Ergebniffe oon ber Schule abgelebnt merben, 
auS mitunter toenig plaufibelit ©rünben. Unb in biefen 3 itfammenbang 
gehört, mic ber SSerfaffer auSfübrt, ber gaH ©alilei'S. 9Jtan habe mabrlicb 
leine ©eranlaffnng, gleich ueroöS z u merben unb alles s Jteue mit fd^eelen 
©liefen anjufeben, als ob bie blaffe 9lngft, eS fönne bem ®ogma ein ©ebaben 
jugefügt merben, bie ©runbftimmung eines fatbolifeben Xb e °l°Ö cn fei- Wur 
bie moblbegrünbete Slngft, bafS ben oeralteten unb erftarrten ©cbnlmeinungen 
etroaS paffieren merbe, bemirtte unb bemirft bie neroöfe Empfinblicbfeit unb 
ben SBiberftanb ber Herren ber ©cbule. XbomaS nahm baS ganze SBiffen 
feiner 3eit in fein ©pftem auf, unb bie Schüler tbun alles, nm bem 
Weifter barin nicht ähnlich 511 merben. 

S)a baS 9Befentlicbe im tbomiftifeben ©pfteme feiner 2inberung*bebarf, 
fo fann eS ficb bei ber bisher Pcrnacbläffigten Arbeit nur um 2luS= unb 
llmgeftaltungen Poit fünften jmeiter unb britter ©ebeutnng für bie X^eologic 
banbeln, bie aber für baS 2lnfel)en berfelben unb für bie SReputation ber 
fatbolifeben gorfeber in ber ffiiffenfcbaft pon eminenter ©ebeutung finb. $>aS 
mirb bie befte 2lrt, Ib oma ^ ju ehren, fein, bafS man fein SBerf fortfübrt. 

3m Pierten ^Ibicbnitte befpriebt ©eruter bie fatbolifebe UniPerfität. 
Xbeovetifcb billigt er ihr auf ©runb ber PorauSgegangenen Erörterungen 
poüe ©jiften^bereebtigung 511 , aber sugl % eicb meift er auf bie übermiegenben 
©cbmierigfeiten bin, bie ähnlich fd)on P. Bertling Por ein paar 3ßb*en 
geltcnb machte. 

* * 

♦ 

©egeniiber ber reichen giillc Pon 3been, bie in biefer Schrift nieber= 
gelegt finb, fann ich hier unmöglich auf alles eingeben. 3 cb befebränfe mich 
auf einige 2luSfübrungen jum britten Slbfcbnitte. ®er Gib ber $)ominifaner 
bezüglich bei* Scbre beS heiligen SbomaS, fomie ber Gib anberer DrbenSleute 


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VorauSfefcungSlofe 3forfd)ung, freie Söiffenfdjaft unb ftatl)oliciSntuS. 249 

be$üglich ihres öauptorbenSlebrerS bat beute nicht mehr biefelbe Vebcuhtng mie 
uor ein paar buttbert Sabren. 'Sie uerfd)iebenen Orbett butten biefeit ^Brauch aus 
Verehrung aufrecht, geftatten aber and) Vorbehalte bei ber GibeSablegung. 
Stad) bent 8 . Tecentber 1854, nad) beut Verjchminben ber Aftrologie ans 
bem Bereiche ber 2Biffcnfd)aft, nach ber Gntbedung zahlreicher foSmifd)er 
unb phbfifatifcher ©efefce unb nad) Dielen anbereu Gingen mujS ntan in biefen 
Giben nur eine Verpflichtung auf baS SBefentlidje beS in Srage fontmenben 
SefjrgebäubeS jef)en. Tenn wenn fid) bie Kirche einmal eittfd)ließcn mürbe, 
in wichtigen fragen, bie ^mifdjen zweien fotcher Spftcme coittrooerS mären — unb 
fotcher gibt eS — eine Gntjcbeibung ju fällen, fo märe bamit baS Gitbc 
einer biefer Gewohnheiten befiegett. Tantit mag man )u einer einigermaßen 
anbereit ^Beurteilung biefer Sache fommen, mie bei Verittcr. 

Tie Sebbaftigfeit ber Tarfteüung bei ber Sd)ilbcrung ber erftarrten 
thomiftifchen Schule will augcnfd)einlid) burch etwas ftärferen Sarbcnauftrag 
eine Aufrüttelung ber ©elfter berbeifiibreit. SJtait barf barum nid)t jeben 
AuSbrucf burdbauS mörtlid) uerfteben,- obfdjon man anerfennen ntufS, bafS ber 
©ebanfettgang Vernter'S im Allgemeinen ber Statur gut abgetaufcht ift. GS fittb nod) 
nid)t niete Sabre her, bafS ein gefeierter Togmatifer eines ber römifcbeit 
Athenäen geftorbeit ift, ber bis 511 feinem Tobe au ber Theorie ooit 24 Stunbcu 
für bie Sd)öpfungStage fcftgebalten unb biefc gelehrt l)at, )° lange cr 
Vrofeffor mar. 

Stid)t in feine {Rechnung bat ber Verfaffer bie Tbatfadjc ciugcftellt, 
bafS, mie id) cinleiteub ermähnte, bie craffe UnfenntniS aller fatbolifcheu 
Verbättniffc, namentlich aber beS SBefentlichcn in ber ftircbeitlebre, auf 
Seiten ber ©egtter eine Verftänbigung fet)r crfdjmcrt. SftauSbad) meift in 
feiner jüitgften Sdjrift mit Stecht auf bie an fich iiberrafchenbc Tbatjache bin, 
bafS bei beit Angriffen auf bie fatbolifdje SJtoraltbeologie ber fratboliciSmuS 
fofort unb zunäd)ft mit einer ©emiffcnSerforfchung über bie Stidjtigfcit bcs 
bisherigen VetricbeS geantwortet habe. Sßernter tbut in biefent Salle baS 
©leidje. St bebe baS bernor, nicht als ob ich bamit nicht im Allgemeinen 
eiuoerftanben märe, foitbcrn weil id) briitgcitb münfdjen möd)te, bafS in ber 
bcoorftebeitben zweiten Auflage ber oott mir berührte Vuitlt ber UntenntniS 
ber ftirdjeitlebre and) Vead)tung in feiner Tarfteüung fiitben möchte. Ter' 
fclbc gehört ganz naturgemäß jur Abrnitbititg bcS VilbeS. 

And) bie fpftematijd) betriebene Verhefung hinbert int Übrigen ganz 
gejeheibte SRättncr, oovnrtbeilSloS att bie Grörtcrmtg mtb Veurt()eilung 
fatl)olifd)cr Probleme beran$utretcn. Sie oerftebcit cS nid)t, rein inner- 
fircblid)c Angelegenheiten uoit beit übrigen 51 t unterfcbeibeit, fic zerren fie 
manchmal gemaltfam oor ein Sorutn, oor baS fic burchauS nicht gehören. 


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250 


©aul ÜJtavia ©aumgarten. 


Sie oermögen eS nicht, $inge, bic ber einzelne Satholif mit feinem ©emiffeit 
unb feiner Sirene allein auSjumachen h<*t, als folche an$uerfennen unb fie 
mifdjen fich infolge beffen in Angelegenheiten, bie fie burdj SRichtbeachtung 
ehren müßten. 3ür fich »erlangen fie gegebenen galleS genau baS ©leiche. 

Ähnlicher fünfte fönnte ich noch mehrere anführen, au$ benen mit 
©oibenj h crüor 9 c ^/ auch meitefte ©ntgegenfommen im Sinne be^ 
©erfafferS bie »on ihm betonten ®raüamina ber fatholifchen ©eiehrten nicht 
mirb aus ber SBelt fchaffen fömten. ®amit miß ich nun in feiner SBeife 
behaupten, bafS beSmegen nicht oon unferer ©eite erft recht alles gefchehen 
foHe, um baS »erlorene Serrain nach SRöglichfeit mieber $u erobern. 

@3 bleibt beftehen, maS Seo XIII. oon ben Sehren beS ^eiligen XhomaS 
fagt, bafS, mer (eichtfinnig oon feinen Anfchauungen abmeicht, fich in bk 
©efahr beS 3rrthumS begibt. ©3 bleibt aber auch beftehen, bafS, mer einem 
gegenteiligen ober abmeichettben gefieberten gorfcßungSergebniffe nicht 
juftimmt, meit Xf)oma3 anberer Anficht mar, fchon irrt. ®en SBorten beS 
heiligen ©aterS bie ©ebeutung geben, bafS man nicht Oon ber Sehre beS 
Aquinaten in irgenb einem ©unfte abmeichen bürfe, menit bie ftorfchung 
ba$u $minge, h' c 6 e jegliches ©efefc oernünftiger Interpretation umftoßen. 
9Rit ben menigen $anatifcrn, bie fagen, bafS man 2homa^ nie merbc eines 
3 rrthumS jeihen fönnen, haben mir eS h* er nicht i u tun. 2ltö ©elchrtcr, 
ber nur einjig unb allein bitrch bie 9Racht feiner ©emciSführung mirfen 
fann, participiert XhomaS auch nicht einmal inbirect an einer mie immer 
aufgefafSten ^nfaflibilität. ©S ift barum ju begrüßen, bafS ©ernter in feiner 
hochbebeutfamcn Schrift biefe grage burd) feine temperamentoollen AuS* 
fühmngen über biefen ©unft in glufS gebracht hat. ©3 merben bie Äußerungen 
für unb miber fich halb geltenb machen, fo bafS auf ©runb ber oorliegenben 
©cßrift eine Störung ber Angelegenheit, bie bringenb nothmenbig mar, in 
meiteren Sreifen eintreten mirb. 

* 

* * 

®iefer Auffajj mar fchon abgefchloffen, als mir ^poufton Stemart 
©hamberlain'S Abhanblung: „Satholifte" Unioerfitäten*) jugieng. 3t 
brauche bie geiftreiche, blenbenbe ©chreibmeife biefeS ®elehrten nicht befoitberS her- 
oor^uheben; fie ift befannt. 3t habe aut nicht nötig, auf feine ftaunenSmerte 
Selefenheit aufmerffam ^u machen'. 9ßa3 jebot im genannten Auffafec 
befonberS auffällig in bie ©rfcheinung tritt, ift eine gemiffe 3ufnmmenhang= 
lofigfeit ber einzelnen Abfchnitte, finb nicht unerhebliche logijehe Sntgleifnngen 
mtb eine bebauerliche ©ermetSlung üon ^citerfcheinungen iu ber Sircheit* 

*) $>ie gacfel, 9ir. 92 oom 24. Januar 1902 (A?ien). 


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©orauSfefeungSlofe gorfdjung, freie SBiffenfchaft unb ftatholirfämuä. 251 

qefd^id^te mit bcn wefentlichen, nnoerrücfbaren SWerfmalen be3 ÄatholiciSmuS. 
$)iefe SWänget benehmen ber Slbfjanblung im ®mtjen einen erheblichen Xheil 
ihres SBerteS, fo gerne man auch einzelne StuSführungen als richtig unb gut 
beobachtet ober bebuciert unterfchrciben wirb. 

3 m Sefonberen glaube ich ©infpruch erheben 311 füllen gegen bie 
gnterpretation oieler oon Ehamberlain angejogenen firchlichen 5luSfpriiche. 
9Kan merft hoch gar 3 U beutlich, bafS ihm bie theologifchc Schulung fehlt, 
um jebeSmal ben richtigen Sinn berfelben $u erfaffen. @3 genügt nicht, bafS 
man lateinifche Säfte überfeften unb an fich oerftehen fann, man mufS auch 
bie Tragweite unb ©ebeutung ber SBorte im feftftehenben theologifchen 
Sprachgebrauch fennen. 

@3 ift anjunehmen, baf3 Ehamberlain ®hrf)arb’3 Such fannte, al3 er 
am 15. gaituar feinen Sluffaft abfchlofS. SBenn bem fo ift, bann erfcheint 
unoerftänblidj, wa3 er alles über ben SftllabuS ju fagen Weift. 2ln biefcr 
Stelle unb in biefem 3ufammenhange rnnfS ich baranf oe^icftten, näher auf 
bie Oon ihm aufgeworfenen gragen ein^ugehen, unb e3 ebeitfo ablehnen, 

— man möchte faft fagen f inbliche — 9lnnterfnng Seite 7 mit ihm ju erörtern. 

©ernter’3 Unterfuchung über ben wahren ©egriff ber greiheit ber 
©iffenfchaft 00 m tatholifchen Stanbpunfte aus läfSt bentlich erlernten, bafs 
er gegenüber Ehamberlain, ber baSfelbe Ih ema (Seite 7 ff.) betjanbelt, ber 
tiefere unb geschultere Genfer ift. SWit einer großen Seichtfertigfeit gruppiert 
Ehamberlain gewiffe nicht jufammengehörige ®inge 511 einem ©anjen, ba3 
ihm als JDperationSbafiS bient, um oon ba auS einen ^ufarenritt in 
tatholifchen Sanb 31 t machen. Seine SluSfüfjrungen waren fchon wiberlegt, 
beoor fie gebrucft Würben, unb jwar in ber ©ernter’fchcn Schrift (Seite 18 ff.). 
E)ort mag fich Ehamberlain bie Sufflärung über biefeit principieü fo wichtigen 
©unft holen. 

2Ba3 Remter über bie ©ebeutuug oon namentlich naturwiffenfchaftlichen 
Xhefen, |)ftpothefen, SKeinungen unb Spftemen, bie noch toeit ab oom ©ebiete 
ben wirtlich ©ewiefenen liegen, fagt, biirfte Ehamberlain in 3ufunft abhalten, 
mit „neueften Annahmen" (Seite 13), „neuen ©orfteüungen" (Seite 14) 
unb ähnlichem 311 fintieren, um ber Kirche ©orwürfe über bie ©ehanbluug 
ber SBiffenfchaft 31 t machen, ©in folgen ©orgehen ift birect itnmiffenfchaftlich. 

®3 liegt mir felbftüerftänblich ferne, bie perfönlichen Erfahrungen 
Ehamberlain'S bei feinem Schulbefuche in tatholifchen Säubern au 3 U 3 Weifelu. 
Er erzählt unn nämlich, bafs er in feiner gugenb oon feinen Schulfameraben, 
bie fämmtlich tatholifch waren, aln „Hefter" häufig oerhauen worben fei. 
SBogegeit ich über fcharfen SBiberfpruct) einlege, ban ift bie feierte 9lrt, mit 
ber er aun biefen unb einigen anbereu ©ortommniffen, bie ich uicht 


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252 ©. 2Ji. ©aumgarten. ©orauSfe&ungSlofe fjorfc^., freie SBiffenfchaft u. ftathol. 

controtieren tarn, all ge meine Schlußfolgerungen jieht, bie fich auf beit 
©tauben ber Äatfjolifen unb bie Sethätigung biefeS ©laubenS bejie^eti. 
1 ?(uc^ baS ift unmiffeufdjaftlidj. 

S33aS foH mau ju bem ©afee fagen: „Der SatechiSmuS nach beut 
©efchluß beS Sribentinifchen ©onälS fagt auSbrüdflich (pars I, cap. io) 
bie ©farrer foflen baS , credo sanctam ecclesiam catholicam* uon aßen 
©laubenSartifeln am Ijäufigften einprägen (omnium frequentissime inculcandus 
est); eS ift, mie matt fieht, mistiger, bafö man an bie &ird)e als an ©ott 
unb fi^riftu^ glaube." ®S gehört bie ganje @ile eines ©eiehrten baju, 
ber einen Auffafc für ben DageSbebarf bem im ©Drummer fdhon tnartenbeu 
©efcerlehrling fchnell übergeben muß, um eine fo unglaubliche Schlußfolgerung 
ju machen. geh bin nicht fo gutmütig, ©hamberlain auf feinen groben 
gehler aufnterffam 51 t machen; ben mag er felbft finbett, wenn er eS oer¬ 
mag. Unb bie gortfefcung beS eben angeführten ©afceS fefce ich auch nicht 
hierher, obfehon biefelbe einen noch gröberen gehler gegen bie So gif enthält. 

Der Auffafc ©hamberlain’S umfaßt 32 ©eiten unb ift überfdaneben: 
„Satholifche" Unioerfitäten. Auf ©eite 21 enblich fommt er auf fein Dhenta. 
2BaS er baju $u fagen toeif$, ift nicht nur mager, fonbern auch nicht über* 
mägig fachlich. Der Vergleich mit grantreich fann für ben öfterreichifcheu 
©lan nicht mafjgebenb fein. 9Rit mehr SRecht hätte er bie Unioerfität 51 t 
greiburg in ber ©chtoeij heraitfliehen fönneti, toeil bort baS üertuirflicht ift, 
toaS man in Öfterreich anftrebt. Aus ben Ausführungen beS ©erfafferS geht 
erfichtlich heroor, baß er allerlei auf bem £er$en hatte, toaS er gern in 
einen Auffafo jufammenfaffen moüte. Da bie Abhanblung fo ziemlich de 
omnibus rebus hantelte, ß ergab fich fein mirflich paffeitber Ditel, unb als 
erfahrener 2Rann mählte barum ©hamberlain einen augetiblidlich in SEBien # 
recht jugfräftigen, ber nur ben Keinen gehler hat, baß er nicht ^urn Auffafce 
paßt, ©ernter hat oon folgen Sinterungen feine ©Überlegung feiner AuS* 
führungen 511 fürchten. 



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Adam Crabert. 

Bon H t d| arb fo. üralik. 

9 q)/^A enn ich ein äftaler märe, fo fönnte eS mich reifen, baS rofige, 
gefunbheitftrofcenbe ©eficf)t beS Siebzigjährigen im Nahmen beS fchnee* 
meinen ©art* unb Haupthaares auf bic Seinmanb 51 t bringen. Slber auch bem 
Sd^riftftcIIer bietet 2lbam Xrabert ein nicht miitber banfbareS coloriftifcheS 
Problem, ©anj fo rnie bei 3ofef ©örreS, unterem ©annerträger, bilbet 
fein männlicher ©h flra f ter einen ^arntonifd^en ©ontraft oon blutfrifchem 
9toth unb flecfenlofem ©Seife, t)on unbeugfamem, fampfbereitem ©ifern für 
9^ed)t unb Freiheit unb bemütfjigfter Unterorbnuug unter bie allein feft* 
ftefeenben 3beale ltnfereS Sebent. Xie glüljenbfte Seibenfcfeaft beS Kämpfers 
für afleS ©ute oerbinbet er mit ber unbebingteften (Ergebenheit für feinen 
Herrn unb ©ott, wie für feine ßflutter, bie Kirche. Unb baS ift,. mie mir 
fcheint, auch bie einzig richtige garbenmifchung; bie Xreue, bie beutfehe 
Xreue, ift baS ©anb, baS beibe garbett oerbinbet unb eint. 

9?och in einer anberen ©ejiefeung vereinigt ber alte Jüngling jmei 
fonft fcharf auSeinanberfaflenbc Seiten beS Sebent: bie thätige unb bie 
äfthetifch befchauliche ©eite, gitr jebe biefer ©eiten ftellt er aber einen 
ganzen -Kamt, leinen h a ^ en - Xer einen, ber thätigen ©eite ju folgen, 
oerjichte ich ^ cr ; ich märe eS auch nicht imftanbe. Xa foß er lieber felber 
reben unb bie Schleusen feiner ©rinnerungen aufthun. SEBeun man baS 
©ergnügen gehabt hot, ihn oon feinen heffifchen ©rlebniffen im Parlament 
unb in ber geftung plaubern 511 hören, bann fann man nur hoffen, bafS 
er unS einft feine ©temorabilien nicht oorenthalteu loerbe. 9Jur SineS miß ich 
über ihn als 9Raun ber Xfeat feigen: er gehört ju jenen menigen, ju jenen 
einzigen SRenfchen, benen bie ©olitif beit ©harafter nicht oerborbeu h at - 
©rauche ich bafür einen anberen ©emeiS anjuführen, als bafS er bas 
©chidfal aßer ähnlichen ©eifter theilt: bie fchliefelidje Sereinfamung? 

XafS ihn biefe ©ereinfamung auch auf bem anberen ©ebiete feines 
SBirfenS, bem poetifchen, getroffen h a ^f *><*3 barf auch nicht SBtmber nehmen. 
Xenn auch Snr breiteren SSirfung ber Sfunft gehört eine Slrt oon ©olitif, bie 


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254 


SRicfyarb o. ftralif. 


nicht eine« jeben Sache ift. 25er Zünftler, ber. anerfannt fein miü, rnufS 
nicht nur ffünftler fein, fonbern auch ©efchäftSmann, §änbler, ©peculant, 
Ausrufer, Sermittter K. f ja, er rnufS minbeftenS bie Hälfte feiner ©nergie 
nnb $eit biefem ©efchäftSameige mibmen. 9Rit Stecht haben banint ©. greptag 
unb 2B. ©euerer in ihren poetifdjen Anleitungen auch biefe ©eite ber 
$fthetif berührt. Aber ach, wein lieber Xrabert, mir merben in biefer 
©ejiehung halt immer etmaS rücfftänbig bleiben! 3a, ich Wage mich emfttich 
an, bafS ich bity biö^er noch nie öffentlich gelobt habe, fo fehr eS mir mein 
^erj gebot. Aber, marnm hab ich’S öerfäumt? Sielleicht aus gurdjt, bafS bu 
mich bafür mieber lobft nnb mir bei beit ehrlichen ÜJienjchen in ben Serbacht 
ber unreblichen Sameraberei fommen! flpinmeg mit biefer geigbeit! 3$ min 
oon nun an nur meinem 4>erjen unb meiner Pflicht folgen. 

2 Bemt ich alfo mit ber @^rlic^feit eines ©efchmomen über meine 
äfthetifchen ©inbrüefe urtheilen foH, fo rnufS ich oor allem ben 2)ramatifer 
oom Steriler trennen. Irabert hat $mei Süfjnengebichte veröffentlicht, eine 
©lifabeth oon Shüriagen unb eineu Sfaifer 3uliait ben Abtrünnigen. Seibe 
finb in großem ©til gehalten, unb mich $ieht an jenem befonberS ein romau* 
tifcher ßug an, ber hauptfächlich in ber ©eftalt beS alten 3aubererS unb 
©ängerS fflingfor junt AuSbrucfe !ommt, in biefem ber ©ebanfe, bie 
£>anblung burch ein bcrbrealiftifcheS £>öflenparlament einjuleiten. Aber bie 
volle Serfönüchteit beS 25id)terS fiitbe ich hoch uic^t hier, auch nicht feine 
ooHe $unft, vielleicht beSßalb, meit Srabert burch bie Ungunft ber 3eit non 
ber praftifdjen Sühne auSgefchloffen blieb, meil feine ©tücfe nur bie oor* 
läufigen Xalentproben eines anSficbtSlofen 3bealiften bebeuten. 6r !ann 
ficb unmöglich auf ber Sül)ne, mie fie jept nun leiber einmal ift, $u £>aufe 
fühlen. XaS fann feiner oon uttS. 

©anj ju £aufe ift er oielmehr im ©ebiet ber fitjrif. Unb bieS ©ebiet 
ift fein befchränlteS, eS umfafst bie objectioe, epifche Sallabe ebenfo mie baS 
aüerperfönlichfte 3Komentbilb, ben 9taturfelbftbrucf beS bidjterifchen ©emütheS. 
Aber fo reich feine ganje lonleiter, fein garbenfaften ift, er experimentiert 
unb coquettiert nicht mit jmeifelhaften, nnmahren unb unechten Abarten 
ber Iprifchen ©attung, nein, menn ich ein 2Rufterbeifpiel für baS geben 
foHte, maS ich iw reinften, oollften unb echteften Sinne für Iprifcf) 
erachte, nach ben ftrengften nnb höchften ©efepen ber Sunft, fo müfSte ich 
nichts XreffenbereS anjuführen als bie brei Sänbchen, bie als „2)eutfche 
©ebichte auS Öfterreich" in granffurt a. 3W. (®. SBenbel) 1888—1889 
erfchienen finb. ®S mag vielleicht gefeiltere unb gepufctere ßprifer geben, 
maS aber jene Urfprünglichfeit betrifft, mit ber fich eine volle unb reiche 
Serfönlichfeit in ungebrochenem unb einheitlichem Strome ergießt, fich felber 


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9tbam Xrabert. 


255 


unb feine Überzeugung oofl auSteben läfst, fo müfste ich meinem Siebter 
mobt äße antifen unb mittelaftertidjen Eoflegen an bie ©eite zu fefcen, aber 
nur menige moberne. ©emijS ganz Kain unb otjne naebabmen zu maßen, gibt 
Xrabert unS unb unferent EulturfreiS, unferer 3ett eben baS, maS bie 
9ttten ihren größeren ober Heineren Greifen gaben, nämticb ficb felber unb 
i^re perfönticbe ungefdjntinfte ©teßung zur 3eit, z u ib*er s 45otitif, zu ihrem 
©olf, zu feiner ©efebiebte, feinem ©tauben. 

Irabert ift Öfterreicber, nicht bur<b ©eburt, fonbern bureb SEBabt, unb 
Zmar nicht bureb Z u fäflige SBabl, fonbern aus Politiker Überzeugung. 91 iS 
Jperotb biefer Überzeugung tritt er oor ganz Öfterreicb biu. 3 n bem erften 
%ty\{ feiner ©ebidjte, ben „©cbmertliebern eines 3 riebfamen", 
befebmört er zu biefem 3 mecf bie ffiergangenbeit. 6 r ruft bie lobten auf, 
fie foßen ihm fegnenb baS ©eteite geben, fie foflen ihre f>elbengräber öffnen 
unb ibm helfen, für bie beutfdje ©enbung ÖfterreicbS z u Saugen. 9Rit Stecht 
fiebt er biefe ©enbung in ber lürfenzeit begrünbet, im Sorfampfe ber 
cbriftticben Dftmarf gegen ben 9tnfturm beS 3#tom, in jenem Kampfe, ber 
auch bie mehr als nationale ©ebeutung beS beutfeben SJaifertbumS zur 
©ettung brachte. Söfttid) fomrnt baS in feinem ©tubententieb zum 9luSbrucf: 

©agt, ihr ©ratfehen, fprecht, ihr ©eigen, 

9öarum heute benn fo ftummV 
SJiacht euch gar fo traurig fdjroeigen 
Stara ßJtuftafa’S ©ebrumm? 


SJht gefpalt’nem ©chäbelfnocben 
Siegt hier einer falt unb fdpoer; 

Ungern hat er beutfeb gefprochen, 

©öhmifd) fpricht er jefct nicht mehr. 

Steiner hier in unfer’m Streife 
Stampfte braoer hoch für 2Bien; 

©rüber, fpreebt jur frimmelsreife 

$)’rum ein „Otce nas“ (©ater unfer) für ihn. 

©o finb aße biefe biftorifeben ©aflaben ooß actueflen SebenS, feine 
Sirtuofenfünfte. SEBie fpmboliftifcb im beften ©inn ift jenes „ffinberfpiet" 
aus ber lürfenzeit: 

9lm Äohlmarft fafcen bei Sehnt unb ©anb 
3 roei Mnaben im frohen ©piele; 

©ie fchnitten fich ©täbeben mit emfiger Jpanb 
Unb festen in T S ©räblein bie ÜJliihle. 

$ann fchleppten fie flinf beS 9BafierS herbei 
Unb füllten gefchäftig ben ©raben. 


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256 


SHicbarb o. ftralif. 


Da fällt bic ©ombe. (£in banger Sekret 
©eilt ringS: C roef), ben ftnaben! 

Die aber fehreefte nicht ber Scbrecf; 

Sie lachten aus ^e^enSgrunbe, 

Dann liefen fie beibe $ur ©ombe feef 
Unb löfebten mit Gaffer bie 2unte. 

Unb als erlofcben bie 2unte mar. 

Da fließen fie roieber jum Spiele; 

Unb feböpften ©Öaffer uom ©rünnlein flar 
Unb liefeen fid) breben bie ©tiible. 

e®iit ooHeS Sinnbilb beS 2ebenS, befonberS beS aUju forglofen SBiener 
SebenS! 

@0115 actuett fteüt ficb and) ber Dieter in ben ©ugen=2iebern: 

©or beinern ©ilbe neig’ ich 
Die 2aute, ©rin$ ©ugen! 

3 u beinern *Rubme febroeig’ icb; 

©BaS follt’ auch ihr ©etönV 


Dreut Unbeil jetU, fo tret’ icb 
3 u bir, bicb anjufeb’n, 

Unb feudjten S iluges bet’ icb: 

©od) einen, Jperr, roie ben! 

Sbenfo riiftig unb lebettbig befingt unfer Dieter bie ©elbfcbnäbel üon 
ftotin, £abifS 3ug nach ©erlin unb äbnlicbc Dinge, bie bie ßfterreicber 
aus Slücfficbt für ihre einzigen ©cgner 31 t oergeffen fueben. Dem Sieger 
oon Slfpern, bem gelben oon Seipjig uttb bem ©ater Sftabepfp baut er auch 
ein Denfmal, icb »iß nicht übertreibcitb fagen, bauernber als ©rj, auch 
tnill icb nicht leugnen, bafS eS möglich toäre, ben ©uSbrucf, baS Silb 
manchmal oirtuofer $u prägen; aber fo im 3 ufammenbcmg & c g © a njen, unb 
baS ift ja bie £>auptjacbe, finb bie gelben ber öfterreiebifeben ©efebiebte nie 
oerftäitbniSOoUer aufgefafSt morbeit, als Dräger einer äJtiffion, bie noch 
immer fortbauert. Unb babei boeb, melcbe echt poetifeben ©ilber! So, meint 
ber Dichter am Sage oon ©uftojja bie ©ifion bat: 

©or ber ©urg ift mir’S gefächen, 

DafS ich bamalS tonnte fefyen, 

©Bie baS Stanbbilb ftarl’S fid) rührt. 

Dreimal tbät’S bie ^abne febmenfen, 

Dreimal fie $ur ©rbe fenfen, 

©Bie man Siegern falutiert. 


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Wbam Xrabert. 


257 


SÖic uolfSthümlid) beginnt fein Sieb an ftöniggrei^: 

C, ftöniggräb, wer bein gebenft, 

$öie roirb bein bang *u ©tute! 

$ein weitet Selb, es ift getränft 
©tit CftreichS rotem ©lute. 

(Sin fterbeuber $eutfd)er, ein ©öfjme nnb ein ©tagtjar ergeben nun ihre 
Silagen. Srefflidjer fann man bie ©cbeutung beS JageS nicht oerbilblichen. 
freilich auch nidjt peinlicher. Slber eS ift palt fo, mag man bie Dt)ren 
juhalten ober nicht, ©emaltig beutet ein „©olbatenfbruch" ben Singer ber 
göttlichen ©erecfjtigfeit; 

3 itt’re nicht, mein Üfterreich, 

X)u fo fchmer bebrohtes, 

©liefe nicht fo (chrecfenSbleich 
3n ber ©acht beS Xobes! 

©un beutet er an, roarum Sllbrecht ben Italienern gegenüber fiegte, 
marum baS Seib öoit ©aboma erfolgen muffte, imb fchliefet: 

©otteS 3ncht mar biefer ftrieg; 

§öre fein Grmahnen, 

Unb es mirb bir ©ieg auf Sieg 
3 n bes ©echtes Bahnen. 

©ebeutfam mirb biefe ©Mahnung einem Krieger, ber oon ©uftojja her 
nach bem korben fommt, in ben 9©unb gelegt. S)er dichter finbet aber 
bie fchönfte Söfung für all' bie$ Seib in ber „©ache für ©aboma": 

©ergab mohl je ben Xobesftreich, 

©ter ihn empfieng unb hoch genas? 

Unb glaubft bu hoch, o beutfdjeS ©eich, 

X)afS Cftreich Saboroa’s oergafe? 

©ergeffen ift bie ©ache nicht, 

Db noch fo tief in’S §erj oerfenlt; 

Ginft mirb fie fommen ftolj ans Sicht, 

$od) anberS, als ihr braufeen benlt. 

©tenn euch einft Jeinbe rings bebreun 
Unb einfam euer ©anner meht, 

X)ann mirb eS bieS mein Cftreich fein, 

XaS mie bei Seipjig bei euch fteht. 

3 u Schub unb Xru&e mie bei euch, 

Unb ihr auch unS jur S>ilfe nah, 

X)aS foll — o hör’ eS, beutfehes ©eich — 

$ie ©ache fein für Saboma. 

$ie Kultur. III. 3o*rfl., 4. $eft. (1902.) 17 


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258 


föicbarb o. Äralif. 


Unb ähnlich fagt er in bcn @tra&burg*@onetten: 

2 Bir bitten 6 runb unb buben hoch oergeben. 

©o fmb e3 mir, bic hier ba3 Opfer bringen; 

£)ocb anber3 läf3t fid> nicht ber £>af3 bedingen, 

9113 bafe er ftreunbfcbaft roirb auf lob unb ßeben. 

9lber mobin !änte i<h, menn icb mich nicht lo3reifjen moHte mm atT 
bem, ma3 tnicb auch in ben folgenben 3eitgebicbten au3 ben ©iebjiger* unb 
ÄcbtjigersSabrcn toeft, ju öermeilen. 3dj mieberbole nur noch einmal: ba3 
ift bie richtige 5lrt, mie ber Steifer fich ju feiner 3*it ju ftetlen b a t< ©o 
bat ber alte ©olon, fo SBaltber oon ber Sogelmeibe, fo bie Xroubabour3, 
fo noch fftopftoef in feinen Oben, fo julefet ©rittparjer fein SBort erhoben, 
alle in ihrer SBeife, Irabert in ber feinen. |>ören mir nur noch fein 
©dbtuf3mort; 

Unb foU ich euch fingen mein üieblingslieb? 

ÜRir flingt’3 au3 bem ©tern, ber ba broben jiebt, 

2Jtir fäufelts im Jlüftern ber 5rübling3nacbt, 

9Wir tönte au3 bem ©türme, ber bröbnenb erroaebt, 
üftir brauft3 in bem freien bem ©trome gleich*. 

£>ocb Cfterreicb! 

„6 in äRenfchenleben", bietet ber dichter im jmeiten X^eite feiner 
Sammlung. 63 finb fubjectioe löne, ber ßiebe unb Srauer, bie b^ cr 
angefchlagen merben: 

ÜJtancben, ber mich anbere fanrtte, 

ÜJtag befremben biefer Zon, 

91ber, roo bie Sana brannte, 

Sliibt nicht auch bie HHebe fchonV 

63 ift lauter SBabre3, 6rlebte3 unb 6rfübtte3, 6cbte3 unb Iücbtige3, 
ma3 hier in fräftiger, geraber, einfacher unb treuer Sßeife jur 9lu3fprache 
fommt. Unb fo ift e3 recht. $ie 2prif ift ba3 ©ebiet ber Stealiftif, fie 
foö nur tbatfächlichc 6rfabrung geben, fie foß nur formen unb bilben, nicht 
erfinben unb erlügen, mie ber SRomanfcbreiber. ®ie Sb an ^ a fi c # ber ®cift bat 
babei noch genug ju tbun, mie etma in folgenbem fdjön gefchliffenen Spruche: 

©ticb ber Söefpe macht Sefcbmerbe, 

©chmerjt unb brennt mie glübenb 6 r 3 ; 

6 rbe b’rauf! Xer fühlen 6 rbe 
9tur ein rcenig heilt ben ©cbmerj. 

^erj, gebulbe bicb ju märten; 

6 nben mirb auch bir ba3 i*eib, 

32enn man bort im füllen (harten 
6 inft auf bich bie 6 rbe ftreut. 


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91bam Xrabert. 


259 


Sieben fann unfer Xrabert trofc betn oerliebteften 9Rinnefänger. 3dj 
(affe iljn nur fo einige Siebanfänge trällern, mehr nid)t, fonft fönnte ntan’S 
übet neunten: 

^Beleben $8oten fenb’ i<b aus, 

2JUr mein Sieb ju grüben? — 

9tm 3öeg jur Siebften fted ich mir 
©in StöSlein auf ben iput; 

©o fomm’ ich, roie ber Sen$ ju ihr 
Umftrablt oon Otofenglut. — 

93on taufenb Vögeln umfungen, 

93on taufenb Blumen umblübt, 

93on meifeen Firmen umfcblungen, 

2) ie freien oon Suft burebglübt, 

0, bleibe fo febön, bu ^errlic^e SBelt, 

3) ie mir ber Fimmel jur greube befteüt. — 

3n ben ©rübeben beiner Sföangen 
Sachen ©ngel, bolbe^ Einb! — 

&ber ber fflttnnefänger toirb jum Stittertoocbenebegemabl unb muf£ 
halb SEBiegentieber für feine fiinber bienten, ©ein ©efang übertönt alles 
Seibige: y 

©£ mag bann fommen, roa$ ba null; 

Jrau ©orge finge noch fo fcbrill. — 

2 tber nicht nur feine ©etiebte befingt ber dichter, auch We Freiheit, 
bie febönfte aller Sräute; ihr b<U ** ficb cinft in ©türm unb 5)rang 
jugetoanbt, halb freilich üon ben Orgien feiner Sameraben angetoibert. ©r 
läfSt uns fo ben äJerfaffungSfampf in Reffen 1850, feine ungerechte öer* 
urtheitung, feine enbtiche ^Rehabilitierung mit erleben, er erhebt uns $u 
eblen Siegungen be£ SerjeibenS, ber Klärung: 

3b* 2Borte bee 3omes, o, feib oerroebt! 

Unb: 

5Bir mären fcbulbig hüben, brüben. 

®er Stecht^bnich oon 1866 treibt ihn aus feinem Satertanbe, auS 
finrheffen. 

5)aS ©cbicffal ift gefommen: 

21Ubeutfcblanb$ SBunb ^erbrach 
Unb jog in feinem $alle 
2lucb bicb, mein Reffen, nach. 

bleibt mein Xroft ber ©teefen, 

2luf bem ich ritt als Einb. 

Stun benn, fo null ich roanbern 
9JUt ihm in ©türm unb 3Binb. 

17 * 


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260 


>Hid)arb o. ftralif. 


s )lutt fort, mein Steden, roeiter! 

'DaS Scbidfal fdjreitet mit; 

So glüdlid) roerb’ id) nimmer, 

^ie einft id) auf bir ritt. 

@r fann jene aieid^jerfcfyteiber nicht berfte^en: 

$ie baS ^Hcid) beS ^oppelaarS 
blutig abgef dritten. 

(Einheit nennt ibr’s; Xbeüung roar’S, 

Dod) — ihr babt’S gelitten. 

3n baS ferne $onautbal 
ßiebt eS mich, ben Sflüben, 
m ben alten Mxiferfaal 
Sllte Jtobnen ^üten. 

Jyabnen fdpoarj oom ^uloerraud) 

Ungezählter Sd)lad)ten —, 

$)eutfd)e Zitaten- roaren’S auch, 

<$ie ne einft oollbracbten. 

Xer ©rofjbeutfcbe toirb nun auch ein ©rofeöfterreicber, beffer unb 
coujequenter al« mir aOe. $a« ift fein Programm: 

®lit tft’reidis geinben fityn mid) fragen, 

3Jtit ©zed)en unb s $olen mid) gern oertragen, 

2Jtit Ungarn fte^n für^ ganze *Heid) 

Unb für bas 9ied)t ber Golfer zugleich; 

^LülTe ©ott, auch mit ben 3)eutfdjen braufeen 
$ie freeben-^öreeber beS ^riebenS jaufen — 

$)aS nenn' icb ein Sprüchlein oon gutem Mang; 

©ott lafS es gelten mein öeben lang. 

6 r toeifc eS gar gut, tooran bie Dfterreicber franfen: 

Sie fcbelten als fauer jum SJtogenrübren 
Z)it Traube, bie föftlidj reift babeim; 

Z)it Leeren, bie braufeen ben $>ornbufd) gieren, 

Sinb ihnen fiifeer als fronigfeim; 

3a, finben fic ftotb bort hinter ben fceden, 

So glauben fte laut'reS ©olb zu entbeden; 

Unb biebtet ein Lügner zu Öfterreid)S Schmach, 

So betet’S ihr gläubiger ©ifer nach- 

2 lbcr „tro^adebem" fingt er: 

s J)tir ruht in jeber !$erzenSfalte 
©in Stüd oon bir, o Üfterreid)! 

Unb menn ich bid) als mein behalte, 

So ift mir alles anbre gleich. 


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91bam Xrabert. 


2(>1 

Xa£ ©ebeutfamfte in bcr (Sntroicftung Xrabert’S fc^cint mir aber 51 t 
fein, baf3 ifjn ebenfo mie cinft ©örreS nnb manche 3tomantifer erft ba£ 
Scbcn mit notbmenbiger ©onfequenj jum lange oernacbläffigten ©tauben 
jurücffü^rte. (Sr, ber bie greibeitsfabne gefcbtoungen, ber bic 9tecf)t3ftanbarte 
bodbgebalten, ftet)t noch auf bem alten Stanbpunft, nur Ijat er im großen 
mettgefdjicfitttcfjen ^SrocefS, ber ihn felber arg genug mitgenommen, bie 
Äirdje afö ben alleinigen £ort oon greibeit unb Stecht erfannt; baS brücft 
er meifterbaft in ben „Sanoffa" überfdjriebeueit Sonetten au£. 6 $ fcbmerjt 
mich, baf£ id) fic nicht äße tytx mittbeilen fanu. 9lber, toer mein greunb 
bleiben miß, ber foß fie im ®ucbe nadjtefen, bebenfeu unb anberen oorlefen. 

„9Jacb äman^ig gabren" ber grembe manbert ber Siebter mieber 
einmal im ©eifte in bie $eimat. (Srgreifenb unb erfcbütternb ift e3, toie er 
ficb nach feinem gulbatbal febut. Schon fiebt er bie 9l^ön leuchten; aber 
er miß nicht laut jauchen, um ba3 SReb iw ber Scblucbt nicht flu ftöreu, 
er miß nur ben |>ut fcbmeufen unb leife gri'tften: 

©ott fegne, ©ott fegne oiel taufenbntal 
Mein gulbatbal! 

£rop ber gan$ mobernen 2 lrt biefe* ©ebicbtö gemahnt bocb im 
beften Sinne an jenes berühmte „D meb" SBaltber’S oon ber Sogelmcibe, 
mit bem er nach langer 3 eit feine $eimat begrübt. ©an$ im ©eifte jener 
unferer mabren Meifter unb ftlaffifer beS Mittelalters finb auch bie „Sebent 
regeln" beS folgeuben (afonifeben Spruches: 

©ig’ne $Ciirbe befter Wbel. 

Sei ein bitter ohne Tabel; 

2 öo gefehlt bein heißet s -8lut, 

Mach eS biifeenb mieber gut. 

Mige bid) oor roahrer ©röfce; 

^ede gern beS anber’n $Möfee: 

9tur bicb felbft ju feiner Tvrift 
heuchle gröfeer als bu bift. 

Kämpfe nieber aßeS Schlechte: 

©alte feft am guten Dtechte: 

Sei ber Schroachen Schub unb Scbilb; 
dichte ftreng, bod) ftrafe milb. 

Mehr als aßes b a f$’ bie l?iige. 

^riide feinen, feinen trüge, 

Cohn unb Ceiftung holte gleid). 

9tur bureb Arbeit roerbe reich. 

S3iele merben hoch bicb fdjelten. 

3>ieS mit gleidjent *u oergelten, 


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262 


SHidjarb o. $ralif. 


Unterlage feft unb flug. 

Sluch aücin fei bir genug. 

SBie gefagt, baS !ann nur mit ber aHerbeften ©nontif beS 9KittelalterS 
unb beS griechifefjen SUterthumS bergigen toerben. £ie!)er gehört auch bie 
fdjöne, breit ausgeführte Parabel, in ber „$af$ unb Siebe" als baS 
ähnlidjfte ©efchtmfterpaar gefd)tlbert tuirb. 

®ie lefcte Sammlung „Xröfteinfamfeit" ergänzt bie beiben früheren 
nach mancher ©eite: 

SPtein ftilleS JpauS am ©rabeSranb, 

Xröft;©infamfeit, fo fei ’S genannt. 

Xröft-©infamfeit! £>ier tretet ein, 

3h* lebten Xage, bie noch mein. 

ÜJtein Seben mar ein SBaffengang 
9Jtebr al§ ein halb 3ah*hunbert lang. 

Qd) bab geforgt, gefämpft, gemacht 
Unb feiten auch an mich gebucht. 

©in ich beShalb fo ganz allein; 

9lur mein (Erinnern ift noch mein ; 

3hr aber, meine Sieber, feib 
9Jtein Xroft in allem ©rbenleib. 

XMe Stjra beS X)ichterS begleitet immerfort lebenbig bie ©reigniffe beS 
XageS unb gibt ihnen Xiefe unb ©ebeutung. SBie treffenb ift jurn Seifpiel 
baS ©ebidht an baS neue 9teichSrath$gebäube in SBieit: 

Stolzes §eim ber Parlamente, 

J&at uns biefer Säulen Pracht, 

X)iefen ©lanj ber ÜJtarmorroänbe 
©in Hellene fühn erbacht? 


SllleS ©bie ruht im Ptafee, 
PolfSoertreter, lernt eS hier, 

Unb ber mafeloS oben Phrafe 
Schliefet, o fchliefet bie Pforten ihr. 


s Jtur fo lang eS feine ©ötter 
©hrte, mar Slchaia grofe; 

3u zerftören ift ber Spötter, 

X)er Perneiner büftreS SoS. 

©S ift fein SBunber, toenn unfer rüftiger SBanberer enblidh einmal 
etmaS „rnttbe" ttnrb, mie er in einem feiner aKerfchönften Sieber fingt: 
©eroanbert bin ich fo oiel unb roeit; 

X)och nun, ich fühl’S, ift Schlafenszeit. 


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Slbam Xrabert. 


263 


Dem (Seifte wirb ba$ teufen ferner, 

Slucb ifjn but alt fein ipin uitb &et* 

Schon müb’ gemacht. 

Der Schlummer fommt, als roär’S ein Scbroan 
Unb trüge fanft mich himmelan, 
geh möchte fo ju (Sott einft geb’n; 

SBie.rocire ba ber lob fo fdjön. 

0 SBelt, gut’ Stacht! 

Doch bflb’ ich nieleö noch ju tbun, 

Drum fegne, (Sott, mein furjeS Stub’n; 

8 afS mir beS Schaffens greubigfeit, 

Die mir be$ Gebens 8uft unb 8eib 
So lieb gemacht. 

Stein, er ermübet boeb nicht, ©leicb erjebmingt er ficb tmeber ju einem 
Dithyrambus „2lm Ufer ber Slbria", ber geugin ber Siege Don Öepanto 
unb Üiffa: 

geh greif’ in beine bentant’ne glut, 

Slls fönnt’ icb mit Joimmelsgemalten, 

Den Banben beS .taiferS ju treuer §ut, 

Stuf emig bicb faffen unb batten. 

Die ftrone ber SBeltberrfcbaft rubt 
gn biefer glut. 

ftöftlicb ^eiebnet er bann baS politifebe ©etriebe: 

. Wahltag ift. (Sin Schürfe, wer 

feilte magt ju febten. 
frommt, (Seoatter, fefct euch b^ r » 

!pelft bie Stimmen wählen. 

(Srofemaul brifet baS gelbgefcbrei, 

Stieber bie geubalen! 
lieber auch bie frlenfei! 

Sieg ben liberalen! 

(Srofemaul boeb! Das ift ber Jpelb, 

Umjufneten Staat unb SBelt. 

Stiebt eben erbebettb ift fein gacit beS SBeltgetriebeS: 

„Die SBeltgefcpicbte ift bas SBeltgericbt", 
geh glaub’ es nicht. 

Denn mit bem (Suten gebt in feine ©ruft 
Slucb mancher Schuft, 

Der fein (Seraubtes burfte mehren 
Unb froh oerjehren. 

Stm (Srabftein aber fteht ju tefen, 

©r fa ein ©bler unb geliebt gemefen. 


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264 


WidKirb u. Uratif. 


Der Dichter f)at eben gar 511 rnel ÜbleS gefehen imb erfahren: 

Unb foll id) bir faßen, mein guter ftreunb, 

SöaS mir ber Übel größtes febeint? 

©cbulmeifterlein, baS fid) als Feuchte ber 9LBelt 
5vur flüger als feinen 'Pfarrer hält, 

Unb 'Pfäfflein, bas beS ©laubenS bar 
Dod) ftebt im Slmt am Hochaltar. 

(Sr toeift, toeldjeS „Drifolium" bie SBelt regiert: 

©S ift uralte SKcgel 

Unb regt mir oft ben 3<> r n: 

Der Dummfopf unb ber Riegel 
Steb’n aller Orten oorn. 

Oft bat fid) ju ben Qroeien 
Dev (Gauner auch gefeilt, 

Dann rufen fte ju breien: 

£0 foll fid) breb’n bie SBelt! 

9Xber trofcbem läfSt ficb ber Sänger bie Suft nicht oergäßett, noch 
manches faftige Drinflieb unb SKinnclieb anjuftimmen ober am liebften ein 
f räftigeS ©treitlieb: 

Fimmel, gib mir 5 r öl)üd)feit, 

Dafs id) luftig finge, 

Ober aud) ein neues i'eib, 

DafS id) mit il)m ringe. 
s Jtid)t ein feig erfd)lid)’neS ©lücf, 

Stampf ift’S, ums id) mäblc. 

Mpn ^ur Sonne ftrebt ber ©litf 
©iner freien Seele. 

Straftig richtet er feine „Slbfageu" ttacb liufS unb nach rechts, fc^eut 
fid) nicht, ben „©eftgebafsten" fich jut ©eite $u fteflen; fein „fröhliches 
©entüth" ift in aller politifchen unb litterarifdjen ©eretnfamuitg nicht umju' 
bringen, er böt ja feine ©ach' nicht auf bie SBelt gefteflt, auch nicht auf 
„nichts", fonbern auf einen ©runb, ber ihm jebe anbere ©tüfce entbehrlich 
fcheinett läfSt. 

Slucb ©ott, ben nod) fein Sluge fab, 

SBar boeb oon allem Slnfang ba 
Unb bleibt aud) nach beut ©nbe. 

Das öeben unb ber lob ift fein, 

Unb roas er mir oerlieb als mein, 

3d) leg’S in feine Jpänbe. 

© 0 , baS ift mieber nnfer ganzer Dichter, echt unb gerabe, ohne 
Ducfmäuferei, tuie ohne Schtoulft unb Überlegenheit auch feinem Herrgott 
gegenüber, auch hier ein fvifcher, freier, froher unb frommer, beutfeher 
(ihriftenmenfeh- 


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©baut Drabert. 


265 


SBcnn ich 511m Schluffe Slbarn Drabert recht cßarafteriftifd) ctaffificieren 
unb in bie Sitteraturgefchicßte einreihen foß, fo möchte ich ißn unter unferen 
3eitgenoffen einem aus ber gegnerifeßen Schule Dergleichen unb gegenüber* 
(teilen, nämlich bem moßlbefannten DetteD D. Siliencron, bem größten Talent 
ber mobernen Schule. Sitiencron hat mie Drabert erft (pät publiciert, ift 
erft fpät berühmt morben. populär iu gemiffent Sinn mürbe er erft 
burch eine beifpiellofe 8lnftrengung ber ganzen mobernen ©enoffenfeßaft. ©r 
ift nur eben ein claffifcßeS ©eifpiet bafür, mie ferner auch baS echte Serbienft 
burchbringeit fantt. Dß nc SKitßitfe- niemals. 6rft ein ©ierteljaßrhunbert 
nach 1870 höben bie Deutfcßen in Siliencron ben eigentlichen „$omer" 
biefeS meltgefchichtlichen ©reigtüffeS ju erfennen geglaubt. Drabert aber mirb 
einft, baS fteßt für mich feft, als ber berufene „DßrtäuS" ber noch Diel 
bramatifeßeren Mataftropße Don 1866 erfannt merben ntüffen. Die ganje 
©ebeutung beS beutfehen ©unbeS gegenüber bem alten ^eiligen ©eid), 
bie Schulb ber ©coolutionen in biefem Sunbe, Dor allem ber politifcße 
fehler, bie tragifche Schulb oon 1864, bie fich bann fogleich an Öfterreich 
rächte, bie bis auf ben heutigen Dag mährenben, noch ungelösten Solgen 
eines ber fchicffalfchmerften ©ecßtSbriicße, all baS ^at an Drabert nicht nur 
einen tiefoerftänbigen dichter, einen Seher, fonbern auch einen baS rechte 
SBort treffenben §erolb gefuttben. $cß miß, um bieS ©ilb 511 oerooH* 
ftänbigen, hier noch ein ©ebießt „Der beutfeße ©unb" nachtragen. 


3 n fchmeren Ungliidstagen, 

C hartes ©eh ber Seit! 

Da roarb zerftiidt, zerfd) lagen 
DeS Reiches N?errlid)feit. 


Unb aus beS Reichs Ruinen, 
9 lus älter ©ttffethat 
Jvieng herrlich an ju grünen 
DeS JrriebenS junge Saat. 


Doch als es lag zertrümmert 
©iS in ben tiefften ©runb, 
ffiarb uns ein ©au gezimmert, 
Das mar ber beutfeße ©unb. 

3nmr flammte 00m Mtjffbäufer 
Mein Jreubcnfeuer her, 

Denn aeß, ber Stuhl ber Mai [er 
©lieb umgeftiirzt unb leer. 

Docß toarb ein ©ing ber Treue 
WUbeutfcßlanbS fefter ©kill, 

DafS fld) bie milfcßheit fdteue, 
3u ftnnen ben 3erfall. 

Unb bazu fpraeß fein ©men 
©lein ©olt mit fterz unb s J©unb; 
©S fpraeß: 3 n ©ottcS ©amen 
©efegnet fei ber ©unb! 


Da gab’S ein frohes ©egen 
3nt Tßal unb auf ber ©Int; 
Die Arbeit unb ihr Segen 
SdjofS ntäcßtig in ben Joalttt. 

©s ftanben bie ©efeilen 
Um ißren ÜJteifter froß, 

Unb ju ber Kammer ©eilen 
Mlang freubig ißr !paUoß. 

©ie ba auf feiner Scßolle 
So ftolz ber ©auer faß, 

Weil ©inb unb Sd)af unb ©Solle 
©od) nießt ber 3iuS ißnt fraß. 

©oeß nießt in ©kiffen ftarrte 
DaS ©olt oon i*anb zu iktnb, 
Unb 100 bas ©öfslein feßarrte, 
©kir’S an ben ©flug gefpannt. 


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266 


Wicbatb o. ftralif. 


Mein äüölfeben bodj beS 3agenS, 
$kmn wo ben getnb nur fabn; 
Xie Düpp’ler Sdjan&en fagcn’S, 
s llkr bort ben ©türm getban. 

Wein ScbleSrotg meerumfcblungen, 
fBie haben mir bicb bei& 
Umroorben unb errungen, 

Tod) fdpoer gezahlt ben preis. 


1)enn aus bem ^orbeerfranje 
3Barb ein Spprejfenfranj 
Unb aus bem SiegeStanje 
Stfarb unS ein lobtentanj. 

$>ocb ftül, mein Sieb, beflage 
Wicht groüenb ba$ ©efdjid; 
MbeutfchlanbS golb’ne Xage 
©ibt unS fein ©ott juritd. 


2>ocb bafS fo jähe Söenbe 
©ebraebt ber erfte Streich — 

UnS alle traf baS Snbe 
Unb unf’re Sdpüb ift gleich. 

SS ift oon propbetifcher Pebeutfamfeit, bafS biefer dichter ber Xragif 
beutfeber Einheit fein Österreicher unb fein preufee, fonbern ein gleicbfant 
oatertanbSlofer Surbeffe fein mufste. geh weife, bafS ich biemit bem 
Warnen Srabert'S eine Pebeutung gebe, bie ib«t nicht einmal bei feinen 
näcbfteu ©efinnungSgenoffen wirb, nicht bei Öfterreichern, nicht bei Satbolifen. 
2lber baS irrt mich nicht, benn ich weife, bafS biefe Slnerfennung erft bann 
eintreten fann, wenn fich bie politifcben s 2lnfchauungen über jene Stotaftropbe 
Pon ©runb aus geflärt haben werben! 2>aS ift aber im gegenwärtigen 
^uftanb mangelnben ©leicbgewicbteS, bewaffneten griebenS, ungelöster pro* 
bleme ganj unb gar unmöglich, wenigftenS bei ben Waffen, Sin^elne mögen 
fich wohl fchon ju freierer Slnficbt burchringen. ^ebenfalls werben unfere 
bentfehen Prüber biefe 9lrt Pon „aübeutfeber" ©efinnung unferem Säuger 
nicht übel nehmen bürfen. 

Sbenfo fteben bie SluSficbten für rafche 9lnerfennung auf rein äftbetifchem 
©ebiete; benn ber potitif beS Erfolges ftebt b cu te auch eine $ftbetif beS 
Erfolges jur Seite. Sin grofeer 2b c ^ beS beutfehen PolfeS, wo$u por 
allem bie Satbolifen gehören, bot fich nach biefem ©runbfafce einreben taffen, 
bafS er rüdftäubig unb inferior fei, weil er einfach Perfäumt bat, fich ben 
äufeeren Erfolg ju fiebern. WeroöS gemacht bureb baS SiegeSgefcbrei beS 
©egnerS, wirft biefe Schar ihre eigenen äöaffen weg unb ooüenbet bie 
Permeintliche Wieberlage burch Setbftmorb unb gegenfeitigeS ©emepel, 
ungefähr fo, wie mau Pon ben Simbent unb Seutonen erzählt. Slber 
feien wir gerecht! Irabert fann entfehieben nicht fo Piel wie bie Wobernen, 
was bie Xecbnif, bie Wache betrifft. Sr fann nicht zugleich Pierfach 
gereimte Sicilianen beclamieren, wäbreitb er eine brcttneitbe Petroleumlampe 
auf ber Wafe balancieren unb acht Weffingbälle in ber 2uft nmwirbeln 
läfst. $er Xemofrat Xrabert bat fich nicht wie ber altabelige greiberr 


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9lbam Drabert. 


267 


baju ^crgcgcbcn, fieiter eines ÜberbrettetS ju merbeit, um fo bcn ©rfolg 
aufs fjöcfjfte 51t fteigern. ®r hat nicht bic äJtobebichter anjufingen oerftanben, 
um öon ihnen mit in bcn ©arnafS gehoben ju merben; er hat fich nirgenbS 
oor benen gebeugt, bie ihn allenfalls ju politifchen 3mecfen förbern fonnten. 
3a, eS ift auch mahr, bafS Sitiencron unb feine ©enoffen bie Sprache, ben 
SerS, baS ©ilb unbebingter meiftern, fdjärfer prägen, fleißiger feilen. Slber 
man barf nicht jebeS non jebem verlangen. Sei jenen STOobernen ift bie 
Sprache, ber ©erS, baS ©ilb Selbftjmecf, bei Drabert nur ÜKittet ju 
höherem Stoetf; er miß unb barf eben nicht im ÜWittel fteefen bleiben, er 
barf nicht bie Dienerfdjar, unb menn eS auch ©belfnappeit mären, $u Sperren 
machen. # ©eine Öunft ift bie oornehmere, bie echtere, bie richtigere. Sluch 
als hiftorifcher dichter beS 3ahreS 1870 ift Siliencron im 9(ußerlichften 
fteefen geblieben, freilich auS ©riitcip. Die mobente Sunft miß ja nur 

ßteroenrei^e miebergeben; baS thut fie mit großer ©irtuofität unb artiftifcher 
©ifanterie. 9Wan hört eS jur 9lbmetf)Slung einmal gerne. 9lber ich S^eifle, 
ob biefe SBirfuitg auhalten mirb. ffiertooßer unb meniger mobifch Scheint 
mir bie Sßeife Drabert’S. SBahr ift auch onb jujugeben, bafS nicht jebeS 
©ebicht bei ihm ooflenbet ift, bafS ber SRcim, ber ©erS, ber WuSbrucf oft 
mibermißig jum Dienft gelungen mirb. Slber baS fomrnt mohi bei jenen 
©emunberten nicht oor? Söetcße ©imtlofigfeiten, melche Steirnamänge, melcße 
©ilberfrafce ift ihnen nicht fchon entfehlüpft! 3<h wer f e ih nen nicht oor, 
benn ich halte mich ans ©ofitioe unb ©tarfe, nicht ans -Jiegatioe unb 

©cßmache bei greunb mie bei geiitb. 3<h miß nicht ben fritifchen ©hör 

ber quafenben ©char im grofehpfuhl oermehren. 3ch tpiß oielmehr baju 

beitragen, bafS uitjere SReifter nicht aßju lange oerfamtt merben. Darum 
mögen benn jene bort ihres SfuhmeS ungefränft genießen. Du, mein Drabert, 
bebarfft beS 9tuhmeS freilich nicht, bir leuchten emigere Sterne. 2Iber mir 
brauchen bich wnb beiite enblicße Slnerfennung. Du haft nur beinern ©emiffeit 
gehorcht. 9luch uns fchlägt baS ©emiffen, bafS mir bich, nnferen eblen 
ßKeifter, fo laug iiberfehen unb oerrätherifch unb treulos nach frentben 
©teiftern gefdjielt haben. Du bift glütflich, bu h a ft beine Sache geleiftet. 
Du haft bein ©funb nicht oergraben. 2Bir empfangen es mit reichem 
SBucher oon bir. ©S ift nun an uns, bafiir ju forgen, bafS eS uitfere 
greunbe nicht jernagen, unfere geinbe nicht ftehlen, fonbern bafS eS erhalten 
bleibe als ein Schmuck unb ©efftein jener beutfcheit, oolfSthümlichen, chrift= 
liehen, aflumfaffenbeit Kultur, bie mir jmar noch nicht haben, an bereit ©au 
mir aber unermübet meiter arbeiten moßen. 



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Adam trabert 

311m 27. 1902. 

Bon B i rij rt r b fci. firaliii. 


jfls Österreichs und Preubens Jlar sich um den Königshorst 
c • Im deutschen Rain befehdeten und ringsum Seid und Sorst 
Erscholl vom Cärme des Gefechts 
Und alles Sedervolk sich duckte zagend, 


Kamst du, mein Crabert, von der Ressen Gau zu uns heran 
Und warfst dein (Dort als bied rer Sänger und als deutscher mann 
UJohl in die Schale guten Rechts, 
nicht nach der Palme des Erfolges fragend. 


nun freilich wiegt ein manneswort 

heut nimmermehr so viel wie Blut und Eisen. 

3edoch getrost! Es wirkt ja fort 

Und wird sich einst als mächtiger denn Erz und Stein erweisen. 
3a, wer’s erlebt, der wird s erfahren. Sieh’, wir haben Zeit. 

Du bist erst achtzig 3*hre alt: 

Uor dir steht noch ein Stück Unsterblichkeit. 



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Aus Crabeifs Gedichten. 

Die alte Öhr. 


jünben bie Rampen tm ©peifefaal, 
Den ftinbern, ben Jyreunben jum fröhlichen 
Wahl. 

Da plaubern mir froh, fo lang mir aüein, 
2 Bie unfer Einfang mar fo flein. 

$och unterm Dach ein Stübchen fchmal, 
DaS Jfenfter fo niebrig, bie s IDänbe fo fahl. 

(£in fcfchen am ©ange, baS mar bein £>erb; 
Der lopf barauf I)at’§ roenig befdjmert. 

Der Xeüer SJorrath — für uns nur jroei 
Itnb für ben 99 efudj noch Numero brei. 

($ar manchem, bem bu ben Xifch gebedt, 
Öat’S hoch uom britten leüer gefdpnedt. 

Die Stühle, fie maren ^art unb ferner, 
Unb !amft uon. feibenen Pfühlen boch her. 

s 2ßir aber hielten befcheiben §auS 
Unb fchmiidten baS freim unS langfam aus. 

Unb als nach mancher burchmadjten üiacht 
58 ir’S enblich jur erftem Uhr gebracht — 

„Tiftaf! Irttaf! Sie fdjlägt fogleich!" 
2 Bie fprachft bu baS s Bort fo froh, fo reich-‘ 

Unb als bu hörteft beS ®lödleinS Ion, 
üNie machte benftaifer fo glitdlich fein Ihron. 


Unb neuer Segen farn mehr unb mehr 
9 US hütt’ ihn bie Uhr gerufen her. 

Dann aber mürben bie 3 eiten fchmer: 
@S galt, $u fämpfen für Ütecht unb (*hr*. 

Unb roeü ich treu $um Wechte ftanb, 
®ieng mir oerloren mein Waterlanb. 

Die Uhr nur, bie alte, blieb mein unb bein; 
s ®e roeinteft bu bitter bet ihr aüein! 

s 2 öie haft bu bei ihres ($lödleinS Sllang 
Die Stunben gewählt fo lang, fo bang! . 

Da h^t mir Cfterreich gaftlich gemährt, 
UnS mieber ju griinben JpauS unb Jperb. 

Die Webenhügel, bie s 2 llpen fein, 

9(11 feine Ihaten finb jefct auch mein. ' 

üttein feiner ^rci^cit milber ©lanj, 

ÜJtein feiner Reiben Dornenfranj! 

Die Uhr, bie alte, hot ’3 miterlebt, 

Die jefct jum Schlagen ben Jammer hebt. 

Sie fiinbet mit hellem ©lodenUang: 
„ftein (£rbenleib mährt aü$u lang." 

Da fommen bie ©äfte! Der lifch ift gebedt; 
Wun jeigt ber ÜJlutter, mie gut’S euch fdpnedt. 




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270 


Nicbarb v. Kralit. 


Jdh komme, dich zu mitten« 


^om 2öalb umraufcbt, im üttonbenfcbein, 
©o lag ich unterm ^lieber; 

0 ^ugenbjeit, ich backte bein 
Unb rief: O fomme roieber! 

Xa fam bie $$ee im Nebelfleib 
Unb fprad): S)u follft fie haben; 

Nur mufSt bu in 93ergeffenbeit, 

$BaS je bu roarft, begraben. 

Xas traute 93ilb uom ©IternbauS, 

$)ie tollen Knabenftreicbe, 

Xzn KufS ber Sieb’ — löfcb’ aüe$ aus 
T?r«r baS, roaS id) bir reiche. 

TO ©lüd unb Seib löfcb’ auS $uoor; 
X'\x hilft mein leifer Ringer. 

Söfdf aus, wie bu geftürmt, o $bor, 

3)eS Unrechts feften 3roinger. 

Söfcb’ aus baS 2Seb, bu armer Ntann, 
Xa$ biefer ©turnt bir brachte, 

Unb tuie bie fluge SBelt bicb bann 
3m ©lenb laut nerlacbte. 


3«b aber rief: SBenueb! Vergeh! 

Xu Nebelbilb, jerftiebe! 

3cb bin ju reich für bicb, o ftee, 

TO Suft unb Seib unb Siebe. 

3>cb bab’ gefämpft, geliebt, gelebt, 

Unb roaS icb batt’ unb habe, 

2öaS icb gelitten unb erftrebt, 

3ft mehr als beine ©abe. 

5£aS ficb bie See ba$u gebaebt 
Unb roaS fte noch begonnen? 

3cb glaub’, fte bat mich auSgelacbt 
Unb ift in 'Suft verronnen. 

©o tam’S, bafS icb ber TOe blieb, 
SBeriuettert unb uerfcbliffen; 

$ocb Hang ber 3Balb: $u fii&eS Sieb! 
3cb fomme, bicb $u fiiffen. 

3cb roeiB nicht, tuar’S mein eignes Sieb, 
5ßar’S baS ber Nachtigallen; 

Sieb ©troaS boeb, benor fte febieb, 

Xxe Tvee ins S>en mir fallen? 


ms 


'Cräume und Reime 


an» ber Helle Br. 5 

^S ift ein bolbeS Kinberpaar, 

Kommt Jpanb in §anb gegangen; 

3m TOnbe roebt fein Sodenbaar, 

(Gleich Nofen blüb’n bie 2öangen. 

©o jieb’n fte in bie 2öelt hinein, 

3mei trauliche ©enoffen, 

Unb niemanb hält fein Kämmerlein 
TOr ihnen jugefcbloffen. 

©in Knab’ ift eins mit beifeem 93lut 
Unb tro&iger ©eberbe; 

©ein TOge rollt in ftoljer ©lut, 

3bat biinft ju flein bie ©rbe. 


Bergfelle ^paitgeitberg. 

$>ie ©tröme braufen tief unb laut, 
©r mufS fte fed burebfebroimmen: 
Kein TOIer bat fo # bo<b gebaut, 

©r mufS noch höbet flimmen. 

Unb tobt um ihn beS ^Setters Söutb, 
©r roanft nicht oon ber ©teile — 
S)aS ift ber ftol$e Sugenbmutb, 
Xex trotzige ©efelle. 

$)u gtbft ihm gerne baS ©eleit, 

Ntag Sölifc unb Bonner grollen, 

Unb fiibleft feine ©lut erfreut 
3n beinen Nbern rollen. 


ber 


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9Iu3 Xrabert’3 C^cbic^tcn. 


271 


3u halb boch läf$t et bich allein; 

Sann muf$ bein iperj erfalten, 

2öenn bu nicht roeifet fein ©cbmefterlein, 
Sa$ bolbe, feftjubalten. 

Sa3 ift ein Äinb non ftiüer 9Irt 
37ftt rounberfamen ©aben, 

Sa$ bir ba£ ipöcbfte offenbart, 

2Ba§ in bir liegt begraben. 

©8 blicft bich traut unb finnig an, 

Sa ftebft bu fid) entfalten 
2luf bem ©ebanfenocean 
Sie bebten fiicbtgeftalten. 


©$ fenbet einem ©otte gleich 
Sich au$ in blanfer 2Beb re » 

3u fämpfen für ber Freiheit 9teich, 

$ür ©ott unb IRecbt unb ©bre. 

©ein 9tome h^ifet ©egeifterung 
9tur für bie höchften 3i^c, 

Sie noch int Filter !ühn unb jung 
©ich ftürjt in$ $ampfgeroüble. 

2öirb’3 boch einmal im Stampf mir fchtuül, 
©in Xroftroort, ba$ ich bafor 
©3 h^Bt: ©inft rubft bu ftiH unb fühl 
Unb lang genug — im ©rabe. 




Der gefallene 8tern« 


$ie lieben ©teme mallen 
©o freunblich unb fo facht; 
Soch einen fab ich fallen 
herunter in bie 9tacbt. 


3cb fab ben golb’nen ©ebimmer, 
Unb bann erlofcb ba$ öidjt; 
3>efct fuch’ ich immer, immer 
Sen ©tern unb finb’ ihn nicht. 


Sie noch bort oben mallen 
3n unnahbarer 3rent\ 

Sie fagen: Ser gefallen, 
2öar beineS ©liicfeS ©tern. 



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UisiO». 

l?on Ä. Cra(irrt. 


(Die trugst du mich auf deinen Jlügeln, 
0 Craum, so wunderbar und schnell 
Don waldumrauschten Rebenhügeln 
Zum Gnadenhort IHariazell! 

Cief war die nacht. Kein Sterngefunkel 
Rat freundlich mir bestrahlt die Bahn. 
Das Gotteshaus so still und dunkel — 
Und doch, es war mir aufgethan. 

Ich ganz allein. Und welch' ein Beben 
Durchschauerte mich armen mann! 

Das Gnadenbild, es fing zu leben 
Und sonnenhaft zu leuchten an. 

Die heilge weinet. Zähr' auf Zähre 
Benetzt ihr Kleid als Chränenstrom 
Und zu dem Kinde spricht die hehre: 
„hörst du die Rufe ,Cos von Rom!‘?“ 

Das Kindlein hört sie wohl und schaute 

Ins liebe mutterangesicht 

Und sprach mit süfjem Crosteslaute: 

„0 mutter, mutter, weine nicht!“ 


„Cass’ laut sie toben, stolz sie prahlen; 
mein Kreuz steht hoch genug und frei, 
Ulie himmelslicht hinab zu strahlen 
Zu Uolksbetrug und Harrethei. 

„mein leisen Petri lässt sie stürmen — 
Das Zwergen* und das Riesenheer, 

Und wenn sie Berg* auf Berge thürmen. 
Das alles sinkt zerschellt ins Ißcer. 

„Die Reinsten meiner Priester stehen 
€ins mit den Uölkern, kampfbereit; 

Das Kreuz und seine Bahnen wehen, 

Wer fragt da noch: Wann ist es Zeit? 

„Steh’ auf, steh’ auf, dich zu verjüngen, 
mein Österreich, zu neuer Kraft! 

Du musst den Argen jetzt bezwingen, 
Der, Böses wollend, Gutes schafft.“ 

So sprach das Kind; da trat am himmel 
Der Sonnenheld aus gold nem Chor, 

Doch Waffenklang und Kampfgetümmel 
Und lauter Weh’ruf trifft mein Ohr. 


Ihr Christen, flechtet Siegeskronen! 

Der ?eind zerstob in wilder Flucht 
Und heulend singen die Dämonen: 
Schwer trifft die Rache, wen sie sucht. 




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]o$epb Freiherr von Belfert. 

(EvlEbnilTe itnti (Erinnerungen. 

III. 

^eute fttcmfier fteßt, mar oiefleicßt oor unoorbeitf ließen Beiten 
eine roße 5lnfieblnng, im frühen SWittetalter finben mir ba ein 
Dorf mit einer ßergoglicßeti ®urg nnb einer uralten fäapcfle; ber bei biefer 
angefteßte {ßriefter begog feine Sinfönfte aus ben ©eßöften beS Dorfes 
Dteßribt, mo befottberS bie ®ienengucßt gebieß. ‘Den Drt nnb bie ®urg 
von Stemfier erfanfte um baS 3a^r 1100 Sifcßof J{ot)ann II. oon Dlmitfc 
fiir fein ®i3tßum nnb oon ba an galt für bie Stremfierer ber Sprucß: Unter’m 
Srummftab ift gut mosten. 3m 3afyre 1207 befaß ber Drt feßott einen 
3aßrmarft, aber fein maßreS Slufbliißen foßte er erft bent tßatfräftigcn 
®ifcßof ®runo üerbanfen. Diefer begann 1260 ben ©an einer großen 
gotßifcßen ftireße gunt ßeiligen s 2RauritiuS, mie bereu Dlmiiß feßon früher 
eine folcße befaß; in ©ößnten ift mir feine ft'ircße anf biefen ^eiligen 
befannt. 3ur SRauritiitSfircßc ftiftete ©ruuo ein Soßegiat=SapiteI; mir lefeit 
in Urfunben oon einem Archidiaconus Cremeserensis, oon einem 
Decanus Cremsirensis K. 3« ber Bmifcßengeit ßotte ©runo baS Dorf 
Stemfier gunt SRarftflecfen erhoben, ber 1290 mit ©riiitner Stabtrecßtcu 
unb einem ftäbtifcßeit {Ricßtcr begnabigt mürbe; jefct befant fi'remfier aitcß 
Stabtmauern mit einem SBaßgrabeu, mit Dßiirmen unb Dßoren. 9?aßcgu 
anbertßalb 3aßrßunberte oergiengen in ooßent Srieben, bi* bie fmfitenfriege 
aueß über ÜRäßren Unßcil brachten. 3m 3oßi? 1421 mitrbe Sremfier oon 
DioiS ©oref o. ßRiletinef nnb ben ©riiberit ©ictoriit nnb ftpnef üon 
©ob£brab belagert, 1422 muffte es ben £ufiten capitulieren unb erßielt 
eine ftarfe ©efaßung, 1432 mürbe cS oon bent {Raubritter Sntil oon SRornoan 
iiberfaflen unb Oermiiftet, bie SQiauritin^^iftirc^e ausgebrannt. 3n biefen 
Kämpfen gieng moßl aueß Dtfßribt mit feiner ©ienengueßt gugrunbe, oon 
bem längft feine Spur meßr oorßanben ift. DaS ftrentfierer Kapitel mar 
jefct feiner ©üter beraubt, ber ©otteSbienft in ber gerftörten fiircße unntöglicß, 

Xie Äulhir. III. 4. ipeft (1902.') 18 


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274 


^ofepp Sreiperr oon geifert. 

unb fo ^erftrcutcn fiep bic Sompernt unb nahmen neue Heimftätten, too fie 
fotepe fanben, mäprenb in ber non ihnen ücrlaffenen Stabt ber UtraquiSmuS 
feinen Sip auffällig. Socp niept für lange! Um 1460 merben bie ©npäitger 
beS SelcpeS oertrieben, ber ©rebiger 9JtattpäuS mirb gefoltert, oor bie Stabt 
gejcpleppt unb bort oon oier ©ferben $erriffen, fein ©mtsbruber (sociusi 
SanicelluS enbet auf bent Scheiterhaufen. 3u Anfang beS 16. 3aprpunbertS 
löst Sifcpof Stanislaus Spurzo bie Stabt unb bie Kapitclgüter mieber ein, 
ruft 1508 bie Domherren jufammeit unb oerjpricht ihnen, bie Kirche perzu* 
fteUcn unb ihre Sjiftenj z u fichern. @r tfjat aber menig, bie Domherren 
lebten nach *°ie oor in ber SiaSpora unb cS bauerte bis 1580, mo ©ifcpof 
Stanislaus ©amlomsfq bie 9WauritiuS=Sirche ooüfommen ^erfteüte unb baS 
Kapitel in feine alte Stefibenj ^urücfführte. Ter breifeigjährige S’rieg brachte 
neueä Unheil über bie Stabt, 1643 ttmrbe fie oon ben Schieben unter 
Sorftenfon unter einem entfeplicpen ©lutbabe erftürmt, ber ©litnberung preis* 
gegeben unb in 9lfcpe gelegt; bie 2RauritiuS*Sirche mürbe ihrer ffoftbarfeiten 
an ©olb unb Silber unb Turneien beraubt, ber foftbarfte X^eil ber ©ibliotpef 
fortgeführt; 1644 erfolgte eine jmeite, 1647 eine britte Heimfucpung burch 
bie Schmeben, mobei baS Habe ber ©emopner tpeilS burch ©litnberung, tpeilS 
burch ©ranbfepapung auSgefogett mürbe, bis jum ©ipfel allen UitglücfS 1659 
bie Stabt Oon einer SeucrSbrunft ergriffen mürbe, melche bie dftcprzapl ber 
Raufer unb Höfe in ©fepe legte. ©Sieber erholte fich bie Stabt, 1690 
fchuf Sari o. fiiecptenftciu baS alte Kaftell in ein prachtootleS gürftenfcplofS 
um; 1736 mürbe bie im frönen Stile umgebaute ©farrfirepe ju Unfercr 
lieben grau feierlich eingemeiht, 1737 ber ©runbftein zur ©iarifteitfircpe jurn 
heiligen Solenn bem Säufer gelegt. 9Wit bem Eintritt beS neunzehnten 3apr* 
feunbertS füllten bie ©iirger ben ©Sadgrabeit aus, bepflanzten ihn mit 
Säumen unb Sitjchmerf unb fchufen fo baS ehemalige ©ertheibigungSmerf in 
einen 0rt ber ©rpolung unb Srpeiterung um. 9iocp einmal, 1836, füllte 
Sremfier einen grofecn ©raitb erfahren; einige im oberften Shurmfenfter ber 
3JiauritiuS*Sircpe oerfteefte ©ogelnefter mürben oon ben Stammen ergriffen, 
bie fich fcpnetl oerbreiteten, ben Shurnt unb baS Sircheitbach z er flörteit, bic 
©locfen z^fchmolzen. 9Kit einem Softenaufmanb oon nahezu 100.000 ©ulben 
fteHte gürft=Grzbifcpof Somevau=©eecfb bie Striepe fchöner per, als fie früher 
gemefen; aber oon bem urfprünglicpen ©au mar aitfeer einigen ©eftanbtheilen 
ber Hauptmauern faum mehr etmaS oorhanben. 

ffienig 3öh^ fpäter, auf einer gufereife, bie ich mit meinem ©ruber 
burch ba% öfttiepe Söhmen unb einen Speit oon SRäpren machte, höbe ich 
Stremfier zum erftenmal gefepen. Sen SReifcftorf in ber £anb, ben ^ornifter 
auf bem SRütfen tarnen mir auf ber Dlmüper Strafee oon Sobitfcpau herab, 


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gn ftremfier. 


275 


als mir oor ttnS im 3^ölc bic Stöbt gemährten; bic Strafen ber fommer* 
liefen StachmittagSfonne oergolbeten bic Suppein uitb Ipiirmc, glifcerten oon 
beit genfterfcheiben unb glänzten non ben fauber getünchten SJtauern mehrerer 
hoher, langgeftretfter ®ebäube, beren ©röfje uitb ©eftatt bem Orte faft ein 
grofjftäbtifcheS Slitfehett gab. $abei toar aber baS ©an^e fo anmuthig oon 
©rün umfangen, oon ©artenanlagen unb üppigen Sßiefen, oon gelbem unb 
bemalbeten £>öhen, baf$ (ich f ogieich ber ßharafter einer Sanbftabt mieber 
funbgab. So lag fie ba, bie mohnliche Stabt, bamalS außerhalb ber 3Jtarf= 
graffchaft noch menig gefannt, im Sanbe felbft aber hochgefchäfet unb gefeiert 
als Sommer=9Refibeu5 ber reichen unb mächtigen gürft'ßrjbifchöfe oon Dlmüfc, 
als baS „mährifche Stom", mo bitrch einen großen Ih^^ bcS gapreS bie 
gäben $ufammenliefen, melche bic Sirchengemeinben unb bic ©eiftlichfeit bis 
in bie entlegenften ©egenben beS SanbeS mit ihrem geistlichen Dberhauptc 
Oerbittben. 

Sremfier liegt am fübmeftlicheu ®nbc eines gesegneten SanbftrichcS, 
beffen fchmar^e, faft fteinlofe ^amnterbc oon gliiffen unb ©ächen reich 
bemäffert mirb. gm SBeichbilb oon Sremfier nimmt bie SJtarcp oon ber linfett 
Seite ben ©iefebach ©cfoa unb bie minber bebcuteitbe SJtofteitfa auf; $ur 
rechten ftrömt ihr etmaS oberhalb Stemfier beim 'Eorfe ©oftupef bie $ana 
ju, oon melcher biefeS fc^öne unb fruchtbare Stücf ®rbe ben Stauten £>ana, 
beren ©emohtter ben Stauten ^anafett h a ^ n - jeitmeijen Über* 

Schmentmungert ber £ana, bann jene ber SJtarcf) unb ber bei Stegettgüffen 
rafch anfchmellenben ©etoa leiften ber ©egenb ähnliche Xienfte, toie ber Stil 
bem fianbe $gppten. Xie £>attafei bringt ©etreibe aller Slrt in oor^itgltcher 
©üte h^roor, ©emitfe gebest in reicher giille, faftige SBiefett tommen ber 
©ichsucht juftatten; bie ©ferbe, benett ber §attafe eine befottberc Sorgfalt 
^itmenbet, finb meit unb breit berühmt. ®ie Sienenjucht mirb in ber £atta 
feit frühen gahrhuitberteu betrieben, $onig unb SBachS fpieltett in ben Stiftungen 
oon fiirchen unb Slöftertt feine unbebeutenbe Stolle. Unb mie baS Saitb, fo 
baS SSotf! 6S ift ein frifcher, fdjöner unb gefuttber SJienfchenfchlag, ber hier 
gebeiht, üoll SelbftbemufStfein, ftolj auf feine fteimat unb feine £anbSmann= 
fchaft, babei lieberreich unb mifcig. ®ie SJtäbchen mit ihren Stofenmangeit finb 
als bie fchönften im mährifchen fianbe gerühmt. „SJettit feine |>anafinnen 
mären", fagt ein Spridpuort, „märe auS ihm ein geiftlicpcS |>errfein 
gemorbeit" — 

Kdyby nebylo Hanäiek 

byl by z n£ho panä£ek. 

So gemähren auch bie jungen ©urfchcn einen hrr^erquiefenben Slitblicf, 
fchlattf unb ebenmäßig gebaut, bartlofc ÜJtilchgefichter, baS Haupthaar ju 

18 * 


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176 


3ofep& Freiherr oon Jpelfert. 


beiben Seiten hinter baS Ohr geftridjen unb nur ober ber Stirn uacf) att= 
flaoifter Sitte furjgeitnitten. 3Ran muffte fic fehen, menn fie am Sonntag 
$ur $ird)e giengeit, auf bem Raupte ein runbeS, mit rotten ©änbern unb 
friftem NoSmarin geftmücfteS £üttein, eine fyeflgrüne, mit fugelrunben 
Silberfnöpfen befäte 3a<fe, littrothe ©einfleiber, bie in ben bis an baS ©nie 
reic^eitbeit Stiefeln ftecften, um ben 2eib einen breiten, oon fteinen Spiegelten 
fümmernben ©urt. So mar 1848 burtauS ihre Xratt; ob fte eS ^eute 
not ift, wo aöentalben baS ftäbtifte SBefen um fit greift unb bie uralten 
©ebräute auffaugt nnb üerftminben matt, meife it nitt 51 t fagen. 

Ter £aitafe ift offen unb ohne galft, er lebt in länblitem 2Bo $U 
ftanb unb läfst fit beiteiben Don feinen minber begliicften SanbSleuten. 
„3Benn mir eS bot nur 1° hätten mie bie £>anafen!" heißt eS in einem 
mähriften ©otfsliebe. Suhlte fit bot ein ®t u f e ^ 0 » ber gemifs nitt 
gern nat fi'remfier gegangen mar, bei SBahruehmung beS gefegneten Sattb* 
ftriteS unb beS aufgemecften ©ölftenS, baS ifjn bemoljnte, fo angenehm 
berührt, bafS er fit nittS beffereS einbilben tonnte, als ein ausgiebiges 
Stürf ber fruttbaren £>ana $u befipeit unb bann aus Dollem £erjeu 51 t 
fingen: „Beatus ille etc.“ Tot ber Jpaitafe ift aut muthig unb tapfer, er 
bat fit in alten unb neueren Seiten als Solbat ftets bemäbrt; baS „galtet 
ffiut, fmnafen — Drite se Hanäci", momit Oberft Sunftenau feine fampf? 
begeifterte äRanuftaft im lebten gelange gegen bie Sßälften führte, mar 
bamalS not im 9Runbe oder Seute. 

©orroft hatte im October in SBien bie Befürchtung auSgefproten, 
ber SReit^tag merbe „in Sremficr fctifiert merbeti," ein s 2luSfpnuh, 9 e g en 
meltcn ©raf 2 lbam ©otocfi fogleit ©ermahrung einlegte: „9ßir gehen 
ja Don ber ©leitberettigung ber Nationalitäten aus, mir füllen nitt Don 
detifierung, nitt Don ©ermanifierung fpreten", unb aut®t u felfa rügte 
eS, „fit in Necriminationen gegen Nationalitäten einjulaffen". ©orroft 
modle fit entftulbigen, adeiit maS er jefct oorbratte, mar not ungefticfter 
als baS maS er früher gejagt hatte. Übrigens hatte ©orroft bajumal mie 
ein ©linber Don ben Farben gefproten; moher fodte er aut bie fmnafeit 
näher tennen? Sanatifer mar ber £>anafe nie, baS liefe fton fein jum 
©hfegma hinneigeitbeS Temperament nitt 51t. 6 r fprat feinen böhmiften 
Tialect, meil er eben feinen anbern fanntc, unb er nahm Dom Teutft ber 
benatbarten Stäbte nittS au, meil er in feinen ©erhältniffen, bie ihm 
adeS bieten, maS er 511m SebenSgcnuffe brautt, fein ©ebürfniS bamat 
fühlte. ®r fang feine böhmiften Sieber, meil fie ihm Don ftinbSbeinen lieb 
unb gemohnt maren; aber eS fiel ihm nitt ein, in einer ©efeba ober in 
einem (Soncerte, mie baS in ©Öhmen längft ber 3ad mar, fit bamit oor 


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Sn ftremfier. 


277 


anbcrcn Scuten pöreu unb bemunbern $u taffen, ©r mar ein Nationaler, 
boep er patte niept baS ©ewufstfein ber Nationalität, nodp weniger ben 
2>rang, für fie Slnpänger $u werben. 933aS baS fei, lernten bie Banaten erft 
fennen, als ber NeicpStag mit feinen oielen böpmifdpen Slbgeorbneten in ipre 
SRitte tarn, unb barum liefe fiep eper fagen, bie |>anafei werbe burdp ben 
NeiepStag deepifiert, als umgefeprt. Senn ©trobadp ober Stieger einen SluS* 
flug in bie Umgegenb machten, befamen bie ©emopner erft $u pören, was 
rein böpmifcp fpreepen Reifet. Ober eS würbe eine Sefeba naep beftem Präger 
SRufter oeranftaltet, unb wenn bann ©rauner in iprer 9Ritte erfepien unb 
ein paar Sorte in feiner fernsten Seife an fie richtete, ba liefeen ipm bie 
Banaten einen Xufcp blafen, poben ibn auf ipre ©cpultern unb trugen ipn 
trinmppierenb im ©aale perunt — ba erft tarn baS redete Seben in fie 
unb lernten fie, was eS l)eifee r fic£> für eine Nation unb eine ©pradpe 
begeiftern! 

SaS Sremfier felbft betraf, fo war eS faft eine beutjepe ©tabt. 9lfle 
©epulen ber ©tabt, bie SRäbcpeniepule niept ausgenommen, waren beutfep 
ober wanbten ber beutfepen Sprache eine befonbere Sorgfalt $u. Sn ben 
ftangteien Würbe bnrcpauS beutfd amtiert. Sn ben Steifen ber perrfepaft* 
fiepen Seamteit, fowie in ben befferen ©ürgerfamilien waltete bie beutfepe 
©onberfation entfepieben oor. Senn eine wanbernbe Scpaufpielertruppe ©elb 
ntaepen wollte, mufSte fie beutfepe ©tücfe auffiipren; eben in ber «Seit, wo 
ber NeiepStag in Sremfier tagte, war bieS ber Saß. ©eit ben SRärgtageit 
feplte eS in ber ©tabt niept an fcpwarj^rotp^golbenen 9lbgeicpen, unb es 
patte in ben abgelaufenen Ntonaten fo ntanepen StnlafS gegeben, wo bie 
©emopner ipre eept beutfepe ©efinnuitg bewäpren tonnten. $aS alles würbe 
nun burep ben NeicpStag jWar niept mit einem ©eplage anbdrS; aber für 
bie eprfamen ©iirger, ipre grauen unb Söcpter war es boep etwas neues, 
feine unb gebilbete Herren gu fepen, bie eS niept nur niept oerfepmäpten, 
fiep böpmifcp 511 grüfeen, fonbern bie einen 3tolg barein festen, fiep böpmijep 
311 geigen. 3llS in Sremfier ein ©aß „ 511 m ©eften ber Natioualgarbe" gegeben 
würbe, erfepienen bie jüngeren ber böpuiifepcn 2 lbgeorbneten in ber ©aniara 
ober boep mit böpmifcpen 9lbgeiepen; Xängc unb giguren würben oon ben 
s 2lnSfepüffen in böpmifeper ©praepe angegeben, unb bie fepönen Sremfiererinnen, 
üon SinbSbeineu gewopnt, im gefcßfcpaftlidpen Seben möglidpft beutfep gu 
erfepeinen, maepten grofee s 2 lugen, als bie flotten länger ipnen gumutpeten, 
auf böpmifepe $lnrebe böpmifep 511 antworten. 9lber verba movent, exempla 
trahunt, baS ©eifpiel wirtte, unb wenn in ben folgenben SNonaten SNitglieber 
ber Necpten auf bie ©aleric beS NeicpStagSfaaleS pinaufblicften, tonnten fie 
bei niepr als einer ber guporerinncu ftatt eines fcpmar^rotp-golbenen Stuf* 


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278 gofepp greiherr oon eifert. 

pupeS toie oorbent, einen weiß-blamrothen im Vanbe ober in ber Stofette 
wahrnehmeu. 

ift fd)on erwähnt worben, baf$ bie Stabt firemfier, trop ihrer 
weit znrüdreichenben Vergangenheit, wenig mehr befaß, waä an biefe erinnern 
fonnte; fie war eigentlich eine mobeme Stabt z u nennen. 9Soit altem 
öeftanbe waren mir wenige SRauertheile ber großen unb fchönen äRaiiritiua* 
Kirche, bie Stabtmauern unb Ztyoxt, foweit fie noch erhalten waren, unb 
bie allgemeine Einlage ber Stabt. 'Tenn gleich ben größeren böhmifchen 
Stabten, wie ©ilfen, Vubweiä, CaSlau, hot firemfier einen großen oier* 
eefigen „Sting", auf ben oon allen oier Seiten, meift im rechten SSintel, 
bie Lauptgaffen münben. Much bie an ben Läuferreihen be3 StingeS 1)\\u 
laufenben „Saubeit" finb eine ©igenthümlichfeit, welche ältere böhmifd)* 
mährifche Stäbte mit obcr-italienifchen, namentlich ©abita, gemein hoben. 

fotlte biefe Vauweife erhalten bleiben, nicht bloß aus ©ietät für ihre 
ehrwiirbige Vergangenheit, fonbent auch wegen ihrer Veqnemlid)feit, ba fie 
bei fchlechtem ober bei unerträglich heißem Söetter ein fchüpettbe£ Dbbach 
gewährt, fei e3 für ben bloßen Spaziergänger, fei e3 für bie eiutaufenbe 
Lau^frau. Denn ein zweiter Vortheil folcßer Sauben ift ber, baf$ fich unter 
ihnen ba3 Verfehrälebeti concentriert, alle Mrten oon SebenSmitteln, aber 
auch anbere ®ebraud)3gegenftänbe zur Schau au^geftellt unb zum Verfaufe 
auägeboten werben. 

Öanbftäbte oon ber ©röße unb Veüölferung firetnfier'3 gibt e£ mehrere 
in SRähren; aber eine Öaubftabt mit fo großartigen Vauten, fo auägebeßnten 
unb funftooHen Mnlagen wie ba3 mährifche 9tom, Wirb man nicht leicht 
Wieber fiitben, unb all biefen Schmud oerbanft firemfier bem Dlmitper ßrz* 
biSthum unb beffen pradhtliebenben Stupnießern. ©leich bem giirften Schwarzen¬ 
berg aU L cr 5°9 öon ßrumau unb bem gürften Sfterhäzh z u gorchtenfteiu 
haben bie gürft-@rzbifchöfe Don Dlntitp ba$ Stecht einer eigenen 9J?iliz, unb 
fo fieht man in firemfier gegenüber bem Loupteiitgange ber Kefibeuj eine 
Lauptwache mit zwei fianoneu, bie äWaunfchaft in Uniformen in ben erz s 
bifchöflichen garbeu. Da£ Schloff fclbft ift ein coloffaler quabratifcher Vau 
mit einer Unzahl oon größeren unb Heineren Stäumlichfeiten. Der Loupt= 
faal, ben, wie wir wiffen, geleit z«m Steid^tagafaal hergerichtet hotte, geht 
bureß zwei Stocfwcrfe, fein ©lafonb ift mit allegonfchcn Darftellungen im 
Stile be£ fiebenzehuten unb achtzehnten gahrf)unbert£ auSgefchmitdt, alfo 
wenn nicht oolle Stubitäten nach claffifchem SJtufter, hoch Lalb*9tubitäten in 
ffltenge. Much bie aubereit größeren Säle, ber Sehtifaal, ber Vibliotheffaal, 
ber Dh^nfaat finb reich mit MJanbntalerei au$geftattet, unb wohl feinet ber 
Meinen Mppartementä, ber SBoßn- unb Schlaf- unb grembeu=3*otmer ift 


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Bn ftremfier. 


279 


ohne Siunftgegeuftäube, fei e« bcr SRalerei, fei e« ber Sd)ni£erei, Uhr* 
ntacherei ic. Slußerbent eine Heinere unb eine größere Vibliothef, ein trefflich 
georbnete« Sirrin, eine Sttünjen* nnb 9Kebaillen=Sammlung n. a. 

Sin ba« Stefiben^©ebäube ftöfet ber s ßarf ; nach bem Siechtenftein'fchen 
non ©i«grub ber größte unb fdjönfte be« Sanbe« ®?ätjren, in melchem man 
fid) ftunbenlang ergeben famt. ®r ift in englijdjem Stile angelegt. Von 
einem Slrm ber SJtarch begreujt, non einem anberen burchftrömt, bietet er 
eine munberbare Slbmech«lung non Saubgängen, feßattigen ©ebol^eit, anmutigen 
Söiefen, non Heineren Reichen, non größeren mit Unfein, non ßa«caben unb 
aüerfjanb SSJafferfüuften. ©inige Seiche, im SBinter treffliche ßi«pläfce, finb 
im Sommer luftig non Schwänen unb ©nten benöltert. ©in non leichtem 
Trafjtgitter umfriebeter Vlaty beherbergt eine Slnjahl Siehe; unter einem 
anberen, non einem mcit gekannten Siefce überbeeften, tummeln fich bie 
prachtnoüften ©olb* unb Silber-gafaneu; in mit ftavfcit ©itteru nach bont 
abgefchloffenen 3el«nerließeit häufen Slbler, Uhu« unb aitbere Staubnögel; 
für fcheue Bitdjfe finb in einer Vertiefung eigene Jütten angebracht, Sa^mifcheu 
alle«, ma« fid) an öuftbauteu ber nerfchiebenen Völfer unb ©rbftriche anbringen 
läj«t: eine halbfrei«förmige borifche Säulenhalle, ein &io«f, ein greuubfehaft«* 
tempel, eine ©remitage, ein Vlumenthurm, eine 3ri* s , eine Vhautafie*, eine 
2aternen*Vrürfe; non bem griechifchen Xentpel mit ber „Slula" unb bem 
„Büfter" mar fchoit bie Siebe, ©tma« abfeit« non ber Stabt, mit bem 
englifchcn tyaxt burch eine Vappdaflee nerbuitbcit, befinbet fich rin jmeiter 
großer ©arten, in fran$öfifchem Stile angelegt, mit ©emäch«häuferit, einem 
SBaffertunfthau«, einer prachtnotlen ©alerie, einem fleiueit, aber tüdifchen 
Öabprinth u. a. nt. 

2 . 

Vom 27. Siooember 1848, alfo non bem Sage, mo ba« SRinifterium 
Sdhmarjenberg^Stabion feinen erfteit parlameittarifcheu ©rfolg errungen hatte, 
batierte ba« Xecret, montit mich Stabion in ft'enntni« fefcte, baf« mich 
Se. SJiajeftät mit ?lüerhöchfter ©ntfchließung nom 23. ^um Uuter=Staat«* 
fecretär im Unterridjt«=3Kinifterium ernannt h a ^. ©in paar Sage fpäter 
fam mir ein leeret anbern Inhalt« ju. ©« mar au« Mrafau nom 
11 . Cctober batiert, mar alfo mehr a(« anberthalb SJiouate in ber 9Be(t 
herumgeirrt, über Sßien, über Vrag, über Dlmüfc, bi« c« mich sule^t in 
.Hremfier traf. Ser Statthalter non ©alijieit Siitter non $ale«fi-gab 
mir barin ju miffett, baf« in Jpinfunft „an ben £)ochfchuleit in ©ali^ien ber 
Unterricht in polnifcher Sprache crtheilt unb ftatt ber $um Vortrage in 
biefer Sprache nicht befähigten 2ef)rcr, hi^n taugliche Subjecte berufen 
mcrbeit" foHteit. 


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280 


gofeph greiherr oon geifert. 


■5hm, meine (Ernennung sum Unter*StaatSfecretär in ber Safcfte, 
tonnte ich meine (Enthebung oon ber ftrafauer Se^rfanjel oerfchntersen. 3n 
S33a^rt)eit hatte nicht halb jemonb in ber ©ahn feineö ©erufeS einen getoal* 
tigeren Sprung gemacht: oom prooiforifchen unb fupplierenben Profeffor 
5 itm „Vorftanb aller profefforen", mie mir p. gohann gabian, ber alte 
greunb meines Kaufes, aus Salzburg fc^rieb, unb oom prooiforifchen Sup* 
plentengeljalt oon 900 ©ulbeit 51 t einem befinitioen oon 6000 ©ulben mit 
1000 ©ulben Quartiergelb! 9Wich f)at, biefeS 3?ugniS barf ich mir geben, 
mein ©litcf nicht oerblenbet; bie Stellung, bie ich fo unermartet errungen, 
mar mir mie ein äuftereS ©ctoanb, baS mir eben mieber abgeftreift merben 
tonnte, eingebenf ber Söorte Schillers: 

So beleuchtet ber ©M'trbeu ©lanj beit Sterblichen üJtenfchen, 
sticht er felbft, nur ber Ort, ben er burcbmanbelte, glänjt. 

$afS ich mich in meine neue Sphäre nicht gleich h'neinfinben tonnte, 
mirb man begreiflich finbcit. ®er Unterfcbieb jmifchen bern, maS ich bisher ge* 
mefen, unb bem, maS ich Kftt oorftellen foHte, mar 5 U grob. Sch hatte ntich 
an baS Seben eines frieblichen Stubengelehrten gemöhnt, ber beS Borgens 
bequem in feinem Schlafrocf nrtb in feinen Pantoffeln bleibt, bis ihn ber 
©locfenfchlag auf feinen Öehrftubl ober fonft 51 t einem ©efchäft aus bem 
«'pauie ruft. $er geneigte fiefer erinnert fich mohl beS tomifchen Auftrittes, 
ba ich in biefer Verfaffititg oom OfficierScorpS ber Siremfierer ©arnifon 
iiberrafcht mürbe. (Erft fpäter, als ich SRubolf ftirfch’S Seben Stabion’S 
las, h^ iä) ntir es jur Pflicht gemacht, mich gleich beS SRorgeuS für beit 
ganzen Xag anjujiehen. 

Einige Verlegenheit bereitete mir anfangs meine neue Stellung folgen 
perfimlichfeiten gegenüber, bie noch oor fur^er 3 eit über mir geftanbeu 
hatten ober 51 t beiten ich aus ber Seit meiner iieh r i a ^ rc ntit einer Art 
rejpcctoollcr Scheu hinaufjublicfeit gemohnt mar, mie @jtter, meinem jefcigeit 
9Jtiniftcrialratb, ober $aimerl, meinem ehemaligen geftrengen Profeffor, 
ober gar bem ©rafen Xaaffe gegenüber, oor bem ich oor Saljr unb lag 
als Supplicant crfchiencit mar, unb ber fept in feiner (Sigenfchaft als 
Kurator bcs XherefiauumS unter mir ftanb. 

©ratulatiouen regnete eS je$t natürlich oon allen Seiten. $er gute 
profeffor gabian brachte mir feinen „aufrichtigen ©lüefmunfeh mit greuben, 
aber auch mit einer gemiffen SBehmutp" bar: marum tonnnte meine SRutter, 
bereit Siebliitg unb Stol 5 ich war, biefen Xag nicht erleben? Söarunt mufSte 
mein Vater eines plöfclichen 2obeS baljin fterben, fürs oor bem politifchen 
Umfchmung, ber feinen Sol)tt fo überrafcheitb emporfchnetlcn foßte? SBarum 


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3n kremfter. 


281 


mar mein tfjeurer ®mmi nic^t mehr am Seben, bafS er fidj an bem ©lüde 
feinet älteren SruberS erfreuen, fich beffen gegen anbere rühmen fonnte, 
ohne 9?eib unb Sdjeelfudjt, bie fein treffliches #er$ nicht fannte? 9Ke^r als 
einer meiner Sugenbfreunbe fchlug einen ähnlichen Ion an, gebuchte bei 
feinem ©lüefmunfehe meiner „öeremigten 9Wama", mie fie „in einem Augen* 
bliefe Don clairvoyance " über meine «ßufunft gefprochen, ober erinnerte mich 
an bie Sugenbjeit, bie mir miteinanber burchlebt. 1 er SanbSmaun unb 
langjährige Sfeunb meines feligen S3aterS, S JJ. £öniger, ber mich tmn 
SinbSbeinen an bu$te, fd^rieb mir, nachbcm er in ber 3^itung meine ®r* 
nennung gelefen, al§ echter fianjleimann in golio unb fprach mich mit 
„®uer hochgeboren" an, morüber ich ihm einen freunbfchaftlichen SBifcher 
unb bie SWahnung jufommen lieh, er möge eS hoch beim Sitten laffen. 
s 4$. £>öniger überbrachte mir auch bk ©ratulation beS Frager SBeihbifchofS 
lippntann. Ir. Sranj ©itlben, mein SJiitfchüler oom ©pmnafium her, 
oerficherte mich, meine ©ritennung h a &e in v $rag allgemeine Sefriebigung 
erregt: „lafS In baS IMinifterium auSfdjlugft, h a t leinen Stuf nur uer* 
mehrt unb um biefer ©efcheibeuheit mitten baS öertraueit für ben fünftigen 
s JMinifter fchon jum öorauS begrünbet." Aufrichtiger mar mein Schmager, 
heinrich Süguer, ber mir mittheilte: „©emiffe Unter*Staatefecretäre fönneu 
(ich bereite oieler Sieiber erfreuen." 

' lie meifteit ©ratulanten fnüpften begreiflichermeife an mein Auftreten 
im Reichstage an. 1 er f. f. ©ubernial^onceptS^-ßracticant ©uftat) ft n b i n*) 
mar lanbeSfiirftlicher ßommiffär bei meiner 2öal)l in lachau gemefeit: „©önnen 
Sie mir baS Vergnügen," fchrieb er mir jept, „Shnen bezeugen 511 biirfen, 
bafÄ mich 3br Auftreten in ber Kammer mit Semunbentng erfüllt hat." 
Star! geltl erzählte mir, mie in Semberg meine Spaltung im Reichstage 
bei allen Rechtlichgefinnten, „auch unter ben s ßolen", ungetheilten Beifall 
gefunben höbe. „Riit mahrem Stolze trat ich manchmal unter eine ©ruppe- 
tmn 3eitungSleferit, menn fie fragten, mer mohl biefer Ir. geifert fein möge, 
ber fo gefunbe Anfichten eittmicfle, unb ich faöen fonnte: »®in ÜRitfchüler 
tmn mir ift'S!«" 2BaS mich befonberS freute, mar, maS ich öon einem meiner 
früheren ^rofefforen erfuhr. „^Srofeffor Romaf", fchrieb mir Victor §anS' 
girg, „fonnte mir nicht genug fagen über bie Schärfe unb ftlarbeit, mit 
melcher In Unterfcheibung unb Siicht in bie RobotablöfungSfrage gebracht 
haft." Audh oon anberer Seite üernahnt ich, baf$ Romaf meinet £obeS 
00 a fei. 

©eftorben als Sreibcrr, s 2 tfirfl. ©eheimer Rath unb lebenslängliches SRit’ 
glieb beS frervenbaufeS. 


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282 


3ofeph Jreiljerr oon geifert. 


3Boh* hatte ich für meine Sertheibigung beS SntfchäbigungS*©rincipS, 
für meine Abweifung ber ungarifchen Deputation manchen Ungtimpf erfahren, 
mtb noch mehr ftanb mir jefct beoor, mo mich mein ©lütf auf einen fo 
fidjtbaren Soften gefteüt hatte. SejonberS bie „Deutfche 3eitung auS Söhnten" 
^og heftig gegen mich obmohl fic oon einem meiner ehemaligen Speji 
5ran$ ®lier, ^9Kt)Iorb SB^ifterfietb", rebigiert War. Der fromme ©. Sltha= 
uafiuS Sernharb, Cffegger unb ©rofeffor ber Dheotogie in Seitmerifc, 
tröftete mich barüber: „ Seien Sie überzeugt, bafS eS noch immer fehr t>ie(e 
.perlen gibt, in benen 3hw SBorte toieberhaflen. Alles ©ute gebeizt nur 
im langsamen Gingen. Die Stofen blühen nur auf Dornen. AriftibeS 
mürbe oerbannt, meil er gerecht, SofrateS üergiftet, meit er mahr mar, 
3efuS ShriftuS, bie emige üiebe, aitS Sfreuj gefchfagen. Sin Heiner Dheit 
Sitterfeit mirb jejjt auch 3hneit jutheil, meil nicht bie bloß negatioe Freiheit, 
fonbern auch $Re<ht unb SSiüigfeit für Alle baS 3*el 3h re $ Strebend ift. 
SBofle ©ott Sie ftarf machen unb fchüfcen; beitn ber Sturm ift noch nicht 
oorbei unb bebroht leiber bie herrlichften Säume. Seien Sie Ocrfichert, 
oiele fromme SBünfche auch oon hier aus begleiten Sie, unb ich werbe nicht 
aufhören, bie Sarmher^igfeit ©otteS für Sie anjufleheu. Sr allein fann 
nuferem lieben Öfterreich helfen!" 

Aufter ©rag unb meiner böhntijdjen Heimat mar eS mein lefcter 
Aufenthaltsort, mo meine Srhebnng baS größte Auffeheu erregte, „©an^ 
ft'rafau," fchrieb mir ber launige fiöftler. ,Jehaute bei ber Aachricht oer* 
blufft barein; nur Srobomiej unb SlotmirtSfi mollten eS Dir gleich 
oon Anfang angefehen haben, bafS Du 511 etrnaS ©rofeern beftimmt bift." 
ft’öftler felbft meinte, eS munbere ihn gar nicht, bafS ich UnterridjtSminifter 
gemorben: „DaS ift einmal fidjer, in einem Stüde brauchft Du feinen 
Unterricht, fonbern fannft einen geben: mie man eS anjuftefleu hat, um 
Sater 511 werben, bariu ^aft Du in möglichft furjer 3eit baS Unglaubliche 
geleiftet!" 3m Safiuo ber Auftripafen, mit unb ohne Säbel, baS ich mit* 
begrüitben geholfen, mürbe eine SriiuierungStafef an mich an einer heroor* 
rageubeu Stelle angebracht unb gefchmiidt. 

Übrigens mar jener ft'reiS, in welchem ich in ftrafau fo oiele frohe 
Abenbe oerlebt hatte, fchoit bebeuteub gelichtet, unb mürbe es mit jebem Dage 
mehr. SBir ©rager ©rofefforen maren bie erften gemefen, bie fchon im 
Sommer bie Stabt oerlaffeu hatten. Salb barnach mar ©olijeUSommiffär 
©abriel nach fiemberg überfejjt morben. 3m Dctober mar baS Sataillon 
Schönhals, in welchem ich niete unb herzliche Sreunbe hatte, gegen SBieu 
gezogen unb hatte am 28. in ber Sägerjeile fchmer gefämpft. Den braOeit 
unb lebensluftigen Sarou Schneiber 0 . Arno hatte nur feine Dafchenuhr 


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gn Sreinfier. 


28 H 

gerettet, oon meldjer eine feinblicbe Sugel abgepraflt mar; ber maefere 
^auptmann I^eobor o. Tbeobalb mar tobt, £>auptmann Heinrich 2 Biebe= 
mann unb Sieutenont gofepb ^einolb mären uermunbet, ebenfo &aupt* 
mann ®rnft ©patni, nnb jmar biefer ferner: eine Sugel batte feine 
Siunlabe getroffen, mar barin fteefen geblieben unb muffte ihm berauSgebolt 
merben. ©£ mar ibm Rettung oerbeißen, menn er ftrengfte Stube einbielt. 
Ta3 fiel nun bem SKanne febmer, beim er mar ein unermüblicber ©tauberer. 
6 r b^it ficb, fo lange er niemanb um ficb batte; allein ba trat fein 
„©urfebe" — fo hießen barnalS bie Dfficieräbiener — in$ Zimmer, ©patni 
tonnte ficb nicht bedingen, ibm einen ©ermon 51 t halten, bie SEBunbe brach 
auf unb bie fjolge baüoit mar fein lob; fo bat mir einer feiner Sameraben 
erzählt. ge^t ftanb ber Sinmarfcb in Ungarn beoor, ber einen meitereit 
Tbeil ber ©arnifon oon Srafau fortfübren foflte. Unb fo batte ber luftige 
Stegiment£ar$t faft nur noch feine £oben 5 oflern=@beoau£(eger£. „Au ©eblif", 
flagte er mir, „habe ich, fotuie mir äße* febr oiel Oerloren. geh Jomme 
mir jefct bi er oor mie ba$ lefcte ©latt eine» Säumet, ber fo fd)öne ©litten 
unb Früchte getragen, unb ich f e b e mich bemüffigt, neue greunbe 51 t fliehen; 
beim ich fann nicht leben, ohne mich an jentanb bereich anjufebüeßen." 
Tiefe muf£ er gefuitbeu haben, ba er mir einige 3eit fpäter fchrieb: „3n£ 
Safino gebt fein üKenfch. geh gebe jumeilen glän^enbc Soireen — bei 
SBiirftel unb Dfocjiner ©ier —, mo man lacht, auch deiner immer gebacht 
mirb. Sn ber ©ifenbabn^Steftauration ift e3 jeßt leer, ich bin feiten bort, 
ba nur jmei Serie biatommen, bie $u aflem ja fagen, nicht metten unb 
feinen ©bantpagner trinfen." Tabci batte er mir immer etma§ SuftigeS ju 
berichten, jum ©eifpiel über bie Art, mie fich ber Srafauer bemofratifche 
grauenoerein auflöste. Ta3 gefchab nämlich, menn man bem @<half aufä 
2 Bort glauben burfte, fo: bie grau ©räfibeittin mahnte in einer ©ifcnng, 
bie £>au£frauen faßten ihre Tienftboten gut erziehen, inSbefonbere fie lefen 
unb fchreiben lehren, morauf ein ßJtitglieb ber ©erfammlmtg ermiberte: „Sbre 
Tochter famt meber lefen noch fchreiben, unb bat fchon ein ftiitb, ohne 
oerbeiratet 311 fein." Tiefe gnterpeßatiou machte bie ©räfibentin fo confuS, 
baf$ fie fofort ben Sommanboftab nieberlegte. . . . 

©neu unferet* lieben greunbe, bie au£ Srafau gefchiebeit maren, fal) 
Söftler 3 U feiner großen greube halb mieber, menn auch nur auf furze 3 eit: 
c$ mar ©abriel, ber in Tienftangelegeubeiteu üon fiemberg nach SBieu reifen 
nutzte. $n Srafau mar Aufenthalt oon etma einer ©tuube, ben ©abriel in ge* 
jeßigem Streife in ber SJeftanration beä ©abnßofe^ jnbrachte. Ta mürbe auf 
ber SRücffeite einer ©peifefarte eine Abreffe an mich entmorfeu unb unter ben 
S längen ber ©oltebbntite unterzeichnet. „Ten Stoff zu unferer ©egeifterung 


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Qofep^ oon geifert. 


284 

lieferte un3 jener gute Srcuub’* 6 ), ber ©abriel nnb mir Ebampagtter aatjtt, 
fo oft unb fo tuet mir moüen." ©abriet foüte nun bie Slbreffe mit ficb 
neunten unb mir, fobalb er mit mir aufammenträfe, übergeben. 

♦ * 

* 

Sie ©liicfmünfcbe, bie mir juftrömten, maren feßr häufig mit aller= 
panb Anliegen oerbunben, bie bem ©ratulanten am #cr$en tagen unb für 
bereu Slbßilfe er meine ©önnerfdjaft in Slnfprucb naßm. „Senn Xu bift ja 
jefct," mie ficb Victor £an3girg bicfjterifcf) au£brücfte, „ein fitöfuä ber 
3eit gemorben; beglüefe boeb bei bem ©olbquefl, ben Xu Sir felber gezaubert 
burdb S'raft unb burep SJiutb, auch einen armen Xeufel mit einem Dboluä." 

Einer ber erften, bie meine Vermeidung in Slnfprucb nahmen, mar 
mein Eoufin Dott mütterlicher ©eite, ©uftaD ©cb rein er, älterer Vruber 
jener beiben, Don benen ich früher einmal erzählt habe. ©uftao mar ein 
©pracfjtatent Dom erften Stange, er batte a l3 ©pmnafiaft ba£ Strabifcbe Don 
Orientalen gelernt, bie ficb in ©ra^, ich meiß nicht ob ©tubien ober Jpanbete' 
gefebäftebatber, einige 3^it aufgehalten batten, unb mar bann in bie Drientatifcbe 
Slfabemie $u SBien aufgenommen morbeit, mo er nebft ben orientatifeben 
©pracben alle bebeuteubeten europäifeben fennen unb fpreeben (ernte; nur bie 
flaoifcben unb rumänifeben nicht, benn auf biefe mürbe in ber Stnftatt nicht 
geachtet, als ob eS auf ber Valfan*£>albinfel, bie und boeb am näcbften 
liegt unb mo Diele Zöglinge ber Slfabemie ihre fünftige Vermenbung finben, 
außer ben Surfen unb ©riechen nichts anbereS gäbe, ©o mürbe auch mein 
©uftaD, naebbem er feine Surfe mit 2lu£$eicbnung Dotlenbet batte, in 
Eouftantinopel Dermenbet, mo er für’* erfte ben nicht febr turnen Xitel führte: 
„ft'aiferl. fönigl. Eonftantinopolitanifcber ^nternuntiatur=So(metfcb'©ebilfe^. 
Gr mar Don einem fabelhaften Seicbtfinn, batte nie ©elb unb immer ©cbulben, 
befaß aber babei, mie bie* bei ^erfonen folcben Schlaget $u fein pflegt, 
einen SSifc, eine Saune, eine UnterbaltungSgabe, bie ihn überall beliebt 
machte; menn er fo recht belieb lachte, mufSte man uumillfürlicb mit ihm 
lachen. 2US er eiuft bureb Silben fam, mo bantalS s J5rofefcb = Often unfer 
©efanbter mar, führte biefer eine größere ©ejeüfcbaft auf bie SlfropoliS, 
Don mo man auf bie Stätten einer haebberühmten Vergangenheit b^rabblicft. 
„Sehen Sie, meine sperren unb Samen," fagte Vrofefcb mit VatboS, 
unferen ftüßen haben Sie bie Slfabentie, Don ber alle Slfabemien ber SBelt 
ben Stauten haben; bort mar baS ©pmnafion, Don bem alle ©hmnafien ber 
2l*elt ben Stauten haben; meiter baS Spfaion, dou bem alle Sqcäen ber 

*) SBenn teb nicht irre, Graf So nt utero, Cberftlieutenant bei Sbobenjoüern- 
GbeoauylegerS, roo Slöftlcr StegimentSarjt mar. 


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3n Mremfter. 


285 


SBclt bcn tarnen haben." „Unb bort," fagte ©nftao mit etrnaS gebämpfter 
Stimme 511 jenen, bie ihm 3unädjft ftanben, „gemahren Sie bie 3 nfe( 
Salamis, non ber nfle Salami ber SQSelt ben Flamen haben." Natürlich 
fchaüenbeä ©elächter, ohne bafS s J$rofefdj muffte, maä baju ben Stntaiä gegeben 
hatte. s flei all’ feinem iieicfjtfinn mar ©uftaü ein braoer SJlenfch unb eine 
treue Seele. 3 n ben 3 ah*en, bie er in 2 öten jugebracht hatte, mar in beut 
oermögficheren SRittelftanbe eiltet ber glänjenbften .fmufer ba 3 be* ©euerat* 
Stab^arjte^ o. 3§}arbinf, 311 beffen lod)ter mein ©oufin eine ernftere 
Neigung gefaxt hatte. Wittlermeile mar ber £>au£oater geftorben mtb e# 
hatte [ich gejeigt, baf^ nid)t 3 tmrhanbert mar; bie JJrau, ba£ birecte ®egett= 
theil einer guten SBirtin, hatte nicht bloft bie (aufenben ©infiinfte auf¬ 
gebraucht, foubern fich auch ba£ jn berfchaffen gemufft, ma$ ihr Wann 
erfpart mtb ^uriicfgelegt hatte, tiefer ®lütf 3 med)fel übte jebod) feinen ©ittfluf* 
auf bie ©ntfdjlüffe ©uftab'8 unb er freite um bie £mnb ber früher gefeierten 
unb nie! umtoorbenen, jept allen ©laujeä beraubten ©eliebten, bie nebftbei 
nichts meniger al# hübfd) mar. @r hatte fich einen halbjährigen Urlaub 
erbeten, hatte einige $eit in feinem' oäterlidjen ,'paufe in @1*03 3ugebrad)t, 
mar in bcn lebten Dctobertagen nad) SBien gefommen, mo er a($ oerbädjtig 
001t ber Wobilgarbc abgefangen unb auf bie 8lula gebracht mürbe unb 
©efahr lief, al 3 Spion behanbelt 311 merben, bi 3 c* ihm gelang, unter ben 
Slfabcmifern einen ©ürgeu auf3utreiben, auf beffen 3eugni$ mau ihn entlieft. 
3 Ba 3 er jeftt anftrebte, mar, einen felbftäubigeu ©often 31t erhalten, um feine 
©raut heimführen 31t fön neu, unb bafiir füllte id) bei meinem jepigeit 
„Kollegen", bent Winifterpräfibenteu, meine 3ürfprad)e einlegen. 3d) that ee, 
aber id) meift uid)t, ob id) mir nid)t baburd) ein ©uttheil ber ©unff, in 
ber ich bi£ bal)in bei Schmalenberg geftanben hatte, uerfcher^t habe; benit 
erft nadjträglid) mürbe id) aufmerfjam gemacht, baf» bem dürften nichts 
mehr 3umibcr fei, al£ s .Repoti$mu 3 unb ©rotectionamefen 

$a* Anliegen meinet ©etterä ©uftao mar jeboch nur ber Einfang, 
lag für lag brachte mir bie s 4>oft Briefe unb ©ittfdjreiben, mie in einem 
®inreichung$=©rotofofl. ©3 fei mir geftattet, einiget baoon ai^uführen, meil 
ber geneigte Sefer barau» bie auf* unfid)cre geftellte ^age erlernten mirb, in ber 
fich bamal$ faft jeber befanb, ber uid)t 0011 feiner .'pänbe Strbeit lebte. 
©£ mar ja burd) bie uoratt*gegangenc SReoolution fo gut mie alle* über ben 
.paufen gemorfen, unb Weites muffte an bie Stelle bc* früheren gefeftt merben. 
Xurd) ba* patent 00m 7 . September mar bie llntertbäuigfeit unb bamit 
bie s J8atrimonial-©ericht^barfeit aufgehoben, unb bie Soften aller 3ufticiärc, 
Spnbici unb Wagiftrateräthe fd)mebtcu in ber Suft, menn c$ ihnen nicht 
gelang, in ben Staatebienft aufgenommen 31t merben. Slber auch fielen 


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286 


^ofepb 5 re ^ crr ÜOn Jpelfert. 


Staatsbeamten fcbmanfte ber ©oben, auf beut fie bis baf)tn fieser geftanbeit 
batten, unter ben Süfeen. Stabion ^atte alle ©eamten feines SWinifteriumS, 
hohe toie itiebere, für bifponibel erflärt, feiner batte bie ©ürgfebaft, auf 
feinem ©often, ja überhaupt im $>ienfte ju bleiben. ©S mar baS eine hurte 
SJtaferegel, aber fie mar notbmenbig, unb im 55ieitfte fannte Stabiou feine 
Schonung. QDic neue Sage oerlangte neue Scnte; oon beit alten fonitten nur 
folcbe auf Selaffung jäblen, oon benen ficb oorauSfefcen liefe, bafS fie ficb 
in bie ooUftänbig oeränberten Serbältitiffe ^ineinfiitben mürben. 1aS maren 
bie Seforgniffe! 2luf ber anbern Seite ftanben bie SluSficfeten unb 
©rtoartungen. 'Sie Scbeibung ber Slbminiftration oon ber Suftij mar auS= 
gefproeben, in beiben 3meigen fottte oon unten bis hinauf alles lanbeSfürftlicb 
fein, unb ba gab es nun eine äKenge neuer Stellen, bie $u beferen maren 
©iuige ©rauchen, toie bie für |>anbel, ©ernerbe unb öffentliche 2lrbciten, für 
bie ©obcncultur, maren feit bem SMära neu gefebaffen morbett, uttb ba gab 
eS fortmäbrenb Kreierungen oon neuen Stellen, ©efefcungen unb ©eförbernngen. 
S33ar eS unter folcben Umftäitbett $u muttbern, metttt jeber, bem jefct oor 
ber 3ufunft bangte ober ber eine beffere Stellung anftrebte, fid) an einen 
berjenigen manbte, bie in ber ooiberften Steibe ftanben? 

3n folcber Sage erinnerte ficb benit f° mancher, ber feit nnferett Stubien* 
jabreit nichts oon ficb butte ftöreit taffen, jefct an unfere Scbulfreuubfcbuft, 
betrieb mir, mie er „mit frenbigem Stolj" meine Saufbafen oerfolgt habe, 
münfebte mir ©lücf $u ber hoben äRiffion, bie mir bei ber jefeigen 9?eu^ 
geftattuug gemorbeit, unb befanit ficb ad vocem „Steugeftaltung", bafS ja 
iljm auch babei ein ©läfccben jitfaden fönnte, moju ich ihm mit meinem 
{ewigen ©influffe behilflich fein möchte. 2 Bie oicle, mit benen id) irgenb 
einmal in Serübrung gefomnten mar, ober bie nur meine feligett ©Item, 
meinen ©ruber ©manuel gefannt Ratten, ober meine Scbmeftcr, baS gügner’fcbc 
£>auS ober irgenb jemattben meiner näheren greunbe fanntcit, melbeten ficb 
jefct, ittbem fie ficb auf bieje ©ejiebungen beriefen, ju mir unb empfahlen 
ficb meiner 2lufmerffamfeit bei ©efefcung einer Stelle ober baten mich ganj 
allgemein, fie „irgenb in meiner Stäbe" unter ( yibringen. Ser Söip auf meinen 
Stamen „geifert", bafS ich ihnen Reifen follte, mürbe unjäbligemat gemacht. 
Sa fafe ein armer Sanbgeiftticber, ber mit mir in ben pbilojopbifcben 3abr* 
gängen ben ^anbera unb ben ©ablcfaf gehört butte, „mit Sttutter unb 
Sdjmefter" auf einer „©gpofitur", batte 2000 Seelen, 6 Drtfcbaften, 4 Schulen 
unb 120 fl. ©ebalt unb manbte ficb nun an mich — „®ott gab mir ben 
©ebanfen, an Sie ju jebreiben!" — ich möchte ihm behilflich fein, bafS 
feine ©jpofitur ju einer ©farre erhoben merbe. Sa fanbte mir ein „ehemaliger 
Schüler unb ©erebrer meines f ©aterS" ein ©efueb an ben ftriegS=99?inifter, 


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3n ftremfier. 


287 


bamit feine beiben Söhne non Kabelten $n Dfficieren beförbert mürben; ober 
münfdjte mein teurer 9D?aj, „uott ber obiofen Xienftleiftung als goutier" 
nach fieben langen Sauren enblicb in ben 9fod eines !. !. &riegS*KommiffärS 
fcblüpfeu ju föitnen. Sind) „SJtylorb ©cblägterfielb" gab mir bei Korbon $u 
tbun. Kr, ber Konnetable (©roftfronfelbberr) ber hoben Sorbfdjaft,*) mar jefct 
„unobligater 9tegimentS=Kabet" inberßinie; feine „politifdje Slnficbt unb bie 
angeborne Vorliebe jum Sriegerftanbe" butte ibn bei ©eginn ber SBirren 
in bie Steiben ber 21 rmee geführt, unb er erflärte ficb aufrieben, menn er 
nur f. t. Sieutenant mürbe; für baS meitere moüe febon er forgeit. 

SRun fam bie ©rauche ber 3ufti$. Kin ehemaliger SWitfcbüler bat für 
ben SRann feiner ©cbmefter, einen 9WagiftratS*&anaelifteu, um eine ©teile 
bei einem ©e^irfSgericbt; es fönne mich ja beim SRinifterialratl) Subanef 
„nur ein SBort" foften; „ich glaube eS", fo fcblofS er fein Schreiben, 
„meinem ©cbmager fcbulbig 511 fein, nach 2 Röglid)feit 511 feinem ©lüde bei^u= 
tragen." Kin attberer OTitfcbüler, $r. Seopolb Kbrenfelb, ber nebenbei an 
ber Unioerfität Kollegien laS, butte ein „stallum“ (Sttmocatenpoften) in SWieS 
erhalten unb münzte nach ©rag überfe^t 511 merbett. 5Reine ©cbmefter 
üftarie legte für einen ihrer Dielen ©cbmäger ein gürmort ein, bafS er eine 
Mbuocatur erlange, unb berief ficb in feinem Utamen auf bie in lefcter 3 eit 
uorgefommenen Serleibungen folcbcr 2lrt, bie $u bemeifeit fdjienen, „bafS baS 
3ufti$ 2 9Jftnifterium oon bem liberalen ©runbfape auSgebe, auch jüngeren 
Doctoren bie 28ol)ttbat einer felbftänbigen SBirffamfeit angebeiben $u laffen". 
Dr. Garant in 3*oettl fam fogar mit brei ©itten. Kinmal für ficb, bafS 
ich ihm, — „um ber greunbfebaft nullen, bie mir 3 b r feligcr ©ater ange* 
beiben lieft" — bei ben neu $u erriebtenben ©ericbtSbebörben eine ©teüe 
oerfebaffe. Dann febiefte er mir eine Deputation nach Sremfier; ber SpnbicuS 
an ihrer Spi^e bat im SRamen fämmtlicber ©atrimonial* unb Kommunal* 
©eamten ber ©tiftSberrfdjaft um Unterbringung berfelben bei ben 511 
erriebtenben lanbeSfürftlicben Ämtern. Kr mar ©ater üon $ebn fiiubern unb 
ohne eigenes ©ermögen, unb baber bat Garant brittenS, einem ber ©ohne 
beS ©pnbicuS ein Stipenbiüm 511 Derfd)affen. 

DaS mar benn bodj etmaS auDiel auf einmal, unb ba$u fam immer 
mieber neues. ©0 erhielt ich 00 m Kamera!*©ecretär Sofepb geller mieber* 
holt fecbS bis acht ©eiten lange Schreiben, fo bafS mir baS Sefen allein 
eine äRenge 3eit raubte, gd) butte ihn in ben ©rager mufifalifeben Steifen 
bureb greunb WmbroS fennen gelernt, unb nun fefcte er mir meitläufig 
auSeinanber, meines Unrecht ibnt oor gabren bnreb bie Krnennung ©lener’S 

*) Kin Weiterer SretS auS meiner ©rager 3eit; alle ÜRitglieber roaren öorbS, 
bie älteren butten baneben noch befonbere 31mtS« ober 5Biirbe*Iitel. 


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288 


gofepb greiherr oon eifert. 


unb 9 JlatfZ*) ju Kameraträtheu gefchehett, unb bat mich, feine Darftetlung 
bem SRinifter ÄrauS mit ber Sitte $u überreichen, „er möchte fie nur tefen". 
9Rein0nfe( P. gran$ 9lmabeu3 ©eifert mar $echant in Stabonifc gemefen, 
hatte fich feither in Stuheftanb gefegt unb lebte jefct als Spiehraber ®h rcils 
SanonicuS in ©rag. ®ie Stabt 9?aboni(j, im Saajer Streife fübtich oon 
Saaben gelegen, mar 1842 burch eine geueräbrunft fyaxt mitgenommen 
morben unb fah jefct ihre SRettung barin, menn fie ein f. f. Seflirtegericht 
erhielte. Saum hatten bie Stabonifcer meine (Erhebung oernommen, a(3 fich 
ber Sürgermeifter in Xöplifc einfanb unb meinen Dnfel, ber eben bort bie 
Sur gebrauchte, erfuchte, er möchte bei mir ein gürmort 511 ©unften ihrer 
Stabt einlegen. $er Kanonicuä that e3, inbem er mich an ^ cn „ehemaligen 
Schauplafc ber jungen geifert unb SBinbifchöräfc"**) erinnerte nnb mit 
Smphafe fchtofä: „e£ möge ber glorreiche Sohn fich an bem ©(afee unfterblid) 
machen, mo auch ber berühmte Sater ein unoergängliche$ $enfma( hinter* 
(affen hat"-***) ^Ibcr felbft mein lieber Schmager liefe mich nicht lo3. 
„Unoergleichlichfter Unter*Staat3fecretär, ^Sitt Öfterreicljä", fo rebete mich 
Heinrich giigner an unb fteüte mir oor: ich möchtebod) mit „meinem Kollegen", 
bem ©anbelS* unb ginanj*9Rinifter, fprecljen unb „im ©efpräche f<h(au bie 
grage fallen (affen, ob e£ nicht jefct getingen fönnte, bie Konceffioit jurn 
Ktabliffement einer Agentur oon au^Iänbifchen Serficherung£*©efellfchaften 
51 t erhalten". 

$)iefe unb noch Oiele aitbere Sotlicitationen betrafen nicht meinen 
Seruf; baju tarnen nun ^abllofe Anliegen im ©ereile be£ Unterrichte 
unb nicht meniger in meiner Sigenfchaft ale 9lbgeorbneter, unb man rnirb 
$ugeben, bafe ich ben ©eneral*Settelmann bei fämmttichen 9Rinifterien hätte 
abgeben müffen, um at( biefen Slnforberungen 511 genügen. ®abei fahen Oiele 
einer „ba(bigen Mntmort" entgegen, mo ich faum bie 3 ^it hatte, überhaupt 
nur eine ju geben. Sie fteüten fich bit Sache fo oor, a(£ ob e$ mich, ber 
ich ja »an ber Quelle" fifce, „nur einen Schritt", „nur ein SBort" fofte, 
um ihre ffiiinfcfee in Erfüllung ju bringen, ober, mie ftch ber muntere 
SRegimentSarjt in ffratau au^briiefte: „$u l)aft ja jefct fo üiefe Serbinbungen, 
bafS e3 $ir ein (eichtet fein mufS, in fünf Stunben an£ einem Scfjneiber* 
gefeflen einen ©ofrath 511 machen." 

♦ * 

♦ 


*) ggnaj ©lener, bei* fpätere ginanj-ÜRinifter, bamalö t. !. Eameralrath in 
EUbogen; Stephan 9Rap, t. t. ©ofrath unb EamerabEefäUen&bmintftrator in ©rag. 

**) ©rinjen $arl uub ©ugo oon ber ©erianb’fchen Sinie. 

***) Stiftung oon Seelenmeffen für oerftorbene gamiltenglieber auf bem 
ßapeüenberge bei 3öinteri&. 


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Sn ftrentfier. 


289 


$ic treue Seele verlangte gleichfalls etmaS, aber nichts für fich, fonbern 
für einen unferer gemeinfchaftlidjen greunbe, ber eine unverbiente ^urüdffefcung 
erfahren hatte. 3$ habe berichtet, bafS ber neue gali^ifche ®ouVeriteur alle 
Sluftrpafen unter ben s $rofefforen ber Srafauer llniucrfität Ijcimgefc^icft hatte; 
allein and) anbere uid)t*einheimifd)c Beamte erfuhren, menn fie ben Herren 
s 4 $olcu nic^t recht 511 ©eficftt ftanben, baSfelbe Sd)itffal. $a£ mar benn and) bei 
bent ^oli^ei'Dbercüinntiffär 2 Uoi£ ©abriel ber Sali. (£r hatte bei bent ftrafaner 
Mufftanbe im 2 lpril 1848 fomof)l bem Militär als and) ber Regierung vor¬ 
treffliche ®ienfte gelciftet, aber eben baburd) fich beit §af$ ber polnifdjcn 
Partei jnge^ogen. 0 h ne ßtoeifel ift von ihrer Seite baS möglichftc gesehen, 
ihn bei $aleSfi in Verruf ju bringen, unb fo mürbe ©abriel in ber 34 )at 
von ber Srafancr s J8oli ( j;eibirection abberufen unb, menn ich nicht irre, als 
einfacher SonceptSbeamter nach Scmberg bcorbert. $aS mar nicht bloft eine 
harte Xemütf)igung für ben braven s JLRann, ber in .Slrafau einige 3 cit fogar 
eine leitenbe Stellung proviforifd) verfehen hatte, fonbern traf ihn and) 
pecuniär auf baS empfinblichfte. 3ch nahm mir vor, für ihn ju fpred)en unb 
meine Sermenbung ift nicht ohne (Srfolg geblieben. 

®inem meiner Srafauer 3reunbc fonnte id) unmittelbar unb fogleid) 
helfen: es mar Sohaitit greift. v. s JSäumann, ber luftige Stotterer. ®r 
mar gleid) ©abriel bei ber Slrafauer ^olijei angefteüt, hatte aber von 
3 aIeSfi nichts 51t fürchten, ba er ber poluifcheit Sprache in 2 Bort unb Sdjrift 
mächtig mar. £ocft gefiel eS ihm itid)t länger auf feinem Soften 1111b er 
bachte fid): mein greunb geifert ift je£t ein mächtiger ,£>err gemorben, ber 
mirb mir eine anbere Stelle vcrfd)affen. So erfd)ien er benn eines Jage* 
mie vom .pintmcl fterabgejeftneit bei mir, auSgeriiftet mit einem SmpfeftlungS* 
fdjreiben beS Prälaten Sdjiitblcr. gd) crttfd)lofS mich, ihn in meinem 
SRinifterium untcr^ubringcu, Stabion erhob nid)t ben geringften SInftaub 
unb fo fchidtc id) il)n bcuit nach SBicn, mo ihn feine h^tere unb gut* 
miitftige Saune bei meinen Käthen, befonbcrS bei ®ell unb öergenftamm 
fd)uell beliebt machte. Xev SRenfcft mar ganj gliidlid), nid)t mehr in ftrafau 
fein'unb bei ber s 4>oli ( ^ei bienen 51t muffen; er gefiel fid) in Söien, obmol)l 
er, mie er mir fdjricb, „nicht au bie Minorität feines 3 lbjutum$ unb bie 
Majorität feines SlppetitS" 51t beuten rnage, unb „obmobl id) utid) meber 
vom ©Iftfiunt*), nod) vom gafdfting, ber nad) ffielben'S 3*itrcchnung am 
14 . gaituar beginnt, verführen unb verlüden laffe". s $äumann befaß feine 
iuribifd)cit Stubien, lieft fich baher im ©oitcept meitig vermenben, bagegen 
geigte er fid) gejeftitft für fold)c Slngelegeuheiten, bie mit ber Sitteratur unb 
Sournaliftif jufantmenftieugen unb fonnte als s 2 lmtS-®ibliotftefar gute lienfte 
*) Wiener ^BelufttgungSort in ben ftellerräumen beS St. Slnna ©ebäubeS. 

$ie Äultur. III. Safoi. 4 jpeft. (iyo2.) 19 


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290 


3o)epf) non Jpclfcrt. 


leiftcn. ®r bat eg im Saufe ber 3abre big z um f. f. ©ectiongratb gebracht 
unb bat beit greunbfcbaftgbienft, beu ich ihm bamatg ermiefen, big an bag 
©nbe feiner läge in baitfbarer (Erinnerung bemabrt. 

Son meinen firafauer iluiuerfitätgs©odegen befaub ficb ber einzige 
©cbmibts©öbcl in einer bebanerngmerten Sage. Xfyeobor 3Jticbel lebte, 
auf eine ^rofeffur martenb, einftmeilen bei feinen (Eltern in $rag, eine 
J^offenbe Sraut in feiner Stäbe; 3ouä! mar im conftituierenben Steicbgtag, 
SRafomicjfa in ber granffurter v Jtational*$erfammlung, fomit beibe für 
bie erfte $eit oerforgt. ©cbmibt allein mar burd) feine ©ntlaffung aug 
Srafau oodftänbig aufg Irocfene gefegt; er mar noch ba$u verheiratet — 
er batte Z ur Stau eine Softer beg s J8rager Slrcbiteften Qönbt — unb 
uieüeicbt fcbott SSater in spe. „git SBien ^at man nitg 1847 gejagt," fcbrieb 
er mir in feiner $er$meiflnng, „bie ^Regierung merbe eg ung allen gut 
atirecbnen, bafg mir bag jmeifelbafte @£periment magen, nach S'tafau 8« 
geben; nun jagt man uitg fort, mie ©ettler tmn ber Xbiir." Sei feinen 
anerfannteu gäbigfeiten unb Senntniffen fonnte eg nicht ferner faden, für 
ibn eine ©tede jn finben; nur augettblicflicb liefe ficb eine foldje nicht fcbaffeit 
unb ber arme Teufel mar fürg erfte auf bag SBarten angemiefen. (Er lief 
in SBien bei aden Sefannten herum unb bot ficb an, ?ßritmtftunbcn ju geben: 
„3cb brauche |)ilfe unb jmar fcbncd. Stein ©infommen Dort 120 big 150 
©ulben ift fo oiel mie nicbtg. Stir fteigt bag SBaffer in beit Stunb, morgen 
ober übermorgen manbert mein lefcteg Silber in bie Stünze, bann bin ich 
fertig." ©r fanbte feinen greunb Söbner zu mir. ©cbmibt bat für beti 
Anfang menigfteng um Sermenbung im Stinifterium für Sobencultur ober 
in bem für öffentliche Arbeiten; ich liefe ifem bnrcb Söbner fagett, ich mürbe 
fucben, ifem Vorläufig im Dieufte meitteg Stinifteriunig etmag 511 oerjebaffen. 
©cbmibt nnb ich rnaren pcrfönlicbe greunbe unb j‘o maren eg auch unfere 
beibeit Stauen. gn nationaler unb Politiker |>inficbt maren mir bie 
entfebiebenfteu ©egner; er mie fein ©djmager Umlauft unb fein greunb 
Söbner maren unnachgiebige Deutfcbe, unb mettn in Srafau bie 9tebc auf bie 
„©ecben" fam, fo mar bei ©cbmibt ber Teufel log. Darum febrieb er mir, 
naebbem er von Söbner unfere Unterrebung in Sremfier erfahren: „Dafg 
Du unferer oftmaligen ©treitigteiten nicht gebucht fjaft, bag ift eg, mag ich 
befottberg banfbar unb erfreut anerfenne. Übrigeng ift bag Programm beg 
ffltinifteriumg geeignet, unfere Differenzen bebcutenb augjugleicben; benn ich 
verlange meuig mehr unb menig anberee alg ©ucr oolleg unb ganzeg Programm". 

4. 

„©g lebe nufer conftitutioneder Saifer Sranz Sofepb I.!", mit biefem 
Stufe batten ©molfa nnb ber 9teid)gtag am 2. December il)ren neuen Sto* 


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$n Mremfter. 


291 


narren begriifet. Unb baS mar oon bciben ©eiten ehrlich unb lotjöl gemeint. 
Tenn ber junge Soifer unb fein SKinifterium Wollten fich an jene Serfaffung 
halten, bie ber conftituierenbe fReid^^tag $anb in £>anb mit ber Regierung 
3 itftanbc bringen Tollte, ©egettiiber bem SouueräititätSsStQnbpunfte bes 
Wiener conftituierenben Reichstages mar nunmehr feitenS ber Regierung unb 
ihrer Partei bie Vcrfaffung als ^neifeitiger Vertrag gebadjt, ber Leibe 
2I)eite beliebigen, non beibcit ^heilen juftimmenb angenommen werben Tollte. 
Tie ©ac^e lieg fiel) gut an. 3Hinifterium unb Reichstag ftanbeu 511 einauber 
in einem Verhältniffc, baS einen gebeif)lic^en s 2luSgang erwarten lieg. Tic 
Sittfc bebarrtc jwar in ihrer Dppofition, aber eS mar 511 m weitaus größten 
Theil eine gut gemeinte Opposition. Sie griff nicht bie gemeinjame ®runb= 
läge an, auf welcher man baS Reugebäube ber Vcrfaffung aufführen wollte, 
foubern mar nur über bie s Jlrt unb SBeife biefcS ReubaueS, über bie 9luS* 
führnng ber freiheitlichen ©runbfäfce, an beiten man beiberfeits fefthielt, 
auberer SReinuttg als ihre ©egtter. Tie non ber Stufen ließen fich, ntiit^ 
beften^ borläufig, ein SRinifterium gefallen, baS (Sutfdjiebenheit unb Straft 
geigte unb unoerfemtbar mit fich nid)t fd)cr^eit (tcf 3 , baS aber itidjtS oon 
beut übernahm ober and) nur, mir fie fid) überzeugt hielten, beabsichtigte, 
maS fie oor ber (Srflärung feinet VrograntüteS oon ihm befürchtet hatten: 
Ruflöfnng beS Reichstagen, Ttvafgeridjtlichc UutcrTudgtug unb Verfolgung. 
VluSgefprodjene <vciube ber Regierung warnt nur unb blieben ein großer 
Theil ber „Rolcit im Jratf", bie cS bem neuen SRiitifter bcS Innern ttidst 
oer^eiheu fonitteit, bafS er ihnen bie Rutheneu „crfuitbett" l)ntte. 

Von jenen s 2(bgeorbueten, bie fich in bie ftürmifd)cn ©reigntffe, nament¬ 
lich in ^ er Dctoberjeit, gar 51 t tief cingelaffctt hatten, fueßte mehr als einer 
Seinen griebeit mit bem SRinifterium 311 ntad)en. 3n wahrhaft anwiberttber 
SBeife that bicS ber s 21bgeorbnetc für £id)tenmalb in Stciermarf Tr. 2lloiS 
3mrefer, ber fid) in SBien auf beit rotheften unter beit Rothen hinaus- 
gefpielt hatte unb ber jept um bie Rcinifter unb felbft um einige XHbgcorb« 
nete ber Regierungspartei hennnfdsmäiijclte, bafs cS nur eine fTrettbc war*). 

*) Qn ber Wiener „©eifeel" Rr. 93 oont 8. Teceittber ©eite 3*8 war eine 
(Eorrefponben$ aus Slvemfier oont f>. $u lefeit: „©tu fteirifchev Teputierter soll in ber 
©ra$ev 3eitung ein neues ©laubenSbefenntntS abgelegt haben, worin er benfelben 
^ellacie, ben er utoor einen ,©mporei‘ nannte, nun einen ,Vefveier‘ nennt. Ter- 
felbe pflegte in ben Octobertagen bie nod) in $9ieu antoefenben Teputierten mit 
bem 3urufe: -3hr Herle, werbet 3b* juftimmeu, fonft . . .* ju terrorifteren. 3efct 
wanbeit er, bei* fonft in feinem grau unb grün auSgefdjlagenen ©d)ii&enrotfe in ber 
’^efellfcbaft Umlauft* Jiifter ben ©chtoeif bilöete, um oon ben ©hren, welche bie öinfe 
in ©mpfang nahm, aud) mit einem Xheilchen $u participieren, in febwarjer Fracht, 
mit einem ßueferbut auf bem leeren ©djcibel, in ben fallen beS RittgplafceS hin unb 

19 * 


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292 


Qofeph Qfrei^err oon eifert: 


3 ü ft er froch in anbercr SBeife jurn fitcuj. ©eine Stellung als Unioer* 
fitätS*®rofeffor in SBien, baS fah er moht ein, hatte er für immer Oer* 
fcherjt; taut Dermalste fich baS Kollegium ber p$itofopl)if<$en 3acultät ba* 
gegen, ihn mieber als Goßegen in feine SWitte aufjunehmen. Son feinen 
ißprifchen ßanbsleuten aber mar §u oentehmen — er mar früher ®rofeffor 
am ßtjeeum $u ®ör$ gemefen —, bafS fie, menn jernanb aus bem ßtorben nach 
$rain !am, ihn entriiftet fragten, ob benn ber Schuft güfter noch nicht gelängt 
fei?! 3 n fitemfier nun antichambrierte güfter bei ©tabion unb erfchien eines 
2ageS bei mir mit ber ©itte, ob er nicht eine ©ibliothefarfteße erhalten 
tönne. Gr fuchte feine Spaltung in SBien in ein günftigeS ßicht ju ftetlen, 
Hagte über bie ©erleumbuugen, bie über ihn oerbreitet morbeit feien, unb 
überreichte mir — unb ohne Steifet auch btm ©rafen ©tabion — fein 
Such „üKentor für bie ftubierenbe 3ugenb"*). G)aS Such enthielt gemifS 
nichts, mad Slnftofc erregen tonnte, fchon barum, meil cS oor 1848 unter 
ber £>errfchaft ber Genfur gebrueft mar. ©elefen habe ich & nicht, meil ja 
unter allen Umftänbcn oon einer ©elaffung ftüfter'S im ©taatsbienfte feine 
9?ebe fein tonnte, menn auch nur bie £älfte oon bem mahr mar, maS man 
fich oon feinem Treiben unter ben ©tubenten unb auf ben ©arrifaben 
erzählte, unb um feiner 9tebc am 29. 3uli im Seichstage mißen, mo er bie 
taiferliche ftamilie rnegen ihrer Sibfahrt nach SnnSbrüdf an baS ©chicffal 
eiltet ftarl I. unb 3afob II. oon Gnglaitb, eines ßubmig XVI. oon 3ranf* 
reich erinnert t^atte. 

Gin ganj auberer 3aß mar eS mit 9Reb. ®r. Slbolf S i f cf) h 0 f/ 
Slbgeorbnetem für 9Ra$leinSborf. Gr gehörte mohl ju ber entfehiebenen 
ßinfen, aber er mar eine ©erfönlichfeit, ber felbft politifche ©egner ihre 
Sichtung nicht Oerfagen tonnten. 2Rinifter $oblf)off hotte ihn als Statt) in 
fein äJtinifterium aufgenommen, ich benfe für 3JtebicinaI^SlngeIegenheiten, 
unb eS ift begreiflich, bafS er biefen ©often nicht leichthin oerlieren moßte. 
Gr melbete fich &ei ©tabion, ber nichts bamiber hotte, einen ßJtann üon 
fo anerfannten gähigfeiten unb ffenntniffen im 9Jtinifterium 511 behalten; 
nur machte eS ©tabion, maS ja üont ©tanbpunfte ber ^Regierung unauSmeichlich 
mar, jur Sebingung, bafS fich 3ifd)hof mit üofler Slufrichtigfeit bem SRini- 
ftcrium unterorbne, beffen ©rincipien acceptiere unb barnach honble. $aS 
mar nun aber für einen Stabicalen mie 3ifchhof eine fernere Sache, eS hiefe 

Tinnt auf eine GibeSforinel, in meiner er befebroören fönnte, nie ein Stabicaler gemefen 
*u fein. 0 über biefe^oerächütcbeit SJZenfcben, in beren SBirfen ber ©egen, baö ©lüd oon 
ÜZRißtonen niebergelegt worben!" 21. 3. $ra?ler in ©ra$ bruefte bieS in feinem' 
„£>erolb" ©. 37f/unter ber Sluffdjrift ab: „Söie mag fich roohl biefer ÜRann nennen?" 

*) 2ßien.l848jBraumitUer; 12°, XII u. 333 ©. 


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3tt Äremfter. 


293 


baS, tute er meinte, feine politifdje Vergangenheit feit bem äRärj 1848 
berleugnen, unb bie mieberßolten Schritte, bie Sifchhof bei Stabion machte, 
maren barum meit entfernt, ju einem gemeinfcßaftlichen 3^te jn führen. 
3ch habe baS aus bem eigenen SRunbe Stabion'S. 

3ür einen bon ben ÜJJännern ber Sinfen hatte ©tabion eine 8trt 
Schwäche, für Söhner. Glicht etma, bafs jmifchen beiben ein befonberer 

Verfeßr beftanben hätte ober bafs einer auf bie Slnfidjten beS anbern 

eingegangen märe. 2lber ber „©entleman", maS Söhner in feiner Gattung 
unb in feinen SRanieren mar, machte auf Stabion einen bortheil* 
haften ©inbrud, nnb ich meine, menn eS fich um eine ©emährung bon 
©tabion'S Seite gehanbelt hätte, mürbe fie Söhner leichter als jeber 
Slnbere erlangt haben, ©in eigenartiges Verhältnis beftanb zmifeßen Söhner 
unb mir. SBir maren parlamentarifcße ©egner. Söhner befaß eine 

herborragenbe SRebnergabe, befonberS aus bem Stegreif; menn ihn ein 
©cgertftanb ergriff, fonnte er ßinreißenb mirfen; er mar reizbaren Sempera* 
mentS unb babei empfinblicß gegen Angriffe bon anberer Seite. SReine 
©tärfe mar bie SReplif, fehr häufig bon farfaftifeßem ©epräge, unb fo 

mar mir in meinen SBiener SReicßStagSreben auch ber 5lbgeorbnete für 
©aaj nicht entgangen, ben ich mieberßolt fc^arf abgetrumpft hatte. Seitbem 
fonnten meine ©odegen bon ber Stedten mahrnehmen, bafs, fo oft ich mich 
Zum SBort melbete, Söhner fich aus bem Saale bertor. @r bermieb mich 
auch im Umgänge; allein menn er mir nicht auSmeicßen fonnte, mar er bon 
ber größten £)öflicßfeit, mie eS fich bon einem 3Ranne bon Sitte unb 9ln* 
ftanb nicht anberS ermarten ließ. 

SBie Stabion für Söhner, fo mar ber Sinanjminifter StauS für 
Sr. SRubolf Vreftel, Slbgeorbneten für bie SBiener Roffau, ungemein günftig 
geftimmt. ®r rühmte VreftefS flaren Verftanb unb logifcße Schärfe unb 
empfahl mir ihn mieberholt für eine Vermenbung im Sehrfach ober eine 
StnfteHung im UnterricßtSminifterium. 2lber baju hatte ich* feine Suft, ba 
ein 2Rann bon entfebieben rabicaler ©efinnung boch gemifS am allermenigften 
in baS Sehr* unb ©rzießnngSfacß eines 9RinifteriumS pafSte, baS eine ent* 
feßieben conferbatibe Richtung einfcßlug. Vreftel mar ein ausgezeichneter 
9Ratßematifer; marum fanb KranS nicht in feinem eigenen 9Rinifterium ein 
Vläfcdjen für ihn? Srug etma ber „0ctober*9Rinifter" Vebenfen, einen 

Cctober*2Rann fo auffaßenb jn begünftigen? 

* 

* * 

Von ben SRitgliebern beS jefcigen 3RinifteriumS maren Vrud unb 
©orbon ben Slbgeorbneten neu unb ftanben barum beren Greifen ferner als 
jum Veifpiel Vach unb SrauS, bie fie feßon bon SEBien aus fannten. Reu 


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2D4 


3ofepb Freiherr oon geifert. 


mar ben. ©bgeorbneteu uor allen ber ©Jinifterpräfibent, bei meinem noch 
ba« baju farn, baf« er, meil er jumeift unt ben St'aifer mar, fich nur in 
befonberen SäOen in firemfier geigte. Schmalenberg’« ariftofratifche« 
SBefen, feine militärischen unb biplomatifchen Slntecebentien bilbeten and) 
eine ©rt Schranfe für nähere ©erübrungen mit ben ihm perfönlidj burchan« 
fremben ©bgeorbneteu. 

©nber« mar Schmalenberg mit feinen Kollegen, ben ©iitgliebern be« 
©tinifterium«. ©egenfeitige« ©ertrauen, ©inmüthigfeit in ben ©efchlüffen unb 
Serfdjmiegenfjeit nach auften hatte er als bie ©runblagen unfere« gemein* 
fchaftlichen Jpanbeln« aufgefteßt, unb er fdbft gieng hierin mit bem beften 
©eijpiele Doran. ©ad) rühmte e« eine« Xage« mir gegenüber, ma« für ein 
Unterfdjieb in biefent ©erbalten Schmalenberg’« fei gegen ba« frübeve 
©Seffeuberg«, ber in ©ngelegenbeiten feine« ©effort« ftet« einen gemiffen 
©ücttjalt beobachtet b a ttr* Sdjtoarjenberg biegen machte au« ben ©fit* 
tbeilungen, bie er Don an«märt« empfieng, unb Don ben ©ntmorten, bie er 
oabin abgehen lieft, feinen Kollegen gegenüber fein £ehl. 9lu« feiner ©räfibiaU 
Sfanjlei unb au« bem au«märtigen ©inte lief fein mistigere« Schriftftiicf 
ab, ba« nicht $uDor bem ©tinifterium mitgetbeilt unb im ©chofte be«felbut 
befprocheit morben märe. 6r h a ^ e eine burd)au« Dornebmc ©Seife, bie 
©efchäfte ju bebanbeln, unb behielt bei angenehmen mie bei unangenehmen 
©achrichten bie gleiche ©ulje bei. ©ei allem ßrnfte, momit er bie ©efchäfte 
bebanbelte, muf«te er, mo fich ©nlaf« ba$u bot, bie heitere ©eite betau«' 
äufinben unb gab un« ba« gern $um ©eften. Stoffe folchcr ©rt boten 
namentlich bie ©erichte, bie bamal« au« ©ari« einliefen, ©inmal erzählte 
er un« — ich glaube e« mar im ©Sagen auf ber Rabrt Don Jputtein nach 
firemfier —, mie unfer ©efchäft«träger Ib^m an einem beißen Sommertage 
ben republifanifeben ©tinifter be« ©u«märtigen ©aftibc in beffeit ©ureau 
in 4>embärmeln getroffen, ma« biefen bittchau« nicht geniert höbe, in eine 
biplomatifche ©ethanblung einjugebeit. 3« bie ©efchäfte, bie Schmalenberg 
perfönlich in bie |>anb nahm, brachte er einen neuen ©eift; ma« er meinte 
nnb moflte, Sprach er beftimmt unb entfliehen au«, feinen eigenen Organen 
mie ben fremben Kabinetten gegenüber. ©Senn e« in ber Schule ©ietternich« 
al« ©runbfafc galt, nur ja jeben ©clat ju oermeibeti, fo fümmerte fich 
Schmalenberg barum gar nicht; im ©egentheil, mo er fich im ©echte fühlte, 
fchien er ben ©clat ju lieben, um ju fleigen, baf« Öfterreich fefteit ©Sitten 
unb Staft genug befifce, um fich feine frembe ©elebrnng ober Sinntifchung 
in beffen innere Serhältniffe gefallen ju laffen. 

®a« mar in ber erften 3eit befonber« ©nglanb gegenüber ber gall. 
2orb ©aImerfton batte fich, i n ber 3eit Don Öfterreich« ©ebrängni«, nur 


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v ^n ttremjitT. 


295 


511 oft eilten Ton erlaubt, ber, tueim nid)t in ber ftorm, boeft in ber 3acfte 
impertinent genannt tüerben fouute. Schmalenberg 3 al)lte ihm mit gleicher 
Wün 5 e ^nrüc! uitb benuftte gleid) beu Tf)rotimed)fel bap, um bem „S 2 orb 
fauerbranb" eine Sectioit 511 geben: mcifjrenb ber junge ftaifer nad) St. s J5eter3* 
bürg uitb itad) Berlin ^rinjen be£ faiferlicbett £>aufc3 faubte, um bie Wonarcheit 
bei feinem ^Regierungsantritt 511 begrüben, mürbe ba$ Clntitfter Ereignis in 
Sonbou nur auf einfad) gejdjäftlidjcm SBege angejeigt. Tie junge Königin 
Victoria fühlte fid) baburd) perjöttlid) oerleftt; bud) Schmarjenberg’S 
.vwltung follte ja nid)t il)r gelten, foitberu ihrem Winifter, ber in ber leftt 
ncrfloffetten $eit Öfterreich, bejonberS tu beit italicuijdjen Angelegenheiten, fo 
Diel ©rutib junt Ärgernis gegeben l)atte. 

Schmalenberg mollte 3 meifelSof)ne in baS Amt, welchem er borftanb, 
einen neuen ®eift, einen frifcf>eren ßttg bringen. AIS er in feiner Eigeitfcftaft 
als Winifter 511 m erftenntal in 2Bicu erfepien ttnb fid) baS fßerfonal feinet 
SReffortS Dorftellen lieft, fprad) er eS an: „9Jteinc Herren, machen tuir feine 
llmftäube" —, mein luftiger Eoufin ©uftao, ber babei mar uitb mir beit 
Vorfall erjäftlte, fagte: „28ir baeftten nun, eS fei baS eine Einlabung, eS 
unS bequem ju machen" —; allein ©djmarjettberg fuhr fort: „Erbärmlicher 
als eS in biefem Winifterinm befteflt ift, fanit eS in feinem anbertt 3 ttgeheu!" 
Uitb nun ipraeft er über bett Schienbrian, über beu fdjleppeitben ©ang ber 
©efdjäfte, baS ntiiffe 0011 nun an anberS merbeit, tt. bgl. Tie Strafprcbigt 
bat moftl menig genuftt. Schmalenberg mar Solbat uub fein 93ureaumattn, 
nnb fo ftatte er nicht beit rechten Einblicf in baS bureaitfratifdje (betriebe, 
um e 3 in feinem Sinne gritnblid) untmanbeln 511 föniten. 3ßaS unmittelbar 
Don iftm felbft auSgieitg, ba merfte man fogleid) bie Tafte beS Sömeu; in 
bett ^ureaitS felbft aber blieb eS fo ^icmlid) fo, mie cs .yilcftt unter 
Wetternid) gemefen mar. 

* * 

* 

Ter Stnanjminifter ®arott Philipp SfrauS mar eine ber ocrebrungS* 
mürbigften s $erfönlid)feiten, bie id) je feitncit gelernt bube, (fr gieitg in 
feinen s J 5 flid)teu auf. (fr mar fd)on Ppofratt) bei ber allgemeinen ^offammer, 
als er eS ttötbig fattb, bie ttngarifcbe Sprache 31 t lernen uub fid) in ber 
Tt)at biefe ihm oöllig frembe Spradjc in jenem Wafte eigen machte, mie er 
fie für feinen Tieitft brauchte, (fr mar ein btti*d)au4 frommer Wann, feine 
Sratt, eine s JSolitt, mar ein Wufter cftriftlicher Ergebung; als fie fpäter in 
beu fünfziger Sohren ihren hoffnungsvollen einzigen Sol)it verloren, fagte 
ber tiefgebeugte Sater: „SBenn ctmaS gefehlt ftöt, um meine 5rau 3 U einer 
heiligen auf Erben 311 machen, fo mar eS biefe Prüfung, bie nn^ ber £>err 


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296 


3ofeph greiperr oon geifert. 


geicfjtdft pot." Krauä'Pflkpttreue einerfeitö unb fein ©ottoertrauen anberfeite 
ertlären feine Haltung mäprenb ber furchtbaren Dctobertage; er hielt auf 
feinem poften au£, meil er eiblich baju oerpflittet mar, er muffte nichts bon 
©efapr, meil er auf ben Fimmel baute. Semanb pat non ihm gefagt: menn 
e$ einen SWaria 2 perefien*Drben für ©iüiliften gäbe, Philipp KrauS ^atte 
ihn befommen müffen. ®abei mar er in feinem äußeren Seben bie ©in* 
fatheit felbft. 3« Dlmüfc, in Kremfier erfchien er regelmäßig allein, ohne 
©ebienten, ohne einen Seamten feinet 9Rinifterium§, nur mit einer $anb* 
tafche für feine Papiere, feinem mähren „2Rinifter*Portefeuifle", ba3 er fich 
mit eigener $anb $ur ©ifenbahn unb oon ber ©ifenbahn trug. 

©on amtlichen ©eftäften, bie mährenb ber Kremfierer Seit $u beforgeit 
maren, mar eine ber michtigften bie Ausführung beS 9iobot*PatenteS oom 
7. September, moran baS äJfinifterium beS Innern, baS ber SanbeScultur 
unb baS ber Sinanjen in gleichem 3Raße betheiligt maren. ©ine principiefle 
grage mar bie, ob baS Patent fich au f bie ön ©ninb unb ©oben paftenben 
©iebigfeiten an bie ©eiftlitfeit, alfo namentlich auf ben pfarrlicßen 3 epent 
erfireefen folle ober nicht. 3t mar bagegen, iubem ich peroorpob, baS Patent 
oom 7. September habe eS feinem ©tortlaute unb feinem Sinne nach nur 
mit ben untertänigen Seiftungcn unb mit bem beftanbeiten Serpältniffe 
^mifchen ©rmtbobrigfeit unb ©runbholben 511 thun; baS ScrpältniS beS geift* 
liehen 3 ehentperren ju ben gepentpolben beruhe auf einer gan^ anberen ©runb* 
läge unb fei baher burch baS Patent nid^t getroffen. Aber it brang nicht 
burt- ©at meinte, man folle iefet mit allen ben bäuerliten ©runb 
unb ©oben beftmerenben Saften unb ©iebigfeiten ein ©nbe mateu; felbft 
KrauS, ein fo frommer Sohn ber Kirche er mar, mar ber gleiten Meinung, 
unb in biefem Sinne fiel beim aut ber ©eftlufS au£. 

®er KriegSminifter ©aron Sorbon mar eine biebere Solbatennatur, ber 
reblit fein Sagemerf oerrittete. ©r mar SRinifter gemorben, meil e£ oon ihm 
oerlangt mürbe unb er als Solbat bortin folgen muffte, mohin man ihn ftetlte; 
er mar ohne meiteren ©prgeia, ohne höheren Stauung. ©orbon mar Stuupfer, 
it im Stnupfen Stmarofcer; als er eines lageS, ba it mit ihm unb 
Kraus oon Kremfier nat Dlntüp fuhr, fein lösten herauS$og unb it tu 
um eine prife bat, reitte er mir baS 'Sötten pin unb fagte: „3t &er* 
fitere Sie, ein Printen labaf pat mir fton mantmal in ernften Augenblicfen 
eine ßonfolation gemährt." AbenbS in Kremfier patte ©orbon mit feinen 
Abjutanten feinen frugalen 2pee, unb babei mürbe eine Partie SBpift ge* 
matt, an ber it ein imb baS anberemal teilnahm. ©at latte barüber. 
„3t bitte Sie," fagte er $u mir, „mir anberen HRinifter miffen nitt 
moher mir unfere 3eit nehmen foden, unb er fpielt Karten!" 


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3n ftremfier. 


297 


©ine eigentümliche ©rfcheinung unter ben SRiniftern mar ©rucf, 
richtiger „oon ©rucf". ©in ©ilb fräftiger äRämtlichfeit, groß unb ftämmig, 
mar er nichts meniger ald jum ©alonntann geraffen; befonberd finb mir 
bamald feine berben ©tiefet aufgefaflen; ed h at mich bad jebedmal an ben 
franjöfifc^en Sammerpräfibenten, ich gtaube ®upin, erinnert, über ben id) 
getefen hatte, bafd er unter feinen fein angejogenen Amtdgenoffen burd) feine 
großen Schuhe öon bidtem Seber aufgefaflen fei. ©benfo menig ald £>ofmann 
mar ©rud Sureaumann. Aid gemanbter ©ratticud in Irnnbeld* unb inbu* 
ftrieflen Sachen moflte er auch in feiner neuen Stellung afled auf fürjeftem 
ffiege abthun. „SEBiffen Sie/ fagte er mir, „bad moflen mir ohne Schrei* 
bereien unmittelbar unter und audmadjen." Snbeffen famen bie ©Treibereien 
bann hoch nach, bei ©ureauarbeiten geht ed einmal nicht anberd. Quod non 
est in actis, non est in factis. ©rud mar 9tf)eintänber oon ©eburt, aber 
in jungen Sauren nach trieft gefommen unb bort ^eimifT unb ein fo guter 
unb patriotifdjer Öfterreidjer gemorben, mie ed faum einen jmeiten gab. Aid 
©efTäftdmann jeiebneten ihn ein flarer ©lief unb eine uitbeugfante Xfyatlraft 
aud. ©ine congeniate Sftatur, ftanb er in Irieft in allen £mnbel unb 3ubuftrie 
betreffenben Angelegenheiten bem Imtftrc&enben ®out>erneur jur ©eite, unb 
fo mar ed benn ©tabion, ber bei ber ©itbung bed ÜRinifteriumd in Dlmüfc 
bie ©liefe ©chmarjenberg’d auf ben erfahrenen unb einflufdreichen ®ircctor 
bed ÖfterreichifT en ßto^b lenfte. 

9Kit bem flRinifter für ßanbedcultur, £>errn o. 2 f)innfetb, ftanb ich 
im allgemeinen fehr gut, aber eined hatte id) sollen ©runb, ihm übelju* 
nehmen. $ie forftmirtfchaftliche Sehranftalt öon 9Raria*©runn ftanb bid 
bahin unter bem llnterrid)tdminifterium. Xhinnfelb beanfpruchte fie für fein 
SHeffort. SBenn er cd mir gefagt ober in meiner ©egenmart im 9Rinifterratl) 
oorgebracht hätte, mürbe ich vielleicht einige ©inmenbungeit erhoben, jutefet 
aber ohne greifet nachgegeben haben, ba ja fein ©egefjren feine guten 
©rünbe hatte. Allein ich erfuhr gar nichtd, bid mir eined $aged bie 
Angelegenheit ald fait accompli mitgetheilt mürbe, mad mich, mie ich nicht 
leugnen mifl, etmad „oerfchnnpfte". SEBad bad Sehrperfonal ber ÜWaria* 
©runner Anftalt betraf, fo märe ed Diel lieber unter bem Unterrichtd*9Jlini= 
fterium geblieben, unb badfetbe mar mit bem Xhicrarjnei=3nftitut ber 3afl, 
bad ju Anfang meiner Amtierung gleichfafld unter mir ftanb. 

(Sortfe&unfl folßtj 




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Das religiöse 

Protectorat Österreich-Ungarns in der Cürkei. 

tfkm (Eft. 

jMKlä bie ottomanifcpen dürfen in Suropa ipr 9teicp gegrünbet patten, 
maren unter ben europäifcpett Staaten Öfterreicp * Ungarn unb 
granfreicp bie erften, tuelcpe mit ipnen in näpere ©ejiepuugen traten. diefe 
©e^iepungen maven aflerbingä fefjr oerfcpieben; biejenigen, melcpe granfreicp 
$ur Sürfei unterpielt, mären fepr freunbfcpaftlicpe, fie beginnen mit einem 
Mianabertrage oorn gapre 1535, unb erft baä gapr 1799 fiept gran^ofen 
unb dürfen baä erftemal gegen einattber in Waffen; bementgegen loarcn bie 
©ejiepungeit jtuifcpen 0fterrcicp4lngarn unb ber durfei eine SReipe oon 
Kriegen, melcpe beinapc brei gaprpunbcrte oon 1524—1791 auäfitllen, aber 
babei ©elegenpeit ju meprfacpen griebenäberträgen gaben. 

Somopl bie fiaifer auä betn erlaucpten fmufe £>abäbnrg alä bie 
Höuige uon granfreicp pabcn ipre ©e^iepungen 51 t ber Xürfei nicpt blofj für 
bie politifcpen unb mirtfcpaftlicpen gutereffen ipreä Steicpeä uenuertet, foitberit 
eingeben! ber ©fliepten, roelcpe fie atä fatpotifepe |>crrfcper gegen bie töircpe 
patten, paben fie bei allen iprett Verträgen mit ber Xiirfei auep bie ©e= 
biirfniffe ber fatpolifepen ftirepe im SReicpe ber Sultane toaprgenommeit. 

gd) gebe im 9!acpftepertben bie bie fatpotifepe ^Religion betreffenben 
©eftimmungen ber fvan^öfifdften nnb öfterreiepifepen ©ertrage mit ber diirfei, 
iubent icp ^ugleicp biefetben einanber gegenüberftefle, um ihren oerjepiebenen 
Umfang in’ä vieptige Sicpt $u fepen. 


Kapitulation 00 m gapre 1604, 
a b g e f cp 10 f f e n 3 iu i f cp e u Honig 
nS e i n r i cp IV. u n b S u 1 1 a n 91 cp m e ö I. 

s 2Irt. IV. 2üir sollen unb befehlen, 
bafä bie Untertpanen be$ Hatferä oon 
granfreicp unb ber ipm befreunbeten 
giirften bie heiligen Stätten oon geru* 
talem befuepen fonnen, opne bafä ihnen 


grieben oon ien, gefcploffen 
1615 3 io t f cp e n H a i f e r 9R a t p i a 3 
unb Sultan s 2lpmeb I. (üRobt* 
fication b e 3 ©ertrage« oon 
3 fitua*Torot ootn gapre 1 606) 
91rt VII. diejenigen, welche fiep al3 
©olf gefu Kprifti befennen, bie Anhänger 
be3 ©ap’jeä, ©riefter ober ÜRöncpe ober 


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$aS religiöfe 'Jkotectorat Öfterreid^Ungarns in ber dürfet. 


ein JpiuberniS bereitet ober eine Unbill 
jugefiigt werbe. 

s ilrt. V. Um ber Khte unb ber Freunb* 
fdjaft biefeö KaiferS willen wollen wir 
jerner, bafS bie SERönc^e, welche in §tx\x* 
falem wohnen unb bie Kirche ber ^luf- 
erftehung*) bebienen, bort ohne ©törung 
unb IpinberniS wohnen, fommen unb geben 
fönnen, bafS fte gut empfangen unb be* 
fchiifet werben unb ihnen Jpilfc unb ^ei* 
ftanb geleiftet werbe. 

Kapitulation oon 1 7 3, ab* 
gefcbloffen 5 w i f cb e n König 
8 u b w i g XIV. unb © u 11 a n ÜJl u b a* 
meb IV. 

$>ie Ftanjofeit, welche bie bl- Stätten 
befugen, [ollen nicht miiehanbelt werben, 
unb bie ÜJlöitdje, welche in ber Kirche beS 
hl. (SrabeS fmb, [ollen nicht beläftigt 
werben, uni ber alten Fteunbjd)aft willen, 
weldje bie Kaifer oon Franfreid) mit 
utiferer Pforte halten. 

‘Sie lateinifchen SKfcböfe unb 9Jtönche, 
welcheUntertbanen F*anfreichS 
f i n b, [ollen an allen Orten uitfereS Reiches 
io wie fie bisher waren, wei er bleiben 
unb fie follen ihre Functionen auSiiben, 
ohne bafS fie Sentanb ftöre ober hinbere. 

SDie franjofifchen ÜJtöndje, welche in 
3erufalem fmb unb feit Sängern bie 
hl. ©tätten fowobl innerhalb als aufeer* 
halb beft&eit, fowie auch biejenigen, welche 
in ber (SrabeSfirche fmb, follen in biefem 
(Senuffe unb '«öeft&e bleiben, ohne bafS 
Tie Semanb burch Forberung oon Abgaben 
ober jonitwie beläftige, unb foferne fie 
einen SHechtSftreit haben, [ollen fie an 
unfere b- Pforte gefchicft werben. 

Wir wollen, bafS bie patres Fefuiteit 
unb Kapujiner in iSalata im (Senuffe 
ihrer Kirchen bleiben, unb wir erlauben, 
bafS bie Kapujiner Kirdie, ba fie abge* 
bräunt ift, wieber aufgebaut werbe. 

Wir wollen auch, bafS man bie 
Kirchen ber Franjofen in ©mprna, ©aiba, 

*) b. i. bic bl- @rabe3fird)e. 


299 

^efuiten, werben bie KvlaubniS haben, 
in ben Söefifeungen beS KaiferS ber litrfeu 
Kirchen ju erbauen, in beneit fte nach 
ihrem brauche unb nach ben Regeln ihres 
OrbeitS unb bem alten Jperfommen baS 
Koangelium lefen, ftd> oerfamnteln unb 
ben (SotteSbienft werben halten lönnen. 

Vertrag oon K 0 n ft a u t i n 0 p e l 
3 toifchen Kaifer Seopolb I. unb 
©ultan ÜJtebmeb IV. 1681. 

$ie 'Ulöiuhe, ^efuitcu unb (Seift* 
liehe ber fatholtfdjeu Kirche, welche in 
ben türfifchen Orten wohnen, follen nicht 
ungeredit bebrängt unb gequält werben; 
fie follen im ©inue ber Kapitulationen 
unb ber enoirften ^evorbuungen ber 
Pforte befchiifct loerbeu unb es foll nicht 
erlaubt fein, bafS fie beläftigt werben. 

FriebenSoertrag oon Kar1 0 wiH 
jwifchen Kaifer Seopolb I. unb 
©ultan *Dluftafa II. 1 Bi#i>. 

9Irt. XIII. 5>er ottomanifdje Kaifer 
beftätigt 311 t* fiirberen v - 8 eobad)tung aller 
giinftigen ^ugeftänbniffe, welche feine 
Vorgänger beit (Seiftlichen unb ber s 2luS* 
iibuug ber deutlichen SHeligion nad) bem 
>HituS ber röinifch fatbolifchen Kirdje, fei 
e$ burch Krläffe ober burd) ©pecial*$erorb’ 
nungen gemacht haben. ©0 werben bie 
genannten (Setftlichcu ihre Kirchen re* 
parieren unb auSbeffern, ihre oon alterS 
hertömmlichen Functionen ausiiben fönneu. 
Sliemanbem fei eS erlaubt, bie (Seift* 
liehen, welchem Orben ober Stange immer 
fie angehören, ben Kapitulationen uub 
ben göttlichen (Sefefcen entgegen burch 
irgenb eme^eläftigung ober ©elberpreffuitg 
in fränfen; fie mögen ber gewohnten 
faiferlichen Dichtung fid) erfreuen unb fte 
geuie&ett. 

Ferner foll eS bem Wbgefatibten 
©r. ÜJlajeftät beS römifchen KaiferS bei 
ber frohen Pforte geftattet fein, feine 
Aufträge bezüglich ber Religion uub ber 
chriftlichen Wallfahrtsorte in ber heiligen 
©tabi F eru falem attSeinanberjufeben unb 


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300 


21). 91. 3>ppen. 


9Ueyanbrien unb in allen anberen §afen- 
orten unfereS Reiche« nicht beläftige, noch 
bafS man oon ben granjofen für btefe 
Kirchen ©elb aboerlange. 

2 öir erlauben, bafS fte im ftofpital 
in ©alata ©otteSbienft galten fönnen, 
ohne baf« fte gemanb beläftigt. 

(Kapitulation oon 1740, abge* 
fdjloffen jroifchenSultanSRuha* 
meb unb ftönig i^ubroig XV. 

9lrt. I. OJton roirb bie granjofen, 
bie fommen unb gehen, um gerufalem 
ju befugen, foroie bie ÜHönche, bie in 
ber Jtfirche beS fjl. ©rabeS fmb, nicht 
beunruhigen. 

9Irt. LXXXII. 3Bcnn bie Stätten, 
roelche bie oon grantreich abhängenben 
ÜJtöndje in Qerufalem befifeen, Reparaturen 
nöthig haben, um oor bem SöerfaUe 
gefchüfet $u roerbcn, fo toitb man über ©er^ 
langen beS ©otfdjafterS oon grantreich 
befehle erlaffen toerben fönnen, bie biefe 
Reparaturen geftatten; bie $abi unb 
©efehlShaber toerben ben burd) ©efehl 
erlaubten Gingen fein frinberniS bereiten 
bürfett 2)a unfere Officiere unter bem ©or* 
roanb, bafS man an biefen Stätten ge* 
heime Reparaturen oomehme, mehrere 
Rtale im gafjre 2)urd)fuchungen ab-- 
hielten unb ben SRöndjen ©elö ab* 
preßten, fo befehlen mir, bafS oon Seiten 
ber ©afdja, ftabi unb ©efehlShaber nur 
einmal im gahre in ber Kirche genannt 
baS ©rab gefu unb in ben anberen 
Kirchen unb ©ilgerftätten eine 2>urd)- 
fuchung gehalten merbe. 

2 >ie ©ifdjöfe unb ©eiftlichen, melche 
oom ftaifer oon granfreich abhängen unb 
bie fich in meinem Reiche befinben, merben 
befdnifet merben, folange fie ftch in ben 
©renjen ihres StanbeS halten; niemanb 
barf fte oerhinbern, in ben Kirchen, bie 
fte befifeen, foroie an ben anberen Orten, 
roo fie rnohnen, ihre Religion nach ihrem 
brauche au« 3 uüben. 


fein ©egehren ju ber faiferlidjen Schmette 
ju erheben. 

griebenSoertrag oon ©affa- 
roroife jroifchen ftaifer Staxl VI. 
unb Sultan 9lhmeb III. oon 1718. 

9lrt. XI. 2Bie ber oorhergehenbe. 

griebenSoertrag oon ©eigrab 
jroiichen ftaifer $arl VI. unb 
Sultan ÜJtuftafa oon 1739. 

9Irt. IX. 2Bie ber oorhergehenbe. 

griebenSoertrag oon Siftom 
jmifchen ftaifer öeopolb II. unb 
Sultan Selim III. oon 1791. 

9Irt. XII. 5öaS bie 9IuSübung ber 
chriftfatholifchen Religion im ottomanifchen 
ftaiferreidje betrifft, ihre ©riefter, ihre 
Anhänger, bie Erhaltung unb Reparatur 
ihrer Kirchen, bie greiheit beS ©ultuS 
unb ber ©erfonen, ben ©ejuch unb ben 
Schüfe an ben heil. Stätten oon gerufalem 
unb an anberen Orten, fo erneuert unb 
beftätigt bie Jpohe Pforte nach &em 
©runbfafee beS ftricten Status quo nicht 
allein bie burch ben 9lrt. IX. beS ©er¬ 
trage« oon ©eigrab biefer Religion ju> 
gefieberten ©rioilegien, fonbern auch jene, 
roelche burch germane ober anbere 
fouoeräne 9Icte fpäter jugeftanben mürben 


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2)a3 religiöfe Vrotectorat Öfterreicb=Ungarn3 in ber dürfet. 301 

2 )ie t)ier angeführten Verträge begrünben jmifchen ber Xürfei unb 
Ofterreich-Ungarn, bejiehungSmeife granfreich, ein StechtSoerhältnte, melcheä 
ba£ 0 fterreich 5 Ungarn unb granfreich juftehenbe ©chufcrecht für bie fatljolifche 
Kirche in ber Sürfei barfteflt. $iefe£ Schulrecht, heutiger au3gebrücft ba£ 
Stecht, ben ©cfjufc für bie fatljolifche Kirche auSjuüben, ift mie ein Seroitut, 
melcheä bie Xürfei jenen beiben Staaten befteßt hat. ®er Sultan räumt 
burch biefe Verträge ben beiben Staaten ba£ Stecht ein, bezüglich ber Ve* 
hanblung ber tatholifchen Kirche Vorfteflungen machen $u bürfen, menn folche 
nöthig finb, er geftattet alfo eine Snterüention, eine ©inmengung ber beiben 
Staaten ju ©unften ber tatholifchen Kirche unb oerpflichtet fich, folche 3nter- 
oentionen entgegenfommenb auf$unehmen. $a3 ift in ben Verträgen mit 
bem Kaifer auäbrücflich gefagt: „®£ fofl bem Slbgefanbten ©r. SWajeftät be$ 
römifchen KaifevS bei ber Pforte geftattet fein, feine Aufträge bezüglich 
ber Steligion auöeinanberjufepett unb feine gorberungen oor ben faiferlichen 
Xhron 31 t bringen. 1 ' 

s 2lfle citiertenVertrag3-2lrtifel enthaltenStechte, melche bie türfifchen Sultane 
ber tatholifchen Kirche concebieren; baburch, baf$ biefe Verpflichtungen in einem 
Vertrage mit einem anberen Staate aufge^ählt merben unb ba jeber Staat 
über bie richtige Ausführung feiner Verträge macht, hoben Ofterreich^Ungarn 
unb granfreich baS Stecht erhalten, über bie Einhaltung ber ber tatholifchen 
Kirche juerfannten Stechte $u machen, baS ift, biefelbe bort, mo cS nöthig ift, 
gegen eine Schmälerung ihrer Stechte $u fchüfcen. SJurch biefe Verträge finb 
bie beiben Staaten ©arattten für bie 3 u 9 e ftänbniffe gemorben, melche bie 
Sultane ju ©unften ber tatholifchen Kirche gemacht hoben. 

ßmifchen ben Stipulationen, melche bie Xürfei mit granfreich unb mit 
Öfterreich*Ungarn abgefchloffen hot, befteht ein Unterfchieb ju ©unften beS 
festeren; bie VertragS^Artifel mit granfreich fprechen immer oon ben Vifdfjöfen 
unb ©eiftlichen, melche Untertanen granfreichS finb ((Kapitulation oon 1673) 
ober melche 00 m Kaifer oon granfreich abhängen (Kapitulation oon 1740); 
eS ift alfo baS Schulrecht auf biefe Kategorien eingefchränft. $ie Artifel 
ber mit bem Kaifer abgefchloffenen Verträge hingegen geigen teine folche ©in- 
fchränfung, in ihnen eS immer „bie chriftfatholifche Steligion, ihre 

Vriefter unb ihre Anhänger". 

$5iefeS Stecht beS religiöfen VrotcctorateS mirb oielfach befämpft, — ich 
fage befämpft, benn beftritten fann e£ nicht merben, — unb bieS in erfter Sinie 
oon bemjenigen Simile, ber feinerjeit biefeS Stecht befteßt hat, oon ber Xürfei. 
@3 mirb oon türfifdjer ©eite eingemenbet, bafS jeber fouoeräne Staat in 
feiner ©efefcgebung unb in feiner inneren Vermaltung unabhängig fei; baS 
retigiöfe V^otectorat bebeute aber eine fortmährenbe ©inmengung feitenS 


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302 


Tb- '21. 3ppcn. 


eines fremben Staates in beibcS. 9Ö?an ift babei oon türfifc^er ©eite weniger 
empfinblit, folange eS fit um frembe Untertanen unb ihnen gehörige 
3nftitute bonbeit, ba man an Sonberrettc ber fremben in ber Xürfei 
gewöhnt ift; bcfonberS ftwer wirb baS religiöfe $rotectorat empfunben, fo* 
ferne Untertanen ber Xürfei unb bereu ^nftitutiPtieti in grage fomrnen. ®S 
ift ja ganj richtig, bafS bie oon tiirfifter ©eite beanfprutte 9luSftliefeung 
jeber fremben ®inmenguitg ber allgemeine ©runbfaf} ift, melier bie öejie^ungen 
ber Staaten regelt; aber biefe allgemeine Siegel ift nidjt Don ber $rt, bafS 
ShtSnabmen Don ihr ganj auSgeftloffen wären; biefe SluSnabmen muffen 
eben nur eine im Sinne beS internationalen Siebtes legale 93afiS hoben; 
bafS biefeS bei bem religiöfen $rotectorate ber 5aH ift, beweifen bie citierten 
SertragSbeftimmungen, unb man mufS alfo oon türfifter ©eite fit bamit 
tröften: volenti non fit iniuria. Solange bie Staaten, weiten baS SRett 
befteflt worben ift, für bie SRette ber fatboliften Sfirte unb beS fatboliften 
©leruS einautreten, auf ifjr Stett nitt beritten, fann bie liirfei eS ihnen 
nitt abfpreten ober ftmälern. 

Saut ber Verträge ^ätte alfo Öfterreit 5 Ungarn baS Stufcrett über bie 
fatbolifte fiirte unb ben fatboliften ©leruS, fowie über bie $atbolifen ohne 
jebe locale ober fonftige ©inftrönfung in ber ganzen Xürfei auSjuübeu. 
®ie 9Ronai*tie bot fit jebot felbft eine locale ©infträufung auferlegt; fie 
übte baS ©t l t re tt continuierlit unb intenfio in ben ihren ©rennen ftunätft 
liegenben türfiften s 4 JroDinjcn auS, wäbrenb fie in jenen türfiften s J5rooinjen, 
mit weiten eine ®erbinbuug nur auf bem Seewege möglit war, ba fie 
im 17. unb 18. Slobtunbert feine 9Rarine unb feinen Seebanbel hotte, Don 
einer birecten Ausübung beS StufcretteS abfal); in biefett s #rooinjen nahm 
fit Sranfreit ber fatboliften Sii'te an, ba eS obnebieS mehrere |mnbelS= 
nieberlaffungen unb SHöfter fran^öfifter OrbenSgeiftliter bort hotte. 3ebod) 
ift aut Öfterreit'Ungarn 511 wieberbolten SJlalen $u ©unften ber heiligen 
Stätten Don Serufalent eingetreten. 

3t höbe bis nun oerfutt, bie SSefenbeit beS religiöfen N ßrotectorateS 
ju befinieren unb fein ©eltungSgebiet anjugeben; it Will jefct erörtern, weites 
ber Umfang biefeS StnhretteS ift, baS ift 311 ©unften weiter Stette ber 
Stuft auSgeübt werben fann. 

$ie grietifte unb bie armenifte Sirte haben jebe ihr eigenes Statut, 
weites ihnen Don ber türfiften ^Regierung Derliehen worben ift, fie fiitb 
gewifferntafjen ftaatlit anerfanntc ftirten. 3lut bie orientaliften Siiten ber 
fatboliften ftirte, Wie bie armeniften ilatholifen, bie grietiften fiatbolifen 
haben ähnliche Statuten; bie fatholifte Sirte lateiniften StituS hot fein 
folteS Statut, fie erfteint baber wie nur toleriert; unb bot leben in ber Xürfei 


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$06 religiöfe ©rotectorat ßfterreich41ngara0 in ber Xürfei. 303 

(legen 120.000 fiatholifen lateinifchen SRituS, metche Untertanen be$ Sultan# 
finb. $ieje oerfchiebene ©ehanblung ber triftlidjen, ja jogar ber einzelnen 
fatholifchen Stirnen ift eine merfmürbige Erlernung, ich begnüge mit, biefelbe 
hier heroor^uheben. 

Um fcftjuftellen, meldje# bie Steckte ber tateinifc^en Kirche in ber Xürfei 
finb, rnüffen in erfter Sinie bie Verträge mit ben Saifern au# bem 
^paufe £>ab#burg confultiert merben. $iefe Verträge entsaften felbft 

iolchc Rechte, tljeil# öcrmcifen fie auf anbere Ouetlen unb jrnar Serorbnungen 
ber Pforte (Vertrag oon EonftantinopeO, ältere Special*£rläffe unb befehle 
ber Sultane (©ertrag tum Slarfomifc), Fermane unb anbere fouoeräne STcte 
(©ertrag non Si#tom>. 

$iefe ©ruppc non 9lecht#quetlen oerbient eine nähere Erörterung; mählt 
man für bie iu ben oerfchiebeneit Sertrag#tej:ten gebrauchten 2lu#briicfe bie 
bem türfiften StaatSredjtc geläufigen ©ejeichnungen, fo umfaßt biefe ©rnppe: 

1. $ie Sermaite unb Serate, rnelche oom Sultan birect erlaffen finb: 
biefelben fönnen allgemeine Serfügungen enthalten, finb jeboch äuntal in 
ben früheren 3^iten meift für einzelne ©erfonen, ^nftitutionen ober für 
fpeciellc Fälle erteilt morben; e# finb alfo lanbe#fürftlid)e Diplome unb 
Freiheiten. E# bürftc fehler halten, eine größere. Sammlung folchcr Urfunben 
3 uiamntcu$ubringeu, ba bie oerfchiebeneit ©ifcfjöfe, fitöfter ober fonftigen 
©erfönlid)feiten, rnelche fie feinerjeit erhielten, fie nicht mit ber miinfchen#= 
merten Sorgfalt aufbemahrten. £# ift bie# übrigen# fein fo empfinblicper 
©erlnft, ba biefe Urfunben ^nmeift Freiheiten enthielten, rnelche feither burch 
©efefce oerallgemeinert unb cobificiert finb, ober fich auf Abgaben bezogen, 
rnelche bereit nicht mehr beftepen. 

3t glaube, bloß bie Fran^i^caner be# h c il*9 cn Sanbe# bemafjren eine 
grofee 2ln$ahl oon Fermanen unb Seraten auf, rnelche ihnen ben Sefifc ber 
heiligen Stätten bestätigen unb oon benen ein guter 2heil burch Snteroention 
ber faiferlicheit ©otfehafter unb Fnternuntien beim türfifchen^ofe ermirft mürben. 

2 . $>ie Emntame — Sifirialfchreiben, ba# finb Serorbnungen, rnelche 
bie jemeiligen ©rofcoefire an einzelne ©rooin^gouoerneitre 511 ©unften ber 
fatholifchen fiirdje erlaffen haben. 

3. SBären offenbar auch bie ©efefce hier ein^ureihen, joferne folche 
erlaffen mürben, rnelche bie fatholijcpe Kirche betreffen. 

Eine legi#latioe Ihätigfeit beftept in ber jiirfei erft feit bem ^aljxe 1830, 
in meinem burch ein faiferliche# ©atent ein 3taat#grunbgeie$ in europäifchem 
Sinne erlaffen mürbe, ber fogenannte £>atifcherif oon ©ülhane. 

Xie fatl)olifche Kirche intereffierenbe ©eftimmungen enthält ein 
jmeite* faijerliche# ©atent oon 1856, ber $atihumajnn ferner ba# ©eje$ 


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304 


$1). 31. gppen. 


Pom 7. 3iU)ibföc 1281 (3uni 1864) über bie gollfreiheit unb baS ©iftrial* 
fcfereiben Pom 1. Sefer 1278 über bie Seftamente ber Efjrifteit. 

3ch mill nun oerfucfjen, auf ©runb biefer brei ©ruppen Pon SRechtS* 
quellen, ben ©erträgen, bem $erfommen unb ben cobificierten ©efefcen, bie 
ooraiiglichften SRechte ber fatfjolifäen Sirene jnfammenguftellen unb auf^ujäplen. 

a) greiheit be£ ©efenntniffeS. 2>ie ©efenner ber fatholifcfeen Sirene 
follen megen ihrer religiöfen 9Reinuttg meber beleibigt noch beunruhigt unb 
noch öiel meniger Perfolgt ober beftraft merben. (^atihumajun, alinea 8.) 

©3 gibt in ber Siirfei noch immer ©egenben, mo bie Katholifen Pon 
©eite ihrer mohammebanifchen SanbSleute beunruhigt unb jum Stbfafle Pom 
KatholiciSmuS getrieben merben; bie Regierung h at nic^t bie SRadfjt, biefe 
gegen bie Freiheit beS ©efenntniffeS oerftofeenben Übelftänbe abjuftetlen. 

b) greiheit für ben ©leruS, fein ©riefteramt au^uüben. S)ie fatholifchen 
©eiftlichen, SRöncfee, meinem Drben immer fie angehören, auch gefuiten, bürfen 
nicht beläftigt ober gefränft merben, fie tperbert bie faiferliche Achtung 
geniefeen, (©ertrag oon ßonftantinopcl unb ©ertrag Poit Karlomifc, 31rt. XIII.) 

3m Sinne bicfeS Rechtes erhalten bie fatholifefeen ßrjbifchöfe unb 
©ifchöfe faiferliche ©eftal!ung3=Urfunbcn, fogenannte Serate. ©ie bürfen 
in ihren ©ifitationSreifen in ben $iöcefen nicht behinbert merben. 

3113 SRufter eines folgen ©erateS fei hier ber folgenbe miebergegeben: 

31n ben Sali oon SRonaftir, an ben ÜRuteffarrif unb ben 
Kabi oon ©futari. ®ie ©otfefeaft ©r. 9Rajeftät beS KaiferS oon 
Dfterreich, König Pon Ungarn, h at mitgetheilt, bafS gra ©iutio äRarftli 
jum ©ifchof pon ©apa in ber ©rooinj ©futari ernannt morben ift, unb hu* 
ein faiferlicheS ©efehlSfcfereibcn erbeten, bamit berfelbe in ©emäfeheit unferer 
©ertrage ©chu$ unb ©eiftanb erfahre. $)er Slrtifel IX beS jmifchen äReiner 
unb ber ermähnten Regierung abgefcfeloffenen ffiertrageS Pon ©eigrab befagt: 
3tHe ©ertragSbeftimmungen aus ber $eit ber Sultane, meiner ©orgänger, 
51 t ©unften ber fränfifchen ©eiftlicfeen, fomie alle ©onceffionen, melche alle 
©eiftlicfeen inSgefammt, fei eS oor, fei cS nach bem grieben Pon ©affaromifc 
burch fpecieüe faiferliche Urfunben unb ©efehle erhalten h^öen, merben 
beftätigt. 3nbem bie Einhaltung beffen 9Rein 3UIerhödhfter SBiüe ift, thue 
ich funb unb ju rniffen, bafS fämmtliche ©ertrage unb Slbmacfeungen amifefeen 
3Reiner unb ber ermähnten Regierung eingepalten merben müffen unb in 
beren ©emäfeheit bie erforberlichen ©eranlaffungen §u treffen feien. 3 hr, 
Sali, SRuteffarrif unb Kabi, h a & c * nun nach biefer SBcife 51 t hobeln unb 
oorjugehen. ©egeben am 20. ®fchemafü(emel 1291. 


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Dal reltgiöfe 'Ikotectorat f |terreid)Ungams in ber Jiirfei. 305 

©ne fernere golge ber greiljeit bei Elerul ift, bafl aßen fatholifchen 
Crben erlaubt ift, {Rieberlaffungen in ber Dürfei ju grünben. (grieben öon 
SBien, 2lrt. VII.) {Rad) ber berjeit befteljenben Übung obliegt el ben Drben, 
welche eine {Riebertaffung in ber Diirfei grünben Woßen, baju eine laifer= 
lid>e ©laubnil ber türfifdjen Regierung ju erlangen. Drbenl={Rieberlaffungen, 
welche biefer Sorfdjrift nicfjt nachfommen, wirb ber ©enufl Derfcfjiebencr 
Immunitäten, Welche folchc {Rieberlaffungen im principe hoben, oerweigert. 

c) greiljeit ber äufjeren Slulübung bei ßultul. Die Slnljänger bei 
fatholifchen ©laubenl bürfen nach ben Sorfdjriften ihrer {Religion fi<h in 
ben Sirchen oerfammeln unb ©ottelbienft galten, (grieben oon SBien, Slrt. VII.) 
Seine Sirdje ift in ber äußeren Ausübung if)rel Eultul einer Sefdjränfung 
unterworfen, foferne in ber betreffenben Örtlidjfeit fein anberel ©laubenl» 
befenntnil oorfommt. (,fpa tihumafun alinea 6.) Sn ben Stabtüierteln unb 
Dörfern, welche alfo eine rein fatf)olifcf)e Seoölferung hoben, bürfen auch 
afle auf?erf)alb ber Sirchen abjuljaltenben Seremoitien ber fatholifdjen {Religion 
ungeftört aulgeübt werben, j. S. ©roceffionen. 9iic£)t im ©nftange mit 
biefer Seftimmung ftet)t bie berjeit befolgte {J5rajil bezüglich bei ©ebraudjel 
Oon Sirchenglocfen. 5Rach ben citierten Seftimmungen wäre in rein fatholifchen 
Dörfern ober Stabtüierteln bal Sänten ber Sirchenglocfen frei; in SBirflichfeit 
febodj Wirb nic^t erlaubt, Sirchenglocfen anjubringen unb jtt läuten ohne 
aulbrücflidje ©laubnil ber Eentral=SRegierung für jeben fpecießen goß. 

d) greiljeit ber ©richtung neuer Sirchen unb {Reparatur ber alten Sirchen. 

'Die Anhänger ber fatholifchen {Religion hoben bie ©laubnil, in ben 

Sefifjungen bei Saiferl ber dürfen Sirchen ju erbauen (gricben oon SBien, 
Slrt. VII.); bie fatholifchen ©eiftlichen bürfen ihre Sirchen reparieren 
(Vertrag üon Sarlowih unb fpätere). Dro(j biefer Seftimmungen hotte fich 
bie Übung eingeniftet, bafl bie ©bauung oon Sirchen an Orten, wo früher 
feine beftanben hotten, nicht geftattet würbe, gm Soljre 1856 erft würbe 
gefefjlidj beftimmt, bafl in Stäbten unb Dörfern, beren Seoölferung ber» 
felben {Religion angehört, bie ©bauung unb {Reparatur oon Sirchen, Schulen, 
Spitälern, griebf)öfen frei ift, in confeffioneß gemachten Stäbten nnb Dörfern 
jebodj nur bann, foferne für bie betreffenben Gonfeffionen ganj getrennte 
Stabttheile ober Siertel beftehen. (^atihnmafun alinea 5 unb 6.) 

gn Stabtoierteln ober Dörfern, in benen fatholifche unb mohammebanifche 
gamilien oermengt mit einanber leben, ift bie ©bauung oon fatholifchen 
Sirchen überhaupt nicht geftattet, währenb bejüglidj mohammebanifcher SRofcheen 
feine Sefdjränfung befteht. 

Die üon biefem ©efefce ftatuierte greiheit ber ©bauung neuer Sirchen 
ift jeboch nicht unbefdjränft, oielmehr müjfen, wenn ber Sau in glaubenl» 

lic flultur. III. Jlafiro. 4. $«ft (1902 ) 20 


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306 


XI). % 3>ppen. 


einheitlichen Orten geplant ift, bie Saupläne burch faiferlichen Sefehl 
approbiert fein; loo e£ ftd^ um gemifcht'confeffionelle Orte hobelt, ift für 
Kirchen, ©farrhäufer, Schulen, Spitäler, griebhöfe eine ©etoiöigung burch 
faiferlidje ©ntfcßließung notljtoenbig. {Rach ben Verträgen unb ©efefcen märe 
bie {Reparatur beftehenber Kirchen, foferne fie mit feiner ©rtoeiterung ober 
Vergrößerung üerbunben ift, ganj frei. 3n SEBirflichfeit toirb aber auch für 
bie {Reparatur bie ©inholung ber ©rlaubnig beä {ßrobins s Statthalterg, oft 
auch ber Eentralregierung in ©onftantinopel borgefchrieben. 

e) X)ag {Recht, Schulen $u errichten: 3ebe§ {Religionäbefenntnig ift 
berechtigt, öffentliche Schulen für toiffenfchaftlicßen unb geloerblichen Unter* 
rießt ju errichten (§atihumajun alinea 10 ). 

Sluch biefeg {Recht h^t in ber {ßrajig bie Sefcßränfung erfahren, bafg 
jur ©röffnung jeher Schule, auch ber ©lementar*$orffchulen, eine faiferliche 
©ntfcßließung nothloenbig ift. 

f) ®ie ©efefce ber fatholifchen Kirche finb alg giltig anerfannt für bie 
©hefachen ber Katholifen; bie gurigbiction toirb bon ben fatholifchen $iöcefan* 
gerichten auggeübt, loelche au<h ©rbfcßaftgproceffe entfeheiben fönnen, toenn 
beibe Iheile ihrer 3iirigbiction fich unterloerfen ($atihumajun, alinea 13). 

®ag fatholifche Kirchenred)t ift für bie leftamentc ber Katholifen maß* 
gebenb; bie türfifeßen Sehörben erfennen ben fatholifchen Sifchöfen notarielle 
Sefugniffe bejüglich ber Xeftamente ber Katholifen ju (Vifirialfchreiben bom 
7. Sefer 1278). 

g) Befreiung be« ©lerug bon geioiffen Steuern, ©ebäube, toelche bem 
©lerug gehören unb bon ihm beioohnt toerben, finb bon ber birecten Steuer 
befreit, ©emiife*, SBein*, Dbft* unb Dlibengärten genießen ebenfalls bie 
{Befreiung bon ber birecten Steuer, toenn fie bem Unterhalte beg {ßfarrerg 
ober beg Klofterg bienen. Son Slcfern toirb ber 3ehent entrichtet. 

X)ie geiftlicßen {ßerfonen ober Slnftalten genießen für ben SBein, ben 
fie in ihrem $aufe für ihren Sebarf feltern, unb für ben ©rannttoein, ben 
fie beftiUieren, bie {Befreiung bon ber Spirituofen*Steuer. 

Sille sur ©rhaltung ber Kirchen bienenben ©egenftänbe, toelcße aug bem 
$uglanbe eingeführt toerben, finb sollfrei. 

©eiftlicße ©erfonen unb Slnftalten fönnen alle sunt Unterhalte nötigen 
©egenftänbe toie Kleibung, {Rahrunggmittel :c. big su einem geioiffen SRajimal* 
betrage soüfrci aug bem Sluglanbe besieheit. — 

2lug biefer Slufsählung ber {Rechte ber fatholifchen Kirche läfgt fich 
fließen, bafg £)fterreich*Ungarn — melcßem bag {Recht befteüt tourbe, jebegmal 
einsutreten, toenn eineg jener {Rechte beriefet ober borenthalten toirb — häufig 
in bie Sage fommen mufg, folche gnterbentionen eintreten su taffen. ®er 


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2>a8 religiöfe 'Ikotectorat Öfterreit'UngarnS in bet Xiirlei. 307 

Vertrag Bon S'arlotüi^ unb alle fpäteren Verträge enthalten bie Seftimmung, 
bafS bet Vertreter 6t. ÜRajeftät beS faiferS befugt ift, Sorftetlungen in 
religiöfen Slngelegenbeiten ju ergeben unb Sorberungen jn ftetlen. ®a bie 
Verträge immer Bon SBefenuern ber fatljoliften ©eligion unb fatbotiften 
©eifttiten fpreten, ohne bie ©inftränfung auf ©itt°Untertbanen ber 
Xürfei, fo ift baS Stecht ber ©orfteüungen unb Sorberungen aut für ben Satt 
gemährt, bafS eS fit um türfifte Untertanen fatbotifter Religion banbeit. 

6« haben fi<b Sülle ereignet, bafS bie fatljotifte ©eoölferung einer ©egenb 
Bon ihrer mobammebanifdjen Umgebung megen ihres fatbotiften ©efennt» 
niffeS angegriffen Würbe, es fann oorfommen, bafS fatljolifte ©eiftlüb«, 
welche türfifte Untertanen finb, wegen ihrer geglichen Shätigteit bebrotjt 
ober Berle|t werben, es fann fit barum banbeln, an Orten, wo nur türfifte 
Uitterthanen wohnen, eine neue fatholifte Sfirte ju bauen. Sn folten 
unb äbnliten Säßen hat Öfterreit 5 Ungarn immer burt ©efürWortung unb 
©orfteßungen bei ber tiirfiften Regierung fein Stufcrett ju ©unften ber 
fatholiften Sntereffen auSgeübt. 

©on tärfifter Seite Wirb eingewenbet: auf tärfiftem ©runb unb 
©oben für eine ©emeinbe, bie auSftliejjlit auS Untertanen beS Sultans 
befiehl, eine ft'ircbe ju erbauen, fei eine Slngelegenheit, wett« eine anbere 
Regierung nittS angehe, unb jebe ©inmiftung berfelben fei baher abjuweifen. 

©om allgemeinen, teoretiften Stanbpunfte beS ©ölferretteS ift biefer 
türfifte ©inWanb gewifS rittig, jum Unglücf für biefen türfiften ©inWanb 
aber hat fit bie türfifte Regierung atlerbingS oor 3aht UI, berten biefeS StetteS, 
frembe ©inmengung auSjuftliefeen, begeben, unb eS fann je^t Öfterreit'Ungarn 
nitt jugemuthet werben, auf ihm concebierte ©ette ju nerjitten, bloß weil 
beren Ausübung je|t bie türfifte ©mpfinbtitfeit Berieft. 

S)ie SluSiibung beS religiöfen ©rotectorateS bebingt nitt auf ber 
anberen Seite einen ©erjitt auf bie SouüeränitätS=9tette, biefe Ausübung 
ift ganj gut Bereinbar mit bem Bollftänbigen ©efpecte gegenüber ben Stetten 
beS SanbeSherrn. IBaS Object beS religiöfen ©rotectorateS finb ftliefjlit 
Sfette, wette ber SanbeSherr fetbft freiwillig gewährt hat, ber gweef beS 
©rotectorateS ift eS, eine ©ruppe ber ©eBötferung in gufriebenbeit unb 
©rgebenheit gegenüber ihrer eigenen ^Regierung ju erhalten. Öfterreit=Ungarn 
hat fein Stufcrett ftetS in biefem Sinne auSgeübt unb eS nie baju benufct, 
um ber Ittrfei ©erlegenbeiten ju bereiten, fonbern hat ihr im ©egentbeil 
©erlegenheiten erfpart. SBenn man anbererfeitS bie Säße, in benen Öfterreit 5 
Ungarn fein Stufcrett auSgeübt hat, burtprüft, fo ergibt fit ber StlufS, 
bafS baS Stufcrett not eine Stothwenbigfeit ift unb ein Serjitt barauf 
moralift nitt ju rettfertigen wäre. 

20* 


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308 


$b- 21. 3ppen. 


2 lln bie Äaifer aun bcr ^abnburg'fcfeen Stynaftie ban Schulrecht über 
bie fatbolifebe Kirche in ber Xürfei erwarben, erwarben fie en nicht aln 
eine potitifebe ©rrungenfefeaft; politifebe ©rrangenfdjaften finb in ben Verträgen 
bureb territoriale ©rmerbungen unb Erwerbung commerdefler Sortbeite 
repräfentiert; bie Erwerbung ben ©ebufcreebten mar für bie Sfaifer eine 
moralifcbe Serpflicbtung, bie aun ihrer Stellung ber fatljottfdjen ftirebe gegen* 
über remitierte; unb wie en erworben worben ift, fo Wirb biefen 8 ?ed)t aun* 
geübt, nicht aln politifeben SJtittel, fonbern aln moralifcbe Serpflicbtung. 

©nbficb mufn nod) f}ert>orgef)oben toerben, bafn ber ©ebub ber religiöfen 
Steckte ber Äatbolifen in ber lürfei nicht gleicbbebeutenb ift mit einem 
Schub über bie ffatfyolifen überhaupt. ®ie Sejiebungen awifeben ber türfifeben 
^Regierung unb ihren faäjolifcben Untertanen finb frei oon jeber fremben 
©inmifebung, fotange fie nicht in bie religiöfe Siecbtnfpbäre faßen. 

©n befielt eine 2lnfidjt, nach melier ber Serliner Sertrag in ban 
Stecbtnoerbältuin ben religiöfen ^rotectorateä eine Slnberung gebracht pätte; 
biefe 2(nfc^auung beruft ficb auf ben ärtifel LXII alinea 6 : 

„$)an Stecht ben officießen ©efeub^ Wirb ben biplomatifcben unb 
©onfular* 2 lgentcn ber SWäcbte in ber liirfei $uerfannt fomobl in Setreff 
ber ©eifttteben, Silger unb SRöncbe aßer Nationalitäten, aln auch ber oon 
ihnen gehaltenen geiftlicben Söobltbätigfeitn* unb anberen Slnftalten, unb bien 
fomobl an ben heiligen Stätten wie anbermärtn." 

®ie Serfecbter jener 2lnficbt interpretieren biefen 2lrtifel babin, bafn 
bie in ber Xürfei mirfenben ©eiftlicben frember Nationalität ben ©d)ufc ben 
Sertretern ihren £>eimatnlanben geniefeen, bafn, foferne biefe ©eiftlicben 
3nftitute (eiten, auch biefe 3nftitute ben ©ebub biefen Sertretern geniefeen, 
bafn fobin für ein fpedeflen religiöfen Srotectorat feiten^ einer britten SRadjt 
fein Slab mefer ba fei. 

®an ift nicht richtig. ©rftenn müfnte, foferne ber Serliner Songrefn 
bie alten Srotectoratnrecbte hätte aufbeben moßen, bien aunbrüdlicb gejagt 
fein, benn ein in fo oielen Serträgen betätigten unb bureb 3abrbunberte 
geübten Stecht fann nicht ftiflfcbweigenb unb auf bem SBege einer ^Interpretation 
aufgehoben werben. gmeitenn ift neben bem in ber citierten Sertragnbeftimmung 
ftatuierten fpccießen Schulrechte ben jeweiligen b c n ma tlicb en Sertretern ganj 
gut Staurn für ban ©cbufcrecbt ber ban religiöfe Srotectorat aunübenben 
SRacbt. 3eber Sriefter, jeber äRönd) ift ein Xbeil ber Sircbe, bie Stcfpectierung 
ben facerbotalen ©baraftern, beffen Sräger er ift, bilbet ein Sntereffe ber 
SHrche. SGßeitn nun jeber Staat ein Sntereffe baran b a */ ßeben unb 
Eigentum feiner Slngebörigen ju febüben, fo läuft baneben ban Sntereffe 
ber Stircbe, ihr 2lnfeben, ihre SBürbe 51 t febüben, ban Kapital, welchen jeber 


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religiöfe ^Srotectorat Öfterreicfe*Ungarn$ in bcr Xürfei. 309 

Sriefter als Arbeiter auf fircfeltcfeem ©ebiete für bie Äircfee barfteflt, ju 
fiebern. Aucfe bic ffirefee miß für ifer gntereffe einen Vertreter, unb bieS ntufS 
bie baS religiöfe ^rotectorat auSübenbe äJtacfet fein. 

®iefer Anfcfeauung feat aucfe bie Übung SRecfenung getragen, mie fiefe 
biefetbe in mefereren, feit 1878 oorgefommenen gälten ber ffierlefcung eines 
fremben ©eiftlicfeen in ber Xürfei conftatieren liefe. ©o Jcferitten für ben im 
gafere 1895 bei äJiarafcfe . in Serien ermorbeten italienifcfeen granciScaner 
P. ©alüatore Sili ber fran^öfifefee unb itatienifefee ffiertreter ein. 

Sei geifttiefeen Anftatten enblicfe mirb eS oft f(ferner fein, biefelben bem 
einen ober bem anberen Sanbe jujureefenen, ba bie meiften berfelben im 
maferen ©inne beS SßorteS fatfeolifefe finb unb ifere SRitglieber au« oer= 
fefeiebenen Staaten refrutieren. 

AIS ferneres Argument möcfete iefe jener Anficfet noefe entgegenfefcen, 
bafS bie Sfeätigfeit beS religiöfen SrotectorateS fiefe nur jum geringen Ifeeile 
auf ben ©efeufc oon Serfotten erftredt, feauptfäcfeticfe feanbelt eS fiefe um ben 
©efeufe oon SRecfeten. 

gefe möcfete fefetiefetiefe noefe bie Spaltung ber ftHrcfee mit einigen 
Setracfetungen ftreifen. gn bem SRecfetSüerfeältniffe beS religiöfen SrotectorateS 
ift fie bie ©mpfängerin einer SReifee oon Dienften, bie ifer freimiflig unb ofene 
©egenleiftung gesollt merben. ®ie Äircfee, oon ber SorauSfefcung erfüllt, 
bafS bie baS religiöfe $rotectorat auSübenben SRäcfete auf ber £öfee iferer 
Aufgabe fiefe ju halten beftreben, feat bem jmifefeen ber lürtei unb Öfterreicfe* 
Ungarn beftefeenben SRecfetSoerfeältniffe bie Anerfennung unb 3uftimmung, 
fomeit bie Sfircfee babei in grage fomrnt, ftetS gegeben unb ift bisfeer nie 
barauf eingegangen, bafS an ben burefe Verträge unb jaferfeunbertlange 
Übung begrünbeten SRecfeten $u ©unften Anberer etmaS geänbert merbe. ®S 
feat nie an Serfonen gefefeU, melcfee glaubten, gegen bie Art ber Ausübung 
beS ©efeufcrecfeteS Sefcfemerben erfeeben unb Anbcrungen ertoirfen ju fönnen. 
©oiefeen Anregungen mürbe jeboefe in 9tom nie golge gegeben, ba jene 
Sefcfemerben $umeift aus einer falfefeen unb übertriebenen Auffaffung beS 
©cfeufcrecfeteS entfprangen. Sine officiefle ffunbgebung für SBaferung beS 
Status quo bejügliefe beS religiöfen ^ßrotectorateS entfeält baS ©ircular ber 
päpftliefeen Songregation für ©taubenSüerbreitung (Propaganda fide) 
,,Aspera rerum conditio“ oom 22. 3Jiai 1888: „$aS Sßrotectorat 
granfreicfeS im Orient beftefet feit gaferfeunberten unb ift burefe Verträge 
jmifefeen ben betfeeiligten ^Regierungen beftätigt. 3Ran foß fiefe barin jeber 
Steuerung enthalten; biefeS (fran$öfifcfee) Srotectorat foß überaß, mo eS in 
Übung ift, forgfam aufreefet erfealten merben unb bie äRiffionäre foßen barüber 
aufgeflärt merben, bamit fie, fo oft fie Seiftanb brauefeen, an bie Sbnjuln 


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310 


ftarl $omanig. — ®arabeL 


unb anbcrcn Vertreter 3ranfreid)$ ftdj toenben. 3n gleicher SBeife muf3 in 
jenen SRiffionSgebieten, too ba8 $rotectorat Öfterreidjö in Übung ift, baöfelbe 
o^ne jebe Änberung aufrecht erhalten toerbeit?" 

3 um ©djluffe nodj eine ®emerfung, bie ftdj an bie !atI)olifd)e Partei 
in Öfterreid) unb Ungarn richtet. $a$ religiöfe Sßrotectorat granfreidja 
ift ein bem gefammten granfreid) tfjeureS unb bon iljnt l)odjgef)altene8 Ser* 
mäd)tni$ au$ feiner l)iftorifd)en Sergangenljeit; baä Srotectorat ift fo populär, 
baf£ ftd) int Starre 1898 ein „SRationafoerein $ur ©etoadjung unb ©er* 
tfjeibigung be£ franaöftfdjen ©rotectorateä im Orient" bitben tonnte, bon 
bem ber Ijeil. ©ater fagte, „er möge, inbem er bie großen 3ntereffen ber 
Religion unb be3 Saterlanbeä fid^ $u $erjen neunte, granfreidj {jodtöerjigen 
©eiftanb leiften in ©rfiittung beffen 600jäl)riger Aufgabe". $Run Öfterreid)* 
Ungarn I)at biefelbe Aufgabe feit brei 3al)rl)unberten auf fidj genommen; feie 
toenig ift jebod) biefelbe unter feiner ©ebölferung getannt unb getoürbigt! 
Sollten fid) nidjt aud) in Öfterreid)*Ungarn bie SRitglieber ju einer ©er* 
einigung, äljnlid) toie bie franjöfifdje, finben? 



Parabel. 

Von Varl Vornan!#. 

Siebt der Bund nun schon die längste Uleile 
ln der Ulinterkälte vor dem Bause, 

Kratzt die Cbüre, bellt sieb müd’ und beiser — 
Ist kein Pförtner da, kein Ben des Bundes? 

Sieb’, ein Uleiblein, ihres Ulcges kommend, 
fühlet Mitleid mit dem armen Cbiere, 

Zieht die Glocke mühsam, humpelt weiter. 

Und der Pförtner jetzo lugt und öffnet — 

Ba und siebt nicht, wem er öffnen sollte! 
Ulettert fäusteballend auf die Rangen, 

Die ihn aufgenant aus seiner Rübe, 

Und gebietet nebenher dem Bunde: 

„An den Ofen, Köter, wo dein Platz ist ! 44 

Bund und Ben, — die Jügung ahnet keiner. 



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Otfried. 

(Sptfrfje ®trf)fung in nenn ©eräugen nun *** 

Erster Gesang. 

Im Bocbwald. 

Per junge (Ötfrieb fd?üttelt feine Eotfeu, 

(Er füljlt im See fein glüljenb Pngefidjt: 

Per arme franfe Pater merfe itid>t 

Pie (Eljräneu, bie nod? fanm im Pnge ftoefen. 

Pem <Sram, ben er oertjeljleu ttintmer fomtte, 

3f?m lieg er frei (Seruäfjr in tPalbesuadjt, 

3nbes am fjäusdjen ficb ber Pater fonnte, 
Umfponnen non bes (Eobes bunfler IHadjt. 

Hun eilt ber Sotjn, non Sorge fjingetriebeu, 

(Er flnbet 3ring fd?on bem Sterben ualj; 

Pa fniet er fftn unb ruft: „0 bleibe ba! 

3 d? mill bid? immer nub bid? eitt 3 tg lieben." 

(Ein £äd?eln tuill bes (Sreifcs IHintb umfdjroebeu — 
2 Jnd? biefes mufs entfliegen mit bem Eebett. 

Perlaffen, ungetröftet, fd?mer 3 burd?fIoffen 
3ft 0tfrieb nun im toeiteu, oben IPalb; 

(Erft liegt er ftumm unb ftarr jur (Erb’ gegoffen — 
Pud? feinen (Efjräuen roetjrt bes (Srams (Setpalt. 
Pie tPelt um fid? mufs er frofjlorfen hören 
3 m erften 3 u & e l neuer Ecnjesluft, 

2 Us ipollte fie bie (Erancrlieber ftören, 

Pie tobesmiitfjig itjm burd^iebn bie nruft. 

Pie IPcfeu alle attjmen fügen ^rieben — 

(Er roirb allein rou jebem (Eroft gemicbeu. 

„So tperb’ id? nimmer bir ins 21uge fdjauen 
Hub nimmer folgen beinern leifen (Sang, 

ITTit bir nid?t beten metjr im morgengraueu, 

Hie tpieber tjören beineu naebtgefaug. 


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312 


Otfrieb. 


IDer foli midj nun im (Suteu uutermeifen, 

IHid? tränfcu von bem Born ber IDiffenfcfyaft, 

UTid} lehren, meinen (Sott im £iebe preifen? 

0 (Eob, bu Ijaft mein £eben tjingerafftl" 

So fdjreit er auf, pom Sdjmc^e übermannt, 

Unb meiuenb fnfst er 3rings falte t}anb. 

Da fällt ein Heines Büchlein in ben Sanb, 

Das jener unter feinem Brm getragen. 

Der Jüngling löst gefdjminb bas alte Banb 
Unb liest bie Schrift aus jüttgffc pergangnen (Eagen: 

„ITtein Sotjn, id? meile nimmer auf bem Sterne, 
Der Ijalberleudjtet um bie Sonne fliegt, 

3 dj bin in einer munberfamen ^erne, 

IDemt biefe Sdjrift por beinen Bugen liegt. 

Dein (Erbe follen biefe Blätter merben, 

Sie mögen bir, idj flehe, treuer fein. 

3d? nannte nichts mein (Eigen fonffc auf (Erben, 

Bur mas idj faitn unb füllte, bas mar mein. 

Du flnbeft nidjt (Scbaufen froher Stunben, 

Bidjt Blütenljonig unb nidjt Hebenfaft, 

Bur (Eropfen Blutes alter Seelenmuitben, 

Dod? (Eröftnng audj, bie ftarfer JPille fdjafft. 

IDenn idj pon beiner Seite bin gefdjieben, 

Derjtnfe itidjt in tiefe (Eraurigfeit; 

3 d? gieng ja fjin 3 um emigfcfyöuen ^rieben 
Unb gab barum bie Sdjmerjen biefer §eit. 

Bemeine nie, mas bir ber (Eob ehtriffen, 

Bemeiuc ttnr, mas bir bas £eben nafjm, 

Das ^rentbgemorb’ne mirft bu emtg miffeit, 

Docfy mieberfinben, mas 3 um Bimmel fam. 

IDenn idj begraben bin am Hanb ber EDogeit, 
Dort mo bie blitjgetroffnc (Efcfae fteljt, 

Dann frofy unb füljn in meitc UMt ge 3 ogeit, 

IDofytn fo lange fcfyon beiu Seinen gefyt. 

Hlir mar bie (Einfamfeit bie Kutjeftätte, 

Die mir bie Kraft 311 m IDeitermanöcln gab, 

Did^ aber tjielt ja nur ber £iebc Kette, 

Dir ifi bie IDalbesrntf ein öbes (Srab. 

Das lehrten lange beiite büftern §üge, 

(Es flang mir laut aus manchem Klagelieb, 

Dafs uaefy ber tDclt bes Beibes unb ber £üge 
UTit aller Kraft ber 3 n 9 c,l & U>a!ju bid> 3 ieht. 


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58on * * * 


313 


Du ein (Sind in jener IDelt 3 U gttben, 

Das maltefi bu mit golb’nen färben ans. 

Su frülje wirb ber füge (Traum entfdjmtnben, 
€rroad?en mirft bu tu bes (grames $aus. 

(Ein Strom ift biefe IDelt, ber feine IDellen 
21 m Hanb bes Efimmels unb ber Ejölle miegt, 

Don bort unb tjier erfliegen iljm bie Quellen, 
IDetteifernb, roer bie anberen befiegt. 

Drnm tjörft bu audj ein Durdjeittanberraufdien 
Don SeltgFett unb fermerer l^e^enspein; 

Du fiel# ber IDetleu etuiges Dertaufdjett, 

Unb bauernb ijt ber tuilbe Strom allein. 

^ier fliegt, 31 t fdjeiben nid?t unb itidjt 3 U (Öfen, 
(gentifdjt in eine graue, laue <flut, 

Das (gute mit beut buttPlen Schein bes 23öfeu, 

Das 23öfc fdjeittt Dir oft fo tfimmlifcfy gut. 

Da ringt, ba betet roofyl bie Seefenfyofjeit 
Um einen (TugeitbFran 3 oom parabies, 

ZXid}t fern oou itjr, ba lj öltut unb findet bie Hoheit 
Um (jotte (Tempel, bie fic nieberftieg. 

2luf Hofettfd?iffen Fomntt bie fdjöne liebe, 

Die Untren folgt ifjr unb ber fhtft’re fjafs, 

So 3 iet^t es tjin tu roerfifelubent (getrtebe 
Unb ftöljnt unb jubelt oljne Unterlafs. 

Derlana’ Pein parabies oott biefer (Erbe — 
liier tuobut bie Inft nur mitten in Sefdjmerbe. 

Der Palme freu’ bid?, bie in IDüjteu fteljt, 

Des Ijaiubes, ber au glüff’nbe IDangett rnef^t, 

Der Slttme, bie oermelfettb fidj erfdjliegt, 

Der ^renubfd^aft, bie oornbergeltenb grügt, 

Des (Trauerfran 3 es, bett bie liebe bringt, 

Des Klanges, beu ber Sd?nter 3 im Büfett fingt: 
Denn mollteft bu ein Polles <5Iütf ertoerben, 

Du ttnirbejt nur beiit gait 3 es leben fterben. 

IDetttt bes (Sefcbirfes Fjanb bid? ferner gefdjlagett, 
Sei (Sott nur fudjc (Troft für bettte Pein: 

Die fleiuett Sdjme^en fartnft bu Dielen Plagen, 

Die febmerften leiben trägfit bu ftets allein. 

Dodj follft bu audj bes guten (gottes benPett, 

IDetttt bir ein (gliicP bie (freubertpforte baut: 

(Er mirb nur bent im leibe ^rieben fd?enPen, 

Der tu ber fronen Seit 311 itym geflaut. 

Der 21 ljueu Hnbnt, ilitt tuill idj bir rerfdjtueigeu, 
Den fic errangen mit bent Fttbneu Sdjmert — 


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314 


Ctfrieb. 


Du foüft ber IPelt bie eigne IPürbe 3 eigeu, 

€iu f^of^er Sinn ijt metyr als dfyrone wert. 

Die Choren fragen gern mit (glan 3 unb Schein — 
Dein 2f6e( foU ber IHenfdjen £iebe fein. 

So gel}’ benn t^in unb (treue allerwegen 
Des (guten unb bes Schönen Samen aus; 

3d? fpred?e aus bem (grabe meinen Segen, 

3 dj fenbe (Sattes Ejulb mit bir hinaus. 

Hod? biefe £ef}re fd?Ite§ in bein (Semüttfe, 

Sie miH bidj wahren r»or bem fdjmerften £eib: 

Du fittbeft braunen eine fdjöne Blüte, 

Sie an 3 ufdjau*u, bringt bir bie (EraurigPeit: 

IPifljt bu bewahren bid? uor tiefem Sdjmer 3 e, 

So Ijüte ror bem IPeibe Kug* unb f}er 3 el* 


Zweiter Besang. 

Der erste Mensch. 

Seit 3™t$s Buge ftdj ber IPelt t>erfd?lojfen, 

Die Seele fid? bem Ejimmel aufgetfyan, 

IPar nun ber britte dag batjingefloffen. 

Der oierte fieng im 0 ft 3 U hämmern au. 

Da rang fidj 0tfrieb aus bem Pur 3 en Sd>lummer, 
Dem erften, ber feit langem ityn erquieft; 
(Ermaßen will mit itjm ber alte Kummer, 

Sobalb er nadj bes Paters (grabe blicPt. 

„Ejinwegl" fo ruft er, „büftere (gebauPen! 

Hidjt will id? 3 ürneu weiter meinem £os. 

(Es foU ber Itteufdj nidjt um Pergang’ttes ranPen, 
Der BlicP ins Künftige nur mad?t itfn gro§. 

3 d? will ben (gram 3 U biefem (grabe legen, 

IDill Püfyn ergreifen meinen IPanbcrftab. 

IHid? fd?üfct unb leitet ja ber ftarPe Segen, 

Den mir ber gute Pater fterbeub gab. 

Du £aute, ^reuubitt meiner fdjöufteu Stunbeu, 
Didj laff idj nid?t im oben IPalb 3 urticP, 

Sinb erjt bie lebten Scbme^en überwunben, 

Dann ftngjt bu mir wofjl aud> oou füfjent (Slücf.“ 

(Er birgt nun nod? in feines Kleibcs galten 
Das Büchlein, bas ber Pater fyinterlicfj, 

Unb läfst bie (EinfamPeit allein bort walteu 
(Er wanbert 311 m geträumten parabies. 


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93 on * * * 


315 


(Er 3ief?t beit einen (Eag im mtlbett IDalbe, 
Den anbern (Tag im tpilben IDalbe and?. 

(Er fud?t ben JDeg auf nie gemähter £jalbe, 

0 ft gef?t es mühfant über Stein uitb Strauch. 
Da tjeben Reifen brohettb it?re Spitzen, 

(Es gäl?nt oor feinem ^fuß bie tiefe Sd?lud?t, 
Die Bäd?e jtetjt er in ber Sonne blifcen, 

3 um Babe locft bie ^lut in feister Bnd?t, 

Das J?äsleitt flüchtet faum oor feinen ^füßeit, 
(Es t^ebt ftd? fpä^enb ans bem fetten Klee; 

Die Kräfje fd?reit, ben ^remben 3U begrüßen, 
Dertounbert blirft it?n an bas junge Heb. 

Die Sd?uecfe 3icf?t im (Srafe it?re Spuren, 

Die <£d?fe fd?minbet t?in int fdjnetlen Ejufd?, 
Hnteifeit maubent über il?re Fluren, 

Die Bienen fummen um ben Blütenbufd?. 

So fd?minben ihm bes (Eages fd?ttelle Stuiiben, 
< 5 um Sd?Iafeit ift ein Plänen leid?t gefnitbeu. 


Km britteit (Eage mit! bie Sonne ftufeit, 

Da tf?ut ein rneites (Et^al oor if?m fid? auf, 

(Er fiefjt bie Dächer ferner Qöfe blitifeit, 

Unb frot? beflügelt er beit Jfnß 311m lauf. 

Hutt ftetjt er ftaunenb an bem Haitb ber gelber, 
3m IDtnbe mögt, mas IHenfchetthanb gefaxt, 

§u meitem Kretfe reifen ftd? bie IDälber 
Um eine IDelt, oor ber er jubelttb fielet. 

Unb (Slocfeu fjört er aus ber ^erne fliugen — 

0 füge, nie gehörte Harmonie! 

Da breitet aus ber (Seift bie leichten Sd?mingen, 
€r fd?mebt hinauf ins Heid? ber UTelobie, 

Der Ringer locft bie Klänge aus ber Saite, 

Uitb 3ärtlich trägt ber (Eon bas IDort ins IDcite: 


3d? dniße bid?, bn fd?öne IDelt, 

Du frieberfülltes (Ehal, 

Did? golbbeftreutes 5 lhrcufelb, 

(Eud? ^e^ett ohne gat?l. 

0 fled?tet mid? iit euren Kratt3, 

0 fpettbet mir ber liebe (Sut! — 

3 <h f%nf eud? meine Seele 90113, 

Die ^anb, bas £}er3, mein lieb, mein Blut! 

IDie faum ber letzte (Eon 31t CE^al ge3ogen, 

Da fieht ein Ulöttch oor ihm mit gretfem ^aar; 
£uf feinen Schultern trägt er Pfeil unb Bogen, 


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316 


Otfrieb. 


Sein Äuge ruljt anf (Dtfrieb warnt nnb flar. 

(Sletdj f^at ifjn biefer mit bem 2lrm ummuitbett, 
Erfreut, bafs einen ITtenfdjen er gefunden. 

Der anbre rettet ftdj oor feinen Hüffen, 

€r lächelt ob bem fonberbaren (Srnfj: 

„Du wirft bie UMt wolfl erft oerfteljeu ntüffeu, 

Du fdjretteft mir auf Diel 311 Füljnem ^fufj. 

Hedjt wenig Fcnnfi bu IHenfdfenttfun unb laffeit — 
3 <t? Fonttte bies erfahren aus bem lieb — 

IDie woütejt bu bie alte foitft umfaffen, 

Don benen jeber feine Baffiten 3ietjt? 

Dod? taffe mid? nadf beinern Hamen fragen, 

IDoffer, wofyin bidf beine ;füf$e tragen.“ 

„De^eitj’, bafs midf bie (Jrcube überwunben, 

Die jäfj bei beinern UttblicF midj befiel: 

Du bift ber erfte JTteufd), beit idj gefuitbeit, 

Bift meiner IDaubernng erfefjntes giel.“ 

Der Hogettträger fielet im Ittann ber laute 
€in tolles £faupt, aus bem ber IDaljnftnn lad?t; 

IDer badete attbers, ber ba tjörte, fd?autc 
Die bunFle Hebe nnb bie felt'ne (Eracht? 

Dodj wie fte laitgfam burdj bie gelber wallen, 

Da breitet 0 tfrieb all fein leben aus, 

Der anbre fielet ilfn an mit IDoblgefallen 
Unb füfjrt ilfn eitblidf in fein fdfönes fytus. 
mit Staunen fiefft ber Sänger (Efyor unb Stiege, 

Die ^enfter im getäfelten (Sentadf, 

3 nt reinen Stall bie Kulj, bie muntre Siege, 

Den weiten fy>f, bas blauFe Sdfieferbadj: 

„IDie Fleitt war nufer ftaus! Durdf feine Spalten, 
Da flog ber Sturm, ba brattg ber Hegen ein. 

Dort war uidft oiel 3U fdjaffen unb 3U walten — 

Du mufst in biefem tfimmel felig fein!" 

3 t?nt fagt ber IHöndj: „So benFt nur, wer bie Sorgen, 
Die Unrutf’ meines Hmtes uidft erFemtt; 

IHtdf ruft 00m lager fdfoit ber graue IHorgeit, 

Unb irtutf’ au UTülfe reitet ftdf offne €ub\ 

Da fjeifjt es orbtien, matfiien unb befehlen 
Der fpiclbereiteu UTagb, bem faulen Knedft, 

Den Reinheit welfrett, bie bas ^Jelb befteljleu, 

Denn wo ber t}err uidft ift, ba ftirbt fein Hcdft. 


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$Bon * * * 


317 


Unb wenn ber IHoub bas rolle Huttb gewonnen. 

Dann ruft 3 U meinem Ijerru ber Hechentag; 

Da mnfs ich büßen für ben Brattb ber Sonnen, 

^ür Hinberfterben unb für ^agelfd?lag. 

So leb' ich mahrlich nicht in golb’iteu Seiten, 

(Senieße nur ein febmer oerbientes Brot, 

Doch ohne 3<*9 c n mill i<h meiterfdyreiten, 

(Setren erfüllen meiner Pflicht (Sebot. 

IDer nicht ermattet auf ben fchmerfteit IDegeit, 

Der mag bereinft ftch froh §ur Buhe legen." 

„(Hin fanfter (Eob nach müheoollem £ebett'\ 

(Hrmibert 0 tfrieb, „märe £ohn genug? 

Derfüttbe mir, ob nie bir fonjt ein Streben 
Den IDuttfch nach einem Ijö^ern &\c[e trug ?" 

Da Plagt ber IHönch: „Das troffen ift ein (Eräumen; 
2111 unfer Streben nur ein Kinberfpiel. 

IDir fudjeu Bahnen in gebadeten Bäumen 
Unb täufcheu uns mit einem Strahlenjiel. 

Die (Ojoreit laff ich brnm auf ITTeereu fd?iffeit, 

IDo IDeir auf IDelle au bte pianfen fdjlägt; 

Diel lieber mohu’ ich auf ben ^elfenriffen, 

JDohin fein fjaiid? ber ^reube Samen trägt. 

Da pflücf’ ich mir bie ebelmeiße Blüte: 

(Sebulb im meltoergeffenen (Semütlje." 

„Sei unfer hoffen immer nur ein IDähneu," 

So l^ebt ber junge Säuger mieber an, 

„€s gibt ein Buh’n für unfer .freubefehnen, 

Unb mär’ es nur in einem lieben IDahn. 

0b nun bie Quelle über mahre Kiefel 
3u IDafjrhcit aus bem magren Reifen quillt, 

0b ich mir träume nur il^r fanft (Seriefel, 

IDas gilt es? — menu fte nur mein Sehnen ftillt. 

0ft meint ich lange fab ben Sternenhimmel, 

Da brang ein fonberbar (Sefühl mir ein: 

DieHeid^t ift über mir bas £idjtgemimmel 
Unb unter mir ber feftc (Srunb nur Schein 1 
Da mollt’ ein Bangen mir bie Brnft befchleicheit — 
Dor meinem Dettfeu mufst’ es mieber meiden. 

Denn fteh, es ift ja eins, ob all bie Dinge 
Bus mefeuhaftent Stoffe ftitb gemacht, 

0b id? mit (Sottesfraft bie ^lügel febminge, 

3 bnt nach^nbeufen, mas <Er Dorgebadyt. 

Der mahre (Sott, er mollte nicht betrügen, 

Unb mär’ bie gauje Schöpfung nur ein Schein — 


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318 


Otfrieb. 


(Ein bolbes Dichten nennen mir Fein £ügeu, 

Das mafjr (Seträumte ift eitt magres Sein. 

IPas (Sott uid>t ließ im IPelteuraume febmebett, 

Das Iäfst er in ber UTeufdjenfeele leben." 

Permnnbert t^ört ber anbre biefe tPortc: 

„Du rebeft flar unb bod? fo rätt^fel^aft. 

Du mudjfeft auf an meltrergeffncm 0 rte, 

JPer lehrte ba fo neue tPiffenfdjaft?" 

„3d? fattn" — fo fagte 0tfricb — „riele Stuuben 
Den bunfleu Bätf}felu biefes £ebeus ttad?, 

Unb manche £öfung tjab* idj audj gefuttben 
Der fragen, bie 311 mir icb felber fprady. 

Unb mären all bie Dinge anfgefdiriebcu, 

Sie füllten moljl ein febmeres, großes Bndf, 

Hnn aber ift mir nur im (Seift geblieben, 

IPas idj geformt in einen Fuqett Spruch. 

Solang mein Pater in ber IPelt gemefeu, 

Da bient* als (Sriffel it^m bas tjarte Scfymert, 

Unb mas er bodj an tPiffen anfgelefeit, 

Das Ijat er midj oor 3 a fy rcn fdjou gelehrt. 

3d? fatj bie IPatyrtycit in ber (ferne blinFett, 

Das f^at begeljrlidj meinen (Seift gemacht; 

So laffet midi mit rollen §ügen trinfen, 

IPas Fluge IHänner unter enefy gebadet. 

3d? fteige mntfjig über alle SdjranFen 
Unb emig mill icfj meinem Rührer bauFeu." 

Begeiftert fagt ber Flcine JTtönd? bamiber : 

„Darin erFeitn* icfy (Sottes meife fyittb, 

Dafs bein Begehren ron ben Bergen nieber 
§ttm (felb ber ^ulba feine IPege fattb. 

3d? möchte nid?t bie eigenen Brüber preifett. 

Dodj iß es in ber ga^en tPelt beFauut, 

Dafs Feine beffern UTeifter unterm'eifen 
Die 3ugenb in bent meiten bentfdjeu £anb. 

3m Bncfyeumalb, an nrmeltmilber Stätte 
fjat Bottifatius fein ^eim gebaut, 

Dort muebs es mit beu (Eidjen um bie IPette, 
Seitbetn ift ein 3 a ^ r ^ un ^ ert f a ß ergraut. 

Sein 3ü ,l 9 cr Sturmius 30 g ruele Stnnbeu 
Des (Eags im JPalbe unb and? manche Hadjt, 

Bis er beut (Sottesfjaus beu 0rt gefuitbeit, 

Poll uneiitmeiljtcr parabiefespraebt. 

frier blübit mie Hofen aus bent ^elbertgrabe 

Der (Eugeubfinu, bie £uft au fdjötter Kuuft — 


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$$on * * * 


319 


(getreuer ^leig gemanu uns reiche J}abe, 

Pes Dolfes Siebe uttb ber (großen (gunfl. 

2Pir ^ulbaföfyne tyabeti and? gereutet 
Pas £anb, bas id? behüte, uttb bas fyius 
(gebaut, bas bir ein parabies bebeutet, 

So oiele anbre itocb lattbeiu, (anbaus. 

Pu fEnbeft breimal taufettb bei beu ^ranPeit 
Hub breimal taufettb im (Etjürittgerlanb, 

Pu ftefjft tu Bayern uttfre Staren fd?mattFeit, 

Hub nitfre Saaten fä’t ber Sadjfett fytnb. 

Pod? mie ftd? and? bes Kaufes (güter breiten, 

IDir rühmen menig uitfer (Eigentum — 

Pas beutfd?e Dolf bem Ijimmel 311 bereiten, 

Parin erfeunen mir ben magren Hnfym. 

§u triitfeu eilt berait bie beutfd?e 3ugenb 
Don uuf’rem Born ber Kttttfi uttb IPiffenfdjaft, 

Sie fdjlürft ans itjm beu (Erattf ber (Ojrifteutugenb 
(Erfüllt bic Bruft mit frotjer (glaube itsfraft. 

IPas immer tjod? uttb lieblid? ift 3U preifeu, 

Pas mirb fo leid?t ber ^römntigfeit vereint; 

Prnm fingen mir Ijorasens muntre JPeifett 
Uttb fiimntett att, mas 3 et*etnias meint, 
lüir lefen gern, mas Salomo gcfdjrieben, 

Unb Ijören, mas ber Stagyrite fpricfyt; 

Per t}arfe Klang ift uns nid?t frentb geblieben, 

Pod? fdjmälftt mir aud? ber Seier (Eöne ttid?t. 

IPir laufdjen gern ben auscrmäljlten IPorten, 

IPentt Huguftiuus feine Sdjulb befemtt; 

Pod? ftelfn mir ftttttenb aud? att jenen (Drten, 

IPo ftof^c gelben utts ein (grabmal nennt. 

IPas Kinber bid?ten uttb bie IHütter fagett, 

IPas bcutfdje Ittänner fingen ttttt ben IDein, 

So manches IPort aus lang oergattg’uett (Eagett, 
IPir fdjreibett es in unfre Büd?er ein. 

Schmer gebt bie Sprache ttod? 00m beutfd?eu ITTunbe 
IDir glätten fte burd? Fluge IDörtermatjl: 

^ür biefe Sorge lotjut uns eine Stuttbe, 

Wo bentfdje Hebe Flingt mie fdjarfer Staffl. 

Patttt mag bie Bönterfpradje ftd? üerfdjliejjeu 
§um frommen Pienfte in bas (gottesfjaus, 

Belefyrettb aber unb erfreuenb fließen 
Pas bentfebe IDort in beutfdjes Saub hinaus. 

Bad? biefent giele getjt mit Füfjnem Sdjritte 
(Ein IHann, ber immer ttad? bem i?öd?ften ftrebt, 
Hfyabattns IHaurtts, ber itt uttfrer IHitte 
Hls ein Prophet bes eblett JPiffetts lebt. 


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320 


Otfrieb. SBon * * 


* 


3 « feine £rnte benP’ id? bidj 3U führen, 

Sobalb ein neuer UTonb erhellt bie ZTad>t, 

(Er mirb in bir bas eble ^feucr fdjüreu, 

Das bn in beiner Seele fd?ou entfadjt. 
mit ^reubeu mirb er betne lieber fyören, 

Der JDorte (Slut, bie Klänge milb unb meicb; 

(Es läfst 00m (Saufier Ieiber fidj betören 
So manches gute Ejer3 im ^ranfenreid?. 

Unb mollteft bu bes Sanges (Sabe fdjenPcn 
Dem magren (Slauben unb bem (Eugeubftnn, — 

Du murbeft manchen (Seift 311m Beffern lenfen, 

Dir mürbe Hntjm unb Siebe 3um (Semitin.“ 

Zinn fütjrt ber IHöncb ben jungen (Saft 311m ITtablc, 
Den (Sajt, aus beffen 2 lug’ bie Hoffnung fprübt, — 

So mirb bem Reifen, menn im erfteu Strahle 
Des ITlorgens itjm bas tjobe fjaupt erglüht. 


iftortfe&mig im näcpftcn #eft.) 



Webacteur: 3 )r. Stanj ©djnürer. 

3of. SRofy'fdje 9rr!afl«faidtöanblung. — ©udjbnicferei 9lmbr. ©pifc, SBien. 


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Kulturideale. 

Eon Eitfiarfc fr. Rralih. 

jjjjllS ich oor 3ahren anfieng, baS Sutturibeal, mit bem uns bie 
afabemifche ©ilbung erfüllt, junt erftenmal mit ber SBirfIid)feit um 
mich her felbftänbig ju dergleichen, ba fchien fich mir ein bebeutenber SBiber* 
fpruch herauSjuftetlen. 2luch anbere hu&en baS mit mir gefüllt, aber eS für 
nothmenbig gehalten, ihr Sulturibeal nach bem anfcheinenben ©ebiirfnis 
beS mobernen ©eifteS 51 t berichtigen. ©0 ift bie große ©emegung entftanben, 
bie man jum Unterschieb oon ber 9lntife, ber SRenaiffance ober ber SRomantif 
bie 2Roberite genannt hat. ©ie hat baS Nichtige gehabt, bafS allerbingS 
jebe 3eit burcß eigene originale Arbeit fich auch beS confcrdatidften Kultur* 
ibealS erft bemächtigen, es jur lebenbigen Slnmeitbung bringen mufS. Srrig 
aber mar bie Meinung, bafS eS überhaupt fein objectideS, bteibenbeS, feft= 
flehendes Sulturibeal gebe, bafS mir baßer mit jeber ©eneration mieber gaitj 
oon neuem anfangen müßten. ^)ie galfchheit biefer Annahme hat fich auch 
heute ooüfommen herauSgefteÜt. ®ie rabicalftcn Anhänger jener einftigen 
9Roberne iinb felber ju biefem SRefnltat gelangt unb h a &en praftifch mie 
t^eoretifch ihren Srrthum eingeftanben. $aS meiß jeber Senner ber aller* 
neueften Sitteratur unb Kunft feit etma brei fahren. Sch fchmeichle mir, 
bafS ich eS Sch on etmaS früher muffte unb üon 2lnfang an in biefem 
conferdatioeren ©inn ben SBieberaufbau einer beit Hocßfulturen früherer 3 eiten 
unb Sölfer ebenbürtigen mobernen Kultur angeftrebt allerdings mit 

bem SemufStfein, bamit nicht fo halb burch^ubringen. $enn mie Sollte mein 
3 beal einer SBelt gefallen, bie mir nicht gefallen fonnte, ba fie meinem 
3beal fo menig entsprach! ©iS heute h a * fich baran rnoßl noch nicht biel 
geänbert, aber ber ©oben ift hoch mehr dorbereitet, bie ©emüther finb nach 
fo dielen ©nttäufchungen empfänglicher. 3ch hotte eS baher für nicht mehr 
fo gan$ hoffnungslos, mit bem pofitioen ©rogramm einer mirflichen mobernen 
Kultur herdorjutreten, unb baS miU ich benn hier in Sür^e derfuchen. 3<h 
min in einigen Shefett einen fleinen ©runbrifs beS ©aueS geben, ben ich 
in dielen ©üchern unb ©üchlein ausführlicher entmorfen fyaht. 

®er Hauptfehler unferer mobernen Kultur ift, bafS fie eine 
materialiftifche ift. $aS, maS jur Seit ber jonifcßen s Jtaturphilofophen, 

®ie Ihiltur. III. 3a&rß. 5. jpeft. (1902.) 21 


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322 


Oticharb oon Kralif. 


bcr Sopfjiften, be§ SucretiuS nur eine Unterftrömung mar, ift bei uns jum 
erften SRal jur Dberftrömung gemorben. $a3 fiepte gilt als baS (Srfte, baS 
$unfelfte als baS £ellfte, baS 9liebrigfte als baS #öchfte, bie ©arbarei als 
Kultur. Sine große Kultur rnufs aber ibealiftifch fein, auf bent Seift 
fich aufbauen, nicht auf ber ©faterie. 2>aS, maS feßon bie großen antifen Kultur* 
träger jenen Kutturfcßäblingen gegenüber geleiftet ßaben, baS ntüffen mir auch 
umfo träftiger anfaffen, je übermächtiger ber böfe Kulturfeinb gemorben ift. $aS 
ftärffte 9lrmutSzeugniS für unfere äRoberne ift, bafS mir feine ©ßilofophic 
haben; benn eS mirb hoch niemanb mehr Stiefcfche für einen ©Ipl ofoph^n onfehen. 
5)iefe moberne ©h^°f°Phi^ heißt bie 9lnmenbung ber „Philosophia perennis“, 
beS gbealiSmuS auf unfere Seitanfchauungen habe ich ln meiner „28elt* 
meiSheit" üerfueßt, ohne eS einem anberen zu oermehren, eS beffer ju machen. 

3n ber (Sinheitlichfeit liegt bie ©röße aller hohen Kulturen. (Sin 
einheitliches, honnonifcheS äBeltbilb ift ihr IjöchfteS gbeal, ift bie fefte Stamm* 
bürg, üon ber auS fie ihre (Eroberungen machen fann. ^aS Kennzeichen ber 
mobernen Kultur ift aber bie Zerfahrenheit, baS 9Zebeneinanberflofcen 
uitoereinbarlicher ©egenfäfce unb SBiberfprüche. Sie ift fein einheitlich 
geplanter Tempel, fonbern ein SKufeum, mo in oerfdjiebenen Sälen ober 
s $aoiHonS aUeö mögliche aufgehäuft unb jufammengefchleppt ift, um fo 
unterbaut unb unorganifch fich oor bem fieben ab^ufchließen. 9WerbingS ift 
baS Problem für unfere Seit fchmierig, aber auch ©riechen, bie SRömer, 
baS äftittelalter hubeu ähnliche Probleme organifcher 9lffimilierung gelöst, gür 
uns zerfällt bie Aufgabe in z^ei ^heile: (SrfenntniS ber mefentlichen gactoren 
nnferer ©ilbung, unb biefe finb bie 91 ntifc, baS ©hriftenthum unb 
baS eigene ©olfsthum; biefe brei miiffen organifch oerfchntolzen, 
oereinigt merben. ®er zweite Ih e ^ her Slrbeit ift bie (SrfenntniS, bafS 
anbere an fich anfpreeßenbe (Elemente, mie fie bie inbifche, perfifche, chinefifche 
Kultur bieten, unferem Kulturibeal entgegengefefct finb unb baher in 
mefentlich anberer SEBetfe angeeignet merben foHen, nicht als gleichmertige 
gactoren, fonbern als z u überminbenbe ©egner ober als untermorfene ©eute. 
®ie SRoberne hot aber' gerabe umgefehrt bahingearbeitet, bie brei im SKittel* 
alter unb in ber SRenaiffance fchon geeinten ©runbfactoren auSeiitanber zu 
reißen unb bafür jenen fremben (Elementen %\\ einer unorganifcheit gnüafion 
ZU üerhelfen. Selbftmörberifch unb hoeßöerrätherifeh! ®arf ich S^r näheren 
9luSführung bicfeS fünftes auf meine „Kulturftubien" oermeifen? 

(Sine fruchtbringenbe, erfreuliche Kultur mufS pofitio, erhaltenb, 
bemahrenb, fchüfcenb fein. ®ie moberne Kultur ift mefentlich eine negatioe. 
Sie oerneint nicht nur baS ©ofitiofte, ben ©eift, bie gbeen, nicht nur bie 
(Einheit, nicht nur bie ©ernunft unb Harmonie ber SBett, fie oerneint auch 


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Kulturibeale. 


323 


bie gan$e Vergangenheit, ben ©tamm, bem fie entfproffen ift unb ohne ben 
fie nicht einmal Oegetieren fann, fie berneint bie ganje ©efchichte unb Xrabition. 
©ie ift rabical, aber nicht in bem berechtigten SBortfinn, bafd fie jur SBurjel 
afled SBefend jurüefftrebt, fonbern in bem ©inn, bafd fie ttmrjettod unb 
ooraudfefcungdlod ihre eigene SBurjel fein null. 3h re ^nbenj ift nicht auf* 
bauenb, fonbern jerftörenb, fritifch fdjeibenb, jerfefcenb unb auflöfenb, nicht 
oerbinbenb, fefcenb unb erhattenb. 2 lber, toie gefagt, eben barin ift eine 
beffere Srfenntnid burchgebrungen, unb man h<*t toieber angefangen, an jene 
Seiten an$utnüpfen, bie man früher nicht genug beruhten fonnte. Von ber 
Stothtocnbigfeit burchbrungen, bafd mir und bor allem eine pofitibe ©runb* 
tage für aße fünftige organifche Kulturarbeit fichent müffen, h al & e ich felbft 
einen großen If)eii meinet Sleißed nicht eigenen Vrobucten, fonbern ber Srhaltung 
unb Srneuerung ber tourjelhafteften Arbeiten unferer Vorfahren gemibmet. 

Sine große Kultur barf nicht inbibibualiftifch, nicht ejelufib fein, fie 
mufd oielmehr focial fein, bie gan^e ©efeflfehaft, bad ganje Voll urn^ 
faffen, aüe ©tänbe, äße Klaffen, ©o toaren bie alten Kulturen, ©eit ber 
Sienaiffance tm* fief) biefer ibeale Suftanb immer mehr berfchlechtert unb ift 
in ber ©toberne ^it feinem ©egenfafc getoorben. 2 luf ber einen ©eite tooflen 
bie ©ocialbcmofraten, auf ber anberen ©eite bie Übermenfchen ihre Kultur 
für fich; bie einen eine ^erbenfultur, bie anberen eine gelben* ober ^rannen* 
fultur, anbere eine Kultur für Sebemänner, für freie ©eifter, überlaffen aber 
gerne ben Säuern ihre eigene. $ie moberne aufgeflärte Kultur fteßt fich 
immer mehr hoch nur ölä eine Kultur für Kgoiften, für SBenige herauf, 
bie nicht auf bad Votf anmenbbav ift, ohne afled, auch bad egoiftifchc 
Sehagen jener 9ludernmhlten $u gefährben. SEBohl fühlt man bie 9toth s 
menbigfeit, ettoad für bad Voll ju thun, man gibt ihm Siicher, Silbung, 
Slrbciterfaferneu, Slltcrdberforgung, man fucht Kopf unb ©tagen ju befriebigen. 
$ad ^erj hfl* man oergeffen. Seht hoch einmal bie ©traßen unferer ©täbte 
an! $abt ihr ba fchon bie greube gefeßen ? Stein, ed ift nur eine mäßige 2uft, 
unter biefeu Verhältniffen ju (eben. 2 >arum machen fich auch fo biele fo fchneß 
baoon. 2Bad h«lt und benn an bied Sehen feft? ©ine boflfontmene Kultur 
müfdte aber bad Sehen gan$ anberd lebeudroert machen, ald ed jefct ber gafl ift. 

$er Staat ift ber Sebiathan unferer mobernen Kultur. Kr hat mit 
feinen Ämtern unb Seamten, feinen ©teuern, feinen gidcatien unb Stegalien 
aßed eingefchhutgen. ®ie übrigen gactoren einer f)armonifcheit unb mannig* 
faltigen Kultur finb ihm gegenüber gan$ entmiinbigt toorben: fo ber 
Kinjelne mit feinem ©etbftbeftimmungdrecht, fo bie Familie, fo bie 
©emeinbe, bie $unft, bie Stäube, bie Kirche, bie Vereine, bie 
Schule, bie Kr 5 iehuttg, unb enblich fogar bad Königthum. Stun 

21 * 


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324 


{Richarb o. Sralit 


aber höben alle biefe gactoren eine Sulturfunction, auf bie mir nicht Der* 
äidjten fönnen. Sie müffen ficß felber mieber ber ntobernen einfeitigen 
©taatgfultur gegenüber $ur ©ettung bringen, ©ernifg h a * bie abfolutiftifcße 

Drganifation ber ©olfgfräfte im Staat ihre großen Sortljeile, aber auch 

noch größere ©efahren unb ÜRacßtheile. SEBir mollen auch ben ©taat nicht 

fchtoächen, fonbern im ©egentheil ftärfen unb ftüfcen, inbem mir iljn oon 
einer ©ürbe entlaften, bie ihn fchließlidh ju ©oben brücfen mufg. Such mollen 
mir unfere Kultur auf eine breitere ©afig ftellcn, bamit fie auch bleibe, menn 
etma ber ©taat irgenb einem Anprall nicht mehr miberftefjen fönnte. 

Die moberne Kultur gieng oon einem falfcßen ©egriff beg gort* 
fd&rittg aug, fie meinte, bafg ber SRenfch über fiel) fyinauSfteigen fönne 
unb müffe, ungefähr fo, mie ber 2lffe einft jum äRenfcßenthum hinauf* 
geftiegen fei. Dieg Übermenfchenthum, biefe Sultur ber „SReijfamfeit". ßat 

fich inbeffen hauptfächlich alg ^pfterie ober noch Draurigereg herauggefteüt. 
3Wan ^at mieber bag ©eienbe, bag ©leibenbe mefentlich h ö h er fehlen 
lernen. Über bag ©runbgefefc Oon ber Spaltung ber Straft fönnen ung 
bie fjödjften ©teilen unb ©errüefen nicht hinmegtäufeßen. ®afg mir nur nicht 
am (Enbe fdßlechter merben über all bem ©treben, ßößer ßinaug ju fommen! 
Dafg mir nur nicht aüeg bag oerlieren, mag mir noch etma haben! SBir 
laufen ©cfaßr, beit Sperling aug ber $anb $u laffen, mäßrenb mir nach bem 
©proffer auf bem ©aum greifen. ‘Darum hat fich nach trüben (Erfahrungen ber 
befonnene (Eonferoatioigntug alg oiel mießtiger ßerauggefteüt benn fo manche 
gortfeßrittgtenbens, bie ung nur im Sreife herumführt um bag fo nahe liegenbe 3iel- 

2lber noch mehr! (Eine große Stultur rnufg nicht nur im organifchen 
3 ufammenßang mit ihrer näcßften ©ergangenheit bleiben, fie rnufg noch öiel 
mehr barnach ftreben, ihre fiebengfraft aug ben SBurjetn unb Quellen ihrer 
Sulturelemente ju erneuern, ffltit einem SBort, ber conferoatioe SBeg, bie 
3Retßobe ber ßöcßften SGBirfung geht burch eine $Reiße üon SRenaiffancen. 
©o mie ber über einen großen ©raben ftrebenbe jurüeftreten rnufg, um 
einen Stnlauf jum Sprung $u nehmen, fo müffen bie Sorfämpfcr ber Kultur 
umfo meiter jurüeftreten, je meiter unb ßößer fie fich erfdhmingen mollen. 
Dag gefammte 9tlterthum gibt bie Sritif ber ©egentoart, bie ©orrectur ihrer 
SKängel. Dag ift bie hiftorifdße SKetßobe, bie neben ber philofophifchen nicht 
oernadhläffigt merben barf. ©o hat 5- ©• ©toto neben ber philofophifchen 
©runblegung feineg ©taatg in ber „©oliteia" auch bie ßiftorifeße im „Sritiag" 
angeftrebt. 9lber bie ganje griechifche Sultur ift ja eine immermäßrenbe 
SRenaiffance ber heroifchen Sultur ber ßornerifeßen geubaljeit, big auf ffiergil 
unb bie {Römer herab, unb auch Sultur beg SRittelalterg entmicfelt fich 
burch eine 9teihe oon {Renaiffancen, eine farolingifdhe, eine ottonifeße, eine 


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Kulturibeale. 


325 


ftaufifdje u. j. m. SBiebergeburt, Degeneration ift baS ßaubertoort 
aller Datur unb aller ©efdjidjte. Deublüte aus ber SBurjel, nicht aus ben 
äußerften Danfen, unb menn fte noch jo prunfenb finb! SBemt eine Kultur fid^ 
auSgelebt ^at f barf man jie nicht noch überbieten toollen, man rnufS, menn ein 
2Beg bis ans ®nbe geführt ift, $um Kreusmeg jurüefgehen, um eine neue Safjn 
aufeufuchen. Dur barf man babei nicht bie bisher gefunbenen ßrgebniffe jo leic^t= 
finnig aufgeben, mie eS bie im engeren ©inn jo genannte Denaiffance gettjan l)at. 

®ie Kultur foD beS HRenfchen fetber rnegen ba fein, nicht ber Kultur 
ober gar einzelner I^eile rnegen. Unjere moberne Kultur ^at mol)l mehr als 
eine frühere für bie 2 ed)ni!, für ben Perfehr geleiftet, aber bie Xrtumplje 
auf biejem ©ebiet berleiteit jie, bie SKittel über ben 3 toecf $u ftetlen. ®er 
SDenfch ift nicht ber 2edjni!, beS®erfehr£ rnegen ba, fonbern umgefehrt. 
©0 felbftberftänblich bieS fcheint, fo leicht mirb eS bod* oergeffen. Seben, ©efunb* 
heit, Derben, 93ehaglid)feit, Duhe, Sergnügen gelten faft nichts mehr, toenn 
eS fid) barum Rauheit, bie SEBituber ber Sec^ni! unb beS SerfehrS ju fteigern. 
©in geiftreicher greunb fprad) einmal baS jc^cr^aftc Parabojon aus, bie 
altägpptijchen Priefter Ratten too^l fchon alle ©rfinbungen ber Dcujeit ge¬ 
tonnt, fie aber aus Dürfjicht für eine ibeale Kultur unterbriieft. ©S liegt ein 
tiefer ©inn in biejem ©djerj. 3)ie Alten Ratten bie Kultur fefter in ber 
£>anb, unS ift jie burchgegangeit, mie ein fcheueS DofS, über baS mir nicht 
mehr $err finb. 3d) miß nicht bie gute alte 3 e i* bei Poftfutfcßen unb ber 
£anbarbeit überjehäfcen, aber in oielcr Pe^iehung fangen gerabe bie ©pifcen 
ber ßibilifation an, jene überholten Serhältnifje erft recht §u mürbigen. 2 Bir 
haben eines mit bem anberen erfauft; ©emittn unb Perluft ift noch feh* 
^meifelhaft. Dur baS eine ift fchon jefct fieser: eine Kultur ber Xechnif unb 
beS SerfeßrS ift noch lange teine menfehenmiirbige, h°he Kultur, lein 
3beal. ©ie ift eS jubem, bie unS erft baS Proletariat, bie unlösbare fociale 
Srage gebracht hat; unlösbar, meil bie meiften Proletarier fiujuSarbeiter finb. 

$ie h^f^nbe Kultur ift eine egoiftifche, jelbft ba, mo fie oorgibt, 
für baS SBohl ber SKenjchheit, beS PolfeS ju arbeiten, benn ihr Altruismus 
ift nur eine Ausgleichung aller ©goiSmen. 5)ie Kultur foD aber ethifch 
im bottften ©inne fein, b. h- baS ^öc^fte ®ut nicht in ber größtmöglichen 
giiüe jinnlicher ©enüffe, fonbern in ber ©rßebung beS ©eifteS $u feinem 
Urfprung, 511 feiner eigentlichen Heimat juchen. $ie mahre Kultur foll fich 
bem 3beal eines ©otteSreicheS auf ©rben möglichft annähern. 

Unjere moberne Kultur ift in ihrer ©runblage eine froftig miffen* 
fchaftliehe, fie fotl aber eine marme lebenSoolle fein. $ie SBiffenjchaft 
foü in ihr nicht borauSfefcungSloS baS ©ute ttjrannifieren, fonbern bem 
©uten bienen. 


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326 


Sticharb o. Kralif. 


Da3 Siftfjetifdje, ba3 Künftlerifche fpielt in jeher echten Kultur 
eine bebeutenbe Stolle. Die Kunft ift ja bie Sermittlerin ber Sbceit mit bent 
Seben. Die Kultur fott erfdjeinen, fidjtbar toerbeit, glänjen, unb ba3 fanit 
fie nur in äfthetifdjer gorm. 9tud) baä ©bangelium hat bie fünftlerifche gorm 
ber Parabel nicht berfchmäht. gn ber Kunft fommt baä SBefen be§ ffiahren 
unb ©Uten 511m 91u3bru(i Kunft unb Kultur ftnb, toenn man beibe# int 
fjöchfteu, umfaffenbften Sinn nimmt, ibentijdj. Denn beibc follen ja ba£ 
ganje Seben burdjbringen unb heben. gn biefer ©e 5 ief)ung ift bie „SJtoberne" 
mit un3 einüerftanben, ja, fie ift geneigt, bie Kunft eher noch ju auSfchlie&lich 
ju überfc^äfeen. Slber fie mifSberfteht eben bie Kunft. Sie l)ält fie in unferem 
tedjnifdjen 3^italter auch nur für Xechttif. Unb aHerbiitgS in ber Dechnif 
ift unfere Kunft ganj refpectabel. 9lber auch nur in ber Dechnif. Die Kunft 
ift ober fo toenig ber Kunft toegen ba, toie bie SEBiffenfchaft ber SBiffenfcfjaft 
toegen, toie bie Dechnif ber Dechnif toegen. gür’3 Seben foü fie fein. ©3 gibt 
eigentlich nur eine einzige echte Kunft: bie Seben§(unft, toorin auch hie 
Kunft ju fterben mit eingefchloffen ift. Die Kunft foü ba3 Scbett jum geft 
machen, ^unt greubenfeft toie 511m Drauerfeft, aber fie foll e£ lebenStoert 
machen, ihm ben Schtoung, ben Sth^t^ntu^ geben, ber ben ÜJtenfchen junt 
Überthier, bielleicht fogar jum Übermenfchen im guten Sinn macht. Darum 
nenne ich ben feinen Künftler im Sinne hnh cr Kultur, ber für Sei£>bibIio* 
thefen unb ba£ h c intüche ®ebürfiti3 opiumfiiehtiger Stontanberfchlinger fchreibt. 
Stein, im ^telbengebidjt, in ber nationalen Sage halte ber erjählenbe Dichter 
bem ganzen ©olfe baä erhöhte Spiegelbilb feiner ebelften ©eftrebungett oor, 
unb ber Staat laffe bie3 jur ©rfjöhung jeber geftfreube auch öffentlich hem 
Solfe fingen unb fagen. Sticht für einen Künftler halte ich hen 95ucht^rifcr. 
Der Sänger fteüe feine ©egabung in ben Dienft be£ Sebent, ber ©efeüfchaft, 
ber gefte be3 ©olf£, ber ©emeinbe, ber gamilie, ber Kirche. Sticht für Kunft 
halte ich ha3 Unterhaltungsftiicf be3 Stepcrtoiretheaterö, fonbern nur ba* 
SBeihefeftfpiel erhabenften ober h^iterften ©harafterS. Sticht für Kunft halte 
ich hie Sftufif, hie fidj nicht in ben Dienft ber ©oefie, be3 Sebent ftetlt, 
nicht für Kunft bie SRalerei, bie für ben SJtarft, bie KunftauSftellungen 
arbeitet, anftatt für ba$ ©ebürfni§ ber Öffentlichfeit, für ba$ ©olf, für ben 
Schmucf üon Dentpeln unb goren. 9lber auch ha fei nicht ber nichtäfagenbe 
Schmucf ba$ 3^1- Stein, ber Künftler fei fich bemüht, in jebem gatt atä 
Seher, al3 ©rebiger, al$ ©emittier ber höchften ©inficht unb Kraft jum ©olf 
*u fprechen. 9111 bieö hohe ich in meinem „Kunftbüchlein" näher angeführt. 

Unb enblich: bie höchfte Kultur fanit nur eine religiöfe fein. 
Si3 hi c ^ cr b)ar ich vielleicht int ©inberftänbniä mit einigen wenigen, ©oit 
nun an mirb mein 2Beg noch einfamer. 3*nar baS haben in biefett lebten 


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Slulturtbeale. 


327 


gaftren auch fcfton bic ©infichtigften erfannt, bafS bie moberne Kultur burdE) 
ihre StetigionStofigfeit am meiften gefc^äbigt werbe. ©ie wiffen auch fcfton, 
bafS bic gefugte Kultur ber 3eit nur aus bcr SBurjet einer retigiöfen 
SBettanfdjauung, eines non ber SReligion getragenen ßebenS erblühen fann. 
216er fie gehen nach nerjd^iebenen ©eiten in bie Srre: fie jucken biefe 
erfehnte SReligion entweber in ber 3 nfunft ober in ber Sergangenfyeit bei 
©riechen, bei ben alten ®erntanen, ober in weiter gerne bei gnbern, Werfern, 
©hinefen. Stun oerweift uns aber baS s JSrincip ber Slctuatität, bie ©efdfjidjte, 
bie phitofophifefte Sergteichung, überhaupt alles unb alles auf bie einzige 
actuetle, wirftiche, öotfSgemäftefte wie geiftigfte Stetigion, auf baS ® h r i ft e n* 
thum. SBenn irgenb etwas fieser ift, fo ift eS baS, bafS baS ©hriften* 
tt)unt allein bie antife Kultur organifdj fortgefefct unb oerftänbniSootlft ab' 
getöät hat, bafS eS ibentifeft ift mit ber europäifeften ßioitifation, bafS eS 
mit unferem SolfSttjum organifd) oerwachfen ift, bafS eS nicht eine, fonbern 
bie Stetigion ift, bie gefunbene unb offenbar geworbene Stetigion, wie eS 
nur eine SJtathematif, bie beS ©uftib, unb nur eine Sogif, biebeS StriftoteteS 
gibt. SBoltten wir DaS ©hriftenthum aufgeben, fo miifsten wir jugteich 
unfere gan^e S3ergangenheit, unfer ganzes SJolfSthum jerftören. ®ie einheimifche 
©efchichte beS ©ermanenthumS beginnt erft mit ber ßtjriftianifierung. Slber fetbft 
wenn baS nicht fo wäre, Wäre eS t^öridjt, eine Stetigion 51 t machen, ju 
juchen, ju conftruieren, 511 abaptieren. $enit eS tiegt im SBefeit ber Stetigion, 
bafS fie ftärfer fein mufS als wir; fie mufS uns umfehaffen, nicht wir fie; 
barum brauchen wir fie ja. SBenn wir aber bie Stotfjwenbigfeit ber Stetigion 
für bie Suttur eingefehen haben, wenn wir baS ®f>riftcntE>unt atS bie 
Stetigion erfennen muffen, fo bteibt auch feine SBaftt jwifchen ben ßonfeffionen. 
5)aS griecbifche Sirchenthum hat fich burch feine Stbtöfung altes ßebenS beraubt. 
"5er s $roteftantiSmuS ift, wie Sagarbe feierlich ausgesprochen hat unb bie 
ganje ©ntwicflung bejonberS feit einem 3nt)rhunbert beftätigt, praftifch un- 
haltbar, wiffenfcftaftlich, theotogifch unb hiftorifch überwunbeu unb aufgegeben 
oon feinen eigenen h^röorragenbften Sertretern. ®S gibt nur e i it e Sircfte, bie 
fathotifche; bie anberen ßonfeffionen finb nur Xenbenjeu 511 ihr ober t>ou ihr. 
$)aS weift bie ganje SBelt, wenn eS auch taufenb ©ritnbe gibt, bafS man 
fich'S nicht gefteht. SBenige finb fo aufrichtig wie SKoltfe, ber grofte 
Schweiger, ber in feinen ©efprächen mit ©erutjarbi ben StuSfpruch t^at: 
„SBenn auch bie fathotifche ftirefte Steformen nöthig haben fotlte, fathotifch 
rnüffen wir hoch alte einmal werben." Stun gut, baS fteftt atfo feft. 

SBelcfte Steformen aber wollen wir je&t ber fathotifchen Sircfte üor= 
ichlagen? Etwa, bafS fie ihre ßinfteit, ben „UltramontaniSmuS" aufgebe? 
Slber biefe weit auSgreifenbe ©infteit, biefe überragenbe Stutorität macht fie 


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328 


SKidjarb o. fötalif. 


uns ja gerabe erft fud^en^tucrt. Ober bafS fie fid^ auf bie fiirdjenf)aflc 
befdjränfe, auf baS nadte Dogma, bafS fic eS aufgebe, alle SebenSgebiete 
ergreifen unb burdjfefcen ju motten, mie fie eS im ©littelalter beanfpruchte? 
s Jtein, mir motten ja bodj einen Sauerteig, ber baS ganje ßeben fchmadhaft 
mache, fein Sirchenlämpchen, fonbern eine Sonne, bie aüeS burchleudjte. 
Ober fott ber „ElericaliSmuS" feine fitljrenbe SJtacht bem ßaienftanb abtreten? 
Damit mürben mir nur einen tljeotogifdjen Dilettantismus, Eurpfufdjerei, 
9?aturf)eifoerfafjren in nnferer $eit beS gadjmiffenS gemaltfam ^eroorrnfen. 
9tocb viel meniger aber fyaben mir ©runb, jenes Ijaltfofe Profefforenfirchen* 
t^um ber ^Reformation anjuftreben unb bamit bie allein autoritative apoftolife^e 
©runblage unferer ftirdje $u fchmächen. Ober motten mir ben Sölibat 
abfehaffen, meil er angeblich ju mannen . SWifSftänben Seraitlaffung gibt? 
«IS ob bie @f)c eine Serfidjerung gegen alle ©efahrett märe! SRein, feien mir 
froh, bafS einer SRinorität vom Sann ber ©efcplecf)tficf)feit fich frei ju machen bie 
©elcgenheit geboten mirb. «ber bie Dfjrenbetchte merben mir hoch vielleicht auf* 
geben muffen ? SBie, bieS Snftitut, um baS uns fo viele beneiben, bie nicht ftarf 
unb helbenfjaft genug baju finb! Ober fotten burch beit „gefunben 9Renfchen* 
verftanb" manche VolfSthümliche formen ber «nbacht, übertrieben fcheinenber 
.£>eiligencult, bie SRaricttvercbrung, ber SBunberglaube auf ein gemiffeS SRaft 
befchränft merben? Um ©ottcSmitten, nein! SBir brauchen ja für unfere 
Kultur SolfStl)ümlichfeit, felbft SRaivetät, mir brauchen SRannigfaltigfeit, 
mir brauchen Poefie, mir brauchen SRpftif. SBir brauchen ben archintebifchen 
Puitft außerhalb ber Erbe, um von ba aus bie ©rbe $u bemegen, unb 
biefer punft faitn nur bie Übernatur, baS SBunber fein. SBenn mir, um 
Der mobernen ft'ritif entgegenjufommen, baS ©ebiet beS SBunberS nur auf 
baS bogmatifch SRothmenbigfte befchränfen, fo mirb bieS um fo unbegreiflicher 
unb unerträglicher für fie baftehen. Ober fotten mir etma für Sfoterifer bie 
rationaliftifche, fpntbolifche «uflöfung unferer Dogmen geftatten? Das märe 
gerabe fo, mie meitn mir ihnen ein Privilegium geben mottten, von ber Suft 
$u leben. Sotten mir etma ben ^Rationalismus in ber Kirche ftärfer betonen? 
©in Unwichtiger Srrthum! Sa, feien mir national! Sch felber glaube es 
an nationaler «rbeit mit jebem aufnehmen 511 foulten; aber eS gibt für uns 
feine nationalere politif, als montäglich noch römifcher ju fein, als bie 
Staliencr. 9lur fo höben mir baS einheimifche PolfSthum erhalten unb 
gehoben. Das höben i°i r bemiefen burch Dhöten, nicht burch Sierbanf* 
gefchrci, mie manche «nbere. Ober fotten mir ber Kirche jumuthen, 
fid> mit ben fogenannten mobernen Sbeen, mie fie an fich finb, frieblich 
fchieblich auSeinanber 5 U fefcen? SBehe uns bann! Dann märe unfere lepte 
Hoffnung bapin. SBir höben ja ben religiöfeit ©eift nur beShalb berufen 



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Kulturibealc. 329 

mollen, um und aud ber Kulturbarbarei biefer ntoberueit Sbeeit ju retten. 
Ober foücn mir geroiffe religiöfe Orbeit von und abfchütteln ? 3a, menn 
mir unfer Kulturbeer einer mirffamen unb fo recht moberuen SBaffengattung 
berauben mollen! 3a, menn mir ben Kampf mtb ben Steg ber religiöfeit, 
ber mabren Kultur noch länger hinaudjiehen mollen, menn mir und oor 
beut 3^1 fürchten, bad mir hoch auftreben. 

3 ch ha^e ba eine 9teif)e oott ftteformoorfchlägen aufgewühlt, mie fie in 
neuerer $cit oon oerichiebenften Seiten aufgeftellt merbeit. 9lber ich 
mid bie SReformbebürftigfeit ber fatholifchen Kirche nicht ganw leugnen. 
Sie leibet an einem großen mirflicheu gehler, ber alle anberen, nur 
jebeinbarnt nach fich sie^t. 3)iefer gehler ift, bafd fo oicle unb bejonberd 
bie ©ebilbetften bid jefct noch aufjer ihr fteben. Unb in biefer ©ejiehung 
bin auch ich SReformfatholif. 9(ber feib überzeugt, ihr „©ebilbeteu", bafd 
ihr in ber Kircf)c bie höchfte ©Übung finben merbet unb auch Männer, 
bie im Staube finb, euch biefe ©Übung ooüfommen angemeffen w« vermitteln. 
Sie märten nur auf euch, um bie ^Reform ber Kirche ju voHenben. 3<*, bie 
SRängel im Sebcn ber Kirche föniten nur burch biefe höchft toünfchendmerte 
Reform gehoben merben. 3ft biefe aber burchgefiibrt, bad Reifet ift unfere 
gan^e Gilbung nicht mehr außerhalb, fonbern innerhalb ber Kirche, ftellt 
fie ihre gatt^e Kulturarbeit in ben Xienft berfelben, bann finb alle Schaben 
oon felber geheilt, bann erft allerbiugd fann bie ^Religion ihre gait^e Jultur* 
bilbenbe Kraft ohne SReibuugdverluft entfalten. 9(ber bad ift eben ein 
'«Bormurf unb ein 9Ranget, ber nicht bie Religion unb bie Kirche an fich 
trifft, fonbern jene, bie fich ber Kirche Verfehlten. SBenn ich tvül, bafd 
mich bie Sonne befcheinen unb märmen foU, fo mufd ich wum minbeften 
aud bem Schatten hervortreten. Unb menn mir alle ©utgemiüten in bie 
Sonne ber SBahrheit locfen mollen, fo miiffen mir fie in ihrer ganjen 
unoerhüllten glän$euben ®egenfä§lid)feit wur Dämmerung barftellcn, mag fie 
fo auch blenbeit unb fchmerjen, unb mag man und auch vielleicht „9toman= 
tifer" fchelten. 

9iun alfo, meine greuitbe hüben unb briiben, fo entfeheibet euch: 
23ollt ihr eine Kultur ober nicht? 



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Die Philosophie der Astronomie. 

•Bon Bl»!** UHiller. 

(£v 8 ift etroaS SonberbareS um bett SWenfcpengeift: ein nimmermübeS 
Streben nacp SrfenntniS 4 aller |>öpen unb liefen ber Schöpfung macpt 
fein ßeben unb SBefen auS; aber menn ipm gegeben ift, ooit mo er feine 
Scpmingen entfalten unb ben glug oertrauenSooll toagen fann, beratet er 
ftolj, lieber ber eigenen fi'raft üertrauenb. Dann gept es ipm rnie bem ©ogel, 
ber aus bem fixeren SuftfreiS in ben Stper pinauSfliegen miß: feine Flügel 
finben feinen fmlt, — unb mo es fonnenmärtS $u gepen fcpeint, gept’S 
tpatfäcplicp erbtoärtS. ift eS fein gaprpunbert per, ba bie SBiffenfcpaft 
beS ©eifteS biefeS traurige Scpaufpiel erlebte. ®S mar bie unglücflicpe 3«* 
Hegels unb Stellings, too bie ©pilofoppie, unbefümmert aller Srgebniffe 
unb äftetpoben ber Slaturroiffenfcpaft, fiep bie gan$e toirflicpe SBelt auS iprent 
eigenen gnnern peroorfpann, maS man bamals — unb autp peute nocp in 
getoiffen Greifen — mit unbemufster Selbftfritif „greipeit ber ©pilofoppie" 
$u nennen pflegte. 

Sepr tueit braucpt man peute nicpt ju gepen, um baSfelbe, ja eigentlich 
ein nocp fcplimmereS Scpaufpiel mieberpolt $u fcpen, nocp fcplimmer 
beSpalb, meil man nacp bem fläglicpen Scpeitern jener Scpilberpebung einer 
übermütpigen ©pilofoppie unb bem macptuoKen Slufblitpen ber 9iaturtoiffen* 
fcpaften bo(p faft meinen foHte, bie SRenfcpen feien flüger gemorben. DaS 
Sonberbarfte babei ift, bafS man fiep einbilbet, auf bem ©oben eines gefunben 
®mpiriSmuS 51 t ftepen, unb biefe ©inbilbung mit einer £i|}igfeit oertpeibigt, 
bie gemeinpin folepen Seuten eigen ift, bie eS nicpt fepr meit in einer 
Sacpe gebraept paben unb fiep biefeS SRangelS peimlicp bemufst finb, 
— mäprenb man in SBaprpeit einem gnteüeftualiSmuS ärgfter Sorte pulbigt. 
DaS ift baS feplimmfte 3^cpen für ben ©erfaß einer ©pilofoppie, bafS man 
nicpt mepr meifj, maS man tput unb treibt. Unb boep, mie oft ift nicpt ber Safc, 
bafS ©pilofoppie unb üftaturnnffenfepaft fo eng jufammengepören, bafS lefctpin 
feine opite bie anbere als eine mit jur Söfuitg beS SBcltproblemS berufene 
unb biefen Seruf mit @rnft erfaffenbe SBiffcnfcpaft ejiftiercn fann, mie oft 
ift nicpt biefer Saft in bie ^perjen nnferer ©pilofoppen pinein gerebet unb 


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®ie $l)Uofopi)ie ber 'ilftronontie. 


331 


getrieben worben, gefebrieben nicht nur mit ben ©Sorten auf bem Rapier, 
fonbern mit ben unauSlöfcblicben, brennenben Suebftaben, wie fie bie 
©efebid )\t fdjreibt! 

Stnftatt ben tbeoretifdjen SeweiS ber Stotbwenbigfeit ber Staturwiffen* 
febaft für bie 5ß^ilofop^ie $u fiteren, ber in ben ©inleitungSWorten fcpoit 
gan$ allgemein auSgefprodjen liegt, will icb fogleidj bie praftifdje Slnwenbung 
ber Setjauptung machen unb, ba eS unmöglich ift, tjier bie ganje Statur- 
roiffenfebaft in ben Sereid) beS pbilofopbifcben ®enfenS ^ineinjujie^en, einen 
ihrer bie fyofje £>immelsfunbe, ^erau^greifen, um an ihr ben fo 

ungemein reichen pbilofopbifcben .gnbalt ber Staturwiffenfcbaft ju bemonftrieren. 

SJtit Slbficbt gebe icb in bie ©ra^iS unb mit Slbfidjt nehme id) gerabe bie 
Slftronomie. ®aS erfte beSbalb, weil icb ben tbeovetifeben SeweiS anberswo 
erbracht habe unb man, wenn icb ftetS fo derfübre, vielleicht Stiepfcbe'S 
2Bort (3aratbuftra) barin beftätigt finben fönnte: „SBobl 50 g ich ben ScblujS; 
nun aber jietjt er mich!" ®aS lefctere auS bem ©runbe, weil, Wie eS wohl 
auf ben erften ©lief auSfiebt unb eine aud) nur geringe Kenntnis ber Söerfc 
unferer ©^itofoppen $u beweifen febeint, bie Äftronomie von allen jum engeren 
©egriff ber Staturwiffenfcbaft gehörigen ®iSciplinen bie wenigften unb neben* 
fäd)lid)ften SerübrungSpunfte mit ber $fyilofopl)ie gemein pat. SBenn eS ficb 
nun jeigen wirb, bafS biefeS Slfcbenbröbel unter ben 3weigen ber Statur- 
wiffenfdjaft trofcbem diele unb wichtige pbilofopbifcbe SJtomente in ficb birgt, 
fo bafS jeber fßfjilofopp, ber eS ernft nimmt mit ber SBiffenfdjaft als bem 
Jorfdjen nach ber ©Sabrbeit, ficb auch Kenntnis ber Slftronomie befc^affen 
mufS, bann liegt bamit ein äufterft günftiger ScblufS für bie übrigen ®iSciplineit 
ber Staturwiffenfcbaft nabe. 

3ugleicp foll burd) biefe praftifebe Slnwenbung gezeigt werben, bafS 
ber Staturwiffenfcbaft eine pbilofopbifcbe Seite gleicbfam eingeboren ift, 
bafS biefelbe Verleugnen ober oerfennen fodiel biefee, wie jener ihre fünfte 
3ierbe rauben unb ficb entgegen bem auSgefprocbenften Sebnen beS 
menfcblicben ©cifteS freiwillig jeben tieferen ©inblicf in baS geheimnisvolle 
'JBefen ber Statur abfebneiben. ®ie Staturwiffenfcbaft im ftrengften Sinne 
erleibet jwar feine Sinbufte bureb ben ©ergebt auf ade^ pbilofopbifcbe 
®enfen; aber gerabe ber arbeitenbe gorfeber, ber wie faitm ein jweiter bie 
28abrbeit beS SBorten erfährt, „bafS fein £>onig füfcer, als ber ber SrfenntniS 
ift", Wirb ficb bem Stcije pbilofopbifcber ©rfenntniffe, wenn er iljm einmal 
erfebfoffen, wenn einmal ber Sonnenblicf biefer fiönigin mitten in bie 
öbe ©Seit feiner gormeln unb Sjperimente gefallen ift, willenlos ergeben. 
®er berebtefte SeweiS bafür finb bie SBcrfe unferer großen Staturforfcber, 
bie jugleicb alle Ötofee pbilofopbifcbe ®eitfer waren unb beren pbilofopbifcbe 


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332 f s 2UoijS Mittler. 

SebenSarbeit mit all' ber jugenblicben Srifc^c umfleibet ift, rnie fie ein ©eift 
nur auSftrablen fann, ber frei oom ©taube ber ©cbulpbilofopbie unmittelbar 
oon beS Sebent golbenen Saume pflüefen barf. 

Sei ber Söfung unferer fpecieüen Aufgabe läfSt ficf) mobl ein anberer 
als ber praftifdje SSeg nicht einfcblagen, inbem mir eben bie einjelnen aftro* 
nomifeben Sehren, bie in Setradjt fommen, burebgeben unb baS S^itofop^ifd)e 
baran ^erüor^eben. 9Jtan fann babei ein boppelteS pbilofopbifcbeS SKomcnt 
unterfebeiben, ein f o r nt e 11 e S, baS für bie 2lrt unb SBeife, ein materielles, 
baS für ben 3nf)alt beS pbilofopbifcben $>enfenS oon SBert ift. 

I 

$aS formell pbilofopbifcbe SRoment finbe ich fomobl in ber 
©efebiebte als in ber 9Retl)obe ber Slftronomie. 

2BaS man tyuen foH, fann bie ©efebiebte einer SBiffenfcbaft eine 
anbere SBiffenfdjaft niemals lehren, mobl aber, mie man ctmaS tfjuen 

fotl, unb in biefer |>inficbt ift bie ©efebiebte ja ftets eine grofee Sehr* 

meifterin gemefen. ÜJtan barf aber babei nidjt an SWet^oben benfen, bie 
einmal f)iftorifd) fid^ ergeben haben unb uorbilblicb für bie anbere SBiffenfcbaft 
fein foden; bemt toaren fie nicht begrünbet, fo gehören fie überhaupt nicht 
hierein, inbem fie ja baS SSertoerbältniS ber einen SBiffenfdjaft $ur anberen 
aufbeben, toaren fie aber begrünbet, fo finb fie in bem metbobologifcben Inhalt 
einbegriffen, ber erft fpäter jur Sprache fommt. ®S banbeit fief) hier oiel* 
ntel)r um bie gatt^e ©eifteSricbtung, in ber pbilofopbifcbe fragen geftedt unb 
gelöst toerbett, um bie SBeite beS SlicfeS, bie Unbefangenbeit, SorurtbeilS* 
lofigfeit, bie 21nfiebteit über bie ©tärfe beS menfcblicfjen ©eifteS, über bie 
Statur, furj in getoiffem ©inne um eine SSeltanfcbauung, mit ber auSgcftattet 
man an bie Söfung beS SBeltproblemeS berantritt. ®aS aüeS fann aller* 
bingS auch Srobuct beS pbilofopbifcben $enfenS fein, eS fann aber auch bie 
©runblagc für toeitereS benfen fein, baS/ toaS ibm bie Stiftung gibt, ibm 
bie gorm aufbrüeft, eS in biefe ober jene Sabnen lenft, unb als folcbeS 
fommt eS hier in Setradjt. SJteiftenS ift biefe ©eifteSricbtung eine 9Ritgift 
beS ©cböpferS ober bureb 6r$iebung ober (Srfabrttng ertoorben. $a nun bie 
©efebiebte auch Srfabruitg ift, fo fann fie hier einfefcen, unb toenn fie auch 
als ©efebiebte einer SBiffenfcbaft bei toeitem nicht auSreiebt, einer anberen 
bie gait^e Sticbtung ju geben, fo ift boeb nie auSgefcbloffen, bafS fie über 
toiebtige fßuntte SluffcblufS ertbeilen fann. ®afiir bringen mir nun aus ber 
©efebiebte ber 2lftronomie jtoei Seifpiele. 

2llS erfteS claffifebeS unb auch mobl mattcbmal in bie Sbüofopbie 
hineingejogeneS Seifpiel biene baS fopernifanifebe SBeltfpftem. ®urcb 


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$ie ’ityilofopijie ber Slftronomie. 


33» 


bie fdjönen Stubien ©djiapare11i ; S ift eS ja befannt, bafö SopernifuS 
manche Sorläufer, befonberS unter ben großen griee^ifc^en Slftronomen, befafe. 
Slber biefelben öerfchminben unter ber SRenge ber Oegner; bie 3eiten maren 
eben noch nicht reif genug, um bie fo gemaftig reformierenbe 3 bee aufju- 
nehmen. ®r felbft tonnte feinen eigentlichen miffenfchaftlichen SemeiS für 
leine Slnfchauung bringen, er erfannte ihre Stidjtigfeit intuitiö; fo tarn eS, 
bafS felbft ju feiner 3^it fein ©ebanfe nicht burchbrang. 3a in Diel fpäteren 
3 ahrhunberten fanb fein ©pftem noch ©egner in bebeutenben Scannern ( 5 . ©.: 
©offuet), unb im 19., ja fogar in unferen gefegneten 20. 3<*h r hunbert hat mau 
noch 9 c 9 cn ihn gefchrieben. SRan tann ruhig fagen, bafS bantalS, als er fein 
Stetem aufftellte, unb noch Diel fpäter, bie Überzeugung aller SRenfdjen unb 
Seiten gegen ihn fpradj. E P ur si rnuove! Unb hoch hatte er Siecht. ®iefe 
eine Xhatfacfte bemeist bis zur ©oibenz, bafS ber fogenannte „SlutoritätSs 
bemeiS", baS ift ber ©emeiS aus ber Übereinftimmung aller SRenfchen unb 
Seiten, feinen miffenfchaftlichen SBert hat. 

2Bo finbet man nicht heute noch biefen SlutoritätSbemeiS! ©ei bem 
©roblem ber ©tentenbemohner hat man ih n geführt, obmohl er hier am 
aflermenigften berechtigt mar, meil bie erfte grunblegenbe ftrage bie nach 
ber ©cmohnbarfeit ift, biefe aber crft feit ber SRitte beS porigen 3üh r * 
hunbertS (©ntbecfung ber ©pectrafanalpfe) beantmortet merben fann; in 
ber ffrage nach ber Dbjectiüität ber SinneSqualitäten het man fich auf ihn 
geftüfct; für bie Unfterblichfeit ber Seele citiert man ihn, obgleich fich hier 
bie ©rfenntniS, bafS eS fein miffenfchaftlicher ©emeiS ift, auch ganz jag^aft 
bei unferen chriftlichen ©hü°f°Ph en äußert. £ätte man ihn nicht z u 
beS ft'operitifuS 3eiten mit bemfelben Siecht gegen beffen ©enie führen 
fömten? SieUeicht hat man eS getfjan, öielleicht hat man baS fcheinbarc 
Siecht noch baburch z u öergröfeern gemeint, bafS man auf beS Slftronomen 
Spftem als eine unbemiefene Sluffaffuitg hinmieS. SlHeS h^tte er gegen fich, 
maS Pont Slnfang ber SBelt an gelebt hatte, unb feine ganze 3eit. Unb mie 
hat ihn nicht bie fortfchreitenbe SBijfenfchaft gerechtfertigt! SBo bleibt ba 
noch ber JlutoritätSbemeiS ? SSenn er fich auch nur ein cinzigeSmal eclatant 
als unrichtig ermiefen hat, fo fällt bamit feine miffenfchaftliche ©eredjtigung. 
®S fann ©orftellungen, 3bcen, ©uggeftionen geben, bie bie SRenfchheit 3ah* s 
hunberte, 3 af)rtaufenbe lang gebannt halten unb bie hoch falfch finb. $ie 
ganze SRenfchheit ift gleichfam nur ein einziger grofjer SRenfch unb fie fann 
irren unb 3*rthum zeitmeilig fefthalten, mie ein einzelner SRenfch. Unb mie 
fönnte eS auch anberS fein? SBeitn ber SJienfch in bem Sinne baS SRafc 
aller $inge märe, bafS baS, maS er, „ber SRenfch" x. L, für richtig hält, 
auch beShalb richtig ift, bann müfSte ich toirflich nicht, wie man für immer über 


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334 


Alot)S ÜJhiUer. 


ben Saft SWieftfche'S (gröbliche ®8iffcnfcbaft) ^intüegfomntcn foHte: „©aS 
finb fluleftt bie ffiahrheiten beS SRenfdjen? — ©S finb bie unmiberleglichen 
grrthümer beS 9Renfdjen." ©ubjectiö, für ben cinjclncn Verftanb mögen 
folche Vemeife überfleugeitb fein unb bafjer befliehen fie and) ihre ©jiftenj* 
berechtigung. Aber es ift ftetS ein folgenfchmercr gehler gemefen, menn man 
flmifdjen fubjectiuer ÜbevfleugungSfraft itnb miffenfdjaftlicher ^Berechtigung nicht 
unterschieb. 

Vielleicht bebürfte ein AutoritätSbemeiS eines bejonberen ©orteS, ich 
meine ben für baS 2)ajein ©otteS. ©r mirb öon unferen Ausführungen faum 
tangiert, menigftenS märe noch fange Überlegung nöthig, ehe man ihn unter bie 
befprochene ßtubrif biefer Vemeife reihen tönnte: ©ott ift nicht etmaS, maS bafein 
fann, fonbern etmaS, maS bafein mufS; baS unterfcheibet ben SemeiS oon aßen 
übrigen. $iegrage hängt iiberbieS flufammeu mit bem Problem ber eingeborenen 
©otteSibee, hoch entflieht fie fid) uoflftänbig ber näheren Vehanblung an biefer 
Stelle. — ®ie Überfleugung, bie bie SWenfdjen afler feiten befiften, mufS 
aflcrbingS in gemiffen gäßen irgenb einen realen Untergrunb hoben. ^arum 
fragt ged)n er (3enb* Aöefta): „Sann baS jeftt ohne ©rünbe oertoorfen merben, 
toaS üoit üorneherein feiner ©rünbe bebürfte, um ben Sftenfchen einflulcitchtcn?" 
Sooiel alfo barf man jener Überfleugung trauen; aber auch nur fooiel, unb 
mit biefem Safte ift ber anbere noch lange nicht auSgefprodjen, bafS man 
nun in aßen gäßen biefe Überfleugung als einen ©emeiS gegenüber anbereu, 
auch nicht ftreug miffcnfchaftlichen ©emeifen auSfpielen barf.*) 

AIS ein jmeiteS ©eifpiel fliehe ich Me Anmenbung ber Spectrah 
analpfe unb ber ©hbfi^oepe auf aftronontifchc Objecte heran. ©aS mau 
oor ber Sßiitte beS oorigen gahrhunberts non ber Vhftftf ber Sterne mufste, 
mar blutmenig unb beruhte baflu manchmal auf flicmlich unfiche^em ©runbe. 
$a erfolgte bie ©ntbedung Sirchhnff'S unb ©unfcnS, unb mit einem 
Schlage mar man in ein neues, ungeahntes, nie erträumtes SReich berfeftt. 
geben Stoff auf ben fernften uns fichtbaren Sternen bermögen mir nun nach' 
flumeifen, fomeit er fich auf ber ©rbe finbet; mit einer ©enauigfeit bon 

*) 2 Jtan feftränft otelfach bie ©eltung beS AutoritätSberoeifeS auf „bie ber 
Vernunft aller ^gängigen Urteile" ein, unter ber VorauSfeftung, bafS „fid) fleigeu 
läfSt, bafS feine bie Vernunft beirreitben ©inflüfie baS übereinftimmenbe Urtheil 
herbeigeführt hoben." $>amit läfst man feine SRicfttigfeit in ber grage nach ben 
©ternenbemohnern, nach ber Objecttoität ber Sinnesqualitäten u. a. fallen. 2 >amtt 
ift aber zugleich ber ©eroeiS auS ber Ü herein ft i nun ung aller ÜRenfdjen als 
foldjer aufgehoben. 2)enn jeftt beroeift nicht mehr biefe Übereinftimmung, fonbern bie 
logifche ©ahrheit beS ^enfprocefieS unb ber AutoritätSberoeiS ift nur mehr ba jur 
Stüfte für Sd)roachföpfe, bie ihr eigenes $enfrefultat bejroeifeln, roenn fie eS nicht 
bei irgenb einer Autorität roieberfinben. 


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Die $Oilofopf)te ber 2lftronomie. 


335 


zeitiger als einem falben Silometer fönnen mir bie ©efehminbigfeiten nteffen, 
mit benen bie Sterne fich auf uns ju ober üon uns ab bemegen. ©elbft bie 
fünfte ©hantafie hätte fich nicht träumen taffen, bafS ein minjiger Sicht* 
ftraf)! folche ©eheimniffe in fich fchliefce. Unb in ber SReujeit hat fief) burch 
bie glücfliche ©ermenbung ber ^ß^fiologie mieber ein anbereS 8ieich eröffnet. 
Dinge, an benen alle bisherigen ©rfahrungen fcheiterten, bie allen ©erechnungen 
unb £>ppothefen fpotteten, bie üöHig ejernpt mareit, haben burch fte ihre natür* 
liehe ©rflärung gefunben. 

SBaS bie ©hilofabhk/ bie fo gut mie bie SIftronomie eine fort= 
fchreitenbe SBiffenfchaft ift (menn eS überhaupt eine anbere SBiffenfcfjaft 
gibt), barauS lernen fann, ift bieS, bafS fie nicht bie uns jefet befanntc 
Dhatfachen* unb ©ebanfenmelt als bie anfieht, momit nun alles erflärt 
merben mufs. @S fann unb es mufS 9taturorbnungen, fliaturthatfachen, 9tatur= 
jufammenhänge geben, bie mit bem SWafje unferer SenntniS, unferer Sategorien 
unb 3beert nicht gemeffen merben bürfen; es fann unb eS mufs ©ebanfen* 
melten geben, bie jenfeitS ber ©rennen ber menfdjlichen MuffaffungSfähigfeit 
liegen. 2Bir oerlangen bie Slnerfennung beS f) a m l e t'fchen SBortcS, bafS 
eS SDinge im Fimmel unb auf ©rben gibt, üon benen bie ©djutmeisheit 
lieh nichts träumt. Das flingt banal unb ift eS hoch nicht. Denn üon 
etmaS attberem ©efichtSpunfte auS betrachtet, ift cS bie SBieberpolung beS 
Spruches: SBo ber Dh°* fagt: ©ntmeber — ober! fagt ber SBeife: ©omopl 
als auch! Unb mer ftd) biefen ©inn mit allen ©onfequenjen überlegt, mirb 
moljl nicht nur ben theoretifchen, fonbern auch ben praftifchen SBert unferer 
gorberung einfehen lernen, ber fich bei ihrer Durchführung befonberS auf 
ben ©ren$gebieten ber ©h^ofophie unb Dheologie jeigen mürbe. 

©in ©eifpiel foH baS Dargelegtc erläutern. 2Bir erflären, fo fagt man 
gemöhnlich bei uns, ben ©piritiSmuS mit £ilfe natürlicher Kräfte, fo meit eS geht, 
gibt eS thatfächlich ©rfcheiitungen, bei benen mir bamit nicht mehr auSreichen, 
fo liegt ein übernatürlicher ©influfS oor, unb ba bie ©ngel fich b n foldjen Sachen 
nicht h^rgeben, fo haben mir bämonifche SBirfungen. Diefe ganae Debuction 
(eibet an ©infeitigfeit. Säer mill bie SKöglichfeit ber ©jiftenj üon Statur^ 
unb ©eelenfräften leugnen, bie jenfeitS unferer jefcigen SenntniS $u fuchen 
finb? 9Ran hat fooiel gefpottet über bie gölliter'fche ©rflärung, bafS bie 
ipiritiftifchen ©rfcheinungen üon SEBefen herrührten, bie in ber üierten Dimenfion 
lebten unb nun in bie britte herüberfämen. 3t merbc mich hüten, biefe 
furiofe 3bee noch mit einem SBorte ju üertheibigen. Slber ein richtiges 
HRoment enthält fie: ©S gibt Staturjufammenhänge, beren ©erührungSpunfte 
mir nicht nach bem beurteilen bürfen, maS mir üon bem einen Dheile eines 
folgen 3«fammenhangeS miffen, mührenb ber anbere uns total unbefannt 


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336 


91lopS 2JfülIer. 


ift. ©S ift etmaS ©thifdjeS, maS tjieleit ©hilofophen fehlt, nämlich JJemutl) 
in ber ©eurtheilung unferer ©eifteSfraft, $)emuth auch, tiefe ®emuth t>or 
ber ©röfje beS SßeltgeheimniffeS, Bor bem fetbft ein 9teh)ton fich Borfam, 
mie ein am Ufer beS SDteereS mit aRufdjeln fpielenbeS Sinb. 

Über baS formell philofophifdje SRoment in ber SRetljobe ber 
Stftronomie ift eigentlich nicht Biel ju fagen. ®ie 9taturmiffenfchaft überhaupt 
ift ja methobologifch berart für bie ©hilofophie Borbilblich, bafs man fie 
beSljalb allein ja fchon als philofophifche $iSciplin bejeidjnet hot. ®a nun 
bie Ülftronomie bie formell Bodenbetfte unter ber 9laturmiffenfchaften ift, wirb 
ihr philofophifcher SBert in biefer £>infidht unmittelbar einleuchten, geboch 
befifct fie gemiffe ©igenthümlichfeiten, bie fie befonberS mertootl machen, 
unb baoon fei menigftenS eine hier ermähnt. ®ie Slftronomen machen feine 
gröfjcre 9technung, ohne bafs fie bei gemiffen ©tappen innehalten unb 
fogenannte ßorrecturrcdjnungen einfchieben, inbem fie nachrechnen, ob bie bis 
bahin erhaltenen $aten mit irgenb melchen früher beobachteten iibereinftimmen. 
Ih«" fie eS, fo fährt man fort, tljun fie eS nicht, fo bleibt nichts anbereS 
übrig, als bie ^Rechnung Bon ber Borhergehenben ©orrectionSredjnung, bie 
noch ftimmte, ober Bon Borne mieber ju beginnen. 

3 eber Genfer ftüfct fich auf beobachtete ®aten nnb nimmt bei ihnen 
feinen Einfang; barum mujS er fich ouch an ben ©eobadjtungen, an ben 
^hotfachen corrigieren laffen. Son Bornherein ift eine folche ©idjerftellung ber 
$enfarbeit nur ju münfchen. SRit bem $enfen ift eS mie mit bem Rechnen: 
ein fleincr fje^ler ju Ulnfang gebiert am ©chlufS Ungeheuerlichfeiten. 35aljer 
foBiele fpeculatiBe Ungeheuer. 3e abftracter bie ©egriffe merben, mit benen 
man operiert, befto leichter fann fich ein fehler einfchleidjen, — baS ift ein 
©ah ber SRethobenlehre, ben fich unfere ©hilofophen lag für lag ins 
©ebädjtniS jurücfrufen füllten. Sefannt ift ber fRath, ben fRücfert in einem 
launigen ©ebicht ben Suriften gab, nur ja ihre fRechtSfäjje nicht ju meit ju 
Berfolgen unb auSjufpinnen. ÜRan thut alfo mirflich gut baran, bem 91ftronomen 
ju folgen unb fein ®enfen non Seit ju Seit ju prüfen. 

911S erläuternbeS ©eifpiel biene bie ariftotelifche Theorie oon 9Raterie 
unb 3orm. ©ei gemiffen ©eränberungen in ber 9tatur, fo fagt biefelbe, jum 
©eifpiel bei ©ermanblung ber Born ÜRenfcfjen genoffenen ©peife in ©lut, mufS 
etmaS bleiben — baS nennen mir bie äRaterie — unb ettoaS fich änbern 
— baS nennen mir bie Sonn; in unferem Salle mirb bie Sorm ber ©peife 
burch bie 3orm beS ©luteS erfefct. $5ie 3orm ift bemnad) baS ©eftimmenbe, 
baS, maS bie 9Raterie, baS ©eftimmungSlofe, ju biefem Stoffe: ©lut, ©ifen tc. 
macht, galten mir hier ein, beoor mir bie ©egriffe metaphhfifch Bertiefen, 
unb machen mir bie ©robe an ber ©rfahrung. 9Ran fieht fofort ein, bafs 


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3He $&ilofopf)ie ber Slftronomie. 


337 


bie Iljeorie 3Befen«öermanblungen öerlangt, unb mir müffen nun bic Statur* 
miffenfchaft fragen, ob eS folche gibt. 3)a erfahren mir benn, baf« man au« 
oielen Xhntfadjen ber ©hemie unb Shbfi* mit ziemlicher Sicherheit fchliefcen fann, 
baf« fubftantiale Sermanblungen in ber Statur nicht oortommen. ©enannt feien 
hier nur 1 . ba« ©erhalten ber ifomeren, fpecieH ber metameren Sörper unb 
2 . ba« ©erhalten ber Serbinbungen im ©pectrum. ®ie Folgerung au« jener 
I^eorie mirb atfo oon ber Staturmiffenfchaft nicht beftätigt unb bamit bie 
ganze 2 ^eorie hinfällig .*) 

II. 

®en ungemein reichen pbilofop^ifc^en Inhalt ber Slftronomie 
fann man mohl ztoecfmäfjig unter folgenben ©efichtSpunften betrachten. SEBir 
befpredjen ber Steihe nach 

1 . Sehren, bie al« aftronomifche zugleich philo jophifch finb, 

2 . Sehren, bie eine aftronomijehe unb eine philofophifche ©eite haben, 

3. philofophifche golgernngeit unb Stefultate au« aftronomifchen ZfyaU 
fachen unb ©ebanfengängen. 

1 . 

3 ch muf« hier oon oornherein einem ©inrnurf begegnen, ber auf bie 
furze Inhaltsangabe in ber ©intheilung hin erhoben merben fönnte. ®u 
jiehft, fo fagt man mir, nicht genau bie ©rennen ber SBiffenfchaften; mie 
fönnteft bu fonft etma« aftronomifch unb al« foldje« auch Phünfophifch nennen? 
$a« ift bebenflich, benn oon jeher mar ba« Sermifchen ber ©renjen eine 
grobe ©efahr für bie ffiiffenfchaft. 

3 ch meife bem ©inrnurf gegenüber junächft auf bie Ihatfachen hin, 
bie jeigen, baf« fich nicht immer fefte ©rennen jiehen taffen. 2 Ba« ift ba« 
8 eben? — SBer min leugnen, baf« bie« eine eminent philofophifche 3 rage 
ift? Unb boch ift ihre ©eantmortung auch ba« lefcte 3^1* auf ba« alle 
Stnftrengungen ber ©iologie hin gerichtet finb. ©ine« ber groben Sbeale 
ber mobernen Staturforfchung ift ferner bie 3 nrücfführung aller Staturfräfte 
auf ©emegungen be« Seither«. Unb auch biefem Problem mirb man einen 
ftreng philifophifchen ©harafter nicht abfprechen fönnen. SJian fieht, baf« 
ber fooiel gebrauchte ©afc: 2Bo bie Staturmiffenfchaft aufhört, fängt bie 
©hilnfophie an — nicht richtig ift. 

*) ©iner unferer chriftlichen $hüofophcn r ber roufste, rote fchroerroiegenb biefe 
naturroiffenfchaftlichen ©rünbe ftnb, rooHte bie 55:^eoric burch ©inführung oon Gegriffen, 
roie „oitureUe Sltome" u. ä. an biefer Klippe oorbeileiten. Slber roenn ft* auch fo ber 
©harpbbt« ber Staturroiffenfchaft entgangen ift, fällt fte boch unrettbar ber ©cplla ber 
Shüofophen in bie §änbe. 

JHc Jtultur. III. 3afttg. 5 . $eft. (1902.) 22 


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338 


Alopd üJtüller. 


Unb ed fann auch im ©runbe nicht anberd fein. SBad ift bcnn 
eigentlich ^S^itofop^ie ? Die befte Definition, bie ich fenne, hat bereits 
Ariftoteled gegeben, ber bie Sant'fche fe^r nahe !ommt: ^S^tlofop^ie 
ift bie SBiffenfchaft öon ben erften Vrincipien. s ß a u (f e n (©inleitung 
in bie ^ß^ilofop^te) nennt fie gmar eine „Verlcgenheitdaudfunft", bie 
„Unbeftimmtpeit" befifee, meil fie in bad ©ebiet anberer SBiffenfchaften 
eingreife; aber er miß hoch barauf „in gemiffer SBeife gurücffommen". 
Aber ift benn feine eigene Definition: „ s 45^iIofop^ie ift ber Inbegriff aßer 
miffenfchaftlichen ©rtenntnid", „bie universitas scientiarum" — nicht noch 
oiel unbeftimmter? 3n einem gemiffen Sinne gefafdt, ift fie richtig, 
unterfcpeibet fich aber bann faurn noch öon ber ariftotetifchen, bie ja oon 
ben meiften s #hilofoph e n acceptiert mürbe. Überafl bleibt bie s 45^itofop^ie 
„ber Verfuch, bie Söfung bed Stätpfeld audgufprecpen. ben Schlüffel gu bem 
mysterium magnum bed Dafeind gu finben." Unb ba bie Staturmiffenfchaft 
auch mitberufen ift gur Söfung bed SBelträthfeld, ba auch fie nach Vrincipien 
fucht, oon benen aud fie bad bunte $eev ber Dpatfachen einheitlich erflären 
fann, fo ift ed flar, bafd fich gmifcpen ihren unb ber ^J^ifofop^ic Vrincipien 
nicht reinlich fcpeiben läfdt, bafd bie pöcpften naturmiffenfcpaftlichen Vtincipien 
auch jugleid^ atd folche ppilofoppifcpe s ßrincipien fein miiffen. 

SBent übrigens biefe Ausführungen nicht behagen, ber laffe fie beifeite. 
Die in biefem Abfcpnitte befprochenen Sehren tönnen gur Siotp auch fo 
gebeutet merben, bafd fie in einen ber folgenben Dpcile ^inetitpaffen; bad 
philofophifche SJtoment mirb man ihnen hoch niemals abfpredjen fönnen. 
SBetched Verhältnis man auch gmifchen biefem unb bem aftronomifchen 
conftruieren möge, ift für bie Sache an fich gleicpgiltig; pier genügt ed, 
bafd überhaupt ein Verhältnis befteht. 

An erfter Steße in biefem Abfcpnitt möge bie SantsBaplace'fcpe 
Xpeorie fungieren. Die Xpeorie hat mit ber Dheologie poepftend infofern 
etmad gu fchaffen, als bie ©jegeten bed ^pejaemerond fich nach ihr richten 
miiffen. Aber ebenfo falfch mie bie materialiftifche Vehauptung, bafd burd) 
biefelbc ©ott aud bem SBeltgebäube unb feinem ©efepief oerbannt fei, ift bie 
anbere, bafd gerabc fie einen SBettfcpöpfer am notpmenbigften mache. Die 
Xpeorie ift rein naturmiffenfcpaftlich; fie geht guriief bis auf einen Urguftanb 
bed Sodmod unb entmicfelt oon ba audfcpliefjlicp an ber $anb ber Statur» 
gefefce ben jefcigen 3uftanb; aber fie fragt fich nicht: moper benn biefer Ur* 
guftanb? Sie hat eben nur mit bem im Staunte ©egebenen gu rechnen. Unb 
menit ed felbft, mie bie Dinge heute ftehen, noch nid^t möglich ift, afled 
ftreng naturmiffenfchaftlich etma oom Stanbpuntte ber mechanifchen Statur* 
anfehauung gu erflären, — nun ja, bie Dheorie ift ebenfomenig ooflfommen 


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3)ie ©bilvfopbie bcr 5lftronomic. 


339 


ivie irgcnb eine anbere unb bie SBiffenfdjaft hat ihren $öhenpunft noch lange 
nic^t erreicht. $arum ift eS faft unbegreiflich, n>ie man bie prächtige 
„ffoSmogomie" beS Seiten Sari ©raun als „zu liberal" bezeichnen 
fonnte, weil berfelbe in richtiger Jluffaffuitg ber Ih e °rte unb ^ cr gorfcher* 
thätigfeit überhaupt alles rein mechanifch z u erflären verfugt. 3)aS ift ja 
eben bie p^ilofop^ifd^e ©runblage ber Xheorie f bafS ber ffoSmoS fich nach 
allgemeingiltigen SKaturgefefcen, rein burch „caufalen 3Rechani3mu3" entroidelt. 
3Bann ftirbt enbüch bie ©orte von „©eiehrten" einmal aus, bie, mieSraun 
treffenb fagt, „zu viel ©laubeit unb zu wenig ffiiffen" befifcen? $a3 zur 
^larfteüung beS gnfjalteS ber S^orie. 

SJiefelbe ift in ben lefcten Sahrzehnten ber ©egenftanb grofeer Sbntro- 
verfen gewefen. Slachbem gape proclamiert ^atte, bafS fie veraltet fei 
unb burch eine z^tgemäfee erfefct toerben miiffe, haben f° unb f° 
viele kleine unb Sleinfte eS ihm nachgefagt unb fich auf bi* 3agb nach bem 
©litcf gemacht, ob ihrer vielleicht ber Stuhm harre, ein zweiter fiant ober 
Sa place zu werben. ©3 gieng hier ähnlich wie bei ber Sefämpfung beS 
S)arnrini3mu3: man überfal) hier wie bort ben fehr berechtigten ©runbge^ 
banten, ber zufällig beiberfeitS ber gleiche ift, nämlich bie EBeScenbenz, bie 
©ntwicflung überhaupt, unb befämpfte biefen ©runbgebanfen ftetS jugleic^ 
mit ber Söfung ber anberen grage, wie, burch Welche Urfacheit bie ffint= 
toicflung zuftanbe gefommen fei, währenb hoch thatfächlich biefe lefcte grage 
nur noch ein ©roblent ift. ©in Untcrfchieb liegt nur infoweit vor, als ber ©nt- 
toicflungSgebanfe in Zoologie unb ©otanif fefeon Vor 2)arwin befannt War, 
jo bafS biefer nur bie grage nach brut „2öie?" z u beantworten hatte, Währenb 
er mit ff an t unbSaplace erft in bie Stftronomie eintrat, natürlich zugleich 
mit einer Antwort auf jene grage. SWerftvürbig ift, bafS man hiftorifd) über 
biefen biofeen ©ergleich hiuauSgieng, inbem belanntlich Sari bu ©rel in 
feinem „$ampf umS $)afein am ^immel" ben < Barwini3mu3 auf bie aftro= 
nomifche ©ntwicflungSlehre übertrug. 

2Bir hatten alfo an ber Sticfetigfeit beS ©runbgebanfenS feft, bafS 
eine ©ntmictlung aus einem primitiven Urzuftanb ftattgefunben hat, eine 
©ntmicflung vom 9Jebe(ftabium an burch alle ©tabien beS ©onnen= 
ZuftanbeS hiuburch bis z u erfalteten ©laneten unb SJtonben. $af3 
eine folche möglich ift, beweift bie mechanifche SEBärmetheorie unb anbere 
phpfifalifche Sehren. $af3 fie wirtlich ift, z^gt ber augenblidliche 3uftanb 
beS ®o3mo3; alle einzelnen ©tappen jenes grofeartigen ©ntwidlungSgangeS 
finb im SBeltaD zu finben, vom feinften 9iebel unb feinen ©piralbrehungen 
an bis zu tobeSöben Körpern. SllleS WaS bie 2h eor * c forbert, ift vorhanben 
unb aDe3 ©orhanbene fügt fich ihr zwangSloS. Streng nachweifen tonnen 

22 * 


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340 


aftüHer. 


wir ein ©tücf biefeö ©ntmicflungSproceffeS bei ber ©rbe. 2)en beften Semeis 
für bie Set) re bitbet mopl bie ©taffificierung ber gijfterne auf ©runb ber 
SogeTfc^en ©terntppen. gep pabe feiten etwas ÜberjeugenbereS getefen als- 
bie SIbpanblungen über biefe 2ppen in ©cpeiner'S „©peftralanalpfe ber 
©eftirne". gep mürbe mit ber fieperften Hoffnung auf ©rfolg jebem 3to*iffer 
an ber experimentellen ©runbtage ber Xpeorie bie Seetüre biefeS SlbfcpnitteS 
empfehlen, beffen Ausführungen eOentuell ja mit £ugginS'fcpen Stnfic^teii 
unb neueren ^Beobachtungen compenfiert werben fönnen. 

©obalb mir nun burep bie ©ombination oon tpeoretifepen ©eptüffen unb 
beobachteten Xpatfacpen über ben ©runbgebanfen ber Sehre im Staren finb, tritt 
bie weitere grage an unS peran, auf welche SCBeife benn biefe ©ntmieftung oor fich 
gegangen fei, unb pier befi&en allerbingS bie 2hcorien, wie fie unS oon 
Sa nt unb Saptace überfommen finb, ©teilen, bie unbebingt einer Ser* 
befferung bebürftig finb. ©o begegnet unS unter anberem bie grage, ob 
bie ©ntmicflung ber Sintern* unb ©tanetenfpfteme burep Stingbitbung ober 
fonftmie erfolgt fei. Xie beftc Söfung, bie ©pping bereits in feinem „SreiS= 
tauf im SoSmoS" angebeutet patte, fepcint ©raun gegeben $u hüben. 3Rit 
tpr fällt auch *> er ©inmurf, ber Oon ber Stücftäufigfeit ber Uranustrabanten 
hergenommen unb immer wieber ins gelb geführt wirb (fo jum ©eifpiel 
neuerbingS wieber oon ©üntper in feinem „|>anbbucp ber ©eopppfiP, Oon 
Sieb manu in ber neueften Auflage feiner „AnalpfiS ber SBirtlicpfeit"), ja 
er wanbett fiep fogar in ber ©raun’fcpen gaffung ber 2peorie $u einem 
©emeife für biefetbe um. ®S gepört niept ju unferem 3u)ecf, näper auf biefe 
©peciatfragen einjugepen, wir merfen unS nur, bafS fie auf baS ffiefen ber 
2peoric opne ©influfS finb. 

®aS, WaS ben menfeptiepen ©eift ju biefer Sepre oon ber ©itbung 
beS SoSrnoS angetrieben pat, ift bie gbee ber ©inpeitlicpfeit, bie fepr 
beuttiep in bem Original oon Sa nt auSgebrücft ift. SJtoniftifcp gefinnt 
ift ber ©eift feiner Statur naep, unb fo !ann man fiep mit Stecpt 
barüber wunbern, bafS bie ©ntmicflungSlepre niept fepon längft in bie 
Aftronomie eingefüprt würbe, wäprenb bodp bie ©cpöpfungSfagen fo üieter 
©ötfer oon einer einheitlichen ©ntftepung reben. 2er ©ebanfe ber ©inpeit 
liegt in einem jmeifaepen Sinne in ber Xpeorie auSgebrücft. 3unäcpft in bem 
©ntWitftungSgebanfen als folcpem, unb ba eS fiep nun an anberen ©aepen 
naepweifen täfst, bafS bem Streben beS ©eifteö, alles einheitlich ju orbnen, 
braunen in ber Statur ein gleicpeS Streben entfpriept, fo ift baSfelbe allein 
fepon ein gar niept ju oeraeptenber ©runb für bie Annapme einer ©ntmicflung. 
©ntmicflung ift ©ntfattung aus einer einheitlichen SBttrjel. 2>er ganje SoSmoS 
ift ein ©lumenftraufc, beffen ©tüten naepeinanber fnofpen, fiep entfalten unb 


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Die ^ilofop^ie bcr s 2lftronomie. 


341 


vergehen. Unbe»ufSt ^abcn »ir bereite bic gbee beS Organismus hinein* 
getragen, trofcbem bic gbee bcr Einheit fie nidjt auSfitflt, Dielmehr noch 
anbere ^injulommen müffen, »aS aber tf>atjäc$lic$, »ie fpätere Erörterungen 
geigen »erben, bei» KoSmoS ber gafl ift. Der ganje KoSmoS als ein 
Organismus, baS »äre bie ^öc^fte gbee ber Einheit. 5lber nach»eifen fönnen 
»ir bie Egiftenft eines Organismus nicht. SBer »iß, tann alfo baS SBeltafl 
mit einem ©arten oofler Organismen Dergleichen, bie bann bie conforme 
EntftehungS»eife unb bie gleichen ©efefce, bie »aJjrfäeintidj afleS beherrfchen, 
einheitlich Derbinben. 

giirS 5 »eite finben »ir jene 3bee in ber Einheit beS ©toffeS. Eine 
Einheit, bie fich auf bie X^atfac^e befchräntt, bafS alle Elemente ber 
Erbe auch im KoSmoS oorfommen, forbert bie Dh 60 ™/ unb bie ©pectral* 
analpje h<U fie glänaenb er»iefen unb fo ber Xheorie eine neue ©tiifce 
gegeben, ©eleitet Don ge»iffen chemijdjen Daten, nimmt man oielfach eine 
noch höhere Einheit an, eine aßen Elementen gteicher»eife jugrunbe* 
liegenbe einheitliche SKaterie (Äther ?). Berbinben »ir, »ie es rneift geschieht, mit 
biefer moniftifchen SRaturanfchauung bie mechanifche, fo ift unS bamit bie Dofle 
Einheit ber Kraft gefiebert. DaS EinheitSbebiirfniS »äre alfo im höchften SRajje 
befriebigt, »enn »ir uns an bem Anfang afler foSmogonifchen Enttoicflungen 
einen Baß mit oöflig gleichartiger äRaterie bädjten, aus bem fich bann im Saufe 
unabfehbarer Seiträume bie Elemente mit ihren‘Berhältniffen fo»ohI »ie bie 
©pfteme unb ©ternförper bifferenjierten. 

äRan hat jpeculatio bagegen einge»anbt: DaS »äre aßerbingS eine ge»iffe 
tjöchfte Einheit, aber im ©runbe genommen hoch nur ftarre Eiuförmigfeit, aus ber 
fich fo unenblich äRannigfaltigeS, »ie eS uns überaß in ber 2Belt entgegentritt, nicht 
habe ent»i<feln tönnen. Stber man überfieht babei, bafS »ir ja annehmen, bafS 
bie ber äRaterie mitgetheilten Kräfte, ober, Dom ©tanbpunfte beS äRechaniSmuS 
auS, bie aus ben räumlichen Berhältniffen ber s 21tome heraus fich ent»icfelnben 
Kräfte, alfo bic äRaterie felbft jo bejdjaffen »aren, bafS jene ‘Differentiation 
noth»enbig ftattfinben mujste. äiadj aß unferen Erörterungen »irb eS uns 
»of)l beutlich genug ^urn BemufStfein getommen fein, bajs bie Kant* 
Saplace'jche Dh cor * c eine 2eh*e ift, in ber fich philojophifcheS Denten unb 
ejafte Beobachtung unb Rechnung in »nnberbarfter SBeije oermählen. 

Einige BerührungSpuntte mit ber toSmogonifchen Sehre befifct bic grage 
nach ber Enblichfeit ober Uneitblichfeit beS SBeltallS unb 
^Raumes, »ie aus bem folgenben Doit felbft erheßen »irb. Unter ffieltaß 
oerftehe ich h^r bie ©ejammtheit aßer $immelSförper, ober noch beffer ben 
uom äther erfüßteit Staum. Über eine möglicher»eife ejriftierenbe ©ren$e beS 
3taumeS fann »ohl burch bie ejacte SBiffenfchaft, fo»eit »ir jefct bliefen 


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342 ÄlopS ßJUißer. Sie ^ilofop^ic bcr Äftronomie. 

fömten, niemals ein ©ntfdjeib gegeben derben, pier Reifen, menn man bie 
Sache isoliert betrachtet, nur fpecutatioe ©rünbe. Sagegen ift eS oon öorne* 
herein menigftenS nicht auSgefcljloffen, bajö über bie ©nbtichfeit ober Unenb* 
tidjfeit beS SBeltaflS Beobachtungen ober Berechnungen ju entfcheiben bermögen. 
Sa aber fotdpe unbebingt ben Borzug bor ber reinen ©pecutation paben, fo- 
fucpen mir juerft bie Srage ju ertebigen, ber mir uns mit größerer Sicher* 
heit nahen fönnen: 3ft baS SBeltaß enbtich ober unenbticp ? 

£>ier treffen mir an erfter Stelle auf ben berühmten DIber S'fcpenBeme& 
für bie ©nbticpfeit beS 38eltaflS. Sie eigentliche 3bee beSfelben rührt gar nicht 
bon D 1 b e r S per, fonbern bon einem Saufanner Slftronomen. D l b c r S ftüfct fich 
oielntepr, mie aus bem Original herborgeht (mitgctpeitt bei 3 ö 11 n e r: Über bie 
s Jtatur ber Kometen), auf bie tpatfächticpe Unenbticpfeit beS SßettaßS, bie ihm 
alfo aus irgenb melden anberen ©rünben ftar ift, unb fließt bann fo 
meiter: SBenn jmifdpen ber ©rbe unb ben unzähligen ftraplenben Sonnen 
nichts tage atS leerer Staunt, fo müfSte ber ganze |)immel bei Sag unb 
Stacht fo peß leuchten mie bie Sonnenfeheibe; ba bieS aber nicht ber Saß 
ift, fo befinbet fich int Söcttaß ein abforbierenbeS äRittel — ein SdjtufS, 
ber im übrigen auch folfch ift. Ser OtberS'fche BemeiS für bie ©nbtichfeit 
beS SBeltaßS, um bie falfcße Bezeichnung atS terminus technicus beizu* 
behatten, beruft fich ölfo baraitf, bafS bei unenbtichem SBettaß ber £>intmet 
in einer unerträglichen ©lut leuchten mürbe, inbem bann ja baS Äuge in 
jebem fünfte ber Sphäre auf einen Stern ftieße. So oft biefer BemeiS auch 
in ber Steuzeit mieberhott morben fein mag, mir müffen ihn atS falfch 
bezeichnen. 3unächft mürben bie bunflen SJörper im SBettafl, bie pöchftmahr* 
fcheintich in oiel größerer Änzapt oorpanben finb als bie heßen, Diel £icpt 
Zurücfpalten. ©inen meiteren Speit beS SicßteS mürbe bie Ätmofppäre 
abforbieren. Um aber ganz wlatant bie Unrichtigfeit barzuthun, braucht man 
nur auf bie Spatfachen ^injuioeifen: Bon ben 20 SJtißionen Sternen, auf 
bie man bie Einzahl ber mit ben größten Seleffopen fichtbaren gefchäfct pat, 
fepen mir mit btoßem Äuge nicht mehr atS 6000—7000. 

Äbgefepen oon ben fpecutatioen Bemeifen für bie ©nbtichfeit beS SBettaßS, 
auf bie mir gteich z u fpreepen fommen, müfSte ich feinen mehr, ber Beachtung 
oerbiente. 2Ran hat aßerbingS pittgemiefen auf ben unenbtiepen Srucf, ber bei ber 
Unenblicpfeit beS SBettaßS infolge ber auSftrömenben ©afe auf ber ©rbc 
taften mitffe; aber biefe Schlüffe beruhen auf einer Bcraflgemeinerung 
pppfifatifcher ©efefce, für beren Berechtigung man erft ben BemeiS bringen müfSte. 

(ftottfe&ung folgt.) 


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]o$epb Freiherr von Belfert. 

«EvlcbiiilTe unb (ErinnerungEn. 

III. 

5. 

^S^iir bie Slbgeorbnetcu Batte feilt 3Rinifter eine Bösere ©ebeutung ald 
Stabion. ®r toar ol)ite JSftage itacB Sdjmarjenberg ber ©rfte, obmoBl 
i^nt Stand unb ©ad} in ber 3Winifter-8lnciennität vorangiengen; man fpradj von 
einem SRinifterium ©cf)mar aenberg-Stabion, mie mau früher von 
einem 9Rinifterium 2öeffenberg*$)oblBoff gefprocBen Batte. Stabion’d ©erfön s 
licBfeit, feine naljen unb vertrauten ©e^ieBungen 51 t ©cBmarjeitberg, enblicB 
feine ©teflung ald ßRinifter bed Innern, in vieler |>inficBt bed micBtigfteu aller 
®epartementd, brachten bad mit ficB- 

©tabion ivar eine geniale v Jiatur. ®r Batte von SinbBeit an etmad 
Slparted, er mar nicBt mie anbere Sitaben; er mar lebBaft mie fie, aber 
auf feine eigene 9(rt. ©ein ©ater mar ber berüBmte ÜRapoleonfeinb ©raf 
©BMpP ©tabion, ju einer $eit böBmifcBer Dberfter Sanjler, ber feine Sureaud 
unb jugleicB feine SBoBnung in bem ©ebäube auf bem ^ubeuplafc Batte, unb 
biefed ©ebäube burdjftricB ber Snabe graiy mit biefem ober jenem feiner 
©rüber nacB aßen jRicBtungen, erfcBieit in ben ©ureaud unb rumorte barin, 
ald ob ed feine eigene ©pielftube märe. $lld icB einmal in Sremfier mit 

©tabion fpajierte unb er befonberd gut aufgelegt mar, fiel mir biefcr $ 11 $, 

ben mir fur$ juvor jemanb erjäBft Batte, ein unb icB fagte 511 iBm: „Sie 

macBen mir ben ©inbrucf, ald ob Sie in 3B*en SitabenjaBren fo etmad mie 
ein lofer ^uitge gemefeit feien." ©d fam mir vor, ald ob iBm biefer 
s 2ludfprucB ein menig in bad SKäddjen gefaBreit märe; unb bocB mar, mad 
icB fagte, ber SBaBrBeit gentäft. 2 öic trieb er cd felbft nocB ald junger 
Seamter! Slld er Sreidcommiffär in 3 nndbrucf mar, ftanb er unter bem 
©ubernialratB SRitter von SRenfi unb Batte mit beffen Snabeu mancBen 
©pafd. ®er ©ubernialratB mar jugleicB ©pmnafialbirector, mie ed bad 

bamalige ©pftem mit ficB brachte, unb gab ald folget von $eit flu 3 eit eine 
©rofefforentafel. ®em muntern Sreidcontmiffär mar ed 51 t laitgmeilig, in 
einer fo eBrmürbigeit ©efeüfcBaft ©lafc 51 t neBmen. ©r Btelt befonbere Safe! 
auf feinem ßimmer, Balte bie Snabeit bed SreidBauptmannd, 3ofepB unb 


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344 


3ofepfe tjretfeerr oon Seifert. 


Sari, aud ihrer ©tubierftube ju ficfe unb fd^entte ifenen ein ©lad ffifeampagncr 
nacfe betn anbem null. Sltd ber SBein {eine SBirfung ju änfjern begann, 
{agte er 311 betn älteren: ©epi, gefe ju betn 3umner, wo bie lafel 

gehalten wirb, reife' bie Ifeüre auf unb ruf' feinein: 3fe* feib alle jufanttnen 
©fein!" ©ucfeftäblicfe tfeat ed ber ©urfcfee, unb ed tnag ficfe jeber audmalen, 
welcfeen ©inbrucf bad unerwartete Sntertne^o bei ber Difcfegefeflfcfeaft feerbei* 
fiiferte! ©egreifticfeerweife erwartete ben ftnaben, nacfebem bie ©efeflfcfeaft ficfe 
entfernt batte, eine ejemptarifcfee ©träfe; bocfe er berief ficfe auf ben ©rafen 
©tabion, ber ed ifetn befohlen feabe, wad biefer lacfeenb beftätigte — wad 
wollten bie (Eltern macfeen? Der junge ftauptfeelb jene« Auftritte« feat ntir 
bie ergöfclicfee ©efcfeicfete fetbft erjäfelt. 

Slucfe ald gereifter Mann war ©tabion ein Original in aßen Gingen, 
in feinen Manieren, in feiner £>audorbnung, in feiner 9 lrt, bie ©efcfeäfte 31t 
befeanbetn. ©0 featte er aucfe eine eigene 9 lrt ber ©egrü&ung, er reicfete 
nicfet bie ftanb, fonbern nur ben 3eigefinger, feöcfeftend ben 3 ti$e* unb 
Mittelfinger feiner recfeten £anb. SBar bad arifiofratifcfeer $ocfemutfe? 3 cfe 
bente nicfet; benn icfe feabe ed aucfe feinen ©tanbedgenoffen gegenüber nicfet 
anberd gefefeen, ed war einfacfe originefl. ©r fcfeien ficfe barin ju gefaflen, 
in aßen Gingen anberd 311 tfeun, anberd 3U urtbeilen ald bie gewdfenlicfeen 
Menfcfeen. Dabei wufdte er für afled einen originefleit ©runb an3ugeben. 
©ei feinen Dinerd würben auf ein @Iocfen3eicfeen bed $audfeerrn ©peife unb 
©efcfeirr üon ben Dienern feerbeigebracfet unb auf ben Difcfe gefteßt; fobann 
mufdten fie ficfe entfernen unb bie Difcfegenoffen aflein taffen. „3fere ©egen* 
wart ift läftig", fagte er; „wir bebienen ebenfogut und felbft unb feaben 
für unfere fflefpräcfee feine 3ufeörer, bie baüon niefetd 3U wiffen brauefeen." 
9 ?acfe bem Diner gieng man in ein anbered 3 immer, wo man ben Saffee 
nafem; ber alte |>einricfe braefete ein elegantes Stäftcfeen, worin ficfe Släfcfecfeen 
mit üerfcfeiebenartigen Siqueuren- befanben, Slnifette, Sfeartreufe, ©urasao, 
Maradcfein, ©enebictiner zc. 9 lber für ©tabion war bad aßed — „©efenapd". 
Sr öffnete bad Säftefeen eigenfeänbig mit einem Scfelüffelcfeen unb fragte bann 
feine ©äfte: „2Bad wiinfefeen ©ie für einen ©efenapd?" 

9 tun aber ber glän3enbe Slüerd ber Mebaiße! ©tabion war ein 
Mann üon einem ©flicfeteifer, einer ©flicfettreue, ber üor feiner ©efemierigfeit, 
felbft üor feiner ©efafer 3urücffcferecfte. 9 fiemanb fonnte ben ©eruf bed Staats* 
bienerd ernfter, ja ftrenger auffaffen. ©efonberd ber ©eamte, ber eine leitenbe 
©tefle einnimmt, featte itacfe ©tabion feinen Untergebenen, aber aucfe ben 
s 2 lufeenftefeenben ald aufopfernbed ©orbilb üora^uleucfeten. Die Sinfealtuug 
ber Sitreauftunben unb bie ©emältigung bed papierenen ©efefeäfted ftanben 
©tabion in 3Weiter Sinie; tfeatfräftiged ©ingreifen ind wirfliefee Seben, ©etbft* 


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3>n ftremfier. 


345 


überminbung in ©rfütlung ber Anforberungen, bie bcr Staatsbienft an ihn 
ftetlte, in erfter. ®r mar 1829 $rei$*®ommiffär in ©alijien, als jum erften* 
mal eine gan$ neue Äranlheit mit ungeahnten ©cßrecfen übet baS Sanb 
hereinbrach — bie ttholera, oon ber bie Seute baS ©chauberljaftefte erjählten; 
bie leichtefte ©erührung beS Äranfen, ja bie bloße SRähe bringe ben lob. 
SBer fich um bad oon feinem ©chidfale ereilte Opfer befanb, floh aus beffen 
9tähe, ©ermanbtfchaft, Shreunbfchaft oerfagten ihren Tienft, felbft ber lobten' 
gröber jaubertc, feinet Amtes ju pflegen. Ta übertoanb ber reichlich erlogene 
©tabion bie Scheu, bie auch ihn nach allem, toaS er oon ber fürchterlichen 
Anftedung ber Eholera oernommen, erfaffen mufSte, padte entfchloffen eine 
ber Seichen an, lub fie auf feinen Stüden unb trug fie jum £>aufe hinauf. 
TaS ©eifpiel mar gegeben unb bie Xobtenbeftatter thaten ihren Tienft. 

©tabion'S abminiftratioe ©lan^eit mar feine ©iatthalterfchaft in Trieft. 
Abgeorbnete, bie ihn oon borther fannten, 5 . S. Ungenauer, mufften nicht 
genug oon ihm 3 U erzählen. SBertn es irgenb etroaS mistiges ju unternehmen 
gab, brachte ©tabion bie Angelegenheit oorerft nicht in fein ©ureau, fonbern 
in feinen ©alon. ®r oeranftaltete eine Soiree unb lub ju biefer folche ©erfönlich c 
feiten, bie fich für bie betreffenbe Angelegenheit intereffierten, auf fie oon 
EinflufS fein fonnten, unb bann muffte er theils felbft, theils burch feine 
„Abjutanten" baS ©efpräch auf bie Sache 311 bringen, biefelbe in unge* 
jmungener Unterhaltung nach aßen ©eiten 311 erörtern, Anhänger bafür ju 
geminnen, ©orbereitungen ba$u 311 treffen. ©0 mar eS auch mit feinen XinerS. 
SBährenb ber Tafel mürben Oie heiterften ©efpräche geführt, oon allen möglichen 
Gingen, bie eben ber lag brachte. SBenn man aber bann in baS ßafqimmer 
gieng, in melchem bie feinften ßigarren 3 ur AuSmahl ftanben, nahm bie 
Sache einen anberen ßharafter an. Tiefer ober jener mürbe 00 m Hausherrn 
ober einem feiner Alter*®goS in einen befonberen SBinfel geleitet, ober auch 
bie gan 3 e ©efeßfchaft, bie für biefen 3med eigene auSgemählt mar, conftituierte 
fich S u einem ßomite, mo in ber ernfteften SBeife jene Angelegenheit burch- 
fprochen mürbe, bie ©tabion eben in ©ang bringen mollte. Tie „Acten" unb baS 
„Sjpebit" maren gemifs bie leptcn, bie baoon erfuhren; fie famen erft in Xhätigfeit, 
nachbem bie £auptfache im ©alon fo gut mie abgemacht mar, baljer man 
fagte: ber Salon Stabion'S fei fein 3 »oeiteS, nein, fein erfteS ©ureau! 

Um baS 3«hr 1845 befcßäftigte bie £>anbelsmelt oder Sänber bie ftrage 
ber fogenannten ÜberlaubSpoft, b. h- beS am fchnetlften 3 uriicf 3 ulegenben SBegeS 
aus Oft^nbieu nach Snglanb. ©rinbifi, SWarfeille, Trieft famen in Srage. 
Ter britifche Sieutenant äBagfjorn mar für bie Sinie Trieft, unb eS galt 
nun öfterreichifcherfeitS ihm bie 9Jlittel 3 ur Ausführung feines ©laneS 3 U 
erleichtern. SBaS that Stabion? Söcnn er bie Angelegenheit burch bie Acten 


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G ' 


348 ^ofep^ ^reihert oon pelfert. 

laufen liefe, nad) SBien berichtete, fid) oou bort Reifungen erbat, formte fie 
jich in bie SRonate hinaugjiehcit. ©r fchlug einen anberen 933eg ein. Um 
bie Schnetligfeit be3 Transporte^ auS SSgqptcn ad oculos 51t bcmonftrieren, 
liefe er üon bort frifchc Datteln 1111 b anbere Früchte fommen nnb fanbte fie einer 
bocfjgeftellten Tarne in 2Bicit, bie bariiber ben nötigen Särni jd)lug, unb bieS 
in Streifen, bereu SReinung mehr auSgab als baS 93 0 tum Don zwölf ^wfräthen. 

Tiefe 9trt unb 28eife ber ©ejd)äftSbebaubluitg befielt Stabiou aud) als 
Uiinifter bei. 2Bie früher in Trieft unb bann in Seinberg 0011 feinen 
©ubentialrätbcn, fo ücrlangte er je&t üon feinen ©iinifterialräthen, bajS fie 
ihren 93licf über bie Sieten hinauf richteten, fid), wo eS immer angieitg, üon 
bem ©ruitb ober Ungrunb ber oorgebrachten Thatfacf)en in s J5erfon überzeugten 
unb bann erft zur &eber griffen, 3u manchen fällen tt>at er bieS felbft. 
So erfefeieu einmal, ba er eben in 2Bien amtierte, bie SBitWc eine# für^licb 
uerftorbenen höheren Beamten oor Stabiou nnb trug ihm bie Sitte üor, 
ihren beiben Töchtern SrzieljungSbciträge bei Sr. SWajeftät zu erwirfen; fie 
berief fid) babei anf ihre befchrönften Serhältniffe, auf ben Mangel eigenen 
SermögenS, auf bie ntäfeige Senfion, bie zur Erhaltung ber gamilie 
nicht hinreiche, bal)er ihre Töchter genötigt feien, fid) ihre Sage burd) ben 
©rtrag non .franbarbeiten zu üerbefferit. „$8omit beschäftigen fich 3hn* 
Töchter?" ,,„9ttit ©eiftzeugnähen!"" 9Rit ber 93erficf}ermtg, fein SRögtichfteS 
in ber Sache tbun zu wollen, entlieft fie ber SRinifter. 9tn einem ber uächftcn 
Tage erfd)ieit in ber ©oljnung ber ©itwe ein frember .*perr; bie SRutter 
war nicht z u £>aufe, üon ben Stäbchen fafe baS eine beim ©laoicr, baS 

aitbere laS. Stuf bie Srage ber jungen Tarnen, was er wünfehe, entgegnete 

ber ^rentbc, er fontme fid) ein Tngeitb feiner Sattift=.'pemben zu beftcllen, 

ba er gehört habe, baf# fid) bie ^räuleinS bantit befd)äftigten. W\t einer 
Slrt Entriiftung wiefeit bie Stäbchen eine folchc ßumuthung uou fich ab, 
inbem fie jdptippifd) bemerften, baf# fid) ber §err wohl in ber Slbveffe ge= 
irrt haben müffe. Ter 5rembe brachte feine Entfdjulbigung oor unb bat nur 
beim ©eggehen, ber Srau Wtarna feilte Karte eiitzul)änbigen. Tic Starte lautet 
auf ben Warnen Stabion. TaS ©eitere fann mau fich beuten. 3^ habe 

biefeS @efd)id)td)en nicht an# eigener ©iffenfdjaft, halte eS aber nach bem mir 
fo üertrauten Gefeit meine* hohen ©önnerS für bntchan# glaubwürbig. 

So wenig übrigens Stabion ba* eigentliche 93ureaulebeu liebte, fo 
gieng bod) fein ©efchäft#ftitcf au* feinem Slntte herauf, bas er nicht früher 
eingefehen unb felbft „approbiert" hätte. „TaS mujS id) thun", jagte er 
mir, als id) eine# Tage-* in ©icit bei il)m zu thun hatte unb ihn über einem 
itad concipierter Steten traf, üon benen ihm einer und; bent anbern gereicht 
würbe, wo er bann einen 53licf hineiitwarf, allenfalls fid) eine furze ©rfläritng 


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Sn Äremfier. 


347 


boju geben liefe unb bann feine 9ianten4'S^iffre — ein „S" mit einem 
raffen m. p. — barunter fefcte. SBäljrenb er baS tfjat, Ijörte er mein 9In= 
liegen an unb gab mir ben erbetenen Sefcheib. SJar eS etmaS Nichtigeres, 
baS fiefe nicht fo fd)neH abtljun liefe, fo fagte er: „Sereljrtefter, jefct ^abe 
ich feine 3*it, abenbS auf bem Spaziergang merben Sie mir baoon erzählen!" 

3iir Stabion unb beffen Sureau fjatte Seien bie fünften ^Räumlich 5 
feiten im ftremfierer Schlöffe gemäht. Nenn eS oertrauliche ©efprechungen 
mit auSgemählten Slbgeorbneten ober eine mistige ©erathnng unter ben 
üJtiniftern gab, fo fanb bieS in bem grofeen ©cfzimmer ftatt, in bem fiefe 
Stabion'S Schreibtifch unb Stehpult befanben; eS mar ein geräumiger Saal, 
rotlj austapeziert unb mit ©emälben an ben Nänben geichmücft. |>ier 
oerfammelte Stabion, menn er in Sremfier mar, täglich bie Herren feinet 
^räfibialbureauS, eröffnete in ihrer ©egenmart bie einlangenben Serielle unb 
Depefcfeen unb befragte etma einen feiner jüngeren Herren maS er barüber 
meine; bann gab er mit furzen Nörten an, in meiner Neife bie 21n= 
gelegenst zu behanbeln fei. Su biefem Saale maltete biefer fein ©encra(= 
ftab auch bann, menn Stabion in Nien ober Dlmüp mar, unb eS famen 
ba fdjnellere unb beffere Sefchlüffe zuftanbe, als in einem anbern biel 
gröfeeren Staunte beS ©ebäubeS, mo ihrer mehrere hunbert beifammen fafeeit 
unb ftunben* unb ftunbenlang berieten unb oerhanbelteu, ohne bafö eS recht 
oormärtS gehen mollte. So traf ich Stabion'S ©efellen eines XageS, als ich 
ihn fiteste, aber nicht fanb: Öttel fafe auf bem Sanapee unb f)atte ein 
Schriftftücf oor fich, bie jungen Herren beS ^räfibiafbureauS auf ben Stühlen 
um ben Xifch fjerum — eS mar ber ©ntmurf beS ©emeinbegdfetjcS, ben fic 
im Aufträge ihres $errtt unb SJteifterS berieten. 

®ie Drganifierung beS ©enteinbemefenS mar ein ,'pauptaugenmerf 
Stabion'S gemeien, ba er als ©ouberneur im Äüftenlanb mirfte unb aud) 
in ©alizien mar bieS eine ber erften 91ngelegenfjeiten, bie er in feine $aub 
nahm, aüerbingS, ba er zu halb abgerufen mürbe, nid)t zu ffinbe führen 
fonnte. So tljat er benn auch jept, nicht mehr für ein einzelnes 8anb, 
fonbern für baS ganze Steich- Sein ©runbfafc mar: „$ie ©ntnblage beS 
freien Staates ift bie freie ©emeinbe", unb biefer ©ebanfe foüte ooit unten 
bis h^uauf burchgeführt merbeu. SSon ber DrtSgemeinbe als ber unterften 
Stufe, ber breiten ©runblage, auf melier ftch baS StaatSgebänbc aitfbauen 
foüte, gieng er zur ©augemeinbe über, inbem er barauf hinmieS, bafs eS 
in jeber ©egenb auf bem Sanbe einen Drt gebe, ber für bie ©eoölferung 
ber umliegenben ©emeinben eine Slrt ÜRittelpunft bilbe, mo fie etma ihre 
nächfte ©ehörbe h a ^u, mo fie einen Slrzt finben, mo zu gemiffen feiten 
SJfarft gehalten merbe unb mof)in fie baher aus biefen unb anberen Ursachen 


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Qofeph 3 re ^ err üon geifert. 


348 

non 3eit 511 3cit fommen; ben UmfreiS eines folgen DrteS nannte Stabion 
(Sau. Über einer Slitjahl ©augemeinben fodte bic ©e^irfSgemeinbe, über 
mehreren ©e^irfSgemeinbeit bie KreiSgemeinbe fielen. ÜKit ben KreiSgenteinbeu 
hörte Stabion'S Organismus auf; bie KreiSgemeinbe unb bie !. f. Kreis- 
regierung fodteu unmittelbar unter bem dftinifterium ftehen, unb auf biefc 
2Beife ganj Öfterreid) ein einheitlicher, gleichmäßig abgetheilter Staat ä la 
3franfreich mit feinen Departements werben. DaS mar ©tabion’S nrfprüng= 
lieber ©ebanfe unb fein lefcteS 3iel- $och mar er twrfichtig genug, nicht 
mit ber Xhüre ins 6 auS ju faden. Die Mufhebung ber fianbeSregierungen 
märe bie Regierung ber einzelnen Sänber felbft gemefen unb bamit ein 
Schritt gethan morbeit, ber nicht bloß baS adergrößte Muffehen erregt, fonbern 
auch eine große unb nicht ungefährliche Aufregung heroorgerufen höben mürbe. 
Darum modte Stabion bie Statthaltereien unb üanbeSregierungett oorberhaitb 
noch fortbeftehen laffen; hoch mehr 511 m Schein, als burchlaufenbe Soften 
^mifcheti ben SKinifterieit unb ben Kreisregierungen; menn einmal biefe hin- 
reichenb erftarft unb eiugefchult mären unb bie ©eoölferuitg fich gemöhnt 
hätte, fich hier ftatt auS ber SanbcShauptftabt bie höhere ©ntfeheibung $u 
holen, bann merbe man, mar Stabiou'S ©ebaitte, mit ben fianbeSregierungen 
ohne Sang unb Klang ein ©itbe machen. DaS Königreich ©Öhmen, baS ®r^ 
herjogthum Wieberöfterreich 2 c. mürben bann adenfadS noch hiftorifche 9?omencla= 
turen unb geographifche ©egriffe fein, mie bie Dauphine, bie©roöence 2 c. ingranf* 

reich, aber feine ftaatSrechtlich unb abminiftratit) geionberten StaatStheile mehr. 

♦ * 

* 

Mit ber Spifce Don Stabion'S ©räfibiaU©ureau ftanb Sofepl) Öttel, 
Stabion'S rechte ,£mub, fein politifcheS gactotum, fein fidus Achates, ber ade 
©ebanfeit unb ©läne feines #errtt unb SltteifterS faunte. Stabion hatte ihn in 
Drieft au fich h^ange^ogen, hatte ihn nad) ©ali$ien mit fich genommen unb twn 
ba jum Reichstag nach MJieit, mo Öttel ftetS in feiner s JJähe mar, obwohl Stabiou 
bantalS ohne ade amtliche ©efchäftigung gemefen mar. Öttel mar in Kremfier 
noch immer ©ubernialrath, bis er eines DageS mit ber ©eförberung 511 m 
OTinifterialratp übcrrafcht mürbe: benn nicht Stabion hatte ihn ba$u gemacht, 
ber mit ber pcrfönlichen ©egünftiguitg feines ©crfonalS etwas fparfam mar, 
wohl aud) im Drange ber ®efd)äfte baran nicht bachte; fonbern bie anberen 
s 3Rinifter, bie ÖttefS Düchtigfeit unb baS befonbere ©ertrauenSberhältniS, 
in welchem er ju feinem ©h e f ftanb, genau fannten, hatten für ihn beim 
Kaifer biefe SWaugSerhöhung erbeten. Unb tüchtig mar Öttel im ©efchäft, baS 
rnufSte man ihm laffen. 6 r befaß große Kenntniffc, er mar gefeßeibt unb 
gefd)idt. (Er mar eine MrbeitSfraft ohnegleichen, er lebte im ©ureau, er 
brachte bis in bie s JJacht hinein arbeitenb barin 511, er fd)lief auch öort, 


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3n ftremfier. 


34i> 

menn e3 barauf an!am. SBie oft gefd^a^ e3, als mir fpäter in SBien maren, 
mo toir ©onntagS unferc ©pielpartien bet ©rebler Ratten unb feiten tmr 
SRitternacbt nach £aufe giengen, bafS Öttel auf unfer ,,©ute Stacht!" ermiberte: 
„Db, ich muf3 noch im ©ureau nadjfdjauen, ob e3 nicht etmaS SteueS gibt!" 

Öttel batte fo lange 3ab*e um ©tabion'3 ©erfon ^gebracht, baf3 er 
fid), mobl ofjne e3 511 miffen unb $u motlen, oieleS bon ben SRanieren feinet 
©ebieterS angeeignet butte; er erfebien in biefer $inficbt mie eine jmeitc 
9(u3gabe ©tabion'3, eine in Duobe& gegen jenen in golio, ba er bon ©eftalt 
cbenjo Mein unb unanfebnlicb mar, als ©tabion boebö^maebfen unb Slnbere 
überragenb. SBenn Öttel jemanbem etmaS auSeinanberfepte, butte er eine 
eigentümliche |>anbbemegung unb feblug babei einen gemiffen lebrbuften Ion 
an — beibeS ä la ©tabion. Stur in einem ©tiitfe glich öttel feinem SReifter 
nicht, ©tabion mar ftreng, ja unerbittlich im Dienfte; allein er mar nie 
grob, er fonnte e3 gar nicht fein, benn jeber $oll an ihm mar ein 
©entleman. Öttel aber mar im Dienft burt unb ohne alle gormen; er mar 
im ©tanbe ben älteften Statb mie einen Schuljungen b er abäufanaeln ober 
ibm bureb ben jüngften Beamten, ja felbft bureb einen 9lmt3biener ein 
bearbeitetet ©tücf jurücf$ufcbiden unb ihn auf bie „lummbeit" aufmerffam 
machen ju laffett, beten er ficb fc^utbig gemacht bube. 3 m aufjeramtlicben 
Umgänge aber mar Öttel burebaut fein gebaut, oielntebr ein angenehmer 
Saufeur; er fonnte mit grauen über einen ©triefftrumpf ober eine ©tieferei 
ebenfo eingebenb fpreeben, mie mit SRännern über ©olitif ober über bat 
Kartenfpiel ober über eine Steife in frembe ©egenben. 

Stehen Öttel mar nur noch ein älterer ©eamter üon ©tabion'3 SRinifterium 
in Kremfier, ber SRinifterialratb griebricb ©aebfe 0 . Stotbenberg, ber 
aber blofj im laufenben ©efebäft oermenbet mürbe, ©tabion liebte bie älteren 
©eamten nicht, er fab in ihnen nur geinbe unb SBiberfacber feiner 
reformatorifeben ©läne. ®r jog mit ©orliebe junge Seute in feine Stäbe. 
„Säer fertig ift, bem ift niebtt recht ju machen," fagt ©oetbe, „ein 
SSerbenber mirb immer banfbar fein." Da mar ber claffifcb gebilbete Karl 
giebler, ber gleich Öttel febon in Drieft unter ©tabion gebient butte. 
Da mar Karl SReboffer, ein ©alijianer; ©raf Seo Db un > her ib n 
mäbrenb feiner Dienftleiftung in Semberg fennen gelernt butte, febilberte 
ihn gan$ richtig: „ein unfcbäbticber höflicher SRenfcb, fo ziemlich ein ©eau, 
mit niebriger ©tim, gefpräebig ohne baf3 üiel brauchbares betauSfommt." 
Der jftngfte, aber jugleicb her bebeutenbfte mar ©raf Heinrich Slam* 
SRartinip, faum einunbjmanjig 3abre alt, ©cbmager beS ©rafen Seo Dbun. 
©tabion butte ihn, als er ben ©ouoerneurpoften in ©alijien antrat, au3 
S3ien $u ficb genommen. 9U3 e3 1848 febien, ber böbmifebe Sanbtag merbe 


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:*50 


3ofeph Freiherr oon Jpelfert. 


äufammentrcten, mar Slam nach ©rag gegangen, hotte fic^ bann im Sommer 
$u SBien mieber ©tabion angefchloffen, mar mährenb ber erften Octobertage 
nnb bei ber 3lud)t ©tabion’S aus SBien beffen fteter ©egleiter getoefen unb nahm nun 
eifrig an ben legislatorifchen Arbeiten tfjeil, bie fein äRinifter in ®ang braute. 

®S mar baS ein luftiges ©ölfehen, an beffen Schnurren in freien 2lugen= 
bliefen felbft bie fonft fo ftrenge „Ottilie" tfjeilnaljm. Xenn fo ^iefe Öttel 
bei feinen jungen äJiitarbeitern, maS barum befonberS fomifch Hang, meil 
Öttel ^mar !lein unb filigran oon ©eftalt mar, aber fonft meber Schönheit 
noch 9lnmuth befafj. 5tamentlich mar er im ©eficht burd) eine (ranfljaft rotbe 
s J?afe entfallt; eS mar, glaube ich, eine Siftcl, an ber er litt, bie ihm üiel 
Unannef)mlid)feitcn bereitete unb jeitmeilig Operationen nötljig machte. 3m 
$ienfa maren bie jungen Seute alle brat), arbeiteten „mie bie@aleerenfclaoen" 
unb folgten ©tabion unb beffen ©teflüertreter, ihrer „Ottilie", auf ben SBinf. 

6 . 

äJieine ©erufspflichten maren jept oon breierlei 9lrt: 
als Slbgeorbneter, 
als äBitglicb beS aSinifteriumS, 

als ßeiter ber 9lngelegenheiten beS öffentlichen Unterrichts. 

$er Reichstag in ®remfier beftanb mit menig SluSnahmen auS benfelbnt 
©erfonen mie oorbent in SBien. Siner oon meinen ©arteigenoffen mollte au** 
fpannen: ber 9lbgeorbnete g. ©laoil auS 9lltgebein auf ber ©tabion'fchcn 
|>errfchaft gleichen Samens. ©laoif mar ein ©chmar^feher, ber nach ben 
Dctober-Sreigniffeu alles Sertrauen in bie gufunft Öfterreichs oerloren ^attc r 
fo bafs er ©enoffen marb, um nach Slmerifa auSjumanbern. „täglich mehrt 
fich ber $ubrang berer, bie mir oertrauen," fchrieb er mir, „an bereu 
©pifoe ich jcnfeitS beS DceanS ein ©litcf fuchen foD, beffen ©lüten bieSfeitS 
beSfelbeit täglich melfer merben." ©r bat mich, ihm beim ©rafen ©tabion 
eine Smpfehlung an unfern Sonful in atem^orf $u oerfchaffen. 9llS ich 
©tabion baoon erzählte, meinte biefer, ©taüi! höbe manchmal etmaS über* 
fpannte 3been, er merbe fich bie Sache mohl noch überlegen. 3« ber Ifjot ift 
mir nicht befannt gemorben, bafs ©laüif feinen ©orfap auSgeführt hätte. 

SBie bie ©erfonen in fitemfier gröffantheilS biefelben maren mie im 
SBiener ^Reichstage, fo mar eS auch mit ber ©ruppierung ber ©arteien. ©n 
Unterfchieb beftanb nur barin, bafs bie Siufe aus fef)r begreiflichen ©rünbeu 
im allgemeinen jahmer mar als fie es früher gemefen. 9luch gab eS in ber 
erften 3eit, befonberS nach bem glänjenben Sluftreten beS neuen 9Rinifarium$, 
(einen StnlafS mehr ju ernfteren ^Reibungen. Sine Ausnahme machte nur, 
gleich in einer ber erften ©ifcungen, bie grage, ob bie SSerhanblungen beS 
Dctober4ReichStageS ©iltigfeit hoben foDten ober nicht. ®S gab ba heftige 


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3»n ft'remfier. 


351 


Sieben unb ©egenreben, wobei Slieger ben Dctober=9Rännern fcharf an ben 
Seib rüdte. ©inige giengen fo weit, unb, wenn ich nicht fehr irre, fogar 
feiten# ber Slegierung, ju oerlangen, baf# bie ©rotofofle aus ber Dctober* 
3eit bertilgt würben, unb eS war ein großes Serbienft 3elen'S, bieS ber* 
hinbert 511 haben. Sie ftenograp^ifd^cn ©erichte aus bem Dctober würben in 
orbentlidjer Sleihenfolge amtlich abgebrueft gleich b*n früheren in SBien unb 
ben fpäteren in firemfier. 

Stuch barin blieb fich ber SteichStag auf mährifebem ©oben gleich, bafs 
er fein bemofratifcheS ©epräge beibehielt. Stabion, Sfübetf, ©leispach burfteu 
ja nicht mit ihren Slbelspräbicaten, ober Stabion gar als. „©rlaucht" 
bezeichnet werben; Smolfa fagte regelmäßig: ber Slbgeorbnete ©leispach, 
ber Slbgeorbnete ®übetf ic. Sarum fiel eS in 9lbgeorbnetenfreifen als 
ZeitwibrigeS ©uriofum auf, als man erfuhr, ber £anbelS*9Rinifter habe bei 
feiner ©infahrt nach Stemfier, als ihn ber ©olizeibeamte um Slamen unb 
©harter frug, bie Antwort gegeben: „SRinifter bon ©rud". ©benfo burfte 
im fmufe ben SRitgliebern lein 91mtStitel gegeben werben. 9llS bei einer 
©erhanblung ©orrofeh bon mir mit einer 9lrt SarfaSmuS fagte: „Ser 
$err UntcrftaatS*Secretär geifert", würbe ihm felbft aus ben ©änfen ber 
Siitfeit jugerufen: „5Ibgeorbneter geifert", worauf er jenen SluSbrud jurüd^ 
nahm. SReine ©oücgen oon ber Siechten bergalten eS ihm bei ©elegenheit, 
inbem fie Don ihm als 9lbgeorbneter beS „lefcten" ©ejirfeS Don ©rag 
fpraeßen, wogegen er nichts einwenben fonnte, ebenfowenig als ©altljafar 
Szäbel, wenn fie ihn als 91bgeorbneten ber „ffeftung" Dlmüfc be^eichneten. 

SReinen ©erpflichtungen als Slbgeorbneter fam ich iufofern pünltticß 
nach, als ich regelmäßig in Sremfier weilte, ben Sifoungen Dom Anfang bis 
Zum ©nbe beiwohnte, ebenfo in ben Abteilungen unb AuSfchüffen, benen id) 
angehörte, pflichtgemäß erfchien. An ben Sebatten betheiligte ich mich nur 
feiten; im offenen $aufe währenb beS Slobember unb Secember nur einmal, 
als eS fich nm bie Srage hanbelte, ob Abgeorbnete, bie mittlerweile ein 
Staatsamt angenommen hatten, einer neuerlichen 2Bahl ju unterziehen wären. 
SaS mar nun bei ©ach, Sßinnfelb, Stabion unb mir als SRitgliebern 
beS neuernannten SRinifteriumS ber 3aD, unb auf Stabion unb mich War 
eS feitenS ber Sinfen am meiften abgefehen. Stabion War im gali^ifchcn 
SBahlbezirle Slawa feiner Sache ficher; er lonnte überzeugt fein, bafS ihn bie 
rnthenifchen SBähler cum applausu wieberwählen Würben. AnberS ftanb eS 
mit mir. ©on allem Anfang war in Sachau meine SGBahl nicht ohne einigen 
SBiberfpruch bur(hgegangen, weil ich fielen SBählent im ©erbachte ftanb, eS 
mit unferen flaoifchen fianbSleuten zu halten; nach ben reichstäglichen Ser* 
hanbtungen im Auguft war meine Haltung in ber ©ntfchäbigungSfrage bazu 


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352 


3ofepp greiherr üon ©eifert. 


gefommen, unb bie« mar oon ben fRabicalen benufct morben, um gegen mich 
al« einen ©auernfeinb ju Ijefcen. Al« mir ba« befannt gemorben mar, hotte 
ich einen offenen ©rief an meine „ lieben 2 anb«teute" brucfen taffen unb in 
äße Drtfchaften meinet fflatjtbejirfe^ entfenbet. ®ie SBirfung, metche biefe 
©rflärung äußern mürbe, muf«te ich abmarten. 

®« mar aber feine«meg« bloß mein perfönlicße« 3 ntereffe, marurn ich 
in biefer Angelegenheit ba« SBort ergriff; fie hotte in ber Art, mie fie oom 
9teich«tage behanbett merben mottte, ein principiefle« ©ebenfen miber fid}. 
©tan mottte nämlich ben ©runbfafe: „3*ber Abgeorbnete, ber ein ©taat«amt 
annimmt, hot fich einer SReumahl ^u unterstehen", in bie ©efd)äft«orbnung 
aufnehmen, unb ba« gieng meiner Auffaffung nach nicht on. ®ie ©efchäft«* 
orbnung, behauptete ich, höbe e« mit ben Vorgängen im 3 nnern be« ©aufe« 
§u tpun; hierüber ©eftimmungen $u treffen, fei atterbing« Sache be« ©eich«* 
tage« für fich allein, ber 8 teich«tag fei hierin autonom. Aber etma« ganj 
anbere« fei eine ©eftimmung, bie ba« ©echt, in biefem ©eidj«tage 3 U fifcen 
ober nicht 311 fifcen, betreffe; eine ©eftimmung folcher Art falle unjmeifethoft 
in ben ©ahmen ber ©erfaffung, fönne nur burch ein ©efefc getroffen merben, unb 
jum 3 uftanbcfommen eine« ©efefce« fei ba« 3 ofamrnenmirfen beiber gactoren 
ber legi«latioen ©ematt oonnöthen. „®tit einer ©eftimmung, mie fie hter &or* 
gefchtagen mirb", führte ich ou« „anticipieren mir entmeber etma«, ma« in bie 
fiinftige ©onftitution gehört, ober mir motten etma« nachtragen, ma« in ber 
SBahlorbnung, traft melier mir 1)\tx fien, nid^t enthalten ift. $amit 
aber, meine ©errett, hot bie ©efchäft«orbnung nicht« 3 U thun. Sterben fie bie 
©eftimmung, 31 t golge beren ich h* cr ®i|} unb Stimme höbe, in eine Sinie 
ftetten motten mit ben ©eftimmungen, mann ich auf 3 uftehen unb mann ich 
mich niebersufefcen höbe ? ®ie ©efchäft«orbnung be 3 ieht fich ouf bie Sorgänge 
im ©aufe, auf ba« ©enehmen berfenigen, oon benen e« bereit« au«gemacßt 
ift, baf« fie im ©aufe Sifc unb Stimme hoben; bie ©efchäft«orbnung tann 
aber nicht anticipieren ober nachtragen bie ©ebingungen, unter benen man in 
biefe« ©au« tritt." 3nbeffen blieb ich in ber ©tinorität. ©lein Antrag, bie 
Angelegenheit al« ©efefc 3 U behanbeln, !am nicht einmal 3 ur Abftimmung. 
3ur Abftimmung !am ©rebler'« Antrag, baf« bie ©eftimmung feine rücf* 
mirfenbe Sfraft hoben fotte, unbauch biefer fiel bei©amen«ruf mit 157 gegen 
126 Stimmen; ich unb noch rin anberer enthielten un« ber Abftimmung. 

3 n 3 mifchen that ich für meine SBähfer ma« ich thun tonnte. 3 <h 
betrachtete fie al« meine Schufcbef offenen, ich fah e« al« meine ©flicht an, 
ihre Anträge ansuhören, für fie Schritte 3 U machen unb an maßgebenben 
Orten für fie 3 U mirlen. 3<h konnte jefct, mo mein ©nfluf« mel größer mar, 
auch bnrchfe&en, ma« mir al« einfacher Abgeorbneter faurn gelungen märe. 


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3n ftremfter. 


353 


unb ^cimftc bafiiv oft marmen, ja gerührten Tanf ein, toaS mir immer 
toofjl tfjat. 3 n oielen Säflen fjanbelte eS fid^ um eine 21 ufflärung ober um 
einen Statt), rnaS meine Schufcbefohlenen 311 thun hätten, befonberS in Untere 
thänigfeitS s 3lngeIegenheiten; baS patent Dom 7. September mürbe nicht immer 
richtig aufgelegt unb lieft manches uuentfehiebeu. Ta 3 tt tarnen bic bisherigen 
.Silagen über ©runbent$iehungen unb SSefi^ftövuitgen bureft ihre frühere 
Qbrigfeit, bie jum Tl)eil in fcftr lucite 3?it 3 urücfreichten, in melcftem Salle 
hoch nur bie ©erieftte eutfefteiben tonnten. Tie 3nfaffen Don ©euborf, 
■fterrieftaft Suttenplan, fragten bei mir an, ob fie ihrem .fperrn Pfarrer ben 
3 et)cnt in Sörnern nod) entrichten follten ober nicht? Sie mollten eS nicht 
thun, fall«? fie ba^u itid)t meiter üerpflicfttet mären; fie mollten fieft aber and) 
nicht mit bent Sonfiftorium oerfeittben, baS ihnen fonft, mic fie beforgteu, 
ihren 3 toeiten ©eiftlicheti nehmen möchte. Stuf bcrfelben £>errfd)ait ftuttenplan 
hatten einzelne ©runbholben in früherer 3 eit ihre Stobotfcftulbigteit um einen 
mit ber $errjd)aft oereittbarteit SreiS abgetöft; aus bent patente Dom 
7. September erfaften fie nun, bafS bie jefcige Slblöfuitg für ben Unterthan 
günftiger auSfaüen merbe, unb fie uerlangten Don ihrem ©ruitbherrn ©rafett 
Serchem^ainthaufcn, er folle baS ©lehr, maS er uon ihnen früher erhalten 
hatte, ^urüeferftatten. ähnliche Anfragen tarnen mir auS ftonrabifc, Trift 
globeit unb Stapf, £>errfchaft ©taierhöfen, aus bent ©tarft s 2llt~3eblifd), Don 
ben „2BalbhäuSler"s@emeinbcn ber .fterrfdjaft $Ian 31 t. SfuS SKafchafotten 
betaunten bie 3nfaffcn, bafS fie ihrer ^errfdjaft Tad)au feit bent Srühjah 1 ’ 
feine Üiobot geleiftet hätten; aber nun tarn bie £>errfd)aft unb tagte: „Tie 
Stobot ift gejeß(id) erft Dom 7. September an aufgehoben, barunt ntiifSt 3b r , 
ba 3hr ©urc Scpulbigfeit bis 31 t biefent Tage nid)t in natura nachtragen 
tonnt, biefelbe nachträglich in ©elb abbüften"; eine foldjc ©ntfdjäbigung 
forbere nun bie .sperrfdjaft, ftagten bie ©iafdjafottencr, unb Derbalte fie mit 
Strenge 311 biejer Seiftung. ©s gab aud) Sitten unb Anliegen, Don betten etmas 
fd)mer 31 t oerftehen maren, toie fie gemeint feien. 

3m SlQgemeinen Iwtte bic Stimmung itt meinem SBahlbejirfe, feit fie 
mufsten, bafS id) ein „mächtiger" #err gemorbett, fel)r 311 meinen ©unften um 
gejchlagett. Seit fie mein offenes Schreiben „Sin meine üanbSleute" erhalten, mürbe 
mir auS ©cu*3eblifd) im ©itioerftäitbniS mit ben ©etitciitben yabaut, ©tauthborf, 
^attgenbörfleS, Schöttbrunn 2 c. gefcbricbett, merbe „fein Serieumber mehr, 
unter melcfter ©taSfe immer er fotnmen mag," im Staube fein uttS int Vertrauen 
31 t mir mattfettb 31 t machen, fie hätten es Don allen Einfang „obncbieS als 
eine hintmeljchreienbe nieberträchtige Serleutnbung", als bie „SoSheit eines 
elenbett Schuftes" angefchett, maS gegen mich Slit 3 üglid)eS Derbreitet morbeu 
fei; nun feien fie mit meiner offenen Tarleguug ber Sadjlage ootlftänbig 
Xie ftultur. IV. 3a^rß. 5. §eft. (1902.) 23 


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354 


gofeph greiherr oon .^eifert. 


überzeugt unb ich fönne oottfommen oerfichert fein, bafa ihr ganjeS 
Vertrauen mir jugemenbet fei unb ft et« bleiben merbe. — 3<h mürbe 
alfo, menit ich mich mirflich einer Steutoahl hätte unterbieten motten, faunt 
etmaS ju beforgen gehabt t^ben. Übrigens bot mir ber !. !. Sßoftmeifter 
oon ©tammerSborf granj ©tabler oon SBolfferSgrün, berfchon meine 
erfte SBahl in Xadhau eifrigft betrieben hatte, abermals feine freunbliche 
®ienfte an; feine gamilie ftammte aus ber ©egenb oon $lan unb fein Staute 
hatte bort einen guten Slang. SlnberfeitS mar mein Kollege £erjig bereit, 
mir fein SDtanbat abjutreten unb für mich in Steidjenberg ju rnirfen. ®r 
mar ein mafjüott urtljeilenber unb billig benfenber 3Rann, er fuchte in bem 
leibenfctaftlidjen tttationalitätenfampfe gerecht nach beiben ©eiten ju fein 
unb erfannte mich als oon bem gleiten ©treben befeelt. 3n ber jmeiten 
^pälfte Stooember fanbte er einen $errn SReblhammer als feinen SertrauenS* 
mann ju mir. $ie 3uftänbe in SReidjenberg, fdjrieb er mir, Ratten fid) in 
ber lebten gri* fehr Oerfchlimmcrt; Steblhammer fotte fid) mit mir beraten, 
melcte SRittel anjumeitben feien, um nach unb nach eine ©inigung ber heutigen 
unb böljmifcten SSemohner unfereS 93aterlanbeS t^bei^ufütren . . . Seiber 
ftarb ber braoe SDtann halb barauf beim Sranbe feiner gabrif. 

SSon meinen Verpflichtungen als Slbgeorbneter mar es nur eine, ber 
ich nicht nochfomnten fonnte, unb jmar barum, meil fie fiep mit meiner 
Stellung als SRegierungSmann nicht jufammenreimen liefe. ©ineS SlbenbS, ba 
icfe in meinem 2lmtSäimmer arbeitete, erfc^ien bei mir ein böhmifcher Slbge* 
orbneter — ni fallor, Vürgermeifter granj ® u f cfe e f oon labor — unb 
ftettte mir oor, marum ich benn gar nicfet in ihrer ffltitte erfc^iene ? ©eroifs 
mürbe man auf meine ©timmc bfaen, jefct, ba ich SDtitglieb beS SRinifteriumS 
fei, mehr als früher. ®S feien oiele, bie fidj ein ©egengemicht gegen ©trobach 
münfdjten, ber fid) fehr befe^f^aberifc^ benehme unb feinen SBiberfpruch auf* 
fommen (affe zc. 3<h mufste bebauern, feinem SBunfche nicht entfpredjen 
ju fönnen;' ich fühlte mich, oerficherte ich ih n > burch baS Vertrauen, baS er 
mir im Stamen feiner ©enoffen auSgefprochen, fefer geehrt, unb banfe bafür; 
aber eben bie amtliche ©tettung, oon ber er gefprochen, mache eS mir 
unmöglich, mich an Sluboerhanblungen ju betheiligen, ba ich nicht als Vertreter 
einer Partei in ein SRinifterium berufen morben fei, baS es fich jur Aufgabe ge* 
ftettt habe, über ben Parteien ju ftehen. ®er mürbige 3Rann oerliefe mich fic^tlich ge f 

brücft, bafS er mit feinem mohlgemeintenSorfchlag nicht habe burchbringen fönnen. 

♦ * 

♦ 

^erjönliche ©onflicte jmifchen Slbgeorbneten, bie Debatten im SReichS* 
tage ausgenommen, famen in Sremfier äu&erft feiten oor. SDtir ift ein 
einziger erinnerlich, ber einen fehr fomifchen 9luSgang hatte. Der Slbgeorbnete 


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3n Kremfter. 


355 


S^ang ©eitler (für 3cü am ©ee) hatte nach bem Dctober in {einem SBabl* 
bewirf ein SRunbfchreiben oeröffentlidjt, worin er in nicht feljr giemlichen 2lu«* 
briirfen bie SRitglieber ber Siebten, namentlich ©rebler unb mich, ben ©auern 
al« jene IjinfteDte, bie baran ©chulb feien, baf« ihnen bie Stobot nicht 
gefchenft worben. 211« wir in Kremfier wieber gufammenfamen, fprach fich 
©rebler laut über ein fo gemeine« ©orgeljen au« unb nannte ©eitler 
einen Hefter unb 3>enuncianten. ®a« würbe biefem Unterbracht unb nun 
trat ©eitler bei ber erften ©elegenheit, wo er ©rebler außerhalb be« ©aale« 
fanb, biefem in ben SBeg unb forberte ihn gum $uetl. ©rebler, nicht Diel 
über äRittelgröße, aber fräftig gebaut, fah fich ba« Heine äRännchen an unb 
fagte: „SBiffen ©ie, mein $err Kollege, fechten unb fließen fann ich nicht; 
aber wenn fie wollen, auf einen ©eutler" — unb h* er machte er mit 
beiben Firmen bie entfpreeßenbe Sewegung bagu — „will ich« mit 3h n * 11 
wagen!" $ie Umftehenben muf«ten lachen, ©eitler felbft lachte mit, unb 
bie ©ache h at l e ein ®nbe. ©rebler war überhaupt ein 9Jlann oon natürlichem 
UBife unb großer ©chlagfertigfeit. 3<h üjeiß nicht mehr, bei welcher 
©elegenheit e« war, wo er mit bem „fchwargen SRaper" in einen SBort= 
wechfel gerieth unb feiner ben anbern gu Überreben oermochte, fo baf« Staper 
gulefct oerbrießlich fagte: „Slun ja, üon euch lirolern weiß man e« ja, baf« 
ihr erft mit oiergig fahren gefcheibt werbet." „Sa, ba« weiß man," 
erwiberte ©rebler mit fomifchem ®rnft; „aber mit welchem Sah* ihr äRährev 
gefcheibt werbet, ba« weiß fein SKenfch." 

3öcr fich unter allen Umftänben gleich blieb, berb unb felbft grob in 
feinen formen, aber babei fdjlau unb oorfidßig, war 2lloi« 3eten, ber 
„Drbner be« 3fteich«tag«". Sieb er (für 3oachim«thal) fagte eine« läge« 
gu mir: „Sch h a & c noch nicht h cra u«gebracht, er ein ehrlicher Kerl 
ober ein ©pipbube ift". ©rauner aber behauptete: „Selen hat brei 
^aupteigenfehafteu: unbebingte Serehrung für bie Stegierung, wüthenben 
Subenhaf« unb fanatifchen ®ifer für SDlufif." ©ei ben äRiniftern gieng er 
au« unb ein, hinterbrachte ihnen alle«, that für fie alle«, „SBoher haben 
©ie benn ba« wieber?!" rief ©ach eine« Sage« au«, al« ihm Selen eine 
SRittheilung machte, ooit ber ba« Sfflinifterium feine Slhnung gehabt hatte. 
„Sa, fehen ©ie, $err 9Jlinifter," lautete bie Antwort, „ber Seien hat lange 
Ohren unb ift boch fein ®fel." Unter ben 21bgeorbneten fannte er nur gwei 
Kategorien: Sngel, bie ber ^Regierung ergeben waren, unb Teufel, bie gur 
Oppofition gehörten, ©elbft feinen Sanb«leuten, bie nicht gu ben „®ngeln" 
gehörten, fpielte er, wo er fonnte, einen ©djabernaf unb Wuf«te fie gu 
hänfeln. ®er in Kremfier neu eingetretene P. Sohaun ®aniel Stofppal, 
©aplan in SBinterberg, trat im 9teicß«tag mit einer oppofitioneDen Siebe auf, 

23 * 


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3ofeph greiherr uon geifert. 


bic fein befoubereS äReifterftücf mar. Ate er Selen fragte, mie ihm bie 
SRebe gefallen höbe, fagte biefer: »Vybornfe, vybomä, jak se Vam patft, Vy 
jste to tak p£kn6 rozsypal. ie se älovfck divit musi« — „Ausgezeichnet, 
ausgezeichnet, mie eS bon Such nicht anberS z u ermarten mar, Sh* hobt boS 
fo prächtig au Seinanbergeft reut, baß fich ber äRenfch nur bermunbern 
tarnt. 4 ' ®aS Säortfpiel läßt fid) begreiflidjermeife im $eutfchen nicht miebergeben. 

AäaS mich betrifft, fo ftanb ich mit Selen, ba ich ja für ihn in bor= 
berfter Steife ber „Kngel" ftanb, auf beftem gufje, unb fo mar eS auch mit 
ben meiften anberen meiner Barteigenoffen. AÜerbingS mareit nicht meitige, 
bie in ihrer Haltung faum baS berbergen fonnten, maS mir Heinrich gügner 
gefdjrieben hotte, „baß fich ber neue UnterftaatSfecretär bereits bieler Kleiber 
ZU erfreuen höbe". Am ungefchicfteften in biefer |>infidjt benahm fich mein 
langjähriger Spezi unb juleftt ffrafauer Kollege $r. Kberfjorb Sonäf, ber 
fich mofjl überhaupt megen feiner etmaS jmeibeutigen Spaltung im Cctober 
jefct etmaS unbehaglich unter feinen ©enoffett bon ber ^Rechten fühlen mochte, 
©egen mich faulte er ben ©efränften, näherte fich mir nicht, fprach nicht 
mit mir; er fühlte fich, wie mir ^iuterbrac^t mürbe, beleibigt, baß ich ih m 
als altem greunb nicht gleich gefagt hätte, mie eS mit mir ftef)e, maS in 
Olmüfc mit mir borgehe u. bgl. 9tun, baS mar hoch für mich eine fernere 
Sache. SScr bon meinen perfönlichen greunbeu barum gefragt hotte, beut 
hatte ich gemiß mitgetheilt, maS ich tonnte unb burfte. Aber baß ich fdbft 
51 t jebem hingieng unb fprach: „'Su, meißt bu fchon, ich foü SRinifter beS 
Unterrichte merbert? Aber ich nehme es nicht an" ic., baS mar hoch nicht 
bon mir ju berlangen. Am tomifcheften maren SonäfS Briefe, menn er in 
irgenb einer Angelegenheit hoch umhin tonnte, fich an mich z u menben; 
ba fchrieb er mir ohne Anruf unb ohne Schlußformel, im Kontexte mich nicht un= 
mittelbar anrebenb, bamit er fich nicht zmifeßen „$u" ober „Sie" entfeheiben müßte. 

Kiner meiner Kollegen aus bem Kentrum mar Kngelbert ©elinger, 
Btofeffor an ber Drientalifcßen Afabemie, bereit Bögling mein Koufin ©uftab 
Schreiner gemefen mar. Ate fich ttlifc bon S^forbing, bie Braut 
©uftab’S, eines XageS in Aäien nach mir erfunbigte, antmortete ihr ©elinger: 
„Allgemein belaßt". KS mar nun nicht gerabe fchön bon ihm, meiner fünftigen 
©chmägerin fo etmaS ins ©eficht $u fagen; aber eS mar leiber etmaS AäaßreS 
in ben Säorten, unb eS ift bieS burch einen großen Xheif meiner ßaufbaßn 
geblieben. ®er ©rünbe $u ber bamaligen Abneigung maren berfchiebene. KineS 
XageS in $remfier geftanb mir grau Klaubt), geborne ®orau'@chlicf: 
„Aäoriiber man fich munbert, ift, mie ©ie in 3h*en jungen 3oß*en fich 1° 
conferbatib holten fönnen." Sch antmortete: „SReine ©näbige, baS ift nicht 
mein Belieben, fonbern meine Überzeugung." 3« ben Augen ber Sinfen 


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3n ftremfter. 


357 


\x>ax ich ber ©chmärjefte unter ben Schmarren, maS fich mohl begreifen liefe. 
3ch mar in meinen Sieben gegen fie fdjroff genug aufgetreten; meine Gattung 
gegen Süblich in ber 8 tobot*®ntfchäbigungSfrage, meine Stbmeifung ber ungarifchen 
Deputation, bie fich mit ber Sinten in offentunbigem ©inoerftänbniffe 
befanb, meine .gurüefmeifung ber journaliftifefeen Slnmafeung in ber Sogen^rage 
— unb 31 t aßebem jefet ein fo ^ope« ©taatSamt in foldjer 3ugenb! 3<h mieb 
bie oon ber Sinten unb mürbe oon ihnen gemieben. Stur feiten, mie in ben 
SluSfchitffen unb Stbtheilungen, !am ich mit einzelnen oon ihnen in ©erüprung, unb 

ba featten mir, maS nufer ©enehmen betraf, gegen einanber nicht ju Hagen. 

* * 

* 

SBenn Schmalenberg in Stremfier mar, fpeiften mir in ber Stege! bei 
ihm, baju ein unb ber anbere ©aft, fei es aus bem SteidjStage, fei eS aus 
ber böfeeren ©earntenmelt. 3 den machte babei gemöpnlicfe ben £auShofmeifter. 
©ei ber Dafel, bie bei ben beengten SPremfierer ©erljältniffen nicht feljr 
luxuriös fein tonnte, gieng eS in ber Stege! Reiter ju. ©ehr häufig führte 
ber oontehme SBirt baS 2Bort. Söenn bad ©efpräch auf bie ©reigniffe beS 
DageS tarn, muffte ©efemarjenberg fo anmutpig fdjerjenb ju plaubern, 
als ob baS gar nicht Dinge oon fo grofeem ©rnfte unb oon folcfeer SBichtigteit 
mären. Stach bem ©peifen mürbe mitunter ein gemeinfchaftlicher ©pajiergang 
in ben auSgebepnten ©art unternommen, bis jum prächtigen ffllajenpof, mo 
bie „Slula" befepen unb ber ©ultan im Sup^arem bemunbert mürbe. 

51m meiften mar ich natürlich mit ©tabion, nicht blofe meil er mein 
Steffort=9Jtinifter, fonbern auch meil er mein befonberer ©ömter mar. 3<h 
meife nicht, ob er eine eigentliche Steigung ju mir hätte, ob er überhaupt 
eines folchen ©efiihleS fähig mar; Dhatfache ift, bafS er mich, mo mir 
amtlich ober aufeeramtlich jufammentrafen, regelmäßig an fich h crfln S° 8 - 
©ineS ©orfaüeS gebenfe ich noch i^fet mit Stührung, ©tabion unb ich toaren 
oon einer Dlntüfcer ober oon einer SBiener Sah** in fehr fpäter ©tunbe 
nach fttemfier getommen, fo bafS ich nicht flnt mitten in ber Stacht meine 
£>auSleute aufftören tonnte. 3ch mufste alfo bei ©tabion bleiben unb mar 
als junger SRenfch fchlaftrunfen junt Stieberfaflen. Da hätte man nun fehen 
follen, mie fich ©tabion baran machte, eine SJtatrafce auSfinbig $u machen, 
mie er fie mit feinem Äammerbiener Heinrich in baS Zimmer, mo ich 
fchlafen foüte, h^einfchleppte, auf bem Sufeboben auredjtlegte, bafür forgte, 
bafS ©olfter unb ©ettbeefe $urecht gelegt mürben unb nicht früher $u ©ette 
gieng, als bis ich Gehörig oerforgt mar. 

ffienit ©tabion in Sremfier mar, machte er gemöhnlich gegen Slbenb 
mit mir einen ©pajiergang, manchmal fchlofS fich ein britter an. $atte ich 
ihm etmaS ju „erzählen", oon ©efd)äften nämlich, fo mürbe baS juerft 


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358 $ofepb ^reiperr oon geifert. 3n firemfier. 

abgemacht, bann aber anbere« geplaubert. 6r ^atte rnohl ba« Sebürfni«, 
auf anbere ©ebanfen zu fommen, benn er mar burch bie Aufreizungen unb 
ununterbrochenen Anftrengungen feit bent 6. Dctober fdjon in ^o^em ©rabe 
neroö«. Heinrich Slam, .ber bei ber glucht au« SBien fein fteter Begleiter 
getoefen toar unb babei nicht feiten mit ©tabion in einem 3immer ober 
hoch in beffen unmittelbarer 9?ähe fchlief, hu* mir mitgetheitt, mie er, toenn 
er in ber 9tacht aufmachte, mahrnehmen fonnte, baf« ©tabion mach mar, 
ober baf« ihn fernere dräunte plagten unb er unoerftänbliche SBorte 
murmelte. Auf unferen firemfierer Spaziergängen aber gieng e« meift fehr 
heiter ju. ©tabion fprach aüerhanb Allotria unb machte auch fonft manchen 
©paf« mit. Sinmal befugten mir ben englifchen ©arten be« 3ürft*®rzbifchof«; 
Seopolb SReumann mar bamal« mit un«. SBäljrenb e« fchon etma« bunfel 
mar, famett mir ju bem flehten Sabprintl}. @« mar in ber dfjat mit feinen 
fich überall freujenben unb oerfchlingenben SBegen ein Spurten Z u nennen, 
aber au« fo nieberent 3<mumerf gcfchaffen, baf« man mit falber ßeibe«länge 
barüber emporragte, ©tabion unb ich magten un« hinein, manbclten einige 
3cit hin unb her unb maren. in ber dljat nicht im ©tanbe, ben Au«gang 
ju finben, fo baf« mir ben gorbifchen finoten, ben mir nicht zu löfen oer* 
mochten, zulept zerhieben, inbem mir un« mitten burch ba« 3uunmerf pinburch 
ben 3Beg in« greie bahnten. 

die leiber fo furze 3eit, bie ich ntit ©tabion oerlebte, mirb bi« an 
ba« ®nbe meiner Sage zu meinen fepönften, aber auch z u meinen mehmuth«* 
uoHften ©rinnerungen zählen, diejenigen hüben nicht Unrecht, bie ba fagen, 
baf« Auffcpreiben ber dob be« lebenbigen ©ebächtniffe« ift. die frühe 
©emohnheit, alle« mir ®emerfen«merte zu notieren, pat e« bahin gebracht, 
baf« ba«, ma« ich mir n i ch t notierte, oon ben mechfelnben Sinbrücfen ber 
dage zu einem groften dheil übermüdet unb begraben mürbe. SBelcp 
reichen ©epap befäfte ich niept, mir unb Anberen zum Vergnügen unb zu 
mannigfacher Belehrung, menn ich uon ben ©efprächen, bie ©tabion mit 
mir über bie oerfchiebenften ©egenftänbe führte, mir fogleich ä la ©efermanu* 
©oethe Aufzeichnungen gemacht hätte, ©o ungefchieft er al« SRcbner mar, 
fo gemanbt unb anziehenb mar er al« ffiaufeur, mo er, nicht beengt burch 
ba« ©efühl mangelnber dechnif, feinen ©eniu« frei fich ergehen lieft, ©eine 
Äufteruitgen, feine Urtheile, bie Silber unb Sergleicpe, bie er anmanbte, 
bie Seifpiele unb ©riinbe, bie er oorbraepte, maren fehr oft paraboj, aber 
immer geiftooll unb immer berart, baf« fie, menn man auch nicht feiner 
SWeinnng mar, zu benfen gaben. 

(^ortif&UJlfl folgt. 1 


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Wiener Kunstleben (ßerbst 1001). 

Bou JoTepfi Houtoirflj. 

ie im Vorjahre burcb bie Eutenberg 2luS|Mung, fo bot auch im Sommer unb 
Iperbfte beS ^abre^ 1901 bie aufeerorbentlicb umftcbtige unb zielbewufSte Leitung 
ber f. f. £>ofbibliotbef burcb bie Veranftaltung einer SonberauSfteUung, bie auf 
überaus wertoolle Objecte ihres gro&artigen §anbfcbriftenbeftanbeS bie Vufmerffamfeit 
weiter Streife lenfte, ficb ben befonberen Danf beS funftftnnigen VublicumS gefiebert. 
Die in ihrer Vrt wirflicb einzig baftebenbe 9JtiniaturenauSftellung, für roelcbe 
ber altebrwürbige, felbft als ftunftroerf b^morragenbe Vntnffaal ber §ofbibliotbef 
einen glänjenben Wähnten abgab, bot zum erftenmale ben ^aienfreifen bie gern 
benüfete Eelegenbeit, ftcb aus eigener Vnfcbauung ein Urtbeil über bie £anbf driften 
auSftattung unb bie fünftlerifcbe i*eiftungSfäbigfeit oerfcbiebener Qabrbunberte unb 
oerfcbiebener Golfer zu bilben. WHt gutem Rechte ift man bei ber VuSwal)l ber 
Vilberbanbfcbriften, beren Weicbtbum in ber Wiener fcofbibliotbef mit ben b^or* 
ragenbften Vibliotbefen oon ganz (Europa einen Vergleich in bfabfteu Ehren befteben 
fann, nicht über baS 10. ^abrbunbert binauSgegangen: benn mit biefer 3^tü^u^e 
fcbliefct bie (Epoche ber in fiinftlerifcber Selbftänbigfeit beachtenswerten Jpanbfcbriften 
illuftration fo ziemlich ab, ba bie Eoncurrenz mit öoljfcbnitt unb Stupferfticb unb 
eine immer größere Vbbängigfeit oon ben burcb beibe gelieferten Vorlagen eine mehr 
banbwerfSmä&ig oerflacbenbe 'Ikobuction unterftiifcten. 

Die s 2htSwabl ber zur s 2luSfteUung gelangten 370 Jpanbfcbriften befunbete 
burcbmegS feinen Taft, umficbtige Sacbfenntnis unb vortrefflichen Überblict über ben 
EntwidlungSgang biefeS eigenartigen HunftpoeigeS, für beffen Vbafen ftcb ein nahezu 
li'tcfenlofeS Material aus ben b er °o rrrt ß cn bften Objecten ber überreichen Vücber- 
fammlung gewinnen ließ; benn nur biefe farnen bei ber auch burcb Waumausniißung 
befdjränften Auswahl in betracht. 'Über bie auSgelegten Stüde waren nicht nur an 
ficb ^Sracbtwerfe ihrer Vrt, fonbern ließen auch in iiberficbtlicber Vneinanberreibung, 
beren VerftänbniS bie jebent Objecte beigegebene fur$e Erläuterung, fpäter ein banb* 
lieber Siatalog unterftiiftte, mit waebfenbent Eenuffe baS ^ntereffe an ber gefcbicbtlicben 
Entwidlung beS ftunftzweigeS ftcb beleben. ü)tit ber berühmten „Wiener Eenefts" 
unb ben DiosforibeSbanbfcbriften festen fte bei ben frübeften Denfntälern ber Vucb^ 
malerei ein, wäbrenb an anberen franbfebriften bas Wacbleben bpzantinifcbev Wus- 
ftattungSgebanfen unb ihr öeranftreifen an flawifcbe, fprifebe, arttienifcbe unb foptifebe 
Dentmale ganz augenfällig waren. Vortreffliche Vertretung butten bie farolingifeben 
Vilberbanbfcbriften, bie gerabe bei ben auf Salzburger (Gebiete entftanbenen Stiitfen 
noch ben Wacbflang irifcb angelfäcbfifcber ftormenfpracbe w\#en. 

Eine ganz befonbers beachtenswerte Eruppe bilben bie $>anbfcbriften öfter- 
tetebifeber Vtcwenienz im weiteften Sinne beS VJorteS, zum Ibeil aus ben unter 



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360 


^ofeph 9teuroirtb. 


Bofepb II. aufgehobenen Mlöftern ftammenb unb bie in einzelnen geglichen Rufern 
auf anfehnlicber $>ö^e fkh bewegeitbe Munftfertigfeit bejeugenb. ©djulrnäfeiger 3ufammen 
bang war namentlich unter ben SRepräfentanten ber böhmifchen Buchmalerei ju erfennen, 
oon roelcben bie im ©efchmade ber berühmten WenjelSbibel auSgeftatteten !panbfchriften 
burch befonbere Farbenpracht unb reiche Borbürenomamentation hcroorragen. ÜRit 
ihnen wetteifert baS 1368 oon bem *tonbSfroner Bfarrer Johann oon Sroppau ooll 
enbete ©oangeliar £>er$og AlbredjtS III. oon Öfterreich, theilroeife auch baS nach 
1403 roahrfcheinlich oom Hofmaler Johannes ©ad)S in Wien ooüenbete Nationale 
Turanti. Aufeer ben für gebrich III. unb Wapmilian I. h^rgeftellten Arbeiten 
intereffierte in ^o^em ©rabe eine im ©tifte Welf um 1446 oom Wöndje ©imon 
gefchriebene unb mit Wtniaturen gefchmiicfte lateinische ©rammatif in ber Art beS 
Tonnt für i*abiSlauS BofthumuS. ©S mürbe oiel au roeit führen unb ben Nahmen 
biefeS Berichtet erheblich iiberfchreiten, wenn ber geroifS oerlocfenben Nennung oon 
Dbjecten gerabe biefer ©ruppe noch weh* *Raum gemibmet mürbe. Tenn auch anbere 
biirfen nach ih^em horoorragenben Munftroerte gleiche Beachtung beanfpruchen. 

TieS gilt tnSbefonbere oon ben franjöfifchen Bilberhanbfchriften, bie einft baS 
Wohlgefallen Napoleons I. in fo hohem ©rabe erregt hotten, bafS er bie prächtigfien 
©tücfe nach Baris bringen unb ber Wationalbibliothef einoerleiben liefe, ©ie zeichnen 
Sich oielfach burch Reinheit ber Formenfprache, ©leganj ber ©eftalten unb ©emanb 
behanblung, fomie burch Bartbeit ber bei aller fiebhaftigfeit nicht ins ©chreienbe 
oerfallenben Farbengebung auS. Am beften ift b*er bie Flluftration ber am AuS 
gange beS Wittelaltere in F r anfreid) überaus beliebten allegorifchen Romane oer 
treten, unter benen baS ©yemplar beS oom Mönige Wend bem ©Uten oerfafSten 
WomaneS »Coeur d’amours 6pris« ben Bilberfchmucf aller anberen roeit überragt, 
bereite pfochologifche Bertiefung ber AuSbrucfSmittel unb oirtuofe Beberrfchung oon 
Beleucfetungoeffecten felbft mit bem fcinübergreifen ine ^eübunfel erfennen läfSt. 

Bcrlen erften >RaitgeS, hiwter welchen bie aufgelegten Tenfmale englifdjer 
Buchmalerei erheblich ^urücfbleibcn, bot bie Abteilung ber olämifchen Btlber 
hanbfehriften, bereit ©rroerbung bie Beziehungen ber Habsburger ju ben Weberlanben 
ganz natürlich erfcheinen laffen. Bon ihnen feffelten befonberS bie ©ebetbücher 
Wayimiliane I. unb Marl V. f beS lefeteren ©injug in Brügge am 18. April 1515 
unb bie in ber Werfftatt BrelantS z u Brügge für öerjog Bhilipp ben ©Uten oon 
Burgunb um 1450 entftanbene ©hronif oon 3^'ufalem, bie bereits 1536 im Beftfee 
Mario V. au Brüffel fxch befanb unb burch bie Tarftellung ber ©infehüfung ber 
Mreuafahrer fid> ben AuSftellungSbefuchern unoergefSlid) einprägte. Bergleicht man 
mit ihrer rounberoollen Behanblung, bie bem ©inaelnen ebenfo roie bem fünftlerifchen 
©efammteinbruefe gilt, bie Werfe ber Marolingeraeit, fo roirb man fich ber ©nt 
micflung beroufst, welche bie Buchmalerei im &mfe ber Fah r hunberte burchmacheit 
muffte, um au fo bewunbernfwerten tfeiftungen emporaufteigen. 

©leid) warmeo F ntere ff e oerbienten bie Winiaturhanbfchriften italienifcher 
Hertunft. Unter ben Auftraggebern für bie italienifchen Weifter, welche feit bem 
15. Fabrbunberte bie Herftellung oon Brachtfeanbfcbriften naheju fabrifSmäfeig betrieben, 
ragte ber Ungarnfönig WattfeiaS ©oroinuS h cr o° r * s RuS feinem Befi&c ftammen 
mehrere foftbare ©tücfe, anbere aus jenem ber ©foraa, Acguaoioa, BiSconti, 
©onjaga, ©ontarini, bal Berme, beren Witglieber fid) burchwegS als Liebhaber 
liinftlerifch oornehmer HanbfchriftenauSftattung in ben für fte gelieferten Werfen 
erweifen. Tie Winiaturen ber oenetianifefeen TbpferinnungSftatuten ober einzelne 



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Söiener ftunftleben (fcerbft 1901). 


361 


Sccnen $u ben mebicinifcßen Dractaten be« ©iooanni ©abamofto greifen in ba* 
Sunft- unb Verfeßr«leben be« 15. Faßrßunbert« ebenfo hinein wie bie am Anfänge 
be« 16. Faßrßunberte* entfianbenen leben«oollen ©eenen be« berühmten Codex 
picturatus in ftrafau. 

Spanten mar nur fpärlicß oertreten. 'Dagegen bilbeten bie orientalifcßen )panb 
feßriften, für beren faeßmännifebe VMirbigung gerabe ber beseitige Vorftanb ber 
Jpofbibliotßef, fterr £>ofratß Vrofeffor Dr. ßarabacef, weithin al« eine Autorität erften 
Wange« gilt, in bem impofanten Äuppelraume geroiffermaßen einen farbenprächtigen 
fternpunft ber ganjen 2lu«ftellung. 2luf ihren Weichthum roie auf ihre Schönheit, 
auf ihre ÜJtonnigfaltigfeit unb auf bie ßoße Seltenheit einzelner Stücfe barf unfere 
jQofbibliotßef mit Wecßt ftolj fein. C^in ganj anberer ©eift ber Vucßau«ftattung unb 
ihrer Decoration«gefeße fpricht im Vergleiche ju ben abenblänbifchen Vilberßanbfcßriften 
au« ben Vracßtmanufcripten be« Oriente«. Sie fchroelgen in einem funftoollen ©emirre 
wunberfam burch unb ineinanber gefchlungener fiinien, phantaftifcher Ornamente 
unb Figuren, in fümtnernber Farbenpracht non märchenhafter Frifcße unb ftnb fleine 
Vöunberwerfe fester unerfchöpflicher, immer neue Weije heroorfeßrenber ©eftaltung« 
freubigfeit, bie ftch nicht genugthun $u fönnen fcheint unb auch bie Schrift becoratioen 
Wbficßten bienftbar $u machen oerfteßt. Die reießgefeßmüdten Originaleinbänbe biefer 
jQanbfcßriftengruppe, $um Xßeil feine öaeteinbänbe oon tabellofer ©rßaltung, erhöhen 
ben ftunftwert ber einzelnen Stüde unb jeigen bureßmeg« Vebad)tnaßme auf bie 
JOerfteüung einer be« toürbigen §ülle. Sie toerben gewif« in abfehbarer 

Seit ©lanjpunfte einer Vu«ftellung oon Vucßeinbänben abgeben, beren Veranftaltung 
ber rührige Leiter ber Jpofbibliothef ftch woßl nicht entgehen laffen toirb. Sein eifrige«, 
feine SWüße feßeuenbe« Veftreben, weiteren Greifen ba« Schönfte unb ©igenartigfte 
ber herrlichen Schäle feiner großartigen Viicßerei ju erfcßließen, oerbient unein 
gefchränfte Vnerfennung. ©in frifdjer 3*tg be« Darbieten«, ba« an ber gefteigerten 
©enufefreube be« Vublicum« ftch neu belebt, geht erfreulichenoeife burch ba« ©anje. 
Der hnnbUche Katalog orientiert fnapp über bie ©efchichte ber einzelnen Jpanbfcßriften, 
ift aber in ben litterarifchen Eingaben unoollftänbig, ba er jum Veifpiel bei Wr. 121» 
eine ben Jpaupttßeil ber $>anbfdhrift Wr. 8330 tur ©änte publicierenbe Arbeit au« 
bem F rt bre 1896, bei Wr. 105 noch anbere ber V$en L tel«bibel geltenbe Wbbanblungen 
nicht ermähnt. Die mehrmalige ©rftredung ber Wu«ftellung«bauer fanb in bem 
überau« ftarfen Vefucße ihre erfreuliche Vegri'tnbung. 

Die zwölfte Wueitellung ber Seceffion bat bie funftintereffierten 
©emitther unb folche, bie e* tu fein oorgeben, nicht gleich ftarf roie ihre Vor 
gängerinnen roährenb ber beiben lebten Fahre erregt. Sie galt hauptfächlicß ber 
norbifeßen ftunft, Schweben, Norwegen, Ftnnlanb unb Wuf«lanb. Wngeficßt« ber 
Ißatfacbe, bafe biefe ^änber auf ben Wiener Wueftellungen nur gan$ oereinjelt 
oertreten ftnb, mochte man ee im allgemeinen al« eine febr banfenoroerte Veran 
italtung begrüßen, eine größere Wnjaßl norbifeßer Vkrfe auf VHener Voben oereinigt 
tu finben unb an ihnen einen Vtaßftab für bie Wbfcßäßung ber ©ef<hmad«ricbtung 
unb l # eiftung«fäbigfeit norbifeßer Wteifter $u gewinnen. Wber ba« hier Vu«geftellte 
war — Vknigee au«genommen — nur VUttelgut unb gab feine oerläf«ließe Vor 
fteUung oon bem Veften feßwebifeßer unb norwegifeßer ftunft, ba« man in Stodßolm 
unb ©briftiania gefeßen unb auch im 3ufammenbange mit ber Statur unb Veoölferung 
bee i*anbe« beurtßeilen gelernt haben muf«. Dort wirft unb paeft oiele« gan$ anbere, 


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Fofepl) s 3ieuiuirth. 


362 


wie id) es im lebten Sommer mährenb eines mefyvroödjentlidjett Mufenthaltes in 
Schweben unb Norwegen an mir felbft mehr als einmal erfahren t)abc. Die wirtlid) 
fiihrenben Mteifter biefer i*änber, zu benen man £iljefors mit feinem „(Eiberoögelftrich" 
ebenfo wenig zählt wie öen mit feiner „Mngft" wirtlich Mngft einjagenben (Eb. Mtiinch, 
waren in 'Wien nid)t oertreten, ^fjaeftab’d 7 veinfül)iic^feit bot ja in feinem „Meif", 
„Mach öcm Siegen im Walbe" ober in ber „$ermlänbif<hen ^anbfcbaft" recht Mn 
fprecbenbes: gut beobachtete (Einzelheiten „währenb ber 9Jle[fe" brachte ber (%then 
burger .Karl Wilhelmfon. WirfungSoolle Eharafteriftif erhielt Ebriftian Sirod) mit 
feinem „gefährlichen Fahrmaffer" unb ben mehmutb$ooll anziehenben 3üfl en b** 
„tränten Kinbes", in beffen Hanb bie entblätternbe Mofe als Spmbol bes ent 
blättern ben MlenfchenbafeinS gelegt ift. (%ofeügigteit unb (Einfachheit geben in ben 
Werten beS binnen Mrel Etolen ben Ion an, ber jeboch oon Missgriffen ber 
Stilifierung nid)t frei bleibt. 'Wie übermältigenb geftaltet er ben Schmerz ber Mlutter 
'Jemmi bainens, inbes bie Martbebaitblung am Sohnesleichnam an bie alten Winter 
unb Werfer gemahnt: fraftftroHenbeS ^eben atl)met „Qlmarineu fdnniebet Sampo". 
Die oon Stilifierung nod) unberührten Winterlanbfchaften „Fniatra im Schnee" 
iinb in ber treuen Wiebergabe ber Matureinbriitfe böcbft loirfungsooll. Das Milbnis 
bes Schaufpielers Mittner, an bem man ben ftilifierten Eigarettenraud) gern miffen 
möchte, fpriiht lebenswarmes Dafein. Mon ben übrigen Rinnen zeigte fid) mehr als 
Ulbert Ebelfelt ber gleichfalls in JpelfingforS fdjaffenbe Metfa Jpalonen mit feinen 
„Wegbauern in Earclen" als bead)tensroertcr Mteifter: oiel Mnntutbenbes wufste 
Faernefelt bem hübfehen Kinberbilbniffe feines Sohnes zu geben. Durch eine ziemliche 
'.Unzahl oon Arbeiten toar Fan loorop oertreten, oon früheren Musftellungen ben 
Wienern nicht unbefannt. Das Meue bot für feine ^Beurteilung nidits Meucs, 
bbchftens bafs man ab unb zu faft ber Mnfidjt zuneigen tonnte, ber Wunberlichteiten 
phantaftifchen Schrullen unb bizarrften Unoerftänblichteiten feien injmifchen nod) mehr 
geioorben. (Es ift unftreitig ein Mbrneg moberner Munft, loenn einer ihrer Vertreter 
feine Hauptaufgabe barin erblidt, feine Seitgenoffen grunbfäfclid) oor Mätbfel aller 
Mrt zu ftellcn, bereit Reifung einer zur Urtbeilsfpredmng berufenen Madnoelt ttod) 
meniger gelingen biirfte. So mag Xoorop’s „(harten ber Reiben" unb feine Umgebung 
mandiem Musftellungsbefud)er ein (harten ber Reiben geworben fein, ber ihn ebenfo 
wenig wie „Fatalismus" ober »Les rodeurs« anloden tonnte. Unb bod) bietet ber 
Zeichner loorop ab unb zu, fo in bem Ekcifentopfe ober in ben „Seelen am Mleeres 
ftranbe" unb einigen F*auenföpfen Einzelheiten oon unbeftreitlmrer Schönheit, bie 
man feiner merfmitrbigen Farbengebung nicht nachritbmen fann: baoon ift felbft 
bas Iriptpdjoit ber „brei lödjter" nicht ausgenommen. 

Mon ben Muffen intcreffierte wohl am ftärtften ber Miostauer Eonftantin 
Morowine mit feinem „Friefe mit Molarlanbfdjaften" unb bem prächtigen Sibirien 
Manneau. Hier fdjlutitmern '.Unfälle zu einem aus innigfter Merfenfung in bie Matur 
berauSquellenben Mtonumentalftile oon ergreifenber Einfadtheit, bie einen Mnfcblufs 
an bie Urzuftänbe ber Mlenfdjbeit 3 u fuchen fdn'int. Wie fällt bagegen Kahnofoffs 
Farbeneffecthafcherei „Mach ber Marabe in Miostau" ober Mit. Moebridi’S „Miidfehr 
beS C^rohfürfteit Wlabimir aus Eorfum" ab! Feine Stimmung regte fid) in Somoff’s 
„weiger Mad)t" unb „Muguftlanbfdjaft", fotoie in ben Sdmeecompofitionen Wilhelm 
Murwit’s aus Miga. F u bem herben „Man" Mlichael Wrubers ftedt ebenfo ein 
barbarifterenber 3 ug wie in ber ruffifdjen Cntamentif, bereu nod) bozantinifche 
Machtlänge oerrathenbe Formen in Merbinbung mit einer wirflid) beraufebenben 




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Wiener ftunftleben (£>ccbft 1901). 


363 


iteüenroeife abenteuerlich pbuntaftifeben Farbengebung einen nationalen ©efebmad im 
.ftunftgeroerblicben nacbbrüdlicb unb eigenartig betonen. 

Wie in München bilbete ein oiel belächeltet Scbredentftiid ber 9lutftellungt 
befuchet Jpobler’t Vilb „T)er s lluterroäblte", nichtt % weniger alt auterroäblt, bie 
Spmpatbie für ben SCReifter unb feine Achtung ju roeden. Wir fmb ja ohnehin in 
ben lebten fahren fchon baran gewöhnt, unt burch Ungewöhnliches nicht gleich aut 
ber Faffung bringen ju laffen. Sie oor Jpoblcr’t Vilb ju behaupten, roar felbft 
erflärten Freunben roeitgebenber ^reiheiten ber Wobeme etroat febroer. T)ie §ärte 
ber freibigen 5 a ^ben ftimmte ju ben eigenfxnnig fteifen Linien, ioohl bie einige 
Harmonie, bie in bem ©anjen roahrjunehmen roar. Et fei hier autbrüdlich conftatiert, 
baft bie .tunftfritif angefebener Wiener Xagetblätter, bie ber Secefiion ftett mit 
autgefprochenem Wohlwollen gegenüberftanben, bat Wer! ^obler’t ganz unjroeibeutig 
abgelehnt unb bie Joobler- 6 chroärmer vor ben ©efabren bet Mnfcbluffet an biefe 
Dichtung, oor bem s JkeiSgeben großer unb roertoollev Errungenfcbaften ernftlich 
geroarnt h^t. s lln ber ganz abfallenben Wirfung bet möglicherroeiie für einen anberen 
Stanbpunft bet Vefcbauert berechneten Gilbet roar aber nicht in erfter iünie bie 
roirflich meift mit oiel fünftlerifchem Xacte uorgebenbe Joängecomntiffion ber Seceffion, 
fonbern oielmehr ber Wiftgriff bet Vfeiftert, feine über ben Wnfcbluft an bie Watur 
fich fouoerän hinroegfe^enbe Eigenroilligfeit fchulb. Ebenfo oerfehlt roie „X)er s 2lut 
erwählte" ift ber burd) gräftliche Verzeichnung roirfhd) abftoßenbe „Frühling" Jpobler’t, 
beffen auch bem fernftehenben t*aien fofort in bie klugen fpringenben Mängel eine 
Vefriebigung an fonft otclleicbt noch erträglichen Einzelheiten um fo weniger auf 
tommen laffen, alt auch bie grelle, unnatürlid)e Farbengebung rafcb Juni Erzieht 
auf jeben weiteren ©enuft beftimmt. 3 n biefem 3 ufammenbange intereffiert oon ber 
ibanb be* <ooblerfd)ülerS Wrniet bat gute Jpoblerbilbnit hoppelt, bat mehr anfprach 
alt bie ^oblerroerfe felbft. Unb hoch hu* auch ^obler’t „Wuterroäblter" in Wien fehr 
halb einen Käufer gefunben, fo baft ben frobler Verounberern bie Vtöglicbfeit gefiebert 
ift, mit bem Muterwählten ftett in Fühlung zu bleiben. 

Unter ben nicht zahlreichen Werfen ber Vlaftif bot ber Wüncbener Hermann 
)öahn mit feinem auferftanbenen Ehriftut unb ben Viafetten '{tettenfofer’t, Vitmard’t 
unb Vloltfe’t ©utet. Arthur Hubert charafteriüerte fehr padenb bie ?ree Earaboffe, 
roährenb ber Vole Szomanowtti roeber in „Vtutter unb Minb" noch in ben 
„tfarpatiben" befriebigen fonnte. 

Trotz manchem intereffanten Werfet roar ber zwölften s llutfteUung ber Secefiion 
nicht ber allet in Zithern unb Spannung ertjaltenbe Erfolg befchieben, ber ihre 
Vutftellungtunternchmungen ber letzten 3^t faft ausnahmslos begleitete. Um ihn 
zu fid>crn, muffen bie Schöpfungen ber autftellenben Wutlänber eine gröbere 
fiinftlerifche Übcrzeugungt unb ^Inziehungtfraft haben, alt ben bietmal oereinigten 
s Jeiftungen inneiool)nte. 

T)er Wetteifer mit ber rührigen Scceffion eriuiee fich roieber alt eine belebenbe 
Förberung ber Jo e r b ft a u s ft e 11 u n g i m $1 ü n ft l e r h a u f e, welche burch bie ihr 
angeglieberte Defregger 'Jl u t ft e 11 u n g eine überall freubigft begrüßte, hoch 
intereffante Erweiterung erfuhr. Et fei fofort mit größter Vefriebigung conftatiert, 
baft bie ©enoffenfehaft ber bilbenben Zünftler Wiens es alt eine Ehrenpflicht 
betrachtete, einen Überblid über bat ftünftfdjaffen eine* weithin gefeierten öfter* 
reidjert zu bieten, ber im ^littlanbe zu Ehren unb zu angeiebener Stellung empor 
gediegen, aber aud) im Vaterlanbe uuoergeffen ift. ber ruhmreichen ©efchichte 


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3ofepb Aeuroirth- 


3ti4 

be« le&teren, in ber trefflichen Eharafterifierung ber Xppen eine« für öfterreich« 
Jperrfcher in begeifterung«ooller Eingebung fich aufopfernben Aolf«ftamme« oerjroeigen 
fich bie ftarfen 2öur*eln feiner ftünftlerfraft, bie oollberechtigten Anspruch barauf hat, 
in ihrer Entroicflung näher betrachtet $u roerben. 

Da« roeitgehenbe Entgegenfommen, roelche« ber Eebanfe ber Äünftler* 
genoffenfehaft bei ben SBeftfcem oon Defreggerroerten fanb, ermöglichte bie Aufbringung 
non 1*23 Objecten, fo bafö man roohl behaupten barf, eine fo umfaffenbe Au«* 
fteüung, bie immerhin ba« Nichtige au« bem Eefammtroerfe be« Xiroler ÜJteifter« 
faft liidenlo« oereinigte, noch nicht gefehen ju haben; ja e« barf roohl fraglich bleiben, 
ob e« je roieber gelingen foüte, ba« immerhin etroa« jerftreute Material in einer 
Sonberau«ftellung binnen fo furjer &e\t, al« fy\ex &ur Verfügung ftanb, ju fammeln. 
'JJton ftanb ba auf Schritt unb Stritt alten SBefannten gegenüber, benen man roährenb 
be« lebten 93ierteljahrhunberte« theil« auf Aufteilungen, theil« in öffentlichen Samnt 
lungen, ja oielfach auch in üluftrierten Wochen* unb 5Jtonat«fchriften begegnet mar : 
barunter manch’ roirflich liebgeroonnener unb mancher mehr gleichgiltig laffenbe, 
roeithin befannte Silber neben bisher roenig beachteten Stüden, bie intereffante 
Streiflichter auf ba« s löerben be« ÜJteifter« merfen. Eerabe in ben Sitten unb 
Stubien, bte ber ^rrühjeit be« Zünftler« angehören unb trofe ber ab unb ju noch 
unbestreitbaren Unbeholfenheit fdjon bie au«gefprochene hohe 93*9abung für ba« 
(iharafteriftifche, feine Erfaffung unb SBiebergabe ertennen laffen, finben fich überau« 
mertooüc Auffchliiffe für Defregger’« Eigenart. Da« SBefte feiner Äunft quillt au« 
bem Xiroler SBauernhaufe, feinen 93eroohnem roie feiner Einrichtung, ben traulich 
bämm’rigen Räumen mit bem einfachen !&au«rath. 3e fdjlichter unb einfacher ber 
Anfchluf« an biefen Stoff, um fo padenber bie ABirlung felbft Heiner Stüde, bie 
nicht feiten bie etroa« gefügte SBehanblung größerer Arbeiten in ben Schatten fteüen. 
Waturfrifcbe« $Bol!«leben athmen au«nahnt«lo« bie Silber au« bem großen Aufftanbe 
ber Xiroler im $ahre 1809, benen ftch ber fraftoolle Sdpnieb oon Kochel mürbig 
anreiht* ftriegerifdjer Emft, l*eibenfchaftlicbfeit, &oxn t Siegerftimmung, grinfenbe 
Schlauheit, SBaterftolj unb noch fo oiele« Anbere fluten ba ineinanber ju herrlichen 
Erinnerung«roerfen ber ruhmreichften Erhebung faifertreuer Unterthanen. Da« fonnte 
nur ein Xiroler ftinb, ba« ffon feit ber früheften ^ugenb mit ber ^uft feiner 
Heimat auch ben Eeift ihrer glänjenbften Eefdpcht«epoche in oollen 3üften eingefogen 
hatte unb burch eigene Eeftaltung«traft fich zur fünftlerifchen '-Behanblung gebrängt 
fühlte, in fo leben«mahr feffelnber 3öeife fchübern. 3n Stoff unb DarfteHung«art 
pulfiert SBobenftänbigfeit, fühlt man ben Obern Xiroler '-Berge. Defregger’« OTeifterfchaft 
im Eefdpcht«bilbe erflärt fich au« feiner innigen Fühlungnahme mit bem Xiroler 
s Boll«thume, au« bem er für eine anbere Kategorie feiner 2Bcrfe mit gefchultem 
Auge unb gefehlter franb föftliche Situationen h**au«greift; mieberholt auf h^i 
geroinnenben Jpurnor geftimmt, lehren un« biefe Eenrebarftellungen ba« ^erftänbni« 
be« OJteifter« für ba« menschlich 8ieben«roürbige befonber« fdjäßen. SBorjüglicb 
gelungen erfcheinen bie „©ilberer in einer Sennhütte" unb ba« in Üobmepr’fchen SBefm 
gelangte „3ur E’funbheit". XBenige Silber hüben be« 9ftaler« Aamen fo befannt 
gemacht roie ber oon ber ^Berliner 9tationalgalerie erroorbene „Salontiroler", beffen 
Erunbftimmung auch in ben „Sftalem auf ber Alm" ober in ber oon itobroig Urban 
in s Iöien erroorbenen „geftörten 'IRittag«raft" nachllingt. Aber nur in jenen Silbern, 
roelche bie 9Mer unter ben '-Bauern behanbeln, fchlägt bie oolle Seben«unmittelbarfeit 
burch : fte geht Einzelheiten be« „Salontiroler«", an benen ba« Eefuchte be« geteilten 


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Wiener Munftlebeu (frei b ft 11)01.) 


365 


Vilbe« offcnfid^tlic^ ift, unleugbar ab unb roirb auch an anberen ©tücfen oermifet. 
2Bieber ein Veroei«, baf« nicht alle«, roa« non ber 2öeHe be« ©rfolge« getragen roirb, 
uoHfommen einroanbfrei ju fein braucht! Unb fo brachte bie Defregger-Nu«ftellung 
ba« eine ©ute, baf« man ben Vteifter in feinen Vorjügen unb in feinen ©dpoächen, 
,ut roeldjen mehr al« einmal auch bie $arbe regnet, oerftehen unb bie einen an ben 
anberen oielleicht noch ^ö^er fteüen lernte. ©eit ber Nembranbt=Nu«fteHung in 
Nmfterbam unb ber ©rana<h s Nu«ftellung in Dre«ben habe ich tone anbere ©onber- 
au«ftellung ber VJerfe eine« Vkler« gefehen, bie mich fo feffelte unb belehrte roie 
bie Defregger*Nu«ftellung im Münftlerhaufe. 

3hr gefeilte ftd) eine recht fchöne unb Nbroech«lung bietenbe Nu«ftellung 
beimifcher Münftler bei; für bie ©ruppierung ber Vkrfe ©injelner, auf melcbe ein 
geroiffer Nachbruct gelegt roerben follte, roählte man bie fcbon früher unb anbet- 
märte» fo oft burcbgefübrte ©djeibung ber SJleifter im Nahmen be« ©anjen, melcbe 
eine mehr gefcbloffene Vorführung ber ©djöpfungen be« ©inselnen ermöglicht unb 
feine Miinftlerperfönlichtot roirffamer heroortreten läf«t. 9Jht folgen, theilroeife recht 
umfangreichen ©ollectionen Ratten ftch £mgo Darnaut, Öubroig Mod), Marl Vippichr 
Johann Nep. ©eller unb 3ehubo ©pftein eingefunben. $aft bei allen hätte eine 
Vefcbränfung ber Vilberjahl bie ÜJtöglichfeit eine« größeren, ba« Vkfen tiefer erfaffenben 
©enuffe« gefchaffen, märe ba« Weniger ber Darbietungen ein Vkhr be« Verftänbniffe« 
geroorben, ba« hoch nicht in erfter Sinie 3toj$ unb eine geroiffe bemegliche Viel* 
fettigfeit, fonbem oor allem auf ©runb be« mirflich ©harafteriftifchen bie felbftänbige 
Nrt einjelner Münftler fennen lernen foll. Vtenn Darnaut mit 83 Arbeiten auf ben 
IMan tritt, hat er geroif« in jeber etroa« Nnfprechenbe« au fugen; aber nicht alle«, 
roa« er fagt, bringt un« auch Neue« über ben Münftler, ben man fchon au« einem 
Viertel ber obigen 3ahl oollauf fchä&en unb lieben fann. 3Ba« miffen un« jum 
Veifpiel fein „Vaumftrunf", „VSalbfriebe", „VJilber Mümmel", „©onniger Nach¬ 
mittag", „Nm $ekh", „T^rtebhof in Muttenberg", feine „Virfen am Vache" unb 
„Vtafferrofen", „Virfenallee" unb ber prächtige „©<hlof«grabcn", bie feine ©tubie 
ber „©tubenthorbrüefe" au fagen! ©« reicht für eine Darnaut ©harafteriftif mit 
bem 3ufat*e au«, baf« ber Münftler, ber in unmittelbarer Fühlung mit ben UBorp«- 
mebern fich roeiterAubilben fuchte, eine Ungleichung ber öfterreichifchen Sanbfchaft«- 
malerei an biefe norbbeutfehe ©ruppe mit ihrer Ntaffenglieberung, mit ihren in 
breiten, fräftigen ©trichen herau«gearbeiteten Sicht- unb ftarbengegenfäfcen anftrebt, 
in benen oft teijooüe, gerabe oon ben öfterreichifchen Sanbfdjaftern ftet« gefchmacfooü 
herau«geholte Detail« untergehen. Darnaut bleibt auch barin er felbft unb gibt fogar 
bort, roo er etrca« roorp«mebert, feine un« lieb geroorbene ^Irt nicht prei«. hie 
Wiener ©tabt unb an anbere Orte unfere« meiteren Vaterlanbe« führen un« manche 
ber 59 Arbeiten Marl ber mit i<harfem Vlicfe charafteriftifche Vebuten 

herau«finbet unb in ihnen — abgefehen oon ber feinen fünftlerifchen Vehanblung — 
ein für fpätere 3*iten hoppelt roertoolle« Ntaterial auffpeichert; ba«felbe roirb erft 
recht A«r ©eltung fommen, roenn bie ©egenroart noch griinblicher mit bem auf¬ 
geräumt hüben roirb, roa« VippW^ Vinfel intereffiert. NI« oortrefflicher ©chilberer 
be« Wiener Volf«leben« erroei«t fich ber mit 56 äöerfen oertretene $oh. Nep. ©eller; 
ihm fommt e« roeniger auf ba« $>erau«arbeiten ber Dppen al« auf bie malerifche 
VMrfung be« ©efammtbilbe« an, ba« er felbft bei bem ab unb ju unoerfennbar 
berben 3 u greifen nicht ohne Nnmuth behanbelt. ©ine SNenge prächtiger Sanbfchaft«- 
motioe unferer freimat finbet in ihm einen liebeoollen unb berebten Interpreten 


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366 


3ofepb [Reutoirtb. 


ber überall eoloriftifeber (^efc^Ioffcn^ett mit ©efe^ief unb (Erfolg juftrebt. Die (Sollectio 
auSftellung non Subroig $ocb mit 77 dummem interefperte befonberS bie militärifeben 
Greife unb erfreute ficb auch toegen ber ©ilbniffe ber ©rj^erjoge Rainer, 3rran$ 
^rerbinanb, Otto, Jerbinanb &arl, $ran$ ©aloator unb fceinridj fterbinanb eingebenber 
Beachtung non ©eiten ©r. ÜRajeftät beS ft'aiferß unb beS £>ofeS. ©efonberen ©eifall fanben 
„DaS 5. Dragoner^Reghnent [RifolauS I., $aifer non [RufSlanb, unter Oberft ©raf 
5luerSperg in ber ©cblacbt bei Seippg" (im ©ep$e beS [Regimentes felbft) unb baS 
[Reiterbilbniß beS ©rinjen 5llbrecbt ju ©Naumburg Sippe. 5lber manches ftreifte 
immerhin fnapp an bem ©egriffe ber ©cbablonenroare norbei. Über ifjn erhob pcb 
roefentlicb ber unter fiiblänbifcber ©onne in feiner ftünftlerfcbaft ungpmein oor* 
gefdjrittene ^e^ubo ©ppetn, für beffen 65 Arbeiten ber befebränfte [Raum feine 
giinftige 5luSftellungSgelegenbeit bot. Durch baß drängen ber Söerfe aneinanber 
rourbe bie [Ruhe ber ©etradjtung ftarf beeinträchtigt, bie man gerabe angepcbtS ber 
Darbietungen eines jungen, erft $ur oollen ©ntmitflung anfefcenben ÄünftlerS hoppelt 
gern feftbält, befonberS roenn pd) in ihnen fo offenfunbig ein febr beachten#* unb 
förberungSmerteS Talent regt, mie bieS bi« ber $aU mar. ©pftein oerfügt über eine 
ganj eminente gfarbenbegabung, bie felbft ©ilbniffe faft nur bureb bie ftarbroerte $u 
<barafterifteren nerftebt, aber in ftrengerer ©elbftjucbt pcb noch läutern mufS, um 
auch fünftlerifcb nomebme STOirfung $u erreichen; beute ftöpt noch manches bureb eine 
faft entfeplicbe [Roheit ab, bie ficb geroifS milbem roirb, ohne in [übliche ©eledtbeit 
*u nerfallen. Danor roirb ©pftein fein guter ©efdpnad beroabren, ben bie feine 
5luSroabI fo manchen ORotioeS befunbet unb bie garbenfreube beS ©übenS auf erfolg 
reiche 2öege geleitet ^at. ©pftein tft, roie einige Hummern befonberS erfennen laffen, 
zugleich ein correcter 3eidjner unb erfreut ficb bamit eines ©orjugeS, beffen pcb nicht 
all’ feine ^unftgenoffen rühmen fönnen, fo febr pe eS eigentlich foüten. 5lber auch 
hier tbut noch ©eroollfommnung notb, um fpäter in ber ©ereinigung guter 3«<bnunp 
unb Farbengebung ju bebeutenben ©cböpfungen emporjufteigen. 51 iS oerbeipungSooÜeß 
©orftabium baju burfte man bie in ben auSgefteUten Arbeiten pcbtlicb geroaebfene 
SeiftungSfäbigfeit ©pftein’S nur mit Freuben begrüben. 

fRäcbft biefen ©onbercollectionen, roelcbe bie frerbftauSftellung beS Äünftler 
baufeS über manche ihrer unmittelbaren ©orgängerinnen hoben, feffelte noch mandjeß 
5®erf anberer, in biefen [Räumen fd)on roieberbolt nertretenen Zünftler. 3 n noch 
frifebem ©ebenfen ift bie macbtooUe Seiftung non ©ggerSienj, beffen „Iperbftfonne" 
foroobl in ber reijenben 5lnorbnung, als auch in ber 5Beicbbeit ber reichen färben 
eines ber beften ©ilber ber ganjen 5luSftellung roar. geine ©timmung beberrfebt 
nicht minber baS ©krf „3m ftloftergarten". ÜRit einer roirtticb an Seibl gemabnenben 
5®abrbaftigfeit bringt 51. §. ©ebram ein 3ögerbilbniS, baS mehr befriebigt als „baS 
©olfSbab in [Rimini" in feiner gefuchten F ar &enfpielerei. ©laftifd) geftaltenbe Straft 
fpracb aus einem niel beachteten ©orträt non ©aul 3°onoroitS, bie febon fo niele 
Jreunbe jäblenbe SiebenSroürbigfeit ber ©aturfdplberung ©cbaeffer’S auS jroei ©enjinger 
5Rotioen. 3m ©ilbniffe entroidelte §anS Remple bie bereits früher an ihm mehrmals 
beobachtete Fettheit freier, mit breitem ©infelftricbe arbeitenber ©ebanblung, beren 
Knappheit baS nolle ©rfaffen ber ©erfönlicbfeit nicht nerfagt ift. Daoib ftobn hält 
in jroei prächtigen [Rotbftiftjeicbnungen bie 3«ge beS UnterricbtSminifterS Dr. äöilb. 
[R. n. Partei unb beS funftpnnigen ©rafen §)anS 2öilcjef feft. 5ln Domec unb bem 
©rager 5lnton £>ubeöef bemerft man !aum roefentliehe fReubeiten ber 5luffaffung 
unb ©ebanblung. ©leicbfaUS mehr in ben ©eleifen beS an ihnen febon roieberbolt 


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SBiener ftunftleben (§erbft 1901). 


367 


beobachteten bemegen ftch Julius oon BlaaS, fttibarj, SÜtfcheiner, 3^*4^ Joamja, 
BSichera u. a. ÄopaüifS „Äirche Blaria am Geftabe", Boroat’S „ftlofterruine", bte 
Bilber oon 3°f- $in§el, bie flanbrifchen ÜJtotipe 3fcanl’S, befonberS „Brügge", 
Giefel’S ^«Sc^ncpfenjagb^ fanben oiel Beifall, ber auch einem SJlarmorporträt non 
3umbufch unb bem ftimmungSoollen Btormorrelief „Gcho" non Xheobor Gharlemont 
nicht oorentbalten mürbe, ©onft bot bieblaftif nichts befonberS GrmähnenSmerteS. 3ftn 
allgemeinen erregte bie nahezu auSfchlie&Uch SBerfe ber Cfterreicher umfaffenbe frerbft 
auSftellung beS MnftlerhaufeS ein ftärfereS ^ntereffe als jene ber Seceffion mit ben 
eyotifchen tfederbiffen, bei beren Blehrjahl bie AnjiehungSfraft nicht in ber Gröfje 
ber Äunftleiftung, fonbem mehr in ber Seltenheit ihres GrfcheinenS auf bem Söiener 
Boben lag. 

5öah ren b ber^erbftmonate lentten AuSfteUungSoorbereitungen bie Aufmerff amfeit 
beS tunftfreunblichen *ßublicumS auf ben SBiener Münftlerbunb „fragen", ber gleich 
ber Seceffion fleh non ber ihn ebebem umfchliefcenben ßünftlergenoffenfchaft loSfagte 
unb als felbftänbige bereinigung neben beiben ftch entfalten miß. ^n bie Beriobe 
biefer berichterftattung fielen bie AbaptierungSarbeiten in ber ftäbtifchen Btorfthafle 
in ber 3*bUfegaffe, bie jum drittel pachtroeife bem fragenbunb für feine AuSfteUungen 
iiberlaffen mürbe. $)aS btogramm berfeiben umfafSt für bie GröffnungSauSfteUungen 
auSfchliefelich bkrfe öfterreic^ifeher Zünftler, beren erfte Abteilung Söerfe bilbmä&igev 
BMrfung unb grofje $lafti! bringen foll, roährenb ber jmeiten Söerfe gräphifchen 
unb iüuftratinen GharafterS, Ardjiteftur, ftunftgemerbe unb ßleinplaftü jugeroiefen 
mürben. AIS eigentliche 3rrühiah r &iuSftelIung ift „£)ie ftunft im lieben beS ftinbeS" 
in AuSftcht genommen, ber namentlich feit bem $reSbener ftunfterjiehungStage eine 
geroiffe Actualität nicht abgefprochen merben fann. AIfo eine anerfennenSroerte Ab 
roechSlung neuer Anregungen, oon ber mir im 3ufammenfchlie6en mit ben oon 
anberen ©eiten auSgehenben eine erfreuliche Befruchtung unfereS ÄunftlebenS erroarten 
mollen! Bielleicht bringt unS ber SBetteifer ber Getrennten rafdjer einen neuen Auf 
fdpoung als baS ruhige 9tebeneinanberfchaffen ber ehebem Bereinten, bem bis ju einem 
geroiffen Grabe eine Stagnation nicht abgefprochen merben fonnte. 

'Sie [Räume beS l f. öfterreichif4en BtufeumS für ftunft unb 
^nbuftrie öffneten fich junächft einer intereffanten AuSfte11ung oon Arbeiten 
ber Ceprfräfte funftgemerblicher tfehran ft alten. GS mar ein überaus 
glüctücher unb fofort mit böchft erfreulichem Grfolge in bie Xh at umgefefcter Gebanle 
ber UnterrichtSoerroaltung, ben fiehrern an funftgemerblicheu Schulen bie neuen 
s JJtethoben im 3eich«en unb Btobeüieren burch befonbere ^eriencurfe, für beren 
Abhaltung $öien, Btag unb Sa 1$ bürg gemählt mürben, ju erfchlie&en unb 
oertrauter ju machen. Unter ber Seitung ber Btofefforen Straffer, Voller, AmbruS, 
Breitner, [Roroaf, ftefjler, Hammel unb ÜReU mürbe oon ben Xheilnehmem biefer 
(Surfe, beren 3<*hl faft 70 erreichte, im allgemeinen oiel Gutes geleiftet. Aidjt nur 
baS 3^lc^nen r üRalen unb Btobellieren nach Baturformen, fonbem auch baS Stilifteren 
oon Bftanjen^ unb ^hircformen mit Beziehung auf bie $)ecoration oerfchiebenartiger 
GebrauchSgegenftänbe foroie Anfertigung perfpectioifcher Aquarellfftjjen für 3>ar 
ftellung funftgemerblicher Objecte bilbeten baS Programm biefer Gurfe, roelcheS mit 
[Recht auch auf bie Unterroeifung in ber Bh°l°9 ra Phie unb im Gebrauche beS 
SfioptifonS Bebaut nahm. 3)ie auSgeftellten Arbeiten bezeugten eine jielbemufSte, 
unftreitig fehr anregenbe ifchrmethobe, bie burch bie nur höchft münfchenSroerte 3rort= 
fe&ung ber fo glücflich begonnenen Gurfe gemifS fchon in abfehbarer 3^il baS bei 


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368 


Fofeph Dteumirtb- 


uns erfreulicbft auSgeftaltete Facbfcbulwefen nur noch mehr heben wirb. ÜJtan barr 
cs mit grofecr (Denugthuung oerjeiebnen, bafS unfer tunftgeroerblicber Unterricht 
auf ber frühe ber 3^it ftch bewegt, ihre Anforberungen oerftebt unb überall bie fad) 
gemä&e Verwirflicbung berfelben feft ins Auge fafst; bie tfeiftungen ber Feriencurje 
ftnb ein neuer VemeiS biefer X^atfacbe. 

ViS (Enbe December beherbergte ber Saal VII beS öfterreiebifc^en ÜJtufeum* 
eine neue Abteilung ber Xertilfammlung, bie namentlich mittelalterliche 
(Dewebe, Stidereien unb Vofamenterien — barunter prächtige (Dolbbrocate beS 13. 
unb 14., fowie tireblicbe Stidereien bes 15. Fahrb^nberts — umfaßte. 

'Jim 23. Wooember erfolgte in Gegenwart beS UnterricbtSminifterS Dr. o. frartcl 
unb eines zahlreichen biftinguierten Vublicums bie Eröffnung ber Weihnachts 
auSftellung beS öfterreichifchen 'JJtufeumS, bie roieber einen fehr 
befriebigenben Überblict über heroorragenbe tfeiftungen unferes StunftgemerbeS per 
mittelte. Ab unb ju tourbe mobl ein oon anberen Veranstaltungen in giinftiger 
(Erinnerung gebliebener AuSftellungStbeilnebmer permifSt; aber baS (Danze mar trotz 
bem reich unb wirfte iibermiegenb pornehm. Dafs auch bie „bütorifeben Stile" babei 
zum VJorte fornmen burften unb in bem pon F* C. Scbmibt thatfäcblicb ganz portrefflicb 
auSgeftalteten grofeen Varodprunffaale fogar recht anfpruchSpoll auftraten, hat meber 
ber Ausstellung noch bem publicum offenfunbig gefchabet, fo wenig es auch ben 
Anfcbauungen ber Viobemften entfprechen mochte. Aber bie letzteren finb ja immerhin 
noch nicht allein tnafegebenb unb werben gemifs noch eine 3eitlang ein folches 3urüd 
greifen auf bas nadj ihrer Anficbt Überwunbene über fid) ergehen laffen müffen. 
Die auSgeftellten FnterieurS, auf beren gefcbmadooUe (Einorbnung in bas Aus* 
ftellungSganje baS öfterreiebifebe Vtufeum trabitionell hohen JBert legt, waren burdv 
wegS anjichenb, theilweife böcbft ftimmungSooll, behaglich unb anheimelnb; bie 
befannteften firmen, wie Sigrn. Farap, VortoiS unb Fi?, 3ul. unb 3of. frerrmann, 
VoSpifcbil, haben (Debanfen pon Varon Straus, frolzinger, Vrutfdjer ihren Aus 
führungen jugrunbe gelegt. (Einer neuen Formenfpracbe ftrebten bie Vugboljmöbel 
pon 3- unb 3- &o&n z u - Auf bie Vtöbelanfertigung übten (Entwürfe auS bem 
Atelier beS VlufeumS ( s ^3rofeffov Hammel) einen fehr günstigen (EinflufS aus; berfelbe 
Qnbuftriezweig hat auch Vrofeffor Fofeph froffntann fruchtbare Anregungen ju banfen, 
welche mit englifcher AuSbrudsweife fehr gliidlich einen Wiener (Drunbton ju perbinben 
wiffen. Vorzügliches boten Textil unb (DlaSinbuftrie. (Dinzfep arbeitet nach (Entwürfen 
oon franS (Ehriftianfen, fraas nach folchen pon Ctto (Edmann. Olbrich mäfeigt ftch in 
ber Farbengebung gro&gezeicbneter Teppiche, prächtige Harmonie pon Cinie unb 
Farbe erzielen Vorhang* unb Vtöbelftoffe nach Vtofer, Venirfchfe u. a. ßobmepr 
war wie immer mit (Eigenartigem pon hoher Vollenbung pertreten, bie in ber zarteften 
Feinheit ber (Drapierungen iiberrafchte. Originelle unb gefchntadpolle Formen nach 
(Entwürfen Stolo Vtofer’s unb feiner Schule feffelten bei ben pon VafalowitS aus« 
geteilten Objecten. ÜJtit Tiffanp*(Erjeugniffen wetteifert Dritter pon Spaun, in manchem 
bereits fernem amerifanifeben Vorbilbe überlegen unb bie wunberfamften Farben* 
mirfungen pon pifanteftem Dfaize erzielenb. ber Vorzellanabtbeilung erregte nächst 
(Ernft Vktblife, beffen in Scharffeuer (Emailtechni! becorierte Vafen wie ebelfteinbefefct 
ftch auSnahmen unb bie prächtigen (Eofinftüde faft in Schatten ftellten, befonbeve 
Aufmerffamteit bie Wiener Firma Fofepb Wd mit einem flott becorierten, pon 
Vrofeffor Hammel entworfenen Tafelferoice unb mit bem burch praftifebe Form auf 
fallenben Siaffeeferoice ber 9flofer Schülerin 3utta Sida. (Depling’s (Erben gaben in 


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Wiener ftunftleben (§erbft 1901). 


369 


bcn (Glasmalereien einzelner Interieurs fe^r fc^öne groben unoerminberter SeiftungS* 
fähigfeit. £)ie ftunft=Erjgiefeerei Slrupp liefe in oortreffli^en Bronzen, Bafen, ©tatuetten, 
BeleuchtungSförpern u. bgl. ihr ©treben nach inniger 3$htong ih*** Seiftungen 
mit ber ftunftberoegung ber (Gegenroart recht glüdlich jur (Geltung fommen. §ugo 
Munf, foroie Xtytj&c unb foarbtmuth banfte man bie (Gelegenheit jur Beurteilung, 
mit roelch’ feinem (Gefchmad unb mit roelch’ fünftlerifcher Bollenbung bie öfterreici^ifc^e 
BctpterauSftattung heute arbeitet. Unter ben Quroelierarbeiten, bie immer noch aus* 
gefprochene 2lbhängigfeit oon franjöfifchen Einflüffen oerrathen, oerbienten einzelne 
©tüde ber Auslagen ^auptmann, §offftätter, 9tojet unb jfifchmeifter nähere Betrachtung; 
namentlich bie lefcteren laffen fich auch bie Böeiterentroidlung ber mobernen Xechnif 
überaus angelegen fein. (Georg ft'limt, ein Bruber beS ÜWalerö, unb MfolauS ©tabler 
beherrfchen meifterhaft bie Xreib= unb Otelieffunft ber Metallbearbeitung, felbft ber 
Materialabtönung jarte 2öirfungen abgercinnenb. ©o oerbiente roohl noch manches 
Ermahnung, roenn nicht bie SRaumberüdftchtigung gröfeere Befchränfung geböte. X)er 
(Gefammteinbrud ber 9luSfteUung burfte mit stecht befriebigen; fte geigte in Bielem 
erfreuliche Jfortfchritte. 

Xurch baS Entgegcnfommen beS öfterreichifchen MufeumS, baS fchon mancher 
BrooinjialauSftellung roerfthätig $ur ©eite geftanben, mürbe eine BuSftellung für 
ntobemeS ftunftgeroerbe in ©aljbnrg mefentlich geförbert, roelche ber Belebung beS 
bortigen ÄunftgerocrbeS juftatten fommen follte; auf biefe SBeife beroahrt baS Wiener 
^nftitut gebeihlühe Fühlung mit ben Bestrebungen ber Brooinjen. 

Xie Jubiläum3 = Möbelauöftellung bot ben SBMener firmen gleichfalls 
(Gelegenheit, mit gcfchmacfooüen Erjeugniffen, bie theilroeife ganj mobernen 2ln* 
fchauungen h«lbigten, oor bie Öffentlichfeit ju treten. 2öie fehr manches ben Befuchern 
jufagte, beroieS ber gerabe in biefer BuSfteUung erhielte namhafte Berfauf. Xiefe 
Xhatfache fteht in ganj offenfunbiger Böechfelbejiehung mit bern Einleben moberner 
formen im BHeiter ftunftgeroerbe, baS fo recht in ber BßeihnachtSauSftellung 
beS äöiener ftunftgeroerbeoereineS jutage trat. $n berfelben reichten bie 
alten ©tile burch eine (Gruppe oon ÜbergangSroerfen bereits ber mit juoerftchtlifhem 
Bkigemutbe auftretenben Mobeme, bie überall ihre X)afeinSberechtigung erroeifen 
roill, bie §anb. Gteben ben prächtigen Erseugniffen ber frofjuroeliere B. Maper’S 
©ohne, ber £>of=MetaUroarenfabrif Mori$ Jpader, ber §of*Bron$eroarenfabrifanteu 
X^iebiinSfi unb Jpanufd), beS ©ilberroarenfabrifanten May ©chroarj, beS Bor§eUan* 
roarenhaufeS Ernft 2öahlife rcaren BafaloroitS mit reijenben (Glasarbeiten nach Mofer’S 
Entroürfen, bie feramifchen Bterfe „Bmphora" (Gtiefener, ©teUmacher unb Äeffel) in 
Xum*Xeplifc mit Jfaqencen in mobernen ©charffeuerbecoren unb ber £>of*ipafner 
Bemharb Embt mit einem Ofen im ©tile Subroig XIV., ber einem im ©tifte $loftev 
neuburg ähnlich ift, fehr gut oertreten. daneben forberte in ber ©onbergruppe 
„Wiener Äunft im £>aufe" bie Qugenb gleiche Beachtung. Mehrere ©chüler unb 
©chülerinnen ber Brofefforen ^offmann unb Mofer höben h^ r btei gemeinfchaftlid) 
gearbeitete Interieurs jur BuSftellung gebracht unb laffen in benfelben eine erfreuliche 
Bbflärung beS 3rormenftnneS, Bereinigung oon (Gelegenheit unb Einfachheit mit 
Eleganj unb Bomehmheit erfennen. JpanS Boümar, ftarl ©umetSberger, Sßilhelnt 
©chmibt unb Mefener fanben in ben Xamen Eifa Unger, Xretyan, ©ida unb 
Baroneffe 5falfe gleichftrebenbe Beninerinnen; ihre (Gefammtleiftung erhielte bereits 
einen recht befriebigenben Einbrud. Buch bie 2öeibttö<htSauSftellung 
bosnifch h^^JCfloroinif<hen §auS* unb ftunftgeroerbebureauS lodte 

$if Shiltur. III. 3af>rß. 5. Jpfft. (1908.) 24 


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370 


3ofeph Gteumirth- 


mit einer reichen Anzahl tünftlerifc^ auSgeführter Neuheiten in (Gebrauchs* unb 
SuyuSgegenftänben, unter benen getriebene unb grauierte 9JtetaUarbeiten, reich in 
©über unb ®olb taufchierte unb incruftierte Stahl*, Bronze* unb &oljgegenftänbc 
foroie ©ticfereien unb Xeppidje heruorragten. $n ber BBeihnachtSzeit traten ber 
Albrecht*Dürer*Berein, bie Bereinigung öfterreichifcher bübenber 
Zünftler unb Äünftlerinnen, melche eine Collection pon $franz Alt als nach- 
trägliche ©hnutg anläßlich beS 80. (Geburtstages brachte, unb ber erft ein ^ahr 
beftehenbe SBiener $ünftlerbunb mit recht gut befugten Ausfüllungen por bas 
publicum; befonbere 3^gftücfe gab eS in feiner berfelben. 

Die Söiener ÄunftfalonS ftrebten gleichzeitig bamach, anjiehenbe Ab* 
roechSlung zu bieten, bie freilich nicht immer erreicht mürbe. Bei Btiethfe ftedte 
3rau Clementine p. Sßagner eine Anzahl non gut gemalten Bilbniffen auS, benen 
aber zumeift baS ©inbringen in bie Seele beS Dargeftellten abgeht, obzmar eS nicht 
an feinen Cinzelzügen fehlt. Die ©onberauSfteüung ber tfchedjifchen Btaler 3flaj: 
«ewabinSfh unb Anton ©lapißef — gleichfalls bei OJtiethfe — bot nach bem, mas 
man h^ cror ^ bereits pon beiben fannte, eigentlich nicht piel GteueS für bie 
Charafterifterung ihrer Arbeitsgebiete; immerhin intereffierte &pabinSfi) nicht blofc 
burch bie Berfönlichfeiten feiner BorträtS (Sieger, bie dichter 9>ar. Brchlkfh, 3>ul. 
Qeper, ©matopluf Cech, &ugo ©aluS, ^3rofeffor (Goll), fonbem auch burch bie ebenfo 
lebenbige raie intime DarfteUungSmeife. ^Die öfterreichifchen ©taatSerroerbungen auf 
ber Barifer SöeltauSftellung maren im ©alon iöfo ber Berichtigung zugänglich- 
Unter ihnen maren nahezu 30 japanische (Gemälbe, gegen ©chiilerarbeiten beS 
technologifchen QnftituteS eingetaufcht, befonberer Beachtung roert, ba fie bereits einen 
BkmblungSprocefS in ber japanischen Oflalerei erfennen laffen. Die SHeprobuctionen 
non 40 Bauzeichnungen SRenouarb’S mürben pom BanbelSminifter ber fcofbibliothef, 
bie franzöfifchen Blufate unb SJtenufarten bem öfterreichifchen SJtufeum für $unft 
unb 3>nbuftrie zugeroiefen. Die zahlreichen Anläufe ber lefcteren, fran*öfifche, englifche 
unb ffanbinaoifche Cbjecte, fönnen als befriebigenb bezeichnet roerben, obzmar pereinzelt 
auch rounberltche ©tiiefe bazmifchenlaufen. Die faft 7000 erreichenbe Befucherzahl 
fpricht am flarften für baS biefer AuSfteUung entgegengebrachte ^ntereffe. 

©alon BtSfo, ber barauf eine (Gruppe ber Münchener ©eceffion porführte, pereinigte 
ber SBiener 9JtaIer öubmig BanS fjifcher 58 SBerfe feiner ipanb, huuptfächlich Btotipe 
auS 2Bien, Dalmatien, (Griechenland Italien, Agppten unb ^nbien; baS Cberft 
fämmereramt im Aufträge beS $aiferS unb baS UnterrichtSminifterium fanben ftch 
auch unter ben zahlreichen Käufern biefer AuSftellungSobjecte. Bei §irf<hler, Gteu 
mann ober im ©alon Benezia gab eS nichts befonberS CrmähnenSmerteS. 

3mei Aufteilungen hiengen mit Jubiläen zufammen. Anläßlich beS 50. (Grün* 
bungSgebenftageS ber © ch o 11 e n f e I b e r 9t e a I f ch u l e, ber am 9. Gtopember feftlich 
begangen mürbe, peranftaltete man eine fünftlergefchichtlicb intereffante 3 u b i l ä u m S* 
AuSfteUung uon Sattlerarbeiten, unter melchen Tilgner, Benf, BBepr, Berat, 
Schmuser unb anbere befannte tarnen mit hübfehen ©tücfen pertreten maren. Bon 
größerer Bebeutung mar bie AuSfteUung, rcelche am 4. 91opember bei ber 
freier beS 40jährigen BeftanbeS ber photographifchen (Gefellfchaft 
in ben Räumen ber !. f. graphischen Sehr- unb BerfuchSanftalt eröffnet mürbe. 
Sie mollte ben fo augenfälligen (Gegenfafc ber unbeholfenen Anfänge ber Bh°f°graphie 
unb ber fo überaus ho^henben Stiftungen ber (Gegenroart roeiteren Greifen zum 
BemufStfein bringen, (Gerabe auf bie Bflege biefeS $unftzroeigeS barf Öfterreich 


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SBtener ftunftleben ($>erbft 1901.) 


371 


BefonberS ftolj fein. $ie eben ermähnte grapbifcbe Sehr- unb SOerfucbSanftalt unb ihr 
zielberoufSter Öeitcr Lofratb $r. Eber, zugleich ^räfibent ber pbotograpbifcben ©efeüfcbaft, 
erfreuen ficb in ganz Europa beS gröfetcn, rooblperbienten 91nfebenS unb behaupten 
in gragen ber perpielfältigenben ftunft eine fübrenbe Stellung. 3)arum ftanb bie 
gubiläumS=9luSfteHung ber pbotograpbifcben ©efeüfcbaft bei biefen beiben in $u- 
ftänbigfter Patronanz. Unter ben faft bie 3abl *>on 700 erreicbenben ^luöftellung^- 
nummern, an melden man bie aümäblicbe Entroicflung ber Photographie oortrefflicb 
ftubieren fonnte, erregten auch bie Eoüectionen einzelner Amateure befonbere 9Iuf; 
merffamfeit, fo j. 53. jene beS SanbeSratbeS $)r. ftofterfifc, beS $)r. guliuS Lofmann, 
IBbüipP^ 9t. n. Scböüer. 2)eS Erfreulichen unb Sebrreicben, beS ju fünftlerifcben 
^Inforberungen unb Seiftungen gortfcbreitenben gab eS ba gar manches ju feben. 

53ei ben 5luSftellungen ftanben, foroeit eS fich nicht um hmftgeroerblicbe Objecte 
banbeite, bie 5Berfe ber Malerei in erfter 9teibe; bie Plaftif mar im allgemeinen 
fcbroacb pertreten. $)ocb ift auch abgefeben non ben 51uSfteüungSobjecten für fte 
manch' 53eacbtenSroerteS zn perzeicbnen. 53or bem Pariamen tSgebäube mürben bie 
9toffebänbiger pon g. Say aufgefteüt, recht lebenbig in ber 53eroegung. 51uf bie 
©rabbenfmalSplaftif mürbe bie allgemeine 51ufmerffamfeit in erhöhtem ©rabe bin 
gelenft burcb bie 5luSfteüung beS non LaffelrieS auSgefübrten 3)enfmaIeS in ber 
9totunbe, baS als Sdjmucf für baS ©rab Leinc’S auf bem griebbofe pon Montmartre 
in Paris beftimmt mar. 2>em dichter föarl Maria Leibt mürbe auf bem ^eiligen 
ftäbter griebbofe nach bem Entrourfe beS 5lrcbiteften gabtani ein $)enfmal errichtet, 
beffen plaftifcben Scbmucf 51lpbonS Eanciani gearbeitet bat; bie an ben ObeliSfen 
gelehnte roeiblicbe ©eftalt, roie in Erinnerung oerfunfen, ift fein empfunben, baS 
9teliefbilbniS beS 53erftorbenen roobl gelungen, gaft gleichzeitig, am 24. October, 
mürbe auf bem Eentralfriebbofe baS oon gobann 53enfS Meifterhanb ftammenbe 
©rabtnal für gobann Strauß entbüüt, baS in Saafer Marmor jur ftattlichen Löhe 
pon 4 Meter anfteigt unb in ber 9teibe ber Ehrengräber eine beadjtenSmerte Stellung 
behaupten rntrb; bie ©eftalt beS $)onauroeibcbenS unb bie prächtige fönbergruppe im 
^Baljertempo, ein an fich etroaS frembartiger ©rabfcbmucf, finben burch bie Perfönlicbleit 
beS ju 53ereroigenben, beffen 53ilbniSmebaillon auS ber gelSmanb berauSgearbeitet ift, 
ihre Erflärung. gür baS 51njengruber^enfmal bat ber 53ilbbauer LanS Scherpe baS 
LilfSmobeü bereite pollenbet, baS ju ben giißen beS überlebensgroßen Richters ben 
pon ber Arbeit auSrubenben Steinflopfer*LanS zeigt, gm Eottageparfe in Liefcing 
mürbe Anfangs October baS lienfmal beS greiberrn 5lleyanber p. Lügel enthüllt, 
meines ber Lie&inger herein ber ©ärtner unb ©artenfreunbe bem berühmten SBiener 
görberer ber ©artenbautunft roibmetc. Mit ber gleichfalls aus Saafer Marmor 
hergefteHten überlebensgroßen 53üfte hat gobanneS 53enf, ber ben geiftreichen Männer* 
fopf trefflich cbarafterifierte, ein 5Bien roirflich zn^ 3icrbe gereichenbeS 2öerf pollenbet. 
gür bie EbriftuSfirche ber großbritanifcben 53otfchaft in 2öien führte ber £>eHmer 
Schüler 51nton 9t. §anaf na^ einem 53ilbniffe pon 51ngeli ein lebensgroßes Dtelief 
bruftbilb ber Königin Victoria in Earraramarmor aus. Eine lebhafte 5)iScuffion 
regte bie Umfehrung beS 53eetbopen=MonumenteS an, bie burch bie 91uSgeftaltung 
ber Sothringerftraße bebingt erfcheint, ba eS immerhin etroaS für ftch bat, ein 
$)entmal lieber ©artenanlagen als einer Läuferreihe zuzuroenben. Natürlich mufSte 
bem entfprecbenb auch ber ganze Socfelfcbmucf mit feinen gnf^riften biefe 5ßenbung 
mitmachen. ^)ie EJefammtroirfung ber neuen Slnorbnung roirb fich jebocb erft beur- 
theilen laffen, bis bie neue Einlage tbatfächlich ein Nahmen ber DenfmalSauffteUung 

24* 


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372 


3ofepb 9Jeuroirtb. 


geroorben ift. 3m erften Stabium befinben ftcb bie Vorbereitungen für bie in allen 
VeoölferungSfreifen aufs fpmpatbifcbefte begrüßte ©rriebtung eines $laiferin-©lifabetb 
DenfmalS in s Iöien, für beffen 9Iufftellung eine oom „9teuen Wiener $agblatt" ein 
geleitete Umfrage bei oerfebiebenen boebftebenben unb funftintereffierten ^ßerfönlic^feiten 
bie 3öa^l beS VolfSgartenS als am meiften entfprecbenb bejeiebnen burfte. $od) 
roirb roobl noch einige 3eit pergeben, ehe bie ©ntfdjeibung über bie Vlctfcftage für 
bied 5)enfmal roirflicb auf ber $ageSorbnung ftebt. 3n ber Unioerfität mürben bic 
'Senfmäler für Sotbeißen, Veßpal unb Doppler enthüllt. $)as marmorne ^Relief- 
bilbniS Sotbeißen’S arbeitete §anS Vitterücb febr anfpredjenb. $aS V^ualrelief oon 
Vrenef roibmete bie pbotograpbifcbe ©efeüfcbaft anläßlich ib*es 3 u &üüumS, bie 
3)opplerbüfte pon ©eorg Seifet bas UnterriebtSminifterium. bie 3nn)d}enräume 
jroifeben ben ©rbgefcbofSfenftero ber neuen Hofburg oollenbeten außer bem perftorbenen 
Xilgner bie Vilbbuuer Venf, Vrenef, !peUmer, $apib, p. frofmann, Jpaerbtl, Äauffungen, 
ftunbmann, $ocb, $önig, Scberpe, Scbmibtgruber, Scbroarß, Seib, Silbernagel, 
Srooboba, Vßepr jroan$ig große SJIarmorfiguren: OJtarfomane, römifeber Krieger 
mit ber SBeinrebe, Vajuoare, cbriftlicber ©laubenSprebiger, Slaroe, fräntifeber ©au 
graf, Vtagpare, $reu§fabrer, Seefahrer, öfterreic^ifcber Witter, äRagifter, Vurgunber 
Maufberr, Stabtbiirger, Vergmann, SanbSfnecbt auS ber 3^it ÜRayimilianS I., ^Ballen- 
fteinifeber Solbat, Vole aus bem freere SobieSfi’S, beroaffneter 9öiener Vürger, Vauer 
mit jerbrodjenen betten unb Xiroler SanbeSoertbeibiger. X>et ©ebanfenjufammenbang 
biefer Statuenreibe iüuftriert portrefflicb bie perfebiebenen Vbafcu cultureller ©nt* 
ipictlung unb gefcbicbtlicb bebeutfame Momente. Jür bie SluSfcbmüdung bcS frerrenbauS* 
ÜßungSfaaleS arbeiten Scbroerjef, Stauffungen, ©bm. p. ipofmann, Qofepb Vepcr, 
Jbugo ftaerbtl, Arthur &aan, 3ofepb Say unb ^ranj Stocb an ben als 9tifebenfcbmud 
beftimmten Statuen bes Spturg, Solon, XbemiftofleS, SIriftibeS, SopbofleS, VerifleS, 
X)emoftbeneS unb SofrateS. $ie Jperftellung ber Statuen bes 9tuma VompiliuS, 
©incinnatuS, gabiuS SftapimuS, ©ato, ©ajus ©raccbuS, ©icero, 9RanliuS XorquatuS, 
WuguftuS, Seneca unb ©onftantin befebäftigt bie Vübbauer ©mericb Smoboba, 
3ofepb Staffin, Xbcobor ©barlemont, $unS Vitterlicb, Stanislaus SeroanboroSfi, 
Starl Sterrer, 2Bilbelm Seib, 2lnton Vrenef, Stepban Scbroarß unb öanS Scberpe. 
©ine mit Unterftüßung ber perftorbenen Statferin ©lifabetb burebgefübrte boebintereffante 
Vilbbaueraufgabe löste Scbroer$ef mit feinem fReconftructionSperfucbe beS öftlicben 
VartbenongiebelS in Hitzen. Sein 1895 im Stünftlerbaufe auSgeftellter „ftampf ber 
Wtbene mit Vofeibon" butte jn fo bobem ©rabe baS SBoblgefallen ber bob^u 2rrau 
gefunben, bafS fte ben Zünftler bureb ben Auftrag auSjeicbnete, für fie nach eigener 
Vkbl beS XbemaS eine Arbeit auSjufiibren, für rcelcbe Scbroerjef ber oben genannte 
Vorrourf befonberS geeignet febien. 3m Aufträge beS §anbelSminifteriumS mürbe nach 
bem preisgefrönten ©ntrourfe beS ^Srofeffor^ Stepban Scbroarß bie bronjene ©ebäcbtniS* 
platette für bie öfterreiebifeben Xbetlnebmer an ber Vurifer 5BeltauSftellung geprägt. ®ie 
Vorberfeite jeigt in jart reliefierter Sanbfcbaft bie an jroei Arbeiter Sorbeerjmeige auS- 
tbeilenbe ^luftria, roäbrenb bieföücffette mit ber moblgetroffenen Vnft^t beS bureb 93auratb 
Vaumann errichteten öfterreiebifeben »teicbSbaufeS aus ber rue des nations gegiert ift. 3ln* 
läfSlieb ber SabreSfeier ber ©ntbüllung bes ©oetbebenfmalS ließ ber 3Biener ©oetbe- 
Verein bureb bie funftgeübte &anb 9tubolf VtarfcbaÜ’S eine roirflicb reijenbe Vlufette an* 
fertigen, bie einen bem £>ellmer’fcben Stanbbilbe ßcb näbemben Jüngling mit ^ranj* 
geminben bietet; bie ©ompofition füllt böcbft gefcbtdt ben s Jtaum unb roirft bureb ben 
©egenfaß beS SReliefcbarafterS beS 2)enfmaleS unb ber bulbigenben ©eftalt gan§ porjüglieb. 



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Wiener ftunftleben (Iperbft 1901). 


373 


Unter ben öeiftungen ber 21 r cf) i1 e f t u r fönnen zwei ftirdjenbauten oerjeiebnet 
werben: bie nach ben Richten be« 23auratbe« Qorban aufgeftibrte $trd)e in Döbling 
für bie unbefebubten Karmeliter, bie ibr alte«, ber Demolierung oerfallene« Stlofter 
in ber ßeopolbftabt aufgaben, unb bie St. 2lntoniu«fircbe in Jaooriten. Den 33au 
ber lederen führte ber frofbaumeifter Scbmaljbofer nach planen be« 33auratbe« 
bitter o. Reumann; bie figurale malerifcbe 2lu«fcbmü<Jung ber an bie 93augebanten 
oon 6. SJtorco in 23enebig anfnüpfenben Einlage rubte in ben fränben be« ^rofeffor« 
s Börnble oon 2lbel«frieb, bie ornamentale Malerei mar Schönbrunner übertragen, 
wäbrenb Diill unb ©ilbbauer Vernarb ben ^igurenfcbtnuc! beforgten. Der Xriumpb* 
jug Ebrifti in ber ft'uppel atbmet ben (Geift 3fübncb^- ©in ^cifecr Streit brobt bei 
ber Verbauung ber ftaifer ^Jranj 3ofepb«*Stofernengrünbe ju entbrennen, beren 
Inangriffnahme eigentlich eine ooüftänbige Söeifeitefcbiebung fiinftlerifcber 3ntereffen 
geigte. E« ift baber nur ooUfommen erflärlidj, baf« bie an ber fünftlerifcben ööfung 
ber $rage intereffierten Korporationen, barunter befonber« auch ber öfterreiebifebe 
Ingenieur; unb Slrcbiteftenoerein, bei ben $ur Entfcbeibung berufenen 3nftan$en 
^orftellungen zur iBabrung be« fünftlerifcben Stanbpunfte« erhoben unb in«befonbere 
bei bem $trieg«minifterium, für welche« jmifeben bem öfterreiebifeben SJtufeum am 
Stubenring unb bem Donaucanale ein neuer Prachtbau erfteben foll, bie 2lu« 
febreibung einer öffentlichen Eoncurrenz unter ben öfterreiebifeben 2lrcbiteften bebuf« 
<Gewinnung geeigneter s Projecte zu erreichen fudjten. Die SBorfteUung febeint etwa« 
oerfpätet gefommen ju fein, ba ba« ftrieg«minifterium bereit« bureb Beamte be« 
Militär 23au=3ngenieurcorp« bie Entwürfe au«arbeiten lieb, bie ber (Genehmigung 
harren; le&tere läf«t ficb ja immerhin noch an bie Einhaltung gemiffer fiinftlerifcber 
^rorberungen fniipfen, beren (Geltcnbmacbung niemal« au« bem 2luge gelaffen werben 
barf. freilich bebeutet e« für bie ftünftlerfcbaft unzweifelhaft eine Unterbinbung ber 
nach 23ethätigung ringenben Straft, einen ibealen 93erluft, wenn ihr bie Sttöglicbfeit 
freien Wettbewerbe« bei Unternehmungen im groben Stile nicht eingeräumt roirb; 
benn lefctere gehören ohnehin zu ben Seltenheiten. Qn biefer Beziehung but bie 
>Heicb«baupt' unb töefibenzftabt Wien bei ber Eoncurrenz für ben 93au be« Siaifer 
faanz ^ofephe Stabtmufeum« mehr ber billigen Wiicfficbt auf bie ftiinftler Rechnung 
getragen, roa« mit ber ibealen $eftimmung be« (Gebäube«, ba« an ben herrlichen 
'-öau ber $tarl«fircbe b^^onifeben 2htfcbluf« finben foll, oortrefflicb im Einflange 
fteht. 23on ben eingereiebten 38 *Projecten ftnb 8 für bie engere Bewerbung au« 
gewählt unb honoriert worben. Otto Tagner, ber fchon früher in ber Seceffion 
mit einem bie 2lufmerffamfeit erregenben Stabtmufeum«projecte bevoorgetreten war, 
Zeigt ba« eingehenbfte Stubium aller Einzelheiten, nii&t ben in ber Jorm nicht 
befonber« glücflieben 23aupla& [ehr gefebieft au« unb finbet bei feböner Klarheit be« 
(Grunbriffe« zroedmä&ige 2lnorbnung ber 9täume; in ber (Gefammterfcbeinung biirfte 
fid) ber $au befebeiben ber &arl«ftrcbe unterorbnen. 5 re iberr u. $rau« unb Xölf 
ftnb über eine gliidlicbe Oiaumoertbetlung wenig binau«gefommen, wäbrenb Gilbert 
£>. 'Pecba’e Entiourf ftcb Einfachheit unb gute iöerbältniffe, entfpreebenbe 2lnpaffung 
an bie 2lrcbiteftur ber Umgebung nicht abfpreeben laffen, welch’ letztere man bem 
auch fonft nicht einwanbfreien *projecte 5*iebrid) Scbacbner’« weniger naebrübmen 
fann. Seceffioniftifcbe ÜJlotioe, in beren 23ortrag Otto Wagner oiel Originalität 
unb (Grazie entwidelt, finben ftcb bei guter (Grunbrif«löfung nicht minber bei Waneczef 
unb Tornef, entfebiebener noch bei Üftar öegele; befebetbener hielten ftch Sowin«fi 
unb bie trüber Drerler. 33iel Beachtung fanb unb oerbiente bie tüchtige Arbeit oon 


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374 


3ofeph 9teuroirth- 


SRubolf Dicf, objroar fte in Einzelheiten bic UnterbringungSmbglichfeit ber ©amm* 
lungen etroaS ju fehr aus bem Auge oerliert. 9tach allem läf^t fich aber mit 
Sicherheit erroarten, bafS bic in guten Bahnen ftd) beroegenbe Angelegenheit beS* 
StabtmufeumSbaueS in abfehbarer 3 e it Wo« «or ber Inangriffnahme ber Arbeit 
ftehen roirb. ^Bereits im Stabtrathe rourbe bie 3rage ber Erbauung eines neuen Xbeatetö 
im britten ©emeinbebezirfe (ßanbftraße) erörtert, für roelcheS bie Überlaffung beS SBau- 
grunbeS unter ähnlichen ©ebingungen empfohlen rourbe, unter melden man ben 
SBaugrunb für baS QubiläumStheater jur Verfügung [teilte. Ein s 43aublocf an ber 
SJtarpergaffe ijt für biefen 3mecf als befonberS geeignet in AuSficht genommen. 
9tach ben planen beS Ardpiteften Jellner unb Hellmer roirb baS Stabttheater in 
3fürth ganz als Steinbau errichtet; bei bem Wettberoerbe für ben figuralen Schmud 
beSfelben erlangte ben erften s $reiS für bie Ausführung ber großen ©iebelgruppe 
unb fämmtlicher Jenfterfrontgruppen Ernft ftegenbarth auS Wien. 3mei zweite 
greife fielen bei gleichem Anlaffe ben Wienern Ceopolb £oftg unb Jjranz 33ogel $u. 
Wel Anflang fanb ber geiftreicbe Vortrag beS biesjährigen tftectorS ber !. f. technifcheü 
Jpochfchule in Wien, beS ^JkofefforS ftarl ftönig, ber am 26. Cctober 1901 bei feinem 
officiellen Amtsantritte „über bie Wiffenfchaft oon ber Ardjiteftur unb ihre praftifdje 
SBebeutung" befonberS im Anfchluffe an bie Arbeiten beS granjofen Eugen SBioüet 
le Duc unb ©ottfrieb Semper’S manch’ roahreS unb beherzigenswertes Wort fprad). 
DafS an ber eben genannten öodpchule ^rofeffor ftarl SDlapreber ein Kollegium 
„über Stäbtebau" liest, beffen Actualität bie neue Auflage beS prächtigen SBucheS- 
oon Eamillo Sitte roohl am beutlichften illuftriert, fpricht für bie richtige unb auf- 
merffame Wahrnehmung ber praftifchen 93ebürfniffe ber ©egenroart, mit melchert 
ber Öehrplan ber technifchen frochfchulen zweifellos in erfter öinie ju rechnen hat. 

Unter ben Anläffen, welche bie allgemeine Auf merff amfeit auf bie noch auS* 
ftchenbe Errichtung ber fchon öfters genannten „mobernen ©alerie" lenftcn r 
ntufS an erfter Stelle bie oont UnterrichtSminifterium glücflich burchgefiihrte Erwerbung 
oon ÜJtofart’S „Jiinf Sinnen" unb oon SBöcflin’S „OJteereSibplle" ermähnt werben* 
üJttt bem Anfaufe ber fchon nach ih rer 5°nn berühmt gemorbenen üflafartbilber, bie 
ja in Wien felbft entftanben, h at man noch in zwölfter Stunbe eine bem Anbenfen 
beS großen Eoloriften längft fchulbige Pflicht erfüllt unb Werfe oon einft bahn* 
brechenber SBebeutung bleibetib für Wien gefiebert. Das ber beften 3cit Wjcflin’S 
angehörige Werf rourbe aus bem Wt&e beS berliner EommercienratheS Ernft Seeger 
um 100.000 3Jlarf erroorben, eine manchem vielleicht hoch erfcheinenbe Summe, bie 
aber nach bem heutigen Stanbe ber greife für '-BocfliroWIber nicht übertrieben 
genannt roerben fann, roenn es fich roie hier um ein roirflich gutes, eine ganze 
Wlberfategorie vortrefflich charafterifterenbeS Werf hanbelt. 9lun aber $ödlin, ftlinger r 
Segantini, 9Jtafart, Straffer u. a. bereits beroorragenb oertreten unb roiirbig auf* 
zuftellen ftnb, roirb bie ^frage ber Errichtung ber mobernen ©alerie immer brennenber. 
Die führenben ftünftleroerbänbe Wiens behielten fte auch roährenb ber SBerichtSperiobe 
fachgemäß im Auge. Soroohl bie ftiinftlergenoffenfchaft als auch bic Seceffion haben 
an competenter Stelle auf eine ^Befchleunigung ber Angelegenheit hinzuroirfen oerfucht. 
Denn eS ift ganz unbeftreitbar, bafS baS SBebiirfniS nach Schaffung eines Sammel- 
punfteS befteht, an roelcbent auf bem Wiener $oben roeiten Greifen ber $eoölferung 
(Gelegenheit geboten roerben foll, aus ftunftfehöpfungen ber neueften 3eit baS fftingen 
nach neuen formen unb AuSbrucfSmitteln fennen unb oerftehen zu lernen. Will 
man in Wien tßatfächlicb eine folche OJföglichfeit fchaffen, bie neben bem ©enuffe 


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Wiener ftunftleben (!$erbft 1901). 


375 


Der berühmten ftunfifchäfce aus früheren ©pochen fielen eine hochroilttommene 
©rgänjung bieten bürfte unb zugleich ber ©egenwart ihr unleugbares Bnrecht auf 
gleiche Beachtung in zuftimmenbem ober ablebnenbem ©imte fiebert, fo wirb man 

auS ber ©efd)id)te ber neueften ^ööcflin ©rwerbung bie Öehreziehen miiffen, !pauptwerfe 
befonberS gefchäßter Bleifter, welche bie heutige ftunft ©uropas repräfentieren ober 
angeblich repräfentieren [ollen, möglichst halb $u taujen. $>ie ber „Bereinigung 

bilbenber ftiinftler Öfterreichs", bem Bnfaufe moberner ftunftwerfe ben Reingewinn 
ihrer Unternehmungen ju loibnten unb biefe ©rwerbungen ber mobemen ©alerie 
zujuwenben, ift gewifs fehr lobenswert unb hot bereite in mehr als einem ftalle 
recht gli’tcfliche Bentürflichung gefunben. ©ie hart aber nächft 3ufallswibmungen 
nicht bie hauptsächlichste ©rwerbsgelegenhcit bleiben, fonbern mufS in ben oon anberen 
©teilen geförberten unb mit größeren Mitteln arbeitenben Betionen zielbewusste 
Unterftiifcung finben. Wirb ntd)t halb bie faage einer entfpred)enben Unterbringung 
ber neuen ©rwerbungen gelöst unb in bie Tbat untgefeitf, bann bleibt baS ©anje 
auf halbem Wege fteden unb läfSt fid) ben 3infenertrag ber Belebung beS ^ntereffeS 
für bie ftunft ber ©egenwart in einem Bugenblitfe entgehen, in welchem er am 
ertragreichsten wieber oerwenbet werben fann. Bnjeichen, auf welche bemnädift näher 
eingegangen werben foü, sprechen bafiir, bafs man an entfdieibenber ©teile fid) ber 
Berechtigung folcber ©rroägungen nid)t oerfdsließt unb eine fefte ©runblage für bie 
Busführung bes BrojecteS febaffen will; hoffentlich greift man gleich ut einer 
befinitioen Cöfung unb nid)t ju einem Berlegenbeitsprooiforium, bas nur zur Ber 
fumpfung ber Jvrage führen fönnte. 

$>ie ftiinftlerfreife Wiens begannen bereits im Joerbfte 1901 ihre B e t h e i l i g u n g 
an zwei groben BuSftellungsunternchmungen bes ^ahreS 1902 inS Buge ut faffen, 
nämlich on ber internationalen BuSfte 11 nng für becoratioe ftunft 
in Turin unb an ber beutfchen ftunftauSfte 11 ung in $ttffelborf. 
©rftere will alle 3 n)t 'Hl c fiinftlerifdjer unb funftgewerblicher Thötigfeit umfaffen, bie 
bem mobemen £>aufe unb feiner BuSftattung im weiteften ©inne bes Portes gelten: 
fdion biefer ©runbton mad)t fie einem groben Ibeile unferer ftiinftlerfdiaft fpmpathifd) 
unb wirb gewifs manche unferer heroorragenben Rinnen bestimmen, bas grobe Bn 
[eben bes öfterreichifdien ftunftgewerbes in bem Wettbewerbe mit anberen Bölfern 
burd) ebenfo glänjenbe wie originelle ©diöpfungen behaupten ut helfen. 3o ber 
T>iiffelborfer Busftcllung wirb auch bas biftorifdje Btoment zur ©eltung fontmen. 
AÜr bie ©rjielung einer möglichst aüfeitigen Betheiligung aller Wiener ftiinftler 
gruppen an berfelbett war Brofeffor ;£>r. Bo ul ©leinen aus Bonn befonberS nad) 
Wien belegiert unb hier erfolgreich ttjätig. ©o wirb Wien in BusftellungS Unter 
itebmungcn ber Ö fterreid) Ungarn näher oerbiinbeten Staaten oorausfichtlid) wiirbig 
oertreten fein, ba bie behörbliche Jörberung ber Betheiligung bereits z werten tfpred)cnb 
emgeleitet würbe. 

ftnapp oor ^ahreSfchlufs brachte bie „©eceffion" burch Überreichung eines 
BromemoriaS an ben Jperrn Unterrichtsminifter bie ftrage ber Reftaurierung bes 
RiefentfjoreS ber Wiener ©tephansfirche in 5vlufS, woburch eine ziemlich erregte 
T)iScuffion über Reftaurierungsfragen eingeleitet würbe, ©ie 30g fid) burch ben 
ganzen Sflonat Januar 1902 hin unb foü unS in bem nächften Berichte noch näher 
befchäftigen. 

Bn ben feit ©eptember 1901 in Umlauf gebrachten neuen 3^hn ftronen 
noten fonnte man wieber fo recht bie Überzeugung gewinnen, bafS bie ftiinftler 


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Qofeph Seuwirth. 


370 

fc^aft SMenS nur ihre Süicht gethan, als ftc oor einiger $t\t auf ber 3uerfennung 
eines ©influffeS auf bie ©utheifeung neuer Sotenentwürfe beftanb. ©egen bie wirtlich 
nicht befriebigenben ßroanjig ftronennotcn ift ja in ben 3ebn*ftronennoten bereite 
manches beffer geworben; aber trofc ber fehr forgfältigen 3^ichnung unb ©raoierung, 
welche Sunftierung unb Schraffierung zu oereinigen jucht, hat baS ©anje ein oer 
fchwommeneS unb oerblafSteS SuSfehen. Daburch wirb zweifellos bie rafci^e unb 
beftimmte ©inprägung beS SotenbilbeS unb bie ©rfennung eines eoentuellen JfalfiftcateS 
für ein weniger geübtes Suge etwas erfchwert. 

Der Umfatz auf bem Eunftmarfte war, wie bie Serfäufe in ben tlus 
ftellungen zeigten, immerhin ein recht lebhafter, obzwar bie auSftellenben Eünftler 
angefichtS ber 3ülle ihrer Darbietungen noch eine gröbere Eaufluft beS SublicumS 
gewünfcht haben mögen. Die ©emdlbegalerie beS am 9. ÜJlai 1901 oerftorbeuen 
DomcapeUmeifterS ©ottfrieb o. 'Jkeper, roelcher baS SerfaufSerträgniS jum Saue unb 
Zur (Erhaltung eines Söiener SfplS für Skiifenfinber ohne Unterfchieb ber ©onfejfion 
beftimmte, würbe oon bem amerifanifchen „Eupferfönige", bem Senator ©. ©larf 
oon üJtontana, erworben unb wanberte über ben Ccean. £>aben auch manche Sterte, 
bie berühmten üWeiftern wie §olbein, £ranz £>als, San Dpcf, SubenS, Sembranbt 
Zugerechnet würben unb an bem greifen Seftfcer einen oft rüctftchtSlofen ©djtheitS 
oertheibiger fanben, berechtigte ©chtheitSanzweiflungen erfahren, fo war boch immerhin 
in ber Sammlung Sreper uiel Schönes unb StertoolIeS oereinigt, beffen weitere ©r 
haltung in 2öien ftch oielleicht nur unter ber fdpoer erfüllbaren Sebingung hätte 
erzielen laffen, bafS ein 3öiener Eunftfreunb fich zur Erwerbung ber ganzen Samm* 
lung entfchloffen hatte. Sber eS ift fo fchwer, mit bem Dollar zu concurrieren! 

Sei 6. ©ef)be gelangten Sterte oon ^oanomitS, Einzel, ©. ÜJtap, Sowaf, Sn>bft, 
StothiaS Schmib u. a. zum Serfaufe. 3of. Sotall oerfteigerte oom 21. bis 20. October 
im Irattnerhofe zahlreiche Silber, unter benen auch Steuwermann, ©araoaggio, 
Saloator Sofa oertreten waren. T^aft gleichzeitig — oom 24. Cctober ab — tarn 
bas fehr reichhaltige unb wertoolle Eunftblätterlager oon S. Ecnbe zur Serfteigerung; 
ber gegen 3000 Summern umfaffenbe Eatalog oerzeichnete eine Stenge fehr feltener 
altfranzöfifcher unb englifcher Eupfer unb garbenftiche, feltene Dürer- unb Sem 
branbt-Slätter, Stäbteanfichten, Flugblätter, ©inblattbrucfe, Siennenfia unb Suftriaca, 
©oftiimbilber, SorträtS, gefchichtlich intereffante unb Schlachten Darftellungen. 

3n ben S e r f o n a l i e n ift an erfter Stelle baS $infcheiben beS liebenSwürbigen 
^anbfchafterS ©ugen Zettel zu oerzeicbnen, ber in trieft ganz unerwartet einem Jperz 
fchlage erlag, als er fich eben anfchicfte, ben ©rzherzog Earl Stephan auf einer Seife 
längs ber italienifchen .Hüften nach Sicilien zu begleiten. Der begabte 3üumermann 
Schüler, welcher ftch ber Seceffion angefchloffen, hatte wäfjrenb ber lebten Qahre bei 
ben SusfteUungen berfclben oiel Seachtung unb Snerfcnnung gefunben unb befonberS 
in einer ©ollectiuauSftellung feiner Arbeiten im Salon Si^to feine oornehme ©igenart 
entfaltet. Cbzmar gerabe Öfterreichs Eunft an tüchtigen ^anbfehaftern nicht arm ift, 
bebeutet Zettel’« Heimgang für biefes ©ebiet immerhin einen für gar manche noch 
lange fühlbaren Serluft. Wenige Wochen oorher trug man am 17. ^ult 1901 ben 
Cbcrbaurath Sofcph Schiebt zu ©rabe, einen in ber Schule oon SöSner, oan ber Süll 
unb SiccarbSburg h era ngebilbeten Srcbiteften, ben ntd)t tninber Seziehungen zu 
Verfiel unb ben anbern führenben Sautünftlern geförbert hatten, ©r fannte wie 
faunt ein 3*ueiter bie Srchitetturentmicflung SMenS in ben letzten fünfzig 3 a b v * n 
unb war ftetS ooll beS lebenbigften ^utereffeS für alle fiinftlerifchen unb tunftgefchicht 


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SBiener Kunftleben (&erbft 1901). 


377 


licken fragen. Ulm 30. Uluguft 1901 ftarb ber penfionierte Ntinifterialratb $r. Karl 8inb, 
ber um bie Seitung ber ©efebäfte be$ Uöiener UlltertbumSoereines uitb um bie Ser 
öffentlicbungen ber 1. I. Eentralcommiffion für Erforfcbung unb Erhaltung berKunft 
unb Ijiftorifdjen $)enlmale ficb aufcerorbentlicbe Serbienfte erworben, burd) zahlreiche 
lunftgefcbicbtlicbe Untersuchungen öftcrreic^ifcf)cr Kunftfcbäfce ftch einen gearteten tarnen 
in fachmännifchen Greifen gefiebert unb mit feiner allerbingS burchauS nicht mufter 
gütigen „Kunft-Xopograpbie uon Kärnten'' bie in fcfterreicb noch fo febr im 9^üdt 
ftanbe gebliebene 3)enlmälerinoentarifation begonnen bat. UlnläfSlid) ber SoUenbung 
beS 70. SebenSjabreS mar bem Nabl*©cbüler Qofepb froffmann, am 22. $uli 1831 in 
SMen geboren unb bureb feine als „©alerie froffmann" belannten Neifeaufnabnten 
in ben lebten fahren oiel beachtet, bie Ulufmerlfamleit roeiterer Greife freunblicb 
zugeroenbet. 2)aS ©leid)e galt oon bem am 16. Uluguft feinen 80. ©eburtStag feiemben 
UNaler 3*anz Ullt, bem trüber beS 89jdbrigen UBtener UlltmeifterS Nubolf non Ullt. 
Ulucb er bat auf meiten Reifen in Italien, F*anlreicb, ©panien, Portugal, Englanb, 
Belgien, öollanb, 3)eutfcblanb, NufSlanb unb in ber ©cbmeiz lünftlerifcbe Anregung 
in reiebftem UNafee gefuebt unb gefunben, mie feine bie 3abl uon 2000 überfteigenben 
Aquarelle unb ©tubien bezeugen. $ie ©onberausfteHungen ber Arbeiten beS 93iel 
befebäftigten in ben fahren 1886 unb 1888 ftnb noch bei Sielen in guter Erinnerung. 
Eine noch größere, 2500 Arbeiten iiberfebreitenbe Frucbtbarleit entroiclelte ber am 
14. Nooember ben 80. ©eburtStag begebenbe UJtaler Fobann Nowopacfp, auS©laroietin 
in Söhnten, bem oon 1868 an ber 3eicbenunterricbt ber faiferlicben Kinber, ber Erz 
berjogin ©ifela unb beS Kronprinzen Nubolf, übertragen mar. Siele feiner Silber, 
bte iiberrciegenb gri'tnblicbeS Naturftubium unb frifdje Farbengebung zeigen, befinben 
ficb in laiferlicbem Snoatbefifee. 3)ie Kunftgeraerbefcbule beS öfterreiebifeben UJtufeums 
uerlor mit bem freiwilligen UluSfcbeiben beS ^rof. F ran 5 UJktfcb, baS Uluffeben erregte 
unb oiel befproeben tourbe, eine ganz oorjüglid^e, lünftlerifcb oielfeitige Sel)rlraft. 
Fh* bauten bie bereite felbft zur ©eltung gelangten ©dpiler Kol. Ntofer, N. o. Kenner, 
Ermin Sucbinger, frans Sieringer, Otto Srutfcber u. a. oiel oon ihrer UluSbilbung, 
weshalb ber Abgang eines berartig anregenben &brerS hoppelt bebauert roerben 
mufs. 3um 80. ©eburtStage Sircbow’S lieferte Nlatfcb bie lünftlerifcbe Ulusfiibrung 
einer s ilbreffe, bie auf Anregung beS §ofratbes Srof. Dr. lolbt in UBien oon 
140 s Ärz teuer einen überreicht mürbe, lebhafte Erörterung erregte ber einftimmige Se 
fcblufs bes SrofefforencoüegiumS ber Ullabemie ber bilbenben Künfte in UBien, als 
Nachfolger bes Stof. Ebuarb oon BicbtenfelS bem UnterricbtSminifterium ben Nlaler 
©uftao Klimt, ben beroorragenben Kiinftler ber „©eceffion", oorzufdjlagen. 3>enn 
biefer Sorfcblag bebeutet ganz Zweifellos ein offenes 3ugeftänbniS ber Serecbtigung 
ber ÜJloberne, beren UBeiterentwidlung in UBien einen ftarfen &alt gerainnen tann, 
menn Klimt ficb nicht nur als einen beachtenswerten UJialer, fonbern auch als einen 
oorzi'tglicben Lehrer ermeiSt; beibe Eigenfcbaften haben befanntlid) nicht oiele be 
beutenbe Künftler zu oereinigen oerftanben. Nicht minber lebhaft als ber eben er 
mahnte Sorfdjlag Klimt tourbe bie gegen Enbe Cctober auftauebenbe Nachricht ber 
Serufung Nlay Klinger’s an bie Wiener Ulfabentie befproeben. ©ie oerfefcte fogar bie 
Kunftlreife unb Slätter beS Xeutfcben NeicbeS in einige Aufregung, toelcbe ficb felbft 
in einer ganz grunblofen ©cbraarztnalerei ber tiinftigen ©tellung Klinger’S in UBien 
ergieng. Für bte Sebeutung ber ©eceffion toäre bie Serufung Klinger’S, oon ber 
halb nichts mehr oerlautete, eine ftarle ©tiifce geraefen. Hellmer ift oon ber bisherigen 
Leitung ber allgemeinen Silbbauerfdjule in ben Saften oon 3umbufcb oorgeriidt. 


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378 $ofepb 9teuroirtb. SBieiter $unftleben Ooerbft 1901). 

X5afS bic ^urp bcr achten internationalen ÄunftauSftellung in 9Jhincben bem SBiener 
Mammer^ebailleur Ant Scbarff bie ÜJiebaiUe erfter ©laffe, ben Malern ©barlentont, 
©barleS Söilba, ßarl ftröfebl unb #arl ^freiberm oon ÜJterobe, foroie bem ÜRebailleur 
Hart Varolif ÜJtebaiUen jroeiter klaffe juerfannte, fei als 3*U0niS ber 5Bertfcbäßung 
unferer Zünftler im Söettberoerbe mit anberen Golfern befonberS b erüor 9 ^boben. X)ie 
befannteften unb roertooHften Silber beS OD^eifterö ©. SRubolf £>uber bat ber Verlag 
oon Victor Engerer jh einem gefcbmadooHen Album gelungener Vbotograpbien oer* 
einigt, bem ©erbarb Bamberg eine mann gefebriebene ©barafteriftif ber Äiinftler- 
perfönlicbfeit beigegeben bat. 

©S abelt unb oerflärt bie ftunft, roenn fte ficb bei gegebenen s 2lnläffen auch 
in ben X)ienft ber Vtenfcbenliebe $u fteüen roeife. Vei bem unter bem Vrotectorate ber 
©rjberjogin Qfabella oeranftalteten internationalen AifoloVtarfte im großen üttufik 
oereinSfaale ju ©unften ber föinberfebufe unb »tettungSgefellfcbaft begegnete man als 
^rörberern ber Sache £>ororoiß, ftafparibeS, Xina Vlau, Seligmann, Baronin ©bner* 
©fdjenbacb u. a. X)aS originelle Vilberbucb „IpanS!" oon einer unter bem Vfeubonqm 
Xoni ÜJtarf ftcb bergenben 5öiener X)ame feblug an Abfafe baS patronierte Äinber- 
bilberbueb ber Schule beS Vrof. Vöbm. jür bie AuSfthmüdung beS erften öfter 
reiebifeben Settlements, baS am 15. October 1901 in Cttafring eröffnet mürbe, fteUten 
bie ^rofefforen ^ofepb £>offmann unb ftolo 2ftofer ihren beroäbrten fünftlerifcben 
>Hatb 3 ur Beifügung, nach rcelcbem Oraler ?>alfenftein unb §oftifcbler Sftüllner bie 
^nnenauSftattung beforgten. X)ie „Seccffion", bie VafaloroitS, VortoiS unb 

Jiy, bie V*ag SKubnifer Äorbfeffelfabrif fteUten nebft manch’ anberen mit freunblicben 
Spenben oerfebiebener Art ftcb ein, fo bafS mit einfachsten Mitteln ein febr anfpreebenber 
©inbrud ficb erzielen liefe. 

3fm allgemeinen bat bie jroeite Hälfte beS 3abreS 1901 gehalten, roaS bie 
erfte oerfproeben. SHeicb an mannigfachen Anregungen, bie manches jur Verbreiterung 
beS ^ntereffeS für bilbenbe ftunft beitrugen, fuebte bie pflege ber leßteren oerein$elt 
auch bisher VerfäumteS nacbjubolen ober baS s ltacbbolen in ein etroaS fchneUereS 
Xempo ju bringen, Aeuen Schritten mar mehrmals erfreulicher unb ennunternber 
©rfolg befebieben, mit bem baS neue 3ab r b u abert ftcb in VMenS Äunftleben giinftig 
einjufitbren oerftanb. 




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P. Bartmanns Oratorium „$t. Sranciscus“. 

Bon ^r. Jvttf TOantuaiti. 

un batten mir mieber einmal eine ©enfation, eine Iage«frage gehabt. fteine 
oon beiben mar nötbtg, feine beabBdjtigt; aber tn einem 'Jarteienbeim, roie 
'Men e« gegenwärtig ift, wirb halb etroa« jur „^rrage", unb ift einmal eine Jfrage 
ba, bann ift bie ©enfation fofort hinterher. Unb ob ba« eine ©enfation war, bie 
'Jäter ^artmann-SIngelegenbeit! Jpocfj giengen bie 2Jogen berfelben; jefct haben fte 
ihre impetuofe SButb fcbon eingebüßt. Tie i*eibenfcbaftlicbfeit, mit welcher bie 
fcbroffften Mberfprücbe ber s 21nfubten oerfocbten mürben, legte fid). Tie glän$enbe 
WefeUfcbaft, bie Beb tm beßerleucbteten grofeen ÜJtufifpereinöfaale jufammengefunben 
batte, ift jerftoben. Tie 8ritif bat tbeil« mit mehr, tbeil« mit roeniger ®efd)id, 
Bebaut unb'©trenge ihre« s 2lmte« gemaltet, — nun finb alle ©enfation«accibentien 
oorüber, übriggeblieben Bnb ber (Komponift unb beffen s Iöerf. Bieüeicbt ift e« 
Doch ber 9Jlübe roert, Beb mit biefen beiben allein etwa« $u befebäftigen. 

Probleme auffteden, Urteile fällen, ©eblüffe jeiben — ba« haben febon anbere 
in ben oerfebiebenften periobifeben ©ebriften por mir getban unb icb möchte biefe« 
nicht mehr roieberbolen. Ter (Somponift unb beffen Böerf füllen ©egenftanb nach 
folgenber feilen fein. Beoor ich mich aber mit bem neueften Oratorium, ba« mir in 
Men fennen gelernt haben, eingebenber befdjäftige, mill id) be« Berftänbniffe« roegen 
einen ganj flüchtigen tftiidblid tbun. 

Ta« Oratorium ift eine entraidelte muBfalifcbe Jornt, in welcher faft alle 
Smeigformen ber 'Diufif enthalten Bnb: bie bramatifebe, epifebe, Iprifcbe unb bie 
(Kontemplation. @« mürbe feit (Kaoalieri immer gepflegt — aber mit s 2lu«nabnte oon 
A^änber« unb 3Jlenbel6fobit^ ©cböpfungen Bnb faft alle fo febr in ben ^intergrunb 
getreten, baf« Be nur im (tyebäcbtniffe berjenigen, bie mit ber ÜJtuBfgefcbicbte etwa« 
grünblicber oertraut finb, bei ber Nennung ihrer ©cböpfer auftaueben. s IBer fennt — um 
nur bei ben bebeutenben ©cböpfungen be« XIX. ^abrbunbertö $u bleiben — ^ a d) n e r’« 
,,'Jlofe«" unb „Bier BJenfcbenalter", CKpbler’« „Bier leßte Tinge'', ©tabler’« 
„'Befreiung ^erufalem«", 91f«maper’« „©elübbe" unb ,,©aul unb Taoib", 
Jreper’« „ s Jloab", 'Jfeufomm'« „®efeßgebung auf ©inai", »tie« ? „©ieg be« 
Glaubens", '21. B. Btaryen’« „BJofe«", >Hungenbagen'« „^eilige (Käcilia" x.? 
Turcbgebenb« 2Berfe oon großer Bebeutung — biebterifeb mie mufifalifcb —, aber alle 
oerfanfen Be in ber jeßt berrfebenben Bebiirfni«lofigfeit nach'folgen Werfen, (*« ift 
baber nicht leicht für einen (Komponiften, ftd) jur muBfalifcben 'Bearbeitung eine« 
Oratorium« ju entfcblie&en. Ter ©egenftanb felbft oerlangt ein gläubige« ©emittb 
beim (Komponiften unb ein gläubige« Jubücum, toenn er fein 3iel erreichen foll. 
'2lußerbem Bebt beute wohl jeber (^omponift fein ©cbidfal oorau«: halb mirb er 



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.‘380 


Dr. Sofef ÜJlantuam. 


oerfunfen unb oergeffen fein r roie oiele oor ihm mit folgen 5Betfen. — 2Ber fann 
unter biefen Umftänben fich bem Oratorium roibmen, menn nicht jene, bie mit ber 
s lBelt abgefc^loffen höben, ber ©leruS ber fatholifchen Mirche? — 9tur biefer fann 
auf all basjenige oerwhten, mas bem Berufs*© omponiften £>auptfache ift: auf 3hihm 
unb ©eroinn. ©r fann au« innerem Drange fchaffen unb ift nicht fo fehr an bas 
Urtbeil ber ftritif unb ber berfelben folgenben ÜJtenge gebunben. — 

P. öartmann oon 5ln ber Lan=£>o<hbrunn ift 1863 $u Salurn in Xirol 
geboren. Schon im 7. Lebensjahre begann er in 33ojen feine mufifalifchen ©ehnerfuche 
bei Deluggi unb s Hn$oletti. 1873 trat er in Den ftranciscanerorben ein unb tarn nach 
Salzburg, roo er bei P. $eter Singer ©ompofition unb Orgelfpiel lernte. 1886 jum 
'Jkiefter gemeil)t, mürbe er juerft Organift in Lienj, bann in’ SKeutte. darnach 
ftubierte er bei 3• 'Jfcmbaur in Qnnsbrud ©ompofition unb ^nftrumentierung. 
^ahre 1893 fam er als Organift nach 3erufalem, oon bort 1895 nach SRom in ber* 
feiben ©igenfchaft. Spier componierte er nebft manchem anberen auch fein erftes Oratorium 
,,'HetruS" unb baS in fliehe ftehenbe 5Berf. DaSfelbe ift feine „oorauSfefcungSlofe" 
Arbeit. ©S behanbelt einen 5IuSfchnitt auS bem reichen ©eifteSleben beS hl. 3rranciScus 
unb juft jenen, ber für bie Kultur feiner 3*it fo überaus entfcheibenb geroefen ift. 
3n bie geiftige ©piftenj beS heiligen ftranciScuS mufS man ftch jum nünbeften theoretifch 
eingelcbt höben, um bie ganje ^iefe feines StrebenS nur $u erfennen, menn auch 
nicht *u erfaffen. ©S ift ein gan* fonberbarer, intimer unb romantifcher flieij, biefen 
gloriofen ^eilipen flJienfchen in feinen Qbealen $u fchauen, bie ja heute höhet gerüeft 
finb benn je. Glicht nur bem 3Lerfe beS hl- ftrans ftebt unfer Saeculum mit feiner 
geiftigen ©rfenntniS rührenb hilflos gegenüber, eS geht fo allen geiftigen SBeftrebungen 
jener 3*it. 'ILie roeltabgeroanbt finb $um ^eifpiel bie ergreifenben firchlichen Dichtungen 
^acopone’s ba Xobi, roie fatheberfremb für unfere 3*it ftcllt fich nicht bie „Summa" 
5lleyanberS oon Jpales unb beffen Schülers, beS hl- $8onaoentura »Formula aurea 
de gradibus virtutum« ! Unb bod>, rcelche liefe ber ©mpfinbung, bejiehungSroeife 
beS Denfens unb Scharfftnnes bergen alle biefe ©eiftesprobucte in fid)! 5lber flc 
alle oerbergen ihren inneren flieichthum unter einer überaus flüchten, unanfehn- 
liehen unb rnenig anjiehenben äußeren Jorm. 

Diefen inneren flieichthum, ben ©eift unb bas s lLefen beS hl- ^ranciScuS hot 
fich nun ber Xeytbidjter, ftranciscanerbifchof ÜJlfgr. 51. Q. ©hajji $um Stoff für ein 
Oratorium auSerforen. Schlicht unb einfad) mie feine CueUen — er beniifcte nur 
bie fpätere unb legenbenretchere Raffung ber „$ita" if(ib bie XageSofficien oom 
17. September (Impressio ss. stigmatum) unb 4. October (XobeStag) —, fo anfpruchS 
bar ift auch bie ©eftaltung bes Xejrtes. S3on einem freien poetifchen $luge, oon 
einer „märd)enähnlichen" $erflcirung ift bei ihm feine fliehe. Streng logifch unb 
hütorifch finb bie Xbatfad)en unb legenbarifchen ©Zahlungen nacbeinanber angeorbnet, 
miemohl trot* allebem fiinftlerifd) geftaltet. Die flJlittel ftnb äufeerft unauffällig: ©hör- 
ftrophen roechfeln mit Agitationen, ohne bie mobeme 53ielgeftaltigfeit ber fllietren 
unb Strophenformen — bas ift alles! 

Der ©omponift hot fich ober gcrabc oon biefent Xeyte angeregt gefühlt, oon 
bem Xerte, mit melchem anbere begabte, originelle unb formfefte flJiuftfer nichts 
amufangen miifsten. Schon barin unterfcheibet fich p - Startmann oon anberen ntobemen 
lüufifern, bafS er feine Xöne nicht erft oom Libretto getragen, fonbem biefeS oon 
feiner ÜJluftf gehoben unb gehalten miffen mill. Der Schlichtheit bes XeyteS greift 
P. .y>artmann mit söeroufstfein nirgenbs oor; mas einfach gebacht ift, foll fo bleiben, 


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P. partmaunS Oratorium „St. granciScuS". 


;j8i 


nicht aber oon ber ÜJluftf überwuchert unb aufgebaufcht roerben: baS ift ber fefte 
©runbfatt .partmannS unb zugleich auch eine gebieterifche Beranlaffung unb goobe 
rung, ftch einjufchränfen in bet SBa^l ber technifchen ÜJtittel. $er ©omponift hat 
■ ob burch eine mühfame tHeflcyion ober burch einen obtutioen Blid, (ann unb braucht 
nicht unterfucht $u roerben) erfannt, bafS auf ben einfach frommen Xeyt nur eine 
ebenfo einfache SJhtfit paföt, foll fte nicht bie über bem ©an*en auSgegoffene Stimmung 
oernichten. So gieng er an bie Ausführung unb fiinftlerifche AuSgeftattung beS ge- 
fafSten ©ebantenS. 

X>ie Anlage beS Wertes ift fünftlerifch burchgeführt, roenn auch mit befcheibenen 
technifchen Mitteln. Aber bafS eS tro&bem genau burchbacht ift, roirb jebet jugeftehen 
miiffen, ber ftch mit Siebe unb ohne Borurtheil mit ber Partitur befannt gemacht hat. 

X>ie Ounerture baut fleh auS brei furjen unb conciS auSgefponnenen Xbenten 
auf, non benen bie erfte baS innere £>eroorbrängen beS ^eroifc^en ©ntfdjluffeS, fich 
ber Armut *u oermählen, mufitalifch iüuftriert unb ben — auch nicht eingeroeihten 
— ßuhörer rounberbar in eine nicht leicht befinierbare Stimmung oerfefd, bie jroifchen 
fyurcht unb SReugierbe, $roifchen Hoffnung unb ftteftgnation fdjroanft, roährenb fchon 
bie inftrumentale Anticipation ber folgenben Bocalchöre einen frommen unb homophon 
gehaltenen ft'irchengefang bringt, nach roelchem baS britte Xhema freunblid), melobifch 
füefeenb, mit ben beiben emften $b*men fich oerföhnt unb roie eine fanfte Söfung 
eines inneren ©onflicteS roirft. 2)ie technifchen Mittel ftnb ja überaus einfach: bie 
Steigerung ift nicht etroa in einem (unftoollen Ausbau geboten, fonbern nur burch 
bie gröfeere üJtaffenroirfung ber ^nftrumente hergeftellt, rooburd) baS gefängliche 
Ihema in (einer äöeife gefährbet roirb. 

!Run fe&t ber fc^lidjte ÜJtännerchor ein, ber bann oon ber ©rjählerin ber 
gefchichtlichen ©rcigniffe, ber „Storia" (Sopran), abgelöft roirb. 9tochbem biefe erjählt 
l)at, bafS ftranciScuS oon ©ott heimgefucht unb fo oon beffen ©eift erfüllt roarb, bafS 
er ftch felbft oergafe, nicht fprach unb ruhig ftehen unb ftfcen blieb — „er (onnte 
nicht reben unb ftch nicht bewegen" —, ba tritt roieber ber OJtänncrchor, feine Alters- 
unb StanbeSgenoffen, mit ber 5rage ein: „Bkirum (otntnft X)u ntcht in unfere 
Greife? 33ift X)u uielleicht baran, Xür eine 3rrau $u nehmen?" tiefer ©horfafc 
unterfcheibet fich ganj bebeutenb oom erften; bie neugierigen ftrager (ommen mit 
ihren fragen nadjeinanber, ftürmifch, haftenb. liefen antroortet 3*anciScuS (Xenon 
gemeffen, feft, aber in gehobener Stimmung: Qa, er roolle eine $rau nehmen, roie 
fte fchöner unb ebler nicht ju finben wäre. ©S ift bie Armut, bie er erwählt; unb er 
grünbet einen neuen Orben für jene OJtänner, bie feinem Beifpiele folgen. X)er nächfte 
Saft ift roieber ein s JJtännerchor unb oerftnnlicht bie erften OrbenSbrüber beS Eiligen 
angemeffen unb glüdlich- £>er ©hör ift ruhig — (ein Xriumphgefang — oocal, ohne 
Begleitung oon ^nftrumenten; felbft biefen Schmud hat ftch ber ©omponift oerfagt 
um bie Armut muft(alifch ju oerfmnlichen. konnte hiefür eine treffenbere ©harafteriftif 
gefunben roerben ? 9tur roenige, überaus biScret angebrachte 3mifchenfpiele fteHen bie 
Signatur ber ©inheitlich(eit mit bem ganzen Söerfe h* r - 9tod) betn oerbinbenben 
Xeyte ber ©rjählerin tritt ein SHecitatio ber hl- ©lara ein unb bamach roieber bie 
©rjählerin, bie oon ber ©rünbung beS ©lariffinnenorbenS berichtet, worauf ein ©hör 
für ^frauenftimmen, oocal, fchmudloS roie jener ber erften OrbenSbrüber, beweist, bafS 
bie Schöpfung nunmehr beftehe. 

X)ie beiben geiftlichen Orben erfcheinen gegrünbet. ©in nun folgcnber 
^nftrumentalfaft ftellt muft(alifch ben 3ufammenlauf beS 33ol(eS für jeben fafSlich 


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382 


X)r. $ofef Btantuani. 


bar; ein ÜJtorfd) — aber fein mobemer, militärifcber — jeigt bureb fein ruhige« Xempo 
an, bafS man ftcb auch $u Öebjeiten beS bl- 5 ranc tScuS troß aller Bewunberung für 
ibn nicht eben übereilt habe, feinem britten Crben bei§utreten, ber aber bo<b ftet« 
wuchs. Xrompetenftöße, bie inmitten beS SRarfcbeS erflingen, oerftnnlicben ben 
mächtigen Ruf, ber auS ben Brebigten unb ben Söerfen beS bl. SfranciScuS ber 
XBelt entgegenfcboU. Unb nun erzählt bie „Storia" oom Begehren ber ÜJtenge, in bie 
neue ©emeinfebaft beS bl- 3ranciScuS aufgenommen ju werben, baS berfelbe $u er 
füllen oerfpriebt. ©S berrfebt bar über Jfreube, welcher befonberS ÜucbefiuS mit ber 
bl. ©lara (X)uett, Rlt unb BafS) 9IuSbrud oerleibt. — $ber auch ber bl- ^franciScu« 
freut ftcb barüber, benn „baS ift baS ©efdjlecbt, welche« ©ott Jacobs fuebt". Run 
bricht ber jurücfgebaltene 3 u & e l mit ungebämmter ftraft betauS: »Reminiscentur et 
convertentur« ftngt ber gemifebte ©bor mit Begleitung beS ganzen OrcbeiterS. ©rit 
ein gewöhnlicher ©borfaß, ber nach 126 Xaften ber fugierten Bearbeitung weicht. 
•XuS Xbema bringen werft bie Baffe unb barnacb nacbeinanber alle Stimmen; ber 
Sab baut ftcb uon ber ©rbentiefe nach ber §imtnelSböbe auf unb wirb nach 49 Xaften 
oon einem Soloquartett ber ©r^äblerin, ber bl- ©lara, beS bl- Stan* unb £ucbeftu« 
abgelöst, ©ine ©borreprife beS »Reminiscentur« nach bem Soloquartett fcbließt ben 
erften unb größten Xßeil beS CratoriumS ab. 3m finale beS erften XbcileS ift bte 
gan^e Äraft beS Sängercbore« unb beS Orcbcfters in 9lnwenbung, foweit unb fo wie 
fte ben frerjen ber beiben getftlicben Sänger, oorab bem beS BtufiferS $u ent- 
ftrömen oermoebte. ©S ift ber Xriutnpbgefang ber s ilrmut unb öiebe, baS ©liicfSgefübl 
über bie Umfebr fo oieler Xaufenbe. Cb bie ftrenge ^tftorifebe gorfebung bereinft 
wirflicb ben Beweis erbringen wirb, bafS bie Reihenfolge ber brei CrbenSgrünbunpm 
bureb ben bi- 3ranj bie umgefebrte war, baf« alfo juerft bie Xerjiarier, bann bie 
©lariffinnen unb tuleßt bie Riinberbrüber ins Ceben gerufen würben, weiß ich nicht. 
Rber auch in biefem Jalle fann an ber fünftlerifcben Rnorbnung beS Oratorium«, 
bie baS freroorragenbfte an bie erfte Stelle feßt, nicht gerüttelt werben, weil fte 
eine äftbetifebe Rotbwenbigfeit ift. Riit ber ©r^äßlung oon ber erfolgten ©rünbung 
beS britten OrbenS werben wir unwidfürlicb aus ben geglichen 3eüen mitten in ba« 
Bolf oerfeßt. ©S itberrafebt unS alfo nicht wie eine unlogifcbe ©ffeetbafeberei, wenn 
in ber ©inleitung jum jweiten Xbeile gan$ einfache, oolfstbüntlicbe ÜJtelobien er- 
febaden, bie unS bureb ib r 5Befen mitten unter bie Bifferari unb bie fte umgebenbe 
Bergnatur oerfeßen. Schlicht unb anfprudjSloS febweben in ruhigem Xempo bem 
uraltem Rtelobienfcbaße ber italienifcben Bergleute angemeffen nacbempfunbene Rtelobien 
babin, ftcb nirgenbS ju einer aufregenben 3öirfung oerfnotenb. 9lber ber 3wbörer 
ahnt, was ba fommen fofl; wie bei Beginn ber Rbenbbämmerung baS XageSlicbt 
ftetig abgetont wirb, fo oerliert fleh ber fanft heitere ©barafter beS inftrumentalen 
3bpüS unb wirb etwas fcbwermutbburcfyogen, — man fühlt unmillfürlicb, bafS in 
bem 3[bpll auf bem Rloemerberge ftcb etwas geänbert habe. Xa tritt bie ©rjäbletin 
ein unb berichtet in faft lapibar gehaltenen 3ügen oon ber Stigmatifation. Run oerftebt 
man fofort bie eingeftreuten Seufjer ber Qnftrumentaleinleitung; biefe haben anticipatio 
jenes ©efüßl erweeft, baS ber ^eilige empfunben höben mufS in feinem fjleifcbe, als ißm 
©briftuS in ber ©eftalt eines Seraph wäbrenb beS inbrünftigen ©ebeteS erfebten. Xie 
©nabe, bie ißm juXbeil wirb, oorauSabnenb, froßloctt ^ranciScuS: „Magnificabitur 
Christus in corpore meo“ unb gibt feinem gehobenen ©lücfSgefüble in einer 9Irte — 
eS ift bie einzige im ganzen Oratorium — patbetifeben SluSbrud. Run berichtet bie 
Storia baS ©efcbebniS: an feinen §änben unb grüßen leuchten bie SBunbmale. ©ntrüdt 


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P. HartmannS Oratorium „0t. granciScuS". 383 

allem Qrbifcben, in fich gefeiert, beglücft unb befangen, freubig erregt trofc ober infolge 
beS pbpfifcben ScbmerjeS, oerf lärt unb oerroirrt — baS ift ber momentane Seelen 
juftanb be$ Heiligen; unb biefeS ©ebeimniS bat ber ©omponift fo wahrhaft unb ge 
lungen felbft auf ben gar nicht eingeroeibten Hörer $u übertragen ba$ ©lücf gehabt, 
bafS ihm Daufenbe folgen mufften. Au$ bem Iefcten Dafte ber Orchefterharmonie 
nach ber ©rjäblung quillt auf einmal, ungeahnt unb roie baS SBunber überrafcbenb 
ber Orgelfafc b^ 0 ^ ber nun 5Borte beS heiligen ^ranj: »Crucifixus sum Christo« 
begleitet, ©in canonifdh gearbeitetes Duett jroifcben ber $1. ©lara unb SucbefiuS 
oerherrlicht baS SBunber auf bem Aloemerberge unb fcbliefet fo roeltabgeroanbt unb 
rote in Betrachtung oerfunfen, gefummelten ©eifteS ben jroeiten Xheil. 

Die ^nftrumentaleinleitung jum britten Xty'xk führt uns an baS Sterbelager 
beS hl. SrranciScuS. AuS ber Diefe ringen fich Bu&feufjer, büfter unb bunfelgefärbt, 
heroor; ben 3ubörer überfommt $obeSabnen. $ein fchnittiger, heßer Saitenton Kart 
btefe Dämmerigfeit, fonbem &olj- unb Blecbbläfer theilen ftch in bie Aufgabe, jene 
gcbrücften Harmonien $u bringen. 

Die ©rjählerin berichtet nun, bafS ber hl* SranciScuS am Sterben ift. ©r 
felbft fehnt benDob herbei: »Beneveniat soror mea mors!« Doch möchte er juüor 
nochmals fein Sonnenlieb hören, roelchen Söunfcb ihm feine Schüler fofort erfüllen. 
©S ift ein ßRännerchor, einfach roie alles, aber trauerburchroeht unb etroaS herb. 
s Jlachbem biefeS Sieb beenbet roar, rourbe baS ©oangelium gelefen, roie uns bie 
©rjählerin im folgenben SRecitatiu berichtet, unb bann fpricht ber ^eilige ju feinen 
„Brübem" jum lefctenmale unb ftimmt ben ^Pfalm 141 an, roelchen ber ©hör 
feiner Schüler aufnimmt, unb roährenb biefer ben Bfalm fingt, haucht SrranciScu* 
feine Seele aus. ©in fRucf — baS Orchefter fefct auS, ein Arpeggio ber Harfe oon 
ber Diefe nach ber §öhe oerftnnlicht baS ©ntfehroeben ber heiligen Seele oom ©rben 
thale $u ben HintmelSböben. ©in fRecitatio ber ©rjählerin berichtet baS ©efchebniS: 
»Et vir beatus obdormivit«. ©in aroeiteS D^ecitatir» beS BruberS Angelo „conftatiert" 
— möchte ich fagen — mit ben SBorten beS ©rabualS am fjefte beS ^eiligen, bafS 
ber auf ©rben arme unb bemüthige JfranciScuS als ein ^Reichet im Himmel einjog 
unb mit hintmlifchen ©efängen empfangen unb geehrt rourbe. Der gentifchte ScblufS 
chor bringt enblich bie eroige Seligfeit beS ^eiligen sum AuSbrucf; bie aflerbeiligfte 
Dreifaltigfeit fpricht &ur neu aufgenommenen Seele: »O sanctissima anima — mane 
nobiscum in aeternum!« Die eroige Dauer roirb burch baS primitioe üRittel bev 
BSieberbolung oeranfchaulicht. — Damit fchliefet baS Oratorium. 

3ßir hatten htemit bie ganje Anlage beS SBerfeS erörtert unb finb 
feiner Stelle auSgeroicben, bie Scbroierigfeiten bieten fönnte. Unb nun entfteht bie 
5rage, ob biefe Einlage, roie fie ift, ben fünftlerifchen Anforberungen entfpriebt? 

3ch behaupte, geftüfct auf bie oorauSgef hielte Analpfe: ja. Der ©omponift 
bat ben Blan gut burchbacht, bat bie ber ßRufiffunft ju ©ebote ftehenben ÜRittel 
angeroenbet unb gut oertheilt. Qnftrumentaleinleitungen unb Begleitungen, fRecitatioe 
für oerfchiebene Stimmen, ©höre in aßen Befefcungen, Homophonie unb 'JJolppbonie, 
^nbiüibualifierung ber ^ n fttumente nach ib^m Älangcharafter, Bertheilung ber 
^ormmaffen — aßeS ift in ben Arbeitsplan aufgenommen unb babei benüfct roorben. 
Der ©omponift bat ber fehlsten Xeytbübung erft Seben gegeben burch bie abroecbS* 
lungSreiche Bearbeitung einzelner Abfchnitte. AßeS bieS fpricht hoch beutlkb für bie 
Behauptung, bafS roir ein burhauS fünftlerifch gebadetes Donroerf oor uns haben. 


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384 


Dr. $ofef üftantuani. 


©ine anbere Srage tft bann, ob bie roefentließen 9lnforberungen erfüllt ftnb 
unb ber ©barafter beS ©egenftanbeS getroffen ift. 

SBei ^Beantwortung biefer $rage fönnen bie Meinungen je nach ihrer ^nbioi^ 
bualität auSeinanbergeben. 28er ficb jeboeb mit bem geiftigen ©runbjug beS bl- 3rranciScuS, 
ber ja für ben ganjen Crben Siegel unb SHicbtfcbnur ift, nur ein roenig oertraut 
gemacht bat, roirb faum etroaS 28efentlidjeS einioenben fönnen gegen bie 2luffaffung 
unb bie föealifierung beS ©ebanfenS, ber bie ©runbfefte beS 2BerfeS bilbet. Der 
innerfte $ern, baS 2Befen ber pbilofopbifdHocialen ©eftrebungen beim bl- 5ranciScuS 
ift baS ©icbfelbftoergeffen in ber SiebeSbetbätigung für Slnbere, ift eine plan* 
mäfjige ©elbfterniebrigung; bie felbftgeroäblte 9lrmutb ift ber ©runbjug 
feinet DenfenS. ©infacb unb prunfloS fmb feine 2Borte, roenn er ben großen $olfS* 
maffen prebigt, — aber fie oerfeblen ibr 3tcl nicht, ©egen biefen ©runbjug bat 
P. Jmrtmann ficber in feinem fünfte gefehlt bei ber Anlage unb ber Durchführung 
feiner ©ompofttion, $umal er ja baS roeltfreubigere Vorleben beS ^eiligen gar nid)t 
berührt, fonbern beffen SebenSgefcbicbte nach bem SBerlaffen ber meltlicben ©üter 
unb Jreuben in Tönen febilbem will. 

Da bebarf eS benn feiner mufifalifcb’biplomatifcben Formeln unb ^brafen 
feinerlei teebnifeber ©pifcfinbigfeiten, feiner intereffanten Harmonien unb pacfenber 
Tonroifce, feiner ©eroalttbaten an ber ntuftfalifcben Sogif. Das mag unferer mobemen, 
$u foäalen ©eroalttbaten ncigenben 3eit auch auf bem ©ebiete ber Eunft ein SBebürfntS, 
ein roirffameS ^eijmittel fein, — am ©eifte beS bl- SrranciscuS angebracht, roäre es 
ein roiberfinniger ShtacbroniSmuS. Denn bie freiroillige 5lrmut beS bl- 3franciScuS 
fmnt nicht auf braftifebe Mittel, um irgenb einer s 2lnforberung beS brutalen Kampfe* 
um baS Dafein ©enüge ju leiften; fie ift fanft, gebulbig, langmütig, oerfebroiegen. 
©S ift etroaS ©rofeeS um biefen bl- 3ranciScuS, baS roir moberne ÜJtenfcben nidjt 
roobl faffen fönnen, befonberS, roenn roir bebenfen, bafe jenes breijebnte ^abrbunbert 
— oorab in Italien — burcbauS nicht fo rübrenb unpraftifcb roar, roie roir gern 
benfen. 2lucb biefe 3*tt rang mit ben 2lnforberungen beS SebenS, au<b fte fannte 
ben „ßampf um baS Dafein". Unb ba fommt einer ber »beati possidentes«, 
entäufjert ficb feines $8efifceS unb lehrt — man fann ruhig fagen, bie ganje ©haften* 
roelt — bie freiroillige 9Irmut! Um bem ©eifte biefes ©ngels im ÜJtenfcbenleibe 
gerecht ju roerben, roenn man ihn in Tönen malt, — baju gehört ein grünblidje* 
©icboertiefen in benfelben unb in bie Kultur feiner 3eit. 

P. ^artmann bat fein 2Berf fo aufgefafSt unb bie Tonbilber entfprecbenb 
geftaltet. ©ein burcbauS fünftlerifcb gebacbteS 2Berf ift mit einfachen, fogar febr 
einfachen teebnifeben Mitteln b er 8 e fallt- Cb ich mir einen glänjenberen, oiel 
glänjenberen 2Burf ber ©höre benfen fönnte? ©eroifS. Unb eine roirffamere 
JOarmonifation? Qa. Cb mehr SBecbfel ^tneinjulegen möglich roar? MerbingS. 
SBieHetcbt roäre ein oollfommenerer Ausbau unb ein reijenberer ftlufä be* Themen in 
ben fugierten ©äfcen unb beim ©anon ein compacterer ©ufS möglich aeroefen? 
Unbeftritten. Der ©omponift bat es unterlaffen, roeil bteju eine äftbetifebe SBeran 
lajfung oorbanben roar; roer fann mit ihm bariiber rechten? ©oncertmä&ig freilich 
ift bas Oratorium nicht; eS roiH uns mufifalifcb in ben ©eift beS bl- 5$ranj ein^ 
führen, in ben ©eift ber s 2Irmut, ber ©elbftoerleugnung unb ber ©elbftemiebrigung; 
roo beginnt baS 3umel ober 3uroenig beS fünftlerifcben SlufroanbeS? 28er fann ba 
bie ©renje jieben ober roenigftenS beffer jieben als berjenige, ber ficb mit biefent 
©eifte praftifcb unb grünblicb befannt gemacht bat? 


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P. JpartmannS Oratorium ,,©t. JranciScuS", 


385 


Übrigens haben mir ja fehr fchäfcenSroerte parallelen hie$u inberbilbenben 
ftunft. Atehme man hoch baS SBilb beS 1)1. granj, roie eS im ©acto ©peco ju 
©ubiaco gemalt tft unb jiehe mobemere Scaler, oorab etroa ARuriHo ober 3urbaran 
iur Aergleidjung ^eran: baS tedpiifch Primitiofte entfpricht bem ABefen beS 3)ar* 
geteilten am beften. ©iotto ^atte in Affifi bie ©tigmatifation mit äufjerft prhuitioen 
Mitteln bargefteHt, tro&bem aber alle feine Vorgänger, bie biefen Vorgang barfteHten, 
— eS finb jebn Silber oor ©iotto befannt — roeit überholt unb bamit baS ©runb* 
fchema für alle Seiten gefdjaffen. ABürbe heute ein Zünftler fo malen rooDen, roa$ 
mürbe bie ßritif über beffen fünftlerifche Befähigung fagen? Unb boch — man gehe 
alle bie bebeutenben 3)arfteUungen ber ©tigmatifation burd), j. 33. bie ©laSmalerei 
tn ÄönigSfelben, bie Jpoljfchnitte beS 15. ^ahrhunbertS, BucaS oon Sepben, 
3- oan AJtecfenen, $)ürer, ©aracci, ©igo.lt *c. bis auf Führich unb Subroig ©eifc —* 
feine ift gewaltiger, urfprünglidher unb oon fo unmittelbarer ABirfung roie baS 
primitioe unb beftedjenb naioe 33ilb ©iotto’S. Aflan hat fein fttecbt, roegen ber groben 
Einfachheit beS einen 33ilbeS auf ©iotto’S Unfähtgfeit, auf beffen fünftlerifcheS ABoHen 
unb können ju fchliefeen. $aS ift feine „oorauSfepungSlofe" Äunft, ebenforoenig 
mie eS bie ©ompofttion P. ftartmannS ift. ABaS man oorauSfefcen fann unb barf r 
baS ift eine innerlich fromme, ftimmungSooUe, äußerlich einfache, für mobeme ©oncert- 
löroen.reijlofe AJtufif. 

5>änbel, 33ach, $>apbn, 33eethooen, AJtenbelSfohn u. a., benen bie ABelt concert- 
mä&ige Oratorien oerbanft, roodten ihren ßünftlerruf begrünben, um bann pecuniäre 
Afortheile barauS ju jiehen. 2)a mögen mancherlei Ahicffichten mitgefprochen haben 
bei ber Anlage unb Ausarbeitung ber Sonroerfe; oor allem mar eS natürlich baS 
©treben, bem ©efehmaefe ber 3eit §u. entfprechen. S)iefe Umftänbe fptelen bei einem 
ftranciScanermönche feine SRoUe. Unb roenn er componiert, fo ift eS einfach ber 
tünftlerifche 3)rang, ber ihn anfpomt, auS ftch felbft heraus ju fchaffen, fo roie 
es ihm um’S fcerj ift. „$)er Äunft ihre Freiheit!" 

AuS biefem einzigen ABerfe fann man ben Zünftler jeboch noch nicht fennen 
lernen ; man erhält ein anbereS 33ilb, roenn man ihn in feinen intimeren Regungen, 
bei ©ntroürfen unb fleineren ©ompofitionen belaufet. 3)aS Oratorium ©t. ^ranciScuS 
aUein jeigt noch nicht ben ganjen P. §artmann, obroohl eS oiele oortbeilhafte 3Ü9* 
aufbeeft. 3n feiner Harmonie ift er mobem unb frei; er roenbet nicht feiten bie 
abgefürjte ARobulation ä la ©rieg an; in feiner ^nftrumentierung nnrb man an 
üJtenbelSfohn, ABagner unb — AJtaScagni erinnert. ABunberbar fann er ben 
gregorianifchen ©horal unb, roie fchon oben gefagt, baS oolfSthümliche Bieb nach» 
empfinben. ©eine 5)eclamation in ben Atecitatioen unb Arien gehört $u bem 
Aüerbeften, roaS auf biefem ©ebiete gefchaffen rourbe, fein longefühl jeigt eine aus* 
gebübete Atuancenempfinbung. $>aS aUeS befunben auch feine übrigen ABerfe; roer 
P. fcartmannS ßirchenchöre nicht gehört ober gefehen hat, fann ftch fein abfchliefeenbeS 
Urtheil über biefen AJtann erlauben. Alle jeigen Aorbebacht, Atettigfeit unb ehrliche 
Arbeit. ABürben allemobemen ©omponiften ben 33ocalfafc ber menfdjlichen ©timmefo 
angemeffen behanbeln roie P. ftartmann, bann hätten roir roahrfchetnlich einige 
tüchtige ©änger mehr. Aftobem aufgepuloerte, ergrübelte unb concertmäfjig reijooüe 
ABerfe finb aber oon P. §artmann nicht ju erroarten, roeü er ^ie^u $u roenig äußerlich 
unb ihm bie ©mpfinbung ber ©oncertbefmher fremb ift. 


$ie Ihiltur. III. 3a^rfl. 5. $eft. (li»?.) 


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•26 







Otfried. 

(Eptltfie Birljtung in neun (gtefängtn non *** 

(Orortfefcung.) 

Dritter Gesang. 

Kreuz und Rose. 

D?r3üngling manbelt über grüne IDiefen, 

€in Bädjlein raufdjt 311 feiner littfcn Fjanb, 

§ur anbent ragen graue (felfenriefen, 

Dor feinem Kuge liegt ein meites Sanb. 

Das fjirtenfinb am raufjen Badjgelänber, 

€s lächelt frofj beit trüben IDanb’rer an — 

Du fielet, bie IDelt t^at ifjre pradjtgemänber, 

3 ung ®tfrieb, bir 3 uliebe angetljan. 

Hidjt fyört ber ernfte IHauit bas fanfte (Srtifien, 
Das itjm 3 U ^e^en fpriebt bie tjeit’re IDelt; 

Die Blume pflücFt er nur 3 U feinen ^füfjen, 

Die 3 U bem IDege martcitb ftcb geftellt. 

„IDegmarte" nennt fie ftd? in ftummer Klage, 

(Hinft mar fie ein oerlaffen Ittenfcbettfinb, 

ZTutt fyarrt fie an ben IDegen — geljt bie Sage, — 
Kuf bafs fte ifyren Siebling mieberfinb’. 

€r brüeft bie Blume fiiffenb an bie Sippen, 

Kls mollt* er tröften fie mit linbem (Eroft: 

„3d? fclber mufs norn Keld? bes Seitens nippen, 
Das gleiche Sdjicffal fyab’ idj mir gelost. 

3d? Fenn’ es moljl, bas Seiben über Seiben: 

Das Siebftc, bas man meiß, auf emig meibeul 

gmifdjen bir unb 3 mifdjcn mir 
(Eaufenb Strahlen leuchten, 

Spielen mit ber (farbeu 3 ier 
3 n bem (Sras, bem feuchten. 

§mifd?ett bir unb 5 mifdjen mir 
(Eaufenb Döglein fangen, — 

(Djal unb Flügel — bort unb ljier — 
Kües ifi ein Klingen. 


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93on * * * 


HS 


gwifd?ett bir unb 3 wifd>ett mir 
(Eaufeitb Blumen blühen, — 

Ad), wie mar’ es bod? 3 U biv 
< 5 ar (0 fdjött 311 3 tefyeit! 

IDeil es aber ntd?t mag fein, 

Soll mein Sieb bidj grüßen, 

Blumen, Klange, Sonuenfd?eitt 
Seg* es bir 311 ^iifjett." 

Der 3üngling fang es unb er ftieg 3 um Steine, 

Den faum ein aitbrer 3 U erflimmeu wagt, 
gnr ^erne geljt fein Blicf 311 m grünen £)ai?te, 

Kus bem ein fto^er Berg 3 um fjimntel ragt. 

„Dort wofjnt", fo ruft er, „rnoljut nun all mein ^rieben, 

Hub ewig bin id?, ad?, oon ifjnt gefdjieben! 

So tjaU* id? watjrlid? bir nid?t foüeit trauen, 

ZTid?t bir, nod? beiner 3 auberf?afteu gier, 

Dod? mufst* id? ftefj’u — ich mufste ftefy’n unb flauen, 

3 d? wollte flietj’n unb* fonut’ es itid?t — oor bir! 

Denn niemals Ijatt’ id? itod? ein Bilb gefefjeu, 

So muttbcrliebes Bilb gefefj’n oorfjer — 

Drum mufst’ id? fd?au’u, id? mufste fd?au’u unb jteljen, 
llnb wenn ein Blicf mein (Eob gewefeti wär\ 

XTun werb’ id? ewig müffen au bid? benfeit. 

Du wunberfames Bilb ber eblett IHaib; 

IDotjin id? fünftig mag bie Schritte lenfen, 

XDirb folgen mir bie ftille (Eraurigfeit. 

Ittir ift, als war’ ein Sieb 311 mir gebrungeu, 

<£iu innig Sieb burd? weite Sommernacht, 
llnb fjätte ftd? mir um bas X}er 3 gefcbluitgen 
XTtit ftarfer, fanfter, traurigfüjjer IHad?t. 

Diel perlen fd?an id? in ber treibe Kränjen, 

Der UTorgen weinte fte oor Seib unb Sujt — 

Dor XDonne, toeil er burfte bid? begläu 3 en, 

Dor Sd?mer 3 en, weil er 001 t bir fcfyeiben mufst 1 . 

3d) netje mir bie Xjaub mit feinen (Etjräneu, 

3cb fütjle mir bas X?er 3 , bas Augenlicht, 

Auf bafs and? id? befiege all bas Seinen 
Hub nid?t rergeffc meiner tjetjren Pflicht." 

Die (Eljräne feuchtet itjm bie Augenliber, 

3 »bes er fittnenb ttaef? ber ^ferne fpäljt. 

Da fällt ein Pfeil 31 t feinen ^üfjett nieber, 

An bem ein Blatt im E^öhenwinbe wellt. 

Drauf jiefyt mit jungem < 2 rleu 3 weig gefdjrieben: 

„(Sefäl?rlid? ift bas (Eräumett auf beit 5ötj*n; 

XDenn bid? perwirrt ein Seiben ober Sieben, 

25* 


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3 88 


Ctfrieb. 


Damt foüteft bu 5nm fiebern (Ebale gehn." 

Der 3 üngling liest befd^ämt bie (Eabelmorte, 
llnb Abfdjieb nimmt er pom geliebten (Drte. 

Hm ^Juf$ ber Reifen fpielt bie milbe EDelle, 

Sie mirft empor, fte fängt ben leisten Scannt, 

Dann eilt fte nad? ber Bucht in beifrer Schnelle 
Unb jagt bie gmeige um ben IDeibenbaum. 

Der 3 üngling febreitet auf bem IDcg, bem glatten — 
(Es ift ein Stamm, gefenft von eigener £aft — 

(Er fhtbet (Eigil ruh’n im (Erlenfcbatten, 

Der blanfc Bogen bängt an bürrem Hft. 

Dem 3 ünger fd?lie|gen ficb befcfyämt bie Äugen 
Unb por ben OTeifter tritt er rebebar; 

Der fdjilt ihn ftrenge: „Klag ein (Eräumcr taugen 
Äls (gottesmann im (Eher unb aut Elitär? 

IDie millft bu nach ber IDeisfycit Quellen graben, 
IDenn bu in beine IDelt perfunfen fiehft? 

Die (Eboren millft bu lehren, Schmacbe laben, 

IDenn bu bie pfabe ftedjer Scbnfucbt gebft? 

Du bift ber (gleiche nicht mie an bem (Eage, 

Da mir uns fanben por bem milben fjagc. 

Du mollteft ^liigel bamals, ht n 3 u fli e 3 cn 
gum Born ber (Eugenb unb ber IDiffenfchaft, 

Ells fönnt’ er, eh’ bu fämeft, ttod? perfiegen. 

IDie mufst’ id? 3äbmen beine Ccibcnfchaft 1 
Du mollteft fd^reiben, lehren, benfen, beten — 

Die Kraft pon 3ehn, bu trauteft bir fie 31t: 

IDer meijj, mohin bie argen tüinbe tpehten 
Dein h^i^ö ;?euer, beincs F^ens Hub’. 

3cb fönnte bir pielleicht ben ^rieben bauen, 

IDenn beiner Seele ^elb mir offen mär*, 

Dod? bu perfchliefjeft bid?, unb fein Dertrauen 
£as ich feit lang in beinern Äuge mehr. 

So mufst bu benn bie eig’nen IDege manbeln 
Unb bfijjen für bein Dettfen unb bein hanbeht." 

„0 Hleifter (Eigil, lafs bie herbe Hebel 
(greif mir mit Schonung an ben franfen Sinn: 

Bis h ewtc id? mit mir f e ^ft in *fehbe, 

3cb glaube, bafs ich £obes mürbig bin. 

(Es mar am (Eage, ba mir pilgern giengen 
gur Kamme^eli, bu rubteft in bem IDalb. 

3 cb hörte ferne helles lachen Hingen, 
mich 30g es an mit mächtiger (gemalt. 

Drei tftägblein fanb id? unter einer (Eiche, 

Sic reichten einer 3 ungfrau Blumen bar 


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93on * * * 


389 


gum Kranjgcflccbtc; mas id? ber r>ergleid?e — 

Kein Ding ber IDelt ift nod? fo füft unb flar. 

(Ein IDefen freien es mir aus f^immelsfemen, 

Sein £äd?eln lief melobifd? um ben IHunb, 

Das lieberetd?e Sd?au’n aus gellen Sternen 
<Sab einer mannen Seele Strahlen funb. 

Ulir träumte einjt, es fäm’ non (Sott gefenbet 
(Ein (Snabenbote aus ber anbern tDclt, 

Der fprad?, ein rolles £?orn 5 U mir gemenbet: 

„Dir fei gemährt, mas immer bir gefällt/' 

Da l?ielt id? benn niebt lange lüaftl unb frage,, 
„(Sib mir ein pfanb bes (Slücfs für alle £>eitl 
So ftnb’ id? auf ber IDclt nur IDonnetage 
Unb bod? bereinft bie ftimmelsfeligfcit." 

XTTit läcbeln reicht’ mir aus bem 170 m ber Knabe 
(Ein rottjes Kügelein ron jartem (Sias — 

31?n fal? ich nimmer, hielt nur feine (Sabe, 

3m (Dtjre flang es noch: „So hüte bas!" 

mir fchlug bas ^erj: Hun trug ich in ben fränben, 

3it fcbmacben Iiänbcn trug id? nun mein (Slücf. 

3d? mollt’ es bergen, hoch mobin mich menben? 
Kein Sd?lofs, fein Kicgel hält (Scfatjr 3 itrücf. 

3d? grub es ein an menfd?cnferuem 0rte, 

3d> grub es aus, id? barg es an ber 23ruft — 
Ilnfelig pfanb! — mit biefem Klagemorte 
<Ermad?t’ ich aus bes (Traumes £eib unb €uft. — 
Hur mar mir bei ber 3nngfran treuem Sd?au’n, 

Hls Fönnt’ ich biefer mobl mein (Slücf t>ertrau*u. 

3ch fal? bie 3nngfrau fid? 511 m Hache neigen, 

3n bem fie ihr befranstes Hilb erfchaut’, 

Die Ittägbletti sogen um fie her ben Keigen, 

Sie fangen : 3ubitb ift bie fchönfte Hraut! 

Da gieug es mir fo fchmerslich burch bie Seele, 

3d? bachte fie an fremben 'Hannes Fanb — 

Du fiebft, bafs id? bie Sd?mäd?e uid?t rertjeble, 

So glaub’ mir aud?, bafs id? mid? übermaub. 

3d^ mill ben 2 Deg, ben bn mid? fiihrft, tiid?t meiben, 
3d? fühl’ es mobl, er geht 311 meinem (Slücf; 

Hur bulbe mir, bafs id? mit fünftem ieibeu 
Hod? oft an jene F?ehre benf’ suriief. 

3d> leg’ ins (Srab bie fehnenben (Sebattfen, 

Hur bie ^Erinnerung fall b’riiber raufen." 

Dem IHönche ift fein finnenb tfanpt gejunfen, 

Hun blicft er auf: „IDenn id? bid? red?t rerftanb, 

So millft bu fad?en bie (Sefal?r ber funfen 
Unb fürd?teft bod? ben l?ol?en, hellen Hranb. 


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390 


Ctfrieb. 


Pem Anfang miberfteh! — fo fprach ein Kluger, 

So mancher büßte, ber es nid?t gethan; 

Pen Keim ber (Thorheit in ber Seele trug er, 

Hus bem erwuchs 3uletjt ein toller IPahtt." 

Sprach 0tfrieb: „HUes magft bu CE^or^cit nennen 
IPas uns bie IPelt non ihren (Sütem beut; 

Penn mos bie IHenfdjen IPonnefames fennen, 

(Es fommt, es gebt, es freut uns unb es reut. 

27ur pon bem einen foll ber IPeife fdjroeigen, 

Per gern Perachtung aller Pingc fprid?t: 

IPill ftd? ein Her3 3U einem l^e^en neigen 
3n eblem Prange, bas ift (Djorbeit nicht! 

Penn wenn bereinft in beiner lebten Stunbe 
HU beine Habe aus ber Hanb bir fäUt, — 

Patin nimmft bu bod? 3U ewig treuem Hunbe 
Pie fchönc liebe mit aus biefer JPelt." 

(Ein weißes Höslein brach er pon bem Hage, 

(Er bot es lädjelnb feinem UTeifter bar: 

„Sieb* (Sottes b°^ c Schöpfung an, bann fage, 

0b fte entehren mag bes Herrn Hltar." 

Pa ttabm ber ITTönd? aus feines Kleibes galten 
(Ein fchwa^es Kreu3 mit bem (Erlöfer mtlb: 

„Pu miUft für biefen Fjobenpriefter malten, 

Unb trägft im Fje^en ein pergänglicb Hilb? 

Hur eins ber Reichen magft bu bir erwählen, 

Penn Kreu3 unb Hofe fannft bu nicht permählen." 

Per 3ünger nimmt bas Kreu3, er nimmt bie Hofe, 
(Er brütft fte beibe innig an bie Hrnft: 

„3ch mahle nicht, ich c ” ,c wir ^°f e 
Unb bin mir eines ^repels nicht bemufst!" 

Pa fab ber ITtönch bem 3ünglittg in bie Hugett, 

3tt ernfte galten legt er fein (ßeficht: 

„Plag auch bas Höslein 3U bem Kreu3e taugen, 

So rofenmeiß bleibt beine liebe nicht." 

Pem 3ünglittg auf ber IPange flammt bie Höthe: 
„So möge bir pcrfprechett biefe Hanb, 

Pafs ich ben Prang in meiner Hruft ertöbte, 

Sobalb ich ihn bes Kremes unwert fanb." 

mit lächeln fagt ber Ulöncb: „3n beinen 3abren, 
Pa manbelt man in einer flotten IPelt, 
mit (Trauer aber wirft bu halb erfahren, 

Pafs aüe Hlüte pon ben Sweigen fällt. 

Sur ^rucht geftalten ftch bie halben (Triebe, 

IPie 311m Hegebren wirb bie fd>önftc liebe." 


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93on * 


391 


♦ 

4t 

Der 3üngling ruft: „Dies Dämmern 3 meier Seelen, 
So fdjön mie parabiefesmorgenroth, 

Dies fyolbe Seinen, biefcs füge Quälen, 
fyilb Seligfeit unb halb ein banger (Tob — 

So fjoljen Räuber fdjüfe (Sott, 3 U Iocfen 
Das (fleifd? 3 um (fleifche, bas ftd? felber fudjt? 

Sum (Ean 3 e ruft man nid?t mit Kircbenglocfctt, 

So reifes Blühen blüht nicht für bie ^rucht! 

IDer Siebe mdg ron Siebe unterfdgibet, 

Der fennt mofjl auch ben (Tag nicht ron ber Bacht; 
(Semeine Siebe nimmt, geniegt unb neibet, 

3nbes bie hofje Ciebc fefig macht. 

Der tjotjen Siebe fremb tft ein Begehren, 

(Semeiner Siebe ^Jeuer löfcht itjr Bauch — 

IDie möchte fie bie Unfcbulb nun rerfehren? 

Sie fchont bie (Tugenb unb fie fdjirmt fie aud?. 

Der lUeifter nimmt bas IDort mit ernften Hlienen: 
„Der hoben Siebe mar ich niemals gram ; 

Doch tjofye Siebe mill bem Bofyen bienen, 

Unb nimmer fudg ge, mas 00 m Staube Farn. 

€rfennteg bu ber (Sottesliebe IDonne! 

Balg biefe bir mit ihrer fanften macht, 

Da mirb bem (Seift, als hüb’ ftd? eine Sonne 
Unb tjätt’ er früher nur gefetfn bie Bacht. 

Denn mas bidj locft in biefem Schattenreiche, 
Dergänglich ift es unb ber Untreu roll — 

Bur einer ift ber (Treue, emig (Sleiche, 

Den brum allein bie Siebe lieben foll. 

(Ein (Slocfenläuten aus ber meiten ^ernc 
3g alles (Erbeleib unb alle Suft: 

(Es ruft bidy (Sott — €r rief, er 30 g’ bich gering 
Sur SeligFeit an feine Daterbruft. 

Unb folgft bu ihm, fo fd^mellt ber Seele galten 
(Ein fdjönes Binnen, eine füge Both; 

Um bich rergelfn rergängliche (Seftalten, 

Unb freunblid? grügt ron ferne bid? ber (Tob. 

Das Scben ift bir bann nur ein (Seläute — 

(Ein Schlag bas (Seftcm unb ein Schlag bas feilte, 

Der letzte führt 3 unt Bimmel bid? hinauf — 

Sum (Tempel gchft bu ein bes (Emigfchönen, 

Du hörg ber (Engel (Sloria ertönen, 

Du geigt in einer fePgen Bnbadg auf. 

D’rnm follteft bu ben Blicf 3 um f}öchften lenfen 
Unb nimmer einem IDeibe Siebe fchenfeu!" 

Der 3üttger miberjpridg mit fangen IDorten: 

„Die Siebe, bie bu nennft, bie rühm’ ich auch: 


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392 


Ctfrieb. 


Die S<f?önf?cit (Sottes fud?’ id? allerorten, 

3 m lid?t, im tt>ellenfd?Iag, im tDinbesljaud?; 

Hm fd?önften fat? id? feine fjulb entfaltet 
3 n meines Daters eblem Angefid?t — 

So Ijimmlifd? tjerrlid? aber ausgeftaltet 
H>ie bas ber lieben 3uugfrau mar es nid?t. 

So fünbe mir, marum id? foll r>erad?teu 
Die Sd?önl?eit, wo fic mir am febönften blufft? 
IDär’ fle ein ZMümlcin, bürft’ id? ihrer ad?ten, 
ZDär’ fie ein Döglein, öffnen mein (Semütl?. 

Durd? (Sottes IDillen ift bie Bolbe morben, 

IDie fd?ön mufs <£r, ber fie erfonnen, fein ? 

So mill benn liebe (Sottesliebe morben? 

Sie fd?ließen frot? ftd? in bie Arme ein. 

IDer in ber 3 ungfrau Auge fat?, bas flare, 

0b ber mol?l je ber Sünbe bienen mag? 

€s ift ein Stern, mit bem ber Unfid?tbare 
ITTid? lotfen mill 30m gellen Bimmelstag. 

IfTir al?nt es immer, menn id? an fie benfe, 

Als märe biefer Strahl berabgefanbt, 

Auf bafs er mid? burd? feine 5 d?önl?eit lenfe 
gu großem (Ebun für (Sott unb Aaterlanb. 

IDie follte nur ber £?err bem Bergen grollen, 

Das ftd? beftegen läfst t>on feiner !Ttad?t? 

(Sr fd?uf ein bolbes lid?t unb follte mollen, 

Dafs mir entbebrenb manbeln burd? bie Had?t ? 

So üielen Uei3 gab er bem lieben eigen, 

Dafs id? oergäße gerne Speis unb (Erattf 
Unb immer molltc liebe mir be3eigen 
Unb einzig liebe nehmen für ben Dattf. 

ZZimmft bu mir biefe, fag’, mas fannft bu geben? 
Denn feine anb’re .freubc hat bas leben!" 

„2Tid?t mill id? febben meiter mit ber liebe, 

Die folchett Kämpfer bat," fo fprid?t ber (Sreis; 
„Dod? eines lehrten mid? bie tapfren Biebe: 

3n beinern Be^cn flammt es bod? unb beiß! 

Aid?t Sieger bift bu, mie bu ftol3 gcfprod?en, 

Als ein Acfiegter gebft bu betnen (Saug; 

Dein t?ober Sinn, nod? ift er ungebrod?en, 

3 n feinem Ularfe aber ift er fterbensfranf. 

Drum fd?ließ’ id? bir ben IDeg 31m Jfulbapforte, 
Solang ein 3 abr 311m gleid?en (Tage rollt, 

23 is bal?in follft bu mot?neti an bem 0rte, 

Wo bu bes flbcls erften Keim geholt. 

Unb bjat bid? nid?t bein Sied?tbum übermuuben, 
Dann reid?e mir getroft bie Z 3 ruberbanb. 


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$8on * * * 


393 


3 n (fnlbas fallen wirft bu gan3 gefunben, 

IPo manefy ein (Trüber feinen ^rieben fanb. 
Pocfy.afynt es mir, bu bift bem (Seift rerloren, 
llnb ^leifcb rom ^leifdje bift auch bn geboren. 


liierter Besang. 

Der Sängerkampf. 

3 nt Blanfenwalbe flüftem alle IPipfel, 

(Ein märlein rauften fte einanber 3U, 

Pas Fam fyerab von HlanFenberges (Sipfel, 

(Es natjm bem weiten IPalbe feine Hub’. 

Per ^alfe brachte biefe ITlar 3um Hefte, 

(Er felber fatj cs in ber HlanFcnau, 

IPie ba gerüftet wirb 311m (Ebrenfeftc 
jfür HlanFcnwalbes Ijolbe junge Jfrau. 

Penn fünf3el}n £eri3C grüßten fie als IHäbchen, 
Per neue reitjt fte in ber 3 ungfrait’n Schar; 

Pie Home fpinnt ihr 31t ein golbnes Räbchen, 
Pen Knofpenjabren folgt bas Hlütenjaljr. 

Per Pater fielet erfreut ber (Tochter prangen, 
llnb leife (Ehrfurcht fül)lt er im (Semiitfy: 

Pas Scfyönfte, was er fanb, auf biefen IPangcn, 
3 it biefen Augen fcfyant er es erblüht. 

Um feinen 3 nbel in bie IDelt 311 rufen, 

£ub er bie menge 311 bem IPiegenfeft — 

(Es fließt ber IPein unb an bes (Thrones Stufen, 
Pa barrett (Saufier auf ben Kampf nm’s Heft. 
Petm fiittf3ebn Silberftücfe rub’n im Kreife, 
llmfcfyliefjen einen Hing rom (Solbc rein 
Auf einer (Tafel, bie beftimmt 311m preife 
Pem Sänger, ber ba* würbe Sieger fein. 

Zinn tritt bes Hlanfenmalbcs £>err 3ur (Eiche, 
Jübrt bie Pcrfcbämte auf 3U ifytem (Tljron : 

0 fel’gcr UTann, bem biefe gierbereiche 
IHit milbem HlicFe reicht ben Stegeslobn! 
gunt £ieberfampfe feib ih>r berge3ogett, 

3 br ZDanbcrbriiber mit bem SaitenFlang ? 

(SlücF 31t I IPer nie rom Sangesquell gefogen, 
Per Anblicf gibt ifynt IPorte unb (Sefattg. 
Perwunbcrt fchaut ber (Eble, ber (Semeine, 
Perwunbert ficht ber (Eigentjolbe Schar 
Sie an, bie Pielgerüfymtc Sü^e, Heine, 

3 br Kleib fo licht, fie felber licht unb Flar. 


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Ctfrieb. 


IPer laufd>en Pönntc in bie Berten alle, 

Per fyörte manchen nuinberfamen Klang: 

Per Tiunolt fprach: „Unb tränf ich ftünblid) (Salle, 

IHcin wirb fte niemals“ — nafynt ben IPein unb tranf. 
Pann fuhr er, fiel? getröftenb, in bie Saiten, 

<Er fagt’ bei fid?: „Pen preis erring* ich wohl, 

Per foü mir niandien guten dag bereiten 
€in ^fäfslein trinP* ich mit ben trübem bohl.“ 

Unb prüfenb gieng fein mief im Sängerfreife, 

IPcr i^m 311 fürchten märe non ber Sdjar — 

Per ftnnolt Pennt it^r aller IPort unb IPeife: 

„Per preis ift mein — icb nebm* ihn ohne ^alir.“ 
llnb eilenbs prüft er noch bie blanPen Saiten, 

Penn einer ruft ibn auf 311m Sieberftreit: 

2 Pie flinf auch, Sibolf, beine Ringer gleiten, 

Pes Tnmolt Kehle macht ben Kampf bir leib. 

Zinn wagt es Sigimnnb, ber Saugesfrobe, 

(Er fingt ein helles ^icb aus heit’rer 33 rnft: 

Pein Sieb ein ^lämmchen — ftnnolbs Sieb ift Sobe — 
IPie traurig, Sigmunb, bafs bn weichen mufstl 
Tlud> Knnbrat will ben reichen Sobn gewinnen, 

JPo manch ein beffrer OTnnb fchon unterlag? — 

Per Plnge Katbalb gietig fchon Iangft non binnen, 

IPcil er ben Spott nicht 31t bem Schaben mag. 

3 ft nibnin ber letzte SangesPrieger, 

Per mit bem l^nnolt wettet um ben Sobn? 

Sein Sieb oerftummt — bu, frunolt, bleibft ber Sieger, 
(Tritt nun b cr an 3ur 3 ungfrau au ben (Thron. 

21 ein, wenbe bidi! Hoch einen mufst bu 3äbmen, 
Soeben trat er in ben Kampfesraum. 

Pu wiüft mit beinern niicf ben (Scgner läbmen? 
tV b jener fiebt nur nach bem (Eicbenbaum. 

So fing ooran, er folge beiner IPeife 
§u feiner Scbanbe unb 311 beinern preife. 

„füllet IPein in golbne Becher, 

Keidjet mir ben Sebenstranf! 

Penn mein flug* wirb fd>mad> unb fdnoäcber, 
IRübe bin ich — fterbensPranP. 
drinP icb erft bie eble Sabe, 

Bin ich heil, id> wrrb’ ein Tjelb, 

(greif mit Sachen nach bem Stabe, 

§iebe fingenb in bie iPelt. 

(Srüjf ben iiimmel unb bie (Erbe, 

(Srüff bie (Quelle unb ben JPalb, 

(Srüjf bie ftiitte unb bie Serbe: 

Suftig Ser3C wirb nicht alt!" 


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$on * * * 


395 


llitb lädjelnb minft ber Berr rom Hlanfenmalbe, 
Da nabt ein Knecht mit bem gepriefnen (Eranf, 
€in Sturmgeläcbter flang auf meiter Balbe, 

IPic jener 30g unb leer ben Becher febmang. 

Dann menbet ftdj ber ITTengc Sinn 3um Sänger, 
Per eben feine erften (Eöne fdjlug; 

Pod> 3 ubttbs Rüge Ieud?tet bang unb bänger 
Dor Sorge, bie fte um ben ^remben trug. 

Sie gönnt mobl feinem fonft bes Sieges (Ehre, 

Jfür feinen fürstet fie fo febr bie Scfymacfy — 

0b fte mobl nun ein leis (Sebetlein fpradj, 

HIs er fein lieb begann, bas emfte, bebre ? 

„(fern bem Kreife lauter §ed?er 
iPall* id? einfam meinen (Sang: 

Rllnatnr tfl mir ber Becfyer, 

Sdjönfyeit mir ber liebjte (Eranf. 

Heine luft gibt folcbe labe, 

Himmer mirb mein Purjt geftiüt — 
f}eil Pir, Pater für bie (Sabe, 

Pie aus beiner Schöpfung quillt 1 
IPenn icfy biefen (Eranf genoffen, 
ifütjr id? mich ben Sel’gen gleid?: 

*freuttb unb ^feinb ans 5er3 gefd} loffen — 
IPelt, bu bift ein Rimmelreicb!" 

€s quoll ein 3 ubelruf aus allen Kehlen: 

IPer lefjrte nur ben 3 iingling folcbett Sang? 

Wo lernte ber bie ^frömmigfeit oermäblen 
Pcm (frobftnn burdj fo monnefamett Klang? 
Pcrmunbert rubt auf ihm ber Rlicf ber menge, 
Begcijtert fiebt bie 3 ungfrau 3U ibm bin; 

Per Ejunolt aber greift bie ftärfften Klänge, 

5 « beugen bofft er nod) bes Polfes Sinn 
Purcb munt’ren Sdjer3 — es liebt ja feine Klagen. 
So mar es einft unb ift’s in unfern (Eagen. 

„Blonbe IHaib im ^feierfleibe 
mit bem Helfenftraufj im Raar, 

Rd? ich feb, bafs nid?t 3um leibe 
Peine mutter bid? gebar. 

Set*’ bid? b^r 3um fühlen IPeine, 
leib mir beinen Hofenmunb, 

Küffenb, lad>enb fei bie meine 
*für bie all3u flücbt’ge Stunb’. 

Penn ich mufs bann meiter manbem — 
Sängerfinn bat feine Hub’ — 


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396 


Ctfrieb. 


Deiner beuf’ ich, finb bie anbern 
Hid?t fo licbemert mie bu!“ 

^<Seläd?ter Hingt, es flatfd?en taufenb Ränbe 
Dem tjolben Seichtfinn ihren Beifall 3U; 

IDie fefjr bas IDort bes IHannes ^er^ auch fdjänbe, 

IDer fragt barum? Hun, 0tfrieb, finge bu! 

IDirb fyofjer Sinn bie Schalheit übertönen? 

<Er fang rom IDeib — fo fing ron beiner Schönen. 

„(Ein lichter (Engel mollt’ id? fein, 

3 ch lieg ber fchönften Sterne Schein, 

^lög’ ungefelj’n 3U bir tjerab, 

Dich treu 31t fyüten bis 3um < 5 rab. 

3 ch trüg’ ben Stein ans beinern IDeg, 

3 d? baute jebem Strom ben Steg* 

Unb fchliefeft bu am gäben Kanb — 

3 d? bich ftarfer Raub. 

Unb Blumen pflan3t* id?, mo bit geljft, 

3d? fpräd? ins Rer3 bir, tuo bu ftehft, 

3 cf> gieng pon beiner Seite nicht, 

Bis mir bein liebes Äuge bricht. 

3d? flöge bann, mit bir pereint, 
fjin, ipo fein Äuge (Djränen meint, 

Des Rimmels Riillen 30g’ ich auf 
Unb führte bich 311 (Sott hinauf." 

Der (Ton perflang, es blieb bas leere Schmeigen, 

So mancher fenfte finnenb ftill bas I^anpt: 

(Einft mod?t’ er auch fo eble £ieb’ er3eigen, 

Dod? hat bie Seit ben hohen Sinn geraubt. 

IHit IDeljmutb benft er an bas parabies, 

Das er perlor — nein! — nnbebacht perlieg, 
ad?, gab es ein Sunu* nach jenen Huen, 

U)o Rimmelsperlen auf bte (Srünbe trauen, 

Wo jebe Blume ift ein bjimmelsgrüfjen, 

(Sefanbt, ber (Erbe Bitterfeit 3U fügen, 

Wo Utenfchen uns mie Rimmelsmefcn fcheinen — 
l>orbei, porbei! Du fannft nur barum meinen ! 

Die menge fd?meigt — es febmeigeu rings bie Rügei, 
Dafs man ber feheuen (Srille Strp en fyört, 

Die Rer3en hob empor ber Anbacht Jlügel, 

U?eh’, ^unolt, bafs bein Sang bie Sel’gen ftört! 
tDie I]unbebellen in gemeinten Bäumen, 

So Hingt bein Sieb in biefes fyeil’ge (Träumen: 

„Sit}’ ich por bem rollen Bcdn’r, 

Unb ein mägblein ift babei, 


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elgt mir nur ein Sorgenbrecher: 

ITtunt’res IDort 3ur ITtelobei. 

3 >n>if<hen Kufs unb Bechemippen, 

Pafs ber Ittunb nicht müßig fei, 
fliegt mir ron ben fronen Sippen 
(Eine h^it’re Ittelobei. 

^afst ber (Eob mich im (Senitfe, 

Sing' id? weine Ittelobei, 

Jfüjf ihn mieber mit (Sefchicfe — 
llnb mir tanjen — eins, 3roei, brei!" 

Kein Saut bes Beifalls tönt bem eitlen Singen, 
Ittan hulbigt einer reinem, h^h eni Ittacht: 

IDer mollte feinen Preis bem 3 rrlicht bringen, 

IPenti ihm bie große, reine Sonne lacht? 

(Erfanb ber Ittenfchengeift bas Spiel ber Saiten, 

Pafs feine (Eöne ihn 3um Biebern 3ieh’n? 

Pie rechte Kunft miU uns nach oben leiten, 

Bei ihrem Bah’n mufs bas (Semeine giebn. 

(Ein Strahlenbote aus bem anbem Seben, 

. IDill fie ben Ittenfcben über ihn erbeben. 

Pie (Slut ift rein, bie beinen (Seift bnrchglüht, 

So finge, 0 tfrieb, beinern Sieb ein Sieb: 

„Beror ich bich gefeh’n, h<ib id? gefungen 
So manches emfte Sieb bem h<>h en XBalb. 

Bun aber fühl’ i<h weinen (Seift burchbrungen 
Don nie geahnter (Eöne Bocbgcmalt. 

3 cb feb bie (Engel fid) um mich perfatnmeln, 

Sie tragen mich nach ihren fePgett Böh’n — 
IDas porbem ich gefprochen, mar ein Stammeln, 
IDas porbem ich gefungen, ein (Seftöbn. 

Sie reichen mir 3U neuem Spiel bie Saiten, 

Sie gügem mir bie reingen Ittelobiett — 

3 cb fühl* bie Bruft für eine IDelt geh meiten, 

3 n lauter Sieber fliegt mein Pafein hin." 

(Ein neuer 3 ubelruf h<K g<h entrungen 
Per Dolfesmenge, bie nun freubig gebt, 

IDie man ben 3 üngling, ber fo h e h r gefungen 
mit fanftcr Fjanb 3um jfegesthrone sieht. 

Pem Qunolt aber glüht pom §om bie tPange, 

(Er fchmettert feine Barfe an ben Stein, 

Pafs ge 3erbricht mit einem fchrillen Klange, 

Sie foU mit (£br unb (Sut perloren fein. 

llnb einen Blicf poU ZTeib febirft er bem Sänger, 

Per gumm unb garr por feinem (Slücfe geht, 


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3 bm reicht hie lUaih hen Solh, ha ftocFt nicht länger 
Pas IDort in ihm, er blicft fie an utth f[et>t: 


„ 3 ch fang noch nie nm meinen Silbers BlinFett, 
3 ch fchlage meine Saiten nicht um (Solh — 

3 ch feb hen preis, hen hohen, fchönen reiuFcu: 

Die (Ehre unh hie Siebe ftnh mein Solh. 
lltth reillft hu beihe meiner Seele gönnen, 

So nimm hen «Eicbeitjmeig, hie Hofe roth — 

U>er reirh mir noch fo Siebes reichen fönnen ? 

So hehres pfauh entrafft mir nur her (Eoh." 

Unh 3 nhitb nimmt hie Hofe aus hem Daarc, 
Sie bricht hen greeig ront Baume über ihr: 

„So nimm, hoch nenne mir hie IDunhcrbare, 

Die folche (Slut entfacht hurch ihre ^ier." 

Da fpricht er Ieijc: „(Sottes reiche (Sitte, 

Die fprad> 311 mir in fanftem IDinhesbaucb, 

3 m (QueUgeriefel, in hem Duft her Blüte, 

3 nt Dogeifang, im (Eannenraufdien aud>; 

Dm Sternenhimmel fah ich ft* entfaltet, 

Dis morgen ftieg fie in has IDalhrerier, 

Do A} enhlich — wahrhaft f^immltfcb ausgeftaltet, 
So fanh ich fie im IHenfchenfinh — in hir!" 

IDohl fenft hie 3 ungfrati fchnell hie Dugenliher, 
Den IDounefchrecf rerbergenh, hod? es geht 
c£iu leifes Beben hurch hie 3artcn (Slieher 
IDie Senfes hauch, her hurch hie < 5 recigc recht, 
lltih weil hie ^reuhe DanFcsreorte töhtet, 

Dod) ohne Saut hie §eit fo bange ranfeht, 

Drum greift fie nach hem preis ntth, tief errötet, 
Spricht fie 311m Sänger, her roll Dtthadit lanfcht: 

„So geh hettn h” 1 / ö™ "Kämpfer 311 belohnen, 
Den guten, her hem beffern unterlag: 
cEr foll ein froher unter frohen reohtten — 

3 hm fei 311m Seihe nicht mein 3 nbeltag." 

Der Sieger fchreitet unter Beifallsrufen 
punolt, her noch in hem Hinge ftelit: 

„Du träteft", fagt er, „felbft au jene Stufen, 

Dätt’ nid>t ein Zufall mich 511m 0rt gerecht. 
Drum magft hu hiefen preis mit (Ehren nehmen, 
IHit hem man hieb ja mehr als mich behadjt; 

Du follft hich nimmer heines Singens fdjämen 
llnh mir nicht neihen meines Sanges macht. 

Du lernteft unter menfeben heinc CCöne, 

Da reurhe hettn hein Sieh Fein tymmclsFlang — 


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399 


SBon * * * 

IHid? lehrte (EinfamFeit bas Tjotje, 3 d?öne, 

Das unfern Hörern in bie Seele brang. 

Die (EinfamFeit gebar ja bie Propheten, 

3 m £ärm ber IDelt oerftummt ber tjotje Sinn; 
Dmm ift mein Singen immer halb ein 33 eten — 
IDer btcb gelehrt, ber fang fcfyon um (Semintt. 

So nimm, mas bi <b bemog 3um Saitenfdjlagen, 

Dm tjaft ja gut ooübrad?t, mas bu gemoüt; 

Hur biefes foüft bu mir jum Danfe fagen, 

Dafs mir unb meiner Kunft bein £}er3 nidjt grollt: 
Der Sangcsfunft, bie auf bem Seelengrunbe 
€in heilig Seinen nadj bem ^öcbften meeft, 

Die Htenfcbeu alle ruft 3nnt Ciebesbunbe, 

IHit Donnergroll bie Sünberfeele febrerft; 

Die, mas ba lieblid) ift auf (Sottes (Erbe, 

3 n eble IDorte, füge Klänge fcbliegt, 

<§u febönem £eibe flärt ber JDelt öefcfymerbc 
Hub golb’ne (Tljränen nod? im Sd?mer3 oergiegt. 

Die Bimmelstocfyter foüft bu mir nicfyt Raffen, 

Du Fannft bid? gern von ihr beftegen laffen." 

(Es murbeit mäblid? beü bes anbem Jpgc, 

2?un greift er ladjenb uadj bem Siegespreis: 

„(Ein SdjalF, mer banFlos bies oon bannen trüge — 
So nimm bie beftc Eefyre, bie ich meig. 

Du bift ein Kirtb, bas unoerftänbig banbeit, 

IDenn bu ben £otjn oerfdimäljft, ber bir gebürt. 

(Ein (Träumer bift bu, ber im Sddafen manbelt 
Dem eitlen Sd?cine nad?, ber i^n oerfüljrt. 

Perlafs ben Sang non Falter Scelenfjofycit, 

Der bidj aüein unb Feinen fonft betört; 

(Senieg oielmebr bes AugenblicFcs ^roheit 
llnb bridj bie frudjt, folang fie bir gehört. 

3 nbes bu manbelft mit bem £ug’ nach oben 
Unb Klänge fyörft, mo Feiner geigt unb fingt, 

Bat fd?neü ein anberer ben Sd?at3 gehoben, 

Der laug genug 3U bir cmporgeblinFt. 

(Es Fommt ein (Tag, mo aü bein (Traumgemebe 
lt>ie morfdj gemorbner Schleier jätj 3erreigt, 

Dann münfeht ber (Ojor, bafs er 00m neuen lebe, 
Dodj ift ber TDärme QueÜ in iljm oereist. 

Die einen fyabett golb’ne (Slut getrunFen, 

Die anbem ftd? an marmer £ieb’ erfreut, 

(Sefättigt finb fie in bie (Srnft gefunFen, 

(Er fielet an feinem (Srabe unb — bereut. 

Drum ftimmc bu bein £ieb 3U meinem (Tone — 

So rattj id? elirlid?, beiner £ieb 3um £ofjne." 


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400 


Otfrieb. $on * * * 


3 ljnt möchte 0tfrieb noch ein IPort ermibern, 

Dod? bünft es i^n perlor’ne Seit unb IHülj, 
iPer mollte Fünftlid? eine ITtaus beftebern? 

Sie lief ins £od? — 3um Bimmel flog’ fte nie. 

Drum menbet er ftd> ab pom poffentjelbcn, 

(Er retdjt bes Heftes Berrn ein Pergament; 

Der ruft erfreut: „Du follft ein ^reunb mir gelten 
flls (Jreunb bes ^rennbes, ben bies Blatt mir nennt, 
Perliegeft bu ben Pogt ber (Eigi^efle 
3 n ^froljftnn unb (Sefunbfyeit — t^u” mir Funb! 

Dod? folg’ mir erft nach meines Banfes Sdjmelle, 

Das bir 3um J}eint gemorben biefe Stunb*. 

Denn alfo Pünben mir bes ^reunbes Seichen, 

Dafs bu bie gefyrung nimmft pou meiner Banb, 

Bis mieber ftcb belauben biefe (Eichen, 

(Ein neuer ^rültlingsjubel Flingt im Canb. 

So folge benn unb bring uns Jreub’ unb ^rieben 
Durd? beine (EinPetjr ins befcbeib’ne Baus — 

<Eud? (Säften fei ber redjte DanF befebiebett, 

Sunt Pbfdjieb nehmet IPein — bas <Jeft ift aus." 

Sunt BlanFentjofe IenFt ber Berr bie Schritte, 
lln feiner Seite gebt bas befte Kinb, 

Sur anbent fdjreitet rebearm ber Dritte, 

Dem füges Bbnctt burd? bie Seele rinnt. 

Die ITCenge aber fdjmelgt in ^eftesmonne 
Bei Spiel unb Speife, IHetfj unb gellem IPein. 

Sunt Scheiben mafynt fic enblicb boeb bie Sonne, 

Der Sd?Iieresbacb erglüht im Pbettbfdjein. 

Hun 3iel?’u fic fjitt mit Sdje^en unb mit Hufen, 
Binanf, tjinab, 3um Berge, bureb bie Hu; 

Sie benFen jener, bie ben 3 ubel fetpufen: 

Des IPalbes t^errn, bes (Etjales junger Jfrau. 

Sie reben fdjelmifd? pon bem jungen Sänger, 

Der fo geftel bem Pttge mie bem 0tjr. 

(Ein polles 3 ai?r 3U (Saft! IPas braucht es länger — 
IPenn fte nid>t tjeute fd>on itjr Ber3 perlor! 

So geb’n fte fd?er3enb. (Enblicb ruht bie Bafbe 
3 n Scbmeigen unb in febma^e Hacbt gefüllt — 

(Es träumen nur bie Richten in bem IPalbe 
Pon einer Pbnung, bie fte all erfüllt. 

Die eine fpridtt: „ 3 cb bab’ es oft gefeiten, 

IPie aus bem tnorgenrotfye mtrb ber (Eag 
Unb aus ber Knofpe bricfyt bie Hof im f^ag — 

So getjt es jtets — fo mirb es tjier gefcfyetjen." 

(Srortfefcimg im nädjjfcn $cft.) 


IHebacteur: $>r. granj ©djnürer. 

Sof. Wotb’fäe 8erlflfl«bucbbflnblunfl. — ©u($bruderei «mbr. Opi&, 

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ffiien. 



Unfehlbarkeit und freie Forschung. 

Bon Ä). Srfilcntjncr. 

1 . 

r ,\Än bem ©treite ber S8orau3fej}ung§lofen gegen bie ©leidjberedjtigung ber 
QP Katpolifen in ber SBiffenfdjaft ift ißaulfen’3 Philosophia militans ein 
Vorläufer gemefen. $iefe Schrift fdjeint bie mucfjtigften ©treidje gegen bie 
fatljolifdje SBiffenfdjaft ju führen; fie richtet fid) gegen „Slericali3ntu3" unb 
„9tatura(iämu3". SRit bem 9?atura(iäntu3 befc^äftigt fic^ ber 5. X^eit: „Srnft 
.'poetfel alä (ßfploiopb". üiefer 2f)eil tommt Ijier nid)t in ©etradjt. ®ie 
übrigen Stbtbeitungen menbett fid) gegen ben „S(erica(i3mu3"; il)re Xitet lauten: 

1. XaS jiingfte Kefcergerid)t über bie ntoberne ißljilofopf)ie. *) 

2. Sa nt, ber (ßljilofopl) beä fßroteftantiämuS. 

3. Katf)oliciSmu3 unb SBiffenfdjaft.**) 

4. Siebte int Kampf um bie greifet be£ ®en!en§. 

SBäljrenb bie Sorauäfefcungdofen megen ber ©dfmädje itjrer ißofition 
atlgemad) ben (Rüdjug antreten mufften, mürbe ber ©runbgebanfe in 
fßaulfen’ä ©rörterungen gegen ben „StericaliSmuS" im Verlaufe be3 ©treiteä 
nid^t miberlegt, ja nicf)t einmal als foldjer angeführt, (ßautfen’S ©ebanfen» 
reifie gipfelt etroa in ben ©ä$en: 

„$(uf bie grage: »®ibt eS eine anbere Quelle ber ©emifsl)eit in @ad>en 
ber SBiffenfdjaft unb ber SBettanfdjauung a(S Vernunft unb ©rfaljrung?« 
antmortet biefe (bie moberne fß!ji(ofopf)ie unb SBiffenfdjaft) entfdjieben mit 
9iein, §ertling bagegen mit einem, menn audj (imitierten, bod) ebenfo 

*) ©egen SGBiUmann, @efcf)id)te be$ gbealiStnuS, in. S8taunfd)roeig 1897. 

**) ©egen t). Bertling, $a3 ißrincip bes KatboltciSmuS unb bie SBiifenfdjaft. 
greiburg 1899. 

$ie Kultur. III. 3a^rg. 6. unb 7. $eft (190S.) 26 


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402 


2S. Schleufener. 


eittfchiebenen 3a! $te unfehlbare Sehrautorität ber Sltrd^e gibt abfolute 
unb le^te ©ntfcheibungeu in Sachen ber Sßahrheit unb jie^t baburd) bem 
pfjilofophifchen $ettfen unb auch ^ er tuiffenfchaftlichen gorfchung ©rennen" 
(a. a. 0., ©. 89). ©obamt: „9lber in Bnncipienfragen gilt eS reinliche ®nt~ 

fcheibung. @o hier: freie gorfchung ober unfehlbare Sehrautorität, ber ©egen* 
fab im Bnncip ift ein auSfdjlicfienber" (Phil. mil. ©. 96). ferner: „Unb 
tuenn ich bem Inhalt nach oüeS glaubte, loaS bie Öirchc ober ber Bopft 
lehrt, baS eine tonnte ich nicht glauben, bafS fie unfehlbar feien; eS fchlöffe 
beit ©ntfchlufS ein, mich für ollemal eine* felbftänbigen UrtheilS über 
baS, maS jene jemals für toahr unb umuabr, für gut unb böfe ertlären 
mögen, 511 begeben; eS märe ber grunbfäbliche S^er^idjt auf ben ©ebrauch 
meiner Vernunft unb meines ©emiffenS." (a. a. £>., ©. 53.) 

SBährenb Bouljen fonft als ernfter gorjeher bem SatholiciSmuS mehr 
als anbere gerecht mirb, ift ihm alfo bic Unfehlbarkeit ber houptfächlichftc 
Stein beS 9tnftof$eS. Sluf ©runb biefer Slnfchauung fpricht ber berliner 
s 45t)ilofoph bem tatl)olifchen Renten bie SBiffenfchaftlichfeit ab: „‘Die Sache 
ftel)t auf enttoeber — ober. 2Ber ben Duhm ber Unfehlbarkeit unb ber 
aücinfeligmachenben Sehre hoben mifl, fonn nicht jugleid) beit Duhm ber 
SBiffcnfchaft unb ber freien gorfchung hoben"*) (a. a. D., @. 96). 

*) BUerbingS miU er nid)t, roie anbere, bie Katholiken 001 t ben Uniocrfitäten 
oerbannt roiffen: „Die letzte BorauSfefcung für biefe 'Betrachtung ift natürlich bie, 

bafS man baS D)afein beS fcatholiciSmuS überhaupt für berechtigt polt, für berechtigt 
auch auf beutfehem Boben. ©S gibt Biele, bie bieS nicht thun, bie eS für baS größte 
Unglück beS beutfehen BolteS anfehen, bafS bie Deformation nicht gam; burchgebrungen 
unb ju einer einheitlichen proteftantifchen Dationalfirche geführt hot. geh kann biefe 
giihrung unferer ©efehiepte, fo furchtbare Kämpfe unferem Bolfe auS ber religiöfen 
Spaltung enoachfen fmb, fo lange baburch auch feine Selbftburdpfeßung in ber 2Belt 
gebinbert roorben ift, juleßt hoch nicht für ein Unglück holten, geh bin ber Slnficpt, 
bafS eine beutfehe Dationaltirche unter ber Suprematie beS Staates für unfer gefammteS 
Seben oerhängniSooUe golgen gehabt hoben mürbe unb, roenn fie h^beijuführen 
märe, auch jefet noch hoben miifste. DaS Spftem ber ©äfareopapie märe fchlimmer als 
bie SUrcpenfpaltung, eS mürbe bie geiftige unb mit ihr bie politifche greipeit erbriiden. 
DaS Dafein beS ftatpoliciSmuS alfo ober bie Spannung jmifdpen ben ©onfeffionen 
erfcheint mir, fo feltfam eS manchem Hingen mag, im Deutfcpen Deiche als eine 
©arantie ber greipeit; bie fatpolifcpe Bartei mirb als geborene Btinberpeit immer 
eiferfüchtig barüber machen, bafS bie StaatSgercalt nicht ihre ©renjen überfchreitet 
unb auch baS geiftig=religiöfe Seben ihrer £>errfcpaft unterroirft. Unb auch für ben 
BroteftantiSmuS ift bie Berührung mit bem ftatpoliciSmuS unentbehrlich, er hot fiep 
an ihm beftänbig über fein eigenes SebenSprincip $u orientieren. DaS fmb bie 9ln= 
fchauungen, auS benen heraus bie fatholifcpstpeologifcpen gacultäten fiep mir als ein 
mertoolleS unb ber©rpaltung unb Bflege roürbigeS©rbe ber Bergangenheit barfteHen." 
(3Biffenfcpaftl. Beil. 3 . Dägl. Dunbfchau, citiert in b. $. B. 0 . 2 . Jänner 1902.) 


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Unfeblbarfeit unb freie Sorfcbung. 


403 


Sachlich fü^rt Saulfen, tuie fo Siele »or i^nt, bie Serurtbeilung 
©alilei’S burcb bie röntifcbe Snbe^congregation gegen bie Unfeblbarfeit ins 
Selb (a. a. 0. S. 20 unb S. 69). SKit Unrecht: Unfeblbarfeit unb 
GongregationSentfcbeibungen finb Ijier, mie auch fonft, nicht auSeinanber* 
gehalten. Spören mir barüber 9KauSbacb*): „Xie meiften Stunbfcbreiben unb 
religiöfen ©Mahnungen ber $äpfte, bie EntfcbeibungenberEongre* 
gationen u. f. m. finb nicht unfehlbar, SSBenn tro|bem bie 
Geologen bie Pflicht betonen, auch folcbe Sehren anjunebmen, fo liegt 
barin folange fein SEBiberfprucb, als biefe Pflicht nur eine bebingte fein 
foH; — ift ja fc^on baS Kinb ben Eltern, ber Schüler bem Sebrer 
biefe Ehrfurcht unb ©ele^rigfeit fc^ulbig. ES mürbe aber einen SBiber* 
fpruch einfcfjliefeen, mollte man einet Kunbgebung gegenüber, bie möglicher* 
meife falfch ift, bebingungSlofe ©läubigfeit »erlangen ober hoch jene ©Wg* 
liebfeit burcb aüerbanb Eautelen fo abfebmachen, bafS fie praftifd) nicht 
gelten bürfte; benn bie SEBabrbeit ift ^öc^fte^ ©efefc beS ©eifteS, unb fie 
läfSt ficb nicht bie SBege jurn ©eifte »erfperren. Xaber lehren auch bie 
fircblicbften Xb^ologen, eS fei erlaubt unb unter Umftänben nach ben 

©rünben folget Entweihungen 511 forfeben unb nach ruhiger Prüfung bei 
beutlicben ©egengrünben ein abmeicbenbeS Urtbeil $u fällen." 

„Xer Staat nimmt ja auch", mie ^Saulfen fagt, „für feine ©efefcgebiutg 
unb SRecbtfprecbung notbmenbig" (biefe) „praftifebe »Unfeblbarfeit«**) in 91n* 
fprueb" («• ö- 0. ©* 52). Kant bat ficb befanntlicb einer berartigen ftaatlicben 
Eutfcbeibung aus fcbulbigem „©eborfam" (a. a. 0. S. 52) untermorfen: 
„ES ergieng nach Königsberg jene ungnäbige 21uSlaffung: Kant’S Sb^° s 
fopbic habe baS Merböcbfte ©tifsfaüen erregt; »mir gemärtigen uns 
»on Euch, bafS 3b r ® u <b fünftigbin nichts bergleicben merbet $u Sdjulben 
fommen laffen, fortbern Eurer Pflicht gemäfi Euer Slnfeben unb Eure 
Xalente ba$u »ermenben, bajs unfere lanbeSoäterlicbe Intention je mehr unb 
mehr erreicht merbe; mibrigenfaüS 3b r Euch unfehlbar unangenehmer Ser* 
fiigungen ju gemärtigen b^*-« Unb Kant, bamalS ein ©reis »on fiebrig 
Sabren, b^tte ficb Qebucft, baS SEBetter oorübergeben ju laffen y er »er* 
fpracb in feiner Serantmortung, »als Em. ©iajeftät getreuefter Untertan» 
51 t febmeigen." (S. 100 f.) 

Xie freie Sorfdjung müfste bamacb Kant bie SEBiffenfcbaftlicbfeit ab* 
fpreeben, benn er b<*t biefe Untermerfung geleiftet miber feine miffenfcbaftlicbe 

*) X>ie faty. ©total, ihre ©totboben, ©runbfäfce unb Aufgaben. (3. SereinS- 
febrift ber ©örreS>©efeHfcbaft für 1901.) Köln, Sacbem, 1901, S. 148. 

**) 2Bir finben ben 51uSbrucf nicht glüdlicb, behalten ihn aber bet Kürje 
roegen bei. 

26* 


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404 


52. Scpleu&ner. 


Überzeugung*) (a. a. D. ©. 101 ). SEBtr thun ba* nicht; ba* wiffenfchaftliche 
21 rbeit*ergebni* ®ant’*, infoweit e* ein folche* ift, bleibt für un* hefteten.**) 
$ie innere $i*pofition be* S'atpolifen junt fogenannten sacrificium 
intellectus bagegen ift eine anbere al* bie Sant’*. gür jenen ift bie Offen* 
barung, beren Trägerin bie Kirche mit ihren unfehlbaren Sefjrentfcheibungen 
ift, ein 2 (u*fluf* berfelben göttlichen ©ernunft wie bie ©efefee ber Sogif, 
auf benen ba* wiffenfdhaftliche $enfen bafiert. ©ubjectio unb praftifch 
genommen ift be^^alb bie Unterwerfung eine* Satholifen feine anbere at* 
jum ©eifpiet bie $aecfef* unter bie SBeltanfchauung be* $arwini*mu*, 
abgefehen oon bem objectioen 2 Bahrheit*wert beiber SBeltanfchauungen. 

®ie — wir behalten ben 21 u*brucf ©aulfeit’* bei — „praftifdje 
Unfehlbarfeit" ift nun ein 21u*fluf*, bie natürliche ©eite ber wirtlichen 
Unfehlbarfeit, ber Entweihungen ex cathedra, ©ie hübet in Dielen 
Süllen bie ©orftufe ber unfehlbaren fiehreutfeheibungen, inbem in ben Eon* 
gregationen auch Vorarbeiten angeführt werben, bie zu einer Sathebral* 
entfeheibung führen fönnen. ®ie Eongregationen finb bemgemäß in ihren 
21 nfichten unb Srlaffen fehlbar unb ben 3 ritanjcbauungen unterworfen, 
We*halb wir ben 2lu*brucf „praftifche Unfehlbarfeit" beanftanbet h a ^ e «- 
SBenit ber Übergriff in ber Entfeheibung gegen ©alilei einen geiftigen 
Xiefftanb bebeutet,***) wa* übrigen* nach ben lebten Erörterungen über biefe 
Staget) nicht ohne Einfchränfung zuzugeben ift, fo ift ba* nicht gerabe 
unoerftänblich in einer 3 eit, wo bie proteftantifche SBelt fich weigerte, eine 
fo Ware, rein mathematifche SBahrheit wie bie gregorianifche Salenberreform 
anzunehmen, nur weil fie Dom ©apfte au*gieng.tt) 

$er 21rt nach h^t eine Eongregation*entfcheibung auf religiöfem ©ebiete 
feine anbere Sebeutung, al* etwa ber Erlaf* eine* Eultu*minifter* ober einer 

*) SDa* ©eifpiel Sichte’* al* 5öahrheit*$euge, ba* ©aulfen tm ©egenfafc ju 
Sant’* Unterwerfung anführt ($. ©. Sichte im Sampf um bie greiheit be* philofophifchen 
$)enfen*) r ift boch wegen ber „falfdjen Schritte" (Philos. milit. S. 104 ff.) recht un* 
glücüich gewählt. 

**) Über ben Sinn be* 5lu*brud* „Philosophia perennis“, ben©aulfen 
mif*juoerfteben fcheint (ogl. j. ©. a. a. O. S. 6; S. 70; S. 167), hätte er in 
o. fgirtling’* Schrift (S. 43 ff.) 9iachmeife finben fönnen. 

***) ©aulfen ermähnt bie Ihutfacpe, baf* bie ©ehanblung Seppler’* bur<h bie 
proteftantifchen Theologen eine ähnliche mar. 

t) Ehthatb, Xtx Satholici*mu* unb ba* 20. gahrhunbert, 4.-8. 5lufL, 
S. 151—153; ein 5luffa& oon 2in*meier in 9tatur unb Offenbarung, Jahrgang 
1901; ©rifat, ©alileiftubien, 9tegen*burg 1882. 

tt) $er gregorianifche Salenber oon 1582 mürbe oon ben meiften proteftantifchen 
fiänbem erft 1699—1700 eingeführt; oon ben übrigen oiel fpäter. 


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Unfehlbarfeit unb freie ftorfc^un^- 


405 


ähnlichen Sehörbe auf bem ftaatlichen; fie famt be^afb nur ©ehorfam, nicht 
abfolute SBahrheit^uftimmung forbem. @3 möchte aber ferner fein, einer anberen 
©efjörbe, bie gahrfjunberte tjinburd) ihres 91mteS waltete, gleich wenig 3SifS= 
griffe nachjuweifen. 

Durch bie ©rlaffe ber gnbejcongregation foHen bie ©laubigen in 
wefentlichen Behrpunften gefchüfct*) werben gegen willfürliche ©peculationen 
©injelner; ohne fie Wäre bie Dbjectioität ber ßirchenlehre längft ben SBeg 
beS fonft allgemeinen ©ubjectioiSmuS gegangen. Die Sllternatioe, oor welche 
bie Snbejcongregation einen fatholifchen ©eiehrten fteflt, inbem fie ihm 
erflärt, biefer ober jener Safc wiberfpreche ber Sird&enlefjre, gleißt berjenigen, 
Oor bie ber Slftronom Örablep gefteüt war, welcher ben fcheinbaren ©tili* 
ftanb ober bie Siicfläufigfeit eines ©terneS (Aberration beS gijfternlichteS) 
entbecfte: entweber bie beobachtete ©rfcheinung für ©inneStäufchung ju galten 
ober baS Sfeppler’fche 3Beltfpftem ju oerwerfen, ©o wenig Srablep wegen 
ber einen, ihm eoibent erfcheinenben X^atfad^e baS Seppler'fche ©pftem Oer- 
werfen muffte, fo wenig braucht ein fatholifcher ©elehrter wegen einer ihm 
wahr erfcheinenben, aber beSljalb noch nicht außer allem Zweifel ftehenben 
£>ppothefe bie fatl)olifche Sehre ju oerwerfen. 

Die Sleppler’fchen ©efefje finb tywtt als unbejweifelte SSahrßeit ein 
Segulatio für ben gorfcher; in oiel höherem ©rabe finb bie oon ber Kirche 
gelehrten SBahrljeiten — unb h^n™* fomrnen wir überhaupt erft jur 
Unfehlbarfeit — ein Segulatio für ben Katholifen. Sach ber Anficht ber 
auf unfereit Unioerfitäten herrfchenben Sichtung müßten nun bie Kepplcr'* 
fchen ©efefce eine unleibliche Söffet für ben Aftronomen fein! Aber ift benn 
nicht jebe eoibente SBaljrheit eine unfehlbare Sßahrheit? Unb finb nicht bie 
eoibenten SBah r heiten, oon benen bie einzelnen SBiffeitfchaften auSgehen, für 
bie Vertreter biefer SBiffenfchaft eine Sefchränfung burch Unfehlbarfeit? 

Da nun aber baS Denfen an bie SBahrheit gebunben ift unb Dörfchen 
nur als SBahrheitfuchen ©inn h a */ f° ift bie gefunbene SKahrßeit fein 
£inberniS ber freien gorjehung, unb fo ftehen unfehlbare Sehrentfcheibungen 
ber gorfdjung nicht entgegen, fonbern führen fie ju ihrem haften 3^-**) 


*) ©inen ähnlichen ©inn ^at auch baS 93 ücperoerbot. ©3 geht fdjon beShalb 
nicht an, baSfelbe gegen bie gorfchungSfreiheit ber fatholifcpen ©eiehrten geltenb ju 
machen, roie eS 9 Jt. Sehmann f^reuß. gahrb. 1902 , Sr. 1 ) thut, roeil erftenS feine 
oerpflichtenbe Kraft aufhört, „roenn ein roieptiger ©runb eS jur Aothroenbigfeit 
macht, bagegen §u hnubeln"; jroeitenS, roeil bie DiSpenS baoon einem ernft roiffen* 
fcpaftlkh Arbeitenben nicht oerroeigert $u roerben pflegt. 

**) 93 gl. ©hrharb a. a. £>., ©. 268 . 


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406 


W. Scbleuftner. 


„^ilojop^te unb Wiffenfd&aft" ntüffen fid) atfo nicht „felbft auf geben 11 , 
menn fic fich $ur Unfe^Ibarfeit „befennen", mie $aulfen meint (a. a. D. 
S. 52). Wir müßten auch nicht, bafs bie 2lnhänglichfeit an bie Sircfje etma 
Solta ober 21mp£re an ihren ©ntbecfungen gehinbert, beren Wiffenfchaftlichfeit 
Eintrag get^an hätte. 

Diefe ©ebunbenheit roirb alfo oorn 3 nnenftehenben ebenfomenig al£ 
hemmenb empfunben roie bie ©runbgefefce ber Sogif ober äRathematif. Sie 
gibt ihm ba Sicherheit, mo er mit ieinem Renten nicht ooüftänbig h^ 
bringen fann, bem Dran$cenbenten, foroeit er eä nöthig hat, um ju einer 
ber göttlichen Offenbarung entfprechenben Xfjeofogie ju fornmen. Damit ift 
nicht au3gefd)Ioffen, baf£ eine Sernunftmahrheit auch noch geglaubt merben 
fann. (Dafein ©otte».) freilich, mer biefe Wahrheit nicht „erfannt" ( 3 <>h- 6 , 70) 
hat, mirb fie nicht annehmen, aber auch int etoigen ©egenfafc ba$u fich beftänbig 
baranftoften: „E£ mirb immer unmöglich fein, für ben ®erftanb entfcheibenb 
barjuthun, baf3 ber Weltlauf auf bie Sermirflichung beffen, ma3 mir al£ 
höchfte ©üter ober Werte empfinben, gerichtet fei. Einerfeitä ift hierzu unfere 
93etanntfchaft mit bem, maä mir »Welt« nennen, aUju eingefdjränft unb 
biirftig. Dann aber motten fich auch in bem ©ebiet, ba3 mir ein menig 
feitnen, bie $h a tfachen hoch gar nicht ju einer $ 8 emei$führung für jene 
Ibefe aufammenfchlieften" ( s ßaulfen a. a. 0., S. 57). 

3 m ©egenfafc $u biefer Sluffaffung mobernfter s 45^itofopt)ic, bie felbft 
innerhalb be£ Weltgeschehen^ unlösbare Wiberfprüche finbet, rnufS auch btt 
Stuftenftehenbe anerfemten, bafä auf bem ©ebiet ber Kathebralentfcheibungen 
in bem langen Zeitraum oon faft 2000 Sohlen fein Wibcrfpruch nachjumeifen 
ift. Diefe innere ßonfequenj h^ten mir für ein §auptcriterium ber Wahr¬ 
heit*): ba3 folltc auch *> c n ftufeig machen, ber, bei ^Betrachtung ber Wiber* 
fprüche in aßen philofophifchen unb religiöfen ©pftemen (in£befonbere im 
$roteftanti£mu3) unb in allen menfehüchen Einrichtungen, bie Ungereimtheit 
ber fatholifchen Sehre &u behaupten magt. 

E$ miß un3 fcheinen, ate ob ber fonft fo oornehme $aulfen fich S u 
Worten t^abe hinreiften laffen, bie er nicht oertreten fauit, bie aber jebeit 
ftatholifen tief oerlefcen mitffen, menn er fchreibt: „Die Erflärung be£ 
Entfchluffe$, fich allem 51 t untermerfen, ma3 bie Slirche je gelehrt hat, lehrt 
unb lehren mirb, fchlieftt ben EntfchlufS ein, auch für mahr $u haften 

*) ^yreilicb barf man bei Prüfung biefes s 21 nfprud )3 ber ftirebe nicht Dinge $ur 
ftircbenlebre rechnen, roelcbe nicht baut gehören, toie ba£ oon proteftantifcher Seite 
oft gefchieht ($. bie Aufhebung be$ ^efuitenorbenS!), fonbern muf$ bie Definition 
im 9 luge behalten. 


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Unfehlbarfeit unb freie gorfdjung. 


407 


unb 51 t befennen, beffen innere ober äußere Unwahrheit ficf) ber unbeftodjenen 
Vernunft bei unbefangener Prüfung ergibt, ober alfo ben ®ntfcf)lufg, einer 
ernfifjaften Prüfung au^umeic^en, wann unb too immer bie Sirche, b. f). bie 
oon ben augenbücflicfjen gnhabern ber Sirchengeroalt beftettten Stifter über 
theologifche ober toiffenfchaftliche Seljrmeinungen gefprodjen ^aben. Unb mit 
bem ©erzieht auf bie oofle 2 öaf)rt)aftigfeit ift auch ber ©erzieht auf bie 
Wahrheit gegeben." (a. a. 0., 3. 54. f.) 

Sein Satfjolif finbet ficf) bereit, „ba£ für wahr 51 t Ratten unb ju 
befennen, beffen innere ober äußere Unwahrheit ficß ber unbeftochenen ©er* 
nunft bei unbefangener ©rüfung ergibt". Schon bem Sinbe in ber Schule 
fegt bie Sirene, feinem ©ilbung^ftaitbc angemeffen, bie nnffenfcfjaftticfjen 
Striterien oor, an beiten bie Wahrheit ber Sircßenfcßre 51 t erfenneit ift,*) unb 
berjenige fatßofifcße ©eiehrte muffte ben Slnfprucf) auf biefe ©ejeießnung oer* 
lieren, ber auS Mangel an gorfdjergeift unb Wahrl)eit3brang ficf) nicht oon 
ber ^Berechtigung biefe£ Slnfpruchä miffenfchaftlich überzeugen loollte. 

$er Satholif ift auf ©ruitb jener inneren Überzeugung, welche er 
oon ber göttlichen Stiftung unb Seitung feiner Sirche h flt / unb ohne welche 
bie zahlreichen ©efenner beä fathofifchcn ®lauben§ %n Heuchlern mürben, auf$ 
feftefte überzeugt, baf£ eine unfehlbare ©ntjeheibung ber fiirche (mit ber 
eine (Songregationäentfcheibung fich feine»meg3 beeft) mit ber Wahrheit nicht 
cottibierett fann. $)a3 bezeugt ihm für bie z^eitaufeubjährige ©ergangenheit 
fchou bie ©efdjichte feiner Sirche. 

©aulfen ift im grrthum, Wenn er glaubt, 9tom fönite etma3 s JJeue£ 
für Sirchenfehre auägeben.**) tttein, nur „Wa3 allzeit, allermärte unb oon 
Sitten geglaubt toorben ift"***), fann ate Xogma formuliert toerben.t) 

*) 3>aper befteht bic fatholifchc ttteligionsftunbe nicht 3 umeift in einem Slu^ 
wenbiglernen oon Sprüchen unb ©erfen, fonbern ^auptfächlic^ in einem Umführen 
in ba3 philofophifclptbeologifcbe ©ebäube ber fattjoliichen Weltanfcbauung je nach 
bem ©übung£grab ber betreffenben Schule. 

**) „Sie (bie unfehlbare $?ehrautorität) fann, wie fie bie ©efebiebte unb 
^itteratur ber erften 3^it be£ Uhriftenthums mit fanonifdjen ©eftimmungen feftgeftellt 
hat, fo auch bie gelammte Sirdjengefchichte fanonifd) feftftellen unb, wenn es ihr 
gefällt, bie gefammte ©rofangcfchidjte ba 3 u"ü (a. a. 0., S. 91.) 

©incenj oon ^ertn, Commonitorium : »Quod ubique, quod semper, quod 
ab omnibus creditum est« . . . T>er Sluöbrud ift nicht gan$ genau, aber oerftänblid). 
©gl. aud) ©brharb a. a. 0., 3. ‘204 ff. 

t) ÜJtit Uinfd)luf3 ber nothwenbigen ©orau3fetumgen unb Uonfequemen aus 
geoffenbarten Wahrheiten. 


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408 


2B. Bcpleu&ner. 


2 . 

9Bie aber fteUt fiep bie Vernunft 511 einer bogmatifdp formulierten 
©laubettSmahrpeit? 

Xurcp ffant’S „9Iutonomie" ift berjelben ihr ©rfeitntniSbereicp fo 
meit befdpränft tuorben, bafS fie nach biefer Slnficpt überhaupt niept mehr 
in bie ©ebiete erbringen barf, melcpe ber Offenbarung angeboren.*) 

3 roar menbet $aulfen**) ein: „Xie fritifd^e ©rfenntniStpeorie mar, als 
fie nach 1772 ihre lepte Sorm erhielt, niept mehr ftar! genug, ooüftänbig 
(bei fiant) bur^ubriitgen; bie ibealiftifdpe SÄetapppfif erhielt fiep baneben, 
fie bebeutet aber neben bem officieüeit Spftem eine bloße Srioatanficpt ftant'S, 
ber er fiep nur lücßt 511 entäußertt üermoepte. 9Jian mufS bann aber pitt^u* 
fügen: biefe s 45riuatanficßt mar älter als baS erfenntnistpeoretifepe Spftem, 
unb fie ßatte in feinem Xeitfen fo tiefe ffiurjeln, bafS er eper bie Slnalptif 
als ben mundus intelligibilis hätte fahren laffen; mar bocp bie ©rfenntniS* 
theorie gerabe als Segrünbnng ber ibealiftifcpcn 9Wetappt)fif urjpritnglid) 
gebaut, grcilicp hat nun bie SWetapppfif bei Slant etmaS eigenthümlid) 

ScpiücrnbeS, $mifcpen SBiffeit unb SKicptmiffen ScpmanfenbeS; jebem: es ift 
fo, folgt ein: baS heißt, eS ift eigentlich nicht fo, auf baS bann ein lefcteS: 
eS ift aber bocp fo, fommt." Xieje „Sriüatanficpt" halte aber feine 
©cbeutung für ben SBeiterbau ber s 45^itofopl)ie. 

SUiit ber ftritif ber praftijepen Vernunft fteht eS nicht beffer: „ÜKit 

größter ©enugthuung meifen uns bie Stantoereprer barauf hin, bafS nunmehr 

bie praftifche Vernunft bie Xefecte ber theoretifchen gebedt habe; maS biefe 
unerbittlich als 3bec aus bem Se^irfe ber gefieberten ©rfenittniS auSgemiefen 
habe, führe nun bie praftifche mit Spreu jurüd." 2lber, „maS Siant bietet, 
als oollmicptig annehmen, heißt, es mit fehr leichtem SKafje meffen" 
(Söillntann, ©ejepiepte beS ^bealiSmitS, III., S. 485). „SBenn man aber meinte, 
auf ©runb ber $ofiulate fönne bei ihm ber Xpatbeftanb feftgeftellt merben: 
©S gibt einen ©ott unb ein SenjeitS, fo legt man ihm mehr unter, als er 
fagt; bie 9?otpmeubigfeit, beibeS als real anjuerfennen, ift bei ihm meber 
logifch, noch auch ntoralifch int Dollen Sinne. »3dp mufS nicht einmal jagen: 
©S ift ntoralifch gemifS, bafS ein ©ott fei u. j. m., fottbern: ich ßin 
ntoralifch gemifS« u. f. m. (ftant'S SBerfe, prSg. öon §artenftein, III., S. 546). 
Xie ©emifsheit ift nur »fubjectiü, b. i. SebürfniS, unb nicht objectio, b. i. 
felbft Pflicht, bemt eS fann gar feine Pflicht geben, bie ©Eiftenj eines 
Ringes attäunepmen (rneil biefeS bloß ben theoretifchen ©ebrauch ber Ser* 

*) behauptet hat baS fchon ber ^BroteftantiSmuS beS 16. QaprpunbertS; ben 
ScroeiS uerfuept erft ftant. 

**) „Emmanuel ftant", Sftontmann’S s £pilof. ©lafjtfer, 7. Sanb, 0. 243 f. 


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Unfeßlbarfeit unb freie tforfepung. 


409 


nunft angelt). 9(ucß mirb hierunter niept oerftanben, bafS bie 2Inneßmung 
beS $afein$ ©otteS als eines ©runbeS ber Serbinblicßfeit überhaupt notß* 
menbig fei (benn biefer beruht, mie ßtnreicßenb bemiefen morben, lebigltcß 
auf ber Autonomie ber Sernunft felbft).« (ftant’S SBerfe, V., ©. 132.)"*) 

3ft eS ba ju oermunbern, bafs bie jmeite $älfte beS 19. !3aßrßunbertS 
in ißren miffenfcßaftlicßen £auptoertretern, unter bem SinflufS ißreS „ange* 
ftantmten SRaturaliSmuS"**), ber bebingt mar bpreß ben erneuten großartigen 
Sluffcßtoung ber SRaturmiffenfcßaften, über jene „ s #rtoatanficßt" (f. o. S. 409) 
unb über bie „Kritif ber praftifeßen Vernunft", bie „ber ©eßtufsftein" 
(Philos. milit. ©. 62) beS Kant'fcßen ©ebäubeS fein foD, jur lageSorbnung 
übergegangen ift? Stber toegen ber Unpattbarfeit beS ScßlufSfteinS ift baS 
ganje ©ebäube int Saufe biefeS SaßrßunbertS jufamntengeftürjt. SBeber Kant 
itocß feine SRacßfolger ßaben etmaS faltbares an bie ©teile ber alten, 
angeblicß entmurjelten ^ßilofopßie $u fefcen gemufft: „Sine proteftantifepe 
^pilofoppie in bem Sinne eines einpeittießen, bie ©emütper beperrfepenben 
©pftemS gibt eS niept. ftegef S s ßßilofopßie mar bie lefcte, bie eine berartige 
Stellung eingenommen pat. ©eitbent perrfept Slnarcßie." (Philos. milit. ©. 65.) 

$Rit fo unjureiepenben SRitteln, mie bie oben gefennjeiepnete $ßifo* 
foppie fie bietet, fann man aber bie aitgeblicpe „Unfreipeit beS DenfenS" 
niept befämpfen.***) $a$u gepörten pofitioe StufftcHungen. 3)er ^ßroteftantiSmuS 

*) SBiümann, a. a. C., III., S. 488. 2öill man 5Mmann für ooreingenommen 
palten, fo lefe man Jpöffbing, Sefcßicßte ber neuen ^pilofoppie, überfeßt oon SBenbiyen, 
£eip$ig 189<>, S. 103 ff., ioo unter anberem nacpgeioiefen ift, bafS naep ftant’S 
eigenem 5luSbrucf oont begriff Sott „nur baS bloße 2öort" übrig bleibt (Kritif ber 
praft. Vernunft, Keßrbad), S. 165). $er KönigSberger *J$ßilofopß fiept juroeilen 
felbft ein, bafs bie Scplüffe ber praftifepen Vernunft feine pßilofopßifdje 53ebeutung 
paben, roenn fie über bie ber tß^oretifeßen ßinausgeßen. — Über ben Unterfcßieb 
einer „efoterifeßen unb einer eyoterifeßen £eßre" in 53e$ug auf ^Religion bei Kant, 
ogl. ebb. S. 109 u. bie 9lnm. ju biefer Seite. 

**) Qralcfenberg, Sefcßicßte bei* neueren 'ßpilofoppie. 3. Auflage, ^eipjig 
1898, S. 530. 

***) Quoiel Selbftoerleugnung oerlangt ein ^Reufantianer (Kantftubien, 53b. V, 
S. 31) oon ben Segnern Kant’S, ber eS für „roünfcßenSioert" erflärt, „roenn fie bie 
Aufgabe, Kant’S SubjectioiSmuS . . . ju befämpfen (bas peifet, bie betreffenben 
Ißeorien auf bie bem Seift ber Kantifcßen Sepre gemäße objectioe 53afiS $u fteUen), 
ben Kantianern iiberlaffen roollten." SS pat immer für gutes fRecßt gegolten, ben 
Segnet an feiner fcßroäcßften Stelle ju faffen unb ipn fo aus bem Sattel $u peben. 
2llS ISitabelle Kant’S, bie er jenen als 5lngriffSpunft empfieplt, roirb bie Ceßre 
bejeießnet, ^bie naep benjenigen 3 ormen beS 53orfteUenS unb 3)enfenS fragt, bie jum 
begriffe ber Srfaprung im SJerßältniS oon 53ebingung jum 53ebingten ftepen unb 
bie eben bie genannte $rageftellung für biejenige palt, bie allein tur Sluflöfung beS 


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410 


2B. ©cpleu&uer. 


be 3 16. SaprpunbertS festen noep fold^e §u bieten, ©ie paben fiep als 
trügerifcp ermiefett. ©eitbent ift, abgefepen oon ben pantpeiftifdpen ©pitemen, 
bie iprer Statur naep nie in meitere ©olfSfreife bringen fönnen, — unb nur, 
roaS bie üRenfcppeit in iprer ©efammtpeit annepmen fann, pat abjoluten 
SBaprpeitStoert*), — ein ©erfuep jur SluffteÜuug einer pofitioen SBelt* 
anfdpauung niept mepr gentaept morben. 

©aulfen**) oerftept nun unter ber fatpotifepen „Unfreipeit beS 3)enfen$" 
„bieS, bafS man burep SBeifung üon ber Snbejcommiffion ober einer fonftigen 
unfeplbaren Snftanj fiep beftimmen läjSt, ©ebanfen unb Ipatfacpen, bie man 
biSper für rnapr ober mirfliep pielt, nun niept mepr für ftmpr ober 
mirfliep ju palten ober menigftcnS niept mepr öffentlidp $u fagen, bafS man 
fie bafür palte. 3)a3 ift bie innere $enfunfreipeit; unb bie äuftere ift ber 

®rucf beS ©pftemS, ber 51 t folcpem ©erpalten treibt. Senffreipeit aber ift 

nicptS anbereS, als baS contrabictorifcpe ©egentpeit ber Unfreipeit. Sollte 

P. 0 . Stoftij^Jlienec! auf biefe grage aurüefaufommen münfdpen, fo erfuepe 

iep ipn, an biefe ©rüärung fiep $u palten unb ben ©emeiS ju füpren, bafS 
bieS äußere ©pftem unb biefe innere Unfreipeit gut unb löblicp unb förberlidp 
für bie ©aepe ber SBaprpeit unb ber SRenfcppeit fei." 

2Bir fepen baoon ab, bafS ©aulfen ber SragcfteHung 0 . $Roftij*9tienecfS 
aus bem 3 Bege gept unb beftänbig mieber 3 nbejcomntiffion unb unfeplbare 
Seprinftanj als SBecpfelbegriffe anfiept, unb ermibern auf ©orftepenbeS mit 
folgenber ©rörterung: ®urcp bie ©efcpränfung ber tpeoretifepen Sernunft 
auf baS entpirifepe ©ebiet oon ©eiten Sant’S unb ber neueren ©pilofoppie 
ift ipr baS unenblicpe ©ebiet ber etoigen Söaprpeiten oerboten morben. 
$)enn eS fommt boep tpatfäcplicp für ben „freien gorfeper" einem ©erbot 
gleicp, menn ber ©pilofopp ber reinen ©ernunft ipm fagt, feine ©peculation 
im ©ebiet bcS IranScenbenten pabe feinen tpeoretifepen 2BaprpeitSmert.***) 


evfenntniSfritifcpen ©runbproblemcS geeignet ift, baS fie bapin formuliert: ©äie 
ift bie ©ejiepung unferer ©orftellungen auf ©egenftänbe möglüp?" 

3>afS pier ©epraierigfeiten liegen, erfennt jeber ©pilofopp an; bafS aber biefee 
©ebiet ber ©rfenntniS jurüeferobert roerben mufs, meifc auep ©aulfen, menn er $ant 
gegenüber fcpveibt: „3n Üöaprpett ift 3Retapppüf nur möglicp burep ©eaeptung unb 
Deutung ber anfcpaultcp gegebenen ©öirfliepfeit." („Emmanuel ftant" ©. 244.) ©uf 
baS Ipema einjugepen, gienge über ben Stapmen biefer Arbeit pinauS. 

*) liefern gbeal entfpriept nur ber ftatpolicismuS („©epet pin unb Iepret 
alle ©älter" . . . SRattp. 28 , 10.) 

**) Philos. milit. ©. 77. 

***) ©S ift nur oom ©tanbpunft ber „©efiiplSreligion" begreifltcp, menn &ant 
baS ©ebiet ber religiöfen ©rfcnntniS ber praftifepen ©ernunft jumeift unb 
menn man glaubt, mit biefem Siüfoeug fönne ber ftatpoliciSmuS als „SemirationaliSmuS" 


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Unfehlbarkeit unb freie fjorfchung. 


411 


2 Benn nun aber, mie bie auf barminiftifcfjer ©ntnblage ftefjenbe neuere 
s #hiIofopf)ie min, ber SRenfch ein reines ©robuct ber natürlichen (£itt= 
micflung ift, mie erftärt fidj ba bie Sö^igfeit^ über bie ©renjen ber Statur' 
mett unb baS eigene 3d) hinnnSjugehen?*) SSarum foü ber Schritt, ben 
jeber SRenfch, fei es $aecke( ober Ih° ma ^ Slquin, über jene ©rennen 
hinaus beftänbig macht unb machen mufS, unmiffenfdhaftfich fein, menn ber 
Stufbau auf bem ©ebiete ber äußeren ©rkenntniS gefchehen ift unb bie 
innere ©3iberfpruchSlofigkeit**) für ben SBeiterbau gemährt mirb? ®aS SBort 
„$ er nun ft" h a * nur einen Sinn, menn nicht allein mit leeren ©egriffen 
operiert mirb, fonbern menn biefen Gegriffen auch e i ne (nicht nur fubjectioe) 
SBirftichfeit entspricht.***) ©aulfen erkennt ja an, bafS bie ©hrt°f°hhi e au f 
bem ©ebiet beS SRetaphpfifchen erreichbare B^te tjat. (Philos. milit. ©. 61.) 

2 öie fotlen aber einerfeits jene Biete erreicht merbett, menn man um 
bie ©ernunft einen BnnberfreiS jiept unb ihr oorrebet, fie könne benfetben 
nicht oertaffen, mährenb fie hoch ftänbig barüber f^inroegfliegt ?t) £mt bie 
Stutonomie biefen bejchräntenben Sinn (unb fie h a * ih n bei ber auf unferen 
Unioerfitäten heute herrfchenben Stiftung, bie bem ©täubigen bie Ebenbürtigkeit 
oerfagt), bann barf man bemnach „©ebaitfen" „nicht mehr für mahr ober 
mirktich hntten, bie man bisher für mahr ober mirktich tjidt,“ „ober 

bekämpft merben. X)cr Qnhalt ber natürlichen Ih^logie gehört in baS ©ebiet ber reinen 
©emunft, er ift nicht nur ein ©oftulat ber praftifchen. ©S ift jum ©eifpiel genau 
biefelbe logifd)e Xhätigteit, menn ich uon ber Uhr ben SdjlufS auf ihren ©erfertiger 
mache, mie ber Sd)lufS im teleologifchen ©otteSbemeiS. SBenn nun aud) bei $ant 
Übcrrefte biefer Erkenntnis in ber „Kritik ber reinen ©emunft" jurüctgeblieben fmb 
(ogl. ©aulfen, Emmanuel $ant, 6. 227 u. a.) f fo hat baS mehr persönliche als 
miffenfchaftliche ©ebeutung. („©rioatanftcht" f. o. 8. 408.) Unb nur auf baS heute 
noch oon $ant ©eltenbe kommt es an. Xer Katholik ift aber nicht mit einem 
gegönnten „X)achkämmerlein" (Jaldenberg a. a. O., S. 530) für feinen ©lauben 
jufrieben. 3ft bie ©etonung ber praftifchen ©oftulate im Neukantianismus auch ein 
erfreulidjeS 3eichen eines roieberermachenben ©ebürfniffeS nach Religion, fo hat baS 
hoch nur fubjectioe ©ebeutung, menn nidft roieber eine ©ernunfterkenntniS 
als foltbe ©laubenSgrunblage hinjukommt. Ohne biefe ©aftS ift keine SluSficht, einen 
Stthciften $u gerainnen, ber feine Slnficht auf natunoiffenfchaftliche ©runblage ftii&t. 

*) ©gl. gechner’S ©otteSbemeiS (X)rei SNotiue beS ©laubenS, 18(53; angeführt 
bei X. ©efch, SBelträthfel, II, 6. 523) bei SßiUmann, ^bealiSntuS, III, 6. 902. 

**) SUS §auptcriterium ber ©Wahrheit (f. o. 8. 403). 

***) SBeit baoon entfernt, ihr ©ebiet $u erroeitern unb an Xiefe ju gemimten, 
hat bie ©emunft burch ihre Slutonomifierung bie ©rkenntniS beS Überfinnlidjen oer^ 
loren unb an ©inficht in baS Sßefen ber Söelt eingebü&t. 

t) Sluch nichtfatholifche ntobeme ©hilofophen, mie ©b. o. §artmann, fud)en 
übrigens mit ber ©emunft in baS ©ebiet beS Übermeltlidjen einjubringen. 


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412 


2Ö. Schleufener. 


menigftenä nicht mehr" auf bem SEat^eber „öffentlich fagen, baß man fie 
bafür h fl lte" (f. o. $aulfen). ©rfennt aber anbererfeitS bie Sernunft ihre 
Wahren ©re^en*), über bie fie in SBirflidjfeit in ihrem fpeculatiöen Tenfen 
nicht hitiau^ Jaitn, an, unb nimmt fie freubig au3 ber $anb ©otteS bie 
hiftorifche Xhatfadje ber Offenbarung, bie nothwenbigerweife Unfehtbarfeit 
beanfpruchen muß, — fonft gienge fie eben nicht über bie ©rennen be$ 
natürlichen 2Biffen$ ^inau§ # — anftatt fie abjulehnen, fo erllären bie Ser* 
treter ber autonomen Sernunft, ba3 fei Teufunfreiheit! 

©3 wirb ja niemanb in biefer SEßelt gezwungen, bie X^atfad^e ber 
Offenbarung anjuerfennen, aber er foHte hoch ben nicht benfunfrei nennen, 
bem fie eine ©ewißheit unb eine Srnbens geworben ift. 

„^luch bei be* überjeugenbften Seweisfüprung bleibt e§" fagt (Schell^) 
„bie Aufgabe ber Seele, bie Schlußfolgerung au£ ben ©rünben in ihrem 
Urtheil ober ©ntfdjtuß mit ber fi'raft ber Selbftbeftimmung ju üoll^iehen. 
Tariu liegt ein ©harafterjug be3 Seiftet gegenüber ber 9taturgewalt be3 
finitlichen UrtheileuS unb Segehrenö." 

Tiefe 3uftimmung jur Söahrheit unb ihren ©efefceit ift nun eine um 
fo freiere, je höh cr biefe 2Saf)rheit in ba£@ebiet beä 3Ketaphhfifcf)en hinein* 
reicht; bie guftimmung §u ben X^atfachen unb Seweifen ber 9Jtathematif ift 
eine allgemeine; auch 8 U ben ©efefcen ber Sogif ift fie bei allen ernft ju 
^tehmenben unbebingt: Tie pöchfte SBaljrheit, bie Religion, forbert bie freiefte 
3 uftimmung. 

Ter fatholifdje ©eiehrte jwingt alfo niemanben, baß er feine 
auch tüiffenfchaftlich gerechtfertigte ®lauben$erfenntni$, bie SBahrheit ber 
fatholifdjen fiirchenlehre, annehme***); toohl aber Verlangt er auf ©ruitb feiner 
gorfchungäfreiheit — bie minbeftenS ebenjogroft, wenn nicht größer ift ate 
bie eineä fmecfel, wenn er fich ber SBeltanfchauung be£ TarwiniämuS 1 1 
unterwirft — nicht nur bie praftifche ©leichberechtigung auf ben Unioerfitäten 
— bie ihm $aulfen in nicht gerabe $ochfchäfcung oerrathenber SBeife tu* 
billigt tt) — foubern auch bie theoretifche. Ter Sßiberfprnch einer Steipe öon 

*) Sgl. ©brbarb a. a. C., S. 269. 

**) Ta3 erfenntniStbeoretifche Noblem CP^tlof. Jahrbuch ber ©örre$*©efellfchaft, 
1901, S. 134); f. a. Philos. milit. S. 56. 

***) Tiefe ©rfenntniS ift nnfienfchaftlicb gerechtfertigt, roeil bas Tafein ©ottes, 
bie Xhatfache ber Offenbarung unb bie Stiftung einer unfehlbaren Kirche auch burch 
bie Sernunft erroiefen roerben fann. 

t) 3 u r Svage, ob fich überhaupt auf naturroifienfcpaftlicher ©runblage eine 
SBcltanfchauung aufbauen läßt, ogl. liefert, „^kturnuffenfcpaftliche 2Belt* 
anfehauung ?" ^otfe, Cctober 1901, 6. 5 ff. 

tt) S. o. S. 402, Slnmerfung. 


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Unfefylbarfeit unb freie gorfchung. 


413 


©rofefforen bagegen ift ein Stet ber Intoleranz, mie er im jttmnjigften gahr* 
hunbert nic^t mehr oorfommen bürfte. @S ift bie SEBieberauffrifchung jenes 
oerberblichen ©runbfafceS beS proteftantifchen EäfareopapiSmuS „Cuius regio, 
illius et religio“ auf miffenfchaftlichem ©ebiet. 

Sollte man oon gegnerifcher Seite aus confeffioneüer Soreingenommenheit 
unferer Semeisführung nicht juftimmen fönnen, fo geftatte man unS noch 
folgenbe ©egrünbung, bie fdjon gelegentlich angebeutet mürbe: 

Dbrnohl bie logifcfje SKö glich feit öon niemanbem beftritten merben 
fann, bafS bie fatljofifche Sehre 933at)rf)eit ift ober menigftenS Sßahrheit 
enthält, fo ift eS thatfächlich bent fogenannten „freien gorfcher" nicht erlaubt, 
fich oon biefer Sßahrheit — ohne nach ber Stnfic^t ber nichtfatholifchen 
©eiehrten biefen Slnfprud) z u Oerlieren — z u überzeugen, obmohl er boch 
bamit nichts anbereS t^äte als £>aecfel, ber fich öon ber £>hP°tWe beS 
DarminiSmuS überzeugte. ES gibt alfo thatfächlich ein ©ebiet, auf bem ber 
„freie gorfdjer" nicht frei forfdjen barf; unb boch oerfagt er unter ber 
gleichen Segrünbung bem fatholifchen gorfdjer bie ©leichberechtigung. 

SßaS unS oon ©aulfen trennt, ift, neben unferm gorfchungSergebniS 
oon ber Sßahrheit ber fatholifchen Kirche, bie innere Eingebung an 
bie Sßahrheit, Sicherheit unb Unurnftöfelichfeit biefeS SrgebniffeS unb ber 
barauS entfpringenbe, ftänbige fpontane SßiHenSact, bie Sehre ber Kirche als 
toal)r anzunehmen, unb bie Siebe zur Kirche. 

28er biefe innere Überzeugung nicht h<ü, mer nicht inne gemorben, bafS 
„biefe Sehre oon ©ott fei",*) mirb fich aüerbingS in biefe 2Beltanfchauung 
nicht öerfefcen fönnen, aber ihre ©ernunftgemäfjheit unb Eonfeguenj foHte 
ein ©hilofoph nicht beztueifeln. 

gür ben Katholifen ift bie ©ilatuSfrage, melche bie „freie gorfchung" 
mieber aufgemorfen fyat, für baS ©ebiet beS ©laubenS burch bie 2Borte 
Shrifti gelöst: „geh bin bazu geboren morben unb bin bazu gefommen in 
bie 2Belt, bamit ich 3*ngniS gebe ber 2Bahrheit. Seber, ber aus ber Sßahr* 
heit ift, höret meine Stimme." (goh- 18, 37.) Sine Torheit ift bem 
Katholifen baS Sßort Seffing'S, momit biefer bie 2Bahrheit aus ©otteS £>anb 
ablehnt: „3dj fiele ihm mit Demut in feine Sinfe unb fagte: ©ib! Die 
reine Sßahrheit ift ja boch nur für bich allein." {Religion ift bem fatholifchen 
ßhriften baS {Ruhen -in ber SEBahrheit: „Unb ruhelos ift unfer $erj, bis eS 
ruhet in Dir, o ©ott" (St. Sluguftin). 

Da biefe SEBahrheit eine emige ift, fo fchliefjt fie baS beftänbige Streben 
nicht aus, baS ben ©enufS beS gorfcfjerS hübet unb baS bem Katholifen 

*) 3oh- 7. 17. 


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414 


2B. ©cpleu&ner. Unfeblbarfeit unb freie ^tofänng. 


feineStoegS fe^lt. Stuch bic ©migfeit bietet biefen ©enufS immer tieferen 
Einbringens in baS Söefen ber Dinge unb ihrer ©efefce ebenfo mie in baS 
SBefen ihres Schöpfers, nur ohne bie 9J?ögtichfeit, and) nur in Siebenfachen 
ju irren, ohne bafS baburch ber f^rei^eit ©intrag gefdjähe. 

Sßauffen mufS, um fich bie SBerte ju mähren, bie baS ©hriftenthum 
ber SKenfchh^it aufgefd^Ioffen unb geprägt hat, bamit er als ebler SKenfch 
baS Seben tebenSmert finben fann, feine Sßhitofophie im Stiche taffen 
unb fagen: „So tote bie Dinge toirftich ftetjen, bei bem ^eiflofen Dunfet, in bem 
uttS jebe fpefutatioe ober empirifche Unterfuchung über bie 33e§iehung ber 
©irflichfeit b u bem, maS mir atlein atS lefcte ©üter anerfennen tonnen, 
läfSt, fann bie ©ntfeheibung für bie Annahme ber 2lbhängigfeit beS SBirftichen 
oom ©uten nur in ber SBeife gefdjehen, bafS mir, oon unferem mefent* 
liehen ^ntereffe geleitet, fagen: Unb trop aß biefer Unjulänglichfeit 
glaube ich an einen ©inn in ben Dingen, an eine Sßiacht beS ©Uten als 
lepten ©ruttb* ber 9Bett." (a. a. D. ©. 58.) Diefe SBorte machen bem 
©thiter Sßaulfeit ade ©hre, bemeifen aber, bafS ber 2Beg ber autonomen 
Vernunft nicht Bureicht, um philofophifch annehmbare 9tefultate $u geminneit. 

5ür biefeS 2infengerid)t beS ©fepticiSmuS mirb ber Äatholif fein ©rft* 
geburtSredjt nicht hinten* — Sßautfen fieht fich, öon feinem „mefenttichen 
Sntereffe geleitet", ge^mungen, ben $tct feiner Sernnnft burch einen Stet 
feines SBiflenS 51 t ergänzen, um baS SBetträthfel menigftenS inbioibueß bu 
löfen; ber ftathotif greift freimütig b« biefer ©rgänBung: er gtaubt, meit 
eS oerniinftig ift, b« glauben, bafS nicht nur eine SBahrfjeit, fonbern auch 
ein Urheber biefer SBahrheit ejiftiert, ber uns Bugleich bereit Sürge ift. giir 
ben Sathotifen baut fich ber ©taube auf bem StBiffen auf, unb beibe burd) s 
bringen fich in ih ren ©renBgebieteu frix ooßen Harmonie.*) „2BaS üott ©ott 
fenitbar ift, baS ift unter ihnen offenbar; beim ©ott hat eS ihnen geoffen* 
hart; beim baS Uitfichtbare an ihm ift feit ©rfdjaffung ber SBett in ben 
erfchaffenen Dingen fennbar unb fichtbar, nämlich feine emige ®raft unb 
©ottheit," (9töm. 1, 19, 20) unb ber Sfpoftet fügt hi«Bu: „fo bafS fie 
feine ©ntfdjutbigung haben." 

*) DaS ift ber ©inn ber »Philos. milit.« ©. 27 ermähnten ©ncpfUfa SßiuS IX. 
in ber s £aulfen nur SßutoritätSgelüfte fteht! 


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Sranz ü’cbert. 

^tubie non <£. TEL. 3§antann. 


WSlSichert!" Xa3 erinnert im Älang an ben beutfcheften Saum, unb tnie 
ein folcher, in ©türm unb Stille, ift mir ber Präger biefe3 ÜWamenS, 
feit ich ihn fenne, erfchienen. s J?ur brei ®ebichtfammlungen liegen bte 
iept oon ihm oor, unb fte bezeichnen ebenfo oiele £>auptftabien in feiner ©nt* 
tuidlung. Buerft „2Betterleuchten".*).3ch habe e£ neulich toieber in einem 
Buge gelefen, aber ich milfS nur gleich gefteljen: mit feineSroegS ungetrübtem 
©enufs. Xenn ich bin eine friebliebenbe 9?atur, unb in biefem ©ücplein brauet 
unb blipt e3 mie um bie 2Bipfel beä 2Balbe$riefen im 2Bir.be! beS Drtan3. 
Xod) hätte ich nichts bte bahin oon Sichert gemufft: e3 märe mir jept 
f(ar getnorben, toelcp heroorragenbeä Xalent fich hier fuitb thut. 

Schon bie „3ueignung" ift bejeichnenb für ba3 ©anze: nach meinem 
©efchmad zu lang, in ber erften Hälfte fogar ettna* matt, aber bann 
anfcproellenb, bte bie brei lepten Strophen mächtig fortreijjen: 

2Benn ba§ Dieich ber neuen Hunnen 
2Birb in Stammen untergepn, 

2ßerben meiner Bieber £Hunen — 

3a, ich fiibrs — entriegelt ftepn; 

2öerben fie mein Solf geleiten 
2Bohl auf ©olgatpa hinan, 

21ber auch ooran ihm fchreiten 
21uf be$ Sieges Sonnenbahn; 

2Berben fte roie Xbnner fchmettem 
3hnt oom ©tobe bann ben Stein 
Unb em Slip au§ ©otte$ 2Bettem 
21uf ba3 §aupt ber 2Bächter fein! 

So ift ba3 Süchlein felbft als $hmfttoerf nur tpeilmeife berechtigt. — 
Xie Pier Slbtheilungen: „3u ffampf unb Sieg!“, „3n 2Bebr unb 2Baffeit!", 
„9D?ich erbarmt be£ Solfe3!", „®ott, Äaifer, Saterlanb!" beuten ba$ ©epräge 
ber Sammlung an. Xa£ focial*politifch 5 religiöfe SWoment liegt biefer 
flammenzucfenben ©treitfchrift in gebunbener Sprache zugrunbe. ,,3d) finge, 
tnie ntir'3 um3 $erz ift", hei&t e3 in ber Sorrebe. „Xer bie Kerzen ber 

*) ©ettertembten. (Schichte bon grana tticbert. «Baplfeile $olfdau*gabe. (3m ©u<bb<Hibel ber* 
aeit »ergriffen, eine neue (9.) Auflage foll im $erbfte b. 3 - erfebeinen. 


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[16 


S. 9Di ^amantt. 


lenfcpen lenft, tjat aus mir einen Sänger beS Sd)toerteS gemacht. Wer 
Jeute oom Stieben ftngen miü — id) rechte nicht mit ihm. 3eber nach feiner 
Seife!" Son feinem „Siebe" aber fagt er in ber „Zueignung": 

Unb ju feiger Scpanbe Scbreden 
Soll eS eifentlirrenb gehn, 

^eucblermaSfen, bie fie beden, 

Stiirmenb ihr oom Raupte roebn. 

3)aS ©oethe'iche Wort: „Sin garftig Sieb! $fui! Sin politifcp Sieb!" 
iat bie allgemeine Meinung längft als aud) für bie Äunft nicht ftichhaltig 
tben. Wo bliebe fonft bie poetifche Anregung $ur ©otteS*, Herren* unb 
f0Baterlanb^minne innerhalb ber ^olitif? Schlimm genug, roo man in biefer 
Jrfolche Sactoren toegleugnen toill; noch fcplimmer, too man’S barf unb mufS. 
i$ie chriftlidHociale Partei ÜfterreicpS, ber Sichert angehört, toirb bie» 
^felbftoerftänblich nie roollen, bürfen noch müffen. Unb nicht fie allein toirb 
feinen $beil oon „Wetterleuchten" auf ben s 43oben ganstoertiger ^Joefie fteUen. 
*jp®ocp nur ben Heineren Xpeil. £aS sum geflügelten Worte getoorbene Urtheil 
^SÄeiter'S: „3n fdjtoungooHe Serfe gebrachte Seitartifel" geht auf bie größere 
~,58ahl ber Serie. Sefctcre mag als patfenbeS SlgitationSmittel immerhin 
f ^6eftehcu bleiben, aber nur in ber „Wohlfeilen SolfSauSgabe": burch fie mag 
^Iriefer cpriftlicbe Steiligrath auch ferner bie (Empfänglichen unter ben politifd) 
^i^ntereffierten herüber^iehen sur ®inficht, Drbnung, ©läubigfeit. $lber bie 
/Oom fünftlerifcpen Stanbpunfte aus als perlen auSsufonbernbe SReipe ber 
r- ^ebichte foUte nochmals in eine Sicperffcpe Sammlung, unb jtoar ju Anfang 
1 ber stueiten: „Äreujlieber", aufgenommen toerben. Srft bann fönnte man ihr 
bolle Slnerfennung sollen unb oerfepaffen, erft bann ihrem ibeellen ©ehalte 
auch prattifd) burcpauS gerecht toerben. ßu biefen „perlen" jähle ich Oor 
allem baS einleitenbe „ÜRaria oom Siege" mit ber jünbenben erften, fünften 
x unb lebten Strophe: 

2)ie §anb, tpr früher, unb fcpließet ben 93unb, 
j fiafSt lobern ber frerjen Slammen! 

(ES rufen jum Kampfe mit hellem SRunb 
$)ie Körner febmetterab jufammen. 

SS naht ber lebte, entfebeibenbe Streit — 

§ocb roebt baS Banner ber Süge 
3m SturmeSroettem ber roilben 3*it: 

ÜJtoria, führ’ unS jum Siege! 


5>erauS, heraus benn auS bumpfer SRacpt, 

$)rin leibenb unb roeinenb mir lagen! 

SS brennt ber 2Jlorgen in golb'ner $ra<pt, 

3n ben ©eiflem beginnt'S ju tagen. 

$>ie §erjen ertoaepen ftolj unb füpn 
Unb poepen laut nach bem Kriege, 

$)em bcilißften, roelcper ein Scproert ließ glübn: 
2Raria, führ’ unS jum Siege! 


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3rang Sichert. 


417 


3h* ©rüber, mit £>anb unb Iperg uttb Ottuttb 
Gelobt e$ ber Sieblichen, deinen: 

„Du Iperrin be$ Siegel, roie ^elfengvunb 
3m Äampfe fielen bie deinen!" 

Drum bie §erjen hoch unb hoch ba$ ©anier, 

DafS e£ roaüe, leuchte unb fliege: 

Unb ftegen mir nicht, nun — fo (terben mir! — 

SJlarta führt hoch gum Siege! 

Sticht gang fo unmittelbar, aber ebenfalls fetjr mirfiam ift baS nächfte: 
„3n eilfter ©tunbe" mit bem aufrüttelnben SWahnruf: „SBach auf, mein ©olf! 
©in neuer lag beginnt!" unb bem prophetischen SchluiSmort: 

©r, roelcher roanbelt auf ber Seiten ©Jege, 

©r, ber ben (Elementen einft gebot, 

©r ift mit bir in beinern bittern Streite: 

©lief auf gum Fimmel, bliefe au$ inS 2Beite — 

Dort ftammt ber beffem 3ufunft SJtorgenroth! 

Diefe unerbittlich flare ©rfenntniS ber gegenmärtigen Stothlage, biefer 
fefte ©MUe gum ©uten unb biefe unerfchütterliche Hoffnung auf ein fommettbeS 
allgemeines ©rcelfior finb .'pauptmerfmale ber Äampflprif Sichert’S mie feiner 
‘Dichtung überhaupt, ©inen ergreifenbeit ©uSbrucf baoon finben mir unter 
anberem in „Sticht oergagen", „0£err, oerhüU’ Dein £aupt!", „Die ©nfunft 
beS .£>errn", „SJtit ©ott für tfaiier unb ©aterlanb!" unb im prachtvollen 
„©in Stame": 

3a, ich fehe fdjon baS tyotye, föntgltche ©anner ragen, 

Unb eS rotrb ben ftegberoährten heil’gen tarnen 3*fu3 tragen; 

©eh’ eS hoch gum Siege fliegen unb bie 5einbe überbauem: 

©SaS ich fehe, macht mich jubeln, roas ich fehe, macht mich flauem, 

Denn ein SJteer non ©lut unb Ih*änen, menfehenmorbenber ©efehiefe, 

©4 ber 3ufunft gro&e ©kilftatt überbrüefen meine ©liefe, 

Um an einem friebenSfrohen, hotben ©ilanb ftill gu lanben, 

©So im größten alter tarnen alle ©ölfer froh fleh fanben. 

©Sir fehen: Sichert ift burchglüht oom ©hriftuSglaubeu, unb biefent 
feurigen ©uSbrucf gu geben, mürbe feiten einem anberen in gleicher ©Seiie 
oerliehen mie ihm. Stur fchabe, bafS er mieberholt burch feinen ©ifer, baS 
gemählte Dhema aflfeitig in baS heflfte, einbringlichfte Sicht gu fegen, [ich 
unpoetifcher Sängen fchulbig macht. 3umeilcn brauchten mir einem ©ebichte 
nur ein paar ober gar bie Hälfte ber Strophen gu ftreichen, unb eS märe 
oollfommen in feiner ©rt, mährenb eS in ber jegigen Raffung ermübenb, 
manchmal fogar peinlich mirft. So bei „DaS Äteug", „©He SJtann an 
©orb!", „©SaS mir hoffen!", „SSaS mollen mir?". ©ber unoerfürgt, juft mie 
fie ftnb, bleiben in ooller ifraft unb Schönheit beftehen: „©Sir mollen mieber 
©hriften fein!", „3n 3efu Starnen!", „ßhriftfinb fommt", „Stettet eure 
tfinber!" unb baS mie bonnernbe SJteerflut bahermogenbe „©erechtigfeit!", 
biefer gemaltige, an baS ©efte oon DhomaS £>oob, Sreiligrath, ©ba ©hriften 
unb ©ba Stegri erinnernbe Dubaruf für baS Stecht ber enterbten SWaffen: 

$ie Äultur. IIl. 3a^tg. «. unb 7. $fft. (1902.) 27 


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418 


(S. SW. ^amann. 


frört ibr’3? — frört ibr baö ©rollen bumpf? 
Srrlidpter buchen, e$ brobelt ber Sumpf, 
$al)l 3 udt am Fimmel unb gräbt fid? ein 
Sn fcfjroarje ©ölten ber ©etterfcbein. 

Unb febt ibr naben ben ftnfteren Scbroarm? 
©ebrängt, oerfcplungen Wrm in 2lrm, 

Unb 5lug’ an 2luge, rote 53ranb an s Ptanb, 
S3iel taufenb ©ebanfen, bocb eine franb. 


©a£ roillft bu, fcbroacbes unb feiges ©efcblecbt, 

Te$ fcbnöben SWammonS gebungener Unecht, 

Wocb fcbroaßen non Freiheit unb gleichem Wed)t? 

Siegt nicht bie Arbeit in Schmach unb betten? 

Sprich, roer befreit fte? ©er roill fte retten? 

Sprich, roer auS ben alles oerfchlingenben Jluten 
Ter Siige, ben alles oerjebrenbcn ©luten 
Ter ßüfte roirb jenen, bie roeinen unb bluten, 

Tie freien ©otteSvechte erftatten — 

TaS Söefte, roaS unfere 35äter hottenV 
Statt ©eben ift Webmen Sitte geroorben, 

Tie liifternen, pruntenben Wäuberborben 
Sinb beute Sieger im großen Streit; 

Tod) unten bäumt ficb jertretneS Seib, 

Unb borch — roie bie Arbeit im Sumpenfleib 
TaS ^afSroort ber Unterbrächen fchreit: 

„©erecbtigfeit!" 

Unb neben biefer Orfan = Sprit ein paar Blüten ballabenartiger 
Ticptung: „Ter Sahnenträger", „Tie 2?ebette", eine holbe Slume ber 
SWarienmintte: „SRaiengruß“ unb bie erfeßütternben ®uß- unb Troftlieber: 
„©etrennt Pott ©oft", „Toppelter iyrühling", „Wun ift eS gut"'. Tenn nicht 
immer ftanb (Sichert, too er jept ftcht. TieS führt unS auf fein fieben: 

Sranj Sichert tourbe am 11. Februar 1857 im ©ebirgSbörfchcn Schnee* 
berg, auf ber böpmifchMächftfcben ©renpiart, geboren. Sein Sßater toar 
gräflich Thun’fcher Weoierförfter; in bem ftiüen ©albpaufe herrfepte auf 
pofttioeS ©hriftenthum gegrünbcteS (vamilienglücf. Ter Änabe abfoloierte 
bie heimatliche Torffdntlc, bie Tetfchener frauptfepufe unb bie Seitmeriper 
Wealfcpule. ©äprenb beS ^efucpeS ber lepteren sog ihm feine unnatürlich 
gefteigertc Jvrömntigfeit ben Stuf ober -auch ben thatfächlichen Buftanb 
einer ©emütb^tranfheit p, infolge beffen er auf ein 3ohr p ben Sltertt 
heimfehren nutzte. Tantals lernte er Glife ^olfo'S anthologifche „Ticftter- 
grüße" fennen unb Perbanfte ihnen bie erfte betoufste poetifchc 2ln* 
reguttg. Bitten in bie toieber aufgettommettett Stubien unb glätte für 
ein fünftigeS OrbenStcben fiel ber Tob feiner SWutter. Ter Jüngling jeigte 
fich, Perseiblicbenocife, noch nicht reif für ben freilSeinflttfS ber Prüfung, bie, 
nach bem ©eftänbniffe beS SWanneS, pm WuSgangSpmtft einer großen 


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3rran$ ©id)ert. 


41£ 

®eränberung für ihn tourbe: „Sei eS, bafs id) baS Sertrauen oerlor, weif 
meine ©ebete um bie ©enefung ber lieben 9Kutter nicht erhört toorben waren, 
ober wie immer: fursum, id) fieng an, meinen geiftlidjen ftreitnb in Seitmeritj 
SU metben, ben ©mpfang ber heiligen Sacramente sw öernaebläffigen unb 
mid) bafür an glanbenSlofe Jyreunbe ansufd)lie§en." 

6r erwarb ficb ein glänsenbeS SReifeseugniS, befudjte in 2Bien bas 
^olptecbnifum unb gab fid) bem neuen ßeben: bem be£ SBeltfinbeS, bin. 
Da ftarb fein fürforgenber Sater, unb ber £>od)fd)üler war „gewefen". ©in 
bereite unabhängiger Sruber in SBi^ner^euftabt nahm ihn bei fid) auf. 
3n biefem äwifebenftabium ber Untbätigfeit mögen fid) bie Slnfäfce sur 
Söiebergeburt in ihm gebilbet hoben, fehlere üoflsog fid) nach feiner 
s 2lnfteHung als ©ifenbabnbeamter in Scbrecfenfteiit bei Muffig an ber ©Ibc 
(1891) unb feiner üorbergebenben Sermäblung mit einem armen SWäbcben. 
©S ift ein fprecbcnbeS Seichen für bie ©barafterftärfe Sicherte, baiS er in 
bem nun folgenben beißen Gingen um bie ©yiftens feiner Samilie (er ift jept 
S?ater öon acht Äinbern) fid) bie ftetig waebfenbe Siebe unb ©brfurdjt für 
fein .öeimgliitf bewahrte: in erfter Sinie für biejenige, bie ben Äampf 
untS Sebcn im s 43nnbe mit ihm aufgenommen batte. DaS nicht biebterifd), 
aber etbifcb boebftebenbe „ s Jtur Du", baS ftimmungSüoflc „2öaS fann 
id) deiner Seele geben", oor adern baS unmittelbare „£>anb in £>anb" 
(iämmtlid) in „fcöbenfeuer") fteden nicht nur feiner ©attin, fonbern — 
unbeabsichtigt — ihm felbft ein ©brenseitgniS feitener 9lrt auS: 


Der Jrauenminne e d>te^ ©olb, 
üttir grub’S bas Ceib aus beinern §er$en, 
ÜRetn treues 2Beib, in ^reub unb Schmerlen 
OJtir ruie ber erfte Sen^tag t)olb. 

9US lag auf lag oereint uns fanb 
ftumnten, tbränenlofen Reiben, 

Da febmiebete ber Scbmerj uns beiben 
3u em’gern 93unbe !$anb in $anb. 


ÜJlein treues 59eib! 2öie lieb’ id) bid), 

0 laff mich beine Jpanb ergreifen, 

Die, ad), fo febwer gefebafft für mid)! 

Unb betnes Scheitels Silberftreifen, 

Der, ad), im Scbmen um mich gebiet), 

Unb beiner Haren Stirne galten, 

Die eingrub treuer Sorge ^Balten — 

3M febeuer ©befürcht füff’ ich ne. 

$omm her unb laff’ uns §anb in £anb 
3ln ber gemeibten Stelle fteben, 
s -lÖo bu oerfpracbft, ins ferne 2anb 
9US Xreugefpiel mit mir $u geben. 

Salb nünft uns ein noch fern’reS Üanb — 

27* 


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420 


2R. framann. 


J<b ioiU’$ an beincr $>anb erreichen. 

Xort roinft ba£ ftteug — ber frehnat 3^ c ^. 

3Bir gehn fjtnüber — §anb in §anb! 

Stach ßnaint in SJtäbren oerfefct, trat er mitten in bie cbriftlidHociale 
©emegung. 1893 erfdjienen bann feine btefjer oerftreut berauSgegebenen 
©ebkbte in ber oben gefenngeiebneten Sammlung „SBetterleucbten". Xer 
Xitel ift ebaratteriftifeb für ba£ aufgiebenbe fociale ©emitter, nicht für bie 
SBirfung be$ SücbleinS, beffen Jnbalt mie ein Xontterfcblag in baä ©emiffen 
be$ öfterreiebifeben fatbolifeben Solfeä fuhr. Stad) furger 3eit erfolgte eine 
SJtaffemSteuauflage, bie halb in 7000 Sjremplaren oerbreitet mürbe. 

Xer Stame Sichert mar, fogufagen gum ^arteiruf geroorbett, unb feinen 
Xräger mollte man jefet im Änotenpunfte ber öfterreiebifeben politifeben 
Jntereffen feben: man gog ihn nach 2Bien, mo er bie Stebaction be* 
„©olfsblatteä für Stabt unb üianb", be$ SamilienblatteS „Xer Pilger" unb be* 
„St. Jofepb^Senbboten“, fomie gmeier Äalenber beforgt. ©iel laftenbe Arbeit: 
ob auch oiel materieller Siobn? Jd) fürchte, auf biefe ftrage mürbe ber tapfere 
Äärnpe nur ein mübeS öäcbeln gur Slntmort haben. Xraurig genug, bafS 
baS „fatbolifebe ßfterreicb* bis jefct einem Spanne mie biefem feinen anberen 
SöirfungSfreiS — fagen mirt runb beraub: feine SJtöglidjfeit gur freien $lu$~ 
Übung feinet eigentlichen ©erufeS gu febaffen oermoebte*). Xen Debatteur 
(Sichert fann mobl ein anberer erfepen, ben Xicbter nicht. Unb gerabe 
biefer märe jefct, menn unabhängig, mehr als je ein pcrfönlicber ftactor 
in ber bortigen Äulturentmitflung. 2BaS biefe geiftige tfraftnatur gu leiften 
oermöcbte außerhalb ber ftänbigen Xrucfatmofpbäre beS 9tebactionS;©ureauS, 
bemeist bie einfache Xbatiacbe, bais fein großes Xalent nicht oerfümmert, 
fonbern im Sluffdjmung begriffen ift, trop XageSfrobnc unb gefebmäebter 
©efunbbeit. 

1899 oeröffentlidjte er bie „ftreuglieber"**), ein ©olbfcbnittbänbdfen 
oon 81 Seiten, aber oon melcber ^ernfülle beS JnbaltS! — 

Xer Jammer unb bie Stotb, ber blhtbe &afs unb bie Xborbeit 
ringsum batten bem Sänger guerft bie SSarteifabne in bie £>anb gebrüeft; 
nun legte er fie nieber, ergriff baS Äreug, hielt cS hoch in ber 
hinten, bie Siechte aber umflammerte, mie gu Slnfang, baS Scbmcrt. 
©lieb er im „SBetterleuchten" einem feurig babinjtürmenben Jüngling, ohne 
Sicht auf bie ftinbentiffe unb ©rengmarfen feiner ©ahn: hier ift er ber 
befottnene, gefertigte, megfubere SJtann, ber mit conccntriertem ©emufstfetn 
auf fein 3iel gufebreitet. Unb biefeS ift nichts anberen als (um mit 
l\ Sl. Möllmann gu fpreeben) „ber SJtittelpunft ber SBeltgefcbicbte, bie eingige 
erfülIungSftcbere Hoffnung aller SlbamSfinber, baS oerbinbenbe 9Jlittelglieb 
gmifeben Fimmel unb ®rbe, baS emige Xenfgeicben ber größten ©otteStbat": 
ber üicbtbaum beS Gebens auf ©olgatba. Sein ©lang ftrablt bis in bie 
liefen ber Xicbterfeele, flärt baS Xicbterauge, burcbleucbtet unb läutert baS 

*) $)er (Skrechtigfeit halber betonen »ir, baf$ (Sichert oom f. f. öfterr. Wtnifterium für (inltuä 
unb Unterricht 1899 einen Utterarifchen $rei* unb bafft er 1900 ba« Stipenbium ber Schweftern fröhlich* 
6tiftunfl für heroorragenbe fchaffenbe latente auf bem (Gebiete ber üitteratur erhielt. 

**) Stuttgart unb ©ien, 3ofef ftoth’fä* ®erlag«hönblung; 1901 $um jweitenmale aufgelegt. 


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ftranj (Sichert. 


421 


Dicbterroort, bafS eS nur jetten noch beut ^arteibaber, befto muebtiger aber 
bem heiligen Äarnpfe um Sottet unb feiner ftreitenben Äircbe Stecht ftd) leibt. 
Stiebt als ob ber „Äünftler" jebon immer auf ber £>öbe ftünbe: auch jefet 
nod) finbet jid) Übermaß, Staubeit, Sthetorif unb Steflerion. Slber im 
©angen offenbart ftd) bod) ein bebeutenber ftortfebritt. Stiebt gulefct banft 
(Sichert biefen feiner männlichen Demutb: für ftd) felbft mit! er nichts, 
aus ftd) felbft fann er nichts, in ftd) felbft fuebt er nichts als baS SJtangel* 
hafte feiner Äunft, — baS anbere an ihr gehört ©ott: 


SJtein £>erg ift nur beS ©ro’gen fravfe, 
SBenn eS in Siebern glüht unb brennt; 
Der SJtifSton nur, ber fcbrille, fcharfe, 
3ft mein, ber fommt oom Qnftrument! 


Drum roill ich feine Stränge hoben, 

Stein Sob für baS, roaS hoch nicht mein — 

©inb meine lieber ©otteS ©aben, 

©ott auch bie ©h re — ©otteS fein! 

Unb foü unb barf unb mufS ich fingen, 

Dann braufe, opfertobbereit, 

SJtein ©ang umS Streug mit ©turmeSfchroingen 
SUS Kämpfer für bie beffre 3eit! 

Unb biefe beffre Beit mufS ftd) erfüllen — fein lag!: 

SJtein lag roirb fommen! Sticht auf SengeSflügeln, 

Sticht Stofen roerben frängen feine ©time, 

Stein — fturmgeboren fteigt er oon ben frügeln, 

©ein JeuerfufS gerfcbmilgt ber s 43erge 3rime. 

Diefe ©eroifSbeit ift ihm tiefernfte SJtabnung, gugteid) Hoffnung unb 
ftißer Droft, toenn baS ©rbenelenb unb — bie ©rinnerung an feine einftige 
Trennung oon bem .^öcbften ihn niebergubrüden brobt (ftebe „SJtaria", 
„BefuS an bie Seele", „ s 2lucb Du!"). Doch feine ®u§e ift bie ber Äinber 
©otteS, betten baS $eil in tbatfräftiger, wahrhaftiger £>eilanbS= unb 33ruber= 
liebe befcbloffen liegt. 

O hött’ ich über bie bergen hoch SJtacht 
Unb fönnt’ ich ben ©eiftem gebieten! 

D märe mein Sieb roie etn ©cfjroert in ber ©chlacht 
Unb roie ein Frühling ooll Blüten! 

©tetS rooüt’ ich eS ftimmen auf ©türm unb auf ©treit, 

©o lange baS $reug nicht gerettet, 

©o lange bie göfcenanbetenbe 3ett 
$n ©chmach unb in Söanben eS fettet; 

©o lange ber £>afS noch bie Siebe beilegt 
Unb Xreue ein ©pielgeug ber ©drangen, 

©o lange baS Banner ber Süge noch fliegt 
Sluf treulos oerrathenen ©changen; 


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422 


©. ÜR. £>amann. 


©o lange nur frabfucht am SBebftuhl ber 3«t 
Ta3 Stäbergetriebe läföt faufen — 

©o lange bie 2Belt fidj bem SRammon nur weiht, 

©oü ©c^lac^truf mein ©ingen burchbraufen. 

©o lange fall rufen mein Sieb unb mein ©ang 
Tie gläubige SBelt ju ben $öaffen, 

33alb fchmettemb unb fröhlich, halb fchaurig unb bang, 

$8i3 fterbenb bie ©aiten erfcblaffen. 

Tann will ich, nom Banner be3 ßreuae3 bebeeft, 

©em fchweigen unb ruhn mit ben 3Rüben, 

93i3 einft bie ^ofaune ben ©djlafenben werft — 

Tann fmg’ ich, bann fmg’ ich ben grieben! 

Tenn er liebt ihn ja, biefen grieben, wie er bie SRenfchbett liebt, 
wie er ben ©lauben an beren 2lbel liebt, wie er ba3 Äreus unb bte ewige 
Siebe felber liebt. Ter Äambf ift ihm freiwillig erforene Pflicht, bie Stube 
in ©otteS Slnfcbauung erfebnter ‘IßreiS (f. „Soüenbung"). Um ibn *u erringen, 
hält er Treue (f. „geh bleibe feft", „Äreuäweg", „Ä'reuseSliebe"), febart bie 
©otteSftreiter sufammen (f. „3u ben SSaffen!", „SRutbig unb treu!", „3eit 
unb ©tunbe", „Untere gähne", „©in ©brift — ein SRann!"), trägt ba3 
SSanner be3 allmächtigen ßwingberrn öoran (f. „ÄreuaeSlob", „Tie Xbat!"), 
flebt in XobeSnotb bie £>eilanb3bHfe berab (f. „$ilfruf"), richtet bie 3agenben 
unb ©infenbeit auf (f. „gm Kampfe um ba3 $reua", „Tiegelben beSÄreujeS", 
„0, fürchtet nichts!"). Unb mitten im Sd)lad)tengebrau3 febaut er bie felige 
Sifion (f. „ s 2luferftebung"): 


Ta feb’ ich bie enblo3 lange ©char, 
Tie einftenS ber ©ünbe hörig mar, 
93oriiberwalIen im lichten ©d)ein, 

$$om Sölute be3 SammeS ftnb alle rein: 


geh febe bie Jperjen nun wieber blithn, 

Tie Wahrheit burch Sfebel ber Süge gliihn 
geh höre ringsum bie ©otfehaft gehn: 

Ter ©laube, ber ©laube will auferftehn! 

©3 füehn bie SBächter, e3 rollt ber ©tein, 

©3 leuchtet im ©rabe wie ^immelSfcbein; 

©3 faf3t bie §erjen ein SBunber an — 

0 fomm, ©rftanbner, jeig un3 bie $ahn! 

©in geuer bie ©eifter all’ burchbricht: 

0 unfer Sichtig, führ un3 $um Sicht! — 

Ta fcbntiljt ihm baS&ers, bem er bisher ba3 „SBerbe hart!" gewähnt bat 
aufcbleubern *u müffen, tmr Siebe im gläubigen ©rfennen ber Urmacht ber 
Siebe. Tie jum ©to§ erhobeneSSaffe entfinft feiner £>anb. ©r menbet ficb unb 
DerläfSt bie ffialftatt (f. „2Berbe milb!"): 


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3rranj Sichert. 


423 


Wübe bift bu, fcbmerjurnftürmter (Streiter! 

Sieb, hier ftefjt ein $reu$ am 2öeg allein — 

$einc fjüfee tragen bidj nicht roeiter, 
ßege füll bein fraupt auf biefen Stein! 

Stürmifd) §erj! 9imt ^aft bu SRub gefunben, 

Jpaft gefämpft, geirrt, unb fiel)’, hier Quillt 
SBie ein Strom be# Sichte au# ©otte# 2öunben 
Triebe, £iebe! — §erj, nun bleibft bu milb! 

$amit tönen btc „Äreujlieber" au#: bie fefte Srüde zu ©ichcrt’# britter 
.ftauptftation ift gefdjlagen. 

1901 erfchien feine ©ebichtfammlung: „4>öhenfeuer\ Sie fdjeibet fid) 
in fieben Sapitcl: „Sturme#harfen" (mit bent munberooüen 2lu#flang „3ur 
3ahrhujtbertmenbe"), „Schreibenbe §anb", „Üicht unb Tuntel", „Sonnen¬ 
stäubchen", „fteimatlieber", „SRaute unb ©belmeiß", „Te# Üicbe# Söeiße". ©in 
s ©lid auf Anfang unb ©nbe be# Suchet, unb ©ichert, mie mir ihn bereite 
femten, fteht oor un#: berfelbe — unb nicht berfelbe. 2Bic einft trögt er ba# 
ftelbenfchmert, ift er ein SSorfchreiter im Äampf, ruft er hinein in# ©emiffen 
bcr Seit. Slber fein Sang tönt boct) aitber#: flarer, fnapper, geminnenber, 
unmittelbarer al# fonft. $a# macht: bie höchfte ^iebc hat ihn bezmungcn 
ganz unb gar, hat ihn gelöst oon ber Parteien &aber unb eng oereint mit 
ber uremigen Sache ber Wenfchheit felbft, hat ihn hinüber geführt au# bem 
©etriebe ber 2age#fehbe in ba# ©ebiet ber reinen Äunft. Sie hat ihm 
ba# $erz milb gemacht: menn auch ba# Uieb be# ©ram# unb be# heiligen 
Sortt# noch oft, nun bunfel, nun fchmetternb hell, au# feiner ®ruft in bie 
unfere bringt. s 2lber auch anbere Älänge mifchen fich ein: leiie, holbe Welobien 
au# ber Seele .Heiligtum, bie ba zeugen oon üerborgenem Seib unb feliger Suft, 
oon Sehnen unb ©in#fein, oon füßem $lu#ruhen (f. „SRütfblitf") in 3hm, ber 
burd) 9tatur unb Wenfchen, burd) Sturm unb ftiüe# Säufeln zu un# fpricht. 

Mud) ie&t noch meht mol)l ein ©cho her au# früherer Seit, ein oer- 
fchrnontmene# ober farbenftro&enbe# ©ilb, eine flingelnbe ober fchmerfäUige 
Spracßeinfleibung ober gar ein ganze# fchmächliche# ©ebid)t ocvlefet un#, mie 
ba# gebanfenarme „93leibe fteßen", ba# gefchraubte „Triebe", ba# fentimentale 
„Sah bid) iüngft im ©arten gehn". $lud) ießt noch brängt fid) jumcilen bie 
vhetorifche SBucht auf, befonber# im zmeiten «tmupttheil, mo ßidjert, ein anberer 
fltürfert, in „geharnischten" Sonetten ber Sünbenmelt oon heute ihr Mene Tekel 
prophezeit. 'Ecfto ftegreicher fteht bie lautere ©oefie in ben folgenbeu s 2lb= 
schnitten auf: fehrett auch bie alten Shcmcu mieber, fo thun fie’# in ab= 
geflärtercr Sorm unb mit oertiefterem ©ehalt. Subcm: bcr Slnfturm be# 
Unglauben#, be# 4>aife#, be# Xrug#, ber &ab= unb ©enuf#gier ringsum ift 
io groß, bas# man e# nicht nur begreifen, fonbern begrüßen foU, memt ein 
berufener Wahner feinen Scheibe- unb SJedruf unermüblid) hineinfenbet in 
ba# tofenbe ©emirre. 2Ber aber märe berufener al# unjer dichter? ©emiffer 
beitn je fühlt er felbft ftch beftötigt burd) ba# Seugni# oon Oben (f. „ffarnpf* 
gefang"): 


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©. 2R. £>omann. 


42 4 


bin fein Höfling unb fein 9Jtobebichter, 
©ottweihte$um*Propbetenmich, $um Stifter. 
3cb frage nicht, ob i<h ben Sohn oerfehle — 

3ch fünbe, wa* mir wilb burdjraufcht bie Seele. 

ferner in „Schtoert unb £arfe": 

©ott gab mir bie §arfe, ©ott gab mir ba* ©dauert 
Ter freien, bie männliche Diebe; 

Tie £>arfe entflammt unb ber Bamberg bewehrt 
Ten ©eift mir $ur ^eiligen ^ehbe. 


3>d) h^b’ meine $arfe für Söahvheit unb $Hed)t, 

Um bonnernbe lieber ju fchlagen, 

©ntflammenb ein fettengebriitfte* ©efcblecbt, 

Ten Mampf um bie Freiheit $u wagen. 

Qd) habe mein Schwert, um ben heiligen Mrieg 
9Jt;t Si'ige unb 53o§l)eit $u fechten, 

$d) habe mein Schwert, mit ber $öelt um ben Sieg 
Teä ©uten unb Schönen ju rechten. 

Unb in „^olwärt*": 

3hr Sieber, ooran, 

3um Streite gefdjart, 

©ott breche bie ®ahn, 

©ott fegne bie $ahrt. 

©uch brachte jum $lühn 
©in bimmlifcher Trang; 

Tie 3Boge foU glühn 
SBom SSifingerfang! 

©mpfinbet er fo feine Vollmacht ben Jtorberungcn unb ©chmanfungen 
bc* Sebent gegenüber, fo fühlt er fein Ungenügen, feine Kleinheit üor ©ott. 
Tie fdm>:r errungene 2Jtanne*bemuth ift ihm treu geblieben (f. „3täthfer, 
„Tie T'erle", „©ebet", „9lbenbgebet", „gin* unb alle*", „Tu bift ein 5ftenfch" 
unb ba* herrliche 3Wotto ( J3). — Diur au* bem ewigen Urquell, üon 
beut ein Tropfen fid) in ihn felbft ergof*, fchöpft er Streben unb Mraft: 

© e f u n b e n. 

3ch habe gar oiel begonnen, 

Mein Stiicf mir recht gelang; 

3>ch fachte be§ ©liicfe* Bronnen, 

2lm Reifen mein ©rabfeheit fprang: 

£>ab lang gefügt unb gefonnen — 

Ta würbe mein Sinnen ©efang. 

Ta würbe ©efang mein Sinnen 
Unb e* gelang mein Stiicf; 


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ftranj Sichert. 


425 


9$ hörte ben ©rönnen rinnen 
Unb fanb baS gefugte ©lüd; 

©S räufelte ber Seele ÜJttunen 
3u ©ott f $ur Duelle jurüd. 

Daher jeine nie ertöfchenbe Sehnfucht nach öimmetsfrieben (f. „SriebenS* 
ahnung", „ftriebenSfehttfucht", „SRettenbeS Sicht", „SRur einmal mödjt id) 
ftiöe fein", „Ohne 9tuh w , „Jerne", „©orüber", Ebnung"); baher fetnfelfcn= 
fefteS, burd) feine nod) jo fchroere Sorge, ©ntbehrung unb ©nttäufchung 
ju erfchütternbeS ©erfreuen, feine erfüHungfichere, rüdhaltloS bingegebene unb 
befeligte Siebe au ©ott (f. u. a. „©erjage nid)t — ©ott mei§ ben ©fab", 
„SRehr Siebe"!); baber aber auch feine opferftarfe Siebe ju ben ©rübern: 

©litgefübl. 

3cb null nicht roohnen im reichen Saal, 

©$enn meine ©rüber in Hellem roohnen, 

3ch roill nicht mehren bie fchlimme 3<*hl 
Der fatten 3ebrer, ber faulen Drohnen. 

3d) roiU nicht pichen in Sammt unb Seih’, 

Söenn meine ©rüber in Mitteln frieren. 

©iel lieber roill ich mein roarmeS ftleib 
9US jemals mein roarmeS §er$ oerlieren. 

3d) roill nicht praffen in Suft unb Schroall, 

©tenn brunten oerhärmte Malier irren, 

3d) roill nicht hören ber ©eigen Schall, 

©knn Jyliiche unb Seufzer ben Xaft oerroirrett. 

3cb roill nicht fifcen fteinern unb blinb 
3m ©liicfe unb ©nberen laffen bie Scherben — 

3ch bin ein OJlenfch roie bie anbern finb, 

Unb roill mit ber ©tenfehheit leiben unb fterben. 

©ben aus biefer Siebe ju bem «'pödjftcn unb ju ben ©crlaffenften er¬ 
fleht fein IRannesftolj ben Xhoren gegenüber, bie nad) bem ©ettrnnb ben 
Xräger beurthcilen („3f)r unb id)!"), bie ,,©äd)e fchtoaben" unb als betrogene 
©etrüger baS 3od) feilen ©olbeS tragen unb auferlegen (f. „ffiir unb 3hr!"): 

UnS gilt baS ÜJtarf unb ihr bie Schale; 

Sie fieht baS Mleib, roir fehn ben ©eift. 

3br ift fo roohl im bunflen Xhale 
Unb un$, roo hoch ber 2Iar nur freist! 

Unb roeil er rneifj, bafS nicht am lanbe baS ©lüd hängt, begnügt er 
(ich mit färglichem Sohn für unbezahlbares SegenSfchaffen: 

©erborgen. 

3ch roill fo roenig oon ber ©Seit, 

So roenig oon ber 2öelt fürroahr, 

©in Stücfchen ©rot, ein fcbii&enb 3*1* 

3riir mich unb meiner kleinen Schar. 


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426 


(£ ÜJi. ^amann. 


ßein ^teftgeräufcb unb feine Suft 
SBci tollem Spiel unb golbnetn ©ein, 

Much feinen Stern für meine $3ruft — 

Safst mich allein \ — SafSt mich allein. 

$)u liebe Stille! Selig laufet 
$>ir atbmenb meine 93ruft unb bebt; 

Äein Sieb, ba$ mir bie ©eit geräufelt, 

§at meine Seele fo belebt. 

$tefe Stille ber Slbgejcbloffcnbeit oon allem Oberflächlichen unb 
Störenben, be£ inneren Sidjau$leben3, be£ ftd) &tnetnoerferifen$ in ben 
SJorgefdjmacf ber ©roigfeit: er finbet fie im ffierfebr mit ®ott ( mit ben Seinen 
unb — mit ber Matur. ©ie bei allen echten Xicbtern, bängt fein £>ers mit jeber 
ttiber an ber Heimat unb am Xempelfrieben ber 2lümutter, su ber mir gebären 
bom erften bis jurn lebten irbifeben Slugenblicf. Bitten im befcenben Sebcn 
ruft ibm ber Sttutterfpracbe Saut bie geliebte Scholle bor'ä innere 3luge: 
„MtngS ber ©älber braufenb SMeer, flarer Fimmel brüber ber"; in ber 
„Mube im ©rünen", iit ber „Dämmerung im ©albe" fuebt er SSergeffen für 
all be3 Xreibenä 9Rüben unb Verlangen: 

$ie mir einft oerbeinenb lachten, 

Sterne in be3 5lbenb$ ©runb, 

Stillet mir ber Seele brachten, 

Ä'iifSt mir jeben ©unfeb oom 9Jhmb! 

bringt mir bod) bie ferne ©eite 
Mäher in ber Xräume $8ann, 

$>af3 bie Seele, bie befreite, 

©ie ein ftinblein fdjlafen fann. 

kleine, sarte StimmungSbilber mit tiefer Maturfpmbolif fteigen aus ber 
Seele ©rünben auf (f. „Sonnenuntergang", „Jm Xbale", „2lbenb", „&erbft", 
„Dämmerung"); ba$ „9Meer ber Sense3monne", ber „Mebe^, mie ein enblo$ 
©eb M , be3 ©inbeS nun träumeriiebe, nun milbe ©eife, be£ Seifend „Sdjmur* 
banb" im lirolerlanb, ber „eifige Sergeefmad" be3 Hochgebirge, bee Sommer- 
aufgange „sitternbee Siebt": fie alle reben ibm ihre unmittelbare Sprache. 
Unb er nimmt biefe in ficb auf, befreit an ihrem ßauber bie eigene bebrängte 
®ruft unb läfet fie mieber binaueflingen sur ftreube, sunt Xroft, pr ©r= 
mutbigung für bie, melcbe, mie er, Äreujträger in ©abrbeit unb Freiheit ftnb 
unb bureb bie Seuereffc be$ Schmerle binüberfebreiten pm emigen 9Rorgeit= 
rotb. ©o immer ftc feine Stimme, fein Sieb üernebmen, ba ftnben fie ihn 
felber gans („3cb bin mein Sieb"), unb bieieS Sieb bot er ihnen unb ftcb 
füre ©mige beftimmt: 

9Jtein Sieb fei Seben, mein Sieb fei Siebt, 

Micbt kleben unb ©eben im Staube! 

Unb wenn einft bie irbifebe Hülle verbricht, 

Xann fterben bie ©eifen, bie Sieber mir nicht, 

$ann jubelt fie einig ber ©laube! 


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3ranj (Sichert. 


427 


©Jährlich, fein SBunber, rnenn ein 9Rann mie biefer bie Granit beS 
XhränenthalS mit erhabener SBürbe tragt: „TeS Sieben ftolje ®abe macht 
gan$ allein mich reich!" TaS ift ein SReichthum, ber auch anbere berufene 
roeeft — jüngft erft hat’S P. ©nSgar ©öHmann in „Sonnenfehein" oerfünbet, 
roaS er Sranj (Sichert banft: „ffienn ich in feuriger ®arbe forühe, 2Bei§t 
Tu, au§ melchem Schlage fte ftob"; baS ift ein SReichthum, ber SReinhcit, ®üte 
unb Schönheit in ftch trägt; ber in ftetem SBerbegang immer mehr baS 
Unvergängliche anfe&t unb auSreift; ber vom ©orn jenes SebenS, baS VJiebe 
heißt, ftammt unb au ihm aurüeffehrt; ber bie SBelt befiegt unb bie 3eit 
überbauert: 

ÜRein Sieb ift alles ober nichts: 

(Sin fraueb jerbrichtS — 

Unb hoch an feinem luft’gen ftleib 
3erfcbellt bie 3^t. 

Jch glaube, bafS in meinem Sieb 
Ter Obern jieht 

TeS ©eifteS, ber ba nimmt unb gibt 
Unb eroig liebt. 

Tie Stunbe fommt, ba ber SRuhm (Sicherte von ®au $u ©au, roo 
beutfehe 3unge Hingt, getragen roirb. 5Röge bann nicht zugleich bie Scham 
aufftehen müffen mit ber ferneren ©nflage: Ter ©eften (Sinen hieltet ihr 
gefdjmiebet ans Joch; nun ift eS für feine ©efreiung — *u fpät! 




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Die Philosophie der Astronomie. 

Bon Bloyre TOitUer. 

(3rf)lufd ) 

nn mir auch fo bie ©ehauphntgen für bie ©nblichfeit beS SBeltaflS 
jurüdgemiefen Ratten, fo hoben mir bod) bamit bie Unenblkhfeit noch 
nicht ermiefen, unb ich glaube aud), bafS fie fich fdjmerlich bemeifen läfst. Solche 
Probleme fann man hödjftenS mahrfcheinlich machen, unb aud) ba fpielt noch 
oief SubjectioeS mit hinein. 9Kir fchcint für bie Unenblidjfeit folgenber 
©runb su fpredjen.*) Soffen mir baS SBeltaß als enblich, fo müfSte fich im Saufe 
ber Seit ber gan$e Äther als ©aS in ben leeren SRaum jerftreuen, ba ihn 
ja nichts an ber Ausbreitung pinbert, mag man feine ©renjen auch noch fo 
rneit über ben oon ben lebten $immetsförpern eingenommenen 0 rt hinaus* 
benfen. AflerbingS bliebe noch eine 2Röglid)feit offen, bie nur bei einer 
gemiffen ASenbung ber mechanifchen üftaturauffaffung auSgefdjloffen märe, 
nämlid) bie, bem Äther eine unenbliche AuSbehnung ju$ulegen, bie Summe 
ber £immelsförper aber enblich ju faffen. Aber baS' flingt hödjft fonberbar. 
©cibemale gilt übrigens noch ein anberer ©ebanfe, ben Siebmann (Sur 
AnalpfiS ber ffiirflichfeit) einmal auSfpricht: „ 6 in fo abenteuerlicher SujmS 
ber SBeltoernunft mit ben unenblidjen Seeren unb Öben, bei fo fchmählichem 
@ei$ mit bem raumerfitßenb SRealen, märe gemifferntaften unvernünftig." 

9Hag man eine Anfchauung mählen, melche man miß, auf jeben Saß ift auf 
berfelben ©afiS ber phpfifaliichen Sehren, auf ber fich irgenb eine Unenbtichfeit bei 
ben beiben SKöglichfeiten aufbaut, auch bie Unenbtichfeit beS StaumeS begrünbet. 
Xrofcbem mir nun üoßftänbig bie Art beS ©hilofophierenS, bie aus bem ©e* 
griff ber S a h^ ä. bie Unenbtichfeit beS SlaumeS als falfch barthun unb 
von h^r aus auch bie ©nblichfeit beS SBeltaßS folgern miß, als übereilt 
unb als einen 9?iidftanb ontologiftifcher 3 been Verwerfen, fofl ber fpeculatioe 
Ginmanb hoch berüdfichtigt merben, meil er bei uns geläufig ift unb meil er 
uns hier ein auffäfligeS ©eifpiel für bie Sorrectur ber ©fjilofophie an ber 
Waturwiffenfchaft bietet. $er ©inmanb tautet: @S fann gar nichts actual 
UnenblicheS, jumal feine actual unenbliche Sottf &on Gingen geben, meil ich 
mir 51 t aßem, fei es nun reeß geteilt ober ibeeß tpeilbar, X^cite hinju- 

*) ©ine Abfcbroäcbung beSfelben wirb fpater angebeutet. 



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$ie S$htlofophie bei* Slftronomte. 


429 


benfcn ober foldje megnehmen !ann; baS SBeltaß befifct atfo fdjon fidler eine 
eitblic^e SluSbehnung, ben Staunt fönnen mir nun jmar nicht als enblich 

faffen, mir fagen barunt, er fei potential unenblich, baS Reifet, mir müffen 

feine ©renjen immer meiter fjinauSfdjieben. 

$iefe SluSführungen leiben au unflarem philofopfjifchen Renten unb 
befunben UnfenntniS ber SJtathematif. ®S ift hoch über allem 3toeifel ergaben, 
bafS eS in SBirflichfeit nur actual UnenblictyeS unb ©nblicheS geben fann. 

®S fcheint folgenbeS gegen uns ju fprechen: benfen mir uns 
baS SBeltaß plöfclich oerfdjmunben mit SluSnahme ber ®rbe, fo mürbe 

biefelbe fic^, mie aus bem SEräg^eitögefefe folgt, in geraber Sinie in 
infinitum meiterbemegen; biefe ©emegung ift, fo fagt man, potential 

unenblich- ®aS ift ein claffifdjeS ©eifpiel bafür, meid} ein Unfug mit 
pf)ilofopf)ifd)eu ^Begriffen getrieben mirb. Il)atfäc^lic^ ift bie ©emegung, 
baS ift bie ©djncßigfeit ober ber ^urüdgelegte SBeg ober maS man auch 
immer barunter oerftehen miß, in jebem Slugenblid eine enbliche, unb barauf 
aüein fommt es ^ier an; überhaupt ift nichts UnenblidjeS babei im Spiele, 
baS infolge feinet SBefenS irgenb eine unenblicfje SBirfung peröorbringen fönnte, 
einfach beSfjalb, meil überhaupt nichts SteafeS babei im Spiele ift als lebiglidj 
bie 3nbifferen$ beS S'örperS gegen jeben Drt im Staunt. ©erabe an biefem 
©eifpiel fief)t man flar, bafS baS potential Unenblid^e nichts meiter ift, 
als eine logifdje ©ejiehung, in bie unfer ©erftanb baS ©nblidje $um actual 
Unenblichen fefct, ober bie ©ejiehung, in bie unfer enblidjer ©erftanb ^um 
actual Unenblichen tritt. SBir fönnen eben etrnaS actual UnenblicheS nicht 
faffen unb bebieiten unS eines berartigen $ilfSbegriffeS. SS ift aber burdjauS 
unberechtigt, ihn nun in bie SBirflichfeit ju übertragen. £at ber Staunt eine 
©ren^e, bann ift er enblich, h at er feine, bann ift er actual unenblich. 3ebe 
©renje aber als folche ift eine ©renje i m Staunt, nicht eine ©renje b e S 
StaumeS, alfo fommt man nicht baran oorbei: ber Staum ntufS actual 
unenblich fein. 

$>a man fi<h fo fehr barauf fteift, bafS es feine actual unenbüche 
3ahl geben fönne, fo fann man ja einmal auf bie SBirflichfeit 
hinmeifen. ©utberlet jieljt in feiner „SRetaphpfif" als ein fehr gutes 
©eifpiel bie 3®hi 71 h cr °n. ®iejelbe ift für uns, um ben irreführenben 
SluSbrud nochmals ju gebrauchen, potential unenblich, baS heifet, mir fönnen 
rechnen, fo lange mir moflen, mir fommen niemals au ein ©nbe. Slber, um 
noch einmal unfere obige ffirflärung beS potential Unenblichen ju rechtfertigen: 
mir ha^en hoch ftets nur ein ©nblicheS, mögen mir auch noch fo torit 
rechnen. SBie aber mirb fich bie 3of)l ©ott repräfentieren ? ©ott fennt hoch 
afle ihre Steßen, für ihn ift alfo bie 3o*)I boch actual unenblich, alfo ift 


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430 


Sllopg SJtüUer. 


fic hoch auch thatfächlich actual unenblich, menn auch mir mit unferem 
enblidjen Serftanbe äße Steden nicht faffen fönnen. 

$er ganje ©inrnurf üon ber Unmöglichfeit einer actual unenblichen 
3af)t beruht meiftent^eil^ auf ber Annahme, bafö aße Unenblichfeiten 
eiitanber abfolut gleich feien. lafg biefe Sinnahnte nicht richtig ift, fann man 
leicht jeigen. 3 n bem Staum üon 1 cm 8 finb hoch ficher (actual) unenblich 
üiele mathematifche fünfte üorhanben, in bem SRaum üon 1 m 8 begleichen. 
SBenn atfo aße Unenblichfeiten einanber gleich mären, müfgte ber 9?anm üon 
1 cm 8 gleich bem üon 1 m 8 fein, mag offenbarer Unfinn ift. 3m übrigen 
läfgt fich ftreng mathematifch bie ©jriftenj üon actual^unenblichen 3 ahlen 
nachmeifen. ©antor'g Serbienft ift eg, bieg gethan 51 t haben^nachbem bereitg 
manche Shifofoph cn üor ih m , 8 um Seifpiel 2 e i b n i 5 , ben Sorthum jurücfgemiefen 
hatten, alg ob actuale Unenblichfeiten eine abfolute Steifheit befifcen müfgten. 

2 . 

Dicfer jmeite Slbfchnitt foß bie 2 ehren behanbeln, bie eine aftronomijche 
uitb eine philofophifche Seite befipen. 

Sltg claffifcher Ippug berfelben foßte eigentlich ber $anpjpchigmug 
hier ftehen, ber eine äufeere unb eine innere Seite im SBeltaß nnterfcheibet, 
eine äußere, bie mir in ber Slftronomie erfaffen, eine innere, bie Semufgtfein 
hat, Seift ift; ber bag SJtaterieße im SBeltaß alg Unterlage, alg Mittel 
für ©mpfinbungen unb lenfeit fafgt unb fich infolge ber Unmittelbarfeit, 
mit ber ung augfchliefelich materiefleg SBirfeit im Raunte gegenübertvitt unb 
bie feinen Schlüffen ju miberfprechen fcheirtt, gern mit ber pfpchologifchen 
Theorie beg pfpdjophpfifchen $araßeligmug üerbinbet. 2Bir moflten bie 2ehre 
gern befprechett, menn fie nicht ben einen Fehler h^tte, feine Shif°f°Pbie, 
fonbern s 45^antafie ju fein. la aber fo namhafte Genfer mie ftechnev 
in feinem „ 3 enb*Slüefta" unb $anlfeit in feiner „©inleitung in bie 
s ^hifofophie" ih^ bag SBort reben unb fie neuerbingg niete Slnfjänger finbet, 
fo fei fie menigfteng hier ermähnt, mähreitb mir ung eine eingehenbe fritifche 
^Besprechung berfelben, fpecieß in ©e^ug auf ihre Darlegung in ben eben 
genannten SEBerfen, für eine fpätere Slrbeit üorbefjalten. 

SBenn mir ung auch üom Scmpfpchigmug unb feiner Seiftyauberei 
fernhalten, fo bürfen mir hoch nicht in bag anbere ©jtrem faßen, im 
Sogmog nur SRaterie unb Semegung unb mit unerbittlicher Stothmenbigfeit 
geltenbe Sefefce 511 fehen. ©g ift Seift in ber Statur, aber nicht anberg alg 
mie man auch üon einem Suche fagt: eg fteeft Seift barin. @g ift ber 
Stempel, ber Slugbrucf eineg orbnenben Seifteg, ben bie Statur an fich trägt, 
eg ift, mit einem SBorte, bie Ideologie. 1er 3ü>ecfgebanfe gehört, mie 
ber ßinheitggebanfe, $ur 3bee beg Drganigmug; ja man fann fogar fagen, 


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$ie Vhüofopbie bei* Dlftrottomie. 


431 


bafd ber 3 med bie ©inheit in fich fchliefct. $aedel hat fchon mieber einmal 
(SBelträthfel) ben 3 *o«ffKgriff für „überflüffig" unb „»erfdjmunben" erflärt. 
©onberbar — a edel preift ©oettje fo fehr ald Vorgänger $ arte in' 4, 
unb bodj ift ed gerabe ©oethe, ber ben befannten 9ludfprudj that: „Äld 
man bic teleologifche ©rflärungdart »erbannte, nahm man ber ÜRatur ben 
Verftanb .... unb fie blieb geiftlod liegen." 

Vom aftronomifchen ©tanbpunft aud betrachtet, höben mir allerbingd im 
SBeltatl nichts aldüJlechanif. 2 lber mibepfpricht [ich bad etma? SBad Rechner ( 3 enb* 
Sfoefta) »on feinen ©peculationeh fagt, tann man mörtlich auf bie leleologie an* 
menben: „9iur eine SRupung, nicht eine Verfälfchung ber Stefultate ber ÜRatur* 
forfchung fommt hier »or. Sein SRaturgefefc fcheint hier meniger binbenb, ald ed bem 
ftrengften gorfchec erfcheint, unb ber 3*oed, ber eine fo grofee Stolle bei und 
fpiett, »ermag niebtd, anfjer fofern er mit bem ©efefc bed SBirfend £>anb 
in £>anb geht. ®ie Staturnothmenbigfeit beftept überall, tpie unb mo fie ber 
•ftaturforfcher Oertangen fann unb »erlangt." Unb fiiebmann (©ebanten 
unb ^hatfadjen. I.) fagt: „ 3 med 5 ufammenhang unb mechanifcher ©aufat* 
^ufantmenhang, meit entfernt fich 511 miberfprechen, beefen fich »ielmehr ©lieb 
für ©lieb, inbem, mie fich an jeher ooit 9Renfchenhanb conftruierten SRajchine 
feftftellen läfdt, jener biefem inoolüicrt. 3e genaueren ©inblid in ben Vau 
unb bad ©etriebe ihred 9Kechanidmud man geminnt, um fo genauer erfennt 
man auch bie 3 merfmä 6 igteit einer ÜDtafchine. ®er »ollfommenfte 
SRecpanifer märe zugleich ber »ollfommenfte Xeleofog." 

9Werbingd „nicht blofc einzelne 3 mecfe für bie einzelnen Xpeile", um mit 
geehrter 311 rebett, „fonbern auch einen einheitlichen 3 med für bad einheitliche 
©anje" 31 t finben, rnirb mohl und SRenfchenfinbein mit unferem fchmachen Vers 
ftanbe unmöglich fein, ©in folcher 3 mect (gechner fept hier 3 metf für ßiel) mnfd ba 
fein. Xamald fchon hat er im frodmod gelegen, ald beffeit ganje SRatcric noch im 
s Rcbe(batI oercint im Staunte fchmamnt, feine ©ntmidlung hat er bann begleitet 
unb geleitet, fonft hätte er nimmermehr toerben tonnen, mad er jept ift. 9lber 
mo ihn finben? Vielleicht bürfen mir SRertfcfcen und fo hoch tarieren, bafd 
mir bie ©ntftepung unb ©ntmidlung bed Sodmod ald auf und gerichtet 
annehmen, mentt mir bann auch nicht jene »erfchmenberifche 3 erftreuung ber 
SRaterie in bie enttegenften Staunte begreifen tönnen! Vielleicht ift auch bie 
Verherrlichung beffen ber 3*oed, in bem unb bitrch ben mir leben, meben 
unb finb. Chi lo sa! Vemerfen müffen mir aber noch, bafd folche ©ebanten 
bem Ideologischen ©ottedbemeid fdjmerlich Stupen bringen, meil fie ald 
bemiefen »oraudfepen, mad bort bemiefen merben fotl. 

Sßenn mir auch fo auf ben einheitlichen ©ebanten ber 3 ^Iftrebigfeit »er* 
3 idpten müffen, tönnen mir hoch einen folgen ber 3 *oedmäfcigteit conftatieren: 


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432 


2Uoo« ÜJlüUer. 


ic^ meine bie Sinfacfyfjeit beS SBeltjufammenhangeS. TaS io überaus einfache 
©raoitationSgefefc, bnS non fetbft oerftänblidje TrägheitSgefefc unb eine burch 
irgenb einen ©influfS empfangene Tangentialbemegung, baS ift alles, WaS ben 
Sauf ber :pimmel8förper bis in alle fernften ßtäume hinein oerurfachte unb 
regelte. ©8 gibt wolfl faum eine t»on SJtenfchenhanb geraffene äftafdjine, 
bie mit einfacheren dritteln unb hoch fo grogartigem ©rfolge arbeitete. 

©obalb wir ffiinjelheiten als Teleologie anfpredjen motten, ift grofje 
SSorfid^t oonnöthen. 3Jtan finbet taum etwas Säuerlicheres in ber 2Biffenf<haft als 
bie ©ucgt, alles teleologifdj ju erflären. 3<h erinnere mich einmal gelefen ju 
haben: SBeldj' eine wunberbare Teleologie ift eS bo<h, bafS eine änjieljungSlraft 
cjiftiert, fonft mürben bie Sterne ja aufeinanberplajjen unb nichts, auch »ir 
nicht, Seftanb haben. 2Iber ber Utadjfah mit „fonft" ift falfch; wenn leine 
©raöitation ejnftierte, würbe ber ftoSmoS überhaupt nicht fo geworben fein 
wie er jefct ift. ähnlich ift baS folgenbe, Oielgebraudjte Seifpiel: SBäre bie 
SteoolutionSjeit etwa Jupiters um einen Tag fürjer, fo wäre bie ©jiftenj 
unfereS IßlanetenfhftcmS gefährbet; eS liegt alfo Teleologie barin, bafS fie 
gerabe fo lang ift. Slber wenn Jupiter eine anbere UmlaufSjeit erhalten 
hätte, wäre bie ©ntmicflung unfereS SlaneteufpftemS, alfo auch fein Sau, 
eine ganj anbere geworben. 2Ran fieht, berartige Seifpiele »erwechfeln 
baS SBerben mit bem ©ein. Traurig ift eS, wenn man an Stelle oon 
'Jtaturgefefcen ftc^ ein mpftifcheS teleologifcheS StmaS conftruiert. T. S«f<h 
meint (SBelträthfel II.), bafS „bie Semegung beS ©aSbafleS fo bemeffen 
unb gerichtet fein mufS, bafS .... bie Sonne genau in ben einen 
gemeinfchaftlichen Srennpunlt ber efliptifchen Sahnen aller Planeten ju ftehen 
fommt." äuch foflte man ben älfcnfdjen etwas mehr aus bem SRittelpunfte 
ber teleologifchen Setrachtung oerweifen unb nicht immer jagen, etwas fei 
beShalb teleotogifdj, weil eS ihm angepafst ift. TaS wäre in bem Säße 
richtig, wenn ©ott gejwungen gewefen märe, SJlenfchen unferer ©onftitution 
ju fchaffen. 9lach bem TarwiniSmuS mit feiner änpaffungSfähigleit müfste 
eS genau fo fein. Solche Seifpiele bemeifen alfo nichts. 

Um aber nicht nur negatiö ju oerfahren, fei menigftenS eine Thatfache an* 
gegeben, bie eine ftaunenSwerte Teleologie enthält; eS ift bieS bie 2lrt unb SBeife, 
wie bie Stabilität unfereS SlanetenfpftemS gewahrt wirb: fie ift burch eben 
bie Störungen, burch b»« fie bebroht erfcheint, gefiebert. ©8 ift baS eines 
jener feltfamen Seifpiele, wo man ben Sah, bafS baS Söfe bem ©Uten 
bienftbar gemacht wirb, im mechanifchen ©ebiete mieberfinbet. ©emifS ift 
baS alles rein mechanifch juftanbe gelommen: aber eS liegt hoch eine 3bee 
barin, bie über baS SRechonifche h'nauSragt. ©ewifS war baS unter allen 
möglichen Säßen auch rin möglicher; aber bie ©aljrfchrintichleit, bafS gerabe 


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lie ^ilofop^ic ber Slftronomie. 433 

( 

biefcr einzige 3uftanb, ber 3*Mcf ij a t, pon felbft eintrat, ift bod) beinahe 
gleich 9tuH. 

3 tot übrigen märe ed eine banfendmerte Strbeit für einen aftronomifch 
unb pbilofopbifcf) gleichermeife gefaulten ©elebrten, berartige ©eifpiele einer 
echten Ideologie aufeufudjen unb bie fallen entfliehen jurüd^utoeifen. Da* 
neben aber barf man bie anbere 2Baf)tf)eit nicht üergeffen, bafd bad eigentliche 
SReich ber leleologie bad Drganifche unb nicht bad SÄechanifche ift *) 

ÜRinber beutlich ald bei ber Ideologie tritt ber ©ebanfe bed S3erbältniffed 
bed pbilofopbifchen unb aftronomifdben SKomented, ber bad leitenbe 90?otio 
biefed Slbfchnitted fein fotlte, bei bem Stemton'fchen ©raoitationd* 
gefefc ^erbor, ift aber auch ^er bei einigem lenfen immer aufjufinben. 
lad ©efefc gibt ber s JM)iIofopf)ie brei Probleme ju löfen, bon benen bie beiben 
erften nietfach sufarnmengemorfen merben, t^atfächlich aber ftreng ju fcheiben 
finb. lad erfte ift bad Problem ber unenblich fchnellen SBirfung. 

SBir fönnen junäc^ft a priori feftfepen, bafd eine fotche unmöglich ift. 

Unenblich fdbnelle SBirfung mürbe bebeutert, bafd zmifeben ber Urfache am 

Orte a unb ber SBirfung am Orte b fein ßeitinterbaü liegt, mit anberen 

SBorten, fie bedangt boßftänbige ©leidföeitigfeit bon Urfache unb SBirfung; 
bad ift aber pbpfifch unmöglich, meil ed bad 93erhättnid biefer beiben 

Segriffe in ber einmal e^iftierenben 3eiträumlidbfeit üöflig aufbebt. **) 
Sluf biefem ©ebanfen fieser fufcenb, bat man bann ald allgemein^ 
giltiged SJaturgefep aufgefteßt, bafd in ber Statur nicf)td gefehlt, ohne bafd 
babei eine memt auch noch fo Heine ßeit oerftreiebt. 

99id jefct repräfentiert fich nun bie SBirfung aller Kräfte, bie mir ald 
©efefce in mat^ematifc^en gormeln haben audbrüefen fönnen, ald enblicb, in 

*) Slucb bad SBerf oon s $b- 3- Sftaper, ber teleologifdje ©ottedberoeid unb ber 
larroinidmud (3Rainj f 1901), oerfällt leiber mitunter in ben oben ebarafterifierten 
Jebier unb begeht au&erbem ben früher febon gerügten groben Qrrtbum, larminidmus 
unb ©ntroicflungdlebre ju oerroecbfeln. 

**) SBir fepeinen hier bad oiel bidcutierte pbilofopbifcbe Problem zu berühren, 
ob eine abfolute ©leiebzeitigteit oon Urfache unb SBirfung möglich ift. 3 U * gröberen 
Klarheit fei folgenbed bemerft. SBir unterfcheiben"mit Sigma rt (Bogif. II.) bei bem 
Stob eined ftörperd auf einen anberen 

1. ben bem SBirfen oorangebenben 3ufümb ber Urfache; 

2. ben SJtoment, in roelcbem bie Urfache roirft, b. b- bie Bewegung eined 
anberen betuorbringt ober eine bereitd oorbanbene änbert; 

3. bad einfache ^Beharren bed neuen S3emegungdzuftanbed, fobalb bad SBirfen 
aufgebört bat. 

Sigmart bezeichnet bad britte SHoment ald nur mittelbaren ©ffect, roäbrenb 
er bad zweite a i§ bi e eigentliche unmittelbare SBirfung fafdt unb beren abfolute 
©leichjeitigfeit mit ber Urfache behauptet. lamit bat er bie ^roblemftellung in 
$ie Äulhir. III. 6. unb 7. £eft. a»02.) 28 


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434 


s 2UopS s JJtiiHer. 


bcr 3eit meßbar; nur bic ©chmerfraft roitl fidj bem noch nicht fügen: 
bie ©efchminbigfeit, mit ber fie mirft, ift nodj nicht gemeffen morben unb 
hat fich überhaupt bis jefct noch nicht als enblicf) feftfteflen taffen. ®ielleicht 
liegt bieS baran, bafS mir noch feine ©eobachtungSmethoben fennen, beren 
SuSbifbung ju biefer fubtitften aller Unterfliegungen genügenb ift. 
3öttner h°* feinerjeit Experimente mittels beS £>oriaontalpenbelS gemacht, 
rooburcf) er ben enblichen ©harafter ber ®raöitationSmirfungen non ber 
©onne fjer conftatieren $u fönnen glaubte; leiber tiefe ihn ber lob feine 
©erfuche nicht $u ©nbe führen. X^eoretifcfe maren feine ©djtüffe üoü= 
fommen richtig; praftifd) aber bilbete ber Umftanb rnohl ein unüberminbticheS 
£inberniS, bafS bie ©rbe mit ihrer ungeheuren Sln^iefeungSfraft fo nahe 
mar, unb fo lange mir uns nicht baOon auf irgenb eine SCBeife frei- 
maefeen fönnen, merben berartige ©erfudhe mohl faum jum 3^ führen. 

SKan h at übrigens baS Problem auch theoretifch angefafst 
unb auf irgenb metefee ©orauSfefcungen t)\n bie ©cfenelligfeit ber 
Sßirfungen $u berechnen oerfucht; aber bie merfmürbige ©erfchiebenheit 
ber Stefultate bemeift, bafS mir feine unantaftbar fieberen ©orauSfefcungen 
befifcen. ®iefe lepteren ©erfudhe grünben meift auf bem Umftanb, bafS in 
ber ©ramtationSformel feine gunction ber 3eit fteeft. ®ie gormel ift fo 
iiberrafchenb einfach, bafS man mirfliefe S^eifel in ihre ©eltung fepen fann, 
ein ©eifpiel, baS übrigens gar nicht oerein^elt bafteht; h at man ja aud) 
unter anberen bie gormulierung beS $oppler'fdjcn ^SrincipS megen ihrer 
auffallenben Einfachheit angejmeifelt. MerbingS müffen mir mit ber über* 
fommenen mathematischen gorm meiterredjnen. giigen fich bann fpäter bie 
2 h at ? ac hen nicht mehr, bann fann bie Sorrection ber gormel eintreten, unb 
hier ift auch ber ©unft, mo eoentuell ejacte ©eobachtungen in bie grage nach 
einer unenblich fchneüen SBirfung eingreifeu fönnen. 

©in jmeiteS an baS ©raoitationSgefep anfnüpfenbeS Problem ift baS 
ber gernmirfnng, actio in distans, mie ber mittelalterliche SluSbrucf heifet, 
mo$u, maS feftgehalten merben rnufS, unenblich fchnede SBirfung nicht gehört. 
Über bie rein philofophifche ©eite ber grage, ob gerntoirfung möglich fei 

mufterhafter Schärfe gegeben. 2öir fehen alfo, bafS unter obiger ©eroeiS oon ber 
ppilofophifchen Streitfrage gar nicht tangiert roirb unb feine ooüe ©eltung behält; 
benn mir oerftehen foroohl hier als überhaupt in ber 9toturioiffenfchaft, roenn mir 
oon ©irfung reben, baS oon Sigroart unterfchiebene britte üftoment. 

2BaS nun baS Problem felbft betrifft, fo fann ich ben ©tanbpunft beS 
berühmten öogiterS nicht feilen. ÜJteineS ©rachtenS ift nur eine abfolute 
zeitliche Kontinuität jroifchen Urfache unb 5öirfung (in.bem engeren Sinne) 
oorhanben. $)och ift hier nicht ber Ort, um barauf näher einjugehen. 


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®ie s $hilofopbie bcr Slftronomte. 


435 


ober nicht, finb fid^ bie Sertreter ber SBiffenfdjaft noch nicht einig. Un3 
mid bebünfen, bafS gernmirfmtg eine Trennung ber Äraft oon ihrem Iräger 
bebeutet, ma£ mir nicht für möglich galten. 

SBir modelt und aber ^ier auf einen mehr naturmiffenfchaftlichen 
Stanbpunft fteden. SBad miß benn eigentlich bie Staturmiffenfchaft ? 
©tma ad’ bad einzelne aufoählen, ma£ in ber Statur braujjen oorgeht? 
®och jebenfadd nicht, „Sönnte e£ ber menfchlichen gorfchung nur barauf 
anfomnten, ben ©eftanb ber oorhanbenen SBelt erfennenb ab$ubilben, 
melden SBert hätte bann noch ih rc 9 an 5 e SDtühe, bie mit ber öben SBieber^ 
holung fdjlöffe, bafd, mad aufcerhalb ber Seele oorhanben mar, nun nach 5 
gebilbet in ihr noch einmal oorfäme?" (Sofce, ffltifrofoSmod. I.) ®ie 
SBiffenfcfcaft fragt nach bem „SBarum?" Sie erforfcht bie ©efefce be$ SBirfen$ 
unb baä SBefen ber firäfte; fonft hätte fie überhaupt fein Stecht, an ber 
©utfchlcierung be3 StaturgeheimniffeS mit^uhelfen. Sobalb mir aber annehmen, 
e$ gefchehe etmaä burch gernmirfung in ber Statur, hätten mir un£ 
bamit oon oornljerein. ben SBeg jum SBefen biefer Straft oerfperrt. SBir 
hätten Stebel unb ®unfelf)eit in bie gorfchung hineingetragen, mo mir 
Xage$hede hätten fchaffeit foden. SBir bürfen bie Statur nicht räthfelhafter 
machen, als fie fefcon ift. 

®euft mau jubem im ©eifte ber mobernen gorfchung, fo muf* 
man bie Sinnahme oon gernmirfungen oon oornherein in jebem gade 
ablehnen. ®a£ ©rincip, monach mir erflären unb ba3 feine ©ntftehung 
im ©runbe ber oorhin entmicfelten Sluffaffung oom Stoecfe fc er SJiffcnfchaft 
oerbanft, ift bie£, baf£ ade Staturfräfte fich auf ©emegungen ber (Sicher*) 
Sltome jurüefführen laffen, unb e£ ift ja glücflicfc gelungen, ba3 SBefen 
mancher Strafte (Sicht, SBärme, auch b lim $h c if fch on ffilectricitat), fomeit 
bie§ ^ur ®omäne bed Staturforfcherd gehört, mit |>ilfe bed Sltherd ziemlich 
gut oerftänblich $u machen. ®iefe £>ilfdrode bed ^ttherö behnt man ganj 
confequent auch auf bie ©raoitation au£, unb auf aU' biefen 3been fufcenb 
finb bann bie oerfchiebenften ©raoitationätheorien entftanben, oon benen 
einige, mie jum ©eifpiel bie igfenf rahe’fche, äufcerft einfach unb ein* 
leuchtenb erfcheinen, anbere, mie bie oon S e c ch i, burch ihre originede Schönheit 
beftechen, oon benen aber noch faum eine oor ber Äritif ber SJtathematif 
ftanbgehalten hat. Xropbem alfo bie ©raoitationäfrage berart fteht, bafd einer 
unferer ©eiehrten, ein fonft äufcerft fühl unb echt miffenfchaftlich benfenber 
Sopf, an einer Söfung bed StäthfelS ber Schmerfraft bereite oerjmeifelt hat 
unb irgenb einen birecteu ©ingriff be£ Schöpfer^ ftatuiert, halten mir, 
eingebenf ber Shatfacfce, baf* bie SBiffenfchaft eine fortfehreitenbe ift, feft an 
ber Hoffnung auf einen jufünftigen Erfolg. 

28 * 


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436 


AlopS üflüüer. 


®tan ^at ber Aftronomie bic Aufgabe gefteüt, ju ergrünben, ob bic 
©rabitation gerntoirfung fei ober nicht. geh glaube, bafS bie Aftronomie 
als folcbe bamit nichts ju tbun ^at. SöiG man ihr aber burebauS eine 
Aufgabe ftellen, fo ift eS biefe, naebsutoeifen, bafs bie ®raoitation feine 
gerntoirfung ift. 

(Sine britte mit bem ©raoitationSgefefc aufammenbängenbe grage ift 
bie, ob baSfelbe’ abfolute ©iltigfeit fyabe, baS b^fft/ ob eS fich ouS ^ em 
SBefen beS breibimenfionaten SRaumeS bebucieren taffe. ®S fommt alfo bt^r 
auf ben jtoeiten Ib e ^ ber gormet an, ber fagt, bafS bie anjiebenbe ftraft 
mit bem Duabrate ber Entfernung abnebme. S^afS bie firaft bem Sßrobuct 
ber SRaffen proportional ift, erfebeint mehr als angemeffen, aber nicht als 
notbtoenbig. 9Ratbematifcb ift jene 2)ebuctioit nicht möglich; benn auS ber 
©teichung beS SRaumeS läfst fich nicht abteiten, bafS bie ©röfce ber anjiebenben 
föraft umgefebrt proportional bem Duabrate ber Entfernung ift. ®arum 
nehmen benn auch bie Aftronomen an, bafS noch anbere ©efefce neben biefem 
ejiftieren fönnten, unb toenn fie bie Belegungen in einem fernen ©tern* 
fpftem berechnen, gefchiebt eS ftetS unter ber auSbrücflicben Annahme, bafS 
in jenen Stäumen auch baS Sftetoton’fcbe ®efefc gütig fei. Bbüofopbifcb 
ift ber Berfucb oerfchiebenemate gemacht toorben, fo unter anberen oon 
Überm eg (Spftem ber Sogif). Übertoeg brebt (baS ift aber nur ein 
formeller Unterschieb) baS Problem be™m unb toill aus ber Ejiftenj beS 
©raoitationSgefefeeS bie 9totbtoenbigfeit ber Ejiftenj eines breibimenfionaten 
Raumes betoeifen. 9Kir fcheinen ade biefe Berfucbe gefcheitert ^u fein, geh toill 
hier nicht näher auf bie grage eingeben; man finbet eine Befpredjung berfelben 
in Siebmann’S „AnalpfiS ber SBirflicbfeit". Auf baS Sicht, beffen 
Abnahme mit bem Duabrate ber Entfernung atlerbingS notbtoenbig ift, 
barf man nicht b^toeifen, toeil, toorauf bereite Saptace aufmerffam 
gemacht b a ^ bie Ausbreitung ber ©ebtoerfraft oon ganj anberer Art ift 
als bie beS BichteS. gür biejenigen, bie fich b ux ntechanifchen 9iatur= 
anfehauung befennen' unb im befonberen auch für bie Anhänger getoiffer 
©raoitationStbeorien toirb baS Problem in eine ganj anbere Beleuchtung 
gerüeft, inbem für fie meift fogar bie ganje ®raüitationSformel für ben 
breibimenfionaten 9?aum als- abfolut erfebeint. 

3. 

Sttaturgernäfc umfafSt biefer Abfchnitt, ber fich mit ben pbilofopbifchen 
Schlüffen unb SRefultaten auS aftronomifchen Xbatfachen befchäftigen foH, 
toeit mehr $unfte als bie oorigen. 5)ie beiben Probleme, bie ich an bie 
Spipe ftefle, b a * ntan toobl oom tenbenjiöfen unb barum einfeitigen @tanb* 


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Die ©pilot op[)ie bei 9lftronomie. 


437 


fünfte al4 bie eigentliche s 45^itofop^ie ber 2tftronomie bezeichnet. Daö erfte 
ift bie grage nach Anfang unb Snbe ber SBett. 

2Bir fefcen bei bent 'JiebelbaU ein, ben bie Slant»£aptace’fche Theorie 
atö fo&nifchen ?lnfang 8 juftanb ftatuiert. Die rein phitojophifchen 3 been, bie fich 
hieran anfnüpfen, finb oon ben ©hiloiophen ber oerfchiebenften Stichtungen fo ein« 
gehenb bilcutiert worben, bafö ich fie hier füglich übergehen Iaitn. 3 <h h“&e auch, 
offen geftanben, einen gewiffen Horror oor ben fpeculatioen ©eweifen oom contin« 
genten ©ein unb ähnlichen. SKan tann fagen, was man wiD, man ift beim Operieren 
mit fotch abftracten Gegriffen ftets in einem „Stebelheim", unb bie fcharfen 
ÜSorte Du ©oi 3 =Stet)inonb '8 oom ©upranatnratiämuä unb ber 2Biffenfct)aft 
fann ich, toenn ich fie auch nicht oöllig billige, hoch wopl oerftehen. 9Jtan 
fühlt fich auf einem oiel juüertäffigeren ©oben, wenn man naturwiffenfchafttich 
arbeitet, unb wenn Wir auch rein naturwiffenfchafttich ju einem Stefultate 
fomnten, fo ift ba 8 ©erfahren boch, weit e 8 bei ber oorliegenben (frage 
nach bem erften ©rincip hinführt, mag eö Waö immer fein, im ®runbe 
golbechte s J 8 h^ D f°Ph> c - 3 ubem fotl auch biefe Arbeit zeigen, baf3 man bie 
s Jtaturmiffenf<haft in pbitofophifcheö Denfen hineinziehen fann unb beäljalb 
auch wufö; benn baS jweite folgt au3 bem erften auf ©runb ber Dhatfache, 
baj3 man bie ©peculation an ber grfatjrung ju controßiercn h°t- 

SBir führen alfo auf naturwiffenfchaftlichem SBege einen SöetoeiS für baS 
Dafein ®otte$ an§ ber ©ewegung, übertaffen e3 aber im einzelnen bem ßefer, 
bie phitofophifchen Slnfnüpfungöpunfte an baä hier gebotene ejacte SBiffett 
aufjufuchen, ba fie fich jiemlich oon felbft ergeben unb, wie oben gefagt, 
fdjon reichlich anberweitig in Sejug auf ihren rein ptjilofophifchen Sharalter 
bejprochen worben finb. Slriftoteleö unb nach >h m Dhuntaä oon 91 quin 
haben jwar auch einen ©otteöbeweiä auö ber Bewegung geführt, aber fie 
fchloffen barau«, bafö e£ feine unenbliche Steilje oon Bewegern geben fönne, 
auf einen „erften ©eweger", unb bas ift ein ©etueis, beffen Stichtigfeit ich 
bahingefteüt fein laffe. SBenn ich hier 0011 Bewegung rebe, fo meine ich 
nicht bie Bewegung ber Jpimmetöförper, überhaupt bie Bewegung im SDfafro« 
foämoä. Drofcbem ti immer wieber oon folgen, bie „juoiet ©tauben unb 
,pi wenig SBiffenfchaft" befi^en, geleugnet wirb unb trofcbem Du Soi4« 
Stepmonb ju ihrem größten $ubet biefeS Problem ber Bewegung unter 
bie 8<*hl feiner „7 Sßktträthet" aufgenommen hot» ift e3 bennoch möglich, 
wie ©raun in feiner „Soömogonie" gezeigt hat, biefetbe rein natürlich), 
medjaitifch ju erftären. 3d) oerftehe oietmehr hier unter ©ewegung bie 
©ewegung ber Sttome in bem Stebelbatt, bie boch tootjl, mag man einer 
Staturanfchauung tjulbigen, welcher man Witt, angenommen werben muf$. 
63 gibt nur brei SDtöglicpfeiten: 


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438 


SUoqS SJiüUer. 


a) ©afl jeitlicf), ©emegung jeittich; 

b) ©afl emig, ©emegung jeittidf); 

c) ©aB emig, ©emegung emig. 

®aS erfte bebeutet Schöpfung, bleibt alfo ooriäufig unberüdfidjtigt. 
ad b) 8uf bie Srage, ob bie ©migfeit ber SRaterie möglich fei, taffen mir uns 
aus oorhingenannten ©rünben nicht ein. Wann bie ©emegung einen 
jeittidfjen Stnfang ho&en? ©ine ©emegung, fo fagt baS ZrägheitSgefefc, 
mirb fo lange fortbauern, bis fie burcfj äußere ©inmirfuitg aufhört. 
3)ie ©emegung tarn bemnach auch nur burch äufeere ©inmirfung, baS 
ift burch mechanifchen ©tofe entfielen. 5)ie ©emegttng hot mit ber $tit 
begonnen Reifet atfo: mäfjreub oorpin feine ©emegttng ba mar, mürbe 
plöfclich burch mechanijchen Stofe fotcfee feeroorgerufen. ®a nun aber 
mechanischer ©tofe bereits eine ©emegttng beS ©tofeenben oorauSfefct, 
fo inoofoiert jener ©afc einen inneren SEBiberfprttcfe. ®aS ift öom 
©tanbpunfte ber mechanifchen Staturanfchauung geurteilt. Stimmt 
man aber immateriefle Kräfte ber SUome a(S Urfacfee ihrer Semegungen, 
fo ift barauf $u entgegnen, bafS ficfe biefe Kräfte im ©afl gegenfcitig 
aufgehoben hätten; — unb bann: moher befamen plöfclid) bie Sltorne 
bie Kräfte? 

ad c) ÜWan feot fich angeficfetS biefer ©rünbe bamit geholfen, bafS man bie 
©emegttng — ober, oom ©tanbpunfte einer nicht medhanifchett Statur* 
erflärung, bie Kräfte — auch für emig erftärte. Stber bagegett fpridjt 
baS ffintropiegefefc. ®S müfSte fidE) in biefem gafle ber Umfafc ber ©nergie 
in SBärme bereits feit einer ©migfeit ooBjogen hoben. ©tan faitn 
bagegen nicht behaupten, bafS bie „5)egrabation" ber ©nergie, um mit 
Ihomfon ju reben, erft bei einem beftimmten geitpunfte begonnen 
habe; benn entmeber maren oor biefem $eitpunfte bie Kräfte öorfeanben, 
— bann maren fie auch in SBechfelmirfttng unb bie ®egrabation 
mufste ftattfinben; ober fie maren nicht oorhanben, — baS ift unter 
b) mibertegt. 

Sluch baS hot man fcfetiefelich eingefehen unb ift nun auf ben ©ebanfen 
beS emigen Kreislaufs gefommen. $er Untfafc ber Kräfte, fo fagt man, 
hat nicht einmal ftattgefunben, fonbern oon ©migfeit her arbeitet bie SWaterie 
in ber SBeife, bafS nach mäßiger Urnmanblung ber ©nergie in SBärme eine 
Stiicfoermanbtung eintritt, bafS arfo aus bem Urftoff SBeften unb aus 
ben ffietten mieber Urftoff mirb. 3<h miß hier nicht meiter auf bie Srage 
eingehen, ob einige fofefeer Kreisläufe möglich feien; mahrfcheintidj finb fie 
nicht, ©idfjer ift aber eine emige Steifee berfelben unmöglich, aber nicht 
beShalb, meil eine emige 3 a ht fi<h int ©egriffe miberfpricht; benn barüber 


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Die s }MjilofopI)ie ber 9lftronomie. 


439 


haben mir bereite früher ba« üRöthige gehört. 3 $ fann überhaupt feinen 
philofophifchen unb im befonberen feinen logifchen geiler in ber 3 bee be« 
fo«ntifchen Srei«Iaufe« erblicfen, unb gerabe bie s 4 J^i(ofop^en füllten fich am 
meifteit Ritten, ihn eine „logtfehe Drehfranfheit" jn nennen, bei benen bie 
Üogif meift auf Soften ber 9?aturmiffenfchaft fungiert. Dem emigen Sreidtauf 
miberfpricht uielmehr ber jmeite $auptfafc ber mechanifchen SBärmetljeorie, ber 
fagt, baf« man $mar mechanifche ©nergie uöflig in SBärrne urnmanbeln fann, 
aber eine ooüftänbige töücfuermanblung unmöglich ift. 9?ach iebern Srei«Iauf 
mürbe affo bie ©uergic be« ©hftem« oerminbert unb e« müf«te enblich ein 
Stillftanb fommen. ©eftänben alfo bie Srei«läitfe fefjon feit einer ©migfeit, 
fo märe auch bereite feit einer ©migfeit ber „Dob be« ©SeltaH«“ eingetreten. 

Somit mären bie brei ©erfuche, bie Stiften* be« So«mo« auf ba« SBefen 
be« So«mo« felbft 511 grünben, al« unmöglich nacfjgemiefen.*) SBa« bleibt ba 
ber SBiffcufcfjaft aitbere« übrig al« ein »ignoramus«? @« ift feine ©eifte«* 
überbebung, e« ift auch fein s }lrmut«$eugni« für bie SBiffenjchaft, ober mic 
man fonft ba« 2 Bort genannt bot, fonbern ba« einfache ©eftänbni«, baf« fie 
mit ihren Mitteln — unb mit biefcit allein hot fit ja ju operieren — 
nidjte mehr 51 t erreichen oermag, alfo bie tactuoHe s 2 lnerfennung ber ©rennen 
menfchlicher SBiffenfchaft, unb fo liegt beim in biefem »ignoramus« ba« 
©efemttni« be« uralten Safte« eingejchloffen: In principio creavit Deus ccelum 
et terram. 

Die jmeite ber fragen, bie jur ©ftilofophie ber Slftronomie im eigentlichen 
Sinne gehören fönten, ift bie nach benSternenbemohnern. .ßmeierlei muf« 
man babei au«einanberhalten: 1 . Die ©emohnbarfeit unb 2 . bie ©emohntheit 
ber Sterne. Da« erfte ift ftreng aftronomifch, unb meil bie Seantmortnng 
ber Srage nach ^ cr ©emohntheit unmöglich ift, ohne baf« man über bie 
©emohnbarfeit Sicherheit hot, feftt ba« gan^e ©roblem genaue Senntni« ber 

*) Der ©eroei« ift unter ber ©orauöfetjung ber ©nblidjfeit be« SBeltall« bureb’ 
geführt, ben ©egriff „©nblichfeit" im lanbläufigen Sinne gefaf«t. Überaus compliciert 
unb fchroierig roirb bie Debuction, roenn man an ber UnenbUchfeit be« Söeltall« in 
bem geroohnlichen Sinne fefthält. Dann treffen mir auf ben ©inrourf, ben feinerjeit 
bereit« Dteufchle gegen Ihomfon unb ©laufiu« erhoben hotte, baf« nämlich 
ba« ©ntropiegefeft auf ein unenbüche« Unioerfum nicht anroenbbar fei. s 2lufeerbem 
begegnen mir bem ©roblem be« mehrbimenftonalen frHaume« unb oor allem bem ber 
unenblichen 3tit, roelch’ lefctere« alfo auch Sur ^ß^ilofop^ie ber Slftronomie gehört. 
Da aber all’ ba« in bie tiefiten liefen ber ©hdofophie unb ÜJtothematif führt, muf« 
ich leiber an biefer Stelle auf eine eingehenbe ©rörterung oerjichten. ©« fei nur 
bingeroiefen auf bie einfchlägigen Arbeiten oon öiebmann, Schneiberoin, 
•H an fine («Philosophical Magazine», IV., 4), öaferoifc unb 2öunbt (©iertel 
jahr«fchrift für roiffenfchaftl. ©pilof., I.). 


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440 


2llopS ÜJttiller. 


Stftronomic voraus. 3<ß fjabe baS gan$e Problem, unb befonberS bic 
©ewoßnbarfeit bcr Sterne an anberer Stelle ($eutfcßer $au*fcßa$, 27. 
gang, 4. #eft) ausführlich beßanbelt unb gehe beSßalb hier auf bie 
©injelßeiten nicht ein. Slftronomifcß ergibt fich, bafS ein, vielleicht auch jwei 
Planeten fieser für SRenfcßen unferer Konftitution — unb beSßalb int allgemeinen 
auch für bie übrigen organifchen Sebewefen unferer ©rbe — bewohnbar 
finb. SBaS bie Srage nach ber SBewoßntßeit angelt, fo glaube ich, bafS 
biefelbe niemals beantwortet werben !ann, vorauSgefefct, bafS feine birecte 
^Beobachtung non ^Bewohnern möglich ift, was ja woßl für afle 3ufunft fo 
bleiben wirb. 

Sßenn ich fage, bafS philofopßifcße Schlüffe ju feinem SRefultate 
fommen, fo verfteße ich unter biefett Schlüffen feineSwegS folcße von ber 
SBirfung auf bie Urfache. $iefe gehören ja auch füeng genommen in baS 
©ebiet ber ©eobaeßtungen ober wenigftenS in baS ©ebiet ber ejacten Schlüffe, 
Wenn ich ntieß fo auSbrücfen barf. Sinb 511 m ©eifpiel £icßt$eicßen beobachtet, 
beren regelmäßige SBieberfeßr unb auffaflenbe Kombination wohl faum auf 
natürlichen ßffect jurüefjuführen ift, fo fann man mit mehr ober minber 
großer SBaßrfcßeinlicßfeit auf intelligente Urheber biefer 3eicßen fließen 
©efannt ift, bafS bieS feßon meßreremal gefeßeßen ift, bafS fieß bie 
^Beobachtungen jeboeß ftctS als trügerifcß ober völlig ungenügenb ßerauSgefteflt 
ßaben, unb man wirb fieß erinnern, bafS noeß $u Anfang beS 3aßreS 1901 
eine 9totij aus Sranfreicß betreffs folcßer £icßt$eicßen fam, wobei aber felbft 
ber fonft fo heißblütige Slammarion ben voreiligen Scßlüffen entgegen* 
getreten ift. 3cß verfteße vielmehr unter jenen philofopßifcßcn Scßlüffen 
folcße, bie fieß auf ben 3*oecf beS SBeltallS, auf bie 9tucßlofigfeit beS SRenfcßen* 
gefcßlecßteS unb anbereS meßr ftüpen. Sie fönnen vielleicht für ben einen 
ober anberen völlig überjeugenb wirfen, aber wiffenfcßaftlicße ©eweife finb 
fie nießt. $aS anbere voflenbS, wo$u man fieß fogar aufgefeßwungen ßat, 
ift gerabeju eine ©erirrung beS ©eifteS, bafS man nämlich non ber 
©ewoßnbarfeit bircct auf bie ©ewoßntßeit fcßließt. 

5Ran ßat mir auf meine SluSfüßrungen mit £>amlet'S SEßorten entgegnet: 

$>er uns mit folcßer $>entfraft feßuf, 

©orauSjufcßau’n unb rücfroärtS, gab unS nießt 
T>ie Süßigkeit uub göttliche Vernunft, 

Um ungebraucht in unS $u fcßimmeln. 

3)aS ift feßr rießtig, unb icß bin feßr bafür, bafS gerabe in ben 
Greifen, in beiten baS SSort gefallen ift, bie Vernunft etwas meßr gebraucht 
Würbe. Slber eS ift feine Vernunft, fonbern Unvernunft, mit $ilfe rein 
fpecnlativer ©eweife auf baS $afeiit eines reellen DbjecteS fcßließen gtt 


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3)ie ^ilofop^ie bet Äftronomte. 


441 


moden. äJtan ftatuiert bamit einen notbmenbigen 3ufammenbang jmifcben 
jenen 3been, 3uftänben nnb ben ©ternenbemobnern. Um ober auf ©runb 
biefer Stotbmenbigfeit fdE)lie&en ju fönnen, mufS fie hoch erft bemiefen fein, 
liefet ©emeiS mürbe aber baS S)afein non öemobnern bereite oorauS= 
fefccit; alfo finb ade jene ©emeife gefjlfdjlüffe. 

9Jtan ^at mich mobl auch auf bie ßntbecfungSgefchicbte beS Steptun 
bingemiefen, mo hoch auch baS 3)afein eines SörperS burch Schlüffe 
gefnnben morben fei, beoor ihn eines SDtenfcben Äuge gefe^en habe. 3ebod) 
baS ©eifpiel ift falfch; benn eS beftefjt ein notbmenbiger 3ufommenbang 
■poifchen ben Störungen unb bem ftörenben Körper. 

3ch babeinbemÄufiafc im „£)auSfcha£" bie ©ejiebuugen ber ßntmicflungS= 
lehre (im meiteften ©inne) ju ber grage nach ben ©ternenbemobnern nic^t 
bebanbelt, baber fei fie bie* berührt, ©ibt eS eine naturgefefclich begrünbete 
generatio aequivoca, fo müffen aderbingS Sebemefen unb — fadS mir ben 
2>arminiSmuS in ber böcbften ©oten^ befennen — auch SJtenfchen auf anberen 
©ternen emittieren. 35ie ßfiftcnj einer Urzeugung menigftenS für ben äugen* 
blicflicben 3 uftanb unferer ßrbe ift naturmiffenfchaftlich miberlegt. Äber bie 
Unmöglichfeit ber Urzeugung überhaupt ift meber bemicfen, noch auch miber* 
legt, nnb baran änbern ade fpeculatiuen „©emeife" nichts. 2 )ie Äuflöfung ber 
üitaliftifchen ©orgänge in mecbanifcbe ober pbbfifochemifche ift bisher noch nicht 
gelungen. 2Bir brauchen aber nicht einmal entnehmen, bafS bie SKccbanif in 
ben Organismen üon ganj anberer Ärt ift als bie außerhalb berfelben, fonbern 
nur, bafS mir nicht üerfteben fönnen, mie bie ©efefce unferer SJtechanif in 
ben Organismen ©iltigfeit höben (nach Klaffen), um bann fofort $u ber 
Stotbmenbigfeit gebrängt 511 merben, bie Söfung bem Sortfcfjritte ber ffliffenfehaft 
$u überlaffen. ©0 mirb alfo auch baburch ber ©tanbpunft, ben mir nach bem 
©origen ein^unehmen gelungen maren, nicht ocrfdjoben: mir tönnen nicht 
bemeifen, bafS ©ternenbemobner ejiftieren, aber audb ebenfomenig, bafS fie 
nicht emittieren. Ignoramus unb für unabfebbare 3 u * un fi auch ignorabimus! 

3m folgenben fod uns baS ©efep befebäftigen, baS neben bem 
©raoitationSgefefo bie ©emegungen im SBeltaÜ orbnet, ich meine baS Iräg* 
beitSgefefc. $>a aber bie ©robleme, bie unmittelbar ober mittelbar baran 
anfnüpfen, ju ben ©renjfteinen ber menfehlichen ©ernunft gehören, foden 
fie hier nur möglichft fur§ behanbelt merben. SBer eine ber ©röfje ber 
©roblemeangemeffeneSBürbigung fucht, finbetbiefelbeinSiebmann’SSBerfen: 
„3ur ÄnalpfiS bei SBirflicbfeit" unb „©ebanfen unb Xbötfadben" I. ©anb; 
oergleiche auch meine Ärbeit über „$)ie philofopbifchen ©runblagen ber mobernen 
Sichtlehre" in „Statur unb Offenbarung" 47. ©anb, mo im britten Äbfchnitt 


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442 'lllotjs 'Dliiller. 

mehrere biejer Probleme betjanbelt werben. (Sprechen wir junädjft oon ber 
abfolnten ©ewegung. 

Die ©egriffe ber retatiben unb abfoluten ©ewegung fann man 
fich am beften burd) folgenbe ©orftellung Kar matten. Die ©egner ber 
abfoluten ©ewegung behaupten, baj«, wenn ein Körper ganj allein in 
ffleltatl ejiftiere, man nicht oon einer ©ewegung biefe« Körpern reben fönne, 
ba man bei ber ©ewegung ben bewegten Körper ftetS auf einen anberen 

bejiefjen müffe, wa« aber im leeren Saume nicht möglich fei. Dagegen jagen 

bie Anhänger ber abfoluten ©ewegung, baj« ein foldjer Körper woljl 

©ewegung befifcen fönne. 

3unäcf)ft, meine id), jej)t boch fcfjon, wie alle« Selatioe etwa« 
'ilbfolute«, fo auch relatioe ©ewegung abfolute ooran«. ^weiten« halte 
id) bafiir, baj« unfere ©egner eine ©erwed)8lung begeben: wir brauchen 
relatioe ©ewegung, bamit wir bie ©ewegung überhaupt meffen fönnett; aber 
ift bamit gefagt, baj« e« feine anbere ©ewegung geben fönne? Daf« 

übrigen« auch nicht relatioe, alfo abfolute ©ewegung,. id) will nicht fagen 
mef«bar, aber boch befinierbar fei, jeigt ba« Drägheitögefefc, unb fomit bient 
auch biefe« jum ©eweife für abfolute ©ewegung. Da« ©efefc lautet: 3eber 
Körper oerharrt in feinem $uftanbe p er «Ruhe 0 p er p er gleichförmigen 
©ewegung in gerabliniger ©ahn, folang er nicht burcb einwirfenbe Kräfte 
gejwungen Wirb, biefen Buftanb ju änbern. Dettfen wir un« einmal, alle 
Körper be« SBeltaü« würben — etwa bitrcfj einen Stet be« Schöpfer« — 
oerfdjWinben mit 9lu«ttahme ber Srbc. Da bie ©rbe im SWoment be« ©er= 
ichwinben« ber übrigen Körper eine '©abngejcfjwinbigfeit oon runb 30 km 
in ber Secunbe befifct, ba ferner nach biefem Stoment feine Kräfte mehr auf 
fie einwirfen fönnen, fo wirb fie fich nach bem Drägheit«gefefc mit biefer 
felben ©cfdjwinbigfeit in ber gerabett ßittie, bie fie in jenem $eitbifferential 
in ihrer ©ahn bur<hlief, weiterfliegen in infinitum. Unb ba« wäre — bariiber 
fommt feine Spifcfinbigfeit hinweg — abfolute ©ewegung. Dieselbe leugnen, 
heißt alfo ba« Drägheitögefefc leugnen. 

©ine genauere Slnalpfe ber 41u«briide „gerablinige ©ahn" unb „gleich^ 
förmige ©ewegung" jeigt, baf« biefelben einen abfoluten Saum unb 
abfolute 3eit oorauSfefcen, beren ©siftenj im übrigen au<h jehon bie 
abfolute ©ewegung an fich oerlangt. 

äWan hat bem entgegengehalten, ba« Drägheitlgefefc fei ja nur ein empirifche« 
©efefc, ba« ju folih weittragenben Schlüffen nicht au«reiche. Selbft wenn e« 
wirflidE) nur auf Empirie gegrünbet wäre, ift e« boch f° unumftößlich jicher bewiefen, 
baf« wir e« mit oollftem Secht al« allgemeine« Saturgefefc proclamieren 
bürfen, unb auf biefe Überjeugung ift ja tljatfächlich bie ganje Slftronomie 


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Die ©hüofophie Der Slftronomie. 


44 H 


mit ihren ©erechnungen aufgebaut. Stber baS ®cfc^ ift, mie eine eingehenbe 
©etrachtung $eigt, a priori gütig unter ber einen ©orauSjepung, bafS bei* 
Staunt überall gleichförmig ift, feine „metaphpfifchen Unebenheiten" befifet, 
moburch ja bie glei<h förmige ©emegung, bie baS ®efep forbert, auf* 
hören mürbe. Darüber aber müffen Beobachtungen entfeheiben, bie 3oh r * 
taufenbe umfaßen merben. 3ener ©emeiS jeboch für bie IrtaS: abfolute 
©emegung, abfoluter Staunt unb abfolute 3eit mirb burch biefe ©infehränfung 
nicht umgeftoßen. 

3ch meiß fehr mohl, bafS biefer Segriff beS abfoluten Staunte* 
ad benen birect jumiberläuft, bie ben {Raum als „bie SJtöglichfeit beS 
s 2luSgebehttten" ober ähnlich $u befinieren gemohnt finb, nnb fie merben 

nnS fragen, mie mir benn eigentlich ben Staunt befinierten *) ätlerbingS läfSt 
fich ber Staum in unferem ©inne in feine Kategorie (in ber h cr 9 e ^ ra ^i eu 
©ebeutung) jmängen, er ift meber ©ubftanj**) noch 9kctben$, meber Quantität 
noch Qualität, aber er ift etmaS, unb jmar burchauS etmaS, maS auch 
außer unb neben ben Dingen ejiftiert. 9Bir fc^öpfen bie Kategorien auS ber 
Statur aber mobelu nicht bie Statur nach ben Kategorien (man foll eS 
menigftenS nicht thun; hoch Dh^otie unb ©rajiS liegen hier meit auSeinanber). 
3ch fepe im ffirnfte nicht ein, maS bem im SBege fteht, eine neue Kategorie 
für ben Staum ju eröffnen, menn er fich in ben iiberfommenen nicht unter* 
bringen läjst. 3m übrigen glaube ich, bafS eine ©mancipatioit üon bei* 

lanbläufigen Stuffaffung beS ©ubftan^begriffeS genügen mürbe. 

Da§ 2Bort „abfolut" barf nicht mifSoerftanben merben. Der Staunt 
heißt abfolut nicht in bem ©inne, als ob er nun gerabe mit benjettigett 
©igenfehaften, bie mir in ber Slitjchauung oon ihm erfahren, emittieren 
müffe,***) fonbern in bem, bafS ber jept emiftierenbe Staum burch bie 
Achten beS ©oorbinatenfpftemS unabänberlich beterminiert ift. StidhtSbeftomeniger 
ift bie ftrage, ob ber Staunt abfolut in jenem anberen Sinne fei, h^ r 
erlaubt, meil fie, mie mir gleich fehen merben, fich mit ber Slftronomie 
berührt, unb überhaupt erlaubt, meil es eine ber erften Aufgaben ber ©hilo* 
fophie ift, fich über bie Slrt ber Stothmenbigfeit beS ©eins uttb feiner ©e= 

Ziehungen Stechenfchaft $u geben, eine Aufgabe, bie im ®runbe mit bem 

Smecfe ber ©hilofophie überhaupt ^ujammenfätlt, bie erften ©rincipien auf* 

*) ©S hat aüerbingS einen „großen" ©bilofophen gegeben, ber beibeS oereinigen 
$u fönnen glaubte. DafS er bamit 3euer unb SBaffer jufammenbrachte, fah er, 
mahrfcpeinlich aus lauter „@röße", nicht ein; es ift ja befanntlicp nach ©oltairc 
baS ©rioilegiunt eineS ©enieS, de faire impun^ment de grandes fautes. 

**) SBie bie uns befannten förperlichen ©ubftanjen. 

***) Slocp oiel weniger ift felbftoevftänblich abfolut notpioenbig (ewig;. 


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444 


SUops üJtiiUer. 


$ufuchen. ©3 hobelt ficb ^icr um bie grage nach ber abfoluten SRotbmenbig* 
feit ber Dreibimenfionalität beä StaumeS. Die ^Jfjitofop^ie muf3 natürlich 
einen ©ntnb haben, biefefbe in 3 toeifel &u gieren, nnb biefer ©runb ift ber, 
bafS man bis jefct noch nicht bie Dreibimenfionalität be$ StaumeS aus feinem 
SBefen l)at folgern fönnen. SBir haben ^mar eine „Staumcharafteriftif", aber 
feine „Staumbebuction". 

£ier fommt nun bie SJtatbematif unb bietet ber jmeifelnben S $f)ifo s 
fopbie ben ©egriff beS oier* ober mef)rb imenfionalen {Räumet an, 
ju bem fie burd) ihre ©eblüffe gelangt ift. SBir befprechen $uerft bie grage, 
ob ein folcber Staunt möglich fei, ba£ Reifet, ob ber ©egriff beS jefct 
ejiftierenben breibimenfionalen {Raumes nur eine fpeciefle gorm eines 
allgemeinen Staumbegriffes fein fann. SBir miiffen natürlich oon jeber ®or- 
ftedung babei abftrabieren. 21ber baS fann hoch im ©rnfte feine gnftanj 
gegen ben ©egriff fein; benn mir benfen uns üieleS als möglich unb fogar 
als mirflicb, rnooon mir nicht bie minbefte Sorfteflnng haben. SBenn mir 
uns, mie Rechner einmal gezeigt bat, bie ©jiften^ oon jmcibimenfionaleit 
SBefen benfen fönnen,*) fo febe ich nicht ein, marum mir unS nicht auch etmaS 
©ierbintenfionaleS ejiftent benfen fönnen ober, beffer auSgebrüdt, marum es 
nicht Siefen geben fann, bie eine „oierbimenfionale Slnfcbnuung" befifcen. 
Saut bemerft einmal (ffritif ber reinen ©ernunft) fehr richtig: „SBir fönnen 
oon ben Slnfcbauungett anberer bettfenber SBefen gar nicht urtheilen, ob fie 
an bie nämlichen Sebingungen gebuitben finb, melche unfere Slnfchauungen 
einfebränfen unb für uns adgemeingiltig finb." 

©inen logifchen gebier üermag ich auch nicht in bem ©egriff ju ent* 
beefen. Der mürbe hoch nur bann oorbanben fein, rnenn aus bem ©egriff 
„Staunt" mit Stotbmenbigfeit bie ©igenfehaft ber Dreibimenfionalität 511 bebu- 
eieren märe; baS mar aber, mie mir eben fcboit hörten, bis je$t noch un¬ 
möglich. 2BaS binbert unS jubem, ben Staunt als eine ©ubftana**) ju 
befinieren, in melier unb burch melche bie ©giften^ einer oon ibr üerfebiebenen 
Snbftanj möglich ift? 3 it biefer Definition ift ja ber ©egriff ber brei= 
fachen SluSbebnung nicht oorbanben. 

31m aücrmenigften fann man üerfteben, maS folche ©elebrte, bie 
eine materia prima ftatuieren, bie an eine Steplication unb ähnliches 

glauben, an einem ©egriffe mie bem beS üierbimenfionaleit StaumeS 

auSjufefcen finben, mie fie es mögen fönnen, einen folcben ©egriff als „in 

*) „SJtan benfe ftd) ein ffeine^, bunteö SJtänncben, baS in ber camera obscura 
auf bem Rapier berumläuft; ba bat man ein SBefen, baS in jroei Dimenftonen 
eriftiert." (Dr. ÜJtifeS, kleine ©Triften.) 

**) Slber eine ©ubftan$ oon gan$ eigener unb einziger 31rt. 



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$ie ^ilofopljie ber Aftronomie. 


445 


ficb unfinnig" $u oermerfen. SBenn man lebiglicb bie Ungemobntbeit be« ©e= 
griffe« unb feinen febeinbar unlösbaren SBiberfprucb mit ber ganjen in ber 
Erfahrung gegebenen SBirflicbfeit in ©etraept ziept — unb baraitf ftüfct fid> 
lefctpin, abgefepen oon anberen burcpauS unpbilofoppifcpen ©riinben, ber 
ffiiberftanb unferer meiften s 45^iIofop^en —, fo ift ber ©egriff burepan« niept 
fcplecbter, ich meine fogar nocp beffer befteöt al« bie für jene ©pifofophtt 
fo eparafteriftifepen oben genannten ©egriffe. 2 )a« ppilofoppifcpe ®en!en fann 
Ztoar ben 9tubm niept beanjprucpen, bureb eigene« gorfepen ju bem ©egriff 
be« mebrbimenfionalen SRaume« gelangt 511 fein, obgleich ein oon ber richtigen 
Srfaffung ber Aufgabe ber v -ßf|iIojop^te burepbrungene« ®enten ju ber grage 
nach ber apriorifeben ©iltigfeit ber breibimenfionalen AnSbepnung führen 
mufSte unb bie Seime ja auch fepon, 5 . ©. bei Sa nt, oorlagen. Sont 
pbüofopbifcben Stanbpunfte au« läfSt fiep fein birecter ©emei« für bie 9totp c 
menbigfeit be« ©egriffe« geben. $ie ©hilofoph^ führt bi« an bie ©renje, 
bariiber hinaus führt erft bie Sflatpematif. $a« ©roblem ift in biefer ^infiept 
ein matbematifcpeS, unb bie Unfenntni« ber Wathematif mag benn auch 
ein ©runb fein, meSpalb bie obengenannten s 45^i(ofophcn ben ©egriff nicht 
acceptieren fönnen. ®a ich meinen Sefern nicht mit langen unb fepmierigen 
mathematifeben Ableitungen aufmarten barf, fo oermag ich ihnen ben 
©emei« nicht $u geben. 6 « gibt aber auch noch gemiffe AnfcpauungS^ 
bemeife, oon benen einer hier angeführt fein fofl. £>aben mir jmei ebene 
Soorbinatenfpfteme in einer Ebene, oon benen ettua bie A^Acpfen gleich, bie 
$ s Acpfen entgegengefept gerichtet finb, fo laffen ficb bie beiben ©pfteme bureb 
feine Drehung in ber jmeibimenfionalen Ebene, fonbern nur bureb Drehung 
in einer höheren $intenfion, im breibimenfionalen SRaunt zur S)edung bringen. 
Sinb nun zmei räumliche Eoorbinatenfpfteme gegeben, beren unb ^Acpien 
gleich, bereu ^Acpfen entgegengefept gerichtet finb, fo fann man auch fie 
bureb Drehung im breibimenfionalen SRaum nicht zur $ecfung bringen. SBa« 
liegt nun näher al« ber Analogiefcbluf«, baf« bie ‘J'ecfung in einer höheren 
Dimenfion möglich fei? 

SBenn mir fo bie Sticptigfeit be« neuen 9taumbegriffe« matbematifcb 
bemiefen unb pbilofophiieb geprüft b<*ben, fönnen mir erft zur ©eant* 
mortung ber anberen grage febreiten, ob ein bem ©egriff* entfprecpenbec 
SRaum auch mirflicb ejiftiert, unb hier berührt ficb ba« ©roblem eng mit ber 
Aftronomie. Um bie grage 511 oerfteben, überlegen mir un« golgenbe«. SBie 
mir eine gefrümmte gläcbe im breibimenfionalen 9taum al« jmeibimenfional, 
aber auch zugleich al« breibimenfional bezeichnen fönnen, fo fönnte man auch 
unferen breibimenfionalen SRaum zugleich al« oierbimenfionalen faffeit. Sin 
gläcbenmefen mürbe feine Ejriftenz nur al« eine zmeibimenfionale fennen, mir 


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446 


Mloqd 3JMer. 


fcnnen unferc ®£iften$ nur ald breibintenfionale. Slber wie wir bie Stäche 
wegen ihrer Krümmung auch ald breibimenfional auffaffen, fo ift ed auch 
möglid), bafd eine anberd geartete Sntefligenj ald bie unfere beu brei- 
bimenfionafen Siaum auch ald merbimenfionalen anfehauen !ann. ©d liegt 
alfo fein 2Biberfpru<h barin, bafd ber oierbimenfionale SRaum reale ©Eiften$ 
hat. 2Ran hat gefagt: 2Bir fönnen und beu Staunt nicht unenblich, 
aber auch nicht mit Brettern jugenagelt benfen; ba hilft und benn ber 
Begriff bed üierbimenfionalen Staumed. Wber wad wir t>on biefer Sllternatiöc 
benfen haben, wiffen wir bereite twn früher her. 8ubem wäre bie Bor* 
fteüung oom SBeltgebäube, bie fich baran fnüpft unb bie man $. B. populär in 
Blafjmann'd „£immeldfunbe" entwicfelt finbet, $u fonberbar.*) 

Über weitere Beriihrungdpunfte bed Staumproblemd mit ber Slftronomie 
fehe man bie biedbe$üglichen Mbhanblungen unb SBerfe oon Zöllner, 
Stiemann, f>elmholfc, SBunbt, ©harlier unb Stalto nach. 2Bir 
fönnen hier nicht näher barauf eingeben. Stur fei noch Pie eine 3bee SöHner'd, 
bie bie @£iften$en bed breibimenfionalen Staumed ald ©chatten ber ©£iften$en 
bed oierbimenfionaten gefafdt wiffen will, ber ßuriofität halber erwähnt. 2Bir 
glauben, bafd thatfädhlich ein breibimenfionater Staunt ald eine Staumform 
unter ben möglichen emittiert, halten aber bie ftrage nach Per realen ©jriften* 
eined oier* ober mehrbimenfionalen Staumed unb feined Berbältniffed $u jenem 
noch nicht für fpruchreif. Bemerft fei noch, Pafd fich biefed Problem oerfchiebt 
je nach Petn erfenntnidtheoretifchen Stanbpunfte, ben man einnimmt.**) 

Dad lefcte Problem ber BhilofopPie ber Slftronomie, bad wir oud- 
jährlich bebaitbelit, ift bie SKfthetif bed ©ternenhintmeld. 3n mehr- 
facher £>inficht gehört fie lieber, 3unächft ald ©ottedbeweid. SBie wirb nicht 
gerabe bei bem ©inbruef, ben bie ganje ^errlichfeit bed |>immcld auf und 
macht, bei ber ©rfenntnid ber wunberbaren Schönheit feiner einzelnen Objecte, 
ber Harmonien im Kodmod bad fchöne SBort Sichtenberg'd wahr: SBenu 
fich ntein ©eift erhebt, fällt ber Seib auf bie Knie! $at hoch noch oov 
fur^em ein berühmter Bhüafoph Per anberen Seite, anfnüpfenb an Kant’d 

*) Merbingd finbet ber Beweis ruteber feine Stüfce an fodmogonifchen Specu 
lationen, worauf früher hingewiefen würbe. 

**j 2luch h^r mufd ich wieber, wie leiber fo manchmal, wegen ber Scbwierigfeit 
bed ©egenftanbed weit mehr anbeuten, ald ich audfühten möchte. BieHeicht hängt 
nicht nur mit bem pfpchologifchen, fonbern auch mit bem metaphpfifchen Staunt 
Problem unb ben fodmogonifchen Speculationen bie erfenntnidtheoretifche Bkhrheit 
mfammen, bafd wir und in abfoluter Unfenntnid über bie reale ©ntfemung jwetei 
Staumpunfte befinben (Slnaloged gilt für bie Seit). irgendwelche Sludführungen über 
biefe intereffante Xhatfache unb ihren 3nfammenhang mit ben oorhin genannten 
fragen habe ich übrigend noch nirgendwo gefunden. 


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2>ie ©bilofoppie bet Slftronomie. 


447 


SBort oom „beftirnten unb bem „moralifdjen ©efeh", öffentlich fein 

©efenntni« ab julegen gewagt: „Seibe ergeben in bet I£)ot übet alles grbifcfee 
unb ©tenfchliche fcfeliefelich jum allmächtigen, afltoeijen unb allheiligen ©ott." 

gür« zweite gebrauche ich bie Slfthetif be« Rimmels in ber ©fpdjo» 
logie. ©ei weitem bie meiften unferer ©bilofophen fehen in bem ©efüljl feine 
befonbere ©eelenfraft, fonbern werfen cS mehr ober weniger mit bem SBillen ober 
bem ©egehrungsoermögen überhaupt jufammen. darüber müffen bie Xhotfad^cn 
urtheilen, unb bieje jeigen nun, baf« es Seelenjuftänbe gibt, bei benen oon 
einem Söoflen ober ©egehren nicht bie Siebe fein fann unb bie man gemein* 
hin als ©efühle bejeidjnet: eS finb bie äfthetifdjen ober Stimmungögefühle. 
3 u biefen gehört auch ol« bo« mächtigfte oon allen ba« ©efühl, ba« ber 
Sternenhimmel in un« wecft, unb ba« fo m i t jum ©eweife für bie ©jiftenj 
be« ©efühl« als einer befonberen ©eelenfraft bient. 

gür« britte enblich benufcen wir bie eigenthümliche SBirfung be« Sternen» 
IjimmelS baju, ein bisher für allgemein gehaltene« naturäfthetifche« ©efefc ju 
mobificieren. SJtan fagt, baf« bie Statur bem ÜRenfchen ftet« bie Stimmung 
jeige, bie ber TOenicp augcnblicflid) in feiner Seele trage. ®er Sah trifft 
beim Sternenhimmel nicht ju. SEBer fich fein §erj für bie Statur empfänglich 
bewahrt hot unb, fei er in greub ober Seib, eine Rare Stacht auf fich Wirten 
läfSt, empfinbet ftet« eine unfagbare Stube, einen tiefen, füllen grieben. Sille 
überfchäumenbe grenbe ift Wie weggewifdjt; ein ruhige«, Rare«, tiefinnerliche« 
©lücfSgefühl erfüllt bie ©ruft, unb bie Seele ruht wie ein fpiegelglatte« SJteer 
in ber ©tittagSfonne. gebet Sdjmera lö«t fich nuf; nicht SBehmut sieht in 
bie SJtenfchenbruft ein, bcnn SBehmut ift auch noch Schmerj, fonbern griebe 
ift e« unb immer mieber griebe, ber oon ben Sternen in« £>erj hineintaut. 
9Ba« ©eibel oon bem ©inbrucf einer ^erbftlanbfchaft fingt, tann man Wohl noch 
beffer auf bie ©etracfjtung be« .'pimmelS in einer ftcrnenbeHen Stacht anwenben : 
0 roie maltet bie ©tunbe 
Stun in feltger Stuf)’! 
gebe fchmerjenbe SBunbe 
(Schließet leife fich ju- 

®iefer ©influf« be« Sternenhimmel«, für ben bisher noch niemanb 
einen ©runb hot angeben tönnen, wiberfpricht birect jenem äfthetifdjen ©efefc. 
geh h°be olle äfthetifchen ©enüffe, bie bie Statur bietet, noch nicht burch» 
foftet, Weife alfo nicht, ob e§ noch mehrere gibt, bie foldje SBirfung äufeern, 
glaube e« aber nicht. Stuf jeben gaH follte man auf ©runb jener einen Xfeot» 
fache bie ©fjrafe oon einem burchgängigen ©inRang ber Stimmung be« SJtenfchen 
mit ber Statur nicht mehr fritiRo« nachreben. — SBa« ben ©inwurf angeht, 
baf« bie beiben lefcten ©unRe nicht in bie Slrbeit hineingehörten, Weil ja 
jebermann auf eigene ©eobachtungen hin feine Schlüffe jieljen fönnte, fo fei 


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448 SUopS ÜJiüller. Sie ^Uofop^ie ber Slftronomie. 

barauf ermibert, bafS man eS aflerbingS „fönnte", bafS aber in SBirflidtfeit, 
mie bic Singe nun — leiber, mufs idE) fagen — einmal liegen, ber #immel 
nur non Slftronomen mit ber nothmenbigen ^ingebenben Siebe betrachtet unb 
gefchäfct mirb ober beffer merben fann. — 

SBir mären mit unferer SBanberung burch bie ?lftronomie z u (Enbe. 
Samit ift nicht gefagt, bafd mir nun ben Uhifcen biefer SBiffenfchaft für bie 
$hüofophie bereite erfchöpft hoben, menn mir baS SBort im meiteften Sinne 
gebrauchen. 3<h erinnere junächft an bie Serbinbungen oon 9lftronomie unb 
Shhfiologie, betreffs berer ich onf einen früheren Sluffafe in ber „Kultur" 
(II. 3ahrgang, Jpeft 4) oermeife. Sann benfe ich befonberS an bie praftifche 
ShiM 0 Phie. Über Säbagogif ber Slftronomie ift hier bereite manches gefagt 
morben, liefje fich aber noch tjicle^ fagen. SemerfenSmerteS in biefer $inficht haben 
'Sieftermeg unb SB. görfter auSgeführt. Slud) über baS Singreifen ber 
Mftronomie in baS ethifche ©ebiet haben mir fchon einiget gehört; eS fällt ja 
auch mit bem oorigen fünfte meift jufammen. Schöne unb originelle Setrachtungen 
über bie (St^if ber Slftronomie finbet man in ber „fioSmogonie" uon Sraun. 

3ch h a be in aß ben (Erörterungen manches eben berührt, anbereS nur 
angebeutet unb mieber anbereS gar nicht hineingezogen, meil eS theilS oon 
2lnberen oorzüglüh bearbeitet morben ift, theilS mit leichter SKithe felbft 
gefunben merben fann, theilS auch derart fchmierig ift, bafS eS fich nur für 
gachjeitfchriften eignet; eS mar beSljalb nicht z u oerhüten, bafS bic Arbeit 
fteßenmeife einen aphorismenartigen unb programmatifchen ©harafter annahm 
unb bafS bei Problemen, bie eine (Einbeziehung ber Slftronomie in bic 
Shifofophie im größten Stile nöthig machten, nur auf bie fiitteratur der- 
rniefen merben fonntc. (ES liegt mir nichts ferner, als bie hier oorgetragenen 
philofophifchen Slnfichten jemanbem aufbrängen ju moßen. Slber mer anberer 
SWeinung ift, ber mufS bie meine zunächft miberlegen unb bann feheit, mie er 
mit ben aftronomifchen 2h°tfachen unb Schlüffen zurecht fommt; benn bie 
'Jiothmenbigfeit einer eingehenben ShtSeinanberfepung mit ber Slftronomie ift, 
mie ich gezeigt z« haben glaube, für jeben, ber ehrlich nach ber ganzen 
SBahrheit forfd^t unb fich nicht träge mit überfommenen Schulmeinungen 
begnügt, fchlechterbingS nicht za umgehen. Unb fo mirb auf jeben gafl ber 
Jpauptzmecf biefcS SluffafceS erfüllt, ber ja in nichts anberem beftanb, als barauf 
hinzuarbeiten, bafS unfere cfjriftliche Shil°f°Phie iu üoßfter (ErfenntniS beS 
reichen Segens, ber ihr oon ber Jiaturmiffenfchaft überhaupt znfliefcen fann, 
in ben innigfteu (Eontact mit ihr trete unb, auf fie geftüfct unb üon ihr 
geleitet, ihre SBeltfpnthefe ber Soßenbung immer näher führe. 


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Joseph Freiherr von Belfert. 

(ErlebntlTE unb (Erinnerungen. 

IV. 

3it gvolje Hnterrirfifa-Beform. 

f l* 

a$ oormärzliche Unterrid)t£=Sbftem mar einfach, äufjerft mager mtb 
bürftig. 

®ie Etementarfchulen, auch Xriüialfchulen genannt, üon jtnei ober brei 
(Staffen, mären zugleid) ©farrfchulen, neben benen e3 in au3gebehnteren Seelforge* 
bejirfen eine ober mehrere giliatjchnten gab. Schotarch mar ber Pfarrer, unter 
bem ber Sehrer unb ber „Schulgehilfe" ftanben* 3hrc materietlc Sage mar auf 
betn Sanbe häufig eine fiimmerlicfje. 3n ber Seitmeriper ®iöcefe gab eS noch 
über bie Witte ber oierjiger 3at)re Sefjrer, bie einen 3ahre3gehatt üon 25 bis 50 
©ulben bezogen, brei Sehrer fogar einen unter 25 ®ulben; üiele ber Schul* 
gebitfen batten einen 2Bod)entobn üon 12 bi3 30 Kreuzer Eonü.-W. ®a3 
Haupteinfommcn be£ SehrerS auf bem Sanbe ftofS aud bem Schulgelbe unb 
an beffer geftellten Schulen au£ gemiffeit geheuten unb Naturalabgaben, 
metcbe bie ©emeiitbeu nach attem Herfontmen „faffionSmäfjig" ju entrichten 
batten. ®ie Eintreibung be£ Schulgelbeä mar eine mibermärtige Sache, mo- 
bei e3 an 3)emüthigungen be£ SehrerS nicht fehlte, ba unüerftänbige ober 
hartherzige Ettern baä Schutgetb al£ Stfmofen betrachteten, ba3 hoch frei* 
mittig ift. ®ie üieten Nefte einjubringen mar auf gütlichem SBege oft uit* 
möglich, gerichttiche Eintreibung machte ben Sehrer üerhafät unb fdüüächte 
feine SBirffamfeit in ber Schute. ®a mufften benn Nebeneinfiinfte au$hetfen: 
für ben Sehrer ©erichtäfchreibereien, ©eüatterbitten, für ben Schutgehitfen 
Wuficieren in SBirt$bäufern unb bei Hochzeiten. 

Neben ben fpftemifierten Schuten gab e£ auf bem Sanbe hiu unb 
mieber Schulen, bie üon einzelnen ©emeinben mehr ihrer ©equemlichfeit 
halber errichtet maren unb üon ben ©ehörben gebulbet mürben. 3n abgc* 
(egenen ©ebirgSgegenben beftanben fogenannte Nothfdjulen für bie Kinber ber 
oft auf ftunbenmeite Entfernung auäeinanber tiegenben SBalbhütten; an einem 
nahezu im Wittetpunfte biefeö Umfreife3 gelegenen ©unfte mar eine Näumtid)* 

2ii 


$ie Kultur. III. 3a^rg. 6. unb 7. ftefl. (1902.) 


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450 


3>ofeph greiberr oon Jpclfert. 


feit hergeliehen ober gemietet, in meiner ein nothbürftig in ben ©lementar= 
gegenftänben bewanberteS ©emeinbemitglieb ober ein excurrendo-Sefyilfe 
Unterricht erteilte. STber felbft unter ben fpftemifierten Zripialfchulen gab es 
folche, wo bie Unterbringung ber fiinber gerabegu erbärmlich toar unb wo 
e3 unter foldjen Umftänben mit bem Unterricht unb ebenfo mit ber Schuld 
Sucht tläglich ftanb. ©3 gab Schullehrer, bie nur am Samftag in ber Schule 
gum Schrecfen ber Sinber erfchienen, um bie Schulpfennige eingutreiben, forift 
aber ben Unterricht ben Schulgehilfen überließen *) 

©effer ftanb e3 in jeber £inficht begreiflicherioeife in ben Stäbten, mo 
auch ber häusliche Unterricht einen Siebenerwerb bilbete. 3)och felbft auf bem 
Sanbe, auf ben faiferlidjen unb Stiftung3*£)errfchaften (SReligionäfonb, Stiftung^ 
fonb) unb jenen, bie reicheren ftlöftern gugehörten, fowie auch unter fielen 
©riüat=©atronaten gab e3 Schulen, bie wenig git wünfdjen übrig ließen, fowof)l 
Wa3 bie Stellung be3 Sehrerperfonalä unb bie ©eräumigfeit unb SReinlichfeit 
ber Schulftuben, al3 Wa3 bie ©rtheilung be3 Unterrichte betraf, felbftt>er= 
ftänblich nach ben ©erhältniffen be3 bamaligen Unterricht3=St)ftem3 überhaupt 
gemeffen**). 

©ine Stufe höher al3 biefe Xriöialfchulen waren bie ^auptfchulen mit 
einer oierten ©laffe, in meiner neben ben gewöhnlichen ©egenftänben Zeichnen, 
populäre ©eometrie, etwas Slaturgeichichte unb etwas ©aufunft gelehrt würben. 
3 n ber §auptftabt eines jeben ftronlanbeS beftanb eine Normal* ober 2Rufter' 
.^auptfchulc, mit welcher eine, nach unferen heutigen Gegriffen Poit Sehrer 
bilbung fowohl an SluSbehnung wie an SluSftattung höchft fnmmerliche 
©räparanbic, ©räparartbencurS, üerbmtben war. 

^ann tarn baS ©pmnafinm, fechSclaffig, bie Pier unteren ©rammatical= 
claffen: ©aroa, ©riucipi, ©rammatif, Spntaj, unb bie ^nimanitätSclaffen: 

*) Sin bie Schullehrer in Böhmen, ©on g. 3- $ e r m a n n r Ceprer ber 4. ©laffe 
in ©JarnSborf. ©opentia, 5. Slpnl 1848, S. 3—5. 

**) ©on ber Matice lidu rourbe 1891 ein Büchlein perausgegeben: ©Über 
au$ bem böhmifchen unb öfterreicpifcben Scpulleben bcS 18. unb 19. gaprhunbertS, oon 
SBenjel ©abriel (fl. *8°, 149 0.), in roelcpem bie Scpuljuftänbe oor 1848 
als gerabeju fcpauberbaft gefchilbert merben. ©S ift nach ben eigenen ©rfahrungen 
be$ Söerfaffer^ unb nach ben ©emährSmännem, bie er anführt, nicht ju jmeifeln, 
baf$ eS in ber $hat Schulen fo arg oerroahrlofter Slrt in ©öbmen unb außer ©Öhmen 
gegeben pot. Slber ber ©erfaffer hot fehr Unrecht, menn er biefe einzelnen ©eifpiele 
fo htufteUt, als ob berartige 3uftänbe allgemein ober auch nur bie Siegel geroefen 
mären. 3<h felbft hohe in meiner Qugenb foroobl in beutfchen als in böhmifchen 
©egenben nicht roenige Schulen gefchen, in Öanbftäbten unb felbft in Dörfern, hübe 
Prüfungen unb Scpulfeievlicbfeiten beigemohnt, aber nirgenbS etroaS ähnliches 
angetroffen, mie e§ ©abriel barftellt. 


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Die grofee Unterrichte Reform. 


451 


©oefie, SRhetorif. Die ©egenftänbe loaren Religion, Satein unb ©riechifch, 
©eographie nnb ©efdjichte, 9(rithmetif, röntifche SUterthümer unb aRpthologie; 
für bie äRutterfprache, ba£ öeifet ba$ Deutle, benn eine onbere 9Rutter* 
Sprache fannte man üon SRegierungäroegen nicht, fetten beibeit oberften 
(Staffen ^toei „©ammlungen beutfcher ©eifpiele", eitteS für bie leichteren 
©attungen ber Dichtfunft, ba3 anbere für ba£ @po£ unb ba$ Drama, für 
profaifche 91uffäpe unb SRebcn. 

*Rach bem ©pmnafium ^atte ber roeiter ftrebenbe ©tubiofuS bie beiben 
„phitofophijehen" Jahrgänge, bie „Sogif" unb bie „©hpfif", burchaumacheit. 
Jch fage, ber toeiter, nicht ber höher ftrebenbe Jüngling. Denn bie 
Derfefpebenen 3 äd^er: ©hilofophie, SRathematif, s 45^ifoIogic, ©hpfif loaren 
feineätoegS um ihrer felbft, um ber toiffenfdjaftlichen pflege willen ba, fie 
fungierten nur als obligate Rächer, bie beit Übergang für beu Sefuch ber 
eigentlichen ©erufäftubien 51 t bilbeit hatten .*) 3 *oei Sacher gab e£ fogar, 
©efchichte uitb Waturgefchichte, oon beren Slbfolüierung jene, bie ba§ Unterrichte 
gelb Ahlten, befreit toarett. 9ln ben Unioerfitäten bilbeten jene beiben Jaljr^ 
gättge bie philofophifche Sacnltät. dufter ihnen gab e£ in einigen Sanb= 
ftäbten ber größeren Säitber eigene „philofophijdje Sehranftalten", 5 . ©. in 
©öhmeit in ©ilfen, ©nbtoeiS unb Seitomifd)!, in 9Rähreit in s Jtifoleburg, in 
Wieber-Öfterrcich in ftrem£. 

Den 9lbfchluje unb ^öhepunft beä Oormär^lichen ©tnbienfpftema bilbeten 
bie Unioerfitäten, bie im ©runb unb SBefen nichts als 21brichtnngSanftalten 
für baS theologifche, für baS juribifch=politijche, für baS mebicinifch^chirurgifche 
Sach waren, bie beiben erfteren mit oier, baS (entere mit fünf, eoentuell 
(Wugeitheilfunbe) fünfeinhalb Jahrgängen. Jtt Heineren Säubern, bie feine 
Unioerfität hatten, beftanben jogeitanitte Spceen mit je einem theologifchen, 
einem philofophifchcit, einem mcbiciiüfd^chirurgifchen Stubium, fo in Sin,}, 
in Salzburg, in Saibacp. 5(it beu Unioerfitäten ftanb jebe ber oier gacultäten 
unter einem ©tubienbirector, einem außerhalb* beS SeprförpcrS ftehenben 
höheren ©eamteu ober firchlicpen SBiirbenträger, fo 5 . ©. in ©rag in ber 
3 eit oor 1848 bem SEBeihbifchof S^anj SSilbelm Dippmann für bie 
theologifchen, bem ©uberuialrath utib ©orftanb beS f. f. SiScalamteS Seopolb 
fiaSiter ©bien 0 . ^Irtpa für bie juribifcf^politifchen, bem ©ubernialrathc unD 
SanbeSs©rotoniebicuS Jgna§ SRitter 0 . SRabhernp für bie mebicittifd)^ 
chirurgifchen, bem s 2(bt 00 m ©trahoo fuerottpmuS Jofeph 3eibler für bie 

*> „gactifch mürben bie fännntlichen gäcper ber ppilofophifchen gocultät an fid> 
rceittoS erflärt; ihr s 4Bert toar nur ber etneS notproenbigen Übels, um bureb baS* 
felbe jum golbeneu Malbe ber ©rotroiffenfehaften $u gelangen"; Süfter, ORemoiren, 
I., 69 f. 

29* 


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452 


gofeph greipert oon geifert. 


philofoppifchen Stubien. $ie einzelnen gacultäten beftanbeu and allen jenen 
$octoren, bie an berfelben Unioerfität promooiert worben waren ober Denen 
bie gacultät nachträglich bie Aufnahme bewilligt hotte. 9(uch bie ©rofefforen 
mußten, wenn fie nicht an berfelben Unioerfität grabuiert waren, rnn nad£j s 
trägliche Aufnahme in bie gacultät einfehreiten unb bie baju gehörigen ©e* 
bingungen erfüllen, ©inige thaten es, wie ©. an ber ©rager Unioerfität 
©rofeffor Schnabel, aitbere, wie mein feliger ©ater, unterließen es, weil 
fie fich fagten, bafd es ihnen nichts nüfcen würbe. ®enn an ben größeren 
Unioerfitäten, unb namentlich in ber juribifchen unb in ber mebicinifchen 
gacultät oon SBien unb ©rag, bilbeten bie nicht $um Sehrförper gehörigen 
$octoren eine folche Überzahl, bafS bie wenigen ©rofefforen gegen fie faft 
oerfchwanben. $aS geigte fich namentlich bei ben SBahlen 511 m 3)ecan, ber 
ben unmittelbaren ©orftanb jeber gacultät bilbete; in SBien wie in ©rag 
war eS Siegel, bafd $um $ecan nicht ein ©rofeffor, fonberit ein 9lboocat 
ober praftifcher 2lr$t gewählt würbe; Schnabel fam, obwohl er fich ™ 
gacultät hotte aufnehmen laffen, nie ^um ®ecanat, baS zugleich wegen ber 
Stigorofentajen ein fehr einträglicher ©ofteu war. 

2ln ber mebicinifchen gacultät gab eS eigene (Surfe für gebammen, 
für ©harmaceuten unb bann für ©hirurgen. ®iefe lateren, auch Sit>il= unb 
2anbwunbärate genannt, ftanben auf einer minbern Stufe beS mebicinifchen 
StubiumS; als ©orbilbung für fie würbe nicht baS oodftänbige ©pmnafium 
erforbert, fonberu eS genügten bie oier unteren (©rantmatical')©laffeu 
beS ©pmnafiumS ober auch öloß bie oierclaffige #auptjchule unb ein baraitf 
folgeitbed jwei= ober breijähriges chirurgisches ‘liroeinium. ®ie „wiffenfchaft= 
liehe" SRebicin bliefte barum auf biefe ©inrichtung hochntüthig herab, wobei 
aöerbingS ©rotneib mitfpielte; benn nicht bloß auf bem Sanbe, felbft in 
größeren Stäbten gab eS gefchiefte ©hirurgen, 8 U beiten oiele 2eute größeres 
©ertraueu hatten als 511 grabitirten ®octoren. ®ie ©inrichtung hotte auch 
ihre entfehiebeuen Sortheile. Xie ©hirurgie erforberte feine foftfpieligen 
UnioerfitätSftubieu, bie ©ilbutig ber ©hirurgen war feine unioerfefle, fie 
machten barum an baS Seben feine fo fyvtyn Slnfprüche wie ein 9J?ann, ber 
nach brei$ehn ober oier^ehn ©tnbienjahren bie höchfte acabemifche SBürbe 
erlangt hotte. $ie ©hirurgen waren barum eine ©Johlthat für ärmere unb 
entlegenere ©egenbeit; fie fiebelten fich iw ©ebirge an, wo eS feine hohen 
Honorare gab, beren fie auch nicht beburften, weil fie einfach unb befcheibeit 
wie bie Seilte um fie herum lebten. 

SllS ©orftufe für bie 2luSbilbung in ben technifchen gächern beftanbeu 
Stealfchnlen, fo genannt oon ben „Stealien", bie bort gelehrt würben, im 
©egeitfafo 511 beit ^umaniftifchen Stnbien au ben ©pmnafien. SRealfcfjulen gab 


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Die gro&e UnterricbtsSteform. 


453 


et in ©öfjmen brei, eine in ©rag in ©erbinbung mit bem tedjnifdjen Snftitut, 
bie jmeite in SReichenberg, bie britte in Siafonifc, bie beiben lefcteren nom 
Präger SürfcGrzbifcbof Gblumtonfftj gegrünbet unb mit ©rämonftratenferu 
t)om Stifte ©traboo befefct. ©t mar häufig, baft ficb ju ben SRealfcbulen 
folcbe manbten, bie am ©pmnafium nicht genügt batten, unb bie ©pmnafiaften 
fpotteten bafyer über bie Siealfcbulen unb nannten fie refugium asinorum. 
Die höhere ©hife bet teebnifeben Unterrichtet maren bie teebnifeben Sebr= 
anftalten, in ©rag furz „Dechnif", in SBien „©olptecbnicum" genannt, ©eibe 
maren in ihrer Slrt beffere Stnftalten, unter beren ©rofefforen ficb mitunter 
ausgezeichnete SRänner befanben; in 2Bien erfreuten ficb ©recht!, ©aum* 
gartner, ©ttingtbaufen, in ©rag ©er ft ne r unb 8al( in g einet 
europäifchen Stufet. 

Slufeer ben genannten allgemeinen Sebranftalten beftanben gemiffe 
©peciat'Sebranftalteu: bie mebicinifdb'Cbirurgijcbe Sofepb^Slcabemie in ber 
Sllferftrafje zu SBien zur Slutbilbung oou 9Jtititär4irzten, bat Dbierarzneü 
Snftitut in SBien, bie Sorftlebranftalt in 9Waria'©runn, bie orientaüfehe 
Slcabemie in SBien. S(n ber lepteren mürbe auch ein ©ammelfurium non 
juribifch^poütijchen Sachern üorgetragen; ber ©rofeffor für biefe mar 
Dr. ©ngelbert SKa^imilian ©elinger, im Sabre 1848 SteicbttagSabgeorbneter 
für ©ternberg. Über feine ©orträge machten ficb bie jungen ßente luftig. 
Zum ©eifpiel menn er bat SBechfelrecht mit bem ©afce begann: „SJteine 
sperren, bat SBechfelrecht, bat ich Sbnen öortragen merbe, gilt nicht in 
Öfterreich, et gilt auch nicht in Deutfcblanb ober Srunfreicb, nicht in Stulien 
ober ©nglanb, bat SBechfelrecht, bat Ste hören merben, gilt gar nirgenbt" zc. 
Sluch am Dberefianum gab et ein juribijcb=politifcbeS ©tubium, unb zwar 
ein ooüftänbiget mie an ben Unioerfitäten, mit ©rofefforen für jebet ber 
obligaten Sacher, nur baft fie feine Sacuftät bilbeten. Die beiben Steumann, 
Sofepb unb Seopolb, beibe 1848 in ben conftituierenben Steichttag abgeorbnet, 
SJforiz ü. ©tubenrauch unb ©buarb Domafchef, ber Ungar Dr. ©nftat? 
SBeuzel, SJtoriz ^epftler maren ganz tüchtige ©rofefforen. 

Sille biefe Schuten oon unten bit hinauf maren ftrengftent Slbricbtungt* 
anftalten. Setbft für bie meiften Sacher an ber Unioerfitöt maren fiebrbücber 
uorgefchrieben, an bie ficb ber ©rofeffor batten fottte; hoch fab bie SBiener 
f. f. ©tubien*f>of*Gommiffion burch bie Singer, menn ftrebfamere ©rofefforen 
ihren eigenen SBeg einfehtugen. Son fleißigen unb aufmerffamen |>öreru 
mürbe bem münbtichen ©ortragc nachgefchrieben, unb baraut entftanben 
fogenannte 㨣plicationen", bie, menn bie Stbfaffung befonbert gut aut* 
gefallen unb fauber abgetrieben mar, gleich Sebrbüchern föuflich uon einer 
£>anb in bie anbere giengen. 


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454 


3ofep& greiperr uon geifert. 


©ei Ausarbeitung unb ©enüfcung felbft^eigcncv ©ortragSpefte mui^ten 
bie ©rofefforen üorfieptig fein. Über bie ©runbfäpe, bic oon ber Segierung 
uorgefcpriebeit, über bie ©epranfen, bie oon bev t. !. ©tubien^of'ßommiffiou 
gezogen waren, burften fie niept pinauSgepen. SBarnenbe ©eifpiele gab eä 
genug. Der ©rofeffor Auguft Norbert Schnabel au ber ©rager juri* 
bifepen gacultät patte ein für bie bamalige $eit fepr gutes Seprbucp ber 
oergleicpeuben europäifepen ©tatiftit gefeprieben; weit barin bie conftitu* 
tioneflen ©inrieptungen günftiger gefepitbert waren, als eS baS perrfepenbe 
©pftem geftattete, war er nape baran, oom Sepramte entfernt $u werben; 
nur baburep, bafS er reuniütpig ©efferung oerfpraep, entgieng er feinem 
Scpicfjate. Der originelle guliuS ©cp nett er, ©rofeffor ber ©efepiepte 
in ©raj, fanb es geratpen, fiep um einen ©often an einer aufeer^öfter- 
reiepifepen Unioerfität umjufepen unb gieng aus bem Sanbe. gni Jtapre 
1835 würbe ber SBiener ©rofeffor ber ©pilofoppie Öubwig Sembolb feinet 
iiepramteS entpoben unb mit 700 fl. penfioniert. 

An ber ppilofoppifepen unb fpäter auep an ber juribifcp=politijcpeu 
gacultät gab eS neben ben orbeutlicpen freie, baS peifet unobligate gäcper, 
oon benett einige fpftemifiert Waren, wie ©rjicpungSfunbe, Äftpetif, bie 
piftorifepen ^ilfswiffenfcpaften, ©taatSrecpnungStunbe. gn ben lepten 3topren 
uor 1848 pat bie Regierung auep einzelne ©rioatboccnten flngelaffen, 
bie Weber ©efolbung noep Honorar genoffen unb in ber Segel wenig 3u* 
pörer patten. 

©S brauept niept gefagt $u werben, bafS bie öfterreiepifepen Unioevfitäten 
bei einer fo fümnterlicpen ©inrieptung bei weitem niept ben ©ergleicp mit 
beit beutfepen auSpalten tonnten, an benen ungleicp mepr Seprftüple beftanben, 
manepe gäcper hoppelt, ja breifaep befept waren unb bie ©tubierenbeit eine 
üiel freiere ©ewegung patten, ©ine AuSnapme maepten in Öfterreicp nur feit 
ungefäpr ber SJiitte ber breifeiger gapre bie mcbicinifcp-cpirurgifcpen gacultäten 
an ben Unioerfitäten oon SBien unb ©rag. Sie patten fogar einen anerfannten 
Sorfprung oor ben meiften beutfepen gacultäten biefer Art, fo bafS junge 
SWänner, bie auswärts bereits ben Doctorgrab erlangt patten, ju iprer lepten 
AuSbilbung naep SBien unb ©rag tarnen. Der ©rünbe waren meprere. 
©rftenS baS Slinitenwefen, baS fiep an ben fleineren beutfepen Unioerfitäten 
wegen beS geringeren SJiaterialS an ftranfen unb Seiepen niept in gleiepem 
®laf$e entwiefeln tonnte. S^eitenS eine Seipc oon gaepmännern erften Sanges; 
in SBien patten &foba unb SotitanSfij neue Sapnen eröffnet, in ©rag 
überragte ber geniale 0 ppol$er wopl aüe Kliuifer feiner 3*it unb glänjten 
neben ipm Siebten ba cp er als Spemiter, Arlt als Augenarzt, ©itpa als 
©pirurg. Drittens bie reiepe ©ntfaltung beS DocentenwefeuS, baS für bic 


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455 


Die große Unterrichte Oieform. 

uerfäiebenften SpccicUfädjet eigene Surfe mitunter mit befonberen Stinifcn 
eröffnete, bereit Befu^er *u einem großen Steile grabuierte Rectoren waren. 

3n ißrag fiel hierbei baS größte Serbienft bem ©ubernialrath unb 
S!anbeS*BrotomebicuS, bem Meinen einäugigen Sgnaj oon Jobbernij 511 . 
©in Sprann oon unerbittlicher Strenge, führte er eine mnfterhafte Drbnung in 
bem allgemeinen Sranfenfjaufe ein, begünftigte jeben ffortichritt unb tierfchaffte 
jungen Wännern, beren Süchtigfeit er erfannte, alles, beffen fie jur Sultioierung 
ihres fpecieden gacheS beburften. Siele biefer befcheibenen aber tüchtigen 
unb ftrebfamen Socenten folgten mit ber Beit ehrenooflen Berufungen an 
auswärtige Unioerfitäten, fo St i lui i dj unb nach beffen oorjeitigem Sobe 
Scanjoni nach SBürjburg, Worawef, wenn ich wicht irre, gleichfalls 
nach 9 Bürjburg, Bamberger nad) ©rlangen, ©ernp nach tpeibelberg. 

2 . 

2ln ber Spifce beS gejammten Schul» unb StubienwcfenS in ben 
nicht»ungarijchcn Sänbern ftanb bie f. f. Stubien=£>of=@ominiffion. Sie war 
eine felbftänbige Behörbe, fonbern eine Slbthcilung ber Bereinigten £>of= 
fanjlei. Ser Dberfte Stander ©raf Snjaghi unb bie beiben $offanjler 
Baron ftranj BUlerSborff unb Baron $ofeph SBeingarten waren ju» 
gleich Bräfibenten ber Stubien»£>of= 6 ommiffion. SllS „Beifißer" ber Stnbien--.f>of= 
©ommiffion fungierten gegen bie Witte ber üierjiger 3aljre bie £ofräthc 
Baron Sürcfljeim, Bropft SlnbreaS Wefcßutar unb granj Schönaich 
oon ber Bereinigten |>offanjlei unb ber §of=ßommiffionSrath Start gricbrich 
Bernarb Be cf (für bie Schulen ber Wilitärgrenje) 00 m tpoffriegSratf), bann 
bie Sirectoren ber juribifch»politifchen, ber mebicinifch=chirurgijchen, ber 
pljilofophiichen unb ber theologijchen Stubien, bie ©ofräthe Baron Blappart, 
Bitter oon Ba i m a n n, gran* Seraph- Saffian Jp a 11 a i ch f a unb Begierungö* 
rath ©anonicuS granj 3enner, eublicf) ber BcgierungSrath Brälat Burfart» 
hofer als Sircctor beS beutfchen SchulwcfenS. Sen Sorfifc führte Baron 
BiHerSborff unb er war ohne Srage ber geeignete Wann baju. B'derSborff 
war jebenfaüs bie bebeutenbfte unter ben bamaligen Berföntichfeiten ber 
tpoffanjlei. ©r befaß bie oode ©inficht unb hegte ben lebhaften SBunfch, ans 
ben oerrotteten 3 u ftönben eines Syt’temS, baS fich längft überlebt batte, in 
freiere Bahnen hiuüberjulenten. SaS SBenige, waS in ben lebten fahren im 
Bereiche ber Berwaltung in fortschrittlicher Bietung geschehen ober minbeftenS 
oerfucht worben War, würbe feiner Anregung jugefchrieben. Senn ber Dberfte 
«anjler galt in ber Weinung ber BorwärtSftrebenben als Bull, er ftanb 
ganj unter bem ©influffe feines erften .öoffanjlerS, man jagte, er fuche ihn 
511 copieren. 9luf BiHerSborff blieften ade, an ihn wenbeteu fich ade, bie 


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456 


Qofepp jjreiperr oon geifert. 


eine Öerbefferung ber maltenben 3 «ftänbe anftrebten: jo ©raf Sranj ©tabion 
©oitoerneur Don Irieft, jo ber eifrige ©obeftä Don SRailanb ©raf ©abrio Eafati, 
beibe ftanben mit ipm in ©riefmecpjel. ©iüergborff unb ©tabion galten alg 
TOnifter ber 3 ufunft. 

Unter ben Scannern beg ßeprfacpg, bie ernftlicp eine SReform beg 
Stubientoefeng anftrebten, marett an ber SBiener Unioerfität ber pocpbefäpigte 
nnb oielfeitig gelehrte ©rofeffor ber ©otanif Stephan ©nblicper — er 
mar nebft feinem ©erufgfacpe ©pracpfenner unb ©pitologe, er gab eine 
cpinefifcpe ©rammati! peraug,*) er pat in ber |>ofbibliotpef ein Fragment 
beg römifcpen 3uriften Ulpianug aufgefunben unb ebiert u. bgt. m. — 
unb an ber ©rager ber ©rofeffor ber ©pilofoppie $r. gran 3 ®jner; unter 
ben 9Ritteljcpul=Seprern — benn bamalg piepen fie nocp nicpt ©rofefforeu — 
in Söiett ber ©iarift P. SBilpelnt ©oblapa oom afabemifcpen unb in ©rag 
Sopann 2 luguft Zimmer mann oom Sleinfeitner ©pmnafium. 

granj ®£ner, geb. ju SBien 1801, patte in jeiner ©aterftabt feine 
afabemifcpe Saufbapn begonnen, unter bem gefeierten SRembolb ©pilofoppie 
ftubiert unb mar bann nacp ©aoia gegangen, mo er bag Xoctorat macpte. 
'Surcp SRembolb mar er mit ben ©cpriften Salate, aug ber ©cpule Jtacobi'g, 
befannt gemorbeu, patte fiep aber bann ganj ber §erbarfjcpen ©pilofoppie 
jugemanbt, bie er, alg er 1832 311 m ©rofefjor ber tpeoretifepen nnb practifcpen 
©pilofoppie in ©rag ernannt mürbe, ber erjte in Öfterreicp auf ber ßepr 
fandet 3 ur ©eltung braepte**). ©ein ©orgängcr, ©rof. 3 op. ©eitpner oon 
ßicptenfelg, mar bei ben ©tubenten nicpt beliebt; fie blieften auf ipn alg 
ßeprer mit einer gemiffen fureptfamen ©epeu; fie piclten ipn für tief, 
loeil fie ipn niebt oerftanben; fie piepen ipn $erafleitog ben fünften. Unter 
feinen Kollegen pielt ber ©rofeffor ber 9Ratpematif 'Er. Sabiglaug Sanbera 
bie ftrengfte $iupt; er patte bie Drbnung eingefiiprt, bafg alle ©tubenten, 
beren $apl big auf 300 ftieg, ftreng nacp bem Slfppabet fifcen mnjgten, fo 
bafg fogleicp 31 t bemerfen mar, mo fiep eine ßücfe fanb, unb mepe bem, ber 
fepfte, opne fiep oorper entfcpulbigt 31 t paben. $ag gerabe ©egentpeil oon 
biejen beiben mar ber bamalg breipigjäprige ®£ner; er Oerlag nur feiten 

*) $ie Wiener, bie ju jener 3<üt über aüee ipre ©Mfce maepten, jagten oon 
ipnt: „$)ie©püologen fagen: Enbltcper ift ein großer ©otanifer — bie©otanifer jagen: 
Enblicper ift ein grober ©pilologe — bie Epinefer fagen: Enblicper ift ein grober 
Dfterreicper — bie C fterreieper fagen: Enblicper ift - ein grober Epinefer." (Epinefer — 
eine 9lrt ©onberling, einer, ber burep feine üebengmeife ober feine Meinungen ober 
feine ©eftrebungen oon ben 2lnbercn in etroag bijarrer Söeife abmeiept unb fiep in 
biefer Eigenart burep bas Urtpeil 9lnberer nicpt leiten läfgtj 

**) Stugfiiprlicp über Ejmer’s ©tubiengang 3)r. 8. ftranffurter, $pun, 
Eyner unb ©oniß (©Men, Wölber, 1893) 8. 43—53. 


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£>ie grobe Unterrichts=Neform. 


457 


einen Xfytii beä Satalogä, unb bann nur beShalb, meil eä fo tmrgefchrieben 
mar. 2luch hatte er biefeS SKittel nicht nötpig. 3J?ufter^afte Drbnung unb 
©tiße ^errfc^ten bei feinen ©orträgen; er gebot nicht burch Strenge unb 
pebantifdjeS SBefen, er imponierte burch feine Stufje, burch feinen mitben 
®ntft, burch feine, 9ldjtung unb zugleich Vertrauen ermedenbe ©erfönlichfeit, 
bie Stubenten liebten unb öerehrten ihn. 2 lße£ ma£ oon bebeutenben Scannern 
in ©rag oorhanben mar, äße bie oon einem f)öfjeren Streben befeelt maren, 
fdjloffen fich an ©jner an: ber fd)on früher genannte £umanität 8 * 2 ehrer am 
Äleinfeitner ©pmnafiunt gimmermann, ber ©rofeffor ber ©hpfif am ©olp* 
technicum ßpriftian ® oppler, ber Neligion3*©rofeffor an ber SRealfchule P. granz 
Sc^ueiber, ein Anhänger ©olzano’ä, ber junge ftrebfame ©raf 2 eo Ipun u. 81. m. 
gut 3ubre 1841 beabfidjtigte ©£ner eine Steife nach $eutfd)lanb, er trollte 
bie beutfdjen Untoerfitäten unb beren ©inrichtungen burch eigene Wnfchauung 
fennen lernen; Dorzüglid) aber moflte er in ©öttingen feinen ßWeifter ^erbart 
befugen, als er in ffltarienbab bie Nachricht oon beffen lobe erhielt, ©r 
fnüpfte in Seipjig, in $aße, in gena intereffante ©efanntfchaften an, fo 
in ©erlin mit ®r. ^ermann © o n i p, bamal§ ®t)mnafial* 2 ehrer am grauen 
ftlofter, unb blieb mit ihnen fortan in brieflichem ©erfef)r. 

3ni gapre 1844 nahm bie Stubien=£)of= 6 ommiffion — ober fagen mir 
rid)tiger nahm ©illerSborff — einen Stnlauf z ur ©erbefferung ber 
©pmnafiakStubien, unb Johann 9luguft 3 immermann mürbe bafür nach 
28ien berufen, ©jner erfaunte fogleich, bafS mit ber Reform ber ©pmnafien bie 
ber philofophifchen Stubien £mnb in Jpanb gehen müffe. 3)a£ ©rager Stubien* 
Sirectorat forberte ihn zur Abgabe eines ©utachtenS herüber auf; bie 3)enf= 
jchrift, bie er abfafSte, fanbte er am 6. Sluguft 1844 an ©ißerSborff, ber 
ihn am 15. gnni 1845 nach 38ien berief, $ie ©orfdjläge, bie ©jner h^* 
machte, finb befonberS baburch merfmiirbig, bafS er barin ein ÜNoment 
heroorpob, baS feither ganz unb gar in ©ergeffenheit geraden mar. ©S 
bürfteit, betonte er, an ben ©pmnaficn nicht blofc bie beutfche unb italienische, 
es müßten auch bie flaoifchen Sprachen beriidfichtigt merben. „333ir merben 
bann aßerbingS ©pmnafien oerfchiebener 9lrt haben. Slber ©inerleiheit ift an 
unb für fich fein grofce£ ©ut, fonbern baS ©egentheil ift eine Nothmenbigfeit, 
menn berfelbe $med unter oerfchiebenen Umftanben erreicht merben fofl. ®ie 
©inerleiheit unter allen Umftanben forbern, hiefte ben 3med bem 9Nittel 
opfern". Namentlich in ©Öhmen erheifche ber ßuftanb ber flatufchen Sprache 
ernfte ©eachtung. „$er Unterzeichnete ift feit mehr als vierzehn Sohren ein 
ftiller unparteiifcher ©eobachter feiner Umgebungen, unb eS erfcheint als 
röthlich, eine SolfSfprache z u bilben, in melcher SNißionen ßRenfchen fich 
aflein oerftänblich machen, melche ber ©anal ift, burch ben jeberlei ©ilbung 


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458 


gofeph greiherr oon geifert. 


ihnen jufliefjt, beff^tt ©erfchlammung fie baher ifoliert unb mit materiellem 
imb geiftigem Siechtum bebroht". ©ne fräftige Unterftiifcuug erhielte ber 
Unterricht in ber böhmischen Sprache, meinte Epter, menn auch itgenb 
einer ber übrigen leichteren ©egenftänbe böhmifch oorgetragen mürbe. Die 
beutfefje Sprache müfSte aflerbingS an allen ©pmnafien als befonberer Sehr* 
gegenftanb eingeführt, aber babei jeber Schein oermieben merben, als ob man 
germanifieren mode. 

5Wach Efner'S SWeinung sollte, mie früher ermähnt, bie Umgestaltung 
ber ©pmnafien mit einer Reform ber philofophifchen Stubien £anb in £anb 
gehen. Er brang barauf, bafS biefe (enteren aufhörten, eine ÜRittelftufe 
^mifchen ©pmnafium unb Unioerfitöt ju bilben; bagegen sollte baS höhere 
Stubium jener 2öiffenfdhaften, bie man im allgemeinen als bie philofophifchen 
bezeichne, an ben Unioerfitäten als philofophijche gacultät ebenbürtig ben 
anberen brei gacuftäten an bie Seite gestellt merben. $lnf ©illerSborffS 
©orfchlag mürbe ein befonbereS Somite „jur ©eratfjung ber fünftigen 
Einrichtung ber philofophifchen Stubien" eingefefct, beffen ©eratbungen 
ber ©eififcer ber Stubien^of^Somntiffion, ber gelehrte ©iarift £>ofratf) 
ßallafchfa leiten foüte. gm Eomite fafeen aujjer Ejner bie beiben 
©rofefforen ber SBiener Unioerfitöt Enb lieber unb granj giefer; Ejner 
mürbe mit ber Aufgabe betraut, eine Denfjchrift über biejen ©egenftanb 
auSauarbeiten. Ejner hob barin fjeroor, bafS eine beffere ©eftaltung ber 
höheren Stubien nicht erreicht merben fönne ohne eine größere greilseit ber 
©emegung; er beantragte bis ju einem gemiffen ©rabe Sehrfreiheit unb für 
gemiffe gächer Sernfreiheit. Die UniDerfitätS 5 ©rofefforen füllten in ihren 
©ertragen nicht an bestimmte Sehrbücher gebunben fein; eS füllten ihnen 
s 2lffiftenten beigegeben merben; man fotle ©riüatbocenten julaffen unb neben 
ben orbentlichen ©rofefforen (ordinarii) aufjerorbentliche (extraordinarii) er* 
nennen, ©on großem SBerte mar, maS er über bie claffifchen Stubien 
fagte. „97eben bem Shriftcnthum ift baS claffifche Sllterthum bie ©runblage 
ber mobernen Shiltur. DaS ift eine Dhatfache, bie mir nicht beliebig abänbern 
fönneu. Ein ©olf, melcheS baS Stubium ber Elaffifer aufgäbe, mürbe feine 
©ilbung oon beren SEBur^el abtrennen unb fich jugleich oon ber ©ilbung ber 
übrigen Shilturoölfer ber ©egenmart loSlöfen." gm grühjahre 1847 maren 
bie Arbeiten ber einberufenen Eommiffion beenbet; am 18. guiti erhielten 
Ejner unb 3immermann bie SBeifung, nach ©rag jurüdjufehren. 

SEBenn Ejner'S ©orfchläge angenommen mürben, fo fonnten biefe nicht 
auf bie philofophifchen unb bie ©hmnafial-Stubien befchränft bleiben; eine 
freiere Semegung mufste bann alle $meige beS öffentlichen Unterrichtes 
burchbringen unb baS ganje Stubienmefen eine neue ©eftalt geminnen. Slflein 


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Tie grofee Unterrichte {Reform. 


459 


ßjner erfannte nur $u mopl, baj£ bie $eit faum barnaep fei, jo eingreifenbe 
Sicherungen in$ SBerf $u fefcen. Taju fam, ba}3 an ber lebten entfepeibenben 
Stelle bnrepau* feine Neigung für Experimente jolcper Slrt oorpanben toax. 
©raperjog Submig, ber ©tefloertreter be$ SaijerS, mar ber treue unb 
geporfame ©ruber be£ oerftorbenen SaiferS Sranj unb ber jäpejte Anhänger 
be£ oon biejem begrünbeten {Regiments. „Siegen lajjett ift bie befte ©rlebigung", 
pflegte er $u jagen, menn e$ fiep um SSorfd^läge panbelte, bie au$ bem 
gemopnten ©eleife perauSjcpmeiften. 

So mar benn, menn nicht etmaS MußerorbentlicpeS eintrat, oon oben 
nicptS ju ermarten, jo unoerfennbar es in ben gebilbeten Streifen gäfjrte, 
nach Sntfaltung rang. 3u Söien mar bieö bejonberS an $mei Orten ber 
gafl, bie als ©rennpunft jolcher Seftrebungett gelten fonnten: im juribifcp- 
politijehen ßejeoerein unb in ber mebicinijchen gacultät. Ter ßejeoerein, ju beffen 
©rünbung ber Oberfte ©olijei*©räfibent ©raf ©ebluipftj nur nach Ungern 
3ögeru jeine ©inmißigung gegeben hatte, ftanb unter ber Seitung oon ©rofeffor 
jur. Tr. Mnton £>pe, Tr. Sllejanber ©ach, ©aron Sommaruga jun., bie 
aße ber freien {Ricptung angehörten; in ber ©ibliothef beS ßejeoereineS 
fanben fich aße neueren SBerfe, bie oon SBicptigfeit maren, mochten jie oerboten 
jein ober nicht. 3n ber mebicinijchen ffacultät, bereu Toctoren regelmäßige ©er= 
jammlungen 511 halten pflegten, füprte Submig 0 . ßöp 11 er, epebem ©utsperr 
oon {Roftof bei ©rag (um 1840 Oerfauft an 3ofepp unb Slnna Snber), baS große 
SBort; er patte geniale 3 been, bie er mit einer gemiffen neroöjen Seiben^ 
jepaft oortrug. ©on anberem ©parafter mar ©aron ©ruft 3 e ueßt er 3« 
leben, ©icebirector ber mebtcinijcp-cpirurgijchen ©tubien. Mucp er mar 
entjepieben für ben Sortjcpritt; boep er moßte niept in Sturm erobern, 
bei ipm mar afleS rupig unb maßoofl; für feine ebleit ©efinnnngen jeugte 
fein fcpöneS SBerfcpen „3ur Tiätetif ber Seele", baS rafcp beliebt mürbe 
unb eine Auflage naep ber anbern erlebte, ©rillpar^er jagte oon ipnt, 
bafS ipn oier Xugenben auSjeicpneten: {Recptfcpaffenpeit, SBaprpaftigfeit, SBopl^ 
moßen unb ©efepeibenpeit. 3apre 1847 pielt er eine SRebe über eine 
notpmenbige {Reform ber Unioerfitäten, bie großem Muffepen maepte.*) 

3n ©rag joßte für baS Scpuljapr 1847/48 Sjner {Rector SWagnri 
ficuS merben, maS er aber, obmopl mieberpolt unb in ber märmften SBeife 
in ipn gebrungen mürbe, ablepnte; ftatt jeiner mürbe Slbt |>icrom)muS 
3eibler 00 m ©trapoo gemäplt, ein finbijcp^eitler 2Rann, ber jeinen Stolft 
barein jefcte, bajs man oon ipm jagen fonnte, er fei jo unb jo oftmal Tecau 
ber Jfacultät, jo unb jo oftmal {Rector ber Unioerjität gemefen. ©r gab ben 

*) Jrranffurter S. 0—9. Tie „Tiätetif ber Seele" patte 1858 bereite bie 
19. Mutlage erreicht, 1890 erfepien bie 40 Muflage. 


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4ti(> 


Qofeph Freiherr oon geifert. 


Herren ^Jrofefforeu unb afabemifchen SBiirbenträgern an feiner Prälaten* 
tafe( fehr gut ju effen unb p trinfen, unb bothafte Frager behaupteten, 
biefe Tinern Ratten ihm am meiften ^u feinen SBürben üerholfen. 

Ter ^erfonatftanb ber Stnbien^of*ßommiffion hatte [ich gegen ©nbe 
1*47 $u einem großen Xtjeile geänbert; Türcfheim, Rapport, Waimaitn, 
f>allafcf)fa unb ^urfarthofer maren gefdjieben; neu maren fmfratfj 
Theol. Tr. 2lnbreat ®oI Imaper (für ©pmnafien unb Solftfchnlen) unb 
bie Wegierungträtpe SBilhelm Gbler oottSBell für bie mebicinifchen, Sohann 
Heinrich ©bler üon ftremer für bie juribifchen unb SRarian Söller O. S. B. 
aut Sremtmiinfter für bie philofophifchen Stubien. Sie maren, mic et ja 
nicht anbert fein fonnte, burchaut aut ben alten Schulen herüorgegangen, 
SWämter bet herrfchenbeit Spftemt, gute Beamte, ehrenhaft unb pflichtgetreu. 
Sie maren intgefammt mehr paffiüe Naturen; feinetmegt begeiftert für bie 
beftehenbe Drbnung ber Eilige unb barunt meber abgeneigt noch roiber* 
fpenftig gegen eine #nberung berfelben, nur muffte et üon oben befohlen 
fein. 2lm meiften Sinn für berlei Weiterungen hatten Sremer unb Söller. 

8 . 

Tie politifche ®emegung bet fahret 1*48 in Dfterreich h°t $rag 
oom 11 ., $u SBicn oom 13. SWärj ihren Slutgang genommen, bort üon ber 
'■Berfamntlung böhmifcher Patrioten, jumeift Slaftenci, im St. SBenaeltbabe, 
hier üou ber großen Stubentenbeputation in bat nieberöfterreichifche Saitbbaut. 
Tie Petition ber SBiener Stubenten üerlangte Hebung bet Unterrichtet in 
aßen $meigen, Sehr* unb Sernfrciheit in ben höheren Stubien; et mar bat 
ein^unft unter üielen anbereu, melche bie SÜnberung bet politiidjen Spftemt 
im allgemeinen ^um ^iele hatten. Tat Serbienft, bie Weform bet Unterricht* 
mefent intbefonbere angeregt unb in ^(uft gebracht 51 t haben, gebürt 
ohne Srage ber Präger Uniüerfität. 

Söäprenb ber aufgeregten Spannung, bie nach bem fühnen Schritt am 
11 . 9Wär$ in s J$rag ^errfchte unb melche burch bie alarmiereitben, aber un* 
fixeren unb üermorrenen Wachrichten aut SEBien gesteigert marb, mürbe für 
ben 15. SWärj eine '-Berfammlung ber Uniüerfität, s ßrofefforen unb Stubenten, 
einberufen; fie foflte in bem großen s ßromotiont*SaaIe bet alten ßarolinum 
abgehalten merben. Tr. ÜBilhelm ©abler, ein Teutfdjer aut SBartenberg 
bei Wiemet, aber in ^rag $um eifrigen Slaftenec gemorben, eröffnete bie 
Serathung mit einer Wnfprache an bie Stubenten, bie er aufforberte, fich 
jur Wufrechthaltuug üon Drbnung unb ©efeplichfeit an bie Sürger anju* 
fließen. Wach ihm (türmte Uffo |>orn auf bie Webnerbiihne. „2Ber ift 
benn bat? Ter gehört ja nicht jur Uniüerfität!" hörte man in ben s ßrofefforen* 


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Sie gro&e UnterrichtS*Steform. 


401 


©änfeit fragen, Saut unb förmlich mürbe bie ©inmenbung nicht erhoben, 
fie märe auch !aum burchgebrungen. Sefanb mau fich boch im Saume! ber 
jungen greifjeit, unb Tollte man fid) burdj pebantifche Stüdfichten beengen 
(affen?! Uffo $orn, Srautenauer uon ©eburt, begabter s J$oet („ßamoenS" 
1839; „©ötjmifcfje Sörfer", ©ebic^te 1847 u. a.) unb müthenber s .ßolta- 
Sanier, olafteucifch angehaucht, fam, in figürlichem Sinn gefprochen, „recta 
oom ©algen her"; er h a ^ e in $reSben eine Suedgefchidjte mit bem SJtaler 
Arthur o. Starnberg gehabt unb mar baher oon ber fächfifchen ^olijei in 
©emahrfam genommen morben. ©r mar ein feuriger Stebner, ber feine 
jüngeren $uhörer mit fich fortrifS; aber auch mancher ber älteren sperren 
niefte bem, maS er oortrug, ©eifad §u. So mürbe benn besoffen, eine 
2 lbreffe an ben S'aifer ab^ufaffen, in melcher bie ©ebürfniffe unb SBünfche 
ber Unioerfität bargelegt merben foüten: Sehr unb Sernfreiheit, afabemifche 
©inrichtungen unb Siechte, ©leichftedung ber Stationatitäten unb ©onfeffionen 
bei ©emerbung im öffentlichen Sehramt, $nberung beS bisherigen ©rüfungS- 
mefenS unb ©inführung oon Staatsprüfungen, ©efud) auSlänbifcher Uni- 
oerfitäten, Sunt* unb Schmimm^Unterricht, jule^t 9lffociationS-Stecht „nach beni 
neueften SJtünchener Statut". 

2lm 19. üJiära fuhr bie grofee Seputation ber ©inmohner ©ragS nad) 
SBien ab; mit ihr im Stamen ber Unioerfität ber Secan ber juribifchen 
gacultät SanbeS^lboocat Sr. ftarl Heinrich gifcher, im Stamen beS 
©rofefforen*©odegiumS Sr. gofeph Siebtenbacher, s 4Srofeffor ber ©hentie, 
unb für bie Stubenten je einer auS ben brei meltlichen gacultätcn. Siefe 
Herren maren oon adern Slnfang barauf bebacht, ihre Angelegenheiten als eine 
abgefonberte bel)anbeln 511 (affen, machten am 21 . mtb 22 . SJtärj ihre Stuf- 
martung beim ft'aifer, überreichten ju Aderböchft Seffen ^änbett ihre Abrefie unb 
giengen bann 511 m ©rafen Solomrat, bem bantaligen SJtinifterpräfibenten. 
Siefer noch oor fur^em fo gefeierte Staatsmann machte ihnen jept einen 
ftäglichen ©inbrud; bie lebten ©reigniffe hatten ihn bermafsen eingefchüchtert, 
bafS er bie Präger UnioerfitätS-Seputation mit Shränen in ben Augen 
empfietig; er höbe, flagte er ihnen, ftetS eine freiere ©eftaltung ber ©er* 
Ijältniffe angeftrebt, aber ®r (er meinte Stetternich) fei ihm ftetS als 
fnnberniS im SEBege geftanben. ©on ®otomrat giengen fie 511 ©i l( erS= 
borff, ber ihnen 00 de ©eachtung ihrer Petition oerfprach; nur möchten 
fie bebenfen, bafS im Augenblide fo oiele michtige unb bringenbe Singelegen- 
heiten ju fchlichten feien unb bafS fie barum einige ©ebulb hoben müfSten. 
SaS fahen fie fehr rnohl ein unb fehrten ziemlich befriebigt nach ©rag jurüd *» 

*) ©bmunb Jpolenia, ©rinnerungen OBklS, §aaS, 1892) S. 08 f. ©t war 
stud. jur. unb oon feinen SJtitfchülem in bie Seputation gewählt. 


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462 


^ofepl) Freiherr oon Jpelfert. 


©inen unmittelbaren ©rfolg ^atte aber bie Slbreffe ber Frager Uniuerfität 
boch. Senn e3 mar wohl fein zufälliges 3ufammentreffen, baf^ am 23. aRärj 
eine $Ulerh. ©ntfcfjlieftung erfolgte, ber$ufolge „in ber s 2 lbficht, bie ®erbreitung 
unb ®erooflfommnung beS ®olf£fct)ulunterrichteS fomie bie oollftänbigere 
©ntmicflung miffeufcftaftlicher, technifcfter unb afabemifcher Stubien zu 
beförbern", ein eigenes U nterrichtS*©? iuifterium errichtet werben 
foßte. 3 um SKinifter ernannte ber fiaifer mit 9Werb. £mnbfchreiben oorn 26. 9flär$ 
beit 3^iten ®räfibenten beS Sßiener $lppellationS= unb ßriminalsObcr* 
©erichteS ftranz Seraph Sreiherrn bon © o m m a r u g a, ber in ben Sagen barauf 
bie ©efdjäfte übernahm unb in ber SBiener Rula feierlich ben ©runbfafc ber 
Sehr- unb Sertifreifjeit, „burch feine Scfjranfe als jene ber conftitutioneDen 
©efefte gebunben", proclamierte *) Sie Stubien=£>of= 6 ommiffion hörte bamit 
auf: fie fungierte z*oar einige Sage noch fort, bi* fie jule^t formell anfge* 
löst würbe ober oielmehr in baS Rtinifterium iibergieng, inbem ihre bis* 
herigen Referenten 93ecf, ®oltmat)er, 3enner, t). äße 11, fireiner unb 
Sloller Referenten beS ÜRinifteriumS mit bem Rang Don SRinifterial* ober 
3ectionS-Rätl)cn Würben. 

RJittlermeile War bie groftc ®ürger>Seputation mit ber ©rlebigung 
ihrer Petition in ®rag eingetroffen, 27. 9ftärz, unb mit großem 3ubel 
empfangen worben. Rur bie Unioerfität war unzufrieben; fie hatte eine 

befoitbere Petition überreicht unb barum eine befonbere unb punftweife ®r* 
lebiguitg erwartet; ftatt beffen war nur im 14. unb lebten fünfte ber ©rlebigung 
ber ®iirger=®etition ganz allgemein gejagt: „Sem öffentlichen Unter¬ 
richte werben bie ben neuen Snftitutionen ^ufagenben ®er- 
befferungen in an^gebehntem SRafee jugewenbet werben/* Ser 
Unmutb ber ©tubenteu flieg immer höher, unb ba für ben 2lbenb eine feier¬ 
liche 3öaatination angeorbnet war, riefen fie burch bie Straften: „SluSlöfchen, 
auSlöfcheit!" ©affenjungen unb ®öbel mifchten fich barein, unb wo nicht 

fchncll an* ben Senfterit bie Sichter oerfchwanben, ba flogen Steine hinauf, 
bafs bie Scheiben in Splitter giengcit. So Würbe aus ber Stabt be¬ 

leucht ung eine Stabtoerfiitfterung, worüber es Diele böfe 9Eßi$e gab. 

9lm Sage barauf waren ©lieber beS afabemifchen Senate beim 

Dbriftburggrafen ©rafen Rubolf Stab ioti, welchem fie bie Slufregung ber 
Stubentenfchaft fchilberten unb um 53e)chwichtigung berfelben baten. Sie 
einzelnen fünfte ber UnioerfitätS*®etition würben nun burchgenomnten, bie 
©rlebigung berfelben besprochen unb zn ®apier gebracht, wobei ®rofeffor 

*) Sie Rebe finbet ftch abgebrueft bei peintl, Wiener UnwerfitätS^lcten 
» s Ißien 1848 Sommer) S. lü f.; auch befonberS: „Rebe beS ÜJtinifterS beS öffentlichen 
Untererricbteö" groft $olio 2 ®I. 


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$ie grobe UnterrichtS-fReform. 463 

©jner einen oorjüglichen Slntheil hotte.*) ©raf Stabion nahm eS auf feine 
eigene ©erantmortung, biefe Sormulieruug als prooiforifdje ©rlebigung ^in= 
auSflugeben unb bamit mar ber Sturm befchmoren. Stabion oerpflichtete 
fid), bie befinitioe ©rlebigung beim SRinifterium 311 ertoirfen unb reiste nod) 
benfelben 5lbenb nach SSien ab. 9lm 31. SWärj erfolgte bie ministerielle 
©rlebigung ber ©etitionSpunfte in giinftigem Sinne, bem Inhalte — 
menu auch nicht bem SSortlaute — nach fo, ttrie fie oon ©rag auS be= 
antragt rnorben mar; am 2 . 5lpril machte fie ®raf Stabion in ©rag funb, 
am 3. oerlaS fie ber fRector SRagttificnS in ber 5tula, mo nun alles in 
dulci jubilo toar. 3 n einem einzigen fünfte trat eine fomifdjc Snttäufchung 
ein. Uffo §orn hotte am 15. beantragt unb bie ©erfammlung hotte eS per 
acclamatinnem angenommen: „5lffociationSrecht nach bem lebten aRündjner 
Statut". Uffo fporn t>atte offenbar nur oon bem Statut gehört, eS aber 
nicht gelefen, unb bieS toar umfomehr bei feinen ßuhörern ber Sali. 3ept 
mar bie ©emiöigung bcS SRinifteriumS ba unb man mollte miffen, maS 
benn bieS äRünchner Statut enthalte, unb ba zeigte fich benn, bafS eS un¬ 
gemein fdjarfe ©eftimmungen gegen bie StubentenOerbinbungen enthielt. 
®ie Überraschung mar ebenjo groß als unangenehm. 5lbcr maS mar 511 
machen? «Tu l’as voulu, George Dandin!» 

©on biefem Snterme^o abgesehen, fanit bie minifteriefle ©rlebigung 
00 m 31. 9 Rär 3 1848 als bie ©runblage beffen angefehen merben, 
maS nun halb im gefammten Unterrichtsmefen neu geftaltet 
merben füllte, unb ber ©rager Unioerfität gebürt bie ®h re / b 11 tiefer 
groben SReform bnreh ihre Anregung 00 m 15. 3Rärj unb bann burdj ihre 

Oerniinftigeu SRatfchläge 00 m 28. ben 5lnftob gegeben 311 haben.**) 

* * 

* 

©aron Sommaruga hotte olS UnterrichtS*9Rinifter ben ernften 
SBiHen, bem oerrotteten Stubien=St)ftem eine beffere ©eftalt 3 U geben; er 
befaß auch als Staatsmann Serftänbnis genug um einjufehen, bafS eS in 
einer fo oieljprachigen Monarchie mit ber alleinigen ©flege beS ®entfchen 
nicht abgethan fein fönne. ®aS erfte, maS er für feine gierte tt)at, mar, 
fich mit einem Streife fähiger fenntniSreicher unb erfahrener 9Ränner 31 t 
umgeben, melche bie nötigen ^Reformen 3 U berathen unb ©ntmitrfe jur 

*) Sranffurtcr, a. a. C., S. 163. 

**) Siehe auch £>eintl, UnioerfitätS mieten 9tr. 19, S. 12 : „Um bem offen t 
liehen Unterrichte bie ben neuen ^nftitutionen jufagenben ©erbefferungen im aus* 
gebehnteften 2RabS’tabe jumroenben, hoben Se. ÜRajeftät burch 51. h- ©ab.* Sehr. 00 m 
23. üRärj 1848, ©unft 14, beschaffen, eine Umarbeitung ber bereits oorbereiteten 
Stubienpläne $u oeranlaffen" :c. 9Rin. b. Qnnem, 00 m 31. 9Räv$ 1848, 3- 22 . 


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464 


ftofepp Jreiperr oon geifert. 


Umgestaltung bet gefammten öffentlichen Unterricpttmefent autjuarbeiten hätten. 
Gt mären biet bie SBiener Uuioerfitätt*©rofefforen X^cot. 5>r. $ofepp 
Schein er, 3tor. $r. Slntou $pe, ©pil. $r. ©tep^att Gnblicper, Varon 
Gruft Seucptertleben, ber ©rofeffor am ©olptecpnicum Slnton ©eprötter 
nnb ber £mmanitätt*©rofeffor am SBiener afabemifepen ©pmnafiunt SBü^etm 
©oblapa; bann aut ©rag: G^ner, ^afaftf nnb ßi^wermann. 
^afarift Slbgang non ©rag am 3. 2lpril mürbe in ungemein feierlicher 

SBeife begangen. Gbenfo tpeitnapmtooll mar ber Slbfcpieb Gjneft; benn et 
mar für bie Stubenten ein hoppeltet geft: ein mepmütpiget, ben pocp- 
oereprten unb geliebten fieprer aut iprer SJtitte 511 oerlierett, unb ein 

erhebenbet, meil fie muftten, für melcp popen 3 ^«* er berufen, unb baft 
uon feinem Gingreifen bat befte $u ermarten fei. 

2>ie ÜDtitglieber ber Gomntiffion begrüßte eine Bufcprift bet Sfliniftert 
00 m 4. Slpril, morin er fie berufen erflärte, bie Vorarbeiten 511 ben Slnträgeit 
auf Verbefferung unb ^Regulierung bet öffentlichen Unterrichtet, bie ben 

ein$uberufenben Steicptftänben gefteüt merben füllten, ju liefern. &afarif mar 
babei intbefonbere für „bie Vertretung ber flaüifcpen ©tubien* unb ßiteratur* 
^ntcreffen" auterfepen. Gr arbeitete für biefen 3^ecf eine Xenffcprift aut, 
mie bie Gleichberechtigung ber beutfepen unb böpmifcpen Sprache in ber 
Scpule burcpgufüpren märe .*) Sie erfte ©ipung biejer Gontmiffion fanb am 
5. SIpril ftatt. 

SBäprenb biefe Veratpuugen im ©ang mareu, mürben fepon ein$elue 
Verfügungen getroffen, melcpe bat oorbereiteten unb einleiteten, mat bie 

Gomntiffion im Sinne patte. Slm 6 . Slpril mürbe oerfügt, baft bie unmittel= 
bare ßeitung ber Uniüerfitätt'Sacultäten, ber teepnifepen ßepranftalten unb 
ber ©pmnafien bie ßeprförper berjelben übernehmen füllten. Sat mar alfo 
bie Slbfcpaffuitg ber bisherigen außerhalb ber ßeprförper ftepenben Sirectoren 
unb Vice-Sirectoren. Slm 9. Slpril richtete Sommaruga an alle ßänberepeft 
einen Grlaft, bemjufolge alle Gingaben, bie früper an bie Stubien=£>of= 
Gommiffion gemacht mürben, unmittelbar an bat SJtinifterium gerichtet 
merben füllten. Von großer Vebeutung mar ber gleichfallt an alle ßänber- 
epeft gerichtete 9JUnifterial=Grlaft 00 m 10 . Slpril. Sie ben Unioerfitäten 
ertpeilte ßepr* unb ßernfreipeit, pieft et barin, fepe größere Steife ber 
Stubierenben an Vorbilbung unb an Sapren ooraut, alt bie bitperigen 
abfoloirten ©pmnafiaften befä&en. Sie bitperigen $mei fogenannten ppilo* 
foppijepen 3 >op* 9 änge foUten baper oon ber Uniüerfität getrennt unb ju 
ben ©pmnafien gefcplagen merben, bat baburep aut einem fecptclaffigen 

*) 5lbgebrucft in C. C. M. 1848 II str. 171—197: MySlenky o prowedeni 
stejn6ho präwa öeskeho i n£meck£ho jazyka na Skoläch öesk^’ch. 


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Die grofee UnterrichtS^eform. 


465 


ein achtclaffigeS mürbe. Solche oerooüftänbigte ©pmnafien mären juoörberft 
in ben UntoerfitätS* unb fianbeShauptftäbten einjurichten; an jenen Orten, 
mo bisher abgefonbcrte philofophifche üehranftalten beftanben, mären biefe 
mit ben bafelbft beftehenben ©pmnafien in eins ju oerfchmeljen; aufterbem 
mären an einigen befonberS ftarf befndjten ©pmnafien jmei ©tubienjahre 
anjufügen, mie in Säumen „oietleicht jn Äöniggräfc unb Sger." Die Sänber^ 
fteüen hätten für biefen 3med bie erforberlichen SRäumlic^feiten auSjumitteln, 
bie Sorfchläge für Serufung tauglicher Sehkräfte ju machen 2 c.*) TOit SrlafS 
öom 18. 3Rai mürben bie SolfSfchulen in Söien unb ©rag probiforifch 
geregelt: bie ©farrfchuten oon brei Staffen füllten ju $auptfchulen ermeitert 
merben; an ben Drioialfchulen füllten jomohl Lehrer als ©ehilfen fije 
Sefofbungen betommen unb fomohl fie als ihre SBitmen penfionSfäfjig fein. 

Um biefe 3 *it hatte bie 9teform=Sommiffiou ihre Serathungen bereits 
gefchloffen.**) Saron ©ommaruga mollte eafartf unb Sjner feinem 
SJinifterium einoerleiben, um fich ihrer Senntniffe unb Srfahrungen bteibenb 
ju bebienen. Doch Safari! gieng nach ©rag jurücf, er mollte fich feinen 
tiefgehenben ©tubien nicht entziehen. 9lurf) Sjner nahm bie ihm angebotene 
©teile eines ÜKiuifterialratheS nicht an; auch er toünfchte auf feinen ©rager 
Sehrftuhl, mo er unter ben jefcigen freieren Serhältniffen erft recht mirfen 
311 tonnen hoffte, jurücfjuf ehren. Doch mufste er für'S erfte noch in SBien 
bleiben, meil ihn ber 5Jiinifter mit ber Aufgabe betraute, bie Srgebniffe 
ber SomntiffionS^Serathungen jufammenjuftellen unb ju formulieren. Die 
Denffchrift, bie er herüber abfafste, führte ben Xitel „Sntmurf ber 
©runbjitge beS öffentlichen Unterrichtes in Öfterreich"***) unb 
enthielt ein ooüftänbigeS Stiftern, melcheS nicht blofj, mie ber Xitel befagte, 
ben öffentlichen Unterricht oon unten bis in bie höchften ©tufen umfafSte, 
fonbern auch ©nmbfäfce für ben ©rioat^ ober häuslichen Unterricht anfftellte. 
Die SolfSfchulen füllten oerbeffert merben: in ben höheren Slaffen „populäre 
'Jtotur*, aKenfchen' unb inSbefonbere SaterlanbSfunbe", baju „praftifche 
Slnmeifung ju nüfclichen Sefchäftigungen, mie Saumjucht, meiblichen Arbeiten, 

*) Slbgebrudt bei freintl ©. 37—40. DaS in ber 9Jttnifteriab3tegi|iratur 
befinbliche Soncept 3- 102 U.*2Ji. ift burchauS oon ber £>anb Syner’S. 

**) Ohne 3*neifel mar babei ein Slaborat mit in Srroägung gezogen morben, 
baS mit bem Datum beS 21. 2Ipril 1848 auch gebrudt erfchien: ,,©lan einer jeit- 
gemäßen Reform ber öfterretchifchen Unioerfttäten. Sntroorfen unb bem 3Jttni|terium 
beS Unterrichtes überreicht oon bem Soßegium ber mebicinifch*cbirurgifcben ©tubien 
ber t. !. JBiener £)ocbfcbule" (grofrS 0 22 ©palten; anbere Ausgabe 24 ©palten). 

***) DaS Soncept, burchauS oon Syner’S §anb, befinbet ftch mertioürbiger* 
roeife nicht in ber Btegiftratur beS Unterrichts * 2JtinifteriumS, fonbern im Sefifce 
ber Samilie Sytter. ' 

Ile ftiitur. III. 3a^rg. 6. unb 7. $eft. (1902.) 30 


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466 


gofeph greiherr oon geifert 


bann ©efang unb öeibeSiibungen" ; für bie fiinftigen ßc^rer ein Sanbibaten- 
fiehrcurS non brei gahren; bie Songrua ber Sehrer auf bent Sanbe 200 fl., 
für bie Unterleder („©ehilfeu") 100 fl., in ben Stabten unb an beit 
£>auptfcfiuten natürlich mehr: „Die Solfsfchute ift Sache ber ©enteinbe unb 
finb non biefer bie Soften für ihre ©rhattung aufjubringen." Sürgerfdjulen 
non brei Staffen an Stelle ber bisherigen nierten Eiaffe an ben $auptfd)uten. 
©eatfchulen non brei Staffen. ©rittetjehuten anberer 2trt nach örtlichen 
Sebürfniffen: ©enterbe*, Spinn*Schulen tc. ^Xec^uifc^e gnftitute. 

©pmnafien achtclaffig. 8 tn ben Uninerfitäten Sehr* unb Sernf reiheit: „Die 
©iitgtieber ber Saifertichen 2 lfabemie ber SBiffeufd^afteit 511 SBien finb als 
foldje 5 U Sortefungen an ber Uninerfität berechtigt". Aufhebung ber SoncurS* 
Prüfungen für baS Sehramt. Srioat^Docenten. Die gacultät befteht auS 
fämmtlichen orbenttichen unb aufjerorbentfichen ©rofefforen unb jmei Sertretern 
ber Sriuat*Docenten; bie nicht-lehrenben Doctoren foflen in |>infunft mit 
ber Uninerfität unb gacultät nichts tneiter $u thun haben, eS fotle ihnen 
btofe geftattet fein, außerhalb ber gacultät unb beffen Sehrförper eigene 
Doctoren*Soflegien $u bilben. 2tn ber Spifce jeber gacultät ber Decan, auS 
ber ©eifje ber orbenttichen ©rofefforen non biefen auf ein gafjr gewählt unb 
nont ©rinifterium beftätigt. Die Seitung ber ®efammt*Unioerfität führt ber 
afabemifche Senat mit bem ©ector ©tagnificuS an ber Spifce. Die Sache 
ber afabemifchen ©ehörben tuirb eS inSbefonbere fein, bie DiScipIin unter 
ben Stubenten aufre^t 511 haften, unb tuirb ihnen gegen Übertretungen ber 
afabemifchen ©ejefce eine biSciptinare ©emalt juftehen. 

* V 

♦ 

Seröffentticht mürbe biefer Sntmurf nicht fogteich, meit fich bie 
©egierung $ur felbengrit in einerSlrifiS befaub. Das ©Jiniftcrium ©itterSborff 
hatte abbanfen müffen unb führte bie ©efdjäfte nur für fo lang fort, bis 
baS neue ©finifterium gebitbet mar. gür baSfetbe maren Saron Shiübb 
SBeffenberg atS ©tinifter beS 2luf$ern unb Saron 2lnton Dobthoff* 
Di er als ©rinifter beS gnnern auSerfehen; baS Portefeuille beS Unter= 
richtS mürbe erft @|ner, bann geuchterSteben angetragen; als beibe 
ablehnten, übernahm Doblhoff bem ©amen nach baS ©rinifterium, bie tljat* 
fächlichc Seitung hatte geuchterSteben mit ©jner an ber Seite. 2lm 18. guli 
trat baS neue Sabinet in Dhätigfeit unb am fetben Dage mürbe ber 
©eorganifationS*®ntmurf beS UnterrichtSmeienS ber Öffentlichfeit übergeben; 
man motlte $uerft Stimmen barüber abhören, ehe baSfetbe bem conftituierenben 
©eichstage $ur tegiStatorifchen Sehanbtung oorgetegt mürbe.*) Der „Drgani* 

*> Der OrganifationS-Sntmurf erfchien in ber „2öiener«3ritung" in uier 
gortfefcungen, ©r. 197 uom 18. btS ©r. 200 uom 21. Quü, unb bann als ©onber* 




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Die große UnterricbtS=$Reform. 


467 


fationS*®ntmurf", mie man ihn fortan fur^meg nannte, bitbet ben eigentlichen 
SluSgangSpunft unb bie ©runblage ber großen Unterricht«*9leform in 
Öfterreich unb er befteht in feinen ^auptjiigen bi« heute, ©r h a * gleich 
anfangs in fachmännifchen Greifen, aber auch vielfach int gebilbeten publicum 
großen Slnflang gefunben, unb ganj befonber« freuten fich bie gebrücften 
Schullehrer, baf« enblich einmal auch für fie beffere 3eiten fommen foßten. 
©3 fehlte aber auch nicht an Dppofition. SSon Seite ber p^ilofop^ifd^en 
^rofefforen liefen fßrotefte ein; fie mehrten fich bagegen, baf« man fie üon 
UniüerfitätS* ober bod) S^ccal^^ofefToren $u ©hmnafiatlehrern f>crab^e^en 
tuotle; auch fugten fie bie SJiaßregel als eine grunbfäfeliche Stufhebung ber 
philofopljifchen Sacultäten an ben Unioerfitäten auf, ma« jeboch burchauS 
nicht fo gemeint mar. ©ine gemichtige ©infprache erhoben bie ©ifchöfe, meil 
ber ©influfS ber Kirche, namentlich auf bem ©ebiete ber ©olfsfchule, fünftig 
bebeutenb mehr eingeengt merben foUte, als baS bisher ber SaU mar .*) 
©nblich erhoben bie nicht=bocierenben Doctoren eine ©infprache, meil fie nach 
bem „©ntmurf" üon ber Sacultät, alfo üon ber Uniüerfität auSgefchloffen 
fein unb baher an ben gacultätsmahlen feinen Slntheil mehr h fl ^ cn füllten. 

SeuchterSleben unb ©jner maren fleißig bei ber Slrbeit. ©iner 
ihrer erften Schritte mar, baf« ©jner am 3. Sluguft 93 o n i fe — ber in* 
^mifchen Sefjrer am ©pmnafium be« Stettiner SRarienftifteS gemorben mar 
— ben Slntrag machte, nach SBien fommen unb an ber Reform ber 
©pmnaften mitjuarbeiten.**) Slm 4. mürben bie fürstlichen unb münblichen 
©oncurS=©rüfungen für Erlangung beS Sehramtes, fomie bie oeratteten 
Normalien ber Disputation unb Promotion abgefchafft; bie ftrengen 
DoctoratS^ßrüfungen füllten in ^infunft öffentlich fein. 9J?it Slüerhöchfter 
©ntfchließung oom 19. betraute, auf ben Eintrag Seucf)terSleben'S, ©e. SWajeftät 
ben ©rofeffor ©jrner mit ber unmittelbaren Seitung aller SIrbeiten ber 
UnterrichtS=9teform unb ernannte ihn für biefe 3*ü $um SRinifterial^SRath. 
Gpier nahm fich ben ©iariften $oblaha unb ben £mmanitätS=2ehrer Sari 
©nf oon ber Surg, ©ruber beS unglücfliehen Sonüentualen oon Steif, 
^ur Seite. ©S erfolgte fogleich ein entfeheibenber Schritt: mit ©rlafS oom 

abbrucfin4°, §of»unbStaatSbrudterei. SeuchterSleben hot, roiemanau« unferer 
Darftellung erficht, ben „©ntmurf" als fertige« 3Berf übernommen unb hotte fich 
manche ©eftimmungen entfehiebener gemünfeht; oerglekpe feinen Sluffafc: „DaS 
Slinifterium be« öffentlichen Unterricht« m öfterreich" in ber ©eil. $. s JJtorgenblatt 
ber „Söiener 3citung" oom 17. December 1848. 

*) ©ergleiche meinen Sluffafc „Der Sampf um bie Schule", Öft. Qahrb. 
1889, S. 158—163. 

**) Über bie ©erhanblungen jrcifchen ©jmer unb ©onife f. granffurter, 
©. 75, 92—100. 


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468 


3ofeph Freiherr oon geifert. 


28. mürben bic erften Sorbereitungen §ur Steugeftaltung beS ©pmnafiatmefenS 
getroffen, namentlich ber Übergang t)om Elaffenlehrer* §um gochlehrer^Spftem, 
bie ©inführung beS Unterrichts in ben SanbeSfprachen, in ber SRaturgefchichte 
unb Shhftf- ® cr 2 - September brachte SSerbefferungen im Spftem ber 93olfS= 
f(hule: bie SRutterfprache follte bie ©runblage bilben, ber SlnfchauungSunter* 
rieht follte eingeführt unb für biefen 3roecf Sehrmittel*Sammlungen angelegt 
merben; bie Serbefferung ber fogenannten Sräparanben^ßurfe mürbe in 9luS* 
ficht genommen unb eS mürben für biefen 3toecf hier oon ben befähigteren 
Sehrern an ben SBiener Solfsfchulen auSgefenbet, um bie Einrichtungen in 
®eutfchlanb unb in ber Schmeij fennen ju lernen. 91m 8. September erteilte 
baS SDtinifterium bem ©remiurn ber SBiener |>anbelsleute bie Erlaubnis, auf 
beffen Soften eine eigene #anbelSfchule $u errichten. 

9J?it Slllerhöchfter ©ntfchliefcnng oom 4. September mürbe ©Euer 
befinitio $um äRinifterialrathe ernannt; auf bie SRücffehr nach Srag unb 
an feine geliebte Sehrfanjel mufste er jefct üerjichten, er mar ber oberften 
UnterrichtS*93ehörbe bleibenb einoerleibt. $>aS SBer! ber Reform mürbe 
fchrittmeife fortgefefct. Son ben öfterreichifchen ©pntnafien mar eine gro&e 
3ahl in geglichen |>änben. $ie Slofteroorftänbe unb Stiftsoberen ernannten 
unb oerfefcten bie Sehrer nach eigenem ©rmeffen, baS h e ^ nach ^ cm 
jemeiligen Sebürfniffe ihrer geiftUchen ©ommunität. $)aS follte nun aufhören, 
bie ©erufung jum Sehramte, bie S3erfefcung unb ©eförberung ber Sehrer, 
ihre Entfernung bem SRinifterium oorbehatten bleiben (20. September), 
©ine tief einfdjneibenbe SRafjregel mar bie Aufhebung ber ßonoicte, bie 
fich gleichfalls in geiftlichen $änben befanben; bie bisherigen Stiftspläfce 
fotlten in £>anb*Stipenbien umgemanbelt unb biefe ben ©Itern ober Sor~ 
münbern ber Jünglinge übergeben merben. $)iefeS SoS traf baS Stabte 
ßonoict, baS Sömenburg’jche ©onüict unb bie Stiftung SRanagetta in SBien, 
baS ftänbifche Sonoict in ©rag, baS 2h ere ft anum in SnnSbrucf, bie ©onoicte 
in ©räfc unb Semberg. $Rur mit ber großartigen Stiftung ber $aiferin 
9Raria X^crefia, bem SBiener 2h ere fi°num, Qieng eS nicht fo rafch, meil 
©pter bamit etmaS befonbereS im Sinne hotte: er motlte baS 2h erc P anum 
ber Seitung ber ©iariften entnehmen, bie tüchtigften Sehrer unb ©äbagogen 
aus ber SRonarchie einberufen unb auf biefem SBege eine SWufteranftalt für 
©rjiehung unb Unterricht fchaffen. 

SeuchterSleben mar äRebiciner, ÜRitglieb ber SBiener mebicinifcheit 
Sacultät, beren Serhältniffe unb 3«ftänbe er genau formte unb beren 
Steugeftaltung ihm baher junächft am $erjen lag. S)aS erfte mar, bafS bie 
f. f. 3ofephS=2lcabemie aufgehoben merben follte, morüber allerbingS juerft 
mit bem ffrieg^SRiuifterium oerhanbelt merben mufSte; eS follte nach 


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2>ie grojje UnterricptS'Reform. 


469 


geuchterSteben'S SReinung fein befonbereS ©tubium für 3Rititär*$r$te geben, 
fie füllten ihre SluSbilbung gleich allen anberen an ber Univerfität fich 
ermerben. SBichtiger mären jmei anbere 9lngetegenf)eiten, von benen bie eine 
bie mebicinifc^irurgiföen ©tubien überhaupt, bie jmeite bie mebicinifche 
gacuttät ber SSiener Univerfität inSbefonbere betraf. 

gn erfterer ©inficht fottte baS chirurgifche ©tubium aufhören, bie 
mebicinifch 5 chirurgifchen Gurfe an ben Unioerfitäten, bann bie felbftänbigen 
chirurgifchen Sehranftalten in ©aljburg unb Saibach füllten aufgehoben 
merben. GS foüte binfiir feine Givit* unb Sanb*3Bunbärjte, feine „©aber", 
fonbern nur miffenfchaftlich gebilbete '„äRebicin"*$octoren mehr geben. $ie 
oorhanbenen Ghirurgen, benen man ihre ©efugniS nicht nehmen tonnte, 
mottte man auSfterben taffen; hoch fottte ihnen freigeftettt merben, fich baS 
mebicinifche $>octorat burch Slbtegung ber Rigorofen nachträgtich ju ermerben. 

333aS bie SBicner mebicinifche gacultät betraf, fo fottte fie ben Stuf, 
ben fie in ben lefcten fahren burch 9Ränner mie &foba unb RofitanSttj in 
ben oon biefen beiben Koryphäen vertretenen gächern gewonnen hatte, auch 
in ben anberen 3meigen fich verfchaffen. GS füllten barum fötche Sefjrfräfte, 
von benen nicht ju ermarten tvar, bafS fie ben gortfchritten ber SBiffenfchaft 
genügen fönnten, vom Sehramte entfernt unb an ihre ©teile neue tüchtige 
ttRänner gemonnen merben. @3 befanben fich nämlich in ber gacultät einige 
ältere Herren, bie §mar ihren burch bie ©tubienorbnung vorgejeichneten ©er* 
pflichtungen als gehorfame unb friebtiebenbe Staatsbürger gemiffenhaft nach 5 
tarnen; aber als lumina mundi, als Seuchten ber SBiffenfchaft ju glänjen, 
ba$u hatten fie baS 3eug nicht, ©o erhielten benn ju Gnbe September ober 
in ben erften Dctobertagen*) fünf SRitglieber beS SBiener mebicinifch 5 
chirurgifchen ©tubiumS ihren unermarteten Slbfdjieb: Slbolf ©l ei fehl für 
Ghemie, gofeph guliuS Germaf für ©hhP°I°9* e / ©taniStauS % ö11en t )i für 
allgemeine ©atljologie, Gafpar gif eher für Raturgefchichte, gofeph Gbter 
von SBattmann für praftifdje Ghirurgie. ©leifehl mar ber ättefte von 
ihnen, 61 galjre, nach ihnt tarn SBattmann, geboren 1789, ber jüngfte mar 
Germat mit 49 fahren, atfo alle noch in einem Sitter, mo fie in ber 
gemohnten SSeife meitergehen unb manche gaf)re mirfen tonnten. 

$och mit ber „gemohnten SBeife" fottte eS eben ein Gnbe haben, 
neue Sahnen füllten gebrochen merben. ®a tarn ber 6. Dctober, bie Revolution 
mar ba, unb geuchterSleben hatte blog baS Gehäffige ber SDiagregel auf 
feine Schultern getaben, ohne baS SBofjlthätige berfelben, bie Serufung be* 
mährter Sehrträfte unb bamit bie Gröffnung einer neuen 8tra ber natur* 

*) Sl. u. ©ortrag oom 18., SUIerhöchfte Gntfchliefeung oom 28. September. 


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470 Qofeph Freiherr oon geifert. Die grofee UnterriSte4Reform. 

lüiffcitfc^aftlid^eit Stubien, einleiten $u tonnen. ©o (nüpfte fiS an feinen 
SRarnen ein boppelter &af$: ber ber Ehirurgen, benen er ba$ Seben fauer 
machen moüte, unb ber ber abgebanften Sßrofefforen, bie über ba3 Unrecht, 
baS er ihnen miber Siedet unb Sitte angethan, #imme( unb Erbe 
anriefen, SeuSterSleben befarn jefct Slngft, er erbat gleidj am 7. üon 
Dobtyoff einen Urlaub unb üerfSmanb au3 SBien. Der Sinan$*3Jtinifter 
Sr au 3, ber naS ber ä^prengung be$ SRinifteriunte 3Seffenberg*Dob(hoff 
aße3 in aflem mar, beauftragte Ejmer, bie ©efSäfte be3 Unterrichte* 
9Jtinifteriunte ju (eiten, bie mistigeren ©efSäfteftüde ihm, Srau3, jur 
UnterfSrift üorjulegen. S$ner ^iett muthig au3; er liefe fiS int 
3Rinifteria(*@ebäube eine proüiforifSe SBohnung h crr iSten unb arbeitete 
mitten in ben SBirren unb ©räueln ber 3teüo(utton lag unb ÜRaSt in feinem 
5(mte. SeuSteteleben mar unfiStbar gemorben, man mufäte niSt, mo er fiS 
aufhielt. 9(13 er auf fein Urlaub3gefuS (eine Slntmort erhielt, fanbte er am 
20 . ein äRajeftäte*@efuch um Enthebung üon feinem $often ein. Sr hatte 
e3 bamit fo eilig, baf3 er fSon §mei Sage fpäter, 22. Dctober, au3 Stuffee 
eine neue Eingabe an ba3 UnterriSt3*9Rinifterium fanbte, morin er um 
fSfeunigfte Srtebignng feinet Snt(affung3gefuSe3 bat. Sr mar ein äRattn 
üon meinem ©emüth, nicht fräftig unb (ampfe3muthig genug, um ben ©türmen, 
bie er gegen fich unb fein SBirfen heranjiehen fah, bie ©tim ju bieten, 
©einem SBefen miberftrebte aße ßtoheit, beren 9lu3bruS in jener fturm* 
bemegten $eit jeben 9(ugenbUd ju gemärttgen mar. „SS bin für (eine 
Aufgabe be3 Streitet gemaSt", h^ftf e3 in einer feiner SlufeeiSnungen*). 
Später in feiner felbftgemähUen SlbgefSiebenheit oeröffentliSte er eine „Er* 
tlärung an Sreunbe unb. Z^eitne^menbe" (93ei(. $um Slbenbbt. ber „SBiener 
Leitung" üom 7. December), eine Strt SReStfertigung feinet begonnenen, aber 
niSt ju Enbe geführten minifterießen 2Bir(en3. Die erften ©Sritte refornta* 
torifS^r Xfjätigteit, betonte er, hätten begreifliScr SBeife üerneinenber SRatur 
fein müffen, bann erft (onnte an ba3 9(ufbauen gebaSt merben, unb bie 
3eit ba$u fei nahe gemefen, a(3 bie ungliidliSen 0ctober*Ereigniffe h^in* 
gebroS^n feien unb eine p(ö$(iSe ©todung h cr & c ig e füh r t hätten. 

*) ^ranffurter, 7. 


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Dr. 3obanne$ Emmanuel Ueitb. 

(Eine btugrapfjifcb.litterarifd)* £fnbie non Bbolf Jntter fcuf ler» C. S». K. 

c^Kofjann ©mmanuel ©eitf) mürbe ju Kuttenplan im norbmefttichen 
Qp Söhmen geboren (10.3uli 1787), alg ©ohn beg jübifchen ®rofetrafifanten 
©aruch Seitl). Son feiner Sugenb fchrieb er felber an ©ebaftian ©runner: 
„ 3 ch it>ei§ nur, bafö früh fchon, ohne mein ^injuthun, eine entfdjiebene 
SBenbung jum pofitioen ©tauben in mir borgegangen." Ser Knabe fofl in 
ber ©ibel feineg ©aterg manche ©lätter berflebt gefunben haben; er fuchte 
in anberen ©jemplaren nach unb traf bie entfpredjenben ©teilen ber meffianifchen 
©rophetien. Sag SRituale ber 3uben meefte in feinem lebenbigen ©eifte 
gerabejtt bie ©pottluft. Ser Salmub ftie§ ihn ab, unb jmar umfo mehr, je 
mehr er $u Sectionen gejmungeu marb, bamit er einmal ein großer Salmub* 
rabbi merbe. ©elbft bie Slufflärerei SDlenbelgfohn'g blieb if)m nicht unbefannt 
unb miberte ihn an. ©o mar fchon in ber ©ruft beg neunjährigen Knaben ein 
innerer Kampf entftanben, non bem ©eith fpäter jehrieb, er habe 21 3 ahre 
gemährt unb erft mit ber Saufe (1816) geenbet. Sarum bichtete er bon 
feiner ^ugenb: 

©ertehrt unb unbeholfen, in Dumpfheit auferjogen, 

3 m alten ©ion fremb, im neuen nicht ju £aufe, 

SBarb um bie beften Sage ber Sugeub ich betrogen. 

©ineg nur mirfte bilbeitb auf ihn, bie fieetüre ber beutfehen ßlaffifer, 
namentlich ©oethe’g, bie er in beg ©aterg Siicherei traf. Srei^ehnjährig trat 
er in ©rag bereite in ben 5. ©urg beg Slttftäbter ©pmnafiumg; bie oier nieberen 
hatte er fchon 511 ^paufe alg ©riüatift abfoloiert; bann befuchte er au ber 
©rager Uniberfität bie ©hilofophie (1803—1806) unb ftnbierte ein 3ahr 
SJtebicin. £ier fchon geigte fich feine feiten reiche ©egabung: er lernte 
franaöfifch, mibmete fich „mit mahrer SButh" bem ©otanifieren, trieb SJfufif, 
Malerei unb, mag fich fpäter alg bag üftüfclichfte ermiefen, er ftnbierte bie 
^itteratur unb Sitteraturgefchichte, unb bereitg bom 17jährigen erfreuen 
reijenbe, ©eüert nachahmenbe ©ebichte in 9Jteinert ; g „fiibitffa" (1804). 


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472 


Slbolf gnnerfofler. 


Dbfchon nicht in günftigen ©erpältniffen, öerliefr er ©rag; bie Sehrfräfte 
ber mebicinifchen gacultät maren ihm nicht genügenb, er gieng nach SBien (1808). 
®rft ^atte er mit Stoth $u fämpfen, hoch bieä ftäfjtte feine Slrbeitefraft unb 
©efchicflichfeit, unb feine Senntnte be3 graitjöfifchen bemirfte, baf$ ifjn ©ro* 
feffor Seiht in ber granjofenjeit fdjon 1809 an einem SRilitärfpitafe oer* 
menbete, ©alb errang er fidj fogar einen Stuf, unb $mar $unächft ate dichter 
unb ®r$ähler: er oerfafste bie geftcantate jur geier beä Sliniferä #ilbe* 
branb, fdjrieb ba£ Xejrtbuch jur beliebten Oper non ©promefc „$er Slugen* 
ar$t", hatte fogar ba$ geftfpiel $ur geier ber SBieberfehr beä Saifer3 gran-* 
für ba$ Ipeater an ber SBien ju bitten, unb ber Sllmanach „Slglaja", 
Gaftellite „Selam" unb „$er Sammler" brachten Satiren, Siooellen, Sieber, 
Epigramme oon ihm; eine3 feiner Sieber, ba£ Seiler oertonte, ift je|t 
noch Soltelieb, e£ ift ba£ „Sieb oon ber gelbflafche". 6r mar auch einer 
oom luftigen Sitteratenclub, ber atlmöchentlich in einem Socale ber ©ffiggaffe 
jufammenfam unb in bem auch Srentano üerfeprte. $)och ben größten Stuf 
errang itjm fein mebicinifcheS ©enie. ©ereite 1809 ^atte er neben bem 
mebicinifchen auch ben tpierärjtlichen Gute befugt unb bort fepr gute 
Gjrantina gemacht. 6r mürbe ©enfionär am Xbicrar^nct^Qnftitut unb 
hier, obfebon erft 25 gapre alt unb noch nicht 3)octor ber SJtebicin, arbeitete 
er jmei mebiciitifche ©iicher au£, bie fogleich ben Ganbibaten ber ©harmacie 
ate Sebrbiicher oorgefchrieben mürben. Sie erfchienen 1812 bei ©eiftinger in 
SBien: „$lbrif$ ber ÜTäuterfunbe für Öfonomen unb Jhierärjte" unb 
„Spftematifche ©efchreibung ber oorjüglicpften in Öfterreich milbtoachfenben 
ober in ©arten gemeinen 2lr$iteigemächfe"; teptereS gab er auch lateinifcp 
herauf ate »Dissertatio inauguralis medico-botanica«. Site er bann 1812 
feine Stigorojen machte, erregte er auf ba£ lebhaftefte bie Slufmerffamfeit 
be3 faiferl. Seibarjte^ ©aron Stifft, be£ ©rüfungäpräfibenten, ber ihm $ei U 
lebend gemogen blieb unb ihm auch ju feiner Garrifcre oerhalf. ®en 27. Sto- 
oember 1812 promoüiert, mürbe er 1813 bereite Gorrepetitor am 2pi ers 
ar$neisgnftitute, 1815, nach bem $obe be$ ©rof. ©iefe, prooiforifcher 
$irector unb erfter ©rofeffor an bemfelbeit unb 31. guli 1819 „in Sin* 
fehung ber oon ihm bemiefenen ©efchicflichfeit unb Sachfenntnte, fomie feinet 
guten moralifchen Gporaftete" mirtlicher S)irector. Stoch Gorrepetitor, oer* 
öffentlichte er 1814 ein neued, fepr gebiegeneä SBerf: „©runbrifä ber all* 
gemeinen ©atpotogie unb Xh era Pie für angepenbe Xhicrärjte", unb für 
$irector ©iep arbeitete er bie Goüegienhefte über Seuchenlehre unb ©eterinär* 
poli$ei aite, bie er fpäter fammelte. Darauf entftanb ein SBerf, baS burch 
15 gapre Schulbuch blieb, heute noch in hoher Schälung fteht unb ate ein 
SJtufter genauer, tiefer unb hoch ferner $arfteflung gilt, ba$ 1817 


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$r. gobanneS Emmanuel ©eit. 


473 


erftienene „§anbbut bcr Seterinärfunbe in befonberer ©ejic^ung auf bic 
©eueren bcr nufcbarfien £au$ * Säugetiere. gür ©bpfifer, Kretötinirgen, 
S^ierärjte unb Öfonomen." (Sejjte Auflage 1832.) 211 $ oberfter Seiter be$ 
erften $eterinärinftitute$ tjatte er ttiele unb oft weite Steifen $u maten; 
feine Sortefungen waren fo ftarf befugt, baf$ man fie in einen ber größten 
«ipörfäle berUnioerfität üerlegen muffte; aut beljnte fit fein ärjttiter Stuf 
raft unb weit au$: trojfbem fanb er not Seit, aut bic ftönen fünfte ju 
üben. 6 r muficierte unb tjatte fetbft ben ©eneratbafä ftubiert; er malte ge*» 
(ungene ©orträtS; befonberS aber war er ein gefutter Witter oon geft* 
cantaten (auf SRetternit, ©t*uar$enberg, beibe Staturforfter Sacquin K.), 
unb feine Sieber waren if)rer 2 lnmutf), feine ©r^tungen unb 2luffä|je be$ 
feinen $umor$ wegen fefjr gerühmt. ®r ftanb in gtän^enber Stellung, not 
glän$enbere ftanben trn in 2 lu$fut)t. 

3 n biefem regen SBirfen gieng fein tief angelegter ©eift bennot nic^t 
auf. „ 3 t habe mit 21 3 <t*e mütjfam burt ba$ alte Xeftament in’$ 
neue arbeiten müffen", geftefjt er felber. Slot ein gube, 50 g e$ tn fton 
•$ur SReffe unb anberem ©otteabienft ber Katolifen. ©nblit am 4.3Rai 1816 
empfieng er gu ©t. Kart in SBien bie Saufe, ©in 3atjr barauf finben wir 
ben 30jät)rigen Sirector unb erften ©rofeffor be$ SeterinärinftituteS bereit# 
an ber teotogiften gacultät immatricutiert. $)urt öier 3 af)re gibt er nun 
ba$ fettene ©taufpiel: oberfter Seiter feine# au$ge$eitneten 3 fnftitute#, 
actioer ©rofeffor ber Uniöerfität, praftifter 2lrjt, ©triftftefler unb jugleit 
«Jpörer einer Unit>erfität#bi#ciplin $u fein unb babei in allem fit auSjuaeitnen, 
benn aut feine tfjeologiften ©jamina Waren »eminenter«. 2Ba$ tn $u biefen 
©tritten, was tn $um Opfer feiner ©teflung bewogen, tjat er nie oerraten. 
Siur oon einer ©rfteinung wiffen wir, bie in biefer £eben$periobe 
bebeutjam unb teitweife beftimmenb eingriff: bei einem Sobfranfen traf er 
ben natmaligen ©eefauer Siftof, Unioerfitätäprofeffor P. Stoman 3 äugerle 
O. S. B., unb biefer führte ü)n $u P. ©lemen$ SRaria £ofbauer. Stun tritt 
aut Seit in ben £ofbauert rei#: ©tteget, SBerner, ©ttoffer, Klinfoioftröm, 
SRablener, Staufter u. f. w. #ier lernte er aut ©ünter fennen unb lieben, 
ben natmatigen ©fjilofopljen, ben ^ofbauer jum ©rieftertljum gebratt 
haben foü. $ier aut ben Stübern Stnton unb ©eorg ©afft) befannt 
geworben, grünbete er mit tuen auf ^ofbauer’a unb 2 Berner'$ Statt) bie 
SSotenftrift „Ölzweige", bie, 1819 bi$ 1823 erfteinenb, öiel $ur fitt* 
titen £>ebung be$ SSolfe# beitrug unb jefct not m gutem ©ebenfen ift. 
Seit war oiet unb gern bei §ofbauer, er war aut ber beljanbelnbe 2 lrjt 
in beffen Iobe$franteit. £ofbauer tjat tn $war nitt jurn ©rieftertume 
berebet, aber gerabe ifjm haben wir ©eitf)'# ©igenart al$ £>omilet gu bauten. 


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474 


Nbolf Qnncrfoflcr. 


benn nach Seitt)'« eigenem ®eftänbniffe mar e« Hofbauer'« täglicher, nach* 
brucf«ooßer Spruch: „$a« Soangelium muf« ganj neu geprebigt merben", 
bcr e« ihm antfjat; unb unftreitig ^at e« ber Einbrud, ben ^ofbauer auf 
ihn machte, bemirtt, baf« Beith, mie er fagte, „ben 8 ?eft feine« Sebeit« 
fich mit bem befd&äftigen unb für ba« arbeiten moßte, rna« allein emig unb 
alfo allein mistig ift", baf« er bie SBelt oerlieft. 1821 lieb er fich feiner 
Steflungen entheben, mürbe am 26. äuguft jum ©rieftet gemeint, am 
16. September al« SRebemptorift „eingefleibet" unb primicierte am 17. Sep* 
tember. Ein 3a^r fpäter (1822) leiftete er feine ©rofef«. 

ßunäcöft trat er al« ©chriftfteßer mieberum in bie Öffentlichfeit. 
1823 erfchien fein „$enfbüd)lein Dom fieiben Ehrifti". 3n Sorm Don 
Betrachtungen für jeben lag ber Saften, finb e« ernfte, gemüth«tiefe 
Ermägungen über ba« Seiben be« H errn mit ergreifenben Stufforberungen 
pr Entfagung unb Selbftaufopferung; mof)I ber 2 lbglan§ ber Seelenerfahrungen 
©eith'« in ben erften 3oh re n feine« Drben«leben«. Unb 1823 gab er mit 
SBerner auch bie „Balfaminen* h c ^u«, in bereit Er$äf)Iuttgen unb Stuf^ 
fäfeen er ein ganj neue« ®ebiet religiöfer Schreibart $u pflegen begann, eine 
s lixt „religiöfer ^umoriftit", mie SBerner'« Biograph fie nennt. 

Sluch al« SRebiciner mar er mieber thätig. Eine gelungene Eur an feinem 
©ruber Elia« mie« ihn auf Salomon £>af)nemann, unb Don bafjer batiert 
e«, baf« er auch in ber Homöopathie $u ben Sebeutenbften $äf)lt. Er trat 
in perfönlichen ©erfehr mit H°hnemann, marb SRitglieb ber fjomöopathifchen 
©ereine Don ©alermo unb Baben, hoch baute er fich auch h^ r *n fein eigene« 
Spftem. Wientanb bitrfe au«fcplief 3 lich 2 lßo=, Hbbto* ober Homöopath fein. 
3ebe ßRethobe höbe ihr SBirfung«felb je nach 9lrt ber Sranfheit unb be« 
fRatureß« be« ftranfen. S)ie Homöopathie fei epochemachenb für bie SBiffenfchaft 
ber SRebicin, meil fie gegen bie einfeitige ©flege bcr 2)iagttoftif unb ©atf)o* 
logie energifch bie michtigere X^erapic betone unb bie 2lpotf)efe mit Dielen, 
leichten, einfachen SRittetn bereichere. $lber einfeitig märe e« auch Don ihr, 
fdaDifche $ofi«regeln unb „Sdjüttelgeifter" einjuführen, e« miiffe hoch auch 
bie $ofi« nach ftranfljeit unb St'ranfem fich richten. Er fteßte fich fogar 
eine berartige Slpothefe jufammeit mit H^f e ber Saiettbrüber feine« Eofleg«, 
unb jn erprobter ©raji« unb 511 feinen 91nficf)teu fant er burch bie reiche 
Gelegenheit, bie il)m jit H a uf c unb namentlich auf SRiffionen geboten mürbe. 

Toch feine H ail P t:r / ja 2eben«thätigfeit ift Don nun ab ba« ©rebigt* 
amt. 9Rit P. äRablener unb fünbereit gieng er nach Dberfteier, mo bie 
erften unb größten SRebemptoriften^JRiffionen gehalten mürben, fpäter bann — 
um bie ©oofianer $u belehren — nach Dberöfterreich- 3 « SBien prebigte er 
( yimeift in 9Raria=Stiegen. Unb ba mar e«, mo er 1826 feinen Stuf eine« 




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$r. gopanne« Emmanuel Seitp. 


475 


großen Homileten gewann. ^pier jeigte e« fid^ jum erftenmale, wie er nicht 
bloß bie grauen, fonbern noch mehr bie SRänner anjog unb bie Sirene bi« 
auf'« le^te Släpchen füllte. Slthemlo« laufdjte alle« bem Keinen, ^äf^licßen 
Wanne bort auf ber Raitjel. ®leich feine erften SBorte feffelten. ®r begann 
jumeift mit einem paefenben Silbe, ©leic^niffe ober „©efchichtchen", ba« 
bereit« ben ganzen gnhalt ber Sßrebigt fpmbolifierte. ®egenftanb unb Steile 
ber Srebigt waren fobann gewöhnlich in irgenb ein Silb gefleibet. @o hatte 
er fidj (1826) „$ie SeibenStuertjeuge" gewählt; unb ba Jagte er 3 . ©. 
über bie $>ornen!rone: „(Sine breifache ®ornenfrone trägt ber SRenfch auf 
feinem Raupte, öon ber ihn ber bornengefrönte £eitanb entlebigen möchte: 
eine au« Xifteln unb Kletten, ba« finb bie ®ebanfen unnüper Steugierbe; 
eine au« Srenneffeln, ba« finb ©ebanten unb Segierben ber Unreinheit, unb 
eine au« oertuirrten ©chlehbornen, ba« finb bie unnüpen ©ebanten unb 
Sefümmerniffe um jeitlicpc ©üter." ®ie entfprechenben 8 eben«fituationen finb 
auf ba«. pacfenbfte, greifbarfte gefcpilbert. ©teilen au« ber heiligen Schrift 
werben nicht $u bloßer, troefener 93ewei«fiihrung ungezogen, fonbern ftet« 
organijeh in bie Sßrebigt oerwoben, meift 3 U ergreifenben ©chilberungen. 
3Ba« er theoretifch au«einanbergelegt, muf« ein überrafeßenbe«, feltene« 
Seifpiel au« ber ®efchichte, eine Slnefbote, eine Sieben«beobachtnng auf ba« 
lebenbigfte jufammenfaffen, oerbilblichen, ergänzen unb bem £>örer einprägen; 
unb ba finb befonber« meifterhaft feine unerwarteten, felbft ba« S'leinfte 
erfläreitben Slu«beutungen folcher Seifpiele, woburch fic eigentlich 3 U einer 
s 21rt Allegorie erhoben werben; auch finb fie mit feinfter ^Berechnung auf ba« 
©emüth be« Zuhörer« eingefügt: entweber am Slnfang, ihn 51 t feffeln, ober 
mitten, meift nach uufrüttelnben, erfchütternben ©teilen, um ba« ©emiitl) 
be« ^npörer« burch ruhige (Stählung wieber aufathmen 3 U taffen unb 311 

neuen ©inbriiefen 3 U befähigen, ober gegen ©nbe, bie anjurathenben £ilf « 5 
mittel barjulegen; bann fchließt benn faft jebe ^Srebigt mit ergreifenben 
©ebet«worten, unb in ben erften fahren folgten auch noch txn b öar ®crfe. 
geber ©egenftanb erhält feilte eigene, paefenbe gärbung: halb ift e« feiner, 
oft farfaftifeper £mntor, halb erfchütternber ©rnft, bann wieber weiche, mit* 
leib«üofle SBehntuth, bie er feinen ffunftwerfen einjuhattchen weiß. 

©0 h°tte er ba« Snblifum fo^nfagen in ber $anb. SUte ^ßriefter 

erzählten, baf« fie felbft $euge gewefen, wie er 3 . ©. einmal burch bie 
einfache ©chilberuitg plöplicher ©nttäufchung eine« ©e^halfe« bie ganje 
•^uhörerfchaft 311 m Sluflachen gebracht unb gleich barauf faft Men bie 
Ih^önen in« 2luge gelocft. Unb hoch War in feinem Sortrage nur bie 

flare, geiftreiche ©etonung feffelitb; 3 U ©eften hatte er abfolut feine Anlage, 

auch erfchwang er fich nie bi« 3 um Satho«. SBa« bei ihm feffelte, war 


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476 


äbolf ^nnertofler. 


nur ber (Seift. ®r bereitete fid^ aber auch mit allem gteifee oor, benn ba 
itjm bie 9Rittel oerfagt feien, miiffe er fich nur „auf$ 3*^9 Perlegen", 
äugenjeugen erzählten, toie fie if)n in ber 93ibliotf)ef trafen, auf bem ©oben 
liegenb, ring£ mit aufgefchlagenen Solianten umgeben. 2(u3 ben ^eiligen 
Vätern, au3 Segneri, ©ngelgraöe, ©trabe, ©tanifjurft u. f. tu., fotoie aud) 
ftetä ait$ beit befferen ber iteueften ©chriftftellcr hoffe er fid) beit ©toff; feine 
3Bettge)d)icbtc, fein ©pecilegium, feine Slnefbotenfammfung blieb unburchfucht, 
fein au3ge$eid)nete£ @ebäd)tni$ unterftüfcte if)n, feine hohe Silbung betoaferte 
ibn uor Xänbelei: e§ galt ibm ba3 $üd)fte, ba§ 3 eitgemäfecfte $u treffen, 
aber ancb mit einem feffelnben ©etoanbe $u umfleiben, ben abftractcn Stoff, 
tuie er fagte, „epifefe ftu gcftalten". äber ooit allem ba3 SunftboUfte ift 
bie 3 u föntmenfteüung feiner Etjflen. 6 r burd)bad)te ficb feine Stoffe fo 
lange, bis er ein eiuheitlid)e* ©an^eS getoann unb boeb toieber jebc Vrebigt 
für fid) ein ©anje* blieb. 3a in ber ©ingangäprebigt $u ben „Seihend 
tuerfyeugeit" tuerben eigentlich bie ©runbriffe ju brei ßpflen über beitfelbeit 
©toff auäeinanbcrgclegt. s 2 ln^gefiibrt aber ift: bie £eiben3toerl$euge finb eine 
Vilberfchrift, bie ©otte 3 SKiiben für —, unb ber SRenfdjen Sträuben gegen 
bie Rettung unferer Seelen barftedt; bie breifeig ©ilberlittge bezeichnen, ben 
Vrei$ ber Seele, bie Laterne: bie toaferc 2Bei3fjeit, bie Vanben: bie s JJfli(feten, 
ber «frnfen: ba* ©etoiffen, bie äugcnbüHc: bie ^Religion, baä toeifee ©etoaub: 
bie ©djulbcrgebung, unb bie ©cifeclu: bie bcffernbeit Strafgerichte; aber 
mir ftellen bem fo üiele ^emmniffe entgegen: bie Toritenfrone ber ©cifte£* 
zerftreutheit, ba* Sd)ilfrof)r unferer SBiHen^fcfetoäcfee, ba3 2 Bafd)bedcn unferer 
©cmiffen^feeucfeelei, ba£ Sfreuj unferer 5ötberfpenftigfeit, ben ©aUcttfelcf) innerer 
Verbitterung, bie 28itrfel fpielenben 2eid)tfinn£, beit Scfetoamm innerer 
„Verfonberuitg", ber ©ottlofigfeit, feelfen fönnen ba nur noch bie 
fieben Scfetocrter ber ©d)nter$en 3 fönigin, fonft brobt ber Untergang, unb ben 
oerfinnbilben: 2aitzc, ©rab unb Siegel. ä$abrfd)einlich toar e3 ber Erfolg 
unb ba£ Trängen feiner 3td)örer, toa3 il)it betoog, feinen erftett St)flu» 1826 
and) in Xntd 511 geben; unb oou nun an blieb e£ ibnt ftetjeube ©etoofenfeeit, 
ben Et)flu3 juerft fid) auSjubcnten, furz ju {fixieren, bann zu galten unb 
ben gehaltenen nun „and; für* äuge jujubereiten" unb nach forgfältiger 
^urefefeitung in Trud 511 geben, Sreilid) fotl bie Seife auefe bei if)nt diel 
00 in 01a nje be£ gesprochenen 3Borte3 meggefegt haben, äuefe biirfte e3 001 t 
biefer SRebaction herfontmen, toemt ihm mancher oortoerfcit ju ntüffen glaubt, 
feine s #rebigten feien 511 toeitig praftifefe. Tenn er fdjciut hier bie praftifefeen, 
in* Einzelne gefeenben ätttoenbungeu toeggelaffen 511 haben, oermuthlidj, toeil 
eine gebntdte Vrebigt unioerfetl fein miiffe, praftifdje äntoenbungett aber 
nad) Drt unb 3eit fid) änberten unb bafeer nur bei ber gehaltenen ihren 


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$r. gohanneS (Emmanuel S3eith. 


477 


gan$ paffenben $lafc Ratten. — ®aS mar feine Slrt $u arbeiten, baS fein 
Stil, ©o mürbe Seith nicht fo fehr populär als intereffant, feffelnb, 
anregenb. SRur in ber ©toffmahl h a * er fid) fpäter geänbert, unb ber 
geänberte ©toff, ©peculation unb baS Sitter malten feine testen SBerfe etmaS 
abftracter unb etmaS fernerer üerftänblid). 

®er fich mehrenbe Sefuch ber SHrche „2Raria am ©eftabe" (SRaria 
Stiegen) überhäufte bie SMreS mit SeelforgSarbeit. 3)aju tarnen SRiffioncn 
in ber ©teiermart, ©eelforgSauShilfe öon grohnleiten aus. 1827 ^atte er 
mieber bie gaftenprebigten. Gr befjanbelte eigentlich ben gleichen ©runb* 
gehanten mie im SSorjahre, nur nahm er jefct jur Gintleibung bie „SBorte 

ber geittbe S^rifti ^ (gebrueft 1827). geben Spruch eines geinbeS gefu 
beutet er als SBort ber Süge, momit ©atan uns lodt, finbet in ihm aber 
auch lieber eine SBeifung auf baS SBort ber SBahrfjeit, momit baS emige 
SBort ititS retten möchte. 1828 befprach er ben Dpfertob gefu an fid), 
a(S friebenbringenb ber ganzen SBett; er beleuchtete bie gbee beS Opfers 

nach allen SSejiehungen. ©o entftanb baS ©üchlein „®aS griebenSopfer", 

gebrudt 1828. 1829 griff er einzelne ©eftalten ber ^JaffionSgefchichte 

heraus: s $etruS, StaiphaS, ^ßilatuS 2 c. . . . fie mürben ihm ju Silbern 
beftimmter Glaffen unb Serhältniffe: „SebenSbilber aus ber ^affionSgefchichte", 
1829 gebrudt. $abci gab er 1828 mit ©ilbert auch baS h^miletifche SBer! 
„$er Sote üon Jericho" heraus, üeröffentlichte ein im ©eifte unb ©tile beS 
IhomaS a ÄempiS gehaltenes ©ebetbuch: „gefuS meine Siebe", unb ju allebem 
tarnen noch üiele £unberte, bie ben berühmten Seit!) auch xn leiblichen SRöthen 
ju ärztlicher $ilfe riefen. Gr ftanb auf einem gelbe reichfter Ihätigteit. 

Xrofcbem trat er 1830 aus ber Gongregation ans. ©ein Gintritt mar 
überhaupt mehr ein ©chritt ber Segeifterung als beS mähren SerufeS. Sind) 
einer beglaubigten Nachricht hat ih m fä on p - |>ofbauer gefagt: „$u mirft 
eintreten, aber mieber austreten." $ie eigenthümliche ©eifteSanlage Seith'S 
mar mit bem flöfterlichen Gommuneleben ferner üereinbar, mie bie fcharfe unb 
fluge SRenfchenfenntniS P. $ofbauer'S üorauSfaf). Sille anberen GrftärungS= 
oerfuche finb überflüffig. Gbel, mie er mar, hat übrigens Seith auefy nach 
bem SluStritte nur Siebe unb Sichtung jur Gongregation gehegt unb ihr 
folche SBohlthaten ermiefen, bafS er üon P. ©eneral äRauron fogar junt 
Oblaten ber Gongregation anfgenommen mürbe. 

®ie bamalS (1828—30) üon $r. $abft in einer „Sorfchule zur 
fpeculatiüen Xheologie beS pofitiüen GhriftenthumS" unb in „3)er ÜRenfd) 
unb feine ©efdjichte" bargelegte GreationS* unb gncarnationStheorie griff 
Seit!) auf unb legte biefe gbeen, als er 1830 mieberum bie gaftenprebigten 
hatte, benfelben ju ©runbe. ©o entftanb fein GpfluS über „$aS Saterunfer 


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478 


Nbolf ^nitcrfoflcr. 


unb 9loe". Daä ©ebet ift ihm ein Spmbol be£ Greatiani&nuä; in ifjm befennt ba$ 
©efchaffene fein Slbhängigfein öorn Ungefchaffenen, unb barin liegt ja bie 
eifte, bie 2 Bur$elmahrheit einer richtigen 3Beltanfchauuug, baher umfaßt auch 
ba 3 Saterunfer, ba3 äRuftergebet, „alle ©efilbe ber ©laubenSlehre unb ber 
fittlidhen SBa^r^eit". ©emif$ ein großartiger Stoff, unb if)n l)omiletifcß 
populär ju machen, ein gemaltigea Unternehmen. Gr lehrte in ihm nicht 
gerabe bie neuen Sbeen, aber er behanbelte ihn oon beren Stanbpunfte au£. 
3hn mochte bie oertiefenbe Slrt anjiehen, moburch bie neuere Sichtung in bie 
Dogmen ein$ubringen fuchte. Slnberen, namentlich feinen S lofteroberen, erfcßien 
bie Sichtung’ etma3 oerbächtig, meil rationaliftifch- Das mag auch ber ©runb 
gemefen fein, me^halb er ben Gpfluä: „Da3 Saterunfer" erft nach feinem 
Sluätritte, al£ Gooperator ber s ßfarrfirche „$u ben neun Gfjören ber Gngel" 
(„am £>of") herausgeben fonnte. Seine neuere, fpeculatiöe Sichtung jeigte 
fogar auch baS ©ebetbud), ba£ er bamals brucfen ließ unb „GrfenntniS 
unb Siebe" betitelte. 

3 n ber Sfarre „am ^pof" hielt er 1831 auch jenen CplliiÄ, ben 
Siele für feinen beften unb oollenbetften halten: „Die heiligen Serge" (gebritcft 
1831). Deutfche Sefebücher bringen gerabe aus ihm 9Jtufter ber Seitlichen 
Srofa. „G$ mar eine ebenfo originelle, mie h oc hpoetifche 3bee, bie £öf)en* 
punfte ber Gntmicflung be$ alten unb neuen SunbeS an bie SergeShöhe« 
51 t fnüpfen, melche ber Schauplafc biefer Dhatfadhen maren, unb fo bie Ser* 
tettung ber £>auptjachen ber DffenbarungSgeichichte burch baS Silb jener 51 t 
einer Sette uerbunbenen Serggipfel 51 t öeranjchaulichen." (2öme*Seith S. 122 .) 

Damals jeigte fid) aber auch ber geniale 9lr$t. 3m ^erbfte 1831 
erfchien bie Gholera. Übergroße Slngft unb Sermirmng ergriff baS Soll. 
Grft nüfcte Seith feinen GinflufS als Sriefter: er hielt 511 St. Stefan eine 
maffenhaft befueßte unb fogleich im Drucf oerbreitete Srebigt: „Die Gholera 
im Sichte ber Sorfehung"; barin marntc er auch öor $u großer Slngft unb 
befonberS oor gemiffen Glementen, toelche, bie Aufregung nüfcenb, Slifstrauen 
unb Unorbnung fäen möchten. Dann griff er felber ein. 125 Gholevafranfe 
nahm er in Sehanbtung, 122 rettete er — burch feine Homöopathie. Sein 
Suf muchS berart, bafS er fogar tum ber baperifchen Segierung um Sath 
befragt unb öeranlafSt mürbe, feine Slbpanblung: „Die Heilung unb Srophpla^iS 
ber afiatijchen Gholera" (Hamm, Schmal^fche Sucphanblung, 1832) $u fchreibeit. 

©erabe feine ^Srebigt über bie Gholera mag eS öeranlafSt haben, bafS 
er einen Slonat fpäter bereite Domprebiger oon St. Stefan mar. Seith hatte 
abmechfelnb mit bem anbern Domprebiger im einen 3ahre bie Sonntags*, im 
anbern bie SefttagSprebigten ju halten. Gr fuchte jebe Serifope in einer 
originellen, überall neue ©efichtSpunfte eröffnenben SBeife, mit erfchöpfenber 


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$r. gobanneS (Emmanuel ©eith. 


479 


©enüfjung ber eintägigen Duellen $u bemänteln. gm gah*e 1835 lourbe 
ftaifer granj begraben, unb ©eith Ijatte bie Aufgabe, bei ben brei lobten- 
feiern bie ©rebigten $u galten. Sie tourben int gleichen galjre gebrueft al 8 
„ s 2luftria3 Irauer"; ©eith oerftanb e$ barin meiftertjaft, ben obligaten 
©aneghrifuä mit toafjrer ©rbauung $u burchbringen unb ju abetn. (Er 
übernahm auch fünfmal bie gaftenprebigten; baburch entftanben bie Sücher: 
„$ie ©arabel oom üerlorenen Sohne" (gebr. 1837); „2)ie ©amaritin" 
(gebr. 1838); „$)ie ©rloecfung be$ 2a$aru8" (gebr. 1842); »Mater dolorosa« 
(gebr. 1844); „$ie Teilung be 8 ©linbgebornen" (gebr. 1845). Sludj ^ier 
fafate er jebeä 2 ^ema in foeltljiftorifdjer ©ebeutung. gn ber ©arabel oom 
oertorenen ©ohne $. ©. erflärt er ben jüngeren al 8 ba3 ^eibenthum, ben 
älteren al 8 ba3 gubenthum. 3 um ßpflua „$ie Teilung be 8 ©linbgebornen" 
machte er eiitgebenbe ©tubien über ba$ SBefen be3 Siebtes; „e3 ift loohl 
überall ©eiouf$tfein 8 ftrebung unb loirflicheS ©eioufatfein bamit gemeint"; 
511 m ©runbgebattfen loählte er fich baher: 6 ^riftu 8 Ijat ber SBelt nicht 
blofe ba3 Sicht gebracht, fonbern auch bie gäfjigfeit, ba 8 Sicht $u fefjeit. 
Unb in ben 12 ©orträgen über bie Mater dolorosa befpracb er nicht 
allein bie fieben Schmerlen 9Rarien$, fonbern bie Mater dolorosa al3 Sentrum 
ber fchmerjenreichen äRenfchenioelt, al 8 äRutter gefu, be 8 leibenben $aupte£ 
ber URenfcbheit; al3 äRutter ber SRenfcben, al 8 ancilla domini; al 8 ©orbilb 
ber grauen; al3 SBegioeiferin, SBecferin, Xröfterin; in ©ejiebung geftellt 
ju ben ^auptfäd^Iic^ften ©erbältniffen be3 9Renfchenleben3; unb er befjanbelte 
ben ©toff fpeculatio, pfpchologifcb, bogmatifch, boeb fo, baf£ ba$ p^itofop^ifc^e 
©erüft ganj im gleifcb unb ©lut be 8 ©emütblebenS oerborgen blieb, b. b. 
er fleibete e$ in feine feffelitbe „epifdje" gorm. — greie SWinuten nüpte 
er ba^tt, einzelne gbeen auch in nooelliftifchen (Stählungen feftjubannen; unb 
unb al£ ihm einft ein gebrüefter gamilienoater feine SRott) flagte, fammelte er 
biefe (Stählungen in brei ©änbdjen unb fünfte ihm ba 8 SRanufcript, ba 8 
hierauf 1834 al3 ^©rjählungen unb £mmore 8 fen" gebrueft lourbe. 1841 er= 
fdjien eine ähnliche Sammlung, $loei ©änbehen „(Stählungen unb fleinc 
Schriften". SRitter oon gührich h attc lounberbare geber$eichnungen üoit ben 
©eheimniffen be 8 9iofenfran$e8 gemacht; ©eith lourbe um einen erflärenben 
gebeten; berfelbe erfchien im ©rachtioerfe: »Rosa mystica« (1844). 
$ och fonnte ©eith auf bie $>auer nicht mehr ben 5lnfturm ber Arbeit 
beftehen; er erhielt auf feine ©itten bie (Enthebung oon ber 5)omprebigerfteüc 
(1845), blieb aber in SBien, jufrieben mit ber targen ©enfion oon 
800 fl. ^loeimal hatte er einen SRuf nach äRünchen an bie Unioerfität 
erhalten, beibemale toie£ er ihn ab (1835, 1838). 1846 tuarb ihm fogar 
ein Sanonicat oon greiburg Sngeboten, auch lehnte er ab. SRur bie 


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480 


2lbolf Snncrfofler. 


Ernennung jum ©jrenbomljerrn Don ©aljburg nahm er an, melche ihm fein 
©önner unb Serefjrer, Earbinal ©chmarjenberg, „für bie Serbienfte, 
bie Seitb um bie fatf)olifd>e Sitteratur fich ermorben", Angeboten ^atte 
(1847). Unb bie gacultät oon ©rag (1848) unb fpäter bie gacultät bon 
SBien (1851) ernannten ifjn $um $octor ber Geologie, lefctere zugleich mit 
ihm auch feinen greunb ©üntljer. 

$lber gerabe in biefer SebenSperiobe, in ber -,8eit ber SRuhe, tyat er 
eine S^ätigfeit entfaltet, bie mof)l jefct noch in Öfterreich fortmirft. ©elbft- 
berftänblich mar er ein gefugter unb biel gelabener geftprebiger für ©rimi$en, 
©atrojinien, SereinSfeiern u. f. m. $ie ©rebigten erfchienen bann gemöbnlich 
in EinjelauSgaben, j. S. „®er Siebe ©efefc unb 9J?a&", bargeftettt an ben 
Statuten beS SfranfeninftituteS für VanblungScomntiS. Sluch hatte er bereite 
1846 für bie Kirche „am £of" bie gaftenprebigten übernommen. Sr moflte 
faft ein ©eitenftüd ju feinem EpfluS „StoS griebenSopfer" aufammenftetten, 
jenes bebanbelte baS KreujeSopfer, t^ier nahm er fich junt Sormurfe beffeit 
gortfefcung, baS 9J?efSopfer. 9J?an f)ört ihn baS erftemal Hagen, bafS ihm 
bie ^omitetifc^e Arbeit nicht mehr recht „Dom glede motte"; trofcbem Ratten 
bie ©rebigten groben Erfolg unb mürbe baS Sud) »Eucharistia«, in bem fie 
ben Sommer barauf erfchienen, fetjr biel unb gerne getefen. 

gür 1847 mäbfte er fid) als gaftentfjema bie Slpoftelgef Richte unb 
fdjilberte bie grobe SBirffamfeit ber 2Ipoftel ©etruS unb ©auluS, mie fich 
beibe gegenfeitig ergänzten unb fo bie beiben ©runbfäulen ber fattjolifdjen 
Sirene mürben; in ®rud gab er ben EpfluS erft 1849 fjerauS als „S)ie Säulen 
ber Kirche." 3m Übrigen bermenbete er bie gröbere 9Rufje, feine „bomiletifdjen 
Sorrätpe aufjuarbeiten". Er fuc^te fich früher gehaltene, noch nicht gebruefte 
©rebigten ^ufammen unb oertbeilte fie auf bie ©onn* unb gefttage im gabrc; 
auf bie meiften fielen $mei bis brei ©rebigten, melche ben ©ebanfen beS 2ageS 
nach betriebenen Stiftungen Harlegten. 1846 begann er mit ber Verausgabe 
unb 1855 brachte er ben fiebenten, ben ©cblufSbanb ber „Vomiletifchen 
Sorträge für ©onn* unb gefttage" in bie Öffentlichfeit. 

®ie ©iebt hatte ib« fo fränflid) gemacht unb faft benfunfäbig, bafS 
er für 1848 $mar gaftenprebigten annabm, aber eigens ein leichteres, nicht 
oiel ©tubium erforbernbeS $b cnta fwchen mufste. Er mäf)lte ben ©falm 
»Miserere«, gab aber borläufig ben EpfluS'nof nicht in 2)rud. Xof mar 
eS gerabe baS 3<*b r 1848, in bem er feine mirffamfte Xfjätigfeit begann. 
ES mar bie SRebolution. $ie Autorität, ja alle pofitiben JRächte fchieneu 
5 U ftürjen. $a mar eS Seitb, ber mit mehreren ©rieftern unb Saien ben 
ffatholifenberein grünbete unb fo baS erftemal in Öfterreich bie Katljolifen 
gegen bie Umfturjmächte organifierte. Sr hitft in aßen Sejirfen ber ©tabt 


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£r. geranne# (Emmanuel 93eith* 


481 


eine Slngal)! üon Sonferenjreben. 9Jtit Xr. Sec! gab er bie SBodjenfcfjrift 
„Slufmärt#" h crai *3, bereu £auptartifel au# feiner geber floffen; unb al# 
auch fie mit aßen übrigen Organen be# 9teüolution#jahre# behörblich verboten 
mürbe, fejjte er bereit Xenbenjen in bem 1849 gegrünbeten „Dfterreichifchen 
S3olf#freunbe" fort. Unb um in ber allgemeinen Sermirrung nicht auch bie 
lefcte Orbnung erhaltenbe unb Orbnung fchaffenbe SRacht, bie ^Religion, 
fchminben gu taffen unb namentlich bem beginnenben Xeutfchfatholici#mu# 
enigegengutreten, fyelt er mehrere maffenhaft befugte, überau# mirffame 
Sonferengprebigten über bie ®runbmahrheiten be# Satholici#mu#. 9J?an bropte 
ihn üon ber Sange! gu fließen, er pidt aber unerfchrocfen Stanb. Xurcp 
aß bieö mürbe er ber aJiittet- unb #altepunft be# bamaligen Söietter ßleru#, 
ma# biefer auch tücfpaltlo# anerfannte, inbem in jenem gapre ber SBiener 
Sleru# unter ©ebaftian Srunner'# Rührung ihm eigene einen filbenten 
Sprenfelcp überreichte. 

Unb al# bie SReüolution üorbei mar, nüfete er noch feine gange Autorität, 
Härenb mitgufpreepen, inbem er bie melterpaltenbe, meltgeftaltenbe SRacpt ber 
Steligion naepmie#. ©elegenpeit bot bie gaftengeit be# gapre# 1849. Xa# 
©hriftentpum allein gibt greipeit, Orbnung, Seftanb in ber SBelt. Xiefen 
©a$ beleuchtete Seit!) burch ©eenen an# ber ^Saffion, in beien ©chilberung 
er genial ba# Silb ber Strömungen be# lebten gapre# gu geben muffte. 
£ier finbet fich auch bie claffifche Sertpeibigung ber ^Berechtigung folcher 
^rebigten. Sin gube patte im „greimütpigen" SSeith befepimpft, unb auch 
anbeve Slätter betonten ben©afc: „Xie Solitif gehört nicht auf bie Sangef, 
bie ©eiftlicpeu foßen beim Satecpi#mu# bleiben." ©ebaftian Srunner fchrieb 
eine in üiergepn lagen gmeimal aufgelegte Slntmort: „Sremfen für ben 
greimüthigen" unb im folgenben 3apre: „Sänget unb Solitif für Xr. Seitp'# 
greunbe unb geinbe" (1850). Seit!) felbft fagte auf ber Sauget: „3a, bie 
©eiftlicpen foßen beim Satecpi#mu# bleiben; aber e# gibt einen Heineren unb 
einen größeren; ber Heinere ift für bie Sirfber, ber größere aber für bie 
Srmacpfenen unb umfaf#t afle#, ma# beffernb ober üerfcplecpternb in# äRenfcpen* 
leben eingreift, alfo auch ben focialenSerfepr." Unb unerfchrocfen üerurtpeilte 
er am 28. äRärg bie blutbiirftige griüolität ber SReüolution, in ber Xraucrrebe, 
bie er bei ber Xobtenfeier be# 1848 gelpncpten äRinifter# Satour hielt. Unter 
bem Xitel: „SBerf ber Sühnung" veröffentlichte er fie erft im „Solf#freunb" 
unb gab fie bann al# Slnpang gu ben feep# gaftenprebigten perau#, bie er 
al# „Sßotitifcpe 5ßaffion#prebigten" (1849) bructen ließ. Xenfelben ©ebanfen, 
ben jene gaftenprebigten behanbetten, befpraip er no<h einmal in ben gaften be# 
Sapre# 1850, boch niept bloß üom üaterlänbifcpen, fonbern t>om aßgemeifr 
menfcplicpen ©tanbpunfte au#. 3lu#gepenb üon ben SBörtcpen: „geh bin, ich 

Äultur. III. 3aljrg. 6. unb 7. $rft. (1902.) 31 


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482 


SIbolf Qnnerfofler. 


miß, id? habe", fc^ilbcrte unb richtete er bereite barnate ben brobenben 
©ommuntemuS. SSJie einft Sären über bie Knaben ^ergefaüen feiett, bie ben 
nach 3erufalem jieheuben ©lifäite berfpottet hatten, fo fei ber ßontmuntentite 
ber 93är, ber über bie s ßriefter= unb 9teligion3fpötter plöfclicb ^ereinbrec^en 
merbe. $iefer auch jefet noch actuefle ßpflua erfc^ien 1850 ate „SBeltleben 
unb ©hriftenthum" (1849 hatte er auch Diele feiner Öeftprebigten rebigiert 
unb unter bem Xitel „3eftprebigten" Deröffentlid&t). 

@o enttoicfelte ber faft taub unb halb blinb geworbene Homilet eine großartige 
fociale Xf)ätigfeit. Snjmifcben beftürmte iljn fein ©önner ©arbinal ©cbmarjen* 
berg, ju ihm nach s #xa$ ju jießen. ©r luotjute im erjbifcßöflicßen Malate, unb 
fein £auptmirfen mar auch jefct, ßoße Sefte burdj fein |>omilien ju ergeben, 
Sonferenjen ju halten, auch mürbe er um ©jercitien gebeten, unb jmeimal 
übernahm er gaftenprebigten. Slite feinem erften ©pfluS 1851 entftanb fein 
Sucß »Caritas«. 3n finnigen, padenben Seifpielen unb an bie ÖafteneDan* 
gelien anfdjließenben ^Betrachtungen feßilbert er bie Zeitige Siebe beS 3Renfcben= 
berjen3, oon meiner ©otteS Siebe ju un3 ermibert unb naebgeabmt mirb 
unb bic ficb gegen ©ott unb Sirene ate fireblicbe, gegen bie 9Jlenfdbbeit ate 
gefellige, in ficb ate felbftlofe, mabrbeitfuebenbe, im SebenSfampfe ate fieg* 
reieße, Treujtragenbe jeißt. — 1852 erflärte er mieberum ben $falm »Miserere« 
mie 1848 in ber Sirche „am |>of" ju SBien, unb bieSmal gab er ben Spfhte 
beraub unter bem Xitel: »Misericordia«. 3meimal burebbaebt, jmeimal ge* 
halten unb enblicb jum ®rud rebigiert, gehören biefe SSorträge mobl auch 
ju ben beften be3 genialen 9Ranne3. ®er $falm mit feinen an ficb lofe an 
einanber gereihten ©ebeterufen mirb ihm ein propbetifcbeä ©anje, in metebem 
ber Prophet Dormärte unb rüdmärte blidenb nicht bloß bie Rechtfertigung 
be3 einjelnen 9JJenf<ben, fonbern noch mehr be£ ganjen 3Renfcbengefcbiecbte$ 
befebreibt. 

Site ©jercitienmeifter nahm er feine Stoffe meift au3 ben ^ßfalmen, 
befonbete au£ »Beati immaculati in via« (118 $ßf.). ©erabe bie ©jercitien 
nun führten ihn oft nach SBien. ©o !am e3, bafö er 1854 bereite mieber 
einen gaftenepfhte in SBien, in ber Pfarre auf ber Sanbftraße, halten 
mufste. 3am S^ma mahlte er bie SBorte 3cfu: „3$ bin ber SBeg, bie 
SBahrheit unb ba$ Beben." 3Rit ihnen betitelte er auch im ©ommer barauf 
bie ganje SucbauSgabe ber SSorträge. SSeith befpracb juerft ba8 h^ebfte 8^1 
beä SRenfcben, ben SBeg unb bie ©ebritte, bie ju bemfelben führen; fobann 
ben SBeg ber Serberbnte: SBeg, SBabrbeit unb Beben, metebe bie SBelt an* 
preist; unb febitbert bann ate ©egenfafc ben SBeg beS SJtittlerS, bie SBabr* 
heit be$ SBirfenS in ihm, unb enblicb ba$ Beben in ihm im ®ie3feit£ unb 
Senfeite. ©ehr febmierig mar biefer Stoff nicht bloß „burdj feinen uner* 


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Zr. QohanneS Emmanuel SBcit^. 


483 


fchöpflichen gnholt, fonbern Oornehmlich burch baS gneinanberoerflochtenfein 
feiner brei Ztyilt“. — 1855 Ijielt er bie jtoölf gaftenprebigten §u ©t. Seter 
in SBien. Hier nahm er baS erftemal feinen «Stoff aus ber gaftenliturgie, 
maS er fpäter noch jtoeintat that. ®r befprach bie gtoöff Srophe 5 ien be$ 
(S^arfamftag^, bie er bann citf gahre fpäter in Zrucf gab unter bem Xitel: 
„^ßroptjejie unb ©taube". — ©anj toieber an SBien gefeffett mürbe er burch 
ein plöfclicheS Ungtücf. Eine zufällige ©rfättung raubte ihm nämlich ba$ ®e* 
hör faft ganj. ©r brauchte tägliche, tangmierige, tnüheooüe pflege, ba^u mar 
er in $rag boch ju unbefannt. 

Slber nun !am noch ein ©chlag: am 23. Gönner 1856 bie Serurtheilung 
beS ©üntherianiSmuS. Sei P. Hofbauer mit ©ünttjer befannt, burch beffen 
Siicher 1828/1829 fein greunb unb Serehrer getoorben, trat Seith namentlich 
als Zomprebiger mit ihm in ben innigften Serfehr. 3m Haufe beS Zr. ©tücfer 
unb in ber armen SBohnung beS Sriefterphilofopfjen oerfammelte fich oft ein 
ertefener Streik hochöebilbeter, h oc ^ft«benber SWänner: Zr. ©tocf, ©reif, 
Stof. SalmuS, Zr. Sapft, Seith u. f. m. $ier bitbete fich Seitt) feine philo* 
fophifche SBettanfchauung. Seiber hotten beibe mit ber Zoologie ber Soweit, 
inSbefonbere mit bem ftf- XhomaS fich nicht genug oertraut gemacht. äRandjje 
3bee ift gernifS auch Seith'S ©chirne entfprungen, unb oiele Strtifet ber Spbia 
fotten fo entftanben fein, bafS man ben Seitlichen unb ©ünther'fchen Slntheil 
fo menig auSeinanber fcheiben fönne mie ben Stntheit ©oethe'S ober ©chiller'S 
an ben Xeuien. 3m allgemeinen aber Oerhielt fich ®eith bloß attregenb unb 
poputarifierenb. — SttS nun oon 9?om bie Serurtheitung erfolgte, fam über 
©iinther juerft eine grofje Serfuchung. ®S galt nicht btofj SiebtingSgebanfen 
aufeugeben, er Oertor eigentlich fogar feinen SebenSunterhatt, ba er nur befafe, 
maS er fich erfchrieb unb nun ein neues gtujSbett fich SU Qtaben, fchon 3 U alt mar; 
fein Sebürfnis mar es, befonberS in phitofophifchcn Zingen auf bem Saufenben 3 U 
bteiben, nun fehlten auch bie SWittet, fich bie neueren Südjer 5 U oerfchaffen; unb 
jubem t^atte er feine ganje gorfdjung ja nur angefangen, um ben herrfchenben 
SantheiSmuS 51 t brechen unb ben Hegelianern, Hatfmrtianern, ©chctlingianern 
eine Srücfe jurücf jur SBahrheit ju bauen. Za mar eS nun Seith, ber juerft 
311 m greunbe gieng unb ihn jur Untermerfung bemog. Seith fefcte ihm auch eigene 
hänbig baS UntermerfungSfchreiben auf, unb StuS IX. fagte, nachbem eS ihm 
uorgelefen rnorben mar, jum ©eneratprocurator ber gra^iSfaner: „geh fenne 
fetbft hitr in 9tom feinen fathotifcheren SJtann als ©ünther in SBien." — 
3n bemfetben 3oh* e erfülle ber Sfotrer „am Hof“ Zr. ®*ith, bie gaften* 
prebigten in feiner ßirche 3 U hotten. 9tngefichtS ber erfolgten Serurtheilung 
glaubte Seith fich 9 anj surücfjie^en ju müffen; aber ©rjbifchof SRaufdjer, 311 
bem ber Sforrer gieng, erflärte, bafS Seith baS Srebigen boch nicht oer* 

31* 


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484 


9lbolf ^nnerfofler. 


boten fei, bafS er boeb getoif^ alles bermeiben merbe, ma£ Slnftofe erregen 
fönnte, Unb mie f<$on früher in „^ropbejie unb ©taube" gieng er auch bie£* 
mal einem SieblingSgebanfen nach, nämli<b ben ©runbgebanfen unb bie innere 
©ebanfenentmicflung au3 liturgifefeen Stebactionen berau^uforfeben: er maptte 
fidfj bie fed)$ ©bangetienperifopen ber fecb$ gaftenfonntage, berfnüpfte beren 
3npatt mit ben Kalenbernamen ber entfpreebenben Sonntage, b. b- ntit bem 
erften SBorte ber gntroituäberfe: Invocabit, Reminiscere, Oculi, Laetare 2 C. 
unb erlieft fo einen etmaä bagen, aber mefjr für bie praftifepen 8 ebürfniffe 
be3 cpriftticben Sebent fiep eignenben Stoff. $Rie mar bie Sirene biepter ge* 
füllt, unb allgemein mürben biefe Sßrebigten ju feinen befteu gewählt, fagt 
Söme (S. 254). 3m näcpften 3<*btt (1857) burcpbadfjte er fiep bann bie 
fed)3 5ßeri!openreif)eu ber fed)3 gaftenmoeben, tbeilte fiep benfelben entfprecpcnb 
jeben Bortrag auch in fecbS fünfte unb fcpilberte au3 bem fe<b$facfeen ©eficbtS* 
punfte ber Berifopen ©brifMS als Sobn beS äRenfcpen, Sobn ©otteS, Broppet, 
König, ^oberpriefter unb Dpfer. Seibe fiep entfpreebenben, titurgifcb s b°mi= 
letifcpen gaftencpflen berbanb er $u einem Sücblein, bem er, auf bie , 8 mölf* 
^apt ber im grübjabr gehaltenen Borträge anfpielenb, ben 9tamen einer im 
grübiabr blübenben ©artenprimulacee, „$obefatbeon" gab (erfepienen 1857). 
$atte er 1856 baS cbriftlicbe Seben, 1857 bie Berfon Sb r if*i besprochen, 
Bächlein unb Duelle gleicbfam alles &eitS, fo bebanbelt er 1858 in fecbS 
Borträgen nun beren ©egentbeil: „$ie SWäcbte beS Unheils", unb mobl 
um auf ben $auptfcbup gegen biefe äJiäcbte binsumeifen, liefe er mit ihnen 
berbunben 1860 auch fecbS feiner $rebigten über bie 9JluttergotteS bruefen 
unb gab baS Büchlein beraub als „®obefatbeon" mürbe $obe* 

fatbeon in feinen jmei Ib e ^ en too^I jenes SBwr! Beitb'S, baS am meiften 
ben blofe „praftifeben" Bebürfniffen ber ©haften ^Rechnung trägt. Doch trofc 
aller Berbienfte beS grofeen Homileten lag angeficfetS feiner 3beengemeinfcbaft 
mit ©üntber unb ber erfolgten Berurtbeilung beS ©üntberianiSmuS gemifS 
begrünbeter Berbadfjt nabe auch gegen bie SBerfe Beitb'S. 3m eimal untere 
breitete manfie baber ber 3nbejcongregation, 1858 unbl860. 
Beibemale mürbe nichts 3lnftöfeigeS in ihnen gefunben. Beitb 
mar eS eben gemobnt, feine Stoffe jmar aus ©üntberianifeben ©eficbtSpunften 
$u betrachten, aber er berflodfjt nur fetten fpecififcfe ©üntberianifefee Sbeen 
in biefelben. @r fcberjte fogar fetber, bafS feine greunbe über ihn böfe feien, 
meil er feine $rebigten Diel ju menig fpeculatib „berfalje unb verpfeffere". 

®aS mochte er nicht. ®r gab feinen Epllen obnebieS eine vielleicht 
nur adju miffenfchaftliche ©runblage. gür 1862 j. 8 . batte er bie gaften* 
borträge in ber Kapujinerlirche übernommen. ®r mahlte fich baju bie Stufen* 
pfalmen (119—133); ba er aber nur jmölf Brebigten batte, liefe er bon 


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Xr. 3(opanne$ Gmnmnuel ©eitp. 


485 


ben fünfeepit bcn 128.: »Saepe expugnaverunt me«, 131.: »Memento 
Domine David« unb 133.: »Ecce nunc benedicite Dominum«, bie opnepin 
befannteften unb flarften, au3 unb orbncte fiep bie übrigen frei nach feinem, 
ben .fterrn at3 Befreier au$ ©üttbe uitb Xrübfal fcpitbernben ©ebaitfenfort= 
fcpritte. Xa$u nun patte er fepon oor jtoei Sap^n (1860) feine ©tubieit 
begonnen, gieng auf ben Urtext juriitf unb ftagt fetber in einem ©riefe, er 
föitne niept oortoärt£ !omnten: „ber oielfättig oariierenben ©erftänbniffe ober 
Unocrftänbniffe megen, bie auS ben üietartigen Deutungen unb (maforetpifepen) 
©uuetationen ertoaepfen fitib" („3ttötf ©tufenpfalnten" gebr. 1862). Unb 
at£ er 1863 abermals bie gaftenprebigten in ber Sapu^inerfircpe übernommen 
patte, toäptte er fiep nieptä ©eringereä jum Xpema al£ bie Gintoürfe 
ber Waturtoiffenfcpaften gegen ben ©tauben. Auf feinem ©ücpertifdje toaren 
eben auep ftet3 bie neueften Söerfe ju finben, namentlich anep bie SSJerfe oon 
©roteftanten unb atpeiftifepen Sirepenftiirmern. Gr blieb auf ber SBarte ber 
3eit. 9?uit fap er, toie fiep gerabe bantate ein tteueä Antifreu$peer jufammen- 
•*og, ba* mit Anthropologie, ©atäontotogie, ©eotogie u. f. to. bie SRauern 
ber ftirepe breepen lootlte. Gr toäptte fiep bie erften eilf Gapitet ber 
©eneftö unb geigte in meifterpafter, oft fein farfaftifeper ©otemif, toie im 
toaprett ©egriffe ber ©cpöpfung, ber Gntftepung unb Gntmicflung ber 
materiellen 2Bett, ber ®enefi$', Art= unb Abftammung^Ginpeit beä SWenfepen* 
gefcl)lecpteÄ, ber Waffen* unb ©praepen*Xifferen$ fein toaprer SBiberfpruep 
jtüifcpen Dtaturioiffenfcpaft unb ©tauben oorfomnten fönne. 1865 erfepien 
biefer GpfluS als „Xie Anfänge ber s JJtenfepentoett" im Xrutf. 

G3 toar fein fester gaftencpfluä. Am 5. guti 1863 traf ipn auf einem 
Auffluge ptöfcticp eine Augenent^ünbung, bie $u oottftänbiger Grbtinbung füprte. 
Xod) gan$ bliitb, fepoit tauge faft ganj taub, 76 gapre att, oon ©iept unb 
Sd)mcr$en oerfriimmt, ein fteter ©efangener feinet 3immerä, tebte ber 
geifte^getoattige, toiIIen£ftarfc ©rei3 anep jefct itoep ein Sebcn ber erftauntiepften 
Arbeit. Gr erfanb fiep eine .ßufammenfteüung fltoeier fiineale, jtoifepen benen 
er mit ©teiftift fd^rcibcn foitnte. Gbte grauen napnten fidp be£ atteinftepenben 
©reifet an: bie gräutein Xfepiba, befonberä aber Antonie $önig beforgten 
feine teibtiepe ©flege; gräutein Suife SBeintritt unb namenttiep Anna oon 
.ftoffinger toaren feine fepriftfteflerifcpen ©epitfinnen; teptere ternte fogar 
eigene pebräifep. ©ie tafen ipm oor. ©ie entzifferten feine Stoti^en, feptugen 
ipm bie SSerfe ttad), fdjrieben feine Xictate unb beforgten bie 9teinfcprift ber 
TOanufcripte, Xrurf unb Gorrectur. 

So entftanb bie Aufgabe ber Gpflen: „Xie Anfänge ber SRenfcpen* 
toett" unb „©roppe^ie unb ©taube". Au3 ettoa punbert itoep ungebrudten 
©rebigteit toäptte er 37 au£, toetepe bie ©onntagSperifopen oom Aboettt bi£ 


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486 


Slbolf gnneriofler. 


©fingften beljanbelten, uitb bie« warb ber jweite 2f)eil ber „Homiletifdjen 
Slbrentefe" 1866, beren erften er bereit« 1841 Deröffentlicfet batte. Unter 
{einen papieren fanben fi<b auch Diele Entwürfe Don ^Betrachtungen über ben 
118. ©falm »Beati immaculati in via«; fie Waren für ©jercitten entftanben, 
unb nun orbnete, ooKenbete, „corrigierte unb caftigierte" er fie unb gab fie 
1866 in 2)rud: „SJtebitationen über ben 118. fßfalm". — 2)och begann 
er fogar auch Steue« ju fcbreiben. Sange fdjon batte er geplant, womöglich 
bie ganje fßoefie unb ©efühl«tiefe unb ftimmung«DoUe SCrt ber ©falmen auch 
in« 25eutfdje ju übertragen, b. b- nicht nur bie ©ebanfen !lar wieberjugeben, 
fonbern auch bie Sieber wirtlich umjubidjten, bem bichterifdjen «Schwung unb 
ber rhbthmifchen gorm be« Original« entfprechenb. @r fchieb fünfzig ber 
Sieber, bie nur altteftamentlichem ©ebanfentreife entfprachen unb ooit ben 
Steueren jwar oerftanben, aber nicht recht nachgefühlt werben fönnen, au«, 
oon ben anberen aber entftanb eine meifterbafte Umbicbtung, ba« ©rbauung«* 
buch „Hunbert fßfalmen", gebrudt 1868. ©ine 3)ame liefe ifen bitten, boch 
fein „5)enfbüchlein Dom Seiben ©ferifti“/ ba« er 1823 gefdjrieben, neu auf* 
julegen, boch oerfaf«te er lieber ein ganj neue«, nicht blofe Dom affetifcf)* 
mpftifcpen, fonbern mehr fpeculatiDen «Stanbpunfte au« getriebene«; e« ift ber 
1868 gebrudte „Seiben«weg be« fjerrn. SedjSunboierjig ^Betrachtungen für alle 
Sage ber gaftenjeit". Sluch noch oielfach ärjtlich thätig, begann er fogar ein 
■panbbucb ber Homöopathie ju biederen, muf«te e« jeboefj 1871 wieber auf* 
geben. Slber jwei anbere wertooHe grüchte feine« ©enie« reifte bie bittere 
Seiben«mufee. ©r wollte auch i e ßt noch bie gbeenbewegungen ber 3eit über* 
fdjauen; barum oerfchaffte er fidj j. ©. Ulrici’« „®ott unb Statur", 
Hamerling'« „9lha«oer", Hartmann’« „Ißhilofophie be« Unbewuf«ten" nnb 
bie ©rjeugniffe be« ®arwini«mu«. gn einfamen «Stunben, namentlich fchlaf* 
lofer Stächte, jogen hunbert prächtige ©ebanfen burch feinen Stopf; rafdj 
würben fie in ffierfe, in ©rjählungen, in Dialoge gefaf«t unb notiert, 
fpäter georbnet unb rebigiert, unb fo erfdjien 1871 ber erfte, 1873 
ber jweite ©anb eine« SBerfe«, ba« er bem gnhalte gemäfe nach einem 
glänjenb grüne aber ftadjlige Slätter tragenben, eine fehr bittere aber fehr 
heilfame Slrjnei gewährenben Strauche (Hex aquifolium) „Stechpalmen" 
benannte. $ie ©rjäljlungen, StooeHen, Sluffäfce, ©ebichte geifeeln mit töftlichem 
Sarta«mu« im erften Übeile befonber« ben nihiliftifchem ©effimi«mu«, j. ©. 
in ben „Stenograpbifdjen ©eridjten au« bem ggnorantenoereine", im jweiten 
bie üefcenbenj* unb ©itbefoibentbeorie, befonber« im ©ebichte: „©in SReeting 
bei ben Slntfjropoiben." — ©an} fo war auch bie jweite ©abe feiner 
Seiben«mufee entftanben, nächtliche, in ©erfen fixierte ©ebanfen, beren Sammlung, 
ba fie im Sßinter feine« Seben« aufgegangen, er nach ber Pirola rotundifolia 


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$r. QotyanneS Emmanuel Seitt). 


487 


„Sintergrün" taufte unb 1875 bruefen liefe. Überhaupt ift e3 auffatlenb, 
mie Seitfj gerabe im ^öcfefteit 2ttter faft ganz ber Sßoefie fidj mibmete. 5Wur 
1872 bi3 1873 gieng er noch an eine aitbere Slrbeit. @r fudfjte „ben 
ibeeüen 9Jeju3 jmifc^en ben Goangelien nnb ben ©piftetn be3 ®irchenjahre$ 
burchzuführen" unb, mie er in ber |>omilienfammlung, im ^omilienfranje, in 
ber homitetifchen Ä^rentefe bie ©paugetien erflärt hatte, nun auch bie ©pifteln 
bem gläubigen Sotfe ju erfefetiefeen unb fo bie innere ©infyeit Pon ®ogma 
unb ©tho3, ©taube unb Sitte, Gtjriftentfjum unb Humanität aufzuzeigen; 
bem Serfe gab er ben Xitel „Difaiofpne", ma3 im neuen Xeftamente 
fRecfet unb Sitte unb beren Duette bezeichnet, „alfo ben ganzen 3nt)att bet 
©Pangetien unbSriefe beeft". 1874 mürbe bie$ tepte fird^licfee SEBerf Seith’3 
gebrueft. — Sonft zog e3 ihn mieber zur $oefie. ®r biefetete bie tateinifefeen 
£>qmnen unb Sequenzen ber firefefiefeen Ritualien in3 Xeutfcfec um, meit fie 
ihm a(3 ba3 fdjöne, äft^etifefee fiteib „reiner Drthobojie" erfcfjienen. Xie 
ganze Sammlung ueröffenttiefete er bann 1875 at3 ©ebet* unb ©rbauungS* 
buch fü* ©ebitbete unb gab ihm ben tieffinnigen Xitel au3 bem $ebräer= 
briefe: „©hriftu3 geftern, feeute, emig." — Unb enbtich gieng er noch au 
ein fchöneS, grofeangetegteS poetifcheS Serf: ba3 Such Sofeetetfe (ber Sei3* 
heit) unb ba3 £ohe Sieb mit ber ganzen ©ebantentiefe, garbengtntf) unb 
Stimmung be3 ^ebräifchen in3 Xeutfche umzubichten. ©r moltte „ba3 fett 5 
fame, beinahe ^umoriftifche Such Salomos (ftohetetf}) in Serien illuftrieren". 
®ie Strophen SatomoS rnerben mortgetreu überfefct, benfetben aber ftet3 
oerfificierte, burch Permanbte, fetbft neuefte ©rtebniffe ittuftrierte ©rtäuterungen 
oorauägefchieft; ba3 ©anze fchüefet bann mit einer Perforierten Saraphrafe 
be3 fatomonifdhen Suchet. Xer Umbichtnug be3 $ohen Siebet fehieft er z« s 
nädhft ein Sormort ooran, in bem er auch erttärt, er fetbft h<*to bie Sieber 5 
famnttung für eine Serherrtichuug ber Pom Schöpfer georbneten fitttichen, 
burch bie monogame, treue ©he getätigten Siebe; ba3 ©anze theilt er bann 
in 15 ©efangftücfe ab, überfept fie mörtlich, gibt jebem eine ©rftäruug in 
Srofa bei unb Perfucht z uin ©chlnffe eine tprifch 5 bramatifche 9tachbichtung 
unb Santphrafe be3 ©anzen; hoch tarn er nur bi3 ©. 13 unb 15: e3 
maren bie testen Sorte, bie er überhaupt fchrieb; — ba3 Serf fam erft 
nach feinem lobe 1878 unPoltenbet unb uncorrigiert unb beSfmlb noch mit 
mancher bunften Stelle behaftet in IBrucf: „SJofjetet unb $ohe3tieb." 

„2lnt 3iele" hi c ft cn bie tepten Sorte, bie er in jenem Serie, noch 
am SobeStage felber fchrieb; 89 3oh« h<*tte er getebt, Unzähliges gefchaffen, 
noch mährenb ber testen breizehn 3ah r e zmötf Sänbe Peröffentticht. 2113 er 
1872 feine Secunbiz feierte, mürbe er ©hrenbürger SiettS unb erhielt ba3 
Gomthurfreuz be3 Sranz 3ofef3*Drben3, fpäter auch bie gotbene Satpator- 


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488 


griebridj ©aftelle. — 9Ibenb. 


mebaiUe. 'Eocf) fehlte e« auch nicht an öeuten, bie, feine 0rtf)obo£te bejtoeifelnb 
ihn fogar be« Sinöerftänbniffe« mit ben ttlttathotifen jieljen. Slber Ih°tfache 
ift, baf« er oft ben 3tu«fpruch that: „93cm benen, welche ber SRuttergotte« 
nicht bie Ehre geben, will ich nicht« miffen." Unb al« er feinen lob 
nahen fühlte, oertangte ber greife ©anonicu« fetbft nach bem fßriefter, 
beichtete, communicierte unb erhielt auf feine Sitten bie lefcte Ölung. 9lm 
6 . SRoöember 1876 früh 8 Uhr ftarb er. ©atbinal ©chtoarjenberg hotte 
eigen« für ihn, ©iinther unb ©reif eine ©ruft bauen laffen im äRafcteinä- 
borfer griebhof. 53ort ruht er bei beiben greunben. ©in weifte« äRarmor» 
Ireuj erhebt fich bariiber, auf beffen ©ocfel fteljt: „@inig im Seben, ©in« 
im Xobe ruhen hier in ©ott: 9lnton ©ünther, fiaurenj ©reif, goftann 6m. 
Seith." 91 n ber SBiener Unioerfität prangt 93eitfj’« 9tame in ben golbenen 
Ehrentafeln breier gacultäten: ber SKebicin, ber Sh'f°f°Ph> e unb ber Iljeologie. 




Hbetid. 

Pun Jrifbrirfi Caftelle. 


» djoit toirb cs bunfel im (Sefjeg, 
Hur ^lebcrmäufe fjufdjeit fcbeu 
lüic Hacbtgebanfen Überweg, 

Die ffäubig Pommcti, alt mtb neu. 


| ^fern ballt itodj eines Höffes £juf: 

I Der (Eag trabt ftill iit’s £anb hinaus. 
I Hings folgen feinem ^erreitrnf 
Die £eiben all oon frans ju frans. 


Unb fyinterbrein fdjleict>t fd?eu bie Hadjt 
Unb fdjlägt ber IDelt ben OTaittel um — 
Kaum, bafs am gann ein Ulunb itorf? Iacbt, 
Dann ftetjt bas £ebeu ftarr unb (tumm. 




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Die heilige Poesie der Hebräer. 

»on J9rof. ®r. P. Hitoarb SriiJögl. 

m.*) 

$ie ©brüdje ©ileam* (9ium. 23 u. 24). 

1. Sjmufj (©um. 23, 7-10). 

7. AuS Aram ^olt ©alaf mich h er » ©toabS ftönig auS fernem Often: 

„©Sohlan, uerroünfche mir $afob, roohlan, bo<h Ifrael fluche!" 

8. „©Sie fchmäh’ ich, roemt ©ott nicht roie perroünfch’ich, roenn^ah nicht per* 

fchmäbt, roünfdjt?" 

9. „$ch feh T e$ non felfiger §öh*, non ben kugeln auS fchaue ich eS: 

'©ieh\ ein ©olf, baS gefonbert roohnt, baS nicht ju ben Golfern jählt! 

10. ©Ser miffet QafobS ©taub, roer j&hlt nur IfraelS ©iertheil?" 

„$er ©erethten lob fei mein Enbe, möge ich fterben, roie fie!" 

2. Bpnittl (23, 18—24). 

18. „Auf benn, ©alaf, fyöttl ©ernimm mich, beS ©ippor ©ohn! 

19. ©ott ift fein ©tenfch, ba|’S er löge, fein ©tenfchenfinb, bafS ihn gereute! 

Er foH nicht tbun, nmS er fagt? ©idjt halten, roaS er uerfprochen? 

20. ©iehe, ©egen hab’ idj empfangen: fegnet er, fann ich eS änbern? 

21. 9tid)t$ 3 a lfd)e$ bemerft er an 3 ft fob, an Ifrael fieht er nichts ©djnöbeS 

Qahroe, fein ©ott, ift mit ihm unb ftönigSjubel bei ihm. 

22. AuS Ägypten hat ©ott eS geführt, bem ©üffel gleich ift eS unnahbar. 

23. Glicht gibt eS in Sfafob 3 ftll ^ r » nicht Orafel in IfraelS ©litte. 

3ur 3eit roirb 3afob gefagt unb Ifrael, roaS ©otteS ©athfchlufS. 

24. ©ieh\ ein SBolf, baS ber ßöroin gleich baS fich erhebt roie ein fieu; 

auffteht, 

©id)t legt eS fleh, bis eS ben ©aub jehrt, bis eS trinft ber ©rfchlagenen ©lut" 

3. Spriufj (24, 3-9). 

3. ©ileam, ©eorS ©obn, fpricht, ber ©lann mit offenem Auge, 

4. 2)er ©otteS ©Sorte pernommen, ber beS $ö<hften ©Siffen roeifj, 

3)eS Allmächtigen ©chauen fdjaut, gebeugt unb enthüllten AugeS: 

f>. „©Sie fchön, 3fafob, finb $eine 3 e ltef Ifrael, Steine ©ehaufung! 

6. ©Sie breite ©Siefenthäler, roie ©ärten, am ©trome gepflanzt; 

©Sie Aloe, non Qahroe gepflegt, roie ©ebern an ©Safferbächen!" 

*) $et ®oc«I ber betonten Silbe ift fteta in Antiqua gebrueft. 


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490 


9tioarb ©d)lögl. 


7. „Au8 feinen Eimern rinnt Söaffer, feine ©aaten finb reiflich beroäjfert. 

Über Agag*) fleht § 06 ) fein König, feine ^errfdjaft roirb mächtig fidjjeigen. 

8. Au$ Ägypten h^t ©ott e8 geführt, bem Büffel gleich ift unnahbar! 

©3 uerjehrt bie brängenben Sölter unb ihre ©ebeine zermalmt e$. 

9. §ingeftrecft liegt’3 roie ein £öroe, einer Söroin gleich: roer mag e$ reifen?'* 

„©efegnet fei, roer 2)ich fegnet, oerflucht aber, roer $)ir flucht!" 

4. $prudi (24, 15—24). 

15. Bileam, SBeorS ©ohn, fpricht, ber 3Jtann mit offenem Auge, 

16. $)er ©otte§ SBorte oentommen, ber be$ Jpöchften 2Biffen roei&, 

2)e§ Allmächtigen ©djauen fchaut, gebeugt unb enthüllten AugeS: 

17. „3ch fehe ihn, bo<h noch nicht jefct, ich fchaue ihn, aber nicht nahe! 

Aufgeht ein ©tern au3 3afob, au$ Ifrael fommt ein §errfcher, 

$er üttoabS ©chläfen jerfchlägt unb ben ©cheitel ber ©ohne AmmonS. 

18. Unb Ebom roirb fein SBefifc, feine Jeinbe fchlägt Ifrael mit üütocht. 

£>erabfteigt ein Iperrfcber au4 3 a ^b, oernichtenb, roa£ flüchtet au4 ©eir. 

20. Amalef, Erftling ber SBölfer, $>eiit 2e&te$ ift nur 33erberben. 

21. Kain,**) ift auch feft $>ein 2Bobnftfc, auf pfeifen gebaut $ein fRejt: 

28. $)ein Untergang bleibet nicht and: Affurä öift roirb $ich fangen. 

23 3Beh e bem, ber ba lebt, wenn bieS 24. ®och fommen non ©riechenlanb ©chiffe, 
roahr roirb! 

Affur $u beugen fammt lieber***); auch AffurS Enb’ ift 93erberben!" 

$falm: 56. (55.)+) 

1. $tr0pf|e. 

2. ©ci mir gnäbig, 3 a hwe, ja gnäbig! ©tetd fchnappeu bie geinbe nach 

mir! 

3a, ftetd bebrängen fie mich; benn heftig befämpfen mich uiele. 

6. ©tetö fchäbigen fie meine ©ad;e, roiber mich ift all ihr ©innen. 

2 . £frupl|c. 

7. ÜJteiner 3erfe lauern ft* auf, meinem Seben ftellen fie nach- 

8. Qhreu 3rrenel jahf ihnen h ß iw, im ©rimme ftürje bie frechen! 

9. 3Jteine fchlafloien Mächte tennft $>u; fiel)’ gnäbig auf meine Xfjränen! 

8. £tropfir. 

10. Reichen jurücf, meine 3einbe, fo roeifj ich, bafd 3ahroe mein ift. 

(4.) Immerbar ruf ich ju I>ir, 11. (5a) in $>ir, 3ah’, behaupt’ ich wein 

9techt. 

12. (5b) Auf 3 a hwe nertrau ich, nicht 3 a h ift wein, (5c) roa$ fchabet mir 
5 a 3 «h. Sleifch? 

*) ift ber S i tel bet 2lmalc!iterföni0c; oet0l. ©obetfin, $ic ®d)tbeibber ©Ueomfpuicbe,©. 37. 
**) —fteniter, Sroeio ber oon 9lbral)am obflommenben Hmolclitrr. ®cr bebräifdje lejt aei0t ein fcfiöne* 
ffiortfpiel: Q6n—Äeniter, unb q£u—tfieft. — *♦*) Hffur unb Sber = Cft- unb ©eftfemiten; öergl. 
ffioberfin, l. c., ©. 46; Rommel, Äuffd&e, ®. 273 ff. — +) $ul)m, ^folmen. $er $folm ftaramt 
nadj ber $ebtäifd>en Überfdjrift non $aoib, al« ipn bie ^ilifter ju @atlj eroriffen (l ©am. 21, 11 ff.). 


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$ie heilige $oefte ber Hebräer. 


491 


4. $fT0pllt\ 

13. ÜJlir obliegen, 3ahroe, ©elübbe, Sobopfer ruiU ich £)ir bringen, 

14. $)er oom Sobe befreit meine Seele, benmtjrt meinen Jufe oor bem Anftofe, 

9Iuf baf$ oor 3 a h lüC i<h roanble getroft im Sichte be$ SebenS. 

$falm 59 (58).*) 

1. $fT0pf|£. 

2. ©ntreifee mich, 3ah, meinen fdjüfee mich oor meinen Drängern; 

^einben, 

3. ©ntreife* mich ben Übeltätern, roiber 93Iuthunbe fc^affe mir ftilfel 

4. $>enn e$ trauten nach meinem Seben, e§ rotten fich freche gen mich. 

1. ®ogonffrapf|o, 

5. O^ne ©runb rüften fie fich: mach’ auf mir entgegen unb fchaue! 

6. $a, $)n, 3ahroe ber §eere, Ifrael$©ott, mache auf, 

Speimjufuchen bie frechen; fchone ber Sreulofen nicht! 

1. ÜUfjrfoors. 

7. Sie fommen beS AbenbS unb heulen, roie Jpunbe burchftreifenb bie Stabt! 

(Epofre. 

8. 2öie mit bem ÜJlunbe fie geifern! SBie fie fchmähen mit ihren Sippen! 

Sagen fie hoch: „aßer hört e§?" unb: „Ob 3 a fob$ ©ott eSbemerft?" 

9. $>och $u, 3ah, lacheft ihrer, £>u fpotteft all* ber Stollen. 

2. Eefirfoor«, 

10. alteine Starte, $>ich miU ich befingen, benn $)u, 3ahroe, bift meine 93urg. 

2. &tvopfiz. 

11. allein ©ott tommt mir gnäbig juoor, befiegen läfSt 3ah mich bie fteinbe. 

12. Qahme, tobte fie itidjt, bamit e§ mein 93olf nicht oergeffe; 

ailache fie flüchtig unb unfteit, Qahroe, mein Iperr, gib fte preiS! 

2. ®egenfhr0pt|r. 

13. Sünb 7 ift ba$ 5öort ihrer Sippen: 3fang’ fie in ihrem frochmuth. 

Unb ihreg aileineibS roegen 14. Xilg’ ihren Srreoel im ©rimme, 

aiuf bafs man in aller aSelt roiffe, $afS 3 a hn>e in 3 ft tob tjerrfcht. 

1. ßefirfoor*. 

15. Sie fommen beS AbenbS unb heulen, mie £mnbe burchftreifenb bie Stabt. 

16. Sie fchmeifen umher nach 3?rafe unb fnurren, nicht fatt getoorben, 

17. QnbeS $)eine allacht ich befinge unb Seine ©naöe bejuble; 

Senn Su bift mir eine 93urg, eine 3 u flucht am Sage ber s Jloth- 


*) *Radj ber Ijebrdifdjen Üluffdjrift non Xaoib oerfaftt, old Saul fein $aud oon $äfd)ern umftellen 
lieg (l. Sam. 19, ll). 


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492 


SRitmrb ©cblögl. 


2, fiefyrtocrs» 

18. ÜJteine ©tärfe, 2)icb roiU idj befingen, beim $>u, Sa^roe, bift meine 93urg. 

$er flfalm Watyum« (9tob 1).*) 

1. $fr0plje. 

2. (Sin eifember, räcbenber ©ott unb gewaltig im Qotnt ift 3 a broe. 

3 c. ©ein 2öeg ift in ©türm unb SBetter, eine 2Bolfe ber ©taub feiner ^üge. 

4. (Sr fdplt ba3 ÜJteer, baf§ e$ troefnet, unb ©tröme macht er uerfiegen. 

ÄterfjfrlflfaJpfje. 

4 c. SBafan unb Äarmel febmaebten, be§ Libanon 93lüte oerroellt. 

5. $ie 33evge erbeben nor ihm, uor ihm erbittern bie £>ügel. 

SBor feinem 93licf bebt bie Erbe, ber ErbfreiS unb feine *8eroobner. 


( 6. Söeruermag feinen ©rimmju ertragen, roer ju trofeen feinem 3°*ne? 

\ $em fjeuer gleichet fein 3°nt, nor ihm jerberften bie 3 e lf en - 

) 7. 2Ber nertraut, bem ift 3 a b ro e gut, eine 3uflud)t am $age ber 9Rotb- 

\ SOBerjuibrnfliebt, benfennetQabme, 8a. ber SBafferflut macht er ein Enbe. 

( 9b. ©einen©egnern matter ben ©arauS 8b. 2)unfel nerfolgt feine Sreinbe. 

\ 9c. 9Hcbt$roeimalfirafterbie©egner,10a. fte roerben roie Bornen oer$ebrt. 

/ 9a. 2BaS (innen fie roiber 3 a broe? ©ie nergeb’n boeb roie bürre ©toppein. 

\12. ©ie verrinnen roie grope ©eroäffer 3$ ftrafe fie einmal für immer. 

J ..*> 

(13. 3a jerbreeben roiU icb ibt 3oeb, ihre Sfeffeln roiH icb jerreifeen. 


2. pfropf] C. 


14. ©efcbloffen b<*t 3 a b über fie: 
EbrloS foU fein ibr ©rab, 


. *) 

SBergeffen fei’n fie auf immer! 
©dpiifebilb unb ©ufSbilb oertilg’ icb. 


2. <j§£g?nffr0pl|?. 

15a. Über*« ©ebirg jiebt ber 33ote, b.fiebe, er fünbet ben ^rieben! 

d. 3«nifalem, jabl bein ©elübbe, c. 3«ba, begeh’ beine 3fefte, 

e. S)enn nie mehr fommt er über 2)icb, f. nein, babin ift Belial, — nemiebtet! 

Xet 60. (69.) fPfalin.***) 

1. Sfroplji?. 

3 3 a b, $U b»ft un« oerftofjen, gebrochen, gejürnei: roenbe bie fiage! 

4. §aft erfebüttert baSßanb, e§ gefpalten: b e ^' feine Brüche; «4 roanft! 


*) 9ladf Qappel, %)n $falm 9?abum, in feiner urfprünglidjen ©eftalt überfegt. 

*♦) 3Me einzelnen $ erteilen beginnen int fcebrfiifdjen ber bleibe nad) mit ben ©ud>ftaben b*3 
Älgljabet«; ber 16. unb 18. Ser* finb bei ber Überarbeitung ausgefallen. 

*♦*) „$em Sorfteber über (bie ©ängerabtbeilung) Susän-edlth, ein 8ieb bon $abib jum ffinftubieren: 
(gebietet) als er bie Hram&er nor ©etfcSRebot unb bie Äramder bor @oba befriegte, unb (al*) Qfob jurürf 
febrte unb Gfbom in G£-melaeh fdflug, 18.000 Wann." ($ebräifd)e Überfdjrift.) ®ergl. 2 @am. 8, 3 ff; 
10, 6; 1 $aral. 18, 12. 


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Xie ^eilige $Joefie ber Hebräer. 


493 


1. <&£g?nffr0pf|£. 


5. Xu lie&eft un3 93itt’reS nerfoften, 

6. deinen Jürcbtigcrn gabft Xu ein 3eicben f 

7. Um Xeine Sieben $u retten, 

8. 3 a bme, ber ^eilige, fprad), 
„Jroblodenb nertbeile ich ©icbem, 

9. ÜJtein ift ©ileab unb ÜJianaffe 
3uba ift fterrfeberftab mir, 

2luf Ebom fefe’ ich ben jjufi, 


11. ©er geleitet un3 nach 3Jloffar, 

12. stiebt Xu, 3übr ber un3 uerftofeen, 


mit laumeltnein trfinfteft Xu un3. 
ficb nor bem Söogen ju flüchten. 

hilf’ unb erböre un3! 
gerebet büt Qabroe ber £>eere: 
meffe an« baS Xb ft l tmn ©uffotb; 
unb Ephraim ©ehr meines ftaupteS. 

10. aber 'IRoab bininieber mein ©afebtopf. 
auf’S ^3^Uifterlanb auch, ibm nerbünbet. 

roer führt un3 in Ebom’3 ftauptftabt? 
ber nicht au3jog mit unferen §eeren? 


Ä>erf|rrlJU‘0plie. 


2. Strupfje. 


2. (öepenjlroplir. 

13. §ilf uu3 nor bem iöebränger, benn ber 2Jleufcben fcilfe ift eitel! 

3n Qab uollbringen mir ©rofeeS, vertreten mirb er unf're Xräuger. 


SprüdK 2. — Siieb, pretfenb bie Sort^ile be$ ©efifced ber ^Bei^eit. 

1. $fr0pl|e. 

1. 9timmft Xu an, mein ©obu, meine unb bebÄltft Xu meine (Gebote, 

sieben 

2. Qnbem Xu ber ©ei3beit laufebeft, Xein $ers ber Eiujicbt rueibft; 

3. Qa, wenn Xu ber flugbeit rufft, Xeine ©timme jur Einficbt erbebft; 

4. ©enn Xu fie wie ©ilber fuebft, wie nach ©d)ä{jen nach ihr forfebeft: 

1. ®£geiiffr0pf|c. 

5. ©ivft Xu einfeb’n bie 3urcbt nor unb ©rfenntniS ©otte3 erlangen; 

3abme 

6. Xenn 3 a bme nerleibet ©ei3b«it, non ihm fommt ©rfenntniS unb 

Einficbt, 

7. ©abreS ©lüd but er für bie ©erabeit, Unftrftflicben ift er ein ©ebilb, 

8. ^öebütenb bie ©ege be3 9t e cb t e 3, ben ©anbei ber frommen bewadjenb: — 

1. <Ep0fre. 

9. ©irft Xu einfeb’n Dtecbtlicbf eit, ©erabbeit, bie $fabe be3 ©uten; 

Utecht, 

10. Xenn ©ei3beit fommt in Xein unb©rfenntniS erquidtXeine©eele; 

fcerj 

11. Überlegung wirb Xicb behüten, beil’ge Einficbt wirb Xicb bewahren: 

2. $fr0pl|e. 

12. Xicb rettenb nom ©ege b e 3 nor Seuten, bie ©cblecbteS reben; 

$öfen, 

13. Xie nom $fab ber ©erabbeit abjiebn, baf3 man gebe auf finfteren ©egen; 

14. Xie ftcb freuen, SBöfeS ju tbun, ficb ber Ärgften ©cblecbtig feit rühmen; 

15. Xie ba frumm machen ihre *Bfabe unb irre geb’n auf ihren Bahnen: 


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494 


Dtiuarb ©chlögl. 


2. (f}cpenITrupl|r. 

16. $>ich rettenb uor frembem 2Beibe, uor ben glatten Dieben ber *vremben; 

17. «Die ben 3reunb ihrer Qugenb uerläfSt, ibreS ©otteSbunbS uergeffenb; 

1Ö. $)enn jum Xobe finlet i^r JpauS, ju ben Schatten führt ihre ©ahn: 

19. 2ßer ju ihr gebt, lehret nicht wieber, ju wanbeln bie ^Bfabe beS SebenS 

2. (fpufce. 

20. $afS $u wanbleft ben 3öeg beS bie^fabe ber Dtecbtlicbleit wabreft; 

©uten 

21. Xenn bie Dteblicben erben baS Sanb, nur Unfträfliche bürfeu brin wohnen; 

22. 2)od) bie ftreuler werben oer tilgt unb bie Xreulofen auSgerottet. 

Sprüdje 3. - Üborlieb, fdjilbemb beit betrügen Sfotm berer, bie bet ÜBeiftbeit anlwugcn. 

1. 9frnpf|e. 

1. SBergifS nicht,o ©o bn,meiner5ßeifung, $)ein Sperj bewahr’ mein ©ebot; 

2. $emt lange Xage unb 3 ft b*e, 8eben unb 5öobl|ein bringt bie$. 

3. DUcht uerlaffen $ich Siebe unb Xreue, brum binbe fie um deinen JpalS: 

4. ©o gewinnft 2)u ©unft unb Anfeb’n uor ©ott, fowie anch Dor SWenfcben. 

5 Vertraue nur ganj auf Qabwe, deiner eigenen Einftcht mißtraue. 

6. $In ib« benf auf all’ deinen fo wirber2)eine s 5fabe ebnen. 

Söegen, 

1. (SegenJJrpplje. 

7. ©ei nicht weife in deinen Augen, fürchte $abwe unb meibe baS 53öfe: 

8. ©o wirb Joeilung jutbeil deinem unb deinen ©ebeinen ©rquicfung. 

gieifche 

9. ©b** ^abwe uon feiner J£>abe, uom heften all deiner Ernte: 

10. ©o wirb reichlich $ein ©peicher ftd) überftrömen uon DJloft $eine Leiter. 

füllen, 

11. $ie 3 uc bl 3 abweS uerichmÄb’ nicht, feiner Diügen lafS nicht 2)ich uerbriefjen; 

mein ©obn, 

12. J)enn, wen er liebt, ben ftraft er, wem er moljl will, bem fchicft 

er Seib. 

IDwfirclfhrpplie. 

13. ©leidlich, wer 3BeiSbeit erlangt h^t, ber ÜJtenfch, ber Einficbt erreicht ; 

14. 3b* *8efifc if* beffer als ©über unb beffer als ©olb ihr ©rwerb. 

15. Korallen finb nicht fo foftbar, lein ftleinob wieget fie auf. 

16. 3b*e Rechte beut lange $age, ihre Sinfe Dleichtbum unb Ehre. 

17. 3b* e Söege ftnb liebliche DSege, unb all ihre $fabe finb S?riebe. 

18. 2Ber fie bat, bem ift SebenSbaum fie, wie uon 3 a bn)e geftüfct ift, wen fie ftüfct. 

19. $urch DBeiSbeit fdjuf Qabwe bie Erbe, fteüte feft ben ftimntel burch Einficht; 

20. Qab’S ©rlenntniS tbeilte bie fluten, macht triefen bie 5Bollen uon £b ftU - 

2. $trupl|t. 

21. Verlier fie nicht, mein ©obn, aus ben Überlegung unb aöifien bewahre: 

Augen 

22. ©o finb deiner ©eele fie Seben unb Anmutb deinem fcalfe. 

23. 2)ann wirft ruhig $u wanbeln, £)ein 3ufj wirb lein ftinbemiS finben 


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SDie ^eilige ^oefie ber Hebräer. 


495 


24. ©cbläfft $u, fo brobtSÜr fein ©ebreden; rub’ft $u, fo fdjlummerfV $u füfj. 

25. $u tbeilft nicht ben ©ebreefen ber n>enn anbridjt ber greuler 2$erberben. 

$b°ren, 

*2«. $enn Sabine ift 2)ir ptr ©eite unb beroabrt deinen ftu& oor 

ber ©cblinge. 

2. törprnjlropfir. 

27. SBerfage bem dürftigen nichts, roenn ©ute$ ju tbun bei $)ir ftebt. 

28. ©age nid)t deinem 9läd)ften: „ftomm’ unb „üRorgen", ba 2)u boeb b eu t’ fannft. 

roieber!" 

29. bereite bem 9täcbften nichts iööfeS, roäbrenb er rubig bei $)ir roeilt. 

30. §>abte mit niemanbem grunbloS, roenn er $>ir nichts s -8öfeS getban b<*t. 

31. $eneib’nicht ben 9Rann ber ©eroalttbat, unb erroäbfe nicht feine 2Bege. 

32. $)enn ein ©reuet für Sab ift, roer boeb mit geblichen ift er per* 

abirrt f t r a u l i cb. 

$prud|. 

33. S^b^ eJliicb ift im £aufe be$ boeb ber geblieben SBobnung er fegnet. 

greolerS, 

34. SBenn eS ©pöttern gilt, fpottet auch er, boeb ben 2)emütb’gen gibt er bie ©nabe. 

35. $en 9Beifen roirb Ehre jutbeil, bo<h bie $b°ren erben nur ©cbtnacb. 

Sprüche 4. — Cfborlieb, ent&alteitb bic Warnung bed ©ater« $um Streben nad) ©eiSüeit. 

1. fctrupljr. 

1. ©öbne, höret bie 3 uc bt beS mertt auf, um Einficbt ju lernen; 

SBaterS, 

2. $enn gute 8ebre geroäbr T ich, oerlafSt meine SBeifungen nicht. 

3. 2)enn, als ©obn ich roarb meinem meiner SJlutter einziges $inb, 

$ater, 

4. 5>a lehrt’ er mich, alfo fprecbenb: „$)ein S>erj ^alte feft meine $Bovte; 

SBeroabr’mein ©ebot, bafS £)u 7.2broie ben ©tern ^Deines AugS 

lebeft, meine JBeifung. 

1. <©*0*njfr0pf|e. 

5. ©rroirb SBeiSbeit unb Einficbt, ner* unb roeicb’ nicht non meinen 

giiS nicht, IReben. 

6. 93erlafS fie nicht, fie roirb 2)icb hüten, £ieb’ fie, fte roirb $)icb beroabren. 

7. ©rfte SöeiSbeit ift: brachte nach um allen 93efifc erroirb Einficbt. 

3BeiSbeit, 

8. §alt’ fie hoch, fo erhöbet fie 2)i<h, umarm’ fie, fie bringt 2)i<h ju Ehren. 

9. SiebUcb belrftnjt fie $ein §aupt unb fchmüdt $>kb mit herrlicher $rone. 

Ä>rdifrl|Trupl|^ 

10. £>öre, ©obn, auf meine fReben, fo roerben uiel deiner 3 a bre. 

11. $er SßeiSbeit 2Beg roeif’ ich $ir, lafS 2)icb roanbeln ben $fab ber 

©erabbeit. 

12. 2Benn 5)u gebft, roirb $>ein ©ebritt roenn $)u läufft, fo roiilft $)u nicht 

nicht beengt, ftraucheln. 


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496 


SRioarb ©chlögl. 


13. §alt’ feft an ber 3 u <ht, lafS nicht loS, beroahre fte, fie ift Stein Seben. 

14. betrittnicht ben $fab ber ftreoler, fdjreite nicht auf bemSöege ber 93öfen. 


15. SBerfchmäh’ ihn unb geff nicht auf ihm, 

16. Stenn raftloS oerüben ftc SööfeS, 

17. Stenn ftc effen baS 93rot ihres JfreoelS 

18. fcell leuchtet ber $fab ber Gerechten, 

19. S>ocb ber ftreoler 2öeg gleicht bem 

Tuntel, 


meidf ihm auS unb jieh’ gerab’ weiter, 
ruhen nimmer, bis anbre auch ftraucheln. 
unb trinfen ben $Sein ber ©eroaltthat. 
bem Sichte beS 3RittagS oergleichbar; 
fie wiffen nicht, rooran fie ftraucheln. 


2. Sfrupfio. 

20. 2Rerfe, ©ohn, auf meine SBorte, leihe S)ein Ohr meinen Sieben: 

21. Verliere fie nicht auS ben Augen, beroabre fie tief im Jperjen, 

22. Stenn roer fte erlangt, hat baS Seben unb Reifung für all fein Sleifch- 

23. SBor allem bemache Stein §erj, Senn oon ihm geht auS alles Seben. 

24. §alte fern oon Sir fjalfch^eit beS 93erfehrtheit ber Sippen meibe. 

ÜRunbeS, 


2. <@egettßr0pl|?. 

25. Sein Auge bliefe gerab* auS, Seine 3Bimpem richte nach oorne. 

26. Ebne bie Q3ahn deines JugeS, beftimmt feien all' Seine 9Bege. 

27. Sßeiche nicht rechts noch auch linfS ab, deinen 3 U 6 halt’ ferne uom 93öfen. 
Senn bie 3Sege nach rechts, bie boch bie SBege nach littfS fmb oerfehrt. 

fennt ©ott, 

Er macht gerab’ Seine $faöe unb läfst ®ich in ^rieben roanbeln 


Sprühe 5. — (Sfjorlieb, waraenb oor unreiner Siebe unb CSljebrud}. 

1. £früpljc. 


1. ÜJterfe, © o h n, auf m e i n e 3S e i S* meiner Einfic^t leihe 52>ein Ohr, 

heit, 

2. SafS Su SBohlflberlegtheit beroahreft unb ©rfenntniS behalte Sein 2Runb; 

3. Senn fü& fmb ber Buhlerin Sippen unb glatter benn öl ihr ©aumen. 


1. (ßegenftropfir. 

4. 3lber hinterher ift fie roie 3Bermut, fcharf mie ein jweifchneibi& 

6 <h ro e r t. 

5. 3h* 3 U & fteigt jum Sobe hinab, jum ©cheol fteuert ihr ©chritt. 

6. SafS fie ja nicht ben SebenSroeg roanble, man ft ihre'-Bahn, unb fte merft’S 

nicht. 


Wztifitlftvvpfit. 

7. SSohlan, meine ©öhne, merft unb meidet nicht oon meinen 

auf fReben: 

8. t>alte ferne oon ihr deinen 9öeg, nahe nicht bem Sh°* ihres §aufe$, 

9. SafS Su nicht hingeb’ft Seine $ugenb, bem ©raufamen, ach, ®eine 3[ahre; 

10. SafS nicht Anbre, roaS Sem ift, eS oerjehren in frembem §aufe; 

nehmen, 


11. UnbS)u hinterher ftöhnen müffeft, wenn barbet Sein ftleifch unb SteinSeib f 

12. Unb fagen: 3BaS hafSt' ich bie 3 u <h* «nb oerfebmähte mein §erj alle SRüge? 


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$ie ^eilige ©oefie ber Hebräer. 


497 


13. ©Ba8 h ö *t’ ich nicht auf meine fiehrer unb artete nicht ii^re ©Beifung ? 

14. 3aft gerieth ich in« h öc hft c Unglüd inmitten ber ganzen ©emeine. 

2« ^trupfjr. 

15. Xrinfe ©Baffer au3 eig’ner ©ifterne unb oom Ctuell $>eine$ eigenen 

Brunnen«. 

16. Soll $etn Oueü benn nach auften ftch auf bie Straften in ©Bafferbachen? 

roenben, 

17. Xk gehör’ er allein unb nicht Anberen neben Xk ; 

18. ©efegnet ift bann $)ein ©orn unb ba$ ©Beib deiner $ugenb bir lieb. 

19. $>ie liebliche, anmutige £>inbin — nur mit ihr allein höbe Umgang. 

2» (örgrnpropfir. 

löb^hve ©ruft beraufche 5J)ich ftetS, non ihrer Sieb’ magft $)u taumeln. 

20. ©Boju roillft burch Anb’re Xu taumeln unb umarmen ein frembeS ©Beib? 

21. ©ineS ^eben ©Bege fennt 3ahroe, unb er ebnet all feine ©ahnen. 

22. 3)en 3rreoler fängt eigener Sfreoel, feiner Sünbe Strid hält ihn feft. 

23. 2Begen Mangel an 3 u chtroirb erfterben, bahintaumeln ob feiner Xhor^eit. 

Sprüdje 6. — (Sfjorlieb, entbaltenb oerfdjiebene <Dtafmungfu bec SBetöljeit. 

1. Btvppfie. 

1. $aft gebürgt 2)u, mein ©ohn, 3ür ben Anbern ben £>anbfchlag 

deinem ©tächften, gegeben; 

2. ©ift oerftridt $u burch $)eine 9teben, gefangen burch $eine ©Borte: 

3. So thue, roa£ ich $ir fage, oielleicht fannft Xu 2)ich retten, 

mein ©ohn. 

5)enn Xu bift in ber Jpanb deines fei nicht läffig, treib* an deinen 
©tächften: fjreunb; 

4. Unb geroähre nicht ©cftlaf deinen Augen, nod) deinen ©Wimpern ©chlummer. 

p. ©fette X ich au3 feiner £>anb, mie ein ©ogel au$ ber be$ QägerS. 

1. 1 

6. ©eh hoch ptr Ameife, fauler, betrachte fie, fo roirft Xu roeife. 

7. ©ie fennet feinen Richter, noch Auffeher, noch auch ©ebieter: 

8. 2)och fchafft fte im ©ommer ihr ©rot unb famntelt jur Erntezeit ©peife. 

9. ©Bie lang* roillft Xu liegen, 3r a u l c r ? mann auffteh'n non deinem ©chlafe ? 

10. ©tod) ein roenig fchlafen unb fchlummern, noch ein roenig bie £>änb' in ben ©choft: 

11. Unb e§ fommt roie ein 5)ieb bie Armut unb 5)eine ©toth mie ein ©täuber. 

Ä)cdir«lptopl|c. 

12. ©in ©tidhtänuft, ein ^eillofer wer falfchen ©JtunbeS einher* 

©Jt a n n i ft, geht, 

13. ©Ber mit ben Augen jroinfert, mit güften unb Ringern rebet, 

14. ©Ber oerfeftrt ift unb ©öfe$ roer jeberjeit ©treit nur ftiftet; 

\ finnet, 

15. $)rum mirb plöftlich fein Unglüd ihn jermalmen im ©tu ohne ©fettung. 

fommen, 

16. ©ed)3 $)inge finb, bie 3ah h a f § t, unb fieben finb ihm ein ©reuel: 

17. ©tolje Augen, ßügenjungen unb §änbe, mit ©lut befledt; 

18. ©in &erj, ba§ fceillofeS finnt, Süfte, bie fchnell finb jum ©öfen, 

19. ©in 3euge, ber 5 a l f d) e 8 unb mer 3mietracht fä’t unter ©rübern. 

befchroört, 


32 


Xic Äultur. III. 3afjrß. 6. unb 7. /£>eft. (,1902.) 


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498 


9tioarb ©d)lögl. 


2. ^frupfie. 

20. ©ohn, beioahre beS SBaterS ©ebot unb oerioirf nicht ber SDtutter SBeifung. 

21. ©inbe fie fietS auf 5)ein §era unb roinbe ftc um deinen §alS. 

22. SBenn 5)u gehft, möge fie 1 ) $ich geleiten, wenn 3)u rubft, möge fie 5)ich bemachen, 

SSenn $u aufn>a<hft, fpredf fie 3)ich an; 23. benn ©ebot unb SBeifung finb Seudjten; 
Unb Sicht unb SBege jum Seben finb ©trafen in 3°rn unb 3 uc ht, 

24. SBor bem 9Beibe beS97ächften $)ich oor ber glatten 3 u *ige ber Sremben 

fchüfcenb, 

25. 33egehre nicht nach ihrer ©chönheit, noch fang* fie ®ich mit ihren Augen; 

26. $enn gibft $)u für eine SDtefce afle§ bahin bis aufs 93rot: 

5£)aSfrenvbe2Beib — geh ft 3)u erjaget baS (oft bare Seben. 

ju ihm 

2. (kegonpfrupfie. 

27. Kannft 2)u Sfeuer holen im 93ufen, ohne bafS 3)eine Kleiber oerbrennen? 

28. Ober gehn auf glühenben Kohlen, ohne bafS $)eine fjüße eS büßen? 

29. ©o geht’S mit beS 97ächften Söeibe: roer eS anrührt, bleibet nicht ftrafloS. 

30. $)en $)ieb oerachtet man nicht, ber ba ftiehlt, um ben junger ju ftillen; 

31. ©tiehlt er fonft, fo fann er’S erjtatten, unb gibt er auch h in fei« 93ennögen. 

32. 5)och ein $h or r mer ein Eh’roeib ©r richtet fich felbft jugrunbe. 

oerführt, 

33. ©chläge unb ©chanbe geroinnt er, unb feine ©darnach mirb nie enben. 

34. 3)enn beS OJtanneS Eiferfucht brennt, nicht fchont er am Xage ber Drache. 

35. 9Hd)t nimmt er 3t üd ficht auf nicht nimmt er, roaS immer 

© ü h n e, b i e t e ft. 

Sprüche 7. — (iborlieb: ©atnuiig bot Unjittfit. 

1. Strupft*. 

1. ünein ©obn, beroahr* meine unb behalte meine ©ebote. 

3teben 

2. ^Beroahr’ mein ©ebot, bafS $u lebeft, mie ben ©tem deines Aug’S meine 

SSeifung. 

3. 33inbe fie auf $>eine 3 in 9 er » fchreibe fie in 2)ein £)er&. 

4. ©prichjurSöeiSheit: „meine©chmefter" unb heiße bie Einficht „Vertraute"; 

5. ©ie beroahr’ $>ich oor f rem bem oor ben glatten 3t eben ber grremben 

29 e i b e, 

1. ®OgOltpT0pf|O. 

6. $)enn im genfter meines £>aufeS burchS ©itter fchaut’ ich hinauS; 

7. £)a fah ich einfältige Seute, bemertt’ einen thörichten Jüngling. 

8. 5)er gieng um bie Ede ber ©traße in ber Stiftung $u ihrem §aufe, 

9. 3ar $)ämm’rung, am Abenb beS XageS, in finfterer 9tacht unb im Tuntel. 

10. ©ieb\ ba lommt ihm ein 2öeib in fcurentracht, tücfifchen $er$enS. 

entgegen 

•) Sie ©eiSbfit. 

X 


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$)ie ^eilige ©oefie ber Hebräer. 


499 




11. Qm £>au3 ift fic ftürmifd), unbänbig, 

12. ©alb braufeen, balb auf ben ©läfeen 

13. Sie b»t ib n erreicht unb getüfSt 

14. „freilSopfer lagen mir ob, 

15. £)rum lomme ich 5)ir entgegen 

16. „©ebeeft habe ich mein ©ett 

17. 5Rein Säger b»b ? ich befprengt 

18 SafS unS ÜRinne trinfen bis morgen, 

19. $enn ber 3Rann ift ferne ©om §aufe, 

20. $en Beutel nahm er mit fidb; 


ihre Qüfee finben nicht SRufee. 

[teilt fte lauemb fich bi« an bie Ede. — 
unb b»t fub erfreut §u fagen: 
gezahlt hab* idb b eu t’ mein ©elübbe. 
unb finbe nun, ben icb gefudjt." 

mit buntem ägyptifebem Teppich, 
mit Aloe, ÜRyrrbe unb 3immet. 
un$ ergö^cn an SiebeSluft. 
ift auf weite [Reife gegangen, 
erft am ©ollmonb fommt er nach 
§ sl u f e." 


2* 

21. So bat fte ibn benn überrebet, burdb glatte [Reben ©erleitet: 

22. ©löfelich gebt er ibr nach, wie ein Stier, ber jur Schlachtung 

fommt, 

©Ste ein ©Sibber ber Schlinge nabt, 23 b roie ein ©ogel ©erblenbet in$ [Re& eilt, 
23catcht abnenb, bafS bie§ fein Xob, 23a bis ber ©feil ibm bie Seber burchbobrt. 


2« ©egrnjlropfje. 

unb merfe auf meine [Reben: 
unb irre nicht auf ihren ©faben; 
ja, bie fie gemorbet, finb jablloS. 
hinab ju be§ XobeS ©emächern. 

3priicf)e 8. — (Xborlieb: 8flbftempfet)lung ber ©eiabeit. 

1. £troplie. 


24. 91 uu benn, mein Sohn, höre mid) 

25. Schweife nicht auf ihre ©Segc 

26. $enn Viele bat fie febon erfchlagen, 

27. 3um Scheol führet ihr 3Beg, 


1. Siebe, bie 3Ö e i S ^ e i t ruft 

2. ©uf bem ©ipfel ber §öben am ©Sege, 

3. 9teben ben ^boren ber Stabt, 

4. „$ln euch üRftnner ergebet mein [Ruf, 

5. Suchet Ein ficht, ©infält’ge, in 

Klugheit, 


unb bie Ein ficht läfSt ficb ©ernebmen 
mitten am Steige ftebt Re, 
an ben ©forten erfcballt ihre Stimme, 
meine Stimm’ an bie SRenfcbenfinber. 
Qbr $b°*en, nehmet Verftanb an. 


1. (Ssgsnjfrppft©. 


6. $öret, Vortreffliches reb’ ich, 

7. Qa, ©Wahrheit rebet mein ©aumen, 

8. ©ereebtigfeit finb meine ©Sorte, 

9. ©anj flar finb fte bem, ber Ver* 

ftanb bat, 

10. So nehmet benn 3 u cb t anftatt Silber, 


meine Sippen preb’gen ©erabbeit. 
meine Sippen oerabfebeuen greoel. 
frei oon Xücfe unb Sift. 
gerabe bem ORann ber ©rfenntniS. 

unb ©rfenntniS lieber als ©olb. 


Ä>©tfjf©lffrapfi©. 


12. Qd), bie ©teiobeit, bab’ Älugbeit inne 

13. Hoffart unb frodpnutb unb ©oSbeit 

14. ©fein ift ber [Rath unb baS ©Siffen, 
15 $urd) mich nur berrfeben bie Jperrfcber 


unb befifee ©rfenntniS unb Umficbt. 
unb ben 3Runb ber Verfebrtbeit b»fS ich. 
mein ift bie Einficbt unb Stärfe. 
unb oerorbnen bie üRäcbtigen [R e cb t e S. 

32* 


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500 


fRivarb ©cblögl. 


l*i. 2)urcb mich gebieten bie 3°rften unb bie ©rofeen, bie Siebter ber Erbe. 

17. 3$ liebe bie, fo mich lieben, bie mich fudjen, bie finben mich. 

18. SReicbtbum unb IHubm ftnb bei mir unb bauembe §abe unb Speil. 

19. ©eine Sfrucbt ift beffer als ©olb unb als ©über mein ©rtrag. 

20. $er ©ereebtigfeit ©ege roanbl’ich inmitten ber $fabe beS SRecbtS, 

21. $ie mich lieben, roabrbaft be- unb ihre ©cbafcfammern füllenb. 

reicbernb 

2. £tropfje. 

22. 3ab befafjmicb beim erften ©ebaffen, nor all' feinen ©erlen, uorlängft. 

23. 33on Eroigfeit bin ich gefefct, feit ben Uranfängen ber Erbe. 

24. 33or ben fjluten roarb icb geboren, beoor eS no<b Cuellorte gab; 

25. SBeoor noch bie 93erge ficb b°&*n, oor ben ftügeln roarb icb geboren; 

26. Terror Erbe unb $lur er gefebaffen unb beS Erbt reifes erfte ©cbollen. 

2. (öegrnprupltr. 

27. AIS er bie Fimmel gefeftigt, baS ©eroölbe gemacht ob ber 3lut; 

28. 3US bie ©olfen er broben befeftigt, ba bie Duellen ber 31 u * erftarften; 

29. SIS bem ©eere bie ©renjen er fef^tc: 30. roar ©erfmeifter icb bei ibm. 

lag für Xag roar icb eitel ©onne, freubig febaffenb oor ibm allezeit, 

31. 3reubig febaffenb auf feinem bei ben ©enfeben mit ©onne roeilenb. 

ErbfreiS, 

Sprudi. 

32. ©o böret benn, ©öbne, auf mich; 33. böret 3 u cbt, bafS ibr roeife roerbet. 

32 b. 5J)enn gl ü dl icb, roer meinen ©eg glüdlicb, roer höret auf mich, 

einbält, 

34. Xag für $ag meine $büren beroacbenb, meiner % b°re Woften bebütenb! 

35. 3)enn roer mich befifet, befifet ßeben, 3>abroeS ©obigefallen erlangt er; 

36. 2lber roer mich entbehrt, tbut fldj roer mich b a f8t, ber liebet ben $ob. 

ßeib an; 

Sprüdjc t*. — Gfjorlicb: ©aftmapl bet ffieiSljeit unb ber grau Xboröeit. 

1. StVBptl?. 

1. ©in £>auS bat bie SöeiSbeit gebaut, ficb auSgebau’n fieben ©äulen, 

2. $at gefcblacbtet unb ©ein gemifebt unb ihren Xifdj auch bereitet; 

3. 3)urcb bie ©ägbe ergebt if)r 9t uf auf ben bügeln ber ©tabt hoch oben: 

1. Glegimffropfi*. 

4. „©er einfältig, febre bter ein!" Unb roer tböriebt, ju bem fpriebt 

fie; 

5. „Kommet, effet mein 93rot, trinft ben ©ein, ben icb euch gemifebet! 

6. fiafst bie Einfalt, aufbafsibr unb roanbelt bie ©ege bei 

lebet Einficbt!" 

H>i'direl|lropl|e. 

7. „©er ben ©pötte rjureebtroei ft, roer ben 3reoler rügt, roirb befebimpft 

holt ©ebanbe, 




501 


3)ie heilige ^oefie bcr Hebräer. 

8. $Rilg 1 bcn Spötter nicht, fonft er rüg* ben Söeifen, fo roirb er 2>ich 

$)ich Raffet; lieben, 

9. ©ib bem Söeifen, fo wirb er noch ber ©erechte roiinfebt noch mehr ©r* 

weifer, fenntniS." 

10 „3ah$ furcht ift ber 2Öei$heit be3 §eiligftenftenntni$iftEinficht. 
Anfang, 

11. 5)urch mich werben oiel deiner $age unb mehren ftch £>eine $ahre; 

12. $ift $)u weife, fo bift 3)u’8 für 3)ich; bift $)u Spötter, fo trägft 2)u’S allein." 

2. Straps?. 

13. Ofrau $h°*heit ift ohne fRuhe, eitel Einfalt unb ohne ©r« 

f e n n t n i $. 

14. Sie fifct oor ber 13)\m be$ §aufe$ auf bem Xhron, in ber Stabt hoch 

oben, 

15. Unb fle ruft, bie oorüber jieh’n unb gerabe geh'n ihren 2öeg: 

2. (Sjegenßropfy?. 

IG. „2öer einfältig, tehre hier ein!" Unb wer thöricht, ju bem fpricht 

f ie: 

17. „®eftohleneS Söaffer ift füfe unb heimliche8©rot fdpneefetwohl." 

18. Unb er weife nicht, baf 4 Schatten baf8 $ um Sch eol geh’n ihre ©äfte. — 

bort hänfen, 



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Ceopold Kupelwieser. 

(Erinnerungen (einer GLothter. 

jWKlS mit beginn beS 18. 3ahrhunbertS Sari, ber Sohn Staifer SeopolbS I., 
baS Srbe ber Habsburger in Spanten antreten moUte, sog mit ihm 
als ©olbat ein junger Xiroler aus bem Ultenthale nach ^Barcelona, ©ein 
Warne mar 3ofef Ahtpelmiefer, unb er gehörte einer jener liroler dauern* 
famitien an, melche fich für berechtigt hielten, ein Sappen su führen. AIS 
ber lob Äaifer 3ofefS I. feinen ©ruber Sari 1711 in bie öfterreichifchen 
Srblanbe surütfführte unb biefer als Sari VI. bie Regierung übernahm, mar 
3ofef Sfupelmiefer einer berjenigen, melche mit bem Äaifer heimsogen, aber er 
betrat nicht mehr fein ftifleS, entlegenes Alpeitthal, fonbern fam nach SBien, 
mo er als faiferlicher Säger in SKeibling (©atterhölsel) eine Anftellung fanb. 
©ein ©ohn Johann, geboren 1732 in SWeibling, mar ichott oollftänbig SBiener. 
AIS SWagiftratSbeamter ber Haupt' unb Wefibensftabt oermählte er fleh um 
1754 mit Wegina Hermelin, trat fpäter aus bem 2)ienfte ber ©tabt 
SBien unb erbaute ober taufte einen Sifenbammer su S$iefting in Wieber= 
öfterreich, melchen er bis su feinem lobe (1800) mit gutem Srfolge betrieb 
$effen stoeiter ©ohn Sohanit, geboren 1759, oermählt um 1790 mit 3ofefa 
©fpan, mar als ©auleiter bei bem ©aue beS SBiener=Weuftäbter SanaleS 
befchäftigt. Sr mar ber ©ater beS SKanneS, bem bie oorliegenben ©lätter 
gemibmet fittb, beS SKalerS unb ^3rofefforS an ber SBicner Afabemie ber 
bilbenben Äünfte, Seopolb Äupelmiefer. 

Am 17. October 1790 erblicfte biefer in ©iefting, am Ruße ber Wuine 
©tarhemberg, baS Sicht ber SBelt. S)ort lebte feine ÜKutter im Haufe beS 
©chmiegeroaterS, mährenb fein ©ater bei bem ermähnten ©chiffahrtS'Sanal* 
baue 3ahre hinburch befchäftigt mar unb nur menig SJtuöe für ben Aufenthalt 
bei ben ©einen fanb. Seopolb hatte stoei ältere ©rüber, 3ofef, geboren 1792, 
unb Johann, geboren 1794, einen jüngeren ©ruber Sari, geboren 1798, unb 
eine ©chmefter Slifabeth, geboren 1805. Wort) bor bem lobe beS ©roßoaterS 
überflebelte bie SWutter im 3ahre 1798, um bem ©atten näher su feht, nach 
©untramSborf unb fpäter nach SBiener^Weuftabt. Wach bem lobe beS @ro6* 
oaterS sogen SeopolbS ©Item nach SBien, mo ber ©ater im ©erein mit feinem 
älteren ©ruber eine ©ifen*, fiupfer^ unb ©efchirr^Jvabrif errichtete. Seopolb mar 
in baS Alter gefommen, in bem ber ©rnft beS SebeitS, bie Schule, beginnt. 
Sr befuchte eines ber erften Skioat=3nftitute SBienS, melcheS bon einem 
gemiffen ©enatafio geleitet mürbe, unb frequentierte bort, nach ben beutfehen 
Schulen, s*oei Slaffen ber Sateinfchule. Woch in fpäteren fahren ersählte er 
gern Heine luftige Streiche, bie er bamalS mit feinen ©rübent ausführte. 
Daheim hatten abmechfelnb Hofmeifter bie Aufficht über bie Snaben su 


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i*eopolb ftupelwiefer. 


503 


führen; biefe fcheiiten nicht burdjgeheitbS gefchidte ‘ißäbagogen gewefen su 
fein. Xod) bewahrte üeopotb feinen Lehrern, wenngleich mand)e berfelben 
burd) ihre ^ßebanterlen bem jfrtaben (äftig würben, ein ehrcitbeS Slnbenfen. 
Veionber* war e$ einer biefer Jpofmeifter, namens Vonora, ben er febr 
liebte, weil biefer ber erfte war, ber üeopolb«* au^gefprochene* Xalent 
nur bilbcttben Äunft ernannte unb gelegentlich für bie $lu$bilbung berfelben 
eintrat. Sdioit in früher gugenb Perfertigte üeopolb au3 2Bad)3 unb Xhou 
fleine gigürchen; biefe tarnen burch eine am £>ofe bebienftete grau in bie 
£>änbe bc$ Äronprinaen gerbinanb unb feiner Schweftern unb trugen bent 
flehten Äünftter eine s ßrad)tcaroffe mit fed)$ Schimmeln, natürlich au* .'goU, 
al* ©egengeichenf ein. ©in fo wcrtPoüe* Spielzeug burftc Pott ben Äinbern 
nid)t befchäbigt werben, barnnt trug e* bie Butter forgfant auf ben Xach* 
hoben, Pott bort au* aber Perfchwanb e* ipurlo*, wahrfcheinlidi Pon 

Xadjbetfern geflöhten, unb ber fleine Üeopolb hatte nichts pott feinem reblid) 
erworbenen ©ute. 3u biefer Beit, e* war in ben fahren 1807 unb 1808, 

brachte bie Familie einen Xheil be* Sommert in Vaben ju. Sind) ber 

faiferlidje .§of war *ur felben Beit bort unb in feinem ©efolge, al* Beicher 
lehrer ber iuttgeit ©raherjo ginnen, ber Vilbhauer Jauner ©blcr Pott galpatamt. 
Xiefer fah bie hübfehett gigürchen, bie ber Äronprinj befaß, gewann 

gntereffe für ben Verfertiger berfelben, befuchte ^eopolb* ©Item unb 
forberte fie auf, ba* Xalent be* jungen Äünftler* nid)t brach liegen JU Ictffeit. 
Xie golge war, baf* Vonora ^copolb ju bem s IRalcr Uiütfert führte, weldicr 
ben erften 3eid)enunterrid)t übernahm. Vorn 9. gebruar 1809 an finbeit wir 
ihn fchott an ber s 2lfabcmie. Vorerft wollte er Vilbhauer werben, bann aber 
weitbete er ftd) ber Malerei ju unb halb perfuchte er fleh ht Vortrait*. Xa* 
©rfte war ba* einer burd) gahre im elterlichen .s>aitfc bebienfteten $Ünb*frau. 

So am Vegintt feiner fünftlcrifchcn Laufbahn ftehettb, befuchte er eine* 
Xage* feine ©roßmutter, Regina Äupelwtefer, eine grau ooit flarem, tüchtigem 
Verftanbe, bie 311 ihm fprad): »Xu barfft nicht glauben, baf* bu, wenn bu 
vtünftler wirft, nid)t^ jtt lernen brauchft. ©in Waler mufd nicht bloß su 
malen ocrftchen, er muf* and), um Xiidjtige* 311 leiftcit, ein gebilbeter unb 
unterrichteter s ))lann fein.“ Xicfc Viorte mufften tiefen ©ittbruef auf üeopolb 
gemacht haben, beitit ttod) im Filter citiertc er in banfbarer ©rinnerung biefe 
'iöorte feiner ©roßmutter. 

Von bem lfrieg*iahre 1809 foiutte öeopolb wenig erzählen, e* 

fcheint bie gamilic nicht unmittelbar berührt 3 U haben. 3Rit feinem Vater 

gieng er einmal nach Schönbruitn, um Napoleon 31 t fehen, unb befuchte ben 
Vrater, al* bort nod) Verwunbete unb Xobte lagen. Xie golgett ber 

politifchen ©reigitiffe blieben aber nicht au*, bie $irieg*jahre, mehr aber 
noch ber ©intritt einiger wenig tauglidien Vcrfönlichfeiten in ba* ©efehäft 
be* Vaters unb Dnfel* Perwanbelten halb ben VJohlftanb ber gamilie in 
Wotf). ^eopolb* Vater ftarb im grühjahre 1813, unb pou biefer Beit au 
muffte fid) ber noch nicht ftcbaehujährige Jüngling felbft erhalten unb gleich* 
zeitig auf feine weitere fünftlerifdje s ^lu^bilbung bebacht fein. ®r lebte 
im .\paufe feinet älteften Vruber* gofef, ber itad) bem SBunfche ber 

©roßmuttcr einige Beit in ber oricntalifchcn Wfabcmie ftubiert hatte. $lber 
noch Por VoUenbuug biefer Stubien würbe er Solbat, Perließ icboch ipäter 


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504 


Seopolb ftupelrotefer. 


bicfe Saufbabn, um mit bcm Onfel bad ©ifengefdjäft ntübfelig fortgufübren. 
Scopolb, io auf ftcf) fclbft angemiefen, muffte, mäbrenb er bei läge bie 
©fabentie befuebte, bie ©benbe unb einen guten Ibeil ber 9läd)te gut 
©entalung ber bamald febr beliebten lädierten ©ledjtaffen benüpen, um ftcb 
feinen Unterhalt gu Perbienen. 

Xie SBiener ©fabentie ber bilbenben Äünfte genofd bamald ein gemiffed 
©nfeben, melcbed Piele junge Seute aud) aud ®eutfcf)lanb angog. ©o waren 
Friebrid) Doerbed, bie ©rüber Schnorr, Friebrid) OliPier mäbrenb einer 
längeren ober fürgeren Seit Schüler berfelben. $ie SRicbtung an ber 
©fabemie mar bie fogenannte „claffifcbe“, fte bominierte burd) ben ©lang, 
welchen Füger burd) ein mehr äußerlich blenbenbed ©Sirfen unb Schaffen um 
fte gebreitet batte. 

Seopolb Äupelmiefer war, ald er bie ©fabemie befudjte, gu jung, um 
bie ©Jifdftänbe, welche berfelben bamald anhafteten, gu entpfinben. Übrigend 
barf man nicht überfeben, bafd Äupelmiefer ficher gwei ©ortbeile aud feinem 
erften Unterrichte, welchen bie ©rofefforen Jvrang ßaucig, Fofef Stebel unb 
Johann Saptift Santpi ber Füngere leiteten (menigftend jtnb biefe auf feinem 
Seugniffe unterfdjrieben), gegogen bat; er lernte correct geiebnen, bie Farben 
richtig bebanbeln, alfo bie tedjnifchen ©runblagen ber Äunft. dreimal erhielt 
Seopolb Äupelmiefcr ©reife; im Fahre 1814 ben gweiten unb 1816 ben erften 
©reis im Seicbnen nach ber ©ntife unb 1819 ben Sambischen ©rci#. ®abei 
war ber rege ©eift bed jungen Äüitfilerd bemüht, ftd) in ©Hem, mad ftd) ihm 
nur immer barbot, ftenntniffe gu erwerben; fo benüpte er jebe ©elegenbeit, 
in ber frangöfifeben Sprache oorwärtd gu fommeit. Fn ber ©fabemie würben 
meiftend ©ompofttiond'Xbemen aud Corner gegeben, bied regte ben jungen 
Äünftler an, fleh mit Feuereifer bem Stubium bed Saterd ber $id)tfunft 
bingugeben. Um biefe Seit trug ihm auch feine Äunft ben erften Auftrag ein. 
®in Unbefannter beftcUte bei bem jungen Zünftler eine ©ontpojüion nach 
eigener Angabe: Napoleon will ben ©rbbaU befteigen, um auf bemfelben 
feinen Ibron aufgufteflen, fällt babei aber herab. Xie ©udfübrung, welche 
mit gwölf ©ulben honoriert würbe, gefiel fo gut, bafd ber ©efteUer gleich ein 
gmeited ©jremplar perlangte. 

Schon im Fahre 1816 perbiente ftd) Seopolb mit Perfchiebenen ©ortraitd 
ein bübfdjed Sümmchen, welched er in erfter Sinie feinem Fleiße unb feiner 
©emanbtbeit Perbanfte, benn bie eingelnen ©über würben auf bad allere 
befcheibenfte honoriert. Fn ben Ferien folgte finpelwiefer ber ©inlabung 
eined älteren Freunbed, Fafob ftädel, beffen Familie in ©umpolbdfirdjen ein 
Sanbgut befaß; bort betheiligte er ftd) an allen länblichett Arbeiten, befonberd 
legte er bei ber ©Seittlefe £>anb att unb erwarb ftd) in ber Sanbwirtfchaft 
unb in ber ©otanif gang fcbäpbare Äenntniffe. 

So entwidelte ftd) Shtpelmieier geiftig unb förperlid) trop aller ©tüben, 
unb Pielleicht auch in Folge berfelben, in günftigfter ©Seife, ©r war pon febr 
großem, ebenmäßigem, beinahe atblctifchem Körperbau unb befaß in allen 
förperlichen Übungen eine beroorragenbe ©cfd)idlid)teit; befonberd mar er 
ein audgegeiebneter Schwimmer. ©uf einem Sclbftportrait, melched er im 
Fahre 1816 gemalt haben bürfte, fällt befonberd ber liebliche, unfchulbige 
©udbrtid auf, ein fieuugeichen feined reinen, bieberen ©emiitbed. $ie Äunft, 


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Seopolb ftupelrotefer. 


505 


bic für ihn ein £>eiligtbum mar, febüpte ihn Dor jeber yeichtfcrttgfeit unb 
©emeinbeit. ®r tjatte bte in3 ©reifenalter ba$ ©lütf, an jebem Wenfcben 
bie gute ©eite zu fehen; ma* aber mobl aud) bamit zufammenbieng, baf^ 
man e3 in feiner Wabe ttid)t Icicfit magte, bie etma oorbaitbene ©emeinbeit 
ber ©efmnung berDorzufcbreit. Xrop feiner beiebränfteu üage unb ber 
geringen Wittel, bie ibm zu ©ebotc jtanben, mürbe töupelmiefer balb in 
einem Greife ooit geiftDollcn jungen Seuten, tbeilä Äünftlern, tbcil* Äunft* 
freunbett, atö eine allgemein beliebte Berfönlicbfeit aufgenommen. 

Xer Wittclpunft biefer ©efellfcbaft maren Sraitz Schober, ein junger 
Sdooebe, in beffen mütterlichem .£>aufe bic jungen Weilte meift jufammen= 
tarnen, unb ber Surift ftranz üon Brucbmann, ber ©obn eine* reichen ©roß 
bärtbler*, ein Wann Don feltetten ©aben unb ooit großem geiftigen Sinfluf* 
auf feine Umgebung, ^it bcrielben ©cieUfcbaft befanbett ficb aud) fvranz 
Schubert, ber Diel jüngere Woriz ooit ©chmiitb (ber gerne ftupelmiefer feinen 
Wcifter nannte), bie Scaler lieber unb Wohn, Bilbbatter Xietrid), ^ofef 
Don ©pauit, ©ahD, X er fei, Sechentiter, Baron Xoblhoff u. a. nt. Unter ben 
jungen Leuten blühte ein rege* geiftigen Weben, ein Streben ttad) allem 
Schönen, eine Begeifterung für Ahutft unb Boefte. ®* mürbe muficicrt, 
gezeichnet, gelefeit. Xa* Wibelungenlieb begeifterte fie fo, baf* fte fid) bic 
Warnen ber Selben beleihen beilegten, Äupelmiefer hieß Wiibiger, ©chmiitb 
©ifelher ba* Äittb, ©chubert befant ben Wanten be* Sänger* Golfer, ^n 
biefer ©efellfcbaft mürben auch Au*flüge ttad) Apenbrutf unternommen, 
mo eitt gaftfreier Vermalter fid) freute, bie heiteren jungen Weutc zu bemirten. 
Wupclmicicr Deremigte mit feiitcnt Binfel fleine ©eenen au* bent bortigcit gcfeüigeit 
Sieben unb Xreibett. Jvranz Sdmber befaß bie Aquarelle bi* ju feinem Xobe, unb 
bttrd) bie ©iite be* lepten Beitper*, .'oerrn ooit Xuntba, marett fte fchoit in maitdier 
Au*fteUung zu fcheit. ^ept int Befipe ber Stabt 2Sien, fchntüdcn fie ba* 
Sd)ubert=8intmer be* Watbbaufe*. — Sollte man bamal* bie SSelt fehen unb 
hatte itidit Diel ©elb in ber Xafdie, io muffte man zu miß gehen. 8meintal 
unternahm .stupelmiefcr Don 58ieit au*? ^Säuberungen auf ben ©ditteeberg. 
Wud) ntad)te er Au*flüge iit* ©alzbttrgifchc unb Dermod)te in biefer 2Seife 
mehr ooit bent Sieben unb Xreibett be* Bolfe* zu beobaditeit, al* un* Aiinbern 
dou heute zu fehen geftattet ift, meint mir ba* Waitb mit ber ©ifcitbabn burd) 
gueren. Xie ©ehnfuebt, bie Xre*bcner ©alcric zu fehett, ließ ihn in 
Begleitung be* Bilbbatter* Weid)l eine jyußtour Don SSien nad) Xre*beit 
unternehmen. Xurd) mehrere Xage legten bie tauberer täglich fed)* Weilen 
zuriief. Um ben Aufenthalt in Xreibett inöglichft billig zu geftalten, malte 
Ahtpelmiefer feine £>au*mirte, Aberrn unb Jyrau Bucfelmantt. Bei folcheit 
Ausflügen gcitoi* Atitpeltuiefer mit Dollen Bügen ba* Wette unb Schotte; er 
mar ein icharfer Bcobad)ter unb fehrte reich an flehten ©rlebniffett unb 
mit gefüllter Beidienntappe heim. Xie Xre*beitcr ©allerie ntad)te ihm einen 
gemaltigen ©iitbrucf, unb ba* Berlangen, Italien mit feinen .Stunftfcbäpen zu 
fcheit, ermadite in ihm itod) lebhafter, al* c* ichott früher ber ivall mar. 

Bei ber erften .Stunftaii*ftcllung, mcld)e int ^ahre 1820 zu SSieit 
ueranftaltet mürbe, trat and) töitpelmieicr mit einigen Bilbern in bie 
Cffentlidtfeit. ©* maren etlid)e Dorzügliche Uortrait* ttttb ein fleine«* Bilb 
itad) bent ©oethe’icben ©cbid)t „Xer Jvifcher". 


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506 


öeopolb Stupelroiefer. 


Um biefe 3cit lernte Afupelmiefer feine fpätere Srau, Johanna Aiufc, 
fennen, ein SJtäbcpen, baS außer bem Steig ber 3ugenb — ftc gäplte bamalS 
erft feepgepn Sapre — aud) ben eines tief innigen ©emütpeS, einer reichen 
©pantafte unb eines flaren ©erftänbniffeS für aHeS ©cpöne befaß, ffienn 
aud) als Xocpter eines fubalternen Staatsbeamten in befepeibenen ©erhält- 
niffen aufgemaepfen, ermarb fte ftd) bod) burd) bie Stegfamfeit ihres ©eifteS, 
burd) ihr munberbareS ®ebäd)tnis unb ihre Empfänglicpfeit für alles Erhabene 
unb ©roße eine oielfeitigc ©ilbung. Äupelmiefer mürbe bamalS iepon mit 
größeren unb Heineren Slufträgen betraut. s 2lußer gaplr.eicpen ©orträtS, 
melcpe aufgugäplen heute nicht mehr möglich ift, malte Atupelmiefer ein Slltar* 
bilb mit ber ©eftimmung für Ungarn, ben heiligen Ergengel SJticpael barfteüenb. 
Eine meitere SefteUung mar ein Porträt beS AtaiferS ftrang im Xoifon* 
OrbenSfleib in ganger ftigur für ein .'oofamt. Xer Ataifer hatte eine 
Abneigung, ftd) porträtieren gu laffen; bod) ber Vermittlung ber fiaifertn 
Earolina $lugufta, melche bamalS ben jungen Äünftler fennen lernte, gelang 
eS, ben Afaifer gum gebulbigen SluSparren gu bemegen, unb fo fant ein fehr 
gutes ©ilbniS beSfelben guftanbe. Äupelmiefer burfte nach ©oben fommen 
unb ben Äaifer, mäprenb berfelbe beim Speifen faß, porträtieren. Stad) Xifcp 
hielt bie Äaiferin ihren ©emahl noch einige 3eit bei bem jungen Äünftler 
gurütf, ber biefe Slugenblide gut benü&te. ®in Opfer potte aber At'upelmiefer 
bringen müffen. Er hotte nämlich oor bem Äaifer nicht mit einem Schnurr- 
hart erfdjeinen bürfen; beoor er nach ©aben gieng, mufste biefer, gur großen 
©efriebigung beS fünftigen ScpmiegeroaterS Atupelmiefer'S, fallen. XaS 
©orträt beS ÄaifcrS burfte, beoor eS an ben Ort feiner ©eftimmung 
fam, im Stitterfaale ber faiferlicpen ©urg auSgeftellt merben unb erregte 
allgemeines N 4luffehen. 

©ie oiele Silbniffe beS AtaiferS Atupelmieicr noch in ber Jvolge nach 
biefent erften malen mufste, läfst ftd) nicht mit ©eftimmtpeit fagen. Er 
äußerte im Scherge barüber, bafS er meine, er fönnte ben Äaifer iepon mit 
uerbunbenen klugen malen, fo genau höbe er feine 3üge im ©ebächtniS. 
Von biefer Seit an intereffierte ftd) bie A^aiferin für ihren Schübling unb 
bemaprte biefeS ^ntereffe ihm unb feinem ©irfen bis gu feinem lobe. 

„9luf nad) Italien!" XieS ift mohl für jeben Äünftler ein begeifternber 
Stuf. 3u Seginn biefeS ^ohrpunberts mar eS aber feine leichte Sache, 
biefen ©unfep gu oermirflicpen. Seit unb ©clb maren bafür in oiel höherem 
SJtaße nöthig als heute, ©egeiepnenb für bie bamaligett ßuftänbe ber 
4lfabemie mar eS, bafS Atupelmiefer fein Stipenbium erhalten fonnte, obmohl 
folcpe an oiel unbebeutenbere Kräfte gugemiefen mürben. Xa erhielt ber junge 
At'ünftler oon einem ruffifepen Sbelmanne StamenS ©ereftn ben Eintrag, ihn 
gu begleiten unb für ihn Sfiggen gu einem größeren ©erfe über Italien 
gu malen. Ahtpelmiefer gieng auf ben ©orfcplag ein, unb bie beiberfeitigen 
©ebingungen mürben feftgeftellt. Schmer ftel ber Slbfcpieb oon ber geliebten 
©raut; aber beibc hofften auf ein balbigeS ©ieberfehen unb ahnten nicht, 
bafS eS eine Trennung auf 3opre merben follte. 

SJtit bem XaliSntan einer heiligen unb reinen AJiebe im bergen trat 
Atupelmiefer bie Steife nach bem Sübett an. SS mar im Stooember 1843. Xer 
©eg gieng burd) Steiermarf, über Allagcnfurt nad) Xrieft. 3n ©enebig, mo 


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Beopolb ffupelrotefet. 


507 


ftd) bie Steifenben faft bcn ganzen Pionat Xecember aufpielten, mürbe ffupelmiefer 
einigemale oorn Siceföntg, Srahersog Stainer, empfangen, melcher große« Sntereffe 
an feinen Stilen zeigte. Slud) bem Patriarchen oon Senebig, üabi«lau« Porter, 
fteflte ftd) ffupelmiefer oor, ber ben jungen ffünftler fepr lieben«mürbig empffeng, 
ihn jurn ©peifen eittlub unb ihm ben Sorfdplag machte, ihn auf ber Stücfreife 
*u porträtieren; hoch fant bie« erft oiel fpäter juftanbe. Sonora, ber bamal« 
8elbtrieg«commiffär in Pabua mar, (am in Senebig mit ffupelmiefer jufammeit 
unb mar febr erfreut barüber, baf« fein erfte« Urtheil über be« (leinen öeopolb 
(ünftlerifche Segabung nun gerechtfertigt erfchien. Sei ber SBeiterreife mürbe 
pabua, Serona unb Parma berührt. Slm (enteren Ort empfieng Plaria Üouife 
ben ffünftler, befteüte ein Silb bei ihm, höchftmahrfcheinlich ein Porträt ihre« 
Sater«, unb ließ ihm vielerlei ®mpfehlung«briefe mitgeben, fo baf« er fagen 
fonnte, er reife oon bort au« „mie ein Courier, mit Sriefen oerfepen, nach 
Dom". Über Sologna unb Slncona (amen bie Detfenben eitblid) am 
* 21 . Jänner 18*24 in Dom an. £ier trennten ftd) Sereftn unb ffupelmiefer 
uon einanber, bem Sertrage gemäß mar e« felbftoerftänblid), baf« Sereftn 
alle Stilen an ftd) nahm. 

ffupelmiefer mar nun frei unb fonnte feinen eigenen SBeg gehen. 3 m „®afe 
©reco" fanb er in Dom einen ffrei« oon beutfehen ffünftlern, in bem er fid) 
balb heimifd) fühlte. $)er ®inbrutf, melchen all' bie ffunftfcpäfee auf ffupelmiefer 
machten, mar übermältigenb; überglüdlid) ftanb er oor Dafaef« Silbern, 
aber unmitlfürlid) 30 g e« ihn ju ben alten Pleiftern hin, unb ba mar e« bie 
geiftige Sermanbtfchaft ber alten italienifchen Pialer mit benen ber alten 
beutfehen Schule, bie feinem &erjen befonber« mohl that. ©o maren e« ftiefole'« 
reine, heilige ©eftalten, bie ihn oor s 2lllem anfpradjen; er ftubierte bie Silber 
be« frommen Xominifatter« unb brang in ben finblid) reinen ©inn be« 
Pteifter« ein, ber nicht ohne ©influf« auf ben gelehrigen Schüler blieb. 3 nt 
Sereiite mit Tempel unb lunner zeichnete ffupelmiefer im Satifan in ber 
Capelia di S. Lorenzo bie 5re«ten Sieiole'« au« bem Sieben unb Ptartüriunt 
ber heiligen ®iafone ©tefanu« unb ^aurentiu«, fomie bie oier ®oangeliften. 
Tiefe ©apelle mar bamal« nicht, mie heute, bem publicum geöffnet, fte biente 
al« eine s 2lrt Dumpeltammer, unb man fchüttelte über bie SBünfcpe ber jungen 
ffünftler jmar ben ffopf, ließ fte aber ein unb geftattete ihnen bort nach 
.v>eraen«luft ju geiepnen. (Tiefe 3eichnungen mürben erft 30 3<thre fpäter in 
Bonbon in ffupfer geftochett.) 3tt Dom oolljog fid) bamal« unter ben 
ffünftlern eine ©cheibung ber ©eifter. Tie ®inen fudjten ba« Schöne 
mehr in ber Nachahmung ber s 2 lntife, bie SInberen betraten ben chriftlidjen 
Sobeit. Tie Meuteren, gu melchen ftd) ffupelmiefer balb entfepieben menbete, 
luurben „Dagarener" genannt. Tie ®rfteren tpcilten bie Oerfdjiebeneit 
Nidjtungcn itt ben breiten unb fchmalen SBeg. „Tie Sreiten", feprieb ffupel= 
roiefer am 22 . Ptärg 1824, „feiitben un« fdjredlid) an, palten un« für Staat«* 
uerrätper unb ftreigeifter, be«palb gibt e« oft oiel gu lachen, aud) oft gu 
rechten unb gu fd)lid)ten. Tann gibt e« Schmanfenbe, melche ftd) nicht 
au«fprechett au« Surcpt, e« bei ®tnem ober bem Slnberen gu oerberben. 
®« ift gang toll, in einem fo engen ffrei« folcpe s Äbmed)«lung, aber mirflid) 
baburch auch fepf oiel Üeben unb ffraft gu ftnben; menn bie« Sille« an feinem 
plafce einft gur SBirfttng (ommt, fo (attn oiel ©ute« barau« entfprießen!" 


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508 


Seopolb Stupelroiefer. 


kluger ben Zeichnungen nad) Siefoie, oon bencn Äupclmiefer gmei bcr 
©oangeliften unb bcn öl. SaurentiuS ©Imofen fpenbenb auSfübrte, arbeitete 
er an üerfdjiebenen Äaifer^orträtS, mit melchen er ftd) erbalten mufste. „kleine 
$aiier*Sabrif, febrieb er im felben ©riefe, „ift febon in ©ang, fte fteben febon 
bcr Seihe nad) ba; bie Sönter, b. b-, bie »beutfeben Sönter« haben ihre Sreube 
an mir, bafS id) Äaifer malen unb ben Siefoie geiebnen fann. 9Ran fpenbet 
mir megen ber Zeichnungen nad) Siefoie oon allen ©eiten großem 8ob unb 
id) munb're mid) über ibr ©rfkunetj; fte halten ©UeS, maS au£ ©Jien fomrnt, 
für fo in ^Sanier oerfuttfett, bafS fte eS nicht faffen fönnen, menn ein foldjer 
SRanterift ihnen etmaS guoortbut. Sd) erfenne aber gugleid) ihre Siebe gunt 
©Jahren unb ©Uten barin, unb maS ben ©Jiener Scblenbrian betrifft, fo ift 
rnobl etmaS baran, nur märe eS traurig, menn man ben nicht abmerfen fönnte, 
— unb biefe Sotbmenbigfeit lernt man hier auf brei ©liefe emfeben." 

Die Äünftler famen abtoecbfelnb bei bem (Sitten ober ©nberen t>on 
ihnen gufammen. Da mürbe bei italienifcbem ffiJein unb ©alat noch Ääfe unb 
©djinfen feroiert. ^Rangelte eS an bem nötbigen ©eroice, fo mufften bie 
Paletten als ©eroier=Sd)üffeln berbalten. 

Sn ber ©efeUfcbaft, melche im „(Iaf£ ®reco M ihr ©tellbicbein batte, 
maren auch mehrere ©roteftanten, bie ftd) gerne in religiöfe ©ontrooerfen 
einließen. Äupelmicier’S SeligionSfettntniffe maren oon ber ©rt, mie man fie 
eben in ©Jien, mo ber 3oieftniSmuS in ber ooüften ©lüte ftanb, bamalS 
ermerben tonnte. Den ©roteftanten gegenüber mollte Äupelmiefer nun aber 
nicht unmiffenb erfcheinen; er fieng an fleh um religiöfe Äenntniffe gu bemühen, 
©eine reine ©eele mürbe Don ber ©röße unb öeiligfeit ber tatbolifchen 
Äirdje übermältigt, unb er batte eS feinen proteftantifeben ®efäbrten gu 
bauten, bafS er ein treuer ©obn ber Äircbe mürbe. ©S fcheint nicht, bäte 
bei Ahtpelmiefer eine momentane ©Jenbung eingetreten ift, mobl aber ein 
ftetigeS ©Jeiterfcbreiten, ein immer tieferes (Srfennen, eine maebfenbe Siebe 
gur Äirche, bie ftd) nicht bloß an frommen ®efüblen genügen liefe, fonbern bie 
gur opferfreubigen Dbat mürbe, ©elbftoerftänblid) ift eS, bafS fid) bamit 
für Ä'upelmiefer’S tünftlerifchc Saufbabn eine neue Sichtung erfcblofS, eine 
Dichtung, in ber er ©roßeS geleiftet bat unb ber er bis gunt Dobe treu 
geblieben ift. 

©iS ßnbe Suli 1824 blieb Äupelmiefer in Sont, er malte fleißig, um 
ftd) ein Seiiegelb für bie &eintfebr gu oerbienen. Sott ©Jien aus machte man 
ihm Hoffnung auf ein afabemifcbeS ©tipenbium, aber bie Sache gieng nicht 
meiter. Da tarn ©ereftn mieber; er batte aus Sufslanb ®elb für fein Unternehmen 
erhalten unb mollte nach ©icilien geben. Äupelmiefer follte ihn begleiten, bie 
©ebingungen mürben neu geftellt, ©ereftn mar gu ©Hem bereit, febon barum, 
meil Äupelmicjer’S ©ttfprücbe febr befdjeiben maren; biefer rechnete, bafS — ba ja 
bie Seife unb ©erpflegung frei gehalten maren — bie ein ober gmei ©cubi per lag, 
melche ©ereftn je nach ben ©rbeiten Derfprad), genügen mürben, um ihm barnacb 
bie 4>eimreife ht fedjS ober acht ©Jochen gu ermöglichen. 

Die £>ifee unb fcblecbte Suft in Som batten Äupelmiefer’S ©efunbbeit 
angegriffen, unb fleine ©Mahnungen ber ©talaria machten ftd) bemerfbar. Unter 
biefen ©erbältniffen trat er am 10. ©itguft bie Seife an, oorerft nad) Seapel, 
mo er am 13. ©ugttft anfam unb am 20. mit ©ereftn gufammentraf. Sach 


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Scopolb ftupelroiefer. 


509 


einem mehrtägigen Aufenthalt bafelbft uitb einem Ausflug auf ben Vefub 
mürbe bie Steife non Steapel nach ©icilien mit bem Dampffcpiffe au^gefüprt. 
Von SJteffuta au3, bon rno ber Ätna beftiegen mürbe, gieng e3 über ©atania 
nach ©iracuS unb bon bort in ba£ innere be3 Raubes. Die Steifenben machten 
übermä&ig meite DageStouren, ba bie Stacptperbergen meit bon einanber entfernt 
lagen, ©inmal maren fie genötpigt, in einem fteinen Orte im freien unter 
einem £au$thor gu übernachten, infolgebeffen Äupelmiefer, Verefin unb ihr 
Diener am Sieber erfranften. Stach itoei meiteren anftrengenben Dagreifen 
brachen fie, bom Sieber iibermältigt, in ©irgenti gufammen. Äupelmiefer mar 
am 15. Stobember fchon bem Dobe nahe, unb atö er fleh gu erholen fchien, 
mürbe feine noch fehr gefchmächte ©efunbheit burch ba£ Ableben Verefut’a tief 
erfchüttert. Die hiermit berbunbenen geiftigeit unb förperlichen Anftrengungen 
lÄupelmiefer berlieg ba$ Sett, um ba3 VegräbniS gu beforgeu) brachten ihn 
neuerbingä an ben Stanb be3 ©rabe£. Der Argt gab ihn auf, berbot inbeffen 
hoch noch ba3 Drinfen be$ uugefunben 2Baffer£. Der £>au$mirt, ein gutmütiger 
SJtann, buchte jeboch, man fönnte, menit ber Äranfe ohnehin fterben müffe, hoch 
noch beffen brennenben Dürft ftiUen, unb gab ihm reichlich gu trinfen. hierauf trat 
in ber folgenben Stacht eine SBenbung gum Vefferen ein. Verefin, ber in Steapel 
unb ©atania biel berbraucht hatte, mar ohne ©elb nach ©irgenti gefomnten, 
feine Sachen mufften nun als Vfanb bort bleiben. Um Äupelmiefer nahm ftch 
ein junger üiblänber namens* Dhale, al$ Stuffe ein öanbämann Verefin'*, an, 
ber bie ©efepäfte be* Verdorbenen orbnete unb Äupelmiefer biele ©efälligfeiten 
ermie*. Stach 3ü fahren fenbete Äupelmiefer £>errn Dhale gur ©rinnerung an 
jene Zeit eine Meine Öanbfcpaft, ben Ätna barfteüenb, nach @t. AeterSburg. 

Sn einer Sänfte muffte ftch Äupelmiefer nach Palermo bringen laffen 
unb fehrte bon ba au* nach Steapel gurücf, mo er ©nbe December 1824 anfam. 
Dort muffte er borerft abmarten, bi* bou Seite ber ruffifchen ©eianbtfchaft 
Vereint'* ©efchäfte georbnet unb feine Anfprüche gebeeft maren. ©inige Veftellungen 
erleichterten ihm ba* Sortfommen, unb bie Äaiferiit ©arolina Augufta fenbete 
ihm eine Unterftüfcung bon 100 fl. Aber feine Kräfte erneuerten ftch nur fehr 
langfam uub fo bergögerte ftch bie beabsichtigte Abreife. Sngmifcpen berfehrte 
Ahtpelmieier biel mit ben bamal* in Steapel attmefenben öfterreiebifepen Officicren, 
unter melchen er liebe Sreunbe gemanit. Dabei blieben feine fünftlerifchen 
Arbeiten nicht gurücf. Au&er berjcpiebenenAorträt* malte er ein Heine* Ölgemälbe 
nach ©oetpe’* „©rlfönig" unb fertigte berfepiebene Zeichnungen für bie .^ergogin 
bon Sagan au. Äu§erft fcpmerglich berührte ihn gu biefer Zeit bie Stachricpt 
uom Dobe Vonora'*. Schon baepte er baran, gufammen mit bem öfterreiepifepen 
SJtilitär in bie Heimat guriiefgufehren; er entfcplof* ftep aber boep anber* unb 
reifte am 15. Suli 1825, ba fiep bie ©elegenpeit bagu bot, mit einem öfterreiepifepen 
Votfchaft*=©ourier bon Steapel ab, fap Stom nur im gluge, befuepte Siena 
unb machte erft in gloreng einen längeren Aufenthalt, um, mie er jeprieb, feinen 
lieben gicfole in beffen Heimat noch einmal gu begrüben. 3e näher er bem 
Vaterlanbe fam, um fo gcmaltiger überfam ipn bie Sepnfucpt nach feiner 
•'oeimat, feilten Sieben unb bor Allem nach feiner Vraut, unb entgücft jubelte 
er auf, al* er bei ber Überfahrt über ben Ao bie Alpen mieber erblicfte. So 
befcpleunigtc er benn nach Kräften feine Stücffepr. ©ein Verbleiben in Vologna 
soar nur fitrg, gerrara unb Aabua paffierte er ohne Aufenthalt, hielt fiep in 


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510 &opolb ftupelmiefer. 

Senebig nur einen Sag, in Irieft smei läge auf unb fam am 7. Sluguft 1825 
in SBien an. 

©o fef)r ihm ber Slufentbalt in Jtalien burd) barte ©rlebniffe unb 
gewaltiges Heimweh Verbittert mar, heilte bie tfeit biefe SBunben unb Äupelmiefer 
ipracb in fpäteren fahren ftetS gern von ben Meinen unb größeren ©rlebniffen 
feiner Steife. 

Jn SBien traf er SJtancbeS veränbert. SJtebrerc liebe ftreunbe maren aus 
bem Greife gefebieben, tbeilS bureb äußere, tbeilS burd) innere ©ritnbe baju 
veranlagt. SBieber gruppierte ftd) eine Meine, aber gewählte ©efellfcbaft um 
Srucbmann, ber ftd) Äupelmiefer anfcblofS. ©inige ber alten Sreunbe maren 
geblieben, neue baju gefommen, im ganzen mar aber bereu 8abl verminbert. 
2BaS ifupelmiefer in 9tom fennen gelernt, baS batte Srucbmann in ffiien 
erfannt, unb aud) er mar aus bem bie SBiener ©efellfcbaft beftridenben 
JnbifferentiSmuS ermaebt unb ein eifriger Äatbolif geworben. 

©inige alte Jreunbe, meldje Äupelmiefer’S religiöfe 2lnfd)auuitg nicht 
tbeilten, jogen ftd) von ibm aurüd. Später erfannten fte, baf$ er fein Äopi* 
bänger geworben, bafS er benfelben frifdjen, reichen ©eift jurüdgebradjt batte, 
bafS er ber alte, treue Jreunb geblieben mar unb bafS er ftetS bie größte 
Xulbfamfeit gegen Slnbere übte, wenn fte aud) baS innere Seelenleben beS 
ÄüttftlerS, aus welchem all’ bie reichen Sdjäfce, welche ©ott bineingelegt batte, 
ftd) entmidelten, nicht Verftanben. 

©inige Silber, welche Äupelwiefer gleich nach feiner Stüdfebr malte, 
jogen bie Slufmerffamfeit weiterer Greife auf ftd). @3 waren bteS bie „^eiligen 
brei Könige, bem Sterne folgenb“, welches bie foerjogin von Sagau taufte 
unb „Xie Teilung beS XobiaS". Slußerbem malte er noch viele SorträtS, wie 
Äupelwiefer überhaupt bis aurn Jahre 1840 viel mehr Sorträts als btftorifche 
Silber ichuf, obwohl fein £>era unb Sinn ihn immer mehr ju biefen jog. 

ftupelmiefer batte ftcb faum in SBien niebergelaffen, fo melbeten ftd) 
febon junge üeute, bie feiner bervorragenben SJteifterfcbaft au folgen trachteten. 
Unter biefen war wohl ber bebeutenbfte ©buarb Steinle, ber nur von feinem 
12. bi$ 15. Jahr bie Sßiener SIfabemie befuebt batte, bann aber jmei Jahre 
in tfupelmiefer’S Atelier arbeitete unb mit großer üiebe an bem SJteifter unb 
ftreunbe, ber nach beS SaterS Xobe aud) fein Sormunb mürbe, bieng. Stadl 
Äupelmiefer'S lob fchrieb er an beffen SBitme: *2113 id) ihn nach Jahren wieber 
fab, war er gana baS alte 4>era, baS licbenSmürbigfte ©emiit, ber mid) in 
meiner Jugenb nicht allein auf bie richtige Sahn ber $uitft geleitet, fonberri 
mir noch weit Nichtigeres, bie Sahn ber Steligion unb ber Äircbe erfdjloffen bat.“ 

SBenn aud) noch ohne fiebere Stellung, bloß auf ben ©rwerb ber ftunft 
augemieieit, führte Äupelwiefer bod) am 17. September 1820 feine Sraut beim 
unb grünbete mit ihr, wenn eS auch an SJtübfalen mancher 2lrt nicht fehlte, 
eine ber bettfbar glüdlidjften ©ben. Sei ber im ftaufe ber ©Item ßup gefeierten 
JQocbaeit ließ ftd) fein treu gebliebener Jrcunb Schubert eS nicht nehmen, ben 
vergnügt tanaenben ©äften feine herrlichen SBeifen aufaufpielen unb SJtoria Sd,minb 
begrüßte bie junge ftrau als „Jrau SReifterin". 

Salb nach feiner Serbeiratung fiel Äupelmiefer bie ©rbaltung feiner 
verarmten SRutter unb ©cbwefter, fpäter aud) bie eines Steffen, feines ältefteit 
SruberS Sohn, faft vollftänbig au. 


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Leopolb ftupelwiefer. 


511 


Xiefe Umftäitbc unb aud), bafs ftd) Äupelwiefer baheim am wohlften 
fühlte, PeranlafSten if)n, eilt jurüdgejogeneS Leben $u führen. 2US oerheirateter 
SKanit hätte er ©inlabungen su gefellfcbaftlicbem Serfehr, wenn er fte annahm, 
erwibern muffen, was er nicht fonnte unb was aud) feinem ernfter geworbenen 
®efd)ntade nid)t mef)r entfprad). X)od) war fein £>auS unb fein befdjeibener 
Xifd) jebem ftreunbe, ber ftd) bamit begnügen wollte, offen. Äupelwiefer war 
ftetS ein freunblicher unb liebenSwürbiger Hausherr, aber ©chmaro&ern bot 
feine Xafel fetnerlei ©enüffe. 

2ln SBinterabenben laS er mit feiner jungen ftrau ernfte ©üd)er ober 
befudjte feine Schwiegereltern, welchen er ein wahrer ©ohn war. 3Jtit ©ruchmann 
unb einigen geiiteSocrwanbten ftreunben oerfehrte er häufig. ©ei biefen 
3ufammenfünften, welche ftd) regelmäßig mieberholten, würben meiftenS gebiegene 
SBerfe Porgelefen unb fobann befprodjen. SRehrere jüngere Äünftler traten 
sufammen unb führten gegenfeitig gegebene ©ompofttionSarbeiten aus. XarauS 
entfianb fpäter ein SBerf, baS unter bem Xitel „©hriftlicheS $unftftreben M in 
bie Cffentlichfeit gelangte. ©S arbeiteten ba außer Äupelwiefer auch ftübridi, 
Tempel, Äablif, Schul* u. 21. mit, bod) hatte baS Unternehmen feinen ©eftanb. 

Xer Xob ber ftrau SrndwtanaS unb beffen ©djwefter, ftrau o. ©metana, 
unb ber hierauf erfolgte ©intritt ber beiben Pcrwitweten SRänner in ben 
SRebemptoriften-Orben brachten einen 9tifS in ben ftreuttbeSfreiS. 

Xie Sommermonate 1833/34 brachte Äupelwiefer mit feiner Familie, bie 
bamalS fchon Pier .^inber wählte, in Sloftemeuburg *u, wo er im September 1833 
baS Pon ihm gemalte .t>auptaltarbilb in ber StiftSfirche auffteüte. ©eit 
bem 3ahte 1831 war Äupelwiefer mit einem ©ehalte Pon 360 fl. (baS 
Cuartiergelb mit eingerechnet) als ßorrcctor an ber 2lfabemie ber bilbenben 
fünfte in ffiien angefteflt. 3m Jahre 1836 erhielt er Porerft ben Xitel eines 
‘ißrofeffor# unb einige SRonate fpäter, nach Siebers 2lbgang Pon ber 2lfabemie, 
aud) ben ©ehalt Pon 800 fl. unb 100 fl. Quartiergclb. Rührid), ber *u biefer 
Beit nach Söien fam, würbe für Äupelwiefer ein ©rfafc für ©rudjmann. ©eibc 
9Rcifter waren innig befreunbet, unb eS war bieS eine Sreunbfchaft, bie erft 
ber Xob lüfte. Jn ben fahren jwifchen 1830—40 malte Äupelwiefer Piele 
2lquarelle im 2luftrage ber ®r*her*oge Lubwig (©ruber beS ÄaiferS ftran*) 
unb Jyran* ©arl nad) Ätopftod'S SReffiaS, Welche bie ©rjherjoge als ©efehettfe 
für bie ftaiferin ©arolina 2lugufta Perwenbeten unb bie fpäter in ben ©eftp 
bcs @r*her*ogS Karl Lubwig Übergiengen. Bwifdjen 1830 unb 1840 malte 
ftupelwiefer bie 2lltarbilber für bie ©eitenaltäre ber Lichtcnthaler Äirche unb 
baS £>auptaltarbilb in ber Xominifanerfirche. Jrn 3ah*e 1838 erhielt Shtpelwiefer 
ben Sluftrag, ben bamaligeit Sürfc©r*bifd)of Pon Clrnüb, ©aron Sommerau, 
*u porträtieren, ©r muffte *u biefem ©nbe nach Dlmiifc unb fttemfier reifen 
unb führte bann baS Porträt in Lebensgröße, in ganzer ftigur, aus. ©oit 
biefer Beit an erhielt Äupelwiefer oon bem ®r*bifd)of Pott Dlrnüfc mehrere 
größere 2lufträge für Perfchiebene Kirchen uttb mufSte bcShalb öfters nad) 
Olntüfc unb .fttemfter reifen, Wo*u man bamalS einen Beitaufwanb Pon faft 
ebettfoPielen Xagen Wie heute ©tunben benöthigte. 

Jm Jahre 1840 würbe Äupelwiefer ©hrenntitglieb ber 2lfabetnie Pott 
SRailanb, fpäter auch ber Pon 9Ründ)en. 


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512 


tfeopolb ftupelmiefer. 


Jiupelmiefer mar bcr ©rfte, meiner in Cfterreich in biefem Jabrbunbert 
mieber al ftre?fo *u malen begann. $>ier banbeite e? ftd) nicht bloß um bie 
Zeichnung ber ©arton? unb um bie 9Jtalerei, ber Siiitftler muffte auch sum &anb* 
merf greifen, fid) ielbft ben 9Jtaurer abriebten, ber ben Slnmurf berjufteUeit 
batte, unb ba? Schlemmen be? Sanbe? beforgen. Shtpelmiefer’? erfter Serfud) 
in biefer s 2lrt mar ein Sruftbilb be? bl. Johanne? be? Xäufer? ober bem 
laufftein ber Äircbe in 5Keuftift am SBalb, mo bamal? einer feiner ftreunbe, 
s 2lmbro? SRoefner, al? Pfarrer lebte. Salb barnacb-malte er smei üRebaiUon? 
in ber &au?capeüe be? $omberrenbofe? in SBien unb übernahm e? bann, 
für ben ftauptaltar in ber neuen 3<>banne?fircbe in ber 'Praterftrage in SBien 
bie 2lltars@emälbe bersufteUen. 

®? maren 3ab*e angeftrengter ibätigfeit; nur feiten unb für* burd) 
irgenb einen fleinen, mit feinen b^anmaebfenben Äinbern unternommenen 
s ilu?flttg auf? Üanb unterbrochen. ®a Ahipelmieier im 3abre 1836 in ber 
Sllferoorftabt eine SBobnuitg mit einem ©arten besog unb biefe 1840 mit einer 
fchönen großen SBobnung im gräfl. Schönborn’fcheit 4>aufe, in ber jepigen 
Üaubongaffe im VIII. Scsirfe SBien?, ocrtaufchte, buchte er nicht mehr baran, 
mit ber fchon febr sablrcichen Familie auf? Üanb au sieben. ®iefe lepte SBobnung 
bot oiele Slmtebmlicbfeiten; fte mar febr geräumig, eine alte £>errfd)aft?mobnung, 
mit freilich etma? oerfaUener gräflicher Fracht. 3ene Simmer, melche einft bie 
gräfl. Sdjönborn’fcbe ©alerie enthielten, maren mabre Pracbtfäle, mit grogen 
Spiegeln, SKarmortijchen unb baroefen Xecfengemälbeit. Sie bienten ihm al? 
Atelier unb sur Slufbemabrung ber oielen Karton?, bie er für feine Silber 
gezeichnet batte. S)er parfäbnlicbe ©arten burfte oon ihm unb ben Seinen 
beniipt merben. Sefonbcr? anmutbig marba? fogenamtte Salconjimnter, ba? 
im Sommer ftet? al? Salon benüpt mürbe, ^m Sergleid) mit ben anberen 
Zimmern mar e? nicht grog, batte aber einen Salcon in ben ©arten. $)ort 
ocrlebte ber Zünftler mit feiner Familie manchen fchönen Slbenb. SBiener 
Ahinftler unb ftrettnbe, fomie bebeutenbere Zünftler unb ©elebrte be? $lu?lanbe? f 
bie ihr SBeg, fei e?, baf? fte nach Italien giengen ober oon bort tarnen, burd) 
SBien führte ober bie fonft bie Xonauftabt befuchten, maren häufige unb 
gern gefebene ©äfte. Slber auch bie beimifchen ftreunbe oerfammelten fid) bort 
oft, unb ba ^ttpelmiefer bie SKufif febr liebte, mürbe auch t>iel mufteiert. 
©ine Sreunbin feiner % öchter, Slugufte ©agner, eine s Pianiftin erften Stange?, beren 
ftd) ältere SBiener mobl noch erinnern, perbrachte möcbentlid) einen Slbettb in ber 
Familie unb mar ber muftfalifche SJtittelpuntt biefer gebiegeiten Unterhaltungen. 
Sie fpielte bie ©laffifer mit SJteifterfcbaft unb fang mit Sorliebe Scbubert’fcbe 
unb 9Jieubel?fobn’fd)e lieber. s JDtit ihrer Atunft nicht prunfenb, mar fte ftete 
gerne bereit, auch mit minber Segabten Xuette unb Quartette einsuftubiereit 
unb su ftngen unb fo tarn e?, baf? Schuberts bamal? noch mentg befanntc 
©efang^Quartettc häufig sunt Sortrage gelangten. Stad) Slugufte ©agner’*? 
frühem lob mar e? ba? ©bepaar ©ifenlobr, ba? häufig burd) feine ©efang?* 
leiftungen im Salcoitsimmer bie SKugeftunben Ättpelmiefer’? Perfchönte. 

®a mir an biefer Stelle fein genaue? Serjeichni? fämmtlichev 
SBerfe JBeopolb $upelmieier’? geben föttnen, fo folleu hier nur jene berPor* 
gehoben merben, melche gefenberte Venoben feine? Jlünftlerleben? sunt Slu? s 
brtttfe bringen, ©ine iolche S*eriobe mar bie Arbeit in ber oben genannten 


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Weopolb ftupelrotefer. 


51 :* 


Äirche in ber i3raterftraße. 3mei 3ah*e Arbeit fanit man für biefeS SBcrf 
rechnen, benn im SBintcr seichnete Äupelmiefer bic dartonS, melche meit über 
WebenSgröße gehalten futb, unb im Sommer malte er bann oom frühen ^Morgen 
bis aum ftntenben $lbenb in ber eben erft neu erbauten Äircbe. freilich mürbe 
SU biefer Beit noch manches anbere 93üb gefchaffen. Sefonbere Sorgfalt mibmete 
Ahtpelmiefer ben oon ihm oermenbeten Farben, melche er (ich häufig felbft 
bereitete. 3n ben lebten sehn fahren feines WebenS nahm er ftch basu nicht 
mehr bie Seit. Neue (Srfinbungen auf bem ©ebiete ber ftarbenchemie liegen 
ihm baS unnöthig erscheinen. 3lber jept, nach einer Sfteihe oon fahren, erfennt 
man mohl, bafs Äupelmiefer'S ©ilbmerfe ber früheren ‘Periobe mit ben felbft 
bereiteten Farben ttitoergleid)lid) flarer im dolorit fich erhalten haben als jene 
feiner späteren Seit, in ber er ftch oielfad) neuer Farben bebiente. 

3nt Spätßerbft 1845 unternahm er, nach längerer ^ßaufe, ben ersten 
größeren Nusflug, für ben er fid) einen Urlaub oon Oiersehn Xagen gönnte. 
(Sr reifte mit feiner ftrau ins Salsfammergut. Die Seranlaffung basu gab 
ein SKtarbilb bcS bl. Ntartinus, bas er über Auftrag beS (SrshersogS Wubmig 
für bie ©farrfirdje oon ©oijern gemalt hatte, ©ei biefer (Gelegenheit über¬ 
nahm er aud) eine ©es'tellung beS (SrshersogS Srans ßarl für ein SUtarbilb 
nach 3fd)l. (Sine (Srfranfung im ©Jinter 1845—46 oeranlafSte ihn, 1846 eine dur 
in ©oben bei ©Men su gebrauchen, melche er fpäter einigemale mieberholte. 
Nuch mährenb seiner ©abecur malte er ftetS an Heineren ©ilbern, machte aber 
beS Nachmittags mit feiner ihn begleitenben ©attin unb einem ober smei feiner 
tfinber, melche abmechfelnb bei ihm maren, meitere ©uSflüge. Jm £>erbft 1847 
reifte er in ©efeüfchaft ftühridfS nach 3fd)l, mo er baS $auptaltarbilb, ben 
hl. NicolauS barftellenb, in bie ffirche brachte. Son ba auS gieng ber SBeg über 
Nltötting, um ©ruchmann su fehen, bann meiter nach 9Künchen, mo bie bortigen 
Zünftler ben beiben SBiener ©rofefforen einen überaus beglichen (Smpfang 
bereiteten. Stuf ber Neife trafen fte noch mit Dr. 3ofef ftief, bem einftigen 
©efchichtSlehrer beS ÄaiferS Srans 3ofef, unb Dr. Xheobalb Nisi,*) einem 
©etter oon ÄupelmiefefS Srau, sufantmen. Die ©efellfchaft besuchte noch 
NugSburg, Nürnberg, ©amberg unb NegenSburg. 

Drofc ber Ungunft ber 3eiten erhielt Alupelmiejer im Frühling 1848 ben 
xUuflrag, bie Decfe beS SaaleS im neuen Statthaltereigebäube mit ©ilbern 
auS ber öfterreichifchen ©efchichte su fehmüefen. (Sr arbeitete mit oieler Wiebe 
an biefem SBerfe. 3« einem ©ericht, melchen er über ©erlangen ber 
Aiaiferin darolina ©uguita an biefelbe über bie (Sreigniffe biefeS Jahres 
richtete, fchrieb er über feine eigene ©erfon: „3ch habe baS ©lücf, mich in 
mein 2ljt)l ber $unft flüchten su fönnen unb ber ©ußenmelt nur bie nöthigfte 
©ufmerffamfeit su mibmen. 3ch Oermenbete hiebei einige junge Weutc, 
dbuarb dngerth, ©ogler unb Solbabitfd), als /pilfSfräfte unb mar baburd) 
in ber glücflichen Wage, fie oon ben Dhorheiten unb oerbrecherifchen Umtrieben 
absusiehen. Sie erfannten bieS banfbar an, unb inbem ich fte mit an ber 
viunft ermärmte unb belebte, habe ich mit ihrer ©eihilfe einen großen Dheil 
beS SaaleS beenben fönnen." Äupelmieier’S reblicher dharafter, feine Dreuc 
gegen baS öfterreichifche ^aiferhauS empörte ftch gegen bie reoolutionäreit 
©eftrebungen biefer Beit. (Sr mar ein SNann ber Dhat, oerfchmähte es 

I^eobalb ftteiljerr t>. geft. 1882 als ^Jräftbent be$ Cberften $ericbt3bofe*. 

Tie ttultur. III. 3af|rg. «. unb 7. $eft. ^ 1902 » 


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514 


8eopolb ßupelroiefer. 


aber, feine Seit mit Spielereien hinsubringen. Deshalb fonnte er ftd) nicht 
entfchließen, ber bamatö bejubelten ItRationalgarbe beiptreten, melche ftd) oft 
mit recht lächerlichem ©olbatenfpiel befcpäftigte; bagegen trat er felbft= 
Perftänblid) bei jeber ©elegenheit, bie fich ihnt bot, entfchieben für Kirche 
nnb Äaifer ein. Siele Serbienfte ermarb er ftd) bei ber ©rünbung be# 
®atbolifensSereine§, an beffen ©ntmitflung er mit Seitf) unb Slnberen arbeitete; 
nnb fpäter bemühte er ftd) auch eifrig für bie ©inführung be3 fiehrling^ 
SereineS in ber Pfarre Sllferoorftabt. 3n ben Dctobertagen 1848 mufstc 
er feine al gre3fo=2lrbeiten unterbrechen. SDSemt er auch nie eine SBaffe 
ergriffen hatte, fo mar bod) fein entfcpiebeneä männliches Slnftreten ben 
SRePolutionären gegenüber für baS Pon ihm bemohnte HauS ein Sdjup, 
benn fein. fräftigeS unb muthigeS Serhalten binberte bie fogenannte 
polnifche Öegion, ihr Hauptquartier bort aufpfchlagen. Sei ber Dhron- 
befteigung Äaifer granj 3ofefS muffte Äupelmieier ein fleineS gamitien- 
s 2lquareU für ben faiferlidjen Hof malen. Die SRutter beS SfaiferS, grau ©rs- 
herpgin Sophie richtete bieSbepglid) ein eigenhänbigeS Schreiben an ihn. 

3m 3«ni 1850 perlieh faifer grau* 3ofef bem Zünftler baS SRitterfreu* 
beS granj 3ofef$=Drben3. 3nt Herbfte beSfelben 3ahreS reifte er auf Seran- 
laffuttg beS ©rjherpgS Sttbmig nach Deutfcplanb. Der ffieg gieng mieber über 
3fd)l, mo er im Aufträge beS Hofe§ bie ©emälbe für bie beiben Seitenaltäre 
ber bortigen Ufarrfirche p malen hatte. Abermals maren gührid) unb für 
einen Dheil ber Steife auch Stiji feine ©efährten. ©r berührte SRünchen, Stutt¬ 
gart, granffurt. DaS Steifend mar Ädln unb Straßburg. 3n Steuburg bei 
Schioffer fah er ©teinle mieber unb nod) manchen guten alten greunb. ©r 
fchricb nachhaufe, eS fornnte ihm Por, als fahre er Por ber 9Rariahilfer-8inie 
herum, fo Pielen Sefannten begegne er. Sei ber Stüdreife begab er ftd) mit 
gührid) Pon SRündjcn aus nach 0ber=2lmmergau. 3nt Sommer 1851 befudjtc 
er, um im Aufträge ber ©rjherpgin Sophie ein Porträt \>ex SRarie SRoerl 
anpfertigeit, in Segleitung feiner grau Dirol. Son 3fd)l aus, mo er nodi 
©efdjäfte hatte, gieitg er nach 3nnSbrud unb SReran. Son bort au£ hätte 
er gerne baS llltenthal, bie Heimat feiner Sorfahren befucht, aber bie 
fchlechten SBege unb ber SRangel an Seit hielten ihn baoon ab. 3nt 
StoPembcr beSjelben gahreS zeichnete ihn Sapft ^ßiuS IX. mit bem Stitterfreus 
beS ©rcgor-OrbenS aus. 9Rit bem Seginn beS folgenben gahreS 185*2 mürben 
bei ber Steorganiftcrung ber 9lfabemie bnrd) ben ©rafett Dbun je eine ber 
neuerrichteten SReifterfdjuleu Äupelmiefer unb gührid) übergeben. 2lud) mürbe 
bereit ©chalt perboppelt, b. h- mit 1600 fl. normiert. Die ©rrichtung biefer 
SReiftcrfcpulen freute Afupelmiefer fehr, tropbem er infolge berfelben fein 
fchöneS Atelier im ©chönborn’fcben Haufe mit einem folchen in ber 2(fabemic 
pertaufdjen muffte, ma$ ihn auch nöthigte, außer bem Haufe p fpeifen unb 
baburd) bie ihm liebe Sereiniguitg ber gamilie am SRittagStifd) aufpgeben. 

3m grübling 1854 mar Äupelmiefer unter jetten Äünftlern, melchen bie 
2lttSfd)müdung ber 8ercpenfelberfird)e übertragen mürbe, gührid) hatte ben 
Auftrag erhalten, fomohl bie 2luSmahl mie bie ‘JMäfce für jene SRotioe p 
beftimmen, toelche in ber neuerbauten ftirepe pr fünftlerifchen Darfteßung 
gelangen füllten. Die ßompofttion ber fo feftgeftelltcn ©entälbc unb beren 
StuSführung mar bann Sache jebeS einzelnen Äünftler^. So mar ifupelmiejer 


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fieopolb Supelmtefer. 


515 


bie AuSfcbmiidung bcr Suppet mit ber Saritellung ber ad)t Oeligfetten unb 
ber beiben ©eitenaltäre übertragen morben. Supelmiefer mäblte für bie 
fpmbolifcbe Sarftellung ber acht ©eligfeiten Pier ©eenen aus bem alten unb 
Pier aus bem neuen Xeftament, melcbe foaufagen ber praftiiebe AuSbrud ber 
Pon ©briftuS bem £>errn gegebenen ©erbeißungen finb. Sie ©eitenattäre 
mit ihrem SBanbfcbmutfe follten bie ©infepung beS atlerbeiligften ©aframenteS 
beim lefcten Abenbmabl unb ben 3Rarien*©ultuS oerbilblidjen. Sie letztere 
Sarftellung, bie atterfetigfte Jungfrau, umgeben Pon ben Zeitigen, bie bureb 
©ermanbtfcbaft unb ©erebrmtg ibr befonberS nabe geftanben finb, mirb 
Pietfad) als bie ©erle ber SRalereien in ber bortigen Sirdje beaeiebnet. 

Siefe Arbeiten, melcbe erft 1860 Pollenbet mnrben, nabmen Supelmiefer'S 
ArbeitSfraft nicht PoUftänbig in Anfprucb. @r arbeitete in biefem Zeitraum 
noch Pieter Anbere nebenher. Sa bie Sircbe, ber feeXforglicben ©erbältniffe 
megen, au einer Beit ihrem ßultuSamede übergeben rnerben follte, als ^roei 
©emälbc unter bem Sttuftfcbor, melcbe Führich übernommen unb bereit 
©artonS er febon geaeiebuet batte, noch nicht angeführt nmren, übernahm 
Supelmiefer auf gübridfS ©itte auch bereu Ausführung, — ein Opfer, 
melcbeS ber fetbftfcbaffenbe Sünftler ber Sirdje unb feinem gremtbe brachte. 

Supelmiefer’S ©barafter btieb ficb Beit feines Gebens gleich, nur bafS 
er im Atter in ber ©eurtbeilung Anberer noch mitber mürbe. ©on jeher mar 
er allem ©efiinftelten abbotb unb Permieb ben äußeren fogenannten genialen 
Auftrieb, meit er als Sünftler im mabren ©inne beS 5BorteS auf Äußer^ 
liebfeiten feinen SBSert tegte. SWicbt bloß feine greigebigfeit unb bie ©orgfatt, mit 
melcber er auch gering beaablte ©über auSfübrte, aeigen feine große ©efutnung, 
fonbern oor allem mar eS bie Art unb AJeife, mie er Sränfungen unb Burüd= 
fefcungeu ertrug, morin biefer ebte Bug feines ©barafterS au Sage trat. üftic 
groltte er feinen Leibern, im ©egentbeil fam er ihnen ftetS gütig entgegen unb 
gemann fte bureb bie Öauterfeit beS ASefenS. ©einen ©cbütern mar er immer 
ein mabrer ©ater unb grennb, bemüht ihnen au ratben, au helfen, ihnen Arbeit 
an oerfebaffen unb biefelbe au förbern. 

Supelmiefer’S ©Übung mar äußerft oietjeitig. Sein ©ebiet ber ASiffem 
febaft mar ihm Pottfommen fremb, mit befonberer Sorliebe aber befafSte er ficb 
mit ©efebiebte. Außer mit miffenfcbaftticben AJerfen gab er ficb auch gerne mit 
feböner Literatur ab unb (iebte eS, gute ©lieber im gantilienfreife oorlefen au 
taffen. 3n feinem Sefenntniffe a(S Satbolif mar er ftetS offen unb entfebieben. 
@S mochten gute ober fcblecbtc ©brüten, Satbolifen unb ©roteftanten bei ihm 
fein, er betete Por unb nach Xifcb, uttb menn baS AngetuStäuten erftang, 
erhob er ficb, ohne ficb um Anbere au flimmern. ®S magte ficb über auch 
fein Spötter an ihn, benn ohne bafS man ihn ftrenge nennen fonnte, butte er 
bod) etmaS ungemein ©brfurdjtgebietenbeS an ficb- ©roße Xreue in ©rfüüung 
jeglicher religiöfen ©flicht aeiebnete ihn ftetS aus unb bie Anbängticbfeit an 
bie Sircbe mar ein ausgesprochener Bug feines ABefeitS. 3m eigenen £>aufe 
hielt er feft an ber Aufredjtbaltung ber Päterticben Autorität, mar aber ein 
äußerft tiebeooUer unb beforgter ©ater unb fühlte ftcb nirgenbS mobler als 
im Sreife ber ©einen. 

Sie Aufträge, metebe Supetmiefcr Pon ©eiten beS föofeS erhielt, brachten 
ihn in ©erübrnng mit ben meiften älteren SWitgliebern beSfelben. ©o mit 

33* 


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516 


i*eopolb ftupelioiefer. 


Äoifcr Jerbinaitb, beit ©rsberjogen Submig, Anton, Johann, ivranj (Sari unb 
Sräbersogtn Sophie. Sor aEem aber toor eS bie eble Äaiferin ßaroltno 
Augufta, melche ihn nicht nur in Äunftangelegenheiten *u Stathe jog, fonbern 
auch manche ihrer Dielen SBohlthaten, befonberS an Äünftler, burch feine 
£anb fpenben lieg. Sie nahm an adelt ©retgntffen Antheil, melche baS Nebelt 
Äupelmiefer’S ober feine Familie betrafen, *og in ©rfranfungSfäßen 
ftetS genaue ©rfunbigungett über fein ober ber Seinen Sefinben ein uttb 
berief ihn oft betreffs Serathungeit in ftch. AIS einft im Haufe, mo ftupel* 
miefer mohnte, nachts ein fteuer auSgebrochen mar, melcheS einige Don feinet* 
Säohnung entfernte Objecte oeraehrte, mar eS bie Äaiferin, melche gleich am 
frühen SJtorgen anfragen lieg, mie eS ihm unb ben Seinen ergangen fei. 
AIS Sührich burch bie Sreigniffe beS Jahres 1848 ganj gebrochen Don Schon* 
linbe, mobin er mit feiner gamilie Dor ber Steoolution geflohen mar, int 
folgenben Jahre mieber surücffehrte, beftedte bie Äaiferitt, auf Äupelmiefer’S 
Sermenbung hin, bei bemfelbcn bie 3eitbilber. Aus einem Srief an bie hohe 
Jyrau aus biefer 3eit geht herDor, mcldf marmeS Jntereffe er ben Arbeiten feines 
rtreunbeS joßte. SJtit einer bebeutenbenSerfönlichfeit befreunbete ftch Äupelmiefer 
noch in fpäteren Jahren, eS mar bieS ber bamaltge päpftlichc StuntiuS am öftere 
reichifchen Hof unb fpätere (£arbinal unb ©rjbifcbof Don Bologna, Siale 
Sreia. Sie Annäherung fanb fchon in ben SSiergigcr fahren ftatt, theils burch 
Sefuche beS StuntiuS im Atelier beS ÄitnftlerS, theils burch Sefteßungen Don 
Silbern über Auftrag ihm befreunbeter ^firchenfürften. Aus bem gefchäftlichett 
Serfehr mürbe halb ein freunbfchaftlicher, Äupelmiefer berieth ftch mit bem 
gelehrten Theologen über feine firdjlichen Sompofitionen, befonberS über bie 
AuSmahl ber $arftedungen in ber Alt*üercpenfelber Kirche. $er Zünftler 
mar ein häufiger @aft in ber päpftlichen Nuntiatur. Aus bem Jahre 1857 
ftammt auch baS befanttte unb Diel Derehrte Her* Jefu*SiIb in ber UnioerfttätS* 
firche. Jn ben Jahren 1856 unb 57 mufSte Stupelmiefer nach Äalocfa reifen, 
mo er mehrere Silber für ben Hauptaltar beS bortigeit XorneS unb bas 
Sorträt beS (SrsbiicpofS in malen hatte. Jm Jrühling 1857 befuchte er Don 
bort aus feinen jmeiten Sohn, ber als Hüttenmeifter in Stefcpi&a im Sattat 
angeftedt mar. Jm <t>erbft beS JahrcS 1859 mieberholte er biefe Steife mit 
ieiner Jrau, um fein erfteS (Snfelfinb bort *u begrügen. 

Obmohl fchon ein Sechziger, arbeitete ifupelmiefer noch mit oodftäitbiger 
Jugenbfrifche. Stacpbem er im Jahre 1861 baS groge Altarbilb SJtaria* 
Himmelfahrt für bie UnioerfttätSfircbe in SBien oodenbet hatte, machte er mit 
ieiner Jamilie einen Ausflug nach 2Jtaria*3eß. Son SKüraauichlag aus (egte 
er einen grogen Xhcil beS 2BegeS in ftug surücf unb mar für fein Alter fo 
hräftig, bafS feine Sreunbe fo mie feine Jamilie ein gemiffeS Anrecht in haben 
Schienen, für ihn ein hohes Alter in erhoffen. $a begann er anfangs 186£ 
*u träufeln, hoch befferte ftch baS llbel anfcheinenb, unb nach einer Sabecur in 
lüffer fchrtc er SJtitte Auguft heiter unb oergnügt, mie er eS nach ieber 
Steife mar, nach AMen aurücf. Am 16. September mohnte er ber Hochzeit 
feines älteften Sohnes in $rentS bei unb machte, nach SBicn jurücfgefebrt, 
mit bem jungen Aaar unb feinen übrigen $inbern noch eine Sßartie auf ben 
^eopolbSberg. Acht Sage nach ber Hochseit erfranfte er aufs neue, unb eS 
folgte eine Steihe Doit fcbmcrjlicben Sagen unb SJocpen. Jn meniger fchmers* 


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Scopolb ftupelroiefer. 


517 


lieben Stunben oerfucbte er nod) 311 3 eid)nen uitb hörte gerne SRuftf, lange 
aber Pertrug er Seiber nicht. Da 3 u !ant nod), baf£ bie Samilie bie Sobnung, 
in ber fie 22 3 at)re gemobnt batte, infolge Verlaufs be£ §aufe£ mecbfeln 
muffte. Xobfranf muffte er ftd) in einer Sänfte in bie neue Sobnung 
bringen laffen. 211$ bie Seinen 311 einer Seit, in ber man fein ^eben nod) 
31 t erbalten hoffte, gelegentlich be$ Überfiebeln* fein SÖtaljeug orbncteit, fagte 
er mit einem Scuf 3 er: „©ebt bie al fn*c$fo' 3 rarben meg, id) merbc mit ihnen 
nidit mehr malen fönnen." 21m 15. Wooember fühlte er ftd) frei Pott 
Schmerlen, bie Sd)tnäd)e nahm aber fo 31 t, baf$ ihn fein ^eicbtPater 
anfforberte, am folgcnbcit läge bie Sterbeiacramente 311 empfangen, 
lie 2lnfunft feiner älteren Söhne, bie man telegraphifd) berufen batte, 
fd)ien ihn 3 U erfreuen, iebod) mar er 311 fchmad), um an ihrer ©egenmart 
tieferen 2lntl)eil 31 t nehmen. 2lm 17. Wooembcr 1862, eine halbe Stunbc 
nad) Mittag, oerfd)ieb Itieopolb Atupelmiefer, fanft ltttb ohne lobe$fantpf, 
umgeben tmn feiner Familie uitb feinem treuen Jyreunbe ©arl 9toe$ner. 

©iitc 3 ahllofe 2 JJenge füllte am 19. s Jtoocmbcr in fpäter 2 lbenbftunbe 
beit Stefan3*$om, in melchent .stupclmiefer’* Leichnam eingefegnet mürbe. 
Seinen Sarg, ben ein £orbcerfraii 3 fd)ntüdte, trugen feine Schüler. 21m 
folgenbcn lag mohnte ber lobtenmeffe in berfelben Ätrcbe and) bie Ataiferin 
©arolina 2 (ugufta bei. 

2tad) bent lobe feiner ©attin, im v Vhre 1883, mürben Ahtpelmiefer’* 
fterblicbe Überrefte Pou bent Äircbbof in Säbring nad) beut in ©rin^ing 
übertragen uitb bort in einem ©rabc mit ber fo fchr geliebten iyrau Per 
einigt, ©in fdilichter üeicbenftein mit beut 23ilbc be$ auferftanbeiten 4>eilaub*^ 
fdimiicft ba$ ©rab. „3cb bin bie 21uferftcbung nnb ba$ £eben", biefc Sorte 
umgeben ba$ 23ilb be$ A>eilanb$ nnb unter bemiclbcn ftehen bie Sorte be$ 
alten €fterliebe$: 

„Sie Xu Pont lob erftanben bift, 

Üaf$ utt$ erftebn, Jperr ^efu ©brift.“ 

©in Spruch ben er felbft fur 3 e Seit Por feinem lobe al$ paffenb für 
ein Sterbe=2(nbenlen beseiebnete. 

©emif$ paffen biefe Sorte für bie beiben treuen, glaubeu$ftarfeu 
SWenfcben, melcbe unter biefem Steine einer feligen 21uferftebung entgegen 
barren. 

* 

* * 

9)tit Atupelmiefer fanf einer ber beroorragenbften Äünftler ber älteren 
Siener Schule in$ ©rab. ©rnft Jvörfter, ber in feiner ©efd)id)te ber beutfebeu 
fiunft gerabe biefer Schule, unb befonber$ Sübrid) nicht gerecht mirb, läf$t 
bod) Atupelmiefer ooUe 2lnerfennung 3 « Sbeil merben, inbem er über ihn 
iebreibt: „Öeopolb Atupelmiefer, bereite 1809 Schüler ber 2lfabemie, tbeilte 
bie fünftlerifcbe unb religiöfe Sinue$meife Sübridf$, bod) ohne beffen gärten. 
Sein Stil ift freier, breiter, bie formen ftnb größer, ber 2lu$brud unb bie 
23emegung befeelter; meniger reich an ©ebanfencombination, beftfct er eine 
poliere ©abe ber Unmittelbarfeit. Seft in ber Zeichnung, gefebidt im äJtalen, 
gibt er icincn Serfen ba$ ©epräge einheitlicher SSoUenbung, beffen Sert 
burd) ben baritber au$gegoffenen ©rnft ber 2luffaffung unb bie feierliche 
s JJti(be ber XarfteUuitg erhöbt unb gefiebert mirb." 


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518 


Seopolb fiupetiotefer. 


Die heutigen Äunftrichtungen, welche io fet»r au«einanber geben, werben 
.tiupelroiefer fchwerlidj gerecht werben. Den Steatiften wirb er ju wenig, ber 
ftrengen Schule ju oiel Steaiiftit bieten, beim er bat ftcb ftetd auf ber golbenen 
SJtittelftrajje bewegt, Weber ben ©chmufc ber (Söffe mit beionbeTer Siebe 
bebanbett, noch ben SJtenfchen, ben @ott nach (einem ©benbilbe geicbaffen, 
burcb fteife, ecfige Bewegungen corrigieren wollen. Da feine meiften unb 
ichönften Bilber Slltäre fdjmücfen, fo malte er häufig bie heiligen in 
oerflärtem 3uftanbe u. jw. gern auf ©olbgrunb, welcher ichon an unb für 
ftcb eine gewiffe Stube in ber ©eftalt forbert. Bon ben ©eficbtSjägen bi« jurn 
Faltenwürfe herab, beut er befonbere 'ilufmerffamfeit fcbenlte, ift StUe« erhaben 
unb feierlich. Doch werben bie Beuroncr .ffünftler finben, bafs ein hl- Stefanu« 
im Dobe, felbft wenn er ben J&intmel offen ftebt, ftcb bodj nicht fo heftig 
bewegen tonnte, wie er j. B. auf bem Slltarbilb in Steh bargefteüt ift Die 
Stealiften hingegen werben finben, baf« berfelbe jum Dobe getroffene heilige 
Stefanu« unb ber fcbon gefolterte hl- Fohanne« öon Stepomut in ber 
SJteiblinger ÜHrcbe unmöglich oon fo oodenbeter Schönheit fein tonnten, wie 
thipelmiefer fie auffaf«te unb barftellte; aber fte benfen eben nur an ben 
momentanen Schmer^, nicht an bie übernatürliche ©tärtung, bie fcbon einen 
Strahl ber Bertlärung, alfo ber übernatürlichen Schönheit über ben SJtärtprer 
au«giefjt, unb biefen Strahl fab ber Äünftler mit feinem geiftigen Sluge unb 
war beftrebt, ihn wieberjugeben. Fn biefem Strahle ift aber auch bie Stube 
ber Bertlärung ju fuchen, welche fo häufig über ftupelmieier’« Bilber 
au«gegoffen ift. 

3Bie Äupelwiefer felbft über feine Bilber urtbeilte unb gerabe über ba«, 
wa« wir ben Strahl bet Bertlärung nannten, jcigt ein Slu«fpruch, ben er 
einige Btonate oor feinem Dobe einer Dame gegenüber tbat, bie ihm über 
bie Schönheit eines SRarienbilbes, welche« er bamalS für bie ©rjhersogin 
Sophie malte, eine $>öflichteit fagte; er ermiberte ihr: „3Bie wirb un« unfere 
Äunft, wenn mir einft bie Jpeiligen im -t»immel fehen, nur al« elenbe 
Stümperei erfcheinen!" 

Pufferen Stuhm hat Atupelwiejer nicht gefucht. Da«, wa« er bei feinen 
Bilbern wünfchte, baf« fie jur ©rbauung unb jur Frömmigteit beitragen 
follen, ba« hat er ficher erreicht, unb wenn nach Fahrbunberten fein Stame 
oielleicht ganj »erfchotlen ift, werben feine SBerte noch berebt ju ben tperjen 
fprechen unb fo ihm, nach ben Sßorten ber Schrift, nachfolgen. 



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Donau und Rhein. 

(Ein (Sflatj. 

Bon ®r. Union ®iirrhia*rf|t*r. 


; Jfflfellgemach taucht hinter mir 93ifd)of ‘ißilgerim* ©tobt mit ihren ©iebeln 
unb Ihürmen in ben ftluten ber Donau unter. Srnft unb eiitfam mirb 
e* ringsum. Die „Äaiferin Slifabeth", ber ftolge Dampfer, auf bem ich bureb 
bie bunfeht ©albberge be* Sahrifcpen ©albe* unb be* Hau*rucf in bie 
Oftmarf pinuntergleite, mirb felbft immer ftiüer, immer gögernber unb oor= 
richtiger; benn ba, mo lauernb mie eine gum Sprung fertige Üafce, bie Naub= 
bürg Kogenbach ben 2auf ber Donau bemacht, prejfen ftet* muchtiger ragenb 
unb brängenb bie ©erge ben Strom in ihre $lrme unb nur, in feparfer 
©iegung fich gurücfmenbenb, um ben 2auerplafc ber Naubburg herum oermag 
er gu entrinnen. Hier jchriUt bie Dampfpfeife burch bie ftiUen ©älber, bem 
ftromaufmärt* fommenben Schiffe gum marnenben 3eicpen. Die Stöber ruhen 
hier, nur ba* Steuer hilft bem Strome bie ftolge 2aft meiter tragen. Hier 
läf*t e* fich gut träumen. Schmach nur ift ber erfte ^ßlafc befefct, unb bie 
©enigen ftnb emft unb ftille mie ich. ©ieüeicht geht e* ihnen mie mir. 5luch 
fie vielleicht empfinben ba* eigenartig Srnfte unb gum Sinnen ©inlabenbe 
biefer Donaulanbfchaft unb ba* Hochgefühl, auf biefent merfmürbigften ber 
Ströme @uropa* bahingufahren. 

©ie oft hab’ ich in meiner .fiinbheit am Npein Don bir geträumt, bu 
geheimni*DoHer Strom be* ©eften* unb Often*! s 2luf ber Äarte bin ich bir 
oft gefolgt, mit ben Nibelungen in ©ebanfen binuntergegogen in Äönig ©Del* 
Steich unb mit ben .ffreugfaprern auf bir in ba* milbe, geheimni*DoUe 2Kärchen= 
lanb be* Orient* gerubert. Dann fah ich bich felbft unb lebte lange fchöne 
Jahre an beinen Ufern. 2lber, mar e* ber Umftanb, baf* be* SJienfcpen Sepn= 
fucht immer mieber nach ber Jugenb geht, ober mar e* etma* Unbefinierbare*, 
ma* mie Dom Npein einft gur Donau, fo nun Don biefer gum Npein eine 
unfichtbare ©riiefe be* Denfen* unb ©mpfinben* baute: meine ©ebanfen 
febrten Don ber Donau gum Npein gurücf, unb Nätpfel gaben mir nun fie 
beibe auf, bie beutfehen Ströme, bie fo nahe bei einanber ihre ©iege höben, 
foDiel Don ber nämlichen ©efepiepte, Sage unb Kultur empfiengen unb hoch, 
auf fo gang anberen ©egen eilenb, fo gar Derfchiebener 9lrt finb. Da* mar 
e*, ma* al* fieitmotiD au* jenem Sinnen in ber Donauenge bei Hagcnbacp 
fich herau*geftaltete unb hinunter unb hinunter auf bem bei allem ©ecpfel 
gleichmäßig ernften Strom mich nicht mehr lo*laffen moßte. 

Nahe beifammen fah ich Npein unb Donau. ®* ift ja nicht meit Don 
ben büftern ©cpmargmalbhöpen, au* benen bie fleinen Oueflbäcpe ber Donau 
rinnen, bi* gu ben fonnigen Hügeln, an benen fchon bie rheinifche Iraube 


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520 


$)r. 9lnton Xürrmaed>ter. 


reift, ooit bem einfamen $bnle bcr ©rege unb ber ©rigad) bi# hinauf ju 
ben ©ipfeht, oon bcnett au# man bie meiten lacbettben Sluren mit ber ftlbernen 
•tfette be# SRheine#, ihrem fdjönften ©efcbmeibe, überftebt. Unb tief bninten 
im Sdjofc ber ©erge, fagt man, miffen fogar bie ©eroäffer jaubernb nicht, 
ment fte sueUen füllen, bem grünen ftarfen Sohn be# ©letfebereife# ober ber 
braunen febmäebtigen Xodjter be# Scbmarsmalbe#. Xen ^Römern icbon mar 
biefe# nabe ©eieinanber ber ©eiben aufgefallen, ©efebmifter haben Spätere 
fte genannt, ©ut, mag e# einmal gelten, ba# ©ilb, mentt auch nur fo, bafe 
un# Schein unb £onau mie *Rad)bar#finber erfcheinen. 2Bie $Racbbar#finber! 
9Ran erzählt fie ftch gerne, bie ©efebiebte folcber $Racbbar#finber, unb immer 
läuft fte barauf hinauf, baf# bei fo uerfebiebenem SBefen ihre ©ege meit t)on 
ihrer ©iege giengen. Xarf ich oon einem SBefen, oon einem Sbarafter ber 
Ströme fpreeben? 3cb sttjctflc nicht. ®# gibt 2anbfd)aft#= unb Stromcbaraftere, 
unb bie beiben, bie ich meine, ftnb beutlicb genug. 

Sonnig, fröhlich/ Dom Anfang an rafeber ©ntfaltung $ubrängenb, ift 
ber SRbein. Herau#brecbenb au# bem grünen ©letfeberei# ber freien, liebten, 
beherrfebenben SUpenhöhen ftürgt er ftcb hinunter mie mit einem feefen, ftege#= 
fteberen ®ntfd)luf# in ba# 2anb, ba# er ba oben erblitfte. Spielenb überminbet 
er bie Hinberniffe. Sie febeinen faft nur ba su fein, ihn rafcb su flären unb 
fürforgenb ju ftählen. Unb fiehe, fchon lange oor bem ©obenfee öffnet ftcb ihm 
meite#, reichet 2anb. Diefer felbft aber nimmt ihn auf mie ein ruhiger alter 
Sreunb, ber einen ungeftümen, fcbaffen#froben Jüngling ju feinem ©eften in 
Sdjranfen hält, ©efammelter ift benn auch ber SRbein gemorbeit, aber feiner 
s 2lrt hoch treu geblieben. Unbeirrt bureb bie Scbranfen be# 3>ura ftürmt er 
feurig über ihn hinweg, an heiteren Ufern oorbei, bi# mie au nimmer enbenbem, 
frieblicbem 2auf ftcb ihm bei Safel bie herrliche 6bene meit aufthut. 3n ihren 
gefegneten ©aueit ift er ber SReifter unb Herr. 5Rit allem, ma# fte haben, 
geleiten fte ihn, mit bem oiele Stunbcn breitem ©ürtel febmerer Selber, mit 
ben über fte binmeg sum 9ibeiu hinüber grüfcenben blauen ©ergreihen, beren 
febönfte lannenftämme er bem SReere aufübrt, mit ben jahüofeit Slüffen unb 
Säcben, bie alle jtt ihm hinunterjtreben. $lber auch al# Herr biefer meiten 
2anbe ift er ber 2llte, bcr heitere, ftegenbe, jielfreubige SRbein. ©ie ein einiger 
©inflang ift e# in biefer ganzen SRbeinlanbfcbaft. Selbft bie 9Renfcben, bie an 
ben Ufern mohnen, unb ihre ©obnftätten ftnb auf ihn geftimmt. 3Me 
fröhliebften unb rührigften bcr beutfeben Stämme ftfccn an bem Strome, unb 
febimmernbe Stäbte unb febmuefe Dörfer fpiegeln ftcb in ihm unb brängen 
ftcb mie helfenbe ©etrene immer eifriger an ihn heran, je näher bie ©ergmelt 
be# Hun#rücf unb Xaunu# ihn einsuengen ftrebt. Unb nun ift e# ihnen boeb 
gelungen! ©ie eine SRauer thürmen fte ftcb ihm entgegen. ©irb e# nun 
anber# mit bem SRbein? s Jtur einen Slugenblicf miegt ba# ©ilb be# ©rnften, 
Schmeren, be# Kampfe# oor. 2lber bann hat er in ba# Ihor Don ©ingen 
triumphierenb feine gan*c $lrt geführt. Sa, er fteigert fte noch. Hier mirb er 
*um SRhein ber fdjönftett Sagen, ber ebelften fRebeit, ber fröhliebften lieber, 
be# bemegteften 2eben# unb Streben#. Saft bi# ju ben Quellen feiner Sieben^ 
flüffe hinauf ftrömt er hier feine eigene 9lrt, unb nur auf ben Hochflächen 
broben, in ben tiefen Söinfeln ber Serge hält ftcb bie ®intönigleit berfteeft, 
bie Xüfterfeit unb ba# Scbmeigen, bie ihm oergeblicb mehren moüten. ©enn 


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Donau unb Rhein. 


521 


ihm, bent f)ocf) unb ftols ©nteilenben, bie fiebcn Serge bann nadjfcbauen, bann 
grüßen ihn ba, wo er fein £>inberni* mehr gu bewältigen bot unb ber ©auch 
be* Rteere* fchon berüberftreift, bie Dbürme be* Dome*, ber bie Schwere 
alle* irbifdjen SRaterial* am leiebteften unb iebönften überwunben bat, unb 
bie Sfttnen ber fröblicbften unb tbätigften Stabt an feinen Ufern. Da* Sanb 
aber, bureb ba* er bann noch ber Rorbfee guwallt, ift ein ununterbrochene* 
Denfmal ber ade* in ben Dienft einer großen Mraft gwingenben Arbeit, ber 
fröhlich ftegenben Äultur. 

Rirgenb* habe icb oon ber Donaulanbfdjaft äbnlicbe ©inbrüde gehabt, 
unb ftet* erfebien e* mtr naturgemäß, baf* ihr Strom im Siebe fo oiel weniger 
gepriefen würbe al* ber Rhein. Sie löft nicht jene heitere, fange*frobe Stimmung 
au* wie ber Rhein. SBemt ich oerfueben fotlte, ben ©inbrurf, ben mir ber 
Strom be* beutfeben ©üboften* immer wieber gemacht bat, in einem ffiort 
gufammengufaffen, fo würbe ich fagen: ihm ift ba* ©rnfcßiniame eigen, fo 
etwa* ähnliche* wie bie Schatten, bie ein fchwere* Ringen nach einem immer 
wieber entfehwinbenben 3iel auch auf ein SRenfcbenleben gu werfen pflegt. 
Mein anberer europäifcher Strom bat e* fo fchwer, feinen 2Beg gu finben. 
Die Donau muf* tbatfächlich bie 2Belt, bie fte gu burebfließen bat, erft noch 
eittberfen unb mübeooll immer wieber erobern. So ift e* fchon gang oben an 
ihrem Sauf, wo fie gwifeben ben weißen Sel*abbängcn ber Rauben 2llp in 
gabllofen SBinbungen unfeheinbar bureb grüne SBiefengrünbe fchlcidjt ober 
unter bem Malfgeröüe gerabegu oerfebwinbet. So auch weiterhin. Si* gur 
nieber^ungarifchen Diefebene berrfebt bie ©igenbeit eine* ftet* wieberbolten 
SBecbfel* gwifeben beefenartigen ©beneit unb enggewunbenen Sergwegen. ©in 
paar Stunben unterhalb ber Seifen, wo ber Sluf* gu bem fcbwinbelnben 
Salfon be* Schlöffe* üon Sigmaringen hinaufträumt, ift ba* erfte Stal bie 
^Beite gewonnen, bie rafch wechfelnb fleh wieber fchließt, auf* neue öffnet unb 
auf* neue oerlegt wirb. Rur fcheinbar ift bie Sreibeit, welche bie Donau 
unterhalb Ulm erreicht. Da* ift bie Freiheit be* oom Seben ©emiebenen, ba* 
•Verrentbum be* ©iniamen. So siebt ber Sluf* feine Sahn gwifeben bem 3üra 
unb ber Hochebene, bureb 93alb unb «'paibe, gwifeben Rieb unb 9Roo*, wie 
bureb eine Slnbeutnng ber öftlidien Steppe, burch bie er einft feine Sluten 
tragen wirb, träumerifch ernjt hier wie bort unb allein mit ftd) unb ben Stranb= 
oögeln, beren beiferer Ruf nur bie Stille unterbricht, ©ans fo wie er ftnb 
bie bunfeln ©ewäffer, bie ihm oon Rorben gufomnten. ©elbft ber Sech, ber 
pfeilfchnelle s 2Upenfobn, büßt, je näher ber Donau, um fo mehr oon feiner 
Wrt ein. Dann folgt, al* ©egenftiid gu ©chaffbaufen, ber wunberfebön wilbe 
Selfenfchlunb oon SBeltenburg, Wo ber Sluf*, wie überwältigt oom $ura, 
fteben gu bleiben febeint ober in bie Diefe ber ©rbe gurüdtebren will. Run 
wieber ein Serien, ba* oon Äeblbeim, unb bann bi* Regen*burg hinab ein 
oon ber Donau au*genagte* enge* Suratbal. 

©rft wo bie Donau beffen £>aft enblid) entronnen ift, tlärt ftd) beutlicher 
ihr Sauf. Cftwärt* muf* bie Sahn geben, bem gebeimni*ooüen Sanbe ber 
aufgebenben Sonne, bem Orient entgegen. Schon fühlt man feine Räbe. 
Ungarifcbe Saute tönten mir oom Serberi ber „Maiferin ©lifabetb" in* 
Ohr. Rber fchon in Regen*burg, ber ©nbftation ber Donau'Dampffchiffabrt, 
fann man fie hören unb frembartige ©eftchter feben, bie ben Stempel einer 


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522 


$r. 9lnton ^ürrroacc^tct. 


anbcrcn SBelt p tragen fcheinen. Ungarifche Slamen la« ich innner wieber auf 
ben Stabfäften, wenn Schleppet mit fchwer bepacften Jpoljfrachten an un« 
oorüberfeuchten, unb ben tarnen feinet ungariicpen HJläbchen« hatte ba unb 
bort einer in bie Uferfelfen gefripelt. SSorn Dccibent pm Orient, sporn 
Schwarpjalb pr Steppe, Pom grunboerwachfenen &of be« 9Uamannen pnt 
Seit be« Xartaren, ba« ift Biel unb Stäthfel be« $onaulauf« unb ber Äampf 
ber ©egenfäpe fein ©runbpg. Äultur unb ©ilbwuch« berühren fich fort' 
währenb nabe an ihr, felbft ba, wo fie am wenigften einjam ift. SBenn im 
©üben bie reichen ©etreibebüget üftiebetbapern« mit ben pßllofen Dörfern 
unb ©eböften in ben äJiulben unb im fruchtbaren 3iarthat ionnig herab fich 
fenfen, fo behauptet im korben ba« öbc SBilb* unb Söalbgebiet be« Sapriichen 
s fflalbe« tropig feinen $lap an ihr unb umfehattet fie ichließlich mit feiner 
©infamfeit. SBieber muf« ber S33eg entbeeft unb erfämpft werben. Äaum ift 
ber Äeffet Pon s 2lfchach erjchloffen, fo fperren ihn gewaltige ®ergutauern wieber, 
bem ßin$er ®ecfen folgt ber ©reiner 2Balb, ber SBeitung oon 3Relf bie eng 
gewunbeue. SBcdhau, ber Sumpf' unb 9luenwelt be« Äremfer ®ecfen« ber 
©iener SBalb. Überall aber waltet ber ©ruft unb bie träumenbe Stille oor, 
unb etwa« wie eine wilbe SWelancholie will ben Strom nicht laffen. Selbft 
ba, wo bie gewaltige Äaiferftabt liegt, wo bie uralten Straßen au« bem 
Oftenpm Sthcine unb au« bem9iorben pr s 2lbriafich freuten, wagt ftchnahe bie 
einfam brütenbe Steppe be« SRarchfelbe« heran, unb eben erft ift ber Stephan«* 
thurm Perfchwunben, ba ift bie $>onau fchon wieber pm ©ben menfehen* unb 
fulturfcheuer StranbPögel geworben, kleine Karpathen unb ßeithagebirge unb 
wieber bie Karpathen mit bem ©afonper*3Balb Perbinben fich, ben 2Beg in 
ben Often p wehren, unb fübwärt« pnngen fie ben ftluf«. 

$lber fchon hat er ein ßanb erreicht, wo ba« märchenhafte Stel be« 
Schwarpmlbfluffe«, ber Orient, williger fich ihm öffnet. $ie weitefte ©bene 
ift erfämpft, welche bie ®onau burchftrömt, ba« eigentliche ©egenbilb ber 
oberrheinifchen liefebene. ®enn wie fo anber« ift e« hier! Selten nur treten 
lachenbe ftluren hier an ben Strom heran, feine blauen ®ergpge geben ihm 
ihr buftige« ©eleite, feine Stäbte unb $ome fpiegeln fich in ihm. $ffenber 
Spuf nur, au« S)unft unb ©laft gewoben, ift ba« Silb, ba« brinnen in ber 
heißen Steppe ber $uf«ta ben Strom mit aß' bem fehmüeft, wa« ihn reich 
unb heiter machen würbe. Unnahbar finb, Pon Xicficht unb SRoor befept, bie 
Ufer, eintönig ift bie 9tähe unb bie SBeite. Dafen ftnb bie Stäbte geworben, 
tmlbwilbe Wirten auf ebenfo halbwilben Sterben erfcheinen ba unb bort al« 
Staffage, unb wie bie Beltlager be« fernen mongolifchen Often« gemahnen 
noch bie Dörfer ber Äumanier, bie hin unb wieber am Ufer liegen. 9lber 
ein« hat bie $onau hier mit bem SRhein gemein. Sie ift Herrin biefe« ßanbe«, 
jeboch in anberer 9lrt al« er. $ie ungebänbigte, bem ©eiepe ber Äultur fich 
nicht mehr einfügenbe Herrin ift fie, maieftätifch, aber willfürltch, mehr 
gefürchtet al« geliebt. 9Jtit einem SBort, au« ber fieinen Schwarpwlbtochter 
ift bie orientalifche ®e«potin geworben. Smmer mehr gefeilt fich pm ®rnft bie 
©ilbheit. 2)ie gewaltigften SBäffer ber Karpathen unb ber Dftalpen heran* 
jiehenb, fprengt fie ben pm brüten 3Ral entgegengethürmten ÄarpathenwaU 
unb raufcht burch bie Pforte be« Often«, ba« eiferne Ihor, mit jener wilben 
ßeibenfchaftlichfeit, welche ber Snlturarbeit Pon Jahrhunberten gefpottet hat. 


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3)onau unb Kbetn. 


528 


3öad bcr Kbein in feinen tuilben Anfängen mar, ift bie Donau im ftetig 
erneuten Sampf am (Snbe ihrer Saufbabn geworben, nnb enbgiltig fern bleibt 
ibr bed Kbeined ^eitere Fröblicbfeit. Schüchtern unb träumerifd) bat einft ber 
Meine Fluid btnaufgegrüßt gu bem hoben ©öUer ber föobengollemburg; oon 
bem Manbe, bem ein ©obn iened föaufed bie Segnungen meftlicber Sultur 
brachte, bat er ftd) bureb eine SSilbnid abgefcbloffen, hinter ber er einfant 
babinftrömt, um bureb einen Urmalb oon Kohr unb ein ©ölfergewirre bad 
einfame 9Keer bed Dftend gn gewinnen, ein Strom ber ©egenfäße, ein rätbfel- 
bafter Flufd bid and ®nbe. 

Seit Fabrtaufenben ftßt bie ©pbiny ber großen 2Renfd)beitdgefd)id)tc 
bed Oftend unb bed SBeftend an feinen Ufern. s 2ln feinem anberen ber Ströme 
Suropad liegt fo oiel begraben bon großem ©efdjeben unb ©ergeben. $htcb 
am Kbeine nicht: unb boeb haben beibe Flüffe nicht bloß bie Käbe ibred 
geograpbifeben beginnend gemeinfam, fonbern and) ben Anfang ihrer ©efebiebte 
unb ben lebenbigen Sulturaudtaufd) in langen Fabrbunberten. SEöer eine 
Stelle fuebt an ber Donau, too ihm bied beutlicber oor bie Seele treten foll, 
ber wirb auf unb ab an ihr mahlen fönnen, mag er nun auf bcr &öbe ftnnen 
wollen, wo ießt bie weiße Suppel ber ©efreiungdbaUe ftebt, ober in bem 
erhaben febönen fiaubfebaftdrunb, barinnen ©öcblartt unb bad Stift 3Relf 
gebettet ftnb, ober an bem SSalbranb bed weitfebauenben Sablenberged ober 
auf ben Kuinen ber Sönigdburg Sifegrab. 21n Donau unb Kbein, bie beibe 
oon ben Selten ihre Kamen empfangen batten, niftete ftd) faft gleidjgeitig ber 
römifebe s Xbler ein. Der öelbengeift eined Druiud unb bad ^errfebergenie bed 
Xiberiud oerbanben bie ©efebiebte ber beiben Ströme brüberlid) auf Jahr' 
bunberte mit cinanber. ©rengftröme bed Fmperiumd würben fte. Fefte ^ager 
unb blübenbe ©täbte erftanben an ihren Ufern nnb am Strom bed Slrminiud 
wie an bem bed SWarobob trat bic römifebe SKacbt unb Sultur mit ber nod) 
febeu oor ihr weicbenben ©ermanenwelt in ©erübruitg. ©nger nod) warb bie 
^-Bereinigung ber beiben Ströme unb ihre ©ebeutung ald Schuß wehr ber 
alten Äultur, ald öabrian ben gewaltigen ©rengwall oon Seblbeim bid 
Sobleng oollenbete. 2lber troßbem ftieg gerabe an biefen beiben bad Borgern 
rotb ber neuen 3eit, bed SJtittelalterd, empor, ©ermanentbum unb ©briftem 
tbum, ihre ©runbelemente, begegneten ftd) am frübeften an Kbein unb Donau. 
Schon früh bilbeten ftcb hier bie erften ©briftengemeinben unb bie erften 
Flutwellen ber germanifeben Sölferbewegung branbetcit über Kbein unb 
Donau binaud. 

Doch in bem SRoment, wo bad Imperium in ftd) gufammenfanf, beginnt 
bie ©efebiebte an iebent ber beiben Ströme eigene SBege gu wanbeln. Der 
heitere, fröhliche Kbein ift oon ber Dragif ber weltgefdjicbtlicben ©reigniffe, wie 
fte bie Donau fab, Oerfdjont geblieben. Die großartige Söirffamfeit eined 
bl. Seoerinud ald Jröfterd unb ©ermittlerd gwifeben Komanen unb ©ermanen 
bat ber Kbein nicht gefeben, aber aud) nicht ben jammerooUen Äudgug einer 
gangen ©eoölferung aud &eim unb Jpeimat unb bie arge Sernicbtung nicht, 
welche bie Kömerftäbte an ber Donau bem Söilb unb bem SBalb überließ. 
Sampflofcr, oerjöbnlicber gieng ber Umfcbwung am Kbeine oor ftcb- ©rftaunlid) 
rafd) erwuebd hier bie neue Sultur bed SWittelalterd unb entfaltete fleh feine 
neue politifebe Form. Fn einer gang natürlichen ©ntwicflung ftnb hier bie 


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524 


2>r. $lnton SMirrioaechter. 


Alamannen unb namentlich bic Sranfen bic ©rben römiicher Äitltur gemorbett 
unb haben fte in germanifchem ©eifte verjüngt. freilich bie erfte ©erbezeit 
biefeS ^roceffe^ oerlief nicht ohne brutale Nücffcpläge, unb ber Strom einer 
urfprünglichen ©ilbpeit, ber immer mieber über bie Schufcmehren be3 Nechte* 
unb ber Sitte fcplug, muffte erft gebänbigt merben. ®a^ mar bie Aufgabe 
bc£ ©hriftcnthumS unb feiner Slpoftel, bereit Straße ber Nhein mar. Sie 
mürbe geleiftet in ftetä erneuten ©erfudjen, oon ber Stirn biefer ©arbaren, 
bie fepon längft mit bem Äreuje bezeichnet mar, in ba$ &erz einzubringen. 
Unb menn e3 gelang nach oielen ©Mißerfolgen, nach mancher büfteren Spat 
ber ©ilbpeit, bie felbft baß Äleib beß ©briftenthumß bejepmupte, fo haben 
auch ber Npein unb feine yanbfdiaft ihren Wntbeil baran, ber Strom, ber fo 
leicht unb fpielenb zu ftreube unb frieblichem ©erfepr labet, bie üanbfcpaft, 
rnelche fo reich unb milb zum oerföpnlicpen Neben* unb ©titeinanber ftimmt. 
'sn ihr mürbe ber ©ermane zum chriftiichen ®eutfchen umgefchaffen unb ent* 
tonebß am rafcheften feine Äultur, bie fein frembeß Element ftörte, ben fahren 
beß Sturmeß unb $rangcß zu fahren ber ©lütc. Xa fam bann eine hoch 2 
gemuthe Seit, mo ber Strom, 001 t ber Quelle biß zur ©tünbung chriftlich unb 
beutfeh, bie Sebenßaber beß Ncicpcß $arlß beß ©roßen mürbe, mo bie Äaifer* 
Pfalzen, bie in feinen ©eilen ftd) fpiegelten, ber $ort beß Necptcß unb ©efefceß 
maren nnb bie beittfchen Stämme an feinem Ufer ftd) trafen unb fenneu 
lernten, mo in feiner ©titte mit bem Stuhl beß hl- Sonifatiuß ein Sentrum 
ber beutjehen Sircpe ftd) erhob, mo feine Herren* nnb Älofterpöfc ber ©olfß* 
mirtfehaft ein ©tufter mürben, mo oon ber ©alaftfcpulc zu Aachen biß zu ber 
beß Älofterß St. ©allen bie Quellen ber ©ilbung floffen unb oom Aachener 
fünfter biß zum ^lan ber St. ©allener Älofterfircpe ein neueß fünftlerifcpeß 
©Arbeit, bie erfte chriftlicfcbeutfcbe $unft ftd) oorbereitete. 

©Mt biefer ©ntfaltungß* unb ©eftaltungßfraft aber muffte baß rheiniiebe 
i*eben in feinem ©erhältniffe zur Xonau baß ©ebenbe unb fte bie ©mpfaitgenbe 
merben. ©om Npcine her fanten bie ©laubenßboten, bie baß faft erlofcbene 
©priftenthum an ber $onau neu belebten, tmm Scheine bie politifche 9Rad)t, 
baß $errfd)ergefd)led)t, baß im 1). ^ahrpunbert ftrfj Negenßburg zur öauptftabt 
erfor, bie neue fociale ftornt, bic neue Äunft. ^it bunfler Ahnung hat ftd) 
bie Sage bafür baß ©mpfinben gemährt. $)aß ©poß, beffeit lanbfchaftliche 
.^eimftätte ber Nhein ift, mürbe an ber $>onau zufammengefafßt unb an ber 
Xonatt hiuab ziehen feine rheinifchen gelben, .tfriempilbe unb bie Nibelungen, 
burd) ©ifchof ©ilgerimß Stabt, baß Xpor ber Dftmarf, an ©ferbing oorbei 
zum •’oeim beß cblen Niibiger oon Pöchlarn unb meiter hiuab über ©tebelife 
(©telf) unb ©tutaren (©tautern) ZU ©ßelß burc vil riche . . . geheizen Treisenmüre. 
©ie oiel oon rbeinifcher Äraft ift immer mieber hinabgezogen an bem oftmärtß 
gemenbeten Strom unb hat feine Ufer mit rpeinifepem ©lute getränft, mic 
baß ®efd)led)t ber Nibelungen! Nber befruchtet hat boch biefer blutgetränfte 
Same, nur hat er ftd) im Schoß ber eigenartigen $onanlanbfcpaft in anbercr 
Nrt entmidelt. 

©ährenb bort am Nheiit ber alte Üebenftaat ber ftranfen in überreicher 
©ntfaltung in zahlreiche Xerritorialfplitter außeinanber nmcpß, ber Äleinftaaterei 
zu, bereiteten ftd) an ber £>onau iepon jene Staatengebilbe oor, bie größere, 
politifche, ja meltgefchichtliche ©ebeutung gemimten follten. $)aß «frcrzogtpnm 


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Zonau unb Slpein. 


525 


Bauern pat auch bie fursficptigfte Bolitif feiner Werrfcper tiicf)t um bie Keim- 
fraft s« einem größeren Staate bringen fönnen, unb ba, roo bie äitßerften 
©nbpuufte ber meiten Steppe unb be3 mächtigen 3llpengebiete$ ftd) nachbarlich 
berühren, fiel in ber Schlacht auf bem Sllarcpfelbe 1278 bie enbgiltige @nt= 
icheibung über ben mie mit Slaturnotpmenbigfeit immer mieber unternommenen 
Berfucp, einen ©roßftaat an ber Zonau p begrünben. ©in hinüber unb 
herüber ift im 3Befentlicpen bie rbeinifepe ©efepiepte geblieben, bie ber Zonau 
ein hinauf unb Winab. 3toar taufepten auch bie non korben unb Süben 
fominenben ©inflüffe gar manche^ an ipr au$, unb namentlich biefer leptere, 
am bem Üanbe Dietricht non Bern fommenbe, pat fiep einen Blnp an ihr 
$11 iepaffen getonnt. 38er offenen 2luge» burep Baffau manbert unb ooti ba 
bonaitabmärte, fann e* gar nicht überiepen, baf$ hier mit bem 3nn perab 
ein ftarter Strom italienifcpcn Kultur' unb Kunftlebenä gugefloffen ift. So 
erhielt bie Kunft an ber Zonait ipre oon ber rpeinifepen abmeiepenbe ©igeit= 
art, bie Sreube namentlich an ben meiten Räumen. Zaburcp auch tarn c£, 
baf» in einer 8cit, mo bie rpeinifepe Baufunft faft erftarrt mar, an ber Zonau 
ein blüpenbeS Kunftleben 38unberoofle£ fcpuf, bie italienifcp^beutfcpe Barod^ 
funft bcS 17. unb 18. JaprpunbertS. 3(ber augenfälliger unb gemaltiger ift ber 
;}ug be£ raftlofen hinauf unb Winab. Z)ie Zonau ift bie Oielumfämpfte große 
Bölferftraße be$ 3Beften£ unb be§ 0ften§. Zie nach Dften bringenbe Kultur 
be£ Dccibcnt# unb ber 3Bilbmucp£ ber öftlicpen Steppen haben fiep mieber 
unb mieber an ipr in heißem Slingen gemeffen. 2ln ber Zoitau herauf sogen 
bie Xobtengräber be* römifcpeit 3Beftreicpe£, bie Hunnen, unb ba$ ben Steppen 
be~ DftenS entftammenbe Stoarenoolf hat an ipr Smatoplufö Slaoenreid) 
be£ 38eften£ vernichtet. 3Bäprenb am Slpein ein reichet üeben unb Schaffen 
in feftgemurseltem unb faft ungeftörtem 3Bacp$tpum heiter fiep entfalten burfte, 
serftampften an ber Zonau bie milbeit Slomabenfcpmärme be$ ungarifepen 
Steppenoolfe£ mieber unb mieber bie Srücptc harter Arbeit. 3Baprlicp, ber 
Strom ber Kultur, ber ben 3Beg ber ®onau nahm, patte fepmer ju fämpfeit. 
2lber er brang boep burep. Zer Kaifer bc£ 3Bcften3, beffeit ©eift noch heute, 
mie bie Sage melbet, am Slpein in Weiterfeit bie Sieben fegnet, pat, mie ein 
Slacpeengcl burep bie 38albberge ber Zonau bte snr Steppe bringenb, bie 
aftatifepe Barbarei ber Goaren vernichtet. Slocp feiert ipit bie ernfter gemutpete 
Sage be* Zonaulanbc$ al$ ben Slettcr biefer ©efilbe. 3lbmärt3 am Strome 
ftiegen nach ihm bie Pioniere beutfeper Kultur, bie mit bem Kreus, bie mit 
bem Spaten unb bie mit bem Scpmert, unb smangen ba£ Sol! be3 Oriente 
in fefte ©rensen unb ju frieblicper Kulturarbeit. Sic patten fo bie Straßen 
gebahnt unb gefepaffen, al3 ein Zeitalter fam, in melcpem ber cpriftlicpe 38eften, 
bie Kaifer, bie am SRpeine ba* Kreus genommen, unb mit ihnen bie über^ 
jepüffige Kraft be£ rpeinifepen Slittertpumä in ba£ SJlorgenlaitb sogen: ba 
tarnen bie Zage, mo bie Zonau mit bem Sipeine metteiferte, mo man aud) 
in ben Bifcpofäftäbten an ipr oon Slolanb fang, bie Zpaten ber am Stpein 
gemäpltcn unb gefrönten Kaiier in poetifeper ©pronif oerpcrrlicpte unb ben 
Sang oon ben rpeinifepen Slibelungen für alle feiten rettete; mo am glänseuben 
Jvürftenpof ber Babenberger bem ®eniu£ 3Baltper3 oon ber Bogclmeibe bic 
jungen Scpmingen muepfen, bie er am Stpein bann für ben Wopenftaufcn 
Bpilipp io mächtig regte, mo ber Bauer am Sipein unb an ber Zonau reich 


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526 


l)r. Litton Xürrwaecbter. 


unb ftola tute ber ritterbüriige 3Rann auf feinem Eigen faß, wo baS ©eifpiel 
ber freibeitftolzen rbeinifeb^n ©tobte bie an ber $onau nidjt roften ließ unb 
ibr ©ürgertbnm fid) bie Sftefibenzeu ber Könige beS DftenS eroberte, wo weit 
über bie Dftmarf hinaus beutfebe Äünftler in ©ilb unb ©tein ibr 9lnbenfen 
binterließen. 3>aS waren bie Xage, wo bie Bette ber SKagparen zu Käufern 
würben unb ber beutfebe ©flug bis in r ©ufsta geführt warb. Xa warb auch 
ber Stein zu einem ber bebeutfamften SBerfe ber ©efebiebte gelegt. 9Wit einem 
©eicblecbte, baS im SRbeingebiete beheimatet war, nahm baS beutfebe Äaifer= 
tbum feinen Siß an ber Xonau, unb wäbreitb eS zugleich mit ben SRbeinlanben 
in inniger ©erbinbung für feinen alten Inhalt blieb, febuf eS auS ben Kräften, bie 
eSan berXonau fanb, ein neue*, fonbergearteteS ftarfeS ©ebilbe, ben Staat ber 
/OabSburger. 9tur fo aber Warb eS möglich, bem erneuten unb furebtbarften 
Wnfturm beS DftenS in beit Xürfenfriegeit Stanb in halten unb in retten, 
waö bie beutfcb^ebriftliebe Äultur hier geidwffeit batte. XaS iß eine jener 
Xbatfacben, in benen ber ©eift einer ©orfebung in ber ©efebiebte fühlbarer wirb, 
unb ich brauche mich, glaube ich, nicht ber tiefen Wnbacbt unb Führung in 
febämen, in ber ich twr bem Xenfmal ©tarbemberg'S in ©t. Stephan ftanb 
unb bie Xropbäen jener großen Beit im 9Kufeum beS SftatbbauieS in SBien 
betrachtete. Söäbrenb am SRbeine ber jamnteroollfte Egoismus unb feile 
©enuisfuebt bem febönen Strom eine Epoche bunnifeber ©arbarei bringen 
zu füllen febien, glänzte berXoitau ein neues, oon ibealen ©ebanfen getragenes, 
tiefernfte«^ ftelbcnzeitalter auf. Xort am Scheine würben ©täbte unb Xomc 
ber narften £>errfrbiucbt ^ubwig XIV. geopfert, ohne bafS bie SRacbe alle 
Aftäfte beS ©olfeS zu einer großen Xbat ^ufammenfebweißte. Berfplittert 
waren fie in taufenb ^iebtigfeiten, bie ^bperhiltur franfte bort an allen ihren 
Schwächen. Eroberer legten oben unb unten bie eiferne Sauft auf ben Strom 
unb hätten fein reiches ßeben erftieft, wenn eS zu erßicfen gewefeit wäre. $ln 
ber Xonau aber ftreifte ein großer ©ebante alles Äleinlicbe ab, ber beS hoben 
Kampfes, beS 9tingenS um bie böcbften ©üter, ber Freiheit, ber Religion, 
ber Äultur. .§ocb unb lieber, ©eiftlicb unb ©Seitlich waren wie ein 9Jtaitn, 
unb waS bie Nationen Europas an föelbenfeelen unb Ebeln batten, fcblofs 
fleh aufs engfte hier jufammcu unb trug baS unbefletfte ©anner fiegreidi 
hinab Pom .^ablenberge bis an bie berftenben dauern ©elgrabS. 

Bwei Sabrbunberte finb unterbeffen Pergangen unb eS ift PieleS anberS 
geworben an ben beiben Strömen unb in ihrem ©crbältniS gu einanber. $lm 
Cheine ftieg in lepter Eonfequenz jenes SahrbunbertS, baS feine üanbe 
erniebrigt batte, ber ©bler beS franzöfifeben ÄaifertbuntS triumpbierenb empor, 
itnb gleichzeitig würben au ber Xonait bie ^nßgnicn beS Pom SRbein einft 
ausgegangenen SRcicbcS in oollftänbigen Reliquien. Dtacb Cften gieng wieber 
ber üauf ber ©Seltgcfcbidße. Ein neuer, ©ölter jufammenraffenber ©ttila war 
gefommen, aber Pon ©Seften her. X)a jebod), wo ber Äircbtburm Pon Vipern 
zum Äablenberg hinauf unb zu EpelS SReicb binabgriißt, warb ihm zum erften 
s UZale £>alt geboten in einem beißen, begeifterten Kampfe. Es war ber lepte 
biefer ©rt in ben Xonaitlanben. ©Sie Entlräftung unb Lethargie fiel eS nun 
über fte, wie eine jaucbzeitbe SiegcSfreubc überfam eS ben SRbein. Sr fab 
feine größten Xage, bie fiegreicben Apecre ber Perbünbetcn Sölfer unb Sürßen, 
bie furchtbare Sergeltung Pon 1870 für feine einfttge Entwürbigung unb bic 


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Tonern unb Rhein. 


527 


©eburt eineä neuen ftarfen beutfdjen Reiche#. ®in febmere# Opfer freilid) 
foftete fein ©erben. $a# lebte äußerliche, {lautliche ©anb, böd Rhein unb 
3>onau noch üerfnüpft batte, mürbe jerrtffen. Sangfam, aber ftetig batte ftdi 
in bem $onauftaate ein ©rocef# üoüsogen, ber feinen ©barafter ummanbelte, 
ibn, menn icb fo fügen barf, Pont Scbmarsmalb meg sunt Orient rüden ließ 
unb ibn jum Xummelplafc gefeploier ©iüfür, nationaler Seibenidjaft unb 
brütenber SRelandjolie machte, So miegt ba# ©ilb be# Srnfte# unb be# 
Äantpfe# unb ber ©egenfäfce mieber an bem Strome Por. ©irb c# fo 
bleiben? ©eginnt mirflicb ein neue# Beitalter be# Often# an ber ®onau? 
©er meiß e#? 

Rabesu 2000 3abre geigen ftcb ®onau unb Rhein in mecbfelnber, aber nie 
gans aufbörenber ©erbinbung. Rabe mie ihre geograpbtfcbe Heimat, haben bie 
Ströme auch bie Quellen ber ©efebiebte, au# benen fte belebt unb gefpeift merben. 
©erfebiebenartig aber, mie fte in ihrem geograpbifeben ©barafter ftnb, ftnb fte auch 
im £>inblitf auf bie gefdjicbtlicbe Sorm, toelcbe ftcb an beiben Strömen beraub 
bilbet. Srifcbe, fajt leichte unb heitere ©ntmidlung auf ber einen ©eite, tfantpf 
unb ernfte#, oft büftere# Gingen auf ber anberen. ©ieHeicbt barf man e# aud) 
fo bejeiebnen: ber Rhein ift geograpbifcb unb gefcbicbtlicb ber beutfebe Strom, 
mo beutfebe 2lrt unb .ttraft, Pon ber Süße einer reichen Sanbfcbaft unterftüpt, 
ftcb naturgemäß unb reich unb frifcb entmideln fonnte. $ie ®onau ift ber 
Strom ber ©ermittlung jmiieben beutfeber Sanbfcbaft unb öftlidjer Steppe, 
smiieben beutfeber Äultur unb ber öftlicben Reaction bagegen, ber Strom, mo 
bie beutfebe ©efebiebte ftcb in bie einer anberen ©eit untsufe&cn batte. So ift 
ber Rhein ber Strom einer ©olf#gefd)icbtc, bie $onau ein meltgefcbicbtlicber 
Strom. 

Stber ber Teutfcbe bat troßbem ein Recht, ja ba# größte Recht auf ihn. 
©r bat ihn ber ©ilbni# unb bem ©arbarentbum abgerungen. Unb nicht ber 
©ermanc mar e#, fonbern ber cbriftlicbe $cutfcbe. 9Rir fällt jefct, mo ich oft 
mit Sebnfncbt mieber surüd an bie febönen Xonautage benfe, bie ftimmung#- 
oolle s 2lbenbftunbe mieber ein, bie ich auf ber ^erraffe be# Stiftet SWelf oer= 
brachte, um ba# herrliche Sanbfcbaft#runb mieber unb mieber stt genießen. 3d) 
iah nach ©eitened hinüber, beffen grauer Ibnrm, al# ob er erzählen moüe, 
SU mir herüber grüßte. 3d) fuebte über bie fruchtbaren ©eftlbe binmeg bie 
Stelle, mo Pöchlarn liegen muffte. 2lud) bie finfter bereiniebattenben ©älber 
be# Säuerling ftreifte mein ©lid. 3d) menbete mich aber auch oft, um in bie 
offene Stift#fircbe binehtsufeben. ®enn mit ftet# neuem ©ntsüden erfüllte midi 
biefc# großartige ©erf Kranbauer’#, bie ©rabftätte ber erften Sabettberger. 
9Jtid) bünfte aber, fte mitiammt bem großartigen Stift unb feinen Äunfc 
icbä&en unb feiner foftbaren ©ibliotbe! unb ber Stabt ba brunten unb beit 
meit gelichteten ©älbent unb ben fegenfdjmeren Selbem fei fo recht ein 
Xcitfmal beutfdieit ©irfen# an bem ernften Strom, oor bem eigentlich aller 
£>aber ber Religionen unb Rationen oerftummen müf#te in bem einen 
©cfüble be# Xaitfe# für ba# ©eiebaffene. 



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ßedicbte. 

Pon BitliftrbtooliÄtftlih. 

Uöflel aus dem Süden, 

#|ögel fommeu aus bem Silben, 
bringen uns ben £en 3 jurücf. 
länger ftnb mir nicht gefebiebeu 
Don ber ^reube, non bem (Slürf. 

Kommen Ijer auf Sommerliifteu, 
IHac^en meinem £]cr$cit marm, 

Hub in jüfieit Peilcbenbüften 
£öst ficb auf ber alte barm. 

(Einem bah’ id? meine Seele 
Kuoertrant ror langer Seit, 

Dafs fie länger ficb nidjt quäle, 

Don bem jeböuen £anbe roeit. 

llnb nun fteig’ idj auf ben f^iigel, 
Kuf bic Berge (Lag für (Eag, - 
barre, bafs fein golb’ner ^lügel 
niir fie micber bringen mag. 


Umdwcndcrin Ratur, 

^bermutb au allen <Etfeu! 
IPobinaus noch, gute IDelt? 
Kojen maebfeu auf ben beefen, 
Hub im (Solbe ftarrt bie IDelt. 


Ulcissdorn, 

<^>elbc Blumen roti ber IDiefe, 
Blaue Blumen aus bem IDalb, 
Don ben beefeu brad? idj biefe: 

3a, nun fommt ber Sommer halb. 

Ilm bie Scfyönfycit ftreiteu alle, 

Doll r»on (Eifer ober §oru, 

3ebes tniü, bafs es gefalle, 

Uub es blüt }t fogar ber Dorn. 


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9ti<f»arb oon firalif. — ©ebüfjte. 


529 


Wand’rers Iftorgcnrast. 

^ie liegt bie tDelt im 5 ouuenfd?eiu 
§u meinen (fügen flar nnb rein! 

3 m IDinb regt leife fidj ber Saum! 
Ulir fällt ber (Effau in meinen IDein. 


Scbwernnitb. 

Saiteitfpiel, aus meiner fjanb! 
^eut ftt}’ id? fd?meigenb, itnnermanbt, 
f?ent fing’ unb jag* ich nid?t ein 2Dort, 
(Dbmolfl id? brauchte UTufenljort, 

®bmol?l fo übel mir 311 HTutf?, 

Dafs mir bas Singen tffäte gut. 

Dod? fürd?t* id?, roenn bie Sippen id? 
^eut öffnete, fo mürbe ftd? 

<£iu (Eon entringen alfo grafs, 

Dafs felbft bie JTlufe mürbe blafs. — 
Drum fd?meig* id? ftilf in fold?em Sd?mcr3, 
Unb ofjne Teilung bleibt mein f}er3. 

Ulacbstbum. 

^ein gaujes Sein ift umgewaubelt, 

Dod? fjab* id? uid?ts getrau, gefjaubelt. 
3d? blieb 31t f^aits, ein ntüber IDanb’rer, 
Unb bod? marb id? 31t £?aus ein Unb’rer. 

<£s mäd?ft unb blüfft bie gait3e JDelt; 

Sin id?’s allein, ber inue f?ält? — 

Cf) füge Cuft I 3 d? fd?ane ftill, 

IDie meine Seele mad?feti miU. 


Brachfeld. 

^ n>mtber|<i;öne fiebeusjeit I 
IDie liegt mir alle£ Sorgen meit, 
IDeuit id? au fte nur beufe, 

3 tt fte mid? nur oerfeufe. 

Srad? ruf?et meines (Seiftes ^felb, 
Ton feines Pfluges <2r3 3erquält, 
Darauf ftatt golb’iter 5 f?reu 
Blanblümelein ftd? mehren. 


Bilder ohne Gnade. 

J|dj gierig rorber gar uicie pfaöe 
Had? fd?önen Silbern offne tßnabe; 
Hun inöd?t* id? gnabenoolfre feffn 
Unb uid?t beachten, ob fte fcbött. 

<£s ift bod? beffer f}ulb unb (Sttab* 
Als Sdfönlfeit, bie nid?t (Sttabe f?at. 

Die Shiltur. III. 3 al)rg. unb 7 $eft. (1902.) 


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;i4 




Otfried. 

(Sptrdjt l&irhtung in \mm (förjangcn. 

l?on »riitrab Stabil. 

(Sdjluf*.) 

fünfter Gesang. 

Hm KTunecbbrunntn. 

Sie wob ein Kleib ans feibeweidjen Jfäbcit 
Unb €id?enlattb unb Köslein (tieft’ fie brein: 

(für fie foll es bas 2 l>ort ber Siebe rebeit, 

Soll itjres ftillen IDnnfches 33 ote fein. 

IDie wirb fein Auge lendeten oor (Entliefen, 

Scgt fie bie Acrrlidjfeit t?ot ihm 3ntljal! 

Sie eilt, bod> nirgenbs ift er 31t erblicfen, 

Hiebt in ber Kammer, nicht int IHämterfaal, 

Aicfyt auf bem Söller unb nidjt ah ber (Eiche, 

Il>o fonft er gerne fafi nttb fcfyrieb unb fattn — 

So wirb es fein bann, wenn ber Sieberreidn* 

§u ^ulbas grauem (Etjore 50g oonbamt! 

Sie läfst ficb auf ber ITtoosbanF fcbwellenb nette, 
Sie benft bem Käthfel trüben niicfes nach, 

IParum fid> fetymiebet eines (Slücfes Kette, 

Die, eh’ he wirb, ein Schicffal fdbon 3erbrad>. 

„IDas Fant ein (Eraum unb ntadjte midj befangen, 
Die Reiter wie ein Kinb burchs Seben lief? 

IDarum oerweljrt er mir, nach ihm 3U langen, 
llnb werft ben IDunfdj, ber mir im bereit fdjlief?" 

Jfaft wollt ein Zürnen iljren (Seift bewegen, 

(Ein §ürnen gegen (Dtfriebs hohen Sinn — 

Da fteht fie nahe bas (Sebüfdi ffdj regen 
Unb „®tfrieb!" ruft fie, ftürntenb eilt fie fyiit — 
Doch fteht fie plötjlich, bis ins Aer3 etfehrorfen — 
IDoljl ift es (Dtfricb, aber fterbensbleich, 

Am Klcibe Flebt ihm niut, auch in ben Sorfett, 

Unb oon bem Arme trieft es 3tim <$cfträud\ 

„Um alles fage, (Otfricb, was ge|\heljeu!" 

So ruft fie; bebeub fafst fie feine f}anb; 

Als wollte fie in feine Seele (eben, 

So blieb ihr Aug’ 311 feinem Ang* gewanbt. 


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Ctfrieb. 


„Hur mühe!" fpracb er, unb jic füljrt ilni fachte 
^>unt Sift — ben IPeg be^eidjnet er mit ^ 31 nt; 

Sie 3ürnt ftcb, bafs fie jeftt es erft beachte, 

2 Pie auf bcn Armen iljm ein 2 Ttägbfein rnljt. 

Sie bettet rafd? bas Kinb auf meicbem 2 Hoofe, 

Dann trotfnet fie bas £?htt pom wunben Arm, 
Umljullt itjn, nicht 311 ftreng unb nidjt 3U Iofc, 

Unb briieft bie Sippen brauf roll Sieb* unb Tjarnt. 

Pa meidet non itjm ber Scfymädje bleicher Schleier, 
Aus feinem Auge blitzt ein 23 licf poll (ßlut: 

„ 3 cb ncibc feines dürften Siegesfeier, 

So reid? be3aljlft bu mir ben (Tropfen 23 lut, 

Pen idj pergofs um biefer 2 Paife Sebeit 
3 m Kampfe mit bcs 2 Palbes Ungetljier. 

Pie 2Hutter lag 3U (Tob perfeljrt baneben — 

Amt ift bas Kinb 311 eigen mir unb — btr. 

Poch lafs uns langfam nach bem Aofc mattbeln, 

Pie Knechte fenben um ben Seicfanam aus — 

3 cb meiß, bu wirft an biefem Kinbc Raubein, 

Als lief ein Sdjmefterlein pon bir im Aans. 

3 ft biefes £}änbcben nicht gemacht 3um Küffen ? 

Sinb biefc Socfen nid)t gefponnen <$olb ? 

Pas 3arte fjälsdjen hätte bluten muffen, 

Aätt’ nidjt ein (Engel mich 3um ®rt geholt. 

Aocfy flct? bie iDangen an, fo runb unb lieblidt, 

Hur finb fie blafs pom Scbrecf unb pon ber Aottj, 
Pie meidjen Sippen auch — ach, wie betrüblich, 

Pafs all bie £>ierbe einmal reift bem (Tob! 

Pntm follen mir, mas liebemert, auch lieben 
mit aller Kraft, folaug es lebt unb lacht — 

Himm biefes Büchlein, brinnen ftebt gefchrieben, 

2 Pas hohe Sieb* um bich gefüllt, gebucht. 

Pies Pergament fei bir 311m Augebenfen, 

2 Penn ich nidjt meile ntefyr in beiner Half; 
mein Schicffal miü’s: 3 ch rnufs bie Schritte lenfeti 
Aon Alnmenauen nad? ber ^felfenljöbV' 

Sie fagte nichts, boeb barg fie in ben galten 
Pie Blätter forgfam mie ben größten Schaft: 

Aocb mufste lange fie ber IPunbe malten, 

Pa ließ bie Sorge nicht ber Aeugier piaft. 

Podj als bie Sonne fanf mit itjren (Sluten, 

3 m Saube leife 30g ber Abenbminb, 

Als Aerr unb Knecfyt pom IPerf bes (Tages rutjteu, 
Per Kranfe fchlief unb bas permaiste Kinb, 

Pa gieug fie eilenbs 3itr geliebten €id>e, 

2 Po Iängft ber Aögelchor im Saube fchlief; 


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9 Jteinvab ®abil. 


Port füllte rott ber Bruft bie gierbereidje 
Pas Büchlein, las mtb faitn iinb feilste tief. 

„3d? mill bir anbers" — biefi es — „nimmer lagen 
Pie 2Pcbntutb, bie ben (Seift mir fattft burdtficljt, 

Auch anbers nicht bir in bie Seele fragen 
Als mit bem meiberollften IHinnelieb. 

Penn mas ich fyttycs habe 511 rerFüitben, 

Pas fügt fidj in bie menfebenfpradte nidtt; 

IPenn (Seift unb (Seift für einig fid? rcrbüuben, 

3 ft Sprache notb, bie man im ftimtnel fpricht. 

Pie fchönften lieber bab’ idt mie ein IPeben 
3 m IPalbe nur gehört, fo leis unb meit; 
cEin Blatt, auf bem bie IPorte follten fteben, 

3 ft beit befcbrieb’nen Blättern norgerci^t. 

3d> tjabe ebebem gefudtt ben Jfrieben — 

Pafs ich i^n batte, mar mir nidyt bemufst; 

3dt bin nun erft non aller Hui]’ gefchieben, 

Seit mir bein Baute leuchtet in ber Bruft. 

Pod? mill id? nicht um meinen ^rieben flehen, 

IPentt biefeit (Sott bir CEbeure 3tigetljeilt; 

3ch miü ben gatten Sdjmerj barum erftel^eu, 

Per an ber Strafte bein es Sehens meilt. 

Bur eines mufst bu immer mir bebenfen: 

3 tt meinem Sinne motjnt ein hehrer Stol3, 

Per jmingt mid?, meinen Schritt jur 311 lenFen, 
Permefyrt bie Blüte mir von niebrent £7013. 

Pu mufst barum, fomeit bie Sterne reichen, 

Befiegen jeber (Engenb bellen Schein — 

Pie Sonne barf bir nid?t an helle gleichen, 

Pie Silie nicht mie bu fo fchulblos fein." 

Sie las noch als bie Dämmerung gefunFen 
mit leifem v flügel auf bas grüne Sanb; 

3 m Büfette glühten taufenb Fleine v funFen — 

Sie las noch als ihr Pater oor ihr ftanb. 

IPie wenn ein Blift ber £iche Stamm 3crfplittert, 

So fdneefte fie bes eignen Bantetts Klang, 

Hub mie ein Heb, bas bie Perfolger mittert, 

So furchtfam blicFte fie, fo tobesbang. 

Poch nicht oerbergen molltc fie bie Spenbe, 

Pie hohe Suft, hoch nun iln* Seib gebradtt — 

Per Pater nimmt bas Büchlein in bie hänbe, 

<£r fehiittelt oft fein haupt unb ladjt unb lacfyt. 

Poch mie er liest, ba legen ernfte galten 
Sich um beit IThinb unb auf bie bolje Stirn — 

£r neigt fich nor ber reinen Siebe IPalten 
IPie Silbermeiben oor bem flogen ^irn. 


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Dtfrieb. 


533 


< 5 ar enblid? urirb cs feud?t in feinen Augen 
Beim letzten Blatte, bas am Banbe Ijieng, 

(Er fül?It bes £eibes XPurm am £}er3en faugen 
XPte bamals, ba fein IPeib 311 (Srabe gieng: 

„€s mar im (Eraitm, ba marft bu mir geworben; 
Pom (Sram 3erriffen ftanb id? an bem Sarg — 

Am 5 d?rein, ber meinen reichten Schaft erworben, 
Am Kerf er, ber mein beftes Ceben barg. 

Unb (Djränen flojfen unb (Sebete fliegen 
hinauf 3um tymmel um mein fd?önftes (Sut, 

Pa faf^ id? beinc Bruft jid? atljmenb uriegen, 

Unb in bie IPange ftieg bir neues Blut. 

Pas Auge fd?lugft bu auf, bas munberoolle, 

Pu fagteft mir ein (Eroft«, ein Sd?mer3cnswort: 

Pafs bid? ber tymmel mir nod? feigen wolle — 
ZTad? breien (Lagen aber giengft bu fort! 

Pa nafjm id? bebeitb bid? in meine Arme, 

3 d? brüefte bid? an meine XPange an; 

So l?ol?e IPorte fprad? id?, liebeswarme, 

XPie nur ein 3 rbifd?cr fie reben fanit. 

IPas man in 3 al?ren füllen mag unb benfen, 

Pas brang ans meinem (Seift in beine Bruft — 

3 d? moüte fd?nell bir alle Siebe fd?enfen, 

Pie fonft nur einem Seben mirb bewnfst. 

Pa warb es liebt — id? fal? ben (Lraum 3erftieben: 
Perfd?wunben ift bie Sorge unb bie Klag’, 

Pod? will id? bid? oon l?eute an fo lieben, 

Als ftürbeft bu mir an bem britten (Lag." 

3 m Aug’ bes Paters blinfte nod? bie §ät?re, 

Als er bie Seibc um bie Blätter manb; 

(Er nal?m bie (Eod?ter 3ärtlid? an ber Aanb 
Unb fprad? bie IPorte einer fünften £ef?re: 

„Pu fiel?j*t ben Stern bort über jener Jfid?te? 

Sie fann baf?itt nid?t, wo ber X?ot?e jiel?t, 

Unb er l?emicber nid?t aus feinem £id?te, 

XPenn aud? fein Stral?! l?erab 3ur £>olben gel?t. 

Sie müfsten beibe fid? in (Sram oer3et?ren, 

IPär’ Penfen il?nen eigen unb (Semütl?; 

Pid? aber möge biefes < 51 eid?nis let?ren, 

Pen Branb 3U flietjn, in bem bein (Slücf oerglüljt.“ 

Bnn ilires IPortes l?arrenb l?ält er inne; 

Sie aber fielet ben Pater fragenb an: 

„IPas t?inbert, bafs ein (Slücf, auf bas id? fmne, 
Pas Sd?icf|al nimmer mir gemäßen fann?" 


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534 


ÜJteinrab Sabil. 


(Er fprad?: „§u fämpfeit für ben lEbriftenglauben, 
^iir alles (Eble fafst er nach bem Schmert — 

IDiUft bu bem fymmel einen gelben rauben ? 

3 u beincn Jfeffcln falfn, tras (Sott gehört? 

Du barfft unb roillft nietet folche (Efyat rollbringen, 
llnb trenn bu roollteft, fehlte bir bie IHacht: 

Den HusertDätylten fann bie IDelt nicfyt 3tringeu 
llnb nidjt umfdjlingen, treil ihn (Sott betracht. 

Drum nimm ben Hatb: Du foüft nod? beute trenben 
Ton biefem Huserfornen 6erj unb Sinn: 

(Es glüt^t ein jebes < 5 ut in fremben Ejanben, 

Doch Haub an (Sott ift bitterfter (Setrinn.“ 

Sum l^ofe famen fie; er fiifst bie IPange, 

Die fendjt ron ber rerftotjlnen (Ebräne mar. 

Sie gieng jnr Kammer, boeb fie bliette lange 
§ur ZTadpt hinaus, bie frieblid? lag unb Flar. 

§nerft erfdjienen fternelos bie Han nt c, 

Dann flammt’ es an bem fjimntel: £id?t an Sicht — 
(Erft raufdjten itjr ein banges Sieb bie Häuine, 

Docfy immer fdnniegeu fie rom (Erofte nicfyt: 

„Du irillft, bu follft nicht rauben (Sottes (Eigen, 

Dodj barfft bu fletfn um bas, mas iljm gehört: 

IPiU er ftdj gnäbig beiner Hitte neigen, 

So bifl bu fünbelos unb unbetbört. 

Dodj ftretft er treljrenb bir bie Ejanb entgegen, 

Dann irenbc beineu Sinn ron feinem (Sut. 

(Ein Hrumten quillt an bunfleu IDalbestregen 
Dort eile t^in unb triuf ron jeiner Jflut. 

(Sar oftmals fjörteft bu bie IPunberfage: 

IPer ron ber Quelle fcfylürft um Mitternacht — 

IDas immer er für Setjnfucht in fich trage, 

3 tjni trirb erfüllt ber IDunfcfy, ben er gebacht." 

Sie rafft fich auf, rerbüllt bie jarten (Slieber, 

Hinimt ron ber IDanb ben leichten, blaufen Speer 
llnb eilt 311m IDalb — bergauf — 311m (Etjale nieber — 
Zlun fteljt fie lanfehenb — Stille rings nmtjer: 

Sie fdjaut im Monbeitfchein bie blaffen €icfyen, 

Sie ftefyt am ^els, aus bem ber Hrnnnen quoll; 
liier liegt ein Stamm — fie finbet all bie Reichen, 
Dodj tro ber Quell, ron bem fie trinfen foll ? 

(Ein Häufchen fließt — hoch oben in ben Steigen, 
llnb feine IDelle neßt ben bleichen Kies: 
ll>as tjilft bir alles Suchen, alles neigen ? — 
l>erfiegt beitt lioffeii — trelf bein parabies! 

€n&c t>e$ ffinften (Pefantjes. 


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535 


Otfrteb. 

Sechster Gesang. 

jungfräuliche Ctebe* 

Huf meiner ^an? am breiten Stamm ber (Siebe 
Saß eiitfam ba bes 33 lanfenmalbers Kinb. 

3 tjr in bas Hutlits, in bas fcbme^eitbleichc, 

(Trieb leis ein gelbes matt ber fühle IPinb. 
Perfdjtrunben ift bes £en3es reiches mühen, 
Perfchwunben ihrer IDangen Hofenglut — 

Pie Scfytpalben unb bie Nachtigallen 3ieben, 

Schon lange flog non ihr ber frohe IHutb. 

Sie benft bes frühlings unb ber Sänger Streiten, 
IDie monnig ihrem liefen bort gefebehn — 

Pa hört fte leichten (Sang — es Hingt im Schreiten 
(Ein Saitenjpiel — er naht ihr ungefebn. 

€r läfst fich jenfeits auf bie JHoosbanf nieber, 
nietet ahnenb, men bie (Eiche pon ihm trennt; 

So ftimmt er an bie trauerpollften lieber, 

Pas £eib enthüllenb, bas im herben brennt: 

„mft bu mieber an ber Stelle, 

2Tlit ben furchen im (Seficht, 

(Sram, bu treuefter (Sefelle? 

Heb, gar lange bliebft bu nid^t! 

Schöne (Lage finb pergangen, 

Seit bu leife giengft roit hier — 

^frenbe fant, ein mütenprangen 
^og fich um bie Seele mir; 
llnb mir mar, als foUt’ oom £eibe 
£ebeitlang gefebieben fein — 

Heb, bu Fommft — unb fich, mir beibe 
Sinb mie fouft allein — allein!" 

# 

„Spiele, finge, lache, tan3e 
Künftig immer mie bis heut’, 

IPanble hin im jreubengla^e, 

Hlle IPege glürfbeftreut! 
mögen nie bie golbnen (Eräume, 

Pie pon meiner Panb bicb 3iebn, 

IPie ber IPüftc palmenbäume 
Kraitfenb beinern Hug entfliebn! 

Pir 3nliebe miU ich febmeigen, 
fernab lenfen meinen Schritt, 
llnb ich will öir niemals 3eigen, 

IPas ich £eibes um bich litt." 


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ÜJteinrab 6abil. 


„ 3 th fürchte nicht bes Donar lauten Jammer: 
<Er frad>t, er bröbnt, bie U?clt läfst er beftebn — 
Soll menben fleh eilt ( 5 lücf 51t tiefftem 3 amnter, 
Sold? ITanbeln mill nur leis unb fanft gefd?eh»t. 
(Ein fleittes IDörtlein mar’s auf meine ^rage, 
(Ein ITörtlcin, bas bettt Ulunb mit £ä<heln fprach — 
(Ein (Eobesengel gieng mit ftuntmer Klage — 
ITlein (Eobesengel meinettb burebs (Scmach." 

• 

„ITas liegt baran, ob bn mir Jfreube gibft, 

(Ob bu mir fagft, u>ie numig bn mich liebft? 
U?as liegt baran ? 

Die £üfte meh’n an einen fernen (Ort, 

Unb mit ben lüften fehroinbet and? beitt IDort — 
U?as liegt baratt ? 

ITas liegt baratt, wenn mich bie Hebe fränft? 
So manchem, ift bie Kruft pom (ßram beengt, 
IDas liegt baran ? 

Ulan brüeft uns einmal hoch bie «Rügen 31t — 
ITir ftnbett eine lange, fattfte Kut?* — 

U?as liegt baran ? 

Was liegt baratt, wenn oljne Sonncnftrahl 
(Eitt £ebett fidi perjebrt in feiner Qual, 

U?as liegt baratt? 

Den man gebettet auf bie (Eobtenbahr, 

(Ob ber in feinem £ebett fröfylitb tpar — 

2Tas liegt baran?" 

* 

(Es brattg beut IlTäbcbett in ber Seele (Eiefeu 
Der Schmer}, ber biefe trüben £ieber fpatttt; 

Da machten £ieb unb £eib, bie leife fcbliefctt, 

Unb legten ib?re Klugheit itt beit Kann. 

Kun hätte fte ben Torfat} leicht gebrochen, 

Dem 3 üngling 31t perbergen ihren Sinn; 

Sie mär’ 311 ihm getreten, h^tt’ gesprochen: 

,,C) glaube nicht, bafs ich bir abbolb bin!" — 

2 Där’ nicht ber Täter ba pon mcitent Kitte 
§nm trauten Kinbe eben beimgefebrt. 

(Er fleht bie beibett unb in ihrer UTitte 
£äfst er ftch nieber, gürtet ab bas Schmert 
Unb reicht es (Otfrieb mit ber fanften Klage: 

„U?er führt es einft, wenn mir bie Kraft entflicht? 
ITer fchii^t mir mohl bas Kinb an jenem (Eage, 

IDenn über meinem (Srab bie JTolfe 3ieht ? 

Hls ich bein ebles Denfett fab unb hanbcln, 

IDie mürbe mir bas her} ber Jfreube poll! 

So herdich fanb id? feinen 3 üngling manbeln — 


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Dtfrieö. 


537 


Pir würbe meiner Siebe reicbfter Soll. 

Pa ließ id) gerne meine Hoffnung raufen 
Um einer frohen gnfunft falbes Hilb: 

Pu warft bes IPalbes i^err mir im (Gebanfcn, 
(Gefährte meinem Kinb unb Schüßer milb. 

Poch als ich enblicb fah bein ftol^es Pichten, 

Pem Berrrt 311 bienen an bem lummelsthron, 

Pa mufst* ich meiner Hoffnung Hau nernichten — 
ZTicht rauben null ich bir beit (Gotteslohn. 

ZTic mär’ es mir unb meinem Kiube Segen, 

Pich fernjufyaltcn bem erwählten (Prt — 

Prum riettj ich meiner (Trauten, allermegen 
§u meiben beinc nähe unb bein IPort. 

Pod) als ber IDangen Hofen ih»r erbleichten, 

Kein Säckeln flog um ihren fügen ITTunb — 
mich fdjämt es nicht, bafs ihre (Ehräncn weichten 
lllir (Eroß unb Porfaß auf ben tiefflen (Gruttb. 
And) beiue Sieber fageu nur pou Seiben, 

2 Per trüge bas uod) ferner in (Sebulb ? — 

3 d) fah es ein: bu mufst pon hinnen fcheibeit, 

Unb bafs bu mufst — id) trage nicht bie Sduilb. 
§um ^freunbe ritt ich ttod), mir Hathcs holen - 
3 d) bring bir (Grüße pou ber cSigibjell, 

Unb was er fprach — id) fünb es unperftohlcn — 
£)ör’ an bie !Pal)l unb fiire auf ber Stell: 

IPillft bu ein (Eroft fein biefer Sdjme^ensbleidjen, 
Per Süßen Sdjirmer werben unb (Gemahl, 

So magft bu mir bie Paitb 3um Hititbe reichen, 
Unb bich begrüßt noch heut als iierrn bas (Ehal; 
Poch willft bu wattbeln auf ben hohem pfabeu, 
IPas ich nidjt fchclten will unb fcbelten Faun, 

So heilt uns wohl bie Seit auch biefen Schaben, 
Hur 3011111’ bein Höfsleitt halb unb 3ieh’ ponbann. 
Su €igil geh, er will bid) hingeleiteu 
#um (Gotteshoufe: wo bie Jfulba fließt — 

3 m Klofterfrieben magft bu bid) bereiten 
Pem (Eag, ber bich als (Drbensfinb begrüßt. 

Huti fage, wie bu benfft — ein lang Hefinneit 
3 ft bir, bem Klugen, ftdjer nimmer uotl): 

Pu faunft bariiber nad) Port Anbeginnen, 

Kennft meine ^rage — wie ber (Greis ben (Eob." 

Unb (Dtfrieb athmet tief. <£r fieht bie fjolbe 
Illit innig warmen Hlicfeit lange au: 

„ 3 ch weiß nicht, wie mein (Glücf id) pretfen foilte, 
2 Pär* ich nicht id) — war’ id) ein aubrer mann, 
^iihlt’ ich geboren mid) 311m Kinberwiegeit, 

(Ein IPeib 311 1)^9™ unb im ftchren Sd)raitf 




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538 


üfteinrab Sabil. 


Pas (Selb 511 mehren, auf bem Jfell 3U liegen 
llnb nad> ber 3 agb 3U fröfjneu füfjem (Eranf: 

IPcnn id> bas (Slütf auf jenen pfabeit fäbe, 

Pie pou ber menge Ijartgetreten finb — 

Pen Bimmel fänb* im engen Baus ber (Etje, 

IPen näfym’ icb lieber als bies bolbe Kinb? 

Poch fdjeiitt es mir, als fei pon anbrer (Erbe 
Per Stoff gemailt, aus bem mich (Sott gemacht; 
Hicfyt weiben mag ich, wie ficb labt bie ßerbe, 

3 dj will nur fcfyau’n ber Blüte fel’ge praebt. 

3 d? wei§ es wol}l, bafs alle anbers benfen, 
mit meinem Sinne fdjein’ icb eudj ein (Ebor; 

Podj will icb anbers nicht mein Höfslein lenfen 
Bis nach bem Siele, bas mir (Sott erfor! 

Per wäljlt ben IPefen allen ihre £ofe, 

€r lenft auch mir beit Sinn 3U meinem IPoljl: 

€s fliegt ber Jfalter nach bem Puft ber Hofe, 

Pie Haupe lebt unb ftirbt auf intern Kol?l. 

3 cb will unb mitfs 311m flohen, Böcbften ftreben, 
llnb follt* ich miffen allen frohen mntb; 

Prnm fattn idj nicht als IHann bes IPeibes leben — 
Pem Polfe weiten mufs ich Kraft unb Blut; 

Pem beutfdyen £aub bes Bimmels IPort 3U fünben, 
Parnacb begehrt mein ßer3, perlaugt mein (Seift; 

Pes IDiffens Hebeltiefen auftugrünben, 

Pas ift bie ßoffnuitg, bie rnidj ftets umfreist. 

3 dj will (Sebanfen, bie fidj wonnig regen 
3 n ßaupt unb Be^en gleid? im Baum ber Saft, 

Pem IPeibe „ITtenfdjljeit" an ben Bnfen legen 
Bis eble Kinber meiner ftol3cn Kraft! 

Prum auf nad? Jfulba — morgen will ich 3ieben — 
IPo mir bie Brüber wohnen, gleid?gefinnt, 
ber Berufung €itgcl mir entfliegen, 
llnb mir ber 3 ugeub Scbaffettsbrang entrinnt! 
lt>o grojge (Slocfen ^eierflänge bröljnen, 

Per 0pferraucb 311m botjen Bogen fdjwebt, 

IPo poll ber Bubacbt taufenb Stimmen tönen, 

Pa fei mein (Eag — ein 0 pfer felbft — gelebt. 

0 fyotjes IPerF, auf pergament 3U malen, 

IPas lang por uns ein weifer lllanu gebadit; 
mit brei geeinten Jfingem £idu 311 ftrablen 
IPie jener, ber bie IjeUe IPelt gemacht. 

Bin fernen 0 rte wirb fein IPort gelcfen, 

IPenu auch ber Penfer in ber gelle bleibt; 

Pie arbeitfame l^aub, fie mag perwefeit — 
llnfterblid) finb bie Blätter, bie fie febreibt. 

Pie Bäume, bie bu pflaii3eft, werben fallen, 


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Ctfrieb. 


539 


3 n beinern fjanfe fpicli bereinft ber tPinb, 

Das IPort, bas bu gerebet, mufs perballen, 

Pergejfen beiner mirb bas €nfelfinb; 

Dodj an ber ^ulba mirb bie ^fefte ragen 
Unb trotjen einer langen, böfen geit: 

Dort leben mirb mein (Seift in jpäten (Lagen, 

Klein £ieb ertönen einer (Emigfeit. 

Hun mag beitt ebler Sinn es moljl crfeljen, 
IParnm nad) ^fnlba leitet meine IPaljl; 

Dod? mögeft bn mein IPort and) recht oerftetjen — 
3 cb fann nicht merben beinern Kinb (Semaljl, 

Dod> (Jrennb ibr # bleiben mill idj bis 3nm (Srabc, 
Sie Ijüten als ber <Erbe fdjönften Port; 

Dem ^immel fchenf id>, mas icfy bin nnb habe, 

^ür niidj perlang id) mir ein fleines IPort: 

3 d) j'chreib’ cs in mein Per} mit golbnen Reichen, 
3 d) mill midi bran erfreuen fpät unb frül>; 

IPirb meine 3 ubitfy einem Iltanue reichen 

Die fuße Panb? Aun fpricb bas IPörtlein: Hie!" 

Aegeiftert blitjten ba bie fdjönften laugen, 

Sic mollt* es jagen, aber ihren IlTunb 
Perfdjlofs ber Pater: „Aimmer fann es taugen" — 
So rief er ans — „31t jdjliejjen foldien Punb! 
guni IHanne mill bas IPeib fidj liebenb jcfymiegen, 
Das mar unb bleibt, folang bie Sonne fdjeint; 

Den Spröfsling miU fie auf ben Armen miegen — 
So tjat fie (Sott pon Anbeginn oereint. 

IPiUft bu oerlaugen, bafs bie £iebc, Silbe 
Pom giel fich meitbe, bem fie (Sott erfchuf? 

Dafs fie mit einem oben £eben büjge, 

IPeil Ijeut’ in it^r noch fchlummert ber Pernf? 

Aie pflegen merben fie bei* Ciebe Pänbe, 

Anr iljrer (Etjränen lächeln bas (Sefinb, 

Hub gefyt fie il?rcn leeren Kreis 311 <Enbe — 

Kein IHann am (Srabe meint, fein 3ärtlicb Kinb. 
Drum, millft bu folgen beinern tjoljen guge, 

So bring’ bein Opfer rein unb bring’ cs gan3; 

3 ft beine £iebe grob U11 ^ f re * vom Cnige, 

So gönn’ ber Sieben iljren Pod>3eitsfran3." 

Der 3 üngling fall ber 3 ungfran (L^ranen rinnen, 
Da marb itjm fchmer bas Per3 nnb eng bie I 3 ruft, 
€r naljm bas IPort nad) langem, bangem Sinnen: 
„IPas bu mir fünbeft, mar mir fdjon bemnfst. 

3 ch fat) ber IHenjcf^en Denfen, (Djun unb Poffen, 
3 dj fat) ber IPeibesfeele auf ben (Srunb: 

Du haft bie IPaljrljeit in ben Kern getroffen — 


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540 


9Hetnrab Sabtl. 


Poch nicht jerriffni meinen fdjdnen Bun&. 

Pie ITtenfdjen, bie auf breiter Straße wanbent, 

Pie fat| bein Buge banbeln, wie bu fpricbft; 

Poch Unrecht thuft bu, wenn bu 311 ben anbern 
Pie fdjötte Seele beincr (Eocbter fliebft. 

Pie locft wie midj bas (Eble uub bas Botje, 

Pie wanbelt nicht gemeinen Lebensweg, 

Pas fyöcbfte ^ifl t»or Hng, ^ as glän^enbfrobe, 

IDill i d) fie führen auf bem ftcilen Steg. 

IPettit einft mein Harne Fliitgt in weiten lanbett, 
Pann benFt fie meiner mit ber böd?ftett £uft: 

Sie weiß es ja: bie ftarFen Klänge fanben 
Purcb fie nur itjren IPeg in meine Biruft. 
llnb mit ben IPcrFen einer frönen £iebc 
(Erfüllen foü fie ihren £ebensFreis — 

(Es gibt Fein lUeib, bas ibjr 311 neiben bliebe, 
IPenn §eit unb (Sut fte groß 311 näßen weiß. 

<Es wotyit bie Hotlj um fie in allen Fjüttcn, 

Pie mag fie linbern, tröften jeben (Sram: 

Ulan wirb mit €iebe reich fie überfebütten 
(Gleich einem (Engel, ber ront Bimmel Farn. 
c£iu KinMein nahm fte febott aus UTutterarmen, 
Pie Falt uub hart geworben bureb ben'CEob — 

So manches weint nodj, möchte gern erwärmen, 
mit Kinbesliebe 3ablen Kleib unb Brot. 

So wirb fte ttidfl ein öbes £ebett fpitiitctt, 

Sie webt ein reidt geftieftes JPunberbanb; 

IPic frenitblicb wirb itjr (Eag um (Eag nerrinnen, 
Unb Siebe Fiifst ibjr noch bie tobte Banb. 

3 d> aber will bes Bintmels reicbfteit Segen 
3 m (Shitgebet erflehen auf ihr Banpt — 

Per Pradje mufs ftcb ihr 311 ^üßen legen 
Uub Feine £ocfe wirb ihr Fütjn geraubt. 

Uub traute Sdjweftern mag fte fid? aefelleit, 

Pie ebler Sinn 311111 Kratt3e um fie reitjt — 
pem (Seifte, ber mich tauft in ^ulbamelleit, 

Pent gleichen (Seifte feien fte geweift. 

Uub eine Blume wirb ityr Sein untraitFett, 

So fdiön fie maebfett in bes Bintmels £uft: 

Pie füllt beit (Seift mit lieblichen (SebaitFcn, 

Pie gießt ins Ber3 bett woitnefamftcn Puft. 

P11 möcbteft biefe IPnnberblittne Feinten ? 

Huf inettfcbet^uttgeti wobitt it>r Haute ttidfl — 
Pen mag ber (Seifter dbor bir rübntenb nennen, 
Bei ihnen blitzt fie gern — im Flateit Sicht 1 
Hur feiten fällt ein Korn aus Bimntelsböbett 
Pas treibt bie IPm^el itt ben Be^ensgruttb, 



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CtfrieD. 


541 


So ift es mir ttttb beinern Kinb gefdyelyen: 
„ 3 ungfräulidy Sieben" nennt fle fdywady mein !Hunb. 
„ 3 ungfränlidy Sieben" ift bie reinfte Hofe, 

Sie bietet reidyes Hlülyen ftatt ber Jfrudyt: 

3 fyr Feimt bie fyagebutte nidyt im Sdyofte, 

Dody ftaunenb fielet bei* (Eag auf feiner ^lucbt. 
„ 3 ungfräulid? Sieben" toädyst nur in beit (Suten, 

Unb ifyr (Sentütly — es wirb ein t^eiligtlyum. — 
»3 un 9f r äulidy Sieben"! (Seme mödyt idy bluten 
§u (Eob für bidy unb beines Hamens Hntym! 

Des Hblergejftes ^lügel ift gebunben, 

IDenn ilyn bas EDeib mit weidyettt Hrttt umfdylang; 
Hur wer fidy eine Seelenbraut gefuitbett, 

IDirb tyody bie Sdywingett tyeben lebenslang. 

(Es mag ftdy warm im fyeint ber (Elye wolynen, 

Solange Streit unb Sorge brin nidyt lyaust; 

Dody oft fdyott faty idy Seib bie Siebe lohnen, 

Dom fteten Sturme mandyes Dady umbraust. 

0 Fönnt’ idy beinern (Seift ein £idyt entjünben, 

3 n bem mein rtug' ber (Oyeuren gufunft fdyaut — 

Du wollteft nidyt beit welFen Kratt3 ityr winben, 

Du fälyft fte gern als ewig reine Hraut. 

IDofyl tyoff’ idy nimmer biefes IDerF 311 enbett, 

Dody trag’ idy in ber Seele lieben (Eroft: 

Du wirft ber (Eodyter t}er3 nidyt 001t mir wenbett, 

Der fymmel lyat mir biefes 3iigelost. 

Unb nimmer fotnmt ber (Eag, ror bem idy bange, 
IDettn traumhaft ber (SebanFe midy bejdyleidyt, 

IPo ein gemein Hegelyren nady ilyr lange, 

2Do fte beut Jfrembcn ityre Hedyte reidyt. 
jfür bie 311 Flein mir fdyiett bas reidyfte Jfütyleii, 

Die meine Seele alt bie Sterne tyob — 

Der follt’ ein Ulann beit Schleier roly 3erwülylen, 

Den 3art mein (Seift um ityre Sdyöuheit wob? 

3 dy mödyte fte mit (Sottes (Slatt3 uevFlären, 

Huf bafs fie gleidye einer Sidytgeftalt, 

U?ie bürfte fte ein ftnnlidyes Hegelyren 
(Erniebrigen ber niebrigftett (Sewalt? 

3 d? Famt es Flar in beinern Äuge fdyauett, 

Du holbe, bafs bu mir 3U eigen bift; 

0 biefer Hotfdyaft will idy gerne trauen: 

3 d) weift, bafs nimmer midy bein t}er3 nergifst. 

So 3tely’ idy bentt mit ^rofyftntt in bie ^erne, 

<Es leitet midy bie ftol3e ^urerflcht: 

IDenn btt von mir audy einmal liefteft gerne, 

So fanitft bn nidyt — idy weift — bu Fanttft es nidyt I" 

€nt* t*s fecf?sten <?rfangts. 


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'JJleinrab 3 abil. 


Siebenter ßesang. 

Scheiden und Meiden. 

§um Blanfeubergc acht auf (eilten £fi§cit 
Per 3 üngling bei bem elften Sonttettftrabl; 

(Er will pott freier Bob’ noch einmal grüfteit 
Pen ftiUen IPalb, bas träum erfüllte (Thal. 

3 bnt pocfyt bas lierj, ihm fetteten ficb bie £iber, 
IPie feine Seele trittft bas weite Kuttb: 

„ 3 cb geh ron bir, unb ob bicb jemals wieber 
Pleitt Buge febaut, bem Bimmel ift es Fmib. 
Prttm lais mich biv für alle (Staben b auf eit, 

Pie gaftlicb bu bem Jjremben baft gewährt: 

Per Bäume Kauften, bliitenreidu's Kaufen 
llttb (QuellgefUiftcr baft bu mir befebert. 

ITlicb freuten beiiter Pöglein liebe Stimmen, 

Mir neigten Raiter ihre ^Iiigelpradp; 

3 d? fab ben lllottb am IDaibesranbe glimmen, 
Piel tanfenb Siebter bellten mir bie Kacbt. 

Unb (Eraumgebilbe traten ans ben Schatten 
Unb rebeten 311 mir fo füß unb fanft, 

Pie Boffmmg ftanb auf beineu grünen Platten, 
Pie (Treue fpracb au beiner Bäche Kauft. 

^iir alles habe Panf! Pes IPinbes IPebett, 

(Es bringt auf ftarfem ^liige (SlocFettflattg, 
llttb ^ulba mittft mir pott ben fernen Bötjeu, 

^iir C^ 3 ott 31t ftreitett bort mein £eben lang. 

Binab 311m Banfe betttt, wo jene wohnen, 

Pie meine Seele liebt fo warnt unb tief; 

IPie wollt’ ich ftüttblicb ihre (Treue lohnen, 

IPettn nicht ein Scbirffal mich pon binnen rief! 
(Es harre Beil auf allen IPalbeswegen, 

Kur Jfreube blülje auf ber grünen Bu, 
llttb niemals möge bie (Sefabr fict) legen 
ginn Pfabe, ben ba geht bie eble Jfran. 

Kie follett (Tbräneu itt bas Bäcbleitt fließen, 

Kur jubeln foll fie mit bem Pogelcbor, 

Unb eilettb tttögeft bu ben IPeg pcrfoblic^ett, 
IPettn Untren nabt, bu e^befcblagett (Thor! 

Per Segen (Sottes wotytt’ in biejen Ulattern, 

(Ein (Engel fcfywebe über biefent Padj: 

lllit jflammeufdtmert perfdtcucb’ er alles (Trauern, 

Pont lieben Baupte jebes Ungemach.'* 

(Er gebt 311m Uläutterfaal, bem weiten, honett, 
(Er tritt 3» Blattfcutbales eruftem Berrtt: 

„0 fäbft bu meines i'eibes flamme lofyen, 


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Dtfrieb. 


543 


Dafs mtd? 3ur perlte füf^rt mein Sebeusfteru. 

(Jaft möcbt’ tcf? meinen itttb mid? reuig legen 
fht betne guabeitpolle Daterbruft, 

Dir fagen: „Halt mich ab non meinen ZDegen!" — 
Dod? eine Stimme ruft: bu mufst — bu mufst! 

So roill ich einmal noch ins Hitge blirfen, 

Die 6 anb 3um flbfcbieb reichen betttem Kittb; 
mit leibettnoller IDontie mich erqutrfeit — 

Uitb bann, mein Höfsleitt, fliege mie ber ZDinb! 

Heran, bn liebes finge floruntjogen, 

Dom Hegen mar ncrfjüllt beitt Himmelsblau? 

ZTun glänzt ein Sächeln mie ber ^riebensbogen 
Unb mie ber Somtenftrabl im IlTorgenthatt. 

(D glaube nicht, bafs uns bie ^eme fdjeibe — 

So lang’ bu meiner benPft, bin ich bir nab, 

Unb ich nergejf bid> nidjt in £uft unb Eeibc: 

3 n H er 3 unb Haupt btft bn mir immer ba. 

So lebet motjl! Hun foll mein Höfslein fliegen — 

Der Dbfdjieb mie ber (Eob, fie feien fdjnell! 

fluch IDalbntann Pomntt unb mill fleh ^örtlich fehmiegen ? 

Du treue Seele in bem fchmar^en Jfell!" — 


Unb nor bem (Eljore ftebt bie lUagb, bie alte, 
Die 3 ubitb cinft au ihrer Hruft gefaugt; 

Huf itjrer Stirne thront fo manche ^alte — 

Den Harfen hat bas £eben ihr gebeugt. 

Die fafst pertraulicb an ber Hattb ben Heiter, 

Sie hält ben Jfingcr brotjenb por ihn Hin: 
„iDenb’ um bein Höfslein, jietje nimmer meiter! 
IDas Pam bir in ben träumepollen Sinn ? 

IDiUft bu bie Scbönfte einem anbern laffett, 

Unb Knecht unb ITTagb unb all bas reiche < 5 ut ? 
(Ein ^rentber mirb bie HcrrlichPeit untfaffen, 

Dir mirb Pom £eibe fiebett bann bas Hlitt. 

IDas bu bir ausgeherft im Sdymarmerfinne, 

3 ft IDahugebübe, bas bich arg betrügt: 
mit beitter monbesPalten (Seiftesniinne 
Hat nie ftdi noch ein JDeibeshen genügt. 

IDotjl mirb bich 3 ubith cmiglich perehren, 
fluch beiner lange benPen noch mit Ha™ 1 » 

Doch mill ein ITtann flc marme Siebe lehren — 
Sie ift ein IDeib — fie ftnPt in feinen firm. 

Des mollt’ ich noch in (Treuen bich gemahnen, 
IDiemobl id? meifc, bafs idj mein IDort perlor; 
So geh beim hin auf beineu irren Hahnen, 

Dm ebler, guter, liebemerter (Thor!" 


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544 


ÜJleinvab 6abil. 


Das Höfslein fdjarrte oft mit feinen laufen — 

Solang’ bie Alte fprad) — ror ebler l^aft; 

Hun (türmt cs bin — es flingt ein banges Hufen — 
Der Heiter aber tyilt nun nimmer Haft, 
mit Zttufce läfst er erft bas Höfslein traben, 
lAo frembe Berge, neue ZAälber fteljn, 

Dann fteigt er ab, ju rutyn nnb (ich 31t laben, 

Hub ad), ba mufs er neuen lAaruer fefyn. 

Am Brunnen, in bem Schatten einer Budje 
Hnbt ftunolt aus con weiter lAattbcrfcbaft, 

Er grüfjt ben 0tfricb mit bem Sängerfprudje 
Hub reicht ihm r>on ber Hebe rottjem Saft: 

„nimm biefen (Tropfen an im alten Becher, 

(Seuieft ityn auf bas l^eil ber fdjönften Braut; 

3d) bring itjii auf ben meifen £ebeus3ed)er — 
nur Fünb’ mir eins: lAaun werbet itjr getraut? 
Erinnerft bu bicb ttod) bes beitem Krieges, 

Den Klugbeit mit ber (Träumerei geführt? 

3 d) fyojfe, bafs am (Tage meines Sieges 
lind) meine Kehle ^eftesluft rerfpürt. 

§um DanPe fing’ ich eud) bie fcböufteu lieber 
Aon eines Ablers t)immell]obem Jflug, 

Den boeb fein Jflügel ans ber fy>f)e wieber 
gunt warmen Hefte miibgeworbeit trug." 

.,ITCicb führt mein lAeg 31t Jfulbas beilger Sd) welle" — 

„So modjt* bicb nicht bas wouuefame Kinb? 
llnb bu oergräbft ben (Sram in ober §cüe! 

^iir anbre (Tröftung ift beirt Auge blinb? 
lAenu bir nid)t ba ber Aod^eit Aörtier fcballeu, 

So 3ietje rul)ig weiter in bie ZAelt: 

Aor anbem Augen ftnbeft bu (Sefallcu 
Hub eine 3ubitb ttod), bie bir gefällt." 

„0 folcbes ift es nid)t," — fo fprid)t ber anbre — 
„lAas mich 311m Et)or ber (Sottesfämpfer bringt; 

Die £iebc wollte biubern, bafs id) wattbre — 

Der Huf bes Aimmels ift es, ber mich swingt." 

„lAie ? fjör’id) redjt?" — fo ruft ber lAanberfänger — 
„Du liegcft folcbc IHaib im Sdjmer3 3nriicf? 

So faljre wotjll 3 d) rebc nimmer länger 
mit einem IHörber an bem eignen (Sliicf! 

Es wirb bid) halb ber trübe Sinn befd)leid)en, 

Dir in bie 0 t)ren tönen ein „ 5 » fpätl" 

Es wirb ber (Sram bir bittre (Tränte reichen, 

ZAcil bu ber ^renbe ^euermein rerfchmäbt. 


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Ctftieö. 


545 


2 Po bift bu Stab, wo bift bu meine £cier? 

Kicfyt lange jiet^n mir metjr burd? (Slnt imb IPinb — 
3 fyr Saiten tönet balb bcr fdjönfteu Jfeier: 

IPir gehn 31t tröften ein oerlajfcn Kinbl" 

€nbc bes fifbrmen (Sefunges 


Jldjtcr Gesang. 

Gekrönt. 

IPie Kaufdien Hingt es hoher ITTeeresmogen, 

Pocfy ift es nur ber ITTenge froher Prang, 

Pie 311 bem (Sottcsljaufe Fdm ge3ogen 
< 5 ur jfeftesfeier unter (SlocfenFlang. 

Bus all bes 2 ?nd>enwalbes fernen (Sauen, 

Koch weiter mailten fie oom beutfehen £anb, 

Per % fnlba nengcwählten Berru 311 fcbaiieu, 

Pen fegnen mill bes Utain^erhirteu Banb. 

Pas ift ein Farben, Kufen, Keben, Jfragen! 

(Sar oftmals tönt es „<£igil" aus bem <£fjor - 
Hub immer mieber mnfs es einer fagen, 

IParnm ber Katgar feinen Stab uerlor. 

Pes neuen lUünfters fyodjgetfjiirnttc Klaffen, 

Sie fprechen ftill bes PolFes Klagen aus; 

So marb aus (Qual unb Sdjmciß nnb bittrem Baffen 
3 m 23 ucbcuwalbe manch ein fto^es Baus. 

Pa gläit3ten wofyl bie Böfe unb bie Ställe, 

Poch fricrcnb gieug ber Brüte oou bem (Eljor; 

Pie trüber quälten fidj in IPalb unb §elle — 

Kur Hlühe gieng aus iljrem ^leijg Terror. 

So haben IUöndj nnb Kauer glcidi empfnubeu 
Pes fto^en ITtannes fchmere (Eidjcnfauft — 

Kitn bat ber König ihm beit Brtn gebnnbeit, 

Unb „€tgil" ift ber Klang, ber jnbelnb braust. 

Pie UTcnge fdjmeigt — es öffnen ftch bie Chore, 

Pa fdjreitet aus bem ernften Kriiberljaus, 

(Seleitet oon ber Schüler langem Cfjore, 

Per IPäljler unb bcr (Säfte 5^9 heraus. 

(Erft giengcu ba bcr Krüber fchlichte paare, 

Pann Fam ber HTöndjc cbelftol3er gug; 

Pie Schöffen brauf, ummallt oom laugen fyiare, 

Kuu gieng ber Pogt, ber Schwert nnb (ait3e trug. 
Piel (Srafen waren bort in Königs Hanum, 

Pie Kecfytes pflegten im (Djüringerlaub — 

Unb nun nadj maudicm Bbt unb Kifchof Farnen 
Per Biftnlf unb bcr €igil Battb in Banb. 

$ie Äultur. in. Clafitß. «. unb 7 . $efr. (ü )02 ) 


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35 



546 


üfteinrab 6abil. 


IDie rctftc ha, mie brängtc fld? bie UTenge, 

Den (Er^bifchof 3U fchaueu nnb ben Abt — 

(Ein ZDeiblein nur ftaub ru^ig im (Scbrängc, 

JDeil fte gefetjn, mas fie 311 fcbn gehabt 
3 m Ctjor ber Spüler gieng er, bocb im Kleibe 
Des Dater Benebict — fo mar es Brauch —; 

Sie fjatt* itjn angefcbn mit I^er3eleibe / 

3 l?m feft bie panb gebrürft in (Eile auch. 

„IDie blafs er ift pon pielent tiefen Deufcu, 

€rrcgt unb falt mar feine liebe X^aub; 

Könnt’ id? it?m bod? bie fchmere Kunbe fd'cnfen!" — 
Sic blicft’ iljm trübe nach, bis er perfdjmanb. 

Diel fjuubert mären in ben Dom gegangen, 

Hod? außen ftanb ber (Eigentjolbc Schar: 

Die (Etföre fangen unb bie parfen Hange.1, 

€in IHeer von Sicht umftofs ben podjaltar. 

ZTid?t mill ich all bas Sieblidje c^äblen, 

IDas nad? betn 0pfer froh bie IHenge fd?aut: 

IDie ftch bem Stifte ließ ber Abt permäfylen, 

Befiß ergriff pom (Snte feiner Braut. 

Die 3 uful auf bem paupte, mit bem Stabe 
§og eublid? er 311m äbtlicbeu Palaft, 
pier brachte man ifym reiche ^feftesgabe, 

(Er l^iclt inbes auf fyofjem Stuhle Haft. 

Der fromme Submtg febenft ihm burd? ben (Srafcn 
Dorf Ulaffcnbcim im Königs*Uutergau; 

(Ein Heginolt, bem alle (Erben fchlafen, 

Bringt, mas ityn eigen unter pimmelsblau. 

(Sraf Afis gibt ihm breimal bunbert Sente, 

(Ein <Engelbred?t ben Bifaug unb bie ITlagb; 

And? Bleonfmiuba mirft ben palm ins IDcite: 

So mirb bem (Sute unb ber JDelt entfagt. 

Unb reic fommen tjer, bas paupt gcfdjoren, 

Sie tragen um ben pals ben (Slocfeuftrang, 

Die ^reipeit geben fie für (Sott perloren, 

Sie mollen Knechte fein ipr lieben lang. 

£s tjob fid? nun ber Abt poii feinem (Eljrone, 

Den Daitf, ben Segen tput er allen funb: 

„Dafs eure Siebe reid? ber pimmel lohne, 

Soll emig flepn für euch ber Brüber ITTunb. 
gur (Etjrc (Sottes merben pfalmen fd?allen, 

Dollenbct foll erblübn bes Miinfters prad?t, 

Unb in ber Bücherei gemeinten pallen, 

Sei (Sottes IDort gemehrt nnb treu bemacht. 

^nr IDatyrbcit foll ber Schule Banner führen 


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Ctfrieb. 


Per beutfcben 3 ugenb Pampfbcrcites Peer; 

Pie (Slnt ber Bruberliebe will id) feieren, 

(Euch bclfeub nahn in jeglicher Kcfdjwer. 

IPcr hungert, Pontm art unfre (Ehür um Spcife, 
tPer bürftet, ftnbe hier ben CabetranP, 

(Ein Pach gewähren wir bem müben (Sreife, 

Pie Teilung bem, ber an ber Seele PranP. 

Unb (Sottesbäufer werben eucfj erfteben 
3 n jebem Porfe burdy ben ^udjcuwalb, 

Poch Plug unb milbe foü bas Jt>erP gefc^e^eu, 

Kein CPpfer fei’s, bei bem ein Seufäer h«*llt." 

Hun fdywieg er, unb es gicng 311m ^eftesmafyle. 
2 Die wogte ba ber (Säfte lauter Schwarm! 

(Es würbe frö^firf^ im bePrän3ten Saale 
Pud? mancher, ben gebrücPt ein langer fjarm. 
llub 3wifcben ihnen jitjcn ^ulbas Söhne, 

Sie muntern jebeit (Saft mit IPort unb (ErattP — 
Per eine fcfywärmt ront fdjönen Keicb ber Cöne, 
Per anbre rebet einen beitreu Schwan?. 

Pem fremben (Safte weist man jene Hlänuer, 

Pon benen ferne Plang ber h(>h e Huf: 

Pen JprePulf aller tiefen Pinge Kenner, 

Pen Kacholf, ber bas ftol^e IHünfter fcbuf. 

Por allen Kaban, ber pom Kreu3 gebidjtet, 

Pie fcfoönfte beutfdje palme jener ^eit; 

Pen Ufwarb, ber ben XMicf 3ur richtet, 

(Er fchrieb auf Königswunfch ber Kirdje Streit. 
Pier fit^t bes Kaban Schreiber, ber gefcbwinbe, 

Per bod?gelebrte Strabo IPalafrieb; 

Port finut ein £iutpert, wo ben (Ebron er finbc — 
3 bm wohnt bie Perrfd?erPraft im rtugenlib. 

Per Kaban fängt pon Kuuen an 311 reben 
Unb pon bes Xllfllas erhabnem Buch; 

(Er fpinnt bie (Seifter ein in golbne ^äbeu — 

Pa h e bt ber Illai^er fid? 311m ^eftesfprud?. 

»Ad multos annos!« mtb bie Becher Plingen, 

3 um Pbtc geht ber (Säfte langer §ug, 

Per IHönche Keihen aud>; bas war ein Pringen! 
Pie KellerPnecbte füllten manchen Krug. 

Pis jeber wieber feinen platj genommen, 

Pa winPt’ ber Pbt bem Kabanus: 311m Keft 
£afs aus ber 3 nneitfchule (Dtfrieb Pommen, 

HTit feinem £ieb perfcbön’ er mir bas ^eft. 

Per Sänger Pam. (Er fang ron Seelenweibe, 

Pom (Sottesberge, wo bie Keiubeit fpriefjt, 


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548 


Weinvab Sabil. 


Pou ber <£ittfaguug (Slüd, vom IPomteleibe, 

Das mir ein tyocbgefinntes licr^ geniefjt. 

Unb aüc laufdytcn, Stille mar im Saale, 

Sum <£nbe fparten fic ben Beifall nicht. 

3hm reicht ber Pbt bie meingefüllte Schale, 

3nbcs er leife 3U bem Sd>üler fpridit: 

„Die IPorte fiimmeu nicht 311 blaffen IPangeu, 

Die (Ebne jubeln, bas (Semiith ift fermer —" 

„3ch fal| ein trübes Pug\ bas madjt mir Bangen: 
jDenu gar ber Üob im Blaitfenmalbe mär’! 

Des Blanfenljofcs UTagb, ber 3 ll &**k flmme, 

Stanb an bem IPeg, als man ins lHünfter gieng; 

31|r Blicf mar fo, als galt er einem Samme, 

Das man 3um Schlachten aus ber Ijerbc fteng. 

(Entlafst mich brum, es 3ieljt mich nach bem (Drte, 

IPo mir non öfters Kunbe marb; 

Schon lange blieb ich ohne (Ereuemorte, 

Hach Botfdjaft led?3’ ich, lieblich ober hart." 

Der Pbt entließ ihn unb er gieng 3m Stelle, 

Wo bnitfle Bäume bauten eine Pacht. 

Huf einem Stein, nmjebäumt oon milber IPeUe, 

Sa§ ieite Botin, mie 3ur (Eobtenmacbt. 

„Du briugft mir (Erauermär’," fo rief ber Sänger. 

„3ft 3ubitb franf? ber Pater? eines tobt?" 

„Picht franf, nicht tobt — bodj meile hier nicht länger, 
Befämpf bas Unheil, bas bir felber brol|t." 

„ITlir felber? — «Eines müfst ich nur 311 nennen, 

Dies beufen, hieße fchmäh’n bas treufte ^er}. 

Du follteft beffer beiuen Sicbliug fenneu, 

Du irreft ober treibft mir beiuen Scheiß." 

Doch jene traurig: „iPär’ es eins von beiben! 

(Ein 3ahr oon meinem Sehen gäb’ ich brum -- 
3d| lieb cud? beibe, ntufs für beibe leiben, 

Drum ruf ich noch einmal: Kehr um, fetjr um!" 

Der 3üngling fleht in ihrem Auge (Ehränen, 

„Du meinft! IPas trieb bich Heues in bie Pngft? 

IPirb überntädüig fo ber 3ungfran Sehnen, 

Dafs bn vielleicht gar um ihr Sehen baugft?" 

Doch jene fd?üttelt mit bem grauen Raupte: 

„3ch fürchte nur, bafs ihre Siebe ftirbt: 

Die Hanfe, ber mau ihre Stüße raubte, 

^ällt auf ben falten Bobeu unb rerbirbt. 

Doch aus ber IPu^el treibt bie neue Hanfe, 

Unb bie gebeiht 11m einen aubertt Pfahl: 

IPeun bn nicht fomrnft — mich jchüttelt ber (Sebaufe — 
IPirb jener ftnuolt 3ubitljs «Ehgemahl!" 


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Ctfrieb. 


549 


„Pu fchwärmft!" fo rebet (Dtfrieb unter Rittern, 

„Per tfnnolt? — nein! - Pas glaube, wer es fannl 
Perftehft bicfy fcfylecht, bie .führten auf3uwittern — 

(Ein fjunolt wirb wotjl feiner 3 ubittj Plann." 

„Pu täufdjeft bicb," fpricfyt tyrn bas lüeib bawiber, 
„(Er liebte IPein, jet$t liebt er nur bie Ittaib, 
fjieng auf bie 6arfe, ließ bie Schelmenliebcr, 
llbt für beu fterrn im (Sau (Sericfytbarfeit. 

<Er wohnt im t^ofe fdiott feit rielen (Eageit, 

3 n ihm erfennt ber tferr ben fiinftgeit Sotjn —" 

„llnb 3 ubittj ?" — „Picfe läfst ron ihren Klagen, 

Pem (Sarne naiver geht bas Dögleitt fd)on. 

UTait lehrt fie 5weifeln an bes Ittattnes £icbe, 

Per anbres träumt, was er geliebt, rerläfst. 

Plan rebet ifjr rom (Slücf ber Pluttertriebe — 

Pein .fernfein nnb bie §eit, fie tf^uvt ben Heft. 

Prum fomnt nnb rette beines Gebens ^rieben! 

3 cb hatte feine Hui} bei (Eag nnb Hacht, 

Bis ich bie trübe Kunbc bir befdneben: 

Pu fchliefft, id} hielt an beinern (Slücf e IPadit." 

Unb jener fpridit nach endlichem Bebettfen: 

„ 3 d> fage beiner (Eren ben größten Panf; 

Poch niufst btt wohl allein nad} l^attfe lenfen: 

3 d} fleh erfcfyüttert, aber ohne JPanf. 

Pie Jfertte barf bie freien nicht erfälteit, 

Sonft war bie Ciebe feine ^immclsglut; 

£äfst fie ben Sperling für ben Bbler gelten, 

Pann ift ihr ja ber Hbler riel 3U gut. 

So mag fie beuit fidi einen Sperling wählen, 

Sie baue fich mit ihm ein warmes Heft: 

3 ft mein fie wert — fie wirb fid> nicht rermählen — 
Wenn unwert, gut bann, bafs fie midj rerlafst. 

Sie gab mir ja fein fPort; was fie rerfprochen 
Pnrdy ihrer Augen womtefamen Blicf, 

<Es fei wie biefer gweig ron mir gebrochen, 

Per Freiheit .fülle geb ich itjr 3urücf. 

Pies magft bn wiffen nnb auch ihr rerfünbeit, 

Poch forge nicht 511 riel um meinen Sdjmer3 — 
gwei .flügel Reifen mir aus bunflcn (Srünbett: 

Per hohe Stol3, bie Siebe himmelwärts." 

(Er fprach’s unb gieug von ihr mit feftem Schritte, 
3 nbes bie Botin ftanb wie blifcgeriihrt; 

Sie rang nad} IPorten einer fanften Bitte, 

3 hn hatte fchoit fein Scbicffal fortgeführt, 
gum Pliinfter gieng er. 3 n ber hfi^m Stille, 


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550 


SJleinrab Sabil. 


Da mollt er K ft erflehen bem (Semütb. 

§um (Etjorgefteiue trug ihn auch fein IDille, 

Dran lehnt er nun bie Stirn, bie fieberglüht: 

Da rührt es leis ihn an mit einem Ringer, 

(Es ift ber Hbt, ber aus bem (Eraum ihn febeuebt 
„ 3 cb weift, mas bir gefd^n, bu armer Singer, 
Dein £tug’ perrätlj es, trübe, tränenfeucht, 
lllit Flarcrn ^licfe fab ich biefes Fomnten — 

Doch freue biefy, nun minFt bir erft ber Sieg, 

Tiicbt €rbeumiune Faun bem Ittöndje frommen, 
(Setheilte Seele lebt in ftetem Krieg. 

Du mirft ben Strom ber Scbme^en überfebreiten, 
Daun roirb ftcb öffueu bir ein neu (Seftlb, 

Der Jfriebe mirb bie IDege bir bereiten, 

Derblaffen mirb in bir bas ttjeure £Wb. 

Dann mirft bu erft bie (Seiftesflügd regen, 

(Ein tierrfdjer merbeu im (SebattFeureicb; 

£tuf beineu Sippen mohnett mirb ber Segen, 

Hiebt mirft bu Sieber fingen füg unb meidt. 

Dir merbeu Könige bie fjänbe brücFeu, 

Heficgt pou beiiter (Eöue Fjocbgemalt: 

Dein frommer Sang mirb eine IDelt beglüefen, 

Die Sünbe fließt, mo beinc Stimme fdjallt. 

Die Ciebc beiner Hrüber mirb umfdymeben, 

(Ein Sternenhimmel, beiue fdyöne IDclt: 

IDer alles für bas (Sottesreicb gegeben, 

Dem mirb barum piel taufeubmal €ntgelt. 

IDobl mar es mas bu bir ausgejonnen, 

Dod? ift bie (Erbe folcfyer Blüte rauh — 

Kaum auftnfcbliegcu h^t fie ftd? begonnen, 

Unb febou pe^ehrte fte ber Falte (Ehau. 

Unb Fönnte beitte 3arte Siebe leben, 

Wer mollte fchät$eu bereu eble prad?t? 
man höhnte bidj unb beiner Seele Streben, 

IDcil Feiner fo mie bu gefühlt, gebadet. 

ZDer mollte beiner (Sröge trau’u unb glauben, 

3 br iiiebrer Sinn allein febeiut ihnen mahr. 

ZDer nicht mie fie perlaugt nach Pollen (Erauben, 
Die Beere mehrt man ihm. bie KattFe gar. 

ZDetin bu nicht gehft ben breiten IDeg ber IHenge, 
ZDcnn bu nicht thuft ben altgemohnten brauch, 
macht man bir beine pfabe rauh nnb enge, 

Ulan nimmt bie let$te, reinfte Snft bir audt. 

Du mufst 3U ihnen ftehn im IDoUett, fjanbeltt, 
ZDie fie mufst bu im DenFen niebrig fein — 

Sonft barfft bu nimmer unter menfeben matibeltt 
UTufst muttfchlos merbeu mie ein (Sott pott Stein. 


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Otfrieb. 


551 


Die (Sröge mit bent Erbettglüif vermählen, 

Das wollteft bn — bu büjjeft nun bie Schulb. 

Du fannft ber beiben eines nur erwählen, 

Kein phöbus ftnbet Dpljrobitens fjulb." 

„Du rebeft wahr" — fo fpricht ber junge Sänger — 
„So tjatt’ idj nie ben £anf ber IDelt erfamtt; 

XZun will idj beiner ZDeisfyeit nimmer länger 
Den Pfab vermehren, fdjliefjett ben Dcrftanb. 

Docfy biefcs eine werb’ idj nie mir reimen — 

Den ZDiberfprudj, ber in ber ZDelt befteljt — 

Dafs fo viel Blüten in ber 3 ugenb feinten, 

Die bodj ein (froft fo halb 311 (Eobe weljt. 

(Einft wollt’ id? mit ben Döglein aufwärts fliegen, 

Einft wollt’ ich mid? auf tjofyen ZPolfen wiegen,— 

ZDas feierlich in meiner Seele flang, 

Die gan3e ZHadjt bes Sieben uttb bcs Schönen, 

Die wollt’ idj wortlos, namenlos oertönen 
3 n einen taufenbfachen 3 ubelfang; 

Doch Idente mödjt’ idy mit ben wilben ZPettcru 
Die Bli^e unaufhörlich nieberfebmettern 
§um nadjterfüilten, tobesbangen (Efjal, 

3 nt §orne, bafs auf biefer falfcben Erben 
Hie will bie ^reube ooll unb bauernb werben, 
ftus jebem (Sliicf fo früfye quillt bie (Quall" 

ITTit fächeln fpridjt ber &bt: „ZDic fönitte tragen 
(Ein Saum bie £aft, wenn jebe Blüte reift’? 

Drum follft bu uidyt bie Hoffnungen beflagen, 

Die bein (Sefcbicf barmtier^g nieberftveift. 

Denn foll ber Baum im £en3e feböuer ftratjleu, 

So müffett Bluten fpriejgen otjne ^rucht: 

Die Hoffnung fam, bie Seele bir 311 malen, 

Du aber 3ftrueft ifjrer fcfynellen Jflucfyt? 

Du wirft noch manchen ^els gebroden jdjauett, 
rtuf ben bein (Slücf 31t grünben bu gebucht — 

Den Z}er3ensfrieben fannft bu immer bauen 
Huf jebem (Sruttbe burdj bie ZDillensmacbt. 

Don biefer (Erbe nichts unb nichts oerlangen, 

Das ift ber IDeistjeit beftes, Ijödjftes §iel — 

Huf foldjer wirft bu niemals bangen, 

Da wirft bn nie ber eitlen ZDünfcbe Spiel. 

Dein Sinn ift fjod?; bod? höljer ntufst bn fliegen, 

Sonft locft bidj nod? bie Ctjortjeit in itjr Z^aus. 

ZDas f^ülfe bir ein mattes ^lügelwiegen — 

Du wärft nur fjalb ein Dogel, f^alb bie ZTtans. 

Erft wenn bu fannft oon jebem ZDuitfdjc fcfyeiben, 


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ÜJleinrab Sabil. 


Patin mirb bid? nie ber grofee Porfatt reu’n 
§u leben einem Polf, fo arm in leiben, 
fo arm aud>, menu fie hoffen nnb (ich freu’tt." 

Pa hob ber 3 üngling an : „ 3 d? mill perfcbnie^eit. 
IPas mar es hoch, um bas ich midi gefränft? 

Ein fchmach tSefchöpf, mit einem armen liefen, 

Pas neuem Ulanne neue liebe fcheitft! 

(Ein Piug, bas lebt, 511 fchlafen unb 311 effen, 

Pen leib 311 fchniiicfen mit bem ^litterftaat, 

3 m fühlten Hrnt bes Dreiers 311 pergrffen 
Pes mähren jfreunbes hocbgeftitutcu Hath. 

Piumeg mit ihr mtb ihrer ganzen (Silbe! 

Piitroeg bie Blätter, ihrem Huhnt gemeiht! 

Pie ^ulba trage fte burch manch (Sefilbe, 
fie mögen ruhtt im Itteer für alle Seit. 

3 d> mill nur mehr bie frommen (Eöuc lorfen 
Aus meinen Saiten unb ans meinem (Seift: 

<£s fliug’ mein fang mie Huf ber Kirctyenglocfcu, 
Per fiinber mahnt, ber (Sottes liebe preist. 

3<h müfste nicht, mas mir 311 miinfdien bliebe — 
»Es mar ja (Trug ber hefte, fdjönfte (Eraum! 

Hicfyt luft 1111b lol^t, fein lob 1111b feine liebe 
IPiU ich perlaugcu poit bem lebeitsbanm. 

Hie foU bie IPehmutlj mir bas fjerj befcbleicheu! 
IPie ^riebeuseugel auf bem fdilachtfelb gehn, 
fo mill id) (Eröffnttg allen OTübett reichen — 

Poch lächeln bei ber Plenfcheu luft unb IPebit!“ 

£nt>c t>e» iicfrren (Pefnttacs. 


neunter Gesang. 

Zutn frieden. 

Pie Richten auf bes Hlanfetiberges (Sipfel, 
fie jdüittclu uugentiith ihr hohes Paupt, 
llttb leite raufebt es bnreb bie (Eattneumipfel: 
„ 2 Per hätte biefcs Eub’ rom lieb geglaubt?" 

3 m Hlatifeuhofe mirb 511m (Taft gefprungeu, 
§u tollen fpielmaiiiispoj)cu piel gelacht, 

IHaudi übermüthig liebleiu mirb gefungeu, 

Pie ^enerbräubc hellen rings bie Hadjt. 

Illit JPouuc läfst ber Punolt ftch beueibeu 
Ilm feinen Hcichtbum, um fein fchöues IPeib; 
Pen fiiiggeitoffen recht beit (Tag 311 leiben, 
Jfafst er bie Hrant pertraulich um bett leib. 
Pa hat Erinnerung aus aitberu (Eagett 


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Otfrieb. 


einen Jüngling por ben (Seift geführt, 

Der tief im %r3eu auch ihr Bilb getragen, 

Doch faum bie ^anb mit leichtem Drutf berührt. 

Unb leife IDeljmutt) fafst fte beim (Sebettfcn, 

Sie flüchtet aus bem meufcbenreicfyeu Saal: 

Hoch eine (Efjräne mill fic jenem febeufeu 
Hm beiPgeit 0rt 3um aUerle^tenmal. 

Sur trauten Kammer fiifjrt fic ber (Sebanfc 
Hu jene lieber, bie ber t^cljre fpradj; 

Sie fyolt bas Pergament pom €id?cufdjraitfc 
Der mächtig thront im magblicbeti (Setnacb. 

Unb mie fie manbelt bureb bas UIägbe3immer, 

Da läcbelt jie ein blonbes Köpflein an: 

Um jenen fragt bas Kinb, fo fyeut mie immer. 

Der itjm fo r>iel bes Sieben augetfyau. 

Unb Jubitb Füfst bas Kinb auf meicfyc IDaugeu. 

Sie milbert tröftenb bes Dermalsten Darm. 

Das Kinb mill boffmutgftrableub nad? ilir langen, 

Da nimmt bie Braut bas lUägbleiu auf ben Hrnt. 

Sum JDalbe gellt fic, fommt 311 jener <Eid>e, 

Die mitgelebt ben fd?öufteu ^rütylingstranm; 

Da mirb es ihr, als ob bas Sehen meidic — 

Sie ftubet 0 tfrieb au bem breiten Bannt. 

(Er fieht fie febmeigenb au uttb mill ficb meubeu 
mit rafebem Schritte uaefy bem bidjteit Hain, 

Da meint bas Kinb mit ausgeftreefteu Hauben, 

Unb 3 ubitb ruft roll Seltner}: „Der^eibu, rer^eibu!" 

„Der^eibu" — fpriebt jener— „bem, ber fdmlbbelabeu! 
Du logft mir nicht; bn baft midi nicht beraubt: 

3 d> felber tänfebte mich 31t meinem Schaben, 

Dicmeil ich, mas ich fyoffte, and» geglaubt. 

(Ein Junten Siebe glomm bir in ber Seele, 

3 cb fab bie flamme bis 311111 Himmel fprühn — 

(Ein itlabdien marft bu ohne Arg mtb ^eble, 

3 cb aber faf? ben <£t>ernb in bir gliibu. 

So ntufs id? beim bie Jfrndit ber Torheit tragen, 

Unb glaube mir — fie laftet uidit fo fermer! 

IDas ich tu bir perlor, ift uidit 311 flageit — 

Denn mas icb fnebte, bift bu ja uidjt mehr. 

Sägft bu im lichten Kleibe auf ber Bahre 
Unb trügeft 11m bie Sotfett biefeu Kran3, 

Daun lebt’ ich mobl bem (Srame meine 3 at>rc — 

Doch mein’ ich nicht bei beinern Hod^eitstai^. 
Bemeinen föuut’ ich nur, mas idi perloreu — 

Dich aber gab icb freien Umttjes fyiit, 


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554 


9Jleinrab <5abtl. 


Hls id? mir meinen ftoljen IPeg crForcn, 

ITTeiii Huge hob 3U fchöuerem (Seminn. 

Pu Fouuteft nicht erfaffen folrf? ein Streben, 

Hud? bein Behüter ho* es nicht erFattitt — 

Pn mollteft nicht ein (EttgclsFleib bir rnebett 
Hur manbeltt im alltäglichen (Semattb. 

So mögft bu benn in beiner £?ütte mohneit, 

Pa bu als priefterin nicht bienen magft. 

Pes ITtanues (Eren foll bir bie Siebe lohnen, 

Pafs nie ber (Eag crfcheiite, bem bn FlagjV' 

Sic brüeft ihr (Eüchleiu an bie büfteru Augen. 

Pie Stimme bebt, inbem fie Ieife fpridjt: 

„Per ftärFfte JTtäbche::millc mag nicht taugen, 

Pie IPelt beftürmt ihn, bis er fällt mtb bricht. 

Prum follft bu nicht mit (Eabelrebe fcbeibeit, 

(Es Faun bich reuen bod? in aubrer < 5 eit. 

(Es mar ein ^eittb, ber Fämpfte mi uns beiben: 

Pie JPelt uitb ihre UnrcrftäubigFcit." 

(Er jagt gerührt: „ 3 ch uehrn ftc au, bie Hebe. 

Hidjt bu, nicht idj, IPelt nur hot bie Sdjulb — 

Pie Fünbet allem Roheit ihre Jehbe, 

Hur bas (Semeittc freut fid? ihrer fytlb. 

3 ch mill bidy auch nicht fchmäheu, bich nicht hoffen; 
Was bu gethan, es mar bein großes Hecht. 

(Satt3 ohne BitterFeit mill ich bich laffeu, 

IDill fegueii bich, mill j'egnett bein (Befehlest 
Hach langem IPalleu mögeft bu im Hreiic 
Per heften Kiitber flnben beine Huh’ — 

Poch beten follft and? bu, bafs meine Heife 
ITlich immer höhern Stenten führe 311. 

Hur eines fleh ich noch: itt beineu fjänben 
(Erägft bu ein Büchlein, bas ich bir gefchcnFt — 

Pie lieber lafs utidy 311 beit Schmcj'teru fenben, 

Pie lange ruhn, in Fühle ^lut gefenFt 
Penn blieben biefe Blätter bir 31t eigen, 

2 Pte Föttttf ich h^ten mich ror Sdjimpf uttb Schmach ? 
Pein UTamt, ber mürbe unter Cächeln 3eigett 
Pent (Safte, mas ein h^rlig fühlen fprach- 
5 n feines IPcibes Büfett ntöcht’ er fettFeu 
Sein ftaupt — im Auge. bie gemeine £uft — 

Hub meiner jpottenb mürb’ er ba gebetiFeu 
Per hohen Siebe iit ber Schmärmerbruft. 

Httn mag ich leichten £jer3eits meite^iebett, 

Pa mir gelöst, mas irgenb noch uns baub: 

Unt rollig meinem (Erattme 311 entfliehen, 

SeuF 7 ich bie Schritte 311m Henteterlaub. 


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Otfrieb. 


55 


Bidjt an ber ^fulba will td? weiter wollten, 

Sie raufäjt mir ewig bas oerfenfte Heb - - 
Ittan fämpft 31t IDeißenbttrg um gleid?e Kronen, 
Dort frag* idj um eilt Schwert niib tret’ ins (Slieb.“ 

Da fielet er eilt paar Kiitberaugeit leuchten 
Poll £ieb* unb ^rcube uub bod? r>oll ber Sd?eu. 

€r fütjlt es, wie bie IDimpertt fidj iljm feud?teit; 
„Du bijt bie fiebe," — ruft er — „bift bie dreul" 
Pott fleiiteit formen läfst er ftd? umfaffeit, 

<Hr nimmt beit Kufs oott ttnfdjulbrollem ITtunb. 

„Uttb mnfs tdj audj bidj, flettter €ugel, Iaffett - 
mit beittesgleicfyett ewig fielet mein Butib! — 

Bocb ein (Sebettfett tteljm’ idj in bie Jcrite: 

Du fagteft eiuft tu uttf’rer golb’ttett §eit: 

*Dett (Sottesfoffit befutigeit tjört tdj gerne« — 

Httu ift bie £eier folgern Saug bereit. 

Uub bauten mnfs idj and? bafür itt (Treuen, 

Dafs (Sott in beinc Balje midj geführt: 

Denn biefes große freuen uttb Bereuen 
£}at meinen Sang gefräftet uttb ge3iert. 

So lebe wotjl!" — Sie fjandjt ein leifes (Srüjjen, 
3 ubes er würbtg febreitet nadj bem IPalb — 

IPie 3Üritettb aud? bes fyniolt Buf erfdjallt: 

Sie let^iit am Baum ttitb läfst bie (Efjräueit fließen. 

€nbe. 


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Rundschau. 

(Sin neuedüßerf über bie © i y t i n i f ch e Kapelle, *$er roeiheoolle 
Naum ber ©alaftfapeüe bed ©atifand mit feinem herrlichen ©chtnude non ber §>anb 
hochberühmter SÜleifter jieht immer roieber bie 9 lufmerffantfeit unb "ftorfcbertbätigfeit 
ber ftunftgelehrten in feinen ©annfreid. Kaum bafd und $arl ftufti in feinem 
„Michelangelo" (Leipzig, ©reitfopf & Partei, 1900 ) mit ben geiftreichen ©eiträgen 
jur Erflärung ber 2 Berfe unb bed Menfchen auch neue ©eRchtdpunfte für bad ©er 
ftänbnid bed grogartigen Söölbungdfchmuded ber ©iytina erfdjloffen unb bie Deutung 
auf eine bidher augeradü gelaffene, aber febr zuoerläfRge Erunblage gefteüt bat, 
tritt (Srnft eteinmann — mohlbefannt burdi fehr rerbienftpolle ©eiträge zur italicnifcbcn 
ftunftgeichichte — mit feinem monumentalen äderte „$ie ©iftinijche Äapeüe" 
(Erfter ©anb: ©au unb ©chmud ber Kapelle unter ©iytud IV. — München, ©er 
lagdanftalt ft. ©rudmann, 1901 , 100 M.) auf ben ©lan. $>adfelbe ift in Anlage unb 
nornehmer s 2ludfüRrung feined einzigartigen ©toffed burchaud roitrbig unb bietet bie 
erfte einheitlich gefchloffene ©ehanblung bed in feiner ganzen ©ebeutung tief erfafdten 
Eegenftanbed. 

^af* biefe neue ©irtina ©ublication in fo überaus glänjenber füudftattung 
erfdieineit fann, ift ber Munificenj bed ^eutfchen Neichid zu bauten, roeldjed bie 
Mittel für bie prächtige Herstellung bed ©$:rfed bewilligte. 9 IHe amtlichen ftactoren 
liegen fich bie ftörberung bedfelben märmftend angelegen fein; eine oom ©taatd 
fecretär bed ftnnern (Grafen ©ofabon)dtp«©tebner eingefefcte ©onbercommifRon, ber¬ 
auch ber feinRnnige Nath bed tunfiperftänbigen Somcapitulard unb päpfthehen Haud 
pvälaten $r. ftriebrid) ©djneiber in Mainz nidit fehlte, ftanb bem ©earbeiter mit 
reidjer Erfahrung zur ©eite. $ie befannte Münchener ©erlagdanftalt ft. ©rudmann. 
ipeldjer ber 3ufd>ufd aud Neid) 3 mitteln bie in jeber HinRcht gebiegene £>erftellung 
mefentlid) erleichterte, h at au f $rud unb illuftratiue ©udftattung bie bentbar grögte 
Sorgfalt oerroenbet unb in bem unähnlichen Xejrtbanbe eine tppographifche Mufter 
leiftung erzielt; bie Xafeln ber Mappe, bie ^iwei Ebromolithographien unb aufeer 
25 ©bototppieu noch Reben ©hotolithograpRten bieten, beruhen mie alle Einzelheiten 
aud ben ©lanbgemälben, ber ^IrdRteftur unb ©culptur auf Neuaufnahmen unb per« 
mittein eine ftülle neuer s 2lnfcgauuugen. 

$er 710 Cluartfeiten umfaffenbe erfte Xeytbanb, bem 260 9 lbbilbungen mtt 
oft reizenben ‘Detaild beigegeben finb, behanbelt bie ©augef(hichte ber ftapelle unb 
ihre s Kudfchmüdung unter ©irtud IV. $ie Seo^efeüfchaft barf ed mit befonberer 
(^enugthuung erfüllen, bald ber auch pon ihr in feinen ipiffenfd)aftli<hen ©eftrebungen 
geförberte Cfterretcher $>r. Heinrich ©ogatfdjev in Nom bie burchaud felbftänbige 
©earbeitung ber im Anhänge mitgethcilten $ocumente geliefert hat. $)ie bid auf 
bad Mleinfte Reh erftredenbe (Mntblicbfeit unb Eetoiffenhaftigfeit, bie ber Unter* 


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Wunöfdjau. 


f)57 

zeichnete an feinem ehemaligen Schüler jeberjeil überaus hocbgefchäfet half berechtigt 
nnbebingt ju ber fchon non ©teinmann felbft auSgefprocheneu Hoffnung, bafs bie 
eintägigen Oueüen nunmehr nollftänbig erfdjöpft ftnb. Durch Bogatfdjer’S ÜRit* 
arbeiterfchaft hat auch Deutfd)ȣ)iterreich einen gewiffen Bntheil an bem 3uftanbc> 
tommeu ber monumentalen $ublication über bie ©iptina. 

Die neun Slbfchnitte beS erften BanbeS, beneu aufeer bem Documentenanhange 
Bogatfcher’S noch ein Anhang über bie Biographen ©i?tuS IV. unb ein anberer über 
Bortraitbarftellungeu unb ÜRebaillen biefes BapfteS folgen, entrollen in ©teinmann’ß 
anjiehenber Darftellung jeffelnbe Silber aus einer groben (Epoche italienifdjer ftunft* 
3 rür fie wirb ber £üntergrunb beS 3 ettmilieuS oortreffüch gezeichnet ; alle Begebungen 
am frofe beS tunftfinnigen Äirchenfürften unb feiner Umgebung treten mit J^eroor» 
hebung ber oon ©ijrtuS IV. befchäftigten Wrchiteften, Bilbhauer unb ÜJtaler, oon 
benen nur ÜRelozzo ba f^orli, Benozzo ©ozzolt, Bietro Berugino, Dotnentco 
©hirlanbajo genannt feien, in einer gewiffen ©efchloffenheit ber ©rfcbeinung uor 
uns. 3 hncn fdjliefet ftch bie alle (Einzelheiten erfchöpfenbe Baugefd)icf)te beS 
Hapellenraumes unb bie BMirbigung feinet ©culpturenjchmudeS an, worauf auf bie 
Malereien ber Kapelle felbft in ber grünblichften, überaus oiel s JteueS bietenben 
BearbeitungSweife ©ebritt für ©chritt eingegangen wirb. Die $lutheile ber umbrachen 
i:nb ber florentinifchen Bteifter, beS Buca ©ignoreüi ober beS Bartolonteo bella 
©atta erfahren fichere Umgrenzung unb feinfühligfte, untüchtige Erflarung, welche 
^anbzeichttungen ber nerfchieheuften ©ammluttgen in [Rom, BMen, Florenz, beliebig. 
Berlin, Baris u. a a. O. fachgemäß l^cranjieht. ftitr bie Sharafteriftit ber befchäftigten 
ttiinftler ftrömt eine gülle neuer, fehr intereffanter (Einzelheiten ju. £)ier wirb bas 
fcharf prägenbe ©efdjid t>eS Bearbeiter«, ber ab unb ju aud) auf technifche fragen, 
bie WrbeitStbeiluug in ber utnbrifcben 3 Berfflätte unb bie baburd) erforöerlidje ftrengere 
©cheibung ber ft nftlcrhänbe näher eingeht, ganz offenfid)tli©d)on bie 2lrt ber 
Befjanblung erhöht baS ©efiihl, bafS man nahezu überall gefieberten (Ergebniffeti 
gegeuüberfteht. s lBenn aud) hie unb ba eine (leine Berichtigung ober eine aubere 
'lluffaffung gelteub gemadjt werben foUte, waS bei einem fo gewaltigen ©toffe wahr 
fcheinlich ift, fo wirb baburch ait ben £>auptergebnifien ber Darlegungen ©teinmann’S 
faum etwa* 2 Befentli<hes geänbert werben, ©ie büvfen in ihrer Bebachtnahme auf 
alle Einzelheiten beS DenfmaleS unb auf baS mit ihnen in Beziehungen ftehenbe, 
weit oerftveute Belegmaterial oom heutigen ©tanbpunfte ber ftunftforfchung als ab’ 
fchließenb bezeichnet werben unb laffen burchwegs erlernten, bafS für bte ööiung einer 
wirtlid) großen Aufgabe ber richtige Blann gefunden würbe, beffen beutfehem Jvorfcher= 
fleifee bie ewige ©tabt bie wiirbigfte Bublication eine« ihrer hernorragenbften ftunft* 
bentmale ju banfen haben wirb, wenn bie hauptfächlich auf ORichelangelo’S Berfönlichfeit 
unb ftunft fich concentrierenbe fjortfefeung oorliegt. 

©eraöe im 3ufammenhange mit ber wohfoerbienten Bnerfennung, welche 
gewifs überall bem fo BortrefflidjeS bietenben Bearbeiter unb bem bie JperauSgabe 
ermöglichenben hochherzigen Befchluffe beS Deutfdjen [Reichstages gezollt werben 
wirb, fallt e« hoppelt fchwer, mit einem allerbingS biefe beiben gactoren burchaus 
nicht treffenben Xabel zu tieften. Es gilt ben oon ber BerlagSanftalt zu Befprechunge- 
Zwecfen oerfchidten „Biufterheften", bie Borwort, ^nhaltSoerzeichni«, brei ober oier (!) 
Teytbogen beS ©anzen (!!) unb eine Brobe beS [RegifterS bieten unb mit ben beige 
fchloffenen brei Xafeltt bie ©runblage eines [Referates bitben follen. (SS liegt auf ber 
i^anb, bafS von einer fo prächtigen Bublication, beren BreiSanfefeung mit 100 3 Rf. 


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558 


[Runbfchau. 


wirklich mäßig genannt werben barf, nicht viele fRecenfionSeyempIare verteilt werben 
können. 2 öo man aber nach bem ©^araftcr be« Vlatte« mit einer — roenn aueb 
befchräuften — Abfaßmöglichkeit be« 2 öerfeS rechnet, follte nicht bie Verkeilung 
ber tRecenfton«eyemplare in ba« auSgefprochene ©egentheü von bem verfallen, 
wa« bei ber fplenbiben AuSftattung be« ©anjen fonft fo angenehm berührt. ©ine 
geroiffenhafte Vefprechung, bie bem ©anjen gelten fofl, läfst fuh logifchcrweife nicht 
auf wenigen Vruchftüden aufbauen unb jwingt ben [Referenten, ficb auf einem 
anbern, nicht an jebem Crte leichten V?ege einen ©inblicf in ba« V 3 ert felbft ju 
verfchaffen. Appelliert „bie außergewöhnliche Vebeutung be« Unternehmens" in höherem 
©rabe an bie Beachtung weiterer Greife, bann muf« für bie ©rweefung berfelben 
von ber Vcrlagsbuchhanblung auch ein größere« Opfer gebracht werben benn ein 
mehr als befcheibeneS, an fi<h wertlofeS SRufterheft, für welche« bie Veanfpruchutig 
ber 3 “fenbung eine« Velegabjuge« fich wirtlich etwa« fehr mertwürbig au«nimmt. 
Ratten unS ber 'PublicationSgegenftanb, bie in jeber Vejiehung anerfennenSwerie 
^Bearbeitung unb bie höchft. würbige AuSftattung nicht baju verpflichtet, gerabe bie 
Greife ber fieo*©efettfchaft auf baS wirtlich h^orragenbe 2 öerk aufmertfam $u 
machen, baS ÜRufterheft al« folcheS hätte hier fonft feine 3 *ile oerbient. ÜRöge bas 
felbe nicht für ähnliche Unternehmungen eine gewiffe flRuftergiltigfeit erlangen! 

Qofeph 9 tcuwirth. 

* * 

* 

ftant unb bieSternenbewohner. Daf« ftant ein Anhänger ber 
Sehre von ben Stemenbewohnern war, ift peinlich befannt. Vkniger befannt finb 
bie eigenartigen Vorftellungen, bie er fich auf ©runb von Analogiefcßlüffen über bie 
benfenben ©efdjöpfe in unferem s ^lanetenfpftem bilbejte. s ßohle in feinen „Sternen 
weiten unb ihre Bewohner" (ftöln 18519 ), bem einigen neueren beutfehen VJerfe, bas 
bie Jtrage fpftematifch behanbelt, weist (S. 52 ) nun mit 9 ta<hbrucf auf ftant als 
einen Vertreter ber 'PluralitätStheorie hin. ©« ivirb beshalb von ^ntereffe fein, 
wenn wir bie phantafievollen Ableitungen ft a nt’s hier mittheilen: wir geben 
feinen ©ebanfengang ( 9 laturgefchichte beS Rimmels. AuSg. ftehrbach,* S. 150—158 
in abgekürzter Jorm, aber in möglichftem Anfchlufs an feine eigenen Vtarte wieber: 

„ 3 k bin ber Anficbt, baf« es eben nicht nothwenbig fei, $u behaupten, aOe 
Planeten müfsten bewohnt fein, ob es gleich eine Ungereimtheit wäre, bie« in 
Anfeßen aller ober auch nur ber meiften zu leugnen: benn e« wäre Verwegenheit 
bes ÜRenfcßen, ftch von ber s Jtothwenbigfeit feine« Dafein« fo zu fchmeicheln, baf« er 
bie ganze übrige Schöpfung für vergeblich hält, bie nicht eine genaue Abjielung auf 
fein ©efchlecßt al« ben ORittelpunft ihrer 3 wecfe mit fich führt. Die meiften unter 
ben 'Planeten finb gewif« bewohnt, unb bie e« nicht finb, werben e« bereinft werben. 
Vta« für Verßältniffe werben nun unter ben verfchiebenen Arten biefer ©inwohner 
burch bie '«Beziehung ihre« Crte« in bem Vkltgebäube ju bem SRittelpunfte, barau« 
ftch bie VJärme verbreitet, bie alle« belebt, verurfacht werben? Der 9 Renfch, ber 
unter allen vernünftigen VJefen baSjenige ift, ba« wir am beutlichften fennen, muf« 
in biefer Vergleichung jurn allgemeinen Vejiehungspunfte bienen. 

„©« ift gewif«, bafs ber 9 Renfch fotvohl in Anfehen ber Deutlichkeit feiner Vegriffe 
unb Vorftellungen, al« auch ber Seligkeit, biefelben zu verbinben unb zu vergleichen, 
welche man ba« Vermögen zu benken nennt, von ber Vefcßaffenheit ber ÜRaterie völlig 
abhängt, an bie ber Schöpfer ihn gebunben hut. 3 Bir fchließen bie« au« ber Dßat 
fache, baf« nach bem üRaße, al« fein ftörper im Saufe feine« Seben« fich au«bilbet. 


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föunbfdjart. 


559 


bie $äbigfeiten feiner benfenben 9 totur ctuc^ bie gehörigen ©rabe ber Vollfommenbeit 
befommen unb erft ein gefe&teS unb männliches Vermögen erlangen, roenn bie 
3fafern feiner Söerfjeuge bie ^eftigfeit unb $>auerbaftigfeit überfommen b a &* n » 
roelche bie Vollenbung ihrer s 2 luSbilbung ift. Siebt man ferner baS ^eben ber 
meiften ÜJtenfchen an, fo roirb man bemerfen, bafS ber üftenfch unter allen ®efrf>öpfen 
am roenigften ben Qvoed feinet 'SafeinS erreicht, roeil er feine oorjiiglichen fyäbig* 
(eiten ju folchen Vbfichten oerbraucht, bie bie übrigen ©reaturen mit roeit minberen 
3 fähig(citen unb hoch roeit ficherer erreichen; unb roenn man bie Urfacbe ber Einher- 
niffe unterfucht, roelche bie menfcblicbe Statur in einer fo tiefen ©miebrigung erhalten, 
fo finbet fie fich in ber (Grobheit ber ÜJtaterie, in bie fein geiftiger $b*il oerfenft ift. 
$>ie ©robbeit beS Stoffes unb beS ©eroebeS in bem Baue ber menfglichen Statur 
ift bie Urfacbe berjenigen Trägheit, roelche bie gäbtgkiten ber Seele in einer beftän 
bigen ÜRattigfeit unb Straftloflgfeit erhält. ©S erhellt hierauf beutlid), bafs 
bie Strafte ber m e n f <h 1 1 ch e n Seele non ben^inberniffen einer- 
groben OJtaterie, an bie fie innig ft oerbunben roerben, ein ge 
fchränft unb gehemmt roerben. 

„Vber eS ift etroaS noch ORerfroiirbigereS, bafs biefe fpecififche Befchaffenbeit 
beS Stoffes eine roefentlicbe Begebung ju bem ©rabe beS ©influffeS böt, roomit bie 
Sonne nach bem 9 Jtoße ihres VbftanbeS fie belebt. 35 aS geuer oerbreitet fich auS 
bem VUttelpunfte beS VkltfpftemeS, um bie ÜJlaterie in ber nötigen fRegung ju 
erhalten, unb barum entfpricht jebem Wbftanb oon ber Sonne foroohl bei ben Planeten 
als bei ihren Beroobnem eine beftimmte dichte ihrer Materie, ©in Beroobner ber 
©rbe roürbe in einer erbitteren Sphäre geroaltfame Beroegungen unb eine 3 errüttung 
feiner Statur erleiben, ba fein BilbungSftoff für einen gröberen ©rab ber SBärme 
su leicht unb flüchtig ift, roährenb ein Beroobner ber VenuS in einer fühlen Rimmels 
gegenb erftarren unb in einer öeblofigfeit uerberben roürbe. ©benfo müffen eS roeit 
bittere unb flüchtigere Vtoterien fein, auS benen ber Eörper ber Qupiterberoobner 
befiehl, bamit bie geringe Regung, roomit bie Sonne in biefem Vbftanb roirfen fann, 
biefe Viafcbinen ebenfo fräftig beroegen fann, als fie eS in ben unteren ©egenben 
oerrichtet, unb bamit ich alles in einem allgemeinen begriffe jufammenfaffe: ber 
Stoff, roorauS bie ©inroobner oerfchiebener Planeten gebilbet 
finb, mufS überhaupt oon befto leichterer unb feinerer 91 rt unb 
bie ©lafticität ber ^öf*** 1 fammt ber oortheilhaften Anlage ihres 
'-Baues mufS befto oollfommener fein nach bemORaße, als fie roeiter 
oon ber Sonne ab ft eben. 

„VMr höben fo eine Vergleichung jroifchen ber Befchaffenbeit ber ÜRaterie, 
roomit bie oemiinftigen ©efchöpfe auf ben Blaneten roefentlich oereinigt finb, auS 
gemacht. 9 tacb ber früheren Betrachtung müffen roir fcbließen, bafS biefe Verbältniffe 
eine Sfolge auch in Vnfeben ihrer geiftigen Stöhißfctten nach fich sieben. Vknn nad) 
biefen Betrachtungen bie geiftigen ^ähigfeiten eine nothroenbige 9 lbbängigfeit oor 
ben Stoffen ber ÜRafchine haben, roelche fte beroohnen, fo roerben roir mit mehr 
als roahrfcheinlieber Bermutbung Jagen fönnen: bafS bie Xrefflidjfeit ber 
benfenben Naturen, bie föurtigfeit in ihren Borftellungen, bie 
$)eutlicbf eit unb Öebhaftigfeit ber Begriffe, bie fie bureb äußerliche 
©inbrüefe befommen, fammt bem Vermögen, fie jufammenjufefceu, 
enblich auch bie Behenbigfeit in ber roirflicben Ausübung, fürs 
ber ganje Umfang ihrer Vollfommenbeit unter einer geroiffen 


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560 


Munbfdjau. 


9t e g e l ft e h e n, nad) roeldjer b i e feiben n a ch bem Verhältnis bes 
MbftanbeS ihrer VBobnpläfte oon bcr Sonne immer trefflicher unb 
oollfommener merben. 

„MuS biefem Verhältnis erfefyen mir, bafs bie menfchliche Matur, roelche in ber 
Leiter ber Vkfen gleichfam bie mittelfte Sproffe inne l)at, mitten zwifchen ben zwei 
du|er)ten ©rennen ber Vollfommenbeit ftebt, oon beren beiben ©nben fle gleicbroeit 
entfernt ift.*) Vtenn bie Vorftellung ber erbabenften Cilaffe uemünftiger (Kreaturen, 
bie ben Jupiter ober ben Saturn bemobnen, ihre ©iferfucbt reizt unb fte burch 
©rfenntnis ihrer eigenen ^tiebricjfeit bemiitbipt, fo fann ber Mnblitf ber niebrigen 
Stufen fie mieberum jufrieben fprecben unb beruhigen, bie in ben Planeten Venus 
unb hierfür roeit unter bie Vollfommenbeit ber menfcblicben Statur erniebrigt fmb. 
9 Belcb’ ein bemunberungSmiirbtgcr ^Inblicf! Von ber einen Seite feben mir benfenbe 
Wefcböpfe, bei benen ein ©rönlänber ober Jpottentotte ein Memton fein mürbe, 
unb auf ber anberen Seite anbere, bie biefen als einen Riffen bemunbern." 

Soroeit ber „geiftreicbe unb logifcb rooblgeorbnete Iraum", roie ^iebntann 
biefe Xebuctioncn einmal nennt <3ur Mnalpfe ber VMrflicbfeit, 3. Mufl. S. 408 1 . 
Übrigens entroitfelten ftant’s 3*itgettoifen Sonnet, Lambert, lauter unb 
Malier ganz ähnliche Mnfchauungen (ogl. 3 ö cf l e r r ©efchichte beV Siebungen 
zmifchen Ib^logie unb Maturroiffenfchaft. (Gütersloh, 1879 . II., 84 ff.) 

Mions Wi'tller. 

* * 

* 

Xie britte ©miffion ber claffifeben MnbachtSbiIber ber^eo 
( 9 efel Ifcbaf t läfSt in ihrer Musmabl nahezu überall eine facboerftänbige, gefebiefte 
N?anb erfennen, bie im allgemeinen Madjbilbungen beroorragenber VJerfe anerfannter 
Weifter bieten raiU. Xer ©ebanfe, auf bem V*ege bes in breite VeoölferungSfchicbten 
bringenben, oft $ur Ö^nb genommenen MnbadjtSbilbes neben bem ©rbauungSzmecfe 
gleichzeitig zwanglos etmas zur Vertiefung ber noch recht zuriief gebliebenen Kenntnis 
grofeer Schöpfungen firdblicher ftunft beizutragen, ift nur zu billigen. Xenn mas bisher 
an folgen MnbadjtSbilbern in bie fränbe ber (Sänften fönt, burfte ^umeift als höhere 
©efchmadlofigfeit bezeichnet merben. £ner that Mbljilfe bringenb notb, bie mit MuSmabl 
beS ©Uten roirflich auf grobe, zur Mnbacht ftimmenbe ftunftmerfe zuriidgreift, mit ©r 
fchliebung bobeitsuoller ober anmutbiger ©ebanfen bie (Erbauung bebt unb nebenbei 
auch Vereblung bes ©efcbmactes nicht auberacht läfSt. Xie Webrzabl ber neuen 
Vilbcben barf als gut bezeichnet merben. ©ine noch fachgemäbere Mnmenbung ber 
jeftt auf fo anfebnlicher Jpöbe ftehenben mobemen MeprobuctionSmittel hätte in 
manchen Stücfen zweifellos VeffereS erzielen laffen. Xie banfenSmerten Urfprungs 
angaben auf ber Mücffeite fmb burchauS ^uüerläffig bis auf jene für bie *ßetruS 
ftatue in Morn, für melche baS ^reftbalten ^ ev auch uon 8*unz 3 £an. ftrauS acceptierten 
3 eitbeftimmung (©efdjichte ber chriftlichen ftunft, I., S. 231 ) fuh empfehlen biirfte. 

3 . M. 

*> ^11* Äant bie* frtjrieb (öor 1754), waren Uranu* unb Neptun norij nicht cnrbccft. 


Mebacteur: Xr. J^ranz Schnürer. 

3of. JWotb’iche $icrlag*bwct)lKmbliin 0 . — $ud)bnicferei Hmbr. Cpi&, Söien. 


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moderne ü'nwände gegen die christliche moral. 

Bon Br. pfptipp ßnrtb, 

er fittticfje ©rnft beS ©hriftenthumS mar eS, ber bielfach feine ©rfolge 
herbeifüprte. Abgefehen oon ben ©ormürfen, benen eS in feinen erften 
Seiten oon ©eiten ber Reiben auSgefefct mar unb bie tfyeiüoeife in UnfenntniS 
uitb SRifSoerftänbniS, theilmeife mohl auch in böSmißiger SerläumbungSfucht 
i^ren ©runb hoben, mürbe biefer fittliche ©ruft lange $eit hinburch nicht in 
grage gefteüt. Um fo befremblicher mag eS auf ben erften ©lief erfdf)einen, menn 
in neuerer Seit bie ©ehauptung aufgefteüt mirb, an feiner ©ittenleljre gerabe 
miiffe baS S^riftent^um eines XageS febeitern. ©o befonberS oon £>artmann 
unb Drems, oon £artmann in feinem £auptmerfe „Das fittliche ©emufst* 
fein" (2. Auf!., ©erlin, 1885), mo er alle feitberigen SRoralfpfteme, inSbe* 
fonbere baS cfjriftlicbe als burcbauS ungenügenb barfteüt, oon $ rem S in feinem 
©uebe „Die beutfehe ©peculation feitSant" (©erlin, 1898, 2©änbe; f. baSSor* 
mort beS I. SanbeS unb bie Darftellung beS $artmann’fchen ©pftemS, ©anb II). 
AüerbingS leugnet man nicht ben Heroismus unb bie AufopferungSfreubigfeit 
oieler ©hriften, man ftellt auch nicht in Abrebe, bafS baS ©hriftenthum tbatfäcblicb 
baS forbert, maS fachlich ober objectio als fittlich gut ju beaeichnen ift, nur 
baS finbet man tabetnSmert, bafS baS ©hriftenthum bie ©rhabenpeit unb 
Feinheit beS ©ittengefefceS felbft oerunreinige. Die ©rh oben!) eit beS ©itten= 
gefefeeS foü gefährbet fein burch bie Aufteilung ber fittlichen ©orfchriften 
als pofitibe ©ebote unb ©erböte ©otteS, als ©efehle beS Aßerhöchften, feine 
Feinheit burch bie SRücffid^t auf ben 2ohn*) in ber ©migfeit, melcbe baS 
©hriftenthum in feinen ©orfchriften nahelegt, oft auch auSfchliefelich empfiehlt. 
Die erfte „©chattenfeite" ber chriftlichen äRoral d)arafterifiert man mit bem 
Wanten „^eteronemie" (grembgefefclichfeit) unb ftellt ihr bie „Autonomie" 
ber ©ittlichteit als gorberung gegenüber, bie jmeite mit bem SWertmort 
„Sohnfucht", ber gegenüber man bie fogenannte „Uneigennüfcigfeit" ber 



*) ©on ber ©träfe, für bie im Allgemeinen ähnliche ©runbfä&e gelten roie für 
ben 2ohn, reben mir fpeciell ni<ht. 


36 


®ic fhiltur. III. 3abrfl. 8. ^cft. (1902.) 


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562 


$r. «Philipp ftneib. 


äRoral proclamiert. ©utberlet („Gthif unb fReligrott", 3Jlünfter, 1892, 
©eite 102—114), ©d&anj („Apologie", I. Uj-, greiburg, 1887, ©. 217 
bi« 223), ©d)ett („®ott unb ©eift", II. %\)., fßaberbom, 1896, ©. 620 
bi« 638, 663—683, unb „Religion unb Offenbarung", fßaberborn, 1901, 
©. 417 — 422), IBibio („®ie moberne äRoral" in ©trafjb. X^eot. ©tubien, 
br«g. 0. ®f)rbarb unb SRüHer, greiburg, 1896, ©. 74—100, unb „2)er 
fittliche ©otte«bewei«", SBürjburg, 1899), ©chneiber („©örtliche SBelt* 
orbnung unb religionälofe ©ittlichfeit", ßaberborn, 1900, ©. 496—527), 
9J? a u « b a <h (Sieten be« V. internat. Gongreffe« fathol. ©eiehrten, äRündjen, 
1901, @. 190), fßeter« (®ie chriftlichen begriffe ber ©ittlictjfeit unb 
©eligfeit 2c. [Snauguralbiff., äRünfter, 1902, befjanbelt junäcljft einige ein» 
leitenbe ©efid)t«punfte, ba« ©anje wirb fpäter erfcheinen]) haben theil« mehr, 
theil« minber ausführlich in uortrefflidjfter SBeife bie ©ittlichfeit auch unter 
jenen ®efidjt«punften behanbelt.*) 2)a« golgenbe ftet)t oielfadE) unter bent 
Ginfluf« biefer Stutoren; nur ift e« in einigen fünften etwa« au«gebaut. 

I. 

3n bem Sorwurfe ber Srembgefefclichfeit finb bie ®ebenfen ent* 
batten, baf« ber SBert be« Sittlichen nur au« bem SBiDen ®otte«, nicht aber 
au« feinem ©egenftanb t?ergeleitet wirb unb baf« eine Befolgung ber gött* 
liehen ©ebote feine jubjectioe, innere ©ittlichfeit, fonbern tiöc^ftenS eine 
äußere ©efefclichfeit erjeugen fönne. 

25a« äfloralprinctp be« göttlichen SBiHen« befagt, baf« etwa« nur 
be«batb unb au« feinem anberen ®runbe fittlich ober unfittlich fei, a(« weil 
e« ©ott geboten ober oerboten f>abe.**) ©ott forbert ©ehorfam gegen ba« 
Sittengefefc — nicht, weil e« gut ift, fonbern weil e« fein ©ebot ift; unb ba« 
©ittengefefc felbft ift nicht an fich gut, fonbern nur, weil e« ber SluSbrucf 
be« göttlichen SBillen« ift. ©ott fönnte auch ba« ©egentheil wollen unb 
auch bann würbe fein SBiüe gerecht unb gut fein. 

SJtag fein, baf« einzelne XEieologctt fo weit giengen, baf« fie ftatt 
©otte« SBiHen göttliche SßiHfür annahmen (2)un« ©cotu«), burch bie chrift* 
liehe fiel)« ift eine berartige ejtreme Stellung nicht im geringften geforbert. 
jpat man boch immer im SSefentlidjen baran feftgehalten, einige« fei üon 
©ott befohlen, weil e« gut fei, unb anbere« fei gut, weil e« ©ott 
befohlen hübe. ®orau«gefe&t, baf« ber ©ehorfam gegen ©ott al« ben SBeifen 
unb ^eiligen gut ift, fönnen wir gewif« nicht Slnftofj nehmen an ber Sei)re, 

*) SBenn nur bie gegnerifche öitteratur nicht achtlo« an biefen bebeutenben 
Grfcbctnungen oorübergeht! 

**) ^artmann, Sittliche« ®erouf«tfein, 2. Slufl., S. 86. 


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SJtoberne Einwänbe gegen bie chriftliche SRoral. 


563 


fcafs manches, was an fich inbifferent erfcheint, eben burdj ben ©efefjl ®otteS gut 
wirb. $och wir ^aben ja bie 3rage gefteHt, ob eS nur beSwegen ein ©ittlic^ed 
gebe, weil ©ott baS ober jenes befohlen habe. St. £h°maS (P. II, qu. 91, art. IV) 
oerneint bieS ganj auSbrücflich, Wenn er jagt, bafs außer unb neben bem 
Ulaturgefefe auch ein pofitio göttlich ©efefe fei, unb wenn er bie 9toth= 
wenbigteit beS pofitioen ©efepeS aus ber ©efcung eines übernatürlichen 
.RieleS unb aus ber Unsicherheit unb üKanget^aftigfeit ber menfdjlichen 
ErfenntniS beS ©ittlich*©uten begrünbet. $ie Vertreter ber autonomen 
©ittlidjfeit reben in herrlichen ©Sorten t>on bem ®ott, ber in unfere ©ruft 
hinabgeftiegen fei unb bort als Wir felber feienb ju uns fpricht. „Slber 
nicht als WunberbareS Dratel fifct er ba brinnen, wie man fonft wohl 
meinte, fonbem in ber natürlichen ~®ntwicflungSgejchichte hat cr uns bie= 
jenige ©umme t>on Eigenfdjaften auSgebilbet, mit benen unfer fittlicheS 
Urteil fich entfaltet, aus benen ber warme llrtrieb entfpringt, baS für recht 
unb gut Erfannte ju öerwirflichen — eS geht eben auch in ber fittlichen 
J S33elt alles natürlich $u; unb eS ift barum auch nicht weniger ber ©uls= 
fchlag göttlichen SebenS."*) SBären biefe ©Sorte nicht bon einem 9Woniften 
gefprodjen, ber bie Unterfchiebenheit bon ®ott unb ©Seit leugnet, wir fönnten 
fie faft herübernehmen. Sludj bem Sl^muS jufolge ift Sott in unfere ©ruft 
hinabgeftiegen, nicht wie ein Dratel, nicht als wir felber feienb, aber baS 
®efühl unb bie ErfenntniS beS ®uten hat er unferer Seele eingeprägt, 
wenigstens ber Slntage nach, unb hat fie empfänglich gemacht für jenen 
ntilben, aber unerbittlichen 3ug, ben baS ©ittlich-®ute auf und auSübt. ©Seil 
wir baS ®ute fühlen, weil wir baS ®ute erfennen, Weil eS uns als boH^ 
Sehenswert fich barfteUt, beSwegen thun wir eS. Stehen wir bamit unter 
einem anberem ©efefce als bem ber eigenen ErfenntniS beS ®uten unb beS 
inneren SriebeS $um ®uten, ber tief in unferer ©ruft wohnt? „ES ift ein 
beftimmter unb urfprünglidjer llnterfchieb jwifchen ©ut unb ©öfe; eS gibt 
eine beftimmte Drbnung beS ©uten, baS burch feine innere SiebenSwürbigteit 
unb feinen inneren Slbel bie uneigennüpige ßiebe, baS ©Sohlgefatlen unb bie 
Sichtung beS ©SiHenS auf fich äi e ht • • Xhotfac^e ber inneren Ser* 

pflichtung fann auf ©runb ber inneren Erfahrung anerfannt Werben, ohne 
bajS bie ErfenntniS ©otteS als ber üerpflichtenben SUtacpt unmittelbar bamit üer= 
bunben wirb .. ."**) Ertennen wir aber an, bafS auch ohne ben auSbriicflichen 
©ebanfen an ©ott bie innere ©erpflidjtung erfannt unb erfüllt werben fann, 
was anberS foH uns wohl anfprecpen unb bewegen als baS ©ute felbft? 


*) öartmann, a. a. C., 6. 94. 

**) Schell, a. a. 0., ®. 620. 

36* 


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564 


S>r. Philipp ftneib. 


freilich ift eg eine anbere 3rage, ob toir bie Verpflichtung bei tieferem 9iad^ 
beuten anerfennen mögen, ohne ®ott alg lebten unb höchften ®ruub bcrfelben ju 
finben. Verpflichtung ift SBiHengmacht. Unb SBidengmacht übt nur eine Verfon 
aug; nicht bag gegenftänbliche ®ute, fonbern bie persönliche ®üte ift hinreidjenber 
Verpflichtungggrunb. Slutonom in bem Sinne, alg ob jeber bag ©efeft beg 
®uten fich felber mache, bag ®efühl unb bie ffiraft beg ®uten Selber fich 
gebe, tann hoch fein SBefen in ber SBelt ber ®rf Meinung fein. 9tur bag, 
mag nicht gemorben, nur bag, mag fich felbft begrünbet, nur bag tann auch 
fich felbft ©efefc beg ®uten fein. Unb ®ott ift eg. ®r ift bag emige Sitten* 
gefefc felbft, er ift $ugleich auch ber emige Vollzug beg Sittengefefceg, er ift 
bag Sittengefefc in fßerfon ober bag perfonificierte, felbftbemufgte, mefenßafte 
Sittcngefep. Db biefer ®ott nun Pon innen burch unfere Sftatur, ober ooit 
außen burch eine pofitioe Offenbarung bie ©rfenntnig beg ©uteit unb bie 
Anregung ba$u ung mittheilt, ift an unb für fich flleic^fliitig, obmopl 
mir ja fagen müffen, eg entspreche ber fühlenbett unb benfenben 9tatur beg 
3Renfchen mehr, bafg er burch bag eigene ©efühl unb bag eigene Stenten in 
bie Vebeutung unb ben SBert beg ®uten einbringt. 9luch mirb baburch eine 
größere ©ottähnlichteit h cr fleft e flt/ b a ®ott auch au $ fich h^raug bag ©ute 
erfennt unb ooHaieht. 

®otteg äußere SKittheilung nun, mie fie thatfädjlich im pofitioeit 
©efefc (j. V. „®u follft Vater unb 9ftutter ehren") oorliegt, mill nicht alg 
bloßer Vefeßl ber SBiHfür gelten — er miU ung feinegmegg nahe legen, 
bafg er auch befehlen fönntc: „$u follft Vater unb äJiutter nicht ehren". 
s 2luch mirb biefer Vefehl nicht alg bloße SBillfür oon ung empfunben, fonbern 
mir miffen, bafg eine emige SBeigljeit unb £>eiligfeit nur bag ®ute befehlen 
tann. SBenn mir alfo Vater unb ÜJJutter ehren, meil ®ott eg geboten, fo 
thun mir eg auch, tueil mir miffen, bafg bag etmag ©uteg ift. Unb moper 
miffen mir eg? SBir miffen eg einmal birect aug unferem ©efühl für bag 
©ute unb aug unferer ©rfenntnig beg ©Uten, mir miffen eg aber auch 
inbircct, meil eine höhere SBeigheit eg ung fagt, bie hödjfte ^eiligfeit eg ung 
oorfchreibt. ®g‘gibt nun unftreitig 3äHe, mo mir auf ben erften Vlicf bag 
Raubein aug biretter ®rtenntnig beg ©uten höher merten alg bag £>anbeln 
aug inbiretter Srteuntnig. 2Ber einem Firmen ein Sllmofen gibt, meil er fein 
@lenb bebauert unb feiner SMoth ein ffinbe machen miU, fcheint höher ju 
ftehen alg ber, meiner eg tput, um bem ©ebote ©otteg $u gehorchen. 3lflein 
beibeg foH fich nicht augfdjließen. Seber fßrebiger unb Katechet meiß, bafg 
man neben bem Vefeßle ©otteg auch hi nttj eift auf bie Sftoth beg Strmen unb 
bag ©efühl für feine Sage $u meefen fucht, bamit feinem ®lenb abgeholfen 
merbe. Ster 3nhölt einer £>anblung mirb alfo teinegmegg unbeachtet 


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üttobeme Einroänbe gegw bie cbriftlicbe üftoral. 


565 


getaffen. Unb babei bietet ba3 pofitioe ©ebot noch anbere Sichtfeiten. SEBir 
achten in feiner ©efolgttng nicht allein ben Urheber be3 ©ittengefefteä, fonbent 
ba3 perfönfidje ©ittengefeft felbft. Unfere Achtung fteigt bon bem gegen* 
ftänblidjen ©uten hinauf ju ber perfönlidjen ©üte. $ie Schäftung ber ©itt* 
lidjfeit, wie fie in einer ©erfon un3 entgegentritt, ift hoch feineäwegS 
wertlos. Übt benn nicht baS ©eifpiel — itnb baS ©eifpiel unb fein EinflufS 
grünbet fich hoch auf bie Schäftung beS Sittlichen, wie eS in einer ©erfon 
itn$ entgegentritt — übt eS nicht einen tiefen 9?achbrucf aus, wirb eS nicht 
bon allen ©ittenlehrern empfohlen? 3ft nicht biefe Eoncretifierung beS Sittlichen, 
wenn ich f° feigen barf, bem gegenftänbtichen Sittlichen gleichwertig? üRan 
wirb unS entgegenhalten, baf$ ©efehl unb ©eifpiel nur ben Unmünbigen 
nöthig finb, bie eben noch nicht bie Stufe ber fittlichen ©elbftänbigfeit 
erreicht haben. 9iun, in bem Sinne münbig, bafS wir uns felbft als 
Urheber beS SittengefefteS ertennen, werben wir niemals fein. $a3 Sitten* 
gefeft tritt an uns h^tan als etwas bon uns SerfchiebeneS. Db fein 
©egenftanb nun als gewollt burd) einen tjö^ren SBiHen ober als geübt 
burch ein ©eifpiel an uns h er antritt, baS ift, im ©runbe genommen, nicht 
bon ber ©ebentung, bie man ihm gerne beilegen möchte. Unb ift außerbem 
ber Solang beS Sittlichen nicht mehr gefiebert, wenn im ©etümmel ber 
Seibenfdjaften, wo baS ©efiihl für baS ©nte unb bie ErfenntniS beS ©Uten 
berbunfelt werben, ber flare göttliche ©efehl 51 t uns fpricht, ber ©ertreter 
ber Sittlichfeit felbft an ©teile beS Sittlichen unb mit bem Sittlichen ju 
uns rebet? $ie ©erfechter ber ejtrenuautonomen 9Jtoral faffen bie menfc^liehe 
Utatur ibealer als fie ift. 2BaS erft werben fofl, benfen fie fich fchon als 
geworben. $er 9ftenfch foH auf jene Stufe, wo er ohne äußere -JRittheilung unb 
unmittelbar erfennt unb thut, erft gehoben werben. Unb er wirb fie erreicht 
haben in ber ewigen ©ereinigung mit ©ott, wo er in ©ott unb aus ©ott 
baS ©ute erfenut unb will. MerbingS wirb biefe ©ereinigung immer noch 
nicht eine fo enge fein, wie fie ber SftoniSmuS fchon für baS Erbenteben 
ftatuiert. ffiir werben nicht fagen fönnen: „©ott ift in unfere ©ruft hinab* 
geftiegeu unb als wir felber feienb fpricht er $u unS". 2Wein eS ift hoch bie 
ntöglichft unmittelbare ErfenntniS, bie Wir t>om ©uten in unb burch ©ott 
haben, unmittelbarer als fie jeftt burch unfere inneren Kräfte ooH-jogen 
wirb. s 3lber wie gefagt, biefe Stufe foll erft erreicht werben. 2)aS 
pofitioe ©ebot ©otteS hinbert unS ni(ht, auch hi** Won immer mehr auS 
innerer unb birecter ErfenntniS beS ©uten 5 U hanbeln. Xenn feinet fdjließt 
baS anbere auS. Mein auch SWünbigften wirb baS ©ebot hier immer eine 
Stüfte fein, eine Stüfte für bie ErfenntniS, wenn fie bem Egoismus abge* 
rungeu werben rnitfs, ba wo er biefe ju beeiitfluffett fucht, eine Stüfte für 


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566 


35r. Philipp Äneib. 


ben SBiden, wenn bet ®goi«mu« bem ©ittengefefc £ro§ bieten möchte. SU« 
fnedjtifche gurdjt freilich foQ bie fRüdficht auf ben ©efefcgeber niemals 
mitten, fonbern nur al« @^rfurc£)t, b. h- al« eine Surcht, bie ba« Sitten* 
gefefe unb ben Sittengefefcgeber jugteid) ehrt. 

^artmann meint: „Stuf bem ©tanbpunft ber §eteronontie mirb bie 
Sichtung eigentlich nur bem ©efefcgeber gejodt, unb bem ©efefc nur inbirect 
al« einem Slu«fluf« unb Slppenbij be« geachteten ©efeggeber«; auf bem Staub* 
punft ber Slutonomie mirb im ©egentheil bie Sichtung bem unperfönlichen 
©efefc al« folchem . . . nur um feine« Inhalte« megen gejodt unb erft rütf» 
rnärt« fällt ein SBiberfchein biefer Sichtung aHf ben ©efefcgeber al« ben 
Urheber eine« fo adjtenStoerten ©efefee«."*) Stu« bem, ma« mir bi«her feft* 
geftedt haben, ergibt fid), baf« in biefen SBorten ^Richtige« mit Unrichtigem 
fich mifcht. ®« tann fich nämlich eine birecte Sichtung be« ©efefcgeber« unb 
eine birecte Sichtung be« ©efefce« miteinanber oerbinben. Xljatfäc^lic^ ift bie« 
ber gad, infofern ba« pofitioe ©efefc ©otte« ju bem fRaturgefefc hinjufommt, 
ba« mir in unferer ©ruft tragen, geriter fefct bie inbirecte Sichtung be« ©efefce« 
Porau«, baf« ein roeifer unb heiliget ©efefcgeber e« gegeben hat, ber e« burdj unb 
in fich «lö gut erteunt. @« ift alfo biefe inbirecte Sichtung be« ©efefce« feine 
bloß formale, fonbern auch eine Schälung megen be« Inhalte«, ben mir — 
ba« pofitioe ©efefc für fich allein betrachtet — mittelbar unb inbirect 
al« gut ertennen. 3$ fefce au«brüd(id) h<n}u: „2)a8 pofitioe ©efej} für fich 
adein betrachtet," meil ja eine birecte ©rfenntni« ber ©üte be« gebotenen 
Inhalte« theil« fchon oorhanben ift, theil« auch folgt unb jtoar bei ben 
einjetnen, nach Älter, latent, ©itbung u. f. m. ©erfchiebenen in Der* 
fchiebener SBeife. 

dRefjr SBert fcheint gelegt merben ju müffen auf ba« anbere ©ebenfen, 
ein ©efolgen be« göttlichen ©ebote« fei fubjectio fittlich mertlo« unb erzeuge 
höchften« Legalität. Segatität ift ba« bloße ©efolgen eine« ©efefce«, eben 
meil e« ©efefc ift, unb jmar ein äußere« ©efolgen ohne innere SBärrne für 
ba« ©ebotene. De internis non iudicat praetor. £>artmann ift ber Stnficht, 
auch bie ©eobadjtung be« göttlichen ©ebote« fei haften« Segatität. „$)ie 
SluSfüljrung eine« in ber gorm be« ©ebote« tunbgegebenen fremben SBiden« 
bleibt ein äußerlicher medjanifcher ©rocef«, beffen fRefultat ^öc^ftenS eine 
äußerliche medjanifdje Segatität be« $anbeln«, aber feine innerliche ÜRoralität 
fein fann."**) „$er ©erjuch, burch Ausführung eine« fremben SBiden« ein 
$anbeln oon fubjectio fittlidjem SBert ju erjielen, ift ebenfo oerfehrt al« 

*).«. a. 0., ©. 93. 

**) Sl. a. 0., ©. 89. 


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SJloberne ©inrocinbe gegen bie chriftliche Sütoral. 567 

bie SSentfthung, burd) baS Effen eines anberen fett ju werben."’ 1 ') Stuf 
ben testen Einwanb, ber in ber gorm eines tBergteidjeS gegeben ift, aut» 
mortet ©djneiber ebenfalls in ®ergteid)Sform, unb bie Slntwort ift böllig 
auSreidjenb ju feiner Sntfräftung: „SStan tann aber burd» ©peifen fatt unb 
fett werben, bie man nicht fetbft befchafft ober zubereitet hot."**) ES liegt 
in bem ©ebot eben bie Stnjeige eines wertöotten 3nhoIteS. liefen erfenne 
id) burch baS ©ebot unb ootljiebe it»n in ber ^Befolgung beS ©eboteS. ®ie 
Überzeugung, bafS ©ott nur SBertöotleS gebiete, ift ja außer adern ^weifet. 
$aben wir benn baS Staturgefefc, baS in uns wohnt, fetbft bereitet? 3ft 
eS nicht auch baS SBerf beffen, burch ben wir finb unb (eben ? ©elbft ©ott 
finb wir eben nicht, unb wenn $artmann oon biefem ©tanbpunft aus 
argumentiert, fo trennt unS nicht bie (frage: §eteronomie ober Stutonomie, 
fonbern bie (frage: SJtoniSmuS ober ? ©elbftbeftimmung ift 

freilich nöthig jur Erzielung oon fitttichem SBert, aber nicht bie abfotute 
©etbftbeftimmung beS ens a se. StnberenfallS miifSte jebe gef djöp fliehe 
©itttichteit in (frage gefteüt werben. Unb warum !ann benn burch ®e= 
fotgung beS göttlichen ©eboteS nicht bloß Segatität, fonbern auch SRoralität 
erzeugt werben? StuS oieten ©rflnben. ErftenS: ®aS göttliche ©ebot 
fd)tießt bie SBertfehäfeung beS ©ebotenen rtid^t aus, fonbern e i n. 3ntfitenS: 
$aS göttliche ©ebot hinbert nicht bie greiheit ber ©etbftbeftimmung. drittens: 
$aS göttliche ©ebot als baS ©ebot beS aümiffenben ©otteS, ber $erj 
itnb Stieren burchforfcht, fann fich auch ouf bie innere ©efinnung beziehen 
unb nicht allein auf ben äußeren Stet. Viertens: 2)aS göttliche ©ebot bezieht 
[ich auf Xinge, für bie wir auch fdjon im ©efüßl unb im oerftanbeSmäßigen 
Erlennen ©inn unb ®erftänbniS hoben. Stehmen wir baS ©ebot: ®u 
foQft ®ater unb SJtutter ehren. Schließt biefeS ©ebot bie ©chäfcung beS 
Inhaltes ans? Stein. Schließt eS fie nicht oielmeßr ein? 3a; benn ber» 
ietbe ©ott hot auch bie Siebe zu ben Eltern inS ©efütjl unb bie ErfenntniS 
beS SBerteS unb ber Pflicht ber Elternliebe in allen ihren gönnen in baS 
Renten gelegt. ®afS ©ott burch ein ©ebot hinzutritt, oerftärft nur noch 
bie Roheit beS 3nholteS unb bie Überzeugung oon ber ®erbinblid)feit biefer 
Pflicht, ©o würbe baS ©ebot zu allen 3 e >ten im SEirifteitt^um aufgefafst. 
Stfenn ^artmann alfo meint, nur äußerliche Segalität fei 3n>etf unb golge 
beS ©eboteS, fo tennt er eben bie Sluffaffung beS EhriftenthumS nicht ganz- 

II. 

@S ift gewifS feftzupolten, bafS eS einen Unterfdjieb jwiicheu ©enujS 
unb ©ittlichleit gibt. ®eibeS wirb als oerfdjieben empfunben unb als uer» 

■■■) 31. a. D., ©. 80. 

**) ©chneiber, a. a. C., ©. 501. 


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568 


$)r. Philipp ilnetb. 


Rieben erfmtnt. SBenn ber ^Begriff „fittlich" nicht jufammenfaHen fofl mit 
bem Vegriff „nüftlich" unb »enn in feiner SBeife ba£ Sittliche als ein 
SluSflufS beS Utüfclichen ober als bem SJiüfelichen in irgenb einer SBeife 
untergeorbnet betrachtet »erben foll (e$ führt jum »ahren eigenen ober 
fremben ©lücf, alfo ift e$ gut), fo rnufS eS möglich fein, ben Segriff be$ 
Sittlichen $u beftimmen ohne SRücfficht auf baS SRüfcliche. ©3 mufS begleichen 
möglich fein, ba$ Sittliche in feinem SBert $u erfennen unb $u oolljiehen, 
ohne babei noch au et»a3 attbereS ju benfen als nur an baS ©ine, bafS 
ba$ Sittliche in lefeter Sinie auch ftu einem ©lüefe führen mufS. ©erabe in 
biefent ©ebanfen, ber allein ber menfehlichen SJiatur entfpredjenb ift, ba mir 
nicht allein bie Slnlage jum Sittlichen, fonbern auch & en b nm 

als funbamentale Strebungen in uns tragen, gerabe in ihm »in man bie 
grunbfäfcliche ©efahr ber Verunreinigung beS Sittlichen erblicfen. Unb j»ar 
in nieten SRücffichten. ©eben »ir $uerft bie SluSfteHungen unfereS £aupt- 
gegnerS §artmann, um bann biefe einzelnen SRücffichten flar unb beftimmt 
herauSjufteHen. „SUS ©egenmotio gegen unfittlicheS $anbeln fteüt gefu# 
bie Slnbrohung pon Strafen ober beS SluSfdjluffeS non Verheißungen ebenfo 
burchgängig auf (2Ratth. 5, 20; 6, 15; 7, 1; 25, 41—46; 3D?arc. 3, 38; 
9, 42; Suc. 13, 3 unb 5; 6, 25), »ie er bie Verheißung turn Sohn als 
SKotio beS fittlichen $anbeln3 ®r forbert auf $um Verjicht auf 

alle irbifchen ©üter unb alles irbifche ©lücf (einfcßließlich ber gantilienbanbe), 
inbem er t^unbertfältigen Sohn bafiir im Senfeit# Perheißt (9Katth- 19, 29), 
er empfiehlt, bie »ohlmoüenbeu §aublungen fo eingurichten, bafS man nicht 
et»a fchon fjicnieben einen natürlichen Sohn bafür finbe, ba einem fouft ber 
übernatürliche eittfchlüpfen fönnte (Suc. 14, 12—14) unb räth au$ beut* 
felben ©runbe, bie ©utthaten im Verborgenen $u thun, aber nicht et»a, 
»eil eS an fich fchöner ift, »eitit eine gute If»* Pom Ihöter für immer 
Perborgen gehalten »irb, fonbern bamit ihm nicht irbifche Slnerfenttung jit 
theil »erbe, »eiche ihm ben großen öffentlichen Sohn im £>immcl, auf 
»eichen eS eigentlich abgefehen ift, Por»egnähme (9Rattt). 6, 1—6). ©S 
»irb fomit auch bie Sinnahme be$ ©oangeliumS $u einem Siete ber Klugheit, 
feilte Slbmeifung für ben SWeitfchen £ur Xhorheit (9Jtottf). 25, 2 unb 4), ba 
eS nur bie ©rfaufung eines großen ©uteS burch SßreiSgebung eiltet fleinen 
gilt (TOattf). 13, 44 — 46); bie Perlangte SintteSänberung ift bemnach auch 
hier bie golge eines fing beredjnenben ©goiSmuS, ber nur baS irbifche 3id 
mit bem jenfeitigen pertaufcht, nachbem er eingefehett h^t, bafS er babei fein 
gntereffe am befteu »ahrnimntt." *) 

*) frartntann, Sittl. Vero., S. 38. 


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ÜWoberne Ginroänbe gegen bie c^riftlic^e ÜJtoral. 569 

^ähnliche Vlnfchauungen finb in ber mobernen unb mobernftcn Sitteratur 
weit oerbreitet. „$en abfotuten SerpflichtungSgrunb gur Soßbringung be£ 
erfannten Rechten unb ®uten unb bie abfolute ©ürgfdjaft ber ©rreichbarfeit 
ber fittlichen 3^ccfe !ann bie ©itttichfeit nur in ber frommen ©ejiehung 
auf ®ott, alfo in ber Religion finben. Srreilid^ nicht in ber SBeife, baf3 bie 
Religion eine rein äußerliche ©tiifce ber ©ittlidjfeit abgebe unb baf# Hoffnung 
auf ©etohnung ober Surdjt oor Strafe bie ÜRotioe be3 fittlichen #anbeln§ 
mürben; benn bad märe ber SBürbe ber ©ittlic^feit ebenfomenig mie ber 
SBürbe ber Religion entfprechenb."*) 

Vlu$ bem Slngeführten ergeben fidj für utt£ mehrere SfröQen- 

Sft baä ©efüfel unb ba3 ©erlangen, ba$ Ghrifhtö in feinen Sägern 
beroorrufen miß, nur ber ®goi$muS be£ berechneten Sntereffeä, nur ber ©inn 
für 2uft unb ©tücf ober ift e$ mehr al3 ba3? 

3ft ba3, ma3 objectio empfiehlt al£ Sohn, ber erftrebt merben 

foß, nur ßohn, b. h- nur ÜRittel jum ®emtf§ ober ift e3 mehr als ba$? 

Sinb ©ofltommenheit unb ©tücf mirflich objectio unvereinbar getrennt? 

Schliefet bie Rücffidjt auf ben Sofen bie Rücffidjt auf bie innere ©üte 
unb Schönheit ber Hanblung au£? 

SBir beantmorten biefe gragen in umgefehrter Reihenfolge. Schliefet 
bie Rüdficfet auf ben Sofen bie Rücfficfet auf bie 2ieben3mürbigfeit ber 
Hanblung, in fich, in ihrem ©egenftanb betrachtet, au£? SBir fönnen ben 
Sohn in einer breifachen Beziehung betrachten, menn mir eben unter Sohn 
aller oerftehen, ma$ infolge ber betreffenben Hanblung ju einer Sefriebigung, 
einer SBohlfeinSempfinbung führt. Sn biefem Sinn ift Sohn junächft bie 
©efriebigung be* ©emiffenS, ba§ Hochgefühl ber voßbrachten Hanbluitg, ba£ 
Sob, ba$ man fich felbft fpenben !ann, bie ©emiffenäruhe, bie Harmonie 
^mifchen Sein unb Soßen. Sch h a l* c & für ein verfehltet Seginnen, bie 
Riicfficfet auf biefen Sohn autfchliefeen $u moßen. $ie Vlutfchliefeuug erfcheint 
mir alt unnatürlich unb alt unmöglich. SBenn bat ©emiffen fiep regt, 
miß et, mie jebe anbere ftraft, eben befriebigt fein, unb aut ber ©efriebigung 
folgt ein gemiffet SBohlbehagen, biefe# SBort in feinem reinften Sinne gefaxt. 
Gine anbere Vlrt von Sohn märe ber Sohn, ber nach ber Drbnung ber Ratur, 
alfo ganj naturgentäfe, mie von felbft, mie bie SBirfuitg aut ber Urfacfee folgt. 
VI ut einem fittlichen ©erhalten in Sejug auf ben ©enuft, and bem teuften 
Scheu, bat ja in specie mit bem Ramen „fittlidj" belegt mirb, folgt ©efunbheit 
unb Straft bet ©eifte# unb Körper#, alfo eine mertvoße SBefentbefchaffenheit, 
e* folgt naturgemäfe baraut bie Sichtung von ©eiten fittlicher ©erfonen unb 

*) Richter, 3)ie Gmancipation ber Schule oon ber Etvcfee, Seipjig, 1870, S. 63. 


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570 


$r. $f>ilipp ftneib. 


ÄnbereS. SBarum man beim fittlichen Raubein barauf feine 9türffid)t nehmen 
ioü unb barf, ift meinet ©rachtenS nicht einjufe^en. ©efcen mir nun als 
bie atlernaturgemäßefte golge bie Sichtung unb Siebe beS ^eiligen ©otteS, 
marum foH biefeS ©ut nicht erftrebt merben bürfen? ©efcen mir ferner baS 
©inmirfen ©otteS auf uns, baS biefer Ächtung unb Siebe entfprid)t, fo fteht 
bieS in fo inniger Berbinbung mit ber ©ittlichfeit felbft, bafS nie unb 
nimmer ein Streben barnad) auSgefchtoffen $u merben braucht auS bem 
Bereiche ber ©ittlichfeit. Sohn in einem britten Sinne enblich ift jener Sohn, 
melier äußerlich ber fittlichen #anblung tyinjugefügt ift, mie j. B. eine 
Beladung in ©elb, bie ber Staat bem 9tetter eines Ungtücflichen in 
ÄuSfidjt fteBt. ®ie Stücffidjt auf biefen Sohn fcheint mir, menn man nur 
ben Sohn unb nicht auch in irgenb einer SBeife, menigftenS inbirect, bie 
©fite ber #anblung im Äuge Ijat, bie ©anblung fittlid) merttoS $u machen; 
hat man aber theitS bie ©iite ber #anblung felbft, theitS auch ben Sohn 
im Äuge, fo erreicht bie ^anblung jmeifelSohne nid^t jenen fittlichen SBert, 
ben baS ©utijanbeln birect ober inbirect um beS ©uten millen barftellt, ohne 
jeboch jur fittlicß flechten ju merben. ®abei ift nod) $u beachten, bafS bie 
Berleihung eines äußeren Sohnes für baS ©ute fchon burch bie 9tü<fficht auf bie 
Selbftungenügenbheit ber menfcßlichen SRatur bebingt ift. Äuch bie mobernften 
©thifer*), bejiehungSmeife Bäbagogen, finb ber Änficht, auS ©rünben ber 

menfdjlichen Sdjmädje unb namentlich oor ooüenbeter ©eifieSentmicffung 
fönne man oerfudjen, ben SBillen, ber fich ja birect auf baS ©ute an 

fid) richten foH, menigftenS inbirect auf baS ©ute $u rieten burch ben 
bamit oerbunbenen Sohn. SRachher fei allerbingS ein birecter SEBiüe $u 

erzielen. ®enn man hält bod) im SSejentlichen baran feft, bafS „Belohnungen 
unb Beftrafungen" nur als „fünftlidje unb ber reinen ©ittlichfeit frembartige 
©inmirf ungen auf baS ®hun unb Saffen ber ÜRenfcßen" $u betrachten feien.**) 
®S ift überbieS nicht $u oergeffen, bafS Sohn unb Strafe auch Reifen 

fönnen, einen birecten SBillen herbeijuführen, inbem fie nämlich ©ute, 
bejm. baS Böfe nachbrüdlichcr jum BemufStfein bringen. BorauSgefefet ift 
babei bie ©mpfinbung bafür unb bie fiberjeugung baPon, bafS eben nur baS 
©ute belohnt unb nur baS Böfe beftraft mirb. 

Sinb Bollfommenheit unb ©tücfSgenufS unvereinbare ©egenfäfce? $aS 
mar bie ^meite grage, bie mir aufftellten. 3d) glaube, bafS bie oerneinenbe 

*) Bgl. j. B. Baumann, Über ©haratter unb SMenSbübung, Berlin 1897, 
in „Äbhanblungen jur päbagogifchen Biologie unb BhPftologte" herauSgegebcn 
oon $. Schiller unb Ih- 3i*h c n, I. Bb., £>eft 3. — ÜJtefier, ®ie ©irffamfeit ber 
Äperception, Berlin 1897, a. a. O., II. Bb., £>eft 8. 

**) $itteS, Schule ber Bäbagogtf, 3. Äufl., Seipjtg unb SBien, 1880, S. 132. 


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SRoberne Sinroänbe gegen bie d)riftlicbe 'DtoraL 571 

Antwort unanfechtbar ift. Dbjectiö betrachtet, ift eS nicht mehr als felbft» 
berftänbtich, bafS ein fittlidjeS Verhalten auch i u einem 3uftanb beS 
©efriebigtfeinS fährt, ©ibt ei eine ©ittlichteit unb gibt ei ein ®lücf, fo 
rnufS fich beibeS jufantmenfinben. ©ubjectio betrautet, lönnen mir und ber 
Überzeugung nicht berfdhließen, bafS bie Slnlage jur ©ittlichteit unb ber 
Drieb naih ©lücffeligteit als gleichmäßige, funbamentate ©trebungen ein 
gleiches Siecht auf ©odenbung in ber (Erreichung ihres Objectes befifcen. 
DaS ©ine ober baS Slnbere für fich aQein unb ohne baS Stnbere beftehenb 
erfchiene mir oom ©tanbpuntt ber menfchlichen Statur auS als ein unnatürliches 
unb zugleich unmögliches StuSeinanberreißen beS einen moOenben unb 
fühlenben SItenfchenmefenS in zwei getrennte SBefen. Die Sorberung alfo, bafS 
beim fittlidjen $anbeln bie Stücfficht auf ®lücf öoHftänbig auSzufcßließen fei, 
ift ber Sage ber @ad)e nach einfach eine unnatürliche Unmöglichfeit. „Der 
SJienfdj bleibt auch in feiner fitttichen ©etf)ätigung an bie ihm angeborene 
Staturbeftimmtljeit gebunben, infolge beffen er unmiberftehlich genöthigt ift, 
feine eigene Statur unb SSefenljeit z u bejahen unb beren aüfeitige ©eröotl= 
tommnung unb ©efetigung zu begehren. Sr mürbe alfo ben unbeweglichen 
Dobfeinb ber ©ittlichteit beftänbig in fich herumtragen, roenn er ohne alle 
Stücfficht auf baS eigene ©elbft baS ©ute z u tf)un unb feine Pflicht z 11 
erfüllen hätte. Das märe ein geheimniSboDeS, furchtbares SerhängniS."*) 

Stach liefen geftftellungen gehen mir zur ©eantmortung ber fragen 
über, bie mir gefteüt hoben im SlnfchlufS an bie DarfteHung ber ©ittenlehre 
Sefn, mie fie $artmann (f. oben) gegeben unb bie ©ormürfe, bie er erhebt, 
namentlich ben einen ©orrnurf, bie Sorberungen beS ^eilanbeS manbelten 
bie ©ebote ber ©ittlichteit um in bloße filugljeitSregeln. Sft baS, maS 
ShriftuS objectio empfiehlt, nur Sohn, b. h- SRittel zum ©enufS, ober ift ei 
mehr als baS? @S mürbe öon jeher feftgehalten, bafS baS felige Seben beS 
SenfeitS $eiligfeit unb ©eligfeit zugleich ift, wie auch ©ott felbft heilig unb 
felig zugleich ift. Sticht, roeil eine Smigteit in ©eligfeit unfer 3iet ift, ift 
baS gut, maS uns zur ©eligteit führt, fonbern meil etrnaS gut ift, führt 
eS unS zur ©eligfeit. SBaS @t. DhomaS P. II qu. II, art. 7 — qu. 90 
art. 2 feftfteüt, bafS bie beatitudo ober felicitas vitae humanae lefcteS 3iel beS 
SJtenfchen fei, fönnte aQerbingS im Sinne unferer ©egner mifsoerftanben merben. 
Die ©lücffeligfeit ift ja gemifS tefctcS 3iel beS ÜRenfchen, aber bie ©lücfieligfeit 
in ber ^»eiligfeit. ©eibe fallen ber Sache nach z u f am men, aber menn mir 
ihre Sßtirbe unb bie ©riorität ber einen ober ber anberen betrachten, bie 


*) ©ebneiber, a. a. O., S. 510. 


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572 


$)r. ©bilipp ftneib. 


Priorität in bcr göttlichen 3 to«ffef}ung unb bie Priorität in ber menfdjlichen 
3 ielftrebung, fo ift bie |>eiligfeit, bie ©oHfommenheit ba3 erfte unb bie 
©eligfeit baä $Weite. ^arttnann meint, ba$ ©hriftenthum benfe bei bent 
SluSbrucf ©eligfeit nur an ben ®lücf 3 genuf 8 unb nenne bann ba$ gut, 
wa£ nach bem ©Sillen ©otte£ ju btefer ©eligfeit führt unb weil e$ ba$u führt. 
3ene ©Sorte beS Sate<hi3mu3: „Sch bin auf ®rben, um ®ott $u erfennen, 
®ott ju lieben, Sott ju bienen, unb baburch in ben £immel ju fomrnen," 
faf£t er offenbar fo auf: ©ott hot einen 0 rt finnlidjer unb geiftiger Sreuben 
bereitet (Fimmel). Sn biefen Ort nun nimmt er nur bie auf, bie oorber 
fich ben ©ebingungen unterworfen h Q ben, bie er fteHt. $iefe ©ebingungen 
aber finb enthalten in ben Sorfdjriften, bie er gegeben fjat. ©Sie ein Slrbeitt 
geber einen beftimmten Sohn feftgefefet ^at für eine t>on ihm geforberte 
Arbeit, fo müffen mir atte arbeiten im Sinne ©otteS, um ben Sohn be* 
Rimmels ju erlangen. Sine folche rein äußerliche ©uffaffung be£ ©erhältniffeS 
non ©otteäbienft $u ©otte£lof)n, oon lugenb ju ©eligfeit, wonach ba3 Seben 
auf @rben allerbingS eine ©peculation auf bie ®üter beS SenfeitS wäre, 
eine fo äußerliche Sluffaffung be3 ©egriffeS „$ienft ©otte$" ift burch bie 
chriftliche Sehre nicht im entfernteren geforbert. 9lHerbing£ würbe ein 3 u f a b 
im fratechi$mu§, „um baburch üoUfommen unb fetig 511 werben," jebeit 
3 meifel heben, allein auch bie gegenwärtige gaffung läfst eine fo äußerliche 
Stilllegung nicht ju. würbe niemals ber ©ebanfe auSgefchloffen, baf$ 
^wifchen ber ©efinnung im $ie£feit£ unb bem ©djicffal im SenfeitS ein 
innerer 3 wföntmenhang befteht unb nicht bloß ein äußerer, ber eben nur 
baburch hergeftellt wirb, baf$ ©ott gewiffe ^anblungen jur ©ebingung ber 
©eligfeit macht. ©Sa£ in ber Smigfeit gefchenft wirb, ift eine höhere fittliche 
©otltommenheit, ma3 baju führt, ift ebenfalls ein gewiffer ©rab ber 
©oüfommeitheit, eine gewiffe Stufe fittlicher ©efinnung, eine gewiffe Seiftung 
au fittlichen £>anblungen. 

Sitttichfeit aber ift ©ottähnlichfeit; unb ©ottähnlichfeit h^t b nx golge 
eine ©ottnähe im Sinne ber ©ereinigung ®otte$ mit bem SRenfchen, 
bie gemif£ oerfchiebene ©rabe juläf^t. ®urch biefe ©ottnähe aber wirb 
auch eine X^eilrta^me an ber ©eligfeit @otte3 h^rbeigeführt. . 933 i e biefe 
©eligfeit nun auch bie Sinne unb bie ©innlichfeit ergreift, braucht nicht 
erörtert 511 werben. Sn biefer ©Seife fteßt fich bie ©eligfeit bar als mit ber 
Öeiligfeit innerlich ocrmaitbt, al3 ein ©uäflufä ber £>eitigfeit unb als in feiner 
©Seife bev ^eiligfeit fremb. ©Senn man fich bemgegeitüber fragt, warum biefe 
beglüefenbe ©ottnähe nicht auch fch° n al| f ®rben bem Sittlichen gefchenft 
wirb, fo ift jti antworten, baf£ wir eben für unfer Srbenleben in bie bie 8 feitige 
©Seit mit allen ihren SRängeln unb Schont eingejwängt finb. ©chneiber 


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dJtoberne ©imuänbe gegen bic d^riftiic^e ÜJtoral. 573 

(a. a. 0., @. 519) weift barauf hin, bafä bic gottfd)auenbe Seele beit 
höchften ©rab ihrer aüfcitigcn Sodenbung in bcr ©ntfaltung unb ©ethätigung 
aller ihrer Slnlagcn erreicht unb eben baburdj begliidt wirb. Die ©ntfattung 
unb ©ethätigung bcr Anlagen (jurn ©rfennen unb Sieben) ift £>eiligleit, 
ber ©Iüd3genuf3, bcr baburd) ljergeftedt wirb, ©eligfeit. 

©obalb wir annehmen, baf^ |>eiligfeit unb ©eligfeit innerlich Oerwanbt 
finb, ift e3 bcr ©ittlichfeit in feiner SGBeife entgegen, auch nad) biefer 
©eligfeit al$ bem Sohn ber ^eiligfeit 511 ftreben. Slderbingä ift 
hier geforbert, bafa unfer Streben fid) junäc^ft auf bie ©olfommenheit richte, 
bafs ^unäc^ft unb birect bie £eiligfeit gewollt werbe. Damit fann unb foU 
fid) aber auch bie Überzeugung oerbinben, bafS eben bie ^eiligfeit zur 
©eligfeit führen muf§, unb auch biefer ©ebanfe f am un£ mitbeftimmen. 
Sreilidj ift aud) ^ier Wieber feftjufteUen, in welcher ©Seife biefer ©ebanfe 
mitwirft. @3 fann bie innere Stimmung fo fein, bafS fid) einer fagt: 
„3<h würbe bie fittliche |>anblung nicht oodbringen, wenn nicht ber Sohn 
bamit oevbunben wäre." Diefe ©efinnung ift feine fittliche. ©obann fönnen 
fid) bie 9tücffid)ten auf |>eiligfeit unb Seligfeit fo mifdjen, baf£ entweber 
bie eine ober bie anbere im ©orbergrunb fteht. Der ©rab ber ©ittlidjfeit 
ift barnaeß z u beftimmen. Slm reinften ift bie ©ittlidjfeit bann, wenn ber 
©ebanfe an bie ©odfommenheit im ©orbergrunb fteht unb nur eben bie 
Überzeugung fieß bamit oerbinbet, bafä bie ©odfommenßeit aueß z um ©lud 
führen muf3. DafS biefer ©rab nidjt bei allen äRenfcßen z u erreichen ift, 
zeigt ein ©lief auf bereu ffierfcßiebenßeit in Anlagen unb ©ilbung. 3 n 
ftarfen ©erjueßungen zu* böien Suft muf3 ber ©ebanfe an ba£ ©lüd mit= 
wirfeit, aud) in Seib unb Drübfal. 

©Senn wir nun barnaeß bie ©ittenprebigteu bc$ |>eilanbe3 beurteilen 
unb bie grage aufwerfen, bie wir zuerft geftellt haben, fo wirb ber ©orwurf 
einer bloßen ©peculation auf ^immlifc^e ©üter fein 9tecßt oerlieren. Die 
grage lautete: „ 3 ft ba$ ©efü^t unb ba£ ©erlangen, baö ©^riftuö in feinen 
3 ußörern h**no**ufen wid, nur ber ®goi3mu3 beä berec^nenben gntereffeS, 
nur ber ©inn für Suft unb ©lüd, ober ift e£ mehr al£ ba3?" ift 
mehr al# ba3. SlderbingS weift 3 *fu$ in ben oon ^mrtmann (f. oben) 
angeführten Steden nur auf ben ^immltfc^en ©rfafc für bie irbifd^en Opfer 
hin, aüein er fefct eben in feinen 3 uffa***u ba3 ®efühl unb bie Überzeugung 
oorauS, bafS nur ba3 ©ute fo herrliche grüeßte trägt. Daf£ ber ^eilaitb 
ba3 gewifS nicht außer Sicht ließ, geht heroor au 8 feiner anberen Sorberung: 
„ 3 h* f°flet oodfommeit fein, wie euer ©ater im Fimmel oodfommen ift" 
(äJtatth. 5, 48). ©Senn ber $eilanb ferner oon jenem Sohn in ©itbern 
fpraeß, bie ihn, WenigftenS bem ©Sortlante nach, einen ben guten £>anb* 


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5)r. ^itipp Äneib. 


:>74 

hingen rein äuftertich ^injugcfugtcn erfcheinen taffen fönnten, fo finbct ba« 
feine Erttärung in bent ©ilbung«ftanbe feiner 3wf)örer. $ie Offenbarung, ba« 
^eigt ein ©tief auf ihre ®efchi<hte, nimmt immer 9tiicffid)t auf bie Sefdjaffen* 
beit unb gaffung«fraft ber Empfänger ber Offenbarung. 

2 lber ^artmann nimmt Slnftofe an jeber gorm be« ©eibebatten« üon 
Sohn für ba« fittliche Streben. Er mill ba« ©tücf Pon ber Sitttichfeit, beit 
©enttf« pon ber ©otlfommenheit PöHig au«fchtiefjen. „Sie Xbeologte^ aufter 
Stanbe, ben Haren ffiorttaut unb Sinn ber Spangetien abjuteugnen, fuebt 
noch bc«te ba« tran«fcenbenbeubämoniftifche äRoralprincip menigften« at« 
untergeorbnete«, fecitnbäre« ©rincip aufrecht ju erbatten. ©ibt e« aber 
überhaupt ein unfetbftfüchtige« äRoralprincip, fo finfen alle au« ber Selbft^ 
fuebt abgeleiteten £anbtungen fofort jur moratifeben gnbifferenj b cra &; bann 
toirb atfo ba« etbifebe ©erf einer au« unfelbftfücbtigen SJtotipen möglichen 
.'panbtung fofort baburch Pernichtet, baf« felbftjüchtige äRotiPe unb 3iete ficb 
in ben 2RotiPation«procef« mit einbrängen unb bie fetbfttofe Sauterfeit ber 
fitttichen ©efinnung mit gemeinem Egoi«mu« burchtränfen. Sie« erfennen 
bie Pernünftigeren Ibeotogen auch an unb forbern be«batb Pom SRenfchen, 
er fotte ba« ®ute tbun unb ba« ©öfe taffen, nur be«balb, meit e« ®ott 
geboten bube, nicht um be« Sohne« mitten ober um bem Schaben ber Seele 
$u entgehen; fo mirb ba« jüngfte ®ericbt unb ber gan$e Unfterbtichfeit«gtaube 
mirftich au«gefcbieben unb al« ©ruitblage moratifcher ©ertbeftimmung fomie 
at« 9Rotio fitttichen £>anbetn« enbgiltig Permorfeit, b. b- ba« tran«fcenbent* 
cubämoniftifche äRoratpriucip ber Epangetien unb be« gefammten christlichen 
EntmicHung«gange« befinitip aufgegeben/' 

„2tber fetbft biefer Heinere 2beil oernünftiger 2b e °t°9^ magte $um 
größeren 2 b e *t boch mieber noch nicht, mit bem ©orttaut unb unjmeibeutigen 
©eift ber epangetifchen Serbeifcungen 511 brechen ttitb möchte be«megen bie 
jenfeitige ©ergettung at« accibentietle golge be« fitttichen ober unfittlichen 
imnbetn« conferpieren, nachbem er fie at« ©runblage eine« üRoralprincip« 
oermorfen; er Pertangt, baf« ber -JRenfcb ^mar fetig fein fotl in ber Hoffnung 
ber einigen Sctigfeit (SRom. 8 , 24) unb fein ganje« Seben erfüllt unb burch* 
leuchtet taffen fein fotl Pon biefer greube über bie ihn für feine Sugenb 
ermartenbe bintmlifebe greube, baf« er aber ficb trofcbent Pon biefer accibentieDen 
gotge feilte« $anbeht« auf feine ©eife beim £>anbetn beeinftuffen taffen fotl. 
Siefe gorberung loiberfpricht aber ben unabänberlidjen ®efefcen ber SKotioation, 
inbem fie Pertangt, baf« ber SRenfch eine ©orfteflung Pon ftärffter äRotiPation«' 
fraft beftänbig Por Slugen fabelt unb babei biefe Sorftetlung nicht at« SKotio 
auf fich loirfen taffen fotte, obgleich cr eben ba« tbut ober ba« tbun fotl, 
toa« au« jenem 9Rotio ficb ergibt ober ergeben mürbe, ©irb biefe gorberung 


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Üftobeme Simoänbe gegen bie chriftlidje 9Jtoral. 575 

trofe ihres pfhdjologifchen SBiberfinneS bennodj feftgehalten, fo ergibt fich 
aus ihr nothmenbig bie ©elbfttäufchung, bafS man bie tfjatfächfich burch baS 
tran^fcenbent^egoiftifc^e 9ftotio b^töorgerufenen £anblungen als SluSflufS einer 
burch feinerlei ©elbftjucht getrübten rein ethifchen ©efinnung anfieht. ©olche 
©elbfttäufchung fü^rt aber unmittelbar $u p^arifäifc^em lugenbftolg unb bei 
ber UnauSbleiblichfeit richtigerer Sinblide in ben mähren 9ftotiüationSprocefS 
p^arifäifc^cr Heuchelei, jum ©runfen mit einer burch bie Xhat erprobten 
ethifchen ©efinnung, bie in biefem 9Jtafee gar nicht oorhanben ift, ba ihre 
angeblichen grüßte auf einem anberen Saume getoachfen finb."*) 

Nichtige ©runbgebanfen finb in ben SBorten £>artmann'S unftreitig 
enthalten, aber auch unberechtigte ©ormürfe unb falfche Slnfchauungen. $aS 
emige Seben, nur als ©eligfeit gefaxt, mar nie äRoralprincip b. h- eS mürbe 
nie bie Sehre oertreten, eS fei etmaS gut unb ooÜjiehenSmert, meil eS jum 
ernigen Seben als jum ©lücfSgenufS allein führe. Sielmehr mürbe bei 
bent ©egriff „SmigeS Seben" auch an bie £>eiligfeit biefeS Sebent 
gebacht, unb biefe ^eiligfeit mürbe als bie Krone unb ffioüenbung ber 
bieSfeitigen ©ittlichfeit aufgefaföt. $)aS irbifche Xugenbleben (fteufchheit, Stächften- 
liebe u. f. m.) fofl nnS biefer £eifigfeit fähig unb mürbig machen, ^partmann 
meint ferner, bie ©lücffeligfeit merbe nur als „accibentielle golge" 
ber ©ittlichfeit gebacht, ©ie mirb oielmehr als mef ent liehe golge 
bargefteöt. ®ie ©ittlichfeit m u f S bie ©eligfeit im ©efolge h a ^ n al3 einen 
mefentlichen 21uSflufS. Sine oemünftige Setradjtung ber 2Renfchennatur als 
einer moüenbeit unb füfjlenben, als einer ber ©oKfommenheit unb beS ©lücfeS 
fähigen, als einer nach Jpeiligfeit unb ©eligfeit oerlangenben jeigt bieS 
unmiberleglich. 9llfo ift ber SgoiSmuS fogar $u einem mefentlichen ©eftaitb- 
theil ber fittlidjen ©efinnung gemacht? SgoiSmuS als Selbftfucht gemifS 
nicht, aber SgoiSmuS als georbnete ©elbftliebe, menn mir baS 2Bort 
SgoiSmuS in biefem reineren Sinne nehmen bürfen. $ocb oergeffen mir 
nicht bie pfpchologifche ©chmierigfeit, bie |>artmann im SlnfdjlufS baran 
erhebt. Sr meint, ber ©ebanfe an bie ©eligfeit ergreife fo mächtig baS 
Streben beS 9Wenfchen, bafS ber ©ebanfe an bie ©ittlichfeit nicht mehr als 
mirffame Kraft auftreten fönne. SlUein baS ift pfpchologifch nicht richtig. 
Xer TOenfch ift nicht einbeutig beftimmt, fonbern er fann fich aus ÜRotiüeit 
ber oerfchiebenften 8lrt beftimmen. gür baS bie^feitige Seben ift bie ©eftimmung 
fehr einfach ju benfen. ®a bie ©eligfeit, bie $u ermarten ift, in ber 3nfunft 
liegt, fo ergreift fie nicht mit aller ©ehemenj baS Srfennen unb ©Sollen beS 
9Jtenfchen, ja ber 9J?enf<h fann fie gegenüber bem ©ebanfen an bie fittlidje 
©oüfommenheit burchauS in ben £>intergrunb treten laffen. Unb baS mirb 

*) frartmann, a. a. D., S. 43. 


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57ti $r. '^iltpp Äneib. 3Jtoberne ©inroänbe flehen bie c^riflltc^e ÜJtoral 

er umfomefjr thun, je mehr er geiftig fittlidj burchgebilbet ift. ©raftifcß 
fteHt fic^ bie Sache fo bar: Suft ift ju ermatten in ber ©wigfeit, ßuft bietet 
bie unfitttidje ^anbhtng in ber ©egenmart. Seibe Ratten fieß meßr ober 
weniger ba3 ©(eichgemicht, unb ber ©ebanfe an bie ©ittlicßfeit fattn um fo 
eher Poit au3fcßlaggebenber Sebeutung werben. SBie e3 in ber ©wigfeit fein 
wirb, baoon reben mir f)ier nicht. Slber auch bort wirb ber ©oH$ug ber 
©ittlidjfeit nicht oerbrängt bureß ben ®enuf£ ber ©eligfeit. ©eibe werben 
fo erfannt, baf$ bie £ei(igfeit im Sorbergrunb ftet)t. 

ffieitn wir att bem gegenüber bie mobernen 2lnfcßauungen betrauten, 
wonach ßoßn unb Strafe nur fünfttteße unb ber ©ittlicßfeit frembartige 
9Kitte( ber ©rjießung finb, wonach ßoßn unb ©träfe nur eine relatio 
meufchUcße, nicht aber eine abfohlte Sebeutung haben,*) wonach bureß ßobu 
unb ©träfe junäcßft nur ein inbirect auf bie ©ittlicßfeit fieß rießtenber SBiüe 
erhielt werben fofl, ber fieß bann fpäter in einen birect unb oßne ben ßoßn 
unb bie ©träfe auf ba8 ©ittlicßs©ute gerichteten Permanbeln muf$,**) fo gilt 
ba£ allerbingS tßeilmeife oon einem ßoßn unb einer Strafe, bie ber ©ittlicßfeit 
be^w. Unfittlicßfeit äußerlich ^injugefügt finb, nicht aber Pon jenem ßoßn, 
ber eine naturgemäße unb innere golge ber ©ittlicßfeit ift. Unb audj 

bezüglich biefeS fioßne$ ift feftjußalten, bafä bie ©ittlicßfeit um fo reiner ift, 
je mehr ber ©ebanfe an bie ©ittlichfeit in ben ©orbergrunb tritt unb ber 
©ebanfe an ba3 ©lüd in ben £intergrunb, baf$ aber eine üRifcßung biejer 
©ebanfen • niemals eine unfittliche ober fittlicß tüerttofe £anblung erzeugt. 
®iefer 9lnfcßauung gibt auch S'ircßenteßre 9lu$brutf, wenn fie jmifeßen 
einer unpoüfommenen ©otteSliebe unb einer PoDfommenen unterfcheibet, $u* 
gleich aber jebem bie Aufgabe ftcHt, fich jur Poflfommenen ©otteätiebe b. b. 
$ur reinen ©ittlichfeit ^inburc^juarbeiten. $)enn ©ott lieben ßeißt feine 

Jpeiligfeit, ba$ perfönfieße ©ittengefeß achten unb fcßäßen. 

*) $)itte3, a. a. 0. 

**) ©aumann, a. a. 0. unb üüteffer, a. a. 0. 



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Zur Würdigung Friedrich Bebbel s nebst allerlei 
Excursen über Wiener Cbeater und Epigonen. 

jaus Jaitlafs Einer neuen T^ebbel-Jausgabe. 

Bon Htdjarb bou Blutft. 

beu ftereotppen SBenbungen ber berufsmäßigen SitteraturgefchichtS' 
Qj fchreibung gehört bie Klage über bie Sterilität beS beutfehen Xtjeater^ 
im 19. 3faf>r^nnbcrt, baS SBort natürlich nicht auf bie SKenge, fonbern auf beu 
23er t angemanbt. SidjtS !aun ungerechter fein. Käthchen oon #eilbronn — 
König DttofarS ©tücf unb ®nbe — 3ubittj — Der Serfchtoenber — Der 
©rbförfter — ©raf 6ffej — ©orfi$ U^Ifelbt — Die Karolinger — Der 
s JReifter oon Satmt)ra — baS finb Dramen immerhin ^weiter Drbnung, aber 
auch uicht geringer: unb menn mir an Stelle ber Ditel bie Samen ber Slutoreit 
einfefeen: Kteift, ©riflparjer, $ebbet, Saimunb, Submig, Saube, ©reif, 
SBilbcnbruch, SBitbranbt, fo ift baS eine cßronologifch gefchfoffene Seihe, mit 
ber fein anbereS Sotf fich meffen fann; unb menn toir gar eine Seihe ber 
Seiftungen unb Datente britten Sauget auffteflen, fo finb mir noch immer 
nicht tief gefunfen; benn Die Schutb — Der Rechter oon Saoenna — 3opf 
unb Schtoert — ©ärgerlich unb Somantifdj — Die 3ournatiften — ©raf 
iporn — Schach bem König — DaS oierte ©ebot — ober: Siüttner, £>atm, 
©uftfoto, Saucrnfetb, ftreptag, SBeiteit, Schauffert, Slnjengruber, finb freitid) 
$um Dheite halb oergeffen, fönnen fich aber noch immer neben atlebem, ma* 
Vorfahren unb Sadjbarn geteiftet h a ^n, ruhig fetjen taffen. Ohne atfo 
in beu Streit um ben SBert ober Untoert beffen, rnaS bie brei testen Suftren 
heroorgebracht haben, einjugehett, fönnen toir behaupten, baS ein fotch glän$enber 
Kreis oon ©pigonen, tuie er fich um unfere Dichterfürften gruppiert, 31 t 
feiner Seit unb bei feinem Sotfe beftanben huf- Dabei hübe« mir eS nicht 
nöthig gehabt, auf beliebte ÜDtobeautoren, mie ihrer Kofcebue, Saupach, 
Seftrop, bie Sirch 5 Sfeiffer, üRofer, Sofen u. 0 . a. maren, bie mirftich eine 
gan$e Stufe tiefer flehen, ^u greifen. Sein, bie bramatifche Srobuctiön beS 
19. Snh^hnnbert^ enthält manchen ©betftein, bet" eS üerbient, nicht im 
mohtoermahrten Käftcpen gehalten, fonbern h^orgehott 311 toerben an baS 
helle Sicht beS DageS ober — ber Sühne. 

Tie Kultur. III 3at>rg 8. £eft. (liH>2.) U7 


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578 


Wtdjarb oon Blutp. 


®« ift baper burcpau« anguerfennert, baf« fiel}, angeregt guerft burep 
SBilpelm ©eperer (t 1886), bie wiffenfcpaftlidje Stritif mit ©ifer, ©rnft wd> 
©rfolg auf bie Bearbeitung biefeS ©ebieteS geworfen pat, unb e« wäre nur 
gu wünjepen, bafS bie Xpeaterbirectoren bie ©infid)t unb ben Btufp hätten, 
in ben Slrdjiöeit ihrer Binnen gu ftöbern unb gu fudjen: fie würben mancherlei 
finben, wa§ bie Blühe lohnte unb bem auch ber materielle ©rfolg nicht oer» 
fagt bliebe, ©o erinnere ich mich recht gut, waS ich «ft Beispiel unb Beweis 
anführen barf, oor ungefähr 20 fahren auf einer gang Reinen Brooing' 
bühne, bie einen greifen, wohl belefenen unb wohl routinierten Begijfeur 
bejah — längft betft ihn baS ©rab —, gwei lang üergeffene ©Warnen ge= 
jehen gu haben, beren mächtigem ©inbrud ich mich f° wenig wie ba« ge* 
fammte Bublicum gu entgiehen oermochte, — ein Bublicum, baS burch bie 
Bähe ber £>auptftabt berwähnt, bei mäfeigfter Bitbung burcpauS nicht an= 
fprucpslo« war. 

®aS eine biefer ®ramen war überbieS nach bem Urtheile ber Sitterar» 
hiftoriler ein „Büprftüd gewöhnlichfter ©orte". ©8 war Baupacp’S „Sfibor 
unb Olga", bie ©efdjicpte oon ber tragifepen Siebe eine« Seibeigenen gu einer 
SSürftentocpter. Über Baupacp adjfelgudenb abguurtheilen, gehört in ber 
litterarifcpen SBett gum guten Sone; feine „Flachheit" ift ein fritifdjeS ©logina. 
„®S war fein ©ohn Slpoll«, ber bir bie SBorte lieh", fagt f>ebbel im Brologe 
gu feinen Bibelungen oon jenem Borgänger. aber in „Sfibor unb Olga" ift 
ein mirfungSooKer Stoff mit grobem teepnifdjen ©efdjid oerarbeitet, freilich 
mit ben fdjlidjten Btitteln jener „alten friminellen Sluffaffung beS ©Warna«", 
wie fie B. 9Jt. SEBerner (#ebbel’S SBerfe, III., ©. XL) nennt, ber wir aber 
ben Blacbetp unb ben Söallenftein gu oerbanten hoben. Unb fo würbe fich 
in ber langen Beipc Baupacp’feper ©Warnen felbft im $openftaufencbRu« noch 
baS eine ober anbere finben, ba« auch heute ben ©rfolg nicht oerfagte. ©r 
war eben ein ©peaterpracticu«, ber fein Bublicum fannte; unb wenn jich 
biefcS noch f° grünblich geänbert hat in fieben ©iecennien, fo oerfügte er 
gu Seiten wenigften« über einige jener ©öne, bie nie oerfagen. Heinrich Saube 
hat gang gut gewußt, baf« er feiner ©affe biente, wenn er trofc äße« Spotte« 
Sapr um Sapr ben „SDlüHer unb fein ®inb" auf bie Bühne brachte. 

Bon Saube nämlich war ba« gweite jener oergeffenen Stüde, ba« ich 
auf ber Reinen Brcwingbüpne fah, „Btontrofe, ber fcpwarge Blarfgraf", ein 
©rauerfpiel, ba« wohl wenige unter ben Stimmführern ber mobernen firitif 
gefepen hoben werben. Unb wie anber« wirR e« oon ber Bühne als bei ber 
blofjen Seetüre! Saube war eben in noch fiel höherem Blafee ©peaterpraftifeT 
als Baupach unb jeprieb befanntlicp feine fpäteren ©tüde ben $offcpaufpietern 
auf ben Seib. ©o finb feine ©eftalten im richtigen Sinne tppifdj unb 


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3ur 99iifet$juig §ebber$ ncbft allerlei (Eycurfen überSötener X^eater u. Epigonen. 579 

«harafteriftifch ^ugftid) 3)af3 fid) bie großen ©harafterbarfteller bet ©egen* 
mart eine fo banfbare 9b&e mie bie be3 ©rommell entgegen laffen, ift eben 
nur aus ber ooflfomntenen UnManntheit be$ Stüdes $u erflären: „SJtontrofe" 
uerfeßmanb au$ Politiken ©rüitbea, an bie l)eute nach 43 fahren fein 
URenfd) mehr benft, trofc raufchenben (Shrfolged nach einer einzigen Aufführung 
für immer au£ bem ^Repertoire be3 ©urgth«ater3. ©4 märe 3eü, & mieber 
heraufeuholen, menn nicht auf ber SRingftraße, fa hoch an ber ©eripherie; 
itnb menn Seint'S „Spinnerin am Sreuj" ©eifaff finbet, fann man e$ 
felbft mit ßaube'3 „©ernfteinheje" miebenim magen, bie gleich reich ift an 
ftimmungSooflen SRomenten unb oon gebrungenerem ©au. S)a fueßen unfere 
Xfjeaterbirectoren nach guten ßuftfpielen, unb ich fenne faum ein unter- 
haltenberea als ben „Statthalter oon ©engalen", ba£ — e$ behanbelt in 
altliberaler Altflugheit ben Stur$ eines lorpminifteriumS — im i$af)Tt 1897 
in SBien oon actuetlfter SSirfnng hätte fein müffen, aber auch tyutt oon 
feiner fomifchen Sraft gernifS nichts eingebüßt hat. 

3 u biefen ©etrachtuugen merben mir angeregt burch eine fc^öne unb 
vornehme Ausgabe ber ^ebbeffeßen 3)ramen oon bem ßemberger ©rofeffor 
Sticharb ÜRaria SBerner,*) ber feinen Seruf $u biefer Aufgabe burch bie 
fchöne Slacßlefe jum ©rieftoechfel in miirbigfter SBeife nachgemiefen hat. SBenn 
irgenb einer unter ben (Epigonen, fo oerbient Sriebrich £>ebbet bie fritifche 
©emühung, bie ihm ber ©eiehrte gemibmet, unb bie oornehme AuSftattung, 
in bie bie SerlagSbuchhanblung feine SBerfe gefleibet hat. ©erabe hinfichtlid) 
<£)ebbefS ift eine ooUftänbige Urnmertung beS UrtheileS eingetreten, £eute 
lernt man in ber Schule, maS bie Station anerfannt hat, bafS Steift, ©rill- 
parier, $ebbel $u ben großen Xragifern beS beutfehen ©olfeS gehören; oor 
50 fahren behanbelte man Sleift mit ©rabbe jufammen als bramatifche 
llnhotbe; ©rillparjer fannte unb nannte man faum unb £>ebbel — ja ba 
wufS man in Qulian Schmibt'S Sitteraturgefchichte felbft nachlefen. £eute 
mürben foldje pamphletiftifdje Feuilletons nicht mehr Aufmerffamfeit finben 
als etma bie ftrategifdjen Sritifen ©leibtreu'S ober baS noch oerein^elt 
immer erflingenbe göpfifeße ©ebelfer gegen SRicßarb SBagner; um 1860 aber 
gab £err 3ulian Schmibt ben Xon an, unb Hebbel galt biefer hämifchen 
Sritif gegenüber als ein oertorener 9Wann. $aS ift nun freilich anberS 
gemorben. Unb menn furj nach feinem Xobe bie Apologeten fchmeren Stanb 
hatten, haben es ^eute bie ©anegprifer befto leichter, unb eS mirb gerathen 
fein, ber brohenben Überfchäfcung gegenüber, bie fo leicht an Autoren, bie 

*) 9t. ÜJt. SBerner: Jriebrich fcebbers fämmtlicbe Söerfe, hiftorifch*fritifche 
Ausgabe. ©erlin, ©. ©ehr (©. ©oef), ©anb I—III. trauten (1841—1858). 3)ie 
»ollftänbige Ausgabe ift auf jroölf ©änbe berechnet. 

37* 


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580 »iidjarb oon 3Ruth. 

bic SWitwelt linfS liegen liefe, furjmeg alles meifterhaft finbet, bie nötige 
Unbefangenheit ju bewahren. 

©on bem Sorwurfe ber Überfchäfcung unb Übertreibung mufS ber 
neuefte Herausgeber aüerbingS freigefprochen werben. SBoljl unterliegt aud) 
er wie jeber, ben feine Arbeit $wingt, fich oielleicht burd) Sabre in bie SBerfe 
eines gewaltigen DenferS ju oerfenfen, bem Sinbrude ber mächtigen ©erfön* 
liebfeit, aber er wahrt fich boefe burchauS bie ©genfehaften, bie ihn auch 
fonft auSjeichnen: fritifchen ©lief unb nüchternes Urtheil; in Stapreifung unb 
Ablehnung ift er ftetS gleich mafeooD. 3 u überfcbäfcen fcheint er unS nur bie 
Komöbien, benen gegenüber wir ben aüerbingS alten unb jum Schlagworte 
geworbenen ©orwurf, bafS fie gefünftelt unb bizarr feien, hoch nicht für 
Ungerechtfertigt halten. Unb auch bezüglich ber ©übnenwirtfamfeit ber 
Hebbel'fchen Dramen lann man ihm nicht in allem beipflichten. Oben habe 
ich ber SBieberaufnahme guter alter Stüde aus Kräften baS SBort gerebet, 
unb fo glaube ich auch, bafS ber „SRubin" fo gut wie irgenb eine phantaftifche 
Komöbie oon ftulba wohl auf bie Sühne gebracht werben fönnte;*) auch 
„9Richel 2lngelo" erwiefe fich fieser wirffam; Warum „©pgeS unb fein Sting", 
bei bem ber Herausgeber merfwürbigerweife bie Dbeatereinrichtung unb 
Aufführung gar nicht erwähnt, fo fchnell oom ^Repertoire beS Surg* 
theaterS, baS ihn oor fünf fahren wieber aufnahm, oerfchwunben ift, ift 
mir nicht befannt. 2lber manche anbere feiner Dramen, oor allem ber 
„Diamant", „DaS Drauerfpiel in Sicilien", finb nach nnferen ©egriffen 
wohl unaufführbar; felbft oon einer SBieberaufnahme ber „©enofeoa", bie ber 
Herausgeber mit einiger ©itterfeit Oerlangt, fönnten wir unS nicht üiel oer* 
fprechen. ®S ift eine Dbatfacbe, bafS auch jene Dramen Hebbel'S, bie fich 
auf ber ©ühne behauptet haben, wohl nur oier: „Subitb", „SRaria 
2Ragbafena", „SlgneS ©ernauer", „Die SRibelungen", nur feiten über bie 
Sretter gehen. Die oolle ©unft beS ©ublicumS, wie fie heute ©riHparjer 
entgegenfommt unb felbft grofee Schwächen Kfeift'S erträgt, hat fich H^b * 1 
noch nicht 51 t erobern oermocht. Sch fage noch nicht, weil eS immerhin 
möglich ift, bafS auch Hebbel'S 3eit fommt, Wenn ihn baS ©ubticum 
erft recht fennen gelernt hat, wo$u bie fchöne unb ftattliche Ausgabe baS 
3 hre beitragen mag. 

Den SBienern ift Hebbel $u herbe; unb mufSte Doch felbft für ©rill* 
parier burch Heinrich ßaube baS Derrain Schritt für Schritt jurüderobert 
werben, benfelben fiaube, 511 bem Hebbel in fein rechtes ©erhältniS 5 U 

*) Die Hoff eenen biirften burchauS nicht geftrichen werben; fie ftnb beS (Eontraftes 
halber, in bem fie $u ben ©auemfeenen ftehen, nothwenbig, iiberbieS in ber SchlufS 
feene oovauSgefeftt. 


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3ur ©ßürbtgung £>ebbers nebft allerlei ©ycurfen über 9Biener Beater u. ©pigoncn. 581 

gelangen oermochte. Sie ©ejiehungen $ebbel'S jurn ©urgtheater bebürfen erft 
fritifc^er unb unbefangener Unterfuchung. SEÖir höben oben betont, bafS Saube 
in erfter Sinie Xheaterpraftifer war. SBir wollen weiter noch seigen, bafS 
ber geringere ©rfolg auch ber größten SBerte ^>ebbet f ö ,in technifchen gehlern 
feinen ©runb ^ot. Schon baS war ein trennenbeS ÜRoment. Sie Senfur* 
ftriche, unter benen ber Sirector gewifS nicht minber ju leiben hatte als ber 
9lutor, bie er aber gegen biefen ju oertreten hatte, tarnen nun ju beu 
s 2lnforberungen ber Sortierung ^in$u. SaS mufSte baS SerhältniS ber norb= 
beutfehen Emigranten, bie fich beibe bärbeißig *) $u geben pflegten, noch aer* 
fchärfen. ©or allem aber ift ju berücffichtigen, bafS £ebbel ber ©atte einer 
©urgfehaufpieferin war, nnb jwar — eS ift nöthig, baS einmal naeßbrikftieß 
ju betonen — einer Schaufpielerin burcbauS ^weiten StaugeS. 

®S mufS mit aller 6 ntfchiebenheit barauf gefehen werben, bafS fich 
nicht ein litterarhiftorifcher ÜRpthnS bilbet, unb baS fcheint bezüglich ber 
Sdjaufpielerin grau ©hriftine £ebbelim beften 3uge ju fein. **) s JiichtS tonnte 
mir ferner liegen, als ben ©harafter ©hriftinenS anjugreifen; unmöglich ift 
eS, ben günftigen ©inbruef ju üertennen, ben fie auf ben bis bahin unfteten 
dichter nahm; aber fein ©erhältniS jum ©urgtheater Würbe burch bie ©he 
mit einer Schaufpielerin ungünftig beeinflufst. Um bie Stellung ©hriftinenS 
auf ber ©ühne 511 beurteilen, barf man nicht oergeffen, bafS fie jwei ganj 
oerfchiebenen ©erioben ber ©nrgtheaterentwicflung angehörle, ber rein claffifchen, 
in ber fie feßon neben ber überlegenen SRettich einen fchweren Stanb hatte, 
unb ber beS Überganges jurn StealiSmuS, in ber fie neben ber gewaltigen 
SBolter unb ber geiftreidjen ©abillon, bie fich erft in reifen Eahrcn 5 U doller 
f)öhe entfaltete, oollftänbig jurüdftehen mnfste. grau $ebbel fprach flar unb 
falt, mit einer Sentlichfeit, bie bie hantige Schaufpielergeneration nur 51 t 
fchr oermiffen läfst; bie SBorte pflegte fie mit wohlgerunbeten ©ewegungen 
ber frönen Sfrme flu begleiten, hierin bem Seifpiele ber Sftettich folgenb; 
nuanciertes Spiel im heutigen Sinne unb bie ftunft ber Steigerung waren 
ihr fremb: bemgemäf* wären Sprechrollen ihre Sache gewefen; ben ©harafter^ 

*) geh habe als ftnabe Hebbel noch oft gefehen, ba er in ber ©räunerftraftc 
luohnte, auf bem ©raben ober Stoct4m*©ifen, ber bamalS fein ©löfc mar, fonbern 
eine tune, enge ©affage, in ber fich gemiffen Stunben beS $ageS bie ©tenge 
beftänbig ftaute unb brängte. Sa fchob fich ber ©tarnt burch, fcheinbar ohne auf 
feine Umgebung $u achten unb rote uor fich hinmurmelnb, baS Jpaupt, über bem ein 
fchmalfrämpiger hoher !£mt faß, ftetS gefenft, fo bafS man nur feiten einen rafdjen 
©lief aus ben blanen klugen, bie baS rothumbartete 9lntlifc merfroiirbtg oerfchönten, 
51 t erpafchen oermochte. 

**) geh habe grau Hebbel ,piele bufcenbmale, namentlich häufig in ben 
gahren 1860—64 gefehen. 


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582 


Nüparb von ÜJlutp. 


rollen aber, bie fie gu fpielen patte, genügte fie gewöpnlicp nicht: erträglich 
als Hergogin grieblanb, ttmr fie abftofjenb als gmperiali. Unb »nenn Hebbel 
fogt, bafS „SJtariamne, »nie in URarmor gemeißelt, baS SBefen (SpriftinenS 
barftefle" (II, XLIV), beweist baS nur, »nie fie ihm erfcpien, nicht »nie fit 
»nar. SluS ben Segiepungen beS Hebbel’fcpen HaufeS gum öurgtpeater aber 
SBaffen gu fcpmieben gu einer ungünftt'gen SBeurtpeilung Heinrich Saube’3, 
märe eine litterarpiftorifcpe gätfcpung. SBenn bie „Nibelungen“ in SBicn 
nicht ben öoflen unb nachhaltigen (Srfolg hatten, ben fie nach »h rcr ©ebeutung. 
beanfprucpen fonnten, tnar nur bie ©efepung fchulb. gür ben dichter War 
eS einfach inbiScutabet, bafS jentanb anberer als feine Shriftine bie ©runpilb 
(Viele. Nber gerabe biefer Nofle war grau Hebbel burcpauS niept, gewacpfcn. 
gnSbefonbere in ben mpftifcpen ©eenen beS SlnfangeS nerfagte fie ooflftänbig: 
bie ©ifton, an fich lang unb fcpn>er öerftänbticp, fiel ab, unb bie lühle 
Stimmung blieb perrfepenb im Hanfe.*) geber Nero ber SBolter forberte bir 
Nolle ber ©runpUb; nein, fie mufste — um beS {Weiten XpeileS wißen, 
alfo aus fritifcher ©ebanterie — bie ftriempitb fpielen, beren tinblicher Zart¬ 
heit in ben erften Sieten ihr ganges SBefen wiberftrebte. ©o tarn ei, baf£ 
bie Stufführung ber Nibelungen fo fühl oerlief, bafS man fich «ft oiele gaprt 
nach t>ed dichter# lobe an bin {Weiten Ipeil wagte. 

$aS ©urgtpeater hatte an grau Stolter eine gewaltige ^ebbel^arfteßeriit 
gewonnen. Stber baS ©ublicum blieb fühl. ®u3 ben oerfchiebenften ©rünben. 
„gubitp" hatte in SBien ben XobeSftofj befommen burch — Neftrop. Such 
baS ift nur bei genauer Kenntnis ber ©erfönlicpteiten oerftänblich- geh habt 
nie ein mächtigeres fcpanfpielerifcpeS ftemperament gefehen als Subwig ßötoe; 
in bem Stanne war afleS @lut unb Seibenfcpaft; nichts erfcpien ftubiert unb 
ausgearbeitet, aßeS fepien aus bem gnnerften perauSgufommen; fo gang War 
er mit feiner Noße oerwachfen. 3Jtan mufSte (epeu, was in Söwe'S ^änben 
aus einer Nebenfigur, wie fie etwa ber gßo ober ber Narr im „Sear“ ift, 
würbe. $er $otoferneS**) nun lag Söwe gang befonberS; aber eine fo aus» 
gefproepene gnbioibualität bot natürlich auep vielerlei StngriffSpunfte, unb 
für foldje ©chwäcpen patte Neftrop ein fcparfeS Sluge. ©epon burep bit 
NtaSfe begwang er baS ©ublicum — „gubitp" war umgebracht. @3 wäre 
gu münfepen gewefen, bafS ber Herausgeber biefem ©untte größere Stuf* 
merffamfeit gefepenft pätte. ga, wir fännen ben weiteren SBunfcp niept unter* 
brüefen, bafS bie ©arobie in einen ber lefcten Sänbe ooßftänbig aufgenommrn 

*) Sollte auS gleiCpgeitigen Sritifen etwa anbereS perauSgelefen werben, roa& 
icp übrigens niept glaube, fo bin icp niept in ber Sage, beSpalb auep nur baS ©eringfte 
an meinen ©epauptungen gu änbem. 

**» gep felbft pabe Söwe als i>olofemeS niept mepr gefepen. 


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3ut Söürbigung frebbel’S nebft allerlei ©ycurfen über Wiener $peater u. ©pigonen. 583 

merben möchte. Sßaröbien bemeifen an unb für fich, bajS baS jurn Objecte 
genommene SBerf eine gemiffe Sebeutung ^at; fie beefen technifche Schmähen 
auf unb lehren bie Stimmung ber $eitgenoffen fennen. ®eShalb gehören jte 
in ben fritifdjen Apparat. SBoht ärgern fie bie ©oterie unb merben beSmegen 
gerne tobtgefchmiegen, mie e$ jum ©eifpiele im Vorjahre mit be$ pfeubo* 
npmen ^ermann Korbermann „Stiefamidingen" gefchetjen ift, einer fchneibigen 
unb unterljaltenben Varobie be$ „3ohanniSfeuer" oon Subermann, auf bie 
mir gerabe aus biefem ©runbe beiläufig aufmerfjam machen moflen. Slber 
baS fann, felbft menn noch fo oiel Vanalität, ja ©emeinheit in biefeit 
Vrobucten fid* breit macht, bie fjiftorifdje ftritit nicht ber Verpflichtung 
überleben, oon ihnen Kenntnis $u nehmen. 

So haben äußerlichfeiten bei „3ubith" unb ben „Stibelungen" ben 
©rfolg beeinträchtigt; anberS bei „SJtaria SJtagbalena", „©enofeoa", „£>erobeS 
unb SRariamne". 3n ber SBolter mar eine großartige $arftederin für bie 
Kode ber ftlara gemonnen. *) Slber auch ^ cr fein voller ©rfolg. SJtan machte 
baS peinliche beS Ih«na$ bafür oerantmortlich, — ber „Srbförfter" ift 
meit peinigenber. Stan ftieß fich an ber fortmähreuben Vefprechung beS $u* 
ftanbeS ber #elbin, — jebe fran^öftf^e ©hebruchSfomöbie ift unanftänbiger; 
bie Vefefcung unb Stufführung maren oorjügtich; man mirb alfo mohl ober 
übel nach anberen ©rünben fuchen müffen. Stach meiner Überjeugung finb 
e$ technifche Stängel, Schmächen ber Peripetie unb ber S*ataftrophe. griebrich, 
ber Secretär, fpielt in ben lebten Sieten eine fo bebeutenbe Kode, bafS nach 
einem alten ©rfahrungSgefefce feine Vorführung in ber ©jpofition bringenb 
münfchenSmert märe; jo aber tritt er fo fpät in bie ©anblung, bafS mir 
fein rechtes 3ntereffe mehr an ihm geminnen. 3ubem ift bie Scene, mie er 
mit ber Viftole auf ben feigen Stebenbuhler einbringt, eine menig gliicfliche 
Kachahmung ber gleichen Situation in „Sfabale unb Siebe", baS ©anje 
muthet an mie eine tragijehe Varobie beS tragifomifchen Originals. 3n 
biefer Scene ift Seonljarb ein in ben SBurm hineingearbeiteter Sfalb. $afS 
bann ade ihr ©nbe finben unb griebrich noch einmal gu biefem ßmeefe auf 
bie Vühne gebracht mirb, fchmächt ben ©inbruef ber gemaltig angelegten 
ftataftrophe in ganj unoerhältniSmäßiger SEeife. So fommt eS, bafS bie 
leßten Äcte abfaden. 

„©enooeüa" hat Saube nicht mieber aufgenommen. 3ch glaube mit 
Stecht. Sticht als ob ich mich ber Schönheit unb Vebeutung biefer Xragöbie 
oerfchlöffe, aber fie bietet unüberminbtieße innere unb äußere Schmierigfeiten. 
3unächft baS mangelitbe ©benmaß ihrer Ztyiie: ber britte Slct jählt 1003, 

*) 3ch habe baS Stiict auf bem Vurgtpeater erft in ben fiebriger fahren 
gefehen. 


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584 


Stiiharb oon SJhith. 


ber werte 936 Serfe. Mu3 bem britten Stete hat #ebbel felbft für bie 
Muffüljrung 441 SSerfe geftrichen. — Ta3 ift bic Sänge eines normalen 
XljeateracteS; benn 2500 SSerfe finb ungefähr baS ÜRa£tmum, baS baS 
$ublicum einer grofjen, gutgeleiteten Sühne an einem Mbenb oerträgt; an 
einer Keinen Sühne, wo ber TecorationSwechfet unb ber SRangel eigener 
©arberoben für bie #auptbarfteller lange Stell* unb UmKeibepaufen mit fidj 
bringen, mufS noch weit unter biefe $ahl tyerabgegangen werben.*) Stun 
ift aber |>ebbel fein Stfjetor; feine Tranten oertragen ©triebe weit fermerer 
als etwa bie ©djifler'fdjen; feiner Tichtung gefehlt bnreh ftarfe Äürjung 
Unrecht. Ta$u fommen in ber „©ettooeoa" noch gan$ befonberS bie langen 
Mbfeitdreben, bie bon ben übrigen auf ber Sühne Sefchäftigten nicht oer 
nomnten werben follen, einmal (IV. 6 ., 53. 2612—2645) 33 SSerfe in 
einem Mthem, für bie Stolle beS ©olo tjunberte oon Serfen. ©ie machen 
bie Stolle beS ftummen 3uhörer3 uniäglich fdjwierig; bie o^nebieS paffioe 
unb beS^alb bem publicum weit hinein in bie ^anblung nicht Oerftänbliche 
©enooeoa wirb baburdj 51 t einer faft nicht ju bewältigenben Aufgabe. ©ine 
befonbere ©djwierigfeit liegt auch in ber ÜberrafdjungSfcene (III. 15): unter 
bem Sette ber ^atbenttteibeten $elbin wirb ber angebliche Siebhaber, ber 
burch £>eftigfeit abftofeeub wirfen foD, fKroorgejogen nnb auf ber ©teile 
niebergeftofeeu. SBie mufS jebe ber neun Serfonen, bie in biefer ©eene auf' 
treten, gefpielt werben, wie müffen biefe Stollen befefct fein, wenn ber Muftritt 
nicht lächerlich wirfen fofl! ftür Keine Sühnen bic reine Unmöglichfeit, für 
grojje gleichfalls ber wunbe $nnft, an bem fie gewöhnlich fcheitern.' ߣ 
fommen noch nnbere Umftänbe baju: bie Entfernung einer £>auptperfon auS 
ber Peripetie, hier ber ©enooeoa, bie unferen Slugen burch anberthalb Mete 
(1100 Serfe) entzogen bleibt, ift immer bebenflich; bie Stene beS ©olo 
(S; 2583) fommt oiel ju rafch: wie fann ihn ber Schmer^ beS ©rafen 
io fehr erfchüttern, wenn baS ber Vlnblitf ber Seiben beS unfchulbigen SScibeS 
unb SinbeS nicht oermochte?! 

Stoch unberS ift eS mit „fterobeS unb SJtariamne". 3 ür ^pebbel h^t, 
wie „3nbith^, „Stubin", ber Dperntejt „©teinwurf", bie oer^errte ©pifobe 
in ber „©enooeoa", enblich „£erobe3" beweifen, bie Subenfrage gan-v 
bejonberen Steij. Mber nicht fein ©egenfap $u ben «Seitftrömungen ^lt baS 
Stücf ferne, fonbern eine innere Schwäche. Ta3 Socalcolorit unb bie Ser^ 
Wertung beS hiftarif^en $intergrunbeS, bie Sümpfe, bie jur Schlacht oon 
Slctium führen, finb ihm nicht gelungen. Ter einzige ©entnrio litnS ift 

*; SJtit bem Stachfpiele h<*t „©enooeoa" circa 3900 Serfe. — ipebbel tröftetc 
fichr bafS baS bie Sänge ber „Staria Stuart" fei; aber eine Srooinjbühne miifSte 
mehr als ein Trittheil ftreichen. 


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ßur ©ürbigung Ipebbers ncbft allerlei ©ycurfen über ©iener Xfeeater u. ©pigonen. 585 


ein römifcher XppuS; alle übrigen finb 9Renfd)en wie anbere, aber nicht 
antife SRenfchen, ft>eber 9tömer, noch 3uben. ©ang unb gar nicht flar 
erfcheint in ben ©harafteren ber oft betonte ©egenfafc gwifdjen 3 uben unb 
®aliläern. $iefeS Unoermögen ^iftorifc^er gärbung, baS fich auch in ber 
„AgiteS Sernauer" geigt, fchwädjt ben ©inbrud; bagu, wie 9t. SR. ©erner 
richtig bemerft, baS geteilte Sntereffe. Sticht wenig, möchte ich hingufügen, 
auch ORängel ber ©haraftergeichnung. ®er ^arifäer, Ijodjfafjrenb, werffeeilig, 
erfcheint uns als ein feuchter, bis wir plöfclich erfahren, bafS er ein SRärttjrer 
ift; Salome, bie feierliche Schwefter unb Schwägerin, erfcheint gu Seginn 
fleinlich unb unoerftänbig, befchränft, fo bafS ihr Anteil an ber Rührung 
ber ffataftrophe uns nicht behagen fann. $erlei rächt fich- Snt 9toman 
oergeihlich, finb auf ber Sühne jolche Sflconfequengen in ber ©haraftergeichnung 
faft ausnahmslos tobbringenb. 

®S war mir bantm 511 tf)un bargulegen, bafS wir bei aller Sewunberung 
für jpebbel hoch gugeben muffen, bafS eS bie eigenen Schwächen ber Stüde 
finb, bie ooüen (Erfolgen wenigftenS in ©ien im ©ege ftanben; nur beim 
erfteu ber SRibelungen mochte falfche Sefefcung baran Schulb fein. 

$en reinfteit ©rfolg hatte ber gweite X^eil ber SRibelungen unb „Agnes 
Sernauer".*) ©enn alfo bei Hebbel nicht gelang, was bei ©ritlparger 
burchgefept würbe, barf man bie oerfchiebenen Surgtheaterleitungen nicht 
bafür oerantwortlich machen. Sei ©ritlparger traten locale unb patriotifche 
SRotiue hinju, unb wie man in feinen lebten Sohren gewetteifert hatte, ihn 
mit ©hrenbegeugungen gu überhäufen, fo glaubte man nach feinem lobe alles 
gut machen gu muffen, was bie oorhergehenbe ®eneration an ihm oerfchulbet 
hatte. Sch ha^e mich felbft mit bem gangen Snbficum in einer geftuorfteflung 
gelangweilt, in ber ,,©eh bem, ber lügt" oon lauter erften &räften glängenb 
gefpielt würbe; aber Xableau gu Seginn, oerflärte Süfte gurn Schluffe, alles, 
was ©ieit au Sitteraturgröfeen aller Sonfeffionen befiel, im ©arquet, ber 
mafegebenbe föritifer ber „SReuen freien s 45rcffe" baS £>auS mit Strenge 
mufternb — wie hätte eS fich ba gefchidt, fich 5 U langweilen?! Seber ocr= 
fieberte ben Machbar, wie föftlich baS fei — unb feiner fam gum gweiten* 
male wieber. Unb auch ö£m ©rillparger haben bie ©erfe, bie nach feinem 
lobe auf bie Sühne gebracht würben, fo bebentenb fie fein mögen, nicht 
nur bie „Sübin oon Xolebo", felbft ber weit höher ftehenbe „Srnbergwift 

*) Sch felbft habe „Agnes Sernauer", ich glaube unter $>mgelftebt, in reefet 
fd)led>tev Aufführung gefehen. kleben einer reijenben AgneS war Siraftel als §er$og 
Albvecht gan$ ungenügenb unb polterte unb tobte baS Stüd jugrunbe. dagegen 
fefeuf tfubwig Wabiüon im ©rafen Xörring eine padenbe ©eftalt, ein SeweiS, was 
ein geiftooller Scfeaufpieler aus ber fleinften Atolle ju machen weife. 


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586 


©icbarb oon ÜWutb- 


in #ab$burg" nur Achtungserfolge errungen. Die Grwähnung beS „©ruber* 
.poiftS", in beffen Aufführung ba$ Stabttljeater, ba$ bamalS über jroei 
®horafterfpieler erften (Ranges, fiobe unb griebmann, oerfügte, bem Surg* 
tljeater in überrafcfjenber SBeife um eine SBocfje juöorfam, bringt un$ »ieber 
auf Heinrich fiaube, ju beffen gelungenften, freilieb nie oerjieljenen Streichen 
biefer ffiettfampf gehört.*) ©lag man über fiaube’S ©£>arafter urteilen wie 
man will; mag feine fonftige Schriftftellerei noch fo tief ftehen, als Dramatifer 
ift er böchft achtbar, unb feine ©ebeutung für ba$ Söiener Dljeaterleben fann 
gar nicht ho<h genug angefchtagen werben. ®r h at «rft bie (Refuttate ber 
SReoolution fojufagen praftifdj tiquibiert; er t)at juerftbie ®lafjifer mit 
einer gewiffen ©odftänbigteit in ftetem Kampfe mit ber nadjmärjlichen Gertfur 
auf bie ©üljne gebracht; er h°t unter ben fchwierigften ©erhältniffen einer 
grofsen Saht aufftrebenber Dalente ben SBeg geebnet, unb wenn man ihm 
übertriebene ©flege be$ ffranjofenthumS oorwarf, barf man nidjt oergeffen, 
bafS biefer 3«fafc bamalS nothwenbig war, nrn in ben ftocfenben Kreislauf 
neues fieben ju bringen; er hoi baS ©urgtljeater aus ben ©anben jener 
fteifen ©ianier gelöst, ju ber in forgfamer ©flege unoerftanbener Drabition 
ber SBeimarifche GlafficiSmuS entartet war; er hot mit unoergleichlichem 
©liefe ber beutfehen ©üljne eine 8ln$af)l ihr« größten Datente, fiewinSfp 
unb bie SBolter, eine Sanbrod unb eine Schratt jugefüljrt; er hot burch 
bie (Srünbung beS StabttljeaterS fchon als atternber SRann einen frifchen 
Sug in baS SBiener Dheaterleben gebracht, ber erft baS Dafein jener 
©ühnen ermöglichte, bie heute als ©oltS*, (Raimunb* unb SubilöumStheater 
heroorragenbe ©flegeftätten beutfdjer Kunft in SBien barftellen. 8(1$ oor 
3ahreSfrift bie SReclamepofaunen bie 8lufführung beS „König ßbipuS" »er* 
fünbeten, hotte man oergeffen, bafS fiaube fein Stabttljeater mit ber „8tnti* 
gone" in Doppetbefefeung er öffnete, bie Stbenb um 8lbenb medjfelte, jebe 
©öde, oon ber $elbin (bie SBewerfa unb bie SBeifje) bis jur fteinften, in 
anberen £änben — unb baS oor 30 3«h ren / &o boch Uhl unb Speibel, 
bie ihn fo ganj oergeffen tonnten, längft im ©arterre baS Schwert ber 
Kritif fchwangen. 

*) 3th höbe fiaube im Surgtfjeater oftmals gefeben, roo et, neben 3buna 
ftpenb, in einer fioge beS jioeiten IRangeS jebe Sorflellung, baS OpemglaS in ber 
franb, mit größter Aufmerffamleit oerfolgte, inbeS baS ©ublicum mit grobem ^ntereffe 
fein ©erhalten beim 9lctfd)luffe beobachtete, benn eS galt als auSgemacht, bafS fein 
in ber Ibot ziemlich felteneS ©erfchrotnben ftets irgenb einen acuten Dabei bebeutete. 
Gr mar ein Heines, unterfefeteS ©München mit groben 3ügen oon echt flaoifchem 
tppuS — er ftammte betanntlicb auS bem fiauftßer ©öenbenlanbe —, baS ®eficbt 
oon bichtem, ftruppigem ©arte umrahmt. 


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3ur BJürbigung fcebbel’S nebft allerlei (Srcurfen über ÜBiener Ißeater u. (Epigonen. 587 

Doch genug Don Öaube, beffen SebenSlaitf nocß einer umfaffenben unb 
unbefangenen Darfteüung harrt. @8 foQte nur beliefen »erben, baf8 bie 
eigenartigen SBiener Berßältniffe ber fünfziger unb Sechzig« 3aßre genauer 
Unterteilung bebürfen, oßne bie man Sitteraturgef(f)icf)te nid)t feßreiben fann, 
unb baf8 e8 nicht angebt, einen Autor, ber betoujst unb unbemufst Don 
biefem (betriebe beeinflußt loirb, barjufteQen ohne grünblicbe fteuntniS feiner 
Umgebung. 3n biefer Beziehung aber meist bie neuefte HebbetauSgabe eine 
hoppelte Sütfe auf, bie Bernacßläffigung ber Xbeaterbejiebungen unb ben 
Mangel einer ^Biographie. 

3n ben meiften SäKen erfahren mir gmar ba8 Datum ber erften Auf» 
füßrung unb ftnb bie Zbeaterbearbeitungen in ben SeSarten berüdfießtigt; 
aber baS genügt ni<bt. SBir glauben, Don einer tritifeßen Ausgabe in biefer 
Beziehung »ier Momente forbern $u bilrfen, Don benen bei SSerner aber nur 
eines erfebeint. 6r feßieft ben einzelnen Dramen gefft» unb gebaltooüe Analpfen 
oorauS, bie auch baS Decßnifcße einigermaßen berüdfießtigen. 3n biefer Jpinficf)t 
follte aber meit größere ©rünblicßfeit berrfeben. 2BaS man Don einer tritifeßen 
Ausgabe forbern barf, ift bie eingebenbfte Darstellung ber oerfeßiebenen 
Bearbeitungen: bie Anbetungen, bie ber Dieter felbft am abgefebtoffenen 
Dejte oomaßm; bie Sürjungen, ju benen er fi«b felbft entfcblofS; bie Striche, 
bie er ben Dßeaterbirectionen unb ber Senfur concebieren mufste. Den 
größten SBert hoben freilich jene Anbetungen, bie er fpontan oornimmt; fie 
geftatten einen Sinblid in bie SBerfftatt beS Zünftlers unb eröffnen unS baS 
BerftänbniS für jene Art beS Schaffens, bie man mit bem pbantaftifeben 
Scblagmorte ütießfcbe’S als bie bionßfifeße bezeichnet bot. Der Öefer fotl nicht 
gejmungen fein, bie Abtoeidjungen mübfam aus einem SSufte Don Varianten, 
Drudfeßlern unb ScbreiberfcbruQen jufammenjuftoppeln; Umfang, Denbenj, 
Bebeutung ber Anbetungen ihm in georbneter unb iiberficbtlicber SJeife bar» 
zulegen, ift Sache beS Herausgebers, Barianten meeßaniieß znfammenjuftelleu 
unb bruefen zu laffen, ift jeber Seminarzögling im britten Semefter imftanbe. 
3Ber einen (Jlaffifer „fritijcß" b«ou8geben miß, mufS fieß ßößerer Anforbc» 
rungeit Derfeben. — 3utn Dritten forbern mir, maS bem Herausgeber fci 
feiner Bertrautbeit mit bem Stoffe ein Seichtes fein mufS, ein genaue Dar» 
fteüung beS BerßältniffeS beS Autors z um Theater mit Büdficßt auf bas 
einzelne Stiid. SJtit melcßen Bühnen b at er oerfebrt? reelle hoben ißn, 
roelcße bot er gefueßt ? mit melcßen Abficßten ift er bureßgebrungen, mit 
melcßen gefeßeitert ? 9Ran menbe nießt ein, bafS baS in bie Darfteüung beS 
äußeren SebenSlaufeS geßört, ber oielmeßr nur in AuSnaßmSfciflen, menu 
fieß ein Befucß, eine Steife ober gar eine AufentßaltSüeränberung baean tniipft, 
babureß beeinflufSt mirb; eS ift im ©egentßeile eine Bloßlegung ber. innerften 


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588 Wicßarb oon ÜJiutb- 

gäben, bie fid) oorn Autor jum ftunftwert, ju ben dürfte Hern unb 511 m 
publicum, ichüngen. ®aher benn auch bie weiteren gragen: wo unb wie oft 
ift baS ©tüd auf bie ®üf)ne gefommen? wie ift eS oufgenommen worben, 
00 m publicum, oon ber Sfritit? wie ^at eS fich behauptet? — Unb mit 
ber Seantwortung biefer lebten grage gelangen wir 511 nnferer oierten gorbe* 
rung, $ur Storfteflung ber SBürbigung beS eingelnen ©tüde^ in ber ©egen¬ 
wart : wirb eS noch gegeben ? ^at eS AuSficht, oerbient eS überhaupt wieber 
anfgenommen ju werben? — ®aS finb aber gragen, auf bie un$ bie oor- 
(iegenbe Ausgabe bie Antwort faft überall fdjulbig bleibt. 

$amit ift aber auch ber enge änfammen^ang jwifd^en fritifdjer AuS- 
gäbe unb Piographie bargethan. IR. ÜJt. SBerner §at fich begnügt, in bie 
einzelnen ©inleitungen, bie in elegantefter gorm gehalten unb ebenfo lefend^ 
wert als lesbar finb, jene biographifchen $aten 51 t oerflechten, bie jnr Se- 
urtheilung ber Sebeutung, bie baS ©tüd für bie ©ntwidlung beS Autors 
befifct, unumgänglich nothwenbig finb, unb fo (ann fich ber ßefer aflerbingS 
aus ben breijehn (Einleitungen ein ffi$§enhafteS Pilb beS SebenSlaufeS Hebbef S 
^ufammenfteDen; aber ber ©toff ift liidenhaft unb jerriffen. 3Ran (ann ficb 
nur bcnfen, bafS SBerner bie 93iogrop^te felbftänbig in größtem SRaße $u 
bieten beabfichtigt ober etwa oon anberer ©eite erwartet; aber auch io biefem 
gatle hätte eine, wenn auch noch f° fnappe, hoch io gewiffem 3Raße oofl= 
ftänbige Piographie 00 bie ©pifce beS SBerteS gehört. SBaS unbebingt not^ 
wenbig ift für bie erften feiten HebbefS, baS ift ein Jtinerar unb bann 
eine chronologifche tiberficht ber SBerfe, nach bent ©rfdjeinen georbnet. 

$ie Anorbnung ber Ausgabe ift bie übliche nach bent öhtfter beS 
SBeimarer ©oethe: Ginleitungen oon bleibenber Pebeutung, ber lejt iit 
oerfchwenbevifcher AuSftattung, SeSarten mit jenem Pienenfleiß unb jener 
ängftlichen Sorgfalt jufammengetragen, bie ber fritifcfcphitologifche ©tumpf- 
finit oon feinen Pefennent forbert. S)och ift eS ein ©ebot ber Ghrlichteit 
$u befennen, bafS SBerner weniger pebantifdj ift als bie meiften feiner 
gaepgenoffen unb bafS feine, Parianten $umeift wirtliche Abweichungen finb, 
bie wir nur bebauern nicht oon ihm felbft oerarbeitet $u fehen. ®ie golge 
buoott ift, bafS biefe Ausgabe eine üReuge oon ©injelunterfuchungen, Grör- 
terungen unb Abhanblitugen anregen wirb, bie in Jeitfdjriften, Afabentien 
unb Jahresberichten, Programmen ic. begraben, nicht nur bem großen 
publicum, fonbern fogar ber eigentlich litterarifchen SBelt fremb bleiben unb 
in ihrer Berfplitterung uirgenbs 511 einem Abfchluffe führen, ben ju 
gewinnen bem Herausgeber, ber ben gefammten ©toff in großartiger SBeife 
beherrfcht, oerhältniSmäßig leicht gewefen fein miifSte. ®ie Philologen 
werben achfel^udenb erwibern, bafS biefe gorberung uuoerftänbig unb jene 


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ßuv SBiirbigung Hebbers nebft allerlei ©rcurfen über Sötener X^eater u. ©pigonen. 58 l j 

Anregung. gerabe baS fünfte Siel unb ber fjöcfjfte Sohn beS Herausgeber* 
fei; ich !ann mich nicht 511 ber Slnfchauung entfdjliefeen, baf# eine fo 
umfangreiche (zmölfbänbige) unb bemitach foftfpielige SluSgabe eine Möge 
OTateriatienfammlung fein foü. $iefen Vraudj ber claffifdjen Vß^ilologie 
als fefte SRethobe auf moberne Autoren anzumenben, mürbe ich gegenüber 
ber Pietät ber älteren ©entration für einen SRütffchritt unb für einen 
bebenflichen §emmfchnh ber meiteren ©ntmicflung holten. SRit einem SEBorte: 
©öbefe ift mir lieber als bie SBeimarer. 3)aS lefcte SBort mirb mit fixerem 
Xacte baS publicum fprechen. 

3)er Xejt ift oben als oerfchmenberifch auSgeftattet bezeichnet. 9Rit 
Dotier Überlegung. ©S Derbient bie ^öc^fte Slnerfennung, bafS bie 2Berfe 
eines Richters Don ber Vebeutnng $ebbef$ in Dornehmer SluSftattung, auf 
gutem Rapier, in reinem $rucfe erfcheinen. 2tber eS ift eine ungerecht* 
fertigte Verfchmenbung, bafS in ben VerSbramen bie Siamen ber rebenben 
Verfonen als Überfchriften erfcheinen. SBir möchten mit biefer Derfchmen* 
berifchen ©emohnheit ein* für allemal gebrochen fehen; bei Stichompthie ift 
fie hüfSlich, bei in ber ÜRitte abgefefctem Verfe ftörenb; fie bet Vrofa 
anzumenben, fällt niemattbem ein. ©S geht baburch ber Staunt für Xaufenbe 
Don feilen oertoren.*) SBenn nach Sogen honoriert toirb, geminnen Vud) s 
brncter unb Slutor unb bie ffoften tragen Verleger unb publicum. ®ie 
Siegel aber ift eine ganz unnüfee Verteuerung beS ohnehin foftfpieligen 
SBerfeS, bie ein toefentlicheS ^inberniS feiner Verbreitung bilbet. Somit 
fprechen äfthetifche, praftifche unb ethifche ©rünbe gegen biefeS Verfahren. 

3ch hoffe, bafS alle SluSftedungen, bie zu unterbieten ich mich «ich* 
cntjcpliefeen tonnte, ben ©inbruct gemacht hoben, bafS ihr ^meef einzig bie 
Jörberung beS Unternehmens ift; baS Streben, z ur befferen SBürbigung 
eines Richters beizutragen, ber noch immer nicht nach ©ebür erfannt unb 
gefchäfct ift, unb bamit zum Verftäitbniffe einer $eit, bie mir zum 
noch felbft mitgelebt hoben unb beren ffenntniS mir im Sichte objectioer 
s 2Bal)rheit ber Stammelt überliefert fehen möchten. So fdjeiben mir bettn 
Dott ber neuen £ebbel*9luSgabe utit bem SBunfche, bafS eS bem gelehrten 
unb umfichtigen Herausgeber Dergönnt fein möge, baS SBerf, mie er eS mit 
glüdtichem SBurfe begonnen, mit fixerer $anb unb in furzer ftrift zu oollenben. 

v JJian toirb baS gerne glauben, wenn ich als Veifpiel anführe, bafs auf Seite 
248 beS erften VanbeS 13 Überfchriften unb 6 Verfe ftehen, S. 251, 12 Über 
fchriften unb V\, Verfe, S. 252, 11 Überfchriften unb 11 Verfe u. f. f. 


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]o$epl) Sreiberr von Belfert, 

(ErlebnilTe unb Criimtrungtn. 

IV. 

t gvüftz HnfBrridif «-Reform. 

4 . 

J « !am ba« äJlinifterinm gelijr Schwarzenberg-, in welchem ich Unter * 
ftaat«-@ecretär für ben Unterricht war; al« fotc^er ftanb ich unter 
Stabion, welchem al* SRinifter be« 3nnent bie Angelegenheiten be« Unter= 
rieht« ju^etheitt blieben, bi« ich müh für bie Annahme be« Portefeuille* 
erflärt fabelt würbe. 2Bie früher erwähnt, behanbette mich be«halb ©tabion 
nnb behanbelten mich feine ©odegen al* ÜKinifter in spe. ©tabion brang 
jefct nicht weiter in mich, er bartete auf bie 3eit, Wo wir bleibenb in SBien 
fein nnb bort ungeftört an unfere Arbeiten würben gehen fönnen, bann muffe 
meine ©rnennung erfolgen. ÜKeinc Antwort war ftet«: „SBettn ©ie feinen 
anbern finbeit." 

®i« bahin war aber ©tabion Unterricht«4Rinifter, nicht blofe bmt 
Stauten nach. ®i fchenfte mir $mar unbebingte« Vertrauen, er that nicht ba* 
geringfte, ohne mich &u fragen, unb er that ade«, wa« ich oorfchtug unb 
wozu ich rieth. ®« fam meine« ©rinnern« nicht Oor, baf« er mir etwa« oer= 
weigert ober wefentliehe ©inwenbungen erhoben hätte; Wohl aber erinnere 
ich nt ich eine* Sade«, wo er, oiedeicht gegen feine eigene Überzeugung, 
oorfchned auf meine ^been eingegangen war. ®« betraf bie ®hmnafien in 
@ali§ien, alfo bent Sanbe, ba« er al* früherer ©ouberneur fo genau fanntc, 
bezüglich beren ich c * nc einfehneibenbe -äKafjregel, ich glaube in ruthenicis, oor^ 
gefchtagen hatte; barüber war in potnifchen Greifen heftiger Särm entftanben 
unb Stabion fagte mir eine« Jage«: „Sieber geifert, mir fcheint, in biefer 
Sache haben wir uit« etwa« zu weit oorgelaffen!" 

Söie au« biefem Seifpiele zu erfehen, gieng ade« burch mich, über 
nicht« bebeutfamere« ohne ihn. 3n ber Sieget würben folche Angelegenheiten 
ZWifcheit ihm unb mir befprodjen; meift fehr furz, ba bie Serftänbigung 


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Die grofte Unterri<ht*-Seform. 


591 


fc^ncH ^erbeigefü^rt war; ba* gefchah in feinem ©ureau, ebenfo häufig aber 
auf unferen SlbenWSpajiergängen. ©Sichtigere ¥lctenftüde Würben non ihm 
approbiert, bie ®jcpebitionen oon ihm unterfchrieben, namentlich, wie fief) oon 
felbft Derfteht, äße Vorträge an ben Kaifer. 

¥113 ich bie öeitung be* äJtinifterium* übernahm, war e* folgenber ©Seife 
eingerichtet. 3u**ft tarnen bie oier 3acultät*=Seferenten: SRinifteriatrath Dom* 
herr 3 c « n e r für bie theologifchen, unb bie ©ection*räthe Dr. 3obann Heinrich 
©Wer D. Bremer für bie iuribifd) s pontifchen, ©Wer o. 9EBe11 für bie 
mebicinifch*chirurgifchen, P. SRarian So Her für bie philöf ophifchen ©tubien. gür 
bie ©pmnafialftubien war ajtinifterialrath Dheol. Dr. ©nbrea* ©oltmaper 
al* gewefener „Director" berfelben Referent. Da* ©tubien* unb Schul* 
wefen ber SRilitärgrenje beforgte ber ©tinifterialrath im Krieg*minijterium 
Karl Sed. 5ür ba* ©olfäfchutwefen war niemanb ba; ba*fetbe blieb oor* 
läufig ben einzelnen ©ubemien unb 2anbe*fteßen $anb in £>anb mit ben 
©ijehöfen überlaffen. Da nun aber auch biefer ©efchäft*$weig Dom äRinifterium 
in bie $anb genommen werben foßte, ^atte man, ich tonte fdjon unter 
geudjterWeben, ben nieberöfterreichifchen Segierung**@ccretär Sfriebrich Sitter 
d. |>entt bem 9Rinifterium einftweilen „augetheilt". ®r war eine poetifch- 
oeranlagte Satur, Äfthetifer, Dichter, SDtufiffenner unb jeigte ein warme* 
§er$ für feine ©chuflehrer, beren öfonomifche ©teflung ja barnal* noch rinc 
erbärmliche war. ©eneral*9?eferent unb ftanjtei^Director war 3ofeph Sllbrecht 
©Wer oon ©ergenftamm. ©r war ber SieWing unb bie ©ertrauen*perfon 
SeudjterWeben'* gewefen, ber ihn, wie früher erwähnt, Dom 3Rinifterial= 
©ecretär, ber ©ergenftamm noch iw 2Rär$ 1848 gewefen, bi* jum ©iinifterial* 
rath erhoben hotte. ©r war ©ureaumamt im orbinärften ©inne be* ©Sorte*, 
Don einer fwh cren Äuffaffung feine ©pur, ber afle* that, Wa* ihm aufge* 
tragen würbe, aber auch nicht* mehr, ©teichwof)! War er nicht ohne aße 
©ilbung, er hotte namentlich Sinn für bie ©efchichte feiner Saterftabt unb 
hat ein ganj nette* ©üchlein gefchrieben „©Sien im 3oh^ 1725" (©traufi’ 
©Sitwe, ¥(. Sommer, 1847). 

Die eigentliche Seele be* äJtinifterium* war ©En er. ®r war, wie wir 
un* erinnern, halb nach ©ilbung be* conftitutioneflen Unterricht**9Rinifterium* 
au* $rag berufen worben, um bemfelben al* „wiffenfchoftlicher ©eirath" $u 
bienen, „eine 3*onie ouf bie gewefene ©tubien^of-ßommiffion", wie ©jner 
felbft meinte, „ber e* etwa* fpät eingefaßen ift, baf* fie al* Seiterin afler 
wiffenfchaftlichen ©ilbung auch wiffenfchaftlicher Kräfte bebarf". ©ein ©er* 
hältni* ju mir war ein folche*, wie ich wir e* nicht beffer wünfehen fonnte, 
obwohl e* mein ©emüth ju Anfang etwa* bebrüdte: er, beffen Schüler ich 
in ©rag gewefen war, $u bem ich noch immer mit einer gewiffen ©hrerbietung 


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592 


3ofepb Freiherr uon jpelfert. 


hinaufblidte, er, ber fe^r gereifte SJtann, ber jefct unter einem fo jungen 
5ant ftanb, mie ich mar! ©leichmohl hat er biefe feine je|ige Stellung mir 
gegenüber nie aufieradjt gelaffen. So fet)r er mir an 3a^ren, an $enntniffen, 
an ©rfaljrung, an ruhigem Urtheil überlegen mar, er fjat fich in feiner 
Stiftung etrnaS h e *auSgenontmen, maS er nicht jubor mir oorgetragen nnb 
moju er nicht meine guftimmung eingeholt batte. 

©leid) nach Sonftitnierung beS SRinifteriumS fanbte mir Spier einen 
(SonceptS-Veamten, Varon Stiefel, ben er Dom SRinifterium beS 3nnern 
„entlehnte, ba mir feinen haben, ben ich anftänbig proburieren fönnte", ein 
jüngeres „ffanäIei*3nbiDibium", 3ofepb Schön bach, „fehr DertäfStidj in ber 
^Manipulation, aberjum ßoncept nicht ju brauchen", nnb einen SlmtSbiener, 
unb ich hatte nun in fi'remfier niein ©räfibial^Vureau. Da übrigens alle* 
in SBien ausgearbeitet mürbe unb baSjenige, maS Don Äremfier aus $u 
beforgen mar, meift ich felbft unmittelbar Derfügte, fo batte Stiefel eigentlich 
meuig $u tbun unb ich beschäftigte ihn bamit, bafS ich ihm neue Vüdjer unb 
©rofdjüren, bie in baS Unterrichtsfach einfchtugen, jum lefen unb ejrcerpieren gab. 

3mifcben mir unb Sjner mar nun ber SSerfehr ein fehr reger. Säglid) 
befam ich einen ©ad Sieten aus SBien, meift Don einem Schreiben Spter’S 
begleitet, morin er mich über alle Vorgänge, Sntmürfe, Vorbereitungen in 
Kenntnis erhielt; bei mistigen Stücfen machte mich Spter brieflich aut 
gemiffe fünfte, bie bei ber Veurtheilung in'S Sluge ju faffen mären, in 
einem furzen Votum aüfmerffam. Säglich gieng Don mir ein ©afet nach 
SBien jurüd, Sieten, bie ich approbiert ober $u benen ich meine Vemerfungeu 
gemacht batte. 

Üaufenbe Stücfe, bereu Srlebigung nicht aufgefchobeit merben tonnte, 
besorgte Spter in SBien felbft unb unterfertigte bie betreffenben Sjpebitioneu. 
Slüe anbereu Steinfchriften mürben nach Sremfier gefehlt, ju meiner obec 
Stabion'S Unterfertigung. Sbenfo fanbte mir @pter alle Don ihm erlebigten 
Stüde jnr nachträglichen ©inficht, in ber erften 3eit felbft einfache ßurrentien, 
um mich mit bem ®ang ber ©efchäfte befannt ju machen unb mich in ber 
Überficht berfelben ju erhalten. 

®S mar bemunberungSmürbig, mie fich biefer SRann ber Satheber, 

dou $auS aus ©elefjrter unb Schriftsteller, in baS Vureaumefen b^ein* 
gefunben hatte. ®r lebte jefct ganj nur in biefem, Dom SRorgen bis in bie 
Stacht; ich benfe, & Wirt ihm i e fcl 3dt übrig, ju feinen geliebten 

Vüchent ju greifen, in beneu er bis noch w>r menigen ötonaten faft auS' 

fchliefeenb gelebt hatte. Dabei fanb er fich iw & en Slngelegenheiten ber 

philofophifchen Sacultäten ebenfo pirecht mie in benen ber theologifchen, 
juribifchen unb mebicinifchen, im UnioerfitätSmefen ebenfo mie in ben ©pmuafial- 


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$)ie grobe UnterricbtS*}Reform. 


59a 


in ben tedjnifdjen, in bcn ®ol(Sfchul*2lngelegenheiten. $ie ®ielfeitig(eit feinet 
SBiffenS, eine gofge ber Sirt unb SBeife, mie bie £erbart'fche s ß^ilofob^ic 
ifyre Slufgaben auffafSte, (am ihm hierbei Dorjüglich auftatten. 

®ine etmaS unbehagliche Stellung hatte ich meinem Vorgänger im 
Slmte gegenüber. SBaS geuchterSleben gemefen, baS mar jefct ich, toa* er je^t 
mar, fonnte ich mieber merben; er hatte meidjen rnüffen, um mir s .ßlafc 511 
machen, auch mich fonnte baS 2oS treffen, einem dritten ®lafc ju machen. 
JeuchterSleben mar nicht Diel über Dierjig Saljre alt. SÜS er Unter^StaatS* 
fecretär im SRinifterium gemorben, hatte er bie einträgliche Stelle als ®ice= 
$irector ber mebicinifchen Stubien jurücfgelegt; jefct (am biefe Stelle nicht 
mieber jur Sefefcung, ba fie in baS neue Stubien^Shftem nicht pafste. Nach* 
bem ihm meine Srnennung befannt gemorben, hatte er an mich ein auS* 
führlicheS Schreiben gerichtet. „3$ habe bie mir gemorbene Slufgabe au 
einer $eit unb unter SSerhältniffen übernommen, mo ein energischer Singriff, 
ein eittfchiebeneS £anbeln unerläfslich mar, menn baS ®ertraueu aller, 
benen bie Neform in biefem $meige beS Staatslebens am $ei^en lag, nicht 
getäufcht merben Sollte"; an mir als feinem Nachfolger merbe es nun fein, 
bie Schritte, bie er unternommen, „entmeber jurüdjuthun ober nnficher meiter 
au führen ober ans 6 nbe ^n treiben". 2)abei bemarb er fich bei Stabion 
unb bei mir um ®ermenbung in unferem SRinifterium. „Sine untergeorbnete 
Stelle in einem SRinifterium, in meinem man eine leitenbe eingenommen hat, 
benimmt ber ®hre unb bem SBirfen nach meinem ©efühle nichts; biefer 
bureaufratifche ©efichtSpunlt follte minbeftenS auS einem conftitutionellen 
SRinifterium gemiefen fein". ®r erbot fich, ba ja bei ber beabfichtigten 
"Reform beS öffentlichen Unterrichtes jeber Smeig beSfelbeu feinen JJfachmanu 
haben merbe, baS Neferat über bie mebicinifchen Stubien 511 übernehmen. 
Slber mar eS unferfeits nicht $u bebenfen, ob man einen SRann in biefe 
Stellung bringen burfte, ber burch feine, menn auch burchauS gerechtfertigten 
SRa&regeln fo Diel Seibenfchaft ermedt, fo Diel £>afS auf fich gefaben hatte? 
SllS eS alfo barauS nichts mürbe, bemarb er fich bei ©tabion als SRinijter 
beS Innern um eine Stelle in bem neu creierten 3Rebicinal*©ollegium; allein 
eS mürben ihm anbere, feineSmegS burchauS tüchtigere, Dorgejogen. So mar ber 
bebauernSmerthe unb gemifs oortreffliche SRann jefct thatfächlich nichts als ein=. 

racher 3)octor StRebicinae, ber fich eigentlich nie mit ber ®rajiS abgegeben hatte. 

* * 

* 

SöaS nunmehr juerft gefcheheu mufSte, mar eine ^Regelung beS äRinifteriumS, 
gana befonberS im ®erfonalftanbe: für baS Diele unb mistige, maS in allen 
3meigen beS öffentlichen Unterrichtes in Singriff genommen merben follte, 
reichten bie bisherigen ^Referate offenbar nicht auS. 

Tie ffultur. 111 . 3ahtß. 8. ( 1902 .) 38 


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594 


3ofepb greiberv von Jpclfcvt. 


8 lm 7. $ecember fc^tc ©ergenftamm einen ©lan „$ur {Reform be« 
Unterricbt«*3Rinifterium«" auf, melden ©per mit feinen eigenen ©orfeblägen be^ 
gleitete unb mir nach ßremfier fanbte. ©ei ber früheren f. !. ©tubien^ 
$of * ©ommiffion Ratten möcbentlicb ober üier^ebntägig gemeinicbaftlicbc 
Sifeungen ftattgefunben, ma« ber Sache nicht öiet nüfcte, ba ja boeb nur ber 
gaebreferent ba« entfebeibenbe ©utaebten abgeben fonnte; auch trug e« gemif« 
nicht pr ©efcbleunigung ber ®efcbäft«bebanblung bei. ©tabion batte bei ben 
©ubernien unb 2anbe«fteIIen bie ®remial*©eratbung abgefebafft; jeher {Referent 
füllte für fein befonbere« gad) bem Statthalter üerantmortlicb fein; «richtigere 
©egenftänbe füllte ber Referent üor beren ©earbeitung bem Statthalter üor* 
tragen unb mit biefem befpreeben. ©ine folcbe ©inriebtung feblug nun 
©ergenftamm auch für ba« Unterricbt«'aRinifterium üor, ma« genehmigt mürbe. 

{Run bie {Referate. ®ie ©hef« ber einzelnen ©ureau« füllten, mie 
©ergenftamm meinte, nur bie laufenben ©efebäfte beforgen, . meü bieie 
ihre 3eit fo fehr in 91nfprucb nähmen, baf« man üon ihnen nicht forbern 
fönne, ficb auch mit ber {Reform ihre« 3meige« befchäftigen; leptere fei 
Sache be« eigen« für bie {Refornt=grage berufenen {Referenten. ©jrner bin r 
gegen meinte, bie ^auptfadje fei, baf« für jeben ^eig be« öffentlichen 
Unterricbt«meien« ein tüchtiger 3Rann gefunben merbe, meil hierin allein bic 
©ürgfebaft liege, „baf« bie ©efebäfte nicht mie früher ju einer meebanifeben 
Öaubhabung ber beftehenben ©orfebriften, ohne ©inbringen in ben ©eift unb 
ohne Streben, biefen ©eijt felbft p üerbeffern, herabfinfen"; habe bann ßbc 
Vlbtheilung einen bemäbrten gacbmann al« {Referenten, bann fei biefer unb 
fein anberer berufen, bie jeitgemäfee Umgeftaltung feine« ©ebiete« in bie 
£)anb p nehmen. $a« mar gan^ richtig: menn aber ©per meiter meinte, 
bann fei ber bi«berige {Referent für bie {Reorganifation, alfo er felber, über* 
flüffig, fo mar er im Unrecht. $enn e« beburfte über ben {Referenten in ben 
einzelnen Unterricbt«ämeigen eine« 3Ranne«, ber ba« ©attje ber ©tubienreform 
in föänben hatte unb bafür forgte, baf« bie unerläßliche Harmonie, ber 
gegenfeitige Bufammenhang unb bie gegenfeitigen ©epfjungen ber üerfebiebenen 
Unter ricbt«$meige gemährt blieben. 911« gacb*{Referenten füllten jene für bie 
Unioerfität«*gacultäten bleiben; p biefen fämen aber h^u: einer für ba« 
©pmnafialmefeit, einer für bie Solf«fcbulen, einer für bie teebnifeben 2ebr= 
auftalten, SRealfchulen, gorft* unb anbere Specialjcbulen, alfo, mit Jpinp* 
reebnung be« ©eneralien* unb Saitjlei={Referenten, ftatt ber bi«berigen fünf 
gacb s 9teferenten nunmehr acht. 

gür bie {Reorganifation ber ©pmnafien hatte ©per, mie mir miffen, 
feit langem Hermann ©onip in 91u«ficbt genommen, hatte auch mit ihm 
unter geucbter«leben'« Sigibe bereit« angefnüpft. Unter bem neuen aRinifterium 


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3)ie große Unterrichts ^Reform. 


595 


tarn (Spter auf bicfcn Sorfcßlag juriicf unb fcßrieb, nacßbem er bie ©rmäcßtigung 
t>aju erhalten, gleich ant 28. 9tobember au Sonifc mit ber Slufforberung, 
ficß nunmehr enbgiltig $u erflären. @S mar nicßt geplant, ißn bem äRinifterium 
einauoerlcibeit, fonbern ibm eine Seßrfanael an ber SBiener Uniberfität ju 
berleißcn unb ißn in biefer Stellung für bie Umgeftaltung ber ©pmnafien, 
mie fie im DrganiiatiouSs®ntmurfe geplant mar, ju bermenben. 

gür bie SReorganifation ber Uniberfitäten, unb inSbefonbere ber juribifcß* 
Politiken gacultäten, braute (Spier beit ©rofeffor am I^erefianum ®r. ©buarb 
‘Jomafcßef in Sorfcßlag. lomafcßef mar früher ©rofeffor an ber Öemberger 
Uniberfität gemefen unb batte bort ein gutes 2lnbenfen binterlaffen. 6 r mar 
^ugleicß 3Rit'$erauSgeber ber bon bem gefeierten ©rofeffor granj ffiagner 
begrünbeten „Öfterreicßifcßen ^itfeßrift für SRecßtS* unb ©taatSmiffenfcßaft", im 
©anjeit ein 9Rann, bon bem ficb jmedntäßige Sorfcßläge ermarten ließen. 
Dieben ^omafeßef mar © t u b e n r a u cb, gleichfalls ©rofeffor am Iberefianum, 
eine beacßtenSmerthe Straft, fomobl als Sebrer mie als ©cbriftfteller in feinem 
gaeße; er follte an bie SBieuer Uniberfität gezogen merben. gür bie 
IReorganifatiort ber jnribifcß*politifcßen SBiffeufcßaften mar mir bie ©efannt= 
febaft bon großem s Jtupen, bie icb im $ecember in Kremfier mit ©rofeffor 
3>r. 3 ofepb ©öjl aus äRüncßen maeßte. ®r mar jugleicß Sbgeorbneter im 
granffurter Parlament unb mit Slbolf ©aur aus SlugSburg als SReicßS* 
©ommiffär in Slngelegenbeit beS SerfaßrenS mit Robert Slum naeß Öfterreicß 
gefeßiett morben. ©r maeßte mieß mit ber ©inrießtung ber ftaatSmiffenfcßaft= 
ließen ober cameraliftifcßeu gacultät belannt, bie an einigen beutfcßeit 
Uniberfitäten jmifeßen ber juribifcßen unb mebicinifcßen beftaub, unb berfprad) 
mir, menn er naeß granffurt pirücfgefeßrt fein merbe, näßereS hierüber mit* 
pitßeilen. 6 r ßielt feine 3uiage unb fanbte mir einen fiectionSfatalog ber 
$Riincßeuer Uniberfität, bie eine folcße gacultät befaß; es beftanbeit an ißr 
fünf orbentlicße unb jmei außerorbentlicße ©rofeffuren: für ginan^funbe, für 
^olijei^SBiffenfcßaft, für 9?ationalöfonomie, für Statiftif, für Saitb* unb 
gorftmirtfeßaft, für .panbelsmiffenfcßaft, für ©emerbefunbe, für ©eograpßie 
unb ©etrefactenfunbe 2 c. 

®ie Durchführung ber Reform beS UnterricßtSmefenS fonnte nießt 
allein bom ©entrum auSgeßen, namentlich maS bie Solfsfcßule unb bie 
aWittelfcßulen betraf, unb eS mar barum meiter nötßig, aueß in ben einzelnen 
Königreichen unb Sänbern gacßmäniter pi befteHen, mäßrenb biefe ©efcßäfte 
bisßer einfach in ben SureauS ber fianbeSftcfle erlebigt mürben. Das füßrte 
*u ber ©cßaffung berSaubeSfcßulrätße. ©olcße gab eS bereits in ©rag unb 
in fientberg, fie maren aber mäßrenb ber ftürmifeßen Seit in gan$ ungehöriger 
SBeife ptftanbe gefommen; meniger ber faeßmännifeße Seruf als bie politifeße 

38* 


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r>96 


3ofepß Sreißerr von geifert. 


»tießtung ßatten bei ber Söaßl ber einzelnen aJtänner bcu Aumfcßfag gegeben. 
„Der Sanbemfcßulratß", wie ©jrner fieß bie ©aeße backte, „mufm fünftift 
eine ©eßörbe fein, wie bam ©uberitium ober bie ©ameraU©erwaltung; er 
foll etwa aum brei Snbivibuen befteßen, jebenfaßm einem für bie ©offmfcßule, 
einem für bie ©pmnafien unb aitbere SJiittelfcßuIen; em foß ißm geftattet 
fein, gelegenßeitlicß anbere Sacßmäitner in verftärfter Anjaßl beließen.“ 
©nbfieß erfeßien em notßweubig, auch für bie ©ubliciftif ju forgen. 
Xam Unterricßtmwefen follte von unten bim ßinauf auf neue ©runblageu 
gefteflt werben, nnb bam roar ein fo großartigem SBerf, bafm man bebaebt 
fein mufmte, bam publicum in forttväbrenber Sfemttnim beffen, wam im ©ange 
mar, 51 t erbalten unb bam Sntereffe bemfelben bafür ju gewinnen. ©m tvar 
bam namentlich @ta bi on'm Säunfcß, unb in biefern Sinne fd^rieb icb fcboti 
am 27. November an ©jener: em foßte bafür ein eigener 9Kann gewonnen 
werben, „bamit ©ie bnreb bie äWaffe ntinber wichtiger laufenber ©ejcßäfte 
nicht abgeßalten werben, Sßre gan$e X^ätigfeit ben größeren umfaffenben 
Arbeiten unb ber ßeitung bem ©attjeit jujnwenben." 3 n ber Ißat unternahm 
cm ©jener, einige jüngere äRänner ßeran$uäießen, bie ficb bereitm in ber 
^ournaliftif verfueßt bitten ober von benen er voraumfeßte, bafm fie, von 
ißm gehörig inftrniert unb informiert, ben richtigen Ion treffen würben, 
©r baeßte babei au Ir. Stöbert $i mm ermann, ber barnaim an ber 
Wiener Sternwarte vermenbet würbe, aber alm aumgefproeßener ©oljanift 
meßr ju ben pßilofopßifcßen ©tubieit ßinueigte; an ©rofeffor ©eßmibt* 
© 0 e b e I, meinen früheren ©oßegen in Strafau, ber nun bureß bie ©utlaffung 
ber „beutfeßen" ©rofefforen um fein ©rot gefommen war; an $errn v. ©eitp, 
einen natürlichen ©oßn bem berühmten ©ubliciften. A(m icß bieje Starnen 
(am, ftieg in mir bie ©eforguim auf, bafm fieß in folcßen £änbcu ber 
Srantfurtiauimmum breit maeßen würbe; boeß ©per antwortete: „SWeinc 
Siberalen Werben nießt ultra*beutfeß fcßreibeit, bafür werbe icß forgen; eßer 
füreßte icß, fie feßreiben gar nießt. ©im ßeute wenigftenm ßabe icß feine 
$eile gefeßen. gorbere man von ben Seuten ßingeßen auf einen fpecieflen 
©egeuftanb, nießt b(om aßgemeine fragen, unb fie ßaben Weber 3 eit noeß 
üuft . 41 ©0 war em in ber Ißat; bam, wam Wir im Unterricßtmrninifterium 
vorßatten, war ben Seutcßen fremb, nnb wenn ©jener einen beleßrenben Artifel 
ßaben Woßte, wie er ißn baeßte unb Woßte, rnufmte er ißn meift felbft feßreiben. 

Aucß bie ©egriinbung einer Schulleitung fam in Srage; oßne eine 
folcße, meinte ©jener, (affen fieß nacßßa(tige Umgeftaltungen nießt benfen; 
bie .ßeitfeßrift rnüfmte mit ber Steform gleicßen ©cßritt halten, fie einleiten, 
förbern unb befeftigeu; bie Stage fei nur, wie vie( ber SRinifter barauf 
verwenben woße: „©iiügem wirb woß( bureß Abonnenten eingeßen, boeß auf 


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Die große Unterrichts Reform. 


597 


oiel ift niept ju regnen, eine ®hmnaftal*,3eitfchrift put ein fleitteS publicum, 
eine Schulleitung ein fe^r armes." 

3 n ftremfier ftetlte fiep mir gegen ©nbe Stooember Slbolf Stitter oon 
2BolfSfron oor, ber bis zum 4. December blieb unb mit bem ich in biefer 
^eit faft täglich beifammen mar. ©r mar 3lmtS*©ontrolor bei ber ©rünner 
f. f. £otto*Direction, einem ©often, ben er um beS lieben ©rotes mitten oerfap. 
Denn er mar ein Wann non fcpäfcenSmerten Senntniffen, oott Siebe für 
©efepiepte, SHtertpum uub Sunft, auch Schriftftefler auf biefem ©ebiete. 
Unter anberm ^atte er einen „offenen ©rief" über bie $uftänbe ß er ©jener 
UnioerfitätS*©ibtiothef gefeprieben, megen beffen ihn ber ©ibliothefar Sranz 
Sechner ber Denunciation befcpulbigte, unb nun lagen fich bie beibett 
©eiehrten coram populo litterarifch in ben paaren. SBolfSfron'S $erjettS^ 
mnnfeh n>ur, int UnterricptSminifterium angeftettt unb baburep, mie er mir 
Schrieb, „oon einer oerfehlten SebenSbahit auf bie rechte gebracht 51 t 
merben." Sch theilte bieS ©per mit, bev mir antmortete: „3fcp habe über 
SBolfSfron fein Urteil, ich erlaube mir nur 51 t bemerfen, bafS mir Wänner 
brauchen, bie fogieich an ben Arbeiten theilnebmeu fönnen, nicht folche, 
bie erft Wonate brauchen, um fich 5 U orientieren." 

giir „BeitungS* unb ©üeper^orftubien" fcplug ©per ben Sofeph 
Wozart oor. Wozart mar „öfficial" im Winifterium beS dufteren, patte 
aber menig 51 t thun, „Danf bem Schienbrian," mie mir ©per fchrieb, „ber 
bort ganz nichtige Sucapacitäten heroorhebt unb einen mahrhaft ausgezeichneten 
ftopf feiern läfSt, meil er fich fehlet repräfentiert unb nirgenbS oorbrängt." 
Unter ben „nichtigen ^ncapacitäten" meinte ©per ben SegationSrath |>übner. 
Der oerftanb eS aflerbingS trefflich, fiep geltenb unb bemerfbar ju machen 
unb mar ganz ber SRnnn ber glatten 9Waniereu unb ber glatten Siebe, mie 
ihn bie Diplomatie braucht; babei mar er aber nichts meniger als eine 
„3ncapacität", fonbern ein Wann oon Seift, oon Senntniffen unb einer 
nicht geringen ©elefenheit. Wozart mar in feiner ©rfcheinung unb feinem 
äufcereu Söefeit baS gerabe ©egeutheil oon £übner: (infifch unb eefig, über* 
haupt ein Sonberling, ber oon SRepräfentation feinen Dunft h a ^te. Dabei 
mar Wozart oon einer phänomenalen £>äfSlicpfeit; über fein Säbeln, baS 
ihn noch niepr entftettte, meil er bie üorberen 3 üpne faft alle oerloren putte, 
erlaubte ich mir ben 33ßip: er hübe gleich ber Seit nur einen ^apn. Doch 
biefe unfepöne Schale barg einen foftbaren Sern. Wozart befafc reiche 
Spracpfenntniffe unb mar überhaupt ein Wann oon allgemeiner unb oor* 
Züglicp claffifcper ©ilbung, ein ppilofoppifcper ©eift, ber fich i>on ©per 
ungezogen fühlte mie biefer oon ihm. 3ni ganzen mar Wozart mehr zum 
gelehrten ©vitbler als zum praftifchen ©efchäftSmann geschaffen; boep in 


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598 


gofeph greifen: von geifert. 


einem äRinifteriunt, bei bem es luefeittlid^ mit ber pflege nnb görberuttg. 
ber SBiffenfchafteit ju thun gab, hat er fid^ binnen furjer grift eingearbeitet 
unb ift ein fehr brauchbarer Seamter gemorben, ber bem Staate treffliche 
Dienfte leiftete. Da 9Jio$art mit ber italienifchen Sprache unb Sitteratur 
oertraut mar, fo liefe er fich für baS Stubium im lombarbo^oenetiauifcheu 
Königreiche fehr gut braunen. Sorläufig mürbe er aber blofe in aufeerorbentliche 
Sermenbung genommen, fo bafS er neben feiner Sefcfeäftigung im auSmärtigeu 
kirnte eine Stemuneration bejog. 

* 

* * 

An Semerbungen um Sermenbung im Unterrichtsfach fehlte eS, mie 
fich begreifen läfSt, burchauS nicht, unb ich mürbe üom erften Augenblicfe, 
ba meine Ernennung befannt gemorben, mit Sitten, Anerbietungen, Sor~ 
fchlägen beftiirmt. s Jtoch beoor biefc förmlich ausgesprochen mar, tarn mir 
ein Schreiben grauj gfibor $rofd)fo’d ju, ben ich aus meinen Stubieu 
her fannte. Er hatte früh begonnen, fich auf ichriftftellerifehern ©ebiete $u 
oerfuchen, eines feiner Dramen, baS in Sibirien fpielte, mar in ®rag 0011 
Dilettanten gefpielt morben. Sr mar jefct Soli^ei^Eommiffär in Sinj, bodj 
feine Steigung jog ihn jitm Sehrfache, er mänfefete eine Stelle am ©pmitafium, 
momöglich in ben £umanitätSclaffen. P. Abalbert Kune£, Srämonftratenfer 
oon Depl, am Srager $iariften*©hmnafium mein 9Witfchüler, jefct jmeiter 
Affiftent ber ffiiener Sternmarte, miinfehte Serfefcung nach Srag, „ba ber 
Sau ber neuen Sternmarte bereits bemiüigt" fei unb baher bie oerntehrtc 
Arbeit bie Seifteflung einer ^pilfsfraft nothmenbig machen merbe.*> 
Dh*ot.*Dr. Johann gabian, jefct Srofeffor in Saljburg, münfehte gleich* 
falls bie Serfefcung nach Srag, unb baS gleiche erbat fich Sh^ s ® r - Boren* 
©abriel, Srofeffor in ©ras, „um beit hoffnungSdoüeit Söhnen meines 
SaterlanbeS als philofophifcher Süprer $u bienen." Srofeffor Johann Ehlupp 
in Semberg bat um ©ehaltsoorrüdung: mein feliger Sater, fein „hoch* 
oerehrter greunb unb ©önner," habe ihm $ur Sehrfanjet oerholfett unb er 
hoffe nun, ber Sohn merbe bie SöiHfährigfeit beS SaterS auf ihn übev= 
tragen. Einen her^erreifeenben Srief erhielt ich Oon grau äJtathilbe Saufofcft): 
ihr SKaun, mein grettnb unb Stubiengenoffe, an einem @t}mitafium im 
Senetianifchen angefteüt, jefct mit Urlaub in Srag, moüe nach gtalien 
jurüeffehren, „mo jefct noch ®neg ift^" ltub fie mit ben Kinbern in Srag 
juritdlaffen; ihre Sage fei fchrecflich, unb fie bejehmöre mich, ihm einen Soften 
außerhalb gtalienS ju derfchaffeit. SWattche ber Sittfteller ftedten fich hinter 
irgenb einen mir nahefteljenben Srotector; mie mir SRubolf Sreftel oom 

*) Setanntlich ift biefe SeioiUiguitg bis heute nicht realiftert morben; ber pro- 
jcctierte Neubau follte, roenn ich mich recht erinnere, auf bie ÜJtarienfchan$e fommen. 


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Tie grofee Unterricht* 5 9tefarm. 


599 


fflünifter Krau* bringenb empfohlen mürbe, fo empfahlen mir ©ruef bcu 
s JJteb.*Tr. ©reuniitg, „ben au*ge$eichnetften 3ögling Tiefenbach'* ", mein 
9teich*tag*s®olIega Tr. geifalif einen fran*öfifchen Sprachlehrer am 
Srümter ©pmitafium, JRr. 9luguft (Snarb k. *c. Unb ba* atte^ in ben erften 
©Jochen meiner ©mtierung, in ber ich wich falbft wft 5 urec h* b n P^ben hotte! 

Sluch befangen mürbe ich bereit*! Ter Dlmüfcer 2 ehramt**©anbibat 
3t. äöolf mar am 3 . September t>om SRinifterium jum Supplenten ber 
böhmifchen 2 ehrfan§el an ber bortigen philofophüchen gacultät berufen morben. 
Tie ©rofefforen hatten fan, mie er nachberhanb erfahren, nicht borgefchlogen, 
ja £>anu* unb ^jelcelet fogar eine ©ermahrung gegen biefe (Ernennung, meil 
fie ohne (Einbernehmung ber gacultät erfolgt mar, eingereicht. SBotf legte 
be*hofb feine (Ernennung 5 urücf, ba e* nicht feine Slbfidjt fein fönne, fich 
in eine Körperfdjaft ohne bereit 3 u fammung ein$ubrängen „unb ich e ' ne 
Stellung $u erlangen ftrebe, in ber ich in Trieben unb Harmonie mit jeher* 
mann bie Silbung ber gugenb förbern fann". (Er bat um eine Humanität** 
lehrerftelle in ©riinn unb legte, um ©roben feiner Befähigung $u geben, ein 
©ebicht in lateinifcher unb eine* in griechischer Sprache oor, beibe 511 meinem 
©rei* unb Sob oon ihm felbft oerfaf*t. 

(E* maren aber auch jofehe, bie gerabeju einen ©often im 
Unterrichtäminifterium felbft anftrebten, unb bie menigften maren fo ehrlich, 
einjugeftehen, baf* e* ihnen nur barum ju faun fei, ©rot ober beffere* 
©rot $u befommen; bie meiften berfaherten, fie thäteu ihren Schritt 
au* reinem gntereffe für bie Sache. Tenn ba* Uuterricht*mefen unb 
bie ©olitif haben ba* miteinanber gemein, baf* jeher fein SBörtchen mit* 
iprechen ju fönnen glaubt. SBer nur felbft feine Schulen mit leiblichem 
(Erfolge burefaaufen hot, meint barum bie Befähigung ju hoben, on* ^ u ^ er 
treten ober boch mitarbeiten $u tönnen. Ta bcrfpürte ber eine einen „unmiber* 
ftehlichcn Trang $u rnirfen" unb glaubte biefen nirgenb* beffer al* im 
Unterricht**9Rinifterium fallen $u tönnen, „oorberhanb unentgeltlich ohne 
allen 9tang unb Titel". (Ein anberer hotte längft ^freiere ©ebanten" über 
3?eorganifierung be* Sanität*mefen*, über ©egenftänbe ber 2 anbe*tultur ober 
auf bem ©ebiete ber Kunft unb meinte, biefen ©ebanten am beften in ber 
betreffenben ©btheilung be* Unterricht**9Rinifterium* ©eltitng beridfaffen ju 
tönnen. Sin britter hotte „einen ooOftänbigen (Erjiehung*plan üon ber ©eburt 
be* Kinbe* bi* $u ben gacultät*ftubien, biefe ejclufioe, nach ollen feinen 
©er$meigungen entmorfen"; mie fönnte er biefen beffer realifieren, al* burch 
feine ©ermenbuitg im Unterricht*s3Rinifterium ?! Unb merfmürbigermeife, bie 
meiften folget meltoerbeffernber ober nrnmäljenber ©läne hotten ganj junge 
2eute, bie felbft faum erft etn paar Schritte in* praftifdje 2 ebcn gemacht 


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m) 


^ofeph Freiherr oon geifert. 


patten. s 2luch mein alter Sreunb P. Sttpanafiu« ©ernparb melbete fiep bei 
mir, aber nicpt, um für fiep ober für anbere etma« zu erbitten. ®er minifterielle 
©ntmurf über bie SReorganifation be« Unterricptsmefen« befriebigte ipit gar 
nicpt. Multa sed non multum enthalte er unb ba« «unicum necessarium» 
fei faft üergeffen. @r beforgte, „baf« unfer Unterricht in ähnlicher SBeife mie 
in 3rantreicp au«arte unb auf biejem SBege einen ,@eifterfturm herauf* 
befcpmören merbe, ber bie eble unb nocp unoerborbene fttaft unjerer SSötfer 
oernicpten miif«te. (Glauben Sie mir," fitpr er fort, „nicpt fomopl SBiffen* 
fcpaft unb allerlei Äenntniffe bebarf ein freiem Solf al« oielmepr ausgezeichnete 
ßparaftere unb ©erecptigfeitSliebe; biefe aber murmeln zulefct immer nur in 
ber Steligiofität, im ©lauben, unb mer biefe ©runbfäulen aller politifcpeu 
greipeit auf ben jefct lanbläufigen oagen EumaniSmu«, ober beutlicper, auf 
ben mobernen 3nbifferenti«mu« grünbeu miü, ber bauet auf ©anb unb grabt 
ber greipeit, meiner Überzeugung nach, ba« ©rab." 

9lucp au« grauffurt a. SW. erhielt ich ein Schreiben. 3Jtein greunb 
5)r. Smil SRöfcler unb mein ehemaliger Srafauer Kollege SWafomiczta 
maren SWitglieber ber bortigen *Wational*®erfammlitng. SWafomiczfa mar, trofc 
feinet uvjlaoifcpen Flamen«, ein üerbiffener $eutfcper, bem aQed ©laoifcpe in 
bie Seele jumiber mar. Slucp SRöftler mar oon beutfcper ©efinnung unb 
ben lenbenjen feiner flaoifcpett SanbSleute nichts meniger als gemogen: 
aber er fümmerte fiep im ©runbe nicht oiel um politif, er ftecfte auch 
in granffurt lieber in ©itcperu unb Urfunben. ©0 gerietben beibe in 
bie ?tepe ber ftaifer*Preufcen, au« benen fie fiep nicht mieber loSreiben 
tonnten. Öfterreich mar ihnen jefct nur ein 9lnpängfel oon $eutfcptanb, nach 
biefem füllte eS fiep richten, oon granffurt foüte eS jeine SBeifungen erhalten 
unb befolgen. SRöfcler pieng mit einer rührenbeit ^ärtlicpfcit an feiner Heimat 
— er mar au« Sriij: in ©Öhmen — unb erapfanb bie« jept in ber grembe 
nur um fo tiefer. @r oerfolgte alle«, ma« fich in Öfterreich zutrug, mit 
marmem 3utereffe. „9Rit melcher Spannung mir unferem ©aterlanbe fern* 
fteheitbe Wbgcorbnete jeber .ßeitungSnacpricpt entgegenfehen, bie nn« au« unferer 
Öeimat Sdtnbe bringt, ift mopl erflärbar. 3Rit ber Sntfernung mächft bie 
Siebe für ben Oaterlänbifcheit ©oben unb oergröfeent fich bie Sorgen um 
ba« 2Bopl unb 28epe be« fianbe«. 9tur mit. ©angen febe ich ber 3utunft 
entgegen." 6« erfolgte bie Einrichtung SRobert ©lum’«, momit SBinbifcp®räp 
bem beutfehen Parlamente ben Trieben fünbigte; eS erfchien ba« Programm 
Schwarzenberg - ©tabion, ba« ben fä'aiferftaat unabhängig oon Seutfcplanb 
auf feine eigenen ©eine fteflt, nitb nun tonnte fich greunb SRöfjler oor ©e- 
ftürjung nicht faffeii: „XaS finb ©rfepeinungen", fchrieb er mir, „bie alle« 
übertreffen, ma« mir hoch immer beflagten". fRöfjler fah mit ber mieber ge* 


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601 


3ofepb greifterr oon geifert. $)ie gro&e UnterricfttS^eform. 

wpnneneu Straft ber ^Regierung bic alte ginfterniS über Öfterreich herein 5 
brechen unb- befdjtoor mich, ba$u nicht bie £anb $u bieten. „fiannft bu mir 
ernftlich fagen, baf^ ein anbereS geiftigeö Seben in Schule nnb frnuS er^ 
ftehen foü? 'SafS jene Sfluft, bie, angeblich nur burdj Stetternich gefdjaffen, 
linier Streben hemmte unb eS nicht jur ©lüthe fommen lieft, auSgefüüt 
werben fotl ? s Jlocft einer freieren Serfaffung ber Uniüerfität ftrebten wir ja 
im ftiflen äße mit füfter 3 nbrunft, wir felbft gefneeftteten, einer befferen 
güljrung wert! Steurer geifert, lebe ferner biefen gbeen, bie bu ja früher 
felbft gebilligt haft!" ©r feftilberte mir mit grellen garben bie $eit, „wo 
wilbe gluten über ben 2lder ftinbroufen, ben ber Sämann für fiinftige geiftige 
grueftt bereiten foll; wo Sturm unb Söcttcr ben SKüdblid unb bie SorauS^ 
ficht trüben; Wo ber ©oben fdjwanft, ber ©oben, auf bem man feft unb 
unerfcfiütterlicft ftehen foflte! $aS foü eine Aufgabe fein für einen noch jungen 
©tarnt? ©in alter Staatsmann würbe fie faum 51t erfüllen wagen! 3a, 
föuute ein SegenSwunfcf) eines deiner älteften unb treueften gveunbe ®ir 
bie Aufgabe erleichtern! könnte ber SBunfcft gliihenbfter ©aterlanbsliebe eines 
für bie ©röfte unb ©lüthe geiftiger fträfte tief begeifterten ÖfterreidjerS baS 
3iel ber Söfung deines ©erufeS näher rüden! ©on Schmeichlern, Schürfen 
unb Höflingen", fo fdjlofS 9töftler feine ©tahnung, „bift $u gewifs umgeben, 
aber eine Sprache, wie bie meinige, ift jutoeileu Wie frifcheS Queüwaffer, 
baS für ben ©tagen befonberS am ©Jörgen fehr gefunb ift". 3<h tonnte nicht 
fogleich antworten; er feftrieb mir ein ^weites*, britteSmal: „$u haft fein 
SBort beS IrofteS für mich, $u, ber ntir gemifS offene ©rflärungen 
geben fönnteft?!" ©nblich fanb ich 3 ?it 51 t einem längeren ©riefe, aus welchem 
er erjehen fonnte, bafS meine Slnjchauuugen fich nicht geänbert hatten. 6 r 
banfte mir begliidt unb erfreut. Seine ©eforgniS, WaS bie ©eftaltung beS Unter* 
lichtes in Öfterreid) betraf, foüte fich nicht erfiiüen; im ©egentheil, als er 
einige 3 ah*e fpäter SBien befuchte, brüdte er mir feine ©ewunberung aus. 
©r wäre nun gern nach Öfterreich jurüdgefommen; aber feine politifche 
Haltung in granffurt hatte ihm ben SBeg baftin uerfperrt. Unfer junge 
ttaifer woüte 001t ben oier Öfterreichern, bic für baS preuftifche Erbfaifer* 
thum geftimmt hatten, ein für aüemal nichts wiffen. ©öftler fanb in ‘J'eutfch 5 
lanb eine befcheibene, aber anftänbige Steüung, er führte ein geliebtes SBeib 
heim — aber baS Heimweh überwanb er nicht, ©ine tiefe Schwermut!) he 
mächtigte fich feiner immer mehr, unb fo oerlieft er eines lageS fein |>auS 
unb fehlte nicht mehr jurüd; im nahen SEBalbe fanb man iftn erhängt. 


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Bischof (Uilbelm Kettelet 

Bon Cfiomae H)*l|0f*r (t). 

I. 

^frine einjigbafteßenbe ©rfcßeinung in ber SEBeltgefchichte ift e*, roie bie 
fat^oUfd^e Sirene e* üerftanben hot, nicht nur allen ftulturfactoren, 
auf bie fie im Saufe ber gahrhunberte geftoßen ift, fich ohne Aufgabe be* 
eigenen SBefen* anjupaffen uttb ihnen gerecht ju toerben, fonbern auch bie* 
felben in fich aufjunehmen itnb fie jn oevebelu. 3)ie Slirche (S^rifti ift nicht bei 
ben guben fielen geblieben, beneu ja juerft bie Srot>botfchaft galt; ba* 
.peflenenthum unb ba* Stömerthum, toie fdjließlich ba* ©ermanenthum hoben 
eine neue Auferftehung burch ©hnftu* gefeiert, unb auch bie beibett größten 
geiftigen ©etocgitngen be* SWittelalter* unb ber begimtenben SReujeit, ber 
Ariftoteli*mu* be* breijehnten unb ber $umani*mu* be* fechjehnten 3ahr* 
ßunbert* fanben bei ber Sircße mohlmotlenbe* ©erftänbni* unb roeitefte* 
©ntgegenfommen. ®* ift alfo eigentlich felbftnerftänblich, baf* auch bie fociale 
Strömung be* neunjehnteu gaprhunbert* üon ber Kirche nicht überfeinen 
iperben tonnte. $eute gilt bied fchon al* tmHeubete Jhotiacße, ba bie Äirche 
bereite burch Seo XIII. officiell bie fociale grage in ihren ©ereid) gezogen 
hat. Aber barnm finb bie einjelnen Schritte, burch bi* fich eine jolcße 
Annäherung allmählich öolljogen hot, hoppelt intereffant. 

©rincipiell unb in großem 9Raßftabe ift biefe Annäherung juerft 
burch einen beutfehen ©ifcßof erfolgt, burch ben ÜRainjer Dberhirten 
Wilhelm Zettel er. 

3Bof)i hoben fich um einjelne gingen focialer v Jtatur fchon oor ihm 
mehrere anberc toeitblidenbe SRänner hoh^ ©erbienfte enoorbeu; e* fei h^ 1 ’ 
nur au ben maderen ©efellenoater SJolping erinnert. Allein biefe unb ähnliche 
©erfuche mufften naturgemäß auf ein engere* ©ebiet befeßräntt bleiben unb 
moHteti auch nicht* anbere*. 6rft Setteler hot mit eminent praftifchem ©lid 
unb mit ber Autorität be* ©ifchof* biefe einjelnen Sorarbeiten auf eine 
aßumfaffenbe großartige Safi* geftellt, toenn er auch bie Au*führung bc* 
©ebäube*, ju bem er ben ©runb gelegt, ber 3utunft überlaffen muf*te, 
toeil eine folcße Arbeit eben bie Shaft eine* einjelnen äRenfdjen überfteigt. 


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©ifchof Wilhelm Äettelcr. 


603 


3ebenfall3 ift Sfetteler’S SBcrf ein jo bebeutfameä, baf$ oielleicht bie ©efchichte 
ipäterer Seiten, wenn bie fociafc grage unferer läge ihre Antwort gefuttben 
hoben unb jebermann non ihrer eminenten ©ebeutung burchbrungen fein wirb, 
ben SJiainjer ©ifchof alä einen ber für bie ftulturgefchichte beä 19. 3aßr* 
bunbertd bebeutenbften fatfyolifdjen Dberhirten feiern wirb. 

SBenit e3 fidj borura hanbelt, Äetteler'S ©ebeutung als focialer ©ifchof 
mit einigen wenigen 3 ügen 5 U jchilbern, jo tommt baS, wa£ man jonft oon 
ihm in ber Öffentttdjteü weiß unb woran ^eute jeber beim SluSfprechen be$ 
Samens Setteler junächft benfen bürfte, in feiner SBeife in ©etracht. 5)ie 
©efchühtSwiffenfchaft hat ja nicht bie Aufgabe, bie einjelnen Jpanblungen 
eines einzelnen 9WanneS ber Steife nach aufjujählen, unb wenn fie aud) 
biefe (Sinjelt^aten pflichtgemäß regiftriert, fo fomrnt für bie ^iftorifc^e 
©ebeutung einer ©erfönlicßfeit hoch bloß baSjenige in grage, worin biefelbc 
ber 9Q?itwelt neue ©ahnen gewiejen unb auf bie Fachwelt maßgebenben 
©influfS gewonnen hat. Sängft h' ntcr wnS liegt bie ^eit, ba man fieß bie 
©efeßiehte als eine Summe twu auSwenbig ju lernenben 3ahre£$ahfen fammt 
ben 5 U biefen 3 a hkn gehörigen „4>aupt* unb StaatSactioneu" baeßte. SBenu 
man fieß baher in ben Siebziger 3aßren über ftctteler’S Spaltung auf bem 
oaticanifchen ©oncil unb über feine bemüthige Unterwerfung unter beffen 
©ejcßlüffe lebhaft unterhielt ober wenn ttetteler eine 3 ?itfang eine wichtige 
politifche Solle fpielte, fo finb biefe ©tappen feinet Sebent hoch nur oon 
recht ephemerer ©ebeutung gegenüber feinen unfterblichen Scrbienften um bie 
fociole grage. 

gür bie ©efammtbeurtheilung Sletteler'S ift biejer ©^fichtSpunft uoit 
heroorragenber Xragweite. 3Mit Stecht legt bie moberne ©efehichtswiffenfehaft 
auf ben ©ßarafter eines SJtanneS ben größten Sacßbrucf; benn nur auf 
genauer pfpchologifcßer ©runblage finb wir imftanbe, ein witftich getreues 
unb hoher ^iftorifd^e^ ©ilb einer ©erfönlidjfeit unb ihre# SBirfenS 31 t 
gewinnen. ®ie firchengefcßichtliche gorfefjung hat am wenigften ®runb, in 
mifsoerftanbenem apologetifchen gntereffe biefe# gunbament 3 U öernachläffigen, 
unb wieoiel gerobe in biefer Sichtung noch $ü thun MX bat SUbeVt ©hrßarb 
in (einer s 2luffeßen erregenben SintrittSoorlefung über bie Rirchengefchichte 
mit allem Sachbrucf betont. Slber eine folche pfpchologifche ©harafteriftif wirb 
wohl am ollererften mifSrathen, wenn ein im ©arteibienft ftehenber politifcher 
3ournalift fie oerfucht. ©erabe hiafichtüch fietteler'S fann bie ©reffe nicht 
baoon freigefprochen werben, baS pfpchologifche ©ilb beS großen ©ifchofs bis 
}ur Unfenntlichfeit entftellt 3 U haben, — unb hoch ift eS eigentlich gar nicht io 
ichwer, einen fo offenen unb geraben ©harafter wie Äetteler in feinem 
Sinnen unb brachten nachsuempfinben unb 31 t begreifen. 


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IbomaS SBepofer. 


tl<)4 


^cr ©runbfehler, ber bisher ju aßen abträglichen Beurteilungen oon 
Stetteler’S ©harafter SlnlafS gegeben hot/ bürfte mohl ber fein, bafS man 
ben ganj unmiffenfchaftlichen SBeg eiugefchlagen hot, irgenb einen miflfürlicheu 
HWafeftab anjnnehmen nnb mit biefem bann Setteler'S SBirff amfeit $u meffen. 
Sluf biefe SBeife mirb man aber überhaupt feiner einzigen hiftorif^eu 
Berfönlidjfeit gerecht Serben; unb gerabe fotche Beurteiler mürben fich am 
aüererften fträuben, menn man ihnen gegenüber baS gleiche Verfahren jur 
Slnmenbung brächte. SBentt ein ©holerifer — um ölten, aber noch 
populären ©harafterfategorien hier ber Slnfchaulichfeit megen beyubehaltett — 
einen SWelancholifer nach feinem eigenen ©mpfinben beurtheilt, fann baS 
(Ergebnis nur ein unfreunblicheS fein, unb baS ©leidje mirb eintreten, menn 
ein Saitguinifer unb ein ^h^egmatifer oon ihren eigenen fubjectioen BorauS* 
fepuugen aus eiuanber prüfen. 

®anj unb gar uumiffenfchaftlich ift eS ferner, jemanbent jujumutben, 
er foße nicht bis ju einem gemiffen ©rabe ein'&inb feiner 3eit fein; jeber 
ÜRenfch fteht hoch bemufst ober unbemitfst unter ber ^errfdjaft feiner ©r^iehung 
unb beS ©influffeS feiner Umgebung unb Perhält fich biefen gactoren 
gegenüber je nach feinem ©harafter mehr ober meniger ^uftimmenb ober 
ablehncnb. 

SBemt jentanb ber ©pröfslittg eines alten meftphälifchen SlbelSgeftlechteS 
ift, einen guriften unb BermaltungSbeamten jum Bater hat unb felbft gurift 
unb BermaltungSbeamter mar, fo mirb niemanb fich tounbern, bafS ber 
Betreffenbe bei ber gührung irgenb eines StmteS unbemufSt jene ©igeit* 
thümlichfeiten jum SluSbrucf bringt, bie ben Slriftofraten nnb ben gurifteu 
charafterifieren. ©o mar eS bei fietteler, unb eS ift nicht einjufehen, mic 
eS hätte anberS fein mögen. Unb menn jemanb Pier gahre in einem 
©r^iehungSinftitut ber gefuiten angebracht h a *> fo mirb eS leicht erflärlidi 
iein, menn biefer 3ögling auch fpäter noch c i ne auSgefprochene Anhänglichkeit 
an ben Drben funbgibt, mie bieS Stetteler thut, fo mie auch anberfeits 
begreiflich ift, bafS gerabe ein 9Witglieb ber ©efeßfdjaft gefu eS auf fid). 
nahm, eine ausführliche Biographie beS BifdjofS au fchreibett, ber in SBort 
nnb Schrift fo marnt für bie ©ache beS DrbenS eingetreteu ift.*) 

.Stetteler hot juerft 3uS ftnbiert unb mar bann einige 3*it unter' 
georbneter BermaltungSbeamter. ®amit ift feine ©eifteSrichtung im aflgemeineit 
aur ©eniige gefennjeichnet. SBenu nun biefer junge äftann fich SSncfter* 
ftanbe htgeaogen fühlt, fo bringt er an baS Xhcologie-Stubium bereits eine 
föeibe oon BorauSfepuitgen mit, bie eS böchft unmahrfcheinlich machen, er 

*i Ctto «Pfißf S. J., S3ifd)of oon ftetteler. Trei Bänbe. Btainj, gran* $irdh 
heim, 1899. 


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©ifchof ©Mlhelm .Hcttelev. 


(505 

werbe fid^ jefct auf einmal bic tljeologifche SB i f {c n f d) a f t 511 feinem i*eben*= 
beruf ermäßen. Mau (aitn ja eilt tüchtiger uitb frommer ©ricfter unb auch 
©ifchof fein, ohne beSfjalb bie theologifche SBSiffenfd^aft burch 5)etail= 
mtterfuchungen geförbert ju haben. Unb wer nicht felbft miffenfdjaftlicb 
tljätig gemefen ift, h fl t auch in ber Siegel nicht bie ©egeifterung für rein 
miffenfchaftlicheä Streben, tuie fie allen jenen eigen ift, bie mitten im 
wiffcnfchaftlichen Sebeit fteheu unb au bemfelben theilnehmenb unb jelbft= 
ichaffenb ihre fiebenöfreube finbett. SBeitit alfo nicht einmal ®öllinger'* ®iu= 
flnf$ — ftetteler hat ja in München unb bei Xöllinger Ih co ^°üi e ftubiert - 
binreichte, au£ bem jungen 3 uriften unb Xh c °l°fl* n einen ®elehrteit ju 
machen, io brachte jebenfaHS ber weite ©lief, ben ba3 theologifche Stubium 
für ade ßrfcheinungen be$ fachlichen Sebent ber Sergangenheit nttb ^ufnuft 
eröffnet, reichhaltigen Stufen. 2)enn berfelbe Mann, ber auf bem oaticanifchen 
(Xoncil fich mit manchen feiner bentfehen Wmtäbrüber an theologifcher 
©elehrfamfeit nicht meffen tonnte, hat fie alle auf einem anberen ©ebiete 
iibertroffeu, ba3 jwar nicht in bie theoretifchc, aber in bic praftifche 
Xheologie einfehlägt: auf bem Selbe ber focialett S*age, wo er bahubrechenb 
geworben ift. 

Sßäre ftdteler ein Mann ber SBiffenjchaft gewefeti, bann hätte er 
ba* ©roblent, auf beffen ©ebeutung er nur traft feiltet SlmteS als ©ifchof 
unb auf ©runb oon frentben Arbeiten ^imoeifen tonnte, felbftäubig an$u= 
faffen oerfneht; er hätte bann bie ©efchichte ber ©ejiehuugeu ber (ShnftuS- 
veligion flur ©efeflfchaftSorbnuug burch alle 3 ahfh un berte oerfolgt, hätte bie 
einzelnen ©robleme fchou im Urchriftenthum, in ber oorconftantinifchen 
Mivche, in ben Schriften ber ©äter, bei ben bebeutenberen Scholaftifern bee 
Mittelalters, in ber groben Sitteratur aller SlulturOölfer feit ber ©rfiubung 
ber ©uchbrucfertunft längft augebeutet gefuuben, unb biefe mannigfache 
©ejiehuug ber focialeu fragen jur Xogmatit unb (Sthif, ja $ur (Sjegefe unb 
Jrtirchenrecht hätte wohl ein SBerf geboren, baS für jeben fpätereu Social- 
polititer eine Sunbgrube geworben wäre oon unberechenbarem SinflujS unb 
bauernbem SBert. So aber hat bie Stachwelt oon ftetteler, bem Schrift 
fteüer, nur ein paar längft überholte ©rofdjüren unb ©rebigten übertommeu, 
unb was oon feiner träftigen ©erfönlichfeit übrig geblieben ift, baS ift 
eigentlich nur ber gewaltige 3 m p u l S, ben er ber Mitwelt gegeben hat unb 
ber fich auf bie Slachweft mächtig fortpflanjt. 

21ber wir machen ja auch ©olumbuS teinen ©orrnurf barauS, bafs er 
nicht gleich auf ber erften ffleltfahrt baS Seftlanb 2ImerifaS entbeeft hat; 
benn bie ^auptfadje war hoch, einmal 511 jeigen, baf# ber 2Beg nach 2Beft* 
inbien feine ßhimäre fei; unb fo fehr wir bie weiteren Sahnten unb 


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TbomaS Sebofer. 


<;<)(> 

^orifuttgcn ber ©izarro’S unb Sortez’ unb wie fie aüe betfeen mögen, 
begriifeen, ebenfowenig wirb baS ©erbienft ber ©ntbeefung einer neuen 
Seit bent fitbnen ©enuefen ftreitig gemaft. 

So mufS auf jugegeben werben, bafS eS über Setteler hinauf noch 
überreiche Arbeit in Ifeeorie unb ©rajiS ber ©efeKffaftSorbnung gibt: 
aber er ift unb bleibt bof ber erfte fatboliffe beutffe ©iff oi, 
ber mit weifer £>anb baS SoIumbuS=®i ber ©ocialreform auf bie ©pifce 
fteHte — unb fiebe, eS ftanb fofort unb ftetjt nof! 

II. 

©ei einer weientlif impulfioen, fföpferiffen Statur jeigen fif bie 
Spuren beffen, was fr fpäter eine weltgeffiftlife ©ebeutung erwirbt, in 
ber Stege! ffon in SüngtingSjabren; bie weitere ©ntwicflung bient bann 
mehr ba$u, bie bem frühreifen Slufbraufen ftets anbaftenben ©flacfen in 
(angfantem Serbegange ab^ufRütteln unb bie urfprünglicbe 3bee ben fat* 
fächlicfecn Serbältniffen, für beren richtige Sürbigung bem feurigen Säugling 
natürlich bie nöfige Erfahrung fehlt, anzupaffen unb fo, wenn bie Umftänbe 
eS günftig fügen, wirtlich $auernbeS ju fchaffett. ©ei einer fo receptioen 
Statur wie Stetteler bagegen braucht man feine frühzeitigen Stnfäfce feiner 
focialpolitifchen 2fätigfeit 511 fliehen; bie ©runblagen Waren freilich, wie 
bei jebem fafotiffen ©riefter, in bem tbeologifcben $>offfulunterrif t 
gegeben, allein eS beburfte mächtig einwirfenbet äufeerer SInläffe, um bie 
©c^iebung 511 ben neuen Stiftungen in ber erft erftebenben mobernett 
©efeflffaftswiffenffaft berzufteflen. 

Setteler (geboren 1811) war bereits fiebenunbbreifeig Sabre ölt 
geworben unb hatte ffon längere 3^t als Sanbpfarrer in köpften gewirft, 
als er, bamalS in feiner ©igenffaft als SDtitglieb ber Steif Süerfammlung 
zu Sranffurt Weilenb, in ber bort abgehaltenen „©rften Serfammlung ber 
fatboliffeu ©ereilte $eutfflanbS" im SlnfflttfS an eine oorhergehenbe Stcbe 
bcS Sorffeitben §ofrafS SttfS bie gewichtigen Sorte fpraefe: 

„ 3 br ©orff enber hat naf gewiefen, wie bie religiöfen Sereine ihre „ 
Aufgabe löfen foüen. ©iite Slufgabe für bie näffte 3ufunft rege if in 
3brem .fielen nochmals au, bie Slufgabe ber Steligion bezüglich ber focialen 
©erbältniffe. ®ic fchwerfte ftrage, bie bei allen gefefclifen ©eftimmungen, 
bei aßen Staatsformen nof nicht gelöst ift, baS ift bie fociale Srage. 
3f fantt cS mit aöer Sahrheit auSfprechen: bie ©fwierigfeit, bie ©röfee, 
bie Dringliffeit biefer Stufgabe erfüllt rnif mit ber gröfeten fjhreube. Stift 
bie Stof freut mif, bie if in Sahrheit im tiefften Kerzen mitfühle, nif t 
baS ©lenb meiner ©rüber, nein, fonbern bafs es jefct fif zeigen wirb unb 
zeigen mttfS, Welfe Äirfe bie Sraft ber göttlifen Sahrheit in fif trage. 


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®ifcbof ©ilbelm Ketteier. 


607 


®* Wirb ficb jeigen, bafS bcr fatbolifcben Sirene bic enblicbe Söfung ber 
iocialen Stage oorbefealten ift; beitn ber Staat, mag er Seftimntungeit 
treffen, welche er will, bot baju nicht bie Straft. ©inen ähnlichen ©ebanfen 
bat ein würbiger proteftantifd^er ®eiftlicfeer in ber ®aul£fircbe mtegefproeben. 
'Ser Kampf jmifeben proteftantifebeni unb fatbolifcbem ®lauben auf bem 
®ebiete be£ ®ogma$ werbe fortan ruhen, bagegen ber Kampf entfteben auf 
bem ®ebiete ber focialen Stage . . ."*) 

3fn biefen SBorten fpiegelt ficb beutlid) ber ©eficfetöwinfel, unter welchem 
fpäter auch bem ©ifcbof bie fociale Stage erfd^ien. $aä wi(b gäbrenbe Sieben 
be£ SleoolutionSjabreS 1848 bot auf Ketteier nacbboltigen ©inbruef gemacht, 
unb bie ©etbeiligung am Sranffurter Parlament tonnte ben au$ feiner 
ibtjflifcben Stube aufgefebeuebten Sianbpfarrer nur in ber Slnfcbauung beftärfen, 
baf# eine neue 3cit angebrochen fei. SBenn ein fo b^toorragenber Sübter 
ber Katbolifen wie 93ute fo energifcb bie ®ebeutung ber focialen Stage 
betont unb wenn auf proteftantifeber Seite gerabe auf biefem ©ebiete ein 
©ettfampf gwijcben KatbolictemuS unb ®roteftanttemu3 angefünbigt wirb, 
mute boeb wol)l eine Seuentatur wie Ketteier ber inneren Segeifteruug Staunt 
geben. ®r blieb aber nicht bei ©orten fielen, fonbern tiefe ihnen auch atebalb 
bie $bot folgen. 

©in anberer bötte ficb jept oielleicbt in eine grofee ®ibliotbef gefegt, 
um ficb bie einfeblägige Sitteratur eiu$uarbeiten; ba£ war aber niefet 

Ketteierte SBBeife. 3lte fatbolifeber ®riefter glaubte er ficb gcruftet genug, 
um fofort (Siooember unb Secember 1848) im Som ju SRainj eine Steifte 
oon ®rebigten $u holten, welche ba$ aUe£ bebanbelten, Wa£ ficb Kettele r 
bantate unter bem ®egriff „fociale Stage" baefete, nämlich bie Ib^nata: 
Sie fociale Stage, bie wichtigste Stoge ber ©egenwart, Sehre öom @igentbum*= 
reefet, ooit ber Steibeit unb oon ber ®eftimmung be£ ©tenfeben, ©be unb 
Samilie, Autorität ber fatbolifeften Kirche. 

Ketteter liefe biefe ®rebigten auch bruefen, unb fo erfefeien fein erfte$ 
felbftänbigeä Scferiftcben unter bem Sitef: „Sie grofeen focialen Stagen ber 
©egenwart. Secb$ $rebigten, gehalten im hoben Sont ju SJtainj oon 
©ilbelm oon Ketteier, Pfarrer oon hopften, SJtitglieb be$ beutfeben Steife= 
tage£. Sa£ Honorar $um Seiten be$ wobltbätigen SereineS oom heiligen 
Siuceng oon ®aul $u SJtainj". 

Natürlich Würbe ba£ Xbema oon ber focialen Stage in ben $rebigten 
Ketteierte fortbin oft berührt; allein eine fociale Xbätigfeit im größeren 
SJtaßftabe fonnte er Weber al£ Pfarrer in köpften noch ate $robft oon 

*) Sei ^3fiilf, a. a. O, I, 164. 


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608 


2t)omas ©tepofer. 


St. £>ebmig in ©erliit entluicfelii, foubern ftc mar ipm erft gegönnt alg © i f cp o f 
oon SWaing ^1850 big 1877). 

3ept fanb er bie poepmiflfommene ©elegenpeit, pier Anftalteu für uer- 
maprlofte ftinber, bort Stanfenpäufer nnb ein SRettunggpaug ber grauen uont 
guten Ritten ing fieben gu rufen, mopltpätige Sereine gu förbern ober neu 
gu organifieren u. bergl. Ten ©efeflenoereiuen fepenfte er feine gang befonbere 
Aufmerffamfeit, nnb eg ejiftiert noep ber ©ntmurf eineg bem beutfcpeit 
©pigeopat oorgulegenben ©laneg, monaep in jeber größeren fatpolifepen Stabt 
Teutfcplanbg ein ©efellenpaug mit eigenem Seelforger gu grünben fei, au 
bag bie Pfarrer ipre ben SBopnort mecpfelnben |>anbmerfgburf(pen gu meifen 
hätten.*) 

Selbftoerftänblicp bepnte er fein SBirfen auep auf bie focialeit unb 
religiöfen Serpältniffe beg ©auernftanbeg aug. 

Auf ber XV. ©eneraloerfammlung ber fatpolifepen Sereine Teutfcp^ 
lanbg, bie oom 21. big 24. September 1863 gu granffurt tagte unb bei 
ber fein ©ruber SBilbericp präfibierte, fpielte er eine peroorrageube 9tolle, 
unb pier napm bag fatpolifepe Teutfcplanb gum erftenmale gu ber focialeu 
grage in iprer ©efammtpeit Stellung, fo bafg biefe ©eneratoerfammlung 
mie feine früpere ben Stempel beg Socialen trug. Tie peroorragenbfteit 
fatpolifcpeit Socialpolitifer jener 3eit traten alg SRebner auf: ber jepige 
©arbiital unb gürftergbifepof Oon 28ien Tr. ©rufepa für ben ©efeHenocrein, 
Seporlemer^Alft für bie oermaprloften ^iitber, ©ofen für bie Arbeiterfrage, 
Scpüren für bie $anbmerferfrage, töapuginerpater Tpeobofiug für ba* 
gabrifgmefen. Allein eg müffen fepr oiele Unflarpeiten gutage getreten fein, 
fo bafg man gur ©infiept gelangte, eg bebiirfe noep fepr eingepenber Stubien: 
baper mürbe ber Antrag beg SÖtainger Tomcapitularg £>einricp alg SRefolution 
angenommen: „Tie fatpolifepe ©eneraloerfammlung . . . empfieplt ben 
ftatpolifen briitgeitb, fiep mit bem Stubium ber großen focialen 3^itfrage gu 
befepäftigen ..." 

©inen SBiberpall fanb biefe 9iefolution fofort auf ber in SWünepeii 
unmittelbar barnaep tagenben Xpeologenberfammlung (eröffnet 28. September 
1863) in bem Töüinger einen Antrag auf „eingepeitbere ©efepäftigung beg 
©lerug mit ber focialen grage" fteUte. 

Stetteler mar ber erfte, ber eg mit biefem Stubium fofort ©rnft napm. 

3m 3ünner 1864 fepte er fiep burep einen anonpmen ©rief mit 
aff alle in ©erbinbmtg, ber bamalg in außerfircplicpen Greifen mopl bie 
erfte Autorität auf focialem ©ebiete mar. SaffaHe ließ fiep gmar unter Ser* 

*) ©fttlf, a. a. C., II., 175 ff. 


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Sifdjof SBilbelm bettelet. 


609 


meid auf bie Slnonpmität ber 3ufcbrift nicht in $5etaild ein, machte aber beit 
Sifcßof auf einige feiner ©Triften aufmerffam, in benen berfetbe eine 
correctere $>arftettung ber Saffatte'fdjen I^eorien finbett fönne, ald fie in 
bent anonymen Srief, ber fich nur auf 3eitungdartifel ftüfcte, gegeben fei. 
SRan erficht aud Saffatte'd Slntmort, bafd Äetteler offenbar bidfjer nicht ein* 
mal bie bebeutenbften ©Triften aud gegnerifchem Säger eingefeljen ^atte, 
trofcbem er fich feit 1848 unb fdjon früher mit ben eintägigen Problemen 
befchäftigt ^atte; er mar eben ein SKann ber 2^at unb glaubte, bafd 
Srfaljrung unb Seobad)tung bad meifte tbue *) 

®afd ffetteler jefct anfieng, Saffaße'd Originalfchriften eingebenb p 
ftubieren, ftebt außer 3toeifel; cd märe eine mistige unb banfbare Unter- 
fucßung, feftpftetten, mad fich ber fatbolifche Sifcßof (in bem fofort p 
befprechenben Such unb jpäter) oon bem berühmten ©ociatiftenfübrer ange* 
eignet ^at, unb mo er eigene SBege manbelt.**) 

2)a SaffaCte fich auf eine anonpme Sorrefponben$ nicht einließ unb 
Setteler feinen tarnen nicht nennen mochte, fo ließ le&terer — biedmal 
burcß einen feiner 3)omcapitulare — an ben burcß focialpolitifche Arbeiten 
befannten Subliciften Sictor Slimd $uber fcßreiben unb erhielt auch eine 
febr eingebenbe Slntmort bezüglich ber StrBeiterfrage. Schabe, bafd bad umfang* 
reiche Schreiben |>uber'd nid)t oottftänbig oorliegt; ed märe fonft möglich, beffeit 
Sinflufd auf ®etteler feftpftetten.***) 

^ebenfattd geminnen mir ein beiläufiged 93ilb baoon, mie ernft ftetteler 
unter bem ©inbrucf ber ^ranffurter ©eneraloerfammfung bon 1863 bie 
tbeoretifcße ©eite ber focialen grage pm ©egenftanb feiner Sefchäftigung 
machte. Slld Srucßt erfcßien fdjon im grü^jaßr 1864 St'etteler’d £>aupt* 
merf: „$ie Arbeiterfrage unb bad ©fjriftentfjum". 

Stld Sifcbof intereffiert ihn §ier ^auptfäcßlicß bie religiöfe Seite ber 
Sache: „3cb bin meit oon ber Anmaßung entfernt, biefen ©egenftanb er* 
fcßöpfen pmoüen; er ift überhaupt noch nicht fprucßreif. 3cß miU uietmeßr 
nur einen Meinen Seitrag bap liefern unb indbefonbere eine Seite ber Sache, 
nämlich ihr Serbältnid prn Sbriftentbum, bie bidber fo menig Serücfficbtigung 
gefunben b<M, mit adern Stucbbrucf bcroorbeben." 

$ad SBer! mirfte „bahnbrecßenb", mie SBinbtborft in einem Sormort 
pr oierten Auflage bed Sucbed fecßdunbjmanjig 3fabre fpäter erflärte, inbem 
er ben längft oerftorbenen Sifdbof ald „oon Sitten oerebrten Sebrer unb 
Sorfämpfer fatbolifcb'focialer Seftrebungen" feierte: „@d ift unb bleibt 

*) $en Srief ftetteler’d unb ßaffatte’d Shttroort f. bei Sfülf, II., 183 ff. 

**) Sei Sfülf finbet fich b^rüber leiber gar ni(btd. 

.***) $ie (Einleitung, batiert oom 29. Jänner 1864, ftebt bei Sfiilf, II., 168 
Xie fhiltur. TU. Safcrg. $eft. (1902.) 39 


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610 


$()oma£ £BeI)ofer. 


unjer Stuhm, baf« ein fatholifcper ftirchenfürft e« war, melcher juerft ben 
SRuth hatte, ju einer 3^it, ba ba« SRanchefterthum bie ganje öffentliche 
SReinung beherrfchte, ... bie gähne ber chrifttidjen ©ocialreform auf$u= 
pflanjen.* **) ) 

@« mar mirflidh eine 2J)at. gnfolge be« Auffehen«, ba« bie ©djrift 
bei greunb unb geinb erregte, begann man fich allmählich für bie Sache 
felbft mehr unb mehr $u intereffieren. 3)ie ©ubliciftif griff lebhaft in bie 
$i«cuffion ein; e« entftanben, bem neugemecften Sebürfniffe entfprechenb, in 
flachen bie ^ffi^rifttic^^focialen ©lätter", rebigiert non Schüren, 
ber un« bereit« auf ber granffurter ^atholitenoerfammtung an ber ©eite 
Karbinal ©rufdha'« al« Stebner begegnet ift, unb non Kaplan ©djing«; 
öfter hatten biefe Stätter Anlaf«, fiep auf fletteler al« ben „berebten 
bifchöflidhen Arbeiterfreunb, unfer ©orbitb auf bem cpriftlid^ 
focialem ©ebiete," ju berufen.*’ 11 ) 

®urdh fein SBerf über bie Arbeiterfrage mar ifetteler mit einem 
Schlage eine mafegebenbe ©erfönlicpleit auf bem ©ebiete ber focialen grage 
gemorben. ©eine SRitbrüber im ®pi«copat confultierten ihn, ffatholiten unb 
©roteftanten be« 3n* unb Au«lanbe« thaten be«gleichen. 9Ran mar fich 
eigentlich erft bemuf«t gemorben, baf« bie Söfung ber focialen grage ohne 
©rei«gebung be« Kpriftenthum« möglich fei. Unb, ma« nicht ju unterfchäfcen 
ift, Setteler'« ©egeifterung mie nicht minber fein herrliche« ©eifpiel rif« 
empfängliche ©emüther fort. 


SBir haben bi«her Sfetteler Don ben erften Anfängen feiner focialen 
©emiihungen in granffurt 1848 bi« jum ^öpepunft feiner Sntmicflung 
begleitet. SBir haben ba« ©Serben unb Steifen jener Xpat oerfolgt, bie ihm 
mehr noch al« feine praftifch 5 fociale unb innerfirchliche SBirtfamfeit einen 
bebeutenben ©lap in ber ©efchichte ber SRenfcpheit fiebert. 

Später nahmen bie mit bem ©aticanum oerbunbenen ASirren unb ber 
Shilturfampf feine Sfraft unb feine geber nach einer anbem ©eite bergeftalt 
in Anfpruch, baf« bie fociale grage ein menig jurüeftrat; allein er hörte nie 
auf, jte aufmerffam ju Derfolgen, unb in feinen ©apieren finben fich 


*) ©fülf, II., 188. 

**) ©fülf, II., 190. ®« Dürfte mit bem ®rf<heinen biefer ©lätter ber Au«brud 
„cpriftlich-focial" jum erftenmal al« princtpieQe ©ejeiepnung einer beftimmten 
Stiftung — aber nicht in ©erbinbung mit einem beftimmten politifdpen ©rogramm 
— in ber Oeffentlühteit al« terminus technicus oenuenbet roorben fein. 


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'Jtyilip 'IBitfop. ber Academia dell arte }u Seneblfl. tili 

nod) jatjlreidje (Entwürfe ju Slbfjanblungen unb ©rofdjüren über fociale 
©egenftänbe.*) 

SBenn aber Stetteler burcf) ben ffirfolg jeine« Sudje« über bie Arbeiter* 
frage unfterbtidj geworben ift, bann müffen wir anerfennen, baf« gerabe 
batnit jein C^arafter fidj bent unbefangenen ©eurt^eiter im günjtigjten Sidjtc 
barbietet. SUögen nur aQe, bie fidj berufen glauben, an ber Söfung ber 
jocialen 3rage mitjuarbeiten, Itetteler’« 2Ranne«mutI) mit ftetteler’ä grömmigfeit 
unb fietteler'« 2Baljrfjeit$tiebe mit Setteler’« ©elbftlofigfeit unb aufopfernber 
fRädjftentiebe oereinen! $ann wirb bie fociale $rage rafc^er gelöft werben, 
al« e« bisher ben Stnjdjein bat. 

*) ». a. O., III, 288 ff. 




3» der Academia dell arte z* Ueaedig. 

Fon Philipp ÄHffcop. 

Äier atmet hohe, feierliche Huh\ 
w 33reit liegt bie Sonne in ben flogen Sälen. 

Zlur bann unb mann ruft bir non ben Canälen 
IPeidj unb oerfdjlafen eine IDelle 311 . 

3d? fd?reite jögernb burdj bie jto^e prad?t. 

Dodj fafs* icfj’s faum, uermirrt unb fdjeu oermunbert, 
Unb ftaune, mas 3ahrhunbert auf 3ahrh«nbert 
Un <Slan 3 unb £iebrei 3 hier herbeigebracht. 

(Ein unermefsner, bunter Segen quillt 
Don allen ZDänben ftrahlenb auf mich »lieber. 

Unb alles trifft ftd? boch in einem mieber: 
Ulabonnenbilb liangt an Ulabonnenbilb. 

3n ihm eint jtch bie Sehnfucht aller §eit 
^armonifch h»er 3 ur feierlichen (Einheit, 

§um Jjobenlieb ber Schönheit unb ber Heinheit, 

Das triumphiert ob Staub unb Zliebrigfeit l 



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39 * 



Wiener Kunstleben (Jänner bis tt)ai 1002). 

»on üufrpfj Tfiteuhtirf!|. 

f er erfte Schritt ins neue Qabrbunbert butte ntancb boffaungSfroben AuSblicf 
in bie SCunftbewegung ber allemä(bften 3ufunft eröffnet; bereits ber jweite 
löst man(be Erwartung erfreulich ein unb bringt eine ungewöhnlich große mitte ber 
mannigfaebften Anregungen, beren Aufnahme an bie 93erarbeitungSfäbigfeit beS 
CublicumS bereits ganj außerorbentlicb hob* Anforberungen ftettt. Oteue Unternehmer 
unb ©ebanfen gliebern ficb bem obnebin fdjon weitgewgenen Streife beS SBiener 
.UunftlebenS erfolgreich an unb führen fub mit oiel ©efebmad unb ©efdpd auf bem 
fo funftfreunblichen SBoben Asiens recht glüdlicb ein. 

An ihrer Spifce ftebt ber Stünftlerbunb Jpagen" mit feinen brei Aufteilungen, 
bie im allgemeinen einen künftigen ©inbrud machten. Der Arcbitett Qoiepb Urban 
bat ein Drittel ber ttJlarftbatte in ber 3*blifcgaffe anfprechenb für ein annehmbar 
beleuchtetes AuSftellungSgebäube ju abaptieren oerftanben, bem ein 3ug b^terer Jeft 
liebfeit eigen ift. 3n bem JJa^abenrelief führt ABilbelm öepba bie maebtootte ©eftalt 
ber 'Callas Athene als '-öefchüfcerin ber fünfte oor, beren Segnungen baS oor ihr 
barrenbe SBolf erwartet. 3*icbnung unb Farbengebung beS aus farbigen föunftfteinen 
bergeftellten 3öerfeS haben etwas 'ClafatartigeS an fi<h, baS an ber bie Aufmerffant 
teit feffelnben Stirnfeite eigentlich nicht unangenehm wirft unb realiftifeber 
.Uecfbeit felbft baS 9Bort läfst. Für bie bei aller ©efebeibenbeit anbeimelnbe JKaum 
geftaltung, beren Decoration SRaimunb ©ermela unb tttubolf Stonopa übertragen 
war, ift man bei ber Seceffion in bie Schule gegangen unb bat ficb bie Üflöglicbfeit 
mecbfelnber ©intbeilung nach ben jeweiligen AuSfteflungSbebürfniffen gefiebert. ©S 
war nur ganj fachgemäß, bafS gerabe bie erfte AuSftettung beS Jpagenbmtbes ben 
Schwerpunft barauf legte, über bie Dichtung unb CeiftungSfäbigfeit feiner ttJtttglieber 
felbft ju orientieren, fie mufSte eigentlich nad) ben 'Cerbältniffen unferer Jage, bie 
ein flareS Farbebefennen forbern, einen programmatifeben ©harafter erhalten unb 
bem 'Cublkum bie Augen öffnen bariiber, was ber Jpagenbunb will unb anftrebt. 
©r ift feine zweite Seceffion, aber nicht frei oon einem feceffioniftifchen ©infchlage, 
ber in feine Übertreibungen oerfättt, aber offenen $Mid für bie Söetbätigung beS 
^Hechtes auf baS Suchen nach neuen formen unb AuSbrudSmitteln befunbet Sicheren 
Schrittes fchiittelt man ben erftiefenben Staub oeralteter Auffaffung beim riiftigen 
AorwärtSftreben oon ben Füßen, wo es notbtbut, ohne ficb in bimmelftürmenbe 
©rperimente ber ©efcbmadlofigfeit ,*u oevlieren, unb meibet mit oiel Daft bie nicht 
immer gefchmacfooll marfierte Cofe felbftgefättigen SBorfämpfertbumS. Diefe oornebme 
3 uriidbaltung ftebt bem fragenbunbe gut an unb bat ihm rafch manchen ^rreunb 
erworben. Die ©röffnungsauSftellung beS 'CunbeS oereinigte eine anfebnliche Anjaßl 


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SBiener ftunftleben (Jänner fciS 3Jlai 1902). 613 

guter Arbeiten, in benen ausnahmslos ein fefyr emfteS (Streben nach innerer Samm> 
lung unb 9luSreifung, ein gefthalten an anerfannt ©utem unb ein jielbewufSteS 
Gängen nach feuern einfefcen. — Der Mehrjahl ber $heilnehmer ber ©röffnungs 
auSfteHung begegnete man in ber anfangs SJlärj eröffneten weiten BuSftellung 
wieber, bei welcher ber Sdpuerpunft auf 3eichnungen r Mabierungen, $$lluftTationen 
unb Werfen ber ftleinfunft lag. 'Der ©ipSabgufS beS für Öinj beftimmten Stifter- 
DenfmaleS non MathauSfp, eine braue, aber etroaS trocfene unb fpiefcbürgetliche 
Schöpfung, bilbete in biefem Nahmen eine Ausnahme; baS BSefen beS Meifters 
finnigfter Maturfchilberung ift in biefem B3erfe faft nur nebenbei geftreift, 
aber auch nicht annähemb erfchöpft. gaft ein Viertel aller s 2luSftellungSobjecte 
hatten ber in DreSben lebenbe ftarl Mebij unb feine grau ©milie Mebiv 
Belifan beigefteuert: erfterer erweist fich als ein ganj hemorragenber ©harafter 
fchilberer non fchärffter Beobachtung, ber baS gnbioibuelle mit ftcherem ©riffe 
hemorjuholen nerfteht. ©in 3«9 architectonifcher Strenge geht burch bie Bübantage 
non grau Mebij-Belifan, p e r baS lanbfchaftliche Stillleben befonberS jufagt. Den 
3auber beS beutfchen Märchens fuchten 12 nortrefflich ausgeführte Aquarelle ju er- 
ichliefeen, um beren figürliche ©ompofitionen non i*efler’S Jpanb ber ©efchmacf 
3of. Urban’s elegante, fmngemäfje Umrahmung $u fdjaffen nerftanb. Sie fnüpfen 
ben Stoff an ben ©ebanten beS MonatSwechfelS in mitunter äufcerft feinfühliger 
Bkife an, fo baS im ©laSfarge ruhenbe Schneewittchen an ben bie Matur in ©rabeS 
ruhe büUenben ganuar, baS burch ben BrinjenfufS jum l*eben wieber erwachenbe 
Dornröschen an Den neues Sieben in bie ©otteSwelt jaubemben Mär$. Überaus reijenb 
wirb baS „Marienfinb" behanbelt. ©S mag fein, bafS ab unb ju eine bem Böefen beS 
Härchens nicht gan$ entfprechenbe Berfeinerung einer über baS BolfSthümliche 
etwas hinausrüefenben s 2luffaffung burchfchlägt; aber im ©anjen befriebigt bas 
(Gebotene im hohen ©rabe. Das B*oject für bie 9luSfcbmiicfung einer UnioerfitätS 
'Jlula oon s 2lle?ranber ©olfc, bas in ber Jpauptbarftellung ber BMffenfchaft bie oier 
^acultäten beigefellt unb ihnen Wahrheit unb Bhantafie Seite gibt, erfcheint für 
feinen 3n?ect $u wenig grofeiigig unb monumental; bagegen fmb feine beiben Motioe 
aus ber Bretagne uoll zarter Stimmung, gn intereffanter, objwar burchauS nicht 
überall anfprechenber BJeife hol fich 9luguft Jpoffmann oon Beftenhof ben ftampf bes 
Minotaurus mit IbefeuS mrecht gelegt, bei welchem man bie fich angftooll brängenbe 
Mäbchenfchar nach ihrer ©ewanbbehanblung birect als eine faft ballettinäfeige 3ugabe 
nicht angenehm empfinbet. Dagegen ift ber protgg jum Angriff anfefcenbe Stier* 
menfeb unb fein in gefummelter ftraft ihm unerfchrocfen entgegentretenber ©egner 
fehl* wirfungSuoll inS 'Mittel geftellt. — Mit ber am 21. Mpril eröffneten 5luSfteHung 
„Die ft unft im i*eben beS ftinbeS" ftellte fich ber Jpagenbunb recht gliicflich auf 
Den Boben einer oon oiel Beifall begleiteten ©egenwartSbewegung. Die Unterrichts 
uerwaltung batte fich uon allem Anfänge an bes ©ebanfens, bie oon bem beutfchen 
Buchgewerbeoereine in i*eip$ig lufammengeftellte Btonberausftellung, welche in i*eip}ig, 
DreSben, München, Mürnberg unb Stuttgart fo grogen Wnflang gefunben hotte, 
auch bem BMener Bublicum jugänglich $u machen, in freunblidpter görberung ange 
nommen. Sehr treffenb hob ber UnterrichtSminifter in ber ©röffnungSanfprache heroor* 
bafS es eine ber ebelften, uon weiteren Beuölferungsf reifen unterftü&ungSwerten 
©rüehungsaufgaben bleibe, „ben Sinn beS ftinbeS für baS Schöne empfänglich ju 
machen, baburch feine Bhantafie $u bereichern unb $u lenfen, fein ©emiitb *u be 
leben unb iu oerebeln unb, inbem für biefen 3«^ geeignete Beranftaltungcn in 


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614 


3ofeph SReuroirth. 


§auS unb Schule für bie hinter ber Reichen unb Firmen iite 3Berf gefegt roerben, 
bie profee ÜJlaffe beS 33olteS zu befähigen, an bem berrltdrften Scbafce unferet ftultur, 
ben unS bie $unft gegeben, geniejjenb theilzunehmen." Um für eine folche Anregung 
eine möglichft breite ©runblage zu fdjaffen, ber bie §ärte beS 3n>angeS fembleiben 
foU, roerben *ßäbagogik unb ßunft mit oiel Überlegung unb 3urückhaltung oorgehen 
müffen: benn baS fchüchtern fproffenbe ^flänzlein beS allgemeineren ftunftintereffeS, 
baö bie Äunft nicht als eine gern b«üargefebrte 'JRebenfache beS SuyuS, fonbem als 
menfchenoerebelnbe (Ergänzung beS SebenS erfajfen lehrt, ©erträgt nicht eine Xreib 
hauSentroicklung gemagter (Experimente, fonbem forbert rückficbtSoolIfte pflege ber 
'Phantafte, beS ©emütbeS unb fcerzenS. ©chulmeifterliche ©ngherjigfeit roirb babei 
nicht auf ihre ftoften tommen, für biefe Aufgabe tljut meiter SBltcf hoppelt notb- 
3h« zeigten bie ^eranftalter ber AuSftettung, Unterrid^tSoerroaltung, beutfdjer *öuch= 
geroerbeoerein unb ftagenbunb, bei ber retjoollen Jorm ber Darbietung in h<>b*iu 
®rabe. 3a, bafs bem bie ^hautafte beS ÄinbeS fo fehr befchäftigenben Spiele erhöhte 
Beachtung gefchenft mürbe, hat ö*u AuSftellungSrahmen mit ®lück roeitergejogen. 
Die beiben Äinberjimmer, roelche ßarl §anS 3arap nach (Entwürfen beS Architekten 
Urban auSführte, fmb mit all ihrem lieben Xanb ber oerfchiebenften Spielzeugs 
tategorien unb mit ben oon ftafmtann glücklich charakterifierten Xhierbilbem ber 
'©änbe recht nett unb enthalten in ihrer AuSftattung, ob man nun puppen, Ärippe, 
3agb ober SBauemborf ins Auge fafSt, eine fchier unabfehbare ^ülle beS ÄHnber* 
genuffeS. .Sie laffen ftch aber höchftens als intereffante, auch entbehrbare Beigaben 
betrachten, benen allgemeine s 43ebeutung nur in einem recht befchränften ®rabe ju 
fommt, roeil nicht oiele bie SJtittel höben roerben, fich folche 3wtmer anjufchaffen. 
s ©aS jeboch auf bie Söecfung ber Äunftanfchauung unb ftunftfreube in ber ftinber 
menge, auf bie Schaffung einer ertragreicheren unb fruchtbareren ©runblage für bie 
fünftlerifctje Kultur bes ganzen Voltes abzielt, tnufS mehr mit bem für breitere 
'BeoölkerungSfchichten (Erreichbaren rechnen unb nicht in erfter fiinie an ben SBeftfc 
eines reich gefüllten Beutels gebunben erfcheinen. ftür bie ßunftanregung beS StinbeS 
in roeiten Greifen roirb baS auch befcheibenen Mitteln roirtlich (Erreichbare ftch an 
erfter Stelle behaupten. 93on grobem Qntereffe roar bie ®ruppe hiftorifchcn Spiel 
Zeuges. Der ftellenroeife nach alten Sebjelterformen h^rgeftellte SBanbfchmuck knüpfte 
glücklich in ber tftaumauSftattung an ÜJtärcheneinjelheiten an, bie immer roieber baS 
Äinberherj ganz erfüllen. 3m allgemeinen traten bie Joauptjroede ber Aufteilung 
fcharf ^eruor: Jperftellung beS künftlerifchen s J5kmbfchmucteS für baS Schulzimmer 
unb bie ftinberftube, um frühe ©enufSfähigkeit unb Jteube an ber Shrnft in ben 
jungen Jperzen zu roeefen; eine mehr künftlerifche AuSftattung beS mobernen Silber 
bucheS, in ber ja bie ©erladffche ^ugeubbücherei bereits ganz fteroorragenbeS leiftet; 
Umgeftaltung beS 3*ichenunterrichteS, ber mehr an bie Statur unb bie AnfchauungS- 
roelt beS fttnbeS anknüpfen foll. Dr. 93olkmann aus Leipzig fuchte burch einen 
Vortrag im öfterreichifchen ÜJtufeum bie ©efichtSpuntte zu beleuchten, roelche für bie 
3ufammenftellung bes bem leipziger s 43uchgeroerbepereineS gehörigen AuSfteUungS 
grunbftockeS mafegebenö roaren. Damit kann man ftch einoerftanben erklären, bafs 
es ftch nicht um Aufbiirbung eines neuen UnterridhtSgegenftanbeS hanble, fonbem 
bafs man baS Äinb tn eine Umgebung bringe, in ber eS bie Dinge oon felbft 
künftlerifch fehen lernt. Auch Director Julius üeifching oom mährifchen ©eroerbe 
mufeum in $rimn, ber ftch für bie ganze grage fehr lebhaft interefftert, unterftüttte 
bas AuSftellungSuntemehmen mit einem Vorträge. 


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VMener Äunfilebcrt (Jänner bi« 9Rai 1902). 


Gl 5 


(Sine anbere 2lu«ftellung ber „Jtunft im Sieben be« Äinbe«" mürbe in ber 
Ottafringer Vürgerfchule oeranftaltet. §ier hat ber 3*i$*nlebrer 3°f c Ph SHachfelner 
ben Verfuch gemacht, mit bet alten DJtethobe be« 3eic^enuntcrric^teö nach birect ge 
zeichneten Vorlagen, fpecieS nach geometrifchen Figuren zu brechen unb bie ftinber 
unmittelbar nach ber Statur, nach blättern — auch iw getrocfnetem 3 u ftanbe — unb 
Blüten, nach oerfchiebenen anberen ©egenftänben zeichnen zu laffen. Die s 2lu«fteüung 
biefer Sattlerarbeiten überzeugt ganz augenfällig non bem (Srfpriefilichen bieie« Vor 
gange«, ben nur umficbtigfte Anleitung unb forgfältigfte &hrmittelau«roahl fo unge¬ 
mein ertragfähig machten. (S« ift in h^h^ ©*abe erfreulich zu feben, melche Sicher* 
heit ber Vuffaffung unb melche ©eroanbtheit ber fReprobuction bie Sfinber binnen 
einer oerhältni«mä6ig furzen 3eit erreichten, &ier hobelt eS fith thatfächlich um all¬ 
gemein gangbare Vfube ber Äunft im geben be« Jlinbe«. ^ebenfalls oerbient ba« 
oon Vlachfelner (Erreichte für bie göfung ber Srage einer SReform be« 3eichenunter- 
richte« ooüe Beachtung ber mafegebenben Streife. 

Durch längere 3eit begegnete man in ben $age«blättern ber SRubrif „28 i e n e r 
•tfunftroanber ungen". Diefelben galten ber Vefichtigung ber ftunfifchäfte ber 
2Biener Vuläfte unb Vrioatfammlungen unb oermittelten aufjerbem 3wtritt unb (Sin 
blic! in bie Atelier« Wiener Zünftler, beren Schaff en«ftätte fennen ju lernen für 
Viele feinen geringeren fReiz hat al« ba« Schmelgen in ftunftfchöpfungen ber 93er 
gangenheit unb ber ©efchmacf ber 2Bohnraumau«ftattung ber ©egenroart. Die 3« 
menbung be« ftartenerlöfe« für mohlthätige ßroecfe machte bie Vefriebigung be« 
tfunftbebiirfniffe« ber über bie erforberlidje 3^it oerfiigenben Greife zugleich ber 
öumanitätäförberung bienftbar. Vielleicht hat gcrabe bie SRücfficht barauf in einzelnen 
fällen bie geroif« nicht ungerechtfertigten Vebenfen jurücfgebrängt, einer großen Ve- 
fuchermenge bie Vforten be« funftgefchmücften £>eim« ju öffnen. Welche giiüe ber 
Schäfte in 2Biener Valäften, Vnuatfammlungen unb Vtelier« enthalten, zeigte bie 
Meichhaltigfeit be« Programme« für bie oom 15. Februar bi« 15. 2lpril reichenben 
28anberungen, melche mit bem Valai« Schönborn begannen. s ilufter bemfelben roaren 
bie f. f. Hofburg, ba« ^fiuanzminifterium (Stabtpalaft be« Vnnjen (hegen), bie 
Valai« 8ancforon«fi, ftin«fp, s 2luer«perg, &opo«- s Rmerling, Vourgoing, Schönburg, 
Vuul o. Schöller, 9Rautner*9Rarfhof, Vallaoicini, giechtenftein; bie Interieur« bei 
^errn o. Sehen!, bei ^rau ÜRanfieroicz, Dr. Wuguft ^epmann, bie ©alerien (Sjemin, 
v lllfreb Straffer, gubroig gobmapr; bie Atelier« 9fte«, ftunbmann, 3umbufch, s Jkobft, 
8a«zlo, Vngeli, Schmib, Xautenhapn, ftauffungen, lina Vlau, Seib, ÜRarfchaÜ, 
.^orooift, ©harlemont, ftafparibe«, iftöfchl, 2Bafchmann u. a. zugänglich- 3>m Valai« 
be« Unterricht«minifterium« fonnte man bie (Srroerbungen für bie moberne ©alerie 
berechtigen, unter melchen 9tub. o. 9Ut am ftärfften oertreten ift. 2RÜ grogem Danfe 
begrü&ten e« bie ftunftmanberer, baf« ihnen bie gieben«mürbigfeit ber Jyrau Varonin 
farftel e« ermöglichte, ben in 2Bien« Vaugefdachte eine fo gro&e Wolle fpielenben 
'Urchiteften auch al« Sammler fennen zu lernen, beffen Shmftfinnbethätigung beftimmte 
Wücffchlüffe auf bie perfönlichen 2lnfchauungen be« SReifter« oennittelt. Vei bem 
Jfabrifanten ©. Xauffig überrafchte aufeer ber Jyarbenpracht ber (Sngelharbt’fchen 
2Banbgemälbe namentlich bie gefchmacfoolle ©ebiegenheit mobernen Mobiliar«. Von 
ganz befonberem ^ntereffe mar ba« mit au«erlefenen Schäften unb einem mohl nur 
feiten roieberbegegnenben .Hunftoerftänbniffe gefchmücfte Valai« gancforon«fi, bei beffen 
Vefichtigung bie Vefudjerzahl fo grofe mar, baf« ba« (Sornitz für einige ßeit bie 
Ihare fperren laffen muf«te öier ift alle« auf ben perfönlichen ©efdpnacf be« Ve 


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616 


^ofeph Weimnrty- 


fi&erS, ber bic alte ftunft ebenfo h oc h fchäfct, als er bie ©egenmartsbeftrebungen 
merfthätig förbert, in ber feinfühligen VSeife geftimmt unb bilbet roirflid) eilte 
©ehenSroürbigfeit SöienS. ©8 mürbe oiel ju roeit führen unb eigentlich einen ©onber« 
artifel beanfprudjen, mollte man, felbft nur im pflüge, be$ VUermichtigften gebenfen, 
maS bie 9Iufmerffamfeit ber Äunftroanberer 2BienS an jeher einzelnen ©tätte gam 
befonberS erregte. s 2lltberiibmte ©tüde, oft an glänjenbe SWeiftemamen anfnüpfenb, 
unb manche Schöpfungen ber SWobeme mürben bei biefer (Gelegenheit VuSgangS 
punfte einer über ben näheren VefanntenfreiS ber Vefifcer hinanSgreifenben ftunft- 
freube. Vton barf bie bamit gegebene Anregung nicht unter«, aber auch nicht über 
fchäften. Denn im Verhältnis $ur (Gefammtbeoö If erung SöienS mar bie Vnjahl ber 
Xheilnehmer an ben Kunftroanberungen burdjauS nicht $u groß, meil gar Mancher, 
ber ftch fonft fehr gerne angefchloffen hätte, nicht über bie freie 3«it für baS fo 
umfangreiche Programm oerfügte. 3öer übrigens einzelne Objecte näher unb mit 
(GenufS beftchtigen min, mirb nach mie oor an bie liebenSmürbige ©onbererlaubnis 
ber 53eft^cr appeUieren, bie ja meift fonft gern ertbeilt mirb. 3nfammenhange 
mit ben Stunftroanberungen mar es nicht unmiUfommen, bafS ber im SBiener ftunft 
befifce fo oortrefflich orientirte ftunftforfcßer Dr. Dßeobor o. ^rimmel in mehreren 
Feuilletons über bie (Galerie (Ejernin, über bie ©alerie Schönborn^Bucßbeim, bie 
Sammlung Ferftel, anbere „uerborgene ftunftmerfe in VMen" unb über bie aller« 
bingS nach 2lmerifa gemanberte ©emälbefammlung Vreper fehr fachgemäße 9luS* 
führungen brachte. DaS (Eomite, melcheS bem mohlthätigen 3«iecfe ein mein 
erträgniS oon 26.356 ftronen juroenben tonnte, plant für ben nächften SBinter 
eine Söieberßolung ber Äünftmanberungen mit gleicher Vbficht ber (Ertrags 
oerroenbung. 

Durch einen Ve§eichnungSanflang fühlt man ftch oieUeid)t gebrängt, ben ftunft« 
manberungen unter ben auf Wiener Voben neuen (Erfcheinungen baS im ©aale X 
beS öfterreichifchen iltufeumS feit 24. 2lpril auSgeftellte VJanbermufeutn beS 
'JJtinifteriums für (EultuS unb Unterricht anjureißen. DaSfelbe foU in 
erfter Öinie ben nicht über öffentliche ftunftmanberungen oerfügenben Vrooinjjtäbten 
bie Anregung §u fiinftlerifcbem (Genießen unb VerftänbniS oermitteln. DaS auSge¬ 
ftellte Material umfafSt meift oor$üglicße einfarbige fHeprobuctionen oon Äunftroerfen 
ber Vlaftif unb Malerei beS 19. ^ahrhunberteS unb legt baS Jpauptgeroicht auf bie 
(Einführung in bie Veftrebungen ber ©egenroartSfunft. (ES h<*t ja gemifS oiel für 
(ich, gerabe über biefe roeitere Streife aufauflären, benen ber regelmäßige Vefuch oon 
'Musftellungen unb Sammlungen nicht möglich ift. Das VebiirfniS nach «wer fach 
männifchen Orientierung läfst ficb nicht beftreiten. 3h re Vertiefung ift geplant burch 
bie Veranftaltung oon Vorträgen, melche an ben für bie VuSfteUung gemäblten 
Orten bei ber WuSftellungSeröffnung ober roährenb ber VuSfteUungSbauer abgehalten 
unb burch bie Vorführung von Sfioptifonbilbern belebt merben follen; lefctere bietet 
bie 'JJtöglicbfeit, gefchichtlich roichtige lEntroidlungömomente burch bie Vnfcßauung flar 
w machen. Diefe einleitenben Vorträge maren bem CiuftoS beS öfterr. SJtufeumS 
Dr. GJtorii Dreger übertragen, ber am 22., 24. unb 26 9lpril mit fehr fachgemäßen 
(Erläuterungen bie neue Unternehmung einführte. Sie h<*t für bie mit Äunftfamm 
lungen gefegnete fHeftben* meniger Vebeutung als für bie fleine s Jkooin$ftabt, beren 
Vemobnern fie bie Vugen öffnen helfen mill für baS (Erbebenbe ber ftunft. 3n biefer 
.'Oinftcht fann üe mit ber 3«it hoffentlich manchen Glußen ftiftcn unb $ur Verebelung 
bee allgemeinen ftunftoerftänbnifies mefentlich beitragen 


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Wiener kunftleben (Gönner bi« 9Jtai 1902). 017 

©nblich fei unter ben neuen ©rfcheinungen für bie Hebung ber kuuftpflege, 
fcie gleichfalls über ben Söiener Voben hinaus fruchtbar gu werben oerfprecheii, ba« 
Ergebnis ber auf Anregung berCeo*©efellfchaft erfolgten V*ei«con 
currengen oergeidjnet, oon reellen jene für eine einfache ^farrfirdje unb 
für ein Neliquiar gur Nnfberoahrung eine« ©ranium« burch ba« ÜJtinifterium 
für ©ultu« unb Unterricht, bie für ein heilige« ©rab unb ben Hochaltar 
einer X)omfirche burch bie öeo*©efellfchaft felbft eingeleitet unb erlebigt rourben. 
Nrn lebhafteren war ber Vkttbewerb für eine einfache Vfarrfirche, für welchen nicht 
weniger al« 44 Vrojecte eingereicht rourben. £)ie rege Vetheiligung lieb in fehr er 
treulicher VSeife erfennen, baf« e« nur einer oon mafegebenben ©teilen au«gehenben 
Anregung bebarf, um bie Slrchiteften unferer Xage für bie Ööfung ber Aufgaben 
fachlicher Vaufunft wirtlich gu intereffieren. ^rincipieUe Veben(en machten fleh gegen 
irgenb eine ^ormengebung al« folche nicht geltenb. $ür bie 3uerfennung ber greife, 
bie gu je 1000 fronen äeopolb Vauer, Vhmibalb Meininger unb 3. 3nfche gufielen, 
gab, abgefehen oon ber Verücffuhtigung liturgifcher ©rforberniffe, ber fi’mftlerifche 
V*ert ber Entwürfe ben NuSfchlag. X)ie in ben fogenannten hiftorifchen ©tilen ge 
baltenen Vrojecte boten nicht oiel VerüdfichtigenSroerte« unb roaren gegenüber ben 
Anhängern ber ÜJtobeme ober ben ber letzteren fuh balb mehr, halb minber auSge^ 
fprochen nähemben ^rojectanten in ber ÜJlinbergahl. X)iefe Xhatfache gibt für bie 
Nlöglichfeit bauernber ^Behauptung ber trabitionellen ©tilformen ernftlich gu benten 
unb ift nicht gu unterfchäfcen. X)ie Nührigfeit ber ÜJloberne hat ftch mit unbeftreitbarem 
©rfolge auch auf ba« ©ebiet be« kirchenbaue« gewagt unb wirb fuh, wenn ba« 
beute noch oft anhaftenbe s 2lbfonberli<he, Überlabene unb ÜJlifSoerftanbene überrounben 
ift, vielleicht auf bemfelben gu behaupten roiffen. X)enn e« fteeft viel ©mft unb giel 
bewufstes Sollen, eine frifch pulfierenbe SebenSfraft in biefem ©infe&en, bem bie 
hiftorifchen ©tile mit einer au«gefprochenen SDlorofität, matten ©reifenhaftigteit unb 
(ehr troefenen Nüchternheit gegenüberftehen. Nlag auch ber kirchenbau h eu * e nicht 
mehr bie fiihrenbe Nolle wie in ben lagen ber ©othif haben, fo bleibt er hoch noch 
ba« tiinftlerifch weiheoollfte Problem ber Vaufunft. 3ür feine Söfung fleh mit einer 
'«Hngabl neuer ©ebanfen eingefept gu hnben unb ernftlich in Vetracht getommen gu 
fein, bezeichnet für bie Ntobevne ein Vorbringen auf bi«her oerfchloffene« ©ebiet. ©s 
wirb oon ihrem Xafte abbängen, ob fie ftch auf bemfelben behaupten unb erhöhte 
<Geltung gu erringen oermag, ba hi** ba« 3uriicfbrängen ber Xrabition fernerer als 
anberSwo ift. 3n ber Neliquiarconcurreng, für welche nur fteben ©ntwiirfe eingereicht 
waren, würbe ber erfte Vrei« non 5(X) fronen bem Vilbhauer ^elegnp guerfannt 
unb non ber 3uerfennung be« gweiten greife« abgefehen, obgroar einige Entwürfe 
beachtenswerte tünftlerifche ©ingelheiten boten. X)ie non ber &o*©efeüfchaft felbft 
alebigten ©oncurrengen für ein heilig ©rab unb ben Hochaltar einer S)omfirche 
nerliefen ergebnislos. 3ür erftere« waren oon 9 Bewerbern 11 Vrojecte übergeben 
worben, beren oerhältniSmäBig befte« wegen wefentlicher liturgifcher Vebenfen betreff« 
ber Nusgeftaltung be« ©rpofitorium« einen -Brei« nicht erlangen fonnte. Um aber 
ein billige« unb wiirbige« heilige« ©rab, ba« für ben praftifchen ©ebrauch empfohlen 
werben fönnte, in abfehbarev 3«t gu erlangen, würbe bem X)irectorium ber tfeo 
©efellfchaft empfohlen, bei gleichgeitiger Erhöhung ber greife, für welche bereit« bie 
©efammtfumme oon 2000 krönen bewilligt erfcheint, einen neuen befdjränften 5Bett 
bewerb einguletten. Von ben groei Jpochaltarentwürfen errang (einer ben 'Preis, ©ine 
pom Nlinifterium in NuSficht genommene Vublication wirb über bie oier ©ow 


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618 


^ofeph Weurotrtb. 


currenten unb babci auch über Vorzüge ber nicht mit greifen bebauten Gntroürfe 
roeitere Greife orientieren, Die AuSftedung oder Gntroürfe in ber Afabemie ber 
bilbenben fünfte bot benfelben ohnehin Gelegenheit, baS Gefammtmaterial unmittel 
bar nebeneinanber fennen $u lernen. Die jum X^eil negativen Grgebniffe fmb nicht 
minber lehrreich, Sie geigen, bafS bie Veroältigung ber geteilten Aufgaben ben 
ftünftlem unferer 3eit etroaS feitab liegt unb ©chroierigfeiten macht, roeü Aufträge 
biefer Art nicht alltäglich ftnb unb Verüdfichtigung von GefichtSpunften forbent, mit 
melchen nur eine roirfliche Vertiefung in ben fachlichen 3^>ecf ftch erfolgreich atyu 
finben vermag. DafS für eine folche in unferen Xagen mit ben in IRebe ftebenben 
döettberoerbern bie VermittlungSbrüde gefchlagen mürbe unb an ihnen ftch baS 
tereffe ber Zünftler für bie Ausführung tirchlicher Arbeiten ftch neubelebte, bleibt bei* 
unbeftreitbare, in bie Augen fpringenbe Grfolg ber burch bie i*eo*GefeÖf(haft veran 
lafSten Action. 

Unter ben ftänbigen Veranstaltungen unfereS ShmftlebenS behaupteten nach 
ber Starte beS VefucbeS unb nach ber &bhaftigfeit ber DiScuffion roieber bie 
AuSftellungen ber Vereinigung bilbenber Zünftler Cfterreich« 
„Seceffion" ben erften Vlafc. 3ebe berfelben hufa ein befonbereS 3ugftüd. ^ür 
bie Jebruar* unb dRärjauSftedung mar eS Vödlin’S „ÜReereSibpUe", melche befanntlicb 
baS Unterrichtsministerium für bie mobeme Galerie erroarb. ©ie jäblt tu jenen 
dReereSbarftedungen beS dReifter«, bie in baS feuchtplätfchembe Iritonenleben unb 
feine von ©eebunben unb anberem dReergethier belebte Umgebung führen. Die 
)RaumauSnüßung für bie Gompofition, bie VeroegungSmotive, döedenfchlag unb 
döolfenjug teigen bie volle dteife ber Ausführung. An Seuchtfraft ber Qfarbe bie bei 
ber feineSroegS fehr glücfliehen Auffteüung nicht recht jur Geltung tarn, Steht baS 
V$erf hinter anberen Vödlin Schöpfungen etmaS jurüd, roirb aber ein guter Vcr 
treter beS dReifter« auf Wiener Voben bleiben. Die AuSftedung mar auf öfterretchifche 
unb beutfehe Zünftler (aus München, Verlin, VreSlau, Stuttgart, DreSben) befchränft 
Die Vtünchener ftiinftlervereinigung „Scholle" betheiligte ftch corporativ; einzelne 
ber ihr angehörigen dRaler Guftav Vechler, dRap Fehler, Grich Grler-Samaben unb 
Jriß Grler, SBalther Georgi, Abolf dRün*er, *ranj Voigt unb Robert dßeife 
maren Sogar mit jroei bis brei döerfen vertreten. Gin eigentlich paefenbe« Vilb 
von großer GeftaltungSfraft befanb ftch nicht unter ihnen. dtubolf v. Alt er 
möglichte an jroei au« ben fahren 1873 unb 1901 ftammenben VÜbem („dktntbeon 
in dtoro" unb „Goifern") ben intereffanten Vergleich feiner ArbeitSroeife vor mehr 
als einem Vierteljahrhunbert unb in ber Gegenmart. Ginige £anbfchaften von Guft. 
ftlimt zeigten bereits befannte Vorzüge. Die AuSftedung eines von ihm noch nicht 
voUenbeten VorträtS mar ein dRifSgriff. Gin folcheS ©tüd aus ber Jpanb eine« ver¬ 
storbenen .Hiinftler« begegnet pietätvoller Aufnahme, vom lebenben verlangt man — 
unb ba« mit JRecht — ba« fertige. Viedeicht ließe man eine folche Gptravagam 
noch ruhig über ftch ergeben, ivenn baS döerf gan* Au&ergeroöhnlicheS $u Sagen 
batte, maS hier gar ntebt ber JfaU mar. Denn auch ein halbes 3ahr Später hätte 
bie« Vilbni« faum eine hochgehenbe DiScuffion erregt. dRanchen Vefucher verftimmten 
bie in ^arbe itnb 3et<hnung garten „Golbfifche" SUimt’S, in melchen gemiffe Gimeln 
beiten beS menschlichen Körper« turn dRinbeften auf eine ber gröberen dRenge nicht 
gerabe fpmpathifchen dßeife etivaS oftentativ in ben Vorbergrunb gerüdt mürben, 
d&nu auch ba« Übrige ganj brillant gemalt ift, thut eS hoch ber VMrfung eines Gemälbe* 
Gintrag, menn ba« Gefühl mancher Vefucher ftch tu feiner näheren Veftchtigung erft 


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BMener Shmftleben Jänner bik 3Jlai 1902). Hl9 

burcbfämpfen mufk. Bolle Beachtung fanbcn bie oon (£mil Orlif aukgeftellten Stüde, 
welche bie Bielfeitigfeit bek jungen ftünftlerk red^t günftig §ur Geltung brachten, (Sin 
faft einjähriger Aufenthalt in ^apan felbft erflärt feine Nfeifterfcbaft in ber äunft bek 
Jarbenholjfchnittek, in welcher Orlif nach Nfotioen unb Jormenfpracbe faft Japaner 
geworben ju fein fcheint. Auk Allem fpricht eine fraftoolle Berfönlicbfeit oon ftarfem 
BtoHen unb können, bie bei 3uoerläffigfeit ber 3^i<hwung gefcbmadooll componiert 
unb prächtig coloriert. $ie jeidptenben fünfte famen abgefehen oon Orlif auch in 
ber (SoUection ber Originale ju „©erlacb’k 3ugenbbü<berei" jum SBorte, bie in 
Bertholb fieffler’k $)arfteHungen ju „$>ek Änaben Bhtnberhorn", in ben oon ftarl 
^htinger, 3gn. Jafcbner unb A. Söeifegärber gearbeiteten Bilbern ju ben (5>rimm’fcben 
Härchen, in (Sjefcbfa’k ^Uuftrationen $u $ebel'k „Scbafcfäftlein" ober in ben an 
(ftchenborff’S ©ebicbte anfcblie&enben (£ompofitionen oon &orft*Scbulfce fehr glücflid) 
bie nunmehrige Unabhängigfeit ber beutfchen Bucbiüuftration — befonberk be* 
Btärcbenk — oon ber Nachahmung Bktlther (irane'k oeranfcbauücbten. 3)ak quillt 
wirflich in ber Sprache beutfcher ftunft auk ben liefen bek beutfchen $emüthek unb 
greift mit feinem Ipumor, feiner fprubelnben (Sinbilbungkfraft unb wieber mit ber 
Schlichtheit bek SoneS an’k §erj. 4 3m Allgemeinen war ber (Sinbrud ber 13. Seceffions 
aukftellung günftig, ber Verlauf für bie Zünftler, welche mehr alk ein drittel ber 
aukgeftellten Söerfe oerfauften, auch materiell befriebigenb. 

3n einer bikher noch nicht bagewefenen B$eife machte bie 14. Aufteilung ber 
Seceifion ein einjigek bebeutenbek ftunftwerf jurn $>auptan$iehungepunfte ber $)ar 
bietungen, nämlich 9Jtay ftlinger’k nach 15jähr. Arbeit oollenbeten „Beethooen". 
Jür feine meiheoolle Aufftellung, ber ein fleinerer Naum unb eine etwak anbere 
Beleuchtung wahrfcheinlich günftiger geweien wären, fucbten bie Wiener ftünftler 
einen eigenartigen Nahmen $u fchaffen, einen ber BMrfung ber Älinger Schöpfung 
fich unterorbnenben unb fte zugleich hrbenben Naum, beffen möglichft unaufbringlidje 
Aufchmücfung ber Nlalerei unb Bilbnerei *ufaUen follten. (Sinem gemeinfam aus« 
gearbeiteten Blane jufolge betheiligte üch faft jebek Seceffionkmitglieb an ber Aus 
tübrung biefer Arbeit, welche an bie Selbftlofigfeit unb CpfermiHigfeit ber H'ünftlev 
infofern hohe Anforberungen ftellte, alk biefe Aukfchmüdung nach Schluff ber Aue 
ftellung theilweife hetabgefchlagen werben unb ber Vernichtung anheimfaUen ntufe. 
(Sk läfkt fich gar nicht beftreiten, bafk etwak ®rofjek in einer folchen jielbewufkten 
Aukgeftaltung bek ^nnenraumes liegen fann, bafk eine burch oielev jpänbe Arbeit 
entftanbene Naumfcböpfung biefer Art, bie mit allen febönen Nebenkarten immer noch 
nicht jum Anfafce einer mobemen Xempelfunft hinaufgefchraubt werben fann, fchon 
eine gewiffe s Beif)e an fleh trage. §ier erfchien fte alk eine öulbigung für bak Akrf 
ftünger’k, aber zugleich auch alk Verfuch einer einheitlich fdjaffenben Naumfunft, ber 
ja manches recht Übertriebene geboten, jeboch nicht minber manch mertoollen Ringer* 
jeig für neue 3iele gegeben hat. Nur empfiehlt ek fich nicht, bafk man bie Sache 
ber Öffentlichfeit gegenüber fo barfteUt, alk ob überhaupt je&t erfi burch bie Naum 
funft bie Seceffion unb ihre Begebungen entbeeft worben wäre. Sie ift ben großen 
Nömerbauten, bem romanifchen unb gothifchen Stile, ber Nenaiffance' unb Barocf 
epoche bereits wohl befannt gewefen. s JNan benfe $. B. nur an bak Softem 
romanifcher ftirchenbemalung, an bie allerbingk feltenen Beifpiele wohlerhaltener 
Btanb* unb QHakmalereien ber gothifchen Beriobe. Unb ek wirb gewifk noch lange 
bauern, ehe bie mobernc Bewegung unk fo oornehme Näume fchenfen unb fdpnüden 
wirb, wie fie in ben öfterreiebifeben ftlöftem St. Florian, .Hloftemeuburg, in ben 


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620 ^ofepb Reuivirtb. 

Vibliotbetefälen ju s Hbmont unb bet Wiener §ofbibliotbef in ivirflicb monumentaler 
V&eife auSgefübrt mürben. 

Die fünftlerifcbe ©efammtleitung lag in ben fcänben ^ofepb £>offmann’s, ber 
ben SluSftellungSräumen ben (Sbarafter ber ^Monumentalität fiebern ivoHte unb in 
ber Slmvenbung burcbauS echten ÜJtoterialeS fomie in ber gormenfpradbe größte 
(Einfachheit anftrebte. Die arcbiteftontfcbe ©üeberung ber 2öänbe mürbe burcb ben 
v Becbfel rauben VeivurfeS unb glatt verpufeter flächen verfugt „Me ftärfer für ftch 
felbft fprecbenben Xbeile" beS gemalten unb plaftifcben 2 Banbfdjmucfe§ biteben auf 
bie ©eitenfäle befcbränft, um bie Ruhe für ben ©enufS be§ JnxuptroerfeS ju magren. 
Da letzteres burcb Öffnungen ber ©eitenfäle gegen ben SMittelfaal von erhöhtem 
©tanbpunfte unb aus; ber (Entfernung ficbtbar mar, mürbe ber an einen vor 
gefcbriebenen Runbgang gehaltene Vefucber mit einer geroiffen fünftlerifcben Wtcbt 
auf ba$ Veetbovenbenfmal vorbereitet. Unftreitig lag in bem ©anjen trofc alles 
©trebenS nach (Einfachheit fcbon etivaS ju viel fünftlerifcbeS Raffinement, baS bem 
im ftunftgenuffe bereite etivaS verivöbnten ©aumen beö ©egemvartSmenfeben burcb 
befonberS geroürjte neue Sederbiffen §u vei$en fuebt. 9luf baS ©etünfitelte mürbe 
mieberbolt ftärfered ©emiebt gelegt al$ auf bie $unft. 9lm meiften befproeben mürben 
bie an ben oberen Vtenbbälften beS linfen ©eitenfaaleS frieSartig bi n l au fart* n 
©anbgemälbe, bie ©uftao Älimt in ftafainfarbe auf aufgetragenem ©tue! auSgefübrt 
bat ©ie febilberten in jufantmenbängenbet ftolge bie ©ebnfuebt nach bem ©lüd unb 
bie Reiben ber OMenfcbbeit, beren Bitten ben moblgeriifteten ©tarfen $um Ringen 
nach bem ©lüde beftimmen, bie feinblidjen ©eroalten unb bie barübet bwroeg 
fliegenben VMinfcbe ber SMenfcben, bie ©tiHung ber ©liideSfebnfucbt in ber Voefie 
unb bas Jpinüberfübren bureb bie ftunft ins Reich beS Qbealen, reinfter greube unb 
reinften ©lüdeS in bem ber (Sb^r ber s Jarabiefe^engel jubelt: „SJreube, feböner 
©ötterfunfe! liefen ftufs ber ganzen 2Belt." Diefe Vilberfolge als eine ©cböpfung 
3 U betrachten, bie, mie manche glauben machen mollten, an ©eftaltungSfraft unb 
©ebanfeninbalt felbft einen Rlicbelangelo in ©chatten ftelle, bürfte roobl nur einigen 
unbebingt ©laubigen beS neuen MunftevangeliumS belieben geroefen fein, ©elbft 
ein aufrichtiger Jreunb ber mobernen Veftrebungen, ber bie guten (Einjelbeiten bes 
Mlimt’fcben SßerfeS gern jugeftebt tonnte ftcb faum für bie $lnerfennung ber ©efammt 
leiftung ermärmen. ^n ihr fteden fo viel aufbringlicbe Unflätigleiten, bafS man fich, 
ohne ben Xugenbbolb fpielen ju roollen, birect angemtbert fühlen mufS. ©ie jum 
©cbmude eine« auf möglkbft 3 ablreicben Vefucb reebnenben SluSftellungSunternebmenS 
*u machen, bas in erfter Cinie jur Vereblung bes ©efcbmadeS unb $ut Gilbung be« 
^erjens beitragen roill, fcheint jum minbeften ein ÜJtifSgriff 3 U fein, ©iulio Romano 
bat im s ßala\}o bei Ie in Rtantua ja auch fo manches bargeftellt, baS etwas febr 
freie ©eenen in gan* unjmeibeutiger 2 öeife bebanbelt; aber bie bamit bebauten 
Räume maren vom Einfang an nicht allgemeinem Vefucbe zugänglich. Unb menn 
man fich bavauf beruft, bafS bas äBabre baS Vtefen ber Äunft auSmache unb überall 
bort, mo e« fich um emfte ftunftbeftrebungen banble, ohne ©infcbränlung jum 3öorte 
fommen folle, fo läfst fich biefer ©runbfab feineSmegS ohne eine geroiffe Rüdficbt 
nähme auf £rt unb berart anmenben, bafS gerabe baS am meiften abftofjenbe 
am augenfälligftett enthüllt merben ntuf«. 3 ^ ntünblicber Rtittbeilung läfst ftcb für 
ba« bitterfte SSktb^ oft eine milbe $onn ber Vermittlung finben; ja, man hält & 
fogar für eine Vflicb* guten gefellfchaftlicben VerfebreS, nicht jebe SBab^b«*» bie man 
fennt, meiteren Greifen im vollen Umfange mihutbeilen. Die JVortn fiinftlerifcber 


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Wiener ftunftleben (Jänner bie 9Jtai 1902) 


621 


Vftttbeilung n)irb baher wohl ebenfo wenig in baS ©ebiet beS brutal fahren greifen 
bürfen, wenn fte ftch an bie große OJtenge wenbet, bie nicht abgeftofeen, fonbern an 
gezogen werben foll. Auch in ber juriicfhaltenben Abmeffung beffen, was in ^fällen 
wie in bem oorliegenben oor ein gro&eS publicum gebraut werben barf, liegt eine 
ftunft 2öenn man ftcb jum Verbreiter einer neuen ftarfen ftunft, beS SBafjren unb 
beS ©efchmacfoollen aufwirft unb baS Volf für bie Anerfennung neuer 9fr ccn 
erziehen will, bann foll man tyrn nic^t jur ©inführung fchlechte ßoft oorfefeen, welche 
bie ÜJlebrbeit unbebingt anwibert unb abftöfet, unb fich feineSwegS bamit tröften, 
bie ©efammtheit werbe auch an folche Derbheiten ftch gewönnen. ®ie Art ihrer Auf 
faffung unb Darftellung mag immerhin Diel &unft jetgen, für beren ganj unbefangenen, 
oon jeber ftnnlichen Vegung freibleibenben ©enufS aber bie Allgemeinheit nicht reif 
ift unb nicht fo leicht reif werben wirb. 3nriictweifung unb Verfpottung fonft 
förberungSwerter Begebungen gerabeju he*auSforbern unb beenge auSgefprochene 
Begünftigung in eine baS Söeitere oorftchtig abwartenbe ober bereits birect ablehnenbe 
Stellung hineinbrängen, ift minbeftenS unflug. „Viel ?feinb, oiel ©hr!" ift ein feht 
beherjigenSwertheS Vkihtwovt; eS !ann unb foll auch jur fünftlerifchen Selbftjucht 
führen, beren ftochhaltung ftetS jur Hebung wahrer $unft mehr beigetragen hat als 
irgenb eine in eingebilbeter Freiheit fchwelgenbe ©efchmacfloftgfeit. Doch genug baoon! — 
ber äufjeren Anorbnung wich man oon ber bisherigen Gepflogenheit ber Hummern* 
beigabe infofern ab, als man ben einzelnen Werfen ftatt ber 3ahlen bie mitunter recht 
hiibfchen Stünftlermonogramme beigab. Diefelben würben auch ben Angaben beS 
.HatalogeS beigefefct, ben Criginalholjfchnitte oon Anbri, Qettmar, ^rriebr. Äönig, 
Murjweil, Vtay Ben$, Wilhelm Sift, ©lena Suffch-ÜJtofooSfp, ÜJtoll, ftoloman 'Utofev, 
ftel. o. 3Jtprba<h, Crlif unb ©rnft Stöhr fdpnücften. DafS jumeift ber DarftellungS 
gegenftanb oerfchwiegen würbe, bei bem ja hoch nicht auSfchlie&lich ber Auffchlufs 
über bie in jebem ©injelfalle gehanbhabte $echnif, fonbern jugleich ber DarftellungS 
inhalt intereffiert, foll Dielen AuSftellungSbefuchem abgegangen fein. Die ©infchaltung 
Der Ausführungen über Vaumfunft auS Minger’S Schrift „Vtalerei unb 3*Hhnung" 
galt gleich bem Vorworte oon ©rnft Stöhr ber ©rflärung ber ©ebanfen, welche $u 
Diefer neuen AusfteüungSform geführt hatten, ©in auSgefprochener ÜJlifSgriff war 
bas AuSftellungsplafat, beffen Selbftjwecf mit bem AuSfchnitte aus einem AuS 
ftellungSwerfe gänzlich aufgegeben würbe. 

Mlinger’S „Beethooen" felbft war bei oortrefflieber Beleuchtung in bem 
Üftittelfaale aufgeftellt unb fam in einfanter ©röfje wirtlich $u einer ergreifenben 
BMrfung. Denn bie beiben im rücfwärtigen Xheüe beS Saales angeorbneten 
Brunnennifchen mit ben oon Vieh- Buffd) auS blauem Stampfbeton mobellierten 
Figuren, beren gebunbene Auffaffung an manches Vorbilb auS bem Alterthume 
gemahnt, Drängten ftch ebenfowenig oor als bie ftranjträgerinnen oon Vub. Bacher 
auf ben Bfailem oor ber Stimwanb; auch an ihnen finb Anflänge an bie ftunft 
Des AlterthumS ganj unoertennbar. Die grofee 9Jtenge intereffierte an bem Beethooen* 
benfmale junächft bie fo augenfällige Vtonnigfaltigfeit beS VteterialeS; oier Btovntor 
arten, Bronce, ©Ifenbein unb Ipalbebelfteine oereinigen ftch h*w ju* fünftlerifchen 
Berförperung eines großen ©ebanfenS. AuS ben Beenden ftammt ber wolfenartig 
lieh oorfchiebenbe Unterbau unb ber auf ihm fauernbe Abler, auS BaroS baS foft 
bare VSeife ber Achtbaren Q'lcifc^theile; golbgelber, reichgeaberter öaafer Dnpj: ift für 
DaS bie Beine oerhüUenbe ©ewanb oerwenbet. Den mit Wachreliefs ringsum 
gefchmiicften Broncefeffel, eine h^öorragenbe tfeiftung moberner ©iefefunft, jiert ein 


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Qofepb 9teuroirtb. 


ti22 

aud Onqr unb Opalftüden gebildeter ÜJtofaifftreifen, oon bcm fünf ©ngeldföpfe in 
(Slfenbeinfcbni&erei ftcb prächtig abbeben, ob^roar habet etroad oon ber monumentalen 
SRube bed ©anjen oerloren gebt. $)afd einer berfelben mit bem 3eigefinger bed oor 
mittig neben bem rechten $lügel ftcb oorftrecfenben hänbcbend nach bem haupte 
Veetbooen’d bedeutet, ifi recht naio gebacbt. 2>ie $arfteüung bed ©eroaltigen trägt 
ben Stempel ^o^cr ftunft an fid). 3n ber etroad oorgeneigten, jeben 9lugenblid §u 
tbatenfrifchem (Erbeben unb Bodbrecben bereiten haltung, in ben gefammelte Straft 
tünbenben geballten Rauften ift bei aller SBeltoer lorenbeit unb Slbfebr oon ber 91U- 
tagdumgebung bad grofee 3Befen Veetbooen’d monumental oerförpert. 2Bie bad 9lntlU’> 
unb ber oorgebeugte Oberförper mit bem fräftigen Jpald unb 9tacfen, fomie mit ben 
tragfäbigen Schultern ins geiftige Mittel gefteHt find unb ihnen alled Reimer! fidj 
in einer ganj beftimmten 9lbftufung unterorbnet, erscheint feinfühlig abgeroogen. %ex 
fpmbolifcbe flugbereite 5lbler, ber ftcb roie ber föomponift oon ber 2Belt abfebrt unb, 
febon auf bem s Iöolfenranbe lauernd, noch in böb ere Legionen ftcb erbeben möchte, 
nimmt bad hauptmotio ber ßornpofitiondinbalted nochmals geradezu unauffällig auf 
unb oerftärft bad Mächtige feiner SBirfung. Vei bem Schöpfer bed noch immer 
oielgenannten ©emälbed „©briftud im Clpmp", bad bie ©egenüberftellung bed höcbften 
jroeier einanber entgegengefettten Gelten bebanbeln roill, befrembet und in ben Reliefe 
bed Ibronfeffeld feinedroegd bad (Eingehen auf bie gleichen Vorftellungdfreife, auf 
antifed heibentbum unb ^btiftentbum. $antaludqual unb SünbenfaH fchlagen oer^ 
rnanbte Saiten menfglichen hodpnutbed unb ^fteoeld an. Unb roenn ber Vteifter bao 
©olgatbabrama an ber 9tüdfeite über bie ben 2Bellen entfteigenbe Scbönbeitdgöttin 
ftellt, fo mirb barin unftreitig bie ftinftlerifcbe hinbeutung auf ben Sieg bed ©haften 
tbumed über bie Qbeale ber 9lntife erblidt merben bürfen. $)ie haltung bed ©efreujigten 
*eigt mehrere nicht gerabe anfpreebenbe härten. $ad Beuchten unb Vlinfen ber 
abgefchliffenen Seitenroangen beeinträchtigt bie SRube bed (£inbru<fed, mäbrenb bad 
oon ben ©ngeldföpfen burebbroebene blaue Opalbanb bie SRüdlebne roirfungdooll 
abfcbliefet Ohne bie Irompetenftöfee oerftärfen §u roollen, bafd man ftcb 3 um Vergleiche 
mit erftclaffigen üfteifterroerfen bed Vbtbiad ober üJticbelangelo gebrängt fühle, mirb 
man oorurtbeildfrei unb gern jugeben, bafd ftltnger’d „Veetbooen” unftreitig bie 
beroorragenbfte Schöpfung beutfeber ^Maftif unfered jungen ^abrbunberted fei. Sic 
gerabe in SBien $um erftenmale oor ein grofeed Slunftpublicum gebracht au h a ben, 
bleibt ein grofced Verbienft ber Seceffion, für beren SludfteUung Älinger außerdem 
einen febr angehenden unb feinen Vtäbcbenfopf aud ÜHarmor unb einen fraftooUen 
Vronce Athleten beigefteUt batte. $ie hohe fünftlerifcbe Vebeutung bed VJerfed läfdt 
ed leicht begreiflich erfebeinen, bafd balb nach ber 9ludftellungderöffnung bie Ver 
mirtlicbung bed ©ebanfend ind 2luge gefafdt mürbe, bad Veetbooenbenfmal bleibenb 
für s Iöien ju ermerben, bad bamit jroeifellod eine beroorragenbe Sebendroürbigfeit in 
ber nicht unbeträchtlichen 3<*bl feiner er f tcn ftunftfcbäfee binjugeroonnen hätte. — $rofc 
mancher birect abfto&enber ©injelbeiten mar bie 14. Seceffiondaudfteüung in ber 
hauptfacbe immerhin eine eigenartige, über ©eroobnbeitdbarbietungen jielberoufdt 
binaudgebenbe fünftlerifcbe Unternehmung, beren Xbeilnebmer ben Segen einer 3n*ä 
unb Veftimmung babenben 9lrbeit an ftcb erfahren unb lernen rooKten. hoffentlich 
lernt man für bie 3ufunft gefchmadlofe OJtifdgriffe meiben, bie bem JJörberadroerten 
ber neuen Dichtung nur abträglich ftnb unb ben ^ctbfreichen ©egnem berfelben 
9Baffer auf bie 9lblebnungdmüble treiben. 55)enn bafd alled, mad bie 9ludftellung 
bot, fchön unb über jeben Xabel erhaben mar, glauben hoch bie Seceffiondmitglieber 


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Wiener Munftleben (Jänner biß ÜRai 1992). 


62;5 


feibft nicht; als 2Renfchenroert roar fte ja non allem Anbeginne beftimmt, nur Stüd 
roerf §u fein unb trofc eine« geroifß ganj feltenen Äunftgenuffeß ben Stempel beß nicht 
burchauß Vefriebigenben, beß in geroiffer Vejiehung Unoollenbeten an ftch ju tragen. 

Die SecefftonßaußfteUung mit bem Älinger’fdjen „Veethopen" alß 3Rittelpunft 
peranlafßte ben Unio.=Vtof. Dr. (Guibo 9lbler, in feinen Vorlefungen ftch über bie 
äußere Erlernung beß Eomponiften unb bie Veethopen*Vilbroerfe näher außjufprechen 
unb auf bie Ebenbürtigkeit ber Schöpfungen oon 3umbufch unb Jünger htnjuroeifen, 
roelche perfchiebene Probleme ju löfen perfuchen. gn *>ex Vubget*Eommiffion beß 
§errenbaufeß rourbe mit houptfächlicher !peranjiebung ber Vierte SUimt’ß bie „Iran! 
hafte (Gefchmadßentroidlung" ber 3^it -erörtert unb perlangt, bafß baß Unterrichtß 
minifterium eine folche Eunft nicht unterftüßen, fonbent alleß aufbieten folle, um 
biefc Dichtung einjubämmen. 2Rinifter Dr. p. Partei lehnte bie birecte Etnflufß* 
nähme auf bie Entroidlung einer $unftri<htung mit [Recht ab, ba eß roeber in feiner 
9Racht liege, noch er eß für richtig h a lte, bie freie Entroidlung ber ftunft ju hemmen, 
feibft roenn er bie ÜRadjt baju hotte. gn ber Verroaltung beß ftunftrejfortß höbe 
er nicht feinen eigenen (Gefchmad burchsufeßen, fonbent müffe ftch ben perfdjtebenen 
Äunftrichtungen gegenüber objectip perhalten unb aüeß unterlaffen, maß bie $unft 
entroidlung hinten tonnte, (Geroifß barf jebermann über ein öffentlich außgefteütee 
ftunftroerf fein Urtheil außfprechen; aber bei beoorjugter Stellung mufß bieß ftetß aud) 
mit [Rüdftcht auf bie Vebeutung beß für bie Erörterung gewählten Crteß gefchehen. 

Einen folchen ungeroöhnlich ftarten 3lnjiehungßpun!t, roie ihn bie rührige 
Seceffton in Älinger’ß „Veethopen" gewonnen hotte, befaßen bie perfchiebenen 33 e r- 
anftaltungen im Zünftler häufe nicht. 3>h r e [Reihe eröffnete bie Slußftellung 
oon Vierten Ebuarbß p. fiidjtenfelß unb beß tünftlerifchen [Radjlaffeß pon Eugen 
Zettel, roelche ben Unterfchieb ber Sluffaffung unb Vehanblung beiber Zünftler in 
intereffanter 3Bcifc peranfchaulichte unb bie (Gelegenheit jur Vergleichung ber foge 
nannten alten Dechnif mit ben mobemen Darftellungßgrunbfäßen bot. (Gleichzeitig 
fteüte ftoppap im mittleren Vorterrefaale beß Äiinftlerhaufeß ^orträtß mehrerer 
s JRitglieber beß s 2lllerhöchften ftaiferhaufeß auß, benen ftch noch bie VUbniffe per 
fchiebener ^föoltchfeiten ber oornehmen Sööiener (Gef ellfchaftßf reife, roie beß ehemaligen 
Oberfthofmeifterß 3h^cr 2Rajeftät ber perftorbenen ftatferin, Varon [Ropcfa, ber Erb- 
printeffmnen $arl unb Johann Schwarzenberg, ber grau Ääthe Dreher, anfchloffen. 
Unter biefen äßerfen ßoppap’ß rourbe baß Vilbniß ber neupermählten gürftin 
EUfabeth ju äßinbifchgräß alß baß anmuthigfte gerühmt. [Roch im Qanuar eröffnete 
ber s 2lquarelliftenclub feine 16. 9lußfteüung, beren VSerte nicht gerabe ju oft über 
'JRittelmäfügteit hinaußgiengen. — Die am 22. ÜRärz 1902 eröffnete ^ahreßaußfieüung 
ber (Genoffenfchaft ber bilbenben ftünftler SBienß umfafßte roieber roeit über 500 Vierte, 
roorunter ja mancheß intereffante, roenn auch nicht gerabe piel henrorragenbeß roar. 
3Rit einiger Vefriebigung tonnte man feftftellen, bafß bie einheimischen 3Raler, objroar 
biefelben im Vergleiche ju früheren 9lußftellungen an 3ohl weniger brachten, gegen 
baß befonberß burch Verlin unb Variß oertretene Slußlanb nicht jurüdftanben. Denn 
ber fiocaloerein ber allgemeinen beutfehen ftunftgenoffenfehaft hotte mehr Verfehlteß 
alß (Gelungeneß beigefteUt. Die granjofen rourben faft oon ben Vorifer Slmeritanem 
übertroffen, bie freilich gleichfaüß nicht burch befonbere Darbietungen feffelten. Eß 
gab im (Ganzen mancheß Slnfprechenbe, bei bem man auch länger alß einen klugen- 
blid gern perroeilte. [über man rourbe beim Vergleiche mit ben Unternehmungen 
beß fcagenbunbeß ober Seceffton bie Empfinbung nicht loß, bafß ein geroiffer Drud 


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624 


3ofeph 'Jleuwirth. 


be« ÜWiiben auf bei* Veranftaltung lafte unb ber 3«fl einer fröhlichen Darbietung 
fehle ober wenigften« ftarf auriief trete. ÜNehrere recht tüchtige Üeiftungen umfaßte 
bie (Gruppe ber Vilbniffe, für welche $. ©. £ä«&lo ba« Porträt Sr. §eiligfeit be« 
Vapjte« &o XIII. unb jene« be« ©arbinal« ^HampoUa beigefteüt b^- tfeßtere« war 
oiellekht ba« befte Vilbni« ber 9lu«fteüung, bebeutenb in Sluffaffung unb $lu«führung. 
^luch in bem Sueger^orträte oon Vochwal«fi fteefen gute 3üge eine« Wepräfentation« 
bilbe«, ba« bei malerifcher Schlichtheit leben«wahre VMrtung erreicht. l*eopolfc> 
Joorooife, beffen intereffante« Selbftbilbni« etwa« gefchledt au«fah, blieb in bem 
Vilbniffe Sr. OTajeftät be« Äaifer« eigentlich oon bem beftriefenben 3ouber lieben« 
mürbiger '^erfönlichfeit in innigfter 3rühlung mit menfchlicher Jpoheit fehr oiel 
fchulbig. Die Vertretung ber religiöfen unb gefchichtUchen Vtalerei fönnte nicht 
befriebigen. Söenn Qehubo ©pftein in feinem „Ipiob" feine einbringliche Jarbenbe 
berrfchung mehr ber oirtuofen Vehanblung be« SRaffentppifchen al« einer groben 
!berau«bilbung be« erfdjütternben 9Jtotioe« juwenbet, fo bleibt er un« eben bie fraupt 
fache fchulbig. Tyaft ba«felbe begegnet bei „Vhurao’« Xrübfinn 44 oon ^[ean fiecomte 
be 'Jtoup ober bei „$efu« ruht bei SJtortha unb ÜRaria au«" oon 3of. ÜJtariu« $lop. 
Vkx« ber berliner Otto ©ngel al« „Veweinung ©hnfti" au«ftellt, fommt mit 
einem unoerfennbaren Sdpoanfen jwifdjen älteren unb jüngeren Vorbilbem trofc 
guten SBiüen« über gejuchte s ?ofe nicht binau« unb rührt feine«ioeg« an ben Saiten 
berjbetoegenber Xragd gerabe biefe« Stoffe«, bei beffen' '-Betrachtung auch unfere 
Seele bi« $u einem gewiffen (Grabe fdpnerjerfüllt mitoibrieren muf«. ©in berb 
jugreifenbe« Speftafelftücf brachte ber ÜDliinchener 3e*tonanb (Göß in feiner „Ver- 
fuchung be« heil. 2lntoniu«", welche bie VMirbe religiöfer ©rbauung«barfteüun<t 
eigentlich gan* prei«gibt. fritdjcod erfcheint in feinem „§eil. (Genooefa" betitelten 
Vierte für alle« anbere mehr intereffiert al« bafür, in ber §auptgeftalt auch einen 
allgemeiner befannten Jpauptjug ber i*egenbe fünftlerifch $u oerförpern; wa« fte al« 
Veiwerf umgeben foüte, ift fo jur £>auptfache geworben, baf« bie Eilige birect $ur 
Staffage h^ubfinft, wobei e« au«gefprochene (Gefdpnadloftgfeit bleibt, bie« Viert 
auch nur bem Xitel nach auf ba« (Gebiet religiöfer Darftellungen hinüberjurüden. 
Solche Veiläufigfeit«motiüe oerbienen entfdpebenfte Ablehnung; fte niißen ber emften 
.Hunft gar nicht« unb bringen ba« erjählenbe ftirchenbilb nur in ÜJtif«crebit. Da« 
eigentliche (Gefdpcht«bilb oertraten am augenfäUigften, aber nicht am glüdlichften 
©ichftätt „3wifchen iiignp unb Veile Miance", Vlefferfdpnitt „Xülp’« Verwunbung". 
Center Schuh „Der große fturfürft in ber Schlacht bei unb >Köber 

„Der leßte Staat«rath be« groben Murfiirften". Die Vebeutung ber Darftellungs- 
momente läf«t fich gar nicht beftreiten; umfomehr jene ber DarfteUung felbft, bie in 
eine folche Plattheit eine« wohlanftehenben Vortrag«tonee oerfällt, baf« eher alles 
anbere al« eine politifdppatriotifche (Erhebung erhielt werben fann. Solange bie 
(Gefdpchtemaletei folche Xenben^pfabe wanbeit, wirb fte faum höheren ©rebit erlangen. 
©« ift bei un« felbft nicht oiel beffer. Da« lehrt un« „Die (Gefangennahme liola 
Wiert^i’« butch Marl IV. auf bem frrabfdpn tn Vrag" be« jüngft oerftorbenen 
tichechifchen Üflaler« 2B. Vrojtf. Sie ift ebenfo oofl hohler Vhtafe wie ba« befannte 
Memälbe „Tu felix Austria nube“ ; ja au« leßterem unb anberen VroJif^Vierfen 
ftnb manebe Figuren unb Darftellung«ein$elheiten einfach herübergenommen unb faft 
in ber Vrt profeffton«mäfeigen Wbfchreiben« gan* geiftlo« oerwertet. So entwürbigt 
fich bie (Gefdpcht«malerei felbft, bie nicht mit ber (Gröfee be« Stoffe« unb ber Vc- 
hanblung al« Jvübrerin ftch behauptet, fonbern in (Gefälligfeit«bienften perflacht unt> 


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Wiener Hunftleben (Jänner bis ÜJtoi,1202). 625 

berabfommt. einen frifcbcren Ion feblägt öubwig Hoch an in feinem ®ouacbebilbe 
„(Sin Oberftlieutenant beS 2. Infanterieregiments überbringt am 22. ^aai 1757, 
nach bamaligem ©ebrauebe oon 20 $oftiUonen gefolgt, an bie Haiferin ÜJtoria Iberefta 
nach Scbönbrunn bie Nachricht oom Siege oon Holin." 

Unter ben plaftifcben AuSfteüungSobjecten oerbienten nähere Beachtung bie 
tüchtigen ©Köpfungen unferer einbeimifeben ÜJtebailleure Sdpoarß, s ltfafcbmann, 
^öreitbut, s #awlif unb 2Jtarfcball. Söiirbig präfentiert ficb baS in grofeügiger Cin 
faebbeit gehaltene Denfmal für ben Pfarrer Qof. Straufe oon Xbeobor Cbarlemont, 
Der nicht rninber in ben ÜftarmorreliefS „Singenbe 2Räb<ben" unb „3eicbner" mit 
feiner (Smpfinbung auf bie öebenSwabrbeit einer oon 91ebenfäcblicbem freibleibenben 
DarfteUung baS Hauptgewicht legt, ABäbrenb feine für ein Orabmal berechnete 
„Trauer", ber Anf länge an bas Cbriftinengrabmal Canooa’S nicht ganz fremb finb, 
ihrem 3wecfe entfprecbenb wirb, ftößt 3in$fer’S „Auferftebung" mit ihrem SütifSoei 
bältniffe jroifchen 5igur unb fltaum gerabeju ab. Anfprecbenber gelingt eS bem 
Münchener $8altbafar Schmitt in ber 9Jtarmorbüfte „St Abalbero oon Hambach" 
unb im ($HpSrelief „St. ÜJtoyimilian" eine geioiffe Aöieberbelebung mittelalterlicher 
DarftellungSweife, welche oon wirtlicher Durcbgeiftigung erfüllt ift. Die Aftberhofev 
'43üfte oon Hauffungen unb bie Haiferbiifte oon s $enbl finb immerhin achtenswerte 
Arbeiten. ASeigl’S „$8eetbooen" batte gerabe gegenüber bem in ber Seceffion aus 
geteilten Hlingerwerfe einen ferneren Stanb; fein ISorträtrelief ber oerftorbenen 
Haiferin eiifabetb gehört zweifellos $u ben befferen Darfteüungen biefer Hategorie. 
Die Unterftüßung ber funftfmnigen Jperrfcherin ermöglichte bem S3ilbbauer Harl 
Sdpoerzef bie ^ollenbung ber auSgefteüten 9teconftruction beS öffentlichen Parthenon 
giebels, über welche ber genannte Hünftler im >Hepräfentationsfaale beS Zünftler 
baufeS einen Sortrag h^*- Jvüt letzteres würbe bie Schaffung eines ^räfibenten 
faaleS befchloffen, in welchem lüften ober $3ilbniffe aUer bisherige ^täfibenten ber 
Oenoffenfdpift bauernb zur AuffteUung gelangen foüen. 

DaS öfterreichifche s Utufeum für Hunft unb ^ubuftrie oeran 
ftaltete in ber s 43erichtSperiobe feine AuSfteUung im großen Stile, 'über einige Heinere 
Ausheilungen bes rührigen ^nftitutes, in welchem, wie bereits früher, Rührungen 
burch bie Sammlungen oon ben einzelnen AbtbeilungSoorftänben aüwödjentlid) 
zweimal feit bem 2. April wieber aufgenommen würben, boten anregenbe Abwech* 
lung. Den 3eitoertreib einer oomebmen Dame beS 18. 3ahth un ^ er l eö iüuftrierten bie 
bunten öidpbrude oon *!eloir für baS s T6ert »Une femme de qualitä«. .Heine CinzeL 
heit beS frioolen ÖebenS ber erwähnten (Epoche ift iiberfehen, manche mit einer 
behaglichen Schlüpfrigfeit, Zieles wirflich geiftreich behanbelt. Die 'Blumenmalerin 
3rma Homlofp, weldie burch mehrere $abre Lehrerin ber Crzherzogin OJtaria Tberefta 
war, ftellte eine größere Anzahl oon Arbeiten auS, benen ftcb liebeoollfteS Stubium 
ber 9tatur unb größte ©ewiffenbaftigfeit unb Sorgfalt ber Ausführung nicht ab 
fpreeben ließen, eine 3^it lang beherbergte baS öfterreichifche ÜDiufeum auch bie 
Collection beS oom öfterreichifchen UnterricbtSminifterium begrünbeten iöanbev* 
mufeumS, oon bem fchon oben bie SRebe war. Das (Ergebnis ber Concurrenz 
für (Entwürfe funftgewerblicher Objecte auS bem ^oftiteltajrfonb war feineSwegs 
befonberS günftig, ba bie Schreibzimmer eigentlich nichts empfehlenswertes boten 
unb felbft bei ben etwas mehr anfpreebenben Speifezimmereinricbtungen nur ber 
zweite Breis bem Ardpteften Otto 2Bptrlif juerfannt würbe. 5>ür ben entwurf 
einer plaque würbe eine mit 31. December 1202 befriftete Concurrenz mit brei 

Xie Shiltur. III. Satrrg ü. Jpeft HH)2.) 40 


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3ofepb Keumirtb. 


020 

greifen aus bem ftoftiteltatfonb (2500, 1500 unb 800 Slronen) auSgefcbrieben, an 
melier öfterreidjifdje ©taatSangebörige ober innerhalb beS ©ebieteS ber im Keicb* 
ratbe oertretenen ftönigreicbe unb ifönber anfäffige Mnftler fub beteiligen tönnen. 
Kicbt minber eifrig beteiligte ficb baS üttufeum an ben Vorbereitungen für bie 
MuSfteüungen in lurin unb üonbon; an leßterem Crte mill baS öfterreidjifefte 
ftunftgeroerbe barauf auSgeben, ben in eine Vnzabl oon Interieurs jerfaüenben 
KuSfteUungSräumen ben fünftlerifcb oornebmeu (£batafter eines einheitlich ge^ 
fdjloffenen VilbeS zu geben unb zugleich ben IppuS eleganter ©efellfchaftSräume 
ZU bieten, roelcber ben fpecififcb öfterreiebifeben Ion burebflingen laffen foü. 
s 4öäb^ en b ber SBintermonate mürben auch mehrere VortragScpflen, jum größten 
Ibeile in Verbinbung mit tfichtbilberoorfübrungen, oeranftaltet; eS fpracben 
Vrofefjor Keuroirtb über „Vtittelalterlicbe $unft in Cfterreid)", s Jkofeffor Keifcb 
über „Vompeji", 9Mer ©eligmann über „©oftüm- unb DecorationSmefen oon einft 
unb jeßt" unb s }kof. Julius o. ©cbloffer über „ftunftfammler unb ftunftfammlungen in 
alter unb neuer 3eit". ©roßen VeifaU fanben bie Vorträge beS 9JtalerS ©mil Crlif über 
„£eben unb ftunft in 3apan", beren lebenSoolle Darlegungen überall auf Ibatfacben 
bafierten, roelcbc ber Äünftler felbft roäbtenb feinet längeren Aufenthaltes in Sapan 
an tfanb unb Leuten, an Ifcbensfiibrung unb Munft)Köpfungen fennen gelernt hotte. 

Die AuSftellung ber Vereinigung öfterreidpfeber bilbenber Äünftler unb Äünff 
lerinnen in ber Kientergaffe bot manches gut gemeinte, aber nicht immer gut ge 
lungene SBerf. Uber Vtittelmäßigfeit gieng eigentlich feines hinaus. $er öfter 
reiebtfehe ftunftoercin, roelcber infolge ber Kieberteifeung beS ©cbönbrunnetbaufeS burdb 
längere 3ett feine AuSftellungStbätigfeit fiftiert batte, eröffnete am 19. April im 
neuen Katbbaufe feine AuSftellung: auch biefe brachte nichts ©rmäbnenSmerteS. 

Die SCunftfalonS blieben in ben Vabnen ihrer befannten Kübrigfeit. 
Vom rein tiinftlerifcben ©taubpunfte begegnete großem Qntereffe bie am 9. ÜHärz 
im ©alon s ßi8fo eröffnete AuSftellung oon Arbeiten beS Deutfcbböbmen ©mil 
Crlif, bie zahlreiche ©tubien aus Vöbmen, fcoHanb, ©nglanb unb Qapan um* 
fafSten unb einen Zünftler oon roirflicb ausgeprägtem ©botafter erfennen laffen. 
©r beberrfebt bie oerfchiebenartigften leebnifen mit hoher 2Jteifterfcbaft unb ftellt 
überall baS tbatfäcblicb SBirfungSoofle in ben Vorbergrunb. 3n ftolzfcbnitten, 
©teinbruef unb Kubierungen befd^äftigt ihn bouptfäcblicb bie mit menigen ©trieben 
lebenSroahr bingefeßte menfcblicbc pigur. ©eine Ex-libris zeigen zum Ibeil feine 
©rfinbung. ©elbft in ben japanifchen ÜHotioen oerleugnet Crlif nirgenbS feine 
eigene Katur unb betont immer nur entfebiebener baS auch bureb frembe Vorbilbet 
unb ©tubien im fremben Sanbe geläuterte Veftreben, ftets baS 5Befentli<be mit 
natürlicher Einmuth benjorjufebren. Veim Vergleiche mit ben oor ber ^apanfabrt 
liegenben ©tiiefen ift es augenfällig, bafS Crlif hetber geroorben ift, aber in ber 
farne ganz außerorbentlicb oiel für feine $unft gelernt bot. Unb um biefelbe 3eit, 
in melcher biefe AuSftellung (Gelegenheit bot, bie abroecbSlungSreicbe ©pracbe ber 
Munft CrlifS fennen ju lernen, oerftärfte ber junge ÜJteifter ben ©inbrud bureb bie 
oben ermähnten Vorträge im Cfterreicbifcben SJtufeum, bie barauf abzielten, manche 
falfcbe VorfteUungen ber Europäer über 3apan unb feine Serbältniffe richtig ju 
ftellen; auch hier zeigte er feine oolle frerrfebaft über ungezroungenen, feblicbten, aber 
mirffamen AuSbrud. — Der ftunftfalon Artaria lenfte in zweifacher 3öeife bie 
Aufmerffamfeit ber Ceffentlichfeit auf ficb. $n ben Vfingfttagen mürbe ber nach 
ben Vlänen beS ftrebfamen Ard)iteften Dr. gabiani ooHenbete Veubau beS &unftbaufe3 


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Wiener M'unftleben (Qänner bis 9Bai 1902). 6 2 7 

«ingeweiht, für beffen BerfaufSräume reiche Lühtzufubr febr gut oermittelt ift. $)en 
fdjönen AuSfteUungSraum fcbmücfen bret grofee Crigtnalbilber liepolo’S, ein alter 
ftamilienbefiß auS ber Billa ©irola am ©omerfee, bie im 18. Qabrhunberte gfcanceSco 
Artaria, bem ©ro&oater beS beseitigen QirmainhaberS, gehörte. Bor 30 fahren nach 
Wien gebracht unb in ben Depots bis jum Dctober 1900 oetgeffen, feierten fle mit 
bem neu erftehenben $>aufe eine Art Auferftehung. Sie bieten mptbologifche Allegorien 
non Luft, ©tbe unb Waffer mit ber ganzen föftlichen Qarbenfreube ber Benezianer, 
ja im Bieere mit einer griffe gemalt, bie oon felbft einen Vergleich mit Böcflin 
aufbrängt. Aber außer biefen Schöpfungen alter Munft intereffierte bie ©röffnungS* 
auSfteüung bei Artaria auch burch Werfe oon ©auermann, Ubbe, WalbmüHer, üttoll, 
Babierungen oon Qerbinanb Schmußer, burch Silber unb Lithographien oon üttprbacb, 
(leine Bronzearbeiten oon ©urfchner u. A. — £)ie Munfträume beS „$>orotbeumS" bezog 
zuerft bie ©oflection ber Weltreifebilber oon Qofef Ipoffmann im Bereine mit anberen 
Werfen beSfelben SJteifterS; biefe Aufteilung hotte auch ben Bmecf, behufs BertaufeS 
bem Bublifum eine bequeme BeficbtigungSgelegenbeit zu geben, für roelche fich bie 
Molomrat» unb ©mminger-Säle gut eignen. — ©ine Aufteilung eigener Art oer¬ 
einigten baS ©ifenbahn- unb franbelSminifterium in ber — ©epäcfSbaüe beS Weft 
babnbofeS, nämlich jene' befonberS malerifchen ©tabtebilber unb Alpenlanbfchaften 
CefterreicbS, welche für bie Auf chmücfung beS ©oncertfaaleS unb eines als Beifebureau 
zu geftaltenben Baumes ber Lonboner Aufteilung beftimmt unb bamach angethan 
finb, bie hohe lanbfchaftüche Schönheit unferer Heimat in ihrer entzücfenben Btannig 
faltigfeit oor einem Weltpublifum auch im AuSlanbe zu ©h^en zu bringen. — ©inem 
flcinen Mreife oon Munftfreunben mar bie Befichtigung oon BübernJpanS ©antner’S 
ermöglicht, bes einzigen SBalerS beS BrütftentbumS Liecbtenftein, welcher fich oorwiegenb 
ber Behanblung oon Stoffen biefeS ©ebieteS mit oiel ©efe^ief unb flotter Beherrfchung 
ber Qarbe wibmet. ^Die ihn befeelenbe Batiirlicbfeit flingt befonberS auS feinen 
Borträtffizzen, $>orftppen unb Ifetflubien beroor, bie burfwegS feine ©mpfinbung 
erfüllt. — $)ie BepräfentationSräume beS 9BinifterratbS*BräfibiumS öffneten fich für 
bte Beit oom 21. bis 24. Qebruar einer AuSftellung oon ©emälben, ©culpturen unb 
BippeS, an welcher fich nur Amateure auS bem Maiferbaufe fowie aus ben erften 
©efellfchaftSfreifen (auS bem ^ofabel wie aus bem biplomatiffen ©orpS) betheiligten. 
TaS ©rträgniS ber Beranftaltung oon mehr als 2000 fronen würbe bem Minberafpl 
in Breitenfee zugemenbet. Unter ben AuSftellern befanben fich bie ©rzberzoge Ctto 
unb Marl Stephan, bie ©rzberzoginnen SBarie Balerie, ÜJlarie Qofepba, SJtotia 
Tberefia, ©lifabeth ©lotilbe unb ©lotilbe SBarie, bie Herzogin oon Württemberg, 
Herzogin unb Brinzeffin oon Barma, Qiirftin Alfreb Winbifcbgräß, Qürftin oon 
Ihurn unb Sayis, bie Bnnzeffinnen Winbifchgräß, Wrebe, AuerSperg, ÜJtarie 
Liecbtenftein, Borghefe, bie löfter beS beutfehen BotfchafterS dürften ©ulenburg u. A. 
Btanfe ber Arbeiten zagten in erfreulichfter Weife, mit welchem ©rnfte unb Ber 
ftänbniffe Berfönlichfeiten beS JpofeS unb beS Wiener AbelS ber Munftiibung felbft 
fich mibmen; mehr als eine-hätte auch iu AuSftellungen oon BerufSfünftlem oer 
biente Beachtung gefunben. — Qm Munftgewerbeoereine waren bie ©efchenfe unb 
Abreffen auSgeftellt, welche bem ©rzberzoge Bainer unb ber ©rzberzogin SBarie an 
läfSlich ibter golbenen Hochzeit aus weiten Greifen ber Beoölferung, oon tüpftlerifchen 
unb gelehrten Mörperfcbaften entgegengebracht würben. Biele ber ©egenftänbe zeich 
neten fich burch hohe« Munftwertb unb gefchmacfooüe Ausführung auS. 2)ie 3 a bl 
ber Befucber biefer AuSftellung iiberftieg weit 30.000. 

40* 


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3ofeph Leuwirth. 


628 


3für bie Architef tur fommt baS fchon früher besprochene Ergebnis ber 
burch bie 2eo*©efeUfchaft angeregten ftirchenbauconcurrena in erfter i*inie in betracht 
ES war mannigfachen Angriffen — auch in nicht immer taftooDen Sonberfchriften — 
auSgefeßt, fanb aber auch warme Berthcibiger. Schon bie nächften 3ahre werben ja 
lehren müjfen, was; fleh bauemb ju galten oermag, eoentuell weitere (Altung 
erringen wirb. Bloße Lebensarten geben hier nicht ben AuSfdjlag. Ein Artifel Qofepß 
Baper’S behanbelte „Die Moberne unb bie ^iftorifchen Bauftile". An einer anberen 
Stelle feßte fleh berfelbe Afthetifer mit ber Lichtung Otto Wagner’S unb ihren 
©runbfäßen auSeinanber. Die 3^0* ber Errichtung eines neuen Monumentalbaues 
für baS ^riegSminifterium hielt bie ftünftlerfreife immer noch in lebhafter Erregung 
unb führte fogar au einem gemeinfamen Schritte ber fonft feiten geeint oorgehenben 
Parteien. Am 3. April überreichte eine Deputation beS Ingenieur- unb Ardjiteften 
oereineS, ber ©enoffenfehaft bilbenber Äünftler unb ber Seceffion Sr. Majeftät bem 
Äaifer ein ©efuch, baS bamit fchlofS, eS möge angeorbnet werben, bafS alle ftünftler 
Österreichs unb Ungarns au einem öffentlichen Wettbewerbe für biefen Monumental 
bau hetangeaogen würben. Die Beriicfficbtigung ber Wünfcße ber ftünftler würbe in 
bulbooller Weife in AuSficht gefteUt, wenn bie $hatfache fpruchreif wäre. Man barf 
fich im ^ntereffe ber ftunft nur freuen, bafS beim Befanntwerben ber Abficht bes 
ftriegSminifteriumS, bie 'ßläne für ben Leubau burch feine eigene Bauabtßeilung 
ausarbeiten au laffen, bie ftünftlerfreife in einer gemeinfamen ^ntereffenoertretung 
wieber aufammengefiihrt würben. Mit Lecht würbe in ben Sorberathungen über 
ben au untemehmenben Schritt in ber ftünftlergenoffenfchaft barauf hingewiefen, 
bafS bem fünftlerifchen Wettbewerbe bei ber Ausführung oon Staatsbauten ein fo 
geringer Spielraum gegönnt fei; liegt bod) gerabe in ihm bie ©elegenßeit au einer 
freieren Entfaltung ber Strafte. 

Durch mehrere Wochen ftanb bie Angelegenheit ber Leftaurierung beS Liefen- 
thoreS bei St. Stephan auf ber lagesorbnung. Das UnterrichtSminifterium lehnte 
nach BefcßlufS feiner ftunftcommiffion bie Ausführung beS noch oon Jriebrich von 
Schmibt htrftantmenben BrojecteS ab, welches bekanntlich oor nabeau awei 3ub* 
jehnten mit naheau gleicher ikbßaftigfeit befämpft unb aurüdgeftellt worben war. 
DaS größte Lecht aur Einfpracße oinbicierte fleh bie „Seceffion", welche auch ein 
biefe Angelegenheit beßanbelnbeS Schriftchen Sr. Ejrcellena beS $errn ^räfibenten 
^reißerm oon geifert mit einer fcharfen ©egenerflärung beantwortete, ©elegenheit 
unb Berechtigung au einer ©egenoorftellung wirb in einem folcheit Julie (ein Ein 
Sichtiger ben wirtlichen ftunftintereffenten beftreiten wollen, wenn fit babei ißten 
Stanbpunft mehr mit eigenen Anfichten unb fachgemäßer Überaeugung als mit bem 
Schilbe ber ©egnerfchaft LuSfin’S gegen fogenannte Leftaurierungen beefen. Darüber 
hat fleh ja auch Lcumann in feinem Auffaße „LuSfin unb bie Lenooierung oon 
St. Sfepßan in Wien" (3eit, Jpeft 380) ausgesprochen. Mit ruhiger Sacßlicßfeit, bie 
wohlthuenb oon anberen manchmal wißig fein follenben, aber etwas albern geratenen 
Bemerfungen abftach, erörterte AloiS Liegel baS ftiir unb Wiber. Se. Ejceflen* 
Freiherr oon geifert als Bräfibent ber Eentralcommiffion für ftunft- unb htftorifdhe 
Dentmale unb Dombaumeifter Hermann fanben in einer Bnoataubiena ©elegenheit, 
Sr. Majeftät bem ftaifer bie Blüne beS gegenwärtigen unb beS projezierten BeftanbeS 
beS LiefenthoreS ooraulegen unb au ertlären. 3 m ©emeinberathe ber Stabt Wien 
würbe ber Antrag eingebratht, ber Stabtrath möge fich mit JJeftßaltung beS ©emeitibe* 
rathsbefchluffes oom 9. Mai 1882 auS areßiteftonifeßen, ßiftorifeßen unb fünftlerifchen 


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s 2öietter Äunftleben (Jänner bi'? 9Rai 1902) 


029 


fHüdfidjten gegen jebe fo einfchneibenbe &nberung roie bie in Vorfdflag gebrachte 
beS SRiefentboreS zu St. Stepban auSfprecben. Profeffor X)r. 3B. 51. Reumann, ber 
befanntlkb feit langer 3eit febon an einer ©efebiebte non St. Stepbart arbeitet unb jebe 
bamit $ufamtnenbängenbe 5$rage vertritt, ^ielt am 13.9Rai im StabtratbSfißungSfaale 
für bie ©emeinberatSmitglieber einen bureb Ckbtbilber erläuterten Vortrag über bie 
5lngelegenbeit. (£S gebt roobl bei folcben miebtigen Aktionen nicht gut an, bie anbenvärtS 
— roie bei ber frrage ber >Heftaurierung unb beS 5luSbaueS beS £>eibelberger Schlöffet — 
mit vollftem Rechte vorgebraebten Vebenfen für jeben anberen fyall einfach zu generali 
iieren. Wie gar mancher ber einft als muftergiltig gepriefenen ®runbfäfce SSioüet le 
Xuc’S unb anberer ftcb überlebt bat, fo roirb auch *RuSfin gerabe für VefiaurierungS» 
arbeiten geroifS nicht allzeit bie böcbfte Offenbarung ber Äunftgerecbtigfeit bleiben. 
3Ran bat ja ohne fRuSfin burch leiber febr beflagenSroerte 3teftaurierungS-2RifSgriffe 
febon viel gelernt, roie man manches nicht machen foll. Unb bie feit einigen fahren 
fo lebhaft einfefcenbe Veroegung ber Xenf malpflege roirb uns geroifS über SRuSfin 
hinaus ben richtigen Weg finben laffen. Xenn bie öegnerfebaft gegen pietätlofeS 
ober ftilroibrigeS Vorgehen bei flteftaurierungen regt üch, mie z* 53. bie Äratauer 
'JERifSbilligungStunbgebung gegen bie ^Renovierung bei* Waroelfirdje zeigt, bereit 
allgemein unb roirb unS oom Verfehlten zum Wütigen führen. ÜRan barf gefpannt 
fein, roofür man ficb an ma&gebenber Stelle, nachbem bei ber letzten commiffionellen 
53efid)tigung beS fRiefentbores alle Sacbverfianbigen bie Vaugebrecben beS beseitigen 
SuftanbeS unb bie Unmöglichteit ihrer Weiterbelaffung feftgeftellt haben, nunmehr 
entfebeiben roirb. — Xie Verbanblungen über bie SReftaurierung ber 5Rinoritenfircbe 
finb eben im 3uge. 3b r * Wrunblage bilbet baS oon '45vofeffor l^unfc entroorfene 
unb oom UnterrichtSminifterium angefaufte Project, baS nach ben Wiinfcben beS 
5lctionScomikS noch einigen Umgeftaltungen unterzogen werben mufS. Xer 5lnbau 
beS pfarrbaufeS an ber Sübfa^abe biirfte roohl halb in Angriff genommen roerben. 
5ür Wiens Xenfmälerbeftanb ift eS oon größter Wicbtigfeit, bafS enblich ben urieber» 
holten Einträgen ber oben ermähnten (fentralcommiffion betreffs ber Meftaurierung 
ber ÄarlStirche ftattgegeben iverbe, beren allernächftc Umgebung foeben ftarten 
5lnberungen unterroorfen ift l*S bleibt abjuroarten, ob auch alle ber Wirfung bes 
herrlichen PauroerfeS zuftatten tommen roerben. Xringenbe Abhilfe erheifchen aber 
zahlreiche am 5luf?eren üchtbare unb in Veforgni* erregenber Weife roachfenbe Vau 
gebrechen, beren s Jlid)tbebebung für ben Jvortbcftanb eines berühmten Xenfmales 
uaterlänbifcher Äunft eine fchroere ©efabr bebeuten roiirbe; hier mufe rafch, aber im 
vollem Umfange ber 5lotbroenbigfeit eingegriffen roerben unb läfst fid> ohne irgenb 
eine preisgebung roefentlicher Thcile ber ganze urfpriinglicbe Vcftanb fiebern, ^n 
(yrroägung biefer Thatfadjen bat ber Stabtratl) an bie Statthalterei baS 5Infucben 
gerichtet, bie ^Renovierung ber Äarlsfircbe balbigft in Eingriff nehmen unb jebenfallo 
bis zu bem 3^tpun(te burchfiihren zu laffen, in roelcbem ber s )?eubau beS ftäbtifeben 
'DtufeumS abgefchloffeti fein roirb. (*ine auf bem Voben ber Xentmalererbaltung 
ftehenbe Angelegenheit roar ber Eintrag beS Xombaumeifter* Hermann, bie auS brei 
Figuren beftebenbe Steingruppe beS bem Abbruche verfallenen WinterbiertjaufeS, roeldje 
als ein Wiener Wahrzeichen befannt ift, an bem Aeubaue roieber entfprechenb 
anzubringen ober für baS ftäbtifche Plufeum zu erroerben. 311 ben Sißungen bcs 
VubgetauSfcbuffeS unb beS Parlamentes rourbe bie Tfrage ber Xentmalererbaltung 
überhaupt öfter unb eirtgebenber als in früheren fahren erörtert. 3 n te* Herren 
hauSftftung vertrat Se. (Reellem fyreiherr von geifert neuerlich ieinen Eintrag auf 


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630 


Jofepb Dleumirtb 


Erlaffung eine« ©efefce« betreffenb beit ©<buft oon Vaubenfmalen mit roefentlicber 
Erroeiterung ber Vegrünbung unb erreichte bie 3un>eifung be«felben an eine ©pecial 
comntiffion, ber nebft anberen greifen: 0> ©autfcb, ©raf i*andoron«fi, Subroig Stob 
ntepr unb ©raf ^riebrich ©cbönbont angebören. Xamit märe nach mehrjährigen 
oergeblicben Verfudjen enblicb ber erfte entfcbeibenbe ©cbritt getban, non bent ftcb 
eine fachgemäßere unb gefeplicb geregelte Erhaltung be« oaterlänbifcben ftunft 
befiHee» erboffen läföt. 

9teben ben Vierten ber ^laftif, bie fcbon int Nahmen einzelner 9lu«fteUungen 
befprocben mürben, laffen ftcb nicht gerabe oiel felbftänbig auftretenbe ©culptur 
fcböpfungen oerjeicbnen. Vor bem ^otlamentögebäube merben eben bie Vorbereitungen 
*ur 9luffteüung be« SWonumentalbrunnen« getroffen; jur Verfefcung ber au« poei 
Xb^ticn beftebenben Hauptfigur, ber üJhneroa unb ber anberen Figuren uon grofeem 
©eroichte müffen eigene Strähne angefertigt merben, ba bie fonft gebräuchlichen nicht 
au«reicben. Sfunbmann b<U bie fedj« üfteter hohe Hauptfigur unb bie beibeit 
Verfonificationen ber Elbe unb ©aoe bereit« ooltenbet, ebenfo H« 0 ö Hoerbtl ben 3nn 
unb bie ©)onau, roelcbe bie Vovberfeite be« Vrunnen« fcbmüden follen. Xautenbapn 
fteüte nicht minber bie allegorifcben ©eftalten ber gefe&gebenben unb au«iibenben 
©eroalt fertig. Viel befprocben itmrbe bie 3 ur 9Jtarmorau«fübrung beftimmte Varbara 
ftatue ber Vilbbauerin Xberefa <5feobororona 9tie«; fte ift ein Auftrag be« Unterricht«- 
minifterium«. 3n bent Votträt be« ©rafen HanS Vftlqef erreichte biefelbe Siünftlerin 
eine allgemein anertannte leben«oolle 9lbnlicbfeit. 9luf Einlabung be« ©ornite« für 
bie Errichtung eine« Vrabm«benfmale« erflärten fich ÜJtay SUinger, 3o& an u 
Siarl ^unbmann unb jRubolf £öepr bereit, an ber Veroerbung ftch $u betbeiligen. 
5ür Eormon« bei ©ör$ oollenbete Ebmunb Hoffmann oon 5lfpernburg ba« ©ip« 
mobell eine« eben jur ©uf«au«fiibrung übergebenen ©tanbbilbe« SUtayimilian« I., 
beffen Slufftellung im 3abre 1900 anläßlich ber 400jährigen Vereinigung oon ©ön 
unb ©rabi«fa mit bem bub«burgifcben Hauäbeftpe befcbloffen mürbe. $em ©traun^ 
Banner'Xenfmalcomitf ftellte ber ©tabtratb, melcber bem Vilbbauer Jrip 3*rcitf<b bie 
Vronceausfübrung einer oon ihm mobeüierten Vüfte be« Er^berjog« Rainer übertrug, 
eine ©uboention oon 6000 K tur Verfügung, fobalb bie für bie £)enfmal«berftellung 
nötbige ©umme oon 70.000 K gefiebert fein mürbe. 511« ©dpnud für ben oor ber 
eoangelifchen ©chule liegenben Xh e ^ be« Starl«plapee ift ein üttonumentalbrunnen 
in 5lu«rtcht genommen, für melden bie im ©emeinbebeftp befinbliche 3 t 0 ur „SUtabe 
mit Jifch" oon Xügner in Vronce au«gefiibrt merben foll. Vorzügliche Vilbni«treue 
erreid^te ber Vilbbauer ©djroer in einem ©ip«mobeU für ba« ©rabrelief be« 
eoangelifchen Vfarrer« Jormep. 3 m 5ltelier ©arlo Vanni tonnte man bie in 
©arraramarmor überleben«grofe beegeftellte ©ruppe „X>as ©pbinygebeimni«" oon ÜJtobame 
oan ber Hoeoen, ber ©emabltn be« ehemaligen nieberlänbifdjen ©efanbten, fepen. 
Jür 9leutitfcbein oollenbete Vrenet ein roiirbige« Üaifer ^ofefXenfmal. 5ln bem 
Haufe 9k. 72 ber Hubifgaffe in Venjing mürbe am 22 . 3Jtai eine oon 3<>b* 93enf 
auegefüprte Wicbarb Vkigner ©ebenftafel enthüllt, beren ÜJtitte ein Oteliefbruftbilbni« 
be« berühmten ©omponiften fcbmüdt; berfelbe arbeitete hiev 1363—1864 „roäbrenb ber 
trübften 3eit feine« i*eben«" an feinem fonnigften Vterfe „X)ie Vteifierftnger". 3u>ei 
läge nach biefer ©ntbüllungsfeicr fanb in iünj bie Enthüllung be« fcbon ermähnten 
©tifterbenfmal« oon 9la tbau«hj ftatt. Vetreff« ber in ber oor jährigen ©ipung be« 
Äunftratbe« erörterten 5luffteUung oon Vüften öfterreicbifcher dichter im Volt«garten 
eröffnete ba« Cberftbofmeifteramt, baf« eine Entfcbeibung erft erfolgen fönne, menn 


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Wiener Munftleben (Jänner bis 3Dlai 1902). 


031 


ein Sr. Ü^ajeftät bem Maifer §ut* ©enebmigung porlegbareS beftimmtes 'Jkoject 
ausgearbeitet fei. ^ebettfaü^ ift ein VormärtSfommen ber Angelegenheit, beren 
Moftenfrage noch ber Söfung f)ön:t, nicht fobalb ju ermarten. 3rür bie fünftlerifcbe 
Belebung ber bem StepbanSptoß* sugefebrten freien Söanb ber *ßcteräfircbe b at 
Aubolf 3öepr brei ©ntmürfe angefertigt. Daä ©omite bat fich für einen entfliehen, 
ber Marl ben ©ro&en als ©riinber ber Vetersfircbe barfteüt. Auds hier ift bie für 
©rtbeilung beS befinitioen Auftrages fo roiebtige Moftenbebedung noch nicht oorbanben. 

ÜJftt Jreube begrüßte man bie VMebereröffnung ber AuSftellung ber 
epbefifeben 3runbe in bem Xempel bes VolfSgartens, in melier neben ben 
febon berounberten Stiiden (C^p^ebe, Mnabe mit ber ©an$, junge ©riedsin, Campen- 
träger) eine Anjabl neuer gunbe, befonberS ba$ Relief ber fterbenben Amajone, 
intereffierte. Auch bie am 21. ÜJtai abgebaltene ^abreSoerfaminlung beS archäologischen 
x ^nftituteS lenfte mit ber Veröffentlichung ber babei erstatteten Veridjte bie Aufmerf- 
famfeit beS funftftnnigen VublkumS auf bie ©pbefu$41nternebmung, bie in VMen 
oon allem Anfänge an bie gröfjte ^örberung fanb. Der Verein Jarnuntum“, 
ber fchon nabeju *roei 3 a ^ c ^nte bie alte Aömernieberlaffung bur(hforfcht f ftebt im 
Vegriff, in Deutfcb Altenburg nach ben oon Cbmann unb Hirftein ausgearbeiteten 
Vlänen ein anfebnlicbcS Sammlungsgebäube ju errichten, bas $u Veginn beS nächsten 
Jahres oollftänbig eingerichtet ber ftaatlichen Verroaltung übergeben roerben foll. 
Vei ber Aufführung oon Neubauten in ber Vogner- unb Aotbentburmftrafee mürben 
Aefte ber alten Aömeranlage gefunben. Außer 3iegelfteinpeln ber 10. r 13. unb 
14. Cegion legte man an ber ©de ber Aotbentbunn- unb Moblmeffergaffe bie runbe 
©de ber UmfaffungSmauer beS römifchen CagerS bloß, bie intereffante Auffchlüffe 
über bie VefeftigungSart bot. Dem §>eere$mufeum mürbe oon Sr. ^DZajeftät bem Maifer 
Sochor’s großes ©entälbe „Das ©aoalleriegefecht bei Strejetiß am 3. Quli 1806" 
gefchenft. DaS Unterricbtsminifterium totes berfelben ©ammlung bie ©ufsformen 
$u bem ©rjberjog MarlDenfmal in Aßien unb $u ber Caibadjer Aabeßfpbüfte, forote 
baS Originalmobell $u bem Cöroen oon Afpern — insgefammt oon Jemtom — $u. 
Aach bem Xeftamente bes fiirjlicb oerftorbenen Vrioatiers unb eifrigen Munfifamntlers 
Marl ©olbfehmibt f ollen beim Ableben seiner ©attin mehrere mertooüe Munftmerfe» 
barunter „Die Steinigung bes heiligen Stephanus" oon ©entile ba fabriano, eine 
AJarmorbüfte bes ©ofimo I. oon Vtebici oon Simone Vianco, in ben Vefiß bes 
.^ofmufeums übergeben, iyür bie ftäbtifchen Sammlungen mürbe ber Anfauf bes 
.'Ölaroaceffchen Moloffalgetnälbes „VMen oom Mablenberge aus" unb ber Jpuber’fdjen 
©emälbe Marl oon Cotbringen unb ©rnft Aübiger oon Starbemberg, fomie einer 
VMener Xppe oon Mupfer befchloffen. 

Von ber Crganifation bes Munftamtes, bie Cberbauratb 'Jkofeffor Ctto 
Vtagner oor einiger 3eit im Munftratbe jur Sprache gebracht b<*t, ift eigentlid) nur 
laut geroorben, bafs nunmehr auch ber Ingenieur unb Architettenoerein fomie bie 
©enoffenfehaft ber bilbenben Miinftler SBiens bie ©rroägung ber Vertoirflicbung biefer 
Jrage inS Auge gefafst unb befonbere ©omiteS bafiir geroäblt haben. ©s fann 
feinem 3roeifel unterliegen, bafs eine folche Institution, menn fie oon Vureaufratisntus 
ftd) ebenfo frei *u galten roüfSte mie oon einfeitiger fiinftlerifcber Veoormunbung, 
für bie ©ntmidlung ber bilbenben Munft in Cfterreich manchen bestimmten Außen 
ftiften mürbe. AUerbingS bürfte bie praftifebe Durchführung, menn sie mirflid) 
unooreingenommen erfolgt, auf große Schmierigfeiten ftoften: benn mit rabicalem 
unb riidfichtslofem Vorgeben allein lässt fid) noch uidjt alles, oielleicht böcbftenS 


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632 


3ofeph Reuwittb. 


noch größere Verbitterung einzelner Parteien erzielen. Aber eine mehr einheitliche 
Auftaffung, eine gleichmä&igere Veachtung ader mit ber ftunftpflege jufammen 
bängenben fragen fönnte nicht fdjaben. 3n weiteren Greifen erregte e« Veftemben, 
baf« ber ftunftrath ju feiner Sifcung einberufen würbe, obzwar e« an allgemein 
zu erörtemben Angelegenheiten nicht fehlt. 

X)er (Errichtung ber mobernen ©alletie wollen Staat, Sanb unb 
Stabt fuh vereint annehmen. ftür bie Unterbringung ber Sammlung, welche 2Berfe 
ber Malerei, ber graphifdjen fünfte, ber Vlaftif, be« Äunftgewerbe«, Vläne unb 
Entwürfe für Vauten enthalten unb bie (Entwidlung ber ftunft in Cfterreid) feit 
bem Regierungsantritte Sr. dJlajeftät be« ftaifer« oeranfchaulichen, jugleidj aber 
auch dWeifterwerte be« AuSlanbe« enthalten fall, ift ba« neu zu errichtenbe hiftorifche 
üRufeum ber Stabt VMen in AuSficht genommen. Von Seiten ber oben genannten 
(ErhaltungSfactoren follen jährlich je 60.000, 30.000 unb 20.000 K für neue (Er« 
Werbungen gewibmet werben; Staat unb Stabt theilen fich in bie Regiefoften, 
(Ecfterer trägt au&erbem bie föoften für ba« oom UnterrichtSminifterium ju beftellenbe 
Verfonal, beffen XÜrector einem mit breijähriger QrunctionSbauer ju emennenben 
Kuratorium bie Vorfdjläge für Reuerwerbungen erftattet. $n biefem Kuratorium, 
für welche« ein beftimmter Schlüffel ber Vertretung aufgefteHt würbe, wäre bie 
Miinftlerfchaft felbft mit fed)S Vertretern zu bebenfen. X)er Anfauf oon ftunftroerfen 
au« ben Mitteln zweier ober aller oertragfchliefeenben Xheile wiiifSte nach Xhunlichfeit 
oermieben werben unb biirfte nur erfolgen, wenn man fi<h oorher über ba« (Eigen* 
thumsrecht geeinigt hätte. Vei VMbmungen ohne Suweifung in ein beftimmte« 
(Eigenthum erfolge le&tere in einer oon oomherein burch ba« Bo« feftjuftellenben 
Reihenfolge. X)ie ©aleriebeftänbe oerbleiben felbft bei Auflöfung be« Vertrage« für 
immerwährenbe Seiten in VHen. X>ie Anlage be« ©anzen mufe al« eine recht 
fchwerfäHige unb complicierte bezeichnet werben. X)ie Erwerbungen wirflich bebeutenber 
U^erfe biirften bei ber Rücfficht auf bie oerfchiebenen Jonb« zu manchen Verwicflungen 
führen, bie ber oorfchlagenbe $irector halb al« Vleigewichte guten dBiden« fennen 
lernen würbe. (E« wäre gewif« grofeer Xact erforberlich, um trofc all biefer Ve 
fchränfungen eine fiinftlerifch oomehme Sammlung jufammenjubringen, bie jeben 
Augenblicf wieber in brei Sammlungen zerfallen fann. XJiefer Au«weg wirb ber 
Sache faum zw jener Vebeutung oerhelfen, bie ben Anregern oorfchwebte. Auch 
ba« Vrooiforium einer Unterbringung in einem anberen SRufeumSbaue läf«t fidi 
nicht al« gliicfliehe Öofung, fonbern nur al« ein faum empfehlen«werter Verlegenheit« 
au«weg bezeichnen. VMU man ba« ©rofce, bann wolle man e« ganz, ohne oon adern 
Anfänge ba« Stabium einer gewiffen Verfumpfung zu fchaffen, in beren lähmenber 
Atmofpbäre bie (Entwicflungsfähigfeit langfam, aber ficher abftirbr. 3hw fodte ein 
ber ©egenmartsfunft fo förberliche« Vroject nicht in ben erften AuSfnhrungSanfätzen 
geopfert werben. 

(Enbe Rtai gelängten bie erften (Exemplare ber neuen 50 K Roten 
zur Ausgabe, an welchen fid) bie technifche Veroodfommnung ber Ausführung auf 
ben erften Vlicf erfennen läf«t. X>ie 3ei<hwung be« Rotenbilbe«, beffen figuralen 
Iheil Rubolf Röfeler beforgte, inbe« bie ornamentalen Detail« nach Angaben be« 
Vanfbructereibirector« Arthur Rabbernp pon Rubolf Vembt au«geführt fmb, fteht 
unter bem Einfluffe ber Rtobeme. Rtan barf fid) freuen, baf« in unfere neuen 
Rotenbilber im Vergleiche zu manchen älteren wenigften« ber Anfat* zu einem mehr 
fiinftlerifcben 3uge gefommen ift. 


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Wiener ftunftleben föännev bi«; ÜJtai 1902). 


638 


Ter ftaufluft beS publicum§ roar bei ben oerfchiebenen Ausheilungen 
unb Auctionen mannigfach Gelegenheit geboten, ben ftunftbefifc burch Anfäufe zu 
oergröfeern. Tas UnterrichtSminifterium erwarb in fehr anerfennenSwerter Söetfe 
manch wirtlich h^f^ ©tüd für ben $8eftanb ber mobernen ©allerie, welche, wie 
bie anläßlich ber Äunftwanberungen im UnterrichtSminifterium auSgeftellte Collection 
zeigte, gerabe oon biefer ©eite bie 3uroenbung einer nicht unbeträchtlichen Anzahl 
beachtenswerter Schöpfungen erwarten barf. ©elbft Arbeiten einzelner tarnen, 
Z. *8. eine im ©alon s BiSfo erworbene ©tubie oon ÜJtorie ÜJtüller, hoben unter 
biefelbe bereits Aufnahme gefunben.Starfen AbfafeeS erfreuten fich bie abroecfeSlungS 
reichen Leitungen Orlifs, beren eigenartige ftorotenfprache im Iperjen gar manches 
Munftfreunbes baS Verlangen nach einzelnen ©tüden auffteigen liefe, 3n ber 
Auction beS reichhaltigen ftunftlagers ©. Äenbe tarnen unter Ölgemälben unb 
Aquarellen alter unb moberner SJleifter auch 2Berfe oon Lenbach, Scfeöbl u. a. zur 
33erfteigerung; bie Abtheilung feltener ftupferftiche, Schabfunftblätter, Mabierungen 
unb Jpoljfchnitte, ©täbteanfichten, öftetreich-ungarifcher AbelSporträtS umfafSte auch 
bie ebenfo interefiante als mertoolle Sammlung beS Jreiberm o. gelber, welche 
allein 20.000 alte Porträts berühmter ?*erfönlichf eiten aller unb Länber zählt. 

Cinc Collection ähnlicher Art, nämlich bie Hurtl ^rieblowsfn’hhe -Porträtfammlung 
berühmter Ärjte unb Aaturforfdjer (10.000 Blätter) würbe für baS ftupferfticheabinet 
ber f. f. Joofbibliotfeef erworben, bas mit Hinzurechnung ber erft jiingft erfolgten 
Cinoerleibung ber 20.000 dummem umfaffenben Porträt) ammlung ber f. t. Hof 
tfeeaterintenbanz in ber ’Porträtabtfeeilung nunmehr runb 100.000 Blätter befifct. 
'Profector Tr. A. SJneblowsfq hotte ben berühmten Anatomen zur Anlage einer 
foldjen Sammlung angeregt, bie Hb^tl Anregung unb 3*tffreuung in feiner 
'Perchtolbsborfer Cinfamfeit bringen follte, unb ergänzte ben HprtPf<h*n $eftanb 
oon 2000 dummem feit 1885 mit uiel Umficht unb grofeen Opfern bis auf 10.000. 
Tie in ihrer Art einzige Sammlung, welche ganze SflilbniSreifeen einer unb berfeiben 
'Pevfönlid)feit in oerfchiebenen Lebensaltern bietet, hot wegen ihres wohl einzig 
baftehenben 9ieid)thumes an $ilbniffen Wiener Ärzte auch eine gewiffe localgefchicht 
liehe 'Pebeutung; bie fiinftlerifche liegt wohl nicht in letzter Linie in ben für bie 
Cntwitflung ber Lithographie intereffanten blättern, bie ja wäferenb ber Cpoche 
.Hriehuber’S nicht blofe burch bie 'Perfönlkfefeit bes Targcftellten, fonbern auch burd) 
bie Tarftellungsart intereffieren. Cs war baher ein hoppelt glücflicher Gebaute, 
gerabe biefes für ASien befonberS fchäpenSwerte Material burch bleibenbe Ginreihung 
in ben Aeftanb eines unferer größten öffentlichen ^uftitute oor 3evfplitterung ju 
bewahren unb bem SBiener Aoben in feiner auch burch bie s Perfon bes erften Aefifeers 
intereffanten Gefchloffenheit zu erhalten. — Aerfteigerungsamte bes Torotheums^ 
bas burd) Aerfd)icfung uon Aerfteigerungsliften ben ^ntereffentenfreis über bie Gr 
werbungsfähigfeit oerfchiebenartigfter Objecte auf bem Laufenben erhält, hotten 
mehrere ftunftauctionen einen recht guten Crfolg; fo würben bie Sammlungen oon 
»tubolf Sattler unb Waphael Kirchner uon einem befannten ftunftfreunbe im Ganzen 
erworben. 3n bem an biefer Stelle auch allgemeiner Aeftcfetigung zugänglkfeen 
Munftbefitje ber Familie Stabler oerbienten nächft guten alten s Profaneinrichtungs 
gegenftänben mehrere gothifche unb bpzantinifche Stiicfe auS alten .Hirchen unb 
Mlöftern, prächtige Aeliquiare alle Beachtung. Aom 18. fPtärz an gelangten bei 
Gilbofer unb >Kanfchburg zahlreiche ftupferitidje, Aquarelle uub Hanbzeichnungen 
«gegen 1900 Hummern» zur Aetfteigerung, barunter ber Xfeeaterfaal, baS Jyefetin 


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634 


3ofeph Weuwirth- 


Zimmer unb bas Vieujr=Laque;3tmmer in ©chönbrumt oon 9tub. Alt, ©tubien non 
Danhaufer, 9t. Xonner, gr. ©auermann, $wei Vorträtaquarelle oon Kriehuber, oer 
fchiebene ÜJliniaturporträtS, zwei bcrfelben aus bcr berühmten ftunftfammer 9tubolf II. 
in Vrag. 3m ©chönbrunnerhaufe fam ©nbe April bie wertooHe ftupferftichfammlung 
auS bem SRac^affc beS VrofefforS £)r. 3- 3- Vohl $ um SJerfaufe; außer theilroeife fehr 
fcltcnen alten englifchen unb franjöfifchen Tupfer- unb Jarbenftichen, §ol*f dritten, 9tabie 
rangen, Lithographien, VorträtS, ©täbteanfichten, ^iftorifd^en unb befonberS VMcner 
blättern enthielt fie auch f«hr ^übfe^e Aquarelle oon Cpij unb manche gefugte Auto 
gramme, fo brei fehr intereffante Briefe oon 9ti<harb Söagnet. Unter bem Verweigerung*- 
gute einer anberen Vrioatfammhmg befanben ftch oier 3Berfe oon 3 an ©riffier. 

Unter ben Vublicationen feien an erfter ©teile bie oon frofrath o. äöedbeder 
beforgte britte Auflage beS IpanbbucheS ber ft'unftpüege in Cefterreich genannt, roelche 
gegen' ihre Vorgängerin an Umfang fehr beträchtlich gewachien ift. v 2öaS in ben 
oerfchiebenen ©ebieten unfereS weiten VaterlanbeS irgenbroie mit Äunft fid) befchäftigt, 
in ihre pflege unb Jörberang berufsmäßig ober bloß oom ©tanbpunfte ber ftunft 
freunblichteit unb beS Sammelnd eingreift, erfcheint in biefem franbbuche fachgemäß 
unb überfichtlich eingereiht, X>ie Inappen, gut orientierenben Eingaben geigen uns 
erft ben ganzen 9teichthum unfereS einheimifchen AtunftguteS, bie weit auSgreiienbe 
Organifation beS ftunftunterrichteS, bie oielfeitige 3 n t ere )1 en & e i&ätigung funft- 
förbernber Äörperfchaften; man gewinnt h^r eine zuoerläffige VorfteUung baoon, 
wie bie öffentliche Äunftpflege unb prioate ^nitiatioe einanber bie fcanb reichen, um 
Der Allgemeinheit in Ausübung unb 2Bertfd)ä&ung ber Äunft werfthätig zur ©eite 
zu ftehen. X)aS planmäßige 3ufammenroirfen oon Vehörben, Vereinen, öffentlichen unb 
prioaten ©ammlungen, oon Unterrid)tSanftalten aller Art wirb nach bem im Jpanbbuche 
ber ftunftpflege oereinigten Viateriale erft in oollem Umfange oerftanben unb ge 
würbigt werben; es ift um manches beffer, als man in ftiinftlerfreifen unb in 
ber Ceffentlichleit oielfach gelten laffen will, ftatt fich oom Jperzen beS Vorhanbenen 
zu freuen. AIS eine AuSlefe ber aüerbebeutenbften Schöpfungen auf bem ©ebiete ber 
bilbenben Alunft im 3<*hre 1901 repräfentiert fid) bie oon bem VMener Verleger 
üJtay Jperjig herausgegebene »Ars Novae, öeren 45 forgfältig auSgeführte Jpelio 
graoiiren großen Formates Varon ÜJtprbach mit oiel ©efchmad unb Xact auSgewählt 
hat. Oefterreicher, 9Jtagparen, X)eutfche, Jvranzofen, Vuffen, ©panier, ©fanbinaoier 
unb Schweizer fanben Aufnahme; ben über bie 3<*bresentmicflung orientierenben 
leyt lieferte 3 u liuS Vteier (^aefe, ber 3nha&er beS V^rifer »Maison moderne«, bcr 
zwar geiftreich, aber auch recht oberflächlich fchreibt. Auch bie Jpeliograoitren, bie ja 
plaftifche 2Berfe fo oortrefflich zur ©eltung fommen laffen, erweifen fich für bie 
©iebergabe oon ©emälben nicht überall als einwanbfrei. X)aS oom Unterrichts 
minifterium herausgegebene ©egantini Vtert barf als eine heroorragenbe Leiftung ein* 
beimifcher VuchauSftattungsfunft bezeichnet werben; bie 63 ftunftbeilagen, theilS in 
$eliograoiire, theilS in 3arbenbrud auSgefiibrt, oerbienen jumeift aufrichtiges Lob. X)a* 
felbe tann man bem Xejrte, ben X)r. 3ranz ©eroaeS, ber Äunftreferent ber „Aeuen 
freien Vreffe" gefchrieben h«t, nicht burchwegS zollen, ©o glüdlich er auch bem 
Lebenswege beS VteifterS nachgegangen ift unb mit oiel Umficht wieberholt neues 
Material einzuflechten oerftanb, ift baS Vu<h hoch nicht mit ber auch für biefen 3all 
unerläßlichen Cbjectioität gefchrieben. Vegeifterung für ben XarftellungSgegenftanb 
fteht jebem Viographen gut an; ohne fie ift eine wirtlich gute LebenSbefdjreibung 
überhaupt nicht bentbar. Aber üe barf nicht ftellenweifc zur Uebertreibung werben. 


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Wiener Stunftleben Jänner bi« ÜJtoi 1902). <>;15 

als ob es Ähnliche« überhaupt noch nie gegeben hätte, gefchroeige benn je roieber 
geben fönnte. Sonft ergeben bie öobeSfanfaren unangenehmen 9JtifSflang, ber hier 
ab unb $u roirflich burchfchlägt. 9toch biefer Seite läfSt fich bie DarfteUung be« 
SebenSgangeS nicht muftergiltig nennen; fie ift nicht frei oon Sünben gegen ben 
guten ©efchmad, ben eine fo oornehm auftretenbe Äunftpublication nie au« ben 
klugen oerlieren barf. ÜJtöge bei anberen ähnlichen Unternehmungen auch nie 
oergeffen werben, baf$ folche Veröffentlichungen, bie geroii« ein fünftletifche« unb 
litterarifche« ©hrenbenfmal für einen beroorragenben Üfleifter bebeuten, um fo größeren 
funfterjiehlichen 9tußen ftiften, in je weitere Streife fie tommen, baf« ihnen nach ber 
VerfaufSmöglichfeit eine größere Verbreitung auch in bem 5Rittelftanbe gefiebert fei; 
benn auf ba« roirflich ©ro&e foll nicht in erfter öinie ber ©elbfacf, fonbem ba« 
ttunftbebürfni« ber Allgemeinheit Anfpruch haben. DafS leßtere« Segantini bereit 
roirflich als einen ihm fpmpathifcheu ÜJleifter betrachtet, ben man näher fennen lernen 
roifl, beweist am beften bie jroeite Auflage ber im Wiener Verlage erfchienenen 
Vtonographie über „©iooanni Segantini," beren QUuftrationSfchmud Viele« recht gut 
oeranfchaulicht. ^5>ie ©efellfchaft für oeroielfältigenbe ftunft hat ftch eine neue große 
Aufgabe gefteUt, inbem fie ben Antrag annahm, bie groß angelegte „©efehiebte ber 
graphifchen fünfte", oon welcher bie bem Abfchluffe nahe „Veroielfältigenbe Äunft 
ber ©egenroart" nur einen Iheü bilbet, roeiterjuführen unb bem befannten Dree 
bener Specialforfcher Vrofeffor Vtay £ehrS bie Abfaffung einer ©efchichte be« beut 
feben unb nieberlänbifchen StupferftidjeS be« 15 ^ahrhunbert« ju übertragen. Die 
f. f. ©entralcommiffion für ©rforfchung unb ©rhaltung ber Stunft* unb hiftorifchen 
Denfmale hat befchloffen, alljährlich an Stelle ihrer oierteljährlich erfebeinenben 
„ÜJtittheilungen" jroei Vublicationen h^auStugeben. Die noch bm Xitel „9Jht 
theilungen" fefthaltenben VfonatSblätter follen Normalien unb Verfonalien, Sißung« 
referate, Angaben über Vermehrung ber Vibliothef unb be« Archios ber Zentral 
commiffion foroie fleine bisher als Aoti^en oeröffentlichte Vftttheilungen bringen; 
am ©nbe eine« jeben Jahres foll ein Jahrbuch größere roiffenfchaftliche Abhanblungen 
unb Oflittbeilungen, foroie eine fpftematifch georbnete Ueberücbt ber roiffenfchaftlichen 
Veroegung unb ©rgebniffe auf bem Arbeitsgebiete ber f. f. ^entralcommiffion oer 
öffentlichen. Ji'tr beibe Vablicationen ift ba« gleiche Jormat unb ein geroeinfaiue« 
Wegifter in AuSficht genommen. Die Webaction liegt bei ben Unioerfitätsprofefforen 
Dr. SBilhelm Siubitfchef unb Dt*. Alois N Jtiegl in guten fränben. Die Vearbeitung 
ber ©rgebniffe ber oon ber i*eo=©efellfchaft angeregten fünftlcrifd)en AÖettbeioerbe, 
über bie oben berichtet würbe, in ber oom Üflinifterium geplanten Vublication hat 
UnioerfitätSprofeffor Dr. Joeinrich Srooboba übernommen, ber üd) um ba« ^uftanbe 
fotnmen ber ganzen Action bie meiften Verbienfte erworben hat unb ber Fühlung 
ber Stirche mit ber Stunft ber 3«it fchr entfehieben ba« Vtort rebet. ^n roiffenfehaft 
liehen Streifen erregte große« Auffehen bie oon $ofrath Ikof- Dr. ^ofepb ttarabacef 
in ber feierlichen Sißung ber Afabemie ber VMffenf chaften gemachte ÜJlittheilung über 
bie Auffinbung be« SthalifenfchloffeS Stoffeir Amra in ber norbarabifchen VMifte. Sie 
ift bent jungen Vriefter ber Clntüßer ©rtbiöcefe Dr. Alois s JJtufü unb bem Vtaler 
Alphon« & 'JAielich in V$ien $u bauten, ber mit unfäglidjen Vtühen bie bem 
9. ^ahrhunbevte entftammenben Vkmbgemälbe beS alten, einft prächtig gefchmiidten 
VabefchloffeS aufnahm. 3h re roiffenfchaftliche Vearbeitung wirb uns neue Auffchlitffe 
über bie ntohammebanifche Slunft unb ihre DarfteUungsfonnen bringen unb oorau« 
fichtlich mit mancher bisher lanbläufigen Anfchauung aufräumen. 


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(»30 ^ofepb Aeuwirtl). Wiener Siunftleben (Fänner bi« HJlai 1902). 


Aud) ohne einen neuen Vortrag beS ftunftgewerbereformator« §enri oan be 
^Belbe ifl bie Frage ber Reform ber F^auenfleibung nicht Jur >)tuhs ge 
fommen. Fn beut zunt 1. ÜJJärz ausgegebenen fcefte ber „3)ofumente ber F^uen" 
finb bie (Ergebnifie einer über biefen bunft bei Zünftlern, $rjten, Äfthettfern, 
©chneibern unb grauen gehaltenen Umfraße mitgetheilt. 6« hat oiel für fich, wenn 
brofeffor Alfreb »toller im Warnen ber männlichen Siünftler bie üJtitoerantwortung 
für. bie fiinftige Frauentracht ablehnt, ba man al« F*au gelebt haben müffe, um 
über Frauenfleibung auch non einem anberen als oom becoratioen ©tanbpunfte 
mitwreben. 511« Vtortführerin ber fKeformfleibbemegung bi^t m ^rauenclub am 
24. »Jiärz baroneffe Tratte über „3)aS Weformfleib in äfthetifch fünftlerifcher be 
leuchtung" einen großen Vortrag, an beffen ©pifce fie Stellte, baf« bie grauen 
fleibung feineSwegS auf ftoften ber ©chönheit reformiert werben foüe. ©ie fielst 
in bem ftiinftler weniger einen Jyitbrer als einen anregenben berather unb will 
bie immer gleichen Jvorberungen ber Watur mit bem natürlichen ©chönheitSgefiihle 
m (Einflang gebracht wiffen. $ie Webnerin fdjlofS ihre oon begeifterung für bie 
Sache getragenen Ausführungen: „Fd) zweifle nicht, baf« wir manche« ©chöne auf* 
geben miiffen, wenn wir unfere .Hleibung einfehneibenb oeränbem — (Eingebilbete«, 
aber auch wirflich ©chöne«. 5$ir oerlieren aber nichts babei; benn wir taufchen e« 
nur gegen anbere Schönheiten ein unb gegen gröbere unb werthoollere, t>or Allem 
gegen bie Schönheit ber ungehemmmten frohen Straft unb ©efunbheit". 0b ein 
folche« Aufgeben unb (Eintaufdjen bort, wo bie weibliche (Eitelfeit ein fo gewichtige« 
SBort mitzureben hat, fo leicht unb rafch burchgreifenb wirb, bleibt wohl mit Wedu 
abjuwarten. 2Bo VBedsfel unb ©egenf at* sich wie in biefer F*age bisher auSfchliefSlicb 
in bie Rührung theilten, wirb ein allgemeine« (Einlenfen in anbere Bahnen oorau« 
fichtlid) lange auf grobe ©chwierigteiten ftoben, bie fich weber mit (ErtquSten noch 
mit Vorträgen beseitigen laffen. SWanch lebhafte (Entgegnung riefen bie Ausführungen 
be« $r. Friß btolff heroor, ber im Frattenclub am 28. Jyebruar über „^ie fünft 
(erifche Bewegung in ^eutfchlanb unb bie F*au" fprach unb auf bie (Einfeitigfeit 
ber heutigen Frauenbewegung ziemlich fcharf htnwies, ba man ftet« nur oon einer 
Frauenrecht«bewegung, niemal« oon einer Ftaueupflichtbewegung höre. (Er trat bafiiv 
ein, baf« bie Frau gewiffermaben bie Pflicht habe, ben ÜJlann jur ftunft zu erziehen 
unb erwartet nur uon ben unberührten Frauen eine Weorganifation ber ftunft. 

©o biirfen bie erften s JJtonate be« Fahre« 1902 in ben ftunftbarbietungen 
unb Munftanregungen wirflich al« abwechslungsreich unb manche« ©ute bringen!» 
bezeichnet werben. Wlanche Xfjatfachen fprechen für eine Belebung unb Vertiefung 
be« Futeveffe« an allgemeinen .Hunftfragen, beren (Erörterung nicht wenig jur 
ftärferen ©eltenbmadsung be« wirflich berechtigten beitragen wirb, llnferc 3eü ift 
oiel weniger al« eine anbere barnach angethan, fich etwa« al« tfunft aufzwingen 
zu laffen, wa« ba« 5Öefen ber ftunft oerleugnet unb in einem unbegreiflichen (Eult 
oerbohrtefter ©elbftherrlichfeit au«artet. ^ie 3ufunft wirb lehren, wa« baoon al« 
triebfräftiger 3u>cig am bäume ber .Hunft fid) behauptet ober abftivbt. 




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Das Rotbkeblcben. 

Bon Selnta lagcrlüf. 

©in 3 ig autorifterte ttbcrfe&ung aus bem Schroebifchen oon granciS *D2aro. 

Jv" S nun *u bei* 3*tt, als Unfer §err bie SBelt erfchuf, als er nicht nur §immel 
unb ©rbe fchuf, fonbern auch alle Ihiere unb $flan 3 en, unb ihnen zugleich 
ihre Flamen gab. 

©S gibt niele ©efchichten auS jener 3*tt; unb roüfste man fte alle, fo ruitfdte 
man auch bie ©rfläruitg für alles in ber 2öelt, baS man jefet nicht oerftehen !ann. 

«Damals roar eS, bafS eS fkh eines lageS begab, als Unfer §err im Ikrabieie 
fafe unb bie SJögel malte, bafS bie fjarbe in UnfereS §errn Sarbenfchale ausgieng, 
fo bafS ber Stieglifc ohne 3arbe geblieben märe, roenn Unfer jperr nicht alle s j$infel 
au feinen Gebern abgetrocfnet hätte. 

Unb bamatS roar eS, bafS ber ©fei feine langen Ohren befam, lueil er Reh 
nicht ntevfte, melden Manien er erhalten hatte, ©r oergafe eS, foroie er nur ein paar 
Schritte auf ben Fluren beS ^arabiefeS gemacht hatte, unb breimal tarn er juriief 
unb fragte, mie er ^ei§e, bis Unfer £>err ein fleht roenig ungebulbig mürbe, ihn 
bei beiben Ohren nahm unb fagte: „Dein fRame ift ©fei, ©fei, ©fei." 

Unb roährenb er fo fprach, 30 g er feine Ohren aus, bamit er ein beffereS 
©ehör befam unb ftch merfte, roaS man ihm fagte. 

Slm fei ben läge mar eS auch, bafS bie hielte geftraft mürbe. Denn als bie 
s !üene erfchaffen mar, begann fie fogleich fronig ju fammeln, unb Ihiere unb SRenfdjen, 
bie merften, mie fiib ber £>onig buftete, famen unb mollten ihn toften. Slber bie 
'-Biene mollte alles für ftch behalten unb jagte mit ihren giftigen Stichen alle fort, 
bie ftch ber ^onigmabe näherten. Dies fah Unfer §err unb allfogleich rief er bie 
Biene ju ftch unb ftrafte fie. „3>ch oerlteh bir bie ©abe, &onig ju fammeln, ber baS 
Süfeefte in ber Schöpfung ift," fagte Unfer §err, „aber bamit gab ich bir nicht bas 
SRecht, hart gegen beinen fftächften ju fein. üRerfe bir nun, jebeSmal, menn bu 
jemanben ftichft, ber beinen §onig foften null, mufSt bu fterben!" 

Sich ja, bamalS roar eS, bafS bie ©rille blinb mürbe unb bie Slmeifc ihre 
f?lügcl einbiifete; eS begab ftch fo uiel SöunberlicheS an biefem läge. 

Unfer &err fafe grofe unb milb ben ganzen lag ba unb fchuf unb erroedte 
3 um Öeben, unb gegen Slbenb fam eS ihm in ben Sinn, einen fleinen grauen Bogel 
3 U erfchaffen. 

„SRerfe bir, bafS bein Spante IRothtehlchen ift!“ fagte Unfer £>err ju bem Bogel, 
als er fertig roar. Unb er fe&te ihn auf feine flache §anb unb liefe ihn fliegen. 

Slber als ber Bogel ein SBeilchen umhergeflogen roar unb ftch bie fcfeöne ©rbe 
befehen hatte, auf ber er leben follte, befam er auch ßuft, ftch felbft 3 U betrachten. 
Da fah er, bafS er gan$ grau roar, unb feine Stehle roar ebenfo grau roie aUeS 


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Selma tfagerlöf. 


<>38 

anbere. Das fRothfehldjen roenbete unb breite ftd^ unb fpiegelte ftc^ im ^Baffer, aber 
e$ !onnte feine einige rothe Qrebcr entbeefen. 

Da flog ber 93ogel jurücf &u Unferem Jöerrn. 

Unfer §err thronte gut unb ntilbe, auS feinen £>änben giengen Schmetterlinge 
heroor, bie um fein ftaupt flatterten, Xauben gurrten auf feinen Schultern, unb aus 
bem '-Boben rings um ihn fprofSten bie IRofe, bie öilie unb ba$ Xaufenbfchönchen. 

DaS §erj be$ Keinen 23ogelS pochte heftig oor SBangigfeit, aber in leichten 
33ogen flog er bo<h immer näher unb näher ju Unferem !perm unb fchliefelich liefe 
er Reh auf f:iner $anb nieber. 

Da fragte Unfer Jperr, roaS fern ^Begehren märe. 

„3$ möchte bicb nur um ©ineS fragen," fagte ber fleine SBogel. 

„5BaS ift eS, baS bu roiffen roiHfi?" fragte Unfer §err. 

„2Barum foll icb fRothfehlchen feigen, menn ich boch ganj grau bin oom 
Schnabel bis jurn Schwanke? 2Barum roerbe ich IRothfehlchen genannt, roenn icb 
feine emsige rothe fteber mein ©igen nenne?" 

Unb ber 93ogeI fah Unferen $errn flehenb mit feinen flemen fchroarjen 
Wuglrin an unb roenbete baS Köpfchen. IRingS umher fah er Srafane, ganj rotb 
unter einem leichten ©olbftaub, Papageien mit reichen rothen fcalSfrägen, £>äh ne 
mit rothen Stämmen, gar nicht oon ben Schmetterlingen, ©olbRfchen unb fRofen &u 
fprechen. Unb natürlich bachte er, roie roenig nothroenbig mar, nur ein einiger 
fleiner tropfen 3farbe auf feine s Bruft, unb er mar ein fdjöner 33ogel unb fein 
9tame fehiefte Reh für ihn. 

„2Barum foll ich SRothfehlchen heißen, roenn ich ganj grau bin," fragte ber 
$$ogel abermals unb roartete, bafS Unfer S>err fagen follte: 

„2lch, mein Srreunb, ich fefje, bafS ich oergeffen habe, beine iBruftfebern roth 
SU malen, aber roarte nur einen &ugenblicf, fo roirb eS gefchehen." 

2lber Unfer £>err lächelte nur füll unb fagte: 

„3cb höbe bich ^Rotkehlchen genannt, unb fRothfehlchen follft Du heifeen, aber 
bu mufSt felbft jufehen, bafS bu bir beine rothen SBruftfebern oerbienft." 

Unb bamit erhob Unfer £>err bie franb unb liefe ben SBogel auf’S neue in 
bie 3Belt hinausfliegen. 

Der 93ogel Rog unter tiefen ©rübeleien hinab in$ s JktvabieS. 2BaS follte 
roohl ein Heiner 93ogel, roie er, thun fönnen, um Reh rothe Gebern ju oerfchaffen ? 

DaS ©insige, roaS ihm einRel, roar, fein SReft in einen Dornenbufcfe ju 
bauen. ©r niftete srotfehen ben Stacheln in bem bitten Dornengeftrüpp. ©S roar, als 
hätte er erroartet, bafS ein fRofenblatt an feiner Hehle haften bleiben unb ihr feine 
Tyarbe geben roürbe. 

♦ * 

* 

©ine unenblicbe ÜRenge oon fahren roar oerfloffen feit biefern Xage, ber 
ber frohefte ber ©rbe roar. Seit biefer 3eit hatten foroohl Xhic^e als SRenfchen baS 
s BarabieS oerlaffen unb Reh über bie ©rbe oerbreitet. Unb bie SRenfchen hatten eS 
fo roeit gebracht, bafS Re eS erlernt hatten, ben $Boben &u bebauen unb baS 9Reer ju 
befahren, Re hatten Reh Hieiber unö 3teraten oerfchafft, ja Re hatten febon längft 
gelernt, grofee Xempel unb mächtige Stäbte ju bauen, roie Xhcbctt, IRom unb ^erufalem. 

So brach ein neuer Xag an, ber auch in ber ©efdRchte ber ©rbe lange nicht 
oergeffen roerben follte, unb an bem ÜRorgen biefeS XageS fafe baS ^Rotkehlchen 


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£)a« SRotbfeblcben. 


639 


auf einem Meinen nacften tnigel oor ben dauern 3fc ru fol cm $ unb fang feinen 
jungen oor, bie in einem Meinen s Jieft in einem niebrigen $ornenbufdj ruhfen. 

S)a« ßtotbteblcb™ erjagte feinen kleinen non bem rounberbaren Schöpfung« 
tage unb non ber Benennung, foroie jebeö erleben e$ erjäblt bat, non bem 
erften an, ba« ©otte« ©Bort gehört unb au« ©otte« §anb (jerootgegangen mar. 

„Unb febt nun," fcblof« eS betrübt, „fo niele Qabre ftnb nerfloffen, fo niele 

fHofen haben geblüht, fo niele junge ©ögel fmb au« ihren ©iern gefroren, feit bem 

ScböpfungStage, fo niele, baf« feiner fie jäblen fann, aber ba« IRotbfeblcben ift noch 
immer ein Meiner, grauer ©ogel, e§ ift ihm noch nicht gelungen, feine rotben ©ruft 
febern $u erringen." 

3)ie Meinen jungen riffelt ihre Schnäbel meit auf unb fragten, ob ihre 

©orfabren nicht nerfucht batten, irgenb eine ©rofetbat ju ooßbrtngen, um bie 

unfcbäfcbare rotbe Jarbe $u erringen. 

„Söir haben aße« getban, roa« mir fonnten," fagte ber Meine ©ogel, „aber 
mir finb alle gefebeitert. Schon ba« erfte DRotbfeblcben traf einmal einen anberen 
©ogel, ber ihm oöflig glich, unb eS begann fogleicb, biefen mit fo heftiger ttiebe $u 
lieben, baf« eS feine ©ruft erglühen fühlte. Sich, bachte e§ ba, nun oerftebe ich, 
eS ift Unfere« !perrn Slbficbt, baf« ich fo b^ife liebe, "baf« meine ©ruftfebern ftch oon 
ber öiebeSglut, bie in meinem §er$en mobnt, rotb färben. Slber eS febeiterte, fo mie 
alle nach ihm febeiterten, unb fo mie auch ib* feheitern merbet." 

$ie Meinen jungen jroitfeherten mifSoergnügt, fie begannen febon barüber 
ju trauern, baf« bie rotbe ffarbe nicht ihre Meine flaumige ©ruft fcbmücfen follte. 

„Söir hofften auch auf ben ©efang," fagte ber alte ©ogel, in langgejogenen 
löneu fprechenb. „Schon ba« erfte ©otbfeblcbeu fang fo, baf« feine ©ruft oor 
©egeifterung fcbrooll, unb eS roagte roieber ju hoffen. Sich, bachte e§, bie Sange«^ 
glut, bie in meiner Seele mobnt, roirb meine ©ruftfebern rotb färben. ©ber e« 
febeiterte, foroie alle nach ihm gefebeitert fmb, fomie auch ihr febeitern roerbet." 

Söieber hörte man ein trübfelige« ©iepfen au« ben balbnadten fehlen ber jungen. 

„SBir hofften auch auf unferen ÜRutb unb unfere Xapferfeit," fagte ber ©ogel 
„Schon ba« erfte ©othfebldjen fämpfte tapfer mit anberen ©ögeln, unb feine ©ruft 
glühte oon ÄampfeSluft. Sich, bachte e«, meine ©ruftfebern roeiben ficb rotb färben 
oon ber Streitluft, bie in meinem £>erjen flammt. ©ber eS febeiterte, fo mie alle 
nach ihm febeiterten, fo roie auch ihr febrilem roerbet." 

$>ie Meinen jungen piepften mutbig, baf« fie e§ hoch oerfuchen rooüten, ben 
erftrebten ©rei« *u geroinnen, aber ber alte ©ogel antwortete ihnen betrübt, baf« 
bie« unmöglich fei. 2Ba§ fonnten fie hoffen, roenn fo Diele ausgezeichnete ©erfahren 
ba« 3*el nicht erreicht hotten? 2Ba« fonnten fie mehr tbun als lieben, fingen 
nnb fämpfen? 2Ba« fonnten —- 

$)er ©ogel hielt mitten im Sa&e in ne, benn au« einem ber $bore Jerusalem« 
fam eine ÜJtenfcbenmenge gezogen, unb bie ganje Schar eilte ben §ügel hinan, 
mo ber ©ogel fein 9left batte. 

$a roaren Leiter auf ftoljen ©offen, ftrieger mit eifeubefcblagenen Sanbalen, 
fcenferSfnecbte mit Nägeln unb dämmern, ba roaren roürbig einberfebreitenbe ©riefter 
nnb dichter, roeinenbe 3rrauen unb aßen ooran eine ÜJtenge roilbumherlaufenben 
©olfe«, ein greuliche«, beulenbe« ©eleite oon Sanbftreicbern. 

3)er fleine graue ©ogel fab jittemb auf bem ßtanbe feine« 9teft«. ©r fürchtete 
eben ©ugenblicf, baf« ber Meine $)ornenbufcb niebergetreten unb feine fleinen jungen 


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640 


Selma tfagerlof. Da$ fRotbfeb leben* 


qetöbtet werben würben. „fJlebmt euch in acht," rief er ben tleinen fcbu&lofen jungen 
ju, „friecbt jufammen unb oerbaltet euch ftiU! frier fommt ein ^ferb, ba8 gerabe 
über un8 babingebt! frier fommt ein Krieger mit eifenbefcblagenen Sanbalen! frier 
fommt bie ganje milbe Schar berangeftürmt!" 

SJttt einem 9Jtole bürte ber Bogel mit feinen 2öarnung8rufen auf, er würbe 
Hill unb ftuinm. ©r »ergab beinahe bie ©efabr, in ber er fdjwebte. 

Blöfclicb hüpfte er binab in baS fHeft unb breitete bie glügel über feine jungen 

„fftein, ba8 ift ju eutfefclicb," fagte er. „3cb will nicht, bafS ihr biefen 9lnblicf 
febt — ba fmb brei fWiffetbäter, bie gefreujigt werben follen." 

Unb er breitete ängftlicb bie Qrlügel au8, bamit bie kleinen nicht feben fonnten 
Sie oernabmen nur bonnernbe frammerfcbläge, ^ummerrufe unb ba8 roilbe ©efcbrei 
be8 Bolfe8. 

Da8 fRotbfeblcbcn folgte bem ganjen Scbaufpiel mit s 2lugen, bie n<h nor 
©ntfefeen weiteten. @8 fonnte bie Blicfe nicht oon ben brei Ungliidlicben weuben. 

„2öie graufam biefe fUJenfcben fmb!'' fagte ber Bogel na(h einem Milchen 
„©8 ift ihnen nicht genug, baf8 fie biefe armen BSefen auf’8 Kreuj nageln, nein, 
auf bem Stopfe be8 einen buben ftc noch eine Krone auS ftecbenben Konten befeftigt." 

„3dj febe, baf8 bie Dornen feine Stirne oerwunbet buben, fu bafe Blut 
fliefet," fuhr e8 fort. „Unb biefer 2Rann ift fo fchön unb fiebt mit fo milben Blicfeu 
um ficb, baf8 Qeber ihn lieben müfste. @8 ift mir, al8 gienge eine Bfeilfpifce burd> 
mein frerj, wenn ich ihn leiben febe." 

Der fleine Bogel begann ein immer ftärfere8 iHitleib mit bem Dornengefröuten 
ju fühlen. „5öenn ich mein trüber, ber s ilbler, wäre/' bacbte er, „würbe ich bie 9tägel 
au8 feinen fränben reihen unb mit meinen ftarfen Klauen all’ biefe oerfcheuchen, 
bie ihn peinigen." 

©* fab, wie baS Blut auf bie Stirne be8 ©efreujigten tropfte, unb ba 
fonnte e8 nicht mehr in feinem Riefte ftille bleiben. 

„Söenn ich uucb nur flein unb fcbwach bin, muf8 ich hoch etioa8 für biefen 
armen ©equälten tbun fönnen," bacbte ber Bogel, unb er oerlieh fein 9teft unb flog 
binau8 in bie Cuft, weite Kreife um ben ©efreujigten befcbreibenb. 

©r umfreifte ihn mehrere fötale, ohne baf8 er ficb getraute berunjufomnieu, 
benn er war ein febeuer fleiner Bogel, ber e8 nie gewagt butte, ficb einem SJtenfdjen 
ju nähern. 3Iber fo aügemacb faföte er fUtutb, flog gauj nabe heran unb $og mit 
feinem Schnabel einen Dorn au8, ber in bie Stirn be8 ©efreujigten gebrungen war. 

9Iber wäbrenö er bie8 tbat, fiel ein Iropfen oon bem Blute be8 ©efreujigten 
binab auf bie Bruft beo BogelS. Der oerbreitete ficb rafcb unb färbte all bie fleineu 
jarten Bruftfebern. 

2Bie ber Bogel wieber in fein 9teft fam, riefen ihm jeine fleineu 3ungeu b xl 1 

„Deine Bruft ift rotb, beine Bruftfebern fmb rötber al8 fRofen!" 

„@8 ift nur ein Blutstropfen oon ber Stirne bes armen üJiaune8,“ fagte 
ber Bogel. ,,©i oerfchwinbet, fo wie ich in einem Bach habe ober in einer 
flaren CueUe." 

2lber wie ber fleine Bogel auch babete, oerfebwanö boeb nicht bie rotbe JJarbe 
oon feiner Bruft, unb als feine fleineu jungen berangewaebfen waren, leuchtete bie 
blutrotbe ftarbe auch oon ihren Bruftfebern, fo wie fie auf jebeS fRotbfeblcbenS Bruft 
unb Kehle leuchtet, bis auf ben heutigen Dag. 


»tebacteur: Dr. Jranj Schnürer. 

3 oj. ftottTfcbe «crlafl*bud)Öaitblnn0. — JHudjbrwferei Wmbr. Cpifc, ®ien. 


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