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Full text of "Die Kunst"

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HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 




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FROM THE BEQUEST OF 

MRS. ANNE E. P. SEVER 
OF BOSTON 

Widow of Cd. James Warren Sever 

(C3ms of 1817) 

^ANSFERRED TO 



• ^ 




DIE KUNST 



SECHSTER BAND 



« 



DIE KUNST 

MONATSHEFTE FÜR FREIE 
UND ANGEWANDTE KUNST 



SECHSTER BAND 

ANGEWANDTE KUNST 

DER .DEKORATIVEN KUNST" V.JAHRGANG 



MÜNCHEN 1902 
VERLAGSANSTALT F. BRUCKMANN A.-G. 



¥^-4hS F 



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BHTanl CMl««» Lttmy 
8ev«r fand 



ALLE RECHTE VORBEHALTEN 



DRUCK VON ALPHONS BRUCKMANN IN MONCHEN 



INHALTS-VERZEICHNIS 



Artikel. Seite 

Abels, Ludwig. Wiener Brief. ... 69 
Aus Mfinchens Kunstindustrie . . . 140 
Ausstellung der Handarbetets-Vänner von 

Stockholm in Berlin 100 

Ausstellung, Die Tnriner 393 

(Fortsetzung) 438 

Becker, M. L. Die Ausstellung der Hand- 
u-betets-Vänner von Stockholm im Ber- 
liner Kunstgewerbemuseum . . . .100 
Beleuchtungskörper, von Hans Wagner 847 
Ben8on*s Elektrische Beleuchtungskörper 105 
Bilderbuch, Das 278 

— Das moderne englische 800 

Bredt, E. W. Bruno Paul 66 

Verkünden und Handeln . . . 218 

Bulle, Dr. H. Von griechischer Gefass- 

maierei 116 

Oarstanjen, F. Meisterkurse in Nürnberg 227 
Nürnberger Handwerkskunst . . 321 

Darmstadt nach dem Fest 185 

Drasenovich, Dr. A. von. Nemesio de 
Mogrobejo 819 

Sckmann, Otto f 482 

Einbinde von Paul Kersten 191 

Fischer, Theodor. Das Schulgebaude . 170 
Folneslcs, J. Raumausgestaltung bei 
Kunstausstellungen 270 

— — Wiener Kunstgewerbeverein . .182 
Frantz, Henri. Französische Radierungen 149 

La Soci6t^ Moderne des Beaux*Arts 269 

Fred, A. W. Interieivs von L. C. TiflTany 110 

— ' Die Turiner Ausstellung . . 393. 483 

OefUssmalerel, Von griechischer . . .116 
Glashütten, Rheinische in Köln-Ehrenfeld 190 

Hinel, Erich. Theodor Fischer . . .158 
Konkurrenz für ein Brunnendenkmal 

in Kempten 862 

Historische Stilarten und illustrative Dar> 

Stellung der Vorzeit 251 

Hoytema's, van, geschmückte Möbel . 77 

Inneneinrichtungen, Moderne .... 858 
Interieurs von L. C. TiflTany . . . .110 

— Neue 842 

JÖrgensen, Joh. Mogeos Ballin's Werk- 
statt 244 

Kleinpaul-Dresden, Joh. Das deutsche 

Städte-Ausstellungsplakat 428 

Kunst für die Armen 52 

— und Maschine 141 

Künstlerisches von der Berliner Hoch- 
bahn 288 

I^Ichttriger von K. M. Seifert & Co., 

Dresden 190 

Luxuskunst oder Volkskunst? .... 81 

Margarethe von Brauchitsch .... 258 

Mogens Ballin's Werkstatt 244 

Munthe, Gerh. Historische Stilarten und 

illustrative Danteilung der Vorzeit . . 251 
Muthesius, Herm. Benson's Beleuch- 
tungskörper 105 

Die Glasgower Kunstbewegung . 193 

— — Kunst für die Armen 52 

Kunst und Maschine 141 

Zur Rettung unserer alten Bauten 264 

Muthesius-Trippenbach, Anna. Das mo- 
derne englische Bilderbuch .... 800 

Nacht, Leo. Künstlerisches von der Ber- 
liner elektrischen Hochbahn .... 283 

Obrist, Herm. Luxuskunst oder Volks- 
kunst? 81 

Arbeiten von Elisabeth Erber . . 59 

Ollendorf, Oscar. Die Farbenschau im 
Kaiser Wilhelm-Museum in Krefeld . 336 



Seite 
Pauli, Gustav. Das Bilderbuch . . .278 
Pudor, Heinrich. Moderne Inneneinrich- 
tungen .... 358 

Das Kunstgewerbe auf der Karis- 

luher Jubiläumsausstellung .... 422 

Radierungen, Französische 149 

Raumausgestaltung b. Kunstausstellungen 270 
Rüttenauer, Benno. Darmstadt nach dem 
Fest 185 

Bcheffler, Karl. E. Barlach .... 78 

— — Das Haus Behrens 8 

Neue Interieurs 842 

Otto Eckmann f 482 

Unterricht im Kunstgeweibe - . 365 

Via Miquel 126 

Schneider, Rieh. von. Unser monumen- 
tales Gesamtenipfinden 408 

Schumacher, Fritz. Bauten von Peter 
Dybwad 121 

— — Rauten von Paul Möbius ... 49 
Soel6t6 Moderne des Beaux-Arts . . . 269 
Städte-Ausstellungsplakat, Das deutsche 42tf 

Tapeten von Otto Eckmaim .... 148 

Unser monumentales Gesamtempfinden . 408 
Unterricht im Kunstgewerbe .... 865 

Veldheer, J. G. Haarlemer Silber- Arbeiter 

und -Arbeiten : £. Voet 262 

Geschmückte Möbel van Hoytema's 77 

Verkünden und Handeln 218 

Via Miquel 126 

Zinnarbeiten von F. Adler 191 

Zur Rettung unserer alten Bauten . . . 264 
Zu unseren Bildern 297. 885 



Orts-Register 

Berliner elektrische Hochbahn ... 233 

Darmstadt nach dem Fest .... 185 

Olasgower Kunstbewegung 198 

Haarlemer Silber-Arbeiten 262 

Karlsruher Jubiläumsausstellung . . . 422 
Kempten, Konkuirenz für ein Brunnen- 
denkmal 862 

Köln- Ehren feld. Rheinische Glashütten . 190 
Kopenhagen, Mogens Ballin's Werkstatt. 244 
Krefeld, Farbenschau im Kaiser Wilhelm- 
Museum . . • 336 

Mfinchens Kunstindustrie 140 

Nürnberger Handwerkskunst .... 321 

— Kunstgewerbliche Meisterkurse . . 227 

Paris, Soci^t^ Moderne des Beaux Arts 269 

Stockholm, Die Ausstellung der Hand- 
arbetets-Vänner vun St. in Berlin . . 100 

Turiner Ausstellung 393. 438 

— — Sektion Deutschland 438 

England 406 

Frankreich 458 

Italien 462 

Österreich 446 

Schottland 405 

— — Skandinavien 467 

— — Ungarn 464 

V^iener Brief 69 

— Hagenbund 270 

— Kunstgewerbeverein 132 



Besprochene Bücher Seite 

Die Arche Noah 294 

Furtvängler, A. und Reichhold, K., Grie- 
chische Vasenmaleiei Lfg. 2 . . . .117 

Gerlachs Jugendbücherei . . . 295. 299 

Knecht Ruprecht 295. 297 



Personal-Register *) 

Adler, F 191 

„Arte della Ceramlca** 466 

Ashbee, CK 407 

Auburtin, Francis 269 

Bakalowits, E. Söhne 450 

Ballin, Mogens 247 

Barlach, E 79. 80 

Batten, John D 318 

Baumann, Ludwig .... 450. 452. 453 
Behrens, Peter 1—48. 190. 229. 232. 83:{. 438 

Bell, R. Anning 311 

Berlepsch-Valendas, H. E. von . . . 442 

Betout, C 152 

Billing, Hermann 424. 442 

BindesböU, Th 244 

Boberg, Ferdinand 469 

Bosselt, R 190 

Beutet, de Monvel 150 

Bouy, G 269 

Brand, Joh. & Stauch . . . . 824. 382 
Brauchitsch, Margarethe von .... 258 

Breithut, Peter 71 

Brown, Ford Madox 54. 56 

Bürck, Paul 188 

Bume-Jones, Ph 54 

Butlcr-Stoney, T 818 

Oaldecott, R 276. 303 

Christiansen, H 188. 189 

Cole, Henry 802 

Grane, Walter . . . . 53. 285. 304. 407 

DeUtre. Eugtae 150 

Dybwad, Peter 121. 124 

Sckmann, Otto . . 148. 369-378. 482 
Erber, Elisabeth 59. 64 

Palke, G 188 

Farmiloe, Edith 816 

Fischer, Theodor 153—169 

Flossmann, Josef 862 

Ford, J 813 

Frank, Eduard 69 

Oamla Santessonska Tenngjuteriet . . 469 

Gaskin, Arthur J 310. 811 

Ginorl, Manufaktur 467 

GiustlnlanI, Vincenzo 466 

Greenaway, Kate 806 

Grenander, Alfred 241 

Gulld of Handicraft- London .... 407 

Habich, 1 190 

Hagen, M 881 

Hammel, Auguste 329 

Hansen, Frieda 468 

Hassal, John 314 

HofTmann, Heinrich 280 

— Josef 73 

HoTzinger, Emil 138 

Hoppe, Paul . . . ' 385 

Horti, Paul 454 

Housman, Laurence 812 

Hoytema, Th. van 77. 299 

Huber, Anton 442 

— Patriz 188 

Hughes, Arthur 803 

Jones, A. Garth 814 

Jourdain, Francis 150 

*) In diesem Verzeichnis sind nur die 
Personen aufgeführt, über welche im Text 
etwas Wesentliches gesagt ist. 



PERSONAL-REGISTER — ILLUSTRATIONEN 



Seite 

Kainzinger, Franz 328 

Kaitmaier, H 330 

Kepplcr, W 861 

Kersten, Paul . . 191. 192. 388. 890 

Khnopff, Fernand 2ß9 

Knorr, H 828 

Körnig, Arno 442 

Kramer, Theodor von . . 227. 228. 834 

Kreidoir, Ernst 295. 297 

Kreis, Wilhelm 488 

Krohn, Pletro 88A 

Krüger, F. A. 861 

Kühne, Max Hans 387. 442 

I^a Maison Moderne 460 

L'Art nouveau 460 

Liuger, Max 422 

Lamm, Oskar 285 

Lerche, H. St 468 

Liberty & Co 860 

Lühr & Wichtendahl 444 

Macdonald-Mackintosh, Margaret 

193—217. 405 
Mackintosh, Charles R. . . 193—217. 405 

Maler, Karl 834 

Maljutin S. W 298 

Meinecke, D 882 

Möbius, Paul 49. 50 

Mogrobejo, Nemesio de 849 

Möhring, Bruno 241. 442 

Monvel, Boutet de 285 

Morawe, Ferdinand 889 



Seite 

Morris, William 52. 56 

Moser, Koloman ... .... 78 

Nelsen, Harold 314 

Nicholson, William 814 

Nicolai, M. A 346 

NIgg, H 481 

Nordin, Alice 469 

Obrist,. Hermann . . .77. 217—224. 864 

Oeckler, V - . . 332 

Oerl^y. Robert 72. 73 

Olbrlch, J. M 189. 444 

Oppler^ hlse 828 

Or6ans Robert 442 

Orr, Stewart 315 

Pankok, Bernhard .... 90—99. 860 

Paul, Bruno 66. 68. 861 

Peyfuss, Marletta 188 

Pinchon, J 152 

Prouv*, Victor 269 

Prutscher, Otto 72. 452 

Pyle, Howard 310 

Richter, Ludwig 280. 284 

Rlemerschmid, Otto 862 

Robinson, Charles Sil 

Röchiing, Karl 292 

Schifer, K 330 

Schmldhammer, Arpad 298 

Schmidt, Wilhelm 138 



Seite 

Schwind, Moritz von 286 

Shaw, Byam 314 

Sika, Jutta 186. 138 

SlottMöller, Harald 246 

Smith, Winifred 810 

Spicer-Simson 269 

Sprinckmann, M 150 

Staiger, G 331 

Stokvis, W. J 389 

Summetsberger, Karl 138 

Taschner, Ignatlus 863 

TennTel, John 303 

Townsend, C. H 53 

Uimer, T 832 

Unger, Else 71. 78. 136 

Urban, Josef 271 

Vallgren, Ville 426 

Voet, E 262 

Volck, Emma 829 

Vollmer, Hans 186 

Voysey, C. F. A 407 

DFagner, Hans 847 

— Otto 69. 460 

— Siegfried 247 

Wille, Fla 342 

— Rudolf 342 

Willumsen, J. F 246 

Witzmann, C 452. 458 

Woodward, Alice 808 



Illustrationen 



Seite 

Adler, F. Vorraum 449 

Zinnarbeiten 190. 191 

Arold, G. Posamentierarbeiten . . . 838 
d'Aronco, Ralm. Turiner Ausstellungage- 

Ijäude 898-895. 899 

»Arte della Ceramlca*. Bank .... 466 

Va^n 467 

Ashbee, C. R. Lüster 416 

Möbel 416. 417 

Standuhr 417 

Auburtin, Fr. Dekoratives Gemälde . . 267 

Bakalowits E. Söhne. Jardiniere . . 462 

Schale . 462 

Theetischchen 460 

Ballin, Mogens. Mctallarbeiten . 245—250 

Schmucksachen 249 

Barlach, E. Grabmal 78 

Statuetten 79. 80 

Zeichnungen 78. 80 

Batten, John D. Buchillustiation . . .315 
Baumann, Ludwig. Architekturen 397. 398 

Halle 455 

Behrens, Llli. Kissen 341 

— Peter. Architekturen .... 2. 8. 4 
Atelier 82 

— — Beleuchtungskörper, Leuchter etc. 

11. 46. 186. 187 

Bestecke 26 

Bettbezug . . - 38 

Bibliothek 83 

Buchschmuck . 1. 22. 23. 46. 48 

— — Damenzimmer 26. 31 

Diele 8 

Fenstervorhang 14 

Flügel 12. 13 

— — Frauenkleid 44 

— — Gästezimmer 42 

Gläser 24 

Glasmosaik 17 

Haiiseingänge 5. 6 

— — Hcizkörperverkleidungen und Ka- 
mine 7. 3>i. 43 

Küche 45 

Möbel 11. 16. 20-23. 27-30. 3l. 

36. 39. 43 

— — Musikzimmer 9. 10 

Plafond 34 

— — Porzellan und Keramik . . 19. 47 

— — Schlafzimmer ... 95. 37. 40. 41 

— — Speisezimmer IJ^ 

ThÜren ^^- ^IJ 

Thürgriffc 47 



Seite 
Bell, R., Annlng. Buchillustrationen 807 

bis 809. 320 
Benson,W. A. S. Beleuchtungskörper 104—110 

Theeservice und Vasen . . . .418 

Berchtold, J. Standlampe 140 

Berlepsch-Valendas, H. E. von. Das 
deutsche Gebäude auf der Tuiiner Aus- 
stellung 484. 435 

Plafond 452 

— — Speisezimmer 441. 451 

Bemer, Eugen. Wandlampe .... 142 

Betout, C. Radierung 152 

Beyrer, E. Weinkühler 139 

Billlng, Hermann. Empfangshalle . . 486 

— — Kamiowand 481 

Möbel 428. 480 

— — Wandbrunnen 481 

Wohnzimmer 429 

Boberg, Ferdinand. Bowle 469 

— - Jardiniere 469 

Schrank 472 

Bodenheim, Nelly. Buchillustrationen 299 
Boutet de Monvel, Radierungen . 148. 150 
Bouy, G. Schmiedearbeiten .... 269 

Bradl, J. Winthirbrunnen 183 

Brand, Joh. & Stauch. Bowle . . .322 

Entwürfe zu Gürtelschliesseu . . 340 

Brantlng, Agnes. Wirkereien .... 103 
Brauchitsch, Marg. v. Decken, Kissen etc. 

257-261 
Busch, Wilhelm. Buchillustrationen . 280 
Butler-Stoney, F. Buchillusiration . . 316 

Caldecott, R. Buchillustrationen 308. 

805. 306 
Cobden-Sanderson, J. Bucheinband . 371 
Crane, Walter. Buchillust.ationen 302—304 
Cremer, W. Bahnhof N ollen dorfplaiz . 234 
Pfeiler 242 

Dearmer, MabeU Buchillustration . . 318 

Delfltre, E. Radierung 151 

Dlnklaee, Georg. Bahnhof Schlcsisches 

Thor . . 233 

Dybwad, Peter. Architekturen 121-123. 125 

— — Herrenzimmer 128. 129 

Kamin 128 

— — Speisezimmer . . * . • 126 — 128 
Vorraum 124. 125 

Sberlein, M. Handlcuchter .... 327 

Eckmann, Otto. Poiiiät 432 

Tapcicn 146. 147 



Seite 

Eckmann, Otto. Wandarm 142 

Ednie, John. Lüster 411 

Möbel 406. 4ü8 

Elchrodt, H. Buchillustration .... 282 

Endeil, A. Standlampe 140 

Erber, Elisabeth. Stickereien . . 57—59 
Erdmann & Spindler. Grabmal . . . 391 

Falke, G. Glasservice 180 

Farmiloe, Edith. Buchillustrationen . . 317 

Feure, G. de. Fächer 463 

Fidus. Buchillustration 293 

FietterstrOm, Martha. Wirkteppich . . 101 
Fischer, Theodor. Architekturen 156. 157. 

167-175. 179—183 

Bismarckdenkmal .... 162-166 

Entwürfe 156-161. 168. 170. 175—178 

Winthirbrunnen 183 

Flossmann, Josef. Brunnen . . 154. 155 

Brunnenmodelle 364. 369 

Putten 154 

Oahlnbäck, J. von. Möbel . . 360. 36 L 
Gamla Santessonska Tenngjuteriet. 

Bronzearbeiten 470 

Gaskin, Arthur J. Buchillustrationen . 314 

Gaul, August. Löwin 437 

Gillesple, J. G. Standuhr 412 

Ginorl, Manufaktur. Badezimmer . . 465 

Teller 466 

Glatigny. Tintenfass ..*... 271 
Göschel, Ferd. Grabmalmodell . . 333 

Gosen Th. von. Skulpturen . . 180. 181 
Gow, David. Tapetenmuster . . . .413 
Greenaway, Kate. Buchillustraiionen 800. 301 
Grenander, Alfred. Pfeiler und Säulen 

238. 240-242. 244 
Grisebach, Hans. Bahnhof Schlesisches 

Thor 233 

Gross, Karl. Keramische Arbeiten 438. 439 
Guild of Handicraft, London. Schmuck- 
sachen 419 

Gurschncr, Gusuv. Statuette . . . 462 
Gu&tafsberg, Manufaktur. Leuchter und 
Vasen 470. 471 

Hagen, Max. Entwurf zu einer Fenster- 
umrahmung 386 

Hammel, Auguste. Entwürfe zu Buch- 
einbänden etc 321. 834. 335 

Hassal, John. Buchiliustration . . . 319 

Haustein, Paul. Beleuchtungskörper 136. 

139. 142. 186. 448 



ILLUSTRATIONEN - SACH-REGISTER 



Seite 
Haustein, Paul. Melallarbeiten . . .187 
Heine, Th. Th. Buchillustration ... 286 
Hentze, Gudmund. Kaffeeservice . . 246 

Hocheder, K. Entwurf 177 

Hoffmann, Hch. Buchillustraiion . ■ 278 
Holzinger, Emil. Möbel . . . 131. 134 
Honigmann, Meta. Fussbodenbelag . 449 

Schirmständer 449 

Weinkühler 366 

Hoppe, Paul. Architekturen 882-385. 390 
Housman, Laurence. Buchillustration 307 
Hoytema, Th. van. Buchillustrationen 

291. 295 

Möbel 73—76 

Huber, Anton. Arbeitszimmer . . . 443 

Schrankdetail 442 

Hudler, August. Keramische Arbeiten 438. 439 

Jones, A. Garth. Buchillustration . . 812 
Jourdain, Francis. Radierungen. . 149. 162 

Kafnzlnger, Franz. Metallarbeiten 821 

322. 323. 326 
Kaltmaler. H. Bucheinbände .... 385 
Keppler, W. Arbeitszimmer .... 357 
Garderobemöbel 363 

— — Tischlampe ... .... 188 

Kersten, Paul. Bucheinbände 1V2 370. 371 

Schachfiguren 878 

Keyden, Sophie. Wandbehaug («ehe 

Berichtigung Seite 472) 415 

Khnopff, Fernand. Entwurf . . 270 
King, Jessie M. Dekorative Zeichnung 414 
Kleinhempel, Erich. Junggesellen- Wohn- 
zimmer . . - 446 

— Gertrud. Schlafzimmer 447 

KUmt, Georg. Rahmen und Uhren 

376. 877 
Knorr, H. Entwürfe zu MeUllarbeiten 

824. 825 

Zündholzständer 826 

Kohn, Jakob und Josef. Interieur . . 467 
Konewka, Paul. Buchillustration . . . 281 
Körnig, Arno. Speisezimmer .... 460 
Kreidolf, Ernst. Buchillustrationen 290-292 
Kreis, Wilhelm. Empfangshalle . 488. 439 
Krüger, F. A. O. Arbeitszimmer . . . 867 
Kühne, Max Hans. Ausstellungssaal . 44u 

Billardzimmer 389 

Halle 387 

— — Heilkörperverkleidungen . . . .381 

Interieur " 388 

Villa 386 

I^ammert, E. Tischlampe 142 

Landry, Abel. Lehnstuhl 464 

L*Ari nouveau. Doppelbett .... 464 

Porzellan 466 

Va<en 467 

Liuger, Max. Keramik .... 424—426 

Möbel 428 

Ofenthüreu 426. 426 

Wandbrunnen 422. 424 

Lehmann, G. Geschnitzter Rahmen . 832 
Leistlkow, Walter, Wandmalereien 433. 437 

Lemmen. G. Ledermappe 468 

Lerche, H. St. Fayencen 471 

Liberty & Go. Inteiieurs . . . 368. 859 

Lischtwau, L. Sessel 860 

Logan, George. Wandschirm .... 402 

Macdonald • Mackintosh, Margaret. 

Paneele etc 217-221 

Interieurs (s. Berichtigung Seite 472) 

401. 403 

Vorhang 221 

Mackintosh, Gharles R. Ausstellungs- 
stände 214 

Entwürfe 211—218. 216 

Ex Libris 216 

Grabstein 216 

Halle 197 

Kamine 199. 20 L. 206 

— — Landhaus Wiudyhill, Aussenarchi- 
tektur 193—196 

Innenräume . . . .196—203 

Leuchtkörper 196. 204 

Möbel . 193. 200. 202—204. 20S. 

209. 404. 405 

— — Schlafzimmer 202 

Spiegel 203. 208 

— — Spielzimmer 198 

l'reppenflur 196 

Wandbemalung . . 206. 207. 210 

— — Wohnzimmer (»iehe Berichtigung 
Seile 472) 205. 400. 401. 403 



Seile 

Maier, K. Kamin 881 

Thongefässe 824 , 

McNair, Herbert und Fitmces. Interieurs 
(siehe Berichtigung Seite 472) . . 401. 403 ; 

Meier, Rosa. Stickereien 449 

Meinecke, D. Entwürfe .... 327—329 i 
Möblus, Paul. Architekturen . . . 60—56 

Grabmal 49 

Mogrobejo, N. de. Bronzearbeiten 850—352 

— — Grabanlage 848 

Grabmalplatte 849 

Möhring, Bruno. Bahnhof Bülowsirasse 

235. 237 

Empfangsraum 487 

Geländer 242. 243 

Pfeiler und Säulen .... 288. 248 

Morawe, Ferdinand. Schmucksachen 874. 875 
Morris, Talwin. Spiegel (siehe Berich- 
tigung Seite 472) 409 

Moser, Koloman. Fusibodenbelag . . 68 

— — Seidenstoff 68 

Müller, Friedrich. Palmenständer . . 323 

— kichard. Beleuchtungskörper etc. 184—187 
Möbel 366 

— — Palmenständer 860 

Munthc, Gerhard. Buchschmuck . 261—856 

Necker, Eiserne Portalverzierung . . 244 
Nelson, Harold. Buchillustration . . . 320 
Newbery, Jessie R. Kissen und Wand- 
behang (siehe Berichtigung Seite 472) 415 
Nicholson. William. Buchillustrationen 810 
Nicolai, M. A. Schlafzimmermöbel 844. 845 
Nordin, Alice. I^^onleuchter .... 468 
Nürnberger Meisterkurse. Entwürfe 227—232 

Oberlander, Adolf. Buchillustration. . 281 
Christ, Hermann. Aschenume ... 77 
' Brunnen . . . .222. 228. 225. 226 

— — Btunnenmodell 866. 867 

— — Grabmal 76 

Oeckler, Valentin. Stuhl 382 

Oerley, Robert. Kunstsalon .... 70 

— — Warenschtank 71 

Ol fers, Marie von. Buchillustrationen 279 

Oppler, Else. Cakesdose 326 

Organs, Robert. Waschbecken . . . 442 

— — Wohn- u. Speisezimmer . . 444. 445 
Orr, Stewart. Buchtllustration .... 819 

Pankok, Bernhard. Altane .... 87 

— — Brunnen 87 

Buchschmuck . . 81. 99. 100. 292 

Dielen 90. 91 

— — Hängelampe 185 

Haus Lange 82—92 

— — Heizicörperverkleidung .... 354 

Möbel 89—94. 99 

Portiere 96 

Schlafzimmer 89. 90. 92 

— — Speisezimmer 356 

— — Tapeten 95 

Teppich 97 

Thüfe 88 

Treppen 83. 90. 91 

— — Zeichnung .... ... 98 

Paul, Bruno. Arbeitszimmer .... 61 

Beleuchtungskörper . 138. 189. 857 

Möbel 60. 62-65 

Speisezimmer 448 

Uhr 62 

Vorhänge 367 

Pfann, P. Entwurf 177 

PInchon, J. Radierung 160 

Pomeroy. S. Bucheinbände .... 372 
Portois « Fix. Speisezimmer .... 466 
Prutscher, Otto. Gaskamin .... 72 

Kassetten 78. 460 

Schmuck 67 

Pyle, Howard. Buchillustrationen . . 309 

Rank, Franz. Lüster 141 

Rhein. Glashütten. Tafe.giaser . 188. 189 
Richter, Ludwig. Buchillustrationen 276. 277 
Riemerschmid , Otto. Brunnenmodelle 

864 869 

— Richard. Beleuchtungskörper 139 142. 184 

Blumenständer ....... 142 

Robinson, Charles. Buchillustratiou . 318 
Rochga, Rudolf. Kleiderhaken . . .141 
Roerstrands Aktiebolaget. Vasen . . 467 

Bapatka, Else. Becher 137 

SchXfer, K. Deckenmalerei . . . .837 
Scherrebecker Schule für Kunstweberei. 
Wandteppich 458 



Seite 
Schmidhammer, Arpad. Buchillustration 286 
Schmidt, Fritz Ph. Buchillustration . 284 

— Wilhelm. Möbel 181. 132 

— — Speisezimmer 135 

Schm=dt-Pecht« Elise. Thongefässe . . 427 
Schneider, Rieh. von. Zeichnungen 419—421 
Schröder, R. A. Bibliothekzimmer . . 146 

Möbel . 144. 146 

Schütz, F. A. Füllungen . 121. 124. 169 
Schwind, M. von. Gemälde etc. 274. 275 
Semmelroth, F. Bronchen u. Kämme . 388 
Shaw, Byam. Buchillusiration . . .811 

Sika. Jutta. (Hasservice 134 

SiÖström, Maria. Stickereien . . 101. 102 
Smith. Wlnlfred. Buchillustration . . 818 
Soir, H. Bahnhof Hallesches Thor . . 286 

Eiserne Stütze 441 

Spiegel, Fr. Möbel 361. 862 

Sprinckmann, M. Radierung .... 151 
Stalger, Gustav. Wandmalerei . . . 837 
Stassen, Franz. Buchschmuck . . . 286 
Stelnle, Joh. Ed. Buchillustration . . 273 
Stichling, Otto. Grabmalfigur . . . .892 
Stokvis, W. J. Gasöfen . . . 878—380 
Summetsberger, Karl. Möbel . 181. 184 

Taschner, Ignatlus. Brunnenmodell . 868 

Buchillustrationen . . . .287. 288 

Taylor, B. A. Möbel . . . 407. 409. 412 

Paneele 410 

TifTany, Louis C. Interieurs . . 111—116 
Topf, E. Schmucksachen . . . 326. 888 
Townsend, C. H. The Whitechapel Art- 

Gallery 56 

Troost, P. Bibliothekzimmer .... 146 
Möbel 144. 145 

Ulmer, J. Entwurf zu einer Truhe . . 830 
Unger, Else. Möbelstoffe etc. ... 69 
Upton, Florence K. Buchillustration . 818 
Urban, Josef. Ausstellungsgebäude 271. 272 

Vaarzon Morel, W. F. A. J. Buchillu- 

s'rationen 296. 298 

Vetter, E. Interne 142 

— — Schirmständer 189 

Vllleroy & Hoch. Keramik . . 488. 489 
Voet, E. Silberarbeiten . . . .261-266 
Vogel, Hermann. Buchillustration . . 282 
Volck, Emma. Spitzen muster ... . 339 
Vollmer, Hans. Schlafzimmer . . . 183 

Toilettespiegel 132 

Voysey, G. F. A. Wandteppich . . . 413 

DFagner, Hans. Beleuchtungskörper 346. 847 

— Otto. Silbetarbeiten 66 

— Siegfried. Metallarbeiten . . 246-250 

Schmucksachen 249 

Waidmann. Schreibzeug 270 

Wedekind, Frank. Buchillu^tration . . 288 
Weisgerber A. Buchillufttraiionen . . 280 
Wenckebach, L. W. R. Buchillustra- 

tionen 296. 297 

Wenig, Bernhard. Buchillustration . . 287 
Wichards, F. Bahnhof Hallesches Thor 236 

— — Eiserne Stütze 241 

Widmer, Ph. Modell eines Oberlichtes 158 
Wiegandt. Ed. Möbel .... 863. 461 

Speisezimmer 459 

Wille, Fla. Kissen und Decke ... 841 

— Rudolf und Fla. Sofa 842 

Wohnzimmer 348 

Willumsen, J. F. Zinnvase .... 245 
Winig, P. Bahnhof Prinzenstrasse . . 236 

Kraftwerk ......... 239 

Witzmann, C. Kaminecke 454 

— — Speisezimmer 458 

Wolffensteln, R. Bahnhof Nollendorfplau 234 

Pfeiler 242 

Woodward, Alice A. Buchillustration . 812 
Wrba, Georg. Brunnenmodell . . . 865 
Wylle, Samuel. Sekretär 412 

Zelezny, Franz. Holzschnitzerei . . . 460 



Sach-Register 

Agraffe 419 

Alune 87 

Anrichteschrank 20 

Architekturen 2—6 60—66. 82— M8. 122. 

128. 126. 166. 157. 160. 167. 168. 179. 

180. 182. 198-195. 288-889. 882 bis 

886. 390. 893-899. 484. 435 



SACH-REGISTER 



Seite 

Aschenschalen 326. 850 

Aschenurne 77 

Atelier 82 

Ausstellungsgebäude des «Hsgenbund* 

271. 272 
Ausstellungsstände, Ausstellungssaal 214. 440 

Bänke 23. 75. 208. 423. 465 

Becher 137. 469 

Beleuchtungskörper 46. 104-110. 138. 

140—142. 184-187. 346. 847. 411 416. 468 

Bestecke 25 

Bettbezug 88 

Betten »6. 202. 209. 345. 464 

Bismarckdenkmal am Starnbergersee 

162-166 

Blumenkübel 823 

Blumenschale 328 

Blumenständer . . . 142. 322. 323. 860 

Blumentischchen 409 

Bowlen 322. 469 

Bronzearbeiten 5. 6 11. 16. 137. 139. 

180. 248. 260 349-351. 470 

Broschen 67. 265. 326. 338 

Brunnen (siehe auch Wandbnmnen) 87. 

154. 155. 183 222-226 

Brunnenmodelle 864—369 

Bucheinbände . .192. 263. 835. 870-372 
Buchillustrationen u. Buchschmuck 1. 

3. 22. 23. 46-48 8U. 81. 99. 100. 224. 

261—256. 272-820 
Bücherschränke . 60. 64. 65. 200. 361. 408 
Büffets *2l. 94. 408 

Cakesdose 326 

Credenz 428. 430 

Dekorationsmalereien 206. 207. 210. 836. 837 

Dielen S. 90. 91 

Dosen 1J7. 469 

Bisenarbeiten 5. 6. I4l. 181. 234. 

240-244. 2C9. 327. 354. 468 

Empfangshallen 436—439 

Entwürfe u. Skizzen 168 159. 161. 168. 
170. 175—178. 211-213. 227-232. 270. 

321-325. 327-380. 388—836. 340 
Ex LIbrIs 216 

Pächer 463 

Fensterumrahmung 183. 886 

Flügel 12. 18 

Frauenkleider 44 259 

Friese 57. 95 

Fruchtschale 850 

Füllungen (siehe auch Paneele) 121. 124. Ifi9 
Fussbodenbelag 68 

Oarderobemöbel 74. 853 

Gasöfen 378—380 

Gerässmalercien, Griechische . . 116—120 

Geländer, Eiseme 242. 248 

Gemälde, Dekoratives 267 

Gläser . ' . . . 24. 180 134. 188. 189 

Glasmosaik 17 

Glasscheiben 219. 410 

Grabdenkmäler 49. 76. 78 215. 833. 

348. 891 

Grabmal-Figur 392 

— -Platte 849 

Gürtelschliessen 67. 2-i9. 261. 265. 266. 

340. 419 

Hallen 197. 271. 387. 455 

Hängetuch 102 

Hausei n^nge 5. 6. 52. 54. 88. 168. 180. 

182. 194. 884. 895. 899 
Heizkörperverkleidungen . 7. 34. 354. 381 
Hochbahn, Die elektrische in Berlin 233—244 
Holzsäulen , ... 829 



Seite 

Jahrzeitlampe, Jüdische 245 

Jardinieren .... 247. 328. •i62. 469 

Kaffeeservice 246 .^25 

Kamine 43. 72. 128. 199. 201. 205. 831. 481 

Kaminecken 444. 454 

Kämme 67. 2l9. 338 

Kanne 246 

Kassetten 73. 271 

Keramik 47. 324. 422. 424—427. 438. 

439. 460. 467. 470. 471 

Kirche in Schwablng 167—175 

Kissen ... 59. 257. 258. 261. 841. 415 

Kleiderhaken 141 

Knäuelbecher 828. 329 

Kohleninselproiekt 176—178 

Küche 45 

Kunstsalon 70 

Kupferarbeiten 137. 204. 247. 322. 323. 

826. 876. 377. 418 

Lampen 109. 138. 140. 112. 18>-187. 

196. 204. 250. 269 
Landhäuser .... 156. 157. 193-195 
Leuchter 11. 110. 186. 189. 187. 191. 

248. 250 269. 324. 827. 470. 471 
Liqueurschrank 184 

Mappen 834. 463 

Mappenschrank 144 

Messingarbeiten . . 245. 247—250. 827 
Metallarbeiten (siehe auch unter den ein- 
aelnen Materialien) 137. 189. 141. 142. 

190. 191. 245. 247-250. 827 

Möbelstoff 69 

Modelle. . . 158. 216. 883. 352. 864-869 

Nachttischchen 90. 845. 860 

Notenpult 11 

Ofenthüren 425. 426 

Ohrringe 874 

Palmenständer 322. 323. 360 

Paneele . .58. 217. 218. 220. 221. 401. 410 

Pfefferbüchse 247 

Pfeiler und Säulen 171-174 238. 240-244 

Plafonds 84. 175. 337. 452 

Porule 168. 180—182 

Portlere 96 

Porzellan 19. 466 

Posamentierarbeiten 388 

Projekt zur Bebauung des Karlsplatzes 

in Wien 419-121 

Puderdose 828 

Radierungen 148—152 

Rahmen 248. 266. 332. 877 

Reliefs 162. 164—169 

Salzbüchse 247 

Schachfiguren 873 

Schalen . . . 246. 262. 850. 426. 462. 471 

Schirmständer 189. 449 

Schmuck 67. 249. 261. 265. 266. 888. 

340. 874. 875. 419 
Schränke 20. 28. 29. 43. 68. 78. 99. 181. 
184. 204. 209. 845. 368. 417. 423. 428. 472 

Schrankdetail 442 

Schreibtische 145. 862 

Schreibzeug 66. 270 

Schulhäuser 160. 179 

Schüssel 466 

Seidenstoffe 68 

Sekretäre . 80. 62. 363. 404. 405. 407. 412 

Serviertischchen 182 

Sessel 15. 27. 84. 858. 356. 3C0. 403. 416. 464 
Silberarbeiten 25. 66. 187. 217. 220. 221. 

245 246. 249. 261-266. 326. 419. 469 
Siiberschrank 131 



Seite 
Skulpturen ... 79. 80. 164. 380. 181 

Sofas 98. 342 

Sparbüchse 246 

Spiegel . . 66. 132. 2o3 2U8. 266. 844. 

358. 877. 409. 461 

Spiegeltisch 39 

Spieltische 15. 181 

Spitzenmuster 389 

Statuetten 851. 462 

Stickereien . .57. 59. 102. 267-261. 

884. 415. 449 
Stühle . . 22. 75. 131. 882. 344. 416. 464 

Stützen, Eiserne 240-244 

Supraporte 438 

Tapeten 95. 146. 147. 418 

Tasse 466 

Taufbecken 246 

Teller 821. 466 

Teppiche 97. 101. 103 

Theekanne ... 466 

Theeservice 825. 418 

Theetlsche 416. 460 

Thongeßsse 824 

Thüren 16. 30. 88. 166 

Thürgriffe 47 

Tintenfässer . 66. 248. 270. 271. 469. 470 

Tische . 15. 8n. 65. 74. 181. 198. 844. 856 

Tischdecken .... 2)7. 259 260. 841 

Toiletteschrilnkchen 461 

Toiiette-Tische 39. 844. 856 

Treppen . . . . 8. 83. 90. 91. 196. 197 

Truhe 880 

Uhren 62. 376. 412. 417 

Vasen . 245. 250. 262. 324. 852. 418. 

427. 467. 470. 471 

Vasenbilder, Griechische 120 

Velours 69 

Veranda 115 

Visitenkartenschale 246 

Vorhänge 14. 221 

Vorräume 124. 125. 449 

Vorstecknadeln 838 

V^andbehang 67. 418. 415 

Wandbrunnen 422. 424. 431 

Wanddekorationen 78. 80. 2o6. 207. 210. 

836. 387. 438. 487 
Wandschirme . . . . 74. 402 406. 409 

Wandschränkchen 361. 461 

Warenschrank 71 

Waschbecken 442 

Waschtische 89. 43. 92. 844 

Weinkühler 189. 823. 856 

Wirkereien 101. 108 

Zeichnungen 78. 80. 98. 121-123. 156. 

194. 414. 419—421 

Zigarrenbecher 245 

Zigarrenschrank 184 

Zimmer, Arbeits- .... 61. 367. 448 

— Bade- 465 

— Biblioihek- 88. 111. 145 

— Billard- 114. 869 

— Damen- 26. 81 

— Gäsie- 42 

— Herren- 128. 129 

— Kinder- 198 

— Musik- 9. 10 

— Schlaf- 85. 37. 4u. 41. 89. 90. 92. 

188. 844. 815. 858. 447 

— Speise- 18. 118. 126. 127. 128. 185. 855 
£59. 888. 441. 448. 450. 451. 456. 458. 469 

— Wohn- 112. 20J. 348. 400. 401. 408. 

429. 444-446. 449. 457 
Zinnarbeiten . 190. 191. 245—243. 2j0. 821 

Zuckerlöffel 264 

Zündholzständer ... . . 826 




I PcrcR BefjRens \ 



Das Haus Behrens • Tlori-Vittt-Stitt 



ro pereR BecRens &i 



ro pereR BajRens 



I pereR BeijRens i 



Hauptdngang * Cifmir thüre mit Befdilag aus Rlumtnium- 
tironie • RusgrfUhrt von C. H. £. C<|9ers, Hamburg •••••• 



ro pereR BCßRens c>i 



Heizhörperoerhleidung • Rusgeföhrt oon C. H. t. eggrrs, Hamburg 



gottcsfreubigen Haturen alle fogenannten 
emigen IPertc herporgcbracfit. Den groüen 
Cinreitigtteiten, 6en oon einer fruditbaren 
Eebensibee Fanatiflerten allein gelingt Blei= 
benbes; oiährenb ber kluge, unterljaltratne 
3meffel nur mit ber öegentoart zu ttfan bat. 
IPir Kinber einer Cpod]e, beren Cenzrtimmung 
ben Cl)aratiter melandiolirdjen ^erbflroetters 
hat, fch^n uns im Üebensfpiegel ber Kunft 
zcDiefadjen Crkenntnismanireftationen gegen= 
Ober ; bie bllbenbe Kraft ift [ozial in zipei Tager 
geteilt. In bem einen ftelien bie Skeptilrer, bie 
Im Jmelfei DerztDei feiten, beren eingeborenes 
Begeirterungsgerütii in Crtienntnisbrang um= 
gefdilagen ift ; In bem anbern bie Optlmiften, 
beren SdiOnheitsfreube alle CrnQdjterungen 
bes Cebens flegrefd) überbauert bat. lebe ber 
Parteien behauptet einen Pol bes Tebens ; ba-: 
zajifcben hreift bie ganze mDralifctje IDelt. Die 
eine jleht bas SdiOne, bas eroig i[t ; bie anbere 
ben Öraus unb bie Qual, bie perganglld) flnb. 
Die Pefnmirten haben bas große mitleiben unb 



ben Fatalismus, benen ein fd]arfer Oerftanb 
rtets neue rct)re(kliche llahrung zuffilirt ; bie 
Optimiften [inb erfüllt oon Eebenshoffnungen, 
benen bas jung ober oft auch i^inblidi blinb 
gebliebene Qerz immer frifdie Quellen er= 
fchliejjl. Jene verneinen bie trabitionellen 
IDcrte unb häufen mit unenblidjer mühfal 
taufenb kleine IDahrheiten auf, in benen allen 
fie Sd]6nlieit fehen ; biefe aber ftreben nur 
nadi ber einen großen, alles umfaffenben 
SdiOnheit, In ber fie eine hOhf^re IDahrlieit er» 
kennen. Cs ift kein 3n7eifel : beibe nnfchau= 
ungsroeifen brängen bemfelben fernen 3iele 
zu; aber jeljt ftehen fif Hd) feinbiid) nod) 
gegenüber unb forbem Don bem 3aubernben 
in {ebem einzelnen Fall Parteinahme. Die 
Arbeit ber Skeptiker ift fchneil perftanblid) 
unb giebt bem Öeifte bas DergnQgen ber 
flnalyfe, cDährenb ihr letztes 3iel faft uner» 
kennbar bleibt ; bas Sdjaffen ber Optimiften ift 
in ben 3ielen klarer, ftehl aber im einzelnen 
nur feiten auf ber f}0\je bes großen fPollens. 



rQ pereR seiiRens i 



Dirle * Moraitt-FuQbodm von Uilleroij & Bo(h, Mettiadi 
XreppCTi-6eUnder oon R. Bemhart in Mainz ausgeführt 



1 

I 



3 



M 
3 



ro percR BeriRens 01 



stand leuditer aus 
Rlutniniumbrome 



Tlotcnpult aus 
Bimbaumholi 



Die Perrtanbesnaturen kOnpcn nEchl anbers, 
als Hei) ber kriHrdjen Richtung anfctiließen ; 
bie £nipfinbramen neigen ber anbem Seite zu. 
So kommt es, baß ber 3[peEfcl, burdi Die ihm 
zur Derfägung ftehenben krärtigeren 1ntelli= 
genzen, befTer Derteibigt ift, als bie pon oft 
unreifen Inftintrten bebiente 3uperf1d)t. 

IDenn rolr biefe beiben Strömungen Jet}t 
ziemlfd] klar fdieiben kOnnen, uerbanken mir 
es bcm Überblick, ben Die neue Beipegung in 
ben angeroanbten KQnften ermOglid]t hat. IDIr 
haben bie ITIehrzahl ber bort thatigen KQnftler 
als nialer beginnen fehen - als malenbe 
Poeten, flicht einer oon ihnen war oon ijerzen 



riaturalirt; alle gaben fi? bas Symbol unb 
gingen jene IDege, auf benen BOcktin pegenb 
norangefchritten Ift. Riemerfchmib malte einen 
„6arten in £ben", Behrens feinen „Traum", 
Cckmanns frühe Tanbfchaften gaben poetifche 
Stimm ungsroerte, nicht atmofpbarifdie, Cei= 
ftikoro fteigeil Einien unb färben ber ranb-: 
fchaft pathetird], Cnbell, Cedjter, öbrift: bei 
allen ift bas romantifche Clement ficher nach= 
zuipeifen. Dasfelbe Sdiaufpiel toieberhoit fith 
bei einem Künftler roie DIbrich, unb r<zlbft 
Chriftianfen unb Bürik geben (ich mit mehr 
ober roeniger 6lfl(k pathetifch- Rls eine gro^e 
Familie präfentlert Od] fo bie Sdjar, ber tcir 



11 



ro percR BeöKens 01 



Tt&gcl • Husgeführt uon Sdiiedmayer, Stuttgart 



t)ic Crneuerung unferes fiaufes [rerbanken. 
Kein [Iditbares gcirtiges Banb fdjcint ihr IDca! 
mit ben nnfctiauungstDcifcn zu perblnben, bie 
burdi nainen wie Eiebermann ober - um Das 
Problem [nternational zu nelimen - ITIanel 
bezeidinet ojerben. nur Dan be Oelbc unb bie 
Belgier tjängen mit bem Imprefflonismus zu= 
fammen - pon feiten bes Perftanbes. In oan 
be Pelbc ift eine feltenc Ijarmonie pon Intel= 
letrt unb öefOt]!, pon Bnalyfe unb Synttiefe. 
Diefes mifdiungsaerliaitnis erklärt feine an= 



regenbe, Qberragenbe Bilbnertiraft unb. be» 
[Deift zugleidi, baß bie beiben KunftftrOmungen 
ber eegentoarl einen Pereinigungspunkt 
fudien, it)n jeljt aber nur )jin unb roleber in 
feltenen 6enies finben. Der Unterfdiieb liegt 
pielleidit nur Im Tempo berCntroicklung. Die 
Poeten eilen zu Refultaten. finb blinb für alle 
foziaiaftt]etirct)en ^inberniffe, bie fid] bem 
Ibeal barmonifd^er Cebensgeftaltung ent^^ 
gegentürmen ; bie Profaiker bagegen roollen 
keinen 3[i>eifel Ijinter fid] laffen unb begnügen 



I Peres BCßRens c^i 



Tlügd • Rusgefahrt uon Sdiicdmayer, Stuttgart 



rid) mit ber tjerdieibeneren Hrbeit, bem Cuft= 
fdjloß ber Sdi([>armenbcn eine MW 6run6» 
mauer zu ziehen. 

- Kultur irirb nur mit 6lauben gemadit, nid]t 
mit IDilTen; aber es muß ein ölaube Tcin, 
ber bes [Piffens Ijerr zu merben meiü. Der 
beterminierenben Kunft. \o notnienbig f!e ift, 
l]aftet etoias Unreines an, [le (Oft Perftanbes=i 
Operationen aus, nidjt fdjOne CDallungen; 
bie nialer unferer neuen arct)itelTtonirct)en Be= 



weguaq flnb bagegen oon einem Seift erfültl, 
berreligiöfen Charakter t]at.T1usit)ren merken 
fpridit bie Sehnfud^t nad] ber fjarmonfe unb 
it)r Unternetjmen, ber gemanbelten unb {\dj 
manbeinben nTenfä^beit roürbige lieimCtätten 
zu rdjaffeti, ift eine Konsequenz foldjer Seljn= 
fud]t. Sie bleiben il]rem öefOlil treu, audi 
roenn fle lldi mit ganz profanen Dingen be= 
fdjäftigen, benn fie erheben basGeringfteburd] 
bie Ibee zur ijOlie ihrer Forberungen. Die nna= 



t3 



ro percR Bef}Rens 01 



Fmftenjorhang im Mufikzimmcr ....... 

Rusgeführt oon Paulme Braun, DarmOadt 



i pereR BeaRens c>i 



Sptdtirdi 



Rusgtführt von L J. Peter, TIannheJm 



lytiker aber. Die nur „reine Kunft" treiben, 
ziehen bas Ciliabene Tclbrt auf bie Stufe bes 
taflenben 3iDeifels herab. Dennoch Eft treines 
biefer belben Elemente ftark genug bas anbere 
zu amalgamleren. 

£s ift alfo nichts Seringeres als bas tieffte 
Kulturproblem , unter beffen Antrieb bie 
Künftler, benen roir eine Cmeuerung ber 
architchtonifchen KQnfte perbanlren, arbeiten. 
Unzatrlige Inbbibualitäten finb am IPerti; 
innerlich perbinbet fl^ boch berfelbe Drang. 
Jeber pfeift fein rieb auf eigene tOelfe ; alte 
Stimmen hllngen gut zufammen unb geben 
eine Hrt oon pDrfrQhlingsftimmung. CIne 
Cofung ift nicht ausgegeben, einer roeiß oft 
nidits pon bem anbern ; trotrbem ift bie TiTan= 
nigfaltigkeit eine organiperte Hrbeltstellung. 

Hm oiertoDliften muß uns ber ITIann fein, 
ber mit vollem BeEDußtfein bie Konfequenzen 
eines flbermaditigen 6ef0hls zu ziehen per^ 
fucht. Denn er fetjt bie Intelligenz poraus, bie 
telber fo plelen inftinktkräftigen Begabungen 
fehlt. Im allgemeinen herrfdjt ein arges niifj= 
perhaitnis Don [Dollen unb Können unb barum 
geiDinnt bie Ibee, In unferer f keptifchen, fpott» 



füchtigen 3eit nur langfam Boben. es ift 
ITtanget an [pud)tig überzeugenbenthatfachen. 
]e grOl^er eine Ibee ift, befto größeren In^ 
halt forbert fie. auch Im Einzelnen ; |e hOher 
bas Pathos fteigt, befto leichter ftrauchett es 
über bie Phrafe. Der Kflnftler, ber oollen 
Qerzens bas Ibeal perlrünbet, bebarf eines 
unenblichen geftaltenben 6enies, um bre er- 
ipartenbzu ihmTlufblidrenbenzubefrleblgen; 
ober boch einer fehr klugen unb beiDuüten 
nTaüigung, bie Innerhalb engerer Grenzen 
relbftherrlid) zu regieren perfteht. 

Ein feltenes Belfpiel biefer letzteren Gattung 
ift Peter Behrens. IPenn leber fein Talent 
fo nüt}te, roie biefer ernfthafte Künftler, fo 
konfequent unb maj^poil, iPcIre bie Gefahr ber 
3erfplltterung für bas Heue kaum oorhanben. 
£s giebt unter ben beutfchen llutjkQnftiern 
manche, beren Erfinbung reldier fließt; ben= 
nod} muß Behrens zuerft genannt werben, 
wo es (ich um bie frage ber Führerfdjaft 
hanbelt, meil er por fllien es perftanben hat. 
aus bem Chaos eine f)armon!e abzufonbem. 
Cr giebt ben Beweis, bajj man auch ohne 
hinreißenbe Genialität ein Ganzes herpor» 
bringen Irann. 



ro pereR se^Rens . 



Sdtkbethür aus Rluminiumbrotue ..... 
Rusgeführl uon C. H. £. Eggcrs, Hamburg 



Seine errten Hrbeiten toaren nldjr fa5cl= l^lick fdiien es. als ob er in bie 6efolgf(t)aft 

nierenb; man Ijatte zwar ben Cinbruck eines bes Belgiers geraten fei; aber plOt;lid) bat er 

großen menrdjIidienunbkanrtlerifdjenEmfles, {l(t] bann los gemadjt unb ganz, im (Dollen 

aber aud)ben einer mQtifamen.rditperblQtigen unb Dollbringen, Den eigenen tTeg gefunben. 

Crfinbung. Für biefe llatur lag bie öefatir Talente zu t)aben ift kein Derbienrt; bicres 

nahe,inil)rerFormenrpraclicDonaußenbeeJn= beginnt erft, toznn es ihrem Träger gelingt, 

flußt zu merben ; oor allem Don pan be Pelbe, burd] eiferne Selbftzudit bas £belmetall aus 

[Teil berren Scftmuckprinzipien im a}e\znt= bem £rz zu geroinnen unb jlcb zu einer 

lictjen auch bie feinen flnb. Cinen nugen= Eeirtungsfahigkeit hinauf zu trainieren, bie 



r<3 pereR BeijRens i 



eUsmofaih im Rusgrführt von Dtüeroii 

Nufiluiminer • & BoA, Mettladt • • • • * 



DCKORnnUE KUnST. 



1 



ro percR Be()Rens oi 



Ponellan • Husgeführt von 6ebr. Baufdier, Ueidm i. B. 



bcm aufs 6anze gcrlditeten IDollen in frder 
Unterircrfung gel)Drd]t. Bctircns ftsd^te fid] 
fein 3iel bod)- Um bic getragene Stimmung 
Domct)mcr Rulje, bic it)m natQriidi ift, kQnft- 
lerifd] einzutreiben, bebarf es ard)itet{to= 
nifdier Bilbungen, bie Dollftanbig gereinigt 
finb Dom niaterielUCbarakteriftifchen, pon 
allem £igentpilligen unb launentiaflcn, bas 
im Ornamentalen \o leidit Selegenbeilen auf= 
zufpüren oreil^. Der 6eroi]lszurtanb, ber bas 
Ceben mufittalifdi zu empfinbentraditet, feann 
In einer felbftgefctiaFfenen Umgebung nur 
breite harmonifdie Unterlagen bulben, nur 
einfädle, polle Klänge. Bel]rens' Kunft wiW 
nid)t bic nemcn zu traftigcn, fut'Ulen 6e= 
nQflen anreizen, flc foll bem (Dillen (reber 



3Qgel fein, nodi Peitfdie unb Sporn; aber 
bort wo lüenfdjen mit „iäfflgen Hluskeln 
unb abgcfctiirrtem IDillen", im lädielnben Be= 
[Dußtrein ber Kraft fnelobien zu finncn iDiKcn, 
[Pill fic bicfcm frcunMid]en Spiel ben rulienben 
Orgclpunkt fdiaffcn. So fliegen aus ber l^anb 
bicfcs cmftcn nienfdicn mit ber frOt)lict)cn 
6runbftimmung abftrakte Ornamente, bie nur 
bas nilgemeine geben, geometrifdie Bilbungen 
mit breitem Rl]t|tl]mus, Einien, bie bas 6c=> 
tüW ardjitektonifdier Sidiertieit iradirufcn. 
£s ift keine Frage, ba^ bie lllannigfaltigkcit 
ber Ornamente oicl größer fein könnte; aber 
bic reidie Parietal ift nur bann eine Tugenb, 
oienn eine ziPcdtDolic künftterifdie Orbnung 
He zu beherrfdien nerftcht. IDas Behrens 



Porzfllan • RusgefQhrt uon 6t\>r. Baurdicr. Uddcn i. B. 
19 !• 



I pereR BeiiRens oi 



Hnriihterdiranli • Husgeführt 
Don 3. D. Hnimann, Hamburg 

ftark madjt ift feine freie Selbftbcfdiranbung, burd] Öie könCtlerlfdie mafiigung, für tite er 

unb baß in feiner Kunft nichts zufällig be= pdl. in genauer Kenntnis ber 6renzen feines 

koratiD fft, fonbern alles ardillektonifdr be= Talentes, entfd]iebcn tiat unb bie eine mit 

ftimmt. nie reißt itjn bie eitle Treube über bödiftem maßftab arbeitenbe Disziplin ibm 

einen erften glQdtlidien debanken zu fold) zur zweiten flatur gemadit bat. Darum beirrt 

nieblidiem Stückroerk t}in, wie es im Ober= ibn keine bekabcntc Reizung, er Ift in jeber 

maß, kreuz unb quer, burd] bie Publikationen ITIinute gebammelt ben Blick aufs IDefentlid)e 

ber neuen angeiranbten Kunft flattert. Cr zu rid)ten. 
irill ein Sanzes, unb bas 6anze gelingt il^m TTidit oft gefd]iel]t es, baß man oon einem 



ro percR BeijRens 01 



BfifTet • Rusgeführt con 3. D. Hofmann, tiamburg 



bilbent)cnKOnftlerberiditcnkann, beffcnKunrt malen Crfinbungskrafr bas fIttHdie IPollen 

pon reiner Pcltanfcliauung untrennbar fft. unb es \\t gut, erft ben Seift kennen zu 

6ar liäuflg liegt zcDifdien Talent unb rebens= lernen, ber bas fdröne f)aus in Darmftabt 

Fülirung eine breite Kluft. In ber alle öelfter erbad]t t)at, bepor wir biefcs betreten, 

bes Instinkts kaufen unb mühfam ben uncr:: Bebrens ift bemCmpfinben nad] Hriftokrat; 

läßlidien Derketir berQber unb tilnäbec aur= com rozialeninitleiben,basromanct)enKOnrt= 

recl]t erhalten. Bei Behrens gel)firt zur for= ler peinigt unb Tcben wie Sdiaffen pcrgailt, 



ro percR BerjRens 01 



Damen- und Hcrrcnnuhl aus dnn Speircjjmmer 



wtifi fein Empflnben nidits. Das mag fdriDaclic 
Seelen gegen ibn einnehmen, meil es „un= 
gered)!" crfdielnt ; mit Sereditigtrelt bat eine 
ftarke Kunft jebod) nie zu tljun, (^onbern nur 
mit machtbeipußtfein. ITIan kann auch als 
IHitleibiger ein großer menfd] fein; boct) 
Kunfttoerte bringt man auf biefem IDcge 
nidit bcrpor. IPer r^haffenb zu Rcfultaten 
kommen ipill, muß Partei nel]men unb in 
eines ber Cager gelien, loorin bie moberne 
Kunftentipi(klung geteilt ift, mu^ fitt) ent= 
ipeber zu benen bekennen, bie man bie gotifche 
6ruppe nennen kann(Tolfloi, Kuskin, ITIorris 
u. \. w.) ober fid] t>em ftalllliarten liellenis= 
mus anrdiließen, bellen oornelirnfter Sprecher 
nietTfctje mar. ITIan kann auf beiben Seiten 
Großes leiften - bort als Prophet, hier als 
KÜnftler - muß Hd) aber F^r einen feften 
Stanbpunkt in feinem Serohl enlfdieiben. 
naturen, in benen ber zcpiefpältige Drang 
mächtig irt - bas Hnb z. B. alle krilifchen 
öeifter -, werben impotent. Behrens' flrl 
tpar fQr bie RnrchauungsiDeire. bie am heften 



burch ben (Tarnen nie^r<hc bezeichnet tpirb, 
präbeftinEert. Die Qrunbftimmung ift ein 
optimiftifchcr Egoismus Im heften Sinne, her 
kOnftlerifch oiel fruchtbarer ift als ber ganze 
nitruismus mit feiner befkriptioen (Oehmut. 
Bei ber eigenen Perfönlicbkcit beginnt biefe 
gefunbe Ichfucht, mit ben hohen Forberungen 
foipohl als mit bem SlückbebQrfnis. Behrens' 
Jafagen klingt fo ftark unb rein, baß er 
prachtvolle f^elmftälten feinen BebOrfntfTen 
nach fiarmonie bauen kann, (jl^r ift nichts 
mehr tron nachchriftlicher Opferfreubigkeit 
unb HTdrtyrerftlmmung: h^Uenifche Dafelns^ 
luft, ber es fogar nicht an naioetät gebricht, 
ift roieber am IPerk, ftellt kQhn eine freie 
Schöpfung ins Getriebe unferer Tage unb 
Qberiaßt bie (Dirkungen fich felbft, bem 3ufall, 
ber TTotEpenbigkeit - w'\e es immer fei. Der 
ITIitleibige umfaßt bie ganze IPelt mit fchccachen 
ITtenrchenarmen unb möchte fle zu einem engen 
Punkte bes Qeils hinleiten, ber Jafager, bie 
fjerrennatur, fchafft einen Punkt ber Doll= 
kommcnheit unb tpirkt burch bas konkrete 



22 



ro percR BeijRens oi 



Banh aus drm Sprifeiimmer 



Bcffpiel, zuerst auf engere 31rkel, bann auf 
immer CDcEtere Kreife. 

Eines freilld) Darf nidil perfdiipiegen 
werben: keine Kunft braucht notmenbiger 
Refonanz als biefe freiefte ; ein allgemeiner, 
ftobgemuter Sd]OnJ)Citsfinn, eine gefunbe 
Eebenskunft mu|| ben KQnftler tragen. In 
3eiten [ozialer IRifere, cdo alles Reine be= 
fubelt rolrb von bem Fliegengefdimel^ alh 
täglidier Bebenirlichkeiten, Derkel^rt flctl bie 
natpe 6enußfreubigkeit, Me, itirer flatur 
zumibcr, auf Cinfamkeit gemieren ipirb, gar 
zu leld]t in eourmanbife. Um bie Sdiönljeit 
als einzigen Kult auf bie Dauer ertragen zu 
können, muß ber Känftler fld) {eben Tag mit 
feinem Dolhe begegnen; er barf in3eiten roie 
bie unfern, nid]t inne baiten im Kampf, felbft 
roenn er für fein Teil Sieg erkämpft l]at. 
Soroeit Beljrens in Frage kommt bürgt gerabe 
fein kQnftlerifd^er Egoismus für bie I0eiter= 
entan'cklung. Denn fein i7ornel]mfter tPunfcti 
Eft es, ein gleidimäj^iges, l]0l]eres flipeau 
fdiaffen zu Ijelfen, ein Kulturmilieu, in bem 
er fich natürlich bemegen kann roieberPogel 



in ber Cufr. Er bat ben lebhaften tPunfcb, zu 
zeigen, baß biefe Hrt oon febensanfdiauung 
nicht ben ^u^us, ben Reichtum Dorausfetjt, 
fonbern baß auch bas befcheibenfte £ebens= 
milieu ettoas oon ber QfQrbe künftlerifchen 
Seiftes haben kann. Ein Cieblingsgebanke 
bes Kßnftlers geht bahin, an konkreten Bei-: 
fpielen zu zeigen, mie man bie einfachste 
praktifche Hrchitektur ^el geftaiten kann, 
wie ein ganzes Interieur mit nicht erhöhtem 
Bubget harmonifch zu orbnen ift. - 

Die Barbarei unferer3eit, entftanben burch 
foziale Überanftrengung ber POIker, mußte 
eines Tages Reaktionen hervorrufen. Die Er= 
kenntnis, baß bem Ceben roieber ein Sinn ge= 
geben merben muß, bricht fich immer energ{= 
fther Bahn unb man erroartet nun bas er= 
löfenbe (Dort, worauf fo piele fehnfuchtsooll 
harren. Don ben Cippen ber fllufe. Das I7er= 
langen nach Bnbetung, nach einem fcften Per= 
hältnis zu ben einigen IRyfterien finbet kein 
anberes niebium als bie Kunfl, unb bebenkt 
nicht, baß auch bem KOnftler ein Symbol ber 



\ pereR aeiiRens 01 



lihlqMttr • Rusgeführt von der Rhcinirihen 
Glashütten R.-&. Köln-Ehrenfeld 



Anbetung feblt, oline ttas \em reidiftes em= 
pfinben fid] DcrflQditigcn mu^. In ttlaren 
CDorten kann Tliemanb Tagen, coas er fetint; 
über bas Inftinktipe kommen bie Beften nidit 
hinaus, man „betet zum Eeben"! Das ge= 
nQgt ber kleinen Schar kultioiertefter ln= 
telligenzen, bie taufenbCntzüdrungen in biefen 
Dlortcn zurammcnprefTen ; aber es bleibt ein 
Sektenkultus. Immerhin! Das (Pefentliche 
fft, ba|^ bas Dafein enblich CDfcber als Ireilfges 
6rlcbn(s aufgefaßt mirb. Schaffen wir Keime 
unb möge bie Sonne ber 3eit fie reifen. 

Die mehrzahl ber Künftlcr kommt freilich 
nur bis zur rtjeorie; biefe [inb roie Pferbe, 
bie IPein fahren unb [Paffer faufcn. Ihre 
Ibccn finb groß unb gut; ihr Eeben aber 
meift ebenfo philifterhaft trQbe, ipie bas bes 
QeDatter fjanbfchuh machen Die Kunftcoerkc, 
bie ber großen Ijarmonie bienen follen, orerben 
gar zu oft einzeln, ohne 3ufammenhang mit 
bcm ibealcn Ccbcnsgebanken angefertigt ; es 
fehlt bie Folgerichtigkeit, bie ber Echre bas 
Erlebnis folgen laßt. 

Behrens hat bie Ibce zur Eebenskunft er= 
hoben. Eine glückliche Peranlagung, bie bie 
3cDe!fetrucht faft nicht kennt, befähigt ihn ba, 
wo Rnbere (Ich nur ruckroeife zur freube er= 
heben, eine ftetige Cmpfinbung oon ber IPÜrbe 
bes Eebens In fich zu unterhalten unb alles 



i)anbelnDonberStimmungfeftlicher3uoernctit 
leiten zu laffen. Cin foldier 3uftanb, roenn 
er, n7ie hier, ungefucht erfcheint, muß bem 
Träger unb feiner Kunft treniußte Ruhe mit= 
teilen, eine Haltung, bie gegen bie zappeligen 
nilQren mobcrner iFIenfchen roie Pathos tDirkt. 
Unb hier ift ber Punkt, wo ber „6ebllbetc" 
ftutrt. nichts ift perbathtlger als Pathos. 
Im Theater, im „Spiegel unferer Sitten", 
iperben erhabene (Porte nur noch mit ben 
Ijanbcn in ber fiofentafche gcfprochen; bie 
Sdiaufpielerin, bie nch- bei einer Tirabe ober 
bie Schönheit, nicht ben Kopf kra^t, fcheint 
bem richten ben Publikum nicht „toahr" zu fein. 
Perfe? Um hinimelsroilten! wie unnatQrlid). 
nie zeigten ITtenfchen iDenlger tPfirbe in 
ihrem Auftreten, als bie ber 6egeniDart. Das 
hymnifche Clement ift ganz oerkQmmert. Unb 
boch ift nichts hoffnungsvoller als gerabe bie 
dcfühlsroallung, bie fid), wie unter einem 
3iDang,großernusbru(ksfonnen bebient. Das 
Pathos ift bie Sprache ber lllufionsfahfgkeit, 
bes 6laubens an ein Ibeal. Hur kinblid)e 
nienfchen, bie noch heroifch zu empfinbcn 
(Diffen, nnb pathctifch ; nur Begeifterte benkcn 
rhythmifch : bionafifcher Seift braucht bithy» 
rambifchc Form. 

Doch bie fruchtbarften SefOhle finb audi 
bie empHnblichften. Die Ciebe beoieift es. 



ra percR BerjRens c^i 



Silbtrbertcdie • Rusgeführt uon 1*1. J. Rüdicrt in Malm 



Steht bcr Intellekt nld]t auf ber fjöbc bcs 
6efQI]ls, \o ift gkid] ein mitklang Dorbanben, 
bcr ins Cacbcrllctie arcift. Darum gicbt es 
\o Diele Perkchilbeitcn in bcr neuen Kunrt= 
bctpcgung. Part alle unfcre nutfttßnrtler flnb 
mehr ober ipenigcr Palhetlker ; aber mciftens 
reidjt ber Perftanb nidjt, ber beroirdie nuf= 
[oanb [Dirb unnät; uertban, bie grolle 6ebarbe 
iDirb zur Farce. 

Bebrens hat bas SIeldigeipidit gefunben. 
Seine Kunft ift pathctifd] coeil fis Rhythmus 
hat, jle rtilin^tl ipeil (ie mufüralifcbe IPIrkungen 
anftrebt. Sie fagte niemals CrfdiOttembes, 
aber ftets Bebeutenbes ; Ihr ift eine oon Rerzen 
kommenbe, leis priefterliche 6ebdrbe eigen, 
roenn Ihr auch bas fanatifche 6enie fehlt, 
bas auf ben Sinai fteigt um neue 6cfct}es= 
tafeln. 

3ur nbrunbung unb reinen form ift Behrens 
Schritt fflr Schritt, burd] unabiaffige Selbft= 
bisziplin gekommen, noch oor einem )ahr 
hätte man nicht geglaubt, baß er eine Teiftung, 
roie fein f^aus in Darmftabt ift, oollbringen 
könnte. }et}t erkennt man erft, oriecrlcl ber 
nfenfch bem KQnftler geirorbcn ift, wiz febr 
bie ipröbe Begabung am IDillcn erftarkt ift. 

Das Qaus zeugt in jcber form pon ber 
Art bes Crbauers. Der örunbriß ift nach 
Grunbfätfen entftanben, bie hoch Ober allen 

BEKOIUinDE Kunsi. V. I. 



neuzeitlichen IBoben ftehen. €s ift nid]t Buf» 
gäbe berBaukunft unb beipeift burd^aus nicht 
lobensroerte Originalität, roenn bcr nrdjitekl 
iebes kleinliche StImmungsbebürfnis unb {ebe 
arinkellaune Im drunbriß berOckflchtigt. Die 
ardiitektonifdie Kunft barf boch a>o\)l n{d]t 
zur Sklavin von Snobempfinbungen irgenb 
melcher Rrt gemacht werbzn, fonbern follte 
burd] ihre ITürbe ben Bewohner in jcbem 
Hugenblidr zur Haltung ziningen; Ihn nidit 
perleiten fid) achtlos gehen zu laffen, inbem 
fie allen 6efühlchen Scbmollroinkel fdiafft, 
fonbern ihn burd] ihre lebenbige Gzqenwart 
an feinen IPert erinnern, Selbftbeherrfchung 
Don ihm forbern unb eine Reprdfentation 
im innerlichften Sinne. Solche 6ebanken 
haben ben 6runbrlß bes Ijaufes Behrens ge^ 
bilbet. Die rid]tige fnifdiung Ift es, awnn 
ber praktifche Bipeck eticas oom Ibeai In fidi 
aufnimmt, roenn bas Ibeal fidi zroeckooll zu 
äußern gelernt hat. I)ier ift fold] glückliche 
Derfdimeizung gelungen. IDas in bem Kata= 
log bes fiaufes Ober ben boppelten iandk 
ber Treppen ftufen, bie Dom Hlufikzimmer Ins 
Spetfezimmer führen, gefagt Ift, trifft bas 
(Oefentlidjfte. 

In gieidiem Sinne, ben materiellen unb 
Ibeellen nutzen perfchmelzenb, ift bas fiaus 
burdigebilbet. Das Perhältnis ber niebrfgen 



t^ percR BeijRens cyi 



Zimmer der Dame • Husgeführt von t. HIter. Darmdadt 



Bfbllotbck zum hoben nrbeitszfmmer i\t 
fuggeftfi^er Kaumempfinbung entfprungen, 
bas Dollkommen Reparierte Frembenzimmer 
mit bcm abgefdilDlTenen Balkon kommt ben 
BebflrFniffen bes Benrohners mit freiefter 
äaftlidikclt entgegen. Dicrelbe aftbctifdie 
Bequcmlfdikeit iU in bcr Anlage bcr Sd)laf= 
Zimmer erftrebt. 



6anz natflriid] Tpiegelt H^ ber örunbrffi 
Dergeiftigter Cebensgeinobnbetten im Rußem 
bes tjaufes. Da im Innern keine IDtnkeN 
gebanken am IDerk geroe^en finb. fehlt twr 
Faffabe ganz jener kleinlidje erkerdjarakter, 
ber fid) im mobemen Dillenbau \o unertrdg= 
lid] breit mad]t unb )ebem zuzurufen fdjeinl: 
ad], oTie wotfnt man bier gemOtlid) ! CInc 



I pereR seiiRens i 



emftc IDQrbc ergab fldl to'K oon felbft aus 
bcrDispoHtfon ber inneren Kdume unb ipurbe 
bann bemüht ardiitektonlfd] geftelgert. Trot; 
berunganfUgen tage auf abfallenbem Terrain, 
bas tiefer als bas Straßennioeau liegt, wSdt^t 
bas Ijaus l)od) unb frei empor, roeil bie Der» 
tikalen Pfeiler bie irTaffe fdilank madien unb 
ber f}6]}Z optifd] ein Plus zufügen. Der 
tektonifdie Charakter ift ftreng gemalirt, trotj= 
bcm keine eigentlid] plaftifdien unb neuen 
Bauformen uerroenbet wortzn flnb. Die 
öegenirart ftellt ja gerabe bem Architekten 
bie fd]a;erften Aufgaben. Keine ardjairtifdie 
form Wirt me\)T gebulbet unb bod] [^erlangt 
man tektonifd^e 6lieberung, nid)t malerifdie 
Belebung ber Fläche. Heue Bauformen ent= 
ip|(keln fid) aber unenblidi langfam ; 6ene= 
rationen muffen baran arbeiten, oTeil fie ber 
konzentriertefte Husbrudt ftatifctjcr Pbantafie, 
bas reine Symbol bes innig empfunbenen 
Sefetfes finb. 

Das nad) biefer Rid]tung nod) febicnbe 
beeintrdditigt freilid) febrroenig ben 6efamt= 
einbrudr bes ijaufes. €s ift keine geringe 
Kunft, mit einer gar nidjt ardjaiftifdien nrd)i= 
teirtur, fo fuggeftip in ber Riditung eines 
beftimmten (Dillens zu nrirircn. Dazu gehört 
ber fidjerfle Inftinkt fQr teirtonifdie GefQhlS'^ 
[Dcrte unb bie roeifefte Beherrfdiung bes 
eigenen Talentes, bas - unbisziplinlert - 
gar zu gern alles Ulfiglidie bunt burd)= 
einanber mirft, um zu zeigen, cras es kann. 

Denfelben 6eift ungefuditer IDürbe finbet 
man im Innern bes fjaufes. Die Kontrafte 
können nidit ftarker fein ; bennod] geht ein 
einheitlldjer Stil burdi alles unb leitet ben 
Befudjer, fo baß bie in ben Räumen herDor= 
gerufenen Stimmungen nie bas ITIafi über= 
rd]reften, ipo bie Anregung, burd) zu un= 
befdieibene nbfiditlid)keit bas eigene ftOrt. 

3u einem merkioQrbigen Erlebnis mirb es 
in biefem Ijaufe, baß man fiberall auf n(ht= 
bare 3eid)en einer Trabition trifft. DIefes 
nioment ift mlditig für bie Beurteilung bes 
KQnftlers. Cs Ift nid)t bie öotik, oon ber 
pan be Delbe prinzipiell, ober bas Roiroko, 
Don bem fo mand^er nidits=:als=Ornament[ker 
unbeiDußt ausgeht; bergleid]en ift Trabition 
im roeiteften Sinne. Bei Behrens ift es mehr 



SelTel Im Zimmer der Damr 

Famiiienüberlieferung. Cr ftammt aus ber 
alten Patrizierftabt Hamburg unb bie nieber= 
beutfdie Sonberkuitur fit?t ihm als Erbteil 
im Blute; er Ift aufgemachfen inmitten jener 
ernfthaften norbbeutfäien Canbhäufer unb 
StabtiDohnungen, bie fo egoiftifd) fein nad] 
bem Sinne eines henfdienben Stanbes burd]=> 
gebilbet flnb. Cebensgemohnheiten foldjer 
reute, bie fixier bas Dafeln zu (iberfdjauen 
[Dußten, haben ben Typ bes Patrizierhaufes 
gefdjaffen. man kann bei Behrens nidit ein= 
zelne Formen bezeid]nen unb fagen: hier 
ift bie Trabition ; es ift eine feft unbeflnier» 
bare Stimmung ber Oergangenheit. Rber 
fle ift nid]t zufällig, einesteils merkt man 
bie engere Trabition, roeil hier unb ba in ber 
Formenfpradie bod) eine bea7ußte Anlehnung 
nadimeisbar ift; anberentcits, iDeil ber ge= 
fcftete 6eift biefer ftarken bürgerlidien £podie 
Diel Peripanbtes mit Behrens' Cmpfinbungs= 
o^eife hat. Jene 3eit hat bie Ferren ber 
Kultur, auf bie loir unfere Kunftinftinkte 
zurQdiffihren muffen, hcroorgebradit, uon 
Badi bis Soethe, non Giudk bis Cefflng. €s 
ift Kraft, [Denn ein IRann bie Ihrem be» 



I percR Bebens 01 



Sfhrank im Zimmrr der Damt 



fdiränktcn Hlaße nad) iljtn genau bekannte 
Begabung lefdit auf bJe Tergangenheit rtütjt, 
um ber Sukunft (Icbcrer zu fcfn ; oienn er 
fldi, um bEe Ijarmonle - bie flim Aber alles 
geht — erreidien zu können, fm einzelnen be= 
rdieibet unb fn geiDilTem Sinne reflgniert 
um n[ct)t zu zerfplittem. Cfn Solctjcr (Itft, 
[renn er ben £rfolg zu zcoingen oreiß, im 
^errenrcdjt. 

BefdieibcntjcU, aus Hebe zur Harmonie, 
\\t nict)t obne [peitcrcs ber Crfolg. Denn {\a 
zwingt ben Künftler, mälirenb jeber grfißeren 



Hrbett, mit Bcirußtreln auf einer bertfmmten 
Stufe ber £ntro((klung fteljcn zu bleiben. 
Ijicr [Dirb ber Oorgang ungetDOIrnllch burd) 
ble f)6t]2 bes künftlerlfdien riipeaus unb burd) 
bie feltene, ja feltfame fählgkeit bes Künftlers, 
fid] Don berUnrutje. ble fauftlfdi Immer neuen, 
djarakteriftifdjen Kunftformen nadjjagt, frei zu 
madien. Fllan fpfirt ihm bie Bnftrengungen 
bes Sd]affens nid]t an; es madit ben Cin= 
brudr als cntftanbe Tein Eebensroerk, mit bem 
er fidl bodi woifl. In irgenb einer Torrn, in 
feber lllinute bcfdiäftigt, nur fo nebenbei. 



1 pereR Beupens o-i 



Schrank im Zimmir der Dame 



Behrens hat bfe phtloroptiifdie Gcbulb, ipartcn 
zu können, bfs Ihm ttie Frödjte feiner Phan= 
talle ausgerdft in ben Schoß fallen; {o ge= 
nfeßt er höchstes 6läck in feipem ber Fieber^ 
hitfe unzugdnglldien SdiafFen, erfreut fi^ 
fclbft, [Dährenb er ble Welt mit neuem be= 
fdjenkt. Sold]e, Don ber Ccbenskunft gezüct)= 
tete SelbrtgenQgramkeit giebt ihm bie RuhC 
ble bem Unruhigen fo Imponiert. Cr zorelfelt 
nicht ■ fjler irt ein Hbarn, ben berDpfel pom 
Baume ber Crirenntnis nicht [ehr reizt, ber es 
(Ich mit all ben anberen reifen Früchten bes 



Parabiefes hlmmllfch n7ohl fein läßt. Schabe! 
baß man zu fDlcheniuftanben geboren loerben 
muß, baß man fle nicht erringen kann; unb 
fchabel baß In ben HerDenkrifen unferer 3eit, 
fold] Irünftlerirchernaturzuftanb, ber ebenfo» 
piei inneren Reichtum o^ie Sefchmack [)oraus= 
fetft, fo feiten - man mOd)te faft fagen : fo 
unmöglich — geiporben ift. 

Bei Ihm ift bie perfSnllche eenußfdhigt^elt 
ProbuktJDitat ; bie nernOfe Sdiaffensunruhe, 
bie bem mobemen £eben Sauerteig ift, bleibt 
ihm fem. Das Ift in ber That ein [Deg zur 



ro pereR se^ens 01 



Sihrttär und ThQre Im Zimmer der Dami 

fjarmonie unb - was ipid]tiger i\t - zum Behrens' Sd]rlfrcn über bW\en Segenftanb 

6iack ; bodi ift er einem minber Begabten liert unb feine Pläne Ttubiert, bat ganz bas 

nidit zu empfehlen. tPie oiele fthmerzlictie 6efQt)(, Dor einer großen Ibee zu ftelien. 

Fragen bleiben {o bodi unbeantiportet. - Dicfer Ocrrud), bem Theater bie Bebeutung 

einer Kultftatte zu geben, ift ber einzige, ber 

Dem Dienfte ber Schönheit ift auch ber bas Problem künftlerifdi erfaßt unb barf 

Plan eines Theaters gemibmet. Die kanft= barumbenbilettantifdinüchtemen, ipennauctj 

lerifche Dispofition baffir fft gianzenb. IPer gut gemeinten Dolhsbühnepianen in hciner 

30 



ro pereR seijRens cm 



Zimmer der Dame • Rusgerührt oon L Hltrr, Darmftadt 



IDeife ozrqWdjun roerben. €s bebarf einer 
befonbercn Unterfud]ung, um bie Bebcutung 
biefer ireitfictitigen Profekte zu würbiqm; 
man mu^ zu bcn Quellen bes Cebens zurüdr« 
gehen, um bie Eebensftimmung zu Derftetien, 
aus ber Toldie tPfinfciie flfeßen. 

IPir alle teilen bie IPfinfctie. Des Q^ifrens 
unb ber IPal]rt]eiten, bie einanber unabiafflg 
tölen, |lnb roir lierzlid) mübe. Hun, ba unfer 
6efät)l ganz gereinigt ift Don ben letzten 
fdjmeid^elnben Erinnerungen bes Kinbergiau^ 
bens, roo roir blank unb bar baftelien, roadjft 
bas Bebürfnis nad) einem großen Symbol 
ber Hnbetung unb erobert fictl alimählidl bas 
ganze Eebensgeffll}!. dentale tnenfdien, bie 
beiß zu lieben unb klar zu empfinben iDußten, 



haben ben ungeheuren Oerfuch fchon unter» 
nommen, bem leeren Dafein neue 3iele zu 
zeigen. Die 6inen prebigen Buße unb bereiten 
bie Srunbiagen erneuerter Sittlichkeit In ben 
Herzen cor ; bie Tlnbern beraufdien (Id) an ber 
eigenen Eebenskraft unb zeigen mit fchOnem, 
fortreißenbem Ufahnfinn ben Titanentrot; als 
böchl^ten 5urtanb. 3um ITIonismus brdngt 
alles unb keiner ipeiß bod] bie fldjere Richtung. 
Behrens geht feinen befonberen IDcg: er 
rinbet bie errcilung in ber Kunft. Diefe ift 
ilim \owot}\ Kult wie Religion, zugleid] 
Sd]mudT unb Int)alt. nur burdi bie 6eipalt 
ber Kunft loirkt nad) Ihm bas fchöne IRärchen 
bes Chrirtentums, bas ben Ijimmel unb bie 
£rbe mit paterlidier f1llmad]t göttlld] belebt 



31 



J 



K3 pereR BeijRens cvi 



PO pereR BerjRens oi 



Bibliotheh • Rusgeführt ton C J. Vettr in Mannheim 
Der reppi(h von der Krcfelder TeppühFabrih R.-6. • • 



Dnonnttce mnst. v. i 



I percR BCQHcns 



Sefffl im Bibliothrh'Zimmer HeizhörprrDrrhUidung 



e 



I pereR eepens i 



Kinderbett • Husgeführt von J. D. Hqimiinn, Hamburg 



unö bic Form öcs lioljcn Gcltidjles, feine 
£inkleil)ung burd] ertjabcnc Baukunft. feler<= 
lidjc muflk, flnnlid} fortrcißenbc ITIalercf, 
macht bas (Defen bcr Keifgion aus : es giebt 
hier nidit Inljalt ober form. Die Kunft bient 
nidit bem Ibeal, fonbern Ift «s fclbft. So 
bietet Behrens ber nad) einem neuen 6e= 
banlien ber 60ttlidikeft oeriangenben nienrd)<= 
Ijcit bie fjarmonie ber KQnfte. 

Cin Gcbäubc foll errid)tel (Derben, auf bem 
Rächen eines Berges, wo l]inauf bic IHenfchen 
[teigen, um burdi bie Kunft erhoben zu tperben. 



nian kann es Theater nennen, ober Tempel ; 
es foli keines T^fn, ober beibcs. Dort follen 
in einem feierlid] fcbOnen Raum bie Künfte 
zur Ijarmonfe oercinigt unb jeber 3u|())auer 
Innerlich atk äußetlid} zum rcllnebmer bcr 
HufzOgc unb tjanblungen gemadjt urerben, 
bfe bas ganze Eeben, ernft ober heiter, aber 
immer in ber großen Stilform, fymbolifierea 
Ift CS nicht [Dunbert7ar, baß foldje konkrete 
Plane Im f^erzen unferer Künftler reifenunb 
baß bie Rcfonanz (bereits fo ftark ift, um ein 
folchcs Ijaus heut ober morgen entftehm zu 



PO rereR BerjRens o^ 



Bcttbeiut) • RusgefQhrt von Dirrenbadt-Rdmer, Darmftadt 



laffen. IDcld) fortfchrcilenbc Sclrnrud)! muß 
nEd)t in Iter Generation leben, nrenn Iter 
KQnrtler bcn Pricftcr ablCft unb Iter nienrct)= 
l]eit fjeil DertrQnbet. Der langfamen Dor» 
n^artsbeiregung bes religiOfen Inftinktes geht 
ber Plan Don Belirens fdincll poran; aus bcr 
frage roirb ble Itjat, unternommen mit bem 
fuggertfoenEiferlautererUeberzeugungskraft. 
mir Dcrgicidicn bas Ocrfprcdien mit unfern 
forberungen unb fudien zu erkennen, unter 
iDeld]en Bebingungen itinen In foldjcm fcrt= 
lidjen Kaum 6cnOge getl]an (Perben kann. 

neben ben Cebensrtoffen, bie, zu Symbolen 
gefteigcrt, non bcr Kunft bem Kreis bcr Tln= 
bäditlgen gezeigt orerben, oerlangen roir ein 
l]C)]eres Symbol ber einigen ITIyftericn, bamit 
ber religiöse Einklang ber6emater Ijcrgcrtcllt 
roerbe. Cln Kultus oljne Sakramente, oor 
bcncn bas I^olk anbetenb nieberkniet, ift ein 
clcuflnirctjer Sonberkultus für eine BrOber= 
fdiaft pt)ilofopl]fr<l)er Seirtcr. Der imcnfct), 
felbft ber bcipußte einer großen Cpodje, ivill 
nict)l nur munkalifd] angeregt unb aufgeregt 
rein, fonbern aud) überzeugt oierben. Cr 



kommt ni(l)l fo Tclir als 6enußfrcubigcr, 
benn als fragcnbcr. Das Sdrlckfal, bas iljn 
auf allen IDegen broljenb anglolft, edüI er 
religiös erklärt ober es künftlerifdr in ti|pl= 
rd}en Belfpielcn bargeftellt miffen, bamit er 
es Im Sroßen unb Kleinen beficgcn lerne. 
SdiOnlieiten ! o ja, bie ntenfciiljelt Ift bungrig 
bamadi; aber nod] mel]r verlangt fie nad] 
bem befreienben Wort, bas ben Sinn bes 
Spl][n^rätfels löft, bas nrill fagcn: zu lOfen 
fdiclnt. nidit [Plffen mlll fle. fonbern innere 
IPal]rl]eiten, lllufionen, bie Selbftbefabung 
Ijcrrorrufcn unb als IDal]rt)eiten gefühlt 
luerben. Diefe finb bem Künftler fo nCtig 
(nie bem Talen. Das (leroorbrlngen bes 
großen Symbols ber 6öttlidikeit ift ber Kunft 
allein nfd)l möglidi unb bie ftlliflercnbe Sym= 
boliflerung ber Cebenserfdjeinungen bebingt, 
iDcnn {in nldit balb ber toten Allegorie per= 
fallen foll. ein uncnblidicsRealEtaisbeivußtr'ein. 
DEefes aber kann fid) nur bann frei }xänit= 
lerlfd) entfalten, toenn bie religiOfen Probleme, 
bie ipie eine Sorge laften, bem Sdraffenben 
oon ber Seele genommen finb. Um kraftig 
tief Ins Eeben zu taudjen unb bie Erfdjelnungss 



r^ pereR Be^Rens 01 



S(hlafiimtnn' des Htrrn • Rusgeführt von t. J. Peter, nannheim 



formen kQnrtUrirdl komprimieren zu kOnnen, 
mu^ der Dld)ter bcr Rcfonanz (l^cr f^In unb 
bas ift er, wenn er (Id) mU Teincm [lolke 
im Punkte Der eiPigen Fragen uerrteljt. Denn 
fonft EDirb er \tzts nur feinen Schmerz be= 
(Ingen unb in {ebem Stoff nAft bie frage 
nad] ber Bebeutung bes Cebens bas Symboi 
fein ; bie gcfamte Darbietung ber Kunft lofrb 
nur einem Sudjen Derfrrter nad] bem rediten 
tPege gleidien unb nie ber gro^eStU loerben, 
ben allein bie Bejaljung Ijerporbringt. Das 
erleben oiir eben tn ber Segenmart. In 
Seiten ber SerrifTenbeit roirkt ber naturalis^ 
mus fo ftark, loeil er benen, bie nur barauf 
nrarten, reftlos Oberzeugt zu merben, menig^ 
ftens eine i^erftänblictie 6arfenroal]rt]cit glebt. 
[Do (Inb Die, bie bas Probiem bes Eebens 
pbilofopblfd) zu bemaitigcn [oiffen, 070 bie 
Rellgionsftifter unb Proptjeten, beren Seift 
fdiipanger Ift pon ber lebensreifen Seljnfudjt 
ganzer POiker. Hn Ibrer ftaft feljen mir ein 



öeroimmel conCinzelroillen, bie burd]s Dunkel 
ber 3elt Dom Inftinkt unfldjer geleitet voarbm. 
IDoljln rolr faffen finb Irrtömer; aber können 
w\t fle mit gerlngrd)(lt}enbem fldjfelzudren ab= 
tljun 1 nil biefe Irrungen, Umorege, FInalyfen 
unb 3(peifel flnb nötig. IPo ein elirlic^er 
(Tlile geboren criTti, beftimmt bas Sdrldtfal 
unferer Kultur feinen RrbeitsiiKg unb feine 
njatigkelt, fdifene fic nodi fo menig zum 
6anzcn zroedrenb zu fein, Ift gcmlß ein 6lleb 
ber Kulturorganifation. Der nadi Harmonie 
unb Sd]0nl]eit ledjzenbe IRenfd) entfetjt fidi 
gemiß Dor ber mimmeinben, fdjiDitzenben 
menge, bie bllnb ber 3ukunft bleut; ben^ 
nod] : aud] biefe bereitet einen fldieren IDeg 
zu ben großen 3lelen. Sie bat eine Kultur 
zerftört unb Stein nad] Stein abgetragen ; nun 
folgt fle einer unfTditbaren, allgegena?ärtigcn 
Bauleitung unb gebt baran, bie 6runbmauem 
zukünftiger Ijelmftatten unb Tempel zu zielten. 
Don biefer firbeit (Inb bie Ulenfdien nur auf 



ro pereR BegKcns i 



SihUfilmmcr des Hnnt • nusgefQhrt aon C. J. Peter, Mannheim 



eine kurze 3cit fortzulodien, [n ben Dienft 
einer namenlosen, unfaßbaren Sdjönlieit: [i<i 
[perl)enhordien,[7orreJ]nfQditigerBegelfterung 
a7cfnen, bie Erregung trirt) öas maß ber 
Schnfudit fteigern - unb fie merben bod) 
zu ilircr nmeifenarbeit zurGchkehren. In bas 
6ebiet ber nbftraktlon folgen fie nidjt einem 
Klang, fonbern nur einem erlöfenben IDorle. 

Juipeilcn, roenn ein Prophet \i<ti erliebt, 
CDle ber oon Sils^HIaria, in beffen l7erlTQnbi= 
gung jebe neue [Paljrtieit il]ren Plal; finbet, 
ber jeben 3iiKlfel ftumm zu rna(l)en perftetit, 
befTen {Porte ins ijerz bringen unb milbe 
fioffnungen erregen — bannl]ord)tbienienrdi= 
l)eir auf unb laßt iljr Gerat eine IDeile ruljcn. 

In einer fold)cn Paufe treten jetzt ble 
Tubenbiafer auf bie l]ol]e £mpore unb laffen 
ilircn Ruf ertönen. Feierlid) gcftimmt treten 



iDir in ben l]ot)en Raum, ben unfer KOnftler 
uns bereitet Ijat unb ermarten ben Beginn 
bes großen Kunftbtenftes, ben Kult ber SdiOn= 
Ijeit. ein ernftes Praiubium erljöbt bas ee= 
fülll, Dorbereitet oon ber IDürbe bes Raumes 
[Dirken IRuflk unb Pers, Farbe unb form, 
eines öurdjs anbere, eine Art oon eral= 
ftimmung erfaßt uns ; aber mie wir auf bem 
bödiften Punkte ber ekftafe bes IPortes l)arren, 
ber Offenbarung, ba tierrfdjt plötflid] mieber 
Sdjmeigen unb Dunkelheit unb ipir muffen 
mit boppelterSeiinfudjt in benfllltag binab.- 
So mebiliert bie Selinfud)! I]in unb ber 
unb oreiß fld) keinen Rusioeg, (peil flc oer= 
bammt ift, zu märten, bis bie Seit erfßllt Ift. 
Bber als ein früljes ieictjen biefer Erfüllung 
begrüßt \ie ben Plan unferes Künftlers; fic 
fühlt, baß hier ein IDort gefpro<l)en ift, bas 



I percK BcijRens cm 



6&nf-Zimmer • Rusgeführt von L HUer, DarmHadt 



6ä(te-Zimmer • Ausgeführt uott L RUer, Darmfladt 
42 



r« percK BerjRcns i 



Uarditifth mit Sdtrank 



ins fjdle nteift, ein IDeg gebahnt ift, ber aus 
ben niebeningen zur fiötje fQl]rt, ido (oeilere 
Husfidlt tierrfdit. Diefs Ibee t]3ngt organlfd) 
zufammen mit tierrcligiOfcn Bewegung unfercr 
Tage; um iljr Dollkommentjclt zu geben, um 
ber großen Form ben großen Intjalt zu gc^ 
feilen, felilt nur eines : ein Gott, ober ein 
Olymp (7oller SOtfer ! Darum folltc ber Cnt» 
[Durf eines als menfä) unb KQnftler gleid] 
groß Denkenben mit allen Krflften geförbert 
nrerben, unb ie\ es nur, bamit tpir f^tjen, 
(Die oiel ii7al)rl)aft bilbenbes Vermögen, bas 
fidi nidrt regen kann, (PCil Ibm ein Ort ber 
Betbatigung feblt, in ber allgemeinen Sel]n=: 
fudit fdilummert. RH« (Porte, bic (e^t nod) 
r<l)eu oerfdjiDiegen oierben, mQffen gefagt 
(perben, allen S(t)Qditemen, Inbrünftlgen muß 
ein Ort geroiefen tperben, wo \\q laut anzu= 
beten roagen unb allen 3errfrrenen ein Fla^ 
ber Sammlung unb irannonie. Beljrens' Haus, 
bas er Theater nennt, könnte ein Sammel= 
punkt fOr bie roerbenbe Kultur fein, isenn 
bas Derfpredjen doII elngelOft oiirb unb 



taufenb frudiibare Tbeen iDürben (Id) To 
entzQnben. 

nichts fehlt uns mehr, als bie fruchtbare 
Erfahrung, In roelcher IPeife bie Qannonie 
entfteht. Sie ift nicht nur, wo bicfelbe Qanb 
ein fjaus in jebem Detail burchbilbet, fonbem 
auch bort, ipo Piele einem leltenben Sebanken 
flrcng i^erpfli^tet Hnb. Selbftlos einer Ibee 
bienen, fid] unterorbnen, boch am rechten 
Punkte mit gefammelter Kraft hervortreten, 
bie Sache höher ftellen als bie PerfOnlichkelt, 
bie Schönheit nicht eitel benOt^en, fonbem 
ihren 6efet;en bemOtIg folgen : bas alles finb 
Porbcblngungen zur inneren harmonle, bie 
errungen fein roollen. \Do bas höchfte fid) 
als Cinfachftes geben ipIII unb fleh unabiaffig 
erneuert, um auf ber fjChe ber Ibee zu bleiben, 
ba muß ber 3erfplltterte fi^h notgebrungen 
fammeln, ber Cilige bebachtfam roerben, ber 
Schüchterne kühn; ber KtickfichtsiDfe ivirb 
bas eefe^ kennen lernen unb ber Konoentio- 
neue bie Freiheit. 



ro percK Be()Rens . 



RusgerChrt oon Klara BIti, Darmstadt 



Bber man barf nfd)t glauben, fold]e t)ar= 
monifdie Kunft Hcßc fi^ zQditcn. Die muH- 
kalffdic Fonn, ber große Sttl perlangl ftets 
genialen Inhalt. €ln poUes Kedit auf fle 
hat elgentlidi nur Der KQnftler, der Das 
Charakteiirtlfdie barrtellenb pollkommen be- 
berrrdlt unD es freiiplllig, ber Form zuliebe, 
entnreber ausfdiließl ober es fo zu ryinboll= 
Heren perftebt, baß bas IPefentUchc ins Sroße 
geftefgcrt iPlrb, unbefdiabet t)er inneren 
IVahrhcft. Wo ein proraifctjes Talent es 
unlemfmtnt blthyrambifd} zu reben, lofri) es 
lionpentionell ober albern. 

Die Sprache ber großen Kunftform ift bem 
Rrchltekten Behrens ganz gemäß; nur bem 
nbrtrakten gegenQber fßhlt ber KQnftler H^h 
frei. IPo feine Subjektivität fich ornamental 
ausbrücken kann, ipie felbft In ber Tgpe 
biefer Schrift, ba allein brOdrt fie fid) auch 



vollkommen aus. Seine Bill>er jTnb tief 
empfunben unb tpQnfchen Siimmungsprobleme 
Don grol^em poetifchen Sehalt zu geben. 
Rber ble Form beckt fid] nld)t unbebingt mit 
bem öeorollten. )e großer bie Cinfadiheit, 
beftD rd}ipieriger mlrb ble umfaffenbe Dar- 
fiellung. Das maß oon Realitatsberoußtfein 
entfdrelbet auch bei bem cnlfdiiebenften Stl« 
liften aber bie innere IDahrheit feiner IDerke. 
10ahrrd)elnlich haftet biefer ITIangel nur 
bem rheorclifdjen bes KOnfllers an. Rud) 
ivirb ber große bekoratloe lOert ber SdiCpf- 
ungen bavon nidit berührt. IHIt bem lebens= 
Dollen Organismus bes fiaufes hat Behrens 
beiviefen, baß feine Kunft - ble Kunft eines 
Dreiunbbrelßlgftlhrigen - fo gefdimelbig unb 
lebenbig ift iple irgenb möglich, OTenn Ihr 
Gelegenheit roirb, ardiltektonlfdi unloerfal zu 
mirken, reines menfchentum mit einer kQnft= 



ro pereK seijRens i 



Küdif • Nobel und Koihgrrätc von 6. R. Sdiiele tTr. troO) in Frankfurt a. VI. 
45 



I pereR BeßRens o\ 



n 



J 



Beleuihhtttgskörper • flusgeführt uon K. M. Seifert & Co., Dresden 



im 



Ihürgriffe • Ruscirführt von Cifhnann & Sttlltoagen, Mainz 



Keratnitt • Rusgcführt uon Tranz Rnton Nehlem, Bonn 



pereR BejjRens 



ierffdien ntmofpbäre zu umgeben, feftlid) zu 
reprflfentieren unb fn feiner, läcl)einberlDOrl)e, 
Das Eeben felbft als Kunft zu genießen. In 
biefer Qinridit ift er ber fortgefdirittenfte 
aller beutfdien nut^kOnftler* Cr aliein t)at 
bie organifatorifdie Kraft, bie fdion zerfplit» 
ternberi demente zioeckDoii zum Ganzen zu 
fügen. Ruf keinem gecperbüdien Sonber» 
gebiet l)at er etcpas gefdiaffen, bas oon 
nnberen nidit aud) geleiftet cporben cpäre; 
Keinem aber ift es nur entfernt gelungen, fo 
Ober alten Cinzelleiftungen zu ftelien unb mit 
Prüfen, Oergleidien, IDäbl^n unb Rusfclieiben, 
eine reidie Gefamtlieit zufammen zu bringen. 
Den beutfdien Künftlern bat er ein Beifpiel 
bingeftellt, baß es nid)t gut ift, ber Eakai 
Don Inftinkten unb Gaben zu fein, baß man 
Qerr aller Regungen, oor allem ber künft- 
lerifdien bleiben muffe. Der IReufd) Betjrens 
ift untrennbar oon feiner Kunft. 

Darum fetjen cpir in bem Qaufe auf ber 
ITIatliilbentiöbe einen Solneßbau, eine fjeim» 
ftätte für ben ITIenfäien ber 3ukunft, ber burd) 
bie Eebensarbeit feiner Oorfabren über bie 
atemlofe Sdicpüle eines erftid^enben Dafeins- 
l^ampfes emporgeboben fein loirb, ber aus 
bem 3a7eifel ben Glauben, aus ber fozialen 
not bie neue Form ber Societät, aus ber 
(Oiffenfdiaft bie Sd)6nlieit zu fid) binauf ge^» 
rettet baben cpirb. 

IDeld) unenblidier (Ueg nod) bis babin ! 1d) 
bin in bie Großftabt zurüd^gekebrt, in ber es 
nidit fjeimftatten giebt, fonbern in einem 
Ct)aos Don notcpenbigl^eiten, nur lange Reiben 
aneinanber geklebter Qed^käf ige, wo biefelben 
ITIeufdien unter ben Peitfdienbieben fozialer 
not oertieren, bie Bebrens laut unb liebepoll 
zur Sdiönbeit ruft. IDie an eine Stätte per- 
geiftigten unb reinen Eebensgenuffes benke 
id) an bas fjaus in Darmftabt zurüd^, luie es 



Dornebm im Grünen liegt, gaftlid) zum Ein- 
tritt labenb. Cin ftarker Geift grüßt oon Giebel 
unb IDanb, als loobne bort ein fjerrfdienber 
über frobe, ftarke ITIeufdien. 

IDir bürfen bie Kluft nid)t oergeffen, bie 
ben fefttaglidien Geift oomniltagnod) fdieibet, 
w\v bürfen aud) Die nid)t gering fdiätfen, bie, 
nad) bem ITIaße ibrer befd)eibeneren Kräfte, in 
ben fd)mut}igen Sd)lud)ten unb Gaffen ber 
Großftabt in ibrer IDeife für bie SdiOnbeit, 
bie {iQ (Uabrbeit nennen, felbftlos arbeiten. 
Der Ruf zur Eebensfreube unb zum bcfteren 
Genuß ber eroigen Eebensgüter, bie Erbteil 
aller ITIenfdien finb, ift beftrid^enb, roed^t jebe 
alte Sebnfudit, alle kinblidien lllufionen ; aber 
(Dir ITIenldien ber Qeerftraße muffen es bem 
Künftler, bem ber Genuß zur Schaffenskraft 
roirb, überlaffen, auf fold) freier fjO\}(i zu 
roanbein. Wir bürfen nid)t faule Kned)te fein 
unb uns nad) Rutje febnen, 070 bie unenb= 
lidie Arbeit aller Rrbeitstüditigen roartet. 

nber wir grüßen bas fjaus auf ber f)6be, 
bas nd) bem nagenben 3a7eifel DerfdilolTen 
bait, mit frober Suoerfldit. IDir lieben ben 
Künftler, biefes Sonntagskinb unferer 3eit, 
unb banken ibm feine reine Begeifterung, 
bie ibn fo Sdiönes bcroorbringen gelebrt 
bat, bamit, baß wir feinem (Uerk bfe Be» 
beutung eines Symbols geben. IDir a7iffen: 
kein Sdiaffenber bat nod) zu roeit in bie 
3ukunft gegriffen ; bie 3eit bat es ftets eilig 
gebabt, fold)e Oerfpred)ungen ibrer liebften 
Kinber einzulöfen. Unb fo kommt biefe Uer= 
beißung zu ben anberen ; zuteilen ertappen 
wir uns fd)on bei Traumen, (Die Kinber fl^ 
in mittfommerbellenSamstagsnad)ten baben, 
(Denn bie frobe Unraft ber Sonntagsenrar^ 
tung in ben offenen Seelen Bilber unerhörten 
Glüd^es entfteben unb Dorüberzieben läßt. 

Karl Sd)effler 




Für die Rfdaktion ur rantwortUdi : H. BRUCKNRnn, Mündirn. 
OerUgsanfYaU F. Brudimann R.'6. Mündien, nymphrnburgerftr. H. — ' Drudi von Rlphons Brudimann, Mundirn. 



GRABMAL IN FALKENSTEtN r. 



BAUTEN VON PAUL MÖBIUS 



Wir sind jetzt in der Anerkennung der 
fortschrittlichen kunstgewerblichen Be- 
strebungen glücklich so weit gekommen, dass 
die Bauherren häufiger werden, die auch dem 
Architekten gestatten, „modern" zuarbeiten. 
Es bedurfte der Vorarbeit des leicht beweg- 
lichen und weniger verantwortungsvollen 
Kunstgewerbes, um das zu ermöglichen. Die 
Art und Weise, wie diese Entfesselung sich 
in unseren Grosstädten bemerkbar macht, 
ist aber wohl geeignet, ein gewisses Grauen 
einzuHössen: ein grosses Quantum stilisierten 
Blum engerankes, einige unerwartete Linien 
in der Fensterteilung, ein paar Schnörkel nach 
belgischem Rezept, Gestalten, die plastisch ge- 
wordene Mucha-Damen zu sein scheinen, das 
sind die Requisiten, die in Stein oder Putz 
übersetzt sich neuerdings als moderne Note 
der Architektur breit zu machen versuchen. 
Es rächt sich der leider nur zu oft gepredigte 
Wahn, dass dekorative Mittel und Effekte, 
die sich im Kunstgewerbe entwickelt haben, 
auch der Schlüssel zu gleichartiger archi- 
tektonischer Gestaltung sein sollen. 



Wir können wahrnehmen, dass sich bei 
den architektonischen Erscheinungen unserer 
Tage, die wirklich individuellen Charakter 
zeigen, gar nichts vorfindet, was diesen mo- 
dernen Tischler- und Stuccateur-Effekten ver- 
wandt ist. In der Stein-Architektur, und nur 
von ihr wollen wir im Augenblick sprechen, 
macht sich im Gegenteil eine gewisse Herb- 
heit und Verschlossenheit als charakteristi- 
sches Element geltend, die weit absteht von 
allem spielerig-gefalligen Dekorativen. Man 
trachtet durch Mittel der Strenge und Ent- 
sagung nach einem Ausdruck des Monumen- 
talen, der einen Ersatz bieten soll für die 
Pseudo-Monumentalität, die in der Architektur 
herrschte durch das ängstliche Klammern an 
eine frühere grosszügige Monumentalsprache, 
die man unter veränderten und enger zuge- 
schnittenen Verhältnissen meistens nicht 
einmal historisch getreu, sondern nur ver- 
kümmert zum Ausdruck bringen konnte. 

Eine Sehnsucht nach Monumentalität be- 
ginnt sich zu regen. Von vielen Seiten sehen 
wir gleichzeitig in diesem Sinne Versuche 



^r^^> BAUTEN VON PAUL MÖBIUS <^ä-c- 



unternehmen, und in dieser Bewegung bilden 
auch die Bauten von Paul Möbius ein 
charakteristisches Symptom. 

Die Mittel, in denen sein Streben zur 
Monumentalitätsich ausspricht, beruhen einer- 
seits in einer Steigerung des Masstabes in 
den Einzelheiten, andererseits in einem mög- 
lichst starken Betonen des Massenge f&hls 



in der Gesamterscheinung. Alle entbehr- 
lichen Details in Profllierung und Durch- 
bildung fallen fort zu Gunsten weich inein- 
ander übergehender oder kräftig gegeneinander 
gesetzter Flächen ; das tritt besonders in den 
Gesimsbildungen zum Vorschein, die auch da, 
wo sie beispielsweise eine Thür von ganz 
gewöhnlichen Dimensionen bekrönen, sich 
nur in wenigen starken Linienzügen bewegen. 
Diese über das Mass des Einzelbedürfnisses 



gesteigerten Dimensionen der Glieder sind 
nötig, um sich der Gesamtmasse gegenüber 
zu behaupten, die MObius in seinen Bauten 
wirken lässt. Die Pfeiler seiner Aufbauten 
gliedert er nur in bandartigen Linienzügeo, 
so dass ihre Masse ungeschwächt zur Geltung 
kommt, da aber, wo er Ornament anbringt, 
dient es nicht dazu, eine Fläche aufzulösen, 
sondern im Gegenteil verstärkt der dick- 
~ flüssige Zug seiner ornamentalen Bil- 
dungen den Eindruck des Kräftigen und 
Zähen. In den Teilen, die bekrönend 
das Gebäude silhouettieren, liebt es MO- 
bius, die Wucht der Formen am meisten 
zu steigern, so dass in manchen Fällen 
der Eindruck des Gebäudes an ein Ge- 
fühl streift, das der Beängstigung nahe 
kommt. Einzelne Züge der Ornamentik, 
in der Schlangen und mystisch-schreck- 
hafte Ungeheuer eine besondere Rolle 
spielen, zeigen, dass dieser Eindruck nicht 
unbeabsichtigt ist. 

Es ist keine Frage, dass MÖBius in 
dieser Beziehung auffallend weit geht, 
denn es sind einfache Etagenhäuser, an 
denen er seine wuchtigen EfTekle ent- 
foltet, aber diesem Bedenken gegenüber 
muss man einesteils betonen, dass er 
im Innern dieser Gebäude stets Räume 
zu schaffen weiss, die völlig normalen 
Ansprüchen entsprechen und trefflich be- 
leuchtet sind, andernteils aber kann ge- 
rade das Etagenhaus es so notwendig 
gebrauchen, dass man energisch versucht, 
es in die Sphäre künstlerischer Wirkung 
zu erheben, dass man ein etwas reich- 
liches Mass von künstlerischem Pathos 
gerne in den Kauf nimmt. Wir wollen 
MÖBIUS wünschen, dass seinem echt- 
monumentalen Sinn bald Aufgaben ge- 
stellt werden, die aus der aufreibenden 
Sphäre nüchternster Alltäglichkeit, die er 
so mutig zu bekämpfen versucht, in ein 
Gebiet freierer und höherer Bedeutung 
herüberragen. Er zeigt schon bei diesen 
Aufgaben, die ringsum dutzendweise im 
öden Schema völliger Kunstlosigkeit er- 
ledigt zu werden pflegen, dass er fähig 
ist, mit ungewöhnlicher Konsequenz eine 
Tonart durchzuführen, die er' einmal ange- 
schlagen hat, und die Art und Weise, wie 
er sich bei Bewältigung des freieren Vor- 
wurfs, der ihm in dem von uns abgebildeten 
Grabmal gestellt wurde, giebt, bestätigt, dass 
er starker poetischer Wirkungen durch rein 
architektonische Mittel fähig ist. f. Sch. 



'^r^> BAUTEN VON PAUL MÖBIUS -C^-ip- 



PAUL MÖBIUS * • WOHNHAUS IN 
LEIPZIG, KÖNIG JOHANNSTRASSE 



KUNST FÜR DIE ARMEN 



Whitechapel ist ein Name, den man nicht 
leicht im Zusammenhange mit Kunst- 
fragen nennen wird. In jenem entlegenen 
östlichen Stadtteile Londons, den man nur 
als den Ort von Armut, Elend, Verkommen- 
heit und Verbrechen kennt, hat sich trotzdem 
im Verlauf der letzten Jahrzehnte eine künst- 
lerische Bewegung zu immer grösserer Kraft 
entwickelt, die man als eine durchaus neu- 
zeitliche Kulturerscheinung von grosser Trag' 
weite wird ansehen müssen. Es handelt sich 
um das Unternehmen, jenen Armen des Ostens, 
die täglich den Kampf ums Dasein kämpfen, 
durch Vorführung von Kunstwerken einen 
Schimmer der höheren Lebensfreude der besser 



gestellten Klassen zugänglich zu machen. Man 
hofft dadurch einen veredelnden Einfluss auf 
Herz und Gemüt, ein Erziehungswerk zu Sitte 
und Ordnung auszuüben. 

Da die neue Kunstbewegung, deren Wurzel- 
punkt in England in dem Präraffaelismus lag, 
recht eigentlich eine Gegenbewegung gegen 
den Akademismus und die hochmütigen Flach- 
heiten der damaligen sogenannten Kunstpflege 
der oberen Stinde war, so lag ihr von Anfang 
an etwas Demokratisches, zum Volke Sprechen- 
des zu Grunde. Schon Rossetti erteilte frei- 
willigen Zeichenunterricht an die Arbeiter des 
Ostens. Morris, Bubne-Jones und Walter 
Crane wurden Sozialisten in der Überzeugung, 
dass sie gerade auf diese Weise 
die Aufgabe der Kunst lösen 
könnten, „das Leben freudiger 
zu gestalten", dass es vor allem 
gelte, den breiten Massen diese 
von der Kunst gewährte höhere 
Lebensfreude zugänglich zu 
machen. So kam es, dass in 
England die neue Kunstbewe- 
gung die Nebenbedeutung er- 
hielt, eine Kunst zu werden, 
die nicht nur für die Reichen 
geschaffen war, sondern diesich, 
wie die Religion, vor allem auch 
an die Bedrückten und Elenden 
richtete. 

Eine andere Bewegung kam 
diesen künsilerischen Strö- 
mungen zu Hilfe, es waren die 
vorzugsweise von den Universi- 
täten Cambridge und Oxford 
ausgehenden Unternehmungen, 
dem niederen Volke, vor allem 
der Arbeiterbevölkerung, die 
Wissenschaft in populärer Form 
zugänglich zu machen durch 
Gründung von vollständig frei 
zugänglichen Lehr- und Lern- 
stätten in ihrer Mitte. Man 
fasst diese Bewegung unter der 
Bezeichnung University-Exten- 
sion zusammen, und ihr Mittel- 
punkt im Osten von London ist 
das Gebäude Toynbee Hall. Im 
Zusammenhange mit Toynbee 
Hall war es auch, dass man 
vor etwa zwanzig Jahren zu- 
erst den wichtigen Schritt that, 
regelmässige Gemäldeausstel- 



-!r-^> BAUTEN VON PAUL MÖBIUS <^t^ 



lungen im Osten zu veranstalten. 
Es war im Anfange nicht leiclit, 
das Volk zum Besuche dieser, im 
kleinsten Rahmen gehaltenen Aus- 
stellungen zu veranlassen. Nach* 
dem jedoch das Bedürfnis geweckt 
war, erfreuten sie sich bald einer 
solchen Beliebtheit, dass derZulauf 
ganz bedeutend wurde und der 
Wunsch nach Errichtung eines 
eigens Für die Zwecke der Aus- 
stellungen bestimmten Gebäudes 
immer lebhafter hervortrat. Dem 
thatkräftigen Eintreten einiger 
menschenfreundlicher Wohlthäter 
ist es zu verdanken, dass er ver- 
wirklicht werden konnte. Im MSrz 
d. J. wurde die erste Gemäldeaus- 
stellung in dem neuen Gebäude 
eröffnet, dessen eigenartige Front 
jetzt die Hauptverkehrsstrasse des 
Ostens von London ziert. 

Der neue Bau wurde von dem 
Architekten C. Harrison Town- 
SEND errichtet und verkörpert 
dessen, schon bei seinen andern 
Werken bethätigten Kunstziele, 
mit Vermeidung der historischen 
Formen ein Gebilde zu schaffen, 
das sich ganz und gar als ein Werk 
unsrer Zeit, als ein Ergebnis einer 
selbständig denkenden und empfin- 
denden Gegenwart zu erkennen 
giebt. Wie vortrefflich ihm dies 
gelungen ist, zeigt die Abbildung 
auf Seite 56. Freilich fehlt dem 
Baue noch der Hauptschmuck, 
ein farbiger Fries in Mosaik , 
welcher den Raum zwischen den 
beiden Ecktürmen einnehmen 
soll. Hierfür hat Walter Grane 
einen Entwurf geliefert. 

Er stellt „den EinHuss und 
die Aufgaben der Kunst" in alle- 
gorischen Figuren dar, und seine 
Ausführung hängt lediglich von 
dem Zeilpunkte ab, wo sich je- 
mand findet, der das Geld dafür 
schenkt. Townsend hat sich auch 
bei verschiedenen andern Gelegen- 
heilen Mühe gegeben, das Mosaik 
in England einzuführen, so z. B. 
in seinem eben vollendeten Horni- 
man-Museum im Süden Londons. 
Ob solche dem Rauch und Nebel aus- 
gesetzten Mosaikbilder sich in Lon- 
don bewähren werden, erscheint 
zunächst fraglich. Jedenfalls aber 



-.r.^>> KUNST FÜR DrE ARMEN <^-^ 



wird der Bau, wenn erst diesem sein Haupt- 
schmuck eingesetzt ist, eine Perle der Londoner 
Architektur werden. Schon jetzt entzückt er 
durch seine höchst eigenartige Gestaltung; die 
Monomemalilät der Gliederung stempelt ihn 
selbst in seiner geringen Grössenausdehnung 
zu einem weithin sichtbaren ÖlTentlichen 
Bauwerke, und das Riesenportal in seiner 
trichterförmig sich nach innen verjüngenden 
Form ladet sprechend zum Eintritt ein. Dieses 
Portal ist seitlich aus der Mittelachse ver- 
schoben, weil rechts daneben eine besondere 
Thür für den Ausgang angelegt werden musste, 
aber diese Verschiebung ist keineswegs un- 
angenehm zu vermerken. Neben dem Motiv 
des Riesenportales läuft die übrige Architektur 
darauf hinaus, einen Rahmen für das Mosaik- 
bild abzugeben, was sowohl die Reihe kleiner 
Fensterchen, als die beiden Eckiürme, als 
auch das überhängende Dach des Mittelteiles 



PAUL mObius 



thut. Der ganze Bau ist in Terrakotte errichtet. 
Das wenige, als Blätlerwerk auftretende Or- 
nament ist demgemiss in den Thon flach 
modelliert, gebrannt und als Originalwerk 
versetzt. Im Innern hat der Bau zwei Aus- 
siellungssale übereinander und ein Oberlicbt- 
zimmer, welche zusammen etwa 450 Bildern 
Unterkunft gewähren. 

Die erste Gemäldeausstellung fand in dem 
neuen Gebäude vom 12. März bis 15. April d.J. 
statt und hatte den ungeheuren Erfolg, täglich 
etwa lOOOO Besucher anzuziehen.*) Was dies 
in einem ausschliesslich von Arbeitern be- 
wohnten Stadtteile heissen will, ist leicht zu 
begreifen. Die ausgestellten Gemälde und 
Zeichnungen waren hauptsächlich von Samm- 
lern entliehen, die sie im Hinblick des guten 
Zweckes gern zur Verfügung gestellt hatten. 
Nach welchen Gesichtspunkten aber die Aus- 
stellung zusammengestellt war, das verdient 
die ganz besondere Beachtung. 
Schon bei früheren Gelegen- 
heiten hatte sich gezeigt, dass 
die Bevölkerung des Ostens 
keinen Künstler so sehr bevor- 
zugte, als BuRNE-JoNES. In der 
That waren es gerade dessen 
Werke, welche den Ausstel- 
lungsgedanken erst lebensfähig 
gemacht hatten. Dies zeigte den 
Instinkt des gewöhnlichen Vol- 
kes für das Nationale in der 
Kunst. Denn es giebt wohl heute 
in keinem Kuiturlande eine 
nationalere Malerschule als die 
der PrlraPFaeliten in England, 
deren Bilder man in Repro- 
duktionen in jeder Hütte findet. 
DiePräralheliten waren es denn 
auch hier, welche die Hauptan- 
ziehung ausübten. Von Burne- 
JONES waren eine grosse Anzahl 
Handzeichnungen zusammen- 
gebracht, unter denen die reizen- 
den Studien zu dem allbe- 
kannten Bilde , Venusspiegel* 
wahres Entzücken erregten. 
Nächst dem hauptsächlich durch 
seine träumerische Melancholie 
ansprechenden Burne «Jones 
prangte der derbe und im echten 
Volkston schaffende Ford Mad- 
DOx Brovn mit dreissig Bildern 
und Studien (hier bot sich eine 

*) Die zweite Ausstellung, eine 

solche von japanischen und chiae- 

sischen Kunstwerken , fand im 

HAUSEINGANG August Und September d. J. sntL 



-..-^D- KUNST FÜR DIE ARMEN <^-c- 

. gute Gelegenheil, einen Blick 

in das KunstschatFen dieses 
trerHichen Künstlers zu wer* 
Ten), Feraer waren vertreten 
RosSETTi mit zwei Oelbildem 
und vielen Studien, Millais 
mit seinem berühmten Jugend- 
werke .DieTischlerwerkstätte", 
G. F. Watts, Huches und an- 
dere, so dass der obere Saal 
eigentlich ein PrärafTaeli tensaal, 
und als solcher für jeden Be- 
sucher der Glanzpunkt der Aus- 
stellung war. Der andre Saal 
enthielt moderne Werke andrer 
Künstler; von Werken der alten 
Kunst war nur eine ganz kleine, 
aber ausgewählte Anzahl Bilder 
vorhanden. Der Erfolg des 
Unternehmens war in den Prä- 
rafTaeli tenbil dem zu suchen. - — 
Hier liegt zugleich das Lehr- 
reiche der Veranstaltungen: sie 
wirken durch den ausgesproche- 
nen Kultus des Nationalen. 
Hier wie überall in England 
begegnen wir diesem Kultus, den 
man mit dem wohlthuenden 
Enthusiasmus und der Einseitig- 
keit betreibt, die hier allein zum 
Ziele führen. Besucht man in 
England die Entwurfsklassen der 
Kunstgewerbeschulen, so ist es 
Ford Maddox Brown, dessen 
Gestalten hier Für die flgürlichen 
Entwürfe als Vorbild gegeben 
werden, als Höchstes in Stoffen, 
Tapeten und Wandgehängen gilt 
jedem Engländer mit vollkom- 
mener Selbstverständlichkeit das 
Lebenswerk WiLLtAM MottRis, 
als erstrebenswerter Wand- 
schmuck jedem einzt 
Volkes die Bilder i 
mälden von Rossetti 
Jones und Brown. 
Volkskunst und Hein 
Wir könnten bei { 
Veranlagung zum Kri 
mehr gutem Willen ur 
beschränkung aus unsc 
LiN, Klinger, Thoma, 
u. s. w. dieselben echt ' 
liehen Künstler mache 
Engländer aus ihren 
liten. Diese haben denselben 
ausgesprochenen deutschen Zug. 
c, H. TOVNSEND. THE wHiTECHAPEL ARTGALLERY wie jene den eogHschen, und 



'tJ^> KUNST FÜR DIE ARMEN -C^-u- 



es gilt nur, dies endlich voll anzuerkennen 
und dementsprechend zu handeln. 

Was aber als wichtigstes Ergebnis der Aus- 
stellungen in Whitechapel angesehen werden 
muss, ist die Thatsache, dass es hier wirklich 
gelungen ist, den niedersten Volksschichten 
eine lebhafte Neigung für Kunst abzugewinnen. 
Nicht als ob hierdurch die Lösung der sozialen 
Frage erreicht oder auch nur angeschnitten 
wäre. Aber es ist den spärlichen Freuden 
dieser Bevölkerungsklassen eine neue und 
zwar eine solche beigefügt, die auf die Dauer 
ihren veredelnden Einßuss auf Herz und Ge- 
müt, auf Sitte und Ordnung gar nicht ver- 
fehlen kann, es ist erreicht, das Volk mit 
dem Besten und Edelsten zu beschäftigen, 
was die Menschheit hervorgebracht hat. Und 
zwar dadurch, dass man dem Volke das beste 
bot, was vom Standpunkt einer neuen natio- 
naien Kunst überhaupt möglich war: in einem 
Gebäude von neuartigem, echt künstlerischem 
Gepräge die Perlen der neueren englischen 
Malerei. Denn wie nur die Kunst des Gegen- 
wartslebens, wenn sie sich überhaupt auf 
volkstümlichem Boden bewegt, zum Volke 
sprechen kann, so gilt auch gerade für das 
Volk, was Goethe von den Kindern sagte: auch 
für dieses ist „das Beste gerade gut genug". 

London. H. MuTHESius 



E. ERBER • WANDBEHANG 



-ij-^5> ELISABETH ERBER <^-<^ 



DEKORATIVES PANEEL: GLOCKENBLUME IM TELKEN 



DEKORATIVES PANEEL: ESCHENKNOSPEN IM FRÜHLING 



DEKORATIVES PANEEL: WELKENDE PFLANZEN MIT MOTTE 



^.-ftO ELISABETH ERBER <as-.^ 



EIN WORT ZU DEN ARBEITEN 
VON ELISABETH ERBER 

In einigen der hier abgebildeten Arbeiten 
Fräulein Elisabeth Erber's scheint uns 
etwas zu Hegen, was wir in sehr vielen 
modernen ornamentalen Arbeiten bis jetzt 
vermissen. Die Unvollkommenheit des bis- 
her erlangien Stadiums in der Verwendung 
der Pßanzen im Ornament und den dekora- 
tiven Künsten glauben wir darin zu sehen, 
dass man die Möglichkeiten, die in ihrer 
Verwendung liegen, noch viel zu wenig aus- 
genutzt hat, und dass die Künstler das uner- 
schöpfliche Leben, das in der Pflanzenwelt 
verborgen liegt, womöglich noch weniger be- 
achten als früher. Das Blumenstück als 
solches ist oft nicht weiter gediehen als bis 
zu dem blossen Darstellen farbig hübsch 
wirkender Blumenarrangements. Die un- 
zähligen Blumenmuster hingegen begnügen 
sich nur zu oft mit blosser wirkungsvoller 
Verteilung der Massen im Räume und netter 
Linienführung. Ist das nun alles, was das 
Pflanzenmotiv uns zu geben vermag? Wir 
glauben es nicht. Wir können hier sogar 
sehen, dass eine Kflnstlerseele, welche die 
Natur nicht als blosse Musterlieferantin aus- 
beutet, sondern ihr nachzuleben versucht, 
uns auch Neues zu geben vermag, in der 



ersten Abbildung auf Seite 57 sehen wir 
eines von den dekorativen Mustern, wie es 
deren jetzt viele giebt. Es spricht daraus 
wie in der ersten Abbildung auf Seite 59 
ein gewisser Sinn für wirkungsvolle Ver- 
teilung von dunklen und hellen Massen im 
Räume, schwerlich mehr; und auch die ge- 
bogenen Linien drücken kein inneres Leben 
aus. Sie sind eben bloss gebogen. In der 
zweiten Abbildung auf Seite 58 liegt schon 
etwas mehr Bewegung in den Stielen der 
Schlingpflanze; nur schlingen sie sich eben 
um nichts, in den übrigen Arbeiten nun 
hat die Künstlerin, einem instinktiven Triebe 
folgend, aus dem Illustrationsformate, der 
Mustermisere und dessen dürftigem Gehalte 
herauszukommen, ganz grosse Formale ge- 
wählt, wo die Pflanze in vierfacher Natur- 
grosse erscheint, und erreicht auch mit der 
ausserordentlich energischen Konturlinie eine 
ungewöhnliche Kraft des Ausdruckes. In der 
ersten Abbildung auf Seite 58 ist die Linien- 
führung durch die grosse Kurve erreicht und 
die dekorative Wirkung durch die fünf blauen 
Glockenblumen. Aber diese Kurve ist nicht 
eine beliebige modern gebogene Linie, son- 
dern sie sagt etwas aus; sie ist die Senkung 
einer welkenden Pflanze im Herbste, wo jedes 
Blatt im Welken sich fast qualvoll krümmt. 
Die Spinngewebe ziehen den Stengel vollends 
zu Boden. Im Ganzen liegt etwas von dem, 



-T^&- BRUNO PAUL <S*^ 



BRUNO PAUL • BÜCHERSCHRANK • AUSGEFÜHRT VON DEN VEREINIGTEN 
WERKSTÄTTEN FÜR KUNST IM HANDWERK IN MÜNCHEN (GES. GESCH.) 



,rie> BRUNO PAUL -«as-t^ 



r 



..„ «f-URFIMEKRETiR UND UHR • AUSGEFÜHRT VON DEN VER- 
|fN"S?Er™KS"T™ FÜR KUNST ,M HANDWERK .N MÜNCHEN ..B. OBS<=„., 



-3-^> BRUNO PAUL <^-t^' 



BRUNO PAUL • SCHRANK « AUSGEFÜHRT VON DEN VEREINIGTEN 
WERKSTÄTTEN FÜR KUNST IM HANDWERK IN MÜNCHEN (GES.GESCH.t 



^*-^> ELISABETH ERBER <^-c- 



was wir eben .Ausdruck* nennen möchten. 
Es sind zwar oft genug HerbstblumenstQcke 
gemalt worden, doch erreichte man die 
Herbstwirkung vielleicht mehr durch blosse 
herbstliche LaubfSfbung und im besten Falle 
durch eine .landschaftlich" hinzugefügte 
Luftstimmung als durch die Wiedergabe des 
Zaubers der herbstlich hinsterbenden Blume 
selber. Einen intensiven Lebensinhalt hat 
auch die Arbeit Abbildung 2 auf Seite 58. 
Das linear Wirkungsvolle ist die kraftvolle 
Gegenbewegung der beiden Eschenzweige und 
das Dekorative daran die grossen braunen und 
grünen Knospen, die gute Farben Wirkungen 
im Räume abgeben. Das innere seelische 
Leben steckt jedoch in der konzentrierten 
Wachstumsenergie der knorrigen Zweige, in 
dem Saftstrotzenden der Knospen, dem Platzen 



der Spitzen in junger Frfihlingslusl. An sich 
schon in der Natur entzückend, ist dieses Leben 
hier mit einem Nachdrucke jedes Striches ver- 
stärkt, dass es weit über die Natur hinaus 
geht und Kunst wird, Kunst des Ausdruckes. 
Noch stärker kommt diese Fähigkeit des 
Künstlers, in uns gesteigerte Gefühle zu er- 
regen, in der Arbeit Abbildung 3 auf Seite 5S 
zur Geltung. Jeder Strich drückt intensiv 
auch hier das müde Welken, das Sterben, 
das Leiden der Pflanze aus, und bis zur 
Motte hinab, die nächtig darüber kriecht, 
wird alles zum Symbol unserer eigenen 
leidenden Menschenseele. Aber eben diese 
Kraft des Ausdruckes ist nur erreichbar 
dadurch, dass man neben dem seelischen 
Inhalte sich gleichzeitig alle Errungenschaften 
der modernen dekorativen Bewegung, die 
Kraf[ der einfachen Wirkungen, die 
Konzentralion der Bewegungen zu 
nutze macht. Wir sehen in dieser 
Gleichzeitigkeit der innerlich po- 
etischen und der äusserlich opti- 
schen Ausdrucksmittel das eigent- 
liche Wesen der grossen oma- 
mentalen, dekorativen und monu- 
mentalen Kunst unserer deut- 
schen Zukunft, und in solchen 
Arbeiten, wie die vorliegenden, 
so eingeschränkt sie in ihrem 
Inhalte auch manchen erscheinen 
mögen, spüren wir einen Hauch 
eben dieser deutschen Zukunft. 
Kürzlich sagte uns einer 
der eifrigsten Vorkämpfer für 
VAN DE Velde's an sich hoch- 
interessantes, aber ungestaltetes 
und unvorstellbares Omament, 
dass er mit dem besten Willen in 
allen Ornamenten Eckmann's und 
Pankok's nur bessere Brandmale- 
reien sehen könne. In einer solchen 
Zeit da gilt es, glauben wir, fest 
zusammenzuhalten und zu zeigen, 
dass wir, über alle Verstandes- 
arbeit hinweg doch noch sind und 
bleiben ein Volk, welches, wie es 
■ in der Musik nicht blosse Töne 
machte, sondern sang und jauchzte 
und lebte, so auch in der grossen 
Kunst der Bewegungen, die wir 
das Omament nennen, nicht bloss 
abstrakte Linien geben, sondern 
lebendig darstellen will, was ihn 
in der Natur entzückt oder was 
ihn im Innern der Seele schmerz- 
lich und freudig bewegt. 

Hermann Obrist 



^r-^> BRUNO PAUL <^^ 



bruno paul • tisch und 
bücherschrank • ausge- 
fOhrtvon den vereinigten 
werkstätten für kunst im 
handwerk in münchen •• 
(gbs. gesch.) 



-,-i&- BRUNO PAUL <aä-^ 



BRUNO PAUL 



BRUNO Paul's Ruf als Karikaturist geht 
über Deutschlands Grenzen in alle 
Kulturländer. Er hat auf dem Gebiete des 
kulturellen Spott- und Warnungsbildes Zeich- 
nungen von einer so prägnanten Akribie ge- 
schalTen, die ihn Für immer unter die besten 
Künstler dieser An reihen. Seine „Pest in 
Südafrika", die im Simplicissimus erschien, 
ist so neu, so gewaltig in seiner Einfachheit, 
dass man all die unzähligen Bilder von Krieg 



und Tod und Pestilenz seit dem Ausgange 
des Mittelalters vergisst — aber dies Bild 
niemals. Mit wenig Linien und Farbenflecken 
hat Paul die packendste Wirkung zu erzielen 
gewusst. 

Vergleicht man Paul's kutistge werbliche 
Arbeiten mit jenen Werken, so wird man 
zunächst seine künstlerischen Arbeiten weit 
höher schätzen als die kunstgewerblichen. Aber 
die Bedeutung Paul's auf kunstgewerblichem 
Gebiete darf deshalb durchaus nicht gering 
bewertet werden. Ganz abgesehen davon, 
dass Paul von Anfang an den Vereinigten 
Werkstätten Für Kunst im Handwerk in 
München angehört hat, zeigen seine kunst- 
gewerblichen Arbeiten — klar ausgeprägt 
dieselbe Art, denselben künstlerisch ent- 
wickelten Geist, der seine Bilder beherrscht. 
In beiden Arten von Werken spricht sich ein 
kerniger, herber, gesunder und erfrischender 
Künstler kurz und bündig aus. Bruno Paul 
ist nicht diese Fülle von äusserst fein zuge- 
spitztem und dem Anscheine nach kapriziösem 
Geiste wie Pankok eigen. Riemerschmid's 
gesetzbildendes Schaifen wirkt schlichter und 
anmutiger. Aber der Vergleich gewinnt uns 
ebenso für Paul, Wie klar trennt er schon 
seine beiden SchalTensaufgaben und Gebiete. 
In seinen kunstgewerblichen Arbeiten ist 
nichts von nebensächlichem Witz , kleinere 
Pointen braucht er hier nicht, um den Reiz 
des Möbels oder des ganzen Zimmers da- 
durch erst zu heben. Was von den besten 
Werken einer neuen Kunst gilt, trifft fast 
auf jedes einzelne seiner Werke zu: Eni- 
äusserung des Schmuckes. Der Schmuck, 



-^■^D- BRUNO PAUL <^^ 



KOLOMAN MOSER • SEIDENSTOFF 

das Erhebende Hegt in der Konstruktion. 
Das Dekorative selbst ist vital geworden. 

Dass man dies gerade von den kunst- 
gewerblichen Arbeiten eines Karikaturisten 
sagen muss, mag überraschend sein — der 
Art von Paul's Bildern ist dies völlig 
kongruent. Mit einfachen aber kräftigen 
Linien und wenig Farbtönen weiss er hier 
und dort sein mannhaftes Wollen künstlerisch 
genussvoll darzustellen. 

Die vier vornehmen Räume Bruno Paul's 
in der ersten Ausstellung für Kunst im Hand- 
werk, aus denen unser Heft eine Reihe von 
Abbildungen bringt, haben alle das, was man 
immer wieder patrizierhaft nennen wird. — 
Dem entspricht auch das Material, dessen 
leicht koloristische Wirkung durch verschie- 
dene Behandlung die konstruktive Sprache 
delikat unterstützen hilft. Die Speisezimmer- 
möbel, zu denen das Büffet mit den ver- 
glasten Thüren, der ausziehbare Speisetisch 
mit den kraftvoll geschnitzten Füssen, auch 
der leichter wirkende Zeilungs- und Bücher- 
schrank gehört, sind in poliertem natur- 
farbenem Mahagoniholz mit Wechsel von 
Wassereichenholz ausgeführt. Im hallen- 
artigen Salon mit der leichten Stuckdecke 
und dem kräftig modellierten Friese stehen 
intarsierte Möbel in Kirschbaumholz. 

Die Ausstellung bringt überdies eine ganze 
Reihe kunstgewerblicher Arbeiten Paul's in 



verschiedensten Materialien und Techniken. 
Leuchter und Lampen und Thürschilde in 
Messing, Teppiche in Knüpftechnik und Uhren 
in Holzverkleidung. Die Abbildungen lassen 
erkennen, wie sehr auch hierin Paul seine 
feste, sichere, chevalereske Art künstlerisch 
verkörpert. — Alle seine Leistungen be- 
weisen übrigens, scheinbar, aller Herden- 
viehtheorie zum Trotz, dass der Anschluss 
des Einzelnen an eine Gruppe, das Zu- 
sammengehen Gleichgesinnter zu einer Sache 
ganz und gar nicht denjenigen auch nur um 
etwas seines Wertes berauben kann, der 
thatsächlich eigene Art und Kraft hat. Die 
Künstler der Vereinigten Werkstätten in 
München haben alle ihre eigene Art nicht 
nur behalten, sondern sie haben sie gesteigert. 
Allerdings ist diese kleine Gruppe doch selbst 
nur wieder eine einzelne Macht gegen die 
grosse Herde stumpfsinniger Anbeter inhalts- 
loser Formen und Formeln. 

LiCHTVARK stellte kürzlich als das Ideal des 
Deutschen der Zukunft den deutschen Offizier 
hin. Paul's Zimmer und Möbel scheinen mir 
viel von ihm zu haben. — Dass ich freilich 
nicht — ebensowenig wie Lichtwabk — an 
den entnervten, blasierten Gardeleutnant, den 
Bruno Paul selbst so trefflich zu karikieren 
weiss, denke, sondern an den Offizier, dessen 
Leib wie Geist gestählt ist, liest man Paul's 
Werken woht Zug für Zug ab. e. t, b. 



KOLOMAN MOSER m FUSSBODEN BELAG 



^r4ö> WIENER BRIEF 
WIENER BRIEF 



Das Programm, das ich heute vorlege, ist 
etwas bunt. Es ist, seit ich das letzte Mal 
in der „Dekorativen Kunst" über Wiener 
Arbeiten berichtete, so vielerlei Neues ge- 
schaffen worden, dass ich von jedem nur 
kleine Proben bringen kann : Schmuck, 
Silbergerit, Möbel, Stoffe. — Die Künstler, 
von denen ich zu sprechen habe, gehören 
verschiedenen — oft feindlichen — Lagern 
an; einzelne auch gar keinem Lager. So 
kommt es, dass ich diese Dinge gar nicht 
unter einen Hut bringen und als gemein- 
samen Gesichtspunkt nur den vorschlagen 
kann, dass alle Arbeiten von Wienern ge- 
schaffen sind. 

Da sind' einmal, um mit dem ältesten und 
berühmtesten zu beginnen, die Silbergeräte von 
Otto Waoner: Ein Schreibservice, das in der 
Früh Jahrsausstellung der Secession exponiert 
war. Ein Theeservice, das viel delikater und 
raffinierter ausgedacht war, mit Wellenringen 
auf Samowar und Kannen, wirkt leider in der 
Photographie nicht günstig. Die abgebildeten 
_ Geräte, aus mattem Silber mit durchbrochener 
Arbeit, die an einzelnen Stellen mit email- 
lierten Flächen hinterlegt ist, wirken reich, 
ohne überladen zu sein. Besonders an dem 
Rahmen des Spiegels scheint mir das Orna- 
mentenspiel mit den verschlungenen Nelken 



ELSB UMGER « VELOURS 



ELSE UNGEH « MÖBELSTOFF 



glücklich gelöst. — Es wird leider wenig Neues 
auf diesem Gebiet in Wien geschaffen, die 
Künstler hängen infolge der Kostspieligkeit 
des Materials völlig von den Firmeninhabem 
ab, und diese scheinen für ihr Publikum die 
alten Rokokotintenfässer und Girandols noch 
gut genug zu hatten. — Die WAGNER'schen 
Entwürfe wurden von A. Kunkosch, einer 
schon aus der Makartzeit bekannten Firma, 
ausgeführt, die auf der Jubiläumsausstel- 
lung 1898, dem ersten Debüt der Wiener 
Moderne, mit einer ausgezeichneten Aus- 
stellung nach Zeichnung Wagner's vertreten 
war. Sehr eifrig ist auch A. D. Haupt- 
mann, am Kohlmarkt, von dem Sie in einem 
früheren Jahrgang eine graziöse goldene 
Kanne, ausgeführt von Eduard Frank, ver- 
öffentlicht haben. Dieser Eduard Frank, 
der einer der ersten Goldschmiedemeister 
zu werden versprach, ist mir seither ganz 
aus den Augen entschwunden. Offenbar 
gehen alle seine Leistungen unter fremdem 
Namen — aus Geschäftsrücksichten. Aehn- 
liches passiert vielen der bedeutendsten 
Wiener Kräfte. Was könnte man in Wien 
für famose SchmuckkünsCler aufweisen und 
erziehen, wenn man sie nur bei ihrem Namen 
aufrufen könnte. Aber die Firmen halten 
es nicht für opportun, ihre „Hilfskräfte" zu 
verraten. Sie wollen selbst das Renommee 
und den Löwenanteil an dem Verdienst. 



-!r4^> WIENER BRIEF ^^-c- 



ROBERT OERLEY • ECKE AUS DEM 
VORRAUM EINES KUNSTSALONS«« 



-^p^S)- WIENER BRIEF <^-!^ 



ROBERT OERLEY 



VAREMSCHRANK EINES KUNSTSALONS 



Wie oft sehe ich in Schaufenstern oder Aus- 
stellungen Objekte, bei denen ich den Künstler 
an der Art der Komposition erltenne. So 
ist Peter Breithut, der in der OeFfenttich- 
keit nur als vortrefflicher Medailleur bekannt 
ist, ein Schmuckkünstler, der sich zu hohen 
Leistungen aufschwingen könnte, wenn — ja 
wenn seine Arbeiten speziell unter seinem 
Namen bekannt und bezahlt würden. Aber 
er muss für die Kundschaft dieses und jenes 
Juwelierladens arbeiten. — 

Auf Schmuckkunst wird jetzt in Wiener 
Kunstkreisen besonders geachtet. Die Lor- 
beeren von Lalique und andern Pariser 
Künstlern, such die englischen Vorbilder, die 
hier auf Ausstellungen zu sehen waren, lassen 



die junge Generation nicht ruhen. So haben 
AUCHENTALLER, HOPFMANN und MOSER VOn 

der Secession sich an Schmuck versucht, und 
die beiden letzteren lenken auch ihre Schüler 
an der Kunstgewerbeschule zu selbständigem 
Entwurf und eigener Ausführung an. Beson- 
ders vielversprechend sind die Arbeiten von 
Fräulein Else Unger, die sich schon mehr- 
fach hervorgethan hat. — Auf der Jahresaus- 
stellung der genannten Anstalt, die sich ganz 
prächtig entwickelt, hatte ein junger Künstler 
eine Kollektion von Schmuckgegenständen, 
Ringen, Broschen, Kämmen, Nadeln, Spiegeln 
und Anhängseln ausgestellt, die eine liebe- 
volle Vertiefung in die Techniken und ein 
anmutiges Formtalent verraten. Es ist Otto 



^r4^> WIENER BRIEF <^-^ 



OTTO PHUTSCHER 



CASKAMIN EINES SPEISEZIMMERS 



pRUTSCHER, von dem nebenstehend einige 
Arbeiten abgebildet sind. Von den Schmuck- 
Itassetten ist die eine mit grauem Leder in 
feiner Tönung überzogen, auf dem oben ein 
ornamentaler farbiger Fries aufgeprägt ist; 
Elfenbeinknöpfe sind aufgesetzt, und der 
eigentliche Körper wird von einem mit seit- 
lichen Handhaben versehenen silbernen Ge- 
stell getragen. Die andere Kassette ist weiss, 
mit Silberbeschlag und Edelsteinen. Der 
Kopf ist von Bildhauer Powolnv, einem 
Schüler Arthur Strassers, modelliert. Von 
den Schmuckstücken wären besonders die 
beiden goldenen Kämme, der eine mit blauen 
Beeren aus Lapislezuli, der andere mit Opal- 



äugen, und die zwei Broschen wegen ihrer 
farbigen Wirkung zu loben. In der Zeichnung 
sind das Taschenspieglein und der Ring mit 
dem Mimosen - Ornament, dessen goldenes 
Liniengeflecht von translucidem grünlichem 
Email ausgefüllt ist, am besten gelungen. — 
Auch der Gaskamin zeigt die Vertrautheit des 
jungen Künstlers mit den verschiedensten 
Materialien. Prutscher gehört übrigens seit 
seinem Austritt aus der Schule dem Hagen- 
bund an. 

Eine ganz selbständige Stellung unter den 
Wiener Künstlern nimmt Robert Oerley 
ein. Seiii Name ist erst im Laufe des letzten 
Jahres in der OeiTentlichkeit bekannt geworden, 



-3-^> WIENER BRIEF <^^ 



OTTO PRUTSCHEH 



LEDER KASSETTEN « AUSGEFOHRT VON H. BUCH^OTALD [N WIEN 



als er in Gemeinschaft mit dem Bildhauer 
Seifert den ersten Preis in der Konkurrenz 
um ein Strauss-Lanner- Denkmal gewann. 
Die hier abgebildeten Teile eines Aus- 
stellungs- und Verkaufslokals, das sich der 
Hofphotograph Pietzner für Photographien 
und plastographische Arbeiten herstellen Hess, 



. VAN HOYTEMA 



zeigen die sichere Hand des Künstlers. Der 
Vor- und Empfangsrsum des Salons ist in 
vier kleinere, in Form, Material und Farbe 
verschiedene Nischen eingeteilt, um ebenso 
viele verschiedene Proben von Interieurs zu 
geben, in denen die Erzeugnisse der Firma 
günstig wirken. Dennoch ist der Raum durch 
verbindende Motive zu ein- 
heitlicher Wirkung gebracht. 
Schliesslich sei noch mit 
ein paar Zeilen der beige- 
gebenen Stoffmuster ge- 
dacht. Koloman Moser 
zeigt hier wieder seine be- 
I sondere Begabung. Er hat 
in zwei Jahren so viele Or- 
I namente fürgewebte und be- 
' druckte Stoffe und Boden- 
! beläge erdacht, dass Wien 
auf diesem Gebiet auch 
mitsprechen darf. Von 
Josef Hoffmann existieren 
gleichfalls hübsche Muster, 
sowie von einigen Schülern 
der beiden Professoren, 
unter denen hier Friuletn 
Unoer mit mehreren Ar- 
beiten vertreten ist. Die 
Stoffbespannung der Möbel 
in dem vorerwähnten Kunst- 
salon ist von Oehley ent- 
worfen. 

So hätte ich denn in Hast 
einige bedeutendere Proben 
von den Leistungen der ver- 
gangenen Saison erledigt, 
um mein Gemüt frei und 



.^F-^> TH. VAN HOYTEMA -CS^^ 



TH. VAN HOYTEMA 



TH. VAN HOYTEMA « SCHUTZE AND UND KLEIDERSTANDER 



^r-^5> TH. VAN HOYTEMA <^S^ 



TH. VAN HOYTEMA 



TH. VAN HOYTEMA 



^T-^> HERMANN OBRIST <?^^ 



HERMANN OBRIST « • GRABDENKMAL 
(SCHIEFERPLATTE UND MUSCHELKALK) 



^r-^> TH. VAN HOYTEMA <^^^ 



die Sinne empfänglich zu machen für die 
Neuheiten der bevorstehenden Ausstellungen. 
Es wird mit Macht gerüstet und ein paar von 
den beteiligten Künstlern haben mir beiläufig 
zu verstehen gegeben, dass das bisher Ge- 
schafTene wieder einmal völlig fiberwunden 
sei durch die Dinge, die im Werden sind! 
Nun, ich bin bereit, zu staunen. 

Dr. Ludwig Abels 



GESCHMÜCKTE MÖBEL 
VAN HOYTEMA'S 

In einem vorhergehenden Artikel (Bd. Vll) 
erwähnten wir beiläufig der Möbel, welche 
VAN HoYTEMA künstlerisch bearbeitete. Jetzt 
sind wir durch das Entgegenkommen deren 
Besitzer im stände, einige Reproduktionen der- 
selben zu geben und wollen bei dieser Gelegen- 
heit kurz darauf zurückkommen. 

Die Möbel wurden entworfen von dem Archi- 
tekten der Firma van Wyngaarden & Co., 
Herrn Verschuyl, und von blankem Holz, in 
verschiedenen Nuancen gebeizt, angefertigt. 
In das auf diese Weise präparierte Holz 
wurden nun van Hoytema's Verzierungen 
geschnitten, wodurch das blanke Holz wieder 
hervortrat und so Effekte hervorruft, welche 
manchmal an die Japanischen Einlegarbeilen 
erinnern. Die von Hoytema angewendeten 
Motive freilich tragen gewöhnlich das ihrige 
dazu bei diesen Japanischen Eindruck zu ver- 
mehren. 

Unter der Anleitung Hoytema's hat der 
Bildhauer Vermeulen sich das Verfahren des 
Holzschneiders so sehr zu eigen gemacht, dass 
Hoytema bloss die Zeichnung auf das Holz 
macht und die grösseren Schnitte darin kerbt, 
indem Vermeulen die Ausführung unter seiner 
Leitung zu stände bringt. Obwohl augen- 
blicklich die Preise für die Möbel sich einiger- 
massen hochstellen, wird das später — der 
Arbeiter muss ja auch noch in der technischen 
Fertigkeit fortschreiten — doch wohl günstiger 
■werden. 

Unter die mustergültigen, von Hoytema 
selber geschmückten Möbel gehören unzweifel- 
haft die Zimmerhaltwände in gelb geschnitten 
auf rotem Hintergrund mit tiefschwarzer Einfas- 
sung, sowie die Rücklehnen einiger Ruhebänke 
in denen es uns scheinen will, dass Gegen- 
stände wie verzierte Lambusierungen auf die 
Dauer sich am meisten zu dergleichen Aus- 
schmückung eignen werden. Wir sind davon 
überzeugt, dass falls van Hoytema sich mehr 
als bis jetzt der Verzierung der zum Wohn- 



ASCHENURNE AUS MARMOR 

haus gehörenden Geräte unterziehen wollte, 
sein nicht zu unterschätzendes Talent besser 
zur Geltung kommen wird. j. g. Veldheer 

HERMANN OBRIST 

Hermann Obrist bestrebt sich seit langem, 
die schlichte Schönheit seiner Kunst in den 
Dienst jener Monumente zu stellen, die wir 
unseren Toten weihen. Zwei Aschenurnen 
und eine Grabplatte sind Beispiele, wie solche 
Denkmäler ohne falschen Prunk doch durch 
vornehme Grösse des darin zum Ausdruck 
gelangten Empfindens wirken können. Etwas 
von jener inneren Notwendigkeit, von jenen 
ehernen Gesetzen, die Werden und Vergehen 
regieren, kommt auch in ihnen zum Aus- 
druck und teilt sich, wenn auch unbewusst, 
der Stimmung des Beschauers mit. b. 



.-'-T> E. BARLACH <as-^ 



E. BARLACH 

ES ist leicht vorauszusehen, dass das grosse 
Ringen um neue Ausdrucksformen , dis 
wir in der Malerei erlebt haben, in nächster 
Zukunft auch in der Skulptur stattfinden muss. 
Hier herrscht noch eine Ziellosigkeit, die 
nur durch das Fehlen einer Baukunst erklin 
werden kann; aber auch eine Unruhe, die 
auFgrosse Umwälzungen hinweist. Seit wenigen 
Jahren kennen wir schon Neuerer, deren Ziel 
noch unklar ist, von denen aber eine gewal- 
tige fortreissende Kraft ausgeht. Man denke 
an Namen wie Rodin, Meunier, Minne, 
Jacobsen u. s. w. Vor allem Rodin weist 
weit in die Zukunft. Einmal durch sein 
Genie, das der grossen Klage der Zeit, der 
Verzweiflung unseres Geschlechtes künst- 
lerisch erschöpfenden Ausdruck zu geben 
weiss; dann aber auch, weil in seinem Wesen 
in merkwürdiger Prägnanz alle Eigenschaften 
enthalten sind, die der neuen Skulptur zur 
Bewältigung der revolutionären Riesenarbeit 
nötig scheinen. 

Die Talente werden in einer Entwicklung 
ja verschwendet. Neben einem Könner wie 
Rodin stehen hundert kleinere Talente, denen 



E. BARLACH 



MONDCEISTER (KOHLEZEICHNUNG! 



-5-.^> E. BARLACH <^=c" 



rObensammlerin 



die Natur nur einen Bruchteil schöpferischen 
Vermögens, nur einen Ton aus der Harmonie 
geschenkt hat. Aber der Trieb ist auch in 
ihnen so stark wie in den Grossen; er drängt 
unaufhaltsam zu Resultaten, sehnt sich nach 
dem Gedicht und kommt doch nicht über ein 
Stammeln abgerissener, schöner Gedanken 
hinaus. Wer Ehrfurcht vor dem Leben hat, 
der kann sein Mitgefühl nicht diesen Unvoll- 
kommenen versagen: sie kämpfen den schwer- 
sten Kampf, den mit sich selbst, in jeder 
Stunde ihres Lebens, geben ihre Ruhe, 
ihr Glück, schliesslich ihr Leben hin Für 
eine Idee der Zukunft. Denn all ihr Thun 
ist Vorbereitung, sie sind Pfadfinder in einer 
wirren Uebergangszeit, Pioniere einer neuen 
Kunst. Sie widmen die beste Kraft dem Ver- 
neinen; die folgende Generation hat den 
Erfolg. 

Auch der Bildhauer Barlach, von dem 
hier einige Arbeiten reproduziert sind, ge- 
hört zu denen vom Geiste Rodin's. Er ist 
ein nervöses, stürmisches Temperament, das 
mit zusammengebissenen Zähnen nach per- 
sönlicher Kunstform ringt. Als Bildhauer 
ist er eigentlich Maler, als Maler Zeichner, 



alsZeichnerOrnamentiker, daneben litterarisch 
beeinflussbar wie alle Mischtalente; — und am 
Ende ist er doch wieder nur Bildhauer. In 
seinen Entwürfen für Denkmäler, die so un- 
architektonisch wie möglich sind, findet man 
phantastische Zerrissenheit und eine wild ver- 
geudete Einbildungskraft neben den Zeichen 
feinster psychologischer Beobachtung. Ur- 
sprünglichkeit ohne Verfeinerung, dramatische 
Accente ohne Monumentalität, Schönheiten 
ohne das notwendige Mass plastischer Ruhe; 
und überall streift dann das unruhvolle Tem- 
perament die Grenzen, wo das Charakteristi- 
sche zur Karikatur wird. Er will zu viel, 
will alles — und kommt nirgends zum Ab- 
schluss. In den plastischen Entwürfen und 
in den Zeichnungen: immer spürt man den 
rhythmischen Drang, der sich im ornamen- 
talen Schwung bewegt und die Neigung für 
die pathetische Silhouette. Hier ist eine 
Kunst, die tanzen möchte und noch nicht 
gehen kann, die feierlich reden will, während 
sie noch nach der Sprache sucht. 

Solche Begabungen können in unsern Tagen 
nur in den angewandten Künsten praktische 
Bethätigung finden. Aber ihre endliche Be- 



^-^5> E. BARLACH -<^-c- 



stimmung liegt doch 
nicht dort; dazu 
sind sie zu unruhig, 
zu wenig architek- 
tonisch disciplinier- 
bar. Sie haben vor 
allen ein Recht, ge- 
würdigt und gestützt 
zu werden, denn ihre 
Uebergangskunst ist 
hundertmal mehr, als 
die trockene, em- 
pfindungslose Scha- 
blone, als der klein- 
liche Naturalismus 

der landläufigen 
Skulptur. Es wäre 
traurig, wenn die 
Menschen des zwan- 
zigstenjahrhunderts 
aus den Kämpfen 
der J^falerei nichts 
für die noch bevor- 
stehenden in der 
Bildnerei gelernt 
hätten. 



_IÄ LJoWi.n hJ^-R.^ .e,'. LSENU/^l 



FEDERZEICHNUNG 



Die Abbildungen zeig« 
das Fragment eines Grab- 
mals: Die„Erinnerung',deiD 
Geigenspiel eines oberhilt 
dieser Nische gedachten Ent 
leins lauschend, dann eint 
in der Silhouette sii* 
gRübensammlerin' und eii 
paar Zeichnungen, in denen 
der ornamentale Drang "^ 
verkennbar ist. Der Künsto 
ist noch jung; man darf »Im 
erwartungsvoll der Entwid- 
lung seiner starken Eigeni'l 
entgegensehen. 

Kahl Scheffl« 



DER VERLORENE SOHN 
wonlich: H. BHUCKMANN. M 



Verlii£MDati]| F. Bruclmi 



D AlpiMiK Brueknuan, Müb 



LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? 



von 
Hermann Obrist 



Unter den vielen Vorwürfen, die 
man uns modernen Hand- 
werkskünstlern macht, befindet sich 
auch der, dass wir, in arger Ver- 
kennung der Bedürfnisse unseres 
Volkslebens, immer nur Arbeiten 
herstellten, die infolge ihrer Preise 
lediglich den oberen Zehntausend 
zugänglich seien. Was unser Volk 
brauche, wäre eine echte Volks- 
kunst: einfache, praktische, ge- 
schmackvolle und doch billige 
Dinge ohne alle Prätention, heimat- 
lich — volkstümlich — national: 
kurz, so recht deutsch; und es 
wäre eine edlere Aufgabe für uns 
Künstler, diese soziale Aufgabe zu 
erfüllen, als so unserer Privatlaune 
zu fröhnen. Mein Freund M. hatte 
hierüber sogar eine Broschüre ge- 
schrieben und auf die wunder- 
vollen holsteinischen Bauernmöbel 
als Vorbilder hingewiesen, und oft 
sprachen wir miteinander darüber 
auf seinem Kanapee sitzend, vor 
uns einen ovalen Tisch mit Plüsch- 
decke und einer Blattpflanze darauf. 
Als er sich verheiratete, beschloss 
er, sein Esszimmer und seine gute 
Stube (die ist doch deutsch - 
national?) in Volkskunst herstellen 
zu lassen. So ging er mit einem 
einfachen soliden Schreiner aus der 
Nachbarschaft ans Werk. Wie die 



ersten Stücke kamen, war er starr 
über deren ordinäres Aussehen. 
Er konnte es gar nicht begreifen; 
er hatte doch so schöne Photo- 
graphien holsteinischer Möbel her- 
gegeben ! Vier Monate wurde pro- 
biert, ehe es einigermassen besser 
wurde. Das Esszimmer kostete 
ihm 985 Mark. Er erfuhr aber 
noch obendrein, dass der Schreiner 
zu seiner, M's. Frau gesagt habe, 
etwas feines wär's nicht, was sich 
der Herr Oberlehrer da ange- 
schafft habe und dass seine eigene 
Frau dem Schreiner nicht wider- 
sprochen habe. Da verzichtete er 
auf die gute Stube in Volkskunst. 
Seitdem ist er sehr still geworden. 
In der That, was ist Volkskunst? 
Kunst, vom Volke gemacht, also 
von Schreinern, Schlossern oder 
von den Fabriken, oder Kunst 
für das Volk gemacht, also für 
den Bürger, Beamten, Kaufmann? 
Oder für die besser Situirten? 
Oder für die Reichen? Was ist 
Volk, wer ist das Volk? Was 
thut denn der Schreiner, wenn er 
einen Auftrag erhält? Er holt 
seine Vorlagenwerke und seine 
Musterbücher hervor und entwirft 
etwas, das seiner Firma „Ehre^^ 
macht. Brauchen wir ein Bild 
dessen herauf zu beschwören, was 



Dekorative Kunst. V. 3. Dezember T90X. 



81 



II 



-^•^D- LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-.7- 



HAUS LANGE, TOBENGEN 



dabei heraus kommt? Oder umgekehrt. 
Lassen wir die vortreßliche Frau Kommis- 
sionsrat X. in ein Möbelgeschäft eintreten. 
Wissen wir nicht alle, was sie da kaufen wird? 
Vor zwei Jahren schrieb die Firma F. eine 
Konkurrenz aus für ein Wohnzimmer für die 
minder bemittelten Klassen. Die Jury ent- 
schied sich nach heissem Kampfe für den 
Entwurf des Künstlers Riemerschmid. Dieses 
Zimmer gehört noch jetzt zu dem Besten und 
tadellos Wahrsten und Geschmackvollsten, was 
an gesund-praktischen Möbeln bis jetzt ge- 
macht wurde. Der Verkaufspreis wurde zu 
340 Mark angesetzt, um den einfachen Mann 
zu animieren. Als wir das letzte Mal davon 
hörten, war es einmal verkauft worden. Dem 
einfachen Manne war es zu einfach, dem 
Gebildeten nicht minder. Seitdem macht die 



Firma wieder gangbare Ware. Nur so kann 
sie sich halten. Zum Ueberflusse sorgen 
auch noch die Herren Arbeiter durch ihre 
Lohnansprüche dafür, dass eine gute und 
doch billige Sache ein holder Traum bleibt. 
Noch will das Volk gar keine einfache, 
gesunde Volkskunst, ebensowenig wie es 
Bedürfnis nach Hygiene hatte. Das Volk 
will etwas, das nach was aussieht. Und wie 
die Welt vielleicht dereinst den Chinesen 
gehören wird, weil sie sich so stark ver- 
mehren, so wird die Firma siegen, die dem 
Volke in grösster Menge und zu den billigsten 
Preisen das giebt, wonach es giert. 

So glaubst du nicht an Volkskunst? 

Doch, wir müssen uns nur darüber 
einigen, was wir darunter verstehen wollen. 
Verlassen wir zu diesem Zwecke diese 



^^■^> BERNHARD PANKOK <^^^ 



TREPPE « HAUS LANGE 

traurigen wirtschaftlichen Fragen und suchen ist, der so spielt. Es glebt sich ganz von 
wir die Lösung anderswo. selbst. Wenn wir Töpfereien der Azteken, 
■Wenn wir einen Jungen auf dem Dorfe der Urgermanen und der Neger neben- 
an! Bache sehen, wie er sich eine kleine einander stellen und die Ornamente weg- 
Mühle aus Brettern macht, so sehen wir, nehmen, so sind sie oft nicht voneinander 
dass fast genau dasselbe daraus wird, ob es zu unterscheiden. Es giebt sich die Form 
ein kleiner Norweger, Sachse oder Sicilianer durch Drehen, Kneifen etc. von selbst. 



-a-^> LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-c- 



Wenn wir das Bild einer Tiroler Sennhütte 
neben das eines Blockhauses der waldbe- 
wohnenden Kirgisen halten, so ist die 
Uebereinsiimmung verblüfTend. Dieselben 
Materialien im selben Klima zu denselben 
Bedürfnissen gebracht, ergeben von selbst 
ähnliches. Das Handwerkliche ergiebt sich 
überhaupt von selbst. Und in diesem Hand- 



fässes <ein Begriff, auf den wir später zurück* 
kommen) hier dürftig zum Ausdrucke bringen. 
Im allgemeinen aber sind fast alle Völker hand- 
werklich-künstlerisch begabt gewesen und sind 
es geblieben, bis Fremde Einflüsse erschienen 
und sie verwirrten. In unsere ethnographische 
Museen muss man gehen, wenn man die 
Anfänge aller Kunst auf Erden erkennen 



HAUS LANGE, TOBINGEN 



werklichen steckt schon, tritt schon hervor, 
wird schon unbewusst sichtbar das Künstle- 
rische, je nach der Höhe der Organisation 
jeder Rasse und der Lust, mit der sie das 
Werk der Hand betreibt. Es giebt auch 
Völkerschaften, deren Töpfe unkönsilerisch 
sind, d. h. deren Proportionen und Süssere 
Formen und Konturen das Leben des Ge- 



will. Handwerk (Werk der Hand), Struktur 
(Gefüge und Ausdruck des Zweckes und des 
inneren Lebens des Gefüges), Ornament 
(Belebung, Steigerung dieses Lebens), das 
alles, dieses indirekte Leben, war oft in un- 
glaublicher Schönheit vorhanden, ehe es so- 
genannte freie Kunst gab, d. h. direkte Dar- 
stellung des Lebens als Selbstzweck. Das 



-;i-^> BERNHARD PANKOK -<^^-^ 



ALTANE « HAUS LANGE 



ist die dem Menschengeschlechte immanente 
Kunstnotwendigkeit, die immer da war und 
wieder von neuem kreativ einsetzen würde, 
wenn eine neue Sintflut auch jegliche Er- 
ianerung an DOrer oder Rubens weg- 
spülen würde. Dies ist der Anfang der 
wahren Volkskunst überall gewesen, und 
auch der Kölner Dom ist in letzter Instanz 
nur auf diese Uranßfnge zurückzuführen. 
Das könnte auch der Anfang einer neuen 
frischen Volkskunst bei jedem in die Irre ge- 
gangenen Volke werden, wenn unsere Lehrer 
zu dieser tiefsten aller Erkenntnisse gelangen 
könnten. Nicht indem sie das Kind nun Gegen- 
stände aus volkstümlichen Gräberfunden ab- 
zeichnen Hessen, statt einer dekadenten Ro- 
kokovase, sondern indem sie jedem Kinde 
die Möglichkeit gäben, das freudige Spiel 
des Handwerks wieder von selbst zu ent- 
decken. Ueberall sehen wir dann weiter 
dasselbe Schauspiel sich entfalten, ob bei 
den Griechen, den Arabern oder bei der 
Gotik ; allmählich kommen zu den blos 
handwerklich-künstlerischen Bedürfnissen alle 
übrigen Kulturfaktoren hi'nzu, um eine solche 
Volkskunst zu steigern zu einem unendlich 
reichen Gebilde, wo Poesie, Religion, Ge- 



BRUNNEN ■ HAUS LANCE 



-^^-^y LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-^ 



fiihls- Associationen ftlier Art mit dem höch- 
sten Luxus und der höchsten Macht zu 
einem unlöslichen Ganzen verschmelzen, 
so dass schliesslich jedes Volk vom andern 
ginzlicb verschieden geworden ist, um 
schliesslich an seiner eigenen Hypertrophie 
oder an plötzlichen äusseren Einflüssen zu 
Grunde zu gehn. Dort war die Kunst 
lange wahre und homogene Volkskunst 
geblieben, denn es war gar nichts 
anderes vorhanden, nach dem es 
hätte aussehen können, i^it einem 
anderen Worte gesagt: Es konnte nicht ordinär 
modern werden. Und das führt uns zu dem 
zurück, was uns vorhin beschäftigte. Wir 
finden jetzt, dass der Begriff der wah- 
ren Volkskunst gar nichts damit zu 
thun hat, ob das Hergestellte billig 
oder teuer ist, ob es für den kleinen 
Mann oder fUr den Fürsten gearbeitet ist, 
sondern dass allein entscheidend ist, ob 
es den Geist dessen atmet, was das Volk 
in den Zeiten, wo es am persönlichsten, 



eigenartigsten und unbewussiesten pulsierte, 
auf allen Gebieten des Handwerks, des öffent- 
lichen Lebens, der Gesittung, der Kunst, der 
Religion, der Poesie, der Stimmung über- 
haupt, schöpferisch ausstrahlte. Das wäre 
dann die echteste Volkskunst, das wäre der 
Geist, den wir am meisten lieb gewinnen 
könnten. 

Nun wird man uns entgegnen, dass diese 
Auffassung doch sehr weit verbreitet sei, und 
dass unser neuer Städtebau schon recht an- 
sehnliche Proben wahrer deutscher Volkskunst 
aufzuweisen habe. Allerdings, die jüngste 
Schule unserer Architekten geht wieder zurück 
auf die naivsten Formen städtischer, ja sogir 
ländlicher deutscher Bauten des frühen Mittel- 
alters, die so primitiv und klar sind, dass fast 
nichts daran zu verderben ist, und kopieren 
und variieren sie. Es ist fraglos, dass diese 
ganzen Bemühungen einen hohen kunst- 
sanitären Wert in sich tragen, und sie sind 
freudig zu begrQssen; allein es haftet ihnen 
immer noch der Geist des bewussten, ab- 



THORE.HAUS LANCE 



^r-^D- LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^W- 



SPEICHERDIELE • HAUS LANGE • DIE INNENEENSICHTUNG AUSGEF. VON DEN VEREIN. WERKSTATTEN, mOnCKEN 



sichtlichen, verstandesmässigen Naiv-sein- 
wollens an. Es ist doch nur Kultur-Volks- 
kunst. Eine Stufe hoher ist schon van de 
Veldbzu setzen, der von allen zuerst be wusst 
zurückging auf die Urelemenie der gesunden 
Holzkonstruktion, wie sie im Schifl^bau noch 
heute wie in uralten Zeiten gültig sind. Nicht 
die Schiff^konstruktion ahmte er in seinen 
Möbeln nach, sondern er wendete das uralte 
gesunde, handwerklich-struktive Prinzip ziel- 
bewusst auf die Kunst des Mobiliars an. In 
diesem Sinne, als Konstrukteur, (wenn auch 
nicht als Omameniiker) ist er thalsächlich 
als ein wahrer Volkskünstler zu nennen, dessen 
Lehre, wo sie überhaupt verstanden 
wird, gar nicht anders als heilsam wirken 
kann. Aber gerade dieses Element des Be- 
wussten und Verstandesmässigen ist es, welches, 
wenn es Anfang und Ende des künstlerischen 
Schaffens zugleich beeinflusst, das eigentliche 
Aufblühen dessen verhindern muss und ver- 
hindern wird, was wir schöpferische Natur- 
Volkskunst nennen möchten, und dessen 
stärkster Vertreter Bernhard Pankok ist. 
Pankok stellt psychisch und rassig die aus- 
scHLAPZiMMER « HAUS LANGE gcsprochenstc Antipode zu van de Velde 



^T-^> BERNHARD PANKOK <^^ 



dar, und sie können gar nicht anders wie 
Feuer und Wasser aufeinander wirken. 
Pankok fing gleich an als der Typus des 
unbewussten , phantasie vollen , unbeschreib- 
lich reichen dionysischen Träumers. Er war 
schon als Knabe der konstruictive und orna- 
mentale Poet, als den wir ihn jetzt kennen, 
und wir gebrauchen dieses Wort mit Bewusst- 
sein als das bezeichnendste, trotzdem wir 
wissen, dass bei den „Gestrengen des M6tiers", 
eine solche Idee als eine Monstrosität gelten 
muss. Dieser Sohn der roten Erde (er ist 
Anfang der siebziger Jahre als Sohn eines 
Schreiners in Münster in Westfalen geboren) 
hat Jahre des fast sagenhaften Elendes durch- 
gemacht, ehe er bei der „Jugend" durch seine 
Vignetten etwas verdiente. Vorher war er aus 
der Schreinerwerkstatt zu einem Steinmetzen 
gekommen, von da zu einem Dekorations- 
maler. Dann geriet er nach Berlin, wo er 
weder damals hingehörte, noch jemals hin- 
gehören wird. Bis er nach München kam, 
war er mehr als Landschafter thätig ge- 
wesen. Erst hier wurden Zimmermann und 
Berlepsch auf seine Radierungen aufmerksam 



und die fugend" (im Jahre 1896) auf seine 
ornamentalen Einfälle. Da er, seitdem er 
sich dem Kunsthandwerk gewidmet hat, ver- 
hältnismässig sehr selten zum Malen ge- 
kommen ist, so dürfte es sich erübrigen, 
darauf näher einzugehen. Die Zukunft wird 
wohl auch hierin eine weitere Entwicklung 
bringen. Erst im Jahre 1897 veranlasste ihn 
Direktor KrOger, der Gründer der Ver- 
einigten Werkstätten, sich zielbewusster dem 
Kunsthandwerk zu widmen. Mit einer Art 
von Divination erkannte er in den phantasti- 
schen Skizzen des jungen Künstlers unge- 
ahnte kunsthandwerkliche Möglichkeiten. Man 
vergegenwärtige sich die Situation in Deutsch- 
land im Jahre 1897, um zu ermessen, welche 
spekulative Kühnheit dazu gehörte, so ge- 
wissermassen ins Blaue hineinzusleuern. Man 
erinnere sich an manche der ersten Skizzen 
Pankok's mit . ihrem Taumel von zackig- 
bacchantischen Einfällen, um zu begreifen, 
welche Verdienste Direktor KrOoer zuge* 
sprochen werden müssen, dass er ihn un- 
entwegt und unbeirrt förderte. Es fiel ihm 
so unglaublich viel ein, dass er selber, um 



Q TREPPE • HAUS LANGE 



LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-c- 



SCHLAFZIMMER UND WASCHTISCH • HAUS LANCE 



das populäre Wort zu gebrauchen, kaum nach- 
kommen konnte, geschweige denn der Zu- 
schauer. Und nicht immer war es direkt 
verwertbar, ebensowenig wie das Unzählige, 
was einem Komponisten wie Brakms einfiel, 
mit dem wir oft versucht werden, ihn in 
seiner jetzigen Reife zu vergleichen, direkt 
verwertbarwar. Seine Erßndungsgabe schäumte 
Förmlich, um wiederum einen volkstümlichen 
Ausdruck zu gebrauchen. Dieses Schäumen 
verdross natürlich den Philister und ver- 
driesst ihn noch heute. Wagner und Schill-ER 
verdrossen aber die Philister ebenfalls sehr, 
sind aber doch sehr ausgereifte Künstler ge- 
worden. So auch hat sich vieles geklärt in 
dem Schaffen Pankok's, ohne dass dieses 
Klären auf die jetzt so moderne ,,Ruhe des 
nicht mehr Könnens" zurückzuführen wäre. 
Immer wieder werden wir zu dem Vergleiche 
dieses ornamentalen und struktiven Künstlers 
mit den Musikern und Poeten getrieben. Ver- 
stehen wird aber diesen Vergleich nur, 
wer unsere vorahnende Ueberzeugung (eilen 
kann, dass neue Kräfte der Phantasie in 
unserem Volke im Anzüge sind, die viel- 
leicht berufen sind, die hypertroph isirte musi- 



-^r-^D- BERNHARD PANKOK <^^^ 



SOFA AUS DEM DAMENZIMMER • DRESDEN 1901 



CREDENZ • AUSGEFOHRT VON DEN VEREINIGTEN WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN (Ges. Gesch.i 



^r-^> LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-t!- 



kaiische Aera abzulösen , Kräfte, deren 
letzte Quellen dieselben sein werden wie 
die der Musik in der deutschen Seele, 
deren Aeusserungsgebiet aber ein anderes 
sein wird, eines, das seit Jahrhunderten nicht 
mehr quoll und sprudelte. Wie in einetn 
Forste, wenn man fünfzigjährige Bäume nieder- 
schlägt, oft auf der Rodung eine üppige Flora 



wie von dem, der das urdeutsch-wuchtig-um- 
fassende Dach des Hauses Lange in Tübingen 
entwarf? Sollte das nicht zur Vorsicht mahnen, 
ehe man, wie das einer der eifrigsten Vor- 
kämpfer VAN DE Velde's (hat, diesen Mann 
für aberwitzig erklärt? Wie tief müssen wir 
diesen feinsinnigen Kenner bedauern, dass er 
in der rassig-prickelnden Anmut solcher Vig- 



BUFFBT • AUSGEFÜHRT VON DEN VERErNlGTEN TERKSTiTTEN, MÖNCHEN <GES. CE5CH ) 



prangend sich entteltel, geboren aus den 
Keimen, die so lange im Boden schlummerten, 
so erscheint auch plötzlich ein romantischer 
Anachronismus wie Pankok auf der Rodung 
der gefällten Stilbäume unserer Schulen, 
eine Anabiose der Volksseele. 

Es ist sehr schwer, zu einem Urteile über 
Pankok zu gelangen. Wer würde glauben, 
dass das überzierliche Sofa aus dem eben- 
falls überzierlichen Damenzimmer in Dresden 
1901 von demselben Manne entworfen sei 



netten und Tapeten, wie wir sie auf Seite 95, 99 
u. 100 bringen, nur , bessere Brandmalereien' 
sehen konnte? In der unerschöpflich sprudeln- 
den Eründungsgabe, die wir in dem Kataloge 
der Weltausstellung zu Paris kennen lernten, 
und die an die krause Ueppigkeit der Einfalle 
Jean-Paul's erinnert oder an die unerschöpf- 
liche Fähigkeit Bach's, immer neue Fugen- 
themen und Gegenbewegungen zu erfinden, 
tritt uns auch eine der hauptsächlichsten und 
denkwürdigsten Begabungen Pankok's ent- 



-^-:^> BERNHARD PANKOK <^^ 



gegen, nlmlich die Begabung für die „Raum- und Neurbuther wieder floss, um dann vom 
Umgrenzung* für die bewegte Umrahmung Sande unserer Kunstgewerbeschulen erstickt 
einer Fläche. Kommt da nicht die ganze zu werden? Ist nicht auch im Pariser Zimmer 
fröhliche Lust der Mönche am Illuminieren, der Weltausstellung, dieser ur-wüchsig deut- 
die ganze Phantastik des Mittelalters, der Rand- sehen und doch total missverstandenen Rauch- 
leisten Dürers und des lebenslustigen Rokokos und Trinkkabine, dieselbe merkwürdige Misch- 
wieder zum Vorschein? Platzt hier nicht ung vom Geiste der Wikingerschiffe und des 
eine längst verschüttete urdeutsche Quelle krausgewundenen Rokoko zu spüren? Wo 
hervor, die nur kurz einmal unter Schvind nimmt der Künstler solche Räume her? 



^r.^> LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^^ 



Ahnt das Publikum nur überhaupt, dass 
solche Räume erträumt, nicht auf Bestellung 
„gemacht" sein wollen? In der That, es ahnt 
es Fast niemand. Und wenn es einer wüsste, 
so würde er es misbilligen. «Zimmer hat 
man nicht zu erträumen , sondern sauber 



AUS DEM DAMENZIMMER 



auf dem Reissbrett zu zeichnen nach den 
Wünschen des Bestellers'. Ganz recht. Nur 
müssen eben erst Besteller da sein, nach 
denen man sich richten kann. Und das 
ist der wunde Punkt und die eigentliche 
Erklärung für viele der oft unbegreiflichen 
Merkwürdigkeiten Pankok's. Jahrelang 
erhielt Pankok überhaupt keine Be- 
stellungen, und alles, was man von ihm 
sah, verdankte seinen Ursprung nur der 
Initiative Direktor KrOgers, der ihm 
bei Ausstellungen und ähnlichen Ge- 
legenheiten mit Absicht vollkommen freie 
Hand liess. So entwarf denn der junge 
Künstler, den sein bisheriges Leben mit 
den Bedürfnissen und Lebensgewohn- 
heiten der Wohlhabenden in gar keine 
Fühlung gebracht hatte, total unbewusst 
seine Phantasiezimmer für Gestalten, die 
es in der wirklichen Welt gar nicht giebt. 
Das schwarze Sclilafzimmer auf der 
Dresdener Ausstellung 1898 war das 
Lager eines düsteren , romantischen 
Märchenkönigs, und das Damenzimmer 
auf der Dresdener Ausstellung 1901 war 
das Zimmer einer ätherischen und doch 
wieder harten weiblichen Traumgestalt. 
Als moderne Zimmer unbequem und 
ohne Ahnung von Komfort, waren sie 
doch als Träume einzig. Wie viel mag 
er davon in alten Klöstern, im Wald 
und Gebirge ersonnen haben? So trat 
denn das höchst eigenartige Phänomen 
zu Tage, dass dieser Bauernsohn aus 
der Tiefe seiner unbewussten, fast mysti- 
schen Volksträume heraus höchste Pracht 
entfaltete, während um dieselbe Zeit sich 
in derselben Stadt steinreiche junge De- 
kadenten in keuschem Puristenstil ein- 
richteten. Wer aber wusste das? Und 
so nahm denn der Bürger Aergemis 
daran. Und als später Bestellungen ein- 
trafen, da entstanden neue Aergemisse 
daraus, dass die meisten unserer soge- 
nannten Gebildeten gänzlich unfähig sind, 
sich aus Zeichnungen ein Bild des 
fertigen Möbels zu machen , fernerhin 
meistens überhaupt nicht wissen, was 
sie wollen, und wie sie es haben wollen, 
so dass es für sie bequem werde. Sie 
verlangen, dass der Künstler alles wissen 
oder erraten soll, woraus dann die merk- 
würdigsten Mischprodukteentstehen. Nicht 
jeder hat den Mut und die Besonnenheit, 
den Glauben und den prüfenden Blick, 
wie ihn Conrad Lange in Tübingen als 
erster Bauherr Pankok's in deutschen 
DRESDEN 1901 Landen gezeigt hat. 



-ü-.^> BERNHARD PANKOK <^-^ 



TEPPICH AUS DEM PARISER ZIMMER II 



Wir kennen nun manche, die Pankok eine 
gewisse ornamentale Phantasie nicht ab- 
sprechen , die ihn aber als konstruktiven 
Künstler schroff ablehnen. Das sind solche, 
die auf dem Gebiete der Konstruktion Puristen 
sind, Puristen des technischen „Gefüges". 
Diesen ist es durchaus gestattet, ihn abzu- 
lehnen. Aber dass ein Hauptvertreter des 
Münchener Neu-Barocks bei Anblick des 
Pariser Zimmers Pankok's ausrufen konnte: 
ScheussMch, einfach krankhaft! das ist köstlich. 

Ein Gotiker war diesen Sommer nicht 
minder entsetzt über einen Stuhl Pankok's, 
Als wir ihn darauf aufmerksam machten, wie 
sehr man doch an gotischen Kirchen die 
Elastizität und Kraft bewundere, mit welcher 



der Druck der Mauern der Kirche von den 
Strebebögen und den Strebepfeilern aufge- 
fangen werde, und dass hier im Stuhle das- 
selbe Spiel der Kräfte sichtbar wäre, meinte 
er ärgerlich, das wäre doch hier etwas ganz 
anderes. Versuche man einmal streng logisch 
konstruktiv zu denken, seien wir Puristen! 
Venn wir einen Puristentisch konstruieren 
wollen, so nehmen wir eine rechteckige Tisch- 
platte her, setzen sie auf vier streng gerade 
Tischbeine, verbinden diese mit den nötigen 
streng schreinermässig gefügten Leisten und 
der logische Puristentisch ist Fertig. Gebogen 
oder ausgeschnitten darf die Tischplatte 
nur sein, wenn dies sich aus einem prak- 
tischen Bedürfnisse, wie z. B. bei einem 



©• LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST? <^-c- 



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Schreibtische ergibt. Alles übrige ist Unfug. 
Ist das nun Kunst des Mobiliars, oder ist 
das gar Volkskunst? Durchaus nicht, und man 
könnte kaum einen grösseren kulturpsycho- 
logischen Fehler machen, als anzunehmen, 
das Künstlerische im Handwerke der Blüte- 
zeiten verdanke sein Vorhandensein den Not- 
wendigkeiten der Technik oder des Gebrauches. 
Man stelle sich breitbeinig hin, und man wird 
eine grössere Last sicherer tragen können, als 
wenn man mit geschlossenen Füssen aufrecht 
steht. Der gotische Tisch steht auch breit- 
beinig da, und es ist doch gar nicht nötig. 
Er trüge ebenso fest, wenn die vier Beine gerade 
stünden. Wenn man die Knie biegt, so kann 
man, elastisch in den Gelenken federnd, eine 
Last ganz anders spannkräftig heben, als wenn 
man steif steht. Der Rokokotisch steht auf 
gebogenen Beinen, und diese sind doch gar 
nicht nötig und überdies auch gar nicht federnd. 
Nötig ist also weder die gotische noch die 
Rokokotischkonstruktion; aber sie sind beide 
eminent künstlerisch, denn ihre Formenge- 
bungen leben und geben uns Lebensgefühle. 
Gewiss, sie täuschen uns vielleicht etwas 
vor, aber sie machen uns zugleich die funk- 
tionellen Kräfte des Lastens, des Stutzens, 
des Belastetwerdens, des Tragens, des Stem- 



mens, des Hebens in der Konstruktion des 
Tisches sichtbar. Sie machen indirekt das 
Leben der Kräfte sichtbar, sie sind künstle- 
risch, während der Puristentisch nichts sicht- 
bar macht, sondern bloss Tisch Ist. 

So ist auch der ganze Pankok unnötig 
vom Standpunkte des „Puristen des Holz- 
gefüges^^ aus und unkonstruktiv bis zum 
Exzess; vom Standpunkte des Ausdrucks- 
künstlers aber ist er der interessanteste^ ur- 
wüchsig-deutscheste Konstrukteur, den wjr 
augenblicklich haben, und leicht wäre der Nach- 
weis zu führen, an wie unzähligen Punkten sich 
Pankok hier mit der urältesten, derbsten 
deutschen Volkskunst berührt. Wir kennen 
Formen am Wagen- und SchiflPsbau, die ver- 
blüffend pankokisch sind, und doch können 
wir bezeugen, dass er sie keineswegs imitiert 
hat, sie oft gar nicht kennt. Sein Intellekt 
arbeitet nur fast atavistisch deutsch-handwerk- 
lich, speziell in Holz und Eisen. 

Seine Konstruktionen leben intensiv und 
gerade diese Intensität des »Ausdrückens* 
ist es wahrscheinlich, was den reservierten 
Konstruktionsnaturen auf die Nerven geht. 
Wo aber die Grenze Hegt, bis zu der man 
mit dem Ausdrucke gehen darf, ohne gerade 
durch die Hypertrophie des Ausdruckes wieder 




ZEICHNUNG ZU DEM PARISER ZIMMER 1900 



98 



^r-^> BERNHARD PANKOK <S^-c^ 



KLEIDERSCHRANK 

unkUnstlerisch zu werden, das dürfte bei ver< 
schiedenen Naturen verschieden sein. Pankok 
scheint uns die gefährliche Klippe umschifft 
zu haben. Nur hier und da, wie bei dem 
schmiedeeisernen Geländer des Hauses Lange, 
Seite S3, scheint uns sein Temperament 
wieder etwas heftig gezuckt zu haben. Und 
wie das Bedürfnis, sich mehr oder minder 
stark körperlich und geistig „auszudrücken", 
bei verschiedenen Menschen verschieden stark 
ausgeprägt ist, so ist auch der Ausdruck der 
inneren seelischen Kräfte bei verschiedenen 
Rassen verschieden. Ebensowenig wie der 
Engländer es in sich hat, solchen Reichtum an 
Gefühlsarten zu äussern, wie sie die deutsche 
Volksseele in ihrer unerhört vielgestaltigen 
Musik kundgegeben hat, ebensowenig neigt jene 
Rasse dazu, sich omamental und konstruktiv 
stark, heftig, bewegt, pbantasievoll zu äussern. 
In unserer Volksseele aber schlummern jene 
Spannkräfte stets, auch wenn sie nicht in 
der Musik sich äussern, und eine Zeichnung 
wie die erste Skizze von PAt«KOK zu dem 
Pariser Zimmer 1600 auf Seite 98 ist das 
leidenschaftlich- und romantisch-deutscheste, 



was wir auf diesem Gebiete kennen. Wenn 
jemandem ein so starkes indirektes Leben 
im Zimmer nicht behagt, so ist er durchaus 
berechtigt, es abzulehnen. Aber objektiv 
bleibt die Thatsache des intensiven und aus- 
schliesslich deutschen Lebens, der deutsche- 
sten Pracht in diesen Entwürfen bestehen. 
Wir sagen ausdrücklich, deutsche Pracht, 
weil uns das Wort Luxus gerade etwas zu 
bezeichnen scheint, was wir gern aus un- 
serem Volke beseitigt sehen möchten, als 
etwas ihm Fremdes. Doch wollen wir dieses 
Wort trotzdem nicht fallen lassen, weil es 
uns zu dem Anfange wieder zurück führt, 
von dem wir ausgegangen waren, und zu 
dem Schlüsse bringen wird, auf den es uns 
ankam. Wir haben zu zeigen versucht, was 
wir unter wahrer, ursprünglicher Volkskunst 
verstehen, und von welcher Gattung von 
Künstlern wir allein glauben, dass eine Neu- 
Geburt ausgehen kann, ohne deswegen be- 
haupten zu wollen, dass es stets die Eigen- 
art Pankok's sein muss, welche die Richtung 
anzugeben braucht. Wir hoffen im Gegen- 
teil, dass das nächste, urwüchsig-schöpferische 
Talent eine andere Note treffen wird. Die 
deutsche Volksseele ist dazu reich genug. 
Das aber möchten wir gerne bewiesen 
haben, dass wie es in der Musik auf die 
singende Volksseele in Franz Schubert 
ankommt, wenn wir von Volkskunst reden, 
und nicht auf Franz Abt und die Gesangs- 
vereine, so es auch in der angewandten Volks- 
kunst der Zukunft auf die schöpferischen 
Köpfe ankommen wird und nicht auf die 
zahlreichen rührigen Firmen. Dass die Aus- 
führung solcher Arbeiten zuerst nicht billig 
sein kann und Luxus sein wird, das erübrigt 
wohl von selbst. Es giebt aber keinen an- 
dern Weg zum Fortschritt, Durch Luxus 
hindurch zur Volkskunst, das wird das 
Losungswort sein. Bei seinem eigenen 
Heime fange jeder an, die Volkskunst 
wird dann von selbst kommen. 



VIGNETTE AUS: 
„DAS GOLDENE 
BUCH DES DEUT- 
SCHEN VOLKES 


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AN DER JAHR. 
HUNDERTWEN- 
DE" J.J.WEBER 
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DIE HANDARBETETS-VÄNNER <^^ 




VIGNETTE AUS: „DAS GOLDENE BUCH DES DEUTSCHEN VOLKES 
AN DER JAHRHUNDERTWENDE.** VERLAG: J. J. WEBER, LEIPZIG. 



DIE AUSSTELLUNG DER HANDARBETETS-VÄNNER 
VON STOCKHOLM IM BERLINER KUNSTGEWERBE-MUSEUM 



Nachdruck verboten 



Von Marie Luise Becker 



Die Stickereien und Bildgewebe des Vereins 
der Freunde der Handarbeit in Stockholm 
bilden heute eine interessante Ausstellung 
im Lichthofe des Berliner Kunstgewerbe- 
Museums, nachdem das seit Mai dieses Jahres 
im Berliner Bureau Sassnitz -Trelleberg, 
Unter den Linden 59, ständig stationierte 
Ausstellungs- und Verkaufsdepot bewiesen 
hatte, wie rege das Interesse weiter Kreise 
an dieser national -schwedischen Variation 
textilen Kunstgewerbes ist. Das starke 
Nationalgefühl, der intensiv nordische Typus, 
der sich auf allen Gebieten der Kunst und 
Litteratur in dem so fröhlich aufblühenden 
Lande bemerkbar macht, musste auch in 
erster Linie diesen Arbeiten Zeichnung und 
Charakter geben. Das Gefühl der erwachen- 
den Kraft schuf dem nationalen Gedanken 
Leben und freien Flug. Auf dem Boden 
materieller Fortschritte und geistiger Er- 
starkung blühten Wissenschaft, Litteratur 
und Kunst kräftig empor. Die Namen 
Nordenskjöld und Montelius sind welt- 
bekannt, die Litteratur fand einen vater- 
ländischen Ton unter den Zeichen Geyer's 
und Tegner's; die Skulptur hat Byström's 
und Molin's Siege zu verzeichnen, und die 
Malerei entwickelte sich durch Ringen und 
Kampf von dem akademischen Standpunkte 
der WiNGB und Malmström zu der modernen 
Höhe, an deren Spitze wir heute Carl 
Larsson und Zorn bewundern. Auch auf 
dem Gebiet des Kunstgewerbes ist die Ent- 
wicklung von schematischen Formen zu 



persönlichem und nationalem Leben und 
künstlerischer Bewertung nicht ausgeblieben. 

Der Entwicklung der textilen Kunst kam 
das Vorhandensein altnationaler Begabung 
und Kunstfertigkeit im Volke zu gute. Das 
alte Schweden, aus den verschiedenen ger- 
manischen Stämmen zusammengeschmolzen, 
besitzt noch heute scharf gezeichnete Dia- 
lekte in den einzelnen Landschaften, die auf 
die Stammesunterschiede der Goten, Schweden 
und Nordmannen zurückzuführen sind. So 
war auch die Hauskunst, so sind heute noch 
die Erzeugnisse des Hausfleisses wesentlich 
wechselnd in den einzelnen Gebieten und 
immer im nationalen Typus der Bewohner 
wurzelnd. 

Die Seele der Bewegung zur Hebung der 
Handarbeit — „in künstlerischem und vater- 
ländischem Sinne** — war die Schriftstellerin 
Sophie Freifrau v. Adlersparre, ihr zur 
Seite stand als künstlerische Ausführerin 
ihrer Ideen die Malerin Frau Winge. So 
bildete sich im Jahre 1874 der „Handarbetets- 
Vänner** in Stockholm, dem das heutige 
Schweden zum grossen Teil sein textiles 
Kunstgewerbe wie den ausgebildeten Sinn 
für das Praktische und Schöne im Rahmen 
des Hauses verdankt. Man rief die Gestalten 
der Volkspoesie zurück in ihr altes Heimat- 
gebiet, den Bilderteppich, und legte damit 
den Grund zur neuen Blüte. Denn unsere 
heutige Zeit liebt das Märchen wieder, wie es die 
Lyrik und den Tanz, die poetischen Lebens- 
äusserungen starker Völker, liebt. Und nichts 



100 



II 

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^r^D- DIE HANDARBETETS-VÄNNER <^ä-c- 



inniger Verwandtes giebt es als das Kunst- 
gewerbe und das Volkslied : beide dem 
Heimatboden entsprossen, beide vom Safte 
der Muttererde genährt. Und so konnte die 
schwedische Textilkunst nichts Glücklicheres 
thun, als zur Darstellung auF Jhi^n Entwürfen 
die lieben Heimatmoiive zu nehmen. 

Die in den verschiedenen Landschaften 
mehr oder weniger selbständig und eigen- 



artig entwickelte Begabung bot die verschie- 
densten Entwicklungsmöglichkeiten. So leben 
noch heute in Delsbo einige Bauernfrauen, 
die wirkliche Künstlerinnen in ihrer Art 
sind. Mit Bleistift und Papier immer ver- 
sehen, zeichnen sie, was ihnen an Blüten 
und Ranken gefällt, während der Landarbeit 
für ihre Stickereien. Die Arbeiten dieser 
originellen ländlichen, durchaus volkstüm- 
lichen Künstlerinnen sind von grosser naiver 
Schönheit. Im „Handarbetets-Vinner" sind 
sie als Originale geschätzt und vervieißltigt 
worden. So sind viele hundert Muster ge- 
wonnen und der reichen Sammlung der 
Händarbetels-Vänner einverleibt. Jedes ge- 
staltet sich unter den freischaffenden Künstler- 
händen der Bauernfrauen anders in Zeichnung 
und Stickerei, so dass jedes ein Unikum 
bleibt. Und hier liegt ja auch der Kern und 
der Wert der künstlerischen Handarbeit, dass 
die Stickerin und Weberin dichten und malen 
kann mit den weichen Mitteln textiler Kunst, 
und, sobald sie phantasiereich und individuell 
arbeitet, ein Zeugnis ihres Ichs wie der 
Lebensepoche, aus der sie emporgewachsen, 
giebt. Die Stickereien von Delsbo zeigen 
das Muster nur rechts, eine Eigentümlichkeit, 
wie sie im Orient und in Janina ähnliche 
Stichweisen, in farbiger Seide auf Leinen- 
tüchern ausgeführt, besitzen. 

Im südlichen Schoonen (Skäne) ist die 
Bildweberei besonders heimisch, und hier 
die nationale Kunst zu stützen, neu zu be- 
leben und weiterzupflegen, war die erste 
Arbeit der Handarbetets-Vänner. Bildschön 
in ihrer neuartigen Vermählung von Muster 



ALTSCHVEDISCHES HÄNGETUCH, ENTWORFEN VON MARIA ^ÖSTRÖM 

102 



-.-i^> SCHWEDISCHE HANDWIRKEREI 



ALTES WIRKMOTIV, DIE VER- AGNES BRANTING • ALT- 

KÜNDIGUNG DARSTELLEND« NATIONALES WIRKMOTIV 



WIRKEREI AUS DEN ATELIERS DER HANDARBETETS-VÄNNER NACH ALTEN 
VORBILDERN UNTER LEITUNG VON AGNES BRANTING AUSGEFÜHRT •• • 






^r4^> DIE HANDARBETETS-VANNER -Cöbu, 



ii 



IfI 



und Technik sind die heute dort gewirkten 
Teppiche. Teils nimmt man alte Muster, 
teils moderne künstlerisch« Motive, die 
altnationale Art in ziemlich feiner haute-IissC' 
Technik von den Bäuerinnen gewirkt werden. 
Larsson wie die Malerinnen Frau WesT' 
MANN, Maria SjöstrOm , Widbbbck und 
VXSTBERG und die feinsinnige Frau Scho- 
LANDER machen die Entwürfe für die mo' 
dernen Stickereien und Wirkarbeiten des 
Arbeitsbureaus. Sie lockten die Blüte aus 
Feld und Wald im echten, saftigen, färben- 
glühenden Charakter der nordischen Heimat 
in das Kunstgewerbe. Auch die durchaus 
modernen Kompositionen schwedischer Kunst- 
wirkereien Füssen auf altererbten Kenntnissen 
und verwerten die altererbten technischen 
Mittel, bleiben auch ganz in den symbolischen 
Farbensymphonien der alten Naiionalkunst, 
von der die Sage von Brynhild und Sigurd 
Fafnersbanes schon berichtet. Heimatkunst 
und Heimatweisen klingen hier zusammen. 
Die Poesien des Volkes und die frischen, 
reinen Farben des Heimatwaldes tönen in 
ihnen aus und verschmelzen mit den Motiven, 



welche die zackigen Bergriesen, die See und 
der farbenprächtige Horizont, wie die Blüten der 
saftigen Wiesen und die blauduftenden Nadel- 
wälder ihnen geben. Wie alte Gotenteppiche 
scheinen auch die modernen Kompositionen 
eine Apotheose des nordischen Waldes. Näher 
als Fremdgeborene Muster steht damit auch 
die einfachste Textilkunst dem Volke in Fest- 
saal und Haus. Wie das Märchen eine Dich- 
tung im Volkston, eine Verkörperung der 
Ideale eines Volkes ist, so ist das nordische 
Bildgewebe heute das geworden, was es einst 
gewesen: eine Bilderreihe, die das Volk ge- 
geben, in der es, schlicht und einfach, seine 
Poesien und seine Ideale, seine Schönheitssehn- 
sucht verrät. Und dies ist auch der Charakter der 
schönen, farbenreichen Ausstellung des Stock- 
holmer Vereins in Berlin, — das Wieder- 
aufblühen einer vielgestaltigen, poesien- 
reichen Hauskunsl im national-schwedischen 
Schönheitstypus. Und einiges auch darunter, 
das nicht allein national-schön und -inter- 
essant, sondern von grosser, allgemein 
menschlicher Schönheit und aus reifer, 
künstlerischer Kraft geboren ist. 



i!i 




BENSON. LONDON 



BELEUCHTUNGSKORt>ER 



W'— 



BENSON's ELEKTRISCHE 
BELEUCHTUNGSKÖRPER 

Von H. MuTHESJUS, London 



Unter den Künstlern, deren Namen inner- 
halb der englischen Kunstbewegung be- 
kannt geworden sind, nimmt W. A. S. Benson 
eine besondere Stellung ein. Er hat sich 
eigentlich von Anbeginn von der „Arts and 
CraFts" -Gruppe dadurch unterschieden, dass 
er es unternahm, zu fabrizieren. Denn da- 
mit verneinte er einen der Grundsätze, die 
in jenem Lager hochgehalten werden, den 
der Handarbeit. Die MoRRis-Gruppe hält 
noch heule an dem RusKiN-MORRis'schen 
Lehrsatze der Handarbeit fest, einem Satze, 
dem man solange zustimmen wird, als es 
sich um das Hervorbringen individueller 
Kunstwerke handelt, die entsprechend be- 
zahlt werden. Dass solche Kunstwerke aber 
nie eine allgemein-wirtschaftliche Bedeutung 
erlangen können, liegt auf der Hand. Man 
wird einige reiche Liebhaber versorgen, 
aber den Boden des Volksbedarfes nicht be- 
rühren. Eine Volkskunst, d. h. eine Kunst 
für das Volk kann heute nur mit Hilfe 
der Fabrikation erzeugt werden. Und soviel 
auch mit diesem vielgebrauchten, nur zu 
häufig mit nebelhafter Romantik umwobenen 
Begriffe heute operiert wird, man wird nie 



zu einer klaren Lösung kommen, solange 
man über die heutige wirtschaftliche Lage 
hinweg, die uns nun einmal auf die Ma- 
schine hinweist, sein Heil in der Wieder- 
belebung der Arbeitsweise vergangener Zeiten 
sucht. 

Benson begann, nachdem er im Jahre 1880 
seine Lehrzeit als Architekt bei dem bekannten 
Gotiker Basil Ckampneys hinter sich hatte, 
sich dem Gewerbe zuzuwenden, und zeichnete 
zuerst Möbel für Morris; gleichzeitig ver- 
suchte er sich jedoch in der Lösung der 
bekanntlich schwierigen Aufgabe, eine gute 
Petroleumtischlampe herzustellen, und zwar 
herzustellen, nicht zu entwerfen. Denn auf 
dem Papiere die Formen für einen dem 
Zeichner vielleicht fernliegenden Werkstoff 
zu entwickeln, ist ein verkehrter Weg des 
künstlerischen Schaffens, zu dem leider die 
Lehrmethode unserer Kunstgewerbeschulen 
noch immer ermutigt. Die richtige, vollendete 
Form lässt sich nur im Werkstoff selbst 
bilden, er allein lehrt uns, wie wir ihn be- 
handeln sollen, so wie wir richtig reiten nur 
dann lernen, wenn wir uns selbst aufs Pferd 
setzen. Benson gründete zunächst eine kleine 



-^-^> W. A. S. BENSON, LONDON <^-^ 



Werkstätte, in welcher er seine ersten Muster 
entwickelte. Sie bewegten sich in derjenigen 
sachlichen und klaren Formensprache, die 
seinen Leistungen seitdem eigentümlich ge- 
blieben ist. Er näherte sich der ihm vor- 
liegenden Aufgabe eigentlich mehr vom Stand- 
punkte des Ingenieurs als vom formalen, und 
gerade dadurch schuf er neuzeitlich. Und 
das letztere um so mehr, als es sich für 
ihn darum handelte, nicht eine einmalig herzu- 
stellende, sondern eine zu fabrizierende Form 
zu schaffen. Mit so klaren Zielen und so 
sehr aus den Bedingungen unsrer Zeit ent- 
wickelten Gesichtspunkten mussten klare, ver- 
nünftige und gangbare Erzeugnisse entstehen, 
und in der That sind die BENSON'schen 
Lampen bis in die neuere Zeit die einzigen 
gewesen, auf die man zurückkommen musste, 
wenn man eine praktische und dem guten 
Geschmack entsprechende Lampe suchte. 
Der Erfolg blieb denn auch nicht aus, er 



brachte bald die Vergrösserung der Werk- 
stätten zu einer Fabrik mit sich, die sich 
jetzt in Chiswick bei Londen befindet, so- 
wie die Anlage ausgedehnter Schauräume in 
einer der vornehmsten Strassen Londons, 
New Bond Street. Ein Besuch der letzteren 
gehört für jeden, der das Kunstgewerbe Eng- 
lands kennen lernen will, zu den dankbarsten 
Unternehmungen. 

Es ist selbstverständlich, dass sich das 
Wirkungsfeld Bemson's, nachdem er seine 
ersten guten Lampenformeii entwickelt hatte, 
weiter ausdehnte und allmählich allerhand 
andere Metallgegenstände umfasste. Zu den 
von ihm fabrizierten Sachen gehören jetzt 
ausser Stand-, Hänge- und Wandlampen jeder 
Art auch Leuchter, Kronen, elektrische 
Beleuchtungskörper, Kannen, Theegeschirr, 
Feuergeräte und unzählige andere Melall- 
arbeiten. Bei allen überrascht eine ganz 
klare sachgemässe Gestaltung, nicht ohne 
dabei eine Menge neuer, oft genialer Ge- 
danken in Bezug auf die erhöhte Gebrauchs- 
fähigkeil, vereinfachte Herstellungsweise 
u. s. w. zu verraten. Die Gegenstände sind 
gerade aus diesem Sachlichkeitsgrunde immer 
erfreulich, und dass sie keine „Kunsi'preise 
tragen, sondern für diejenigen Marktpreise 



-v-^> LOUIS C. TIFFANY <^^^ 



ihrem Gebiete gewesen, die Formen sind 
der Herstellung im Grossen entsprechend, 
die Erscheinung jedes Gegenstandes ist im 
besten Sinne modern , die Sachen genügen 
dem besten Geschmack, und sie sind Tür er- 
schwingliche Preise zu haben. Wie heilsam 
wäre es, wenn ähnliches auf andern Ge- 
bieten, z. B. dem des Möbels versucht 
würde! Es ist etwas Schönes um das 
individuelle, das ,Künstler'''MöbeI, aber was 
wir brauchen, ist ein anständiges Möbel für 
den gemeinen Mann. Hier liegt noch ein 
weites Feld der Bethätigung auf fast allen 
Gebieten der Industrie offen. Es in der ge- 
schilderten Weise zu bearbeiten, wäre wahr- 
lich kein kleines Verdienst. Es 
würde „die künstlerische Frage" 
f 



KLAVIERLEUCKTER 



KRONLEUCHTER 



INTERIEURS VON L. C. TIFFANY 

Von A. W. Fred 



spältigkeit amerikanischer Kultur ausge- 
drückt. Die Art dieses Landes, nach ihren 
künstlerischen Thaten jeglicher Form be- 
urteilt, ist nämlich nicht so klar und einfach, 
wie die guten Europäer glauben, die das Ge- 
schäftige und Betriebsame der neuen Zivili- 
sation nicht mögen. Den üblen Eigenschaften, 
die aus dem raschen Wachstum eines natio- 
nalen Wohlstandes, den Kontrasten, die aus 
dem jähen Wechsel der Vermögensstände, 
dem Fehlen der Tradition entspringen, steht 
die Möglichkeit entgegen, in einzelnen Fällen 
den materiellen äusseren Wert gänzlich zu 
verachten, ebenso wie alle sozialen Beding- 
nisse im besonderen Falle nur des schranken- 



losen Individualismus willen über Bord zu 
werfen. So hat Parvenutum und Tradiiions- 
losigkeit in Uebermut und Unabhängigkeil 
von Morschem und Ueberlebtem sein Gegen- 
gewicht. Dass nun auch im Kunsthandwerk 
Amerika das Land der Kontraste ist, muss 
nicht erst gesagt werden. Das Land, das 
als hervortretendste Lilteraten den kleinen 
pfiffigen Wortwitzler Mark Tvain und den 
absolutesten Naturphilosophen und hochkünsl- 
lerischen Individualisten Henry Thorbau 
schuf, ein Land, das Walt WHiTMAN*sche 
Lieder neben der Hochkultur des hals- 
brecherischen Varifetfis hervorwachsen lässt, 
kann keine einheitliche Kunst haben. Ein selt- 
sames Spiel der Natur aber war es, in einer 



-;,-fe5> LOUIS C. TIFFANY <^^ 



LOUIS C. TIFPANY 



WOHNZIMMER 



Familie die grössten Gegensätze zu ver- 
einigen, die eine Epoche kunstgewerblicher 
Arbeit schaffen konnte; dazu kommt eben 
noch, dass hier in diesem Hause Tiffany zwei 
Generationen gegeneinanderstehen, schroff 
und ohne Brücke im Wesentlichsten ihrer 
Naturen, wie das Schicksal unserer Zeit 
zwischen Vätern und Söhnen eben ist. 

TiFFANY der Vater ist der Gründer und 
Künstler der für amerikanischen Schmuck, 
ebenso wie für das reichste amerikanische 
Kunsthandwerk massgebenden Tiffany-Com- 
pany. Bei ihm kauft die fünfte Avenue. Nach 
Vandbrbilt und Carnegie muss man seine 
Arbeiten messen. Wer im letzten Jahre in 
Paris war, erinnert sich der Gold- und Silber- 



Aufsätze, die durch Massigkeit und Gewicht 
wirkten, erinnert sich auch der Vitrinen, in 
denen die Edelsteinschätze aufgehäuft waren, 
und hat auch den Eindruck noch im Sinne, 
den der montierte Körperschmuck auf ihn 
machte. Der ist wahrhaft barbarisch gewesen. 
Eine Parallele, die mir beim ersten Sehen 
durch den Kopf ging, werde ich seit damals 
nicht los: für mich schöpft die Gleichstellung 
dieser Diamantbouquets und Brillantketten mit 
dem Geldschmuck der Fidji-Insulaner das 
Wesen solcher Körperzier vollständig aus. 
Wie diesen Wilden bedeutet für die Kunden 
der TilTany- Company Schmuck nur zuver- 
lässiges Symbol des Reichtums. Eine Weh 
trennt nun hier Vater und Sohn. Der junge 



^r^;Ö> LOUIS C. TIFFANY <S*-^ 



LOUIS C. TIFFANY 



BILLARDZIMMEK 



TiFFANY, dessen Glasfenster und Favrile- 
Vasen man seit Jahren bewundert, kennt das 
Motiv des Besitzes in seinen Werken als Mittel 
zur Wirkung nicht. Die Welt des schönen 
Scheins, wie man sonst die Renaissance- 
architektur nennt (auch Böcklin that es), 
könnte man gut auch seine farbigen Gläser 
nennen. Eine Vernichtung innerer Werte 
um der Schaffung einer dekorativen Pracht 
willen, dies ist der Sinn der Arbeiten des 
jungen Tipfany. Schöne Farben, schönes 
Licht, neue Reize fürs Auge — das sind 
seine Ziele. Nur der Wissende kennt die 
Werte dieser Schöpfungen, der Ungebildete 
und Unempfängliche geht am herrlichsten 
metallisch-schillernden Glase vorbei, als sei 
es aus dem Fünfzig- Pfennig- Ramschbazar. 
Und doch — auch Tiffany der Jüngere ist 
Vollblutamerikaner. Auch ihn reizt vor allem 
das Ungewöhnliche, das Grelle. Auch für 
ihn ist das Stimulans jeglicher Kunstbethäti- 
gung der Kampf mit dem Material, die Ueber- 
Windung technischerSchwierigkeiten. Deshalb 
freuen ihn selbst seine grossen Schalen, in 



denen er Metall mit Glas zu grossen Massen 
unkenntlich verschmilzt, am meisten. Deshalb 
hat er sich auch von den Favrile-Glasarbeiten 
ziemlich abgewendet, geht jetzt auf die Fin- 
dung der Kunst, Email auf Glas (also Glas 
auf Glas) zu setzen, los, und erreicht auch 
in der That schon hübsche Erfolge. 

Dass Tiffany der Jüngere Vollblutameri- 
kaner ist, zeigt ein Blick auf eine Reihe 
von Interieurs, die er geschaffen hat. Von 
amerikanischer Wohnungskunst wissen wir 
nicht allzuviel. Im grossen und ganzen herr- 
schen, soviel man hört, drüben die histori- 
schen französischen Stile. So ist auch in den 
TiFFANY'schen Interieurs ein Anklang ans 
Empire, fast könnte man sagen: an die 
Biedermaierei nicht zu verkennen. Man sehe 
sich die vielen Halb- und Vollsäulen an. 
Die Hauptwirkung all dieser Räume vom 
Billardzimmer bis zur Veranda entstammt 
dem massigen Holze. Dieser Stil, wenn es 
ein selbständiger ist, hat seine Ahnen in 
der Art, Blockhäuser zu bauen. Die Holzteile 
sind eckig, wie mit der Axt gehauen, schwer 



und Test ineinander gefügt; nur im nötigsten 
Falle — bei dem für amerikanische Beine un- 
entbehrlichen Wippingchair — und bei ein- 
zelnen Armlehnen ist eine volle Rundung in 
der Linie zu merken. Dagegen sind Metall- 
sachen, also vor allem die Beleuchtungskörper, 
rund gearbeitet, reich und mannigfaltig ver- 
glast. Auffallend ist an allen diesen Interieurs, 
wie viele Male die Formmolive wiederholt sind. 
Man betrachte daraufhin Speisezimmer und 
drawingroom. Am merkwürdigsten für euro- 
päische Augen ist vielleicht der Bau des 
Billardzimmers mit seiner Schichten form. 
Diese au fein and ergestapelten Holzlagen geben 
ein gutes Symbol amerikanischer, noch etwas 
urwlldlerischer Bauart ab. Und doch wird 
man all diesen Räumen nachrühmen können, 
dass sich in ihnen ein starker Sinn für Kom- 
fort äussert. Und die vielen Blumen, die durch 
die Zimmer verteilt sind, weisen angenehm 
auf poetische Bedürfnisse der Bewohner hin. 



VON GRIECHISCHER GEFASS- 
MALEREI 

Dr. Heinrick Bulle 

Die dekorative Kunst unserer Zeit hat 
sich zu ihrem Heile auf die Grund- 
bedingungen einer gesunden Existenz und 
Weiterentwicklung besonnen. Die alten Stile 
sind abgethan. Die Quellen für das neue 
Schaffen sollen sein: das praktische Bedürf- 
nis und die Anpassung frisch gesehener, frisch 
stilisierter Naturformen. 

Aber damit ist nicht ausgeschlossen, dass 
man immer noch von dem lernt, was früher 
war. Namentlich von den Griechen. Das sagen 
wir nicht aus einseitiger Vorliebe, sondern 
weil es historisch seinen tiefen Grund hat. 
Die Griechen sind das erste, und neben den 
Italienern der Renaissance und den Japanern 
das einzige Volk, das seine ganze Kultur 



116 



-;f-£^> GRIECHISCHE GEFASSMALEREI <^^ 



auf rein künstlerische Basis gestellt hat. Vor 
Italienern und Japanern aber haben sie noch 
das voraus, dass sie nicht wie jene von einer 
anderen überlegenen Kunst beeinflusst — 
wenn man will beirrt — wurden, und dass 
sie mit den Japanern verglichen in erster 
Linie Plastiker sind, also überall vor male- 
rischer Formlosigkeit bewahrt bleiben. 

Aber natürlich nicht, was die Griechen 
gemacht, soll Vorbild oder gar Vorlage sein. 
Das war der grosse Fehler des neunzehnten 
Jahrhunderts in seiner gedankenlosen Nach- 
ahmung aller grossen Stile. Sondern wie sie 
geschaffen haben, das allein ist lehrreich. 
Alles Kunstschaffen vollzieht steh ja nach 
gewissen inneren Gesetzen, die dem produk- 
tiven Künstler, falls er vom richtigen künstle- 
rischen Instinktgeleitet wird, getrost unbekannt 
bleiben können, die aber in einer so reflek- 
tierenden Zeit wie der unsrigen manchem 
Suchenden den richtigen Weg weisen können. 

Darum ist es verdienstvoll, das Griechen- 
tum unserer Kunstwelt näher zu bringen. 
Aber es muss unverfälschtes, unversQsstes 
Griechentum sein. Der Archäologe erschrickt 
oft, welche unrichtigen und schiefen Vor- 
stellungen bei Publikum und Künstlern ver- 
breitet sind, teils durch die Nachwirkung einer 
falschen Schulästhetik, welche die Griechen 
als abstrakte Idealmenschen ohne Blut und 
Individualität hinstellt, teils und noch mehr 
durch eine gewisse Sorte jetzt zum Glück 
seltener gewordener Bücher, die durch süss- 
liche Reproduktionen und willkürliche, für 
das moderne Auge .elegante" Rekonstruk- 
tionen und Veduten die Begriffe verfalschen. 

Wir lenken die Aufmerksamkeit auf ein 
im Erscheinen begriffenes Werk, das von 
einem der blühendsten und besterhallenen 
Zweige des griechischen Kunstgewerbes, der 
Gefässmalerei, zum erstenmale ausreichende 
Anschauung giebt.*) Aeltere Abbildungswerke 
griechischer Vasen giebt es in Unzahl. Aber 
weder Künstler noch Forscher hatten früher. 
das geschärfte Auge für feine Stilunterschiede, 
und die Mehrzahl der Abbildungen erscheint 
heute, neben das Original gehalten, wie Kari- 
katur. Hier aber hat sich ein Künstler ge- 
funden, der sich in jahrelanger selbstloser 
Hingebung in jede Feinheit der Linie ein- 
gelebt hat und mit meisterhafter Beherrschung 
der Mittel auch in Schwarz-Weiss die ein- 
fache, auf wenige Farbennuancen gestellte 
malerische Wirkung der Geisse herausbringt. 



*) A. FurtwXngler und K. Reichhold, 
Griechische Vasenmalerei. München, Verlags instalt 
Bruckmann 1900 fg. Lieferung 2. 



Die vortreffliche Lichtdrucktechnik thut das 
ihrige, dass von der Güte der Zeichnungen 
nichts verloren geht. Der Text rührt zum 
Teil von Reichhold selbst her, der sich im 
Laufe seiner Arbeit zum besten Kenner 
aller der schwierigen technischen Eigentüm- 
lichkeiten dieser Denkmälergattung entwickelt 
hat, in dem andern — historischen — Teil 
von einer ersten fachmännischen Autorität 
auf diesem Gebiet, Adolf Furtwängler. 
Die Publikation bringt nur künstlerisch be* 
deutende Stücke aus den verschiedenen Museen 
Europas, eine Auswahl des allerbesten, was 
in dieser Art erhalten ist. 

Zweierlei kann der moderne Künstler an 
griechischen Thongefässen sehen. Erstens, dass 
praktische Zweckerfüllung und absolute Schön- 
heit der Form zusammenfallen können, ja 
dass diese durch jene bestimmt, dass die 
Schönheit aus der Zweckmässigkeit entwickelt 
werden kann und muss. Zweitens dass der 
Gefässchmuck nichts äusserlich Heran- 
gebrachtes sein darf. Ist er reines Flächen- 
omament, so muss er sich aus der tektonischen 
Form des Gefösses entwickeln; ist er bildlich, 
so muss er sich ebenfalls dem konstruktiven 
Grundgedanken eines GeHsses mit geschlos- 
sener Gewandung soweit anschliessen, dass 



er nicht — für die Phantasie — Löcher in 
die Gefässwand schlägt. Der Gegenpol der 
griechischen Gefässe sind die Porzellan- 
vasen des Rokoko mit ihrem Mangel an prak- 
tischer Brauchbarkeit, mit ihren phantastisch 
spielenden Linien ohne jeden konstruktiven 
Grundgedanken, endlich mit ihren aufgemalten 
Landschaften, die ebensogut Tafelbilder sein 
könnten. 

Gewiss lassen sich künstlerische Wirkungen 
auch durch rein malerische Effekte, unbe- 
stimmte Farbenspiele, und phantastische Ge- 
fissformen erzielen; die japanisch-chinesische 
Keramik und manche neuesten Bestrebungen 
beweisen es. Aber es bleibt eine niedrigere, 
primitivere Art der Wirkung. Eine Weiter- 



entwicklung der Keramik auf gesunder Grund- 
lage wird immer nur mit Hilfe der klaren, 
konstruktiv gewachsenen Form möglich sein, 
und mit Dekorationssystemen, welche klare 
Naturformen verwenden. Pflanzen und Tier- 
Ornamente oder das wundervollste Naturge- 
bilde, die menschliche Gestalt. 

Die Griechen sind Meister darin, den 
menschlichen Körper ornamental und sogar 
konstruktiv zu verwerten, ohne dass der Be- 
wegungsfreiheit des Körpers der geringste 
Eintrag geschieht. Die Karyatiden des Ercch- 
theion wirken wie unerschütterlich feste SSulen 
und stehen doch so frei und anmutig da, als 
seien sie jeden Zwanges ledig. Auf den 
griechischen, namentlich den attischen Thon- 



GRIECHISCHE GEFÄSSMALEREI <^-^ 



geßssen ist die menschliche Gestalt das 
wichtigste Dekorationselement, oft das einzige. 
Auch hier bewegt sich jede einzelne Figur 
scheinbar völlig frei, und doch bleibt sie ganz 
in den strengen Gesetzen von rhythmischer 
Raumgliederung und Raumfüllung. 

Scheinbare völlige Freiheit des einzelnen 
Elementes, aber unfühlbar waltend eine höhere 
Gesetzmässigkeit, das ist das Geheimnis der 
harmonischen Wirkung der griechischen Kunst. 

Einige Proben, Verkleinerungen nach Tafeln 
des grossen Werkes, zeigen verschiedene 
Stufen der griechischen Gefässmalerei. Abb. 1 
ist das Innenbild einer Trinkschale des Meisters 
Exekias (Münchner Vasensammlung), von 
älterer Art, aus der Mitte des 8. Jahrhunderts 
V. Chr., in der sogenannten schwarzßgurigen 
Manier ausgeführt. Der Grund ist thonfarbig, 
die Darstellung ist in Silhouettenmanier in 
schwarzem Firnis aufgetragen. Eingeritzte 
Linien, sodann aufgesetzte weisse und violett- 
rote Deckfarbe geben die Innengliederung. 
Der Weingott Dionysos, ein Trinkhom in 
der Hand, segelt über Meer, um den Menschen 
seine Gabe zu bringen, den Weinstock, der 



im Schilf aufsprosst. Ringsum spielen Del- 
phine im Wasser. Die runden Formen dieser 
— recht primitiv gezeichneten — Fische, 
die grossen Kurven an Schiff und Raa, endlich 
die loseren runden Schwingungen an den 
Zweigen des Weinstocks geben ein rhythmisches 
Linienspiel von eigenartiger Geschlossenheit 
und doch freier Bewegung. 

Um 540 vor Christus etwa geschah ein 
epochemachender Fortschritt, indem man, 
statt die Figuren schwarz auf rot zu setzen, 
sie thongrundig liess, und statt dessen nun den 
Grund mit Schwarz deckte. Diese „rotßgurige" 
Manier hat den ungeheuren Vorzug, dass 
man die Innenzeichnung technisch unbehindert 
mit Pinsel und Stift herstellen kann. Ab- 
bildung 2 , eine begeisterte Mänade mit 
Thyrsos und Schlange, giebt eine Probe der 
älteren strengen Zeichenmanier, mit grossen 
Faltenlinien in konventioneller zickzackför- 
miger Endigung. Am Rehfell, dem Haar 
und dem Schlangenleib ist ein gelbbrauner 
Ton (verdünnter schwarzer Firnis) über den 
Thongrund gelegt. Abbildung 3 (Tityos, der 
sich an der Leto vergreifen will, wird von 



^,-^i> GRIECHISCHE GEFÄSSMALEREI -(^^^ 



ABSCHIEDSSCENE VON E 



R ATTISCHEN AMPHORA (MÖNCHEN) 



ihrem Sohn Apollon erschlagen) ist die 
Füllung eines Schaleninneren wie Abbildung 1. 
Hier liegt sicher die Komposition eines Monu- 
mentalgemäldes zu Grunde, aber dieses ist 
nicht einfach kopiert (wie es die modernen 
Porzellanmaler thun), sondern vereinfacht 
und der gegebenen Rundform angepasst. Der 
Stil ist noch etwas altertümlich streng, etwa 
um 460 vor Christus, die Bewegung der 
Frau noch ein wenig unfrei. 

Zu welcher Leichtigkeit und Freiheit man 
ein Menschenalter später gelangt war, zeigt 
Abbildung 4, ein Bruchstück von der Vase 
des Meidias (im British Museum zu London) 
aus der Zeit der Giebelskulpturen des Par- 
thenon, etwa 430 vor Christus, ein Stück von 
lebhaftester graziöser Bewegung, reizendstem 
Liniensptel der Gewänder und einer diskreten 
malerischen Wirkung, die durch reiche Einzel- 
heiten an Gewand und Haar und durch 
schwache Vergoldung plastisch erhöhter Teil- 
chen (Armbänder, Knöpfe des Gürtels) ge- 
hoben wird. 



Am klarsten lassen sich die Ziele der 
griechischen Vasenmaler an Abbildung 5 er- 
kennen. Um die Henkel des hohen schlanken 
Gefässes spielen leichte Palmettenomamente. 
Dazwischen ist die Hauptfläche mit vier 
grossen Figuren gefüllt. Einem jungen Krieger 
kredenzt die Gattin den Abschiedstrunk, 
Vater und Mutter stehen teilnehmend dabei, 
ein ausdrucksvolles Bild einfacher mensch- 
licher Empfindungen. Aber unbeschadet ihres 
innem Lebens sind diese hohen schlanken 
Gestalten mit den vielen senkrechten Linien 
eine wundervoll strenge und doch wieder 
belebte Raumgliederung, durch die der Haupt- 
accent der Geßssform, das schlanke Auf- 
streben, wiederholt und vervielfacht wird. 
Das Gefäss gehört in die ältere Zeit des 
Phidias, als er seine Athena Parthenos schuf, 
etwa 450 — 440 vor Christus; es atmet den 
Geist erhabener Einfachheit. 



( BruckmiOB, MDiicben. 



FOLLUNG in EICHENHOLZ GESCHNITZT VON P. A. 5CH0TZ, HOFMÖBELFABRIK, LEIPZFC 



BAUTEN VON PETER DYBWAD 

Von Fhitz Schumacher 



Das Einzelwohnhaus wird immer den Mass- 
stab dariir abgeben, inwieweit die Ge- 
schmackstendenzen einer Zeit fähig sind, dem 
allgemeinen Bedürfnis zu genügen. Die Frage 
ist nicht gleichgültig. In geistigen Dingen mag 
es wohl von keiner einschneidenden Bedeu- 
tung sein, ob sie auf das direkte Echo ihrer 
Zeit zugeschnitten sind, der Ton kann noch 
wiederklingen, wenn längst eine andere Genera- 
tion gekommen ist; derjenige aber, der in der 
angewandten Kunst schafft, kommt nur zu 
eigentlichem Leben, wenn seine Kunst auch 
wirklich angewandt wird und nicht nur 
Luxusartikel oder interessanter Ausstellungs- 
gegenstand bleibt. 

Ganz allgemein pflegt aber augenscheinlich 
die Notwendigkeit einen vollständigen Wohn- 
organismus im Sinne der neuen Bestrebungen 
auszugestalten, die auffallenden künstlerischen 
Züge, die in einzeln entstehenden Räumen 
sich noch ungehindert entwickeln, wesentlich 
abzudämpfen. Die Empfindung gewinnt die 
Oberhand, dass der Wert eines solchen 
Wohnorganismus weniger in der auffallenden 
Originalität der Einfälle, als in dem Reiz der 
Gesamtdispositionen, der intimen kleinen 
Effekte des praktischen Inäinandergreiftens all 
seiner Einzelheiten besteht. Das künstlerische 
Grundprinzip ist dabei je enger und detaillierter 
eine Anlage dem Bedürfnis angepasst ist, Ruhe 
und Geschlossenheit. 

Bei Patriz Huber's Arbeiten, bei Riembr- 
schmid's eigenem Heim, bei der Wohnung 
des „Insel" -Herausgebers konnte man das in 
allerletzter Zeit deutlich wahrnehmen; das 
sind Schöpfungen, die das Zeichen der Moder- 
nität nicht mehr wie einen Protesiruf vor 
sich hertragen, sondern deren Modernität 
innerlicher liegt, unsichtbarer — aber auch 
sicherer. 



Es ist immer eine besondere Freude solchen 
Männern zu begegnen, die nicht aus Protest, 
sondern sozusagen ganz von selber aus den 
Konsequenzen ihrer künstlerischen Ueber- 
zeugung , modern" arbeiten; sie machen 
weniger von sich reden, aber sie üben durch 
ihre unvermerkte reFormatorische Thätigkeit 
besonders wohlthuenden Einfluss aus. 

Peter Dvbwad ist ein solcher; er gehört 
nicht zu den Künstlern, bei denen das Neu- 
zeitliche sich äussert in deutlich ausgeprägten 
Merkmalen seiner Formenwelt, sondern wo 
der moderne Geist sich äussert in der ganzen 
lebendigen Auffassung einer Aufgabe und 
in ihrer reifen Durchbildung im Sinne der 
verfeinerten Bedürfnisse unserer Zeit und 
ohne Zuhilfenahme leerer stilistischer Rezepte. 

Dybwad erzielt dadurch eine Einheitlich- 
keit der Wirkung bis in die untergeordnetsten 
Räume hinein, die natürlich in den wenigen Ab- 
bildungen, die wir von zweien seiner Leipziger 
Villen geben, nicht entfernt so deutlich zum 
Ausdruck kommt, wie in der Wirklichkeit. 
Hier leitet uns der treffliche Grundriss un- 
vermerkt in den Charakter der Lebensge- 
wohnheiten des Besitzers hinein, und wir 
empfinden, wie die kunstgewerbliche Durch- 
bildung des Innern nirgends Selbstzweck wird, 





VILLA KARL MEYER, LEIPZIG • • 
VON ARCHITEKT PETER DYBWAD 



VILLA KARL MEYER, LEIPZIG «« 
VON ARCHITEKT PETER DYBWAD 




-5-^5> BAUTEN VON PETER DYBWAD <^£-^ 



VILLA KARL MEYER, LEIPZIG • SPEISEZIMMER 



VIA MIQUEL 

Von Karl Scheffler 



Dass die Kunst — im besonderen die 
angewandte — ein wichtiger sozialer 
Faktor ist, leugnet heute, nachdem Ruskin 
und Morris der modernen Welt gelebt haben, 
keiner mehr, für den das Unwägbare nur 
ein wenig Gewicht hat; desto seltsamer er- 
scheint es, dass diese sozial bereits organi- 
sierende KraFt nach keiner Richtung im 
parlamentarisch bewegten Leben unserer Tage 
politisch vertreten wird. Jedes kleinliche 
Berufs Interesse findet seinen Sprecher im 
Parlament oder in den Redaktionsstuben; 
aber das grosse ideale Interesse des ganzen 



Volkes, das tausend materielle erst in Be- 
wegung setzt, wird nirgends wahrgenommen. 
Alle Welt schöpft aus dem Brunnen der 
Kunst, jeder drängt sich, der erste zu sein 
und trübt mit rücksichtsloser Hast die klare 
Flut. Dem Staate ist das ideale Vermögen 
der Nation nur ein Reservefond, den er der 
steuerkräftigen Industrie zur beliebigen Be- 
nutzung fiberlässt; er hilft dieser sogar einen 
unerhörten Raubbau mit der bildenden Kraft 
des Volkes treiben. Die Künstler haben für 
eine Vertretung wohlverstandener Interessen 
scheinbar keinen Sinn, denn man hat noch 



-;r.^> VIA MIQUEL <^-T^ 



VILLA PETERSMANN, LErPZtG « SPEISEZIMMER 



nie gehört, dass Künstlerverbände einen ver- 
nünftigen Versuch zur Kunstpolitik gemacht 
hätten. Das Verhältnis der Berufspolitiker 
zu jeder Art von Kunstfragen ist bekanntlich 
hoffnungslos; man denke nur an die famose 
Gipsdebatte im Reichstag und an die Erleb- 
nisse Stuck's und Hildebrandt's. Hier ist 
noch nie ein armes Wort gesprochen worden, 
das auf den ursächlichen Zusammenhang von 
Industriealismus und Kunstbewegung hinge- 
wiesen hätte, das die Scheinerfolge der mit 
grossem Trara inaugurierten Exportpolitik 
einmal den Opfern gegenübergestellt hätte, 
die das Handwerk als sozialer Stand der 
Kunstindustric seit Jahrzehnten bringen muss, 
indem es seinen besten Nachwuchs in einem 
Zwischenstand korrumpieren sieht, der gleich 
weit von Handwerk, Industrie und Kunst ent- 



fernt ist. In der politischen Presse endlich 
muss man bis zum Brechreiz von den Pro- 
blemen des neuen Zolltarifs lesen, der uns 
doch sehr gleichgültig ist, während eine ent- 
scheidende Frage zukünftiger wirtschaftlicher 
Gestaltung mit keinem Worte berührt wird. 
Alle Berufskreise der angewandten Künste 
haben grosse Ursache, über Miquel's Tod zu 
trauern. Er war der einzige Staatsmann 
unserer Tage, der die Lage des Handwerks 
mit modernem Empfinden erfosst hat und 
ganz der Mann, sehr ernsthaft mit Impondera- 
bilien zu rechnen. Die Worte, die der Sieben- 
zigjährige einst zu Handwerkern gesprochen 
hat, beweisen ein Verständnis, wie nur ein 
so an historischer und wirtschaftlicher Er- 
fahrung Reicher es am grünen Tisch be- 
wahren konnte: 



.^r^5> BAUTEN VON PETER DYBWAD <^^ 



,Es gilt heute für den Handwerkerstand sich 
durch festen Zusammenschluss diejenigen Vor- 
teile, soweit möglich, anzueignen, welche dos 
Grosskapital und der Grossbetrieb vor ihm 
voraus haben. Tüchtige Vorbildung, gute Buch- 
führung, energisches Mitarbeiten des Meisters 
in der Werkstatt, billiger Kredit durch Kredit- 
genossenschaften, genossenschaftlicher Ein- 
kauf von Rohmaterialien, wo es möglich ist, 
genossenschaftlicher Verkauf, ja, soweit die 
Verhältnisse es gestatten, Bildung gemein- 
samer Werkstätten unter Benutzung von 
Dampfmaschinen und anderen Motoren, jeden- 
falls Verwendung in der eigenen Werkstatt — 
diese und ähnliche Mittel, welche die moderne 
Entwicklung darbietet, werden den Mittel- 
stand auch heute noch erhalten und stärken, 
wie dies die ländlichen Genossenschaften 
täglich zeigen. Die Zeit der Privilegien und 
Monopole ist vorbei 1 Die durch die Gesetz- 
gebung gegebenen Organisationsrahmen haben 
nur Wert, wenn sie durch Selbsthilfe und 
wirtschaftliche Energie ausgefüllt werden. 
Vorwärts, nicht rückwärts muss der Hand- 
werker blicken, dann wird sein Ringen auch 
mehr Verständnis finden, sein Wert für die 
heutige Gesellschaft wird besser erkannt und 



DETAILS AUS DEM SPEISE- UND HERRENZIMMER DER VILLA PETERSMANN, LEIPZIG 
128 



^r-^> VIA MIQUEL -<2^-T 



VILLA PETERSMANN, LEIPZIG ■ HERRENZIMMER 



sein Streben mehr als bisher auch von den 
übrigen Klassen der Bevölkerung unterstützt 
werden." 

Welch anderer von unsern Staatsmännern 
hätte klipp und klar ein Programm auf- 
stellen können, das von so modernem Geiste 
erfüllt ist? Und wo sollen wir erst den 
Politiker mit fruchtbaren Ideen suchen, wenn 
die Handwerkerfrage durch den künst- 
lerischen Einschlag noch unendlich kompli- 
ziert wird? Nicht einmal die professoralen 
Sozialökonomen wagen sich auf dieses Ge- 
biet; RusKiN ist noch immer ohne Nachfolge. 
Aber was ist Ruskin den Akademikern: ein 
Dichter! ein Künstler! Das will sagen: ein 
Phantast I Den Statistikern ist der mit sitt- 
lichen Kräften Rechnende nur lächerlich. 

Dabei geht die Entwicklung beängstigend 
schnell voran; die Kunst wird ein immer 
wichtigerer Faktor in den Kalkulationen der 
Industrien und der Künstler hat alle Ursache, 
darauf zu achten, dass seine Arbeit nicht 



von den Wirbeln der Exportspekulationen 
auf Gedeih und Verderb mitgerissen wird. 
Oder will er sich mit dem Bewusstsein seiner 
persönlichen Exklusivität beruhigen? Er ist 
auch für seine Nachahmer verantwortlich und 
für das ganze System, das seine gute Kunst 
zur industriellen Gelegenheitsware, zur flüch- 
tigen Anregung des Marktes erniedrigt. Der 
tüchtige Künstler fühlt den Schaden, der in 
der Massenausbildung schlechter Industrie- 
zeichner liegt, am ehesten und seine Stimme 
kann nicht ignoriert werden, weil er schon 
bewiesen hat, wie sehr die Nation auf sein 
Talent angewiesen ist. Nur er hat unsere 
Kunstindustrie dem Auslande gegenüber in 
jüngster Zeit konkurrenzfähig gemacht. 

Aber aus diesen Kreisen dringt kein Wort 
und die Lage wäre verzweifelt, wenn nicht 
der ehrlichen Kunst an sich schon eine ge- 
linde regelnde Kraft inne wohnte. Die 
Künstler ralTen sich im besten Fall zu einer 
Diskussion über Musterschutz auf, zu einem 



^r-^D- WIENER KUNSTGEWERBEVEREIN -C^ä-^ 



Protest — hinterher. Das aber wagt keiner 
konsequent zu denken: dass kein Musler- 
schutzgesetz gegen die Zeichnerhorden 
schützen kann, die vom Staat zur Nach- 
ahmung, also Uebertrctung eigens erzogen 
werden, denen der geistige Diebstahl das 
liebe Brot bedeutet. Diese alle sind der 
alleinseligmachenden Industrie geopfert, die 
nur fordert, um sofort alle Wünsche befrie- 
digt zu sehen. Es wird ihr viel zu leicht 
gemacht. Wenn sie beispielsweise den Wunsch 
hat, ein paar Millionen Petroleumlampen in 
Chinesenhütten aufzuhängen, so soll sie sich 
doch selbst Leute ausbilden, die ihr die 
Ramschware „künstlerisch"' einkleiden und 



wordenen Blick scheinen mag, und es wird 
eines Tages den Bankerott hervorrufen. 

Jetzt gerade wäre es Zeit, Miqubl's An- 
regung zu verfolgen, zu vervollständigen 
und der Kunst das Bestimmungsrecht lang- 
sam zu erobern , das ihrer sozialen Be- 
deutung entspricht. Was zu erstreben wäre, 
wie es geschehen müsste: das ist im ein- 
zelnen zu beraten; die Hauptsache ist die 
Organisation der Künstler zu dem doch 
wirklich nahe liegenden Zweck, die eigeneti 
Interessen zu schützen. Es ist ni5tig, dass 
einmal ein neues Wort, das weitere Per- 
spektiven eröffnet, den Profitkampf der 
Industrie und Landwirtschaft unterbricht. 



GLASSERVICE i 



VON BARONIN G. FALKE * 



'. VON E. BAKALOWITS SÖHNE, WIEN 



nicht vom Staate den unentgeltlichen Drill 
solch unglücklicher Geschöpfe verlangen. 
Jetzt braucht der Fabrikant nur zu pfeifen, 
so stehen schon ein Dutzend auf alle histo- 
rischen Stile dressierter Zeichner da und 
unterbieten sich mit vor Hunger klapperndem 
Gebein. 

Das so die beste Volkskrafi leichtfertig 
verschleudernde System hat es bewirkt, dass 
der Charakter der Nation, repräsentiert durch 
die Kunst, verdorben ist, dass die ursprüng- 
lich aristokratische Idealität der Kunst einer 
der schmierigsten Höflinge des jedem Profit 
nachrennenden Kapitals geworden ist. Das 
System hat schon verderblicher gewirkt, als 
es dem in langer Gewöhnung stumpf ge- 



Die Künstlerverbande hätten besseres zu thun, 
als lächerliche Kostümfeste zu arrangieren. 
Als die lebendigste konservative und aristo- 
kratische Macht hat die Kunst im politischen 
Kampf Stellung zu nehmen und dem engen 
Gezänk fruchtbare, aus der Arbeit geborene 
wirtschaftliche Ideen entgegenzustellen. Die 
Künstler dürfen schon etwas wagen, denn 
sie sind unentbehrlich geworden, und ihre 
Stimme muss, als die eines Werte schaffen- 
den Standes, früher oder später beachtet 
werden. 

In nächster Zeit soll hier der Versuch 
gemacht werden, einige Einzelfragen der 
Lösung, wenigstens theoretisch, näher zu 
bringen. 



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^^■40 WIENER KUNSTGEWERBEVEREIN <S^^ 

WIENER KUNSTGEWERBE- 
VEREIN 

Von J. FoLNEsrcs 

Wiener Kunst im Hause" nennt sich eine 
Vereinigung von zehn Absolventen und 
Absolventinnen der Wiener Kunstgewerbe- 
schule, welche anlässüch der jüngst eröffneten 
Weihnachlsausstellung dieses Vereins das 
erste Lebenszeichen von sich giebt. Man 
mag den Titel, den sich diese Vereinigung 
beigelegt hat, nicht ganz zutreffend finden, 
denn er greift mehrfach über die natürlichen 
Grenzen der Wirksamkeit einer so jungen 
Künstlergemeinschaft hinaus, aber vermutlich 
wird sich niemand .ernstlich daran stossen, 
denn man ist es bereits gewöhnt, dass die Ver- 
treter der neuen Richtung häufig für ihre Ten- 
. denzen den richtigen sprachlichen Ausdruck 



nicht finden, sondern grossprecherisch 
und unbeholfen zugleich, Erwartungen 
erwecken, die sie nicht erfüllen können. 
Was mit dem Titel ausgedrückt werden 
soll, zeugt nichtsdestoweniger von einer 
gesunden Tendenz. Man will an die 
Kunst der Biedermeier-Zeit anknüpfen, 
einer Periode, die in Wien die Möbel- 
industrie zu hoher Blüte brachte, und 
deren Erzeugnisse zuweilen mit dem 
Namen Alt-Wien bezeichnet werden, so 
dass es eigentlich heissen müsste: , Alt- 
Wiener Kunst im Hause". Die Ansätze, 
die damals nach der Richtung einer 
Vereinigung der Kunstformen mit den 
technischen Errungenschaften und zeitge- 
mässen Erfordernissen gemacht wurden, 
bilden wertvolle Fingerzeige für des 
heutige Schaffen. Die schlichte Einfach- 
heil jener Formen eignet sich in höherem 
Masse dazu, den modernen Anforde- 
rungen an ein Werk handwerklicher 
Kunst Rechnung zu tragen als die kom- 
plizierteren Gebilde entlegenerer Kunst- 
perioden. Die unvergleichliche Tüchtig- 
keit und Solidität der Ausführung sowie 
die Vorliebe für edles Material, die 
sich damals geltend machte, entspricht 
nicht minder der heutigen üebersätti- 
gung an unsolidem Prunk. Mit Erfolg 
studiert man daher die sogenannten All- 
Wiener Möbel und kombiniert die neuen 
Entwürfe mit Anregungen und Motiven, 
die man aus England empfangen hat. 
Das Verständnis im Publikum für diese 
Bestrebungen ist aber keineswegs all- 
gemein. Der Markt lässl vielmehr eine 



SCHLAFZIMMER « ENTWORFEN VON HANS VOLLMER « 
AUSGEFÜHRT VON LUDWIG SCHMITT, WIEN «•««* 



^r-^> WIENER KUNSTGEWERBEVEREIN <^-^ 



Verßachung der reformatorischen Tendenzen 
im modernen Kunstgewerbe erkennen. Es 
sind zum Teil zwingende äussere Umstände, 
die eine solche Verßachung herbeiführen. Es 
hiesse Unmögliches verlangen, wollte man 
die Forderung auFstellen, dass die grosse 
Menge der Konsumenten wie der Produzenten 
den tiereren Sinn der modernen kunstrefor- 
matorischen Bestrebungen begreife. Für 
sie ist alles Mode, und sie bemächtigen sich 
aller von künstlerischer Seite gebotenen An- 
regungen mit kritikloser, naiver Neuerungs- 
sucht. Dass es sich um höhere Ziele han- 
delt, dass unser modernes Leben mit den 
Kunstformen in Einklang gebracht werden 
soll, dass es gilt, einen treFTenden Ausdruck 
zu ßnden für unsere Bedürfnisse, unsere 
sozialen Verhältnisse und Beziehungen, unsere 
technischen Erflndungen und neuen Bear- 
beitungsweisen, für unsere hygienischen Er- 
faht'ungen und neuen ästhetischen Anschau- 
ungen, das sind viel zu komplizierte Ge- 
dankengänge, als dass Käufer und Erzeuger, 
die noch dazu durch Decennien nach ganz 
anderer Richtung geschult wurden, darauf 
einzugehen vermöchten. Hier bedarf es eines 
längeren Uebergangsstadiums,da5eben in dieser 
Mai^4ware zum Ausdruck kommt. Ja dieses 
Uebergangsstadium, das in einer seltsamen 
Mischkunst zu Tage tritt, ist geradezu not- 
wendig und wünschenswert, damit die ernsten 
Vertreter der neuen Richtnng Zeit gewinnen. 






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WIENER KUNSTGEWERBEVEREIN <^^ 




PAUL HAUSTEIN « LEUCHTER « VEREINIGTE WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN (GES. GESCH.) 



auf dem Wege zahlreicher Experimente end- 
lich allen vorher angeführten Forderungen zu 
entsprechen. Heute sind sie noch nicht so 
weit. Ohne den Wert ihrer Arbeiten herab- 
zusetzen, kann man vielmehr behaupten, 
dass so manches Einzelobjekt der gewöhn- 
lichen kunstgewerblichen Marktware jenen 
Forderungen in höherem Masse entspricht, 
als jene oft zu einseitig konzipierten Erzeug- 
nisse, an denen sich die unbeirrt und frei 
schaffende Künstlerhand allein bethätigt hat. 
Was solche Objekte vor jener mitsecessionisti- 
schem Flitter nur äusserlich ausgestatteten 
Kunst auszeichnet, ist der Ernst, der in ihnen 
liegt, die grundstürzende Tendenz, die sie 
verfolgen, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie 
auf ihr Ziel losgehen. Dies hat in gewissem 
Sinne seiner Zeit auch der Biedermeier-Stil 
gethan. Er war ein Gegenwartsstil im Gegen- 
satze zu den späteren historischen Stilen. Er 
wollte nicht nachahmen, sondern selbst 
schaffen. Die Nüchternheit, in die er versank, 
war eine Folge des Umstandes, dass die hohe 
Kunst sich von ihm abgewandt und die Pfade 
der Romantik betreten hatte. Jetzt, wo die 
Trennung von hoher Kunst und Kunstgewerbe 
nicht mehr ihren lähmenden Einfluss ausübt, 
dürfen wir hoffen, Ergebnisse von längerem 
Bestände herbeizuführen. 

Was diese zehn Absolventen der Kunstge- 
werbeschule in ihren Interieurs geleistet haben. 



darf auf volles Interesse Anspruch erheben. 
Wenn auch so manches den Charakter des 
Unausgereiften an sich trägt, es hat doch zu- 
meist etwas Frisches und Unmittelbares. Wir 
finden ein Schlafzimmer, entworfen von Hans 
Vollmer, ausgeführt von Ludwig Schmitt, 
das, abgesehen von der etwas zu harten Wir- 
kung der zwei verschiedenen Holzgattungen, 
Ahorn und Birnbaum, einen recht freund- 
lichen Eindruck macht und zweckentsprechende 
Formen aufweist. Das Waschservice, entworfen 
von Fräulein Jutta Sika, ist etwas zu plump 
geraten, aber die nach vorne zu eingedrückte 
Wand des Waschbeckens bedeutet immerhin 
eine vernünftige Neuerung. Dagegen verdient 
ihr Kaminvorsetzer aus Messing und Favril- 
glas, ausgeführt von Bakalowits, ganz be- 
sonders deshalb uneingeschränktes Lob, weil 
er sich, was sonst bei Verwendung dieses 
Materials fast immer ausser acht gelassen 
wird, sowohl bei durchfallendem wie bei auf- 
fallendem Lichte gut präsentiert. Von Fräulein 
Else Unoer, der Tochter des bekannten Ra- 
dierers William Unoer, stammt der Entwurf 
für den hübschen Bettvorleger, sowie der für 
die Bettdecke und die Toilette-Geräte. Ein 
besonders beachtenswertes Möbel ist der grosse 
Toilettespiegel mit seinen verschiebbaren und 
in Angeln beweglichen Seitenteilen. Er ent- 
spricht in hohem Masse den an ein solches 
Möbel zu stellenden Anforderungen und zeich- 



136 



DOSEIN KUPFER, MIT STEINEN BESETZT; ZIERGEFÄSS IN BRONCE UND EMAILBECHER 
IN SILBERGUSS • ENTW. VON PAUL HAUSTEIN « VEREIN. WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN 



SILBERGESCHIRR VON PAUL HAUSTEIN U. SILBERNER BECHER VON ELSE SAPATKA 
AUSGEFOHRT VON DEN VEREINIGTEN WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN (CES. GESCH.i • • « 



^.-;^> AUS MÜNCHENS KUNSTINDUSTRIE <^^ 



net sich zugleich durch eine gewisse Eleganz 
aus, die bei Erzeugnissen der neuen Kunst- 
richtung nicht immer angetroffen wird. Einen 
durchaus vornehmen Gesamteindrucli macht 
auch das zweite Interieur, das Speisezimmer 
von Wilhelm Schmidt, ausgeführt von 
K. Caspar & Kostka. Der Vorwurf einer zu 
harten koloristischen Wirkung, herbeigeführt 
durch verschiedenfarbige polierte Hölzer, dies* 
mal Mahagoni und Buchsbaum, kann aber auch 
diesem Mobiliar nicht erspart bleiben. An- 
mutig und reizvoll ist dagegen die Kompo- 
sition des Kredenzschrankes, sowie des Silber- 
schrankes und des Servieriischchens mit seinen 
aufklappbaren Seitenteilen. Ein etwas zu um- 
fangreiches Gebäude umgiebt die massige 
Standuhr. Dieses simple Instrument zum 
schweren Möbel auszubilden, ist aber eine 
ebenso alte als allgemeine Sitte, so dass dem 
Künstler im einzelnen Falle kaum daraus ein 
Vorwurf erwächst. Originell in Form und 
Dekor, ohne die Grenzen des Gefälligen zu 
verlassen, ist das von Baronin G. Falke ent- 
worfene, von Bakalowits ausgeführte Glas- 
service, und ebenso zeichnet sich das von 
Fräulein Sika entworfene Kaffee- und Thee- 
service durch Bequemlichkeit und Leichtigkeit 
der Form und Ornamentierung aus. Besondere 
Erwähnung verdient ferner das in kräftiger 



Durchbrucharbeit schön ornamentierte Tisch- 
zeug nach Entwurf von Frl. Marietta Pey- 
Puss' Der dritte Raum ist ein Herrenzimmer 
in Eichenholz mit blaugrünem Stoffbezug der 
Möbel, entworfen von Emil Holzinger und 
Karl Summetsberger, ausgeführt von Heinr. 
Summetsberger. Wir bringen daraus den 
Liqueur- und Zigarrenkasien, sowie das Spiel- 
tischchen mit Stuhl, woraus der Typus des 
gesamten Mobiliars entnommen werden kann. 
Wie man sieht, hält er sich im Rahmen moder- 
ner Kompositionsweise, ohne besondere Eigen- 
art anzustreben. Weilergehende Rücksicht 
auf zweckentsprechende Form hätte diesen 
Möbeln entschieden zum Vorteil gereicht. Ein 
Liqueurservice von schlanker, eleganter Form 
fällt in diesem Raum angenehm in die Augen, 
und ebenso verdient die Hängelampe nach 
Entwurf von Fräulein Unger lobende Aner- 
kennung. 

Im ganzen haben diese zehn Absolventen 
der Wiener Schule, Schüler der Professoren 
Hoffmann und Moser, den Beweis erbracht, 
dass sie jenen Grad von Sicherheit erlangt 
haben, der sie befähigt, an der Reform des 
Kunstgewerbes erfolgreich mitzuwirken. Aber 
sie, wie so viele andere Künstler, die sich 
mit den Problemen der modernen Kunst im 
Hause beschäftigen, forschen noch immer 



-^-^> AUS MÜNCHENS KUNSTINDUSTRIE <^^ 



nicht genug nach den Erfordernissen der 
Zweckmässigkeit und des Komforts. Was 
soll es z. B. heissen, wenn W. Schmitt 
die Füsse seines Speisetisches durch ein 
plumpes, messingbeschlagenes Brett verbindet, 
das die bei Tische Sitzenden verhindert, die 
Füsse nach Belieben vorzustrecken oder zu- 
rückzuziehen? Immer ist es viel mehr der 
neue als der gute Einfall, der die Herren 
verlockt, vom Herkömmlichen abzuweichen. 
Nicht gegen alles Gewohnte und Erprobte 
mit neuen Einfällen anzukämpfen, ist die Auf- 



gabe der modernen Kunst. Auch vor dem 
Berge wohnen Leute, die wissen, was brauch- 
bar, gut und angenehm ist. Dazu haben wir 
nicht eine' alte Kultur hinter uns, um die 
simpelste Aufgabe ab ovo zu beginnen. Das 
Hergebractite vorurteilslos und strenge auf 
seine Zweckmässigkeit, Güte und Schönheit 
zu prüfen und es durch Schöneres, Besseres 
und Zweckmässigeres zu ersetzen, das ist es, 
was die moderne Veit verlangt. 



« SCHIRMSTÄNDER 



^*-^> AUS MÜNCHENS KUNSTINDUSTRIE <^ä-v- 



AUS MÜNCHENS KUNSTINDUSTRIE 



Die Metallarbeiten der Vereinigten \Cerkstitten 
stellen sicli den Möbeln dieser Firma würdig zur 
Seite. Zum grossen Teil sind es die gleichen 
Künstler, die für beide Techniken arbeiten, daher 
die Aehiilichkeit ihrer Vorzüge. Nur Paul Hau- 
stein ist Specialist; aber auch er gehSrt ganz in 
den künstlerischen Familienkreis, den die Ver- 
einigten WerstBtten bildeten. So starke Individuali- 
täten wie Pankok und Riemerschmid sind auf 
diesen Kreis nicht ohne Einfluss geblieben. Sie 
haben ihm ein Geprige gegeben, das sich glück- 
licherweise nicht durch Nachahmung ausdrückt, 
Sondern lediglich durch eine gemeinsame künstle- 
rische Richtung zu Tage tritt. Das zeigt auch 
RocHGA, der, so wie Haustein, Frl. Sapatka und 
W. Kepler, eine wertvolle Bereicherung der kleinen 
Kfinstterschar bildet. Dieser verbindende Werkstati- 
geisi unterscheidet die Arbeiten der Vereinigten 



Werkstätten in charakteristischer Weise von den 
Erzeugnissen anderer Institute, von denen wir jene 
der Firma Josef Zimmermann & Co. hier ab- 
bilden. Wenn dort strenge Linienführung, sorg- 
nitig abgemessene Grössen Verhältnisse und nur ganz 
bescheidener Schmuck die Mittel für die künstle- 
rische Gestaltung abgeben, so bilden hier reichere 
Ziermotive und eine gewisse Forntenfülle das ge- 
meinsame Element. Dort meist flächiges, poliertes 
Messingmetall, hier nur mattglänzendes, bild- und 
schmiegsames Eisen. So bringt fast jede Werkstatt 
einen eigenen Zug in alles, was von ihr ausgeht. 
In diesem Sinne hat sich auch die Schreinerei O. 
Matthes durch Ausführung der von R. A. Schroe- 
der und Architekt P. Troost entworfenen Möbel, 
die wir auf Seite 144 und 145 leider nach mangelhaften 
Aufnahmen wiedergeben, ein vielversprechendes 
Zeugnis ihrer Tüchtigkeit ausgestellt. 



-sf-£:ö> KUNST UND MASCHINE <^i^ 



RUDOLF ROCHGA • KLEIDERHAKEN « VEREINIGTE WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN 

KUNST UND MASCHINE 

Von H. MuTHEsius, London 



Unter allen Aufgaben, die uns heule auf 
dem Gebiete der modernen Kunst noch 
zu lösen bleiben, ist die richtige Einbeziehung 
der Maschinenarbeit die schwierigste, zugleich 
aber die weitreichendste und bedeutungsvollste. 
Wir haben uns daran gewöhnt, vom , künst- 



lerischen" Standpunkte aus mit vollkommener 
GeringschStzung, wenn nicht mit Verwünsch- 
ungen auf das Produkt der Maschine zu 
blicken, viele Stimmen predigen noch heute, 
dass das Heil der Wiederbelebung der gewerb- 
lichen Künste nur in der Handarbeit liegen 
könne. Indessen produzieren unsere Fabriken 
ruhig weiter und werfen ihre Waren geradezu 
in Massen auf den Markt. Kein Mensch unter- 
nimmt es, diese zur „Kunst" in irgend welche 
Beziehung zu bringen, hoffähig in diesem 
Sinne sind nur unsere „ kunstgewerblichen* 
Erzeugnisse. Nur diese wandern in unsere 
Kunstzeitschriften und in die Kunstgeschichts- 
bücher. — Wir befinden uns also heute in 
einem ganz auffallenden Gegensatze zu unserer 
alten Kultur, derjenigen Kultur, an welche die 
Maschine ihren zehrenden Zahn vor hundert 
Jahren anzusetzen begann: dort gehörte (nach 
unserer heutigen Auffassung) alles zur Kunst, 
hier unterscheiden wir zwischen legitimen 
Kindern und Wechsel bälgen. 

Betrachten wir den Unterschied zwischen 
beiden Kindern unseres Zeitalters aber von 
der wirtschaftlichen, statt von der künstleri- 
schen Seite, so stellt er sich wesentlich 
anders dar. Die wirtschaftlich natürlich er- 
zeugten sind dann zweifellos die Maschinen- 
Produkte. Sie sind aus den Bedingungen 
heraus entstanden, die sich im natürlichen 
Werdegang der Verhältnisse entwickelt haben, 
sie werden auf der Grundlage des allgemeinen 
Arbeitsmarktes erzeugt, sie liefern die brauch- 
barsten Werte mit dem geringsten Aufwende. 
Sie sind also der heutigen Lebenslage ent- 
sprechende, daher im richtigen Sinne moderne 
Erzeugnisse. Unsere „kunstgewerblichen" 




-ir4^> AUS MÜNCHENS KUNSTINDUSTRIE <ai-t- 
1 



Gegenstände haben mehr oder 
weniger AfFektionswerl, sie sind 
nur der begüterten Klasse, also 
nur wenigen, zugänglich und 
können heute niemals den An- 
spruch erheben, den Tagesbe- 
darf des Volkes zu decken. Wo 
immer heute die Handarbeit als 
Ideal auf den Schild gehoben 
wird, wird man mit wirtschaFt- 
lich unnatürlichen Verhältnissen 



WANDARM V. PROF. O. ECKMANN 
LATERNE V. E. VETTER ««••• 
AUSCEF.V.J.ZIMMERMANN&CO. 



rechnen müssen. Und sofort 
taucht hier das merkwürdige 
Kulturbild auf, das uns William 
Morris und die englischen 
Künstler - Sozialisten geliefert 
haben, die von einer , Kunst aus 
dem Volke für das Volk" aus- 
gingen und als Endwert so teure 
Sachen lieferten, dass höchstens 
die oberen Zehntausend an deren 
Anschaffung denken konnten. 



i 


< 





KUNST UND MASCHINE 



Dass Fabrikerzeugnisse notwendigerweise 
unkünstlerisch sein müssten, ist bis in die 
neueste Zeit hinein oft und mit Aufbietung von 
allen möglichen Gründen nachzuweisen ver- 
sucht worden. Allein das Gebäude dieser 
Gründe (die alle aus der von unserer früheren 
Kultur geborenen Aesthetik entnommen sind) 
wird von Jahr zu Jahr wankender. Heute 
bekennt sich schon mancher zu der Ansicht, 
dass er auch einen Landauer, eine Hängebrücke, 
ja eine Lokomotive „schön* finde, — alles 
Dinge, die mit der Kunst alter Auffassung 
gar keine Berührung haben, sondern neben 
derem Gehege sozusagen wild aufgewachsen 
sind. Und Hand in Hand damit geht eine 
zunehmende Abneigung gegen Ornament, 
gegen unsachlichen Formenaufwand, gegen 
Schmuck überhaupt, Dinge, gegen die die alte 
Kunst nichts einzuwenden hatte. Es liegt 
sicherlich eine Strömung vor, die Kinder der 
rein sachlichen, «unkünstlerischen* Her- 
stellung als ästhetisch rechtmässig anzuer- 
kennen und sie in den Ring der Kunst 
aufzunehmen. Die vor zehn, zwanzig oder 
dreissigjahren als ^^künstlerisch* ausgegebenen 
Dinge aber empfinden heute schon viele als 
„unmodern*, wenn nicht als „unkünstlerisch*, 
und zwar hauptsächlich infolge der ihnen 
aufgenötigten „Kunst*. Sobald aber solche 
Ansichten allgemeiner werden, muss auch 
das alte Vorurteil gegen die Maschinenerzeug- 
nisse schwinden, und niemand kann es mehr 
unternehmen wollen, diese als ausserhalb des 
Gebietes der Aesthetik liegend zu bezeichnen. 

Unser ästhetisches Urteil baut sich auf 
Vorurteilen auf, die Gewohnheit ist seine 
Amme. Die allgemein menschlichen Grund- 
empfindungen über das Schöne sind primitiv- 
ster Art. Auf derselben Grundlage des 
Schönheitsempfindens ist in Griechenland der 
jonische Tempel und sind in Mittelindien jene 
phantastischen, ornamentübersponnenen Bau- 
werke entstanden, für die uns Europäern 
jedes Verständnis verschlossen bleibt. Und 
doch sind beide die Entwicklungspunkte des- 
selben Ausgangs menschlichen Schönheits- 
schaffens, und hier wie dort gelten sie als 
Gipfelpunkte der Kunst. 

In Bezug auf die Entwicklung und Um- 
bildung des ästhetischen Urteils scheint da- 
her das Unmöglichste möglich. Einen kleinen 
Begriff von dieser Wahrheit geben uns ja 
schon unsere Damenmoden. Es liegt also 
auch durchaus im Bereich der Möglichkeit, 
dass eines Tages jedermann unsere Fabrik- 
erzeugnisse schön finden wird. Dass dies 
der Fall sein kann, lehrt uns ein Fabrik- 
erzeugnis, an das wir schon durch Jahrhun- 



derte gewöhnt sind und daher unbedenklich 
als „künstlerisch* hinnehmen, nämlich das 
gedruckte Buch. Was Gutenberg that, war 
nichts anderes als die Einführung des Ma- 
schinenbetriebes an Stelle der Handarbeit im 
Buchdruckgewerbe. Wer leugnet heute, dass 
das Buch, entsprechend behandelt, ein voll- 
gültiges Kunsterzeugnis sein kann? 

In der Geschichte der menschlichen Tek- 
tonik können wir die merkwürdige Thatsache 
verfolgen, dass Neubildungen vor Erreichung 
ihrer endgültigen Form häufig eine Zwischen- 
stufe durchzumachen haben, die der Meta- 
morphose der Insekten gleicht. Ja dieser Weg 
scheint sogar der übliche zu sein. Es tritt plötz- 
lich eine neueBedingung auf und stellt der bil- 
denden menschlichen Hand Aufgaben, für die 
sie keine Anhaltepunkte hat. So erschien im 
Verlauf des neunzehnterijahrhunderts an Stelle 
der Kerze das Gas und an Stelle des Gases 
das elektrische Licht. In keinem Falle waren 
wir im stände, sofort die richtige Form des 
Beleuchtungskörpers zu bilden, die Entwick- 
lung schritt über die Stufe der nachgeahmten 
Kerze hinweg. Für das als Neuling ein- 
tretende Linoleum hatten wir zunächst nur 
das Granit-, das Fliesen- und das Parkett- 
muster bereit, die Papiertapete ahmte den 
Stoff nach. Ueberall sehen wir die Zwischen- 
stufe der nachgeahmten früheren Form. 

Einen ähnlichen Gang haben auch unsere 
Fabrikerzeugnisse durchgemacht. Fing man 
an, irgend einen bisher in Handarbeit herge- 
stellten Gegenstand fabrikmässig zu erzeugen, 
so wurde zunächst aller Scharfsinn aufgeboten, 
die Einzelheiten der Handarbeitungsform nach- 
zuahmen. So bekamen wir die gestanzten 
Blechornamente, die in Papiermasse nachge- 
ahmte Holzschnitzerei und andere Falsifikate, 
die natürlich nur dazu beitragen konnten, die 
Maschinenarbeit künstlerisch in vollen Miss- 
kredit zu bringen. Nachdem man sie vorher 
vom künstlerischen Standpunkte aus nicht 
beachtet hatte, fing man jetzt an, sie zu ver- 
achten. Und so musste die Hoffnung auf 
Anerkennung eigentlich von vorn herein mehr 
bei denjenigen Maschinenerzeugnissen liegen, 
die ganz selbständig, ohne Erinnerung eines 
früheren Zustandes, in die Welt traten. Das 
Zweirad, um ein naheliegendes Beispiel an- 
zuführen, hatte keine frühere Form nachzu- 
ahmen, wir erblicken in ihm infolgedessen eine 
verhältnismässig reine Form der Maschinen- 
erzeugung. Hier entspricht die Form des 
Gegenstandes ebensowohl der fabrikmässigen 
Herstellung, als auch — da sogenannte „künst- 
lerische* Gesichtspunkte bei seiner Bildung 
gar nicht in Frage kamen — der grössten 



143 



^r^5> KUNST UND MASCHINE <^-i^ 



Zweckmässigkeit. Und doch geHillt das Zwei- 
rad. Vielleicht liegt das daran, dass sich die 
Vesensbedingungen des Dinges und die be- 
sondere Form, in der es erscheint, in voll- 
endeter Weise decken. Es verkörpert eine 
gewisse Echtheit, es hat Stil. Mag dieser 
Stil Zweckmässigkeitsstil, Maschinenstil oder 
sonstwie genannt werden, es liegt kein Grund 
vor, weshalb das Zweirad deshalb nicht ge- 
fallen sollte. 

Diesen Maschinenstil in Gegensatz zu einem 
sogenannten künstlerischen Stile zu setzen, 
ist sicherlich ein Stadium der ästhetischen 
Empfindung, das die Welt überwinden wird. 
Es kann gar nicht darauf ankommen, auf 
welche Weise eine menschliche reale Schöpfung 
entsteht, sehr wichtig erscheint es aber, dass 
sie die Art ihrer Entstehung aufgeprägt trage, 
dass sie einen klaren Stil verkörpere. Ist 
dies nicht der Fall, so tritt sie in Verkleidung 
auf und erregt über kurz oder lang unseren 
Unwillen durch die falsche Gesinnung, die 
in ihrer Form versteckt liegt. Für unsere 
ganze menschliche Tektonik müssen dieselben 
Gesetze geltend sein, alle tektonischen 
Leistungen daher mit einem Begriffe zu decken 
sein. Für diesen Begriff fehlt uns heute ein 
Wort. Das donnernde Wort „Kunst" zu wählen. 



hat seine sehr bedenklichen Seiten. Man 
stellt sich unter diesem Begriff heute stets 
etwas so Besonderes vor, dass ganz schiefe 
Urteile herauskommen. Wir sind, wie wir 
gesehen haben, dahin gekommen, dass die 
auf der heute natürlichen wirtschaftlichen 
Grundlage erzeugten Dinge unkünstlerisch 
und die auf einer nicht natürlichen Grundlage 
erzeugten künstlerisch genannt werden. Da 
muss etwas nicht in Ordnung sein. 

Es scheint, dass hier die fossilen Reste 
einer alten Kultur noch in unsern Köpfen 
spuken. Wir neigen fast dazu, eine tek- 
tonische Leistung nur dann künstlerisch zu 
nennen, wenn sie zu der reinen Zweckmässig- 
keit noch irgend einen Zusatz enthält. Auf 
der anderen Seite wünschen wir aber gar 
keine Zusätze, wir wollen die vollendete, reine 
Zweckmässigkeit. Das führt zu dem Zwie- 
spalt, zu der heutigen Unsicherheit, die sich 
nicht nur in der Beurteilung, sondern auch 
im SchafTen von tektonischen Leistungen aus- 
spricht. Ein Hin- und Herschwanken zwischen 
Realismus und Stimmungskunst, das ist die 
heutige Lage im sogenannten neuen Kunst- 
gewerbe. Eine aufrichtig schaffende Hand wird 
sich gar nicht mit der Frage beschäftigen, 
ob sie diesen Gegenstand künstlerisch, jenen 



SCHREIBTISCH • ENTTORFEN VON R. A. SCHROEDER UND 
P. TROOST « AUSGEFÜHRT VON O. MATTHES, MÜNCHEN 



BrBLIOTHEKZlMMER • ENTWORFEN VON R. A. SCHROEDER 
UND P. TROOST • AUSGEFÜHRT VON O. MATTHES, MÜNCHEN 



^7-^> TAPETEN VON OTTO ECKMANN <^ä-^ 



ohne Anwendung von Kunst bilden wolle, sie aufrichtig sind. Die Maschine ist nur 
Sie schafft, wie der menschliche Bildungsgeist ein vervollkommnetes Werkzeug, 
sie führt. Dieser ist seiner Natur nach — Wenn heute viel davon die Rede ist, dass 
solange er nicht unter angelernten Vorurteilen wir unser Leben wieder künstlerisch gestalten 
leidet — immer künstlerisch (um dieses Wort müssten, so sind wohl diejenigen auf falschem 
in Ermangelung eines besseren beizubehalten). Wege zu diesem Ziele, die dies durch eine 
Einerlei, ob die menschlichen Erzeugnisse Gegensatzsiellung zur Maschinenarbeit er- 
aus der Maschine oder aus der Hand hervor- reichen wollen. Unter diesem schiefen Ge- 
geben, sie müssen künstlerisch sein, solange sichtswinkel hat z. B. die ganze moderne 



-T-i^y TAPETEN VON OTTO ECKMANN <^-^ 



englische Kunst, von Morris bis auf die ihrer Herstellungsweise, dann sind wir durch 

Gegenwart, gewirkt. Der Zirkel dieser Wir- sie nicht eingeengt, sondern bereichert. Einen 

kung muss in dem Masse ständig zusammen- Zustand retten zu wollen, den die natür- 

schrumpfen, als die Maschine in ihrem Sieges- liehe Entwicklung überschritten hat, ist ein 

lauf vorwärts schreitet. Schauen wir aber Zeichen des Alters. Eine jugendfrische 

der neuen Erscheinung ins Auge, erkennen Kunstrichtung blickt vorwärts. Sie muss 

wir sie an, wenden wir ihr unsere Beachtung heute die Maschinenarbeit unter ihre Fittige 

zu, bilden wir sie aus, entwickeln wir sie nehmen, sonst wäre sie dem Schicksal des 

liebevoll auf den reinen, klaren Bedingungen nahen Endes preisgegeben. <^ ^ <^ ^ 



TAPETEN VON OTTO ECKMANN 



Von den vielen Tapetenentwürfen Eck- 
mann's sind hier ein paar aus der 
letzten Saison abgebildet. Eigentlich ist 
es ja schade, dass Tapeten muster von dem 
ästhetischen Wert der EcKMANN'schen Saison- 
ware sind, und dass jedes Jahr eine neue 
Kollelition auf den Markt gebracht werden 
muss. Solche durch die Konkurrenz be- 
dingte Hast ist schuld daran, dass wir gar 
nicht mehr zu Ruhe und Genuss kommen. 
Der Berliner Künstler hat Tapeten drucken 
lassen, die sehr würdig wären,, zehn Jahre 
und länger benützt zu werden, denen sogar 
eine kleine Nuance „Ewigkeitswert" nicht ab- 
zusprechen ist. So aber schlägt er — als 
Kontraktpflichtiger muss er es wohl — mit 
dem Erfolg des letztenjahres den des vorigen 
tot. Aus solchen Verhältnissen erklärt es 
sich dann auch, dass die Muster von Jahr 
zu Jahr praktischer werden, d. h. dass sie 
sich den BedürFnissen des Marktes immer 
mehr anpassen. Bis zu einem gewissen 
Grade ist das gewiss lobenswert; nur darf 
der Künstler nicht auf den 
Punkt geraten, wo sich das Ver- 
hältnis verkehrt und die Nach- 
frage die Kunst diktiert. 

Die hier reproduzierten Ar- 
beiten zeigen noch hinreichend 
individuelles Gepräge. Bei allen 
ist das Bestreben bemerkbar, der 
Wand die Ruhe zu geben und 
Eintönigkeit nur durch ein leicht 
bewegtes, mehr oder weniger 
geistvolles Linienspiel aufzu- 
heben. Solange Tapetenpapier 
benützt wird, ist dieses Prin- 
zip sicher das erfolgreichste. 
Die künstlerische Musterung ist 
bei der Tapete nicht die Haupt- 
sache, sondern das Kolorit; da- 
rauf sieht Eckmann auch in 
erster Linie. 

Eine andere Art des Wand- 
dekors, die das Muster mehr 
betont und doch so künstlerisch 
wie verwendbar bleibt, ist die 
Manier, wie Eckmann sie z. B. 
in seinem Muster «Palmette" an- 
gewandt hat und wiesieLEMMEN 
vor allem eigen ist. Solche ein- 
oder zweifarbig kräftig gemusterte 
Papiere mit rein ornamentalen 
Motiven geringen Rapports be- 
leben den Raum ungemein, ohne 
der Wand doch den Charakter boutet de monvel 



des Hintergrunds zu nehmen. Doch Rnden 
sich für diese Art in Deutschland gar keine 
Liebhaber. 

Für das Künstlerische in der angewandten 
Kunst ist bei uns noch verzweifelt wenig 
Sinn; man will immer nur die Sensation 
oder die Langeweile. Darum resignieren die 
Künstler früher oder später alle. Die ersten 
Tapeten Eckmann's konnten nur in Räume 
geklebt werden, wo ein feiner moderner 
Geist das ganze Interieur besiimmte; diese 
neueren Muster können überall verwandt 
werden, in Etagenhäusern und Villen, in 
modernen Interieurs und archaistischen. Ob 
in dieser Thatsache ein Lob für die ersten 
oder späteren Muster liegt, das ist eine 
Doktorfrage, mit der sich jeder Berufene ein 
Erkleckliches herumplagen möge. -r 



SITZENDER GREIS 



FRANZÖSISCHE RADIERUNGEN 

Von Henri Frantz, Paris 



Es ist interessant zu konstatieren, wie in 
der künstlerischen Entwicklung unserer 
Tage insbesondere die Maler durch Viss- 
begierde, ja durch eine innere Notwendigkeit 
getrieben werden , die Mittel und Gebiete 
ihrer Kunst zu erforschen und zu erweitern. 
Geradezu mit Leidenschaft haben sich die 
Maler in den letzten Jahren auf die an- 



Ein ganzer Kreis von Künstlern ist auf diesem 
Gebiete thätig und hat sich um den rührigen 
Verleger M. HESs£le geschart ; sie alle in einem 
kurzen Artikel Revue passieren zu lassen, ist 
uns versagt. Ehe wir aber auf die Bestre- 
bungen einzelner derselben eingehen, wollen 
wir der Vorläufer und Urheber der gegenwär- 
tigen Bewegung gedenken. Vor allem Brac- 



gewsndte Kunst geworfen, um an Stelle der quemond's, dessen schönes Blatt „Der Regen- 



bisher ausschliesslich gepflegten Tafelmalerei 
Werke zu schaffen, die, welcher Technik auch 
immer sie angehören, doch oft stärker und 
tiefer empfunden sind, als vordem manche 
grosse Leinwand. 

Vor 20 Jahren würde man wohl entsetzt 
gewesen sein, hätte ein Maler einmal seine 
Pinsel weggelegt und dafür Leder getrieben 
oder gar ciseliert. Heute aber weiss man, 
Gott sei Dank, wie viel Kunst und wirkliche 
Schönheit in diesen kleinen, ehedem ganz 
vernachlässigten Arbeiten stecken kann. 

Unter diesen verdient die Radierung und 
speziell die Farbenradierung einen 
besonderen Platz. Namentlich 
französische Künstler haben sich 
in letzter Zeit bemüht, diese 
Technik neu zu erwecken. Uns 
allen sind die reizvollen und fein- 
sinnigen Blätter bekannt, welche 
das 18. Jahrhundert auf diesem 
Gebiete hervorgebracht hat. Na- 
men, wie Debucourt mit seinen 
flotten und lebendigen Scenen, 
MoREAU, der Jüngere, mit seiner 
stets so scharfen Beobachtung, 
Saint Aubin, einer der feinsten 
Zeichner seiner Zeit, sagen genug. 

Es ist wohl nicht ohne inneren 
und tieferen Zusammenhang, dass 
mancher Künstler heute dieses 
Verfahren wieder aufnimmt, und 
seiner Geschichte ein wesent- 
liches Blatt hinzufügt, indem er 
in ihm die Strömung und den 
Geist der Zeit zum Ausdruck 
bringt. Blätter von Raffaelli 
oder Louis Legrand stehen auf 
der Höhe jener von Debucourt, 
und die Wertschätzung, welche 
unsere Zeit ihnen entgegenbringt, 
zeigt sich deutlich in der starken 
Preissteigerung, ebensowohl der 
alten Farbstiche, als dieser neuen 
Radierungen. Francis jourdin 



bogen' so bekannt ist, dann M. J. F. Raf- 
PAELLi's, der immer neue Reize in der Schil- 
derung der Vorstädte von Paris zu finden 
wusste. Auch Lbp^re ist zu nennen, obwohl 
sein Werk nur wenige farbige Radierungen 
aufzuweisen hat; Jeanniot, dessen ausdrucks- 
volle zeichnerische Begabung in allen Erschei- 
nungen das Malerische festzuhalten weiss, und 
der unermüdlich, wie z. B. in seinem Werke 
,La Plage", der geheimnisvollen Grazie der 
weiblichen Gestalt nahe zu kommen sucht, 
wenn er dabei auch nicht die Eleganz eines 
Helleu erreicht. 



VOR KURZEM 



-5-^r> FRANZÖSISCHE RADIERUNGEN <^^t?- 



BOUrET DE MONVEL DAS TRANSPORTSCHIFF 



Die Künstler, deren Werke wir hier re-.' traste in Licht und Schatten, eine kräftige 
produzieren, gehören der allenüngsten Ge- Technik, die an Arbeiten in Gouachemanier 
neration an, und es ist noch nicht lange her, erinnert, und zugleich eine nervöse Lebendig- 
dass die Werke von Eug£ne Delätre und keit der Linienführung geben den finsteren 
Sprinckmann zu Sammelobjekten zahlreicher Charakter dieser kleinen Kirche mit ihren 
Amateure wurden. Sprinckmann hat eine verschleierten und schweigsamen Besuchern 
spezielle Vorliebe für die alten schönen trefflich wieder. Eugene Delätre sucht 
Kirchen von Paris, namentlich aber für St. dagegen die Vorbilder seiner Werke in der 
Etienne du Mont, welches hier wiederge- weiten Natur, im freien Feld. Ein Blatt wie 
geben ist. Breite Behandlung, starke Kon- «Vor dem Gewitter" zeigt, wie er seine 

Wirkung in sicheren Strichen festhält. 
Ein paar grosse Bäume, welche das 
erste Tosen des Sturmes schüttelt, die 
Silhouetten einiger Bauernhäuser, ein 
Kirchturm am Horizont, zusammen mit 
dem hohen Himmel, an dem schwere 
Wolken hinjagen, hier und dort plötzlich 
Lichtblicke, das sind die einfachen Ele- 
mente, die Delätre trotz der kleinen 
Dimensionen seines Blattes zu er- 
habener Grösse eines herrlichen Natur- 
schauspiels zu vereinen wusste. Sein 
Name wurde bekannt durch die Aus- 
stellung, welche Durand - Ruel im 
Jahre 1898 ihm und Francis Jourdain 
veranstaltet hatte. 

Die Arbeilen Jourdain's sind wesent- 
lich dekorativen Charakters und er- 
innern etwas an Henri Rivi^re. Har- 
monische Wirkung in grosse Züge zu 
fassen und in starber Vereinfachung 
doch den Stimmungsgehalt des bild- 
lichen Vorwurfes seines Sujets voll 
auszudrucken, ist seine besondere Be- 
gabung, der wir eine Reihe schöner 
Landschaften sowohl als Tierstudien 
verdanken. 

Der Radierer Boutet de JHonvel 

ist der Sohn des auch in Deutschland 

sehr bekannten Illustrators, aber frei 

von jeder Beeinflussung seitens seines 

j. PiNCHON DER JAGDGEHILFE Vaiers. Gute Beobachtung, strenge 



VOR DEM GEWITTER 



M. SPRINCKMANN ST. ETIENNE DU MONT 



^.-^ FRANZÖSISCHE RADIERUNGEN <^-r^ 



C BETOUT 



SPIELENDES KIND 



Wahrheit sind vorherrschende Eigenschaften 
seiner Arbeiten, die ihre eigene Selbständig- 
keit nicht verleugnen. 

Betout ist der Meister intimer Scenen. 
Seine Kinderstudien sind reizend durch die 
ungezwungene Natürlichkeit, die in ihnen 
zum Ausdruck kommt. .Der Säugling*, „das 
schlafende Kind' in den Armen seiner Mutter, 
«die Siesta" zählen zu seinen bekanntesten 
Blättern. — Pinchon's Liebe dagegen gehört 
dem Sport und den Tieren. Gute Beobach- 
tung und präcise Zeichnung zeichnen seine 
Werke aus. 

Die angeführten Beispiele mögen genügen, 
um auf eine neue Generation von Künstlern 
hinzuweisen, die mit Geist und Anmut eines 
der köstlichsten Kunstgebiete neu belebt und 
verjüngt haben. Nach dem leider in Deutsch- 
land nur sehr vereinzelten Vorgehen von 
Ernst Klotz können wir hoffen, dass auch 
hier ein Verfahren wieder aufgenommen 
werden wird, dessen Resultate bei seinem 
hohen künstlerischen Originalwert doch auch 
massiger Bemittelten zugänglich sind. 



FRANCrS JOURDIN 



WEISSE KATZE 



HIL[PP WIDMER 



MODELL EINES OBERLICHTES 



THEODOR FISCHER 

Von Erich Haenel 



Wenn heute über dem brodelnden Auf- 
ruhrgeistigerund wirtschaftlicher Trieb- 
kräfte, dessen verschwommenes Bild die Litte- 
ratur, vor allem die Tagesiitteratur der Zeit- 
schri ften widerspiegelt, wie von tausend Kehlen 
ausgestossen und begleitet von tausendstim- 
migem Trompetengeschmetter, immer wieder 
der Schlachtruf: Kampf um die Kunst! sich 
machtvoll erhebt, so mag es wohl vorkommen, 
dass der Laie, der etwas ängstlich diesen Sturm 
und Drang von weitem beobachtet, sich zwei- 
felnd Fragt: welche Kunst ist es nun eigent- 
lich, um deren Siegen hier die Geister an- 
einanderplatzen? Ist es die, deren Werke, 
unserer Väter Erbe, unsere Kindheit um- 
gaben, die man als die klassische preist, und 
die man heute mit unendlicher Sorgfalt von 
Staats wegen und unter dem höchsten sitt- 



lichen Eifer „aller Gebildeten" als solche zu 
erhalten sucht? Ist es die Kunst, die seit 
ein paar Lustren daneben emporwächst, selt- 
sam und kecb, mit ihren unklassißzierbaren 
Formen, die Kunst der Jungen, denen das 
tüchtige Alte nicht mehr genügt, die der 
neuen Zeit ein neues Kleid zu schaffen unter- 
nehmen? Oder ist es endlich gar die Kunst 
der Zukunft, zu der dies alles nur Vorstufen 
sind, die absolute Kunst, die Uni versa! kunst, 
die einige ahnend schauen, viele herzlich er- 
sehnen und die meisten spöttisch leugnen, 
deren Morgenrot aber schon die blassen 
Wölkchen am Horizont verheissungsvoll er- 
glühen macht? 

Die Antwort auf solche Fragen wird ver- 
schieden lauten, je nach der Parteistellung, 
die der Auskunftgebende selbst in dem kriege- 



-si-.^> THEODOR FISCHER <^=^ 



PUTTEN VOM BRUNNEN IN DER MÜNCHNER VORSTADT AU ■ MODELLIERT VON J. FLOSSMANN 

Tischen Tumult einnimmt. Der eine wird die sance ist, die heute ihre Pforten aufthut, 
geheiligte Kraft des durch die Jahrhunderte mag Kampf und Frage gleich überflüssig er- 
Ueberlieferten als das glorreiche Zeichen hin- scheinen. Sie schreiten ihres Wegs, unbe- 
stellen, unter dem allein die Fortschreitende kümmert um die Fehden der rauhen Gegen- 
Generation siegen kann, andere sehen das wart, sie tragen den Glauben an ihre Mission 
einzige Heil in einem radikalen Bruch mit mit heiterem Lächeln durch das Getriebe des 
dem Historischen, das wie Blei an den Sohlen Tages, und die schwülen Dünste, die dräuend 
des vergangenen Jahrhunderts haftete. Und über das Land ziehen, dringen nicht durch die 
gar denen, deren Schlagwort die neue Retiais- rosendurchwobenen Vorhänge ihrer Gemächer. 

Aber Ideologen taugen uns nicht, 
wenn auch ihre Zahl heute schon 
nicht mehr gering ist. Jeder Kampf 
kann naturgemäss nur da ein ehr- 
licher und gesunder sein, wo nicht 
mehr als zwei Parteien um die 
Palme ringen. Mag man diese nun 
heute als die Alten und die Jun- 
gen, als die Historischen und die 
Modernen, als Reaktion und Fort- 
schritt bezeichnen — das klare 
Bild der Gegensätze ist ja jedem 
bekannt. Es ist nicht ein Kampf 
um die Kunst, sondern um die 
Künste, dessen Zeugen und Mit- 
wirkende wir sind, besser noch: 
ein Kampf der Künste, die über 
dem Banner der Heere schützend 
schweben. Wo auf der Walstatt 
unser Platz ist, braucht hier nicht 
gesagt zu werden. Aber das Recht, 
das wir oft in Anspruch genommen 
haben, fordern wir heute: einmal 
aus der Front zurückzutreten und, 
den Blick ungetrübt von Staub 
und Dunst, die Schlachtreihen acht- 
sam zu mustern. Und da fallt das 
Auge auf einen tüchtigen Streiter, 
der eben seinen Posten verlässt, 

TEIL DES BRUNNENS IN DER mOnchner VOR- *"" '" ^'"«f" «"'^«'■" GÜede, Unter 

STADT AU • MODELLIERT VON j. FLOSSMANN neueu Genossen, aber gegen die 

154 



^r^f> THEODOR FISCHER <^i-^ 



alten Gegner, seine Kraft und Gewandtheit 
zu erproben. 

Der Name Theodor Fischer's hat nicht 
nur diesseits des Maines einen guten Klang. 
Von Geburt Süddeutscher, hat er nach Voll- 
endung der eingehendsten Studien auf dem 
Gebiete der historischen Architektur in der 
Schule des Mannes den Grundstein zu seiner 
künstlerischen Selbständigkeit gelegt, der als 
erster an einem gewaltigen Bau von natio- 
naler Bedeutung auch den Forderungen einer 
nationalen Kunst ganz zu entsprechen imstande 
war. Von seiner Thätigkeit im Atelier des 
Reichshauserbauers Wallot reden mehrere 
Entwürfe, mit denen er im Anfang der neun- 
ziger Jahre auf deutschen Konkurrenzen auf- 
trat. In dem Wettbewerb um das Kaiser 
Wilhelm-Denkmal an der Porta Westphalica 
errang er den ersten Preis. Hier wie in 
dem ausserordentlich persönlichen Entwurf 
für das Leipziger Völkerschlachtdenkmal Fand 
er für das ideelle Problem auch nach seiner 
ethischen Seite den erschöpfenden formalen 
Ausdruck echter Monumentalität. 

Aber bald finden wir Fischer wieder auf 
heimischem Boden : als Bau> 
amtmann tritt er an die Spitze 
des kommunalen Bauwesens der 
Stadt München. Hier vollzog 
sich in ihm der Umschwung, 
der ihn zwischen der romanisch 
geßrbten italienischen Renais- 
sance seiner Meister, der in 
Vorwürfen monumentalerPracht 
von oft spezifisch dynastischen 
Tendenzen seine höchsten Tri- 
umphe feiert, und der mehr auf 
intimere, bürgerliche Wirkungen 
ausgehenden, mit historischen 
Faktoren stammeseigner Ent- 
wicklungoperierenden architek- 
tonischen Geschmacksrichtung 
der Süddeutschen den Mittelweg 
finden Hess. Es sei nicht etwa 
der Verdacht ausgesprochen, 
als habe der Künstler sich aus 
äusseren Gründen, die aus dem 
Wandel seiner öffentlichen Po- 
sition entsprangen, zu einem 
künstlerischen Kompromiss ver- 
standen. Ein Zweifel an der 
Echtheit seiner inneren Entwick- 
lungwäre um so unangebrachter, 
als er gerade mit seinem Haupt- 
werk auf bayerischem Boden 
bewies, dass Konvention, Zunft- 
geist, Paktieren mit dem Ge- 
schmack der Menge und wie 



die Scheuklappen der „ notgedrungenen Rück- 
sichten' alle heissen, einer Individualität wie 
der seinen ihrem eigentlichen Wesen nach 
fremd sind. Dass er mit seinem Bismarckturm 
am Stambergersee (Seite 162—166), der im 
Jahre 1889 eingeweiht wurde, einen wirklich 
grossen Wurf gethan hat, ist nachgerade zu 
allgemein anerkannt, als dass es hier noch 
weiterer Begründung durch Wort und Bild be- 
dürfte. Der Bau hat, von seinen künstlerischen 
Qualitäten hier ganz abgesehen, nicht nur alle 
Eigenschaften, die im Empfinden des Volkes 
einen bleibenden und überzeugenden Eindruck 
zu machen imstande sind, sondern er kann auch 
so aus dem Bewusstsein des Volkes heraus 
das Bild des Bismarckschen Genius in seiner 
Weise festhalten ^wie im Traum es ihn trug". 
Aus der schlichten Halle, deren weite Bogen 
und breite Treppen schutzverheissend den 
Wandrer aufnehmen, hebt er sich mächtig 
empor, von den Schwingen des deutschen 
Adlers überschattet, mit seinen scharfen, 
straffen Profilen, seinen deutlich redenden 
Skulpturen, in denen die Poesie des deutschen 
Volkes lebt, ein Sinnbild männlicher Charakter- 



-^-^D- THEODOR FISCHER -C^-^ 



DAS IM BAU BEFINDLICHE LANDHAUS E. RIEMERSCHMID IN STARNBERG 



gr&sse, das seines stolzen Namens würdig 
ist. Wie sich die monumentale Schluss- 
form, die Treppen inneres und Besteigbarkeit 
gänzlich ausschliesst, aus den Vorstufen der 
künstlerischen Idee herausgeschält hat, das 
illustrieren zwei erste Entwürfe (Seite 161), 



'/ 



GRUNDRISS ZU OBIGEM LANDHAUS 



die das Motiv des Aussichtsturmes, und zwar 
in der Formenwahl des Mittelalters, ausführen. 
Die Umwailung mit dem von zwei schwer- 
falligen Rundiürmen flankierten Eingangsthor 
und seitlich angefügten Wärterhaus lässt hier 
ein malerisches Element mit hineinspielen, das 
zwar an sich von grossem Reiz, aber an 
dieser Stelle dem späteren Ergebnis an 
idealer Eindringlichkeit entschieden unter- 
legen ist. 

Hatte Fischer hier Gelegenheit gefun- 
den, einen ihm schon von früher nahe- 
stehenden Vorwurf in voller Freiheit, unter 
den günstigsten äusseren Bedingungen per- 
sönlich auszugestalten, so betrat er mit 
den kommunalen Bauten, die ihm seine 
Stellung zuwies, eigentliches Neuland. In- 
dess erwies es sich bald, dass gerade eine 
künstlerische Persönlichkeit wie die seine 
hier den ihr zusagenden Boden gefunden 
hatte, auf dem Werke von reformatorischer 
Bedeutsamkeit nicht ausbleiben konnten. 
Die Schulhäuser, die München durch 
Fischer hat erbauen lassen, haben eine 
Berühmtheit erlangt, weit über die Grenzen 



-^^5> THEODOR FISCHER <^^ 



LANDHAUS ARTHUR RIEMERSCHMID IN PASING 



der engeren Stammesheimat hinaus. Das be- haben wie Fischer und durch ihn die so oft in 
kannieste von ihnen, das 1898 vollendete in puncto artis arg verlästerten Stadtväter Mün- 
Schwabing, ist künstlerisch und praktisch eine chens. Nicht durch kostbares Material, durch 
Art Idealbau, und als solcher unzähligemal ungewöhnlichen Aufwand an Raum oder durch 
besprochen und gefeiert worden. Wie har- teure technische Neuerungen ist hier ein 
monisch sind hier alle die 
Bedingungen erfüllt, ' die 
man als Pädagoge, als Hy- 
gieniker, als Vorkämpfer 
der Kunst im Leben des 
Kindes an ein derartiges 
Gebäude nur stellen kann! 
Dass ein Haus, in dem 
Hunderte von Kindern die 
sechs bis sieben wichtigsten 
Jahre ihrer Entwicklung 
verbringen müssen, nicht 
nur aus Gründen der Zweck- 
mässigkeit, sondern mehr 
noch aus solchen der ästhe- 
tischen Beeinflussung her- 
aus ein Musterinsiitut sein 
müsse, das ist ein Gedanke, 
den zwar schon viele aus- 
gesprochen, aber wenige mit 
solcher Energie und solchem 
Erfolg ins Werk gesetzt Gärtnerwohnung zu« Landhaus e. riemerschmid in starnberg 

157 



THEODOR FISCHER -C^-^ 



ENTWURF ZUR UNTHRFOHRUNG AN DER GEBSATTEL-HOCHSTRASSE IH MÜNCHEN 



50 vollkommenes Ganzes erreicht worden, 
sondern durch eine bis heute allerdings seltene 
Intensität des künstlerischen Geschmackes 
und der bis ins kleinste eindringenden künst- 
lerischen Liebe. Es ist ein wahrhaftes Ent- 
zücken, den Spuren dieses glücklichen Tem- 
peramentes nachzugehen, das hier an Thor 
und Wand, an Geländern und Thüren, in 
Stein und Metall, bis in die Kleiderschränke 
und Thürgriffe das spezifische Wesen seiner 
Aufgabe erforscht hat. Das ist echte Kunst 
für das Leben des Kindes, wie man sie jetzt 
so unermüdlich fordert und predigt, aber 
zugleich eine Kunst, die auch uns vom vielen 
Sehen und sehend Kritisieren fast Abge- 
stumpften erfrischend und erwärmend dünkt! 
Der gemütvolle Humor, dies Haupterfordernis 
des echten Pädagogen, klingt in den Tier- 
silhouetten der verputzten Fassade, in dem 
gesunden Symbolismus der Porialskulpiuren, 
in den reizenden Thürbeschlagen bald laut, bald 
leise durch. In grösserem Umfang bethäiigte 
dann Fischer sein hier wie spielend erprobtes 
Können an dem Neubau der Schule am Eli- 
sabethplfltz (Seite 160). Der Baukörper ge- 
stattet hier infolge seiner Grundfläche, einem 
unregel massigen Viereck, eine reichere Glie- 
derung. Der äussere Winkel, wo sich das 
dritte Stockwerk des einen Flügels in eine 
luftige zweibogige Arkade Ölfnet, ist von echt 
malerischem Reiz. Das Ganze präsentiert 
sich, mit seinen grossen quadratischen Fen- 
stern, den einfachen weissen Mauerflächen 
und den sparsamen Schmuckformen, in denen 
gewisse Motive der deutschen Renaissance 
diskret verarbeitet sind, wieder ungemein 



hell und sympathisch. Bei dem Neubau 
der städtischen Töchterschule, Louisenstrasse 
(Seite 178 — 182), mag die Erinnerung an ge- 
wisse Landshuter Bauten wohl mit hinein- 
gespielt haben. Aber im Grund ist das, was 
hier den künstlerischen Eindruck bestimmt, 
Ausfluss der persönlichen SchafTenswetse des 
Künstlers, der mit sicherer Hand die Linien 
zieht, hier die Konstruktion klar ausprägt, 
dort ein freigebildetes Ornament hinsetzt, und 
dabei sieis der praktischen Bestimmung des 
Baues den ersten Einfluss auf seine ästhe- 
tische Neugestalt einräumt. 

Unter den zahlreichen Werken, die während 
seiner Thätigkeii in München aus Fischer's 
Atelier hervorgingen, ragen einige Brücken- 
bauten hervor (Seite 159), die dem monumen- 
talen Stilbewusstsein ihres Schöpfers wieder 
ein glänzendes Zeugnis ausstellen. Ist auch 
nur einer dieser Entwürfe, der zur Prinz- 
regentenbrücke, ausgeführt worden, so besitzen 
wir doch ausgeführte Pläne zu verschiedenen 
an anderer Stelle. Von den beiden zur Max 
Josef-Brücke, Bogenhausen, geben wir der 
mehrbogigen den Vorzug, die an struktiver 
Einheitlichkeit und formaler Würde noch von 
der Witlelsbacherbrücke übertroffen wird. 
Der Entwurf zur Corneliusbrücke schafft an 
der Südspitze der Kohleninsel eine Kapelle, 
und belebt so das Bild im malerischen Sinne 
mit bewundernswertem Verständnis für die 
landschaftliche Totalansicht. Für die Ver- 
schönerung der inneren Stadt war er eifrig 
thätig, mancher seiner derartigen, jetzt oft 
nur in Skizzenform enthaltenen Entwürfe 
wird vielleicht noch von seinen Nachfolgern 



ENTWURF ZUR CORNELIUS-BROCKE IN MÜNCHEN 



ENTWURF ZUR MAX JOSEF-BRÜCKE IN MÜNCHEN 



ENTWURF ZUR WITTELSBACHER-BRÜCKE IN MÜNCHEN 
159 



SEITEN- UND VORDERANSICHT DER SCHULE AM ELISABETHPLATZ IN MÜNCHEN 



-^^- THEODOR FISCHER <^^ 



SKIZZE ZU EINEM 

benutzt werden. So projektiert er am Vik- 
tualienmarkl vor der Einmündung der Reichen- 
bachslrasse einen Obelisken-Aufbau im Stile 
des Leipziger Mendebrunnens, der die dort 
in der Asymmetrie verschwimmenden Ueber- 
gangskreuzungen durch ein freigewähltes 
Zentrum äusserst glücklich be- 
ruhigt. Für den grossen Platz an 
der Hofgartenkaserne sieht er eine 
tiefer gelegte Arena vor für Spiel- 
und Sportzwecke, an Stelle des 
heissumstrittenenSendlingerthores 
setzt er einen gewaltigen Turm, 
dessen freskengeschmückte Fas- 
sade den grossen Platz beherrscht. 
Der Entwurf zur Erhallung des 
Kürschner- Hofes am Domplatz zu 
Würzburg, ein anderer zum Um- 
bau des Aufgangs an der Send- 
lingerkirche, alle in der malerischen 
Manier seiner älteren Fhantasie- 
projekte flott und wirkungsvoll mit 
breiter Feder skizziert, zeigen 
seinen klaren Blick Für das künst- 
lerisch Notwendige. Der historisch 
anheimelnde Charakter der Um- 
gebung wird nie schroff zerstört, 
sondern feinsinnig weiter geleitet, 
das Neugeschaffene will sich nicht 
vordrängen, aber doch selbständig 
neben dem Bestehenden seinen 
Platz behaupten. Etwas weiter in 
der Richlung der bewussten Alter- 



tümelei geht Fischer in seinen 
Brunnenbauten. Wenn man aber 
z. B. den Brunnen in der Vorstadt 
Au (Seite 154 und 155) dem 
Vollendetsten an die Seite zu stel- 
len vermag, was die Renaissance auf 
diesem Gebiet geschaffen hat, so 
darf er sich das obige Epitheton 
wohl gefallen lassen. Die zierliche 
Anmut dieser Schöpfung trifft zu- 
gleich wieder den Ton des Volks- 
tümlichen ausgezeichnet, den wir 
bei diesen Werken, die doch ge- 
rade dem Volke und den psycho- 
logisch ähnlich zu behandelnden 
Kindern besonders nahe stehen, so 
oft vermissen. Künstler von aner- 
kanntem Ruf, wie bei diesem 
Werke Josef Flossmann, bei dem 
Adamsbrünnlein Wrba, dem ver- 
wandten Winihirbrunnen (Seite 183) 
Bradl, tragen natürlich dazu bei, 
den plastischen Schmuck auf der 
Höhe der architektonischen Durch- 
führung zu halten. Und wie schon 
bei den plastischen Teilen der Töchterschule 
der Bildhauer Josef Rauch, Gg. Wrba und 
Th. von Gosen, denen der Schule am 
Elisabethplaiz Satzinger und Widmer, so 
arbeitet auch der Schöpfer der Pieldgruppe an 
dem stimmungsvollen Familiengrab Pruska, 



SKIZZE zu EINEM BISMARCKTURM 



-.r»^> THEODOR FISCHER <^-t^ 



so in der engsten 
geistigenUeberein- 
stimmung mit dem 
Architekten, dass 
das vollendete Werk 
aus einem KopTe, 
aus einer Phantasie 
herausgeworden zu 
sein scheint. Mit 
einer Grabkapelle 
auf dem neuen 
Schwabinger Fried- 
hof stein sich der 
Künstler fast ganz 
in den Bann des Ro- 
manismus, dessen 
gehaltene Grund- 
accorde in unge- 
schwächter Stim- 
mungsreinheit hier 
anklingen. AlsBei- 
spiele seinerThätig- 
keit im Privatbauen 
seien eine Villa in 
Pasing (Seite 157) 
und das Landhaus 
RlEMERSCHMID in 
Starnberg (S. 156) 
genannt. Schmiegt 
sich ersteres mit 
seinem breit über- 
hängenden Dach, 
der heiteren offe- 
nen Arkade und 
luftigen Altane des 
Hauptkörpers mehr 
bescheiden in seine 
Umgebung ein, so 
macht das Haus in 
Starnberg, dessen 
feste Mauer nur 
eine kräftig heraus- 



RELIEFS VOM BISMARCKDENKMAL AM STARNBERGERSEE 



gischen Geboten des Gottesdienstes ent- 
wickelt, sondern zugleich den charakte- 
ristischen Zügen des protestantischen 
Geistes vollwertigen Ausdruck verleiht. 
Von aussen eine reichgegliederte archi- 
tektonische Baugruppe, vom Turm mit 
seinem mächtigen Zifferblatt überragt, 
innen ein weiter lichter Raum von grösster 
Einheitlichkeit, verzichtet die Kirche auf 
jede erzwungene Monumentalität, und 
sucht, getreu dem Vesen ihrer Konfession, 
mehr in der Vertiefung des Ausdrucks als 
in der lauten Wirkung nach aussen ihre 
Stärke. Die Dimensionen sind dabei unge- 
wöhnlich beschränkt: Höhe bis zur Decke 
12 m, bis zum First 21 m, Länge 37 m, 

162 



gehobene Thoröff- 
nung im Hofe be- 
sitzt, einen energi- 
schen selbsibe- 
wussten Eindruck. 
Wir haben oben 
einige von Theod. 
Fischer's Arbeiten 
auf dem Gebiete 
des Sakralbaus ge- 
nannt. Heuteerhebt 
sich im äussersten 
Norden von Mün- 
chen, der vorher 
schon durch Hans 
GrXssel's Fried- 
ho^anlage seine 
künstlerische Weihe 
erhaIten,eineKirche 
von bescheidenen 

Abmessungen : 
Fischer's prote- 
stantische Erlöser- 
kirche (Seitel67 bis 
175), die jüngste 
und reifste Schöpf- 
ung des Meisters, 
und zugleich der 
originellste Bau 
seiner Gattung in 
der an Gottes- 
häusern wahrlich 
nicht armen Isar- 
stadt. Hier ist 
für annähernd 1000 
Menschen einRaum 
geschaffen, der nicht 
nurgemässdennun 
endlich durchge- 
drungenen Forde- 
rungen sich sinn- 
voll aus den liiur- 



BISMARCKDENKMAL AM STARNBERGERSEE • NORDSEITE 



-a-fe5> THEODOR FISCHER -Q^-^ 

Breite 21 m, Höhe des Turmes 34 m. 
Das Baumaterial ist, soweit Stein ver- 
wendet wurde, Muschelkalk, das übrige 
verputzter Backslein. Ein gewisser Ein- 
fluss des romanischen Elementes auf 
die Formengebung macht sich bei einem 
Früheren Entwurf noch deutlicher gel- 
tend, wo die Vierung von einer mäch- 
tigen achteckigen Kuppel überwölbt wird, 
wo an den Ecken z. B. auch des Chores 
Strebepfeiler hervortreten und der cha- 
rakteristische Rund bogen Fries die Deko- 
ration des Aeusseren beherrscht. An 
den Kern des Baues, das von hohem 
Satteldach bedeckte, nach Westen von 
einem Stufengiebel verkleidete Haupt- 

schilT, schmiegen sich nach allen Seiten niedri- Abendmahl wahrnimmt". Südlich vor dem 
gere Bauteile an, die hier die Orgelempore, farbig reich ausgestatteten Triumphbogen steht 

die Kanzel, wie der Altar, aus gelbem 
Veroneser Marmor. Die horizontale 
Balkendecke ist kräftig bemalt, die Orgel 
steht nicht, wie so oft, auf der West- 
empore, sondern in dem Ausbau des 
südlichen QuerschifPs, also in nächster 
Nähe von Kanzel und Altar. Ihren Haupt- 
reiz aber erhält die Kirche, deren archi- 
tektonisches Schema, wie wir sehen, 
durchaus einfach und zweckentsprechend 
ist, durch die farbige Dekoration. Hier 
hat der Künstler, zum Teil in freier An- 
lehnung an altchristliche und romanische 
Motive, aber im wesentlichen aus der 
Fülle des eigenen, im Architektonischen 
geschulten, malerischen Könnens, einen 
Stil geschaifen, der das heikle Problem 
dort die Emporentreppe u.a.m. enthalten. Der der Bemalung von Baugliedern mit grössler 
ebenfalls im Satteldach mit Giebeln abschlies- Unbefangenheit anpackt und glänzend löst, 
sende Turm steht in der Nordwestecke, das Eine detaillierte Darstellung des so Ge- 
Hauptportal, durch 
eine im Kleeblatt- 
bogen eingewölbte, 
säulengetragene Vor- 
halle reizvoll heraus- 
gehoben, öffnet sich 
nach Süden, nach der 
Stadtseite. Das Innere, 
ein mächtig wirkender 
Raum ohne ausgespro- 
chenes QuerschilT, an 
drei Seiten von einer 
Empore umgeben, ent- 
wickelt nach Osten 
eine Hache Apsis mit 
einem hinteren Rund- 
gang, «der zum ersten- 
mal dieprotestantische 
Gepflogenheit beim 

RELIEFS VOM BISMARCKDENKMAL AM ST ARN BERGERSEE 
164 



-T-^?> THEODOR FISCHER <^^-^ 



schaffenen liegt nicht im Sinne dieser Zeilen, 
deren uns ja auch die jedem zugängliche 
Wirklichkeit enthebt. Jedenfalls geht das 
matte Blau der Bänke, das Weiss der Wände 
und der kühle Freskoton der bemalten Flächen 
ganz wundervoll zu- 
sammen; nur die 

Krysiallbehänge 
der Bogenlampen 
schlagen in diesem 
echt kirchlichen 
beruhigendenStim- 
mungsaccord einen 
etwas weltlichen 
Ton an. Der schöne 
Entwurf zur Aus- 
malung der Apsis, 
eines der letzten 
Werke von Wil- 
helm VOLZ, wird 
hoffentlich noch von 
geschickter Hand 
nachträglich ausge- 
führt. In derAus- 
malung der Empo- 
renbrüstung, für 
die Scenen aus 
dem Lebenjesu be- 
stimmt sind, er- 

RELIEFS VOM BISMARCK DENKMAL t 



Öffnet sich den Münchner Künstlern noch 
ein weites und dankbares Feld. Aber 
auch der plastischen Dekoration hat der 
Baumeister die Sorgfalt zugewendet, die 
den harmonischen Gesamteindruck aller 
seiner Werke bedingt. In den verschie- 
denen Wendungen, mit denen er den 
Uebergang der Säule in den Bogen ge- 
staltet — von denen unsere Abbildungen 
(Seite 171 — 174) die allermeisten vor- 
führen — steckt ein so sprudelnder Reich- 
tum der Phantasie, ein so durchgebildetes 
Empfinden für das tekionisch Glaubhafte 
und Wirksame, dass unserer Ueberzeugung 
nach dem so oft gepriesenen Können der 
romanischen Steinmetzen auf diesem Ge* 
biet hier etwas vollständig Ebenbürtiges 
erstanden ist. Die Formenelemente der 
christlichen Symbolik bilden die Unter- 
lage, die Ausführung in Stein ist beson- 
ders auch durch die geschickte Ausnütz- 
ung des Raumes bemerkenswert. 

Als Leiter des Stadterweiterungsamtes 
München hat sich Fischbr wie kaum ein 
andrer in die architektonische Physiogno- 
mie dieser Stadt hineingearbeitet. Und so 
erscheint es uns wie selbstverständlich, 
dass sein Name auch mit dem Projekt 
verknüpft ist, das einen der landschaftlich 
reizvollsten Teile Münchens endlich auch 
in würdiger Weise in den künstlerischen 
Zusammenhang des Stadtbildes hineinzuziehen 
unternimmt. Bekanntlich trat vor einem Jahre 



1 STARNBERCERSEE 



-^»-^D- THEODOR FISCHER ^C^^ 



der Bayer. Kunstgewerbeverein anlässlich der 
nahenden Feier seines fünfzigjährigen Be- 
stehens mit einer sorgßltig durchgearbeiteten 
Denkschrift vor die Oelfentlichkeit, die auf 
der Kohleninsel „einen Zentralpunkt für 
die gewerblichen, kunstgewerblichen und ide- 
alen Interessen der Stadt" zu schaffen vor- 
schlügt. Dort solle eine Gruppe von Bau- 
werken entstehen, Fachschulen, Ausstellungs- 
räume, GenossenschaFtshäuser, eine Bibliothek, 
ein Stadthaus u.a., kurz ein ganzes Städtchen, 
das die für München als für das Zentrum der 
kunstgewerblichen Industrie Deutschlands un- 
endlich wichtigen Lebensbedingungen in einer 
einzig dastehenden Form verwirklicht. Dieser 
Plan war wirtschaftlich bis ins Einzelne be- 
gründet und die finanzielle Frage seiner 
Realisierung glaubhaft gelöst. Das Projekt 
hat viel Aufsehen gemacht und ist in den 
massgebenden Kreisen eingehend besprochen 
worden ; die berechtigten Gedanken seiner 
Begründung fanden allgemeine Zustimmung. 
Die Riesenaufgabe, diesem, die verschiedensten 
praktischen Interessen umfassenden Projekt 
seinen architektonischen Rahmen zu schaffen, 
hatte Theodor Fischer übernommen. Sein 
Name war in der Denkschrift nicht genannt, 



lNGSTHOR a. besmarcktubm 



RELIEF VOM BISMARCKDENKMAL AM S 



NBERGERSEE 



aber der künst- 
lerische Cha- 
rakterderzahl- 
reichen Bau- 
risse liesseine 
Persönlichkeit 
erkennen, die 
neben der siche- 
ren Gestal - 
tungskraft eine 
absolute Ver- 
trautheit mit 
den landschaft- 
lichen Vorbe- 
dingungen und 

vollständige 
Herrschaft über 
die Erforder- 
nisse der prak- 
tischen Dispo- 
sition besitzen 
mussie. Im 

Sinne der beiden letzten Punkte kann man die 
Lösung des Problems, wie sie Fischer bietet, 
als zweifellos gelungen bezeichnen <S. ]7ß bis 
178). Die Gruppierung der Bauten ist ebenso 
ungezwungen wie zweckmässig, die Sil- 
houette der Gesamtaniage nützt die Be- 
schaH^nheit des Terrains sehr geschickt 
aus und das landschaftliche Bild bietet, 
wie Hans von Bartel's meisterhaftes 
Aquarell es darstellt, ein anmutiges 
malerisches Ganzes. Der Durchblick 
durch den langgestreckten Haupthof mit 
seinen Brunnen und Monumentalsäulen 
bereitet auf die grosszügige Fassade des 
Stadthauses vor, das jenseits der mit 
zwei neuen Brücken anzubahnenden 
Querstrasse sich giebelslolz erhebt. Ein 
grosser Uhrturm ragt neben dem Haupt- 
eingang im Nordosten an der Zwei- 
brückenslrasse auf; hinter und neben 
dem Stadthaus sind Anlagen für Er- 
holung und Spiel, ein Musikpavillon 
u. a. vorgesehen. Es lässt sich nicht 
leugnen, dass innerhalb des Formen- 
kreises der deutschen Renaissance hier 
ein architektonisches Städtebild ge- 
schaffen, das in der verständnisvollen Ab- 
wägung der Dimensionen und Massen, 
der Schönheit seiner Linien und dem 
Reichtum seiner malerischen Insce- 
nierung unsere uneingeschränkte Sym- 
pathie findet und sicher hoch über 
vielem steht, was die Wiederaufnahme 
dieses historischen Stiles an ähnlichen 
Entwürfen mit sich gebracht hat. Aber es 
ist doch ein bedenklicher Umstand, dass 



-3-^> THEODOR FISCHER <^^ 



DIE ESLOSERKIRCHE IN 5CHTAB1NC 

das Ganze, trotz aller seiner Vorzüge, SO lebhaft in den Bahnen zeitgemässen künstlerischen 

an eine der „alten Städte' gemahnt, wie sie auf Schaffens von Herzen wünschen. Dass Fischer 

manchen Aussteilungen der letzten Jahre mit selbst kein Mann des Rückschritts ist, davon 

so grossem Erfolg ins Leben gerufen worden geben seine Werke vernehmlich Zeugnis. Und 

sind. Hin Zurückgreifen auf die stilistische so werden ihm auch diese Erwägungen nicht 

IdeenweltderVergangenheit,undseidieseauch unverständlich sein, die der Freude an den 

noch so wertvoll, scheint gerade da bedenklich, künstlerisch wertvollen Elementen, an denen 

wowirdoch dem Inhalt alferdieserBauten, den sein gewaltiger Entwurf überreich ist, keinen 

kunstgewerblichen Werkstätten, geradedieend- Eintrag zu thun vermögen, 

liehe Befreiung aus den Fesseln der deutschen Die Stadt München, der FtSCHER eine 

Renaissance und einen energischen Fortschritt Reihe hochbedeutsamer Werke geschenkt hat, 



^.-^> THEODOR FISCHER <^^ 



ENTWURF ZUR ERLÖSERKIRCHE [N SCHWABING 



war nicht imstande, ihn an sich zu fesseln. 
Und wieder ist es die mächtig aufblühende 



PORTAL DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHTABING 



Schwesterstadt Stuttgart, die den Künstler für 
sich zu gewinnen verstand, Stuttgart, das in 
den fetzten Jahren einer Anzahl der ersten 
künstlerischen Potenzen Süddeutschlands an 
seinen Kunstinstituten eine Stätte bot. Fischer, 
in München städtischer Bauamtmann und Pro- 
fessor an der Techn. Hochschule, hat einen 
Ruf an die Techn. Hochschule der württem- 
bergischen Hauptstadt angenommen, und ihm, 
dessen Name so lange mit der künstlerischen 
Entwicklung Münchens verknüpft war, folgt 
unser bewundernder Dank. Dass Fischer's 
AbgangvonMünchen allgemein als ein schwerer 
Verlust empfunden wird, und dass die Künstler- 
schaft und die Bevölkerung Münchens mit 
seltner Einstimmigkeit ihn verehrt, davon hat 
er in den letzten Wochen seines Hierseins 
manch schönen Beweis empfangen. Die Aus- 
stellung, die der Verein bildender Künstler 
Münchens Secession im Dezember von seinen 
Werken veranstaltete, brachte ihm neue 
Triumphe und liess den Unmut darüber, 
dass eine Kraft wie die seine uns nicht er- 
halten bleiben konnte, von neuem laut werden. 
Auch uns hat dieser Ueberblick über sein 
Schaffen die Ueberzeugung gekräftigt, dass 
sich hier eine künstlerische Individualität von 
ungewöhnlicher Reichhaltigkeit und Tiefe, eine 
Arbeitskraft von unermüdlichem Fleiss, ein 
Können von staunenswerter Elastizität und 
klassischer Vielseitigkeit offenbart. Werke 
wie der Bismarckiurm und das Schwabinger 
Schulhaus bedeuten Höhepunkte in der bau- 
künstlerischen Produktion unserer Tage, neben 



-a-^5> THEODOR FISCHER <^-t^ 



FÜLLUNG IN EICHENHOLZ, ENTWORFEN UND GESCHNITZT VON J. A. SCHOTZ, HOFMOBELFABRIK, LEIPZIG 

deren immanenter Kraft und Frische manches und leider noch seltner ehrlich sucht. Mag 

vielgerühmte Meisterwerk verblasst. Hier drum der Ehrentitel eines Vorkämpfers der 

scheint uns der Weg ins Empfinden des sozialen Kunst, den Theodor Fischer nicht 

Volkes gefunden, den die sModerne* in Ar- verschmähen wird, auch den Bahnen seines 

chitektur und Kunstgewerbe selten einschlägt ferneren Schaffens die Richtung weisen. 



INNERES DER ERLÖSERKtRCHE IN SCHVABING 



^>-.^> THEODOR FISCHER <^-^ 



SKIZZE DES LANGSDURCHSCHNITTES DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHWABINC 



DAS SCHULGEBAUDE 

Von Theodor Fischer, Stuttgart 



Wenn wir den Wanderstab durch die deut- 
schen Länder führen und nicht nur die 
Grosstädte, sondern die kleinen und die 
Dörfer betrachten, so ßnden wir in manchen 
Gegenden Orte, die, von der neuen gelb- 
ledernen Backsteinkunst noch nicht ver- 
dorben, den ruhigen Ton der Bauweise aus 
unserer Grossväter und Urgrossväter Zeit 
erhalten haben : Giebel an den geschwungenen 
StrassenFluchten, warme Ziegel- oder deutsche 
Schieferdächer, farbigen Anstrich der Wände, 
gutgeteilte Fenster, kurz alles, was uns in 
der stilvollen Zeit des , Aufschwunges" ver- 
loren gegangen ist. 

Ein Haus aber pflegt immer das einheit- 
liche Bild zu stören, ein Haus mit Flachem 
Schieferdach, mit Gurt- und Kranzgesimsen, 
mit Spiegelscheiben in den ungeteilten Fen- 
stern, wenn's gut geht — mit korinthischen 
Pilastem und Akanthusakroterien, wenn's 
schlimmer ist. Das ist das Schulhaus. Es 
ist eine Grundform, die alle kennen, die im 
Dorf, in der kleinen und in der grossen 
Stadt zu finden ist, als Gemeindeschule, als 
Gymnasium und mit Aufwand von viel ge- 
lehrter Architektur als Hochschule. In den 
grösseren Städten fällt sie nur nicht so aus 
dem Rahmen, wie in den warmen, noch un- 
berührten Nestern, denn die allgemeine Eigen- 
art unserer neuen Städte ist eben dieselbe 
Stimmung oder besser derselbe Mangel an 
Stimmung, wie im besonderen bei den Schul- 
häusem. Wenn deshalb über diese in künst- 



lerischer Richtung zu reden ist, kann man 
wohl nicht anders, als die Baukunst des ver- 
flossenen Jahrhunderts im allgemeinen, wenn 
auch nur andeutungsweise zu behandeln und 
anzuklagen. Es ist kaum die einseitige An- 
schauung des Kunstkonfessionellen, die der 
historisch-ästhetisierenden Richtung in der 
Architektur des 19. Jahrhunderts die Schuld 
beimisst, dass wir in eine Sackgasse der Un- 
natur gekommen sind. Wenn dies Kapitel 
erschöpfend behandelt werden wollte, wäre 
weit auszuholen; es wäre davon zu reden, 
wie es gekommen, dass der deutsche Geist, 
der so oft in früheren Jahrhunderten die 
Invasionen fremder Kunst überwunden und 
zu seinen Gunsten verarbeitet hat, in diesem 
so gänzlich versagte. 

Jetzt, da die Sintflut des Klassizismus im 
Verlaufen ist, können wir erkennen, was ver- 
loren ging, alles Kulturland ist versandet, nur 
ein paar Felsen stehen noch ganz oben im 
Hügelland der Volkskunst. Mögen sie doch 
fest genug stehen, dass wir an ihnen das 
Seil anknüpfen könnten! Die Begleiterschei- 
nung — vielleicht auch eine der Ursachen — 
dieser Entwicklung ist der erkältende Einfluss 
der Wissenschaftitchkeit. In keinem Jahr- 
hundert wurde soviel über Kunst und Kunst- 
geschichte geschrieben und vorgetragen, in 
keinem, seitdem wir in die Reihen der Kultur- 
völker eingetreten sind, so wenig wirkliche 
Kunst geübt. Es ist das Zeitalter der Museen, 
der Kunstregistraturen; es ist das Zeitalter 



SÄULEN AUS DER ERLOSERKIRCHE IN SCHVABING 



SÄULEN AUS DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHVABING 
172 




SÄULEN AUS DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHVABING 
173 



SÄULEN AUS DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHVABING 
174 



-^-^> THEODOR FISCHER <^ä-c- 



ENTWURF DES PLAFONDS IN DER ERLÖSERKIRCHE IN SCHWABING 



der mathematischen Exaktheit, das Zeitalter 
der Symmetrie. Nichts ist bezeichnender 
als die Wandlung, die dieses Wort seit seiner 
Jugend bis zu seiner jetzigen Begriffsdürre 
durchgemacht hat, von seiner grundlegenden 
kunsttheoretischen Bedeutungbei den Griechen 
(für uns eine versunkene Atlantis), die mit 
dem heutigen nüchtern mathematischen Be- 
griff der Gleichheit nach einer Mittelachse 
auch nicht das geringste zu thun hat, bis 
zu der fast unumschränkten Herrschaft dieses 
Begriffes, die wir in allem, was jetzt gebaut 
wird, seilen. Für viele, auch viele, die so 
dem Namen nach zu den Gebildeten gehören, 
gilt symmetrisch fast gleich mit schön. Kann 
jemand ein Schulhaus nennen aus jener Zeit, 
das wagte die Symmetrie zu verletzen? 

Wenn unsere SchulgebSude den unerfreu- 
lichen Stempel der beschriebenen Kunst- und 



Geistesrichtung in ganz verdichtetem Aus- 
druck tragen, so kann man das zum Teil dem 
Umstände zuschreiben, dass in diesem Ge- 
biete der Baukunst fast gar keine Ueberliefe- 
rung vorhanden war. Man hat anzunehmen, 
dass in den Klöstern oder wohl auch beim 
Schulmeister in der Wohnung die Schule 
„gehalten" wurde. Auf dem Lande wird der 
Schulmeister sogar gewissermassen auf Stöhr 
von Hof zu Hof gewandert sein. Die Schule 
entbehrt also im Gegensatz zur Kirche in 
der Hauptsache der baulichen Ueberlieferung, 
sie folgt aber insofern dem Beispiel der 
Kirche, als auch die Entwicklung des Schul- 
hauses sich vom grossen ins kleine, vom 
Städtischen ins Ländliche von selbst ergiebt. 
Dass darin im Sinne der volkstümlichen Kunsl- 
pflege eine Erschwerung liegen muss, braucht 
nicht von vornherein angenommen zu werden; 



^r.4^> THEODOR FISCHER <^-i^ 



PROJEKT ZUR BEBAUUNG DER KOHLENINSEL IN MÜNCHEN 

denn es erübrigt immer, den Anschluss an 
das Volkstümliche in der Anlehnung an die 
örtliche Bau Überlieferung zu suchen. Diesen 
Weg haben nun glücklicherweise in den 
letzten Jahren eine Reihe von Künstlern ein- 
geschlagen. 

Wenn heute hier und dort zu weit ge- 
gangen wird in der Uebemahme historischer 
Formen, so sollte das wohl nicht zu sehr 
getadelt werden. Es ist als ein Uebergangs- 
stadium aufzuessen, aus dem die Macht des 
Bedürfnisses und der neuen Konstruktion 
sicher bald heraushilft. Auf die Schulung 
aber, die in der Beschäftigung mit dem klaren 
und einfachen Geist der Alten liegt, möchten 
wir nicht gerne verzichten. Sie wird uns 
befähigen, auch an alle Bedürfnisse und Auf- 
gaben der Neuzeit mit dem gleichen Geiste 
heranzutreten. 

Wenn nun die kunsterziehenden Seiten des 
deutschen Scbulgebäudes in kurzer Uebersicht 
betrachtet werden sollen, so ist in erster 
Linie die Lage des Schulhauses etwas, 
wobei von vornherein die künstlerische Ein- 
sicht viel mehr mitsprechen sollte, als es 
heute geschieht, wo fast nur der Zufall und 
Majoritätsbeschlüsse den Ausschlag geben. 

Bei den gewaltigen Aufwendungen, welche 
die Gemeinden für Schulhausbauten zu machen 
haben, liegt es nahe, in allen Punkten, also 



auch bei der Wahl des Bau- 
platzes, zu sparen. Man hat 
deshalb öfter Rückplätze für 
Schulzwecke genommen, ein 
Verfahren, das nicht unter 
allen Umständen zu ver- 
werfen wäre, wenn es nur 
gelingen wollte, diesen Bau- 
werken nicht die Art von 
Hinterhäusern, sondern eine 
klosterähnliche Gruppierung 
um einen offenen schönen 
Hof zu geben. Leider ist 
eine derartige Lösung noch 
nicht bekanntgeworden, viel- 
leicht auch deshalb, weil sie 
nur möglich wäre bei soge- 
nannten einreihigem Bau, d. h. 
wenn nur eine Saalreihe mit 
einem Korridor um den Hof 
gelegt würde. Damit ist aber 
wieder ein erheblicher Kosten- 
aufwand gegenüber der noch 
immer als Norm vorgeschrie- 
benen zweireihigen Bauart 
nötig und damit der Vorzug 
des billigeren Hinterlandes 
ausgeglichen. 
Immerhin möchte doch auch die Erbauung 
von Schulen auf Rückplätzen nicht ganz der 
Würde und Bedeutung, welche die Schule 
heute im öffentlichen Leben einnimmt, ent- 
sprechen. Vielmehr ist es eine Forderung, 
welche schon der künstlerische Ausbau einer 
Stadt zu stellen hat, dass öffentliche GebSude 
von der Wichtigkeit der Schulen auch an 
wichtige, d. h. künstlerisch, nicht etwa ver- 
kehrstechnisch wichtige Punkte zu stehen 
kommen. Schon die Helligkeit der Schul- 
räume verlangt es, dass nicht an engen 
Strassen gebaut werde, sondern wenn irgend 
möglich Erweiterungen oder kleine Plätze 
gewählt werden. Hier ist allerdings nicht 
ohne Missvergnügen an die schematischen 
Bebauungspläne unserer Städte zu denken, 
welche dergleichen stille Plätze und Plätzchen 
gar nicht kennen. 

Es ist schon erwähnt worden, dass Gründe 
der Sparsamkeit die einfache Rechtecksform, 
bei welcher zwei Reihen von Schulsälen zu 
beiden Seiten eines Mittelganges liegen, als 
eine Normalform haben erscheinen lassen. 
Aber abgesehen davon, dass eben die äusserste 
Exaktheit der Grundform durchaus nicht 
immer mit der grössten Verwendbarkeit zu- 
sammenfällt, ist die Gleichartigkeit der Räume 
ein so grosses Hindernis, in die äussere Er- 
scheinung rhythmisches Leben zu bringen, 



i..- WC5TCN I 



ENTWÜRFE ZUR BEBAUUNG DER KOHLENINSEL IN MÜNCHEN VON P. PF ANN, 
K. HOCHEDER UND TH. FISCHER 



^.-^ THEODOR FISCHER <:^^ 

dass kaum jemals die Art des Kasernen- 
baues im schlimmen Sinne vermieden 
worden ist. Andererseits ist zuzugestehen, 
dass die Durchführung des einreihigen 
Systems doch Für Volksschulen wenigstens 
etwas zu kostspielig wäre; eine Mischung 
beider Systeme aber, welche auch für die 
Verwendbarkeit die grössten Vorzüge mit 
sich bringt, ist für die Gestaltung des 
Aeusseren eine sehr dankbare Lösung, da 
wir Gelegenheit bekommen, mit der grossen 
Bautiefe des Doppelreihenbaues beherr- 
schende Baumassen zu gewinnen, die von 
den einreihigen Teilen ergänzt und ver- 
bunden werden. 

Diese Ausführungen berühren schon 
die äussere Erscheinung und zwar 
deutlich in dem Sinne, dass das wesent- 
lichste Kunstmittel die Gruppierung dar- 
stellt. Im übrigen können wir leichten 
Herzens auf alles, was so im Munde der 
Leute Architektur heisst, verzichten; denn 
Schmuck ist für uns von heute dies An- 
kleben von Gesimsen, Pilastern, Säulen, 
Quadern und allem anderen nicht mehr. 

Haben wir einige Mittel für reichere 
Ausstattung, so gelte als erste Regel: den 
Schmuck zusammenzufossen auf einige 
funktionell wichtige Punkte; und dann 
sei's auch nicht mit der üblichen Archi- 
tekturbildhauerei abgethan, sondern man 
hole die ersten Künstler der Stadt 
ENTWURF zu« KOHLENiNSEL-PBojEKT ^cran, die hoffcnilich noch einsehen 



ENTWURF DER STADTISCHEN HÖHEREN TÖCHTERSCHULE IN mONCHEN 
178 



STÄDTISCHE HÖHERE TÖCHTERSCHULE IN MÜNCHEN 



-^.^D- THEODOR FISCHER <^^- 



HAUPTPORTAL DER STÄDTISCHEN HÖHEREM TÖCHTER; 



HULE m MÖNCHEN 



lernen, dass es vorteilbaher ist, Kunst zu 
treiben in Verbindung mit der Baukunst, 



CIEBELVEIBCHEN VON DER STÄDTISCHEN 
HÖHEREN TÖCHTERSCHULE [N MONCHEN 
MODELLIERT VON TH. VON GOSEN • • « • 



Statt Tageblariruhm in den Kunstausslei- 
lungen zu holen. 

Vorläufig freilich werden uns dieselben 
Personen, welche für den architek ionischen 
Schmuck oben angedeuteter Art unbesehen 
Tausende bewilligen würden, für eine gute 
Figur oder ein Fassadenbild 2000 Mark rund- 
weg abschlagen; denn dass man sein Haus 
mit Gips und Cement in nichtssagenden 
Formen dekoriert, gehört zum Gebot des 
Anstandes, Kunst aber ist Luxus. Solange 
Kunstsachen den Majoritätsbeschlüssen von 
Laienkollegien unterliegen, wird sich das nicht 
bessern, und insofern dies ein Punkt ist, wo 
der Hebel zu allererst eingesetzt werden sollte, 
ist die Abschweifung hier auch nicht am 
falschen Platze. 

So sehr wir oft bei ötfentlichen Bauten 
verlegen sein können um die Gegenstände 
der Darstellung, so wenig ist dies beim Schul- 
haus zu befürchten, denn alle Stoffe der Sage, 
des Märchens und der Religion, die unsere 
Altvordern an ihren Bauten lebendig werden 
Hessen, und für die wir Grossen von heute 
zumeist die Naivetät verloren haben, alle diese 
sind vortrefflich geeignet für die Schule. Um 
eins wäre zu bitten, dass man nicht die Nase 
rümpfe, wenn auch einmal ein Spass, sei's 
auch ein derber, unterläuft; es scheint fast, 
dass der Humor ein Leitfossil für eine Zeit 
des Aufwärisstrebens sei. Möge man doch 



r^^3S> DAS SCHULGEBÄUDE <^^^ 



NORDPORTAL DER STÄDTISCHEN HÖHEREN TÖCHTERSCHULE IN MÖNCHEN 



im ganzen Klassizismus nach dem kleinsten 
Tröpfchen Humor suchen! 

Um aber nicht in den Verdacht zu kommen, 
dass man nur gegenständlich für die Kunst 
interessieren wolle, sei auf die unerschöpf- 
lichen Möglichkeiten formaler Bildung hin- 
gewiesen, die in rhythmischen Reihen, in 
stilisierten Pflanzenornamenten und vor allem 



in der farbigen und stofflichen Behandlung 
der Architektur liegen. 

Der so lange verachtete Kalkputz ISsst sich 
in Form und Farbe in immer wieder neuen 
Arten behandeln; es steht zu hoffen, dass 
er noch mehr als bisher sein Reich zurück- 
erobert und uns erlösen hilft von den leder- 
gelben oder kaltroten Backstein kästen, die 



TIERFIGUREN VOM SODPORTAL DER STADT, HÖH. TOCHTERSCHULE IN MÖNCHEN« AUSGEF. VON TH. VON GÖSEN 



THEODOR FISCHER <^-v- 



besonders in Mittel- und Süddeutschland so 
fremdartig die Einheit der Landschaft zer- 
stören. Diese lokale Einheit der Farbe, deren 
Grundlagen oft sehr schwer festzustellen sind, 
ist etwas, was ein feinfühliges Auge heute 
oft schwer vermissen muss. 

Von der erzieherischen Wirkung eines 
Schulgebäudes wird hier im allgemeinen 
und nicht im besonderen für die Kinder 
gesprochen, denn beides ist gleich wichtig 
und gleich möglich. Anders ist es nun, 
wenn wir uns ins Innere der Schule ver- 
fügen. Hier fängt das ausschliessliche Reich 
der Kinder an. Die künstlerischen Grund- 
sätze bleiben aber wohl dieselben, draussen 
wie drinnen. Wir verlangen hier wie dort 
vernünftige Einfachheit und natürliche Ehr- 
lichkeit. Es ist ein Krebsschaden der heu- 
tigen Bildung in fast allen Kreisen, dass man 
mehr scheinen lassen will, als da ist; dass 
man Gips bronziert und Fichtenholz mit 
Eichenholzmaser bemalt. Das sind Sünden 
der schlimmsten Art, die im 
Schulhaus so verpönt sein sollten 
wie jede gesprochene Lüge. Wenn 
die Kinder nie die Verleugnung 
des Materials zu sehen bekom- 
men, wenn sie nie etwas loben 
hören, deshalb, weil es reich 
aussieht, sondern nur, wenn das 
Werk ehrlich ist nach Zweckbe- 
stimmung und Materialbehand- 
lung, dann sollte man meinen, 
dass allmählich jene unheilvolle 
Sucht nach äusserlicher Vornehm- 
heit, die unserem Streben das 
schwerste Hindernis ist, vergehen 
müsste. 

Wenn wir hier allem unnötigen 
Schmuck, den wir nach unserer 
Auffassung als solchen ja nicht 
anerkennen, dasRechtabsprechen, 
so wolle das nicht aufgefasst 
werden, als wenn wir der kalten 
Nüchternheit das Wort sprächen. 
Die Stimmung des Heimlichen 
und Behäbigen hängt aber gar 
nicht zusammen mit dem Auf- 
wand, sondern es mag einem 
tüchtigen Künstler wohl gelingen, 
einen Raum ohne alles, was man 
gemeiniglich Ornament nennt, so 
schön zu gestalten, dass eben 
nur die heutige Verbildung etwas 
zu vermissen hätte. Der Einfall 
des Lichtes, die Ausnützung des 
Reflexes, die harmonischen Ver- 
hältnisse eines Raumes, Kontraste 



in einer Raum folge, Vermeidung der mathemati- 
schen Regelmässigkeit, des grössten Feindes 
künstlerischer Wirkung, und die gute Wahl 
der Farben an den Wänden und der Decke, das 
sind alles Jftittel, die gar nichts kosten, und 
doch die feinsten von allen. Wenn dann in 
dieser Einfochheit ein gutes Bild an die Wand 
gehängt oder eine Plastik aufgestellt wird, 
so erhöht sich Raum und Kunstwerk in 
gegenseitigem Wetteifer. Das gilt nun in 
gleicher Weise von den Vorräumen und von 
den Schulsälen. Dort verlangen wir im all- 
gemeinen wohl lichtere Töne. In den Scbul- 
sälen aber gehört die Farbe an die Wand; 
da wir uns gewöhnt haben, ein übriges an 
Fensteröffnungen zu thun, ist es wohl nicht 
mehr nötig, allzu zimperlich helle Töne zu 
verlangen. Das Holzwerk, sofern nicht das 
billigste Weichholz genommen ist, behält am 
besten seine Naturfarbe unter einem Firnis, 
schon der Reinlichkeit wegen. Wollen wir 
aber Deckfarbe, so sei uns die Freude eines 



PORTAL DER STÄDTISCHEN GEWERBESCHULE IN MÖNCHEN 



^j-^ DAS SCHULGEBÄUDE <^-^ 



nicht intim, wie der Ausdruck von beute 
lautet, wirken kann. Das viel einfachere 
und fürSchulsäle sehr zu empfehlende Mittel, 
dies zu erreichen, ist aber die Sprossenteilung, 
wie denn gerade in den grossFenstrigen Schul- 
zimmern die gute Teilung der Fenster von 
grösster Wirkung ist. 

Diejenigen Räume des Hauses, denen eine 
Auszeichnung zukommt, sind wohl die Ein- 
gangshalle, das Treppenhaus und die Aula; 
aber auch hier empRehlt es sich, die Stei- 
gerung nicht in einer Mehrung von Orna- 
menten, Thüraufsälzen und Stucksäulen zu 
suchen, sondern in der Anbringung guter 
Kunstwerke, die durchaus nicht immer sich 



farbigen Anstrichs gewährt. Fern weisen wir 
ab die Chokoladetöne und noch femer die 
oben schon verdonnerte Imitierung edler 
Holzarten. In München hat man mit vielem 
Glück versucht, den Ton unserer alten Bauern- 
möbel mit ganz einfacher Bemalung anzu- 
schlagen. Anderswo versuche man etwas 
anderes. 

Es ist nicht unwichtig, auf die Wirkung 
der Sprossenteil ung in den Fenstern aufmerk- 
sam zu machen, die dem falschen Glauben, 
dass sie zu viel Licht wegnehme, aus unseren 
Schulhäusern wie aus den Wohnräumen im 
Laufe der Zeit weichen musste. Ein Fenster 
mit grossmächtiger Spiegelscheibe gilt als 
besonders vornehm, hauptsächlich deshalb, 
weil es viel kostet. Dann hängt man es aber 
mit dicken Vorhängen wieder zu in einem 
ganz natürlichen Gefühl, dem nämlich, dass 
ein Raum mit Spiegelscheiben nicht nach 
aussen abgeschlossen erscheint und deshalb 



WINTHIRBRUNNEN IN mONCHEN-NEUHAUSEN 
NACH ENTWORFEN THEODOR FISCHERS AUS- 
GEFÜHRT VON J. BRADL« «•••••••«■ 



^j5> THEODOR FISCHER, DAS SCHULGEBÄUDE <Sä^ 



K 



Aber dazu, höre ich alle Gemeinderäte 
Deutschlands sagen, haben wir kein Geld. 
Wir müssen alljährlich drei Schulhäuser 
bauen für eine halbe Million , damit die 
Kinder untergebracht sind, den Luxus des 
Schönen können wir uns nicht leisten. Ach, 
wie oft sollen wir noch nachweisen, unwider- 
leglich nachweisen, dass Kunst — wenn sie 
so ist, wie sie sein soll — mit Luxus nichts 
zu thun hat. Für die Leute bleibt geschmack- 
voll mit teuer immer noch gleichwertig, und 
umgekehrt, was nicht viel kostet, ist nicht 
weit her. Solange dieses Dogma noch in 
den Köpfen steckt, wird die symmetrische 
Normal fassade der Gipfelpunkt des Schul- 
gebäudes bleiben. Wenn aber Natürlichkeit 
und Einfachheit des Denkens doch noch ein- 
mal über unseren Geistesdrill den Sieg davon- 
trägt, dann werden wir ein stolzes und wohn- 
liches Schulhaus bauen können, aus dem das 
Kind das SchÖnheitsbedürfnis mit in die 
Familie und, wenn aus den Buben Volks- 
vertreter geworden sind, mit in die Oeffent- 
lichkeit hinüber tragen soll. 



durch die bekannte Bezüglichkeit auf das 
Kinderleben auszuzeichnen brauchen. Das 
Treppenhaus werde wohl mit einigen Werken 
der Schmiedekunst versehen, denn es ist 
darauf zu achten, dass alles Handwerk ver- 
treten sei und — fügt ein frommer Wunsch 
dazu — auch in technischer Hinsicht nur 
bester Art. Da aber ist der schlimme Riegel 
vorgeschoben, den zu entfernen wir uns noch 
lange bemühen werden, und der heisst: Ver- 
dingung an den Billigsten. 

Ein Wort noch über den Spielhof, den 
Platz der Erholung und der Lust ! Wie oft sind 
diese Höfe leider zwischen hässliche graue 
Rückgebäude eingezwängtl Mit gutem Grund 
ist deshalb eingangs die Lösung des Gruppen- 
baues um den Hof so hervorgehoben worden, 
die nur eben leider in Ökonomischer Hin- 
sicht ihre Bedenken hat. Immerhin gelingt 
es wohl auch, durch Baumpflanzungen einen 
im Innern eines Baublocks liegenden Hof zu 
einem erfreulichen Ort zu gestalten, beson- 
ders wenn alles, was vorhanden ist, Brunnen, 
Bänke, Mauern und Hütten, mit Liebe und 
Geschmack gemacht wird, und noch mehr, 
wenn dort aus unseren Museen und Kunst- 
ausstellungen Werke im Freien oder in Hallen 
könnten aufgestellt werden. 

Auf diesen und ähnlichen Wegen ist viel- 
leicht das Schulhaus zu erreichen, das kunst- 
erziehend auf jung und alt wirken könnte. 



^r^> DARMSTADT NACH DEM FEST O*^ 



DARMSTADT NACH DEM FEST 

Von Benno ROttenauer 



Kein post festum ist ganz erquicklich. Man 
muss schon froh sein, wenn die Un- 
erquickiichkeiten nicht zu Trüh kommen, nicht 
mitten in die Peststimmung hineinfallen. 

Und kaum davon blieb die Darmstädter 
Künstlerkolonie und ihr Ausstellungsfest ver- 
schont. Das schönste Gefühl herrschte in der 
vorbereitenden Zeit, und das Goethesche 



hat hier seinen melancholischen Sinn aber- 
mals bewährt. Auch hier versprach die 
Knospe Wunder. Es ist gerade ein Jahr, 
dass ich die Kolonie zum erstenmal besuchte. 
Zu sehen war noch nicht viel, umsomebr war 
zu hören. Und ein hoffnungsvolles freudiges 
Schaffen herrschte. Ein warmer Glaube lebte 
in den Gemütern. Er teilte sich einem mit. 
Ob man mit Christiansen sprach oder mit 
Behrens oder Olbrich, immer hatte man 
das Gefühl, Männern gegenüberzustehen, die 



erfüllt waren von dem, was sie wollten, 
die „im Innern Herzen spürten, was sie er- 
schufen mit ihrer Hand", und die sich wohl 
zutrauen durften, das Neue und Grosse, an 
das sie glaubten, zu verwirklichen und der 
Welt damit ein Fesigeschenk zu machen. 

Sie waren hierin ganz ehrlich. Die innere 
und äussere Teilnahme eines Fürsten, von dem 
'Sie den höchsten Begriff hegten, bestärkte sie 
in ihrem Vertrauen. Und in demselben Masse 
bestärkten sie andere darin. Besonders Beh- 
rens, dem eine edle Beredsamkeit zu Gebote 
steht, wie man sie selten bei Künstlern trifft, 
wirkte in hohem Grade suggestiv. Uns 
Freunde ergriff ein kleiner Taumel der Be- 
geisterung. Ausser den Künstlern entrich- 
teten wir freudig unsern Tribut auch dem 
Fürsten, der so viel schöne Hoffnungen durch 
unmittelbare persönliche Teilnahme belebte. 
Die Künstlerherzen selber quollen über von 
Dankbarkeit gegen den fürstlichen Freund. 



-w-^> DARMSTADT NACH DEM FEST <^^^ 



Damals schrieb Rickard Muther seinen 
enthusiastischen Bericlit im .Tag". Auch 
dieser Enthusiasmus war ehrlich. Dass Rich. 
Muther, vielleicht etwas allzu schnell und 
allzu schroff, in einen entgegengesetzten Ton 
verfiel und gegen sich selber sprach, ist kein 
Beweis des Gegenteils. Die Frage ist, ob in 
der Folge sein Enthusiasmus oder sein Wider- 
spruch dazu Recht bekam. 

Doch nicht die Darmstädter Kunstleistungen 
an sich und ihren Wert oder Unwert haben 
wir bei dieser Fragestellung im Auge. Da- 
rüber ist genug geschrieben worden. Nur 
das Verhältnis der dortigen Künstler zur 
Stadt oder zum Staat und nicht am wenig- 
sten zum Fürsten, interessiert uns heute. 
Dieses Verhältnis aussprechen, heisst das 
Schicksal der Kolonie aussprechen. 

Und es heisst zugleich die Frage be- 
antworten, ob Darmstadt, wie es durch die 



Vorgänge des letzten 
Jahres den Anschein 
gewann, Aussicht hat, 
eine Kunststadt zu 
werden. 

Um es gleich auszu- 
sprechen : Diese Aus- 
sicht ist keine grosse. 
Und das Schicksal der 
Kolonie selber ist heute 
in bedenklichem Grad 
zweifelhaft. Vielmehr, 
es ist schon kaum mehr 
zweifelhaft. 

Keine Schuld soll 
hier erhoben und er- 
wogen werden. Nur 
einige Thatsachen und 

Erklärungen vorzu- 
bringen sei versucht. 

Zweierlei hat zu- 
nächst die Künstler 
verstimmt. Sie durften 
vielleicht erwarten, 
dass die grosse Arbeit, 
die sie an die Ausstel- 
lung gewandt hallen, 
fruchtbringend sein 
werde, dass, auf ihre 
Anregung hin im Staat 
oder bei Privaten, in 
der Stadt oder im 
Lande , sich Bedürf- 
nisse regten und äusser- 
ten, die ihnen eine ge- 
sicherte und weiter an- 



regende Wirksamkeit 
in Aussicht stellten. 
Es Hess sich nichts 
dergleichen verspüren. 
Dass sich schon der 
Protektor der Aus- 
stellung, der Landes- 
fürst, trotz allem per- 
sönlich freundschaft- 
lichen Verhältnis zu 
den Künstlern, zu kei- 
nerlei nennenswerten 
Ankäufen für sich oder 

andere herbeiliess, 
wirkte auch nicht ge- 
rade ermutigend. 

Aber die Aussteller 
sollten noch unange- 
nehmere Ueberrasch- 
ungen erleben. Den 
einzelnen Kunstlern 
waren kleine Jahrge- 
halte, richtige Ehren- 
gehalte zugesagt, einzig 
dafür, dass sie in Darm- 
stadt wohnten und 
wirkten und also eben 
Darmstadt zu einer 
Kunststadt stempelten. 
Diese Gehälter be- 
zahlte am Anfang der 
Grossherzog, später 
übernahm sie der 
Staat. Das Organ des 
Staates aber ist die 
Bureaukratie. Und das 



HANDLAMPEN * ENTWORFEN VON RICK. MÜLLER 
AUSGEFÜHRT VON K. M. SEIFERT & CEE.. DRESDEN 



HANDLEUCHTER * * ENTTORFEN VON PETER BEHRENS (I. 2. 5.) UND 
RECH. MÜLLER (3. 4.) AUSGEFÜHRT VON K. M. SEEFERT & ClE., DRESDEN 



-^.^> DARMSTADT NACH DEM FEST <^-^ 



TAFELGLASER « AUSGEFÜHRT VON DEN RHEINISCHEN GLASHOTTEN A.C-., KÖLN-EHRENFELD 



Verhältnis der Bureaukratie zur Kunst, das 
kennt man. Die Bureaukratie hat sich Kunst 
und Künstlern gegenüber ja immer wunder- 
bar betragen. 

Und so machte man auch in Darmstadt 
einige allerliebste Erfahrungen. Solange der 
Grossherzog für die Sache Feuer und Flamme 
war, niussten die Kunstbeschützer von Amts- 
wegen wohl oder übel im Hintergrund bleiben, 
und alles ging gut. Als aber, aus welchen 
innern und äussern Gründen immer, der Fürst 
etwas lauer wurde . . . aber schweigen wir 
darüber. Folgendes ist das Historische. 

Die Ausstellung wurde am Abend ge- 
schlossen, am andern Morgen schon erschien 
ein Bote des Kabinetrats Soundso und verlangte 
Räumung des Ernst Ludwig-Hauses undUeber- 
gabe sämtlicher Schlüssel. Der Professor 
Christiansen als Generalbevollmächtigter der 
Kolonie erhob Einsprache. Er könne doch 
nicht mit den zahlreichen Ausstellungsgegen- 
ständen auf die Strasse. Auch dränge ja 
niemand. Es habe auch niemand dazu Ver- 
anlassung, denn nur ihm selber und seinen 
Kollegen sollte ja das Haus als Werkstatt 
übergeben werden. 

Alle Vorstellungen blieben fruchtlos. Der 
Beamte verharrte auf seinem Schein. Auch 
der besondere Hinweis, dass das Ernst Lud- 
wig-Haus der einzige feuersichere Ort sei, 
wurde nicht beachtet. Christiansen musste 
über Hals und Kopf ausräumen und die Aus- 
stellungsgegenstände in einen Holzschuppen 
flüchten lassen. Und der ist denn auch glück- 
lich abgebrannt. Eine Masse von Kunstwerken 
wurde zerstört. Christiansen allein verlor 
dabei sieben Skizzen. 



Das war die erste Heldenthat der Bureau- 
kratie. 

Die zweite folgte bald : Es wurde den Künst- 
lern zur Auflage gemacht, haarklein aufzu- 
zählen, was sie bis jetzt für ihre Bezahlung 
geleistet hätten. Echt bureaukratisch , nicht 
wahr? Wirkungen, moralische und geistige 
Wirkungen, damit kann der Aktenmensch 
nichts anfangen; er braucht Leistungen, die 
er buchen kann, die er in , Rechnung stellen 
kann". 

Sehr bezeichnend waren es die beiden 
jüngsten Mitglieder der Kolonie, die auf diese 
Zumutung gar nicht antworteten, Bürck und 
Huber. Dafür erhielten sie, schön auf Weih- 
nachten, die Kündigung ihres Vertrags. 

Der talentvolle Bürck, den der Grossherzog 
sehr schätzte und liebte, hatte sich längst in 
gewissen Darmstädter Kreisen verhasst zu 
machen gewusst. Er hatte ja ganz nackte 
Menschen nur so ins Freie hingemalt. Da 
heisst l3s dann — ich eitlere — : „Wir sind 
selbstverständlich weit davon entfernt, die 
kindischen Prüderien rechtfertigen zu wollen, 
die im lieben Deutschen Reiche und um- 
liegenden Ortschaften an der Tagesordnung 
sind. Wir verabscheuen dieses Treiben der 
Lex-Heinze-Leute. Aber . . . !" 

Ja, aber! O, dass euch das Mäuschen 
beisse, ihr komischen liberalen Leute, die ihr 
im Prinzip immer ganz gewallig liberal seid, 
aber nie im gegebenen Fall. Auf einen 
solchen Liberalismus u. s. w. Paul BCrck hat 
bereits einen Ruf erhalten an eine bedeutende 
Kunstgewerbeschule. Dieser 22 jährige Jüng- 
ling wird der Welt noch eines Tages Ueber- 
raschungen bereiten. 



181 



^■^^> MODERNE GLÄSER -C^-c- 



Die andern liererten also ein Verzeichnis Daraufhin war Professor Olbrich Hof- 

ihrer Leistungen. Allem nach wurden sie un- mann genug, auf jeden Gehalt freiwillig zu 

genügend erfunden. Man forderte die Herren verzichten. Auch Christiansen lehnte die 

auf, Vorschläge für die Zukunft zu machen. Meisterkurse unter Beamten Kontrolle kurzer- 

Die Regierung selbst schlug „Meisterkurse" hand ab. Er wird nicht in Darmstadt bleiben, 

vor. Dazu hatte offenbar Behrens mit seinen Wahrscheinlich nicht einmal in Deutschland. 

Kursen in Nürnberg die Veranlassung ge- Zunächst macht er eine Erholungsreise nach 

geben. Paris. 



TAFELGLÄSER • AUSOEFOHRT VON DEN RHEFNISCHEN GLASHÜTTEN A.C., KÖLN-EHREN FELD 



-.,.-^> DARMSTADT NACH DEM FEST <^-^ 



Behrens konnte das, was er für Nürnberg 
that, für Darmstadt nicht ablehnen, und so 
heisst es, dass er bleibe. Aber er macht 
keine Miene, in sein Haus einzuziehen, und 
mir scheint, aber ich will nicht indiskret sein. 
Die beiden, bis jetzt nicht Genannten, Bosselt 
und Habich, sind Hessen, ihr Verhältnis zu 
Darmstadt ist also wesentlich anders. 

Kann man nun behaupten, die Kolonie sei 
in der Auflösung begrifFen? 

O, man kann auch das Gegenteil sagen. 



ZU UNSEREN BILDERN 



Lichtträger der Firma K. M. Seifert 
& CiE. in Dresden. Der Purismus, die In- 
genieurkunst ist der neuen Richtung auch von 
solchen Leuten vorgehalten worden, an deren 
künstlerischer Kultur nicht zu zweifeln ist. Ob 
nun der «Maschinenstil", der in der besten 
Zweckei-füllung seine schönste Li5sung sieht, 
ob die Freude an formenreicher Phantasie den 
Vorzug verdient, das ist in dieser Aligemeinheit 
nicht zu entscheiden. Alles kann übertrieben, 
das beste Prinzip ad absurdum geführt werden, 
und jede Revolution verfällt zunächst einem 
Extrem. Aber wo es gilt, die neue Grund- 
tage für eine neue, unser ganzes Leben durch- 
dringende Kunst zu schaffen, da heisst es 
vor allem den Platz von jedwedem Gerumpel 
säubern, auch auf die Gefahr hin, das male- 
rische Stilleben zu opfern, das allzulange 
schon den Ehrenplatz in unserem Kunstge- 
werbe eingenommen hat. Ein Gebiet, auf 
dem die Befreiung von ornamentalem Zierat 
am wohlthätigsten gewirkt hat und allein schon 
einer künstlerischen Leistung gleichkommt, 
ist das weite Feld der Metallbearbeitung. 
Erst die neueste Zeit hat den malerischen 
Reiz matter oder polierler Metalltlachen wieder 
erkannt und die elastische Biegsamkeit dieses 
Materials künstlerisch auszunutzen verstanden. 
Benson, mit dessen Werken wir, vor nun 
vier Jahren, unsere Hefte eröffneten, hat durch 
sein Beispiel bahnbrechend gewirkt. Und 
jetzt schon, während sich in England ein 
Stillstand bemerkbar macht, übertreffen manche 
unserer Fabrikate jene Leistungen an Mannig- 
faltigkeit und Entwicklungsfähigkeil. Insbe- 
sondere hat die Firma K. M. Seifert & Co. 
in Dresden in Verbindung mit den tüchtigsten 
Künstlern die in obigem Sinne besten Modelle 



von Beleuchtungskörpern mit den Mitteln einer 
vollendeten Technik zur Ausführung gebracht 
und sich dadurch eine führende Stellung in 
der weiteren Entwicklung dieser Branche ge- 
sichert. Mit ihr ist unserer Richtung wieder 
eine neue Firma gewonnen, die der Sache 
zu dienen ebenso bereit scheint, wie es uns 
sicher ist, dass der frische Wagemut seinen 
Lohn linden wird. 

Die Rheinischen Glashütten in Köln 
hatten schon auf der Pariser Weltausstellung 
eine Anzahl sehr bemerkenswerter moderner 
Tafelgläser zur Schau gebracht, die durch 
Form und Technik Interesse erregten; wie 
z. B. das anmutige Service mit aufgesetzten 
Glastropfen <vgl. S. 188 links), oder die hiit 
farbigem Ueberfangglas hergestellten, dem 
Blätterkelche abgelauschten Formen (S. 189). 
Seitdem sind weitere Muster hinzugekommen, 
die durch vornehme Kontur, gute Verhält- 
nisse und endlich durch den schönen Glanz 
des reinweissen Glases wirken. Wir möchten 
diesem vor dem Farbigen den Vorzug geben. 
Denn, so sehr das letztere die Tafel zieren 
kann, wenn das Arrangement von kundiger 
Hand geleitet wird, so streitet sich die Farbe 
des Trinkglases doch stets mit der des Weines, 
und es scheint uns schade, diese zu beein- 
trächtigen. Behrens hat daher bei seinem 
Glasservice (s.Jahrg. V, H. I, S. 24), das von 
der gleichen Fabrik herrührt, den kräftigen 
Farbton auf den Fuss des Glases konzentriert, 
und so das Mittel gefunden, dem Gold des 
Weines und farbenfroher Pracht der Tafel 
gerecht zu werden Wie für den Beleuch- 
tungskörper in Benson, so hat England auch 
für das Glasservice in der Firma Powell 
eine mustergültige Vertretung gefunden. Aber 



^r-^D- ZINNARBEITEN VON F. ADLER <^-^ 



alle Ansätze sind vorhanden, die uns holTen 
lassen, dass wir in Deutschland auch auf 
diesem Gebiete dem Vorbilde gleich kommen, 
ohne es nachzuahmen, und die Rheinischen 
Glashütten sind in diesem Wettkampfe nicht 
ohne Aussicht auf Erfolg. 

Zinnarbeiten von F. Adler, denen wir 
zuerst in Darmstadi begegneten, machten uns 
auf ein junges, vielversprechendes Talent auf- 
merksam, das, von einem starken FormgefiihI 
getragen, jetzt vielleicht noch etwas unsicher, 
sich bald zu grösserer Klarheit und Eigenart 
durchringen und sich von den letzten Fesseln 
übernommener Kunstgewerbelehren befreien 
wird. 

Paul Kbrsten's Einbände. Der Zug 
unseres heutigen Dekors geht mehr wie je 
dahin, einerseits durch grösst mögliche Oeko- 
nomie der ornamentalen Mitte), andererseits 
durch die Art ihrer Ausführung und An- 
bringung jene vornehme Einfachheit zu er- 
zielen, die als Zeichen guten Geschmackes gilt. 

Dass diese Richtung auch auf dem Gebiete 
des Buchgewerbes auf der ganzen Linie ge- 
siegt hat, lehrt fast jedes Schaufenster unserer 



Buchhandlungen. Der goldbeladene Pracht- 
band mit Triumphpforte, Herolden und Guir- 
landen ist so gut wie verschwunden, und 
wenn dafür die Grotesklinie auch oft ihr 
phantasieloses Unwesen treibt, so sprechen 
doch alle Anzeichen für eine Besserung auch 
ihres wandelbaren Charakters. 

Unter den i^feistern, welche den Buchein- 
band im oben angedeuteten Sinne wieder 
künstlerisch zu Ehren gebracht haben, ver- 
dient Paul Kerbten in Deutschland einen 
ersten Platz. Die Mehrzahl seiner Einbände 
(siehe Seite 192 und Band VI Seite 335) 
zeugen von jener weisen Sparsamkeit, die 
den schönen weichen Ton des Leders nicht 
mit Blattgold verdeckt, sondern im Gegenteil 
durch feinfühlige Linienführung ihn zu halten 
und zu erhöhen sucht. 

Wie Kersten dies Ihut, ist jedenfalls ge- 



schmackvoll. Der etwas unpersönliche Zug 
seiner Leistungen scheint uns dabei kein Fehler; 
denn im Grunde eignet dem Buchdeckel doch 
etwas von dem, was für andere Dinge der 
Handgriff ist. Ein Zuviel ist da schädlicher 
als ein Zuwenig. Zwar gegen den Wunsch 
nach innerer Harmonie des Deckels mit dem 
Inhalt ist prinzipiell nichts einzuwenden. In 
Wirklichkeit aber sind der in diesem Sinne 
gemachten Versuche nur wenige zu loben. 
Ein anderes ist es um die angewandten 
Mittel. Bei Kehsten ist jeder Einband ein 
Original wie irgend eine andere Zeichnung. 
Die technische Schwierigkeit, diese Zeichnung 
auf Leder zu übertragen, erklärt zur Genüge 
den hohen Preis dieser Einbände von oft 
hundert Mark und mehr. Uns dünkt aber, 
hier trenne sich Kunst und Handwerk, und 



^..^> EINBANDE VON PAUL KERSTEN <^-^ 



einbandeinganz- 
leder mit hand- 
vergoldung • ent- 
torfen und aus- 
gefOhrtvonpaul 
kersten,erlangen 

(GES. GESCH.) 



das Handwerk komme dabei zu kurz. Ob 
unter den Handwerks-Emblemen des Buch- 
bindergewerbes der Stempel sich befindet, 
wissen wir nicht; wir meinen aber, er gehöre 
dazu. KoLO Moser hat neuerdings in seinen 
Einbänden gezeigt (siehe Band VII Seite 
233/334), welche reizvollen Wirkungen durch 
die unendlichen Variationen und Kombi- 
nationen von nur wenigen Stempelmustern 
sich erzeugen lassen. Findige Phantasie wird 
mit zwölf Formen so viel verschiedene 
Werke schaffen können, wie es die iVlusik 
mit zwölf Tönen Ihut, und innerhalb dieses 



Rahmens bleibt der Einband das, was er ver- 
nünftigerweise sein sollte: eine Schutzdecke 
für das Buch. Als dagegen die Juroren die 
Einbände der Pariser Weltausstellung zu be- 
urteilen hatten, durften sie die subtilen Er- 
zeugnisse einiger französischer Meister nur 
mit einem Tuch auf der Hand berühren. 
Damit tritt aber eine Verschiebung des natür- 
lichen Verhältnisses zwischen Buch und 
Deckel ein, auf die wir hier im allgemeinen 
und ohne spezielle Rücksicht auf den Meister 
der vorliegenden Einbände hingewiesen haben 
möchten. 



CHARLES H. MACK1NT05H « LANDHAUS WINDVHILL, SODSEITE 

DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG: 

CHARLES R. MACKINTOSH UND MARGARET MACDONALI>-MACKINTOSH 

Von H. MuTHESius, London 



In der neueren englischen Kunsientwicklung 
bezeichnet das Datum des Todes William 
Morris' (1896) einen scharfen Einschnitt. 
Alle die Werte, mit denen die englische 
Kunstbewegung anregend und vorbildlich ge- 
worden ist, lagen damals fertig vor, sie waren, 
wenn auch nicht alle von Morris selbst, so 
doch von einer im tiefsten Ernst schaffenden 
Künstlerschar erzeugt worden, die in Morris 
willig ihren Führer anerkannte. Und es ge- 
wtlhrte damals für jeden Besucher Englands 
einen eigentümlichen Genuss, die ganze 
Musterkarte dieser Werte durchzuprüfen und 
damit eine mehr oder weniger geschlossene 
Kulturleistung kennen zu lernen, die nur die 
grösste Bewunderung hervorrufen konnte. 



Das Beispiel Englands wirkte zündend: die 
ganze Welt lenkte in neue künstlerische 
Bahnen ein, England hatte ihr den Weg in 
ein neues Kunstland gewiesen. 

Wer heute die Reise über den Kanal wieder 
zurücklegt, hat einen gänzlich verschiedenen 
Eindruck. Es hat sich im wesentlichen seit 
1896 nichts geändert. Genau dieselbe Sach- 
lage wie damals, ja sogar genau dieselben 
Namen treten ihm entgegen, und die einzelnen 
Künstler produzieren genau dieselben Dinge. 
Ein ganz offenbarer Stillsland. Das wäre 
nicht so schlimm, wenn der Gegensatz zu 
den inzwischen ausserhalb Englands gemach- 
ten Fortschritten diesen Stillstand nicht so 
scharf beleuchtete. Und es wäre nicht so 



-!r-^> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <^^ 



schlimm, wenn wirklich die MoRRis-Schule 
das letzte Wort in der teklonischen Neuent- 
wicklung schon gesprochen, die letzten Fol- 
gerungen schon gezogen hätte. Das ist jedoch 
nicht der Fall. In dieser Beziehung macht 
ein Fuktum jede weitere Erklärung über- 
Rüssig: noch nie ist in irgend einer Londoner 
Kunstgewerbeausstellung ein fertiges Zimmer 




CRUN[>RISSZE[CHNUNG ZUM LANI>HAUS WINDYHILL 



vorgeTührt worden, es handelt sich hier noch 
immer lediglich um Einzelstücke und den 
üblichen kunstgewerblichen Kleinkram. Dass 
es das Zimmer als ganzes ist, dessen sich 
eine wirklich ernst zu nehmende Kunst heute 
annehmen muss, das scheint überall fest zu 
stehen, ausser in London. 

Die Geschichtschreibung wird daher einst 
in der Entwicklung der neuen Kunstbewegung 
vielleicht zwei Hauptabschnitte festzustellen 
haben: die Zeit der Ausarbeitung der Grund- 
lagen durch England bis zum Tode Morris' 
und die Zeit des Ausbaues derselben ausser- 
halb Englands von da an. Es ist ganz merk- 
würdig, wie fast genau mit dem Todesjahre 
Morris' rund um England herum die neue 
Bewegung einsetzte, in Belgien, Frankreich, 
Deutschland und Schottland. Und überall 
lag sofort das klare Ziel vor: das Zimmer 
als ganzes zu betrachten, es als künstlerische 
Einheit auszubilden. 

Die schottische Bewegung muss in dieser 
Beziehung durchaus als eine von der eng- 
lischen verschiedene, mit den kontinentalen 
Bewegungen parallel laufende betrachtet wer- 
den. Wie gegen letztere, so macht übrigens 



LANDHAUS WINDYHILL, NORDSEITE 



LANDHAUS VINDYHILL, HOFINNERES MIT SPRINGBRUNNEN 
195 25' 



-sp^^> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <^^ 



auch gegen die schottische das Londoner 
Lager in gewissem Masse Front, es Fühlt sich 
im Gegensatz zu ihr. Und wie im vergan- 
genen Jahre sich aus den Londoner Reihen 
ein öfTenllicher Protest erhob, als ein reicher 
Kunstfreund eine auf der Pariser Weltaus- 
stellung erworbene Sammlung kontinentaler 
neuer Möbel (sie waren freilich nicht alle der 
besten Art) dem South Kensington -Museum 
geschenkt und dort ausgestellt hatte, so wurde 
der schottischen Gruppe auf der letzten Lon' 
doner Arts- and- Crafts-Ausstellung der Zu' 
tritt versagt. Dies ist die heutige Stellung 
Englands zur Kunstlage. Und man muss ge- 
spannt sein, welches Bild die binnen JahreS' 
frist zu eröffnende neue (siebente) Arts- and' 
Crafts-Ausstellung von ihr liefern wird. 
Jedenfalls kann man heute schon behaupten, 
dass, wenn man Grossbritannien als Einheii 
betrachtet, der Gravitationspunkt der Kunst- 
bewegung von London nach Glasgow 
rückt worden ist. Wer heute neue Kunst zu 



WINDYHILL « ■ TREPPENLAMPE FOR 
GAS AUS GESCHMIEDETEM STAHL MIT 
PURPURFARBIGEM GLASSCHMUCK •■ 



LANDHAUS WINDYHILL « TREPPENFLUR « WÄNDE 
WEISS, GELÄNDER AUS GRON GEBEIZTEM HOLZ 
MIT CRONEN QUADRATISCHEN GLASFOLLUNGEN 



sehen wünscht, hat seine Schritte nicht 
nach London, sondern nach Glasgow 
zu richten. 

Die Stellung Glasgows zur Kunst 
ist sehr eigentümlich. Es ist eine 
künstlerisch ganz neue Stadt. Die 
reiche schottische Kunstentfaltung in 
der Malerei und Baukunst des 18. Jahr- 
hunderts hat sich in Edinburg abge- 
spielt. Die glanzvollen Namen, die 
Schottland in der Malerei aufzuweisen 
hat, gehen von Edinburg aus, und sie 
sind so bedeutend, dass sie die eng- 
lische Malerei oft bedeutend beein- 
flusst, wenn nicht umgestaltet haben. 
Glasgow trat erst in den Vordergrund, 
als die neuschottische Malerschule auf- 
tauchte, eine Schule, die ihrerseits im 
Gegensatz sowohl zu der englischen 
wie der Edinburger Schule stand. In 
ihrem Zusammenhange wurde Glasgow 
als Kunstzentrum zuerst genannt. Im 
weiteren Zusammenhange verdient es 
aber heute auch im Hinblick auf die 
Leistungen der neuen dekorativen 
Schule als Kunstzenirum betrachtet zu 
werden, in deren Mittelpunkt Charles 
R. Mackintosh und Margaret Mac- 
donald-Mackintosh stehen. Sie hat 
mit der Malerschule nichts gemein 
als den fruchtbaren Glasgower Boden, 
der künstlerisch noch jungfräulich dalag 
und nicht mit dem Erbe einer Kunst- 
überlieferung belastet war. Daher der 



LANDHAUS WENDYHILL, HALLE U.TREPPENHAUS • HOLZTERK U. BODEN EINFARBIG 
GRÜN, KAMINVERKLEIDUNG U. LAMPEN IN SCHMIEDEISEN M. FARBIGEN GLASSTEINEN 



^^^Ty DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <^^ 



LANDHAUS VtNDYHILL « SPIELZIMMER 



vollkommen freie Ausgang, den beide Glas- 
gower Bewegungen nehmen konnten, ein Aus- 
gang, der ihnen auch durch keine etablierte 



CH.R.MACKINTOSH • TISCH A.EICHENHOLZ, DUNKI 



Akademie und deren unvermeidlichen Kunst- 
anhang verbaut wurde. 

Die schottischen Maler tbaten sich etwa 
1880 zusammen, die Gruppe dekorativer 
Künstler trat erst reichlich 15 Jahre 
später auf, und ihre Mitglieder werden 
von den Malern, die inzwischen zum 
Teil gross und berühmt geworden sind, 
noch heute als Nesilinge betrachtet. 
15 Jahre genügen heute, um zwei Kunst- 
generalionen als fremd, wenn nicht als 
feindlich gegenüber zu steilen. Und doch 
liegt die Sache heute so, dass sich die 
Welt besinnt, ob die Schar der Glas- 
gower Maler nicht, wenigstens auf dem 
Kontinent, etwas überschätzt worden sei, 
während die Leistungen der jungen de- 
korativen Schule für jeden, der einen 
Blick in ihr Wirken gelhan hat, als 
ausserordentlich vielversprechend erkannt 
werden und in ihrem Einfluss noch gar 
nicht abzusehen sind. 

Freilich ist zum Erkennen des wirk- 
lichen Wertes dieser Leistungen das per- 
sönliche Kennenlernen desselben uner- 
lässlich, der Eindruck der Abbildungen 
ist gerade hier durchaus ungenügend für 



J 



LANDHAUS WIHDYHILL • KAMINECKE IM WOHNZIMMER, HOLZTEILE 
WEISS GESTRICHEN, KAMINRAHMEN AUS MARMOR-MOSAIK, VERZIERT MIT 
ROSEN AUS GLASFLUSS, KAMINVORSETZER AUS GESCHMIEDETEM STAHL, 
KRONLEUCHTER FÜR VIER GASFLAMMEN AUS WEISS GESTRICHENEM EISEN 
UND IN BLEI GEFASSTEM, HELLEN GLAS MIT PURPURFARBIGEN ROSEN 



^'-^> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <^^ 



die Beurteilung, vor allem schon deshalb, weil 
die Farbe Tehlt. Diese, in jedem Falle zutreff'ende 
Beschränkung ist hier deshalb noch um so 
mehr Fühlbar, weil in vielen der Dekorationen 
der Farbe die Hauptwirkung überlassen ist, Or- 
nament rast ganz fehlt und die Linie in der 
strengsten Enthaltsamkeit, fast nur als Gerade, 
auftritt. Erst wer einen Blick in eine fertige 
Dekoration der Schule gethan hat, wer etwa 
die Wohnung des Künstlerpaares Charles 
R. Mackintosh und Margaret JWacdonald- 
Mackintosk gesehen hat, wird sich eine 
wirkliche Meinung über den Wert der Lei- 
stungen, sowie über die künstlerischen Ziele 
der Sch&pfer bilden können. Diese Meinung 
kann aber für jeden offensinnigen Beurteiler 
nur die allergünstigste, wenn nicht begeistert- 
ste sein. Denn man steht hier vor einer 
neuen Welt, deren zauberischer Reflex, mäch- 
tig und tief, auf den Beschauer überströmt. 
Es ist schwer, heute von neuen Erscheinungen 
auf dem Gebiete der dekorativen Künste in 
Superlativen zu reden; diese Superlative sind 
von eifrigen Kunstberichterstattern etwas ab- 



genutzt worden und haben zudem oft Für 
zweifelhafte Propheten herhalten müssen. 
Und so ist es vielleicht besser, einen Be- 
richt wie den vorliegenden vorwiegend darauf 
zu richten, die Darlegung von Wesen uod 
Eigenart eines Künstlers über den Rahmen 
des Illustrationsmaterials hinaus zu versuchen 
und diejenigen notwendigen Erklärungen zu 
dem letzleren zu geben, die für die Beurtei- 
lung desselben erwünscht sind. 

Die Gruppe der hier in Rede stehenden 
Glasgower Künstler besteht in ihrem Grund- 
bestandteil aus vier Leuten, die alle der Glas- 
gower Kunstschule entsprossen sind. Es sind 
Charles R. Mackintosh, Herbert McNair 
und die Schwestern Margaret und F. Mac- 
donald. Es wäre jedoch zu viel behauptet, 
dass die — übrigens sehr gut von F. H. New- 
BERRY geleitete — Kunstschule für die Ent- 
wicklung dieser Talente verantwortlich sei. 
Die Eigenart derselben hat sich von Anbe- 
ginn selbständig und eher im Widersprucli 
zu den Lehrgängen der Schule als mit ihnen 
in Uebereinstimmung entwickelt. Auf der 



-j-^> CHARLES R. MACKINTOSH <^S^ 



LANDHAUS VINDYHILL« KAMIN IM ESSZIMMER AUS PORTLAND-CEMENT 
MIT DUNKEL GEBEIZTER ElCHeNHOLZ-VERKLEIDUNC, GITTER AUS GE- 
SCHMIEDETEM STAHL UND MESStNGLAMPEN fDr GASGlOHLICHT* « ■ 



Londoner Arts- and- Grafts- Ausstellung von 
1896 traten sie zum erstenmal vor die 
grössere OefFentlichkeit, nicht ohne lebhaften 
Widerspruch zu erregen. Der damals noch 
lebende rührige Gleeson White nahm sich 
aber der jungen Leute an und zollte in einer 
Artikelreihe im .Studio" ihren Leistungen 
warme Anerkennung. Ein sichtbarer grosser 
Erfolg war es, als bald darauf McNair an 
Stelle des nach London übersiedelnden Anning 
Bell als Direktor an die Kunstschule zu 



Liverpool berufen wurde. Anderseits ist 
Charles R. Mackintosh, der von Anfang 
an seine Hauptthätigkeit in rein architektoni- 
schen Arbeiten gefunden hatte, inzwischen 
Mitinhaber einer der bedeutendsten Glas- 
gower Architekten-Firmen geworden, die sich 
jetzt HoNEYMAN, Keppie uod Mackintosh 
nennt. Die beiden weiblichen Mitglieder der 
kleinen Gesellschaft aber haben sich schon 
seit einigen Jahren mit den beiden männlichen 
im Ehebunde vereinigt und üben nun in Ge- 



LANDHAUS WINDYHILL • SCHLAFZIMMER, BETTSTELLE UND WÄNDE WEISS 
GESTRICHEN, SCHABLONIERTES VANDMUSTER IN GRÜN UND ROSA ••«« 



LANDHAUS WENDYHILL • SCHLAFZTMMERSPIECEL, WEISS 
GESTRICHEN MIT GRÜNFARBIGEN GLASFÜLLUNGEN, LAM- 
PEN AUS VERSILBERTEM KUPFER, STUHL GRON GEBEIZT 



"^•^ DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG 



meinschaft mit ihren männlichen Partnern 
ihren Beruf weiter aus. Ausserhalb Eng- 
lands fanden die Arbeiten der Gruppe die 
lebhafteste Anerkennung auf der Secessions- 
Ausstellung in Wien 1900, zu der Charles 
R. und Margaret Macdonald-Mackintosh 
eingeladen worden waren. 

In Glasgow ist inzwischen eine ganze 
Schule entstanden, die in den von der Gruppe 
betretenen Wegen wandelt. Für den als 
Fremder nach Glasgow Kommenden haben 
die dortigen Leistungen der neuen Kunst- 
bewegung daher den Charakter eines Orts- 
stils. Es steht natürlich nicht alles auf der 
Höhe der Werke der Führer. ' Aber ein ge- 
meinsamer Zug weht fast durch alle neue 
Aeusserungen der dekorativen Künste. Bereits 
haben einige Geschäfte sich den Erfolg der 
neuen Richtung zu nutze gemacht und junge 
Künstler herangezogen. Die letzte Glasgower 
Ausstellung, über die auch an dieser Stelle 
berichtet worden ist, zeigte viele derartige 



Beispiele. Diese von der Mackintosh- 
Gruppe abhängige Kunst hat dabei 
keineswegs den wertlosen Charakter, 
den die kontinentale Bewegung in den 
niederen Schichten der Industrieerzeu- 
gung angenommen hat, es bandelt sich 
mehr um einen künstlerischen Anhang, 
der sich hauptsächlich aus Schülern der 
dortigen Kunstschule rekrutiert. 

Bei Betrachtung der Eigentümlich- 
keiten dieses von der Mackintosh- 
Gruppe erzeugten Glasgower Stils liegt 
es nahe, daran zu denken, wie weit sie 
etwa Örtlich bedingt sind. Auch für den, 
der sich der Gefahren bewusst ist, die 
ein allzutiefes Forschen nach den Ur- 
sachen, dem GoETHE'schen Worte zu- 
folge, mit sich bringt, prägt sich doch 
der Eindruck ein, dass hier eine gewisse 
Beziehung zwischen dieser Kunst und 
dem Ortsgeiste Schottlands vorliegt. 
Dieses Land der eigenartigen Mischung 
von Puritanismus und Romantik, von 
Abstinenz und Mysticismus musste, 
wenn Neuausgänge genommen wurden, 
die so sehr den persönlichen Stempel 
trugen, wie es hier der Fall ist, auf 
etwas ähnliches wie die Mackintosh- 
sche Kunst kommen. Zweierlei scheint 
sich in ihr zu vereinen: eine äusserst e 
Straffheit und Enthaltsamkeit der Linie 
mit einem Hang zu geheimnisvollen 
Effekten. Diese Eifekte stehen immer 
auf breiten ungeschmückten Flächen, 
erheben sich aber dann zu einer be- 
sonderen, edelsteinartigen Wirkung und 



CH. R. MACKINTOSH ■ WOHNZIMMERLAMPE 
AUS VERSILBERTEM KUPFER U. MILCHGLAS. 
VERZIERT MET GRONFARBfCEM GLAS * • •• 



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DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG 




CH. R. MACKINTOSH « SCHABLONIERTES WANDMUSTER FÜR EIN 
WOHNZIMMER (»ROSEN LAUBE«) IN GRAU, ROSA UND GRON « • • 



erteilen so dem Gegenstande ästhetisch einen 
Gesamtwert, den er kaum auf eine andere 
Weise erreichen könnte. Die Abbildungen 
der Möbel auf Seite 204 und 209 mögen 
das Gesagte erklären helfen. Sie sind als 
einfache Kästen gefügt, mit vollkommener 
Unterdrückung der Füllungseinteilung und 
sind weiss emailliert. Auf diesem eintönigen 
Grunde sitzen dann kleine Omamentteile 
von höchster Verfeinerung, auf dem einen 
Schrank zwei in Silber getriebene Füllungen, 
denen die übrigen silbernen Beschläge ent- 
sprechen, auf dem andern in Holzrelief zwei 
stilisierte Vögel mit weit herabhängenden 
Flügeln, bei denen ganz kleine vertiefte 



Teile mit lebhaften Farben ausgemalt sind, 
so dass sie edelsteinartig herausleuchten. An 
der Bettstelle tritt am Fussende ein durch- 
brochenes Blattornament auf, bei welchem 
in die kleinen Durchbrechungen Teile farbiger 
Gläser gesetzt worden sind, die vom Bett 
aus betrachtet ein magisches Farbenspiel ge- 
währen. Diese eingesetzten farbigen Gläser 
bilden ein Lieblingsmotiv der Mackintosh- 
schen Kunst. Die Künstler setzen sie ge- 
legentlich, immer in winzig kleinen Stücken, 
in Thüren ein, wo sie gegen das Licht 
durchscheinend auftreten, in die Bretter von 
Brüstungen wie auf Seite 196, sie spielen 
eine grosse Rolle in seinen metallenen Be- 



206 



-^r^5> CHARLES R. MACKINTOSH <^^^ 



leuchtungskörpern und eine noch grössere 
— ebenfolls als kleine Streuschmuckteile — 
in Fenstern. In ganz schlichte Putzflächen, 
wie z. B. die Rahmenteile von Kaminen, setzen 
die Mackintosh's in ähnlicher Weise hell- 
leuchtende Fliesen ein, wie dies z. B. auf 
Seite 205 geschehen ist. Solche kleine, mit Vor- 
liebe quadratische und vertieFt sitzende Füll- 
ungen in lebhaften Farben treten auch an den 
Wänden, oft als einziger Schmuck derselben, 
auf. In allen diesen Fällen liegt die Absicht 
eines geheimnisvoll wirkenden, diskreten Edel- 
schmuckes vor, der in demselben Masse leuch- 
tend wirken kann, als er selten auftritt und auf 
breiten gänzlich ungesch muckten Flächen sitzt. 



Die Wirkung ist sofort eine solche der 
grössten Verfeinerung. Und der Vorwurf, den 
man sonst den Erzeugnissen der englischen 
Kunstbewegung machen konnte , dass sie 
lediglich primitiv und bäurisch seien, ist 
durch die hier gewählten Mittel beseitigt, 
hier ist die Wirkung eine der höchsten 
Kulturstufe entsprechende, eine aristokratisch 
feine. 

Im allgemeinen ist der Grundsatz fest- 
gehalten, die Form so streng und gross wie 
möglich stehen zu lassen. Keine Teilung 
einer Fläche, wo sie nicht durchaus nötig 
ist, keine Gliederung, die sie einschränkt. 
Die geschwungene Linie ist aus dem Auf- 



^^^5> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG 



baugerüst ganz und gar fern gehalten, eine 
straffe Sehnigkeit versteift alle Körper fast 
zu Urformen, die uns mit geheimnisvollem 
Blick anstarren. Hier ist nichts von dem 
phantastischen Linienschwung, den Belgien 
in unsere Kunst getragen hat, zu sehen, nichts 
von der müden Linie der Dekadence. Die 
Formen strotzen förmlich von Urwüchsig- 
keit und Primitivität. Und doch atmen die 
MACKiNTosn'schen Schöpfungen, wenn man 
ihnen in Wirklichkeit gegenüberiritt, eine 
seelische Vertiefung und eine nervöse Stim- 
mungsfeinheit, die sie in die Reihe der ver- 
geistigsten Kunstschöpfungen - unserer Zeit 
stellt. Abgesehen von dem schon erwähnten 
Verfeinerungsmitte) trägt hierzu das meiste 
die Farbe bei. Sie ist die Grundlage jedes 
Dekorationsgedankens, und an dem gewählten 
Farbenplane wird mitgrösster Rigorosität fest- 
gehalten. Selbst die spärlich als Wandschmuck 
aufgehängten Bilder müssen in den Farbenplan 
einstimmen. Aber auch in der Farbengebung 
wallet wieder wie in der Form die äusserste 
Oekonomie vor. Weiss ist die Lieblings- 
farbe, der grosse alles beherrschende Original- 
ton, auf dem sich kleine Farbenaccorde, wie 



die Töne einer Aeolsharfe, leise auf- 
bauen. Wo Weiss nicht erwünscht ist, 
wird ein dunkler, grauer oder kalt- 
brauner, oft fast schwarzer Ton als 
Grundton gewählt, in welchen dann 
Wände und alles Holzwerk einstimmen. 
Die eigentlichen Farben auf diesen neu- 
tralen Hintergründen treten dann in 
verhältnismässig kleinen Teilen, aber 
sehr ausgeprägt, auf. Grün ist eine Lieb- 
lingsfarbe für Möbel und jene rahmen- 
artige Einteilung der Wandflächen, wie 
sie z. B. die Abbildungen auf S. 197 
zeigen. In dem dort gegebenen Bei- 
spiele treten überhaupt bloss .die beiden 
Farben weiss und grün auf. Nächst 
CH.R.MACKiNTOSH «BANK MIT GESTICKTEM LEINENROCKEN Grün ist PurpuT die Lioblingsfarbe der 

208 



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-?5> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <S^-^ 



CHARLES R. MACKINTOSH • SCHABLONIERTES MUSTER EINER KISCHENBEMALUNG 



Mackintosh's, in allen Abstufungen 
Tiefrot und Rosa nach Blau hin. Hier 
jene zarten zwischen Fleischrot und 
liegenden Töne besonders beliebt, die 



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von allein das Anilin gewihren kann. Diese 
sind Töne, in zarten mullartjgen Geweben als Vor- 
Lila hänge verwendet, stellen sich in einen merk- 
uns würdig anziehenden Gegensatz zu der Strenge, 
die sonst in der Dekoration vorwaltet. 
Die alleräusserste Selbstzucht in der 
Farbe, das ist eines der Geheimnisse 
der Wirkung dieser Räume. 

Die Behandlung von Wand, Decke 
und Fussboden ist die einfochste; in 
puritanischer Strenge zeigen sich die 
weiten Flächen, als Wandflächeo nur 
hier und da durch spärliches Rahmen- 
werk in grosse Felder eingeteilt. Ein 
Horizontalband teilt dann zunächst einen 
Fries ab, und die untere Wand zeigt 
mit Stoif bespannte oder einfach ge- 
strichene Füllungen. Nur selten wird 
der Fries bemalt, die Füllungen bleiben 
stets ungeschmäckl. Tapete ist verpönt. 
Wo ein Flichenornament auftritt, ist 
es aufgemalt oder — wss zumeist der 
Fall ist — mit der Schablone aufge- 
tragen. Das Schablonenmuster hilt dann 
zumeist wieder zwei oder drei einfache 
Töne ein, etwa grün oder rosa, oder 
grau, grün and lita, wie das Master 
_ auf S. 206 zeigt. Dieses letztere Muster 

!.. 4 bedeckt den ganzen unteren Teil der 

I Vand eines Wohnzimmers, dessen Kamin 

und anschliessende Sitzecke auf S. 205 
wiederg^eben sind. Die Rücklehne der 
Sitzecke zeigt graue Leinwand-Polsier- 
felder, auf die ein Master in Grün und 



« 



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CHARLES R. MACKINTOSH • ENTWURF UND GRUNDRISS 
EINES KÜNSTLERHAUSES MIT ATELIER AUF DEM LANDE 



^*-^> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <a*^ 



auch sofort vom Beschauer ästhe- 
tisch höher angeschlagen wird als 
ein gemusterter Stoff. — Eine 
andere Art von Wandbehandlung 
besieht in der AuFschabionierung 
von Ornamenien (Füllungen, Blu- 
menknäueln u. s. w.) an einzelne 
bevorzugte Stellen, etwa die Ecken 
des Frieses oder architektonisch 
zu betonende Stellen desselben. 
Decke und Fussboden werden gsnz 
unverziert gelassen, den letzteren 
bedeckt ein Teppich von einfacher 
neutraler Farbe, die Decke zeigt 
hier und da die natürliche Balken- 
einteilung. 

Immer bildet den Hauptan- 
ziehungspunkt des Zimmers der 
Kamin, dem in der Dekoration 
auch räumlich eine grosse Rolle 
zuerteilt wird, hauptsächlich durch 
eine ausgedehnte Erweiterung des 
Kaminrahmens. Die Vorspriinge 
sind nie sehr bedeutend, der Kamin 
tritt nicht als selbständiger Raum- 
körper heraus, sondern bildet 
nur eine Wandunterbrechung. Das 
Eisenwerk des Feuerbehälters ist 
stets zierlich geschmiedet, hält 
sich aber in strengen, starren 
Formen. Bücherbretter und Sitze, 
auch Aushöhlungen zum Absetzen 
von Trinkgerät werden angebracht 
(S. 205). Die paar Quadratfuss um 
das Feuer, welche den Kaminplatz 
bilden, sind eben in England der 
kostbarste Platz des Zimmers, an 
dem man es sich so bequem macht, 
wie es nur irgend angängig ist. 
Eine ganz eigene Stellung nimmt 
in der Mackintosk' sehen Kunst 
das Mobiliar ein. Man könnte 
sagen : es fällt vorwiegend durch 
seine Abwesenheit auf. Die Zimmer 
machen für unser Alltagsempfinden 
einen fast leeren Eindruck. Auch 
hier tritt wieder die Neigung 
hervor, durch grosse ununter- 
brochene Flächen einen erhabenen, 
geheimnisvollen Eindruck hervor- 
zubringen. Fällt nun wirklich hier und da 
die Leere der Zimmer auf, so ist doch 
zu bedenken, dass unsere gewohnte Voll- 
pfropfung der Zimmer mit allerlei unnützem 
Hausrat sicher ein wunder Punkt in unserem 
heutigen Wohnempfinden ist, und dass wir 
uns hier sicher in einem entarteten Ge- 
schmacksstadium bewegen. Das Schlimmste 




Weiss aufschabloniert ist. Fast in keinem 
Falle greifen die Künstler zu gemusterten 
Stoffen. Wo eine Dekoration gewünscht wird, 
wird sie aufschabloniert wie hier, oder — sehr 
häufig — in andersfarbigem Stoff aufgenäht 
(S. 221). Jedenfalls erhebt diese Dekorations- 
art den geschmückten Gegenstand in den Be- 
reich des durchaus Individueilen, wie sie denn 



-i*-^> CHARLES R. MACKINTOSH <^-^ 



kann man heute in den Räumen unserer 
höchsten Kreise erleben, wo auf Schreib- 
tischen, Tischen und Schränken Tast kein 
Quadratzoll gelassen ist, der nicht mit Photo- 
graphien, Nippsachen, Büchern und aller- 
hand überflüssigem Krimskrams bedeckt wäre. 
Das Barbarische dieser Gewohnheit tritt am 
deutlichsten hervor, wenn man das Zimmer 
eines Kulturvolkes kennt, mit dessen Fein- 
empfinden in Geschmackssachen sich kein 
anderes Volk der Erde messen kann : das 
Zimmer des Japaners. Es ist absolut leer. 
Sein einziger Schmuck besteht in einer Nische, 
in welcher ein Bild aufgehängt und eine oder 
zwei Vasen oder Blumentöpfe aufgestellt sind. 
Alle anderen, in der Regel reichlich vor- 
handenen Kunstwerke ruhen im feuerfesten 
Schatzhause und werden nur bei feierlichen 
Gelegenheiten hervorgeholt, um Freunden ge- 
zeigt zu werden, die sich dafür interessieren. 
Das ist vornehme Kunstpflege. — Dieser 
Abschweif sollte mir zur Unterstützung der 
Mackintosh 'sehen Ansicht dienen, dass ein 
spärlich mit Gerät besetzter Raum künstlerisch 
höher steht als ein vollbesetzter der heutigen 
Art. Die Möbel treten bei den IVIackintosh's 
als organische Teile des Zimmers auf, die 
Schränke und Bänke als Teile der Wand, 





gegen die sie gestellt sind. Die Grund- 
gestalt ist in allen Fällen einfach, fast 
primitiv; aber sie sind dennoch weit ent- 
fernt, bäuerisch zu wirken, das verhindert 
ihre durchgeistigte Form, die feine Fü- 
gung, die sorgfältige Oberflächenbehand- 
lung. In Wandschränke werden gern 
Thüren mit farbiger Glasfüllung gesetzt, 
deren Glas jedoch opak in Wirkung tritt 
(Abb. auf S. 200). Bei Stühlen ist die 
ungemein hohe Rücklehne beliebt. Die 
Lieblingsfärbung der Möbel ist für Wohn- 
und Schlafzimmer weiss, sonst grün oder 
schwarzbraun. 

Ganz merkwürdig werden die Beleuch- 
tungskiirper behandelt. Hier halten die 
Mackintosh's, einerlei ob es sich um 
Gas, elektrisches Licht oder Oel handelt, 
mit grosser Vorliehe an der Kastenform 
der Laterne alten Schlages fest. Die 
Kästen werden in Gruppen und diese in 
fast soldatischer Aufstellung längs der 
Decke angeordnet und bilden so ein 
Hauptmotiv in der Architektur des 
Raumes <S. 107). Sehr häufig sind die 



-..-^ DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG -C^-*^ 



Wunde der Kästen von Metall, in das dann 
durchsichtige farbige Gläser in der weiter 
vorn erwähnten Art eingelassen sind. Es 
liegt bei solchen Metallk&rpern die Absicht 
vor, alles Licht nach unten zu führen. In 
anderen Fällen, wie auf S. 106 u. 199, sind 
mehrere Gasflammen in ein offenes Rahmen- 
werk gefasst, wobei wieder von farbigem Glas 
der ausgiebigste Gebrauch gemacht ist. 

Nachdem die Einzelbestandteile der Innen- 
dekoration erörtert sind, bleibt noch übrig, 
ein Wort über das Aeussere der vorgeführten 
MACKiNTOSH'schen Häuser zu sagen. Vom 
kontinentalen Standpunkte aus wird man das 
Haus Windyhill auf S. 193 bis 195 vielleicht 
zu nichtssagend oder .phantasielos' finden. 
In einer Zeit, wo man durch Wettbewerbe für 
«durchaus moderne Fassaden* einen modernen 
Architekturstil gewaltsam aus unseren Künst- 
lern herauspressen will, wo sich in der That 
die jüngste Architekten -Generation überbietet, 
durch Schweiflinien und allerhand angeklebte 
Modernität modern zu posieren, in einer 
solchen Zeit ist von dem Verständnis für 
das Einfache und Natürliche, sich von selbst 



;KINT0SH « AUSSTELLUNGSSTÄNOE 



Ergebende nicht viel zu hoffen. 
England hat sich von den jetzt in 
der kontinentalen Architektur vor 
sich gehenden Umtrieben nach detn 
modernen Stil mit grossem Takt 
ferngehalten. Statt den modernen 
Stil in allerhand seltsamen Auf- 
frisierungen zu suchen, ist die na- 
türliche Entwicklung, ganz beson- 
ders in der Wohnhausarchttek- 
tur, immer mehr auf das Strenge, 
Schmucklose, rein Baulich -Kon- 
struktive losgegangen, und viel- 
leicht ist man in Verfolgung dieses 
Zieles „moderner* geworden, als 
man in unserem „modernen Stil" 
zu sein glaubt. 

Das Haus Windyhill liegt auf 
einem Hügel mit felsigem Moor- 
land von rauher Erscheinung, und 
es kam dem Künstler deshalb dar- 
auf an, sich durch Einhaltung der 
strengsten Einfachheit im Einver- 
nehmen mit dem Ortscharakter zu 
halten. Daher der ernste, mauerum- 
zäunte Zugangsweg, die äusserste 
Zurückhaltung in der Gruppie- 
rung, die rauhen Rapputzflächen 
der Wände, die grauen, schmuck- 
losen Schieferdächer. Im übrigen 
ist die Architektur ein unmittel- 
bares Ergebnis der durch die Um- 
stände diktierten Grundrissgestal- 



-3-^> CHARLES R. MACKINTOSH <^^ 



tung. Der auf S. 194 wiedergegebene Grund- paares und haben daher dasjenige individuelle 

riss zeigt, dass es sich nur um ein kleineres Interesse, ohne das ein Hausentwurf nicht 

Haus handelt. Nach englischer Art liegen angesehen werden sollte, 
die Nehenräume nicht in einem Keiler-, Mit voller Absicht ist in dieser Besprechung 

sondern im Erdgeschoss und sind in der aus- das ganze Gewicht auf die eigentlich tek- 

kömmlichsten Weise bedacht. Der Küchen- tonische Thätigkett des Künstlerpaares gelegt 

Hügel streckt sich dabei derart im rechten worden, nicht auf die ornamentale. Mit der 

Winkel vor, dass er zur Umschliessung eines letzteren wurde die Glasgowgruppe zuerst be- 



Hofes beiträgt, 
den der Eintre- 
tende zunächst 
zu überschreiten 
hat. Ein Spring- 
brunnen daselbst 
und geometri- 
sche Gartenan- 
lagen verleihen 
dem Hofe einen 

besonderen 
Reiz.lm übrigen 
entwickelt sich 
das Haus aber 
nach der an- 
deren, durch die 
Himmelsrich- 
tungund die Aus- 
sicht begünstig- 
ten Seite. Streng 
und fast abwei- 
send schmuck- 
los sind auch 
die beiden im 
Entwurf mitge- 
teilten Künstler- 
häuseraufS.21] 
his213gebildet. 
Die grosse Vor- 
liebe für die weit- 
ausgestreckte 
Fläche giebt sich 
auch hier zu er- 
kennen, sie be- 
herrscht alles. 
Fast gespenster- 
artig recken sich 
die ungeglieder- 
ten Körper die- 
ser Häuser in 
die Höhe, und 
das verdeckte 

Dach sowie die primitiven Endungen der 
Schorn Steinkästen erinnern an die einsame 
Grösse der ägyptischen Pyramidenkunst. Aber 
der Künstler will diese Wirkung, und alles 
ist hervorgesucht, um sie zu befördern, die 
Stellung der Fenster, die Behandlung der 
Wände u. s. w. Die Entwürfe beziehen sich 
auf das gewünschte Eigenhaus des Künsiler- 



CH. R. MACKINTOSH • GRABSTEIN AUS WEISSEM SANDSTEIN 



kannt und fand 

damals den 
meisten Wider- 
spruch. Wer in- 
zwischen das 

Schaffen der 
Mackintosh's 

verfolgt hat, 
mussfinden,d&ss 
die ungeheueren 
Wene, die sie 
auf rein tektoni- 
schem Gebiete 
hervorgebracht 
haben, die rein 
ornamentalen 
Leistungen, das 
schlechthin 
Schmückende 
mehr und mehr 
überboten ha- 
ben. Und so ist 
das Ornament 
von selbst dahin 
gerückt worden, 
wo es für den 

schaffenden 
Künstler stehen 
soll : auf dem 
Seitentische zur 
gelegentlichen 
Hervorholung. 
Die Ornamente 
der Mackin- 
tosh's sind teils 
figürliche Fül- 
lungen, teils 
Liniengebilde, 
die von Pflan- 
zen- und Tier- 
vorbildem ab- 
strahiert sind, 
aber mit diesen nur noch in sehr entfernter, 
oft kaum zu entdeckender Beziehung stehen. 
Immer ist das Ornament symbolisch. Nicht 
nur die figürlichen Füllungen bedeuten etwas, 
sondern auch die Linienornamente. So z. B. 
ist in den auf Seite 210 dargestellten Orna- 
menten des Brüst ungsfri^es einer Kirche 
„der Vogel des Friedens, der Baum der Er- 



^^^5> DIE GLASGOWER KUNSTBEWEGUNG <c0.^ 



kenntnis von Gut und Böse und die Ewig- 
keit" (die letztere durch die drei ver- 
schlungenen Kreise) dargestellt. Solange 
nicht vom Beschauer verlangt wird, dass 
er die Bedeutung beim Anblick der Orna- 
mente von selbst erkennt, wird man sich 
mit der rein dekorativen Wirkung der- 
selben gern zufrieden geben. Immerhin 
aber ist ja nicht zu verkennen, dass der Be- 
sitzer eines so geheimnisvoll geschmückten 
Gegenstandes den verborgenen Sinn Fest- 
halten wird und so das Ornament wirk- 
lich in ihm höhere Gedankengänge an- 
regen kann. Das am meisten angewandte, 
recht eigentlich persönliche Ornament der 
Mackintosh's ist die stilisierte weibliche 
Figur nach Art der Abbildungen auf 
S. 219 bis 221. Hier treffen wir ein Weiier- 
schreiten auf den Wegen der schwung- 
vollen ßgQrlichen Linienkomposition an, 
die von Blake, Rossetti und Toorop 
vorgezeichnet worden sind. Vor allem 
lebt hier der starke Rossetti - Einfluss 



CH. R. MACKIMOSH • EX LIBRIS: JOHN KEPPIE 



CH. R. UACKIttTOSH « MODELL EINER BILDHAUERARBEIT 

noch in ausgesprochener Weise weiter, 
dem der bessere Teil der englischen Kunst 
in den letzten 50 Jahren so viel zu ver- 
danken gehabt hat. Aber er ist hier un- 
heimlich ins Dekorative gesteigert, so dass 
eine traumhaft phantastische Linienführung 
den Charakter des Figürlichen oft ganz 
erstickt. Eine reichste dekorative Wirkung 
üben diese Füllungen vor allem in ge- 
triebenem Metall aus, das von Frau Mar- 
garet Macdonald-Mackintosh in einer 
ganz eigenartig grosszügigen Weise be- 
handelt wird, die Abbildungen auf S. 220 
und 221 geben hiervon Zeugnis. Hier 
stehen wir in der That vor Leistungen von 
höchster Eindrucksfähigkeit und sattester 
dekorativer Qualität. Höchst interessant 
ist, wie ein Begleitlinienspiel die Figuren 
umwebt und deren Linienführung erginzt 
oder durch Gegensatz hervorhebt. In der 
Abbildung auf S. 220, welche die Schönheit 
darstellt, wird es von Rosengezweig ge- 
bildet, in der auf S. 22 1 rechts von fallenden 
Thränen, die den Augen der männlichen 
Figur entHiessen. Hier handelt es sich 
um „den Flussgott, welcher über die be- 
trogene Liebe der Welle klagt, die seinen 
Armen enteilt, um sich dem Meergott zu 
ergeben". Die Abbildung auf S. 217 
stellt das Schlüsseischild einer Schreib- 
zimmerthür dar, und die sich zurück- 
beugenden Figuren sollen die oberfläch- 
liche und nichtige Art des heutigen 
Briefstiles versinnbildlichen im Gegensatz 



-^•^y MARGARET MACDONALD-MACKINTOSH <^^ 



zu dem früheren ernsteren Briefstil , der 
trauernd im Hintergrunde steht. 

Es ist ein eigentümlicher Gegensatz, der 
zwischen diesem Liniengewoge in seiner ge- 
steigerten Empßndsamkeit und der straffen 
Art der MACKiNTOSH'schen tektonischen Ge- 
staltung obwaltet. Aber der Gegensatz hat 
den Sinn einer Ergänzung. Ein männliches 
und ein weibliches Element scheint sich hier 
zu vermählen. Und wo immer an einer 
MACKiNTOSH'schen Schöpfung die Starrheit 
der Form ins Frostige überzugehen Gefahr 
läuft, da treten die weichen, von Empßndung 
überßiessenden Schmuckstücke in Form einer 
Füllung oder eines aufgesetzten FlSchen- 
musters hinzu, um die weibliche Grazie zu 
dem männlichen Ernst zu fügen. Und so 
hat das Ornament hier diejenige Bedeutung, 
die man vom Schmuck erwarten soll; er soll 
spärlich auftreten, aber dann auch wirklich 
etwas ausdrücken und bewirken. 



Bedenkt man die Jugend der Künstler, die 
in die von ihnen geschaffene Kunstrichtung 
gleichsam hineingewachsen sind, so kann man 
der in Glasgow begonnenen Bewegung wohl 
eine reiche Entwicklung vorhersagen. Die 
Spielart, die ihre Kunst in der allgemeinen 
neuen Bewegung vertritt, trägt das Gepräge 
einer besonderen Rassigkeit in sich. Sie hat 
sich merkwürdig geläutert von krankhaften 
und dekadenten Anhängen, sie ist von stro- 
tzender Kraft, so dass man ihr gegenüber 
die Empfindung hat, dass sie den Schatz 
ihres Reichtums eben erst zu erschliessen 
begonnen hat. Alles in allem wird man 
daher wohl noch Bedeutendes aus Glasgow 
erwarten dürfen. 



VERKÜNDEN UND HANDELN 

Voa E. T. Bkedt 



^r'om ibcT Knasi scbretben ? Obkist be- TerkcB. — Aber vibmd die eines vibncn, 
*V laalieLK vor enra rwci Jshie« diese ein veitercs Eiogcbca mf ihrea Gefaalt aifaBe 
Fn^ ia utsercr ZcttscfanfL Tei- sctoc über- za sehr bloss den Kopf in Anspracb — ahnen 
sngcftie Anncon gelesem. wird mich nicht andere «obl EmpEndcacea, «ie sie den Kinst- 
fcigcn. «eshnlb kh bcnte ober HERJtA»» 1er zu seinem Schnffn gedrängt, vie sie ibn 
OsstST sad seine BmoBea schreibe. beim SchafGe* bebe n s cfai haben, aber sie 

Es ist ««cb Bocvendis- Geviss ist ein haben keine Zeit för solche SeasntioBen. 
Uetaer Kiets an^nertsamcT Beobachter tmi Man niiraai den Hnt ab — wer reicht ihm 
i«B v(?::en KBd Frachcbarea Gefaalie. der die Hand? 

Osbest's Hss^Yverten innevobat. äberzeagt. Und «ie kann nor an so^bea Terken 

Gross ist aach die Zahl seiner Bevocderer. nnsere Zeit Torcb eigtbtn — Toräbergeben 
derer, die «ea:$s»flcs Halt machca Tor seinen bcstecSalls vie das Vclk aa eiaer aanallcnden 

B:=xc :a eiaem Laien, em ^eich Tciter 
zn hnscca zcm Tiseeia^d oder zn 
des Ta$e$ rasdoser .Hascbrne? — Doch 
Etcb wi-ien'i cic L'srechc nad Obsist 
selbst Tür^ das Veri^altea g i üaa ef et 
KrcGse B=r daaa wssicrv. vean er 
sk^t vxssse. «X Eiankiem eigcnilich 
die L'recr^age seia cr ArbeiEcn sind. 
Erxsxe $T:=;^c:oaien siad nie Voiks- 
■rssü — seiSst wena etaes c*nzen 
V'j'lkes Se&3ea ia ihaen Sebc Nein, es 
fihat da>ei — «a:ä: azf. «cnn die 
Pa::ie9 eissectea — ead dankbar 
klischr es. sowie das Sftel aio. Und 
a:L3 feirlen bei Cs<:sT gtai cd pr 
ii« Px:::'cea zz-i Tnarpetea. Es ist eine 
KT«:» .HxkI ia Osasr's Tertem. üe 
Bxr ier vial kfaa:. iaa des Tassers 
Rix$c*tes eine seeiea^erTTiäche Xelodie. 
Myscsci axT ia ^esea Sinae. ux aber 
-^aarcatiscft is; .äfr Oaa:;?r's:ten Koast 
Veseo. Kr»5r»i:;i n3»i fest wie des 
Fe-rseas Ge^^^e la^ ÄAiä wieder frteg- 
saat w-.e ±e To^e. 

ASer lieM oavi keaa: Jeaa saser 
Par; ix3t iea Felsea. das Tasser. des 
Tiöes GeäeaLiisse ? Es spKWt auf 
üe äötdcsna Berje. aan- aaf Vcr- 
|7äix3as^ia3ir5;n i3er ie Tei Ln e er e 
»ad jhi* iir;i fca Taüi d ur i A . Was 
=ec:: g£^'-. sc ±b Unnesde mebr 
aä äe ScUe^ aieär das X-^aoeasoe a!s 
iiB Kiii^eiKM. das Kimrüäer« o»etr 
als ii^ E.^'aciie. ±Ei<ea:^ fataier. was 
3KaT xxi ie Ner«en a^ aof iäe Seele 
jüiwiÄ Seasar-JiKtt xStaA, 

i:^ jiett iie EriJima«; westaTi ersi 
».t«c.«- %u-x-N»,>*.ov v.-^.-. V^ .^i ^^-^ OBa.-STs Tertesark ce- 

?-»j(*.i;jS »*>ii. ■--£**.,. m:-«.'-^-. r*;iT »srien. l^ä r^r ia h 



-iä-^> MARGARET MACDONALD-MACKINTOSH <^^ 



scher Kunst — tritt in den Nutz- und 
Zierbrunnen am deutlichsten in die 
Erscheinung. 

Darin liegt das merkwürdig Neue, 
worüber die wenigsten Betrachter sich 
Rechenschaft zu geben versucht haben, 
während sie sich einfach damit be- 
gnügten, in den Brunnen etwas Merli- 
wiirdiges und Originelles zu konsta- 
tieren. Doch auf diese Weise wird 
man solchen Kunstwerken nicht gerecht, 
und mit .merkwürdig" charakterisiert 
man sie nicht. Dass die Brunnen „von 
völlig originellen Formen, ohne Vorgang 
und Beispiel in der bildenden Kunst* 
sind, ist gar nicht erst zu sagen. Aber 



kann die Zahl seiner Intimen wachsen, je 
mehr ruhige, gesunde, künstlerische Erzieh- 
ung den Reiz der einfachen herben Land- 
schaft empfinden lehrt. Noch immer will 
man überall — in Natur und Kunst — 
kleine Anhaltspunkte für ganze Reihen zu- 
sammenhangloser Gedanken und Empfin- 
dungen. Noch immer ist das Potpourri das 
beliebteste Musikstück. 

So dürfen wir uns nicht wundem, dass 
Fürst wie Volk Obrist's schlichte Werke 
noch längst nicht goutieren kann. Aber um 
so mehr und um so lieber werden sich alle 
diejenigen in seine Werke vertiefen, die sich 
aus der Unruhe nach Ruhe, aus der Degene- 
ration nach Stärke, aus allem Ueberschwall 
nach dem Einfachen , aus zersplitterndem 
Naturgenuss nach konzentrierendem, von Ge- 
bilden des Momentanen nach Ausdruck des 
Ewigen sehnen. 

Obrist hat dieses Sehnen zu gestalten ge- 
wussf — und die Sehnsucht wächst und er- 
weitert wiederum die Hoffnung auf eine neue 
grosse Kunst. Obrist's Werke stellen basis- 
gebende Monumente derselben dar, wäh- 
rend gleichzeitig eine Reihe nicht so monu- 
mental, nicht so führerisch begabter Künstler 
andere Kennzeichen des neuen Werdens auf 
allen Gebieten der Kunst schaffen. 

Die konzentrierte Kraft, die nervige Frische, 
der Raum und Basis gebende Gehalt Obrist- 



^p-^> VERKÜNDEN UND HANDELN <^^ 



«enn wirklich nur „die schlichtesten geo- 
metrischen und stereometrischen Figuren*, 
wie mancher gemeint hat, dem Künstler die 
Anregung zum Aufbaugedanken gegeben 
hätten, dann freilich wäre Obrist nichts 
weiter als einer von den 1001 Reissbrett- 
künsilern, und er würde rein aus dem In- 
tellekt heraus, aber ohne Empfindung ge- 
schaffen haben — er wäre afso richtiger ein 
origineller Konstrukteur, keinesfalls aber ein 
originaler Künstler von epochaler Bedeutung 
zu nennen. 

Die Originale seiner Brunnen machen es 
offenkundig, dass er neue plastische und tekto- 
nische Formenwerte schafft, deren Ursprung 
aber weder im Modellieren noch in der Reiss- 
bretiarbeit zu suchen ist, sondern in seinem 
Beobachten und Empfinden der Natur des 
Gesteins, des Felsens, des Wassers und der 



Pflanze und in seiner schöpferischen Phan- 
tasie. Die Vucht, die Strenge, das Starre 
des Felsens, das spülende, nagende, glättende 
Wirken des Wassers, das ist es, was dieser 
Plasttker uns sichtbar macht und erschliesst, 
und er thut es als modemer Mensch an Nutz- 
und Gebrauchsgegenständen, sie dadurch bis 
zur Schönheit verklärend. Und nur wer den 
plastischen Dichter neben dem Tektoniker 
und Nutzkünstler in ihm erkennt, wird das 
Originale an ihm richtig würdigen. Dieses 
plötzliche Auftauchen eines derartig boden- 
wüchsigen , urnatürlichen , organischen Ge- 
stalters mitten in unserer Zeit der nervösen 
Malerei oder der blossen Ingenieurkunst hat 
bis zu einem gewissen Grade etwas Ver- 
blüffendes. Man ruft allenthalben nach starken 
Persönlichkeiten als Retter aus Schema und 
Tradition. Hier ist ein Mann, der weiss, was 
er will und es auch kann. Nicht ein blosser 
Vorläufer ist er, wie von anderen unfreudig 
gesagt worden ist, sondern ein Plastiker, der 
eben erst anfängt und noch grosse Reich- 
tümer geben wird. Nicht ein blosser Ver- 
künder neuer Kunst ist er in Werk und Wort 
und Schrift und Lehre, sondern ein Gestalter 
und Sichtbarmacher seiner Verkündigung. 
Niemals hat sich mir deutlicher das charak- 
teristische Kennzeichen eines von des Natur- 
schaffens Geist und JVlusik erfüllten Künstlers 
gezeigt als in den von Obrist modellierten 
Wasserbecken der Brunnen. Hier ist die in 
der Jahrtausende Lauf felffenhöhlende, stein- 
glättende Wirkung des Wassers zum Ausdruck 
gebracht. Hier zeigt sich Obrist — aber 
hier nicht allein — als einer jener wahrhaften 
Künstler, die man wohl mit Recht die Epi- 
gonen des göttlichen Allschaffers nennen darf. 

Ein Mann, der solches schaffen kann, hat 
nicht nur verstand es massig der Natur ewige 
Gesetze in sich aufgenommen — der muss 
offenbar zuvor in und mit der Natur gelebt 
haben. Thatsächlich dürfen wir dies den 
OBRiST'schen Brunnen ablesen: Obrist ist in 
der grössten Einsamkeit im Gebirge aufge- 
wachsen. Als Knabe verbrachte er lange Zeit 
im märchenhaften Reichtum unberührter, 
phantasieweckender Schweizer Natur. Später 
mag er wohl erst als leidenschaftlicher Natur- 
forscher und Geologe den nachhaltigsten Ein- 
druck der Gebirgsnatur in anderer Weise 
verarbeitet haben. Sicher ist er als plastischer 
Bildner zuerst Empßnder dann erst Gestalter 
und Tektoniker. 

Welcher von den Brunnen der beste ist, 
ist schon deshalb schwer zu sagen, weil ja 
drei völlig verschiedene Gruppen von Brunnen 
zu unterscheiden sind. Die frühesten sind 



-=-J^> MARGARET MACDONALD-MACKINTOSH <^^ 



R»' ''TiMll''''j'^'lW'/i*i' '"* Wandbrunnen , die jüngst 

tSl- jtßgr^V .'f'JJvir. ' entstandenen sind jene, die man 

■ .tfdV. *''* ' ' V'f ( am kürzesten den alten Brunnen- 
^^Bi 1 -.<^L* ■ ' W< bauschen zugruppieren könnte. 
Die Beurteilung dieser kann nur 
eine vorläufige sein, weil das 
Wasser, das hier vom Becken 
aus gegen die niedrige dach- 
artige Höhlung springen und 
vielfach verteilt herunterträufeln 
und rieseln soll, selbstverständ- 
lich den Gipsmodellen fehlt. Es 
ist dies, so viel mir bewusst, 
ein ganz neues Motiv, und das 
Auf und Ab mag wohl der 
Künstler springenden Quellen 
schon als Knabe abgesehen 
haben. 

Am wirkungsvollsten bleibt 
vorläufig Obrist immer da, wo 
er völlig einfache, grosse Natur- 
steinformalionen ins Künstleri- 
sche übersetzt; tritt doch selbst 
dagegen der auch in diesen ge- 
deckten Brunnen bewunderns- 
werte Sinn für das geheimnis- 
voll Verschlossene, der in den 
Urnen ungeahnten Ausdruck 
findet, zurück. Man muss mit 
diesen markanten neuen Sym- 
bolen der Natur des Wassers und 
des Felsens einmal neuere figür- 
liche Brunnen vergleichen, die 
des Wassers Natur und Wechsel 
darstellen sollen. Dann wird 
man sich erst des grossen be- 
zwingenden, urwüchsigen Ge- 
haltes von Obrist's Werken be- 
wusst. Wie billig illustrativ 
wirkt doch daneben der figür- 
liche DiETz'sche Brunnen in 
Dresden, der immerhin der 
beste dieser Art in Deutsch- 

, j „■ IN SILBER CETRIE- 

land sein mag. benes paneel . , 

Aus meist anderen als rem 

künstlerischen Gründen hat der 
grosse Nutzbrunnen für Mensch und Tier hat hier der Zweck die Gestalt bestimmt, oder 
bei den kritischen Beurteilern ganz beson- hat die künstlerische Schöpfung den neu-viel- 
deres Lob gefunden. Lieber die zweckmässige seitigen Zweck im Gefolge gehabt. Es kann 
Verteilung der Für den verschiedenen Bedarf hier das eine nicht ohne das andere gedacht 
gedachten Wasserbecken ist auch thatsäch- werden, daher der reine künstlerische Genui 




lieh nicht erst etwas zu sagen. Aber so fein 
auch die Verteilung der einzelnen Wasser- 
becken für Menschen und Tiere erdacht ist — 
geistvoll ist der Brunnen erst wegen des 
völlig einheitlich künstlerischen Aufbaus. Das 
Herrliche gerade an diesem Brunnen ist, dass 
man gar nicht so bald auf die Frage kommt: 



der gar nicht die hässlich doktrinäre Frage aut 
prodesse aut delectare aufkommen lässt. — 
So glücklich ist Obrist natürlich nicht immer. 
So reizvoll das Gefüge des .Brunnens mit 
elektrischer Beleuchtung" auch gedacht, hier 
ist die gedankliche Aufgabe noch nicht gelöst, 
Gedanken und Empfinden sind hier in Disso- 



^r-£ö> VERKÜNDEN UND HANDELN <^-t^ 



HERMANN OBRIST ■ DREITEILIGER BRUNNEN FOS SCHLOSSHOF ODER PARK 



nuiz, ganz abgesehen davon, dass in der Skizze 
Gestalten und Proportionen der aus dem Ge- 
stein herausgebildeten Figuren nicht glücklich 
sind. Während sonst Obrist bei fost allen 
seinen Werken, die, wohl seinem monu- 
mentalen Genie folgend, wie aus einem Blocke 
heraus geschaffen zu sein scheinen, — eine 
die Schwere genilig lösende Bekrönung findet, 
hat hier einmal sein Gestaltungsvermögen 
versagt. Und das scheint mir wiederum zu 
beweisen, dass er weit mehr ein Meister 
grandioser Empfindungen als kühler Berech- 
nungen ist. 

Wer Obrist's Kunst an seinen Brunnen 
erkannt, wird in jeder von ihm geschaffenen 
Aschenume dieselbe tieHnnerliche Persön- 
lichkeil erkennen. Aber gewiss nicht aus den 
lusserlichen Gründen, die so manches 
kleineren Künstlers Werke als von demselben 
produziert erkennen lassen. Es ist bei Obrist 
keineswegs eine gewisse Manier oder Linie, 
die er einmal erfunden, und nun kapriziös 
vielAich zu variieren wüsste. — Es ist auch 
nicht dasselbe , Motiv*, das er je nach Zweck 
und Bedürfois, geschickt ummodelt, anwenden 
möchte. Obrist ist kein Erfinder von Varia- 
tionen über ein Thema — es beherrscht ihn. 



und er beherrscht ein Empfinden, einen Drang 
zur einfachsten, klarsten Gestaltung aller Ge- 
setze und Kräfte der Natur. Er ist einer, 
der das Ewige, nicht das Momentane festzu- 
halten strebt. 

Unvergleichlich schönen und bezwingenden 
Ausdruck fand er für die Aschenume. In 
seinen kunsturwüchsigen grossen Brunnen 
geht er sichtlich dem Jahrtausende währenden 
Schaffen der Naturkräfte nach und giebl so 
dem Schaffen für Jahrhunderte neue Basis. 
Seine Aschenumen aber machen ihn unwider- 
sprechlich zum Schöpfer eines Typus, den 
die Jahrtausende nicht gefunden haben. So 
gewaltig ist in so schlichtem, kleinem Gefäss 
nie die unveränderliche Monumentalität des 
Todes ausgedrückt worden. Obrist's Urne 
hat keine eigentliche Handhabe — sie er- 
scheint geschaffen unverrückbar von dem Ort, 
an dem die letzten Reste des Gewesenen für 
immer ruhen sollen. Sie ist geschlossen für 
ewig, GeHss und Decket erscheint als ein Ge- 
füge. Die Basis ist breit, eine Verjüngung 
fehlt. Das Ganze ist eine tiefpoetische Ver- 
körperung des unerbittlichen Gesetzes vom 
Tode. Weshalb haben nicht Andere, weshalb 
hat nur Obrist diese grandiose Verkörperung 



HERMANN OBRIST « NUTZBRUNNEN ZUM GEBRAUCHE 
FÜR MENSCHEN, VIEH, HUNDE UND VÖGEL «•*«•*« 



VERKÜNDEN UND HANDELN <^^ 



eines so unantastbaren Gesetzes gefunden? 
Weshalb ist die OBRisr'sche Urne so gar 
nicht möglich als Schmuck oder als Ziergerät, 
weshalb sind ihr keiner Kultur Aschenumen 
gleich ? Der Wechsel in der Anschauung vom 
Leben der Psyche ist hier nicht das ausschlag- 
gebende Moment. Denn nur des Todes Sym- 
bol hat Obrist gebildet. Es ist also diese 
künstlerische Erfindung nicht so sehr Zeichen 
unserer modernen Kultur überhaupt als Kenn- 
zeichen der künstlerischen Seele und Be- 
fähigung von Obrist. Ueberdies drückt 
Obrist's Urne die Persönlichkeit, das Wesen 
des Menschen, dessen Reste sie birgt, so 
schlicht erhaben aus, wie jene herrlichen Grab- 
denkmäler der Renaissance es durch die Ge- 
samtheit von architektonischen, figürlichen 
und omamentalen Teilen prächtiger auszu- 
drücken vermochten. Die eine Urne kann 
nur einst eines gewaltigen Mannes, jene aber 
keine andere als eines zarten, schönen Weibes 
letzte Reste umschliessen. 

Wenn Obrist nichts weiter geschaffen hätte 
und schaffen würde, als diesen Urnen-Typus, 
er würde ihm selbst ein Denkmal sein. Und 
der Schöpfer solcher wuchtiger Brunnen, der 
Künstler, der uns hier die Jahrtausend alte 
Handschrift der Natur am Felsen erstmals 
sichtbar gemacht hat — war gleichzeitig vor 
Jahren der erste, der uns plötzlich neue Seiten 
des in der Pflanze vibrierenden Lebens in 
schillernden Stickereien zeigte. Auch was er 
auf diesem Gebiete geleistet, fesselte mehr 
als das Meiste, was man bisher gesehen. Frei- 
lich, hierin wollte er, wie er selbst einmal 
sagte, mehr den fröhlichen Zauber des ewigen 
Wechsels des Lebens der Pflanze sichtbar 
machen. 

Ich sehe in diesen Stickereien denn auch 
mehr das äussere Temperament des Menschen 
Obrist, der lebhaft, phantasievoll, scharf und 
schnell beobachtend, die Kritik des Gesehenen 
und Gehörten in ein packendes, naheliegendes 
Bild von metallischem Glänze umprägt. 

Seine grösseren plastischen Gebilde aber 
sind sein inneres Wesen, sein Charakter. 
Das Feste, das Festgefügte, das Basisgebende, 
das Ausprägen mehr als das Ausziselieren 
aller Funktionen oder Fähigkeiten — dar- 
nach strebt er für sich — und sucht andere 
darin zu unterstützen. 

Von Obrist's figürlicher Plastik habe ich 
nichts gesagt — weil sein ureigenstes Gebiet 
bis jetzt nicht diese ist. Von seinen Möbeln 
hätte ich wenigstens einige gern charakte- 
risiert, noch lieber würde ich bei den von 
Obrist entworfenen Schmucksachen ver- 
weilen. Ich bedaure es, dass er — so viel 



ich weiss — lange nichts mehr dafür ge- 
schaffen hat. Hier ist der monumentale 
Künstler so zierlich und fein, wie es für 
weiblichen Schmuck am Platze. Aber auch 
hier sieht man, dass es kein Reissbrett- 
Künstler ist, sondern ein auch im kleinen 
tiefer Naturnachempfinder. Das Wenige, was 
ich auf diesem Gebiete von ihm gesehen, 
giebt mir die Vermutung, dass Obrist ein 
Einziger ist, der auch im zierlichsten Ge- 
schmeide monumental bilden kann. In den 
freien Künsten fehlt es nicht an einer Fülle 
von Beispielen, dass das Monumentale auch 
im kleinen dargestellt werden kann — im 
Kunstgewerbe war es mir bisher fremd. 

Alles in allem : Obrist ist unter den Künst- 
lern ein rocher de bronze. Er verkörpert 
ein grosses dynamisches Walten, auch im 
kleinen — und ohne Figürliches wie keiner. 
— Trotzdem aber, nach all seinem Schaffen, 
streiten sich wohl erst kleinere Kreise um 
ihn. Hat man ihm aber bisher für seine 
Gaben auch nur mit kleineren Gaben gedankt? 

Als ich in Berlin mehrere Tage war — es 
war nach der Kaiserrede über die moderne 
Kunst — da kam mir's beim Anblick aller 
neuen Denkmäler immer wie ein Refrain in 
den Sinn: Und Obrist's Werke bleiben un- 
verwendet im Lichthofe des Kgl. Kunst- 
gewerbemuseums ausgestellt! — Dass mir 
dieser quälende Refrain in der Siegesallee, 
vor dem Bismarckdenkmal, vor dem Denkmal 
Wilhelms des Grossen besonders stark in den 
Ohren klang — bezeichnet nur die Kulmi- 
nationspunkte meiner Empfindungen von 
OBRiST'scher und — anderer — Kunst. 

Und dabei haben Obrist's Arbeiten oben- 
drein noch meist einen praktischen Zweck — 
einige einen ganz eminent praktischen. So 
wenig seine Urnen an einem andern Platze 
als einem dem Kulte der Toten geheiligten 
stehen können — so sehr dürfen dagegen 
seine Brunnen neben gotischen Domen ge- 
rade so gut stehen wie neben einem modernen 
Bahnhofe. Sie sind für Park und Platz ge- 
schaffen zum gleichen Genuss. Wie lange 
wird der Künstler auf Förderung warten, der 
nur dann weiter und stetig seine grosse Kunst 
entwickeln kann, wenn er statt zu geben 
auch einmal empfängt? 




W. SCHUPP « ZIERLEISTE 



224 



HERMANN OBRIST • GEDECKTER SPRINGBRUNNEN FÜR SCHLOSSHOF 



■^•^l> NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^^ 




nOrNBERCER MEISTERKURSE: ENTWURF ZU KAMINFEUER BÖCKEN 



KUNSTGEWERBLICHE MEISTERKURSE IN NÜRNBERG 

Von F. Carstanjen 

Nach Einrichtung der technischen Meisler- 1901 mit Vorschlagen zur Errichtung von 
kurse durch das Bayerische Gewerbe- Meisterkursen für das Kunstgewerbe hervor- 
tnusenm m Nürnberg war es nur ein Schritt trat, sollte doch das Gewerbemuseum, seiner 
der konsequenten Weiterverfolgung des ein- Aufgabe gemäss, den Fortschritt auf allen 
mal eingeschlagenen Weges, als der Leiter Gebieten der gewerblichen und industriellen 
des Museums, Oberbaurat Theodor von Th£tigkeit des Landes in technischer, künst- 
Kramer, zu Beginn des verflossenen Jahres lerischerundkommerziellerBeziehungfÖrdem. 
Wohl besitzt Nürnberg eine 
treiflich eingerichtete und gelei- 
tete Kunstgewerbeschule. Aber 
der Kunsthandwerker bedarf 
ausser der historischen Bildung 
noch einer Schule, in welcher 
er nach Verdichtung des histo- 
rischen Wissens und Könnens 
zu einem allgemeinen Ge- 
schmacksgefühl nun lerne, aus 
sich selbst und den Bedürfnissen 
der eigenen Zeit heraus frei und 
neu zu schaffen. 

Frei und neu zu schaffen — frei 
von historischen Stilrezepten, 
neu unter den neuen Lebens- 
bedingungen und-Aeusserungen 
einer neuen Zeit — das war das 
Bedürfnis, welches sich unter 
dem Einfluss der neuzeitlichen 



^r.^> NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^-^ 



halte, und dem entgegenzukommeo 
aun die einsichtsvolle und ver- 
dienstreiche That des Bayerischen 
Gewerbemuseums war. Es wollte 
sich nicht damit begnügen, dass es 
bereits durch Vortrüge und Aus- 
stellungen auf die neu auftretende 
Kunstweise aufmerksam gemacht, 
dass es zahlreiche Vorbilder und 
mustergültig ausgeführte Gegen- 
stände des modernen Kunstge- 
werbes besass — nein, Oberbaurat 
VON Kramer wies darauf hin, dass 
es zu alten Zeiten die hohe Kunst 
war, die dem Handwerk die Bahn 
zur Vollendung wies und veredelnd 
und fördernd auf dasselbe ein- 
wirkte, und dass, obwohl es gewiss 
nicht unrühmlich sei, im Geiste der- 
Väter zu schaffen, doch rühmlicher 
sein dürfte, gerade so wie es die 
Väter gethan, zu zeigen, was wir 
aus uns selbst heraus und nicht in sklavi- 
scher Nachahmung der Kunstformen früherer 
Jahrhunderte zu schaffen vermögen. 

Zu den neuen Wegen aber konnte nur ein 
Künstler führen; es konnte nicht dem Kunst- 
handwerker überlassen bleiben, sich zu etwas 
emporzuschwingen, das ihm bislang fremd 
geblieben war und Fem gelegen hatte. 

So sagte denn von Kramer mit vollem 
Recht in seinen Vorschlägen zur Errichtung 
kunstgewerblicher Meisterkurse: „Dem Kunst- 
handwerker allein kann man es nicht fiber- 
lassen , den richtigen Ausweg aus seiner 




schwierigen Lage zu ßnden ; es fehlt ihm 
hierzu teils an Willenskraft, teils an äusserer 
Anregung. Gewöhnt an eine bestimmte Kunst- 
weise, die ihm, weil in jahrelangem Unter- 
richt von erprobten Schulmännern erlernt, 
als allein massgebend und erstrebenswert er- 
schien, fühlt er sich plötzlich vereinsamt, 
wenn neue Regungen völlig veränderte Form- 
gebungen, eine völlig neue Ausdrucksweise 
künstlerischen Empfindens in das bislang in 
den Bahnen vergangener Jahrhunderte wan- 
delnde Kunsthandwerk bringen und ihn er- 
kennen lassen, dass der Quell, aus dem er 
seither schöpfte, nicht mehr der frischeste 
ist. Da muss eine sichere und kraftvolle 
Hand sich seiner annehmen, die ihm hilft, 
den neuen Weg zu beschreiten, ihn aber 
auch von den vielen IrrpFaden abhält, die von 
der Erreichung des richtigen Zieles ablenken." 

Zwischen Vorschlag und Ausführung fiel 
die Darm Städter Ausstellung des ver- 
gangenen Sommers. 

Sie ist allen Besuchern in frischer Er- 
innerung, und lebendig stehen die einzelnen 
Künstlerpersönlichkeiten mit ihren Werken 
im Geiste vor uns. 

Das erste Haus am Villenwege der Aus- 
stellung, das Haus Peter Behrens (vgl. 
Heft 1 des lfd. Jhrgs.), zog das Auge des 
Oberbaurats von Kramer auf sich. Hier 
war ein Meister gefunden, welcher aus einem 
angeborenen Gefühl für das Wesen, für die 
Grenzen aller Mittel einer Kunst an die Neu- 
schaffung von Formen herangegangen war. 

Er musste für die Nürnberger kunstge- 
werblichen Meisterkurse gewonnen werden. 



-sr^^y NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^^ 



Und Professor Peter Behrens wurde 
gewonnen. 

Der im Juli 1901 ergangenen Aufforderung 
des Bayerischen Gewerbemuseums Folge 
leistend, hatte sich mittlerweile eine ganze 
Anzahl Nürnberger Handwerksmeister besten 
Könnens, Angehdrige des Kunstgewerbes und 
der Kunstindustrie, welche bereits über ge* 
nügende praktische und künstlerische Fähig- 
keiten verfügten, darunter auch einige Damen, 
zur Teilnahme an den Kursen gemeldet und 
um Zulassung gebeten. 

Der erste Kurs fand dann in der Zeit vom 
8. Oktober bis 0. November statt. 

Wenn man in Betracht zieht, dass die Teil- 
nehmer des Kurses mitten im Leben, in ihrem 
gut fundierten Geschäfte stehen und bisher 



„Nürnbergs Kunstgeschichte führt keine 
gesonderten Rubriken für hohe und ange- 
wandte Kunst, sie trennt nicht voneinander, 
was durch eigne Schönheit miteinander ver- 
bunden war, Ihr gilt kein Rangunterschied 
zwischen Malerei und etwa Schmiedekunst. 
Peter ViscHBR stand Albrecht Dürer eben- 
bürtig zur Seite. Das will nun heute wieder 
so werden, und das ist das beste Zeichen 
unserer Zeit, dass heute wieder jeder Gegen- 
stand, der neben seinem praktischen Zweck 
durch Schönheit das Leben auch noch erhöhen 
kann, wieder die gleiche Liebe des Künstlers 
verlangt, wie ein Gemälde oder ein Standbild. 
Aber damit ein Gegenstand durch Kunst er- 
höht werden kann, muss sein Fertiger ein 
wirklicher Künstler sein. Es genügt nicht, 



in all ihrem Schaffen, sofern es nicht Kopie 
war, aus dem Formenschatz der historischen 
Stile schöpften und somit in ganz gefesteten 
und auch geschäftlich ergiebigen Traditionen 
lebten und wirkten, so begreift man die Grösse 
und Schwierigkeit der Aufgabe, nur überhaupt 
mit dem Versuch durchzudringen, hier Wandel 
zu schaffen und ein neues, frisches Reis auf- 
pfropfen zu wollen. Aber das Gefühl des Be- 
dürfnisses einer Erneuerung war doch schon 
zu mächtig geworden und hatte vorbereitend 
gewirkt, so dass der Versuch nicht als etwas 
Unnützes empfunden, sondern freudig begrüsst 
wurde. 

Als Professor Peter Behrens den Kurs 
begann, leitete er ihn mit einigen Worten ein, 
aus denen es mir vergönnt sein mag, die 
folgende charakteristische Stelle zu citieren: 



dass etwas hinzugefügt wird, was für den 
Gebrauch des Gegenstandes allein überflüssig 
wäre, um ihn künstlerisch zu gestalten; es 
muss aus dem Wesen und Material des Gegen- 
standes heraus geschaffen werden, es muss in 
erster Linie die Form des Gegenstandes selbst 
schön gestaltet werden. Die Erzeugnisse 
älterer Stilepochen zeigen diese Reinheit 
immer und oft in vornehmster Einfachheit. 
Es genügt nun aber nicht, solche schönen 
und vornehmen Kunstformen älterer Stile auf 
unsere heutige Umgebung zu übertragen, um 
Künstler in seinem Werk zu sein. Ein Ko- 
pieren und Nachahmen ist an sich schon 
keine Kunst, wenn es vielleicht auch Schwierig- 
keiten macht. Vor allem haben wir heute aber 
ganz andere Bedürfnisse, welche andere For- 
men bedingen, zum Teil auch ein anderes 



-ö-^y NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^ä-^ 



Material oder eine andere Bearbeitung des 
Materials. Kurz, da in der Natur nichts un- 
harmonisch ist, zwingt alles das, was gegen 
frühere Zeiten anders geworden ist, zur Aende- 
ning der Formen im allgemeinen. Damit ist 
keineswegs die Poesie einer Zeit verloren ge- 
gangen, sondern nur die nachahmende senti- 
mentale Romantik ist gewichen. Der Thür- 
klopfer war zur Zeit seiner Verwendung nichts 
als ein praktischer Gegenstand, dem unter Um- 
ständen eine schöne Form verliehen war. Und 
hierin wollen auch wir wieder die Poesie 



unserer Zeit erblicken, unseren nützlichen 
Dingen eine schöne Form wieder zu geben, 
und zwar die, die sie verlangen, und die in 
Harmonie mit unserem ganzen Leben steht . . . 
Wir wollen aus der Geschichte lernen, dass 
von altersher die Zeiten ihre eigene Kunst 
hatten, dass sich die Zeiten und die Menschen 
änderten und die Kraft und die Schönheit der 
Zeiten und Menschen sich immer in ihrer 
Kunst offenbarten. " 

Wie Peter Behrens seine Aufgabe prak- 
tisch löste, folgte aus der Art, wie derselbe 
diese seine erste Lehrthätigkeit auffasste und 
durchführte. 

Die Teilnehmer statt nach alten, jetzt nach 
neuen Vorbildern schaffen zu lassen, — Vor- 
bilder, wie sie etwa Darmstadt und speziell das 
Haus Peter Behrens hätte bieten können — 
das entsprach nicht der Schaffensweise des 
Leiters der Kurse; das hätte dem alten Fehler 
nur einen neuen hinzugefügt. 

Er ging daher anders zu Werke. Er stellte 
jedem Teilnehmer eine aus seinem Berufe 
und engeren Schaffensbereich gewählte Auf- 
gabe und Hess die Leute eine Skizze be- 
ginnen. Dann begann die grosse Aufgabe der 
Reduktion, das Streichen alles Historischen, 
des rein äusserlichen Schmuckes. Aber Beh- 
rens strich auch unerbittlich alle sich als 
modern gebenden Formen, die Schnörkel und 
Wurmgewinde, die Tulpenblätter und süss- 
lichen Mädchenköpfe, die sich überall breit 
machen, ohne Unterschied des Gegenstandes 
und seines Zweckes. Dagegen betonte er 
in erster Linie das Konstruktive, die vom 
Material bedingten Verbindungen: „wenn wir 
heute anstatt mächtige Holzbalken eiserne 
Träger zum Bau verwenden, wollen wir die 
Eisenkonsiruktion auch sehen lassen, ja, sie 
betonen, und zeigen, wie die Verbindungen 
in Eisen andere sind wie in Holz, und wie 
diese neue Konstruktion ein Motiv ist für 
neue künstlerische Formen." Für das künst- 
lerische Wollen einer einzelnen Persönlich- 
keit, wie derer, die mit ihr gehen, ist der 
Grundsatz gewiss von hoher Bedeutung, dass 
ein Stil und wertvolle neue Formen sich 
ganz organisch ergeben, sofern man nur 
beginnt, die Bedingungen des Materials und 
die Ve rb in du ngs formen künstlerisch über- 
setzt zum Ausdruck zu bringen. So bedeutete 
also die Arbeit, welche die Teilnehmer des 
Kurses zu leisten hatten, ein Zurückgeben 
auf die reine Form, wie sie aus unseren 
heutigen Bedürfnissen und dem Zweck des 
Gegenstandes sich ergab, und das Erstehen- 
lassen neuer Zier- und Schmuckformen aus 
den Bedingungen des Materials und aus 



^y^£>- NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^-^ 



einem ruhig ernsten, vornehmen Geschmack 
heraus. 

Die Reichhaltigiceit des in der kurzen Frist 
von einem Monat, im Oktober, Entworfenen 
war erstaunlich und zeugte von der Frucht- 
barkeit des V. KRAMER'schen Gedankens eben- 
sosehr, wie von der Fruchtbarkeit und Viel- 
seitigkeit von Professor Behrens, der, ohne 
zu kargen, von seinem reichen Vorrat schöpfe- 
rischer Ideen verausgabt halte. Die kleine 
Ausstellung, welche Anfang November alle 
Arbeiten des Kurses vereinigte, um einen 
Ueberblick über das Erreichte zu gewähren, 
enthielt Entwürfe zu Stickereien, Spitzen und 
Buchschmuck, Tapeten in Papier und Stoff, 
Entwürfe zu dekorativer Deckenmalerei, zu 
Einrichtungsgegenständen wie Tische, Stühle, 
Spiegel, Uhr und Rahmen, zu Truhen und 
Kästchen, Kronleuchter für elektrische Be- 
leuchtung, Kachelöfen etc., ferner Skizzen und 
Thonmodelle zu Weinkühler und Bowlen, 
Leuchter und Lampen, für Schmucksachen, 
Haarkämme, Stock- und SchirmgrifTe, eine 
überraschende Mannigfaltigkeit der Gegen- 
stände, Techniken und Materialien. 

Die Abbildungen, welche hier von einigen der 
Im ersten Kurs entstandenen Entwürfe gebracht 
werden, sollen die Ziele veranschaulichen, 
welchen das Bayerische Gewerbemuseum zu- 
strebt, und zugleich den Beweis erbringen, 
dass etwas entstanden ist, was sich erhebt über 
die Modesucht einer Neuerung 

um jeden Preis. "— ' 

Behrens hat es 
seinen Schülern 
seinein ruhigen, 
Geschmack zu ve 
einzuimpfen, und 
zu bewahren vor 
nannten gjugendsi 
Verdienst, wenn m 
zuerkennen will, nu 
bereitung und Abli 
Historischen be- 
ruht. Wahrlich 
ein pädagogi- 
scher Erfolg! 

In allen Ar- 
beiten des Kur- 
ses ßnden wir 
nur den Beweis, 
dass die edle, 
zweckgemässe 
Form, das echte 
Material keiner 

aufgehängten 
Mätzchen be- 
darf, sondern nürnberger meisterkurse: fliesen-detail zum Kachelofen 



durch sich selbst als ein vollendet Schönes 
wirkt. 

Das Erreichte bewog denn auch Oherbau- 
rat v. Krämer, die für den Sommer in Aus- 
sicht genommene Fortsetzung der Kurse in 
die Hände derselben künstlerischen Lehrkraft 
zu legen und abermals Peter Behrens zu 
gewinnen. 

Bei diesem Erfolge wollte aber das Baye- 
rische Gewerbemuseum nicht stehen bleiben. 
Schon von Anfang an hatte es nicht im Sinne 
der Kurse und ihres Leiters gelegen, sich auf 
Anfertigui^ von Zeichnungen und Modellen 
zu beschränken. Die Entwürfe sollten auch 
ausgeführt «erden, um aus der grauen Theorie 
zur leuchtenden Praxis zu gelangen. Die auf 
den Kurs folgende Zeit war daher der Aus- 
führung und Herstellung der entworfenen 
Gegenstände gewidmet, und das Bayerische 
Gewerbemuseum that nun, eingedenk seiner 
statutengemässen Aufgabe, noch den weiteren 
Schritt und bot seine Hand dazu, die Aus- 
bildung, welche den Teilnehmern der Kurse 
gewährt worden, auch nach der kommerziellen 
Seite zu fördern. 

Je weiter der erste Kurs vorschritt, und je 
mehr die Entwürfe Gestalt annahmen, um 
so mehr reifte auch der Plan, eine „Zentral- 
schau- und -Verkaufsstelle" zu schaffen und 
unter die spezielle Protektion des Bayerischen 
Gewerbemuseums zu stellen, damit sie, ab- 
getrennt von dem Geschäfts- 
"-----■- -■-- kunstgewerblichen 
rein in den Dienst 
Kunst trete und 
den Handwerks- 
e Möglichkeit eines 
Zusammenschlusses 



ember wurde der zu 
ecke an einer der 
chsten Geschäfts- 
rnbergs,derKaiser- 
strasse , aus er- 
sehene Laden 
mit einer klei- 
nen, aber aus- 
erlesenen An- 
zahl von mittler- 
weile fertig ge- 
wordenen Ar- 
beiten eröfRiet. 
Die Ausstattung 
des Ladens war 
nach Entwürfen 
von Professor 
Peter Behrens 
ausgeführt wor- 



231 



^r.^> NÜRNBERGER MEISTERKURSE <^-c- 

den, von dessen Hand auch das 
Piakit des Unternehmens stammte. 
Die Protektion des Bayerischen 
Gewerbemuseums äussert sich da* 
bei in der Weise, dass dasselbe 
Qber den künstlerischen Wert 
der zum Verkauf auszustellenden 
Gegenstände (unter Mitwirkung 
kunstverständiger Beiräte) ent- 
scheidet und von vornherein — 
abgesehen von den unkünstleri- 
sehen Arbeiten — alle unzeitge- 
mässen Stücke, welche das künst- ' 
lerische Gepräge einer der ver- 
gangenen Stilweisen zeigen, aus- 
scheidet. Alle zur Ausstellung und 
zum Verkauf gelangenden Gegen- 
stände müssen diese Kontrolle 
passieren und werden nicht zu- 
gelassen, sofern sie nicht künst- 
lerisch und technisch den An- 
sprüchen des Museums genügen. 
Als äusseres Kennzeichen dieser 
Kontrolle dient eine Stempelung. 

So war also das Endergebnis fjORNBERGER meisterkurse; Entwurf zu EtNER Deckenmalerei 
der meisterkurse eine geschäft- 
liche Institution, die Errichtung 

der „Zentralschau- und -Verkaufsstelle der die Meisterkurse nur eine vorbereitende. 
Nürnberger Handwerkskunst", für welche erzieherische Bedeutung haben sollten. Das 

Bayerische Gewerbemuseum ist zu be- 
glückwünschen, dass es in Professor Peter 
Behrens eine für die gestellte Aufgabe 
höchst geeignete Lehrkraft von macht- 
voller Bedeutung gefunden hat. 

Das unbestreitbare Verdienst aber, das 
tüchtige, durch alte Traditionen gestärkte 
Können des Nürnberger Handwerks in den 
Dienst der jungen Kunst gestellt und ihm 
dadurch neue Impulse und neues Leben 
gegeben zu haben, das gebührt dem Leiter 
des Museums, Oberbaurat von Kramer. 
Die von ihm geschaffene Organisation 
kennzeichnet sich als eine Tbat von in- 
tuitiver Erkenntnis dessen, was Not thut, 
und als eine solche von nationalökonomi- 
scher Bedeutung. 



B AIpbol» Bruckmina, MD neben. 



HANS CR1SEBACH U.GEORC DINKLACEaBAHNHOF^SCHLESlSCHESTHOR. DER ELEKTRISCHEN HOCHBAHN IN BERLIN 



KÜNSTLERISCHES 
VON DER BERLINER ELEKTRISCHEN HOCHBAHN 

Von Leo Nacht 



Die Stilentwicklung des Eisens hat einen 
hochbedeutsamen Fortschritt ander 
eiekirischen Hochbahn genommen ; das ist 
das künstlerische Endresultat. 

Die einzelnen Abschnitte der Bauthatigkeit 
geben uns ein klares Bild von dem ruckweisen 
Vorwärtsschreiten, von dem innigen sich 
Hineinleben der Mitarbeiter in die Aufgabe, 
die in einer vollkommen organischen Ver- 
schmelzung der Architektur- und Ingenieur- 
lösungen, wie sie sich in den Viadukten der 
Bülowstrasse offenbaren, ausklingt. 

In das dunkle Werden eines historischen 
Stiles leuchtet gar selten der Strahl der Er- 
kenntnis in alle verborgenen Tiefen, und 
wenn auch geniale Forscher bis zur plasti* 
sehen Anschauung vor unseren Augen Stile 
sich entwickeln lassen, so können sie doch 



nicht allen Momenten gerecht werden, die im 
Verborgenen an der Stilbildung mitwirkten. 
Die Vergangenheit ist eine strenge Siegel- 
bewahrerin. 

In diesem Bauwerke aber, das vor unseren 
Augen entstanden ist, und dessen einzelne 
Phasen wir miterlebt haben, lassen sich auch 
die Faktoren herauslösen, die als kulturelle 
und ästhetische Momente den Gang der Ent- 
wicklung durch starre Notwendigkeiten ge- 
setzmässig beeinflussten. Es waren die Kom- 
ponenten, die in ihrem Zusammenwirken die 
Lösungen ergaben, und die einen beredten 
Ausdruck für den innigen Zusammenhang 
zwischen Kultur und Stilentwicklung geben. 

Die elektrische Hochbahn verbindet den 
Osten Berlins mit dem Westen unter Be- 
nutzung langer Strassenzüge. Bei ihrer An- 



^f-^> KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN 



r. CREMER tl. B. WOLFFENSTEIN ■ BAHNHOF -NOLLENDORFPLATZ- DEK ELEKTRISCHEN HOCHBAHN IN BERLIN 



läge bandelte es sich um einen Verkehrsweg 
oberhalb des Strasseoni veaus. Für die Lösungen 
sind: Raumersparnis in der Herstellung des 
Unterbaues, Zeitersparnis durch die Schnellig- 
keit der Herstellung und äussersle Schonung 
des Anlagekapitals selbstverständliche Be- 
dingungen. Diese schliessen ohne weiteres 
eitlen gemauerten Unterbau aus. Die Not- 
wendigkeit gebiert den Eisenviadukt. Damit 
wird die Aufgabe auch dem Material 
nach eine vollkommen moderne, denn 
das Eisen in seiner wunderbaren kon- 
struktiven Verwetidbarkeit kennt ja die 
historische Zeit nicht, sie konnte des- 
halb auch keine formalen Lösungen für 
dasselbe finden. 

Das ist selbstverständlich, aber über- 
aus wichtig. Handell es sich nämlich 
um eine künstlerische Lösung einer Bau- 
aufgabe in Eisen, so muss dieselbe aus 
dem Material und seinen Konstruktions- 
elementen, also aus sich selbst ge- 
wonnen werden. 

Notwendig war der Eisenviadukt, ge- 
nügt hätte die statisch sichere Lösung, 
und so war sie auch ursprünglich be- 
absichtigt. Kaum standen aber die 
ersten Viadukte, da erhob sich ein 
allgemeiner Unwille in der Berliner 



Bevölkerung, die ohnehin dem ganzen Bahn- 
bau unfreundlich gegenüberstand. Die Uo- 
freuodlichkeit hatte aber niemals zu diesem 
elementaren Gefühlsausdruck gereicht, wenn 
nicht das ästhetische Empfinden der Alige- 
meinheit verletzt worden wäre. Und das ist 
das Wunderbare, denn es legt Zeugnis ab 
von einer versteckten ästhetischen Scheu gegen 
das Eisen als künstlerisch ausdrucksfähiges 



P.WITTICH« AUFGANGSGEBÄUDE U. BAHNHOF. PRINZENSTRASSE. DER BERLINER HOCHBAHN 



H.SOLFU.F.WICHARDS«BAHNHOF.HALLESCHESTHOR. DER ELEKTR. HOCHBAHN IN BERLIN 
236 



BRUNO MÖHRING« AUFGANG ZUM BAHNHOF .ßÜLOW- 
STRASSE. DER ELEKTRISCHEN HOCHBAHN [N BERLIN 



^^S> KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN <^^ 



Baumaterial, eine Scheu, die auch noch 
Fachleute beherrscht, und die wohl darin 
ihren Ursprung hat, dass man gewöhnt ist, 
das Eisen als Konstruklionsmaterial ästhetisch 
minderwertig, wie als Träger, Eisenbahn- 
schienen u. s.. f. verwendet zu sehen. Kurz, 
es zeigte sich hier eine äusserst temperament- 
volle Anteilnahme der Bevölkerung an diesem 
ölTentlichen Bauwerk. 

Die Gesellschaft für elektrische Hoch- 
und Untergrundbahnen wurde dadurch ge- 
zwungen, einen beträchtlichen Etat zur künst- 
lerischen Durchbildung der Viadukte und 
Bahnhöfe anzusetzen, und der Bau vollzog 
sich nun wie unter einer steten Kontrolle 
der OefTentlichkeit. Durch dieses ästhetische 
Moment rückte die Aufgabe aus der rein 
technischen in die baukünstlerische Sphäre; 
es war für die Ingenieure und Architekten 
Ehrensache geworden, die formale Gestaltungs- 
fähigkeit des Eisens in der Konstruktion zu 
zeigen, und wie wir vorausnehmen wollen, 
ist dies auch an dem Viadukt in der Bülow- 
strasse (Abb. 234) gelungen. 

Wir sehen an der Einfachheit der Linien- 
führung die Fortschritte im konstruktiven 
Gestalten, in der Ausbildung der Knoten- 



bleche den feinen Sinn für die Form, in der 
Betonung der Stützen die eindringliche, wenn 
auch knappe ornamentale Sprache. Zu solch 
organischer Verquickung führte das verständ- 
nisvolle Zusammenarbeiten des Ingenieurs 
mit dem Architekten. 

In dem Augenblicke aber, in welchem das 
statische Gefühl für Eisenkonstruktionen dem 
Architekten in Fleisch und Blut übergegangen 
ist, wie er es im Stein- und Holzbau schon 
besitzt, in dem Augenblicke wird seine bild- 
nerische Gestaltungskraft sich frei bewegen 
können, in dem Augenblicke ist die ästhetische 
Lösung des Eisenbaus vollendet. 

Auf die ästhetischen und kulturellen 
Momente, die von aussen her auf die Losung 
dieser modernen Aufgabe einwirkten, haben 
wir hingewiesen. Wir gehen weiter. Unter 
welchen Bedingungen konnte die beste or- 
ganische Lösung von den Architekten erwartet 
werden? Waren dieselben alle für die Lösung 
solcher moderner Aufgaben vorbereitet, konnte 
man daher nur mehr oder weniger empfundene 
Entwürfe erwarten, oder mussten die einen 
ihrer Schaffensart wegen versagen oder die 
anderen Erfolg haben? 

Stützen und Pfeiler haben in allen Stil- 



PAUL WITTICH • GEBÄUDEGRUPPE AM TEMPELHOFER UFER MIT DER EINFAHRT 
UND DEM KRAFTWERK DER ELEKTRISCHEN HOCHBAHN IN BERLIN « • • « 



■ss-^> KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN <^^ 



arten eine charakteristische Ausbildung er- 
fahren und bilden vermöge ihrer Vermitt- 
lung zwischen Boden und Last das Ur- 
motlv in aller Baukunst. Die Ausbildung 
der Stütze bedeutet die Geburtsstunde der 
Architektur. Von ihr verbreitet sich natur- 
gemäss jede weitere Tormale Entwicklung. 
Daher wird auch die Ausbildung der Eisen* 
stütze ein wichtiges Element für die zu- 
künftige künstlerische Entwicklung des 
Eisenbaus sein und in unserem Falle der 
Prüfstein für ein gesundes, Folgerichtiges 
Schaffen der einzelnen Architekten. 

Nun vermittelte, und hierin liegt ein 
weiterer wesentlicher Punkt, die Stütze 
immer durch die ästhetische Form den 
inneren Kampf zwischen Widerstand und 
Schwere dem Beschauer und gab ihm eben 
durch die Form die Beruhigung der Trag- 
sicherheit. Diese künstlerische Form hat 
sich aber allemal aus dem konstruktiven 
Kern der Stütze entwickelt und konnte sich 
auch nur aus ihr entwickeln, weil man ja 
zunächst des Widerstandes der Kon- 
struktion und nicht der Form bedurfte. 
Das Eisen kämpft aber vermöge seiner 
Struktur den inneren Kampf des Wider- 
standes gegen die lastende Schwere in 
fundamental verschiedener Weise als Stein 
und Holz. Der Architekt also, der es ge- 
wöhnt ist, in seinem Schaffen in den Geist 
und in das Material seiner Aufgaben ein- 
zudringen, und der in jedem Stil nur einen 
verschiedenen formalen Ausdruck 
des ewig baukünstlerisch Schönen sieht 
und sich deshalb nicht vom historischen 
Formenkleide verführen lässt, alle Auf- 
gaben von dem Standpunkt des formal In- 
teressanten zu lösen, ja sie eigens darnach 
zu modißzieren, dieser Architekt wird an 
der nackten Konstruktion der Eisenstütze eine Der Architekt also, der in den historischen 

formale sinngemässe Durchbildung versuchen Stilformen untergeht, der bisher niemals zu 
und zum mindesten zu einer ungezwungenen einer Stichprobe der Richtigkeit seines 
Lösung gelangen, wobei das Mass seiner Schaffens gelangt ist, weil alle Aufgaben, die 
künstlerischen Qualitäten auch das Mass für an ihn herantraten, sich in historischem 
die Feinheit der künstlerischen Durchbildung Sinne formal lösen Hessen {wie Kirchen, 
geben wird. Rathäuser, Landhäuser und noch mehr die 

Hierin liegt der Weg zur ästhetischen Wahr- einzelnen Bauteile), wird hier, vor etwas 
heit, den auch die Alten bei ihren Lösungen Neues geführt, sich der Unzulänglichkeit 
inne hielten, und der sie zu solcher Höhe seiner Mittel mit einem Schlage bewusst 
führte. Es heisst in ihrem Sinne mehr werden, denn seine ganze Art zu schaffen, 
pietätvoll sein, selbstschöpFerisch an solche widerspricht diesem organischen Neuen, und 
modernen Aufgaben heranzutreten und aus die fundamentale Bedeutung der Stützen- 
dem gefühlsmässigen Erfassen der Kon- lösungen an der Hochbahn beruht in dieser 
struktion die Form zu schaffen, als formale Stichprobe, die dann auch durch die Lösung 
Gedanken, die die Alten an Stein- oder Holz- der Bahnhöfe erweitert wird, 
konstruktionen entwickelt haben, ein wenig Die einzelnen Abbildungen (Seite 240 — 244) 

variiert auf diese Eisenstützen zu übertragen, erläutern das Gesagte. Das organische Schaffen 

240 



-ü-.^> KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN <^^^ 

des Einen — Möhring — und das formale 
der Anderen — Solp & Wichards — kommen 
in ihnen sehr deutlich zum Ausdruck. Es 
Oiesst doch ewig und unwandelbar der heilige 
Quell der Wahrheit durch die Generationen 
der IHenschheit, und wenn auch hin und 
wieder die Fluten getrübt erscheinen, die 
unreinen Bestandteile sinken zu Boden, und 
golden und klar spiegeln die Wasser das 
hehre Bild der Kunst wieder. 

Sehen wir so durch die neuen Lösungen 
einen hoffnungsreichen Ausblick in die Zu- 
kunft, so zeigen auch die Ausbildungen ganzer 
Raumkomplexe, wie die der Bahnhöfe, ähn- 
liche Forderungen, ähnlichen Zwiespalt, ähn- 
liche Lösungen. Ehe wir jedoch kurz auf 
diese eingehen, möchten wir die Steinpfeiler- 
lösungen in der Bülowsirasse (Abb. S. 238) 
etwas näher betrachten. 

Stein und Eisen treffen hier zusammen, 
und zwar soll nicht nur der Stein als Wider- 
lager dienen, sondern er soll zugleich höher 
hinaufgeführt, als Vertikale die langen Horizon- 
talen des Geländers interessant unterbrechen. 
Die Schwierigkeit der Lösung lag also darin, 
organisch die ungebundene Freiheit des hoch- 
strebenden Teiles mit der gebundenen des 
belasteten zu vereinen; eine Aufgabe, die 
sich würdig an die der Eisenstütze anreiht. 
Nur an solchen Aufgaben kann sich des 
Architekten neubildnerische Kraft entwickeln. 
Der Pfeiler Mökring stellt eine Lösung 
von solch überwältigender Kraft in der Wahr- 
heit des formalen Ausdruckes dar, dass ihrer 
Wirkung sich auch die Architekten der übrigen 
Pfeiler — Grenander, Cremer & Wolpfen- 
STEIN — nicht entziehen konnten. 

Wie auf der Widerlagerseite der Pfeiler 
durch die Träger zusammengedrückt erscheint, 
um dann an der unbelasteten mächtig heraus- 
zuschiessen, wirkt in dem Gegensatz so es unverstanden, die frei sich entwickelnd'e 
wunderbar überraschend und befriedigt doch Volute über dem Lager sich aufrollen zu 
so ungemein durch die organische Verbin- lassen, wie es Grenander that, der im übrigen 
düng, dass wir die Lösung als klassisch be- recht interessante dekorative Lösungen für die 
zeichnen können. Die Idee, dass sich am östlichen Eisenportale erfand (S. 242 u. 244). 
frei gewordenen Steine in solcher Höhe die Dem Architekten lagen natürlich solche Erwäg- 
Kreisvolute aufrollt, giebt in ganz köstlicher ungen fern, er fühlte nur, dass, je mehr Druck 
Weise dieses „dem unangenehmen Druck im Widerlager, umso mehr Freiheit in der freien 
entsprungene" wieder. Die Volute konnte Endigung sich offenbaren müsse, und dieses 
auch erst in dieser Höhe in die Erscheinung gefühlsmässige Erfassen des in dem Steine 
treten, der Stein konnte sich gewissermassen verborgen sich abspielenden Prozesses zeigt 
erst an dieser Stelle seiner Freiheit er- uns deutlich, dass alle Aufgaben in der Bau- 
freuen, weil gerade durch die Höhe dem kunst gefühlsmässig gelöst werden müssen. 
Auge ein Mass gegeben ist, wie hoch der Nur dieses Gefühlsmoment, die plastische 
Stein, nachdem er sich seiner Belastung oder die räumliche Stimmung rückt die Bau- 
entzogen hat, emporschnellt. Die Höhe der kunst in die Reihe der anderen Künste und 
Volute am Widerlager stellte dem Auge ein bringisiedemGefühlder Allgemeinheit näher, 
ästhetisches Gleichgewicht her. Deshalb ist Die einzelnen Bahnhöfe zeigen die Charakte- 

Drtonrlr. KU«. V. ,. Ap,H .«,=. 24 1 31 



-^r-^D- KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN <ö^^ 



ristik ihrer Schöpfer. Der Bahnhof am Schlesi- und am Noilendorfplatz sind organisch gelöst, 
sehen Thor ist im Grisebach-Stil, am Halle- Die Lösung des Treppenausbaues am Bahn- 

schen Thor in deutscher Renaissance von hof Hallesches Thor ist ein weiterer Fall 
SOLP & WiCHARDS, die in der Bülowstrasse für die schädliche Konsequenz des formal 
historischen Schaffens an modernen Auf- 

gaben. Die historische Form, sobald sie 

sich an einer konstruktiven Lösung ent- 
wickelt hat, trägt in sich den statischen 
Geist der Aufgabe; dieser Geist wird 
verletzt, wenn die formale Lösung auf 
Aufgaben übertragen wird, deren konstruk- 
tiver Inhalt ganz anderer Art ist. 

Der Renaissance-Stein-Unterbau ist nur 
berechtigt für einen darauf ruhenden Stein- 
aufbau; die Wuchtigkeit der Lösung ver- 
langt nur einen solchen; statt dessen er- 
wartet den aufwärts gleitenden Blick jener 
dünne, leichte Eisenaufbau. Das ist Dis- 
harmonie. 

Man hat eben ob der Herrlichkeit der 
alten Stilformen ihren Inhalt vergessen ; 
das ist kein Fehler eines Einzelnen, son- 
dern das notwendige Uebel einer ganzen 
Epoche, die sich als Erbin einer vorher- 
gehenden voll grausiger Nüchternheit, in 
den wunderbaren Schatz alter Formen so 
verstrickt hat, dass sie alle ihre Aufgaben 
zunächst in ihrer formalen Verwendbarkeit 
betrachtete, und es ist nicht zu verwundem, 
dass diese Art des Schaffens von aussen 
nach innen deii Schöpfergeist einer ganzen 
Epoche brach legte. 

Der Zusammenstoss zwischen dem Alten 
und Neuen ist ein sehr heftiger ge* 
worden; er mussie einmal kommen. Dass 
es an dieser Anlage geschehen ist, an 
dieser modernen Verkehrsanlage, giebt der 
Hochbahn diese fundamentale Bedeutung _ _ 

W.CREMEHU.R.WOLFFENSTEIN f"'" ^'^ BaukunSt der Gegenwart. A.GliENANDER-PORTALVER. 

PFEILER AM NOLLENDORFPLATz Ausführungen, wie die obigen sind nur zierunc am sedanufer « 
242 



-^.^^ KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN -(^^^ 



der Sache willen da; sie sollten das, was zwischen Kultur und Stilentwicklung, so- 
plastisch vor uns steht, gedanklich auf* weit es der uns zugewiesene Raum zuliess. 
lösen, sie sollen die Fehler und Fortschritte Die intensive Arbeit ist auch an den 
zeigen und den innigen Zusammenhang weniger gelungenen Lösungen zu erkennen. 
Wir haben bei jedem Schritt das Gefühl 
des hohen Ernstes, mit welchem alle 
Mitarbeiter an die technische und künst- 
lerische Lösung herangetreten sind. Und 
es ist nicht zum wenigsten der Har- 
monie zwischen Architekten und In- 
genieuren zuzumessen, dass die Auf- 
gabe so arbeitsfreudig unternommen 
ist und zu verhältnismässig recht vielen 
glücklichen Lösungen geführt hat. 

Die Harmonie wurde ganz wesentlich 
durch die leitenden Persönlichkeiten in 
der bauausführenden Firma Siemens 
& Halske, durch die Herren Direktor 
Schwieger, dem schöpferischen Inter- 
preten der SiEMENs'schen Ideen, und 
Regierungs-Baumeister Bousset, dem 
künstlerisch empRndenden Vorsteher des 
Konstruktionsbureaus,einerseitsunddem 
Herrn Regierungs- Baumeister Wittio, 
dem Direktor der Gesellschaft für elek- 
trische Hoch- und Untergrundbahnen, 
andrerseits hergestellt. Letzterer hat 
selbst verschiedene Architekturaufgaben 
sehr feinfühlend und praktisch gelj>st, 
wie das Kraftwerk, die Haltestelle in der 
Prinzenstrasse u. a. m., und in äusserst 
vornehmer Weise den Konflikt zwischen 
künstlerischem Erfordernis und kauf- 
männischer Rentabilität, zwischen Ide- 
alität der Anschauung und Realität der 
Verhältnisse zu lösen verstanden. 



^r-^> KÜNSTLERISCHES VON DER BERLINER HOCHBAHN <^-e- 



EISERNE PORTALVERZIERUNCEN « ENTWORFEN VON A. CRENANDER (1) UND NECKER (3) 



MOGENS BALLIN'S WERKSTATT 

Von Johannes Jörgenseh, Kopenhagen 



Seit Jahren regt sich in Dänemark ein starkes 
kunstgewerbliches Leben allermodernster 
Art, dessen erste Anzeichen sich schon 
im Jahre 1888 gelegentlich der nordischen 
Ausstellung in Kopenhagen zeigten. Die 
Besucher dieser Ausstellung werden sich 
noch eines kleinen eigenartigen Zimmers er- 
innern, über dessen Thür man die Inschrift 
las: „Verein für dekorative Kunst." 

Die Mitglieder dieses Vereins waren junge, 
aber schon bewährte Künstler — die Brüder 
Joachim und Niels Skovgaard, der Archi- 
tekt BiNDESBÖLL und noch einige andere. 
In Leder, Thon, Gips u. s. w. hatten sie 
hier den Versuch gemacht, dem dänischen 
Kunstgewerbe neue Bahnen zu weisen. Sie 



hatten Bücher gebunden , Vasen geformt, 
Kartons für Teppiche gezeichnet — alles in 
neuer, künstlerischer Weise. Besonders lenk- 
ten die eigenartigen Ornamente BindesbOll's 
die Aufmerksamkeit auf sich ; er war es auch, 
der eine Reihe von Jahren hindurch auf die 
Entwicklung der dekorativen Kunst in Däne- 
mark einen nachhaltigen Einfluss ausübte. 
Seine wie Raupen kriechenden, pilzartig sich 
ausbreitenden Ornamente findet man von 
vielen jüngeren dänischen Künstlern nach- 
geahmt. 

Auf zwei Gebieten haben seit 1888 die 
dänischen Kunsthandwerker besonders gear- 
beitet — in der Keramik — dies Wort im 
weitesten Sinne gefasst — und im Buch- 



-5-^> MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^-c- 



gewerbe. Unsere Bücher, unser Porzellan 
und unser Thongeschirr haben die Aufmerk* 
samkeit Europas hauptsächlich erregt. 

Zu den hervorragenden Leistungen in 
beiden Zweigen des Kunstgewerbes befühigte 
uns eine gewisse Ruhe in unserer künstle- 
rischen Veranlagung, die sich allen Extremen 
fernhält. Die Künstler der königlichen Por- 
zetlanmanuraktur zu Kopenhagen — ein 
Arnold Krog und seine Schüler — machen 
keine kühnen Versuche, sie schöpfen nie so 
tief aus dem Born der Originalität, dass sie 



ihr Publikum entfremden oder abstossen 
könnten. Sie sind feingebildete, weiche, 
träumerische Dänen, Mit feinem Naturge- 
fühl leben sie sich in die Schönheiten und 
alle die kleinen Wechselfälle unserer schlich- 
ten Natur ein. Sie wissen, wie es im Walde 
aussieht, wenn es Winter ist, ein grosser 
einsamer Uhu auFseinem Ast sitzt, die weissen 
Schneeflocken langsam vor ihm niederfallen, 
und rings umher alles weiss und einsam 
und schweigend ist. Sie wissen, wie reiz- 
voll die grossen goldenen Kastanienblätter 



-5-^> MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^^ 



im Herbste den schwarzen Boden der Alleen nannt, dessen Einfluss auf das dänische Kunst- 
schmücken, und wie leuchtend sich ein gewerbe neben dem Bindesböll's vielleicht 
Schwan an dunklen Sommerabenden von dem am grössten gewesen ist, Willumsen. Dieser 
Spiegel eines Weihers abhebt. Sie kennen unruhige Geist hat in wenigen Jahfen unsere 

Malerei durch seine symbolistischen 
Werke revolutioniert, eine alte konser- 
vative Porzellanfabrik (Bing & Gröndahl) 
zur VorkämpFerin der neuesten Siil- 
experimente gemacht, hat unsern Bild- 
hauern durch seine archaisierenden 
Statuen und Büsten neue Anregungen 
gegeben und dem Bucheinbande, der 
keramischen Kleinkunst und den Metall- 
arbeiten den Stempel seiner Persönlich- 
keit aufgeprägt. 

Wohl sind auFeinzelnen Gebieten auch 
andere Künstler gleichzeitig mit ihm und 
mit ebenso grossem Erfolg thätig gewesen, 
so hat z. B. Harald Slott Möller 
wunderschöne Arbeiten in Gold und 
Emaille angefertigt — Willumsen's Ein- 
fluss ist aber universell und zeigt sich 

MOGENS BALLIN ■ TAUFBECKEN UND KANNE 



die Poesie des Meeres und zeigen uns, wie 
sich Fische durch die Ranken der Seepflanzen 
winden, wie Möven mit hellem Gefieder über 
die uliramarinblauen Wogen des .Beltes" oder 
, Sundes" streichen. 

Und das dänische Buch, das dänische 
Buchgewerbe zeichnet sich durch dieselben 
Vorzüge, ein feines, sicheres Ebenmass 
und eine edle Reinheit, aus. Ausser Bindes- 
BÖll sind viele andere Künstler auf diesem 
Gebiete thätig gewesen. Tüchtige Buchhand- 
werker stehen ihnen zur Seite — Buchbinder 
wie Buchdrucker. Ich nenne nur die Namen 
Flyge, Anker Kyster, Egmont Petersen, 
LangkjXh. 

Noch habe ich aber den Mann nicht ge- 



SIECFRIED WAGNER «m SILBER GETRIEBENE schale 



^-^ MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^^ 



bei der ganzen Generation der jüngeren Bild- 
hauer und Kunsthandwerker. 

Und unter seinem Einßuss hat auch der 
Künstler gestanden, dessen Namen über 
diesen Zeilen steht. 

Jetzt ein Mann in den Dreissigern, hatte 
sich MooENS Ballin ursprünglich der 
Malerei zugewandt. Als blutjunger, wer- 
dender Künstler hatte er Paris besucht und 
hatte sich — wie sich das von selbst ver- 
steht — dem extravagantesten Symbolismus 
und Synthelismus in die Arme geworfen. 
Jahre hindurch schwor er nur auf Gauguin 
und VAN Gogh. 

Dann hat ihm ein langer 'Aufenthalt in 
Italien, besonders in Toskana und Umbrien, 
die Augen geöffnet für die edle Einfachheit 
und schlichte Frömmigkeit der alten Meister 
des Trecento. Duccio, Simone Martini, 
GiOTTO haben ihn von den Extremen in der 



SIEGFRIED WAGNER «PFEFFER- UND SALZBDCHSE 

modernen Schule bekehrt; eine Zeit hindurch 
ist es sein einziger Wunsch gewesen, Hei- 
ligenbilder malen zu können. Eine Aus- 
stellung seiner Werke in Kopenhagen (1898) 
brachte viele Arbeiten dieser Art. Aber 
auch diese Beeinflussungen waren nur vor- 
übergehender Natur, und als Endergebnis 
dieser Periode blieb ihm eine gewisse Vor- 
liebe für das Einfache und Schlichte. 

Nach solchen Vorstudien trat er dem Genius 
Willumsen's nahe, zu dessen archaisch- 
ernster, oft aber auch tändelnd-lebensFroher 
Kunst er sich hingezogen fühlte. Die Kunst 
Willumsen's ist in ihrer Freude wie in ihrer 
Trauer rein heidnisch. Den antiken Stelen 
hat sie ihre Würde entlehnt, den antiken 
Sarkophagen ihre Heiterkeit. „Es lebe das 
Leben!" könnte auch Willumsen's Wahl- 
spruch sein. Lebensfreude und Todestrauer 
mischen sich bei ihm zu mystisch-bacchischem 
Daseinsrausch. 



Unter den Schülern Willumsen's befand 
sich zu jener Zeit auch ein junger Bild- 
hauer, der sich — wie Ballin von der 
Malerei — von Statuen und Monumental- 
werken zur Kleinkunst hingezogen fühlte. 
Es war Siegfried Wagner, jetzt der Mit- 
arbeiter Ballin's, denn im Frühjahr 1900 
haben die zwei zusammen in Tuborg bei 
Kopenhagen eine Werkstatt für Kunstgewerbe 
begründet. 

Es war ihnen aufgefallen, wie wenig die 
neue Renaissance im Kunsthandwerke auf 
einen einzelnen Zweig desselben, das Metall- 
g e w e r b e , eingewirkt hatte. Bedeutende 
Künstler wie Bindesböll, Slott- Möller 
und WiLLUMSEN halten für Gold- und Silber- 
schmiede gearbeitet — aber den mehr demo- 
kratischen Metallen, Bronze, Messing, Zinn, 
fehlte noch jede künstlerische Pflege. Hier 
Öffnete sich ihnen ein weites Feld, und mit 
kühnem Wagemut begannen die zwei jungen 
Künstler ihre kulturelle Thätigkeit. 



-ii-^D- MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^-c^ 



Es ist bekannt, wie viel künstlerisch wert- 
lose und hässliche Sachen die SchauTenster 
der GfllanteriewarenlSden Europas zu einem 
Greuel für das Schönheit liebende Auge 
machen. Diese Scheusslichkeiten aus Cuivre 
poli und Nickel, diese Briefbeschwerer von 



gläsernem Achat — wer hat sie nicht schaudernd 
betrachtet? Und die Lampen, welche von 
leicht gekleideten Nymphen aus grün pati- 
niertem Gips getragen werden — die \Pand- 
teller aus dünnem Kupferblech, die pikanten 
dekolletierten Frauenbüsten, die mit malerisch 



^-^> MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^-b- 



MOCENS BALLIN • CORTELSPANGEN AUS SILBER (1. 3) UND OXYDIERTEM MESSING ( 



KÄMME AUS SCHILDPATT MIT AUFGELEGTEN SILBERORNAMENTEN 
ENTWORFEN VON MOGENS BALLIN (1) UND SIEGFRIED WAGNER (2) 



-:p^ö> MOGENS BALLIN'S WERKSTATT <^^' 



zerzaustem Haare aus botanisch unmöglichen einen Kreuzzug eröffnet. Aus gutem, solidem 
Blättern hervorschauen, — dieser ganze Salon- Metalle, meistens Zinn, will er in edlen, 
Greuel, diese verlogene Eleganz für „stilvolle" einfachen Formen Geschirr und Geräte für 
Zimmereinrichtungen ungebildeter Parvenüs! den Gebrauch des täglichen Lebens schaüfen. 
Die Hohlheit unserer Zeit tritt vielleicht Er will dem Volke sein gestohlenes Erbteil 
nirgends so greifbar hervor wie hier in dieser an der Schönheit wiedergeben, 
nur auf Schein und Trug und Augenlust be- Noch sind nicht zwei Jahre vergangen seit 

rechneten nKunstindustrie". der Eröffinung ihrer Verkstatt, und schon sind 

Gegen diese Erniedrigung eines edlen und aus ihr zahlreiche Verke Ballin's und 
für die Volkserziehung wichtigen Gewerbes Waonbr's hervorgegangen. Die diesem Auf- 
hat Ballin mit seinem treuen Waffenbruder satz beigefügten Abbildungen bieten ein über- 
sichtliches Bild der Thäligkeit dieser 
zwei jungen Dänen. Neben Kirchen- 
geräten, wie das Taufbecken (siehe 
Seite 246), finden sich die verschieden- 
artigsten Gebrauchsgegenstände für das 
tägliche Leben, so Schüsseln, Leuchter, 
Lampen, Vasen, Tintenfässer, Zigarren- 
becher, Bilderrahmen, Spiegel, darunter 
auch reine Schmucksachen wie Gürtel- 
spangen, mit Silber verzierte Kämme, 
silberne Kn&pfe u. s. w. Aber bei allen 
ihren Arbeiten , sei es nun Frauen- 
schmuck, seien es Pfefferbüchsen oder 
jüdische Jahrzeitlampen, leitet sie der 
Gedanke: A thing of beauty is a 
joy for ever. 



SIEGFRIED WAGNER « ZINNVASE UND BRONZELEUCHTER 
250 



^.-Sö> ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG DER VORZEIT <aä-<^ 



HISTORISCHE STILARTEN UND ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG 
DER VORZEIT 



Ein Vortrag von Gerhard Munthe, Norwegen 
Utbersetzt von Auousta Buschbbll 



Wl 



enn wir einen Kreis 
betrachten, so be- 
kommen wir nicht allein 
einen Verstandes- sondern 
auch einen Sinnesein- 
druck, der verschieden ist 
von demjenigen, den ein 
Viereck hinterlässt. Eine 
Farbe macht einen anderen 
Eindruck auF uns als eine 
andere. Das Breite spricht 
uns anders an als das 
Schlanke u. s. w. Auf 
diesen Thatsachen lässt 
sich eine ästhetische Dar- 
stellungsweise aufbauen, und auf Grund dieser 
Ausdrucksmittel entstand die Kunst. 

Die ersten Wissenschaften waren Mathematik 
und Philosophie. Die Kunst kam wahrschein- 
lich frühzeitig im Gefolge dieser beiden zur 
Welt. DerVerstand und das Gefühl derMenschen 
wandten sich zunächst zum Abstrakten, und 
es vergingen Jahrlausende, die ganz von dieser 
Aulfassung der Dinge erfüllt waren, bevor die 



GERHARD MUNTHE« 
DER 'STROHTODs 
D. I. DER TOD AUF 

DEM KRANKENBETTE 



Naturwissenschaften und der Wirklichkeits> 
sinn zur Macht gelangten. Dies ist nicht etwa 
eine blosse Hypothese. Erdfunde und Aus- 
grabungen erzählen davon und zeugen von 
Kulturen, die auf abstrakter Kunstanschauung 
beruhten. Von den Graburnen mit ihrer ein- 
fachen Ornamentik aus Punkten und Strichen 
und von den Tempelmauern mit ihren grossen 
Tieren und Kriegern haben wir die Grund- 
formen und Gesetze, die heute noch gelten. 
Dort findet sich rhythmische Kraft und eine 
Macht in den Verhältnissen, eine Deutlichkeit 
und Einfachheit, die wir um so mehr schätzen, 
als wir sie in unserer Darsiellungsweise nicht 
erreichen können und sie für das allgemeine 
Gefühl verloren sind. 

Die landläufige Anforderung an die bil- 
dende Kunst kommt heutzutage auf die objek- 
tive, photographische Aehnlichkeit hinaus. Und 
doch liegt darin kein Kunstwert, sondern im 
Gegenteil ein fremdes Element. Diese For- 
derung ist nur ein Ergebnis von Anschau- 
ungen, die gegenwärtig die Oberhand haben. 
Selbst hinsichtlich des Ornaments habe ich 



-^r^E> ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG DER VORZEIT <^1^ 



GERHARD MUNTHE • KOPFLEISTE ZUR SAGA DES KÖNIGS INGE <1137-liei) 



mehr als einmal den Grundsatz gehört, es 
solle mit irgend etwas Aehnlichkeit haben, 
irgend etwas bedeuten. Die Kunst kennt keine 
andere Aehnlichkeit als die persönliche Auf- 
fassung. Nicht einmal das Streben nach Na- 
türlichkeit in jenem Sinne hat etwas mit dem 
Wesen der Kunst zu thun. 

Die konkrete Anschauung, der Naturalis- 
mus, ist neugewonnenes Land; die Urkunst 
baute sich auf der Abstraktion auf, und diese 
ist das Merkmal der Kunst. Als die Aegypter, 
Assyrer und andere Völker anfingen, die Natür- 
lichkeit als eine Kunstforderung hinzustellen, 
lag schon unendlich viel Kunst hinter ihnen. 
Und niemals erschauten sie Natur, bevor sie 
Würde, Pathos, Mystik und das Konstruktive 
gefunden hatten. Wir sind allzu leicht geneigt 
zu glauben, dass ihnen das Können gefehlt 
habe. Aber versetzen wir uns in ihre Kunst 
und bedenken wir, vor welcher Reife, welchem" 
Reflexionsvermögen und vor welchem uner- 
messlichen Zeiträume wir hier stehen, so ist 
es kaum möglich, bei dieser Annahme stehen 
zu bleiben. Ich meine, es waren der Wille 
und der Drang, die nicht vorhanden waren. 
Jene Menschen hatten Lebenswerte, die in 
ihrer Kunstautfassung völlig aufgingen, und sie 
gaben sich nicht dazu her, diese umzuprägen. 

Es giebt Leute, die „das Rennlier von 
Thäingen" als Beispiel dafür anführen, dass 
der Drang nach Natur der Beginn und der 
motor vivendi der Kunst ist. Nach meiner 
Ansicht heisst das, diese wenigen, interessanten 
Funde eines bescheidenen Naturalismus, der 
niemals Kultur wurde, verkehrt betrachten. 



Die Anlage, die Natur darzustellen, war da, 
aber der Gedankengang der Zeil und die 
Sprache ihrer Kunst war an einen bestimmten 
Stil gebunden. 

Als die Zeit gekommen war, ging die 
Entwicklung der Griechen zur konkreten 
KunstaufFassung Über. Keine zuiällige Be- 
fähigung, sondern ihre Religion und ihre 
Lebensinteressen brachten sie dahin. Wir 
können die Griechen nicht hoch genug schätzen, 
aber wir neigen dazu, die Kunst, die der 
hellenischen vorausging, zu gering einzu- 
schätzen. Selbst unsere Kunstgeschichte misst 
mit dem Masstabe des Naturalismus. 

In gleicher Weise, wenn auch in ge- 
ringerem Grade, wSre nach meiner Meinung 
die alte nordische Kunst ohne Hilfe von 
auswärts zum Naturalismus übergegangen, 
wenn ein Drang dazu vorhanden gewesen 
"wäre. Nehmen wir eine gute altnordische 
Spange oder eine andere Kunstarbeit zur 
Hand, so sehen wir, dass es ihren Verfer- 
tigern keineswegs an Gedanken und noch 
weniger an technischer Befähigung gefehlt 
hat; sie fanden für alles, was ihnen am 
Herzen lag, einen Ausdruck innerhalb der 
gebundenen Kunst. Ihre Ideenassociationen 
sind auch sicher viel reicher gewesen; ihrer 
Phantasie Hessen sie einen weit grösseren 
Spielraum. So haben sie z. B. zur Wikinger- 
zeit für das Wundersame und Schreckhafte, 
das auch sonst in ihrem Leben bedeutsam 
war, einen guten Ausdruck gefunden. Der 
gebundene Stil war für ihre Vorstellungen die 
beste Sprache. Der Glaube an die Götter 



-;,JaS> ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG DER VORZEIT <ä^^ 

GERHARD MUNTHE « ZIERLEISTE AUS DER SAGA HAAKONS DES GUTEN (10. JAHRHUNDERT) 



Walballs und die Mythen, sowie das Wikinger- 
leben mussten ihre Macht verlieren, ehe sie 
Freude Fanden an der neuen Kunst und ihren 
Wert erkannten. Man glaube nur nicht, dass 
auch die Künstler jener Zeit Naturstudien 
machten, und dass sie wünschten Naturalisten 
zu werden, aber es nicht vermochten. 

Wenn wir heutzutage dies nur schwer 
begreifen, so kömmt es daher, weil wir keine 
EmpGndung dafür haben, was eine Stuart ist. 
Wir entlehnen für Bauzwecke, wo wir eine 
gebundene Kunst nicht entbehren können, 
Stilarten anderer Zeiten, und ßnden dies ganz 
in der Ordnung. Und doch kann es keinen 
grdsseren Widerspruch geben, da ein Stil der 
Gedankengang seiner Zeit ist. Er wird ge- 
boren, lebt und stirbt mit den Lebenswerten 
seiner Zeit. Schon die Fortschritte, die Ent- 
wicklung fordern ihren eigenen Stil; ihn 
fordert aber in noch höherem Grade das 
Temperament eines Zeitalters. Ein Stil 
ist ja mehr als eine Fagon. 

Viele glauben, dass wir jetzt vor dem 
Auftreten eines neuen Stiles stehen, vor einer 
neuen abstrakten, aus unserer Zeit geborenen 
Kunst. Und nach der Einstimmigkeit, mit der 
alle den Engländern folgen, könnte man auf 
den Gedanken kommen, dass diese das be- 
scheidene Verlangen der Zeit befriedigt haben. 



Aber diese Stilart hat wenig Erfindungskraft, 
und ihr Abstraktionsvermögen ist schwach. 
Der englische Stil vermag jedenfalls nicht 
den Sinn für abstrakte Kunst zu heben. 

Was uns fehlt, das ist der Ueberblick und 
die Fähigkeit, die Kunst in ihrem Zusammen- 
hange zu erkennen. Wir machen zu viele 
Einteilungen, wir rubrizieren zu viel; unser 
Augenmerk richten wir zu sehr auf das Ein- 
zelne und vergessen die Einheitlichkeit des 
Ursprunges und der Ziele. Der Unterschied 
zwischen dem Naturalismus und der übrigen 
Kunst ist auch nicht so gross, wie wir es 
lernen. 

Wir sind Schüler des Klassizismus und 
leben mit dem Naturalismus, den die Griechen 
aufgebracht haben. Wir erkennen alle die 
unermessliche Erweiterung des künstlerischen 
Horizontes, und wir wissen, in welchem Um- 
fange jene Kunstaulfassung sich die zivilisierte 
Welt unterworfen hat. 

Unter den Griechen können wir einen dicken 
Strich ziehen; wir können ihn um ihre ganze 
Kultur herumführen. Ausserhalb derselben 
liegt die der griechischen vorausgehende Kunst 
und die Kunst der übrigen Völker, bevor sie 
in diesen Kreis eintraten. Auch die nor- 
dischen Völker lagen bis zum elften oder 
zwölften ' Jahrhundert ausseriialb des grie- 



-:t-^D- illustrative DARSTELLUNG DER VORZEIT <^-.^ 



GERHARD MUNTHE ■ SCHLUSSVIGNETTB ZU MAGNUS 
ERLINCSOHN'S SAGA MIT BEZIEHUNG AUF SEINE 
KÄMPFE MIT IMMER NEUEN WIDERSACHERN (1161-1184) 



chischen Kreises. Damals erst gingen wir zur 
naturalistischen Kunstanschauung über. Bei 
unserem Eintritt in den klassischen Kreis 
trafen wir mit dem romanischen Stil zusammen. 
Diesen und alle späteren Stile lernt man in 
den Schulen kennen, während unsere alten 
Stilarten, die Stein- und Bronzezeit, wie auch 
die keltische nicht gelehrt werden. Es läge 
im Interesse der Kultur, meine ich, wenn wir 
die Stilarten mehr als Geschwister ansehen 
wollten; denn sie sind alle Kinder des elemen- 
taren Denkens, mögen sie nun zum Natura- 
lismus gehören oder nicht, und als Grund- 
anschauung sind sie alle gleichwertig. Ihr 
Wert beruht zunächst in ihrer kulturellen 
Bedeutung Tür die Erkenntnis des Wesens und 
der Aufgaben der Kunst, sowie der Zeitalter 
und der Volkskunde. Die Stilarten haben aber 
ausserdem ihre besondere Bedeutung für den 
Gegenstand, den ich hier behandeln will: Für 
ihre Anwendung auf historische Darstellungen 
inderbildenden Kunst. Hierbei kommt es nicht 
in Betracht, ob die Stilarten mehr oder weniger 
kultiviert sind. Es fällt ebensowenig ins 
Gewicht, wie weit sich ein Stil entwickelt hat, 
ob er unterbixtchen wurde vor seinem Ab- 



GERHARD MUNTHE 



blühen, oder ob er erreicht hat, was in seiner 
Wesensrichtung lag. Unsere alte Tieromamen- 
tik wurde in ihrer Entwicklung unterbrochen. 
Gleichwohl können in diesem Stil Vorwürfe 
aus der Wikingerzeit aufgefasst und darge- 
stellt werden. Denn Inhalt und Ausdruck 
des nordischen Stiles sind ebenso ergiebig 
und klar wie z. B. die gotische oder eine 
andere Stuart, 
die reichere Er- 
Zeugnisse hinter- 
lassen hat. Für 
den Illustrator 
bedeutet eine 
Stilart nicht, was 
darin geschaffen 
ist, sondern was 
innerhalb ihrer 

Richtung ge- 
schaffen werden 
kann. Eine 
Zeitlang waren 
wir Zeugen der 

krankhaften 
Sucht, die Re- 
naissance zum 
bevorzugten Stil 
zu machen inder 

angewandten 
Kunst, wie auch 
zur Illustration 
von Vorwürfen 
aus alter und 
neuer Zeit. 

Ich erinnere 
daran, dass Wal- 
ter Crane Ho- 
mer im Renais- 
sancestil illu- 
striert hat, ob- 
wohl die home- 
rische Kultur 
der prächtigsten 
Bronzezeit an- 
gehört. Viele 
Künstler bedie- 
nen sich jetzt 
nicht mehr der 
neuzeitigenAuf- 
fassung, wenn 

es sich um Motive der Vorzeit handelt, aber 
es scheint mir ein sonderbarer Kompromiss 
zu sein, dass man nur ein Stück Weges 
geht, um sich dann in aller Eintracht in 
jenem Modesalon der Renaissance zusammen- 
zufinden. Ich kann z. B. meine Verwunderung 
nicht unterdrücken, dass Lorenz Frölich 
die Edda vom Standpunkte klassischer Kunst- 



GERHARD MUNTHE «KÖNIG HAA- 
KON DER GUTE, DER (SSI) IN EINER 
SCHLACHT FIEL, REITET OBER DIE 
TODESBROCKE gen WALHALL « 



-^^S> ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG DER VORZEIT <^^ 



anschauung hat illustrieren können.*) Ein 
Schwanicen zwischen verschiedenen alten Stil- 
arten könnte ich mir erklären, aber der 
Unterschied zwischen der nordischen Mytho- 
logie und den Göttern des Olymps ist für 
mich so gross, wie der Gegensatz des dunklen 
Winters zum sonnigen Sommer. 

Ich will mich näher darüber erklären, wes- 
halb ich diesen Standpunkt einnehme. Denn 
ich glaube, dass man im Dunkeln tappt, wenn 
man uobewusst vorgeht. Ich würde niemals 
den Versuch gewagt haben, das Altertum in 
gebundenem Stile darzustellen, wenn nicht 
Ueberlegung und Logik mir den Veg gewiesen 
hätten. 

Ich setze voraus, dass man zunächst Illusion 
anstreben muss, einerlei ob man die Neuzeit 
oder das Altertum schildern will. Wir reden 
von »Echtheit", .Lokalfarbe". Von der Vor- 
zeit könnte man das Wort „Zeitfarbe" ge- 
brauchen. Die Darstellungen von Mythen und 
Sagen unserer Vorzeit, die ich sah, befriedigten 
mich nicht. Den ethnographischen und archäo- 
logischen Elementen blieb es in den meisten 
Fällen überlassen, die Illusion hervorzurufen, 

*) Die Bemerkung des Verfassers bezieht sich 
auf die von dem dinischen Maler LoRE^z Frölich 
illustrierte Ausgabe der ilteren Edda, in das DInEsche 
Übersetzt von K. Gjellerup, Kopenhagen 1895. Anm. 
d. Uebers. 



die eigentliche Auffassung war und blieb 
modern und arbeitete dem altertümlichen Ein- 
druck entgegen. Wenn ich dagegen unsere 
Altertumssammlung besuchte, so kam ich 
sofort in Stimmung. Hier merkte ich, dass 
der äussere Apparat nicht hinreicht, und dass 
die Illustratoren in den Geist des Altertums 
nicht eingedrungen sind, und es stiegen mir 
Zweifel auf, ob das Ziel überhaupt auf natura- 
listischem Wege zu erreichen sei, weil unser 
Altertum ausserhalb des Naturalismus und 
der ganzen neuzeitigen Auffassung liegt. Wir 
könnennicht die Vorzeit zu uns herüberziehen; 
wir müssen uns zur Vorzeit zurückbegeben. 
Ist dies möglich? Kann jemand sich in 



GERHARD MUNTHE • « SCHLUSSVIGNETTE 
ZUR SAGA OLAVS DES HEILIGEN, DER DAS 
HEIDENTUM AUSROTTETE (I015-102S) • « • 



-s-^y> ILLUSTRATIVE DARSTELLUNG DER VORZEIT <^-5- 



eine vergangene Zeit und in ihr Denken so 
hineinleben, dass er im stände ist, ihre Kultur 
völlig zeitgemäss darzustellen? Ich meine, 
dass man es versuchen kann. Nicht als ob 
es das einzig richtige wäre. In der Kunst 
giebt es nichts, das richtig oder un- 
richtig ist; die Wahrheit beruht einzig 
und allein auf der Ueberzeugung und 
dem persönlichen Gefühle des Künst- 
lers. 

Wie oben erwähnt, verlangen wir zunächst 
Illusion. Die meisten sind einverstanden, so- 
lange man nicht von ihnen verlangt, dass sie 



die klassischen Ideen aufgeben sollen. Aber 
nur wenige können sich vorstellen, dass die 
gebundene Kunst, wie wir sie z. B. in unseren 
alten Stilarten haben, es mit der ungebundenen 
Art aufnehmen kann. Um uns in diese Vor- 
stellung einzuleben, mijssen wir unsere ge- 
wöhnliche Annahme aufgeben, dass der Natura- 
lismus sich im Alleinbesitz der Illusion 
bellndet. Aber nehmen wir den Gedanken 
auf, dass es das richtige Milieu ist, welches 
die Illusion erzeugt, so dürfen wir uns vor 
keiner Stilart scheuen, weil sie das einzige 
Mittel ist, den zutrefTenden Ausdruck zu 



, S^> MARGARETHE VON BRAUCHITSCH <^-^ 



TEIL EINER TISCHDECKE MIT MASCHIN BNSTICKEREI 



finden. Wenn ich hier als Beispiel meine 
Illustrationen zur Hafrsfjordschlacht in 
nSnorre'*) oder Haakon den Guten nenne, 
so meine ich, dass diese Bilder, welche ja viel 
intimer geschaut sein könnten, die Gedanken- 
welt der Zeit mit einfachen Mitteln wieder- 
geben, und demjenigen, welcher glaubt, dass 
man in gebundenem Stil nur Ornamentik 
und keine epische Darstellung geben kann, 
erwidere ich, dass ich kein Hindernis sehe, 
die ganze Braavallaschlacht im Stile des 
Bronzealiers darzustellen ohne die Eigenart 
dieses Stiles zu verlassen. Ich habe nur 
geringe Hoffnung für den, der darauf wartet, 
das nordische Altertum mit Hilfe einer 
antikisierenden iHenschendarstellung illustriert 
zu sehen. In der Kunst gewinnt man das Eine, 
indem man auf das Andere verzichtet, und 
nie wird das Höchste erreicht, wenn man 
sich abmüht alles mitzunehmen. Das hoheits- 
volle Menschentum in griechischem Sinne 
hat mit Odin und Walhalla und mit den 
Mythen und Sagen der nordischen Vorzeit 
nichts gemein. 

Erfindungskraft und historischer Sinn sind 
die Voraussetzungen, die erforderlich sind, 
und die beide entwickelt werden können. 
Mehr oder weniger können ja alle gebildeten 

*) Snorre Sturlason Kongesagaer oversat af Dr. G. 
Storm med illustraiioner af H. Ecidius, Chr. 
Kroch, Gerh. MuNTHEu a. Christiania. 1899. Die 

Illustrationen und Verzierungen, die diesen Aufsatz 
begleiten, rühren von dem Verfasser her und sind 
dem genannten Werke entnommen. Anm. d. Uebers. 



Menschen sich in vergangene Zeiten ver- 
setzen; wir haben alle durch Besuch von 
Museen und Lektüre in fremde Gedanken- 
richtungen Einblicke erhalten. Das Studium 
jeder Epoche steht allen offen. In den Stil- 
arten des Klassizismus sieht man häufig 
Künstler mit Frische und Erfindungsgeist 
schaffen. 

Die im Vorstehenden aufgestellten Behaup- 
tungen wissenschaftlich zu begründen, ist nicht 
meine Absicht gewesen. Aber da ich selbst 
mein Interesse für dekorative Kunst durch 
diese Ueberlegungen gewonnen habe, so hoffe 
ich auch, dasssie anderen nutzbare Anregungen 
bringen werden. 



KISSEN MIT »ASCHINENSTICKEREI 



MARGARETHE VON BRAUCHITSCH 



Frau in regem Wettbewerb mit dem Mann. 
Ueberlässt sie diesem auch grösstenteils die- 
jenigen Gebiete, In denen das Architekto- 
nische, Konstruktive vorherrscht, so erobert 
sie sich immer erfolgreicher den Boden, wo 
das rein Dekorative, das Schmückende in 
Betracht kommt, und der somit ihrem be- 
sonderen Wesen recht eigentlich entspricht. 
So schafft Margaret Macdonald in harmo- 
nisch ergänzender Gemeinsamkeit mit ihrem 
Gatten Charles R. Mackintosh. Ihre eigen- 
tümlich stilisierten, gehämmerten Silberpaneele 
und die legendenhaft poetischen Aquarelle, 
welche uns zugleich primitiv und rafßniert 
anmuten, sind erst vor kurzem in diesen 
Blättern gebracht worden. — Ebenso steht 
Edith Davson in London als kongeniale Ar- 
beitskraft ihrem Gatten zur Seite; und in 
Norwegen hat die Weberei ihr frisches Em- 
porblühen, die originelle und künstlerische 
Betonung ihres alten nationalen Charakters 
bei neuer selbständiger Formgebung vielfach 
einer Frau zu danken: Frieda Hansen, an 
deren Erfolge auf der Pariser Weltausstellung 
wir nur zu erinnern brauchen. Auch bei 
uns in Deutschland fehlt es nicht an ähn- 
lichen Beispielen. Speziell auf dem den 
Frauen eigensten Feld, dem der Stickerei, 
finden wir Berthe Ruchet, die feinsinnig- 
verständnisvolle Ausgestalterin von Hermann 
OsRtST's Meisterentwürfen, Elisabeth Erber, 
deren meist in der Maschinenstickerei der 



Vereinigten Werkstätten ausgeführte Arbeiten 
treue Beobachtung der Natur, ornamentales 
Talent und Geschmack erkennen lassen, und 
manche andere. Neuerdings hat auch Mar- 
oarethe von Brauchitsch sich ganz dem 
Gebiete der Nadelarbeit zugewandt. Es ist 
eine seltene Vereinigung von künstlerischer 
Begabung, Intelligenz und Energie in dieser 
tapferen kleinen Frau, die offenen Auges und 
mit immer fleissiger Hand, empränglich für 
Rat und Kritik und fördernde Einflüsse und 
doch selbständig in Urteil und eigenem 



4 MIT MASCHINENSTICKEREI 



KISSEN MIT MASCHINENSTICKEREI 



Schaffen unermüdlich und unbeirrt vorwärts 
strebt. Kleinere Arbeiten, die sie zum Teil 
mit eigener Hand gestickt hat, später grössere, 
die nach ihren Entwürfen unter Direktor 
KrOger's Leitung in den Vereinigten Werk- 
stätten ausgeführt wurden, bezeichnen die 
Anfänge ihrer kunstgewerblichen Thätigkeit 
und sind ja zum Teil auch in der .Dekora- 
tiven Kunst" reproduziert und besprochen 
worden. — Nun folgten Tapetenentwürfe, die 
in ihrer Grosszügigkeit, in der Freiheit, mit 
welcher die zu Grunde liegenden Motive 
behandelt wurden, in der Kraft der Farben- 
gebung etwas sehr Positives, Kühnes hatten. 
Dieser grosse Zug liess einem über manches, 
das noch ungeklärt und zu wenig massvoll 
schien, über einen gewissen Mangel an 
letzter Verfeinerung der Werte u. s. w. hin- 
weggehen : man fühlte eine Persönlichkeit 



-^^s^> MARGARETHE VON BRAUCHITSCH -<^^^ 



TEIL EINER TISCHDECKE MIT MASCHINENSTICKEREI 



JUGENDLICHES HÄNGERKLEID AUS SILBERGRAUEM STOFF 
MIT PERLMUTTERSCHIMMERNDER APPLIKATIONSARBEIT « 



-a.sö> MARGARETHE VON BRAUCHITSCH <St-^ 



Il>\~"~' 



TrSCHDECXCHGN MIT MASCHINENSTICKEREI 

hinter diesen Arbeiten, Temperament und 
Zielbewusstheit. — Und man irrte sich nicht! 
Wenn man ihre letzten Schöpfungen betrachtet, 
so empfindet man eine wahre Freude über 
die schöne, gesunde, harmonische Entwick- 
lung dieser starken Begabung. Nachdem die 
Künstlerin zwei Jahre lang ein Damenatelier 
für ornamentales Entwerfen geleitet und 
schöne Erfolge damit erzielte (wir berichteten 
hierüber in Nr. 6 des III. Jahrgangs), hat 
sie nuti, um ihre Kraft nicht zu zersplittern, 
sich ganz der Stickerei zugewandt, und zwar 
fast ausschliesslich der Maschinenstickerei. 
Als durchaus modern empfindender Mensch 
fühlte sie voll den Wert einer Technik, die so 
sehr dem zu entsprechen vermag, was unsere 
Zeit von aller Nutzkunst verlangt: relativ 



TISCHDECKCHEN MIT MASCHINENSTICKEREI 



grosse Vervielfaitigungs- und Ver- 
breitungsmöglichkeit künstlerisch 
guten Schmuckes. Mit der ihr 
eigenen Energie ging sie an die 
praktische Durchführung ihres 
neuen Unternehmens; die nötigen 
Maschinen wurden nicht etwa 
bloss angeschafft und mehr oder 
minder geschickte Stickerinnen 
darangesetzt, nein, ehe die Künst- 
lerin die Kinder ihrer Phantasie 
diesen übergab, wollte sie^selber 
das Handwerk können, voll be- 
herrschen. „Kein Stück darf aus 
meinem Atelier, das ich nicht selbst 
herzustellen vermocht hätte", sagte 
^ sie ; und rastlos wurde gelernt, 
geübt, verbessert. Und was nun 
geleistet wird, ist wahrlich nicht 
bloss eine auf mechanischem Weg 
ermöglichte Nachahmung ursprünglich für per- 
sönliche Einzelausführung gedachter Kunst- 
werke wie etwa die gewebte Kopie eines 
alten Gobelins oder der Oelfarbendruck nach 
einem Bild; es ist nicht die — vom Stand- 
punkt der Kunst — unberechtigte Populari- 
sierung von etwas, dessen Wert in der per- 
sönlichen einmaligen Ausführung liegt, son- 
dern diese Arbeiten sollen und wollen nichts 
anderes sein, als was sie sind. Nach ihrer 
Verwendung, der Art ihres dekorativen 
Schmuckes, ihres Materials sind sie für 
Maschinenbestickung gedacht; schon in die 
Konzeption der Stickerei war die Art der 
Ausführung mit eingeschlossen; ähnlich wie 
es bei einer Originalradierung oder Litho- 
graphie der Fall ist. 

Und wie schmiegsam, wie an- 
passungsfähig ist diese Technik; 
wie ausdrucksvoll vermag sie in 
der richtigen Hand zu werden. 
Da ist keine zarte Krümmung 
einer Wellenlinie, kein geheimnis- 
volles Schwellen eines Blattan- 
satzes, ohne dass sie zu ihrem 
Rechte kämen; da wird ein feines 
Farbenspiel von Licht und Schatten 
erreicht durch Wechsel der Strich- 
lagen, hier schmiegt sich der sei- 
dige Faden tief in das Gewebe des 
Stoffes, gleichsam eins werdend 
mit ihm, dort wirkt er wieder wie 
aufgelegt, erhöht oder umrandet 
f schnurartig die flächige Appli- 
kation. Derartige künstlerisch-tech- 
nische Wirkungen wurden ursprüng- 
lich allerdings durch das mühe- 
volle Schaffen unsäglich fleissiger 



^,~^> MARGARETHE VON BRAUCHITSCH <^-c- 



brbigen Grund wirken die weissen 
Plattstichstickereien ausgezeichnet; 
gerade hier kommt das oben er- 
wähnte, durch verschiedene Strich- 
lagen erzielte Licht- und Schatten- 
spiel der Einzelformen zu reizendem 
Ausdruck. 

Fast ausnahmslos waltet ein Feines 
und sicheres Raumgefühl : Grosse, 
Werte, Verteilung der ornamentalen 
Formen und Gegenformen sind mass- 
voll abgewogen. 

Besonders hinweisen möchte ich 
noch auf die hübsche Applikations- 
arbeit, welche die Schleppe des 
jugendlichen Hängerkleides (Abb. 
S. 25d) schmückt. Um sie ganz zu 
würdigen, muss man sie allerdings 
gesehen haben, denn der Farben- 
zauber der perlmutterschimmernden Seiden- 
stücke auf dem Silbergrau des Grundslolfes 
lisst sich nicht beschreiben. — 

Es wäre nur zu wünschen, dass Arbeiten, 
deren künstlerischer Wert und deren praktische 
Verwendbarkeit mit ihrer Bildlichkeit wett- 
eifern, sich immer weitere Kreise eroberten. 
Und dazu träte noch der weitere Wunsch, 
wäre seine Erfüllung — wenigstens bei uns 
in München — nicht gar so aussichtslos : 
dass einmal die Ausbildung unserer weib- 
lichen Jugend für schmückende Handarbeil 
Kräften anvertraut würde, die wie Margarethe 
V. Brauchitsck schöpferische Begabung mit 
Organisations- und Lehrtalent vereinen und 
in frischer verständnisvoller Begeisterung den 
Geist ihrer Zeit erfassen und künstlerisch 
zu verarbeiten wissen. 

Wäre dies wirklich ganz unmöglich? — 



KISSEN MIT MASCHE NE NSTICKER El 



Hände erschlossen: bei dem Chinesen und 
Japaner und bei Obrist-Ruchet haben darin, 
glaube ich, alle gelernt, welche heute diese 
Errungenschaften auch für die Maschinen- 
Stickerei verwerten und entwickeln. Aber 
dass sie dies thun und nun bei so viel 
rascherer und billigerer Herstellung im stände 
sind, künstlerisch zu wirken, darin liegt 
eben der Wert. Denn erst dadurch ist auch 
grösseren Kreisen die Möglichkeit des Be- 
sitzes und Gebrauches solcher Dinge geboten 
worden. Was das Material betrifft, mit 
welchem Frau v. Brauchitsck arbeitet, so 
Hillt die häuHge Verwendung von Leinen 
oder leinenartigen Stoffen auf. Nicht nur für 
Tischwäsche, die sie übrigens mit ungemein 
einfachen, diskreten Mitteln sehr reizvoll zu 
zieren weiss — z, B. durch schlichte Parallel- 
linien mit verschiedenem Abstand, — son- 
dern auch für Bettüberdecken, Schlafzimmer- 
paravenis, Vorhänge und Kissen zieht sie dies 
praktische waschbare Gewebe empfindlicheren 
und kostbareren Stoffen vor. Auf dem natur- 



B. VOET « SILBERNE CDRTELSCH LIESSE 



E. VOET • SILBERNE CORTELSCHLIESSE (NIELLO- ARBEIT) 



-^f-^y HAARLEMER SILBERARBEITEN <^^ 



E. VOET « IN SILBER GETRIEBENE SCHOSSEL UND VASE 



HAARLEMER SILBER-ARBEITER UND -ARBEITEN: E. VOET 



Von J. G. Veldheer, Bergen 



Zu den .niederländischen Städten, die von 
der grossen Bewegung auf dem Gebiete 
des Kunstgewerbes sowohl infolge der un- 
mittelbaren Nähe eines Zentrums wie Amster- 
dam, als auch dem eigenen künstlerischen 
Drange folgend mitgerissen wurden und zur 
Zeil eine führende Stellung einnehmen, ge- 
hört in erster Linie die Stadt Haarlem. Einige 
junge Künstler dieser Stadt waren es, die 
selbstbewusst einen bisher sehr vernach- 
lässigten Kunstzweig, die Silberschmiede- 
kunst, wieder zur Blüte gebracht haben. Zu 
ihnen können wir Voet (spr. Wutt) zählen, 
der nur infolge der zur Zeit herrschenden 
Zustände noch nicht vollauf gewürdigt und 
in den Vordergrund getreten ist. 

Wissen wir Niederländer doch nur zu gut, 
wie lange es dauert, und mit welchen Schwierig- 
keiten man zu kämpfen hat, bis ein neuer 
Kunstzweig durchgedrungen ist, Anerkennung 
und verdiente Würdigung gefunden hat. Haupt- 



sächlich ist es das grosse Verdienst der Firma 
HoEKER in Amsterdam, dass sie den ersten 
Antrieb zu ernsthaftem, künstlerischem Stre- 
ben nach Verbesserung der Silberschmiede- 
kunst gab. Sie verstand es, talentvolle Künstler 
wie Sluytehman und Zwollo an sich zu 
ziehen. Während jener sich darauf be- 
schränkte, gute Entwürfe im Stile Ludwig 
des XIV. und XV. anzufertigen, ohne 
sich ihrer Ausführung zu unterziehen, ging 
ZwoLLO weiter, da bei ihm eine meisterhaft, 
gehandhabte Technik mit reiner, lauterer 
Formenschönheit und künstlerischer Auf- 
fassung Hand in Hand ging. Auf der gleichen 
Stufe steht wohl auch der jugendliche Haar- 
lemer Kunstsilberschmied E. Voet jr., der 
von Zeit zu Zeit Erzeugnisse seiner Kunst 
auf den Markt bringt, die sich, künstlerisch 
tief durchdacht, durch schönes Ebenmass und 
vollendete Formenschönheit auszeichnen. 
Eine seiner ersten von ihm ausgeführten 



-T-^y E. VOET <^^^ 



Arbeiten ist jene Halskette, die der Bürger- 
meister von Haarlem bei Ausübung seiner 
Amtswürde zu tragen pflegt. Diese Kette, 
sowie einige seiner Bucheinbände mit aus 
Silber verfertigten Beschlägen lassen gotischen 
Einfluss erkennen. 

In seinen späteren Arbeiten, so z. B., in 
seinen Gurtspangen und Gürtelschnallen ist 
er selbständiger; nur noch vereinzelte Spuren 
weisen auf gotische Anregungen hin, und man 
sieht, dass der Künstler stark genug war, alle 
früheren Einflüsse und Anlehnungen zu über- 



nungen, infolge dieser Art der Anfertigung 
des Niällo nicht aufgelegt, sondern eingelegt 
sind, können die betreffenden Gegenstände 
stark gebraucht werden, ohne Gefahr zu laufen, 
sich schnell abzunutzen. Diese grosse Dauer- 
haftigkeit bedingt eben den höheren Wert 
der echten Niälloarbeiten im Vergleiche mit 
solchen , die auf galvanoplastischem Wege 
hergestellt werden. Denn die letzteren sind 
in kurzer Zeit stark abgenutzt und erhalten 
ein unschönes Aussehen, da die Farbe meist 
nur an der Oberfläche haftet. 



BAND MIT SILBERNEN BESCHLAGEN 



winden und aus sich heraus neues zu schaffen. 
Die Mehrzahl seiner Schmuckgegenstände ist 
von ausgesprochen modernem Charakter. 

Ausser der Ziselier- und Treibtechnik hat 
sich VoET das in Holland wenig bekannte 
Nieilo-Verfahren angeeignet. Die Mehrzahl 
der Nieilo- Schmucksachen wurde bisher von 
Deutschland und besonders Russland einge- 
führt. Das Verfahren des Niailo besteht 
darin, dass man aus Silberblech hergestellte 
Gegenstände möglichst tief graviert, die Ver- 
tiefungen mit einer Mischung von Schwefel- 
metallen ausfüllt, sie dann bis zum Schmelzen 
erhitzt und schliesslich glatt schleift und 
poliert. Die Zeichnungen treten dann mit 
grBsster Schärfe schwarz auf dem hellen 
Silbergrunde hervor und erhalten so das Aus- 
sehen einer Federzeichnung. Da diese Zeich- 



VOET hat in dem Nigllo schon vieles er- 
reicht, wir aber erwarten, dass er für die 
Anwendung dieses dankbaren Verfahrens ein 
reiches Arbeitsfeld flnden wird. Das Wieder- 
aufleben des Handwerkes wird ihn das Ziel 
einer rein persönlichen niederländischen 
Kunstform und Kunstgattung erreichen lassen. 
Sollte diese auch infolge individueller Rassen- 
instinkte nicht ganz frei sein von unbe- 
wussten Traditionen und Einflüssen, so ist 
dies doch für den wirklichen Künstler 
kein Nachteil, taWs er nur im Bewusstsein 
seines Könnens ehrlich und wahr seine 
eigene Persönlichkeit in den Vordergrund 
treten lässt. 

Nur dann ist bei aller Individualität seine 
Kunst zu gleicher Zeil Gemeingut für alle 
geworden. 4^ ^ ^ 5,^ d^ 



rT."N3 l"N<E?.E?> ALTEN BALTEN -^^^- 



j'"_^tvr r. asE«!,"-; 



ZUa REITLNG UNSERER ALTEN BALTEN 



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TCTjess dxs Pniies tzEsrieracber Nt-reti: sofi'/ei^li TCf« si;;h der T=ns;±, sie m ftrw 

cui ^ÜMSii;« 1= eiaa" Tzrü^sag «I^-er Scä »Ire» Herrli;i:ke:i »^JfTiWTZ^srellrti. D*icfi 

der Vr' gfre rrV"'^ Aber =Laa kaa dicit in br«ci das n>crl»^riige Zeitjürer der Tiedcr- 

eiiÄ bDcbs: triiiäche La^ ia Bezzg azf das bei^iell=si;eii an. Xaa er^irzie »erz: fthimde 

cifcac Scb^^ffx Die Areh;Tekr=r. k3ss ia Ter.e. bese-rl^re Zssirze. bT»;ii bes;±üi|7e 

fiesiscschlasseaca si;bere« Baiaea gebend. Bs=re:ic ab cnd richrere sje aee a^f, iher- 

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ber. Terl:-r dad=r=h iMid >cdes diäten Hali c=d SK'.Te ihn so her, dass er vje neu scs- 

cad gj-'Tg^ Si±::essl:;i a=f eiaen loxa P^zit. sah — »obei ciaa der Acsicii »ar, dass man 

asf dcB r^Fi si^Si nsehr »eirer to==ie- dam:: e;a j:eäs Terk thit cad rcr Etie de:- 

N:;i:: $£==£ dair:t. se geriet in eiae ganz vaier'.ä^dii^ea K=3si »^irkte. la der Itcgcü 

eige=T==l:-l:e Ste::=2g ia Ber=s a=f zaseie henerlTe nian a;:eriir^ nazh ksrzer Zeil. 

a^ten B*=de:;k— jler. Diese ha:ien sich fribex dass d;e »coen lei'.t er»as ban =t)i ie^:■:>s 

264 



^r-^> E. VOET <^^ 



EVOET SILBERNE GOSTELSCHLIESSE 



SILBERNE BROSCHE 



gegen die alten standen, dass Irrtümer unter- 
gelaufen waren, und dass man jedenfalls den 
Geist des alten Baues mit den Ergänzungen 
nicht ganz getroffen habe. Aber das änderte 
nichts, war man doch der Ueberzeugung, dass 
man dafür jetzt ganz genau wüsste, wie es 
zu machen sei. Der Gedanke, dass die auf 
uns folgende Generstion auch an unsem Re- 
staurierungen Fehler und Unzulinglichkeiten 
finden könne, scheint nie einem Restaurator 
gekommen zu sein, wie denn an ihnen über- 
haupt nichts rührender ist, als die fröhliche 
Zuversicht, mit der sie ihres Amtes walten. 
Die Stimmen in der Architektenpresse bei Ge- 
legenheit des Hei delbergerschloss- Falles zeig- 
ten das wieder deutlich. 

Noch auffallender als diese eigentümliche 
Ansicht über die eigene Zulänglichkeit ist aber 
der Umstand, dass man sich nie klar gemacht 
zu haben scheint, dass man doch eigentlich 
hier im Grunde denselben Irrtum beging, den 
wir aus der Kunstgeschichte in Bezug auf die 
Wiederherstellung alter Statuen und die Ueber- 
malung alter Gemälde kennen. Mancher Ar- 
chitekt hat wohl in Italien die mit Antiken ge- 
füllten Säle der Museen durchwandert und dabei 
im „Burckhardt" die steten Wamungsrufe ge- 
lesen, dass viele, vielleicht die meisten der- 
selben zur Zeit ihrer Auffindung restauriert, 
ergänzt oder überarbeitet worden und dadurch 
ihres Originalwertes beraubt seien. Ist ihm 
nie bei seinen spätem Wiederherstellungen 
der Gedanke gekommen, dass er im neun- 
zehnten Jahrhundert dasselbe an den Werken 
der Architektur begeht, was die Renaissance- 
bildhauer an den antiken Statuen begingen, 
dass er diese Bauten dadurch ebenso ihres hi- 
storischen Wertes beraubt wie es dort mit den 
antiken Skulpturen geschehen ist,, und dass die 
Generationen nach uns mit denselben Augen 
auf seine Restaurierungen blicken werden, mit 
denen wir jetzt auf die Ergänzungen der An- 



tiken blicken? Hier wie dort handelte es sich 
um denselben Irrtum : man wollte den Ein- 
druck eines unversehrten Ganzen herstellen, 
ein komplettes, schmuckes Kunstwerk statt 
eines Torso haben. In beiden Fällen siegte die 
kindische Freude an dem Ding über die histo- 
rische Einsicht, der oberflächliche Ordnungs- 
sinn über die Achtung vor dem Originalwerk. 
Bei Werken der Architektur treten nun aller- 
dings Fälle auf, in denen Eingriffe in alte Bauteil 
nötig werden, weil der Bau benutzt wird und 
in seinem Nutzwert erhalten bleiben muss. 
Das findet beispielsweise statt bei benutzten 
Kirchen, Wohnhäusern, Rathäusern u. s. w. 
Es ist unzweifelhaft das Recht des derzeitigen 
Besitzers, seinen Bau nicht nur benutzungs- 
fähig zu erhalten, sondern unter Umständen 
sogar anderen Bedürfnissen anzupassen, zu 
vergrössern oder umzubauen. Das ist zu allen 
Zeiten gethan worden, aber wiederum zeichnet 
sich die Gegenwart hier durch eine ganz ver- 
schrobene Auffassung aus. Auf dem Denkmal- 
tag in Dresden 1900 wurden von den ver- 
sammelten Architekten Grundsätze genehmigt, 
welche verlangen, dass sich in solchen Fällen 
der Architekt aufs genaueste dem Stil des Ori- 
ginalwerkes anzupassen habe und mit Ver- 
leugnung jeder Spur von eigener Individualität 
genau so bauen solle, wie an seiner Stelle 
der alte Meister gebaut haben würde. In dieser 
Vorschrift verbirgt sich ein ganzer Rattenkönig 
von Verkennungen der Thatsachen, Schief- 
heiten und Unmöglichkeiten. Denn erstens ist 
es für den Menschen der Gegenwart ein Ding 
der Unmöglichkeit, künstlerisch genau so em- 
pfinden zu wollen wie ein Mensch der Kultur 
vor vier- oder fünfhundert Jahren (wir ver- 
mögen uns künstlerisch nicht einmal in die 
Lage der Menschen vor 50, ja 20 Jahren zu 
versetzen), zweitens ist kein Mensch im stände, 
beim künstlerischen Gestalten irgend welcher 
Art seine Individualität zu verleugnen, drittens 



^r-^> E. VOET <^-7^ 



GOLDENE GORTELSCHLIESSE 



sind die Bauten, um die es sich handelt, Fast 
stets in verschiedenen Zeiten entstanden, so 
dass man nicht weiss, an welches Jahrzehnt 
man sich halten soll, und viertens und haupt- 
sächlichst, selbst wenn noch alles gelänge, was 
würde das Ergebnis sein? Eine geschichtliche 
Fälschung. Die Vorschrift läuft direkt auf die 
geschichtliche Fälschung hinaus, und geschicht- 
liche Fälschungen, mit mehr oder weniger 
(meist mit weniger) Glück durchgeführt, sind 
fast alle Wiederherstellungen gewesen, die man 
im neunzehnten Jahrhundert vorgenommen 
hat. Wenn es in früheren Jahren nötig wurde, 
Umbauten vorzunehmen, so dachte natürlich 
kein Mensch daran, sich oder seine Zeit zu 
Gunsten der Entstehungszeit des Urbaues zu 
verleugnen, sondern man baute eben mit voll- 
ständiger Selbstverständlichkeit im Stile seiner 
eigenen Zeil, woher es denn gekommen ist, 
dass uns unsere alten Bauten mit grösster 
Treuherzigkeit in ihren eigenen Gesichtszügen 
ihre Geschichte erzählen. Nun wird behauptet, 
unsere Zeit hätte keinen eigenen Stil. Das 
trifft aber nur bis zu einem gewissen Grade 
zu. Denn abgesehen von den modernen Re- 
gungen in der Architektur ist doch auch der 
eingefleischteste Stilarchitekt nie in der Lage 
gewesen, in seinen Stilreproduktionen die Ge- 
genwart ganz uud gar zu verleugnen, dafür 
sorgten schon die gegen früher total ver- 
änderten äusseren Bedingungen. Ausserdem 
hat man freiwillig Stile gemischt, verändert, er- 
weitert, umgestaltet. Also, gewähre man diese 
Freiheit doch auch bei Umbauten alter Bau- 
werke! Ja, nicht nur das, man mache sie zur 
Bedingung, man verlange, dass der in unserer 
Zeit entstandene Um- und Anbau sich von 
dem Urbau stilistisch grundsätzlich unter- 



scheide, dass er steh als Zusatz der 
Gegenwart deutlich kennzeichne. Das 
wäre ein ausführbarer, ehrlicher und 
der Würde unserer Zeit entsprechen- 
der Standpunkt. 

Aber bei den allermeisten der vor- 
gekommenen Wiederherstellungen hat 
es sich gar nicht um diese einzig zu- 
lässigen Fälle der baulichen Eingriffe, 
die zur Erhaltung ihres Gebrauchs- 
wertes, gehandelt. JVlan hat restauriert 
aus Gefühlsgründen, um einen alten 
Bau neu aufzuarbeiten, um spätere 
Ein- und Anbauten oder Hilfskon- 
struktionen zu entfernen, um zerstört 
oder unvollendet auf uns gekommene 
alle Bauten zu Vollbauten zu ergänzen. 
Alle diese Vornahmen sind im Grund- 
zug ihres Wesens überflüssig, falsch 
und verwerflich. Und zwar aus dem 
einfachen Grunde, weil sie den Denkmalwerl 
des alten Baues zerstören, ihn als historische 
Urkunde vernichten oder zum mindesten be- 
einträchtigen. Diese alten Bauten sind als 
Dokumente auf uns gekommen, die Generation 
auf Generation weitergereicht hat. Wir, als 
die derzeitigen Verwalter, haben moralisch 
ebensowenig ein Recht in ihr Wesen einzu- 
greifen, als die Renaissancebildhauer den An- 
tiken gegenüber hatten, als der Besitzer einer 



-!r-^> ZUR RETTUNG UNSERER ALTEN BAUTEN <^^ 



FRANCIS AUBURTIN 



DEKORATIVES CEMXLDE 



unvollendeten Skulptur von Michelangelo ein 
Recht hat, sie vollenden zu lassen, oder als 
irgend eine Bibliothek auf den Gedanken 
kommen wird, ihre lückenhaften alten Hand- 
schriften ergänzen zu lassen. Es ist ganz merk- 
würdig, wie völlig unentwickelt in Deutschland 
dieser Pfltchtstandpunkt in Bezug auf histori- 
sche Bauten noch ist, während er doch in Be- 
zug auf andere Kunstwerke, bis herab auf 
die alte Bronzeaxt oder einen beliebigen alten 
Topf, den man ausgräbt, längst feststeht. Hier 
lässt man Rost und Schmutz sorgfältig haften, 
um den Gegenstand nicht zu berühren; wer 
wurde wohl daran denken, die gefundene Axt 
aufpolieren, mit einem neuen Stil versehen 
und fehlende Meiallteile ergänzen zu lassen? 
Jeder Schulknabe sieht ein, dass damit der 
Wert der Sache vernichtet wäre. Und doch 
thun wir Aehnliches heute täglich mit unseren 
allen Bauten. Und ein grosser Teil unserer 
Architektenschaft steht auf dem Standpunkte, 
dass dies ein rühmliches Unterfangen wäre. 
Man sprach gelegentlich der Heidelberger Re- 
staui^tion von einer That ersten Ranges, die 
man verrichten würde, einer That zum Ruhme 
und zur Herrlichkeit der alten deutschen Kunst. 
Diese That hätte darin bestanden, dass man ein 



überkommenes Zeugnis derselben vernichtet 
und durch ein Falsifikat ersetzt hätte, statt es 
so, wie es heute noch zu jedem empfönglichen 
Gemüt spricht, sorgßlltigst zu erhalten und zu 
bewahren. Als Vorwand für solche Gefühls- 
restaurationen pflegen freilich immer angeb- 
liche sachliche Notwendigkeiten zu dienen. 
So behauptete man in Heidelberg, die Front 
des Otto-Heinrichsbaues würde einstürzen, 
wenn man den Bau nicht restaurierte. Der 
Restaurator wollte nun aber darangehen, diese 
altersschwache Mauer mit neuen Stockwerken 
und mächtigen Steingiebeln zu belasten. Vie 
reimt sich das zusammen? Wollte man etwa 
auch hier das summarische Lieblingsverfahren 
der Restauratoren anwenden, welches darin 
besteht, dass man alte Teile abträgt und neu 
aufbaut? Ein anderer Fall: in den Steinhelm 
eines gotischen Domes hat in früheren Jahr- 
hunderten der Blitz eingeschlagen, und die 
Spitze desselben trägt seitdem eiserne Bänder. 
Man findet diese störend, trägt den Helm ab 
und baut ihn neu auf. Während also hier 
Frühere Generationen ganz richtig handelten, 
indem sie das Originalwerk mit irgend welchen 
Hilfskonstruktionen solange zusammenhielten, 
als es noch möglich war, haben wir mit unserer 



ZUR RETTUNG UNSERER ALTEN BAUTEN 



sogenaaaten höheren Schätzung der alten Kunst 
nichts Eiligeres zu thun, als ein Originalwerk 
zu Gunsten einer modernen Kopie zu zerstören. 
Man pflegt bei dieser ganz landläufigen Opera- 
tion immer anzuführen, dass das Original- 
werk doch nächstens zu Grunde gehen würde. 
Aber wäre es nicht besser, das natürliche 
Ende des Originals abzuwarten, ehe man an 
die Aufrichtung des Falsifikates geht? Dann 
hätten doch noch einige Menschen etwas 
davon, und wer weiss, alte Leute leben oft 
länger, als man glaubt. 

Die ganz offenbaren Miss Verhältnisse, die 
sich auf diesem Gebiete zu erkennen geben, 
haben ihren Grund in der grossen Rück- 
ständigkeit aller heutigen Anschauungen, die 
mit der Architektur zusammenhängen. Die 
einfachsten künstlerischen Fragen, die auf allen 
anderen Gebieten längst gelöst sind, haften 
hier noch in chronischer Stockung fest. Das 
Publikum sieht in architektonischen Dingen 
noch immer etwas ganz anderes als in künst- 
lerischen, denn wie gesagt, auf jedem anderen 
künstlerischen Gebiete wäre der Unfug hi- 
storischer Rekonstruktionen ein längst über- 
wundener Standpunkt. Selbst bei dem all- 
seitigen, im übrigen natürlich sehr erfreulichen 
Einspruch, der sich gelegentlich der Heidel- 
berger Schlossfrage erhob, wurden hauptsäch- 
lich sentimentale Gesichtspunkte gegen die 
Wiederherstellung geltend gemacht: die Freude 
am jetzigen Ruinenbild, die historischen Er- 
innerungen u. s. w. Diese haben aber mit der 
Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Wieder- 
herstellungen gar nichts zu thun, es handelt 
sich hier darum, dass wir einfach nicht das 
Recht haben, ein auf uns gekommenes Origi- 
nalwerk umzubilden oder irgendwie zum 
Zwecke einer Veränderung anzutasten. Jede 
folgende Generation wird darin eine Beein- 
trächtigung ihres Anteils an demselben sehen, 
die Veränderung als Falsifikat betrachten und 
im übrigen, das ist so gut wie sicher, der 
Ansicht sein, dass die Ergänzung falsch oder 
mindestens stilistisch zu beanstanden sei. Das 
bringt schon die ständig fortschreitende kunst- 
historische Erkenntnis mit sich, von der frei- 
lich die Restauratoren anzunehmen scheinen, 
dass sie sich gerade auf deren Kulminations- 
punkt befänden. 

Wird der Heidelberger Fall eine Aenderung 
in der Beurteilung der „Wiederherstellungen'' 
mit sich bringen? Es wäre dringend zu 
wünschen. Deutschland ist hier merkwürdig 
im Rückstand. In England sprach Ruskin 
schon in den fünfziger Jahren die richtigen 
Ansichten darüber aus. Und es ist das Werk 
William Morris' gewesen, hier mit derselben 



kräftigen Hand, mit der er die häusliche 
Kunst reformierte, Wandel geschaffen zu 
haben. Er that dies durch Gründung der 
bekannten „Gesellschaft zum Schutze alter 
Bauten^S welche, aus einflussreichen und 
künstlerisch gewichtigen Persönlichkeiten 
bestehend, seit Anfang der siebziger Jahre 
ihr möglichstes thut, um Aufklärung zu 
schaffen, Wiederherstellungspläne zu be- 
kämpfen, Besitzer alter Bauten zu deren 
Pflege und Erhaltung zu ermuntern, kurz im 
Sinne eines thätigen Eintretens für die über- 
kommenen Baudenkmäler zu wirken. Ver- 
sucht eine Körperschaft oder ein Privatmann 
Eingriffe in einen alten Bau in einem er- 
gänzenden, stilreinigenden oder rekonstru- 
ierenden Sinne vorzunehmen, so erhebt 
die Gesellschaft ihre Stimme in der Presse 
und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf 
den Fall. Alle einflussreichen Kunst- und 
kunsthistorischen Gesellschaften gehen mit 
ihr Hand in Hand. Durch das bisherige Wirken 
derselben ist nun bereits eine ganz wesent- 
liche Aenderung in der öffentlichen Beurtei- 
lung der Fragen eingetreten. Man kann wohl 
sagen, dass es sich heute in England bei Wieder- 
herstellungen nur noch um kompliziertere Fälle 
handelt, dass aber so einfache, die Grundlagen 
aller historischen Erkenntnis verletzende Fälle 
wie der Ausbau von Ruinen, die Ergänzung 
unvollendeter Kirchenfronten u. s. w. von der 
Tagesordnung völlig abgesetzt sind. 

Eins ist hierbei bezeichnend. Die Be- 
wegung ging ganz vorwiegend von den Kreisen 
aus, die der neuen Kunstbewegung angehörten, 
wobei der merkwürdige Umstand in die Er- 
scheinung trat, dass gerade diejenigen sich 
als die aufrichtigsten Freunde der alten Kunst 
bewährten, die es ablehnten, sie bei ihrem 
eignen Kunstschaffen zu kopieren. Die Be- 
schützung der alten Baudenkmäler ist seitdem 
in England geradezu ein Programmpunkt der 
Beförderer der modernen Kunst geworden. 
Es trifft sich gut, dass die anbrechende Er- 
kenntnis des richtigen Verhältnisses zu den 
alten Baudenkmälern auch bei uns eine Ge- 
meinde der modernen Kunst vorfindet, auf die 
sie sich stützen kann. Möge jeder das Seine 
thun, um in ferner auftauchenden Fällen von 
Wiederherstellungsgelüsten für die Sache der 
alten Originalkunst einzutreten, damit nicht 
noch mehr Zeugen unserer künstlerischen Ver- 
gangenheit mundtot gemacht und derjenigen 
überzeugenden Sprache beraubt werden, die 
nur aus ihrem unberührten Zustande ver- 
nommen werden kann. 



V 



V 



V 



268 



LA SOClfiTfi MODERNE DES BEAUX-ARTS 
Von Henry Frantz, Paris 



r\ie Reibe der Pariser Winieraussietlungen wurde 
*-' in diesem Jahre von der Socifrä Moderne er- 
SiTnei, einer Künstlergruppe, deren ersre Veran- 
staltung im vorigen Jahre bei Presse und Pubiilium 
S;rossen Beifall fand, und die soeben eine sehr er- 
olgreiche Ausstellung in Dresden veranstaltet hat. 
Das Hauptinteresse beanspruchten diesmal die 
Gemilde des flimlscben Malers Willaert, die 
Landschaften des Englinders Wilfrid von Glehn 
und die prächtigen Aquarelle Bourcet's, über den 
kürzlich ein Dresdener Kritilter schrieb, dass es 
seit HiLDEBRANDT's Tode keinen Aquarellisten gab, 
„der die Kraft der Töne so zu meistern versteht 
wie BOUBOET". 

Vas uns aber vor allem interessien, das sind 
die dort ausgestellten Werke der dekorativen Kunst. 
Francis Auburtin, dessen dekorative Gemilde 
auf der letzten Pariser Veltausstellung in dieser 
Zeitscbrirt verSITfcntli cht wurden (siehe Jahrgang IM, 



SCHMEEDEARBEITEN AUS 



Heft 10, Seite 402/3) ist mit einigen sehr Inter- 
essanten neuen Arbeiten vertreten. Niemand kennt 
besser wie er die Erfordernisse der.', dekorativen 
Malerei in technischer Beziehung;' er versteht es, 
das Wesentliche des Vorganges in grossem Zuge 
zusammenzufassen und verliert über dem Einzelnen 
nie die Harmonie des Ganzen.' Immer wieder ist 
es das Meer, aus dem Aubuhtin seine Begeisterung 
schSpft; diesmal sind es nackte Tlnzerinnen am 
Meeresstrande, die er mit leuchtendem und warmem 
Farbenschmelz darsiellt. In den GebSrden dieser 
Frauengestatten in ihrer Scbmiegsamkelt und 
ihren reinen Linien drückt sich ein tiefes und 
feines Empfinden antiker Schönheit aus. Wie 
Meister Böcklin, nur in anderer Art, greift auch 
AuBURTiN nun auf die heidnische Vorstellungs- 
welt zurück; nachdem er noch in seinen Malereien 
des Marseiller Museums das Leben der Fischer 
realistisch festgehalten hatte, scheint er sich [jetzt 
mehr einem Idealismus zuzuwenden, der 
seiner inneren Neigung mehr entspricht. — 
Als einen weiteren Versuch dekorativer Ma- 
lerei Hnden wir in der Soci6tä Moderne ein 
prichiiges Fragment Victor Prouv6's aus 
einem seiner nichsten grossen Fresken, ein 
gut erfundenes und ansprechendes Werk. 
Auch von seinem KOnnen als iBildhauer 
legt seine Giebelfassade eines Volkshauses 
Zeugnis ab. 

Neben vielem anderen Interessanten — 
so den genügend bekannten Keramiken aus 
dem Atelier Glationv — lenken die Leder- 
arbeiten Waidmann's die Aufmerksamkeit 
auf sich, G. Boiiv behandelt Schmiede- 
eisen mit gesunder Kraft und. ohne Ziereret, 
wie es dem Charakter des .Materials ent- 

Das Lob Fernand Khnoppp's als Maler 
zu singen, biesse Eulen nach Alben tragen. 
Aber erst in neuester Zeit finden wir auch 
ihn auf dem Wege sein vielseitiges' und ge- 
schicktes Können in den Dienst der ange- 
wandten Kunst zu stellen. Sein Entwurf zu 
einem Emaillebild ist ein reizendes Werk, 
die Linien der Zeichnung sind sicher und 
streng; die Harmonie grosser Blüten neben 
einem Frauenkopf von jener vornehmen und 
starren Schönheit, welche Khnopff vor allem 
liebt, verspricht schon jetzt die beste Wirkung 
von der Ausführung in Emaille, welche Technik 
mit ihrem Farbenglanz nur allzu oft dient, 
süssliche Banalitäten zu verkleiden. 

Spicer-Simson stellte in diesem Jabre 
zum erstenmale in dieser Vereinigung aus 
und hat sich den Beifall der Kritik erworben. 
Wie sein Lehrer Jean Dampt zeichnet auch 
er sich auf den verschiedensten Gebieten 
aus und schafft abwechselnd Skulpturen und 
Illustrationen. Seine kleinen Büsten und 
Statuetten, die von einem geläuterten Ge- 
schmack zeugen und Meisterwerke ihrer Art 
sind, vervollständigen sehr erfreulich den 
EISEN Gesamteindruck der Ausstellung. 

269 



RAUMAUSGESTALTUNG BEI KUNSTAUSSTELLUNGEN: 
DER WIENER HAGENBUND 

Von J. FOLNBSICS 



Seit unsere Künstler die Erfahrung gemacht 
haben, welche Vorteile bei Ausstellungen 
eine interessante und geschmackvolle Raum- 
ausgestaltung im Gefolge hat, gehört dieser 
Punkt mit zu den wichtigsten Sorgen eines 
Ausstellungskomitees. Geschmack und Takt- 



durchgeführt werden soll, welche den Ab- 
sichten des Künstlers enge Grenzen setzt. 
Endlich müssen die disparatesten Dinge zu 
einander in Beziehung gebracht werden. Man 
sieht, es giebt eine Reihe von Umständen, 
welche die scheinbar leichte Aufgabe ganz 
bedeutend erschweren. Nichtsdestoweniger 
hat die Technik der Raumausgestaltung bei 
den Wiener Ausstellungen in den letzten Jahren 
einen Grad der Vollkommenheit erreicht, der 
mit Recht allgemein anerkannt wird. Unter 
den jüngeren Künstlern hat sich bereits eine 
feste Tradition entwickelt, die dem Einzelnen 
die Aufgabe wesentlich erleichtert und ihn 
in die Lage versetzt, über einen Vorrat von 
Mitteln zu verfügen, die bereits fertig vor- 
liegen und nur von Fall zu Fall kleine 
Erweiterungen erfahren. Namentlich die 
Mitglieder der Secession haben sich in glück- 



VAIDMANN SCHREIBZEUG AUS LEDER 

gefühl sind die unerlässlichen Voraussetzungen 
bei der Durchführung dieser Aufgabe. Der 
Raum muss den Eindruck der Kunstwerke 
steigern, und sich gleichzeitig in die be- 
scheidene Rolle eines dienenden Gliedes 
fügen. Er soll eine festlich gehobene Stim- 
mung hervorrufen und darf doch kein selb- 
ständiges Kunstwerk sein. Erst im Verein 
mit den Ausstellungsobjekten darf er einen 
befriedigenden Eindruck hervorrufen, diese 
muss man also kennen und mindestens im 
Geiste bereits an den betreffenden Ort dis- 
poniert haben, bevor man an die Ausführung 
schreitet, denn nur dann können sie so zwang- 
los mit dem Räume in Einklang gebracht 
werden, dass der Besucher beim Verlassen 
desselben gar keinen speziellen Eindruck über 
dessen Ausschmückung davon trägt, sondern 
bloss unter der beruhigenden Wirkung der 
Harmonie steht. Auch eine Reihe weiterer 
Schwierigkeiten sind zu überwinden, so spielt 
gewöhnlich die Ökonomische Frage eine ent- 
scheidende Rolle, ferner ist es die Knapp- 
heit der Zeit, in der die Raumausgestaltung 




-..-^> RAUMAUSGESTALTUNG BEI KUNSTAUSSTELLUNGEN <^-^ 



liehen, originellen EinFällen her- 
vorgethan, und wenn der jahrelang 
gepflegte Gschnas im alten Künst- 
lerhause ein Gutes im Gefolge 
hatte, so ist es das, dass er eine 
ausserordentliche Findigkeit auF 
dem Gebiete der improvisierten 
Dekoration herbeigeführt hat. Die 
philisterhafte Verachtung gegen- 
über jeder Art billigen oder primi- 
tiven Materials wurde überwunden 
und das Publikum dazu erzogen, 
jegliches Material nach seiner Wir- 
kung und nicht nach seinem Geld- 
wert zu beurteilen. Freilich muss 
man sich aucb in diesem Punkte 
hüten, zu weit zu gehen, denn 
absolute Material -Gemeinheit ist 
ebenso eine nicht wegzuleugnende 
Thatsache wie absolute Material- 
Schönheit. Auch in dieser Hin- 
sicht entscheidet der künstlerische 
Takt. An solchem Taktgefühl, so- 
wie an einem durch moderne Ein- 
flüsse geschulten Geschmack hat 
es der Architekt Josef Urban bei 
der Ausgestaltung der Innenräume 
des neuen Ausstellungsgebäudes 
für den Hagenbund nicht fehlen 
lassen, wenn auch gegen das 
Aeussere dieses neuen Künstler- 



tieims schwere Bedenken erhoben werden 
müssen. Die sechs Räume : Eintrittshalle, 
Zentralausstellungsraum mit zwei Seilen- 
flügeln, zwei blaue Säle, ein rotes Mittel- 
kabinet und ein rückwärts liegender grösserer 
gelber Saal zeigen jeder in seiner Art einen 
Künstler, der sich mit Sicherheit seiner Mittel 
zu bestimmtem Zwecke zu bedienen weiss. 
Den relativ grÖssten Aufwand hat man 
natürlich in der Eintrittshalle gemacht, wo es 
sich lediglich um die Raumwirkung handelte, 
da hier keine Kunstwerke ausgestellt werden. 
Hier sind die Wände bis zum Gewölbeansatz 
ringsum mit Panneelen aus dunkelolivgrün 
gebeiztem Holz bekleidet. Grössere Felder 
von Eichenparketten mit kleinen, reissnägel- 
artigen Messingscheiben (ein etwas unorgani- 
scher Schmuck) werden seitlich von schmalen 
Streifen aus Ahomholz eingefasst, die dadurch 
einen ausserordentlich wirksamen Dekor er- 
halten haben, dass das Ornament, blühende 
Bäumchen, aus dem Grunde herausgeslochen 
wurde und in der Naturfarbe des Ahorn- 
holzes kräftig hervorleuchtet. Das abschlies' 
sende Gesimse sowie der Sockel werden 
von einem Ornamentstreifen in vergoldeter 



^rJ^> RAUMAUSGESTALTUNG BEI KUNSTAUSSTELLUNGEN 



Schnitzerei begleitet. Die darüber befindliche 
Wand ist mit einem Muster in Blau, Rot, 
und Grün auf grauem Grunde verziert, die 
oberen Partien wiederholen den grauen Grund. 
Zwischen den vorerwähnten ornamentierten 
Panneelen befinden sich ThiJren, die in Neben- 
räume führen, Kassen- und Garderobefenster 
mit Fassettierten kleinen quadratischen Spiegel- 
glastafeln und eine hübsch komponierte Haus- 
uhr. Das Ganze macht einen ernsten und 
dabei festlichen Eindruck, ohne den Charakter 
eines bescheidenen Vorraumes einzubüssen. 
Der Hauptsaal zeigt nach oben freie Endi- 
gungen, die abwechselnd kleine Verdach- 
ungen aufweisen, als würden sie in die freie 
Luft aufragen. Dieses Motiv, das man als 
unzulässig bezeichnen müsste, wenn sich eine 
feste Decke über den Raum spannen würde, 
erweist sich als eine vollkommen erlaubte 
Freiheit, weil die Wand nach oben von einem 
lichtdurchlässigen weissen Stoff überspannt 
wird, über dem sich unsichtbar und erst in 
beträchtlicher Entfernung das Glasdach mit 
seinen Eisenkonstruktionen spannt. Die Wände 
sind in diesem Räume steingelb, in den 



oberen Teilen heller, in den unteren dunkler, 
und das Motiv der freien Endigung klingt 
in den Ueberhöhungen der dunkleren Partien 
in vereinfachter Weise wieder. Die Ein- und 
Ausgänge sind mit goldenen Kranzgewinden 
verziert, ebenso sind die Begleitornamente 
der Ränder vergoldet, was gemeinsam mit 
dem entsprechend gehaltenen dunkleren Sockel 
einen ebenso vornehmen als einfachen und 
dabei doch von einer gewissen Festesfreude 
durchzogenen Zusammenklang giebt. 

In ähnlicher Weise ist der blaue Saal mit 
dem daran stossenden kleineren Raum in Rot 
und Silber dekoriert und diesen beiden in 
Farbe und Dimension intimer gehaltenen In- 
terieurs schliesst sich abermals ein etwas 
grösserer gelber Saal an, wobei namentlich 
auf das Zusammenwirken der Töne geachtet 
wurde, was die vielfachen Durchblicke un- 
gemein anziehend gestaltet. 

Wir sind weit entfernt, der Sache eine 
Wichtigkeil über Gebühr beizumessen. Ohne 
Zweifel ist die Zahl der Künstler, in Wien 
wie anderwärts, nicht gering, die Aehnliches 
mit demselben und vielleicht noch weit mehr 
Erfolg durchzuführen im stände 
sind. Aber darauf kommt es über- 
haupt, nicht an, sondern auf die 
Bedeutung, welche eine derartige 
Dekorationskunst für die Entwick- 
lung des Geschmacks im Publi- 
kum besitzt, das aus diesen und 
hundert ätinlichen Beispielen lernt, 
welche Wichtigkeit die Umgebung 
für ein Kunstwerk besitzt, und 
daraus die naturgemässen Konse- 
quenzen für seine eigenen Wohn- 
räume zieht, das ferner bei solchen 
Gelegenheiten sieht, wie unendlich 
zahlreich die Möglichkeiten sind, 
ästhetisch befriedigende Räume zu 
schaffen, und begreift, dass nicht 
reichliche Mittel, sondern künst- 
lerisches Empfinden dasjenige ist, 
dem die Entscheidung zufällt. 



VcrligunBUli F. Bnichminn A.-C., München, 



:ar zwintscher 



DAS BILDERBUCH') 



Von Gustav Pauli 



Wo Kinder beschenkt werden, da giebt es 
auch Bilderbücher. Und weil die Kinder 
sich nun einmal über alle Bilder freuen, so 
gehören die Bilderbücher sogar zu ihren 
liebsten Geschenken. Ein dankbareres Publi- 
kum ßndet ein Künstler nie wieder. Es kriti- 
siert überhaupt nicht, ja noch mehr, es hat 
mit seiner Kritiklosigkeit sogar die grossen 
Leute angesteckt. Die meisten Eltern be- 
trachten unzweifelhaft die Frage des Spiel- 
zeugs lediglich vom ökonomischen Standpunkt 
aus. Wenn sie es bezahlen können und die 

*) In veränderter und verkürzter Form Ist das 
Nachstehende als Vortrag gehalten worden auf dem 
Kunsterziebungstag in Dresden am 28. Sept. 1901, 
Vgl. Kunsterziehung, Leipzig 1902, p. 130. 



Kinder ihre Freude daran haben, so ist es 
gut. Nur wenige minder harmlose Eltern 
fragen auch beim Spielzeug nach jenem Wert, 
der sich nicht nach Mark und Pfennig be- 
rechnen lässt. Wenn solche Eltern sich unter 
den neuen deutschen Bilderbüchern der Saison 
umsahen, so mussten sie wieder die be- 
trübende Wahrnehmung erneuern, wie wenig 
Gutes , wie wenig künstlerisch Wertvolles 
erschienen war — vielleicht nur zwei Bilder- 
bücher, und auch diese nicht ganz einwandfrei. 
Und dabei ist doch das Bilderbuch ein 
ganz besonders wichtiges Spielzeug, weil es 
die Kinder unvermerkt ein wenig Kunst ge- 
niessen lehrt. Ja, es könnte ein künstlerisches 
Erziehungsmittel ersten Ranges werden. Wir 



^r^2> DAS BILDERBUCH <^^^ 



haben es erfahren, wie Herr L£pinb, der 
Polizeipräfekt von Paris, in edlem Eifer er- 
glüht, die Puppe zum Kunstwerk ausbilden 
lassen wollte. Einige der ersten Bildhauer 
Frankreichs folgten seinem Rufe und stellten 
ihr Genie in den Dienst der Spielwaren* 
händler. Ihre Werke wurden dann einem 
Areopag von gewiegten Kunstkennern und 



Menschenfreunden voi^elegt, der unter dem 
Vorsitz von Victorien Sabdou dem Schönsten 
und zum Spiele Tauglichsten Preise zuer- 
kannte. Ob das ganze Unternehmen sehr 
glücklich war, wollen wir hier nicht unter- 
suchen. Jedenfalls aber hätte dies Preis- 
gericht sich von Rechts wegen einige Beisitzer 
im Alter von etwa fünf Jahren kooptieren 
müssen, um erfahrungsmässig festzustellen, 
ob die Kinder mit den kleinen Statuen des 
Herrn Geröme und seiner Genossen auch 
wirklich gern spielen mochten, und mit 
welchen am liebsten. Denn darauf kam 
schliesslich alles an. Der Fehler, den man, 
wie ich glaube, hier begangen hat, ist auch 
für das Bilderbuch und die Jugendschrift 
verhängnisvoll gewesen. Immer wieder haben 
die Erwachsenen nur sich selber konsultiert, 
wenn es sich darum handelte, die Kinder mit 
Kunstwerken und Litteratur zu beschenken. 
Ja, man hat sich sogar bis zu dem schönen 
Paradoxon verstiegen : Für die Jugend schreibt 
am besten, wer nicht „für die Jugend" schreibt. 
JVlan dachte dabei natürlich an die faden 
Skribenten, die mit herablassender Miene 
Dinge produzieren, die durch ihre Einfältig- 
keit dem geringen Fassungsvermögen der 
Kleinen entsprechen sollen. Allein die einen 
haben ebenso unrecht wie die andern. Die 
Masse der professionellen Jugendschriftsteller 
und Jugendzeichner hat nie etwas Wertvolles 
geleistet, andererseits aber finden Künstler, 
die bei ihrer Arbeit nicht an die Jugend 
denken, ganz gewiss nicht den Weg zum 
Kinderherzen. Denn, wenn für irgend etwas, 
so haben die Kleinen ein Gefühl von untrüg- 
licher Sicherheit dafür, ob man es ernstlich 
und herzlich mit ihnen meine. 

Wenn nun wir, denen die künstlerische 
Hebung des Bilderbuches am Herzen liegt, 
zunächst aus dem Umgang mit Kindern Be- 
lehrung schöpfen wollen, so soll das natür- 
lich nicht heissen, dass wir vom Kinde Kunst- 



3 Z 

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ig 

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-j-^S> DAS BILDERBUCH <^i^ 



urteile erwarten. Das Wort Kunst ist dem 
Kinde ein leerer Schall. Um einen spassi- 
gen Neuruppiner Bilderbogen würde es ge- 
wiss gern DOrer's Marienleben dahingehen. 
Was wir vom Kinde erfahren müssen und 
nur von ihm erfahren können, ist etwas an- 
deres, nämlich das, was ihm am Bilderbuche 
vorzugsweise gefällt. Denn davon haben wir 
auszugehen. Das Bilde[t)uch ist Spielzeug, 
Unterhaltungsmittel, und nur in der Form 
eines solchen kann es Kunstwerk und Dil- 
dungsmiitel werden. Was hülfe uns ein 
Bilderbuch von der Hand des grössten Mei- 
sters, wenn die Kinder es langweilig fänden? 
Ein Unterhaltungsmittel ist das Bilderbuch 
auch in dem Sinne, dass es Stoff zur münd- 
lichen Unterhaltung, zur gemeinsamen Ge- 
dankenthätigkeit enthält. Es wird am besten 
zu zweien besehen, wobei der eine dem an- 



dern etwas über die Bilder erzählt. Es be- 
darf also wesentlich des Textes. Damit soll 
nun freilich nicht gesagt sein, dass der Text 
durchaus gedruckt werden müsste. Vielmehr 
konnte es sein, dass das lebendig gesprochene 
Wort, das der Augenblick eingiebt, auch hier 
eine Wirkung erreicht, die dem fertig schwarz 
auf weiss dastehenden Texte versagt bleibt. 
Es giebt hübsche Bilderbücher von Crane 
mit einem Text, der so ledern ist, dass man 
ihn am besten ignoriert und statt dessen 
jedesmal einen neuen hinzu erfindet; und 
Caldecott ist ein schlagendes Beispiel dafür, 
wie reich man einen Stoff bildlich ausspinnen 
kann. Das meiste von der Erzählung steht 
jedesmal in seinen Zeichnungen, nicht in den 
paar Textzeilen. Das Kinderverschen von 
baby bunting enthält z. B. ausgerechnet sieb- 
zehn Worte. Da sind sie: 

Bye baby bunting 

Father 's gone a-hunting 

Gone to Fetch a rabbit-skin, 

To wrap the baby bunting in. 

Es ist ein kleines Nichts, ein Reim, den 
die Mutter dem unruhigen kleinen Racker 
vorsummt, wenn er nicht einschlafen will 
und sie ihm die zerstrampelien Decken glättet. 
Er hat nach Papa geschrien, und Papa ist 
nicht da. So mag der Vers in der Kinder- 
stube entstanden sein, und kein Mensch hat 
weiter drüber nachgedacht. Aber Caldecott 
hat in zwölf Bildern eine ganze Geschichte, 
einen Roman daraus gemacht. Da sitzt 
zuerst auf dem Titelblatt Baby bunting in 
grosser Gloria auf einem schönen Stuhl, an- 
gethan mit dem neuen Kaninchenpelz und 
lässt sich bewundern. Dann kommt die erste 
Scene. Baby bunting soll ins Bett gebracht 
werden, aber es will nicht und läuft statt 
dessen mit Triumphgeschrei, in jeder Hand 
eine Fahne, durchs Kinderzimmer. Endlich 
ist's eingefangen und sitzt nun als Nackfrosch 
auf Mamas Schosse. Aber wo ist der Vater? — 
Da kommt das Brüderchen, auch schon halb- 
nackt. Das weiss Bescheid. Es hat Papas 
Reitmütze auf dem Kopfe, das Hörn umge- 
hängt, reitet sein Steckenpferd und schwingt 
die Peitsche. So ist Vater ausgeritten. Das 
war das dritte Bild. Und nun kommt grosser 
Scenenwechsel. Auf Fünf Bildern sehen wir 
Vaters Jagderlebnisse, wir sehen ihn, wie er 
Adieu sagt, zum Stalle geht, wie das Hünd- 
chen auf der Heide nach dem Kaninchen 
schnuppert, an dem Vater eben vorbeige- 
schossen hat. Wir sehen Vater pürschen 
und endlich wieder nach Hause reiten. Und 
weil er nichts geschossen hat, so kauft er 
sich schliesslich beim Händler ein Kaninchen- 



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AUS .BESCHAULICHES UND ERBAULICHES.. EIN FAMILIENBILDERBUCH VON 
LUDWIG RICHTER • VERLAG VON GEORG WIGAND, LEIPZIG (VERKLEINEBT) 



-;r-^E> DAS BILDERBUCH <^^ 



feil. Nun sind alle zufrieden. Das Kindchen 
bekommt seinen Pelz. Vater Freut sich, 
Mutter freut sich, und als Mutter schliess- 
lich mit dem Kindchen im Kaninchenpelz 
spazieren geht, da gucken alle die Kaninchen, 
die nicht totgeschossen sind, aus ihren Löchern 
und wundern sich sehr. — Natürlich kann 



Wert besitzen, soll knapp, anschaulich und 
lebendig sein, und wenn es Verse sind, so 
sollten sie sangbar sein. Das bedeutet nicht 
weniger als ein paar litterarische Qualitäten 
ersten Ranges. Wie wenige aber von den 
Männern, die sie besitzen, haben sich so be- 
scheidenen Aufgaben gewidmet. Die Brüder 



VERKLEINERTE SEITE AUS: HEINRICH HOFFMANN. >DER 
STRUWWELPETER. « • • VERLAG DER LITERARISCHEN 

ANSTALT VON ROTTEN * LOENINC, FRANKFURT A. M. • 



man das nur vor den Bildern erzählen, und 
dann erzählt man es viel besser, aber man 
sieht, wie man aus vier Verselein eine Ge- 
schichte malen kann. 

Das eine darf man sich jedenfalls nicht 
verhehlen: Soll der Text zum Bilderbuch 
gedruckt werden, so muss er recht hohen An- 
forderungen genügen, er soll sich den Bildern 
eng anschliessen, dabei aber selbständigen 



Grimm wussten den Ton in ihrer Prosa 
meisterlich zu treffen. Aber ihre Märchen 
sind, wenn auch wiederholt illustriert, doch 
nicht zu eigentlichen Bilderbüchern verarbeitet 
worden. Unter den Dichtern haben Klaus 
Groth und Richard Dehmel wohl die 
besten deutschen Kinderlieder geschrieben. 
Groth wusste so gut mit den Kindern zu 
reden und zu singen, dass es schwer hält. 



•ES WAS EINMAL EIN FRINZESSCHEN, DAS ASS VON GOLDENEN TELLERN UND TRANK AUS 
GOLDENEN BECHERN, HATTE ALLES, WAS ES WÜNSCHTE UND NOCH MEHR. NAMUCH : 
LANGEWEILE. DIESE UNANGENEHME PERSON SASS IHM IMMER GECENOBER.- 

AUS: MARIE VON OLFERS, >DAS GUTE PRINZESSCHEN. « SELBSTVERLAG DER KÜNSTLERIN 



.ES KAM AN EINEN SUMPF, DA TANZTEN DIE IRRLICHTER. 'ACH. BAT ES, KÖNNT IHR MICH NICHT 
WIEDER BLANK MACHEN? ICH BIN EIN ARMES HERABGEFALLENES STERNCHEN.- - -GERN, KOMM 
NUR MIT IN UNSEREN SUMPF UND TANZE MIT UNS!- — -PFUI; SAGTE DAS STERNCHEN . 

AUS: MARIE VON OLFERS, .KLEINSTERNCHEN. • SELBSTVERLAG DER KÜNSTLERIN 



-^r.^> DAS BILDERBUCH <ö^-^ 



• WITWE BOLTE IN DER KAMMER 
HÖRT IM BETTE DIESEN JAMMER . .• 
AUS: WILHELM BUSCH, »MAX UND MORITZ< ■ VERLAG VON BRAUN & SCHNEIDER, MONCHEI 



aus seiner Sammlung ,voer de Goern' seine 
Zuthaten unter den echten alten Volksreimen 
herauszukennen, wenn diese einem nicht alle 
geläufig sind. Er hätte einen niederdeutschen 
Caldecott finden müssen. Statt dessen hat 
er sich mit Ludwig Richter vereinigt, der ein 
paar hübsche Vignetten und Bilder zwischen 
die Reime gestreut hat. Aber obwohl Richter 
die Aufgabe ernster genommen hat, als man 
denken sollte — er reiste eigens nach Hol- 
stein, um sich in die norddeutsche Umgebung 
einzuleben, — so hat er doch den Ton nicht 
recht treffen können. Seine Bildchen sind zu 
zierlich, Menschen und Landschaft sehen 
nicht einfach genug aus. Richter blieb eben 
der Sachse, der er war, in allem was er schuf. 
Und wir sind die letzten, im allgemeinen ihm 
daraus einen Vorwurf machen zu wollen. So 
ist denn auch Groth nicht zum Dichter eines 
Bilderbuches berufen worden, abgesehen da- 



von, dass seine unübersetzbaren plattdeutschen 
Verse nur einem kleinen, immer mehr schwin- 
denden Teil unseres Volkes zugänglich sind, 
dem das Plattdeutsch noch lebendige Mutter- 
sprache ist. Von den Kindern der gebildeten 
Klasse in den norddeutschen Städten gilt das 
ja leider längst nicht mehr. Da bliebe nun 
noch ein älterer Dichter des Bilderbuchs übrig. 
dessen wir an dieser Stelle gedenken müssen, 
Dr. Heinrech Hoffmann, der Verfasser des 
Struwwelpeters. Er gilt in seiner Art als 
Klassiker und, wie ich meine, nicht mit Un- 
recht. Die ungeheure Popularität, die dem 
Struwwelpeter zu teil geworden ist, beweist 
'allein schon, dass dieses Buch in gewissem 
Sinne ein Kemschuss gewesen ist. Femer 
wird der Struwwelpeter durch seine Ent- 
stehungsgeschichte empfohlen. Er war das 
Gelegenheitsgeschenk eines Vaters an sein 
Kind, nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. 




AUS: WILHELM BUSCH, 



■ HANS HUCKEBEIN, DER UNGLOCKSRABE- 

280 



DEUTSCHE VERLACSANSTALT, STUTTGART 



j.iö> DAS BILDERBUCH <ä*^ 




"t^-^^. 



ADOLF OBERLANDEH, AUF DEM HEIMWEG VON DER SCHULE ■ HEIMLICHE 
RANOZEICHNUNGEN AUS DEM SCHREIBHEFTE DES KLEINEN MORITZ ■ AUS: 
■ OBERLXNDER-ALBUM- BD. II «VERLAG von BRAUN & SCHNEIDER, MONCHEN 



sondern unmittelbar aus dem Bedürfnis des 
Familienlebens erwachsen. Und in der That, 
wenn wir die Verse des Struwwelpeters lesen, 
so finden wir, dass sie allen Anforderungen 
geniigen, die wir an den Text eines Bilder- 
buches stellen dürfen. Der Suppenkaspar 
und der Zappelphilipp sind für den, der sie 
in der Kinderstube kennen gelernt hat, zu 
Lebensgefährten geworden. Spielend haben 
sich die drolligen Verse dem Kindergemüt 
eingeprägt. Da war nichts Hohles und Affek- 
tiertes. Lauter bekannte kleine Dinge und 
bekannte kleine Sünden, aber phantastisch 
gesteigert und ausgeschmückt und die alt- 
fränkische Moral so liebenswürdig launig um- 
rankt, dass sie gar nichts Langweiliges mehr 
hatte. Den Vorwurf, den man gegen diese 
Geschichten erhoben hat, dass die Beispiele der 
verschiedensten Unarten trotz aller Schluss- 
moral sittenverderbend wirken könnten, braucht 
man nicht ernst zu nehmen. Der Struwwel- 



DIE NEUEN SCHUHE. AUS: PAUL KONEVKA, 
• DER SCHWARZE PETER> • K. THIENEMANNS 
VERLAG, STUTTGARTaaaa«aa«a««a«« 



-3.^5> DAS BILDERBUCH <^.^ 



HERM. VOGEL, HXNSEL UND GRETEL. AUS: 
.KINDER. U. HAUSMJlRCHEN DER GEBR. GRIMM'. 
ILLUSTRIERT VON H. V. ■ VERLAG VON BRAUN 
& SCHNEIDER, MOnCHEN ■ « • • (verkleinert) 



sei's drum. Ich gestehe gern, dass ich mich 
zu diesem heiligen EiFer nicht aufraffen kann. 
Zu der Entstehungszeit des Struwwelpeters 

— einer eminent unkünstlerischen Periode 

— scheint man diesen Mangel überhaupt nicht 
bemerkt zu haben. Als man später den 
Dr. Hoffmann darauf aufmerksam machte, 
meinte er erstaunt und spöttisch: «Nun gut, 
so erziehe man die Säuglinge in Gemälde- 
galerien oder in Kabinetten mit antiken Gips- 
abdrücken." — Ein sehr charakteristischer 
Ausspruch! Da war für ihn und seine Zeit- 
genossen allein die Kunst zu Hause. Auf die 
so naheliegende Forderung, dass seine Karika- 
turen als solche künstlerisch vollendet sein 
sollten, kam er gar nicht. Eben an diesem 
Punkte, an dem Hoppmann stehen geblieben 
ist, haben wir einzusetzen. Nicht der dilet- 
tierende Kinderfreund kann uns ein voll- 
kommenes Bilderbuch schaffen und ebenso- 
wenig kann es der Künstler, der den Kreisen 
der Kinderwelt fem steht. Vielmehr müssen 
die Eigenschaften dieser beiden vereinigt sein 
in einem Künstler, der die Kinder liebt und 
mit ihnen zu spielen versteht. Ein solcher 
sollte nicht nur die Bilder dem Verleger 
liefern, damit dieser dann alles übrige be- 
sorge, sondern er sollte die ganze Ausstattung 
des Bilderbuches angeben und überwachen. 

So bestimmt wir diese erste Forderung 
aufstellen, so vorsichtig wollen wir mit jeder 



peter hat gewiss so wenig wie z. B. Buschens 
Max und Moritz ein Kind verdorben, das es 
nicht ohnehin schon gewesen wäre. Be- 
achtenswerter ist ein anderer Vorwurf, den 
man dem Verfasser des Struwwelpeters ge- 
macht hat, dass nämlich seine Zeichnungen als 
solche allzu minderwertig seien. Ein wohl- 
wollender Kritiker mag immerhin mit Recht 
anerkennen, dass Dr. Hoffmann auch für 
diesen Teil seiner Aufgabe einige schätzens- 
werte Eigenschaften mitgebracht habe. Sein 
Humor verliess ihn auch als Zeichner nicht, 
er hatte sogar ein dunkles Gefühl für deko- 
rative Wirkung und — als das letzte, doch 
nicht geringste — er wusste immer etwas 
darzustellen. So wenig wie seine Feder leere 
Phrasen hinschrieb, verlor sich sein Zeichen- 
stift in müssiges Gekritzel. Ein Künstler war 
der Dr. Hoffmann freilich nicht. Wenn darum 
einige gestrenge Herren von empfindlichem Ge- 
schmack den Struwwelpeter und die übrigen 
Erzeugnisse seines Meisters auf ihren Index 
unerlaubter Bilderbücher setzen wollen — 




H.EICHRODT, WAS MANSCHEN VOM HIMMEL 
TRÄUMTE. AUS: 'DIE ARCHE NOAH<. REFME 
VON FRFTZ UND EMILY KDEGEL « VERLAG 
VON B. C.TEUBNER, LEIPZIG < 



^r^5> DAS BILDERBUCH <^-^ 



•ERST SUNT DES MOND EIN WENIG AUS. DANN FLIEGT ER WIE EIN WILDER STURM 
HOCH IN DIE LUFT ZUM WALD HINAUS, NOCH \H0HER ALS DER KIRCHENTURM, 
FLIEGT IN DIE ALLERHÖCHSTE FERHE HINAUF, BIS MITTEN IN DIE STERNE: • • • « 



weiteren sein. Wenn wir als nicht Schaffende, 
sondern lediglich Betrachtende den Namen 
von Kunstverständigen Für uns in Anspruch 
nehmen wollen, so können wir uns nicht 
besser seiner würdig erzeigen, als indem wir 
dem Künstler jede erdenkliche Freiheit lassen. 
Uns kommt es nicht zu, ihm vorzuschreiben, 
wie er sein Bilderbuch einrichten solle, son- 
dern wir können lediglich aus eigener Er- 
fahrung feststellen, welche Eigenschaften un- 
sere Kinder an dem vorhandenen Material 
an Bilderbüchern namentlich schätzen. In 
diesem Sinne wollen die folgenden Ausfüh- 
rungen aufgenommen sein. 

Erstens mag das Kind gern Gegenstände 
im Bilde erkennen oder kennen lernen. Es 
versteht sich von selbst, dass man dabei zu- 
nächst an Bekanntes anknüpft, also dem 
Kinde den Spiegel seines eigenen kleinen 
häuslichen Lebens vorhält. Manche Künstler 
sind dabei stehen geblieben und haben ge- 
meint, den Kindern die grosste Freude zu 
bereiten, indem sie ihnen nichts anderes als 
artige und unartige kleine Kinder zeigten in 



der Stube, draussen im Garten, im Walde, 
auf dem Spielplatz, allenfalls auch wohl ein- 
mal ein paar Engelchen oder den Knecht 
Ruprecht, von dem um Weihnachten so viel 
die Rede ist. Gewiss sind wir auch manchen 
der also denkenden Künstler, namentlich 
unserm unvergleichlichen Ludwig Richter 
den Dank für viele allerliebste Schöpfungen 
schuldig. Indessen hatten sie wirklich recht? 
— Wenigstens die kleinen Kinder meiner 
Bekanntschaft — und so werden die anderen 
wohl auch sein — sind von einer unersättlichen 
Wissbegierde erfüllt und von einer abenteuer- 
lichen Phantastik, die schon sehr bald nach 
anderen, fremden Stoffen verlangen. Die 
kleinen Landratten wollen das Meer sehen, 
mit Stürmen, grossen WalBschen, Dampfern 
und Dreimastern, die kleinen Küstenbewohner 
ziehen schneebedeckte Berge vor, Höhlen, in 
denen der Drachen alte Brut zu Hause ist, 
und schliesslich findet jeder Dreikäsehoch 
einen Löwen interessanter als einen Pudel, 
einen Mohren sehenswerter als ein Blass- 
gesicht, wie den Papa. 



DAS BILDERBUCH 



Zweitens vill das Kind bei seinen Bildern 
gern fröhlich sein and lachen. Es verschmafat 
alle rrockene Schildernng nnd hat für senti- 
mentale Röhrseligkeit schlechterdings kein 
Verständnis. Es ist mit seinen schwachen 



.L;?? SC««:3T. sei IXHTt« V>D de« ItlFEU *". S; 
i-_\CSaVCHH.O(;>iUNC -THEOOO« »EJCHEÄi LEIPZIG 



Kliffes so jem^niäcg. gimosaau gleichgültig 
3:ri fröh::ch w^e ein Nietzschescher Ueber- 
»ersci- Ein Ei^d, auf dem ein Engel eine 
lT-£z),e K:::dcrseek :n den H-mntel trägt, wird 
bÄ:isre=saIsBeisr:e) einer iateressanten Png- 
&ew^=rg gewSrigt. Dagegen darf man die 



b^ründete Befürchtung hegen, dass l B. Dar- 
stellungen sehr verwerflicher Tierquälereien 
einem freudigen Verständnis b^^nen würden. 
Es sei natürlich ferne von ans, dergleichen zu 
empfehlen. Wohl aber dürfen wir in unsem 
Bildern mit dem Kinde 
lustig sein. Dass sich selbst 
die heiligen Vorstellungen 
der Bibel und des Gebetes 
in beilerer Form spielend 
darstellen lassen, bat uns 
ja Ludwig Richter gezeigt, 
wenn wir es nicht schon von 
Albreckt DCrer wüssten. 
DCrek's grosses Meister- 
werk einer frommen Launig- 
kett. seine Randzeichnungen 
zum Gebetbuch Maximi- 
lians, die in den billigen 
Faksimile - Reproduktionen 
Hirth's eine neue Popu- 
larität gewonnen haben, sind 
freilich für Kinder unver- 
ständlich. Aber in seinem 
Marienteben ist etwas vom 
gleichen Temperament le- 
bendig — nur gedämpfter. 
L'nd das Marienlcben, io 
der Hamburger populären 
Angabe auch dem Unbe- 
mittelten zo^nglicfa, ist ein 
vortrcfflicbes Bilderbuch für 
Kinder. Es fehlt ihm, am 
in allen Einzelheiten leicht 
nnd sofon verstanden zn 
werden, nur das Gewand 
unserer Zeit in den Aensscr- 
lichkeiten der Tracht nnd 
des Gerätes. Das lisst ans 
in diesem Falle L low ig 
Richter den Vorzug geben. 
Ter in seinen Kinderiafaren 
nicht Bi^dcrtücbcr wie den 
^Sonntag* oder das .Vater- 
unser' Richter's besehen 
hat, der ist uro einen Schatz 
der Erinnerung ärmer. In 
reiferen Jahren findet man 
nicht mehr so leicht den V*cg 
in das Innerste Richter- 
scber Kunst. Ter den Ernst 
des Lebens geschmeckt bat, 
der wird hier leicht tos SchönSrberei und 
dem ewigen Geigen auf wenigen Saiten reden. 
wo das Kind g>ich a;:es glanbi und versteht. 
Der HcTior Richter's ist fteilich mehr jene 
stilie s*=n:ge Heirerleii als die Laune, die 
rem Lachen reizt. Diese Usie Lästigkeit, fär 



^r-^> DAS BILDERBUCH <5^=^ 



welche kleine Kinder am empfänglichsten sind, 
haben unter uns Deutschen wohl am besten 
Busch und Oberländer getroFTen , unter 
den Engländern Caldbcott, Mabel Dearmer 
und Alice Woodvard. Die Franzosen haben 
solchen Humoristen keinen an die Seile zu 
stellen, wenn man nicht einzelnes von dem 
unübertrefflichen Meister Caran d'Ache für 
die Jugend auswählen will. Freilich würde 
dieser Klassiker der Karikatur sich wahrschein- 
lich selbst dagegen sträuben, als Zeichner Tur 
die Jugend zu gelten. Seine politische und 
gesellschaftliche Satire ist auf ein Publikum 
berechnet, das sich dadurch getroffen fühlt. 
Aber selbst wenn man diesen, wenn man 
will: litterarischen Inhalt seiner Kunst, über- 
sieht, so bleibt immer noch ein rein künst- 
lerischer Rest von Komik übrig, gross genug, 
um ein Kind unwiderstehlich fortzureissen. 
Ich kann wenigstens aus meiner eigenen Er- 
fahrung feststellen, dass meinem Söhnchen 
kein Bilderbuch so viel Freude gemacht hat 
wie die Courses dans l'antiquitä. 

Der angesehenste französische Jugend- 
zeichner, ein ganz ausgezeichneter Beobachter 
der Kinderwelt, Boutet de Monvel, hat wohl 
auch Humor, aber mehr einen Humor für 
Erwachsene, der für die Ohren der Kinder, 
wenigstens deutscher Kinder, zu leise klingt. 
Dagegen haben die Norweger in Oscar 
Larum (En bog for Sma) einen Zeichner von 
grotesker, aber für Kinder sehr verständlicher 
Komik. Merkwürdigerweise hat der grösste 
der englischen Jugendzeichner, der die Pflege 
des Bilderbuches zu einem Teil seiner Lebens- 
aufgabe gemacht hat, Walter Crane, zur 
Würze seiner übrigen Talente nur wenige 
Kömchen Humor mitgebracht. Wenn er es 



einmal versucht, mit den Kindern lustig zu 
sein, wie in seinen Bilderbüchern von der 
Mutter Hubbard oder dem kleinen Schwein, 
das zu Markt geht, so hat seine Lustigkeit 
etwas Erzwungenes. Man kann nicht recht 
dabei lachen. Ueberhaupt geht — das dürfen 
wir nicht verschweigen — ein doktrinärer 
Zug, etwas kalt Verstandesmässiges, Unkind- 
liches durch Crane's Wesen, das manchmal 



-^^=^5S> DAS BILDERBUCH <^-<^ 



seine besten Absichten, sich den Kindern zu 
nahem, zu schänden macht. Und doch ist 
etwas in ihm, das die Kleinen gewinnt und 
fesselt. Crane ist ein Phantast und versteht 
es ausgezeichnet, die abenteuerlichsten Wunder 
der Fabelwelt in seine Bilderbücher zu bannen. 
Eine beschränkte Schulweisheit hat zwar ge- 
meint, dass solcherlei Ungetüme die zarte 
Kinderseele zu sehr erhitzten. Allein lebt 
nicht ein Kind im Alter von drei bis fünf 
Jahren beständig in einer Wunderwelt? Solch 
ein kleiner Mensch sieht jeden Tag so viel 
Neues und Unerklärliches, dass ihm der An- 
blick eines leibhaften Tritonen nicht merk- 
würdigersein könnte, als der eines Seehundes. 
Er glaubt ja auch an den Knecht Ruprecht, an 



Riesen und Zwerge, an die Engel, die an 
seinem Bette wachen, und an alle jene holden 
Dinge, die noch als Träume der Erinnerung 
das Leben des Erwachsenen schmücken. 

Diesen Ton des Märchens hat keiner jemals 
besser angeschlagen als Moritz von Schwind. 
Sein Geist weilte in solchen Bereichen der 
Phantasie wie zu Hause, und darin war er 
ein Kind seiner romantischen Jugendzeit. 
Doch leider ist uns Schwind, mehr als 
Ludwig Richter, bereits in eine historische 
Feme entrückt, ohne dass er ein eigentliches 
Bilderbuch für die Kinderstube hinterlassen 
hätte. Aus seinem Märchen von den sieben 
Raben hat man ein Prachtwerk gemacht. Etwas 
von seinem Wesen lebt noch in unserm 



-^-^^> DAS BILDERBUCH <^-t^ 



.HEINRICH DER WAGEN BRICHT-. - 'ÜEIS, HERR, DER WAGEN NICHT, 
ES IST EIN BAND VON MEINEM HERZEN, DAS DA LAG IN GROSSEN SCHMERZEN, 
ALS IHK IN DEM BRUNNEN SASST, ALS IHR EINE FRETSCHE (FROSCH) WAST (WART).' 
BERNHARD WENIG, ILLUSTRATION ZU .DER FROSCHKÖNIG ODER DER EISERNE HEINRICH. 
USi 'MÄRCHENBUCH DES JUNGBRUNNEN.. BAND I • VERLAG VON FISCHER & FRANKE, BERLIN 



liebenswürdigen H. Vogel weiter. Sonst sind 
wir, auch als Märchenerzähler, minder harm- 
los geworden. Man denke an Krbidolf, 
unseren besten Bilderbuchmeister, der nicht 
weniger Phantasie als jene besitzt, dem aber 
die gutmütige Behaglichkeit fehlt. 

Diese wenigen Bemerkungen mögen für 
die allgemeine Charakteristik des Inhaltes 
des Bilderbuches genügen. Noch wichtiger 
ist uns, die wir die bildende Kunst lieben, 
natürlich die äussere Form. Da ist es nun 
zunächst die Knappheit und scharfe Um- 
rissenheit der Zeichnung, die das Kind am 
besten versteht und am meisten geniesst — 
ein Zeichen dafür, dass das Kind künst- 
lerischer sieht als der erwachsene Durch- 
schnittsmensch. Ein solcher empfindet jede 
Anstrengung seiner geschwächten Phantasie 
beim Bilderbesehen als eine empörende Zu- 
mutung. Die Zeichnung, die ihm gefallen 
soll, muss ein möglichst getreues Abbild der 
Naturerscheinung in all ihren Licht- und 
Schattenwerten darstellen. Das Kind fühlt 
anders. Ihm bringen ein sorgfältig perspek- 
tivisch vertieftes Raumbild und eine Ab- 
schattierung in hundert Tönen keine Er- 



IGN. TASCHNER, ILLUSTRATION ZU .DIE GiNSEHIRTIN 
AM BRUNNEN.. AUS .GERLACHS JUGENDBOCHEREl- 
VERLAG VON MARTIN GERLACH « CO., WIEN««*«« 



-5-^> DAS BILDERBUCH <^-^ 



■ fl^ TEILTE DER KÖNIG DAS REICH ZWISCHEN DEN BEIDEN ÄLTESTEN TÖCHTESN. 
DER JÜNGSTEN ABER UESS ER EINEN SACK MIT SALZ AUF DEN ROCKEN BINDEN, 
UND ZWEI KNECHTE MUSSTEN SIE HINAUS IN DEN WILDEN WALD FÜHREN.' 



leichterung, sondern eine Erschwerung des 
Bilderbesehens. Es empfindet ganz richtig 
so vieles dabei als überflüssigen Ballast. 
Seine allezeit geschäftige Phantasie ist im 
Deuten und Ergänzen geübt. Ist denn nicht 
alles Kinderspiel ein Beleben von leblosen 
Gegenständen, ein Deuten von sinnlosen 
Vorgängen? — So ergänzt es denn auch 
gern und mühelos aus wenigen Strichen, aus 
einem Schattenriss das ganze Bild einer 
Situation, wie sie anschaulich vordem geistigen 
Auge des schaffenden Künstlers dastand. Und 
was von der Zeichnung gilt, das gilt auch 
von der Farbe. Nicht die subtile Farben- 



mischung, die alle Töne des lichtumRosscnen 
Naiurausschnittes sorgsam nachahmt, erscheint 
dem Kinde als das Schöne und Wahre, son- 
dern lebhafte, leuchtende Lokalfarben. Es 
empfindet wohl, welcher Schmuck allein in 
der ungebrochenen Kraft der Farben liegen 
kann. Dem. Kinde farblose Bilderbücher 
geben, heisst ihm einen Genuss mehr beim 
Schauen vorenth.alten. 

Einer der bedeutendsten Kunstgelehrten, 
die sich der Frage künstlerischer Erziehung 
angenommen haben, hat zwar auf Grund 
physiologischer Beobachtungen gemeint, für 
die ersten Lebensjahre schwarzweisse Bilder- 



IG^. TASCHNER 
BILDER ZU GRrMM- 
SCHEN MÄRCHEN 



AUS: -GERLACHS 
JUGENOBOCHEREI. 
VERLAG VON MARTIN 
GEHLACH & CO., WIEN 



-3-^> DAS BILDERBUCH <^^ 



vermuten. Eine neue Belebung des 
Kunstgefühls und der schaffenden 
Phantasie im deutschen Volke wird 
zweifelsohne auch die Religiosität 
neu beleben — in welchen Kunst- 
formen steht dahin. Einstweilen 
jedenfalls empfinden wir den über- 
kommenen Stil religiöser Bilder 
als überlebt. Aber bis wir uns 
über einen neuen Stil klar ge- 
worden sind, müssen wir auf die 
besten der älteren biblischen Bil- 
derwerke zurückgreifen, wenn wir 
unsere Kinder beschenken wollen. 
LuDTio Richter verdient auch 
hier als der kindlichste den Vor- 
zug. Ernster und pathetischer ist 
die Sprache, die Schnorr in seiner 
Bilderbibel redet. Und doch ist auch 
dieses klassische Denkmal deut- 
schen Holzschnittes dem Kinde 
wohl versländlich. Dasselbe gilt 
von Führich's kostbarer ausgestatteten Bilder- 
werken (Er ist auferstanden. Legende vom 
heiligen Wendelin). Nur ist hier zu bedenken, 
inwieweit der katholische Standpunkt des 
Künstlers die Verbreitung seiner Bilderbücher 
etwa beschränken könnte. Sonst müssen wir 
hier noch weiter in die Vergangenheit zurück- 
gehen, zu Dürer's Marienleben und Hol- 
bein's Bildern zum Alten Testament. Zu 
bedauern ist es, dass nicht auch das Seiten- 
stück zu Holbein's Werk, die Bilderbibel 
Sebald Beham's, in billigen Reproduktionen 
zu haben ist. Georo Hirth könnte hier 
einen Nachtrag zu seiner Liebhaberbibliothek 
alter Illustratoren liefern. Sehen wir nun vom 
biblischen Kreise ab, so sind bereits mit 



bücher empfehlen zu sollen. Meine persön- 
lichen Beobachtungen haben mich — freilich 
ohne Physiologie — zu dem umgekehrten 
Resultat geführt. Mir scheint vielmehr das 
farblose Bilderbuch erst dann in seine Rechte 
einzutreten, wenn durch die rein verstandes- 
mässige Erziehung der Schule, in der die 
Phantasie des Kindes ihre Flügel nicht mehr 
regen darf, die naive Schaulust beeinträchtigt 
wird. Dann, wenn der Text anßlngt, das Kind 
mehr zu interessieren als das Bild, wird das 
Bilderbuch vom illustrierten Buch abgelöst. 
Aber auch dann noch kann das Bilderbuch 
gleichwohl seine Daseinsberechtigung dadurch 
verlangern, dass es mit seinem Inhalt an 
Gegenstände des Unterrichts anknüpft. 

Am nächsten liegt wohl der Stoff- 
kreis der biblischen Geschichte, 
weil er dem Kinde, schon ehe es 
die Schule betritt, nahe gebracht 
ist Aber leider befinden wir uns 
hier in einiger Verlegenheit, wenn 
wir uns unter den Zeitgenossen 
nach guten religiösen Bilderbüchern 
umsehen. Ueberall stossen wir, im 
Bild wie im Text, auf die zuckrige 
Phrase, das widerwärtigste Kon- 
fekt, das man für Kinder zu- 
sammenbraut. Es wäre vorschnell, 
dies auf den endgültigen Nieder- 
gang der Religiosität zurückzu- 
führen. So weit sind wir doch 
noch nicht. Eher könnte man den 
vorübergehenden Einfluss einer 

missverstandenen phantasiefeitid- *. weisgerbeh, iLLUsiRAitoN zu .die eule.. aus .gerlachs 

liehen Wissenschafilichkeit hier jugendbOcherei. • verlag von martin gerlach & co-, wien 



'.T'^Ly DAS BILDERBUCH <^^^ 



Von dem Schein. 
Die Diebe entfliehen in schnellem Lauf 

Aus dem Hain. 
*Hipp di hupp, schlapp di wupp, hulihau!- 






3* 



u > 



DAS BILDERBUCH <^-^ 




Erfolg die verschiedensten Gegenstände des 
Schulunterrichtes für das Bilderbuch nutzbar 
gemacht worden. Das ABC kommt in 
mehreren künstlerischen Bearbeitungen in 
Deutschland und England vor. Walter 
Crane hat gezeigt, wie man dem Kinde 
spielend ein wenig Botanik, Zoologie oder 
Ethnographie beibringen kann. Boutet de 



ERNST KREIDOLF, WtO.ML'NCSBLATT ZU .DIE 
SCHLAFENDEN BÄUME. ■ VERLAG VON SCHAF- 
STEIN & CO., KÖLN A. RH. •«• 



MoNVEL und Job haben es verslanden, mit her- 
vorragenden Bilderbüchern den Geschichts- 
unterricht zu ergänzen und den Patriotismus 
im Kinderherzen zu entflammen. Ihrem Bei- 
spiel ist unser Karl Röchling in seinen 
Büchern vom Alien Fritz und von der Königin 
Luise mit redlichem Bemühen, wenn auch 
mit minderer Kunst gefolgt. Von den übrigen 
Unterrichtsgegensiänden könnten z. B. Geo- 
graphie und Literaturgeschichte manchen Stoff 
für künstlerische Behandlung abgeben. 

Vor einem aber möchte ich dabei warnen: 
davor, dass man das Bilderbuch in die Schule 
bringe. Dass es sich mit dem Ernst des 
dort erteilten Unterrichtes schlecht vertrüge, 
scheint mir dabei das geringere Uebel zu 
sein. Bedenklicher wären die Auseinander- 
setzungen der Herren Lehrer. Wir kennen 
ihren guten Willen, die Kunst in die Schule 
zu bringen und damit bildend auf die Kinder 
zu wirken. Nur sollten sie es sich versagen, 
dabei über die Kunstwerke zu reden. Aller 
Wahrscheinlichkeit nach würden sie sich in 
Erörterungen des gegenständlichen Inhalts 
erschöpfen und damit von dem ablenken, 
was in unserem Sinne die Hauptsache ist. 
Eben deshalb sollte man den Künstler in 
anderer Weise mit dem Schulunterricht in 
Verbindung bringen, in einer Form, die zu 
gegenständlichen Betrachtungen schlechter- 
dings keinen Antass böte. Er könnte das 
Schulbuch bearbeiten, nicht indem er es mit 
Illustrationen schmückt, sondern indem er 
seine Herstellung leitet, die Lettern zeichnet. 



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VORSATZPAPIER ZU „DIE SCHLAFENDEN BÄUME"« 



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EIN MÄRCHEN IN BILDERN MIT VERSEN VON ERNST 
KREIDOLF « VERLAG VON SCHAFSTEIN & CIE., KÖLN 

••««•«««•««« (DOPPELTER IRISDRUCK) ««««««•«««« 



-;,-tö> DAS BILDERBUCH <^^ 



■ EINES ABENDS, ALS SIE SCHON SCHLIEFEN, BETRAT DIE WIESE 

EINE HOHE GESTALT: DIE SCHRITT EINHER WIE EIN FORST.. 

VERKLEINERTE ILLUSTRATION VON F1DUS ZU .DIE SONNENWIESE.. AUS: .KNECHT RUPRECHT. 

BAND III • VERLAG VON SCHAFSTEIN & CO., KÖLN A. RH, 



^r-^> DAS BILDERBUCH <^-^ 
üiE ftR,Me. uiu WAT tEN SCHÄNDE EN VtR,ftCHTlN^ 
HAO HÜTE VEKDU^EN ToEl^ ^^s^^t»^ ^^ ANDtft.e VQC^E-l-^ 



,Sei>EM &IEN TUD 




VERKLEINGItTe SEITE AUS: -HOE DE VOGELS AAN EEN KONINC 
KWAMEN-, EENE VOGELGESCHtEDENlS. GETEEKEND DOOR 
TH. VAN HOVTEMA a VERLAG VON G. M. VAN GOGH, AMSTERDAM 



Land alles Spielzeugs, auch hier an der Spitze. 
LuDvio Richter und seine künstlerischen 
Gesinnungs- und Zeitgenossen bildeten eine 
Gruppe, deren Einfluss die Grenzen Deutsch- 
lands überflutete. In Frankreich und mehr noch 
in England konnte man ihren romantischen Ein- 
Huss deutlich spüren. Dann setzte in England, 
von dem kleinen Kreise Ruskin's und seiner 
ersten PrärafFaeliten ausgehend, die Bewe- 
gung dekorativer Kunst ein, deren universal- 
geschichtliche Bedeutung uns allmählich auf- 
dämmert. Sie berührte bald alle Kreise des 
Lebens und hob, auch das Geringe nicht ver- 
schmähend, das Bilderbuch auf eine neue 
Höhe. Die Anregungen, die von jenseits des 
Kanals kamen, sind nun auch in Deutschland 
wirksam geworden. Die Verlagsanstallen von 
DiEDERicHS in Leipzig, Fischer & Franke, 
Schuster & LOffler in Berlin, Schafstein 
in Köln, der Jugend- und Insel -Verlag in 
München haben ausgezeichnete illustrierte 
Bücher und neuerdings auch einzelne Bilder- 



bücher herausgegeben. Und auf dem letzten 
Weihnachtstische konnten wenigstens zwei 
deutsche Bilderbücher von künstlerischem 
Range erscheinen, bei denen wir einen Augen- 
blick verweilen wollen. Das eine ist die unter 
dem Titel der Arche Noah bei Teubner in 
Leipzig erschienene Sammlung von Kinder- 
reimen, zu der einige Mitglieder des Karls- 
ruher Künstlerbundes farbige Lithographien 
geliefert haben. Die allermeisten Bilder sind 
vortrefflich, derb und deutlich in den Um- 
rissen, einfach und lebhaft in der Farbe. Die 
Beiträge von Fikentscher und Volkmann 
verdienen besonders hervorgehoben zu werden. 
Franz Hein hat ausser anderem ein sehr 
wirksames Umschlagbild dazu geliefert. Fritz 
und Emily KOgel, die den Text geschrieben 
haben, sind in ihren Versen unverkennbar 
von Richard Dehmel inspiriert. Das einzige, 
was ich an dem hübschen Buche aussetzen 
möchte, ist das fettige und leider auch keines- 
wegs geruchlose Papier. Das andere Bilder- 



^r^5> DAS BILDERBUCH -(^i^ 



buch dieses Weihnachtstisches, die schiefen- 
den Bäume von Ernst Krbidolp, ist künst- 
lerisch nicht minder bedeutsam. Zum wenig- 
sten hat es den Vorzug der durchaus einheit- 
lichen Ausstattung. Dass Kreidolp auch den 
Text zu seinen Bildern gedichtet hat, kann 
man ihm allerdings kaum zum Verdienste an- 
rechnen. Es ist merkwürdig, dass ein Künst- 
ler, der so vortrefflich für Kinder zu zeichnen 
weiss, in seinen Versen so wenig den rech- 
ten Ton trifft. Ein liebenswürdig harmloser 
Humorist ist Freilich Kreidolp auch in seinen 
Bildern nicht. Er fesselt durch andere Eigen- 
schaften, durch scharf charakterisierende 
Schilderung und eine Phantasiik, die sich 
zuweilen zum schreckhaften steigert. Man 
sehe das Vorsatzpapier zu den schlafenden 
Bäumen mit den gespenstischen Tieren. Auch 
die Figur des Fitzebutze in dem also be- 
nannten Bilderbuch hatte etwas unheimlich 
Spukhaftes, und das mag eine der Ursachen 
des leidenschaftlichen Protestes gewesen sein, 
dem dies sonst so ausgezeichnete Bilderbuch 
bei einem Teil des Publikums begegnet ist. 



Wenn man will, so kann man zu den neuen 
Bilderbüchern auch die reich illustrierten 
Bändchen von Gerlach's J ugendbücherei 
rechnen — in ihrer Art kleine Meisterwerke, 
allerliebst einheitlich ausgestattet mit klassi- 
schem Text, der von einigen unserer begab- 
testen jüngeren Künstler(LöFPLER, Taschner, 
Weisoerber, Fahringer) vortrefflich illu- 
striert ist. Auch der , Knecht Ruprecht" 
hat uns heuer in seinem Rucksack besonders 
hübsche Bilder mitgebracht. 

Man sieht, verheissungsvolle Anfänge sind 
gemacht. Aber wir dürfen nicht stehen bleiben. 
Es giebt fast in jeder deutschen Kunststadt 
Männer, die berufen wären, mitzuarbeiten, 
die unsere Kinder mit den schönsten Bilder- 
büchern beschenken könnten. Ich will nur 
einige nennen: Emil Orlik, Oskar Ztint- 
scher, Heinr. Vogeler, Eugen Kirchner, 
JuL. DiEZ, Walter Caspari, Arpad Schmid- 
HAMMER, Angeld Jank, Sophus Hansen in 
Hamburg und Peter Philippi in Düsseldorf — 
von den Karlsruhern zu geschweigen, deren 
gemeinsame Arbeit wir ja eben erwähnt haben. 



^,..^> DAS BILDERBUCH -C^^ 



AUS: .UIT HET WONDERLAND^ CEILLUSTREERD 
DOOR W. F. A. J. VAARZON MOREL ■ VERLAG 
VON C. A. J. VAN DISHOECK, AMSTERDAM • • • 



Kinde alle wertlose Pseudokunst nach Kräften 
Fern zu halten, ihm darür in freundlicher 
schlichter Umgebung des Kinderzimmers gute 
Bilder zeigen und sie gemeinsam mit ihm 
betrachten. Sie hätten genug damit zu thun! 
Ganz in der Stille würden dann in empfang* 
liehe Gemüter die Keime gelegt werden zu 
jenem Unterscheidungsvermögen zwischen 
dem künstlerisch Wertvollen und dem Wert- 
losen, das man den guten Geschmack nennt. 
Gute Bilderbücher könnten viel dazu beilragen. 



Um solche künstlerische Kräfte in Aktion zu 
setzen, bedarf es aber des Unternehmungs- 
geistes rühriger Verleger. Möchte er uns 
nicht im Stiche lassen! Wenn irgendwo, so 
ist hier eine Gelegenheit, echte lebendige 
Kunst in breite Massen des Volkes hineinzu- 
tragen. Der Erfolg wird nicht ausbleiben und 
beweisen, dass die idealen Interessen sich 
sehr wohl mit denen des Geschäftes ver- 
tragen. 

Zum Schlüsse noch eines. Wenn wir für 
das Bilderbuch als ein Mittel künstlerischer 
Erziehung eintreten, ist es nötig, hinzu- 
zufügen, dass wir dabei nicht an eine münd- 
liche Belehrung der Kinder über das Warum 
von Schön und Hässlich denken! — Der gute 
alte Verfasser des Struwwelpeters brauchte 
es nicht zu befürchten, dass wir unsere 
Kleinen in Gemäldegalerien und Skulpturen- 
sälen erziehen würden. Ebensowenig denken 
wir daran, ihnen ästhetische Vorträge zum 
besten zu geben. Im Gegenteil — je weniger 
geredet wird, desto besser. Die Eltern und 
Erzieher sollten sich darauf beschränken, dem 



.CROCUS! IVER IST DAS?' - WAS. DAS 

WEISST DU NICHT. WER CROCUS IST} DAS 

WEISS HIER JEDER. GUCK, DA KOMMT SIE.. 

AUS: •AGATHA SNELLEN, KLAPROOSJE EN KOREN- 

BLOEMPJE- EEN SPROOKJE MET TEEKENENGEN VAN 

L. W. R. WENCKEBACH ■ VEJtLAG VON C. A. J. VAN 

DISHOECK, AMSTERDAM 



^>-4=5> DAS BILDERBUCH -<Sä^ 



ZU UNSEREN ILLUSTRATIONEN 



Zwei Anforderungen muss ein gutes Bilder- 
buch erfüllen ; das Kind fesseln und 
das Kind in dem Sinne erziehen, dass es 
dessen Anschauungs vermögen und dessen 
Phantasie entwickelt. Es muss also künst- 
lerisch gut sein, ohne an Interesse für das 
Kind zu veHieren. In wie mannigfacher 
Weise das Problem zu lösen ist, — wenn 
auch zuweilen der eine Faktor vor dem andern 
in den Vordergrund tritt, — das sehen wir 
aus unseren Illustrationen: Gehen wir von 
Steinle und Schwind zu Ludw. Richter, 
von diesem zu Busch und OberlXnder und 
der viel zu wenig beachteten Marie Olfers 
(Abb. Seile 279): — Jeder von ihnen wandelte 
seine eigenen künstlerischen Bahnen und fand 
auf ihnen den Weg zum Kinderherzen. 

Von diesem Standpunkt aus verdienen, 
was Deutschland betrifft, drei Erscheinungen 
der jüngsten Zeit vor allem hervorgehoben 



zu werden: Ernst Kreidolp's Bilderbücher, 
der alljährlich bei Schafstein & Co. in 
Köln erscheinende „Knecht Ruprecht" und 
.Gehlach's Jugendbücherei' in Wien. 
Kreidolf ist seiner ganzen Veranlagung 
nach prädestiniert zum Märchen •Illustrator. 
Auf Weg und Steg wird ihm die Natur zur 
Märchenwelt: Blumen, Blätter, Bäume, 
Wolken und Himmelsgestirne leben sich 
vor ihm aus, offenbaren sich dem „Sonntags- 
kind" in tausenderlei geheimnisvollen Ge- 
stalten: lieblich und drollig, feierlich und 
schreckhaft, immer und überall aber voll 
Seele und Ausdruck, voll Bewegung und 
unerschöpflichen Einfällen. Man fühlt: er 
braucht die Form für sein Empfinden nicht 
erst zu suchen und aufzubauen, sondern er 
sieht die Dinge so, erlebt sie und giebt sie 
wieder. Man muss nur so etwas betrachten, 
wie das Vorsatzpapier zu den „Schlafenden 



^rJ^> DAS BILDERBUCH <^i^ 



Bäumen" (stehe unsere Extrabeilage): — hört 
man da nicht die alte Märchengrossmutter er- 
zählen von dem nächtlichen Wald mit den ver- 
zauberten Tannen und den staunend gespensti- 
schen Tieren? weh dem Kinde, das sich hier 
verirrt! und doch: eine gute Fee oder ein braves 
altes Erdmännlein wohnen sicher zu tiefst darin 
und öffnen dem, der sie zu finden weiss, ihre 
unermesslichen Schätze. — Oder das Blatt 
„Die Diebe" aus den nBlumenmärchen"; da lebt 
und webt und huscht und gleitet und zittert 
und flüstert es, ein Drama im kleinen spielt 
sich ab zwischen den beseelten Taubnesseln 
und Blasblumenl — - Freilich, in Farbe wirkt 
das noch ganz anders! Aber auch die Zeichnung 
allein ist eindrucksvoll genug durch die Art, 
wie Kreidolf die Blätter und Stiele gleichsam 
von tnnern Vorgängen bewegt erscheinen lässt, 
und durch das Mienenspiel seiner Blüten- 
gesichter, in denen er den Charakter der 
betreifenden Pflanze so überzeugend zu fassen 
weiss. Für Kinder ist seine Ausdrucks weise 
leicht verständlich und lebendig, weil sie 
unmittelbar durch die Augen (nicht erst 
über den Intellekt) zur Phantasie und zum 



W. F. A. J. VAARZON MOREL, TITELBLATT ZU 
.UITHETWONDEHLAND.«VERLAGVONC.A.J. 
VAN OISHOECK, AMSTERDAM (vERKLQHEBt) « 



•ES WAR EISE WILDE JAGD, DIE BOCKE 

MÄCHTEN CKOSSE SPRÜNGE . 

AUS: C. W. VAN DE NOORDAA. -AVONTUREN VAN BOB- 
GEILLUSTREERD DOOH W. F. A. J, VAARZON MOREL • 
VERLAG VON C. A. J. VAN DISHOECK, AMSTERDAM mm 



Gemüte geht. Allerdings findet man den 
ungekünstelten anmutigen Märchenton 
und den echten, frohen, unbefangenen 
Humor Kreidolf's am reinsten in den 
Werken, die er aus eigenem Impuls, 
aus eigenstem Empfinden geschaffen hat. 
Im vielgerühmten „Fitzebutze" macht 
sich der Einfluss Dekmel's leider stark 
geltend: es sickert auch durch die 
Bilder etwas von der künstlichen Naivi- 
tät, von dem witzig gewordenen Humor 
dieser gewaltsam kindlichen Berliner 
Kinderstubenpoesie. Es ist kein ganzer 
Kreidolf mehrl Wie prächtig ist da- 
gegen , auch vom dekorativen Stand- 
punkt aus, das Widmungsblatt aus den 
„Schlafenden Bäumen" (Seite 292), und 
wie lustig wirkt die Probe, welche wir 
aus Kreidolf's Mitarbeiterschaft am 
„Knecht Ruprecht" bringen (Seite 290)t 
Ueberhaupt bietet der „Knecht Rup- 
recht* eine Fülle von Gutem, und da 
zu eingehender Würdigung des Ein- 
zelnen der Raum uns fehlt, möchten 
wir wenigstens hinweisen auf so reiz- 
volle Beiträge wie die „Schneeflocken" 
von B. Pankok (Seite 292), die poe- 
tisch-feierliche Märchengestalt von Fious 
(Seite 293), oder die Humoresken A. 
Schmidhammer's (Seite 285). Sein 
Meisterwerk hat dieser letztere aller- 
dings mit dem für die ,Jugend'' gezeich- 



^r^^> DAS BILDERBUCH <ä£^ 



neten .Wicht" geliefert, dem wir unseren 
heutigen Heftumschlag anvertraut. — In den 
drei Jahren seines Bestehens hat sich „Knecht 
Ruprecht' so reich und günstig entwickelt, 
dass man den Einfluss, den er infolge seiner 
führenden Stellung auf das deutsche Bilderbuch 
nimmt, froh und dankbar willkommen heisst. 
Nur das Eine kann er als Sammelwerk, in dem 
noch dazu so ausgesprochene und verschieden- 
artige Individualitäten zusammenwirken, nicht 
bieten: dieEinheitlichkeit des Ganzen alsBuch. 
Hier stehen die GERLACH'schen Jugend- 
bücher (Seite 287—289) obenan. Jedes Bänd- 
chen ist einem einzelnen Künstler anvertraut 
und als abgeschlossenes kleines Kunstwerk 
ausgestaltet. Aehnliches wurde ja schon vorher 
in Fischer & Franke's „Jungbrunnen" 
(Seite 286, 287) angestrebt und zum Teil auch 
erreicht. Nur ist die archaisierende Richtung 
dieser dankenswerten Ausgabe eine etwas ein- 
seitige Liebhaberei und liegt speziell dem kind- 
lichen Verständnis femer, als die in ihrer 
schlichten, lebendigen, von volkstümlichem 
Humor durchwehten Natürlichkeit leicht an- 
sprechenden Illustrationen Weissoerber's, 
Loepfler's und Taschner's. Auch die ge- 
schmackvolle Gesamtausstattung und das hand- 
liche Format dieser Märchenbücher werden 
nichtverfehlen, zu deren verdienter Verbreitung 
das ihrige beizutragen. 

Uebrigens stellen immer mehr junge 
Kräfte ihre schöpferische Begabung in den 
Dienst des Bilderbuches. Unsere farbigen Bei- 



lagen zeigen einige Proben; und venn 
wir Eichler's originellen, phani.sie- 
reichen .Herbst' (dem .Märchenbuch 
der Münchner Jugend" entnommen), 
O. Zvintscher's und E. Oruk's gemLt- 
und humorvolle Illustrationen zu .Die 
drei Männlein im Walde* und .Der 
Ranzen, das Hütlein und das Hömlein' 
betrachten, so freuen wir uns darüber, 
wie der alte , deutsche Märchengeist 
noch lebendig ist, welch frische, kräftige 
Blüten er wiederum treibt. 

Auf die holländischen Bilderbücher, 
denen ein eigener Aufsalz leider nicht 
mehr gewidmet werden konnte, möchten 
wir hiermit noch besonders aufmerksam 
machen. Nicht nur van Hoytema's zum 
Allerbesten zu zählende Vogeldarstel- 
lungen (Seite 294 u. 295), sondern auch 
Illustrationen wie die suggestiven, an- 
mutigen Märchenbilder Wenckebach's 
(Seite 296 u. 297) oder die lieblichen 
Kinderscenen von Nelly Bodenheim 
(5. 299) verdienen liebevolle Beachtung 
weit über die Grenzen Hollands hinaus. 

f f t t 



Ik kwam lastst in een poppenkrssm 
Wsaral die mooie poppen staan 
Ik zei wa> doen die poppen hier 
Die poppen drinken poppenbier 
Die poppen drinken poppenwijn 
Wat zullen die poppen vroolijk i\}n 




VERKLEINERTE SEITE AUS: NELLY BODEN- 
HEIM, .HET RECENT - HET ZEGENT- « « • 
VERLAG VON 8. L. VAN LOOY, AMSTERDAM 



-a-tO DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH ■<äi-r- 



DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH 

Von Anna Muthesius-Trippenbach, London 



ES ist kein Zufall, dass gerade England, wo 
die höchste Stufe in der Pflege und Er- 
ziehung des Kindes erreicht worden ist, im 
Laufedesvergangenenjahrhunderts am meisten 
gethan hat, um die Kunst in das Leben des 
Kindes zu tragen. Das beste Ausdrucksmittel 
dafür, das Bilderbuch, steht seit zwanzig 
Jahren auf unerreichter Höhe, und kein Land 
der Welt kann sich in dem Reichtum an 
künstlerisch wertvollen Kinderbüchern mit 
England messen. 

Es hat indessen auch hier einer langen 
Zeit bedurft, ehe man zu der Erkenntnis kam, 
dass nicht nur das Ohr des Kindes für gute 
Erziehungseinflüsse offten zu halten sei, son- 
dern dass auch das Auge ein Vermittler und 
vielleicht ein viel besserer als das Ohr sei, 
um den Sinn für das Gute und Schöne in 



der Kindesseele zu entwickeln. Das Bilder- 
buch, wie es zu Anfong des neunzehnten 
Jahrhunderts beschaPfen war, konnte weder 
um das Kind des dunklen London Helligkeit 
verbreiten, noch dem Kinde, dos den Sonntag 
durch lebhafte Spiele nicht entweihen darf, 
einen Ersatz bieten für einen verbotenen 
lustigen Ringelreihen oder einen einzigen vom 
Sonntag verbannten Purzelbaum. Die wenigen 
Kinderbücher, die damals existierten, schienen 
nur dazu vorhanden zu sein, das Werk des 
Erziehers in wenig verhüllter Form fortzu- 
setzen, sie enthielten Belehrungen in Geo- 
graphie, Naturgeschichte, Gewicht und Mass, 
sie stellten das Böse an den Pranger und 
belohnten das Gute. Gullivers Reisen und 
Robinson Crusoe waren zwei kostbare Perlen 
in dieser Armut, die übrigens gar nicht ein- 



-^ri^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-7?- 



mal von vornherein für kindliche Leser be- 
stimmt waren. Die spärlichen Holzschnitte, 
die diese Erzählungen begleiteten , können 
kaum das leiseste Interesse der Kinder er- 
weckt haben und waren eher dazu angethan, 
die Phantasie des Kindes zu hemmen als sie 
zu unterstützen. Der erste Schritt zu einer 
Besserung trat erst ein, als man 1826 die 
deutschen Märchen hinüberbrachte und sie 
mit Illustrationen von Cruikshank unter dem 
Titel: German Populär Stories herausgab. 
Die Illustrationen dieses Buches, voller Farbe 
und Lebendigkeit des Ausdruckes, übertrafen 
alles bis dahin Dagewesene, und die Märchen 



erÖfFneten die Aussicht in ein ungeahntes 
Land der Wunder. Unsere deutschen Märchen 
haben seitdem so tief im englischen Volke 
Wurzel gefasst, dass sich niemand mehr be- 
wusst ist, dass sie nicht auf heimischem 
Boden gewachsen sind. Mindestens die Hälfte 
der grossen Menge von illustrierten Bilder- 
büchern, die alljährlich neu erscheinen, zehren 
von ihrem unerschöpflichen Reichtum und 
die grossen Weihnachtspantomimen, mit denen 
alle englischen Theater zur Christzeit die 
Kinderwelt erfreuen, wissen nichts Besseres 
zu thun, als immer wieder Dornröschen oder 
Schneewittchen aus ihrem Zauberschlafe zu 




■ DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH 



erwecken. Man bat nichts, was auch nor 
annlbemd so guten Stoff zu der Prachtent' 
bJtnng nod Pluntastik geben würde, die 
Gross nnd Klein von der Cbristmas-Panto- 
mime erwartet. Die Cbristmas- Pantomime 
gehört aber zn des englischen Kindes Teib- 
nacbten wie der Tannenbaum zn dem des 
dentscben. Aocb nnser Struwwelpeter tmnd 
seinen Teg ober das Tasser aod wirkte dnrch 
seinen Hnmor erlösend wie ein guter Titz in 
einer langen Sctanistnnde. Seine Beliebtheit 
bat er bis beute bewahrt, er genoss st^ir als 
.Sbock-beaded Peter' die Ehr«, der Held 
einer letztjihrigen Christmas-Pantomime zu 
sein. War darch seinen Einzug auch nichts 
für die Kunst gewonnen, so hatte der jnbel, 
mit dem ihn die Kinderschar begrüsste, ge> 
zeigt, wie notwendig es war, dem Humor anf 
dem Gebiete des Kinderbuches einen Haupt- 
platz einzurbmen. Niemand aber benatzte 
diesen Fingerzeig, und Struwwelpeter blieb 
lange alleinherrscbcnder Spassnacber anf dem 
Gebiete des Bilderbuches, mit dessen künst- 
lerischer Entwicklung er jedoch nichts zu 
Ibnn hat. 

In dieser Beziehung Hess die Weiterentwick- 

^ LORA'5F£A5r 










PAKT- 

RK 
INE 



VERKLEINERTE SEITE AUS: WALTCR CRANE, 
.A MASQUE OF DATS« • MIT ERLAUBNIS DER 
VERLEGER CASSELL * CO., LTD., LONDON 



VERKLEINERTESTIIEIBLATT ZU: WALTER CRANE. 
.PLORA'S FEAST- « • MIT ERLAUBNIS DER VER- 
LEGER CASSELL & CO., LTD., LONDON ••••« 



lung der in den CRUlKSHANK'schen Büchern 
angefangenen Richtung noch Jahrzehnte auf 
sich warten, sie konnte auch erst in einer 
Zeit eintreten, als man in England überhaupt 
wieder künstlerische Ziele anstrebte. Zwar 
ist es nicht William Morris, jener grosse 
Reformator anf allen Gebieten der ange- 
wandten Kunst, der hier in die Schranken 
trat. Er las fast selbst noch Kinderbücher, 
als man das Kinderbuch künstlerisch zu refor- 
mieren begann. Dies Verdienst gebührt dem 
späteren Leiter des South Kensington-Mu- 
seums, Sir Henry Cole, der schon 1844 
unter dem Pseudonym Felix Summeruey 
mit aufrüttelnden Begleitworten Serien von 
Bilderbüchern herausgab, die zum erstenmal 
von namhaften Künstlern illustriert wurden. 
Er fand begeisterte Zustimmung. Es ent- 
standen unter seiner Leitung Bücher mit 
Bildern von W. Mulready, J. Horsley und 
andern Akademie-Mitgliedern, aber auch die 
Bilder alter Meister, wie Holbein und DOrer, 
wurden zu Illustrationen von Jugendschriften 
benutzt. 

Schon von den vierziger Jahren anmachte 
sich femer ein anderer Einfluss auf das 
illustrierte Kinderbuch geltend, und zwar ein 
EinRuss, der von unseren deutschen Meistern 



-»-5^- DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <:^-=- 



VERKLEINERTE SEITE AUS: WALTER CRANE, 
•QUEEN SUMMER' ■ MIT ERLAUBNIS DER 
VERLEGER CASSGLL & CO., LTD., LONDON 



nicht dem Kinderbuche die unerllssliche 
Eigenart mit, sich der Kiadesseele anzu- 
passen. Wo man es wollte, beging man 
fast immer den Irrtum, es durch die Dar- 
stellung von Kindern zu versuchen. 

Erst durch das Aufblühen der Schule 
Fred Valker's und Pinwell's und durch 
die Illustratoren des gMusic Master': Millais 
und Arthur Huohes begann ein neues 
Leben auf dem ganzen Gebiete. Besonders 
Arthur Hughes widmete seine Kraft einer 
Reihe von Kinderbüchern und illustrierte in 
kindlichem Geiste: Tom Brown's Schooldays, 
Good Words for the Young, The Princess 
and the Gobiin u. a. Er blieb für die sech- 
ziger und siebziger Jahre der Meister der 
farblosen Illustration. 

Um dieselbe Zeit (nämlich 1868 und 1872) 
entstanden auch die zwei berühmtesten und 
jedenfalls weitverbreitetsten Bilderbücher, 
die England im neunzehnten Jahrhundert 
überhaupt hervorgebracht hat, nämlich : Alice 
in Wonderland und Through the Looking 
Glass, beide von dem schon genannten John 
(späteren Sir John) Tennibl herrührend. 



Schwind und Richter ausging 
und sich zuerst in der von John 
Tenniel illustrierten, 1846 er- 
schienenen Uebersetzung von Fou- 
Quß's Undine äusserte. Die Un- 
dine ist nächst dem in Deutsch- 
land ganz unbekannt gebliebenen, 
in England aber jedem Kinde be< 
kannten Sin tram FouQuß's ein Lieb- 
lingsbuch des englischen Volkes 
geblieben und in der Folge un- 
zählige Male illustriert worden. 
England blickte damals mit künst- 
lerisch durchaus gläubigen Augen 
nach Deutschland herüber (was 
sich später fast in das Gegenteil 
verkehrt hat), nicht nur auf unsere 
Dichter, sondern auch auf unsere 
bildenden Künstler. — Ausser 
Tenniel wirkten damals noch in 
diesem Sinne Sir John Gilbert, 
Harrison Weir, Birket Foster, 
Charles Keene als Kinderbuch- 
Illustratoren. Aber diese Kinder- 
kunst unterschied sich noch nicht 
von der Kunst für Erwachsene. 
Zwar brach in den sechziger Jahren 
eine Blütezeit der englischen Holz- 
schnittkunst an, die die Illustration 
ungemein hob, sie brachte aber 



■SIEJAGTEK LOS, USD DAS HACHSTE, WAS SIE AVFSPORTEN, 

WAS EINJUKGER OCHSE IN EINEM PFERCH: 

AUS r B. CALDECOTT, .THE THREE JOVIAL HUNTSMEN. « MIT ERLAUBNIS 

DER VERLEGER FREDGRICK WARNE & CO., LONDON « (vesKLeiNUtT) 

303 



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DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH 



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f;f»e HtifMchtungf Ott 
%\*M mit dem nKKlernen 
hildert/uche ht%cWiU\%U 
kunn €f%t jetzt htpnntn. 
Alle bisher ptn^nnttn^ an 
%ich keinetwef» zu unter' 
%cWit7Jtn6tn Kinderbildef' 
bücher haben beute nur 
n//cb bi«toriu;ben Wert, 
Sie muten un« «Itmoditcb^ 
al« der Vergangenbeit an- 
Keb^/rend an. Oemeinaam 
i«t ibnen die erntte Miene 
und der Mangel an FMbif' 
keitf den ricbtigen Ton 
de« Kindlichen zu treffen« 
Die Farbe iftt selten zu 
Hilfe genommeni der Hu' 
mor fehlt fatt gänzlich. 
Wie wollten aie den Weg 
zum Kinderherzen ßnden? 

An der Schwelle der 
neuen Kinderbuchzeit, der 
kla«i<»iftchen, wirlclicb für 
da» Kinderherz »chaffen- 
den Zeit dea engliachen 
Hllderbuchs stehen drei 
Oeatalten, die, obgleich »ehr verschieden, 
doch die Grundpfeiler für das moderne Bilder- 
buch gemeinsam errichtet haben: Walter 
(Jmank, Kandolhh Caldecott und Kate 

(JNI'.KNAWAY. 

WAi/ri(K Ckanh Ist der fruchtbarste unter 
den Dreien und auch wohl der bei weitem 
elnfluksrolchste geblieben. Wenigstens ist 
er derjenige, deiison Ruf über die ganze Welt 
gedrungen Ist und Hnglands Namen auf diesem 
bestimmten Gebiete auch in Deutschland gross 
gemacht hat. Man ging hier so weit, seinen 
Namen als den InbegrilT der ganzen neu- 
englischen Kunstbewegung zu betrachten. Er 
Ist noch heute derselbe reich schalTende, liebe- 
voll sich in das Kelch kindlicher Phantasie 
veritenkendo Meister wie vor zwanzig Jahren, 
als er mit Hlldern zu den Geschichten der 
Mrs. Moi.M^iWOKTH, mit seinen Toybooks und 
vor allem mit den Bildern zu Grimmas Märchen 
seinen Ruf begründete. Am grössten ist er 
stets in der stilisierten, ins Dekorative ge- 
zogenen Illustration geblieben. Wo er einmal 
aus diesem Rahmen heraustritt und realistisch 
darstellen will, zeigt sich eine gewisse Be- 
schrünkung seines Talents. Wo es aber gilt, 



^, 



r 



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yv 



VERKLEINERTES TITELBILD ZU: WALTER 
CRANE, »A FLORAL PANTASY« « • « MIT 
ERLAUBNIS DER VERLEGER HARPER ft 
BROTHERS, LONDON «««««•««•• 



Stil Tor das Ange 
HihmL. CS mit pbantasri- 
sciser Pracht ansrnstatteo, 
dz wächst seine Krmfl und 
man wird vefstebeo, vie 
sehr sein Rahm berechtig 
isu Er ist der eiste grosse 
dekorative Känstler in der 
Reihe der englischen Bil- 
derfouchmeister. Die Hel- 
den seiner Mircbenbilder 
kleidet er g^m in klassi- 
sche Gewänder, mit künst- 
lich g^rdnetem Falten- 
wurf. Er bringt sie in einer 
gewissen, primitiv dekora- 
tiven Weise zur Darstel- 
lung, die dem Kinde zu- 
sagt, er zeichnet auch die 
Friese und Fällungen in 
architektonischem Sinne 
und findet mit deren de- 
korativer Wirkung stets 
Verständnis. Das ganze 
. Buch ist künstlerisch auf- 
gefasst und ist mit be- 
sonders entworfenem Um- 
schlag, Vorsatzpapier und 
Druck von A bis Z ein 
Kunstwerk. Sein aller- 
grösstes Verdienst liegt 
aber in seiner Farbe. Er trägt sie so kräftig 
und leuchtend auf, dass er damit zum ersten- 
mal ein Haupterfordernis des Bilderbuches 
erfüllt, dem man sich seltsamerweise so lange 
verschlossen hatte. Dabei sind seine Farben 
zu feinen Accorden abgestimmt. Siebestimmen 
den Eindruck des Bildes mehr, als das bei 
irgend einem andern Künstler der Fall ist. 
Die Anregung zu seinen Farbenkompositionen 
zog Walter Crane, wie er selbst betont, von 
den japanischen Farbenholzschnitten,diegerade 
zur Zeit des Beginns seiner Laufbahn in 
Europa bekannt wurden. 

Walter Crane's Hauptwerke sind: Grimmas 
Household Stories, The Necklace of Princess 
Fiorimonde, Beauty and the Beast, The Absurd 
ABC, Jack and the Beanstalk, Sleeping 
Beauty, Blue Board, The Baby's Opera, 
The Baby's Bouquet, Flora's Feast, The Forty 
Thieves, Aladdin, Panpipes, Cinderella, Noah's 
Ark Alphabet, The Masque of Days. Die 
meisten derselben sind längst vergriffen und 
nur wenige sind in einer zweiten Auflage 
gedruckt. Der englische Verleger liebt es, 
seine Auflagen rasch abzusetzen und den 
Rest nach einer gewissen Zeit auszuverkaufen. 



304 



-;>-^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^ä-c- 



-7^ -0^ 



um neuen Erscheinungen Platz zu machen; 
eine missliche Sache für den, der zu spät 
den Wunsch hatte, diese Bücher zu erwerben. 
Er l(«nn ihn nur erfüllen, wenn er die grosse 
Mühe und den grösseren Geldaufwand nicht 
scheut, sie als RaritSlen in seinen Besitz zu 
bringen. 
Glücklicherweise machen die Bilderbücher 



und deren trefflich erfasste Augenblicks- 
hilder das Wort überflüssig machen; zu- 
gleich gieht er das beste Bild des eng- 
lischen Volkslebens. Er bringt gern Jagd- 
hilder voll komischer Satire und mit vollendet 
gezeichneten Pferden, lässt einen tollen 
Hund, der den Pastor in die Wade gebissen 
hat, das ganze Städtchen in Aufruhr bringen 



Randolph Caldecott's, die noch fortgesetzt und schildert mit aller Grandezza die Hoch- 
aufgelegt werden und daher vollständig zu zeit eines Barbiers, aus der unsere obige Ab- 
haben sind, hiervon eine Ausnahme. Damit bildung den Moment der Tischrede bringt, 
ist den Kindern von heute und 
morgen ein Meister erhalten, 
der ihre Wünsche zum ersten- 
mal in jeder Beziehung kannte 
und erfüllt hat, der ihnen vor 
allem eins mitbrachte, was ihnen 
bisher vorenthalten war, einen 
unerschöpflichen Humor. Er 
stieg mit dieser göttlichen Gabe 

nicht vom Himmel, wohl aber ) 

von der Höhe eines Kontor- 
stuhls herab, auf dem ihm plötz- 
lich die Zahlen zu tanzen an- 
hngen wie eine Kinderschar, 
die so lange bittend die Händchen 
erhob, bis er mit ihnen ging, 
um ihnen sein Land der Fröhlich- 
keit zu zeigen. , y. 

Während der Meister in ' "'■ 
seinem Lande längst nach Ver- 
dienst geschätzt wird, ist er ~-' 
auf dem Kontinent ziemlich un- 
bekannt geblieben. Er sollte es 
um so weniger sein, als er 
Bilderbücher geschaffen hat, die 
auch ohne Text zu uns reden 



-.■■^.^- I>A5 MODERNE ENGLISCHE BILDERBLCH -Z 



'.s.x^s iasitit es »^b em Scbiliema^ tob 

tr iv.it e>ts:aüft in iie faässlicbe Kankatnr 
ttrfi::'. ix «US gerade becw vieler ia 
hn^ao-i T^r ix Kinderttcliud^ng sttf des 
Ä«iit brisjp, C»Li>tOJTT i« •<>« sllea eog- 
1 «ch^a b:lJCTfeticbkäD»t!«ni mcb deneoi^e, 
der ca« «n iceiitcs dorcb sein zeicbaeiiscbet 
V.'/r.aem imp'/nierefl kann, besonders tsterein 
*%\Kiezei-.iiaeter Tierzeicbner. Er Tcrzicbtet 
;ni IniereMe seiner kleinen Bescbancr zw 
ni'.b'aafifie Farben, betrachtet sie aber sls etwas 
N'ebensIkhJicbes» Es scbeint. als veno aocb 
eine Kinderlund an seiner Stelle den Pinsel 
bitte fchreo kdnoeo. Als veno er dies auch 
bedacht bitte, bringt er eine Earbigc Seite 
rf»d giebt aof der nächsten eine farblose 
Zeicbnoog, die förmlich zur Hervorfaolung 
des Tuschkastens aunordert. 

Zd Valter Crame steht Caldecott nicht 
nur in der Farhe, sondern auch tn der zeich- 
nerischen Darstellung in scharfem Gegensätze. 
Er zeichnet malerisch und aicbi dekorativ, 
ein Grund vielleicbt, weshalb in Deutschland 
nicht die Aufmerksamkeit auf ihn gefallen ist. 



HCKTEN 

[E MAD DOC. ■ MIT ERLAUI 
Vf.RI.Knrtt FHEDFRICK WARNE li CO., LONDON 



was er wohl Terdieate. Sein Haapcverk be- 
steht ans secfazetaa Terscfaiedeaea FSaiffrig- 
pfenni^ncberm. die tetzt auch ia 't"»'*^— ver- 
einigt za haben sind. Sie illa stf i ereo die 
bckanntesiea engliscbea s<^ Naiver? Rfa;'iDe&. 
ieae kurzen oft ebe nso amüssatea nsd «ritzi- 
gea als maachmal ganz sänawidrigni Verse 
ans dem Reiche der engliscbea Kindersmbe, 
die als Verstümmeltinpa tob Volksliedem 
aufzufassen sind, TorgenoHBca tod Gene- 
raiionea gedankenloser Kinderwäneriimen an 
der Vie^ der Kinder. Sie werden seil 
zwanzig Jahren eifrig gesammelt nnd dienen 
unzähligen Bilderfoncbem znm Vorwande, nm- 
somebr als ihr zweifelhafter Sinn der Ptun- 
tasie so freien Spieimm lässt. 

Die dritte Erscheinimg in dem Dreiscstirn 
der englischen Kinderbuchbegrnnder ist Kate 
Greenaway, deren Name nächst demjenieeo 
Crake's in DentschUnd am bekamntestcn ge- 
worden isL Ihre Bedeatnng liegt eigentlich 
trotz ihrer grossen Verdienste am das Kinder- 
buch Inf einem andem, aber aus diesem 
al^leiteten Gebiete : dem des Kindervn- 
znges. Auch bei uns hat man sich daran ge- 
wöhnt, in dem von ihrgeschaffenea 
Typus des englischen Kioderan- 
znges ein Muster des guten Ge- 
schmackes zu sehen. Sie grilT im 
Schnitt aaf die Mode des Empire 
znrnckfdie sieb durch ihre Schlicht- 
heit und Taillenlosigkeit am besten 
für das Kindergewand eignet. Halte 
sie auch nicht daran gedacht, ihre 
Bilderttuchkindcr als Modelle für 
eine neue Kindermode zu schaffen, 
so ^isste sie doch das VerkauFs- 
hans von Liberty als solche auf 
und brachte durch die Anfertigung 
von Kinderkleidem im Greena-. 
VAY-Stil am glücklichstenauchsein 
grosses Verdienst zur Geltung, die 
zu vollkommenem Erfolg erforder- 
lichen künstlerischen Kleiderstofle 
geschaifen zu haben. Wie über- 
zeugend noch heute diese von ihm 
ausgeführtenKtnderkleiderwirken, 
beweist, dass bis heute keine Laune 
der Mode an ihnen hat rütteln 
können, und dass ihr Schnitt für 
die Kinderkleider der Reichen wie 
für die der ärmsten Arbeiterklasse 
als allein herrschend angenommen 
ist. So kommt es, dass das eng- 
lische Kind heute als ein Muster- 
bild des Geschmackes, ja als das 
fis DER bestgekleidetsie Wesen der mo- 

dernen Welt erscheint. Es ist 



-..-^D- DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^^ 

doch sehr anziehenden Gruppe von Malern, 
welche sich um die siebziger Jahre der Gunst 
des englischen Publikums so sehr erfreute. 
Man bemerkt dieselbe Verteilung der Figuren 
in die Landschart, dieselbe süsse Melancholie, 
Grazie und Feinheit wie dort. Ihre entzückend 
abgewogenen Farben täuschen oft über Mängel 
in der Zeichnung hinweg, in diesen Farben Hegt 
ein Hauptverdienst ihrer Bücher überhaupt. 
Die Absicht, Bücher für die Kinder zu 
schaffen, hat Kate Greenavay nur bis zu 
einem gewissen Grade erreicht, sie malle 
Kinder, aber nicht für die Kinder! Kinder 
interessieren sich nur für ihresgleichen, 
wenn sie ihr Mitleid, ihre Bewunderung oder 
ihren Abscheu erregen, aber diese Kinder 
thun gar nichts Aussergewöhnliches, sie sind 
Muster der guten Sitte, sie sind für das Kind 
langweilig. 



R. ANNING BELL. TITELBILD ZU -JACK 
THE G1ANT-K1LLER AND BEAUTY ANDTHE 
BEAST- • MIT ERLAUBNIS DER VERLEGER 
J. M. DENT * CO., LONDON •••••••• 



schade, dass sein Vorbild nicht tnehr auf 
die Erscheinung des deutschen Kleinstadt- 
kindes gewirkt hat, dessen Aeusseres mit 
dem glatt zurückgekämmten, in Zöpfchen 
geflochtenen Haar, mit dem bunt karrierten 
Wollkleide und der bläulich'weiss gestärkten 
Kittelschürze dringend bedürfte, einmal 
nach Schönheitsgesichtspunkten umgemo- 
delt zu werden, nachdem bisher nur die 
praktischen eine Rolle gespielt haben. 

Die Bücher der Greenaway sind vor 
allen Dingen geschmackvoll. Sie hat vielen 
Sinn für das Dekorative, umwindet ihre 
Bildchen mit blühenden Kränzchen und lässt 
sich nicht die eigenartige Wirkung eines 
englischen Gartens mit geraden Buchs- 
baumhecken und beschnittenem dunklem 
Taxus entgehen, deren steifer Hintergrund 
ihre lieblichen Kindergruppen um so be- 
weglicher erscheinen lässt (Abb. S. 300/1). 
In ihrer künstlerischen Auffassung steht sie 
sichtlich unter dem Einflüsse der Schule 
Fred Valker's, jener sentimentalen aber 



AUS: LAURENCe HOUSMAN, »A FARM IN FA[RY 
LAND' «MIT ERLAUBNIS DER VERLEGER KEGAN 
PAUL, TRENCH, TRDBNER & CO., LONDON«« 



^f-^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH -C^-s- 

Kate Greenavay's bekannteste Bilder- 
bücher sind: A Day in a Child's Life, Under 
ihe Window, Marigold Garden, Mother Goose, 
Language of Flowers, Litlle Ann, The Queen 
of the Pirate Isle, An Apple Pie. 

Die eben verstorbene Kate Greenatay, 
Randolph Caldecott, der 1886 in der Blüte 
seiner Kraft aus dem Leben schied, und der 
noch unermüdlich schaffende Walter Grane 
sind die drei Heroen des englischen Bilder- 
buchs. Das was sie geleistet haben, kann 
beute schon als eine geschichtliche That be- 
zeichnet werden, als die Grundlage, auf der 
sich das beulige Bilderbuch bewegt. Keiner 
von den Dreien hat eigentlich Schule in dem 
Sinne gemacht, dass ausgesprochene Nach- 
ahmer vorhanden wären, aber die allgemeinen 
Grundsätze für das Bilderbuch, die sie ent- 
wickelten, werden von einem eifrig schaffen- 
den jungen Geschlecht weiter ausgebaut. Wie 
Kate Greenaway das süsslich Sentimentale 
bevorzugte, eine Eigenheit, die man ihrer 
Frauennatur zu gute halten wird, so hat sich 
zunächst unter den heutigen Bilderbuch- 
zeichnem eine ganze Schar von Frauen 
eingefunden, die in diesen Bahnen weiter- 
geht. Die von ihnen geschaffenen Bilder- 
bücher — es erscheinen jede Weihnachten 
Dutzende derselben — haben ausser ihrer 
sentimental hübschen Auffassung das weitere 
,_^ mit Kate Greenaway gemein, dass sie etwas 

schwach in der Zeichnung sind, ein Nach- 
^"li'Ur V'd '^''> ^^' ^^' dadurch einigermassen aufge- 

*■ ™V ' boben wird, dass die Bilder ganz entschieden 

dekorativ wirken. Zu diesen Frauenzeicbnem 
gehören Alice Woodvard, JHabel Dearmer, 
R. ANHING BELL, ZEICHNUNGEN VOM VORSATZPAPIER RosAMUND Praeoer Und der welbliche Teil 
DER .BANBURY CHOss SERiEs. • MIT ERLAUBNIS DER jgr Birminghamer Schule: Mrs. Arthur 

VERLEGE» J. M. DENT a CO.. LONDON q^^^,^^ MIssBrADLEY, WlNlFRED SmITH, 

Mary Nevill und Cblia Levetus. Was sie 
im dekorativen Sinne leisten, ist der Birming- 
hamer Kunstschule unter Leitung von 
E. R. Taylor zu verdanken, die durch die 
Thätigkeil der Keimscott Press inspiriert, 
den grössten Einfluss auf das dekorative Buch 
überhaupt gehabt hat. Jede von den Genannten 
hat sich trotz des gemeinschaftlichen Zieles auf 
ein besonderes Genre des Kinderbuchs verlegt. 
Alice Woodward, die föhigste von ihnen, 
zeichnet in ihrem : ,To Teil the King the 
Sky is Falling", moderne Kinder an der Hand 
von Feen in phantastischer Umgebung. Ein 
besonders hübsches Bucb von ihr ist auch 
Red Apple and Silver Beils, aus dem die Ab- 
bildung auf S. 312 entnommen ist. Mabel 
Dearmer findet viel Reiz darin, steife primitive 
Puppen und Spielzeugin Gegensatz zum lebens- 
vollen Kind zu bringen, was besonders an- 

308 



■'«%.. 




AUS: HOWARD PYLE .TTILIGHT LAND- « MIT ERLAUBNIS DER VERLEGER HARPER & BROTHERS, LONDON 



•DU FITSCHERS 
VOGEL. WO 
KOMMST DU HER?- 
R. ANNINC BELL, 
ILLUSTRATION 
ZU .THE FORBID- 
DEN ROOM- «•• 



AUS: CRIMM-S 
■ FA[RY TALES-« 
MIT ERLAUBNIS 
DER VERLEGER 
J.M.DENT&CO., 
LONDON ••■• 



-a.^^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH 



ziehend in ihrem Book of Penny Toys ge- 
schehen ist{Abb. S. 318). Allbekannt geworden 
sind von ihr auch: A Noah's Ark Geagraphy 
und Seven young Goslings. Mrs. Gaskin 
führt uns in ihren sehr apart ausgestatteten 
Büchern: Hörn Book Jingles, Travellers, 
A, B, C <Abb. S. 314), Little Boys and Linie 
Girls, das Kind in seinem kleinen Reiche 
der Nursery auFdem primitiv reizvollen Stühl- 
chen mit der Puppe und im geschmackvollen 
Holzbettchen beim Nachtgebet vor. Sie ver- 
steht es besonders, die Erwachsenen Für ihre 
reizend gekleideten Kinder zu interessieren, 
wird aber dafür auf grossen Erfolg bei den 
Kindern selbst verzichten müssen. Winifred 
Smith zeigt in ihren Nursery Songs and 
Rhymes oF England und in Children's Singing 
Games die Wirkung der Musik, die sie 
illustrieren will. Fröhliche Kinder tanzen 
vor ihren malerischen Fachwerkhäuschen auf 
holprigem Strassenpßaster ihre Ringelreihen 
(Abb. S. 313). Mary Nevill begiebl sich auf 
das Gebiet der Fluss- und Waldlandschaft. 
Miss Lbvbtus illustrierte sehr ansprechend 



Turkish Fairy Tales und Verse 
Fancies, Miss Bradley Just Forty 
Winks und Songs For Somebody. 

Nehmen nun auch die Produk- 
tionen dieser Frauen einen beträcht- 
lichen Raum unter den heutigen 
englischen Bilderbüchern ein, so 
wäre doch das englische Kinder- 
buch kaum im stände, ausserhalb 
Englands einen besonderen Anteil 
zu erwecken, wenn nicht ihre männ- 
lichen Kollegen mit kräFtigerer 
Hand dafür sorgten, das Bilder- 
buch auf der Höhe zu halten. 
Ihre Anzahl ist sehr gross. Fast 
alle Buch Illustratoren haben sich 
dazu verstanden, auf Wunsch der 
Verleger gelegentlich Kinderbücher 
zu illustrieren. Und so würde eine 
Geschichte des modernen eng- 
lischen Kinderbuches fast zu- 
sammenfallen mit der Geschichte 
der modernen englischen Buch- 
illustration. Statt eine solche zu 
geben, sollen hier nur die be- 
deutendsten wirklichen Kinder- 
buchzeichner, diejenigen, die eine 
besondere Beßhigung Für ihre 
AuFgabe bekundet haben, erwähnt 
werden. 

Schwierig ist es, einem Ein- 
zelnen in der Aufzählung den Vor- 
zug zu geben. Wäre Hovard Pyle 
nicht ein Amerikaner, und wären 



THE BRITISH BULL- DOG • « AUS: WILLIAM 

NICHOLSON, .TH6 SQUARE BOOK OFANIMALS. 
HIT ERLAUBNIS DES VERLEGERS WILLIAM 
HEINEMANN, LONDON «•«••«« (vBRKLeiNBRT) 



-3-^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-^ 



seine ganz vortrefflichen Bijcher {The Wonder 
Clock, Otto of the Silver Hand, Twilight Land 
(Abb. S.309) u. s. w.), zu denen er Text und 
Illustration schuf, so in England bekannt, wie 
sie es verdienen, so müsste man ihm un- 
streitig den ersten Platz einräumen. Aber 
obgleich zum Teil im Zweigverlag in London 
erschienen, sind sie wenig ins Volk ge- 
drungen und heute überhaupt nicht mehr zu 
haben. Und doch vereinigt er höchste künst- 
lerische Eigenschaften mit dem besonderen 
Talent, für das Kinderbuch zu zeichnen, wie 
kein Andrer. 

Unter den englischen Kinderbilderzeichnern 
der jüngeren Generation wird gewöhnlich 
Charles Robinson zuerst genannt. Seine 
ersten Werke sind den neuesten, in denen 
er einen ganz andern Ton anschlägt, an Ver- 
tiefung und Liebenswürdigkeit weit überlegen. 
Die überflotte Art, mit der er in Nonsense, 
Nonsense, in Jack of all Trades und in 
seinen Bairn Books der Karikatur huldigt, 
lässt kaum Freude aufkommen an der kecken 
graziösen Art, mit der er dazwischen das 
rotbäckige, wohlgenährte, drollig selbst- 
bewusste Kind darstellt. Während er 
sich in diesen Büchern auf kräftigfarbige 
Wirkungen verlegt, so hat er früher in 
The Child's Garden of Verses, Lullaby 
Land, Child's Voices (Abb. S. 313) nur 
Zeichnungen gebracht. Diese sind von 
grosser Feinheit und verdienen voll- 
kommen ihre hohe Einschätzung. Er 
fügt sie geschmackvoll der Buchseite 
ein und hat reizende Einfälle auch für 
die Dekoration des Buches. Lieblich 
wirkt es, wenn er tm Lullaby Land das 
verirrte kleine Kind in Gegensatz zu 
der hohen Architektur seiner eigenen 
Erfindung setzt. 

Einer der feinsten und liebenswür- 
digsten Bilderbuchzeichner ist Robert 
Annino Bell, dessen Hauptihäiigkeit 
übrigens auf dem Gebiete der Allge- 
mein-lllustration liegt. Aber die weiche 
Grazie, die ihm dort eigen ist, die un- 
erschöpfliche Phantasie und die grosse 
Anmut seiner Gestalten machen ihn zu 
einem für das Fach der Kinderkunst 
besonders Berufenen. Annino Bell 
zeichnet fast nur in feinen Umrissen, 
worin er mit einigen andern englischen 
Künstlern den frühitalienischen Holzs 
Schnittvorbildern folgt. Seine Bilder 
haben dadurch etwas Luftiges und Zarle- 
und entbehren nicht grosser dekorativer 
Reize. Zu seinen bekannleren Bilder- 
büchern gehören die beiden ersten 



kleinen Bändchen der Banbury-Cross-Series, 
nämlich: Jack the Giant-Killer und The Slee- 
ping Beauty, auch hat er neuerdings Grimm's 
Märchen illustriert (Abb. S. 307—309). 

Wie Annino Bell so haben sich die als 
Buchillustratoren ersten Ranges bekannten 
Zeichner der schon genannten Birminghamer 
Schule: Arthur J. Gaskin, C. M. Gere, E. 
H. New leider nur gelegentlich dem Bilder- 
buche zugewandt. Ihre Verdienste für das 
illustrierte Kinderbuch sind nur mit der Be- 
deutung der Keimscott Press für das künst- 
lerische Buch überhaupt zu vergleichen. Wäh- 
rend Gere und New mehr das Malerische als 
das Dekorative betonen, zeigt uns Arthur 
Gaskin, welcher der Bedeutendste des ganzen 
Verbandes ist, in den naiv romantischen Bil- 
dern der Märchen Hans Andersen's und in 
seinem besten Werk King Wenceslas (Abb. S. 
314) das eigentliche Ideal der Bestrebungen der 
Schule. Seine Illustrationen halten den strengen 
Holzschnittstil ein, den die Schule zu dem 
ihren gemacht hat, jene kräftigen Umrisslinien, 
die kontrastreiche Verteilung von schwarz und 



BYAM SHaW, verkleinertes BILD AUS: >OLD KING 
COLE-S BOOK OF NURSERY RHYMES- «MIT ERLAUBNIS 
DER VERLEGER MACMILLAN « CO., LTD., LONDON««« 



^r-S^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-^ 

gehen damit, wie sie es sollen, Hand in Hand, 
und doch ist jede mit ihrem liebevoll durch- 
gebildeten Detail und ihrer zarten Innigkeit 
ein an Rossetti gemahnendes Gemälde. In 
einigen seiner Bücher sind die Stöcke nicht 
in Zink geätzt, sondern von der Hand seiner 
künstlerisch nachfühlenden Schwester in Holz 
geschnitten. Die beiden Märchenbücher: A 
Farm in Fairyland (Abb. S. 307) und The House 
of Joy sind wie die GAsKiN'schen Feiertags- 
bücher für die gereiftere Jugend, die den 
hohen künstlerischen Sinn in ihnen ermessen 
kann, wie sie fähig ist, die Grösse Beethoven- 
scher Musik ahnungsvoll zu empfinden. 

Angesichts der in jeder Beziehung vor- 
nehmen Kunstleistungeo eines Gaskin, Hous- 
MAN und Anninq Bell treten eine andere 
Reihe von Kinderbuch-Illustratoren, die den 
weihnachtlichen Massenbedarf zu decken 
pflegen, trotz des ungeheuren Umfonges 
ihrer Arbeiten mehr in zweite Reihe. Sie 
sind dabei tüchtige und zum Teil sehr 
geschickte Illustratoren, aber man kann von 
ihnen nicht behaupten, d«ss sich ihre Werke 



• plötzlich fohlte er etwas auf seinen 
r6ckeh spkingen. etwas, das sich mit 
beiden beinen an ihn festklammerte.. 
a. gartk jones, verkleinerte illustration zu 
•the little people. aus: la real queen's fairy 
book' by carmen sylva * ■ mit erlaubnis des 
verlegers george newnes, ltd., london •««« 



weiss, die Strichschattierung, das häufige Auf- 
treten von weissen Linien auf schwarzem 
Grunde. Er erfüllt die strengsten Anforde- 
rungen an die künstlerische Gesamterschei- 
nung des Buches, das freilich dabei für seine 
Bestimmung fast zu feierlich, zu monumental 
vornehm wird. Seine Bücher sind mehr 
solche für Kinderfreunde als für Kinder. Das- 
selbe gilt auch von dem trefflichen Buche: 
A Book oF Pictured Carols, zu welchem 
alle Mitglieder der Schule Zeichnungen bei- 
getragen haben. 

Das Ziel vollendeter Schöpfungen im Sinne 
der Buchkunst haben auch die kleine Anzahl 
von Kinderbüchern, die der Dichter-Maler 
Laurence Housman geschaffen hat. Dieser 
Künstler hat sich nicht nur als Verfasser des 
mit verblüffender Offenherzigkeit geschrie- 
benen, anonymen Buches : An Englishwoman's 
Love-Letters entpuppt (es war das Buch des 
vorigen Jahres), sondern hat eine Reihe der 
schönsten Märchen geschrieben, die in ihrer 
Tiefsinnigkeit und hochtliegenden Romantik 
auch Erwachsene fesseln. Seine Illustrationen 



ALICE B. WOODWARD, APFELBLOTEN-SCHNEE AUS: 
H. HENDRT, -red APPLE AND SILVER BELLS< • « 
MIT ERLAUBNIS DER VERLEGER BLACKIE AND 
SON, LTD., CLASCOW (verkleinert) ••«■■«•■« 



-ir-^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-^ 

zu internationaler Bedeutung 
erhöben. Zu den letzteren 
gehören die Illustrationen J. 
Ford's, der Jahr für Jahr 
ein Buch der Andrew Lano- 
schen Serie von Märchen- 
büchern illustriert (die Bücher 
werden nach der Farbe des 
Umschlftgs bezeichnet: The 
Blue, Green, Yellow, Pink 
Pairy Books), femer die zahl- 
reichen Bücher von Leslie 
Brooke, die fast unerschöpf- 
liche Reihe von Büchern Gor- 
don Brovne's und die An- 
zahl von Bänden der .Fairy- 
tales of the British Empire" 
von J. D. Batten. Von allen 
verdienen die letzteren wohl 
die meiste Beachtung, sie er- 
heben sich in das Reich der 
Phantasie und entbehren nicht 
hervorragender dekorativer 
Eigenschaften. 

Unter den im Verlauf der 
letzten Jahre erschienenen 
Kinderbüchern sind eine Reihe 
zu nennen, in denen der Ein- 
fluss der trefHichen Bücher 
des Franzosen Boutet de 
MONVEL zu erkennen ist. Die 
friesartige Anordnung seiner 



motlm.matlKi 







Suppote th« cloth«! ihmAi Uow kwb^ ^ 

SuppoM 1ha cIoIImi should Uow wv^ J 
<5*ntk fww«t (Uu^htar o'muM. ^ 



VJNIFRED SMITH, VERKLEINERTE SEITE AUS: ALICE 
B. GOMME »CHILDREN'S SINCING GAMES- • • MIT 
ERLAUBNIS DES VERLEGERS DAVID NUTT, LONDON 



CHARLES ROBINSON, TITELKUPFER ZU: W, 
E. CULE .CHILD VOtCES. ■ MIT ERLAUBNIS 
DES VERLEGERS ANDREW MELROSE, LONDON 



Figurengruppen, die scharfe Beob- 
achtung, die feine Farbengebung, das 
alles hat man sich als Vorbild ge- 
nommen und giebt es, wenn auch in 
stark englischer Umbildung, wieder. 
Ein 1897 erschienenes Buch von 
F. D. Bbdpord: Nursery Rhymes ge- 
hört dahin, ebenso WinipribdGreen's: 
Mrs. Leicester's School, und ein be- 
sonders humorvolles, eben erschienenes 
Buch von OsTBRTAO : Old Songs for 
Young England. Auch steht einer der 
erfolgreichsten Zeichner der letzten 
Jahre, Butler - Stoney, unter dem 
Einflüsse des Franzosen, der in seinen 
Büchern: Tom the Piper's Son, und 
vor allem in The Brave Old Duke of 
York (Abb. S. 316) einen erfrischenden 
Humor in sehr ansprechendem dekora- 
tiven Gewände enthüllt. 



-3-^55> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-t?- 

JONES, dem England einige der besten illu- 
strierten Bücher der letzten Jahre verdankt, 
hat mit dem jugendlichen Harold Nelson 
zusammen ein letzten Winter erschienenes 
Märchenbuch von Carmen Sylva ,A Real 
Queen's Fairy Book* in entzückender Weise 
Illustriert, dem die Abbildung auf S. 312 ent- 
nommen ist. Harold Nelson hat ausserdem 
FO(jQu£'s nUndine" in seiner wirkungsvollen 
Strichmanier neu mit Bildern versehen (Abb. 
S. 320), und der bekannte Herbert Ccle hat 
sich durch die Neuillustrierung von Gullivers 
Reisen verdient gemacht. Endlich bat Byam 
Shaw, ein aufgehender Stern am «oelischen 
Kunsthimmel, in diesem Winter ein äusserst 
wirkungsvolles Bilderbuch herausgebracht, 
das durch seine leuchtenden Farben und die 
neue phantasie volle Art, in der die alten 
Nursery Rhymes zum tausendstenmtle vor- 
geführt werden, Aufsehen erregt (Abb. S. 31 1). 
John Hassall, der sich durch seine efFekt- 
vollea Beiträge zum grossen Bilderbuche der 
Londoner Strassen, dem Plakat, vorteilhaft 
bekannt gemacht hat, hat auch für Bilder- 
bücher im kleinen Masstabe seine humorvolle, 



AUS: ARTHUR J. GASKIN »GOOD KJNG 
WENCESLAS- • • MIT ERLAUBNIS DES 
VERLEGERS ELKIN MATHEWS, LONDON 

(VERKLBIHIRT) 



William Nicholson, der in den letzten 
Jahren so durchschlagende Erfolge mit seinen 
kraftvollen farbigen Holzschnitten erzielte, ist 
in seiner Bedeutung für das Kinderbuch wohl 
etwas überschätzt worden. Trotz überkräftiger 
Umrisslinien werden seine Bilder für das 
kleinste Volk, für das doch nur der Gegenstand 
als solcher, ohne Rücksicht auf seine virtuose 
Darstellung interessant ist, unklar. Dazu 
scheint seine Art, sich dem Kinde verständ- 
lich machen zu wollen, nicht recht von Herzen 
zu kommen, und Kinder haben gerade dafür 
ein feines Empfinden. Aber dem Erwachsenen 
erschliessen seine Bücher: A Square Book of 
Animals, An Alphabet, The Twelve Months, 
London Types, An Almanach of Twelve 
Sports in ihrer kraftvoll breiten Art der 
Wiedergabe von Lebenstypen eine Quelle 
grossen Genusses (Abb. S. 310). 

Dagegen sind die Beiträge zum Kinder- 
buche, die einige andere der erfolgreichsten 
Zeichner des Tages geliefert haben, ungleich 
anziehender für das Kind. Der das Dekora- 
tive kraftvoll betonende Illustrator Garth 



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Mgander^ithyouk 
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AUS: 'MRS. ARTHUR GASK1N-S ABC. 
MIT ERLAUBNIS DES VERLEGERS 
ELKIN MATHEWS, LONDON««««* 



-.r.£ö> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-,^ 



.EHESIE SICH VON OER KOSTE ENTFERNT HATTEN, KAM DIE KÖNIGIN HERZVGEEILT UND WARF EIN KNÄUEL 

NACH IHNEN, DAS SICH UM MAELDVINS HAND SCHLANG. ALS ER DARNACH FASSTE. ABER DEN FADEN DES 

KNÄUELS HIELT SIE IN IHRER HAND, UND MIT IHM ZOG SIE DAS BOOT ZU SICH HERAN. ZUROCK ZUM HAFEN.- 

JOHN D. BATTEN, DIE KÖNICIN MIT DEM ZAUBERKNiUEL, AUS : JOSEPH JACOBS -THE 

BOOK OP WONDER VOYAGES< • MIT ERLAUBNIS DES VERLEGERS DAVID NUTT, LONDON 



lebensfrische, flotte Kunst bethätigt. Sehr 
wirkungsvoll sind: An Active Army Alphabet, 
The Pantomime ABC (Abb. S. 319), Basbara's 
Songbook und das in Gemeinschaft mit dem 
geistesverwandten Cecil. Aldin herausge- 
gebene Buch: Two Wellworn Shoe Stories. 
Unterdem jüngsten Geschlecht der eigentlichen 
Bilderbuchzeichner ist Hassall sicherlich der 
interessanteste, und es lässt sich von seiner 
Hand vielleicht noch Bedeutendes erwarten. 
Die Bilder sind gleichzeitig Muster an klarer, 
dabei witziger und dem Kinde angepasster 
Darstellung und meisterhafter farbiger Be- 
handlung. Cecil Aldin, der auch prachtige 



farbige Sportbilder zum Wandschmuck der 
Kinderstube geschaffen hat, schliesst sich 
ihm in diesen Eigenschaften tn. 

Eine besondere Stellung hat das Tierbild 
im Bilderbuch einzunehmen begonnen. Ste- 
VARD Orr führt in seinem Buche Gammon 
and Spinach Frosch und Maus handelnd ein 
(Abb. Seite 319) und Carton Moore Park 
stellt das Tier an sich in breiter Tusch- 
zeichnung mit scharfer Charakteristik und 
gutem Humor dar. Erwähnung verdienen 
auch die ausgezeichneten Buntdrucke von 
Vögeln in M. und E. Deltmold's Buche: Pic- 
tures from Birdland. 



DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^t^ 



In der neuesten Zeit ist, wie schon er- 
wähnt, eine starke Strömung im englischen 
Bilderbuche eingetreten, welche die Karikatur 
bevorzugt. Es ist sicher, dass Karikaturen 
den Kindern zusagen, die für die Komik 
immer das eingehendste Verständnis haben, 
auch wenn sie in hässlicher Form erscheint. 



welche ausschliesslich das Leben der «Gutter- 
snipes" («GossenschnepTen") schildern. Mit 
diesem Wort ist jene Klasse der armseligen, 
zerlumpten Kinder gemeint, die in London 
die entsetzlichen, eintönigen, wie in einen 
schmutzigen Schleier gehüllten Strassen be- 
leben. Sie lassen um so schlimmer das Elend 



Aber wie wir den Kindern auch nicht immer erkennen, je näher sie sich mit den Strassen 



.EU HATTE ZEHNTAUSEND MANN ■ 

AUS: T, BUTLER-STONEY, -THE BBAVE OLD DUKE OF YORK- • W 
ERLAUBNIS DER VERLEGER SANDS & CO., LONDON ( 



Süssigkeiten geben können, die sie stets 
einem JVlilchbrei vorziehen werden, so können 
wir ihnen auch nicht freie Wahl auf geistigem 
Gebiete überlassen ; der Einführung der Kari- 
katur als der Einführung der Hässlichkeit 
kann man nur mit Bedenken gegenüberstehen. 
in gewisser Weise gehören in dieses Gebiet 
schon die Bilderbücher von Edith Farmiloe, 



des verschwenderischen Luxus berühren, in 
denen es nicht zu den Seltenheiten gehört, 
dass der Diener dem Knaben den Lawn-Tennis- 
Schläger respektvoll nachträgt. Soll das vor- 
nehme Kind, dessen Fuss diese mit Papier und 
Obstresten besäten Strassen nie betreten hat, 
und das sich von ihren zerlumpten Bewohnern 
mit Grauen abwendet, Vergnügen daran finden. 



GRAUSAME BUBEN 



-;r-^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-c- 



AUS: 'MABEL DEARMER, .A BOOK DP PENNY 
TOYS- «MIT ERLAUBNIS DER VERLEGER MAC- 
HILLAN & CO,, LTD., LONDON • (verkleinert) 



sich ZU Hause in seinen Büchern über sie 
lustig zu machen ? An sich freilich sind 
Farmiloe's Darstellungen dieser 
dreisten, verlcommenen Geschöpfe 
(Abb. S. 317) voll scharfer Be- 
obachtung und treffender Charak- 
teristik, auch gewiss durchaus 
nicht frei von Humor und Witz. 
In das Gebiet des Karikiert- 
Komischen fallen auch die Golli- 
wog Books, welche in den letzten 
Jahren sich derselben Beliebtheit 
erfreuen, wie der Golliwog selbst, 
eine aus Amerika angereiste männ- 
liche Puppe, die eben ihrer Häss- 
lichkeit willen (schwarzes strup- 
piges Haar, Augen aus grossen 
weissen Leinenknöpfen, heraus- 
gestreckte Zunge) mehr Effekt 
macht als die schönste Wachs- 
puppe. In dem letzt erschienenen 
Bande der Anzahl von Golliwog 
Books: The Advenlures of two 
Dutch Dolls spielen auch die ur- 
alten Penn y- Holzpuppen, die mit 



ihren steifen Bewegungen und ihrer 
knalligen Bemalung sehr unschön, aber 
von drolliger, Fast liebenswürdiger 
Hisslichkeit sind, eine Rolle. Die Ab- 
bildung auf dieser Seite stellt den 
Moment dar, wo sich der Golliwog 
den Holzpuppen als fremder Gast 
vorstellt. 

Trotz des ungeheuren Reichtums an 
gutem Bilderbuchmaterial muss man 
nicht glauben, dass das englische Ktnd 
nur von diesem umgeben wäre. Ge- 
dankenlose Mitbringer sorgen schon da- 
für, dass die billigen Schundbücher, die 
ihnen schnell auf der Untergrundstalion 
in die Hände fallen, die Bibliothek der 
Kinderstube füllen. Dies ist um so ver- 
hängnisvoller, als dafür oft die guten, 
die man nicht gern dem zerstörenden 
Element der Kinderhände preisgiebt, in 
sichere Verwahrung gebracht werden. 
Wie schade, dass nicht bei allen Kinder- 
büchern auf die Gebrauchsfähigkeit 
Rücksicht genommen wird, für die man 
sie unzerreissbar machen müsste, ge- 
radeso wie man dem Spielzeug durch 
grössere Dauerhaftigkeit ein längeres 
Leben sichern sollte. 

Das moderne englische Kinderbuch 
tritt uns in seiner reichen Entwicklung 
als ein Teil der englischen Kunslbe- 
wegung entgegen und ist nur von ihr 
aus zu verstehen. Die Anregung, die 
uns England für die Umgestaltung unseres 
Kunstgewerbes gebracht hat , scheint am 



AUS: FLORENCE K. UPTON, -THE ADVENTUHES OF 
TWO DUTCH DOLLS. m MJT ERLAUBNIS DER VERLEGER 
LONCMANS, GREEN « CO., LONDON • (verkleihert) « 



318 



^)*^> DAS MODERNE ENGLISCHE BILDERBUCH <^-^ 



• DIE MAUS BRACHTE IHM ARZNEI . 

AUS: STEWART ORR, -GAMMON AND SPINACH- VERSES BY JOHN BRYMER • MIT 
ERLAUBNIS DER VERLEGER BLACKIE AND SON, LTD., CLASGOV • (verkleinert) « 



spätesten auf dem Gebiet der Buchillusiration, 
insbesondere der Kinderbuchillustration bei 
uns Früchte tragen zu wollen. Es müsste 
uns ein leichtes sein, auch hierin Grosses zu 
leisten, wenn sich unsere besten modernen 
Künstler in den Dienst der guten Sache 
stellten. Unser Verständnis für das Kind, 
dessen Behandlung wir lange nicht so viel 
der schablonenhaften Methode von Kinder- 
mädchen überlassen wie die Engländer, ist 
vertiefter und daher fähiger, das Richtige für 
den gedanklichen Inhalt seiner Bücher zu 
treffen. Trotz alledem werden die englischen 
Bilderbücher aber noch auf lange Zeit in 
einem unbedingt vorbildlich bleiben: in ihrem 
guten Geschmack. Geschmackvoll sind selbst 
die dilletantischsten unter den englischen 
Kinderbüchern. 

Die Gcschmacksbethätigung erstreckt sich 
in England auf die Pflege des Kindes in ihrer 
ganzen Ausdehnung. Nichts ist bezeichnender, 
als dass man sogar die Kinderstube einer 
einheitlichen, künstlerischen Ausbildung Für 
würdig hält, deren besonderes Verdienst bei 
aller Schönheit die Einfachheit und Zweck- 
mässigkeit ist. Ein Blick in eine solche eng- 



■ C IST DER CLOWN, DER AUSRUFT: DA SIND WIR!' — 
AUS: JOHN HASSALL, >THE PANTOMIME A B C>. 
VERSES BY ROLAND CARSE « MIT ERLAUBNIS DER 
VERLEGER SANDS & CO., LONDON • (veRKLEiNERT) 



-^■^y DAS MODERNE ENGLISCHE BrLDERBUCH <^-t^ 



HAROLD NELSON. DOPPELSEITE AUS: LA MOTTE FOUQUC, 
•UNDrNE AND ASLAUGA'S KNtGHT- « MIT ERLAUBNIS DES VER- 
LEGERS GEORGES NEWNES, LTD., LONDON • (verklsinirt) « 



lische Nursery mit den reizenden, grfinge- 
betzten Möbeln, den lustig bedruckten Leinen- 
vorhängen, dem mit Tieren oder spielenden 
Kindern bemalten Fries, bewohnt von der 
stets weissgekleideten Nurse und dem wohl- 



gepflegten und gekleideten Baby, bietet einen 
wirklichen künstlerischen Genuss. Die guten 
Manieren und der gute Geschmack werden 
dem englischen Kind schon in die Wiege 
gelegt. 



R. ANNING BELL, SCLUSS- 
VIGNETTE AUS: -JACK THE 
GIANT-KILLER AND BEAUTY 
AND THE BEAST' •«•«•■ 



MIT ERLAUBNIS DER VER- 
LEGER J. M. DENT & CO., 
■ « ■ « ■ LONDON ■ « « « • 



VtrlaiuDiuU F. Bruckmuo: 



AUGUSTE HJlMMEL * 



ZU EINER STrCKEH 



NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST 

Von Dr. Friedrich Carstanjen 



Wer vor Nürnbergs Thoren rund um Wall 
und Graben den seit mittelalterlicher 
Zeit beliebten Gang macht, gewahrt an der 
Pegnitz Nähe über malerischen Mauern und 
Dächergruppen die schlanke Kuppel eleganter 
Linienführung, überragt von der Laterne mit 
vergoldetem Spitzdach — die Kuppel des 
Bayerischen Gewerbemuseums. 

Unter dieser Kuppel webt ein wacher Geist; 
in ihr thront ein lebengebendes Prinzip, 
zeugend von einem Organismus, der am 
Leben unserer Zeit thäiig teilnimmt; 
in ihr wecken die Lebenspulse der 
umgebenden Welt ein hallendes Wider- 
spiel. 

Als die Wogen der Hochflut industri- 
eller Thätigkeit höher stiegen, als auf 
dem Gebiete der Technik epochale Fort- 
schritte gemacht und in der Industrie 
Hunderte von Hillionen nationalen Ver- 
mögens investiert wurden, als auch Nürn- 
berg begann, durch Firmen von Weltruf 
eine hervorragende Rolle zu spielen, da 
baute das Bayerische Gewerbemuseum 
mit grossen Mitteln seine beiden tech- 
nischen Abteilungen aus, die mechani- 
sche und die chemische , und schuf 
ihnen eine neue glänzende Stätte. Es 
förderte das Kleingewerbe durch eine 
permanente Ausstellung von Betriebs- 
und Bearbeitungsmaschinen und Ge- 
ritten, und beschloss die Einrichtung 
von Meisterkursen, um die Handwerker 
zu fördern, weiter auszubilden und mit 
der Behandlung moderner Techniken und 
der Anwendung neuzeitlicher, maschi- 



neller und chemischer Hilfsmittel und Ver- 
fahren vertraut zu machen. 

Und wieder, da jetzt der industrielle Himmel 
von Wolken verhangen, durch die aber der 
schimmernde Stern neuzeitlicher Kunst blitzt, 
ist es dasselbe Museum, welches sich licht- 
begehrend dem neuen Lichte zuwendet. Nach- 
dem der Grossindustrie Tribut gezollt war, 
reifte der Gedanke zur That, auch der neuen 
Kunstbewegung durch eine besondere Ein- 
richtung Rechnung zu tragen und darin eine 



FRANZ KAINZINGER « ZINNTELLER 



^r^5> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST 



JOH. BRAND & STAUCH ■ BOWLE IN KUPFER 



neue grosse Aufgabe für das Museum zu 
sehen. Der zweite der hierzu eingerichteten 
kunstgewerblichen Meisterkurse unter P. 
Behrens' Leitung ist zu Ende gegangen, 
und es ist nun möglich, das Resultat der* 
selben zu erkennen und zu überblicken: Die 
neugeborene Nürnberger Handwerks- 
kunst. 

Es ist wichtig, dies zu betonen und als 
ein Datum von geschichtlicher Bedeutung 
festzulegen. Denn wie die seit den sechziger 
Jahren des verlassenen Jahrhunderts überall 
einsetzende Thätigkeit zur Gründung von 
Kunstgewerbemuseen und Kunstschulen letzten 
Endes zu der gleichzeitigen Wertschätzung 
aller vorhandenen Stile in Gestalt eines 
Konglomerats für die Einrichtung unserer 
Wohnungen führte, so werden die kunst- 
gewerblichen Meisterkurse unter der Leitung 
moderner Künstler zu der Schaffung und 
Wertschätzung eines neuzeitlichen Stiles 
mächtig beitragen. Den ersten Erfolg hat 
Nürnberg errungen: es hat eine neue Hand- 
werkskunst; Meister, deren Namen bisher 
unbekannt waren, und um die sich niemand 
kümmerte, erscheinen urplötzlich empor- 
gehoben aus dem Dunkel, welches sie bisher 
in ihrem konventionellen Schaffen umgab, 
und Werke sind geschaffen worden, welche 
von der Fruchtbarkeit der neuen Ideen sowohl, 
als von der Tüchtigkeit der Nürnberger 
Meister zeugen. 

Die Entwürfe und fertigen Arbeiten, welche 
in einer Sonderausstellung des Bayerischen 
Gewerbemuseums vereinigt sind, erwecken 
den Eindruck, dass man es hier nicht mehr 
mit einem suchenden, unbeholfen tastenden 
Geschmack zu thun hat, sondern überwiegend 
mit Persönlichkeiten, die der neuen Richtung 



:->r.^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST -C^-.^ 



FRANZ KAINZmCER • BLUMENKOBEL UND WEINKOhLES, IN KUPFER GETRIEBEN 



mit rreJem Blick und empfänglichen Sinnen 
gegenüber stehen und sich, wenn nicht immer, 
so doch zumeist klar darüber sind, wohin 
sie auf den neuen Wegen gelangen. Das 
will viel heissen, wo wir es in Nürnberg 
nicht mit einer Metropole zu thun haben, 
zu der die tüchtigsten und vorgeschrittensten 
Kräfte des Reiches mit offenen, für alles 
Neue empfänglichen Sinnen zusammen- 
strömen. Es ist aber erklärlich durch den 
alten Kulturboden Nürnbergs, durch die 
Hand Werkstradition und die Tüchtigkeit der 
eingesessenen Meister. 

Uebersieht man die Ausstellung, so springt 
ins Auge, dass ihre besten Arbeiten der 
Metalltreib- und Ciselierkunsi angehören, 
die seit der Zeit Peter Vischer's und Se- 
bastian Lindenast's ununterbrochen durch 
zahlreiche Meisterfamilien in Nürnberg aus- 
geübt wird. In erster Linie ist hier Franz 
Kainzinoer zu nennen, der sich durch seine 
in Kupfer getriebenen Arbeiten, die bereits 
in verschiedenen Museen des Reiches und 
auch im South-Kensington-Museum in London 
vertreten sind, einen guten Namen gemacht 
hat. Ist es nicht ein Zeichen gesunder 
Schaffensfreudigkeit, wenn ein solcher Mann 
überhaupt den Wunsch hat, an der neuen 
Kunstbewegung Anteil zu nehmen, anstatt 
sich zu begnügen mit der Arbeitweise, die 
ihm bisher Verdienst und Anerkennung ver- 
schaffte? Er handelte wohl nach dem wunder- 
vollen Spruch des Anoelus Silesius: 

„Freund, so du etwas bist, 
So bleib doch ja nicht stehn; 
Man muss aus einem Licht 
Fort in das andere gehn." 

Früher trieb er mit grosser technischer 



Geschicklichkeit und gutem anatomischen 
Verständnis allerhand Figuren in Kupfer auf 
grossen dekorativen Tellern, Geissen, Krügen, 
z. B. nach Dürer's Stichen Adam und Eva 
und rund herum Renaissance-Arabesken u. dgl. 



-jr^^ NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^-^ 



THONGEFÄSSE • ENTWORFEN VON K. MAIER • AUSGEFOHBT VON J. F. B. HAUSLEITER 



Der Reiz einer ruhigen, glatten FlSche war 
ihm unbekannt, es musste alles möglichst 
verziert sein. Seine neuen zahlreichen Er- 
zeugnisse : Weinkühler, PaimenstSnder, Wand- 
brunnen, Aschenschalen etc., von denen wir 
einige in Abbildung bringen (Seite 321 — 323, 
326), fallen im Gegensatz zu den früheren 
Arbeiten auf durch ihre einfache Form, die 
bereits durch sich selbst gefallen soll und 
nur weniger dekorativer Linien bedarf. Oft 
bildet die Politur der aufgesetzten Messing- 
leile und die schöne braune Färbung des 
übrigen Gefässes den einzigen Schmuck. 
Auf gleicher Höhe stehen die Erzeugnisse 



H. KNORR « ENTWURF ZU EINEM HANOLEUCHTER 



der vereint arbeitenden Ciseleure und Kunst- 
giesser Joh. Brand & Stauch. Auch sie 
haben sich mit bemerkenswerter Schnellig- 
keit von der Tradition befreit und in den 
Geist eines neuzeitlichen Schaffens eingelebt. 
Beweis dafür sind zahlreiche Entwürfe für 
Gegenstände wie Bowlen, Metallkassetten, 
Wandbrunnen, Standuhr, Blumenständer etc., 
von welchen die Abbildung auf Seite 322 eine 
in Kupfer getriebene, dunkelgrün patinierte 
Bowle mit aufgesetztem Messingstern und 
Messinghenkeln zeigt. Auf die Entwürfe zu 
Schmuckgegenständen komme ich später zu- 
rück. Der sehr hohe Durchschnittswert 
dieser, wie aller Arbeilen der 
Kurse zeugt davon, dass der 
alte Baum des Nürnberger 
Kunsthandwerks noch nicht 
verdorrt ist, sondern noch 
neue Blüten treiben kann. 
Rund um die hochragenden 
Kirchen St. Lorenz und 
St. Sebald im Gewirr der 
niedrigen, ziegelgedeckten 
Häuser, in den krummen 
Strassen leben noch immer 
eine Anzahl geschickter, 
intelligenter und fleissiger 
Meister, welche allein oder 



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H. KNORR • ENTWURF ZU EINEM KAFFEE- UND THEESERVICE 



'^k^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST 



mit ein paar Gesellen in kleinen Verkstitten Derselben Gruppe gehören noch die Cise- 

hinter verstaubten Fenstern die Prunkstücke leure, Kunsigiesser und Formenmacher, H. 

herstellen, denen man im Glanz des elektri- Knohh, Fror. Möller und H. Guttke an. 

sehen Lichts unserer Kunstsalons die ge- Auch sie bekunden mit ihren Zeichnungen 

bührende Achtung erweist, oft genug ohne für Schreib- und Speisetischgeräte, sowie 

zu würdigen und zu wissen, unter welch sonstige Gegenstände ein gutes Verständnis 

drückenden, wirtschaftlichen Verhältnissen sie für die Materialbedingungen und vornehme, 

entstanden sind. grosse Form, wie besonders eine Jardiniftre 



FRANZ KAINZINCBR « IN KUPFER GETRIEBENE ASCHENSCHALEN 
326 



-»-te> DIE FARBENSCHAU IM KAISER WILHELM-MUSEUM KREFELD <a*^ 

Einführung der Farben ge- 
wehrt, wie aus den folgenden 



We regret to infonn you that pages 327-338 
oi Die Kunst, no. 6, 1902 are mistakenly 
boundinafterpage342. 

The Fine Arts Libraiy, Harvard Univereity 



-iT.^ NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <S^^ 



flecken hervorruft, kommt für diese Muster 
nicht in Betracht. Aber solche Forderungen 
an die Muster zu stellen, hiesse ihre Absicht 
missversteheo. Unsere Kunstgewerbemuseen 
haben zum Unheil des neueren Kunstgewerbes 
fertige Vorbilder mehr als genug gegeben. 
Diese Tafeln wollen dem Benutzer eigene, 
geistige Arbeit nicht 
ersparen. Sie sind ein 
Extrakt aus fertiger 
Schönheit und dadurch 
eine glückliche Vor- 
stufe zu neuer Schön- 
heit. Für ihre prak- 
tische Verwertung ist 
es belanglos, dass sie 
aus fertiger Schönheit 
stammen. Sie bieten 
feine Harmonien, und 
mit reichlicher Phan- 
tasie könnte man sich 
vorstellen, dass der 

liebe Gott im Paradiesesgarten die Krohn- 
schen Farbentafeln benutzt und bald hier, 
bald dort unter sie gegriffen hätte, um Käfer 
und Schmetterlinge und Gesteine und tausend 
andres Farbenschüne zu gestalten. Ganz ohne 
Phantasie aber kann man sich denken, dass 
in Zukunft kein Fabrikant, kein Kunsthand' 



werker in Krefeld wichtigere Farbenharmo- 
oien herstellt, ohne die Tafeln zur Beratung 
zu ziehen, und dass sie auch für die häus- 
liche KunstpHege ernste Bedeutung gewinnen. 
Es ist sehr möglich, dass die KROHN'schen 
Tafeln auch ausserhalb Krefelds Anklang 
ßnden, gewiss aber hat die Farbenschau als 
Ganzes eine weit über 
Krefeld hinausreichen- 
de Bedeutung. Unsere 
grossen Kunst - Aus- 
stellungen haben etwas 
Verwirrendes. Die In- 
teressen der Beschauer 
werden nach unzähligen 
divergierenden Rich- 
tungen hingetrieben. 
Die Farbenschau giebt 
ein Beispiel ganz an- 
ders gearteter Ausstel- 
lungen. Sie fesselt in 
engem Kreise und ge- 
rade deshalb entwickelt sie Fähigkeiten. Nach- 
drücklich werden alle Kräfte nach^elner Rich- 
tung, auf das Sehen, Empfinden und Geniessen 
der Farben gelenkt, und jede andre Tendenz 
erscheint ausgeschaltet. Die Vergleichung 
brbiger Naturschönheit und farbiger Kunst- 
schönheit gewährt einen Massstab. In fiber- 



JOH. BRAND & STAUCH ■ ENTWÜRFE ZU GOHTELSCHLIES 

340 



^^D- DIE FARBENSCHAU IM KAISER WILHELM-MUSEUM KREFELD -^^ö^^ 



FIA WILLE • KISSEN LILLI BEHRENS « KISSEN 

raschender Weise wird das ästhetische Ge- doch sind auch sehr interessante Farben-Aus- 
wissen der Farbe gegenüber geschärft. Haben Stellungen möglich nur von koloristischen 
Farben-Ausstellungen für Städte mit textiler Elite-Werken alter oder moderner Malerei. 
Industrie speziellen Wert, so sind sie ausser- Solche Ausstetlungen könnten neben ihrem 
dem von allgemeiner Bedeutung ersten Ranges erzieherischen Wert erhebliche kunstgeschicht- 
für die künstlerische Erziehung des ganzen liehe Bedeutung gewinnen. ^ 4(^ 4(^ 
Volkes. Man sollte es aus 
naheliegenden Gründen dem 
deutschen Publikum nicht 
überlassen, sich nach eigenem 
Wollen in Museen verschie- 
dener Art Farbenschau zu 
schaffen. Wenn es dabei 
bliebe, würde die Entwick- 
lung des Farbensinns nur 
sehr langsam vorwärts gehen. 
Von Farben - Ausstellungen 
dagegen darf man schnellere 
und grosse Erfolge erwarten. 
Es wäre zu erwägen, ob nicht 
in jeder Gemäldegalerie ein 
Raum zur Farbenschau als 
Vorbereitung für den Besuch 
der Galerie könnte einge- 
richtet werden. Aber auch 
unabhängig von Galerien 
sollte man an jedem Ort, 
wo immer in Deutschland 
KunstpRege herrscht, dem 
Krefelder Beispiele folgen 
mit den Aenderungen, die 
sich aus den jeweiligen ört- 
lichen Verhältnissen ergeben. 
Am wirksamsten wird immer 
die Vereinigung von Natur- 
und Kunstschönheit sein; fia wille « Tischdecke 

341 



NEUE INTERIEURS 



VON Karl Schefpler 



es Fast nur Originalitäten; noch immer 
fehlen die guten Verarbeiier der gegebenen 
Ideen, und man kann um so weniger auf ihr 
Erscheinen rechnen, als sie nicht aus den 
staatlichen Kunstschulen hervorgehen, sondern 
sich autodidaktischheranzubilden pflegen. Und 
doch sind die Popularisierer der primären 
künstlerischen Ideen dem Markte zur Zeit 
viel wichtiger als immer neue Entdecker. 
Mancherlei Eigenschaften sind solchen Kultur- 
arbeitern nötig, deren Ruhm darin besteht, 
sich als dienende Glieder einem Ganzen 
anzuschliessen. Sie müssen die Träger 
Frischer, in aller geistigen Dienstbarkeit doch 
freier und selbständiger Begabungen sein, 
müssen viel Verantwortlichkeitsgefühl und 



zugleich einen durchaus praktischen, aufs 
Wirkliche gerichteten Sinn ihr eigen nennen. 
Natürliche Begabung ist ja bei Autodidakten 
stets vorhanden, denn nur durch sie wird 
die Schule überflüssig gemacht; es liegt aber 
oft die Gefahr vor, dass das eigene — produk- 
tive Vermögen überschätzt und die Rezep- 
tivität für Originalität gehalten wird. Damit 
verschwindet dann meistens der ruhige, sichere 
Blick für das individuell und sachlich Nötige, 
und es zeigen sich die unerfreulichen Er- 
scheinungen artistischer Grossmannssucht, 
wodurch gerade in unseren Tagen die besten 
Ideen ad absurdum geführt werden. Solchen 
Verirrungen der Eitelkeit sind jene Ge- 
werbekünstler unterworfen, die einen Buch- 
deckel für eine nationale Heldenthat, einen 
Schreibtisch für ein unsterbliches 
Kunstwerk halten. 

Zu der kleinen Schar von 
Künstlern, die, ohne gerade re- 
volutionäre Neuerer zu sein, ihr 
nicht geringes Talent vernünftig 
in den Dienst der Idee stellen, 
gehören an erster Stelle R. und 
F. Wille. Das Ehepaar ist ganz 
bescheiden von Stickereien und 
Buchzeichnungen ausgegangen 
und hat sich Schritt vor Schritt 
neue Gebiete erobert. Dabei zeigte 
es sich überzeugend, wie weit 
man kommt, wenn man seine 
Kräfte genau kennt und sie darum 
klug konzentrieren kann. Wille's 
Ornamentik ist in solchem Pro- 
zess immer selbständiger gewor- 
den und hat schliesslich der neuen 
Linienkunst eine besondere Nu- 
ance hinzugefügt. Was zuerst 
nur Produkt der Anregung war, 
gewann allmählich seiner selbst 
wegen Geltung, weil es sich, 
durch gewisse Vorzüge des guten 
Geschmackes, über manches Vor- 
bild erhob. Es wäre gut, wenn 
sich alle Nutzkünstler, die unter 
ähnlichen Voraussetzungen ar- 
beiten, ebenso klar darüber wären, 
aufweiche Eigenschaften des Cha- 
rakters ein Talent sich stützen 
muss, wenn es wachsen soll. 
R. und F. Wille haben jetzt 



D. MEINECKE • ENTWÜRFE ZU HANDLEUCHTERN 



HANDLEUCHTER AUS EISEN UND MESSING • ENTWORFEN VON M. EBERLEIN 
AUSGEFÜHRT VON KUNSTSCHLOSSERMEISTER GUSTAV FREY •*«*«••««• 



-3-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^-^ 



mit Glaseinsatz von Guttkb und auch der auf 
Seite 323 in Abbildung wiedergegebene Ent- 
wurf zu einem Palmenstander von Fr. Müller 
bezeugt. 

Die Entstehungsgeschichte der Aschenschale 
mit Schwedenständer von H. Knorr (Abbil- 
dung Seite 326) ist sehr instruktiv und mag 
daher hier Platz finden; zugleich ist sie 
typisch, denn den meisten Teilnehmern der 
Kurse mag es wohl ähnlich ergangen sein. 
Der Verfertiger der Schale kam in die Kurse 
mitder ausgesprochenen Absicht einen solchen 
Gegenstand zu entwerfen und zeichnete ihn, 
wie er sich denselben gedacht hatte, mit 
einem weiblichen Kopf, dessen aufgelöste 
Haare die Schale überfluteten. Erbarmungs- 
los wurde ihm dieser Kopf gestrichen und 
ebenso die sonst noch vorhandene Zugabe 
an Lilienblüten etc.; und obwohl er wider- 
strebend meinte, das Publikum verlange das, 
und er werde den Gegenstand nicht ver- 



D. MEINECKE • 



zu EINEM KNJLUELBECHER 



D, «ErNECKE • ENTWURF ZU EINER PUDERDOSE 



setzt, sich an praktischen Arbeiten weiter zu 

bilden. 

Nach den zum Teil guten Ideen seiner 

Zeichnungen hat Rud. Issmayer leider nur 
einen kleinen Handspiegel mit Metall- 
umrahmung angefertigt. 

Die talentvolle Leiterin der kunst- 
gewerblichen Abteilung des Nürnberger 
Vereins Frauenwohl, Else Oppler 
stellt eine nach ihrem Entwurf ange- 
fertigte, mattsilbeme Biskuitdose {Abb. 
Seite 326) aus, deren vornehm einfache 
Form sich durch zwei aufgesetzte 
Augen von lauchgrünem Chrysopal und 
Wiederholung der Kontur in einge- 
stanzten Linien zu höchst reizvoller 
Wirkung erhebt. 

Damit wären wir bei den Damen des 
Kurses angelangt, und es muss gesagt 
werden, dass ihre Arbeiten auf einer 
durchaus erfreulichen Höhe stehen. 



kaufen können, musste er sich doch bequemen, 
rein sachlich und konstruktiv zu bleiben. 
So wurde aus dem sinnlosen Kopf der 
Schwedenständer und aus den Haaren der 
vornehme Linienfluss der Umrandung, die 
als einziges Schmuckmoment der sonst ganz 
glatten Schale übrig blieb. Der Verfertiger 
hat es nicht bereut, denn die Schale ist 
wegen ihrer vornehmen Form am meisten 
von allen Erzeugnissen der Kurse gekauft 
worden. Aus seinen zahlreichen und sehr 
guten weiteren Entwürfen bringen wir auf 
Seite 324 und 325 den eines Handleuchters 
und eines Kaffee- und Theeservices, welche 
leider noch nicht ausgeführt worden sind. 
Hier fehlt es, wie bei manch anderem guten 
Stück, an dem Auftraggeber, der das durch 
die Meisterkurse ans Tageslicht gekommene 
Talent unterstützt und in die Lage ver- 



^.-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^-d- 



D. MEINECKE • ENTTURF ZU EINEM KNJlUELBECHER 

Besonders aus Else Oppler's Arbeiten, 
den Kissen, Decken etc. gewinnt man den 
Eindruck, dass hier die behandelten Stoffe, 
das rein Technische selbst bereits zu einer 
künstlerischen Aussprache gebracht worden 
sind. 

Daneben ist Auguste HAmmel zu 



mit einer reichen Anzahl Entwürfe für Buch- 
schmuck, Lederarbeiten, Stickereien etc., die 
grosszügig erdacht und gemacht, und mit 
feinstem Empfinden für Linienwirkung, ganz 
abgesehen von der Ausführung' und dem 
Material, erfunden worden sind (Abb. Seite 32 1 , 
334, 335). 

Auch Louise v. Forster hat sehr aparte 
Muster geschaffen, und in Emma Volck's 
Decken und Zeichnungen für Klöppelspitzen 
und genähte Leinenspitzen finden wir das 
starke Behrensornament mit weiblicher Grazie 
durchdrungen (Abb. Seite 339). 

Das sind Neuerscheinungen im Nürnberger 
Kunsthandwerk, und es ist nur freudig zu be- 
grüssen, wenn hierdurch dem Hausgewerbe 
neue Anregungen zugeführt werden. Und 
hier auf dem Gebiet der Weissnäherei, 
Stickerei, der Aufnäharbeit etc. ist noch man- 
ches zu thun, wie es denn überhaupt dem 
feinen weiblichen Instinkt vorbehalten sein 
wird, eine ganz besondere Rolle bei dem er- 
wachenden Bedürfnis der häuslichen Kunst- 
pRege zu spielen. 

Man hat hier, ganz allgemein genommen, 
die freudige Empfindung, wieviel sich doch 
aus dem modernen Ornament machen, wie- 
viel sich damit gestalten lässt, je nachdem 
es die Associationszentren befruchtet. Be- 
weis dafür sind die Posamentierarbeiten und 




J k 



D. MBINECKE ■ ENTWORFE ZU HOLZSAULCHEN 

329 " 



^r-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^^ 



J. ULMER m ENTWURF ZU EINER GESCHNITZTEN TRUHE 



Borten von G. Arold<Jean Arold), welche 
uneingeschränktes Lob verdienen (Abbildung 
Seite 338). Kaleidoskopartig ergeben sich 
immer wieder neue Kombinationen, je nach 
der behandelnden Persönlichkeit. — Was kann 
ein Sarasate nicht alles auT einer einzigen 
Saite spielen I 

Auguste HXmmel hat einige ihrer Arbeiten 
durch den Buchbindermeister Kaltmaier aus- 
führen lassen, welcher gleichzeitig am Kurs 
teilnahm und mit eigenen flott entworfenen 
und gediegen ausgeführten Bucheinbänden in 
geschnittenem und geßrbten Leder vertreten 
ist {Abb. Seite 335). Der Buchschmuck ist ja 
Ungst ein Gebiet geworden, für das die besten 
künstlerischen Kräfte mit revolutionierender 
Thätigkeit sich ins Zeug gelegt haben. Bei 
den Vorsatzpapieren bleibt Kaltmaier bei der 
Marmorierung, welcher Technik er in den 
Kursen eine ganze Anzahl Muster abgerungen 



hat, die sich durch eigenartige reizvolle Far- 
ben auszeichnen. 

Weiblicher muten die Menukarten und Pa- 
peterieentwürfe des Lithographen K. Schar- 
sich (i. F. WOLPRUM & Hauptmann) an; sie 
sind nicht so rassig, wie die Mehrzahl der 
übrigen Arbeiten. 

In sehr aparter Weise sind drei Deko- 
rationsmaler vertreten. K. SchXfer, von 
welchem bereits Heft 6 zwei Entwürfe brachte, 
hat als seine Spectalität StoFTtapeten und Vor- 
hangstoFfe ausgebildet, welche in der be- 
kannten Schabloniermethode auf Jute auf- 
gemalt sind. Es ist nur zu wünschen, dass 
sich diese Art der Wandbespannung mehr 
einbürgert, um mit der Papier- und Leder- 
tapete und der Täfelung eine angebrachte 
Abwechslung zu ermöglichen. Auch die zart 
gehaltene Decke desselben Meisters (Abb. 
Seite 337) und der machtvolle, energisch hin- 



^r^?> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^-t?- 



KAMIN • ENTWORFEN VON KARL MAIER • AUSGEFOHRT VON J. F. B. HAUSIEITER 



gesetzte Wandfries (Abb. Seite 337) von G. 
Staigbr (i. F. Eugen Müller), sowie eine 
farbige Fensterumrahmung von M. Haoen 
(i. F. Ober & Hartner) (Abb. Seite 336), 
welche hier nur als gute Beispiele aus vielen 
Entwürfen herausgegriffen sein mögen, zeigen, 
dass auch dem Gebiete der dekorativen Malerei 
sich noch in sehr dankbarer Weise neue Mo- 
tive zuführen lassen. Vieles mag hier noch 
zu reich, zu voll erscheinen, so dass die 
Wirkung eine unruhige wird, was auch durch 
den konventionellen, bleichen Leim färben ton, 
den z. B. Hagen bei einem Treppenhausent- 
wurf bevorzugt, nicht aufgehoben wird. Ganz 
wenige schöne Linien genügen hier oft und 
sagen uns mehr, als eine reiche Verzierung. 
Mag das aber sein, wie es will: Haupt- 
sache ist doch, dass auch hier ein freies, 
eigenes Schaffen angestrebt wird. Wie es 



die alten Meister gethanl Wenn diese nichts 
Eigenes geschaffen hätten, sondern bei dem 
zu ihrer Zeit Bewährten, Guten, Alten 
stehen geblieben wären und sich nicht 
losgetrennt hätten von der Nachahmung 
derjenigen Kunstformen, welche zu ihrer 
Zeit bereits vorgelegen hatten , wie wären 
dann die Stile entstanden, deren Schön- 
heit wir gerade dadurch anerkennen, dass 
wir sie dem Lehrplan unserer Kunstgewerbe- 
schulen und Akademien eingereiht haben? 
Und ein grosser Fortschritt liegt schon darin, 
dass hier aufgeräumt ist, mit den Früchten, 
Blumen und Blattpflanzen, die bis vor kurzem 
noch das Hauptmotiv unserer Decken und 
Wanddekoration, einschliesslich der Tapeten 
bildeten. 

Das reizvolle Gebiet der Schmucksachen 
ist vertreten durch die bereits genannten 



^..^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^ä-c- 



Ciseleure Brand und Stauch , durch den 
Modelleur und Schnitzer Semmelroth, sowie 
durch den Juwelier E- Topf, Dass die Ar- 
beiten den Vergleich mit anderen neueren 
Arbeiten, besonders den französischen nicht 
aushalten, kommt hierbei gar nicht in Be- 
tracht; denn ihre Bedeutung, wie diejenige 
der Kurse überhaupt, liegt nicht allein in 
dem, was bereits erreicht ist, sondern in der 
Thatsache der Loseisung aller dieser Leute 
von den bisherigen Formen. Sehr gute, voll- 
wertige Arbeiten in ihrer geschlossenen, 
feierlichen Komposition sind vor allem die 
Zeichnungen zu Gürtelschliessen von Brand 
und Stauch, von denen wir auf Seite 340 
einige in Abbildung bringen. Aeusserst Heisstg 
und sauber ausgeführt sind die zahlreichen 
Kämme in Schildkrot und einfachen Broschen 
von Semmelroth (Abb. Seile 338) und eben- 
so die Schmucksachen, Broschen, Vorsteck- 
nadeln von E. Topp, von welchen die AbbÜ* 
düng auf Seite 326 eine Brosche in oxydier- 
tem Silber mit Opalen zeigt. 

Ungemein fruchtbar war der Drechsler 
D. MErNECKE, der eine ganze Reihe gedrehter 
und geschnitzter farbiger Holzwaren auf- 
zuweisen hat: Dosen für Häkelgarn und andere 



VAL. OECKLER ■ STUHL AUS MAHAGONI 



C. LEHMANN m GESCHNITZTER RAHMEN 



Zwecke, Leuchter, Schalen, farbige Säulchen, 
Vasen mit Blech- oder Glaseinsätzen für 
Blumen etc., alles durchaus holzgemgss ge- 
dacht, ohne überflüssigen Schmuck, in origi- 
nellen Formen und lebhaften Farben. (Abb. 
Seite 328 und 329). Zahlreich sind auch die 
Entwürfe zu Möbeln für Speise- und Wohn- 
zimmer von V. Oeckler, P. Götz, M. Eber- 
lein und F. CORRELL, ohne dass jedoch viele 
zur Ausführung gelangt sind. Unsere Ab- 
bildung auf dieser Seite zeigt einen reichver- 
zierten Stuhl von V. Oeckler, der, wie auch 
ein dazugehöriger Tisch und eine Standuhr in 
rotem Mahagoni und Eiche ausgeführt worden 
ist. Auch eine ganze Reihe kleinerer Holz- 
gegenstände, Wandschränkchen, Handtuch- 
halter, Rahmen zeugen von einem Schaffen 
aus sich selbst heraus, aus der unbegrenzten 
Liebe zur Sache und dem Bemühen, dem 
Stoffe neue Formen abzuringen. Das gilt 
auch von dem Entwurf einer Holztruhe mit 
Schnitzerei von J. Ulmbr, von dem ausserdem 
einige sehr hübsche Rahmen vorliegen (Abb. 
Seite 330). 

Es ist nicht uninteressant, sich einmal die in 
den Teilnehmern der Kurse sich abspielen- 
den psychologischen Momente zu vergegen- 
wärtigen, das Unbehagen, welches das Ab- 
weichen vom Gewohnten, Erprobten mit sich 
bringt — die Schwierigkeit des sich Hinein- 
denkens in den fremden Gedankengang — 
das Gefühl des Unbeholfenwerdens, der Blind- 
heit, des Tappens im Dustern ohne Wissen, wo 
hinaus man gelange — bis dann schliesslich 



^j-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST 



FERD. CÖSCHEL « MODELL ZU EINEM GRABMAL 



das Gefühl des Verständnisses und der 
Freude über das zu Tage tretende Neue 
hervorbricht. Und das alles in verstärktem 
Masse, weil es sich doch im vorliegenden Falle 
nicht um junge Schüler handelt, sondern um 
eingesessene Handwerksmeister und ältere 
Leute, die in einer festen Tradition gross 
geworden waren. Wenn man nun rückwärts 
blickt, wissend was die Leute früher ge- 
schaffen haben, und fragt ob sie es nicht be- 
dauern, dass sie so manches ihrer früheren, 
mit Liebe erworbenen Fertigkeiten zu 
Gunsten des neuen Schaffens aufgeben müssen, 
so erhält man die Antwort, dass sie das gern 
aufgäben in dem freudigen Gefühl, jetzt frei 
aus sich heraus etwas Neues entstehen lassen 
zu können, während sie früher nur nach vor- 



handenen Mustern komponiert haben. Sie 
fühlen sich als Gestalter. 

Wer aber in den Arbeiten der Kurse zu 
viel die Hand von Peter Behrens sehen 
will und zu wenig eigene Individualität, dem 
ist zu sagen, dass Behrens nur durch Worte 
und Beispiele wirkte, nicht durch Modelle, 
Entwürfe, Vorlageblätter u. dgl., und dass er 
auch nicht in die Zeichnungen der Kurs- 
teilnehmer eingriff. Aber gerade, weil er 
eine intensive Geistesarbeit verlangte, darum 
war seine Methode so instruktiv. Und wenn 
das BEHRENs-Ornament überwiegt, so muss 
gesagt werden, dass das doch gerade das 
Gute ist. Die Individualität in Ehren, aber 
wir wollen sie doch nicht jetzt von den 
Nürnberger Handwerkern verlangen. Es thut 



~;f-;^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^^ 



durchaus not, dass die kraftvollen Männer, 
die an der Spitze der neuen Kunstbewegung 
stehen, ihre Formengebung und Ornamen- 
tierung durchsetzen, damit wir zu einer Ein- 
heit und Geschmackskonvention gelangen, 
die immer Vorbedingung zu einem Stil ist. 
Und es ist nötig, dass die Handwerker erst 
einmal in den Sinn der neuen künstlerischen 
Sprache eindringen, sie sprechen und be- 
herrschen lernen; dann wird auch ihre Indi- 
vidualität zu Tage kommen, sofern sie eine 
haben. 

Noch liegt mir ob, die Thongefasse zu er- 
wähnen, welche die Firma J. F. B. Haus- 
leiter nach den Entwürfen ihres Zeichners 
Karl Maier lieferte, und unter denen sich 
einige befinden (Abb. Seite 324), die in ihrer 
aparten, strengen Form und der einfachen, 
meist weissblauen, dunkelgrünen oder metal- 
lisch schimmernden Glasur ausserordentlich 
wohtihuend wirken. Von hervorragender 
Schönheit aber ist ein Kamin in violettgrau 
glasierten Kacheln von derselben Firma, be- 
stimmt für das Bayerische Gewerbemuseum 
(Abb. Seite 331). Endlich war auch durch 
F. GOSCHEL die Steinbildhauerei mit plas- 
tischen Modellen für zwei Grabmale und 



AUGUSTE hAmMEL « ENTWURF ZU EINER MAPPE 



einen Brunnen vertreten, so dass in dem reich 
instrumentierten Stück dieser Ausstellung der 
grosse Schlussaccord nicht fehlte. Besonders 
der eine Grabmalsentwurf (Abb. Seite 333) 
lässt ahnen, dass das Original bei der Aus- 
führung in Stein in dem Beschauer den 
Eindruck stiller Grösse und erhabener Ruh£ 
erwecken würde. 

Bereits in Heft 6 dieser Zeitschrift er- 
wähnte ich, dass das Endergebnis der Meister- 
kui^e die Errichtung einer Zentral verkauf- 
stelle (unter der Firma M. Abel) war, io 
welcher die Teilnehmer der Kurse ihre Er- 
zeugnisse ausstellen und verkaufen können. 

Mit dieser Organisation wurde bewiesen, 
dass die idealen Ziele, denen das Museum 
zustrebt, bei gesunder Grundlage sich wohl 
vereinigen lassen mit den realen Absichten 
der Förderung geschäftlicher Interessen. Die 
Einrichtung wurde denn auch von den Teil- 
nehmern am Kurse sehr begrüsst, in der 
Erkenntnis, dass hier etwas geschalten wurde, 
das im höchsten Grade geeignet sei, sie in 
jeder Beziehung zu fördern. Sind sie doch 
alle von dem Gefühle erfüllt, dass sie zur 
rechten Zeit den Anschluss an eine neue 
Bewegung gewonnen haben, die sie auch 
finanziell fördern werde, weil ihnen Aufträge 
zufiiessen werden, für welche andere noch 
nicht gerüstet sind, kurz, dass sie konkurrenz- 
Ühiger geworden seien. Denn sehr mit 
Recht betonte Oberbaurat v. Kramer, dass 
bereits die gesellschaftlichen Ansprüche es 
sind, welche die Blicke der kaufkräftigen 
Kreise dahin lenken, wo der Lockruf der 



H. KALTMAIER * ENTWÜRFE ZU BUCHEINBÄNDEN 



BUCHEINBAND • ENTWORFEN VON AUGUSTE 
HAMMEL • AUSGEFÜHRT VON H. KALTMAIER 



-3-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <^^^ 



neuen Kunst sich hören lässr, und dass 
der Kunsthandwerker, welcher in der 
Schule stilgerechter Nachahmung auf- 
gezogen worden, der Beachtung mehr 
und mehr entrückt wird. 

Die kunstgewerblichen Magazine, 
welche unter dem Zwang des materi- 
ellen Verdienstes stehen, haben viel 
zu sehr mit dem Geschmack und Un- 
geschmack des kaufenden Publikums 
zu rechnen und müssen demselben 
durch die Möglichkeit einer „Auswahl" 
nach den verschiedenen Richtungen 
nachgeben. Ganz anders dagegen eine 
Verkaufstelle, welche durch einen Ga- 
rantiefonds dem geschäftlichen Risiko 
entrückt ist und sich daher in erster 
Linie von künstlerischen Interessen und 
Absichten leiten lassen kann, während 
das geschäftliche Interesse zwar nicht 
unterdrückt, aber nur soweit berück- 
sichtigt wird, als es sich aus der Er- 
füllung des künstlerischen ergiebt. Eine 
solche Institution kann unmittelbar er- 
zieherisch auf den Geschmack weiter 
Kreise wirken; sie ist dem Zwange 
entrückt, welchen das grosse Publikum 
mit seinem Verlangen nach wertlosem 
Zeug und allerlei Mätzchen ausübt. 

Wir sehen also die Nürnberger Hand- 
werkskunst auf besten Wegen und 
können nur wünschen, dass sie bald 
zu neuer Blüte gelange. 



DIE FARBENSCHAU IM KAISER WILHELM-MUSEUM IN KREFELD 



Von Oscar Ollendorfi 



Im Monat April veranstaltete das Kaiser 
Wilhelm-Museum in Krefeld eine Farben- 
schau, das heisst eine originelle Ausstellung, 
die den Farben gewidmet war. Farhen- 
harmonien der Natur sah man an Blumen, 
Schmetterlingen, Konchylien und Mineralien, 
Farbenharmonien der Kunst an modernen 
Gemälden, Textilarbeiten verschiedener Epo- 
chen , Gläsern und Werken der Keramik. 
Einen wesentlichen Bestandteil der Aus- 
stellung ergeben Vorbilder für dekorative 
Farbenwahl , welche das Kaiser Wilhelm- 
Museum von ihrem Verfertiger, Professor 



PiETRO Krohn in Kopenhagen, erworben 
hat, eine kleine Abteilung endlich bildeten 
FarbstofTe und eine Anzahl Färbungen. Ueber 
den genaueren Bestand der Ausstellung im 
einzelnen wird jeden Interessenten der in- 
haltreiche, mit einem Titelblatt von Ludwig 
V. Hofmann geschmückte Katalog unter- 
richten. Nicht nur zur Veredlung des Farben- 
geschmackes im KreFelder Publikum sollte 
die Veranstaltung beitragen, mehr noch und 
vor allem sollte sie der dort heimischen Tex- 
tilindustrie Anregungen bringen. Lebhafter 
Besuch durch die Fabrikanten bewies, dass 



-?-^E> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST K^^-c- 



K. SCHÄFER ■DECKENMALEREI 



zwischen dem Museum und der Be- 
völkerung die notwendige Fühlung 
vorhanden ist. Es wäre verlockend, 
von den Eindrücken der Farben- 
harmonien zu berichten, von dem 
überraschenden Sieg, den der Neoim- 
pressionismus in Werken von Paul 
SiGNAC unter so vielen edlen Farben- 
wirkungen der Kunst feierte, von 
den Resultaten, die eine Wanderung 
durch die Krefelder Gemäldegalerie 
unmittelbar nach Besichtigung der 
Farbenschau ergaben, aber der be- 
schränkte Raum verbietet näheres 
Eingehen. Die folgenden Zeilen 
wollen nur Einiges von allgemeiner 
und praktischer Bedeutung hervor- 
heben. 

In der Abteilung für Farbstoffe 
sah man eine Anzahl Anilin-Fär- 
bungen ausgestellt, die zum Teil 
nicht belichtet, zum Teil fünf Monate 
lang der Witterung, Sonne und Regen, 
ausgesetzt waren. Die Verände- 
rungen der belichteten Fäden, na- 
mentlich in hellen Farbtönen waren 



GUSTAV STAICER • WANDMALEREI 



-3-^> NÜRNBERGER HANDWERKSKUNST <S*-t^ 



F. SEMMELROTH ■ BROSCHE AUS ELFENBEIN, KAMME AUS SCKILDKROT « E. TOPF ■ VORSTECKNADELN 

von eingreifendster Art. Blasses Goldgelb unechter Färbungen «irklich schön wäre ! 
halte sich in schmutziges Grau, warmes Aber die Anilinfarben sind schlechter als 
Orange in schmutziges Braun oder Gelbgrün, ihr Ruf und rechnen mit unentwickeltem 
einfaches Gelb in totes Graugrün umge- Geschmack; denn ihre sogenannte Brillanz 
wandelt; eine rote Farbe war in mannjg- trägt fast durchwegs unfeinen, giftigen Cha- 
fache Töne auseinandergespalten. Wenn nur rakter. Es wäre zu wünschen, dass sich im 
wenigstens das ursprüngliche Aussehen so Publikum eine tiefere Kenntnis dieser Sach- 
lage und kräftige Abneigung 
gegen Anilin Urbungen ent- 
wickelte. Sie werden benutzt, 
weil sie bequem in der Fär- 
berei und billig sind, und keine 
ernste Protestbewegung hat bis- 
her ihre Herrschaft erschüttert. 
Und doch liegt hier eine be- 
deutsame Frage künstlerischer 
Kultur verborgen, und vom Stand- 
punkt des Geschmackes und der 
Solidität muss man wünschen, 
dass die berufenen Kreise alle 
Energie und Findigkeit darauf 
verwenden, die echten und 
wirklich schönen, vegetabili- 
schen Farbstoffe einfacherem 
und billigerem Gebrauche zu- 
gänglich zu machen! Als die 
persische Textilindustrie eine 
Zeit lang Anilinfarben ver- 
wandte, hat sich die dortige 
Regierung entschieden und er- 
GOTTLiEB AROLD ■ POSAMENTIERARBEITEN folgreich gegen die Weitere 

338 



BELEUCHTUNGSKÖRPER VON HANS WAGNER <^^ 



man die Atmosphire der Mode nennen könnte. 
Was die meisten Käufer bestechen wird, muss 
der Kunstbeurteiler aus ästhetischen Gründen 
bedenklich finden. Die Grenze zwischen den 
Gebieten des Ornamentalen und Tektonischen 
ist oft haarscharf; sie jedoch genau zu kennen, 
ist die vornehmste Aufgabe des Interieur- 
Künstlers. Pankok's Möbelverzierungen z. B. 
sind streng tektonisch, befinden sich an den 
Knotenpunkten des Konstruktionsproblems und 
illustrieren die Logik des Gefüges; nicht zu 
reden von den ornamentalen Funktionshölzern 
und tektonischen Ornamentgebilden van de 
Veldb's. In Wille's Möbeln aber bleibt das 
Ornament oft noch Dekoration und ist nicht 
durchaus logisch bedingt. Die Weiterent- 
wicklung wird im Sinne einer Verbindung 
der logischen und der schmückenden Idee 
erfolgen müssen. Das Erstrebenswerte ist 
die Synthese, in der das Tektonische orna- 
mental und das Ornamentale tektonisch ge- 
dacht ist. 

Farbig wissen die Künstler stets sehr fein- 
sinnig anzuordnen. Der geschärfte Geschmack 
für Tonwerte, den Frau Wille in den Sticke- 
reien so oft bewiesen hat, kehrt in den Tep- 
pichen wieder und verrät sich in vielen 
Einzelheiten dieser Arbeiten. Recht wird er 
sich natürlich erst entfalten können, wenn 
die Interieurs ein Festes Heim gefunden 



haben und nicht mehr auf die weitläufigen 
Ladenraume angewiesen sind. 

Die vier ausgestellten Zimmer sollen zu- 
sammen etwa 4000 Mark kosten. Solche 
relative Wohlfeilheit ist sehr zu loben; um 
so mehr, als das Material durchaus edel ist 
und die Ausführung tadellos scheint. Die 
angewandte Kunst muss endlich vom Aus- 
stellungsobjekt loskommen und wahrhaft 
marktfähig gemacht werden. Damit ist nicht 
nur dem Publikum gedient, das sehr gerne 
kaufen möchte, wenn es sicher ist, für die 
üblichen Preise solide Arbeiten neuen Stils 
zu erwerben, sondern auch den Künstlern, 
die in dieser Weise endlich einmal ein Ver- 
hältnis zur Nachfrage finden. Gerade Ta- 
lente wie diese, die nicht den artistischen 
Eigensinn der Entdecker aber doch die sichere 
Haltung des guten Geschmackes haben, suchen 
lebhaft die Möglichkeit zu praktischer Be- 
thätigung. Ohne Hilfe von sekundären Be- 
gabungen wird das Neue, das wir schon 
unser eigen nennen, nie popularisiert werden 
können; darum ist es sehr zu wünschen, 
dass solchen ein umfassendes Thätigkeicsgebiet 
geöffnet wird. Was die Dufr^ne, Landry 
u. s, w. für Frankreich sind, das können R. 
und F. Wille für Deutschland werden. — 
Auch von dem Dresdener Künstler M. A. 
Nicolai gilt vieles von dem Gesagten. Die 



-^-^> BELEUCHTUNGSKÖRPER VON HANS WAGNER <^^ 

Anregungsgebiete, als deren werden. Nicolai's Schlaf- 
Pole England einerseits und zimmer, als Ganzes so lo- 
Belgien andererseits be- benswert durch seine ge- 
trachtet werden können, sind sunde Einfachheit, könnte 
ja so ausgedehnt, dass die noch kräftiger in der Dispo- 
Bewegungsfreiheit des re- sition sein. So hätte beispiels* 
zeptiven Talentes sehr gross weise das noch immer unge- 
und die Gefahr der Kollision löste Verhältnis des Nacht- 
kaum vorhanden ist. Nicolai kästchens zum Bett mehr 
ist in den Arbeiten, die hier Beachtung finden müssen, 
abgebildet werden, durchaus Ebenso ist die Form des 
von anderer Seile ausge- Toilettentisches etwas klein- 
gangen wie Willb's und bürgerlich ausgefallen, 
doch ist auch er zu erfreu- Alles in allem aber ist zu 
liehen Resultaten gelangt. wünschen, dass Talente, die 
Verwandt sind beider Ar- solche Leistungen hervor- 
beiten darin, dass man die- bringen, sich stetig mehren 
selbe ruhige Vernunft und er- und ein fruchtbares Thätig- 
fahrene Sicherheit des guten keitsfeld finden; denn ein 
Geschmackes hier wie dort findet und den halbes Dutzend von ihnen schaffen mehr 
verständigen Sinn erkennt, mit dem alte Ge- Werte, als sämtliche Schüler einer staat- 
wohnheiten des kaufenden Publikums un- lieh subventionierten Kunstgewerbeschule, 
merklich auf eine höhere Stufe gehoben ^ ^ ^ 

BELEUCHTUNGSKÖRPER VON HANS WAGNER IN GRÜNA 

NebenderFirmaK.M.SeiPBRT&CiE.,aufdie Stücken, welche auf dem Gebiete der Be- 

wirschon früher hingewiesen haben, gehört leuchtungskörper durchschnittlich noch ge- 

die von Hans Wagner zu denjenigen, deren liefert werden, eine wohlthuend berührende 

Arbeitengegenüber den überladenen, protzigen Einfachheit aufweisen. Wird dabei auch die 



BELEUCHTUNGSKORPED « ENTWORFEN UND AUSGEFÜHRT VON HANS WAGNER, CROnA 

347 M* 



^,.^> NEMESIO DE MOGROBEJO <^-^ 



Nüchternheit nicht immer völlig vermieden, 
welche allzu leicht mit der Vereinfachung Hand 
in Hand geht, — sogar Benson vermochte 
zuweilen das Problem nicht restloszulösen! 
— so ist hier sicherlich ein Zuwenig weit 
besser als ein Zuviel. So begriissen wir 
jedes Zeichen froh, das eine Abnahme jenes 
ungesunden Geschmackes bedeutet, dem Schön- 
heit gleich gilt mit Häufung und Uebermass. — 
Unter andern recht geschickt gelösten Auf- 
gaben hat sich Hans Wagner auch die ge- 
stellt, welche, einem allgemeinen Bedürfnis 
entspringend, immer wieder aufgegriffen wird, 
nämlich die, in einer Kombination eine zwei- 
fache Art der Beleuchtung zu vereinigen: 
das konzentrierte, aus einer starken Quelle 
entströmende Licht, mit der allgemeinen 
Helligkeit, die aus mehreren kleineren, ver- 
teilten Lichtquellen fliesst. — Allabendlich, im 
engen Familienkreis im Wohnzimmer ver- 
sammelt, lieben wir das intime Licht der um- 
schatteten Lampe, die über dem Tische nieder- 
hängt, während der übrige Raum in wohliges 
Dämmerlicht getaucht bleibt. An Festabenden 
dagegen, wenn die ganze Stimmung eines 
geselligen Beisammenseins vieler Menschen 
helles strahlendes Licht verlangt, brauchen 
wir die Einzellichtkörper, die aus mehreren, 
höher angebrachten und auf grösseren Um- 
kreis verteilten Zentren ihre Strahlen spenden. 



Wie vieles aber gerade in der künstlichen 
Beleuchtung unserer Räume noch zu erreichen 
ist, das mag hier nur kurz angedeutet werden. 
Ist doch Licht und Schatten das belebende 
Element für jedes Ding, nur durch das Licht 
gewinnt unsere Umgebung ihre Grösse und 
Gestalt. Da unsere Einrichtung und die Art 
ihrer Aufstellung sich meist nach Lage der 
Fenster richtet, so haben viele versucht, auch 
hinsichtlich der künstlichen Beleuchtung den 
Tageseffekt beizubehalten, indem sie kon- 
sequenterweise je eine starke Lichtquelle bei 
jedem Fenster anbrachten. Andere suchen durch 
Verteilung einer grossen Anzahl Flammen an 
der Decke einerseits eine gleichmässige (meist 
allzusehr nivellierende) Helle zu erzielen, 
andrerseits die Formen der von der Decke 
hängenden oder in ihreingelassenen Lämpchen 
als Dekorationsmotiv zu verwenden. 

Ein in geschickten Händen meist künst- 
lerischeres Verfahren scheint uns die Be- 
nutzung einer Anzahl hoher, mit grossen 
Seidenschirmen bedeckter Tisch* und Stand- 
lampen zu bieten. Eine gewisse gemütliche 
Intimität, ein einheitliches Zusammenfassen 
einer Partie des Zimmers unter einer ge- 
meinsamen Lichtquelle und ähnliche Vor- 
teile sind ihm eigen. Wer seine Zimmer 
also nicht nur erhellen, sondern beleuchten 
will, dem steht ein dankbares Studium offen. 



NEMESIO DE MOGROByO 



Von Dr, Adalbert von Dhasenovich, Graz 



Zwei Gedanken sind es, die in der modernen 
Plastik besonders stark nach Verwirk- 
lichung ringen. Der eine, welcher allerdings 
schon mit dem Namen iHtCHELANGELO's für 
alle Zeiten verknüpft ist, fordert lebhafte, 
aber gebundene Bewegung, stärksten, aber 
verhaltenen Ausdruck, knappste Sammlung 
der Formen, strengsten Umriss der Masse 
und findet seinen Gegensatz in der lauten, 
nach allen Richtungen zerflatternden Gestal- 
tung des Barock. Der andere, der schon in 
der Gotik gelebt hat, findet das Hochziel der 
Plastik nicht in der freien, überall aufstell- 
baren Figur, sondern im Schmuck der ge- 
gebenen Dinge; die Figur ist ihm kein Selbst- 
zweck, sondern ein dienendes Glied der 
Raumgestaltung, die Plastik eine ornamentale 
Kunst. Uns aber sind diese beiden Gedanken 
nicht in bewusster Anlehnung an jene Vor- 
ganger, sondern aus dem liebevollen, fast 
leidenschaftlichen Materialgefühl unserer Zeit 
gewachsen: Stein soll nie die ihm eigene 
Struktur, Metall nie die erstarrte Flüssigkeit 
vergessen lassen, das Material soll sich selbst 
treu bleiben, aus seinem beschränkten Wesen 
seine besten Wirkungen ziehen. Dass dieses 
Materialgesetz freilich keine ewige Regel, 
kein einziger Weg ist, ergiebt sich schon 
aus der Erkenntnis der Kunst als einer Lebens- 
äusserung, welche mit den Lebensformen 
wechseln muss, und wird bestätigt durch die 
geschichtliche Erfahrung, dass grosse Kunst- 
stile, wie Renaissance und Barock, zum Teil 
auch die Klassik, dieses Gesetz wenig ge- 
achtet haben. Dass es aber gegenwärtig als 
neu, umwälzend und alleinseligmachend em- 
pfunden wird, scheint mir ein Beweis für die 
unserer Zeit innewohnende Schaffenskraft, 
für ihren nicht eklektisch nachahmenden, 
sondern selbstherrlichen Willen. Bildhauer, 
welche formal aus diesem Gefühle, inhaltlich 
aus einer Seelenstimmung unserer Zeit heraus 
schaffen, wird man dsher im tieferen Sinne 
modern nennen können, wenn nämlich dieses 
Wort mehr bezeichnen soll als die Eigen- 
schaft eines Zeitgenossen oder die Beugung 
unter eine Tagesmode. 

Es verdient Beachtung, dass Spanien, 
welches kürzlich in der Malerei mit Zuloaca 



sehr entschieden den Weg zeitgemässer Ent- 
wicklung betrat, auch in der Bildhauerei die 
Fesseln der akademischen Konvention abzu- 
streifen beginnt. Wenigstens ist ein solcher 
in der Gegenwart wurzelnder und durch 
seine Jugend in schöne Zukunft weisender 
Künstler der Baske Mogrob^o, von dessen 
Werken das vorliegende Heft einige abbildet. 
Das früheste, aber vielleicht immer noch 
stärkste, wenn auch befremdlichste ist der 
Pierrot, den er 1897 in Paris mit grossen 
Kosten über verlorenes Wachsmodell in 
Bronze giessen liess. Inhaltlich ist es kein 
gewöhnlicher Pierrot, der etwa seiner Co- 
lombine ein Ständchen bringt, sondern die 
Verkörperung des hinter bitterer Grimasse 
sich verbergenden Weltschmerzes; etwa die 
Stimmung, welche Leoncavallo's Bajazzo 
mit den Worten anschlägt: hHüII' dich in 
Tand und schminke dein Antlitz", oder 
Verlaine mit seinem: „Ce n'est plus le 



-^-^ NEMESIO DE MOGROBEJO <^^ 



NEMESIO DE MOGROBEJO • FRUCHTSCHALE AUS BRONZE (UMARMUNG) 



reveur lunaire du vieil air". Formal fällt 
die Entfernung vom Naturalismus auf (die 
Glieder sind überlang, die Kinnlade ins Gro- 
teske verzerrt) und die kühne, fast gewalt- 
same Zusammen raffung der äussert bewegten 
Glieder in einen verhältnismässig ruhigen, 
geschlossenen Umriss, womit das Werk aus 
der Entfernung als Schmucksache,' in der 
Nähe als Lebensdarstellung wirkt. Nicht 
naturalistisch ist auch der Sockel, dessen 
willkürliche oder besser: zum Gesamtfluss 
nötige Formen sich aus den Haarsträhnen 
eines Kopfes aufbauen, dessen übergrosses 
Ohr dem bittersüssen Liede lauscht, cette 
Chanson cruelle et cäline, wie Verlaine sang. 
Aehnlich frei hat er für einen Sockel zur 
Büste eines Reiteroffiziers das Motiv eines 
Pferdeschädels benützt und auf die Bedenken 
der Pferdekenner geantwortet: Wenn ich hätte 
einen Pferdekopf machen wollen, so hätte 



ich das schon auch können, ich wollte aber 
einen Sockel machen. 

In seinen zahlreichen Büsten- und Relief- 
bildnissen, von denen leider keines abgebildet 
werden konnte, strebt er bewegtes Leben mit 
einer für sich selbst bestehenden Form zu ver- 
binden. Das strenge Naturstudium und der 
klare Vortrag haben sie auch weiteren Kreisen 
zugänglich gemacht. Künstlerisch ist an den 
Flachreliefs hervorzuheben, dass sie nicht 
einfache Uebertragung der Rundform auf einen 
flachen Hintergrund, Aufklebungeines Durch- 
schnittes oder auch nur gleichmässige Re- 
duktion der Verhältnisse zeigen, sondern auf 
einem Umwege eine Suggestion von Form, 
Raum und Luft geben wollen. 11 faut mentir 
dans les plans, sagt der Künstler, man muss 
in den Schichten lügen, die Niveau-Verhält- 
nisse nicht nach mathematischen Gesetzen, 
sondern nach künstlerischem Bedarf gestalten. 



'^r^S> NEMESIO DE MOGROBEJO <^^ 



Technisch erleichtert er sich dies, indem er 
nicht auf die Schiefer- oder Holztafel, son- 
dern in eine tiefe Tonschicht modelliert, so 
dass er nötigenfalls auch hinter die an- 
genommene Grundfläche gehen kann. Darum 
zeigt auch sein Kontur keine scharfe Durch- 
schnittslinie, sondern ein bald schärferes, bald 
verschwimmenderes Abheben vom Grunde, 
das uns den Eindruck der umfliessenden Luft 
giebt und zugleich die Einheit des Materiales 
betont. 

So auch die Bronzeplaite, welche auf einem 
Grabe in Graz liegt, wo sie übrigens die 
Entrüstung der Betschwestern erregt hat, 
welchen ja noch immer Nacktheit und Scham- 
losigkeit gleichbedeutend sind. Unbefangenen 
atmet diese weibliche Trauergestalt Keusch- 
heit und Seelenadel, der Künstler aber hat 
damit natürlich weder für noch gegen das 
Schamgefühl agitieren wollen. Er wollte ein 
Totengärtchen schmücken, Figur und Umriss 
auseinander entwickeln, eine lieblich-weh- 
mütige Stimmung geben. Dieser Absicht 
kamen die weichen Linien und Wellen des 
nackten Mädchen leibes entgegen und ver- 
wuchsen organisch mit den Qualmwogen der 
verlöschenden Fackel, denen Sense und Toten- 
kopf kaum erkennbar enttauchen. Die moderne 
Schlangenlinie, deren Wesen kühnes Hinaus- 
gleiten, überraschende Wendung und ver- 
zichtendes Verfliessen ist, und die ein Bild 
unseres hochzieligen, sprunghaften, oft noch 
enttäuschten und dekadenten Lebens giebt, 
kehrt im Grabgitter wieder und erhebt sich 
dort zu vollem und reinem Rhythmus, dessen 
zugleich beruhigendes und beflügelndes Gleiten 
die künstlerische Wirkung hervorbringt. Sie 
ruht nicht, aber findet Verstärkung im sym- 
bolischen Gedanken des Motivs, nämlich des 
Phönix, der sich verjüngt aus der Asche 
erhebt. Die ganze kleine Grabstelle ist 
durchaus frei von jener phantasiearmen Kon- 
vention, welche unsere Friedhöfe auf den 
Rang von Adressbüchern herabgedrückt hat 
und in der Umgebung des besprochenen 
Grabes störend genug in bedrückend uni- 
formen, soldatensteifen Leichensteinen auf- 
tritt, deren Bauformen vielleicht an der Wand 
des Friedhofes, nie aber in dessen Mitte eine 
künstlerische Funktion erfüllen können. 

Dieses Mogrobejo so natürlich von der 
Hand gehende Entwickeln von Form und 
Schmuck aus einander, aus dem gegebenen 
Raum und vorgeschriebenen Bedürfnis ist es, 
welches ihn nach meinem Gefühle zu monu- 
mentalen Aufgaben befähigen wird und ihn 
im Gebrauchsgegen Stande schon Standhaltiges 
hat leisten lassen. Auch in diesen Geräten 



und Geßssen steckt meist ein symbolischer 
Gedanke, z. B. in seinen verschiedenen 
Aschenschalen der Gedanke der Vergänglich- 
keit, die alles zu Asche macht. So beugt 
sich die Madonna demütig ihrem grausamen, 
erhabenen Schicksal, welches von ihrem 
Mutterglück nur die Seele, den Rauch leben 
lassen, die Form aber frühzeitig vernichten, 
zu Asche machen wird. Und den seligen 
Stolz der keuschen Jugend, welche das Welt- 
all mit ihrem Reize heherrscht, überschattet 
das wehmütige Gefühl der schwindenden 
Schönheit, des verglimmenden Feuers. Die 
künstlerische Wirkung solcher aus ergriffener 
Seele blühender Gedanken braucht keineswegs 
unterschätzt zu werden, aber erst dass ihr 
Erzeuger die allegorische Figur nicht, wie 



^T-^> NEMESIO DE MOGROBEJO <S3-,s- 



gebildet wird, die ihr zum Griffknopf ge- 
wordenes Haupt seitlich zurückbiegen; hier 
ist eine Sonderung von Ausdruck, Aufbau 
und Schmuck schlechterdings ausgeschlossen. 



es so oft geschieht, auf eine an sich fertige 
Schale setzt, sondern dass Figur und Schale 
eins sind, dass ihm die Form zum Symbol 
und das Symbol zur Form wird, erhebt das 
Werk in den Rang plastischer Kunst. Auch 
von den (sämtlich für Bronzeguss 
gedachten) Hohlgefässen, so z. B. 
von jenem mit den knieend zu- 
riickgebeugten Weibern kann man 
den Schmuck nicht entfernen, ohne 
die Form zu zerstören, und die 
Wirkung ruht nicht im Motiv, 
sondern in der Raumausfüllung; 
der Gedanke ist mehr Vorwand 
als Vorwurf. Auch in der Frucht- 
schale ist die mit starkem, eroti- 
schem Gefühle gestaltete Umar- 
mung des männlichen und weib- 
lichen Körpers kein der Schale 
hinzugefügtes, entbehrliches Orna- 
ment, sondern diese Körper bilden 
den durchaus organischen und un- 
abänderlichen Henkel. Wie sehr 
ihm bei diesen Dingen der mensch- 
liche Körper nur Schmuckmotiv 
ist, zeigt in leichtverständlicher 
Weise jene Vase, welche von vier 
gleichen weiblichen Gewandfiguren 



Nemesio de Moorobejo V Abasolo ist 
am 25. JVlärz 1876 als 22. Kind eines Vaters 
und einer Mutter in Bilbao geboren, absol- 
vierte dort die Akademie und ging mit dem 
gewonnenen, ein Reisestipendium gewähren- 
den Preis nach Paris, wo er an den Akademien 
Julien und Colarossi arbeitete und Rodin's 
Werk besonders auf sich wirken Hess. Dann 
folgte ein Jahr an einer freien Akademie in 
Brüssel, von wo ihn der Auftrag des be- 
sprochenen Grabmals nach Graz rief, in 
welcher Stadt er auch eine grössere Anzahl 
Bildnisse anfertigte; von hier ging er nach 
Venedig, München und Stuttgart und weilt 
jetzt wieder in seiner Heimat. Sein Pierrot 
erhielt 1898 auf der internationalen Aus- 
stellung in Barcelona ein Preisdiplom und war 
1899 im Wiener Künstlerhaus ausgestellt. Eter 
steiermärkische Kunstverein führte Mogro- 
B^o 1 900 in einer Kollektiv - Ausstellung 
vor, welche die lebhaftesten Meinungsgegen- 
sätze hervorrief. 



; K. BRUCKMANN, 



MODERNE INNENEINRICHTUNGEN 



Die gKunst des Lebens' ist heute beinahe 
zu einem Schlagworte geworden. Von 
verschiedensten Seiten her wird die Forde- 
rung, die Lebensführung zu einer künstleri- 
schen zu machen, erhoben. Häufig genug 
wird Goethe, der persönlicli sein Leben lang 
darnach strebte, Kunst und Harmonie zu den 
Regulatoren seiner Lebensführung zu machen, 
dabei als Vorbild angeführt. 

Wer könnte leugnen, dass diese „Kunst 
des Lebens" und dass diese „Kunst im 
Leben* unserem Zeitalter, das in nervöser 
Hast dem ruhigen Geniessen entflieht, ganz 
besonders not thut. Das Milieu aber, in dem 
diese Lebenskunst zur Entfaltung und Ent- 
wicklung kommt, und in dem sie sich „breit 



machen" darf, ist das Heim die Stätte, 

in der der Mensch wohnt, in der er arbeitet, 
geniesst und schafft. 

Die Frage, wie dieses Heim zu einem 
künstlerischen zu gestalten ist, dürfte von 
dem gegebenen Gesichtspunkt aus unschwer 
zu beantwonen sein. Das, was von aller 
Zeiten Anfang her als Hauptmerkmal des 
Künstlerischen galt und bis in die neueste 
Zeit für die Grundbedingung alles Künstleri- 
schen gehalten wird, ist zugleich das, was 
die Schönheit der Natur vom Himmelsgewölbe 
bis zu der Pflanzenwelt sehr wesentlich aus- 
macht: die Harmonie, das heisst, die Ueber- 
einstimmung aller Teile. 

Auf die vorliegende Frage angewendet. 



-3-^> MODERNE INNENEINRICHTUNGEN <^^ 



heisst das soviel, als: alle Teile der Inoeo- 
einrichtuog müssen mit dem Ganzen, zu dem 
sie gehören, in Uebereinstimmung stehen. 

Dieses Ganze ist das Haus. Es ist also 
zu fordern, dass alle Teile der Inneneinrich- 
tung, d. h. alle Möbel, Tapeten, Teppiche, 
Beleuchtungskörper etc. durchaus zu dem 
Hause passen, für das sie bestimmt sind. 
Und da wir es hier in erster Linie mit 
Möbeln zu thun haben, ist zu fordern, dass 
dieselben in das Haus und in das Zimmer, 
für die sie bestimmt sind, hineinkomponiert 
werden. Eigentlich ist also der Architekt 
des Hauses derjenige, welcher die Innenein- 
richtung zu wählen und die Möbel zu ent- 
werfen hat. Je nach der Höhe der Zimmer 
und der Grösse der Zimmer, je nach der 
Art der Wände, der Grösse der Fenster sind 
die Möbel zu entwerfen. In die hohen Säle 
der Schlösser und Paläste des vorigen Jahr- 
hunderts passten die Empire-Möbel, in die 
Nischen und Ecken der Lustschlösser Louis XV. 
passten die Rokoko-Möbel, in die halbdunklen, 
feierlichen Räume der gotischen Zeit passten 



SCHMIEDEEISERNE HEIZKÖRPERVERKLEtDUNC • ENT- 
WORFEN VON BERNH. PANKOK «AUSGEFÜHRT VON DEN 
VEREINIGTEN WERKSTATTEN, MÖNCHEN (GES. GESCH.) 



die Kirchen-Möbel und in die japanischen 
Theehäuser passen die Rohrsessel und Bambus- 
Möbel. Wie aber heule? Heute gährt es noch. 
Weder die Meinungen, noch die Stile haben 
sich geklärt. Der Stil unserer Zeit ist der 
Ektekticismus. Der sogenannte ,Jugend5ti]'' 
oder «Secessionsstil" war nur eine Tageslaune 
und ist schon im Vergehen. Wer klug ist 
— und das betrifft ebensosehr die Möbel- 
architekten wie das Publikum — sollte, was 
diesen Stil betrifft, nicht die unausgereiften 
Pflaumen vom Baume schütteln. Aber immer- 
hin soll er aus der modernen Richtung das 
Massvollste und das, was am ehesten Aus- 
sicht hat, weiter zu leben, auswählen. Und 
wenn er in Verlegenheit ist, was er bei dem 
furchtbaren Wirrwarr der Meinungen und 
Stile nehmen soll, so mag ihn eben jener Leit- 
stern «Harmonie" leiten: er wähle nur das, 
was erstens für sein Haus, zweitens für 
seinen Geschmack, drittens Für den betreffen- 
den Raum passt. Er sehe zu, dass die Tapeten 
und Teppiche mit den Möbeln harmonieren, 
er lasse für die bestimmte Ecke eines be- 
stimmten Zimmers eine Mö- 
belgarnitur entwerfen und 
bauen. Alle Möbel , die 
fertig gekauft werden und 
nicht für eine individuelle 
Einrichtung entworfen sind, 
sind Fabrikware und eines 
künstlerischen Heimes un- 
würdig. 

Lieber wähle man die 
einfachsten und billigsten 
Materialien und Ausführ- 
ungen, als dass man Sche- 
men kauft. Lieber gehe 
man zum Schreiner und 
lasse nach seinen eigenen 
Angaben Möbel für die be- 
stimmten Räume entwerfen 
und richte sie selbst her, 
als dass man für sein indi- 
viduell pointiertes Heim 
Warenhausmöbel, mögen sie 
auch noch so hoch im Preise 
stehen, erwirbt. — Im all- 
gemeinen muss vielmehr 
Selbstdenken, eigenes Mit- 
arbeiten gefordert werden. 
Es genügt nicht, dass man 
in ein Musterlager geht, 
eine Wahl trifft und das 
Geld auf den Tisch legt. 
Wer Ehre hat und etwas 
auf sich hält, will eine Ein- 
richtung haben, die ihmauch 



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-a-t^> MODERNE INNENEINRICHTUNGEN <^^^ 

innerlich, nicht nur dem bezahlten Nennwerte 
nach, zugehört. Der wahre Aristokrat wird in 
der Wahl der Inneneinrichtung so gewissenhaft 
als möglich sein und nicht nur seinen Geld- 
beutel, sondern auch seinen Geist und Ge- 
schmack, seine Person, sein Ich, seinen Stolz, 
seine Prätentionen und Aspirationen mit- 
arbeiten lassen. Und stets muss ihn das 
Gesetz der Harmonie leiten. Die Vornehm- 
heit ruht wesentlich in der Harmonie. Das 
kostbarste Möbel in ein unpassendes Milieu 
gestellt, wirkt ordinär oder geschmacklos. 
Aber jede intime Beziehung in Farbe und 
Form zwischen Wand, Decke, Fenster, Diele, 
zwischen Möbel und Tapete, zwischen Tep- 
pich und Gardine, zwischen Thürumrahmung 
und Möbelarchitektur wirkt harmonisch und 
zugleich vornehm. 

Dazu kommt die Frage des Bedürfnisses 
und des Zweckes. Wahrhaft vornehm und 
wahrhaft künstlerisch wirkt nur das, was für 
einen bestimmten Zweck in dieser vorliegen- 
den Art gedacht ist. Jeder überflüssige Luxus 
und jede nicht zweckmässige Zierform wirkt 
parvenuenhaft und ordinär. Hier berühren 
wir den Krebsschaden des modernen Jugend- 
stiles*. Die Zierformen sind an diesen Möbeln 
meistens nicht nur nicht zweckentsprechend, 
sondern zweckstörend. Sie sind nicht nur über- 
flüssig, sondern hinderlich. Die betreffen- 
den Möbel sind daher Karikaturen, die auf 



TOILETTETISCHCHEN « ENTWORFEN 
VON RICK. MOLLER « AUSGEFOHRT 
VON K. M, SEIFERT & C 



die Bühne eines Ueberbrettls sehr gut 
passen, aber in einem deutschen Heime 
nur lächerlich wirken und auf die Dauer 
hinderlich sind — der Besitzer kennt 
nur zwei frohe Augenblicke: als er die 
Möbel einkaufte, und als er sie wieder 
los wurde. 

Von dem oben eingenommenen Stand- 
punkt aus wird die Beantwortung der 
schwierigen Frage nach der Wahl des 
Stiles erleichtert. Denn Stil ist Per- 
sönlichkeit. Bei der Schöpfung eines 
neuen Stiles ist das erste, dass sich 
Persönlichkeiten finden, welche ihrem 
individuellen Empfinden nach ihre Um- 
gebung gestalten. Aus der gegenseitigen 
Berührung und Beeinflussung dieser 
Individualitäten bildet sich unter einem 
gemeinsamen Himmel, in einem Lande 
und aus einem zusammengehörigen 
Volke heraus der Stil. Will man also 












Z X 

B. B, 
K EU 



1 

ii 



-.f^> MODERNE INNENEINRICHTUNGEN <^-5- 



NACHTTISCHCHEN « ENTW. VON 
J. VON CAHLNBiCK « AUSGE- 
FOhRT von KUNSTTISCHLER 
KLOTZ, ST. PETERSBURG «««« 



dem neuen Stil in die Hände arbeiten, 
muss man die Individualitäten Frei machen 
und sich entwickeln lassen. AuF die 
Frage der Inneneinrichtung übertragen, 
ergiebt sich hieraus die Forderung, dass 
jeder so viel als möglich seinen per- 
sönlichen Geschmack, sein persönliches 
Empfinden zur Geltung bringen soll, 
dass jedes Stück Möbel innerlich aus- 
sprechen soll, wem es zugehört. 

Was den Ausdruck der Zweckbe- 
stimmung jedes einzelnen Möbels anbe- 
trifft, so legt man in England, von 
welchem Lande wir den Stil der mo- 
dernen Inneneinrichtung zum grossen 
Teil übernommen haben, weit mehr 
Nachdruck auf den Gebrauchszweck 
als bei uns. Die hier in den Abbil- 
dungen vorgeFührten Inneneinrichtungen 
von dem weltberühmten Hause Liberty 
& Co. in London (Abb. S. 359/60) würden 
ebenfalls Für deutsche Landhäuser sich 
eignen, nicht aber Für deutsche Stadt- 
wohnungen, dagegen passen sie, ohne 
. dass man diese Einschränkung zu machen 
braucht, Für das englische Heim vor- 
züglich. Auch findet man hier nichts 
von der in Deutschland gepfiegten Vor- 
liebe Für geschweifte Linien. Sämtliche 
Möbel machen einen in gutem Sinne 
bäuerlich-einfachen und doch vornehmen 
und modernen Eindruck. heihr. pudor 



Das von Bernhard Pankok 
entworfene Speisezimmer (Abb. 
Seite 355) ist eine tüchtige Leistung, 
welche den beiden Zielen mo- 
derner Einricbtungskunst: der In- 
dividualität und der Zweckdien- 
lichkeit gleichermassen gerecht zu 
werden sucht. Die mattpolierten 
Möbel aus amerikanischem Nuss- 
baumholz sind zum Teil mit reichen 
und geschmackvollen Intarsien ver* 
ziert, von jeher eine Lieblings- 
technik dieses Künstlers, der über 
altes gern in Linien und Farben 
fabuliert. Die Fülle seiner reichen 
schöpferischen Phantasie äussert 
sich auch sehr eigenartig in der 
schmiedeeisernen Heizkörperver- 
kleidung, die ein wirksames Gegen- 
gewicht zu dem grossen Lüster 
aus gleichem Material bildet. Beide 
Arbeiten zeigen technisch die hohe 
Vollendung, die allem eignet, was 
in den Vereinigten Werkstätten 
für Kunst im Handwerk hergestellt 



PAUHENSTXNDEH ■ ENT- 
WORFEN VON RICKARD 
MOLLER • AUSGEF. V. K. M. 
SEIFERT & CIE., DHESDEN 



^,-fe^> MODERNE INNENEINRICHTUNGEN <^-c- 



wird. Nicht unerwähnt soll noch 
der originelle Weinkühler bleiben, 
den Frl. Meta Honigmann ge- 
zeichnet hat, und der freundliche 
Anerkennung verdient. — Ebenso 
behaglich wie das PANKOK'sche 
Zimmer in seinen anmutigen, 
hellen, fein abgestimmten Farben- 
tönen wirkt der von F. A. O. 
Krüger und W. Keppler ent- 
worfene Arbeitsraum (Abbildung 
Seite 357). Er ist durchaus in 
dunklen Farben gehalten. Die 
tieftonig gebeizten Eichenmöbel 
lehnen sich allerdings in Form 
und Konstruktion stark an 
frühere RieMERSCHMio'sche Ar- 
beiten ähnlicher Art an, bewähren 
sich aber auch in dieser Neuge- 
staltung; besonders die Raum- 
wirkung als Ganzes ist sehr glück- 
lich berücksichtigt. Bruno Paul's 
in kräftiger Schnurstickerei aus- 
geführter Vorhang passt mit 
seinem schönen Dunkelblau vor- 
trefflich in die Stimmung dieses 
Interieurs. In einem in heller 
Eiche ausgeführten Garderobe- 
halter, den wir auf Seite 353 
wiedergeben, vereinigt W. Kepp- 
ler in lobenswerter Weise prak- 
tische Zweckerfüllung mit gutem, 
einfachem Geschmack, verleugnet 
aber auch hier nicht das Ribmbr- 
scHMiD'sche Vorbild. Wie die 
Ueberzeugung von der Notwendigkeit, ein- 
fach zu sein und nur innerhalb dieser Ein- 
fachheit, Geschlossenheit und Logik die eigene 
Art zum Ausdruck zu bringen, allerorten 



Wurzel schlägt und das Schaffen beeinflusst, 
davon sind auch Arbeiten, wie die von 
Richard MOller in Dresden (Abb. Seite 356) 
und von Friedrich Spiegel, dem Leiter 
der „Maison moderne' in Budapest, wohl- 
thuende Beweise (Abb. Seite 361 u. 362). 

Auch die beiden kleinen Mobiliarstücke des 
Petersburger Architekten J. v. GahlnbXck 
(Abb. Seite 360 u. 361) sind mit grossem 
Geschick konstruiert und geschmackvoll ver- 
ziert. Wir erwähnen noch den von L. Lischt- 
vau, Petersburg, entworfenen Lehnstuhl 
(Abb. Seile 360), welcher bequem und ge- 
diegen und in seinem ausgesprochen nor- 
dischen Charakter von guter Wirkung ist, 
und E. Wiegandt's schlichten Sekretär und 
Atelierschrank (Abb. Seite 363), die bei all 
ihrer Einfachheit angenehme, gefällige Formen 
aufweisen. 



WANDSCHRÄNKCHEN ■ ENTWORFEN VON 
J. VON GAHLNBiCK ■ AUSGEFÜHRT VON 
KUNSTTISCHLER KLOTZ, 



KONKURRENZ FÜR EIN BRUNNENDENKMAL IN KEMPTEN 

Von Erich Haenel 



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gezeii 
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dem immer häufiger werdenden Zurück- entstehen sahen, soll sich jetzt ein weiterer 



-^,,^> MODERNE INNENEINRICHTUNGEN <^-o- 



UDAPEST ■ ATELIERSCHRANK UND SEKRETÄR 



drei Varianten den engen architektonischen 
Zusammenhang mit der Kirche her. Am 
glücklichsten wohl da, wo sich aus der wuch- 
tigen steinernen Balustrade, die der vom Quer- 
schifT gebildeten Ecke einen rechtwinkligen 
Abschluss giebt, der Brunnen in Form eines 
von vier Rundgiebeln und einem Spitzdach 
tiberragten gedrungenen RundpFeilers erhebt. 
Unter ihm öffnet sich in einem Rundbogen 
die Wasserschale; auf dem Postament des 
Pfeilers stehen, an diesen gelehnt, die Ge- 
stalten des Abtes und der Kaiserin, welche 
schützend ihre Hand auf das Haupt des einen 
Wappen halten den Knaben legt. Das Ganze 
hangt wohl in den Proportionen und in ein- 
zelnen Details, wie der Form des Kapitells, 
mit der romanischen Stilsprache zusammen, 
giebt sich aber im Aufbau und besonders in 
der ungesuchten Anmut, mit der die beiden 
Figuren der Architektur eingeordnet sind, als 



ein mit bemerkenswertem Feingefühl vor allem 
architektonisch durchempfundenes Neues. Da- 
neben will der Gedanke, über dem Brunnen- 
becken eine mehrRgurige Scene vollplastisch 
in einem Steinbogen unterzubringen, den ein 
zweiler Entwurf verkörpert, als eine Art 
Kompromiss mit Reliefbildungen weniger klar 
und darum auch weniger monumental er- 
scheinen, während sich die Verbindung der 
mächtigen sechseckigen Brunnenschale mit 
einer von zwei gedrehten Säulen getragenen 
Bogenhalle, die sich wiederum an die Kirchen- 
wand anlehnt, in ihrer massigen Formen- 
gebung für das schlichte Motiv zu anspruchs- 
voll präsentiert. Durch die Zurückhaltung 
in den architektonischen Teilen sichert sich 
der Entwurf Ionatius Taschner's eine im 
guten Sinne populäre Wirkung: hier bekrönt 
die Figur des Abtes Magnus den ganzen 
Aufbau, der sich aus einer Rundschale und 



-^^^> KONKURRENZ FÜR EIN BRUNNENDENKMAL IN KEMPTEN <^^ 



JOSEF FLOSSMANN UND'OTTO RlEMERSCHMtD « BRUNNENMODELL 



einem mächtigen, durchgehenden Mittelpfeiler 
im wesentlichen zusammensetzt. Die phan- 
tastische Tierornamentik ist ebenso originell 
erfunden wie die Gestalt des Heiligen, der 
mit weltvergessener Andacht in seinem Gebet- 
buch liest. Bei Georg Wrbas Entwurf, 
der mit dem ersten Preise ausgezeichnet 
wurde, möchte man dagegen dem Zuviel an 
formalen Motiven einige Bedenken entgegen- 
setzen. So zierlich auch die offene Bogen- 
halle sich über dem breitgestuften Unterbau 
aufschwingt, so ungezwungen sich die vier 
Wasserbecken anordnen, so wäre doch damit 
dem künstlerischen wie praktischen Bedürfnis 
völlig Genüge gethan. Den geistreich durch- 
geführten Scherz, die lustigen Wald- und 
Wassergottheiten auf vier halb real, halb als 
Fabelwesen gestaltete Tiere zu setzen, lässt 
man sich schon eher gefallen. Hermann 
Obrest nennt seinen Entwurf, bei dem in 
glücklicher Weise der Thatsache Rechnung 
getragen wurde, dass zur Speisung des Brun- 
nens nur eine geringe Wassermenge vor- 
handen ist, ein „Monument in Verbindung 
mit einem Wasserbecken". Das kennzeichnet 
die künstlerische Tendenz zur Genüge. Ein 
mächtiger, von einem kolossalen Keilstein 



geschlossener Spitzbogen wachst aus einem 
rechteckigen Becken hervor. An dessen 
Schmalseiten bildet sich aus mehreren inein- 
ander geschobenen würfelartigen Blöcken )e 
eine Art Postament. Wie auf der höchsten 
Bekrönung der Hl. Magnus, so ragen hier 
die Gestalten der Kaiserin und, als Komple- 
mentärflgur etwas erzwungen , eines wehr- 
haften Bauern des frühen Mittelalters auf. 
Sie stehen als möglichst ruhig gehaltene 
Vertikale in schärfstem Gegensatz zu den 
lastenden, trotz des Bogens durchaus boden 
wüchsig, horizontal gebundenen archttektoni 
sehen Aufbau. Von der Breitseite aus -wirk 
das Ganze mehr wie die Bekrönung eine 
grösseren baulichen Masse als wie ein selb 
ständiges Bildwerk; die Schmalseite dagege 
lässt der Lotrechten den bestimmenden Accen 
und arbeitet damit einer geschlossenen Moni. 
menterscheinung in die Hände. Die charaktei 
volle Eigenart des Obhist' sehen Entwurf 
die grosszügige Behandlung, besonders auc 
des Skulptiven, wird auch der gern ane 
kennen, dem die malerische Einordnung g 
rade dieses Werkes in die gegebenen Raur 
Verhältnisse etwas problematisch ersctiein« 
mag. ^ ^ V V^ 



UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE 



Von Karl Schefflbr 



^^ 
Dil* 

Einst* 



Unterrichtsfragen sind stets mehr oder 
weniger problematisch; vor allem aber 
doch die auf eine konsequente Erziehung 
zur professionellen Kunstübung gerichteten. 
Um der Kompliziertheit des Problems vom 
Unterricht im Kunstgewerbe mit einigem Er- 
folg beizukommen, müsste die Materie von 
einem Sozialökonomen, einem Staalsmanne 
und einem Aesthetiker behandelt werden. 
Von jedem in seiner besonderen Veise, doch 
unter der Leitung einer einzigen Kulturten- 
denz. Darauf müsste ein genialer Kopf sämt- 
lichen Meinungen den gemeinsamen Faktor 
suchen, aus drei Antworten 
die eine machen, worin alle 
andern schon enthalten sind. 
Dieser Extrakt würde dann 
ein Arkanum darstellen; nur 
würde nicht einer dem ^un- 
dermanne glauben, keiner 
die Anwendung der uner- 
hört kräftigen Medizin ge- 
statten. Das Heilmittel würde 
langsam auf den Regalen 
verschimmeln, wohin alle 
Utopien — und ihrer sind 
in unserer wirren Zeit Le- 
gion ^ aus dem Bereich 
des nüchternen Lebens ge- 
stellt werden. Zu einer 
Idee gehören immer zwei: 
einer, der sie ausdenkt, und 
ein anderer, der sie auf 
sich anwenden Usst. Ge- 
rade der .andere", der 
„grosse Krumme" Peer 
GvNTS, ist die wichtigere 
Partei, und in Fragen der 
Kunst wird sein Widerstand 
fost unüberwindbar. Er lebt, 
nach Schiller's feinem 
Wort von den beiden Polen, 
worin die moralische Welt 
hängt, nur dem Hunger 
und der Liebe. Die Masse, 
die in Fragen wirtschaft- 
licher Kunst in letzter In- 
stanz entscheidet, geht nur 
sichtbarem Nutzen, nahe- 
liegenden Profiten nach ; 
ideale Forderungen und hu- 



manistisch-ästhetische Ideen fallen meist als 
moralische Ohrfeigen an den fordernden 
Idealisten zurück. 

Das Leben kann einen trotzdem in die 
Lage bringen, dass Probleme, zu denen man 
in einem Zwangsverhältnis steht, Antwort 
heischen. Auch der, dem die Qualitäten 
eines Staatsmannes und Sozialökonomen 
fehlen, der nur ein dürres Aesthetentum 
sein eigen nennt, kann nicht umhin, die 
Fragen unserer kunstwirtschaftlichen Entwick- 
lung zu untersuchen, selbst mit dem klaren 
Bewusstsein der praktischen Nutzlosigkeit 



GEORG WRBA • BRUNNENMODELL 



-!f-^> KONKURRENZ FÜR EIN BRUNNENDENKMAL IN KEMPTEN <^^-o- 



N OBRIST • ENTWURF ZU EENEM MONUMENTE IN VERBINDUNG MIT EINEM VASSERBECKEI 



und in der Stimmung 
vollständiger Resigna- 
tion. Einem vertrauten 
Leserkreise, mit dem 
man sich seit Jahren 
gut unterhält (wer das 
Wort Führt, unterhalt 
sich immergut], ist man 
auch schliesslich Auf- 
klärung darüber schul- 
dig, dass man au T eine 
wichtige Frage be- 
dauernd mit einem „ich 
weiss es nicht" ant- 
worten muss. 

Oft hat mich die Frage 
beschäftigt, wie der 
Unterricht im Kunst- 
gewerbe zu reorgani- 
sieren sei; jetzt folgt 
die Erkenntnis, dass die 
positiven Gedanken da- 
rüber mehr oder we- 



niger Spielereien am Schreibtisch waren. 
Man glaubt, alle Faktoren berücksichtigt zu 
haben, und erfährt bald, dass der ganze Ge- 
dankenbau bei der ersten Anrempelung der 
Wirklichkeit einstürzt; die Rechnung scheint 
zu stimmen, und schliesslich stellt es sich 
heraus, dass der Rest grösser ist als die 
Summe. Für den Schreibenden ist nichts 
leichter als das sogenannte »Positive". 
Schwierig und freilich auch fruchtbar wird 
es nur dem Handelnden, der nicht Ideen, 
sondern Menschen in Bewegung setzt. Der 
Schriftsteller fürchtet sich gar zu oft vor 
dem billigen Vorwurf, er sei zu negativ. 
Das charaktervolle Verneinen ist jedoch seine 
erfolgreichste Thätigkeit; denn wie er das 
Falsche bekämpft, bereitet er dem Besseren 
schon den Boden. Hierüber giebt es ein 
gutes Wort von John Stuart Mill; „Es ist 
heutzutage Mode, negative Logik zu miss- 
achten, welche die theoretischen Schwächen 
oder die praktischen Irrtümer nachweist, ohne 
positive Wahrheiten festzustellen. Als Schluss- 



-.r-^ UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^-c- 



N OBRIST ■ ENTWURF ZU EINEM MONUMENTE IN VERBINDUNG MIT EINEM WASSERBECKEN 



ergebnis wäre eine solche verneinende Kritik 
in der That ärmlich genug; aber als Mittel, 
irgend eine positive Kenntnis oder Ueber- 
zeugung, wert dieses Namens, zu erlangen, 
kann sie nicht hoch genug geschätzt werden." 
in unserer bewegten Uebergangszeit können 
scharfumrissene Vorschläge in schwierigen 
Fragen nur einseitig den Interessen eines 
Standes oder einer Partei dienen. Jeder Fach- 
mann will die Vertretung seiner Vorteile, und 
wer es einem recht macht, setzt sich meist zu 
wirksamen Kräften des Lebens in Widerspruch. 
Die Frage des Unterrichts im Kunstge- 
werbe ist ein wahrer Rattenkönig von Rätseln. 
Dieser Punkt der sozialen Lebensfläche 
wird von unendlich vielen Linien der 
Kulturentwicklung geschnitten, aber nicht 
eine endtgl in ihm. Die Aesthetik kreuzt 
an dieser Stelle die profane Zweckmässig- 
keit, die soziale Kulturphilosophie schneidet 
hier die Richtung der Wirtschaftspolitik, der 
demokratische Altruismus trifft in demselben 
Punkte auf den aristokratischen Klassenegois- 



mus, und die Zickzackbe* 
wegung des Fortschrittes 
muss die breite Kurve der 
Tradition überwinden. Schon 
diese Anziehungskraft des 
Problems sollte dem Staats- 
manne zu denken geben. Er 
freilich kann sich nicht thätig 
regen, bevor ihm grundlegen- 
de nationalökonomische Ar- 
beiten zur Verfügung stehen. 
Die aber fehlen noch ganz. 
Nur die Aesthetiker, die 
schaffenden Künstler und ihre 
kritischen Eideshelfer, sind 
eifrig gewesen, der neuen 
künstlerischen Arbeit solche 
Konsequenzen zu suchen, die 
auch das Gebiet des Unter- 
richtswesens berühren. Ihre 
Grundstimmung ist der Op- 
timismus, wie ihn die Liebe 
zur Sache diktiert. Gar zu oft 



verlieren sie sich aber in Kulturträumen und 
sind nicht die Männer — brauchen es nicht 
zu sein — eine verwickelte Sache mit genialer 
Nüchternheit und unerbittlichem Realitäts- 
bewusstsein zu bearbeiten. Unsere Ver- 
waltungsbeamten, die in ihrer Position viel 
thun könnten, knicken meist vor Unterneh- 
mungen, die über lokale Vereinsmeierei hinaus- 
reichen, erschrocken zusammen und spotten 
im Kreise der sieben Schwaben des Radika- 
lismus. Ach, und wie sehr fehlt gerade 
die Radikalkur! 

Die Politiker von Beruf haben alle Hände 
voll mit Parteifragen zu thun, lassen die 
Imponderabilien prinzipiell aus dem Spiel 
und streben dem sich fortbewegenden Ziel 
naiv in der Hundekurve zu. Trotz der Lehren, 
die so leicht zu sammeln sind: dass das künst- 
lerische Vermögen eines Volkes auch ein 



^■-fe!5> KONKURRENZ FÜR EIN BRUNNENDENKMAL IN KEMPTEN <^-t^ 

Stück Nationalwohlstand ist, lernen sie mit 
solchen Grössen im Staatshaushalt nie rech- 
nen. Sie halten sich an Werte, die in 
statistischen Tabellen zu registrieren sind; 
und doch lässt sich der wirtschaftliche Wert 
einer Kunst, wie z. B. der von Morris oder 
VoYSEY in Pfunden und Schillingen nach- 
weisen. Denn ohne diese Männer wäre Eng- 
lands Export im Kunstgewerbe nicht halb 
so gross gewesen. Dennoch berücksichtigt 
niemand solche Talente, die nationale Wohl- 
standsquellen sind, in wirtschaftspolitischen 
Kalkulationen. Erst wenn die Kunst zur Indu- 
strie geworden und nach Mass und Gewicht 
rubriziert, der Versand nach Zahlen gebucht 
werden kann, bekommt sie Interesse für den 
Staatsmann. Der Rohstoff, die Arbeitslöhne, die 
Spesen — das alles wird in Rechnung gestellt; 
nur die Kraft, die alle Hände erst zweckvoll in 
Bewegung setzt, zählt nicht 
mit. Entweder bestimmt — 
inganzseltenen Fällen — der 
Künstler die Richtung ge- 
werblicher Entwicklungen, 
oder die Industrie zwingt 
Kunst und Politik in ihre 
ziellosen Bahnen : eine Kon- 
trolle hat der Staatsmann nie 
über das Spiel der Kräfte. 
Es wäre ein höherer Zu- 
stand, wenn er mit dem 
Werte schaffenden Künstler 
Fühlung hätte und dessen 
Arbeit einer zweck vollen 
Politik nutzbar zu machen 
wüsste — unbeschadet aller 
artistischen Ideale. Nichtdie 
staatliche Sanktionierung 
des fait accompli ist wichtig, 
nicht die politische Aus- 
nützung des Zufalles, son- 
dern die Leitung der Ideal- 
krifte zu grossen allge- 
meinen Zwecken. In solcher 
Weise kann eine fortschritt- 
lich-konservative Politik ge- 
macht werden. Freilich ge- 
hört dazu, neben der klaren 
politischen Vernunft, das 
feine Gefühl für ästhetische 
Kuiturwerte. 

So genügt es nicht, wenn 
ein führender Künstler — 
vorausgesetzt er sei recht- 
zeitig erkannt worden — 
einer bestehenden Institu- 
tion eingegliedert, also 
iGNATius TASCHNER ■ BRUNNENMODELL etwa als Lehrer an eine 



-3-^> UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^^ 



JOSEF FLOSSMANN UND OTTO RIEMERSCHMID « BRUNNEKMODELL 

Kunstgewerbeschuleberufen wird. Systemesind haben und nun in zwei Semestern eilig 
immer stärker als Individualitüten; im Geschirr lernen wollen, was ihnen einen höheren Lohn- 
wird der Feurigste Gaul zahm. Das am nächsten satz garantiert. Das Ideal ist all diesen jungen 
liegende Beispiel möge für viele stehen. Leuten furchtbar gleichgültig; sie suchen nur 

Vor ein paar Jahren, als eben die Bewe- scharfe Waffen für den wirtschaftlichen Kampf 
gung in den angewandten 
Künsten einsetzte — also 
früh genug — ist man in 
Berliner Schulkreisen auf 
Eckmann aufmerksam ge- 
worden und hat ihn zum 
Professor an der Kunstge- 
werbeschule gemacht. Diese 
tüchtige Kraft, die im In- 
stinkt genau das Gegenteil 
wollte wie die staatliche 
Schule, wurde einer Organi- 
sation eingefügt, der sie sich 
anzupassen hatte. Man er- 
wartete nun Wunderdinge. 
Aber ein noch viel stärkeres 
Temperament hätte unter 
den gegebenen Verhaltnissen 
keine Erfolge erzielen können. 

Die Schüler der Anstalt 
sind der Sekunda spät ent- 
ronnene „Volontäre" eines 
Gewerbes, oder auch Hand- 
werksgehilfen, die sich in 
mühsamer Bauarbeit das Geld 
für den Schulbesuch erspart josef flossmann und otto riemersckmid • brunnenmodell 

..ek^i.. Ku„,,. V, ,., ,u,i ,^=. 369 rt 



^P.^> UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^u^ 



PAUL KERSTEN 



Kulturarbeiier zu ziefaen. Lächer- 
liches Begehren! Unter all seinen 
Leuten findet er vielleicht einen 
versprengten Idealisten. Die an- 
deren, mit den oft geschickten 
Fingern, fühlen sich nebenbei wohl 
^oz gerne als Stützen der neuen 
Bewegung und brüsten sich auf 
den Korridoren vor ihren Kame- 
raden, die noch bei irgend einem 
alten Barockprofessor schwitzen; 
aber die nüchterne Notwendigkeit 
des Arbeiismarktes verlieren sie 
docb nicht einen Augenblick aus 
den Augen, und sie gehen nur 
mit dem Lehrer, solange dessen 
modernen Allüren von der Mode 
nacbgeFragt wird. Zur Selbst- 



ums Dasein. So lange der ,mo< 
deme Stil" en vogue ist, geben 
sie zu EcKMANN ; erfolgt eine Re- 
aktion wie eben ietzt, so ziehen 
sie eine Thür weiter zum Deko< 
rationsathleten Max Koch oder 
eine Etage höher zum Allumfasser 
DöPLER. Von Talent, das beisst: 
von Künstlerwillen und gesulten- 
der Energie ist keine Rede; sie 
wollen nicht ein Prinzip zur Gel- 
tung bringen, sondern im breiten 
Strom der Mode möglichst behag- 
lich zu Thal treiben. Nun sollte 
ein ECK-MANN versuchen, aus 
solchem Material, aus der Halb- 
bildung in ihrer abschreckendsten 
Form, einen Stamm selbständiger 



PAUL KERSTEN 

siändigkeit gelangen sie nie, weil 
alle Vorbedingungen des Charak- 
ters, des Intellekts und der Be- 
gabung fehlen: ihnen bleibt nur 
die Nachahmung. Der ganze Fort- 
schritt besteht darin, dass hier 
nicht mehr historische Stile nach- 
geahmt werden , sondern dass 
die individualistische Manier des 
Lehrers als Vorbild dient. Auf 
Nachahmung sind die Schulen 
ganz bewusst eingerichtet und mit 
Recht; denn diese Intelligenzen 
sind nur mit Hilfe ästhetischer 
Begriffsstutzen, mit einer Samm- 
lung allgemeingültiger Gewerbe- 
schönheiten zu erziehen. 

Es ist vor drei Jahren an dieser 
Stelle vorhergesagt worden, dass die 
Imitationen in der Eckmannklasse 



-.-.^> PAUL KERSTEN <^-^ 



PAUL KERSTEN 



PAUL KERSTEN 



drastisch werden müssten. Prophetengabe 
gehörte nicht dazu. Nicht zu zählen ist es, 
wie oft z. B. die Tapete „Kapuzinerkresse", 
diese ganz persönlich japonisierende Natur- 
anschauung, zum Ausgangspunkt von .Kom- 
positionen" gemacht ist, wie häufig die eigen 
willigen Flamingomotive des Lehrers ver- 
ballhornisiert worden sind. Das ist nicht 
Schuld Eckmann's. Dieser hat Fein und klug 
— viel zu klug für solche starkknochigen 
Jünger — immer auf die Natur hingewiesen, 



als auf den Ersatz für die Sammlung. Wäre 
VAN DE Velde Lehrer solcher Klasse, so 
würde die ganze Schülerschar in zwei Jahren 
räuspern und spucken wie er. Darum ist es 
auch mehr heiter als tragisch, was jetzt an der 
Berliner Anstalt vorging, nämlich der Durch- 
fall Eckmann's, van de Velde's, Lechter's, 
Lederer's und der Sieg Max Koch's und 
der mit seinem Geiste Gesäugten, das heissl: 
der Sieg der ästhetischen Reaktion, die Rück- 
kehr zum „modernisierten Historischen". 



PAUL KEHSTEN 



J. COBDEN-SANDERSON 



-,.-^> S. POMEROY <:^^ 



S. POMEROY 



An leitender Stelle rieb man sich nach EcK- 
MANN*s Berufung die Hände (weiss nicht, wie 
viele es sind) und harrte der Erfolge. Es 



blieb natürlich ganz beim alten. Eckmann 
musste wie alle Welt seine Entwürfe, die 
unter der reglementmässigen „Heranziehung 
von Schülern" sehr üppig entstanden, der 
Industrie verkaufen, und die Fabrikanten 
mussten auch diese wertvolleren Arbeiten, 
gezwungen vom System der Konkurrenz, 
zur Saisonware degradieren. So geriet der 
Künstler, wie der erste beste seiner Schüler 
— nur mit Honorarunterschieden — in das 
wirtschaftliche Getriebe hinein, dem zu steu- 
ern er berufen worden war. Seine ursprünglich 
allen guten Einflüssen empfängliche Tüchtig- 
keit that nicht ein Zehntel der Wirkung auf 
die Gestaltung des Marktes, die sie unter 
andern Umständen hätte thun können; was 
der Kulturtrieb mit solchen neuartigen, spon- 
tan auftretenden Begabungen gemeint hat, 
wurde Niemandem recht klar. 

Es gab andere l^tögl ich ketten. Man hätte 
dem Künstler eine Werkstätte überweisen 
können, eine Meisterwerkstatt, im Gegensatz 
zu den Meisterateliers, — wo er Lehrer und 
Lernender zugleich gewesen wäre. Lehrer 
nicht für kunstgewerbliche Zeichner, sondern 
für thätige Handwerker, nicht angewiesen 
auf industrielle Ausbeutung seiner Fähig- 
keiten, sondern besoldeter Kulturexperimen- 
tator. Dort hätten Waren von instruktiver 
Eigenart entstehen können, die in einem 
kleinen Laden als konkurrenzlose Artikel 



^r-s^> UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^^^ 



?AUL KERSTEN 



MODERNE SCHACHFIGUREN 



sicher begehrt worden wären, die gewiss 
ebensoviel vorbildlichen Wert für manches 
Gewerbe gehabt hätten, wie die Erzeugnisse 
der Königlichen Porzellanmanufaktur — haben 
sollten. Der Hof hätte nur dieses Unter- 
nehmen zu protegieren brauchen, um eine 
Mode ins Leben zu rufen , die ihrerseits 
erzieherisch auf den Markt zurückgewirkt 
hätte. In solcher Meisterwerkstatt hätte Eck- 
mann seine Tapeten selbst gedruckt, unter 
seinen Augen wäre das Metall gehämmert, 
das Holz bearbeitet worden, er hätte 

Schon gut. Ich meine ja nur. Mir wird 
heiss und kalt, während ich so mit Konjunktiv 
und Plusquamperfeclum wirtschafte. Die 
Frage ist nicht so einfach. Denn es handelt 
sich darum: will die Regierung eine Politik, 
die Schranken gegen den überwuchernden In- 
dustrialismus auftürmt? Offenbar doch nicht. 
Alles deutet darauf, dass die Industrie das 
Uebergewicht hat — trotz des erhöhten Kom- 
zolies. In dem Falle aber, dass bewusst In- 
dustriepolitik getrieben wird, ist das System 
der Kunstgewerbe-Schulen, die Heranzüch- 
tung eines Zwischenstandes, der Zeichner, 
ganz logisch. Die Frage spitzt sich also zum 
politischen Glaubensbekenntnis zu; und doch 
glaubt man gemeinhin sie mit der Aesthetik 
lösen zu sollen. 

Merkwürdig ist es, dass der verstockteste 
Agrarier vom Segen der Kunstgewerbe-Schulen 



ebenso fest überzeugt ist, wie der liberale 
Kommerzienrat. Ein bischen Kunst, meint 
jeder, ziert den ganzen Menschen und die 
Nation nicht minder. Es wird als Sünde 
wider den heiligen Geist empfunden, als 
finsteres Reaktionsgelüste, wenn man der 
thörichten Bildungsmacherei unserer Tage 
entgegentritt. 

Jeder Künstler weiss, dass nichts schwerer 
ist, als im Kunstwerk das Zuviel zu ver- 
meiden ; in der Staatskunst ist es genau das- 
selbe, und nirgends wird gegenwärtig doch 
schwerer gegen diesen Fundamentalsatz ge- 
fehlt. Alle sollen alles wissen oder doch 
eine Ahnung von allem haben, das Recht 
des Schwachen wird in allen Gassen ver- 
kündet. Das Ergebnis ist, dass jede wohl- 
thätige Schranke fällt und der geistige Ge- 
halt der Arbeit sich im Treiben der Welt 
verflüchtigt. Der Durchschnittsmensch hat 
mehr mit dem Verlernen zu Ihun als mit 
dem Lernen; fast unmöglich wird es ihm 
gemacht, einfach zu bleiben, einen Beruf von 
Grund auf zu üben und seine Weltanschau- 
ung aus der Arbeit — der edelsten Quelle 
aller Sittlichkeit — zu gewinnen. Nach allen 
Seiten muss er Dinge merken, die ihn gar- 
nichts angehen, und das vollständig zersplit- 
terte Leben ist eifrig bemüht, den zur inne- 
ren Sammlung Veranlagten zu zerstreuen. Und 
das, während der Einzelne sozial und im 



■^=-iaS> FERDINAND MORAWE <^^ 



OHRRINGE AUS GEHÄMMERTEM GOLD MIT TOrKISEN UND SAPHIREN 



OHRRINGE AUS GEHÄMMERTEM GOLD MIT KLEINEN BRILI 

ENTWORFEN VON FERD. MORAWE « AUSGEFÜHRT VON THEODOR FAHRNER, PFORZHEIM 



~<r^S> FERDINAND MORAWE <^-^ 



VERGOLDETER HiNGESCHMUCK AUS GETRIEBENEM SELBER MIT AMETHYSTEN 

ENTWORFEN VON FERD. MORAWE • AUSGEFÜHRT VON THEODOR FAHRNER, PFORZHEEM 



-s-%=5> GEORG KLIMT <S^-^ 



Beruf nichts ist als ein Maschinenteil, wahrend 
keines der künstlich aufgegeiiten Gelüste be- 
friedigt werden kann. Wie soll das Volk ein 
rechtes Verhältnis zur Kunst ßnden, wenn ihre 
Werke gemein sind wie Brombeeren. Es 
giebt bald keinen Fetzen Papier, worauf die 
nichtsnutzige Pseudokunst nicht ihre eklen 
Zierate anbrächte. Das Vorrecht zur Ein- 
fachheit hat heute nur der Wohlhabende; der 
Unbemittelte muss die Fabrikkunst wohl oder 
übel in den Kauf nehmen. Man sitzt auf 
einem verdrechsetten Stuhle, an einem Tisch, 
dessen Verzierungen die Beine martern, isst 
von blümchenbunt dekoriertem Geschirr, 
trinkt aus ornamental geätzten Gläsern, raucht 
Zigarren aus Kisten, die mit Etiketten grell 
tapeziert sind, thut die Asche in dekorative 
Aschbecher, liest in Büchern mit reichgezeich- 
netem Einband und der letzte müde Blick 
fällt auf einen mit Guirlanden und Arabesken 
greulich bemalten Plafond. Der Anfang zu 
einer Kultur müsste sein, dass dies alles 
fehlte. Aber dazu ist wenig Aussicht vor- 
handen, trotz aller idealen Kunstbewegungen. 
Genau diese Kunst will das Volk, zu solchen 
Ansprüchen ist es seit Jahrzehnten künstlich 
ermuntert worden, das Opfer der kunstindu- 
striellen Spekulationswut geworden, und mit 
seinen rohen Instinkten hat der Fabrikant 
genau so gerechnet, wie der Kapitän es wilden 
Völkerschaften gegenüber beim Tauschhandel 



GEORG KLtMT « IN KUPFER GETRIEBENE WANDUHR 



GEORG KLIMT • ]tt KUPFER GETRIEBENE TANDUHR 

thut. Nun wird von den Aesthetikem Lärm 
geschlagen, und das .Volk" muss seines 
schlechten Geschmacks wegen allerhand 
Uebles hören. Es hat aber überhaupt keinen 
Geschmack, weder guten noch schlechten, 
sondern nur Kunstinstinkte. Kultur entsteht, 
wenn die Masse mit der Kunst nirgend zu 
thun hat, als in der Kirche. Nur als reli- 
giöses Suggestivmittel trat früher die so- 
genannte Volkskunst auf; jetzt ist sie zur 
grauenvollen Thatsache geworden, als in- 
dustrielles Spekulationsmittel. 

Der Konsument ist ebensowohl Opfer der 
Prolitwut, wie der kunstgewerbliche Zeichner. 
Immer neue Zeichnermassen werden in den 
staatlichen Anstalten ausgebildet und über- 
schwemmen Werkstatten und Fabriken. Der 
Industrielle bekommt die Kunst fast gratis. 
Er engagiert sich Zeichner, deren Hunger- 
löhne für ihn kaum in Betracht kommen, 
und verlangt täglich zehn Stunden lang 
Kunst, wie er von anderen Angestellten 
andere Arbeitsleistungen fordert. Man ver- 
gegenwärtige sich nur einmal, was aus den 
Zöglingen der akademisch prunkenden Staats- 
anstalten wird. Die einen haben in Textil- 
fabriken Entwürfe in allen historischen Stilen, 
bis zum „modernen" anzufertigen: nach 
Sammelwerken zusammengepauste „ Neu- 
heiten". Andere zeichnen ein ganzes langes 
Leben in lithographischen Anstalten: Post- 
karten mit Ansichten, Adressen, Diplome, 
Plakate. Sie müssen das ganze Weltall ab- 
konterfeien können. Noch andere entwerfen 



^r-^> UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^^ 



nur Etiketten für Zigarrenkisten, oder lernen 
methodisch Gehirnverrenkungen, um kon- 
kurrenzfähige Metallverzierungen hervor- 
bringen zu können, oder bemalen die Decken 
der Wohnhäuser mit Engeln und Blumen — 
im Tagelohn. Die Besten und Talentvollsten 
sind Specialisten für dies und das, für Plakate, 
Konfektion und Schmiedeeisen zugleich. Das 
geht Tag für Tag: Kunst, Kunst, immer neue 
Kunst, ein Monatsgehalt von 150 — 250 Mark 
als Durchschnitt und keine kleine Hoffnung 
für die Zukunft! Wie mancher von diesen 
Berufsidealisten wünscht sich nur ein paar 
hundert Mark Kapital, um einen Obstkeller, 
eine Zigarrenbude einrichten zu können. Die 
einen finden sich stumpfsinnig in ihr Los 
und vertroddeln; die andern, deren gutem 
Willen das Ziel genommen ist, schaffen sich 
einen rührend traurigen Freistundenidealismus. 
Jene haben nicht das geringste Interesse an 
einem Staat, der sie misshandelt; diese suchen 
nebenbei die Welt zu verbessern, in Theater- 
vereinen, philosophischen Clubs und am 
Stammtisch. Auf der Galerie der Theater, 
vor den Ladentischen der Leihbibliotheken, 
in den Konzerthallen, da kann man sie finden 
auf ihrer Jagd nach dem Feierabendglück. 
An ihrer Halbbildung gehen sie zu Grunde, 
denn alles wird zum Zerrbild im Menschen, 
wenn ihm die Arbeit eine Qual ist. 

Und dagegen sollten moderne Lehrkräfte 
etwas nützen I — Nur die Verzierung wird 
anders; was sonst Rokoko war, wird nun 
belgisch. Und wenn es belgisch 
geworden ist, wird dann auch nur 
das geringste gebessert sein? Ist 
es denn ein Au^chwung, wenn 
die Silberarbeiten in den besseren 
Schaufenstern etwa um eine Nu- 
ance weniger überladen sind? Ist 
der Geist besser geworden, weil 
der „Stil Jugend" etwas mehr 
Einfachheit verlangt? Und das 
besieNeue stammt doch nicht von 
Zeichnern, sondern von Künstlern 
und von — Autodidakten. Machen 
wir uns nichts vor: Geschmack 
lässt sich nicht lehren. 

Der Staat opfert der Industrie 
ein Stück Volkskraft und kümmert 
sich um die Folgen nicht weiter. 
Garantien für Arbeitsgelegenheit 
werden den Ausgebildeten von 
keiner Seite gegeben. Wird die 
Arbeit der „reinen" Künstler 
Mode, wie eben jetzt, so giebt 
der Fabrikant seine Aufträge nach 
dieser Seite, und die Zeichner 



sehen sich einer Arbeitsgelegenheit beraubt 
für die sie bestimmt waren. Es giebt selbst 
Museumsdirektoren, die in Kunstgewerbe- 
Vereinen den Industriellen immer wieder 
sagen; „kauft eure Modelle von Künstlern"; 
währenddessen werden in ihren eigenen In- 
stituten Schüler ausgebildet, die im natür- 
lichen Lauf der Dinge jene Arbeit doch 
sollten leisten können. Zu solchen Verzer- 
rungen führen die jetzigen Zustände, und es 
ist keine Aussicht auf Besserung. 

Das Handwerk als Stand ist nicht zuletzt 
dadurch geschwächt worden , dass es die 
Kosten des industriellen Triumphzuges hat 
tragen müssen. Die Handwerkersöhne werden 
zu Zeichnern und lernen trotz ihrer traurigen 
Beschäftigung das Werkstatigetriebe des 
väterlichen Berufes bald verachten. Diebesten 
Intelligenzen werden dem schwer ringenden 
Handwerk entzogen und in einen Zwischen- 
stand getrieben, der nicht aufs Gewerbe wohl- 
thätig zurückwirkt, sondern nur anreizend 
auf die Industrie. Was Wunder, dass der 
Handwerker selbst in solchen Zuständen un- 
tüchtig und immer mehr zum Flickmeister 
wird. 

Von welcher Seite man auch ausgeht ; 
der Kern des Problems liegt immer darin, 
dass alle Grossmächte Industriepolitik treiben, 
und es mehr oder weniger thun müssen. 
Die Weltbewegung der Industrie ist in 
der That wie ein Fatum, ein Anhalten 
scheint auf künstlichem Wege nicht mehr 



GEORG KLIMT • IN KUPFER GETRIEBENER RAHMEN 



'^>-i^> UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^^ 



möglich. Selbst Länder, wie Russland und 
Amerika, die die Bodenkrifte ihrer unge- 
heuren Reiche bei weitem noch nicht aus- 
gebeutet haben, industriealisieren sich schon. 
Ursprünglich nur, um sich vom Ausland unab- 
hängig zu machen; aber die Produktion über- 
steigert sich wie von selbst und Führt dann zum 
Export. Die Völker Europas wetteiFern im 
Ansuchen neuer, unerschlossener Absatz- 
gebiete, und schon Ist der Zeitpunkt voraus- 
zusehen, wo der Markt der Erde versorgt 
sein und die Hochflut zurückebben wird. 
Welch unendliche Krisen müssen dann aus- 
brechen! Inzwischen zeitigt die Expansions- 
politik eine ungeheuere Regsamkeit, weckt 
immer neu die Unternehmungslust und 
bringt einen Zug von Grösse in das uti- 
ruhvolle Getriebe der Geschäfte. Im Arbeits- 
eiFer werden die Menschen wieder hoffnungs- 
voll, und auf den Gründen der Fieberzustände 



wird von genialen Nerven menschen ein bewun- 
derungswürdiges System philosophischer Kul- 
turauffassung aufgebaut. 

Riesige Brücken werden von Ufer zu 
Ufer gespannt, um dem Verkehr Genüge zu 
thun; staunend steht der Künstler vor diesen 
Werken rücksichtslosester Vernunft und ab- 
strahiert eine neue Kunst davon. In seiucD 
Vorstellungen steigert das Nützliche sich 
phantastisch bis zur Grösse und hinter dem 
Gequirl des Broterwerbs sieht er die Mystik 
in Gestalt dunkler Kulturtriebe in Thätigkeit. 
Aus dem Uebermass des KräFteverbrauchs 
sondern sich höhere Intelligenzen ab, die dem 
beängstigenden Schauspiet eine Weltanschau- 
ung abzugewinnen trachten. Zu ihnen spricht 
nur das Edle, das in jeder imposanten KraFt- 
entfaltung liegt; mit hartem Eifer aber schelten 
sie die Brutalität, die daneben, nicht minder 
notwendig, sichtbar ist. Man vergisst, dass 



GASOFEN ■ ENTWORFEN UND AUSCEFOHRT VON W, J, STOKV1S, ARNHEIM 

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-..>.^> w. j. sTOKvis k:?^-*^ 



GASOFEN • ENTWORFEN UND AUSGEfDhRT VON V. J. STOKVIS, ARNHEIM 



die breite Pseudokunst, die mit tausend Segeln 
im Strome treibt, ein Ergebnis desselben 
Zustandes ist, der auf der anderen Seile zu 
neuem Fortschritt begeistert. Die moderne 
architektonische Kunst mit ihrer reichen Ent- 
wicklungsfähigkeit ist im wesentlichen ein 
Industrieresultat, aber die kunstgewerbliche 
Ueberschwemmung ist es nicht minder. Hier 
ist ein Schauspiel für nachdenkliche Gemüter. 
Schönes und Hässliches, Gutes und Schlimmes, 
Grosses und Niederes: alles fliesst aus der- 
selben Kraftquelle. Wer sich der Bewegung 
hemmend in den Weg stellt, wird Qberrannt, 
und Mittel der Kunst und Aesthetik gelten 
gegenüber dieser wirtschaftlichen Notwendig- 
keit, deren Zentrum nicht zu ermitteln ist, 
am wenigsten. 

Nicht so allgemein gesprochen : Der 
kunstgewerbliche Zeichner und seine Pseudo- 
kunst sind notwendig, solange es wichtige 
Industriezweige giebt, in denen Tausende von 
Arbeitern für den Export thätig sind. Wenn 
die Kunstgewerbeschulen eingingen, würden 
die beteiligten Industriekreise sofort Zeichner- 



schulen einrichten müssen, um die nötigen 
Kräfte zur Verfügung zu haben. Während 
der Uebergangszeit aber würden die betroffenen 
Fabrikanten mit ihrer weniger marktfähigen 
Kunstware in der internationalen Konkurrenz 
unterliegen, und Krisen mit den Folgen aus- 
gedehnter Arbeiterentlassungen und Er- 
schütterungen des Nationalvermögens würden 
sich daraus ergeben. Dazu kann die Regie- 
rung die Hand also schwer bieten. Vor 
dreissig Jahren, als die Kunstgewerbeschulen 
gegründet wurden, war es Zeit sich zurück- 
zuhalten ; damals hätte es der erst aufblühen- 
den Industrie überlassen bleiben sollen, sich 
selbst Zeichner nach Bedarf auszubilden. 
In solchen Dingen ist es immer gut, der 
Selbsthilfe die Initiative zu überlassen. Für 
den ästhetisch Entrüsteten hat ein Vorschlag, 
allen staatlichen Unterricht im Kunstgewerbe 
zu beseitigen, noch heute etwas Verlockendes; 
ich höre noch die energische Zustimmung 
eines unserer führenden deutschen Nutzkünst- 
lers, als ich den Gedanken einst aussprach. 
Man vergegenwärtige sich aber einmal: Die 



-rJ^Sy UNTERRICHT IM KUNSTGEWERBE <^i^ 



Dresdener Kunslgewerbeschule ginge ein, 
und die «ächsitche Textilindustrie wäre 
plötzlich ohne Zeichner, Mit ästhetischen 
Gefühlen darf hier eben nicht gerechnet 
werden ; es handelt sich um den Markt und 
um die nüchterne Logik der Produktion und 
Konsumtion. 

Die Engländer sind ein glückliches Volk. 
Sie haben im eigenen Lande und in den 
Hauptstädten des Kontinents genau so viele 
Kunden für ihre höhere, von den Präraffae- 
llten herstammende Werksiattkunst, wie sie 
brauchen. Für die greulichen Machwerke 
der Fabrikzeichner — die wie die Indianer in 
Morris' reichen Schätzen hausen - hat Eng- 
land seine ausgedehnte kaufkräftige und 
ästhetisch skrupellose Kotoniekundscbaft, die 
durch besondere Zollverbindungen der Indu- 
strie des Mutterlandes stets gewiss ist. Dieser 
sichere Absatz fehlt Deutschland vollständig, 
der reiche Konsument im eigenen Lande fehlt 
auch. Die deutsche Exportkunst wendet sich 
an Russen, Chinesen, Türken und brasilianische 
Mestizen zugleich. Der Zeichner treibt seinen 
idealen Beruf unter dem Schutze der Musen, 



damit irgend eine unsaubere brbige Dame 
am Aequator um Himmels willen Blümchen 
auf ihrem Kattunkleid hat. 

Die Verhältnisse sind jetzt in allen In- 
dustrieUndem so, dass zwei Arten von Kunst 
nebeneinander existieren: eine exklusive 
Kunst tÜT die zablungsßhigen Kulturträger 
und eine „Volkskunst* für die Masse und 
den Export. 

Welche praktischen Forderungen soll man 
angesichts dieser Lage der Dinge vorbringen? 
Eine jede lässt sich begründen und bekämpfen. 
Soll man mit schleimigen Kompromissen 
kommen und trösten: die neue Nutzkunst 
würde sich wohl ausdehnen und allmählich 
veredelnd wirken und allmählich zum natio- 
nalen Stil führen . . .? Viel grösser ist doch 
die Gefahr, dass sie hinabgezogen wird in 
die Tiefe industrieller Barbarei. Das Schüler- 
material wird stets nur bis zu gewissen 
Graden ausbildungsfähig sein. Die jungen 
Leute vor zwanzig Jahren konnten genau 
so viel wie die von heute. Es scheint anders, 
weil jene Renaissancemuster Für die Maschine 
einrenken mussten, während diese in kühnen 



GASOFEN « ENTVrORFES l'ND AUSCEFCHRT VON "BT. J. STOKV[S, ARNHI 

3S0 



^r-^> MAX HANS KÜHNE -C^^ 



Schnörkeln über das Papier fahren. Der 
Markt wird wohl von der Mode temperiert, 
und diese wiederum ist teilweise abhingig 
von den Künstlern; in einem aber ist die 
Tendenz des Marktes unerbittlich : sie verlangt 
unter allen Umständen Gemeinverständliches, 
das heisst also — Mittelmassiges. Wer Vieles 
bringt, wird Manchem etwas bringen — 

Nur eine energische Schwenkung in der 
Industriepolittk könnte bessere Holzungen 
erwecken. Wenn der Import erschwert wird, 
sinkt der Export ganz von selbst. Daneben 
wäre es eine Kulturthat, wenn die Organi- 
sation des Handwerkes gefördert würde, da- 
mit dieses, in Genossenschaften vereinigt 
und selbst industrialisiert, der Industrie Trotz 
bieten könnte. Dann würde es auch seine 
Söhne im eigenen Interesse verwenden kön- 
nen und brauchte sie nicht in einem unfrucht- 
baren Zwischensland, der nie Selbständigkeit 
und Unabhängigkeit erlaubt, verkümmern 
lassen. Kurz: eine konservative Politik, im 
guten Sinne dieses Wortes, thäte not. Sie allein 
ist im Stande, den Nationalwohlstand zu be- 
festigen. Freilich würde sie ihn zugleich 
verringern, und wie könnte sie da in unserer 
Zeit der Händlermoral je Erfolg haben. Auch 
die neue Nutzkunst, woran so reiche Hoff- 



nungen geknüpft sind, würde auf der 
Grundlage beschränkten Industrialts- 
mus erst ihre befreiende Kraft ganz 
entfalten können. Denn die Industrie 
verschlingt wie Kronos die eigenen 
Kinder. — Dieses ist eine negative 
Meinung; aber selbst sie ist eine 
Utopie. Denn Individuen wie Völker 
können in der Entwicklung nie zu- 
rückgehen und ,ein neues Leben 
anfangen". 

Nicht viel weiter führt ein Vor- 
schlag, der vor Jahren von mir ge- 
macht worden ist: die Verlegung 
des kunstgewerblichen Unterrichtes 
an die Akademien ^ die herzlich 
zwecklos geworden sind ^ und die 
Aufhebung der bestehenden Insti- 
tute. Der akademische Unterricht 
sollte dann in Werkstätten und Ex- 
perimentierräumen stattfinden, der 
Schüler technisch so ausgebildet 
werden, wie er sich künstlerisch 
selbständig entwickeln würde. Statt 
überflüssiger Bildermaler dachte ich 
an einen tüchtigen Nachwuchs un- 
serer Gewerbekünstler, die ja alle 
aus den Akademien hervorgegangen 
sind. Es war ein Luftschloss mit 



PPE « WOHN- UND GESCHÄFTSHAUS IN DER TURMSTRASSE 
383 



Das Problem des 
ragt unter ■!! 
Zeit dem Architek 
kompliziertes her 
ebenso schwierig« 
bietet. Zugleicl' 
Lösung gerade 
wichtig, weil g 
unserer Grosstäd 
aufdrückt. Das 1 
darin, dass selbs 
dieser Art in iti 
leben kann, „w 
nicht geräill', ji 
drängen heterog 
ausbleiblich sie 
muss: die chro 
mäide in einer 
zu leiden haben 
wird hier zu e 
dem man von - 
Darin liegt zu 



5> PAUL HOPPE <^^ 



PE « FASSADENDETAIL EINES WOHNHAUSES IN DER MEIN ECKEST RASSE 



I UNSEREN BILDERN 



Ilagenhauses sonderen Schwierigkeit dieser Aufgaben- 
die unsere gruppe; die andere liegt in der Gestaltung 
in besonders selber. Sie gewährt dem Künstler zu seiner 
lass es eine Entfaltung nur eine mehr oder minder glatte 
are Aufgabe Fläche, deren Entwicklungsfähigkeit gehemmt 
; ernsthafte wird durch die aus dem schablonenhaften 
; besonders Inneren sich ergebende systematische Wieder- 
:r Bezirken kehr gleichartiger Oeffnungen; sowohl in 
[den Stempel seiner Achsen- wie in seiner Etagen-Disposition 
Aufgabe liegt istdasGerippedesBaues festgelegt. Daszwängt 
: Gestaltung von vornherein die Aufgabe in eine Sphäre 
it in Frieden hinein, die mehr zu einer dekorativen, wie 
;en Nachbar zu einer organischen Auffassung des Problems 
\ufeinander- hinleilet und zu der Kalamität unsrer Etagen- 
tets und un- häuser führt, entweder in plattester Nüchtern- 
einträchtigen heit Fensterreihe neben Fensterreihe zu setzen, 
iter der Ge- oder aber als Vorwand zu dienen, um mehr 

Ausstellung meistens jedoch minder geschmackvolle deko- 

Tothängens" rative Formenorgien an den Mann zu bringen. 

Leiden, mit Wir können an den Arbeiten PaulHoppe's, 

zußnden hat. die von dem Schwulst Berliner Etagen- 

eite der be- häuser durch schlichte Sachlichkeit angenehm 



-^p-^ MAX HANS KÜHNE -C^-^ 



abstechen, erkennen, wie der geschickte Archi- 
tekt diesen Gefahren zu begegnen strebt. Er 
versucht, nicht nur ein Stück Fassade der 
allgemeinen Bauflucht einer Strasse einzu- 
verleiben, sondern dieses Stück Fassade als 
gesonderte Individualität wenigstens anzu- 
deuten dadurch, dass es nach oben hin durch 
ein sichtbares eigenes Dach zusammengeFassi 
wird. Die Fassaden fläche selbst aber erhält, 
ohne wirklich aufgelöst zu werden, durch 
grössere streifenartige Schattenpariien, die 
durch Rückspringen einzelner Fassadenteile 
erzielt werden, zunächst einmal eine Ge- 
samtgliederung. Diese Rücksprünge werden 
zu Balkons und Loggien ausgenützt, ihre 
trennenden Schatienmassen aber verlegt 
Hoppe, ähnlich wie Messel das an seinen 
gelungensten Etagenhaus bauten thut, an die 
Aussengrenzen seiner Fassadenmassen , so 
dass sie eine mittlere Partie einrahmend los- 
lösen und durch ihre ruhigeren und tieferen 
Schattenflächen vor der Flucht der Nachbar* 
bauten isolierend hervorheben. (Auch das 



MAX HANS KOHI 



Haus Ateineckestrasse 23, von dem wir nur die 
Mittelpartie bringen, ist in dieser Weise dispo- 
niert, Abb. Seite 385.) So erhält man ein Stück 
umgrenzten Baukörpers in der Fassade und da- 
mit die Möglichkeit, seine Effekte zu konzen- 
trieren und zusammenzuhalten; zugleich aber 
löst man seinen Fassadenbau bis zum gewissen 
Grade vom herandrängenden Nachbar los. 

Der Schwierigkeit, die in der Bewältigung 
der langweiligen Folge gleichartiger klein- 
licher Fensterflecke und Etagen teil ungen liegt, 
begegnet der Architekt durch die pfeiler- 
artige Aufteilung der ganzen Fliehe, die wie 
in grosse tragende Vertikalstützen zerlegt er- 
scheint , zwischen die das Kleinwerk der 
Fenster nur als Füllung eingesetzt ist; also 
ein ganz ähnliches System, wie es sich am 
modernen Geschäfts palast herausgebildet hat. 
Das sind einige typische Züge, die dieses 
Etagenhaus-Problem bereits deutlich erkenn- 
bar aus seinen Schwierigkeiten gezeitigt hat. 
Wie sie weiter ausgebildet werden, ist dann 
natürlich Sache der jeweiligen Individualität. 
Hoppe fällt in seinen Lösungen, 
besonders beim Bau Meinecke- 
strasse, dadurch vorteilhaft auf, 
dass er die Belebung eines solchen 
Systems lediglich durch feine re- 
lieFartig in die Fläche einge- 
schnittene Schmuckformen be- 
streitet, die der ganzen Masse 
die feste Geschlossenheit ihrer 
Struktur wahren, oder vielmehr 
diese Geschlossenheit besonders 
deutlich zum Bewusstsein bringen. 
Seine Arbeiten, — und wieder 
gilt das besonders vom Hause 
Meineckestrasse — zeigen da- 
durch die wohlthuende Tendenz, 
gegenüber den malerischen Be- 
strebungen unserer Architektur 
und gegenüber dem Kultivieren 
„geistreicher" dekorativer Neu- 
gedanken eine nach der Seite des 
spezifisch Architektonischen, näm- 
lich des Monumentalen, gehende 
Note auch in solche Bedurfnis- 
bauten hineinzutragen. Erst wenn 
dieses Streben nach monumen- 
talerer Auffassung im Gegensatz 
zur modernen Kunstgewerbe-Ar- 
chitektur weitere Kreise erfasst 
hat, wird das Bild auch unserer 
Etagen haus-Strassen ein befriedi- 
genderes werden können. 

Von diesem Gesichtspunkte 
aus möchten wir auf Hoppes' 
K TRUMMLER Deuere Arbeiten hinweisen. 



-cr.^5> MAX HANS KÜHNE <^^ 



Die Arbeiten von Max Hans Kühne 
(Dresden), die wir in dieser Nummer bringen, 
zeigen uns einen Architekten, der in be- 
merkenswerter Weise fähig ist, einen Wohn- 
bau als einheitliches Ganzes zu gestalten. 
Er stellt nicht nur ein Haus hin, das in 
zweckmässiger und anmutig- einfacher Art 
aus gegebenen Bedürfnissen sich entwickelt, 
dem aber andere Hände ein inneres Leben 
geben müssen, sondern seine Herrschaft er- 
streckt sich mit gleicher Selbstverständlichkeit 
und Sicherheit auf die ganze innere Aus- 
stattung. Und so müsste es immer sein; eine 
gesteigerte Wohnungskultur in den Grenzen 
einfacher Mittel ist nur dann möglich, wenn 
bis in jeden kleinsten Elfekt hinein Raum 
und Inhalt von vorne herein zielbewusst vom 
gleichen künstlerischen Willen disponiert wird. 
Dann können eben auch mit kleinen Effekten 
bedeutende Wirkungen erzielt werden. 

Kühne's Innenräume zeichnen sich aus 
durch ihre Natürlichkeit. Wie er mit den 
bescheidensten Mitteln ein Billardzimmer 
disponiert, wie er Heizkörper und Gitter in 
einfachster Technik gestallet und 
doch den Eindruck liebenswürdiger 
Eleganz erzielt, das giebt seinen 
Arbeiten ihren Wert. Gerade 
solche bescheidene, weil natür- 
liche Sprache des Modernen muss 
man immer wieder hervorheben 
gegenüber dem effektvollen, aber 
meistens weit hohleren Formen- 
wesen, das seine Motive nicht 
nach den Gesichtspunkten vor- 
nehmer Nützlichkeit, sondern in 
erster Linie nach Gesichtspunkten 
der Koketterie gestaltet, f. s. 



zu sein braucht, dass vielmehr Vorarbeiter 
von bereits gegebenen neuen Ideen ein Mittel- 
glied zu bilden berufen sind zwischen dem 
Individualismus des Erfinders und den Be- 
dürfnissen der Allgemeinheit, aus welchem 
Zusammenwirken „Stil" entsteht. Wo aber 
liegt hier die Grenze zwischen Nachahmung 
und Ueberlieferung? Ist sie feststehend 
oder variabel? — Die Frage, meine ich, ist 
die: ob jeweils lebendiger Gedanke oder tote 
Form zu Gevatter stehen. 

Die Idee, den neuen Gedanken ver- 
werten, d. h. fruchtbar machen, indem mannig- 
faltige Formen dem einen gleichen lebendigen 
Schoss entkeimen, das ist nicht Nachahmung, 
sondern daraus kann — wenn der Gedanke 
wirklich lebens- und entwicklungs^htg ist — 
Stil und Tradition sich bilden. Es ist, als 
wenn ein starker, klarer Quell der Berges- 
höh' entströmt und dann sich teilt in viele 
kleine Bäche: das gleiche Wasser fliesst in 
ihnen allen; doch je nach dem Boden, je 
nach Gefäll und Umgebung fliesst es ver- 
schieden und erfüllt verschiedene Bestimmung: 



Ueber Tradition und Nachahm- 
ung wäre, was unser Gebiet 
betrifft, so manches ernste Wort zu 
sagen. Wird uns einerseits mit 
einem gewissen Recht Mangel an 
Tradition vorgeworfen, so herrscht 
andrerseits umso erschreckender 
die Nachahmung. Auf eine selbst- 
ständige neue Schöpfung kommen 
zehn, ja hunderte von Nachbil- 
dungen, und sie sind meist fürs 
wenigste ebenso schlecht und un- 
verstanden, wie jene es waren, die 
alle Kunst zum Vorbild nahmen. 
Nun wurde erst jüngst in diesen 
Blättern betont, dass gerade auf 
kunstgewerblichem Gebiete nicht 
jeder ein Meister sein kann und 



MAX HANS KÜHNE 



HALLE IN DER VILLA 



^-^> MAX HANS KÜHNE <^-i=- 



MAX HANS KÜHNE « ECKE IM CAPC CENTRAL 



Blumen lässl das eine sprossen, Mühlen 
treibt das andre, und das dritte plätschert 
bloss dahin und erzählt nur zuweilen ein- 
samen Sonntagskindern die Geheimnisse des 
Waldes; aber der Urquell ist in ihnen allen 
lebendig. So auch der Gedanke in den mannig- 
faltigen Verkörperungen, die erfindet. Tra- 
dition ist also gleicher Geist in individueller 
Form zum Ausdruck gebracht; Nachahmung 
ist gleiche Form ohne individuellen Geist, 
meist überhaupt ohne Geist : geschöpftes 
Wasser, in ein totes Becken gefüllt. Als Bei- 
spiele hierfür mögen uns einige der Illustra- 
tionen dieses Heftes dienen. 

Die Buchbinderei ist unter den verschie- 
denen Gebieten des Kunstgewerbes eines der 
konservativsten geblieben, was sich auf die 
enge Umgrenzung ihrer Möglichkeiten zurück- 
führen lasst. Fast alle Bedingungen sind von 
vornherein gegeben: die Grösse, die Gestalt, 
das Material in sehr beschrankter Auswahl und 
dazu seine Behandlung. Die Versuche (nach 
unsrer heutigen Auffassung: Verirrungenl), 
welche dahingingen, die Buchhülle als selbst- 
ständigen Träger einer Bild- oder Relief- 



wirkung zu gestalten , sind heute, Gott 
sei Dank, der Erkenntnis gewichen, dass, 
erstens ein Buchdeckel kein Bild ist, und 
zweitens, dass er stets flächig behandelt sein 
will, weil dies allein dem Zweck seiner 
Handhabung entspricht. Er soll angenehm 
zur Benützung, ruhig und einladend fürs 
Auge und nicht allzu vergänglich sein. So 
bleiben als Material: Leder, Leinen, Papier, 
— jedes für sich oder auch untereinander 
kombiniert, als Schmuck: die Flächendeko- 
ration, aus Farbe und Linien, mit dem Stempel, 
durch Tönung oder durch Ledermosaik ge- 
wonnen. 

Mit voller Berücksichtigung dieser, in der 
Natur der Sache liegenden Grenzen schufen 
in unsern Tagen Künstler wie Cobden- 
Sanderson , Zahn , Anker Kyster und 
Henri- Marius Michel ihre meisterhaften 
Buchhüllen. Aus dem gleichen Geist, aus 
der Vereinigung von Phantasie und Logik, 
von Geschmack und Handfertigkeit sind die 
vorliegenden Einbände von Paul Kersten 
in Erlangen und von S. Pomeroy in Paris, 
entstanden. Dem Gedanken getreu, formal, 



^^■^D- MAX HANS KÜHNE <^^^ 



MAX HANS KOhNE • BILLARDZIMMER IM CAF£ CENTRAL 



selbständig und geschmackvoll, sind sie ein 
gutes Bild moderner Tradition in dem oben 
gekennzeichneien Sinn von lebendiger Ver- 
mittlung. 

Was das Gebiet des Schmuckes betrifft, so 
sind hier die Grenzen weiter gezogen und 
daher mehr Versuchung vorhanden, ganz mit 
jeder Tradition zu brechen. Und doch spinnt 
die Erkenntnis vom Sinn jeglichen Schmuckes, 
von den nicht willkürlichen, sondern notwen- 
digen Gesetzen, denen er unterliegt, einen 
unzerreissbaren Faden zwischen den besten 
Leistungen aller Zeiten. Und der Gedanke, 
der solchen MeisterschÖpfungen zu Grunde 
liegt, weckt wieder und wieder neue For- 
men. Froh danken wir es denen, die sie 
uns zu geben wissen. Einer von ihnen ist 
Ferd. Morave, dessen erste Arbeiten auf 
diesem Gebiete wir bringen. Im Prinzip 
auf ägyptische Schmuckstücke zurückgreifend, 
in der Ausgestaltung dieses Prinzips aber 
durchaus modern und persönlich, erfreut 
MOBAWE durch wohlabgewogene Formen, 
■welche in ihrer geometrisch ruhigen Wir- 
kung viel weniger „blenden" als dauernde 



Freude an ihrem Besitz verbürgen. Was die 
Frau daran lockt, ist das wirklich ,Schmük- 
kende", was sie in diesen Hängern und Ohr- 
ringen empfindet: es ist ein Element darin, 
das fast jede kleidet: es beruht zum grossen 
Teil auf der Anpassung an die Bewegtheit 
des Körpers. Dass Morave bisher fast aus- 
schliesslich Hänge schmuck entworfen hat, 
bestätigt diese Auffassung (vergl. die Berliner 
Korrespondenz im vorigen Hefte). 

In welchem Verhältnis zu Nachahmung und 
Tradition unsere übrigen Illustrationen stehen, 
das zu erkennen, sollten nun unsere Leser 
einmal selbst versuchen. Wir machen sie 
nur aufmerksam auf die anmutige Zeichnung 
und die wirkungsvoll getriebene Arbeit an 
den beiden Kupferuhren und dem gutpro- 
portionierten Rahmen von Georo Klimt, von 
denen schon im Januarhefte dieses Jahres ge- 
legentlich der Winterausstellung im österreichi- 
schen Museum berichtet wurde. 

Die mit grossem Verständnis für den Cha- 
rakter des Materials wie des Beheizungs- 
modus hergestellten, eigenartigen Gasöfen von 
W.J. Stokvis in Arnheim gehören zu dem 



^r.^> PAUL HOPPE <^-^ 



PAUL HOPPE ■ D 



A EINGANG EINES WOHNHAUSES IN DER MEIN ECK ESTSASSE 



besten, was heute auF diesem Feld geschaffen 
wurde. Wir Deutsche sind vielleicht geneigt, 
in dieser Formsprache, dadurch, dass wir ihr 
ferner stehen, etwas ganz Neues zu erblicken; 
wer aber die holländische Schmuckkunst näher 
kennt, wird auch hier den gemeinsamen Form- 
gedanken im Sinne der Tradition erkennen. 

Zum Schluss begegnen wir nochmals Paul 
K ERSTEN, dem geschickten Buchkünstler, der 
uns hier nun mit einem originellen, ungemein 
rassigen Schachspiel überrascht. Die Figuren 
wirken so vorzüglich in ihrer kecken, ele- 
ganten Silhouette, sie sind dabei so handlich 
und technisch so gut, dass man wirklich gar 
nichts andres daran haben möchte. Sie müssen 
eben so sein wie sie sind, und das ist wohl 
kein schlechtes Lob. 



Nicht weniger als das Bild unserer Städte 
hat sich das Bild, das unsere Begräbnisplätze 
bieten, in diesen Jahren geändert. Ja dort, 
wo das Monument einem rein künstlerischen 
Zwecke dient; den Eindruck des Weihe- und 
Stimmungsvollen (leider manchmal auch des 
Pompösen) zu erzeugen — da haben sich unsere 
Künstler rascher und gründlicher die neuen 
Ausdrucksmittel unserer Zeit angeeignet, als 



auf dem Gebiete der städtischen Architektur. 
Hier gefallen sich so viele in Aeusserlichkeiten, 
dass man in hundert Fällen 99mal annehmen 
kann, dass, wo die dekorative Wirkung 
einer Architektur durch reiche moderne Orna- 
mentik angestrebt wird, es innere künstlerische 
Gebrechen zu verdecken gilt. 

Vor der Grösse und Einfachheit des Todes 
wenigstens scheinen solch enragierte Dekora- 
teure einzuhalten oder doch von dem natür- 
lichen Gefühle der Besteller ferngehalten zu 
werden. Und so vermehrt sich täglich die 
Zahl guter, von ernster Empfindung zeugender 
Grabmonumente. 

Das Beispiel, das wir heute veröffentlichen, 
giebt namentlich in seinen grosszügigen, ruhigen 
und festen architektonischen Linien solchem 
Gefühle Ausdruck. Die schlichte Einfassung 
der Stätte, der festgegliederte, gut silhouettierte 
Hintergrund, in dessen Rund sich die scharfen 
Züge einer Bronzefigur gegen das zurück- 
liegende Grün weich abheben, — sie ergeben 
einen ernsten und erhabenen Ausdruck, dessen 
Stimmung wir uns nicht entziehen werden. 

Darüber kann man auch so manches, etwas 
kleinliche oder vorlaute Detail namentlich der 
Bronze selbst vergessen, das zu Gunsten einer 
feierlicheren Wirkung besser zurückgedrängt 
worden wäre. 



GRABMAL-FIGUR • MODELLIERT VON OTTO STICHLING • IN BRONZE GEGOSSEN VON 
DER AKTIENGESELLSCHAFT VORM. H. GLADENBECK & SOHN, BERLIN-FRIEDRICHSHAGEN 



: H BRUCKMANN, Mün 



BAtMONDO D'ARONCO • INNENANSICHT DES HAUPTEINGAKCES 



DIE TURINER AUSSTELLUNG*) 

DAS BILD — DIE BAUTEN — DER KÜNSTLERISCHE ERFOLG 



Von V. Fred 



So ist also in diesem Jahre, als es Mai 
wurde, auf italischem Boden die erste inter- 
nationale Ausstellung moderner dekorativer 
Kunst mit vieler Feierlichkeit und allerlei 
grossen Reden eröffnet worden. Als die Fan- 
faren bliesen, der König kam und die tönenden 
Worte vom Frühling einer neuen Kunst ge- 
sprochen wurden, da war noch alles unfertig. 
Vernagelte Kisten standen in halbvermauerten 
Gängen und Sälen, der Regen tropfte durch 



") Der Herausgeber unserer Zeitschrift war durch 
Krankheit verhindert, die Turiner Ausstellung zu 
besuchen, und einer unserer bewihrten Mitarbeiter, 
HerrW. Fred, hatte die Güte, die Besprechung zu 
Qbernehmen. Von dem Grundsätze ausgehend, dass 
nur eine rückhaltlose Kritik, selbst wenn darin 
eine Erkenntnis der eigenen Schwicbe liegt, frucht- 
bringend sein kann, haben wir dieselbe ohne jede 
Milderung wiedergeben zu müssen geglaubt, wenn 
uns auch in Vielem eine günstigere Beurteilung 
von anderem Gesichtspunkte aus möglich erscheint. 
Die Redaktion 



die rissigen Dächer, und hier und da stand 
ein Künstler und schimpfte über einen lieben 
Kollegen. 

Nun, wer so jahraus, jahrein, zu den Aus- 
stellungen fährt, gewöhnt sich an derlei. Und 
doch kann ich die Bemerkung nicht unter- 
drücken, dass ich niemals eine Ausstellung 
so unglücklich veranstalten, so unglücklich 
installieren gesehen habe. Dass noch 14 Tage 
nach der Eröffnung ein Dritteil der ganzen 
italienischen Sektion, ein gutes Stück der 
deutschen, belgischen und österreichischen 
Abteilung unvollendet war, dass selbst die 
Bauten noch von Gerüsten verdeckt waren 
und kein einziger Katalog fertig — das alles 
sind Kleinigkeiten. Sie bieten nur den sym- 
bolischen Ausdruck für den künstlerischen 
Charakter dieser ganzen Ausstellung. 

Ich kann und will es nämlich nicht ver- 
hehlen: Ich halte die „I. Esposizione d'Ane 
decorativa modema" für ganz schlecht. Kein 



DIE TURINER AUSSTELLUNG <^^t^ 



RA[MOND0 D-ARONCO m DIE KUPPELHALLE DES HAUPTGEBÄUDES 



Tadel ist mir herb genug für diesen Bazar 
von Mittelmissigkeiten, in dem da und dort 
ein künstlerisches Werk, eine gute Arbeit 
mitleidiges Erstaunen weckt. Es ist jetzt nicht 
mehr möglich, mit jener Gutmütigkeit, die 
anfängt, die übelsten Folgen zu tragen, über 
Schlechtes hinwegzusehen und jedem guten 
Topf, jeder geschickten Nachahmung fremder 
Eigenart gegenüber Freudenschreie und ver- 
zückte Rufe auszustossen. Wir alle haben 
unser Teil gelhan; an Ermunterungen hat es 
niemand fehlen lassen. Nun ist die Saat in 
bedrückender Fülle aufgegangen, und es wäre 
ebenso thöricht, das Unkraut für goldgelbe 
Kornähren anzusehen, als die hochweise Politik 
des Vogel Strauss zu treiben und wiederum 
mit lauen Worten über Schlechtes und Gleich- 
gültiges hinwegzugehen. So mögen allen Ab- 
teilungen dieses grossen Jahrmarkts des Kunst- 
gewerbes gegenüber gerechte, harte und un- 
verhüllte Worte am Platze sein. 

Zwei Jahre sind seit der grossen Pariser 
Ausstellung vergangen. Damals setzte sich im 
Bewusstsein der Völker die neue Kunst durch. 
Damals sah man, wie unlöslich die Entwick- 



lungen sozialer und künstlerischer Art ver- 
quickt sind, wie ein neuer Lebensinhalt eine 
neue Lebensform verlangt, und wie das letzte 
Jahrzehnt des sterbenden Jahrhunderts als 
letzte Kulturarbeit noch die Umwertung auch 
dieses Wertes vollzogen hat. Keine einzige 
Nation war unberührt geblieben von der grossen 
Welle, die künstlerische Begeisterung und 
Energie überallhin getragen hatte. Frankreich 
schien am konservativsten, Italien noch am 
stärksten unter dem drückenden Banne alter 
ruhmvoller Tradition und verlotterter Indu- 
strie. Die deutsche und österreichische Ab- 
teilung aber waren ein wundersam erfreulicher 
Beweis der künstlerischen Kräfte. Wer bis 
dahin mit einem leichten Lächeln all das 
moderne Kunslhandwerk als flüchtige Mode, 
spielerisch - reklamehartes Treiben einiger 
Künstler hatte hinstellen wollen, wurde nun 
belehrt, und mit den besten Hofinungen durfte 
man in die Zukunft sehen. Die Franzosen 
hatten sich als vortreffliche Keramiker, Glas- 
künstler und Juweliere erwiesen, von England 
her kam die stets befruchtende Sicherheit 
neuer architektonischer und konstruktiver 



^r.^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^:^ 



DAS KOMITEEGEBXUDE am TEICH 



VILLA LAURA 



-.-£^> DIE TURINER AUSSTELLUNG -Cfe^^ 



• DER ÖSTERREICHISCHE PAVILLON 



Einfälle, in Dänemark bemühte man sich mit 
dem besten Gelingen um Porzellane, und wir 
in Deutschland und Oesterreich hatten bewiesen, 
dass es an künstlerischer Laune, an Fähig* 
keit der Konstruktionen, an Geschicklichkeit 
der Ausfuhrungen nicht fehle ^ die schönste 
Aussicht auf Gelingen aller Pläne zeigte sich 
selbst dem Skeptischesten. Die Völker sollten 
nun, eines vom anderen befruchtet, innerlich 
jedes reicher aus solchem Austausch der Kräfte 
und Ideen hervorgehen und jedes seine beson- 
dere Eigenart entwickeln. Da konnte es, durfte 
man meinen, an jenem Erfolge nicht fehlen, 
der innerlichste Bedingung der neuen Bewe- 
gung ist; dass diese Kunst ins Leben ein- 
dringe, kein Fremdling, kein trauriger Aus- 
stellungsgast bleibe. Nun sind zwei Jahre 
ins Land gegangen. Ich brauche wohl nicht 
auszumalen, was geschehen ist. Ich will auch 
vom allgemeinen Stand der Meinung dem neuen 
Gewerbe gegenüber nicht sprechen. Jeder 
Schalfende weiss, wie viel Misstrauen gerade 
heute nach all den Erfolgen, nach all den Fort- 
schritten, die gemacht worden sind, wach und 
rege ist. Und ein seltsam zwiespältiges Gefühl 
hat sich gerade bei den Freunden des mo- 
dernen Handwerks eingestellt: eine langsam 
wachsende Angst, dass die Arbeitsmethode, 
die jetzt herrscht, vom grbssten Uebel ist. 



Ich sehe die grösste Gefahr in den forftfSh- 
renden Ausstellungen. So werden die Künstler 
verleitet, die besten und wertvollsten Sätze des 
neuen Kunstgewerbes wieder zu verlassen : von 
Ehrlichkeit derKonstruktion, Aufrichtigkeit des 
Materials, Uebereinsiimmung von Zweck und 
Form und Individualität des Interieurs kann 
bei Austellungszimmern doch nur mit den 
stärksten Einschränkungen die Rede sein. Das 
kontinuierliche Lösen fiktiver Aufgaben, die 
für den Jahrmarkt erforderliche Rücksicht auf 
die flüchtige äusserliche Wirkung, die Hast des 
Treibens, die Ueberhitzung und nicht zu min- 
dest die übertriebene Wertschätzung des Aus- 
stellungserfolges sind Schäden, die gar nicht 
ernst genug bedacht werden können, wenn es 
sich um die Veranstaltung einer neuen Aus- 
stellunghandelt. Ich bin wahrhaftig nicht gegen 
diese Institution. Die kulturbildende Wirkung 
der letzten Pariser Ausstellung ist unverkenn- 
bar. Nach zwei Jahren aber wieder zu einem 
internationalen Wettkampf herauszufordern, 
war gefährlich. Nun ist der Misserfolg da, und 
man kann nur seine Gründe auseinander* 
setzen. Da ist also vor allem die kurze Frist 
seil Paris. In zwei Jahren vollziehen sich 
keine epochalen Umwälzungen. Die Künstler 
haben mit ihren lokalen Ausstellungen genug 
zu thun, und was einer zu lernen hatte, konnte 



^,-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^>t^ 



CHARLES R. MACKtNTOSH • INTERIEUR AUS DER SCHOTTISCHEN ABTEILUNG 



er nicht vom Herbste 1900 bis zum Frühling 
1902 ausbilden. Ja die Armseligkeit des 
neuen Motivenschatzes musste ungerecht stark 
hervortreten, weil eben jetzt der Augenblick 
ist, wo die unmittelbarsten Einflüsse der Pariser 
Ausstellung an jedem Objekte hervortreten 
mussten; noch ist keine Zeit gewesen, die 
Anregungen zu entwickeln und nach einer 
fremden wohlthäcig wirksamen Schule die 
eigene persönliche und nationale Note aus- 
zusprechen. 

Die kurze Zeit ist die erste Gefahr ge- 
wesen. Die Wahl des Ortes war in jeder 
Beziehung für das Gelingen ebenso verderb- 
lich. Nichts kann in einer Gärungs- und 
Entwicklungszeit so schädlich sein, wie Ver- 
gleiche herauszufordern. Und heute in einer 
italienischen Stadt eine ungemein gross an- 
gelegte Ausstellung moderner Kunst ins Leben 
zu rufen, angesichts der Renaissanceeindrücke, 
in dieser Luft, 'die Für jeden von uns die 



heilige Schönheit einer wahrhaft bis ins 
letzte kunsterfüllten und harmonischen Kultur 
ausatmet, — das war ein Wagnis, das miss- 
lingen musste. Die Absicht war klar. Italien 
hatte in Paris ganz versagt; nun sollte die 
Scharte ausgewetzt und zugleich dem italieni- 
schen Lande durch das Beispiel der Fremden 
Nationen ein heftiger Ansporn gegeben werden. 
Nun es mag sein, dass Italien seinen Nutzen 
von dieser Ausstellung haben wird; die Fremden 
Gäste können auch diesmal in der italienischen 
Sektion keine Anregungen erfahren, und auch 
einer vom anderen wird wenig zu lernen 
haben. Man trifft alte Bekannte von Paris 
her, kleine Variationen längst vertrauter 
Formen und Motive, wenig Neues, wenig 
Künstlerisches. Schon die Beteiligung war, 
Deutschland ausgenommen, schwach. Aus 
England sind wiederum nur kleine Objekte 
da, in Frankreich haben selbst Gall£ und 
Lalique auF jede Ausstellung verzichtet, und 



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-ir^5> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-^ 



kein einziges Interieur ist zu sehen, ausOester- 
reich hat kein einziger der Secessionisien 
ausgestellt. Von dem aber, was die Galerien 
dennoch Füllt und der Ausstellung ihre quanti- 
tative Grösse giebt, soll nun in diesem und 
in den nächsten Heften die Rede sein. 



Die Ausstellung liegt im Park des Valen- 
tine schön und friedlich, die hellen grünen 
Berge geben einen wundersam zarten Hinter- 
grund, und seltsam pikant stehen mitten 
zwischen den Ausstellungsbauten die mittel- 
alteriich strengen Kastelle von San Giorgo. 
In Turin, dieser anmutigen Stadt, die dem 
Fremdenzuge etwas fem liegt, und deren 



GEORGE LOGAN «DREITEILIGER TANDSCHIRM AUS GRAU GE- 
BEIZTEM HOLZ MIT SILBER BESCHLAGEN UND EINGESETZTEN 
EDELSTEINEN « AUSGEF. VON WYLIE & LOCHHEAD, GLASGOW 



Art denn auch dem italienischen Charakter 
etwas fremd ist, herrscht weniger der Geist des 
Cinquecento, der Renaissance als des starren 
frühen Mittelalters. Auf dem Hauptplatze 
steht eine alte Burg, halb Festung, halb Ruine, 
und rundherum ist eine höchst moderne 
Stadt erbaut mit neuen Häusern, neuen von 
Traditionen wenig belasteten Menschen, die 
den Alpen, ja sogar französischer Art näher 
zu stehen scheinen als der italienischen 
Weise. Unten bei den Gärten, welche die Aus- 
stellung aufgenommen haben, sieht es denn 
auch nicht allzu italienisch aus. Man denkt 
eher an den Süden Frankreichs oder an ein 
sanftes Schweizer Thal. Das erste Thor grüsst. 
Ein blau-gelber Löwe, der irgend etwas aus 
irgend einem Grunde zu 
apportieren scheint, grüsst 
von einem Plakate herab. 
Doch dies ist noch nicht 
das eigentliche Portal. Siebt 
man dann vor dJeseni, so 
muss man lächeln, denn es 
ist die Wiederau ferstebnng 
Darmstadts. Da sind wieder 
die beiden bunten HäuscheB 
mit den flachen Dächern und 
den geneigten Fassaden, die 
sich zusammenzudrängen 
scheinen, da sind auch die 
wohlbekannten Ornamente, 
das Schachbrettmuster, die 
Wellenlinie ; Darmstadter 
Erinnerungen, das könnte 
man überhaupt als charak- 
teristisches Marginale zu 
einer Besprechung der Tu- 
riner Ausstellungsbautcn 
setzen. Nur das Hauptge- 
bäude macht eine Aus- 
nahme, und das ist denn 
auch eine respektable Lei- 
stung und weitaus der beste 
Bau. Sonst aber findet man 
Kioske und Pavillons mit 
weissem Verputz und kreis- 
rundem Ornament, „reiche' 
Stucco- und Gipsfassaden, 
sogar ein unglückliches, 
dreieckiges Reissbretthäus- 
chen, wie jenes Olbrick- 
sche .Gebäude für Flächen- 
kunst* ist da. Die Farben- 
skala ist zumeist auf Weiss- 
Gold beschränkt. Das Ma- 
terial ist durchweg Verputz. 
Auffallend war mir an man- 
chen Bauten eine Neigung 



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CHARLES R. MACKINTOSH UND MARGARET MACDONALD-MACKINTOSH 
« • ECKE AUS DEM INTERIEUR IN DER SCHOTTISCHEN ABTEILUNG • • 



-5T-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-t^ 



zum Barock. In der That hat ja damals wie 
jetzt wieder ein unglücklicher Hang zur 
Häufung von Schmuckmotiven geherrscht. 

Mit Ausnahme Oesterreichs und einiger 
privater italienischer Aussteller vereinigt das 
grosse Ausstellungsgebäude alle Nationen. 
Oest erreich hatte den Vorzug, sich zwei 
kleine Häuschen bauen zu dürren, einen 
Kiosk und eine Villa; doch lässt sich weder 
von dem einen noch von dem anderen Bau 
sagen, dass sie einen neuen architektonischen 
Einfall zeigen. — Im übrigen soll davon seiner 
Zeit die Rede sein. 

Eine besondere Erwähnung verdient das 
graziöse Haus der künstlerischen Photo- 
graphien besonders auch deshalb, weil dieser 
Zweig der dekorativen Kunst einzig und 
allein eine systematische Berücksichtigung 
gefunden hat. Weder eine Plakatausstellung, 
noch eine Abteilung für die reproduzierenden 
Künste ist zu finden. Ja, die Architektur ist 
vollständig ausser acht gelassen worden. 
Hier und da findet man in einer der Sektionen 
ein paar Plakate oder Bücher, Farbendrucke 



oder Photographien von Hiusern, — einen 
Begriff dieser Künste und der besonderen 
Fähigkeiten des einen oder anderen Volkes 
konnte man in Turin nicht erhalten. 

Vor dem Hauptgebäude stehen zwei Fon- 
tänen, ärmliche Nachahmungen RoDiN'scher 
Kunst. ~ Vielleicht auch stehen sie gar nicht 
mehr. Man sprach in gerechter Erkenntnis 
ihres Wertes in den Eröffnungstagen davon, 
sie wieder zu zerstören. Dagegen sind einige 
plastische Gruppen, welche die Fassade des 
Hauptgebäudes krönen, Reigen tanzender 
Mädchen in schöner und freier Bewegung 
darstellend, gut gelungen. 

Das Hauptgebäude ist um eine Kuppelhalle 
angeordnet, deren Werte, Höhe und freie 
Form in der That jenen Eindruck modemer 
Baukunst vermittelt, den die kleinlichen, luf 
Aeusserlichkeiten und Fassadenwitze abzie- 
lenden Ausstellungsbauten auch in Paris 
schon vermissen Hessen. Leider ist die 
Innendekoration dieser Freien Halle, die sich 
auch in der Fassadenansicht natürlich und 
gut ausnimmt, missglückt. Die Farben der 
Rachen und eintönigen Malereien 
I sind dumpf, nichtssagend. Hier 
hätte aus goldenen oder silbernen 
I Tönen der Eindruck des Reichtums 
' und der Feierlichkeit erstehen 
müssen. Dass das ganze Gebäude 
aus dünnen und verfälschten Ma- 
terialien hergestellt ist, beein- 
trächtigt natürlich die Wirkung. 
Zwei Seitenflügel schliessen sich 
in der Fassade an den Mittelbau, 
vor den eine ausgebauchte Vor- 
hallegelegt ist. Im Inneren gehen 
von der Kuppelhalle strahlenförmig 
Galerien aus, die dann verzweigt, 
verästelt, verbreitert und verengt, 
in Sackgassen endend und zu neuen 
Ausbuchtungen führend, ein förm- 
liches Labyrinth bilden, in dem 
sich zurecht zu finden, nicht allzu 
leicht ist. Und all diese Galerien 
sind gefüllt mit Interieurs und Ob- 
jets d'art. Ueberlegt man aber dann 
so recht und ohne üble Absicht, 
wie viel Raum wohl nötig gewesen 
wäre, um die Standard Works und 
die künstlerischen Neuheiten, so- 
weit sie in Turin sind, zu ver- 
einigen, so kommt man zu der An- 
sicht, dass in drei oder höchstens 
vier mittelgrossen Sälen alles au^ 
beste unterzubringen gewesen wäre. 
Und man träumt von einer wirk- 
lich künstlerischen Ausstellung, der 



-j-^> DIE SEKTION SCHOTTLAND <^-^ 



dann in Wahrheit ersten Ausstellung moderner 
dekorativer Kunst, in der kein einziges Stück 
des Stempels der künstlerischen Eigenart und 
Persönlichkeit entbehren sollte, die nicht 
durch ihren Umfang, sondern durch Reichtum 



der Motive und Harmonie wirken dürfte, und 
die vor allem eines zu zeigen hätte: bürger- 
liche RKume. Die Kunst im Leben — wäre da 
zu sehen. Hier aber und anderswo zeigt man 
immer wieder: Ausstellungskunsteleien. 



DIE SEKTION SCHOTTLAND 



Lieber die besondere Art und die Persön- 
lichkeit des Ehepaares Mackintosh-Mac- 
DONALD und des ihnen verschwägerten Mc- 
Nair-Macdonald ist in diesen Blättern schon 
so ausführlich in Text und Abbildungen ge- 
sprochen worden, dass es sich für mich erübrigt, 
im besonderen die Fähigkeiten und den künst- 
lerischen Charakter dieser zarten schottischen 
Poeten zu analysieren. Es sei mir also nur ge- 
stattet, zu urteilen, dass die beiden Interieurs 
dieser Ehepaare weitaus die künstlerischesten 
der ganzen Ausstellung sind. Die Lieblichkeit 
dieser weissen Möbel, die Strenge, das As- 
ketische dieser stillen Dekorationen, die Fein- 
heit der Metallarbeiten und der komplizierten 
Plaster- und Applikations-Reliefs, 
— das alles vereinigt sich in dem 
zarten blumenhaften Duft des 
ganzen Raumes zu einer höchst 
eigenartigen Wirkung. Es ist ja 
im Detail dann wahrhaftig gleich- 
gültig, dass ich mir manchmal 
doch etwas breitere Formen, etwas 
weniger Puppenformat gewünscht 
hätte, — hier prägten sich doch 
Persönlichkeiten aus. Und gerade 
darnach muss man sonst auf dieser 
Ausstellung recht lange suchen. 
Die Farbenskala ist weiss - rosa, 
etwas holzgrün tritt hinzu. Die 
Formenwelt kann ich nicht besser 
umschreiben, als wenn ich diese 
schlanken stilisierten Mädchen : as- 
ketische Umbildungen prae-raffae- 
litischer Motive nenne. Hier fehlt 
jedoch jener Einschlag südlicher 
Weichheit — der durch das italie- 
nische Blut Dante Gabriel Ros- 
SETTi's ^ die englische Schule ver- 
edelt hat. Auch wird man japanische 
Einwirkungen auf Mackintosh, 
Macdonald, Mc Nair, diese enge 
Künstlerfamilie, erkennen können; 
doch sei nicht verhehlt, dass man 
mit derartigen Parallelen dem 
Wesen künstlerischer Dinge nicht 
allzu nahe kommt. Im besonderen 
möchte ich nur auf den einen 
Schreibtisch hinweisen, der so 



recht ein sorgsames Stück Dichter-Künstler- 
arbeit ist, wie man es in unserer hastigen 
Zeit sonst nicht oft findet. Er ist bis ins 
Kleinste durchdacht, oder besser durch- 
dichtet, dieser Tisch, auf dem ein Geliebter 
an seine Geliebte schreiben soll, und der 
allerlei Bild- und Reliefeinlagen zeigt, ein 
Mädchen, das weint, da er nicht schreibt, 
die Seligkeit eines symbolischen Kusses, Ent- 
zücken und Trauer der Einsamen. Dieser 
kleine Sekretär gehört zu den wenigen Ob- 
jekten der Turiner Ausstellung, von denen 
aus sich auch eine Brücke wölben lässt 
zur Renaissance -Kunst, wo ein Meister mit 
künstlerischem Behagen bei poetischen und 



-^^;d> die turiner AUSSTELLUNG <^-t;- 

einen ungemein einheitlichen 
Stil. Die Künstler und Kunst- 
lerinnen — die beträchtliche Zahl 
talenireicher Frauen fdllt auf — 
stehen alle in ziemlich enger 
Beziehung zur berühmten Glas- 
gow ScKOOLofArts Die Linien- 
führung sowohl wie die Farben- 
wahl ist recht einheitlich, und — 
wo ein Vorzug ist, fehlt auch der 
Nachteil nicht — manchmal recht 
eintönig. Die Stimmung der 
Werke ist ernst, klar, streng 
und starr, die Wahl des JVla- 
terials wie die Motive etwas 
puritanisch. Dazu wirkt bei vielen 
der Zeichnungen eine merk- 
würdige Dünne der Linien, die 
sich fast nach BEARDSLEv'scher 
Art in Punkte auflösen. Eine 
starke Phantasie zeigt sich nicht, 
dafür beweist jeder Bucheinband, 
jede Textilarbeit, vor allem aber 
die vortrefTlichen Metallarbeiten 
die Sorgsamkeit und Tüchtigkeit 
der Ausführung, die Schulung 
des Geschmacks und die Ehr- 
lichkeit und Schlichtheit, in der 
selbsterkannte Grenzen einge- 
halten werden. Und wie dies 
so geht , man bewundert an 
Arbeiten Fremder Länder, was 
man an denen der Heimat ver- 
misst. 

Von einzelnen Künstlern und 
Werken fielen mir die zarten 
Zeichnungen von Miss Kino, 
ein Paravant von E. A. Taylor, 
Schmuck recht altertümlicher Art 
von Davidson auf; im übrigen 
JOHN EDNiE . DREiTEiLiGEH wANDSCHiHM vertHtt hier, wie zumeist, die 

Wahl der Abbildungen zum guten 
Teile das Urteil über das Be- 
sinnigen Details in monate- oder gar jähre- sondere. Jedenfalls sei wiederholt, dass Ge- 
langer Arbeit verweilte. samteindruck und Installation der schotti- 
Die schottischen Arbeiten zeigen insgesamt sehen Sektion vortrefTlich sind. w. Fred 

DIE SEKTION ENGLAND 

Die Englander sind nicht allzu willig, einen Kampfzur Durchsetzung gewisser Ideen, 

fremdländische Ausstellungen zu beschicken, der Berechtigung eines neuen Stiles handle. 

Ja selbst im eigenen Lande halten sich die sondern um die wahrhafte Durchdringung des 

Künstler gerne abseits von den grossen Ver- Lebens durch die Kunst. So bauen sie in 

anstaltungen. Sie haben das meines Erachtens und um London Häuser, richten Wohnungen 

richtige Gefühl (das ich auch den Deutschen ein; so hat Ashbee in Chelsea draussen eine 

und Oesterreichern für die nächsten Jahre kleine Kolonie, Voysey ausser seinem Hause 

wünsche), dass es sich jetzt nicht mehr um in Carlton Hill noch manches andere Cottage 



-^^•^D- DIE SEKTION ENGLAND -C^^-o- 



gebaut. Baillie Scott hat die Isle of Man, 
dieses merkwürdige Eilsnd, mit modernen 
Häusern besät; wie man weiss, giebt es dort 
Schulhäuser und Rathäuser neuen Stils. Das 
sind so lebendige Ausstellungen, die man be- 
suchen muss, um einen neuen Begriff davon 
zu bekommen, was das neue Kunsthandwerk 
für England bedeutet. Was man so in Turin 
zu sehen bekommt, das sind Zufälligkeiten, 
Nebensächliches. 

Walter Crane, der eifrige Agitator, hat 
eine übergrosse Zahl von Zeichnungen, Ent- 
würfen, Illustrationen, Vorlagen seiner eigenen 
Hand ausstellen lassen und sich im übrigen 
begnügt f seine Freunde von der Arts and 
Grafts Society zur Beteiligung heranzuziehen. 
So kommt es, dass keine Interieurs zu sehen 
sind und überhaupt nur wenige 
MSbel. Dafürkann man wiederum 
das unendlich hohe Niveau engli- 
scher Werkarbeit von den Einzel- 
objekten, ob es nun kleine Käst- 
chen, Metallarbeiten, Schmuck 
oder Textiles ist, ablesen. 

Eine Reihe der ausgestellten 
Arbeiten stammt aus der Guild 
of Handicraft in Mile End Road, 
London E. C. und zwar vielfach 
aus der Hand C. R. Ashbee's. 
Es sind kleine Kabinette, fein 
und sorgsam erdacht, behäbig 
und sicher in der Konstruktion 
und im Eindruck, aus Eichen- 
holz matt-grün oder oliven-gelb 
gebeizt und ais einziges äusseres 
Wirkungsmiitel durch Metallbe- 
schlag geziert. Man kennt die 
etwas archaisierende Art dieser 
Spangen, Klammern, und Griffe, 
wie ja überhaupt diese Gruppe 
englischer Künstler sich um 
keinen Preis von der Tradition 
losreissen möchte und in ihren 
Ansichten wie in ihrer prakti- 
schen Bethätigung je nach ihrer 
persönlichen Eigenart so gut 
Verbindungen zu Benvenuto 
Cellini als zur englischen Go- 
tik aufweist. Solches zeigt auch 
der Schmuck Askbee's und der 
„Guild", meist aus Silber fein 
und graziös gehämmert; Email 
und Halbedelsteine seltsam ge- 
schnitten, geschliffen, oder auch 
in der natürlichen unregelmäs- 
sigen Form eingesetzt, geben die 
farbige Ergänzung zur Metall- 
arbeit. Eine Reihe grösserer 



Metallarbeiten, ein Lüster von Ashbee, ein 
Beleuchtungskörper mit sehr schönem, leuch- 
tendem Email von Fisher, die bekannten 
Kupfergeräte von Benson wiederholen den 
erfreulichen Eindruck ehrlicher, aufrichtiger 
Arbeit. Von dem Architekten Voysey, dessen 
Arbeiten mit Unrecht in Deutschland wenig 
bekannt sind, sieht man hier leider auch nicht 
allzu viel; doch fallen die ausgezeichneten 
Entwürfe für Tapeten auf, die mit einem 
leicht belebten und eng an die Natur sich 
anschliessenden Dessin aufs beste eingehe 
harmonische Farbenwirkungen verbinden. 
W. Fred 



UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN 

Von Richard von Sckneidbr, Florenz 



Die Phantasie der jugendfrischen Künstler 
bewegte sich bisher in Einzelmotiven. 
Wohlabgeschlossene Gesamtanlagen, wo Archi- 
tektur, Skulptur und Gartenbau einen voll- 
tönenden Chor bilden, perspektivisch wir- 
kungsvolle Palast- und Platzdispositionen hat 
sie uns bisher vorenthalten. 

Gelegenheit gäbe es genug, unser archi- 
tektonisches Gesamtempfinden zu zeigen, 
wenn auch nur vorübergehend, etwa bei 
Ausstellungsbauten für Kunst, Gewerbe, 
Agrikultur; an vorüberrauschenden Festen 
aller Art mangelte es in den letzten Jahren 
gewiss nichtl 

Abgesehen von der Innenausschmückung 



solcher Ausstellungsbauten, bei denen Fort- 
schritt und glückliche ErFolge nicht wegzu- 
leugnen sind, vermissen wir bei der ge- 
samten Grundrisslösung eine perspektivisch 
wirkungsvolle Anordnung, bei derGruppierung 
von Festplätzen und Promenaden jede gesunde 
Phantasie, obgleich sie oft unbeschränkt 
walten könnte. 

Selbst das „Darmstädter Dokument deutscher 
Kunst* enttäuschte wohl am meisten durch 
seinen Lageplan, obgleich diese Ausstellung 
mit bleibenden Objekten zu rechnen hatte, 
und der Raum von 10000 qm keine Be- 
schränkung auferlegte. Bei aller aufrichtigen 
Wertschätzung von J. M. OLBRrcK's Begabung 



JOHN EDNIE, BOFFET 



-^-^> DIE SEKTION SCHOTTLAND <^i^ 



kSnnen wir nicht leugnen, dass er uns dabei 
jede leise Andeutung schuldig blieb, ja er 
verrät, trotz aller Vorliebe des sich Aus- 
schreibens, mit keiner Silbe auch nur einen 
Gedanken, geschweige originelle Gesichts- 
punkte über diese brennende Frage. 

Die Architekten lieben es in neuerer Zeit 
wieder, phantastische Entwürfe und Einfälle 
aller Art zu veröffentlichen, eine Gepflogen- 
heit, die sie mit Barockkünstlem und manchen 
alten Renaissancemeistern teilen. Welch ein 
Unterschied rein stofflich betrachtet ! Jene 
zeichnen Innenräume, Palastfassaden, böck- 
linische Stimmungsarchiiektur, diese grosse 
phantastisch historische Erinnerungen, rein 
perspektivisch lineare Inspirationen, wobei 
sich ihre volle Lust und helle Freude an 
Gesamtdispositionen und perspektivischen 
Durchblicken zügellos austoben konnte, was 
ihnen die Realität oft versagte. 



DREITEILIGER WANDSCHIRM ■ ENTWORFEN 
VON E. A TAYLOR ■ « AUSGEFÜHRT VON 
VYLIE & LOCHHEAD, GLASGOW •««■« « 



Besonders aber rächt sich diese Vernach- 
lässigung unserer Kunsterziehung, die ver- 
siegte Empfänglicheit Für jenes RaumgefiJhl, 
über welches das XVH. Jahrhundert in herr- 
lichster Weise zu verfügen verstand, der 
Mangel von Empfindung für harmonische 
Unterordnung in die bestehende Umgebung 
bei der Erhaltung unserer alten Baudenk- 
mäler, bei Anordnung hervorragender Monu- 
mente, ja bei allen Städteregulierungsfragen. 

In einem Aufsatz dieser Zeitschrift ,Zur 
Rettung unserer alten Baudenkmäler", hat 
Hermann Muthesius dieses moderne Re- 
staurationsverfahren treffend als Dokumenten- 
fälschung bezeichnet und die Zerstörung der 
uns lieb gewordenen Werke durch das Um- 
hauen geschildert (Aprilheft 1902). 

Es genügt daher ein kurzer Hinweis, um 
weiter klarzulegen, wie unsere Altertümer 
durch die Veränderung ihrer nächsten Um- 
gebung oft geschädigt werden. Jedes Bau- 
werk wurde stets in die betreffende Um- 
gebung hineinkomponiert und namentlich mit- 
bestimmend war die Höhe der anschliessenden 
Häusergruppen, welche durch ihre Anspruchs- 
losigkeit mit ihren ruhigen Mauerflächen das 



-;r^I> DIE SEKTION SCHOTTLAND -C^-,:- 



prächtige Hauptwerk eines Platzes oder 
Strassenbildes um so entschiedener hervor- 
treten liessen, ja gerade durch diesen Kon- 
trast die schönste Schauwirkung erzielten. 

Der Reiz mancher Architektur ist auch oft 
auf erzwungene und bestimmte Sehdistanzen 
berechnet. Diese Ueberschneidungen vor- 
ragender Risalite, die Plastik solcher Profile 
verlangen Seitenblick. Daher kann schon 
eine Verbreiterung der Strasse die Wirkung 
des alten Bauwerkes beeinträchtigen. 

So muss eine gotische Kathedrale mit 
ihren Türmen, Strebebögen, Fialen und all 
dem Masswerk durch ihre Höhenentwicklung 
das ganze benachbarte Stadtbild weit über- 
ragen, obgleich die Verhältnisse der an- 
liegenden Strassen und Plätze denselben 
mehr hochstrebenden, beengenden Tendenzen 
folgen sollen. 

Ein Strassburger Münster vollständig frei- 
gelegt auf einem Riesenplatz ä la Place de 
la Concorde, oder von sieben bis sechzehn 
Stock hohen amerikanischen Häusern um- 
geben, wäre vernichtet. Oder: Ein prunk- 
voller Barockpalast mit flachem Kuppeldach 
und überreicher Verzierung, ursprünglich 
zwei Stockwerk hohen schlichten Häuser- 
fronten eingebaut, wird in seiner Wirkung 



geschädigt, sobald demselben ein Zinshaus 
mit Pagodenkuppel und aufdringlichen Fas- 
sadeneffekten angefügt wird. Die Erkenntnis 
eines Naturspieles kann nur durch Vergleiche, 
durch das Abwägen der Kontraste, durch das 
Unterscheiden empfangener Eindrücke er- 
reicht werden. Das ist geistiger Genuss ! 
Durch Betrachtung des Dinges an sich ist 
noch kein Forscher zum Verständnis ge- 
kommen. Sind Kunstwerke etwas anderes 
als Naturprodukte? Verlangen sie nicht auch 
Erkenntnis und daher Vergleichung? Entzieht 
man ihnen ihre Umgebung, ihre Wertmesser 
worauf sie berechnet waren, so zerstört 
man sie. 

Obwohl die Architektur des XIX. Jahr- 
hunderts bei allen möglichen Stilarten in die 
Schule ging, büsste sie, wie H. Muthesius 
sagt, nicht nur jeden eigenen Halt und jedes 
architektonische Bewusstsein ein, sie ver- 
lernte auch das unbefangene Sehen, die na- 
türliche Selbstkritik. 

Bei diesem Kunststudium nach alten Vor- 
bildern verlor sich der Baukünstler in Details, 
der gesunde Blick für die Gesamtheit, für 
die veränderten Proportionen, versiegte. Heute 
jagt er ebenso Einzelmotiven, Aeusserlich- 
keiten, leeren Fassadeneffekten nach, nur 
mit dem Unterschied, dass er nicht die älteren 
Auflagen aus den siebziger und achtziger 
Jahren seiner Fachlitteratur durchblättert, 
sondern in den neuesten Monatsheften In- 
spirationen für .individuelle, modern eigen* 
artige" Formen und Fassadenkombinationen 
sucht. In den Fachzeitschriften , in den 



-^^-^y UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN <^^^ 



Neuerscheinungen unternehmungslustiger, den 
Zeitgeist klug ausspähender Verleger, be- 
gegnen wir immer neuen rein äusserlichen 
Motiven und Details für neuzeitliche Fassaden, 
ohne Grundrisslösungen. 

Diese Thatsachen gewähren uns einen all- 
zutiefen Einblick in die Geheimnisse unserer 
Baukanzleien, und deuten uns an, welch 
künstlerisches Empßnden da von 8 — 12 und 
2 — 5 Uhrdie angehenden Bauräte beseelen mag. 

Ohne der Architektenschaft nahe treten zu 
wollen , in deren Reihen wir die hervor* 
ragendsten Pioniere moderner Kunstbewe- 
gungen hegrüssen und es wahrlich niemals 
an bedeutenden grossen Künstlernaturen ge- 
fehlt hat, bildet die grosse Mehrheit derselben 
heute eine geschlossene, eigensinnige Partei, 
die sich „als die Krone des modernen Menschen 
in seiner glücklichen Vereinigung von Idealis- 
mus und Realismus" betrachtet. 

Parteistandpunkt bedeutet aber nicht sehen 
wollen, nichterkennen wollen, sagte gerade jener 
Denker, dessen Herrenmoral und Willen zur 
Macht oft miss verstanden in Phrasen und 
leeren Thaten heutigen Tages ausgebeutet 
wurde. DaFaus erklärt sich aber auch das 
starre Festhalten an allen alten längst er- 
kannten Vorurteilen bei Städteregulierungen, 
Konkurrenzen und allen möglichen Denkmals- 
afbiren. 

Für diese Kreise existiert nicht der seit 
1890 in drei Auflagen erschienene .Städtebau" 
von Camilixj Sitte, ein Buch, welches gründ- 
lichste Erfahrung mit künstlerisch feinfühlen- 
dem Blick vereint und in klarster Weise die 
Schäden und krankhaften Vorurteile moderner 
Verkehrstechnik biossiegt. 

Man baut weiter neue Kirchen in denkbar 
unglücklichster Lage, reguliert und zerstört 
in gleich beschränkter Weise. 

Jeder Unbefangene muss die Richtigkeit, 
die logischen Schlussfolgerungen, den künst- 
lerischen und ökonomischen Wert solcher Er- 
fahrungen und Beweise anerkennen. Nie- 
mand vermag sie zu widerlegen, und trotzdem 
wird gegen den gesunden Menschenverstand 
und Geschmack fortgesündigl P 

Verhältnismässig geringe Ergebnisse er- 
zielten Alfred Lightwark und manch anderer, 
für moderne Reformen thätiger Schriftsteller. 
Doch dadurch und mit den günstigen Resul- 
taten auf dem Gebiete der angewandten Künste 
ist der Samen gesät;' fruchtbringende, ver- 
heissungsvolle Keime wogen schwebend in 
den warmen Frühlingslüften, es gilt nur noch 
die fette nach Befruchtung lechzende Scholle 
kräftig aufzuwühlen, um sie für die neue Saat 
empfänglich zu machen. 



Es wäre aber für den dauernden Erfolg 
unserer Kunstbewegung ein verhängnisvoller 
Irrtum, wenn der neue Geist sich auf klein- 
lichen Formenkram beschränken würde. 

Niemand bestreitet, dass neue Konstruk- 
tionen, neues Material, selbst erhöhte Löhne, 
andere Weisen fordern ; aber Architektur ist 
vor allem Raumkunst, und veränderte Zeiten 
verlangen neue Raum Verhältnisse. — Vom 
Raum heraus baut man, und hier hat die 
Reformation einzusetzen. 



KUPFERNER LOSTER FOR ELEKTRISCHES 
L[CHT a ENTWORFEN VON JOHN EDNIB « 
AUSGEFÜHRT VON S. C. EDNIE, EDINBURG ' 



-^f.^D- UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN <^-e- 

Ein Miethaus, welches, aussen Modernität, 
im Innern die luftlosen, ungesunden, dunklen 
Räume, die Rohheit unserer Hofanlagen, diese 
Lichthöfe, beibehält, ist ebenso eine Albern- 
heit und Lüge, wie jenes, welches mit deutschen 
Renal ssancetürmchen und falschen Kuppeln 
prunkt. 

Licht, Luft, Lust muss innen herrschen! Nur 
dann ist es glücklich gebaut, wenn auch das 
Innere Gesundheit, das ist Schönheit, atmet. 

Bei dem ständigen Wechsel der Parteien, 
somit veränderlichen, individuellen Lebens- 



SEKRETÄR AUS GRAUGEBEIZTEM HOLZ MIT SILBERNEN 
BESCHLAGEN « ENTW. VON SAMUEL WYLIE UND B. A. 
TAYLOR«AlISGEF,VON WYLIE & LOCHHEAD, GLASGOW 



Forderungen, müsste man darauf sinnen, 
bleibend eingeteilte Räume, wie Kuchen, Bade- 
zimmer, Vorhallen zu bauen, und dann eigent- 
liche Wohnräume, die durch leicht verschieb- 
bare Querwände, je nach Bedürfnis der indi- 
viduellen Gewohnheit, des Berufes, des 
Geschmackes der Bewohner, mit geringer 
Mühe einzuteilen wären. Ein Leichtes I An 
Decke und Fussboden könnten kostenlos, bald 
da, bald dort ein Holz- oder Eisenfalz einge- 
schraubt werden, um die hineinschiebbaren 
Zwischenwände festzuhalten; auch die Thür- 
pfosten waren versetzbar und als mitstützen- 
des Glied, den Wänden einzufügen. Damit 
wäre ein praktisches, dem modernen Wechsel 
angepasstes System geschalfen, welches eine 
Reihe von Verbesserungen mancher Aus- 
stattungsfragen nach sich zöge. Infolge dessen 
müsste das dekorative Schema unserer Pla- 
fonddekorationen und unserer Fussboden eine 
Aenderung erfohren. — 



DAVID GOW « TAPETENMUSTER .ROSE UND FUCHSIE« UND .SCHWALBEN. 



C, F. A. VOYSEY « WANDTEPPICH 



-jT^TV UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN <^-,^ 



JESSIB M. KING ■ DEKORATIve ZEICHNUNG: DER TANZ DER VEISSEN R 



Mit diesem Wechsel sollten aber auch unsere 
kostspieligen unpraktischen zwei Fenster Tallen, 
und an deren Stelle entweder wie Lichtwark 
empfiehlt, ein grosses, breites Fenster mit 
hoher Fensterbank treten, oder die Belich- 
tung zweigeteilt sein. Etwa so: im oberen 
Drittel der Wand, knapp unter der Decke, 
eine sehr breite, oft die Ventilation ersetzende 
Lichtquelle, darunter im mittleren Drittel ein 
kleineres Fenster, welches dem Arbeitstisch 
vermehrtes Licht ermöglicht und zugleich 
einen Blick auf die Strasse gestattet. Der 
Innenraum wird dann gesunde Behaglichkeit, 
intimen Reiz und vor allem Wände erhalten, 
an welchen M5bel bequem stehen können. 
Der Fassade wären ihre natürlichen Mauer- 
flächen und damit der Charakter der festen 
Abgeschlossenheil wiedergegeben. Je nach 
Lage des Stockwerkes sollte die Fenstergrösse 



verschieden sein. Höher und freigelegene 
Etagen, die dadurch hell genug, aber dem 
Weiteranfoll mehr ausgesetzt sind, sollten 
anders geformte Fenster erhalten als tiefer 
gelegene, in engen Strassen beflndliche Woh- 
nungen. Dadurch wäre schon eine Abwechs- 
lung für die verschiedenartigsten Fassaden- 
lösungen unserer Zinshäuser geboten. 

Am Reissbrett giebt es keine Höhenunter- 
schiede, deshalb führt der moderne Architekt 
meist das letzte Stockwerk ebenso dekorativ 
aus, ja die neue Wiener Bauschule oft noch 
reicher, als die Belle-Elage. Diese durchaus 
flache, oft farbige Ornamentik ist für den 
Charakter des Strassen bildes ganz belanglos, 
für Fern- und Seitenblick ist sie als Flach- 
ornament nicht berechnet, und bei den brei- 
testen Strassen kann der Passant seinen Blick 
nicht so hoch richten, er wäre denn ein 



-^r£^> DIE SEKTION SCHOTTLAND <^^ 



FR. H. MGWBERY a DREI KISSEN 

„Hans guck' in die Lufi", der seine 2^rstreut- lutionär um, und dadurch sind unsere Bildungs- 

heitbald büssen würde 1 Nicht nur technische, anschaunngen und die ganze Betrachtungsweise 

ethische, soziale, hygienische Lebenserfah- gegenüber den Ueberresten der Geschichte 

rungen änderten sich. Auch unsere Gefühle vieJ objektiver geworden. Es mag ja geradezu 

und Empfindungen gegenüber der historisch, ein Schaden in dieser Objektivität liegen für 

künstlerischen Vergangenheit sind gänzlich die künstlerische Qualität. Wahre Kunst 

verschieden von jenen unserer Ahnen. So muss aber den ganzen Menschen, mit all 

ist durch die Photographie ein vollkommen seinem Wesen und den feinsten GefühlsfSden 

mechanisches Sehen ermiJgUcht, die Empßing- zum äquivalenten Ausdruck bringen. Daher 

lichkeit des Gesichtssinnes bildete sich revo* ist es unsere Pflicht und unser gutes Recht 



FR. H. NEWBERY « VAKDBEHANG 



^j-^> UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN <^-^ 



C. R. ASHBEE « THEETISCH 



C. R. AäHBEE ■ LEHNSTÜHL 



bei Neubauten nicht nur unsere eigene Bauart, 
sondern auch jene vollste Harmonie mit den an- 
liegenden, alten Kunstschöpfungen zu fordern. 



C. R. ASHBEE « LOSTER 



Es ist Parvenutum , Altes, Hisiorisches 
mit all seinen Erinnerungen zu zerstören 
und Neues protzig hinzusetzen, sowie hoher 
Bildungsstufe greuelhaft, wenn alte Kunst- 
werke durch brutale Effekte und aufdringliche 
Zinshäuser ihrer souveränen Ruhe beraubt 
werden. Diese Harmonie ist vollkommen zu 
erreichen, ohne auch nur ein Atom echter 
Eigenart zu opfern, geschweige in leere Nach- 
empfindung zu versinken. 

Indem wir jene Raumgefühle, mögen sie 
erhaben, majestätisch, heilig, mystisch, ernst, 
feierlich oder heiter sein, jene Stimmungen, 
welche ehrwürdige Denkmäler in uns wach- 
rufen, gleichsam als musikalisches Leitmotiv 
bei unseren Strassenbildern, Platzanlagen, 
kurz bei der nächsten Umgebung entsprechend 
durchführen, und in unseren Neubauten mit 
reichen Variationen ausklingen lassen, können 
wir durchaus modern bleiben und dabei eine 
symphonische Wirkung erzielen. 

Ja, mag dann die Innenstruktur, dem Zwecke 
des Gebäudes entsprechend, ihre eigene Sym- 
bolik und Charakteristik haben. Sache des 
Künstlers wird es sein, durch die richtige 
vermittelnde Variation die Dissonanzen nach 
aussen hin zu versöhnen. Wir neue Menschen, 
die wir die richtige Erkenntnis für die Ver- 
gangenheit mitbringen, werden dann um eine 



-;?-^> DIE SEKTION ENGLAND <^J-i^ 



Zur grossen Enttäuschung und wenig aus- 
sichtsvoll wird der Blick, der sich auf die 
Motivenarmut unserer Monumente und die 
vollständige Entartung unserer Gartenanlagen 
richtet. Sind reichliche Mittel vorhanden, 
so wissen Bildhauer und vor allem Archi- 
tekten bisher nichts Besseres anzufangen, 
als das Monument in eine halbrunde Rücken- 
wand oder Bogenhalle zu setzen oder gar 
darüber eine monströse Anlage zu errichten, 
welche das eigentliche Standbild als Neben- 
sächlichkeit behandelt. Auch der differen- 
zierte, so beliebte Masstab schädigt meist in 
der Gesamiwirkung beide Teile. Die her- 
vorgehobene Statue erscheint plump, die 
Umgebung wie Ktnderspielzeug, um den Aus- 
druck Lichtwark's zu gebrauchen. 

In der Auffassung, nicht in der Grösse 
der Massen, sollte wahre Monumentalität zu 
suchen sein. Aus Mangel an richtigen Plätzen 



C. R. ASHBEE « STANDUHR 



gotische Kathedrale die Platz- 
gruppen entsprechend feieriich 
mystisch dazu stimmen können, 
dem selbstherrlichen Barockpalast 
mit kräftigen Profilen und seiner 
überreichen Ornamentik, eine ein- 
fache, grossflächige Umgebung als 
Kontrast entgegenstellen, oder in 
der modernen Gartenanlage seine 
reiche Rhythmik austönen lassen, 
endlich unserem altdeutschen Re- 
naissance-Rathaus die Intimität sei- 
nes Plätzchens bewahren. DieNais- 
sance im vollgestimmten Accordt 
Nichts mehr zerstören, alles be- 
wahren und diese völlige Neugeburt 
wird dadurch ungeahnte, neuartige, 
individuelle Harmonien zwischen 
unserer Ahnenwelt und unserer 
ganzen Persönlichkeit schaffen. 

Fort mit allen Schul verurteilen! 
Dass auch die Modernsten davon 
angekränkelt, beweisen nicht nur 
ihre verfehlt dekorierten Bauten, 
ihre Schulthemata, sondern ihre 
falschen Dogmen über Symmetrie- 
axen, von geschlossenen axealen 
Grundrissdispositionen über Aug- 
ruhepunkte, Locierung und Mar- 
kierung von Axenbrüchen, und wie 
sonst diese akademischen Phrasen 
heissen mögen! Sie bestehen ja 
nur für Reisschiene und Reiss- 
brett. Nur eins ist nott Feiner 
durchgebildeter Geschmack. 



T-^y DIE SEKTION ENGLAND <^^ 



K. S. BENSON « KRISTALLVASEN, IN KUPFER GEFASST 



setzen wir dann manche Standbilder ohne 
architektonische Vermittlung der Garten- 
anlage in verborgen lauschige Winkel unseres 
Stadtgartens. Eine Lächerlichkeit! 

Das Exedra-Motiv findet oft Anwendung. 
Bei den Alten wurde diese Bank rechts oder 
links vor dem Stadtthor aus Utilitätsgründen, 
häufiger als Grabmal dekorativ umgebildet, 
hier und da an der Hauptstrasse aufgestellt. 
Dass es dreissig- oder fünTzigmal in derselben 
Allee nebeneinander wiederholt wurde, blieb 



der neuesten Zeit vorenthalten. Schon dass 
sich Künstler finden, die dazu beraten haben, 
ist Symptom! 

Welch herrlicher Gedanke I In modern 
architektonischer Sprache ein ganzer Königs- 
garten I Unter blühenden Bäumen, beschnit- 
tenen Hecken, vor Blumenrabatten eine in 
Stein gemeisselte Ahnenwelt und unter Bogen- 
hallen, Kommuns, Triumphpforten, auf Balu- 
straden und Rampenmotiven eine Geschichte 
menschlicher Geisteshelden I 



W. A. S, BENSON ■ THEESERVICE, IN KUPFER GETRIEBEN 

418 



^r-^> UNSER MONUMENTALES GESAMTEMPFINDEN <^^ 



Vorerst müssten aber die deut- 
schen Vorurteile gegen wahre Gar- 
tenkunst fallen, denn unsere gegen- 
wärtigen Gartenanlagen lassen sich 
niemals mit künstlerischen Ideen 
in Einklang bringen. 

Solch eine moderne Gedanken- 
losigkeit, wie unlogisch und un- 
konsequent! Kastrierte Blumen, 
Missgeburten der Natur, krank- 
haft gezogene Gebilde, die nur 
dem Fanatismus eines grübelnden 
Fachmannes oder eines geschmack- 
losen Gärtnerhims entsprangen, 
gefüllte Rosen, plumpe Astern, un- 
förmliche Blütenstände von Chri- 
santhemen bewundert der Alltags- 
mensch; dagegen vor fein abge- 
wogen beschnittenen Baummassen 
und Blätterwänden kann er sich 
nicht genug entrüstet zeigen über 
diesen menschlichen NatureingrifF. 
Als ob der Eingriff bei dieser na- 
turwidrigen, geschmacklosen Blu- 
menzucht nicht brutaler wäre! Die 
Engländer haben sich ihren ge- 
sunden Sinn für Gartenkunst be- 
wahrt, den Deutschen aber ist er 
verloren gegangen, obwohl wir, 
wie LiCHTWABK auseinandersetzt, 
an die besten Traditionen an- 
knüpfen könnten. 

Eins thut not, das architekto- 
nisch monumentale Gesamtempfin- 
den und unser Interesse fürperspek- 
tivische Wirkungen wachzurufen. 



-m 



AUSMAXLAUCER-si 



JR AUF DERKARLSRUHERJUBILÄUMSAUSSTELLÜNG 
423 



^T-^> orE KARLSRUHER JUBILÄUMSAUSSTELLUNG <^^^ 



MAX L Auger • Keramik 



am schärfsten in seinen Entwürren 
für Kacheln und Fliesen hervor, die 
man als mustergültig bezeichnen kann. 
Auch lebhafte, freudige Farben wen- 
det er mit Vorliebe an. Seine Ent- 
würfe zu Metallarbeiten sind von der 
Karlsruher Kunstschlosserei Lano, 
diejenigen zu Seidenstickereien von 
seiner Frau, die Metallarbeiten von 
den Karlsruher Künstlerwerkstätten, 
seine keramischen Arbeiten von den 
Thonwerken Kandern, endlich die 
Möbel von der Hofmöbelfabrik A. 
DtETLER ausgeführt. Auch seine 
Möbel sind in einem Stil, der eintger- 
massen bäuerlich anmutet, gehalten, 
daher sind auch die reichen, über die 
ganze Fläche laufenden Beschläge io 
Schmiedeeisen charakteristisch für 
dieselben. 

Ebenfalls ein ausgezeichneter Künst- 
ler ist Hermann Billino, Karlsruhe, 
welcher die Einrichtung des Rau- 
mes 31 ausgestellt hat, darunter be- 
sonders die Metallarbeiten erwähnens- 
wert. Ein prächtiges Werk ist bei- 
spielsweise die grosse Standuhr, ganz 
aus Messing und Aluminium ; das 
Zifferblatt ist als Stella Polaris ent- 
worfen, die Ketten sind mit zwölf 
Plaketten verdeckt, welche die Bilder 
des Tierkreises darstellen. Auch die 



^»-^> MAX LAUGER <^^ 



MAX lAUGER • K 



Kamin - Verkleidung in reicher 
Schmiedeeisenarbeit ist ein vor- 
treffliches Werk. Aehnliches gilt 
von seinen Seidenstickereien, die - 
sich durch besondere plastische 
Wirkung, welche durch kon- 
trastierende Farbenzusamtnenstel- 
lung erreicht wird, auszeichnen. 

Weiter sieht man einige Arbeiten 
von Konrad Hentschel, Meissen 
und Karl Kornhas, Karlsruhe: 
Interessantes Steinzeug haben Her- 
mann und Richard Mutz, Altona, 
Elisabeth Schmidt-Pecht, Kon- 
stanz und W. Magnussen, Mün- 
chen, ausgestellt. Die von der 
Grossh. MajolikaFabrik in Karls- 
ruhe gezeigten Majoliken wirken 
wenig günstig. Dagegen ist der 
von Fr. Ratzel für das Rathaus 
in Duisburg entworfene Brunnen 
(die Plastik modelliert von dem be- 
kannten Karlsruher Bildhauer F. 
Dibtsche) ein originelles, sym- 
pathisch anmutendes Werk, bei 
dem das Material, die Bronze, zu 
voller Wirkung kommt. 

Eine grosse Vitrine ist mit Pforz- 
heimer Künstlerschmuck gefüllt. 



-sr-i^> DIE KARLSRUHER JUBILÄUMSAUSSTELLUNG <^-^ 



MAX UUGER « KERAMIK 



In der That ist es sehr erfreulich zu be- 
merken, dass diese hervorragende Industrie, 
welche an 12000 Arbeiter beschäftigt, neuer- 
dings bestrebt ist, streng künstlerische Ar- 
beiten herzustellen. Es finden sich einige 
Entwürfe, besonders diejenigen des Prof. 
G. Kleemann, welche mit den besten fran- 
zösischen und belgischen Arbeiten kon- 
kurrieren können. Sie sind in den Werk- 
stätten von Th. Fahrner, H. SOllner, Lauer- 
WiEDMANN und Regenold ausgeführt. Prof. 
J. WOLBER und Ad. Schmid haben eine 



OFENTHOHE, in METALL GETBiEBEN • ENT- 
WORFEN VON MAX lAUCER « AUSGEFtIHRT VON 
DEN KARLSRUHER KONSTLERWERKSTÄTTEN • « 



Reihe vorzüglich gearbeiteter Plaketten aus- 
gestellt. J. Müller hat sich besonders der 
bisher künstlerisch so vernachlässigten Man- 
schettenknöpfe angenommen. 

Was das Ausland betrifft, ist, soweit das 
Kunstgewerbe auf dieser Ausstellung in Frage 
kommt, weniger zu sagen. Reizende Bronzen 
finden sich von Laporte-Blairsy, Paris, 
darunter eine sehr originelle Klavierlatnpe 
,Die Fee mit dem Schrein'. Eine, was die 
plastische Wirkung betrifft, geradezu be- 
rauschend wirkende monumentale Marmor- 
vase mit Nymphen und Satyrn, die mit 
grosser Bravour modelliert sind, hat J ean 
Antoine Inialbert, Paris, ausgestellt. 
Sehr reichhaltig ist die Sammlung Ville 
VALLGBEN'scher Bronzen. Ville Vall- 
GREN lebt in Paris, ist aber bekanntlich 
geborener Finne. Am charakteristischsten 
sind für ihn die in Schmerz und Ver- 
zweiflung aufgelösten Frauengestalten, die 
wie ein Weheschrei des ganzen unglück- 
lichen finnischen Landes wirken. Sobald 
Vallgren dagegen die Freude darstellen 
will, reüssiert er nicht. Ein hervor- 
ragend schönes Werk aus jüngster Zeit 
ist sein Marmorkopf «Ophelia". Endlich 
sieht man von ihm einen bronzenen 
Lampenfuss in reicher Arbeit, der wohl 
zu seinen besten Arbeiten zählen darf. 
Die Komposition wie die Modellierung 
im einzelnen ist bewunderungswürdig. 



FRAU E. SCHMIDT-PECHT • GLASIERTE THONCEFÄSSE 
MIT GEMALTEM UND EINGERITZTEM ORNAMENT • • 



-^^-^y DIE KARLSRUHER JUBILÄUMSAUSSTELLUNG •<^5-^ 



HERMANN BILLING ■ ECKSCHRANK M[T EfNCEBAUTEM SlTZ 



DAS DEUTSCHE STADTE-AUSSTELLUNGSPLAKAT 

Von Johannes KLEiNPAUL-Dresden 



An aller sichtbarlichsten bezeichnete die mo- 
derne Plakat-Kunst der letzten neunziger 
Jahre den Wiedereintritt von Kunst ins Leben. 
Ein herrliches und freies Schwelgen in neuer- 
wachten Formen und klaren Farben that vor 
aller Welt sich auf. Aus reiner Kunstfreude 
blieb man immer wieder vor den Litfassäulen 
stehen und nahm mit dem edlen Eindruck 
zugleich von ihrem Ankiindigungsinhalt Notiz. 
Dabei bewährte sich zumeist deutsche Art. 
Die Elemente der Japaner, Engländer und 
Franzosen, von denen wir die Affichenkunsi 
haben, waren rasch abgestreift. Nur die 
guten Anregungen blieben, die frei entfalteten 
sparsamen Linien, die klar leuchtenden, kräftig 
nebeneinander gestellten Farben, — der im- 



ponierende flotte Zug. Je einfacher die Mittel, 
je stilvoller die Technik, umsomehr erschien 
der Künstler gross. 

Jetzt, ein schlimmes Zeichen einerschlitnmen 
Zeit, ist scheint's diese blühende Kunst vor- 
bei. Ihre Pßege ist wieder einmal auf die 
wenigen Anstalten grössien Stils beschränkt, 
denen an aktuellstem und zugleich allge- 
meinstem Interesse besonders viel liegt, vor- 
nehmlich Ausstellungen. So veranstaltete die 
Deutsche Städte-Ausstellung, Dresden 
1903, einen Plakat-Wettbewerb unter den 
deutschen Künstlern. Einige achtzig Entwürfe 
gingen daraufhin ein und waren im Dresdener 
Ausstellungspalast zu sehen. 
Der Saal machte einen höchst mannigfaltigen 



-9-^> DIE KARLSRUHER JUBILÄUMSAUSSTELLUNG -C^-^ 



Eindruck. Zuerst verblüffte das Nebeneinander 
so vieler Formungen und Farben. Allmählich 
löste sich's auf zur Klarheit, fiel die Spreu 
vom Weizen ab. Es gliederten sich die Motive. 
Die vielen Dresdener Silhouetten — wie ver- 
lockend kam die Ausstellungsstadt den Künst- 
lern damit entgegen! — Hessen erstlich Dres- 
dener Werke erkennen. Im übrigen herrschte 
ein buntes Gemisch, darunter mancher Nach- 
klang von bewährtem Alten. Man sah einen 
Kopf, wie von der Germania auf dem Nieder- 
wald, einen «Schreihals", wie auf dem 1897er 
Kunstausstellungs- Plakat (Dresden), hehre 
Stsdtgöttinnen mit Mauerkronen im Haar, 
wie aufden neapolitanischen La vaschnitzereien. 



HERMANN BILl 



Die Heraldik, die alte deutsche Sage und 
Geschichte, der Patriotismus sind mächtig 
aufgelebt; auch zoologische Studien wurden 
verwandt. Man sah in visionärem Zustande 
Heinrich den Städtebauer, römische Krieger, 
Herolde, den Merkur, einen Roland, die Freia, 
dann Adler, Löwen, eine Eule, eine — Spinne 
sogar. Einer bekannte sich zum Bund der Land- 
wirte, stellte einen Reiter aus. Seltsam be- 
rührte eine über der Stadt schwebende Harpyie, 
seltsamer ein schwebender Kopf mit weisser 
Binde, darauf eine Inschrift. Zwei knieende 
Akte hatten Binden mit Slädteprofilen um 
den Leib. Auch ragten aus bergiger Erde 
zwei Hände, die einen Stadtblock trugen. 
Besser als fast alle diese 
wirkten schon die „Blicke 
aus der Höhe", vor allem ein 
trefflicher Akt in Rücken- 
ansicht, der in der Laterne 
eines Turms die Posaune 
blies — »de profundis' — 
und ein anderes Blatt, wo 
vielartige Turmspitzen ins 
Blaue strebten. 

Damit treten wir unter die 
im strengeren Sinne Mo- 
dernen, welche echteste Pla- 
katkunst gaben, je einfacher, 
desto besser. Hierzugehört 
der Entwurf «Elektrizität 
und Baukunst", der freilich 
vom eigentlichen Gegen- 
stand etwas abweicht. Auch 
sonst war übrigens die 
Elektrizität mehrfach in den 
Vordergrund gerückt, so 
auf dem (zum Ankauf em- 
pfohlenen) stimmungsvollen 
Bild «Heiliger Florian-, das 
einen Ritter in blauem Stahl- 
gewand zeigt, eine Reminis- 
zens an den „Hüter des 
Thals" von Hans Thoma. 
Immer kleiner wird der 
Kreis derer, die sich auf 
die sparsamsten Ausdrucks- 
mittel beschränken, und die- 
sen wurde der Preis zuer- 
kannt. Der Künstler des 
„Grundstein" schuf ein lapi- 
dares Werk in besondersein- 
dringlichen, etwas schweren 
Farben. Die Träger des 
dritten Preises, Klemm und 
RössLER-Dresden, übrigens 
die Urheber des vorjährigen 
„Grünen Jungen", zeigten 



-^r^^ DIE KARLSRUHER JUBILÄUMSAUSSTELLUNG <^^^ 



eine Mauerkrone, stolz und Fest auf schwarzem 
Felsmassiv. Der Dresdener Popp{zweiter Preis) 
malte eine am Eibufer sitzende Frau mit grüner 
Fussdecke und goldenem Ruder, darüber ein 
kraftvoll entfaltetes Gewölk; wenig anziehend 
vielleicht, infolge der matteren Farben, aber 
doch „Stil". Den ersten Preis erhielt und 
verdient der Berliner Nioa. Seine Arbeit 
hebt sich aus allen anderen bedeutend heraus, 
sie ist am wenigsten spezifisch deutsch. In- 
times französisches, noch mehr englisches 
Studium offenbart sich da. Drei Töne wirken, 
eine mächtig ragende, ganz linear aufgefasste 
Frau in Schwarz, schwarz wie der Bei£, auf 
dem sie steht. Zu ihren Füssen an der Erde 
blinkt weiss ein Gemäuer, ebenso das Stadt- 
gebild in ihrem Arm. Dahinter ist ein gelb 
glänzender Himmel gespannt. 

Zur Ausführung wurde jedoch von dem 
Hauptausschuss der Ausstellung nicht 
einer der von den Preisrichtern mit 
Preisen ausgezeichneten Entwürfe bestimmt, 
sondern ein Entwurf von Moritz Leopold, 

.■™ iJ!„.a „J ,iTa i._l, „»_ C-Ik»..«»,. HERMANN BILLINC, WANDBRUNNEN 

im Hmtergrund die bekannte Silhouette ausgeführt von puhl & wagner, 

Dresdens, im Vordergrund ein Roland. «««• rixdosf bei Berlin «•• • 



ÜIET 

VC 



Ich komme mii einem 
ich bringe meine lilare 
Meinung über die imcbt. 
Turiner Kirmes. Es wi 
danken ; *''" ich will den 
hehlen, dass die arge 
herrsclit. Vergeblich iiahe k 
\f ochen n>cli itJ Eröffnung 
lieh fertig werde; denn h 
noch, diss ir^endso in eini 
jggue, das Kräftige, die Tliit , 
lieit auftswJien weixfe. Die I 
herrKht. Dt und dort e 
Zimmer. Hie und ii eine 
Aber die Epiiirt suclit m 
Undvonkünsllerisdierüune, 
,iverPliuto*e,vonFirbenfreui 
lieh *m zu sehen, 
Vor allem: eisnijjjr^^j 



URINER AUSSTELLUNG (Fortsetzung): 
3N DER DEUTSCHEN ABTEILUNG 



Danaergeschenk : 
: und unverhüllle 
en Leistungen der 
/ird mir's keiner 
;nnoch nicht ver- 
Mittel mässigkeit 
ich gewartet, dass 
g die Sektion end- 
jmmer hoffte ich 
iinem Winkel das 
»t der Persönlich- 
3 Mittelmässigkeit 

ein anständiges 

ne brave Arbeit. 

man vergeblich. 

le, von konstruk- 

reude ist so herz- 

um nichts wie ein 



Nebeneinander von Ausstellungsräumen und 
Vitrinen. Es scheint, dass sich niemand 
darum gekümmert hat, wie ein Raum zum 
Nachbarn wirken wird, was da für eine Per- 
spektive erstehen, für eine Farbendissonanz 
sich ergeben wird. Es hat allerlei Konferenzen 
gegeben, — das weiss man aus Pressnotizen, 
mit denen ja nie gespart wird. Es hat tausend 
Intriguen, Uneinigkeiten, Zänkereien gegeben 
— das zu wissen, bedarf es gar keiner ge- 
heimnisvollen Nachrichten. Ein Gang durch 
die Ausstellung in den ersten Wochen nach 
der EröEfnung und eine Prüfung der Gesamt- 
anlage sagt genug. Es ist nicht genug zu 
tadeln, dass man an keinem Plane für die 
Verteilung der Räume festgehalten hat. Der 
Grundriss selbst — für die Installation ist 
Herr von Berlepsck verantwortlich — ist 
ein Fuchsbau j ich habe nie einen klaren 



^ 



^r^r> DIE TURINER AUSSTELLUNG -C^-,;- 



Begriff dieser libyriotbartig verzweigten, in< 
einandeTgescbachtelten Anlage bekommen 
können, und manchem Fachmann ging es wie 
mir. Nun, es mag hierfür die Ursache in 
iusseren Notwendigkeiten und Hemmungen 
gelegen haben. Unverständlich und unverzeih- 
lich aber ist die Art der Auswahl der Künst- 
ler, die sich beteiligten, das erbirmlich un- 
künstlerische Niveau manches zugelassenen 
Raumes (von Klein-.Kunst* will ich gar nicht 
sprechen', wie es in der Auslage eines mittleren 
Industriebazars kaum auFfälli, und vor allem: 
dassmangar nicht an eine Arbeirs Verteilung 
gedacht hat. Ich denke, nichts wäre niher 
gelegen — und hätte gewiss keine Beein- 
trächtigung der künstlerischen Freiheit eines 
Einzelnen bedeutet — als sich zu verständi- 
gen, wer einen Speiseraum, wer ein Schlaf- 



zimmer, wer ein Arbeitszimmer und wer ein 
Dameninterieur entwirft. Das scheint nicht 
geschehen oder doch nicht eingebalten worden 
zu sein. Ich habe drei oder vier weite, 
nutzlose, jedes Ausdrucks und jeder grossen 
Eigenart entbehrende Empbngshallen ge- 
sehen, eine Diele, ein paar kleine Frühstücks- 
und Arbeitszimmerchen, ein Speisezimnaer 
und manchen Ausstellungsraum. Aber icli 
entsinne mich keines einzigen Scbla^immer^ 
keines wirklichen Vobnzimmers und keines 
grossen Arbeitsrxumes. Es ist keine Kücbe 
da, es ist kein EUdeziromer d«, Diemuldem 
Gel es ein, ein Vorzimmer zu macheo- 
Und da man im letzten Jahre so hübsch viel 
von Kunsterziehung, von der Anleitung des 
Kindes zum künstlerischen Sehen und Ge> 
niessen sprach, so ist es ja — bei der praktiscben 



TEIL DER WESTFASSADE DES DEUTSCHEN GEBÄUDES AUF DER TURINER 
AUSSTELLUNG • ENTWORFEN VON H. E. VON BERLEPSCH-VALENDAS • • 



-..=^5> DIE TURINER AUSSTELLUNG 



HERMANN BILLING • EMPFANGSHALLE 



Art unseres Kunsthandwerks — ganz selbst- 
verständlich, dass — kein Kinderzimmer 
da ist. Man wird wahrhaTtig ganz verärgert 
und vielleicht (wenn's möglich ist) zu hart, 
aber ich erinnere mich, dass vor zwei Jahren 
in einer Londoner ganz unkiinstlerischen 
Ausstellung in Earl's Court draussen, wo 
man sonst hingeht, um den Strips and Star's 
Marsch zu hören und kleine vergnügte Mäd- 
chen zu sehen, Künstler vom ersten Range 
wie Cecil Aldin und Hassal Kinderzimmer 
ausstellten, ohne dass man Kunsterziehungs- 
tage abgehalten und bei Banketten vom 
Primavere del Arte moderna schöne Phrasen 
gesagt hätte. — Ich muss ja allerdings an- 
merken, dass ich drei oder vier Räume nicht 
gesehen habe; die Münchener und Elsässer 
waren noch vierzehn Tage nach der Eröffnung 
nicht fertig; doch sind die Münchener In- 
terieurs schon von Ausstellungen der ver- 
gangenen Jahre her bekannt und können am 
Gesamteindrucke so wenig ändern wie der 
eine elsässische Raum. Es war mir auch 
unmöglich, die Dresdener Räume der Ge- 
schwister KLEtNHEMPEL, die mir jedoch sehr 
gerühi^t wurden, zu sehen. — Schliesslich kann 
ich aber nicht verschweigen, dass es eben 
auch arg genug ist, dass die Abteilung nicht 
einmal mit stattlicher Verspätung fertig 
wurde. Zumal, da der Erfolg so ist . . . . 
Ich habe einige Gründe des Misstingens 



schon angedeutet: die verkehrte Anlage, die 
mangelnde Einigkeit. Dazu kam hier wie 
überall die Fülle der Ausstellungen, die 
Ueberhilztheit der Arbeit. Von alledem 
habe ich nun schon zum Ueberdrusse oft 
sprechen müssen. Ein wesentlicher Mangel 
des deutschen Kunsthandwerks, wie er si^h 
auch hier wieder erweist, liegt in der Abge- 
wandtheit vom Leben. Sieht man von ein paar 
glänzenden Keramiken von Sckmuz-Baudiss, 
vom Kayserzinn, von ein paar Textil arbeiten 
ab, so findet man nur allerlei Fabrikwaren, 
die äusserlich mit den gewissen, verhassten 
modernen Schnörkeln versehen sind. Die 
Räume selbst sind mit geringen Ausnahmen 
nur für Ausstellungswirkungen gemacht; ich 
wollte keinen einzigen von ihnen haben. Sie 
sind entweder zu feierlich, zu mühsam prunk- 
voll, oder zu langweilig, ohne doch ökonomisch 
zu sein. Ich will nicht in die Weite gehen. 
Mein Urteil steht nun da. Ich habe in Turin 
bestätigt gefunden, was man schon anlässlich 
mancher anderen lokalen Ausstellung sagen 
musste: die Talente fehlen nicht. Nur der 
Weg, der gegangen wird, ist falsch. Es fehlt 
am prüfenden Masse, an der Selbstzucht. 
Und leider fehlt es auch allzu oft am sorg- 
samen Handwerk. Die Turiner Räume sind 
zumeist weitaus schlechter gearbeitet, als 
die deutschen Interieurs in Paris 1900 es 
waren. 



^^^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-^ 



In den folgenden Bemerkungen über ein- 
zelne Arbeiten werde ich auf die Erwähnung 
alles dessen, was nicht im positiven oder 
negativen ein kritisches Urteil verlangt, ver- 
zichten. Ich finde es nicht notwendig, jede 
Mittelmässigkeit, selbst wenn sie ein hübsches 
Detail hat, mit weitläufiger Kritik zu be- 
gleiten. Die Abbildungen mögen auch hier 
dem Leser die Möglichkeit zur Revision und 
Ergänzung meines Urteils geben. 

Der erste EmpTangsraum ist von Peter 
Behrens. Es ist eine Hamburger Halle. 
Die graue Stuckverkleidung der Wände, 
Gipston, giebt das Hauptmotiv des Eindrucks. 
In der Mitte ist eine angeblich steinerne 
Fontäne in den Boden eingelassen, und zwei 
junge Damen sitzen recht unmotiviert da. 
In die Wände sind schwere, feuerfesten 
Kassen ähnelnde Vitrinen mit sehr viel 
vergoldetem Beschlag, eingelassen, und der 
Goldton wird auf dem Grunde des Brunnens 



wiederholt. Die Wirkung ist trist. Man 
Fühlt sich in einer Gruft. Es ist kühl und 
feucht. Ich sehe die Stimmungsbeziehung 
zu Hamburg nicht, und ich erkenne nur: 
falsches Material, falsche Würde, falscher 
Prunk. Mühsame Steifheit ist noch keine 
Heiligkeit der Form. Ein Glasdach deckt den 
Raum. Dünne grüne Gräser hängen herab; 
diese billige Stimmungsmacherei, diese Häu- 
fung von disparaten Motiven kennzeichnet mir 
die ganze Art dieses Raumes aufs beste. Die 
zweite Empfangshalle ist von den Dresdenern 
Kreis und Hudeler angelegt und verziert. 
Die Gesamtwirkung ist nicht schlecht. Ins 
Detail darf man nicht gehen, sonst merkt 
man, dass die Ausführung der Kacheln (Vil- 
LEROY & Boch) in der Färbung ungleich- 
massig ist, und wird auch durch die Ver- 
quickung verschiedener Techniken (Malerei 
und Brand, resp. Formung) gestört. Der dritte 
Empfangsraum, in Wahrheit : der wirkliche 



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MAX HANS KÜHNE • AUSSTELLUNGSSAAL 






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^p^g> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^^ 



ziellen deutschen Sektion ist, meines Er- 
achtens, dies der gelungenste Raum. Die 
grosse Diele von Berlepsch zeigt dieses 
Mannes Freude am Holz, an technischen 
Kunststücken. Das lichte Material wirkt ja ganz 
gut, aber weder Formen noch Linien, weder 
Grundriss noch Farbenzusammenstellung, 
schien mir bedeutend. Aus Berlin kann 
man zwei hübsche kleine Räume sehen, von 
Körnig ein Frühstückszimmer, das einige 
Behaglichkeit aufweist, von Huber einen 
hellen Arbeilsraum, dessen schöne Material- 
bearbeitung (Holz und Beschlag) aufrällt. 
Von dem Badener Architekten Or£ans ist 
ein blau-grau gebeiztes Speisezimmer da, 
das, wenn man eine OLBRrCH'sche Vorlage 
vergisst, sehr einnehmend ist. Die Möbel 
sind in die Wände hübsch eingebaut, die 
Flächenteilungen und Proportionen sind an- 
genehm, die ruhige Farbenstiramung — blau- 
graues Holz, silberweisser Beschlag und 
weisse Decke — ist ausgezeichnet. Details 
eines Raumes von Stoeving seien erwähnt. 
Nun kann ich nur noch zwei ganz miss- 
lungene Räume nennen: von Kühne, der 
sonst so Gutes kann, einen Saal mit einer 
fürchterlich schwarz • orangenen Kassetten- 



SCHRANKDETAIL • ENTWORFEN VON ANTON 
HUBER, BERLIN • AUSCEFOHRT VON DER 
MÖBELFABRIK V. KOMMEL, BERLIN a« ■ ■ 



Empfangsraum. Er ist von Billing. Ein Gold- 
muster der Wände giebt -die Grundwirkung 
ab; ein schlecht eingefügtes Arrangement mit 
einer Büste des Kaisers soll für die Stimmung 
sorgen. Eingemauerte Säulen mit abgestumpften 
Kronen sind mir in ihrer konstruktiven oder 
auch nur dekorativen Absicht unverständlich. 
Sie tragen nicht; sie geben dem Raum weder 
Sicherheit noch Feierlichkeit. Ein tiefer Sitz 
in der Mitte der Halle kennzeichnet die 
Gesamtwirkung: Ausstellungsstück. 

In einem Räume von Möhring, der sich 
)a auch durch seine Berliner Stadtbahnbauten 
in die erste Reihe gestellt hat, kann man 
sich erholen. Hier sollte und wird gezeigt, 
dass ein Empfangsraum durch vornehme 
Farbenstimmung und gute Flächenverteilung, 
durch ein paar dekorative, schöne Malereien 
von Walter Leistikow edel wirken kann. 
Die Farbe des Gemachs ist das Blau der 
Eiche, der Ton: Ruhe. Ein grosser Spiegel, 
in der Mitte ein schönes Tier von Gaul, 
das sind die Wirkungs mittel. In der ofH- 






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^r.^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-c- 



decke, und als Ausbund der Unfähigkeit: eine 
Taufkapelle von LOhr & Wichtendahl, eine 
Renaissanceverballhornung, was man jetzt 
so gerne und Ihöricht Modernisierung nennt. 
Aber die flachen, in den Farben ausdrucks- 
losen Malereien, haben so wenig mit alter 
Kunst als mit unseren Anschauungs- und 
Gefüblskreisen zu thun, und dasselbe gilt 
für die enge Halbkreisform und die Stumpf- 
säulen mit den komplizierten Kapitalen. 
Von kleinen Objekten erfreut das „Kayser- 
zinn", das sich mit seinen guten Flächen, 
der leichten Metallbehandlung gut in den 
täglichen Gebrauch fügt. Die Scherrebeck- 
Teppiche machen den wohlthuenden Ein- 
druck altfränkischer Eigenart, und Werner- 
Schmuck verdient ein Wort, trotzdem man 
sich wundern muss, dass in unserer Zeit der 
Linienkunst nicht mehr künstlerische Laune 
frei ist, um im schönen Material — ferner 
von Französischen Vorbildern, als dies jetzt 
geschieht — Anmutiges zu erfinden. 

Der Baumeister J. M. Olbrich hat fern 
von der offiziellen deutschen Abteilung seine 



hessischen Räume. Das kann nur der deut- 
sehen Abteilung von Schaden sein. Denn 
die OLBRiCH'schen Interieurs machen einen 
vorzüglichen Eindruck. Olbrich's Kunst 
ist reifer und ruhiger geworden. Er wirkt 
durch die elegante, behagliche Wärme der 
Farbenstimmung, durch die vielen geschmack- 
vollen Details. Ihm fällt eben eine Menge 
ein; seinem Werke sieht man die Schaffens- 
freude an. Ein Wohnzimmer von ihm, 
das hier ist, heimelt in seiner blau-weissen 
Tönung mit seinem zarten Erker aufs freund- 
lichste an. Ein Stück Dichter war zu allen 
Zeiten in Olbrfch wirksam. Das war früher 
ihm oft eine arge Schädigung; da er aber 
nun die Konstruktion immer sicherer zu be- 
herrschen gelernt hat, Fallen die störenden 
Bizarrerien, die spielerischen Fehler seiner 
Art von ihm ab, und er entwickelt sich zu 
schöner Reife. 

• • 

— — — Ich suche nach einem ab- 
schliessenden Worte. Mir will kein hoFF- 
nungsvoller Ton über die Lippen kommen. 



-:^4^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^^ 



Ich weiss und konnte es jetzt wieder in 
Turin bemerken: Es sind viele und ehrliche 
Talente da (übrigens weit mehr als man zur 
Ausstellung heranzog); nur der Weg ist 



schlecht. Es muss anders werden. Sonst ist 
über kurz oder lang der grosse Katzenjammer 
endgültig da. . . . Schlagt den Hund tot, er 
ist ein Rezensent! v. Fred 



DIE SEKTION OESTERREICH 



Es wäre ungerecht, nach der österreichischen 
Abteilung der Turiner Ausstellung ein Bild 
des Kunsthandwerkes dieses Landes entwerfen 
zu wollen. Die Künstler der Secession haben 
jede Beteiligung abgelehnt, und so Fehlt der 
Ausdruck gerade jener künstlerischen Eigen- 
arten, die sehr bestimmend für das Wesen 
jung-österreichischer Kunst waren und sind. 
Die Persönlichkeiten Otto Wagner's.Joseph 
Hoffmann's, Koloman Moser's, Leopold 
Bauer's und mancher ihrer Schüler sind 
bei vielen anderen Gelegenheiten so krsrttg 



hervorgetreten, dass man sich eine Vor- 
stellung Österreichischer Art ohne ihre 
Stimmen gar nicht mehr machen kann. Ihr 
Fehlen tritt um so stärker hervor, als es 
sich für Oesterreich in Turin nicht allein 
um Innendekoration, sondern auch um Bau- 
kunst handelte. Oesterreich war das einzige 
Land, das ausserhalb der grossen Halle aus- 
stellen durfte, und so hätten zwei kleine 
Häuschen zeigen können, welche Leichtig- 
keit des architektonischen Einfalles manchem 
Wiener Architekten gegeben ist. Während 



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VORRAUM « ENTWORFEN VON FRIEDRICH ADLER « CRAUGEBEIZTE EtCHENHOLZVERKLEIDUNC UND 
MÖBEL AUSGEFÜHRT VON DER LEHR- UND VERSUCHSWERKSTiTTE, STUTTGART « FUSSBODENBELAG 
UND SCHIRMSTANDER ENTWORFEN VON META HONIGMANN « MUSTER DER VEREINIGTEN WERK- 
STÄTTEN FOR KUNST IM HANDVERK, MÖNCHEN « STICKEREIEN VON ROSA MEIER, ULM «•««•• 



-!rJ^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-^ 



ich versuche, mir die beiden Bauten in die Er- 
innerung zurückzurufen, die Baurat Bau- 
mann von aussen nach innen von der spie- 
lerisch angelegten Fassade zu dem gleich- 
gültigen Grundriss entworfen hat, kommen 
mir zwei Neuerscheinungen in die Hände, 
die Werke des Oberbaurats Otto Wagner 
und seines Kreises zeigen. Die reich illu- 
strierte Neuauflage , Moderne Architektur"*) 
und der Rechenschaftsbericht der Waoner- 
schen Schule**) wecken das heftigste Be- 
dauern, dass alle diese Künstler sich, per- 
sönlichen Stimmungen folgend, fern gehalten 
haben. Dazu kommt noch, dass der Kreis 
des österreichischen Museums, der die Aus- 
stellung also bestritten hat, und aus dem 
heraus Jahr für Jahr gewiss manche gute 
und fruchtbare Arbeit geleistet wurde, dieses 
Jahr durch die Österreichische Ausstellung 



•) Verlag von A. SCHBOLL & ClE., Tien. Preis 
M. 12.50. 

••) Aus der W AON ER-Schule 1901, ebenda. Preis 
M. 21.-. 



in London sehr in Anspruch genommen 
wurde und deshalb hier schlechter auftritt, 
als nötig gewesen wäre. Es ist zu viel 
Gleichgültiges, Anstandiges, zu wenig Ori- 
ginelles und Künstlerisches da. Die Luft ist 
nicht allzu frisch, Eigenarten sind rar. Gott 
besser'sl 

Ein Kiosk mit halbrundem Vorbau, ganz 
willkürlicher Fassade und nicht sehr ge- 
schmackvoller, „sinniger", schwarz -gelber 
Ornamentation enthält die Kleinkunst und 
einige Interieurs. Bekanntes sieht man hier 
mit Vergnügen wieder, über anderes schüttelt 
man eben noch einmal den Kopf, was in 
unseren Zeitläuften (auch in der Umsetzung 
in Kritik) wenig Eindruck macht. Die 
SpAUN'schen Gläser und die hübschen Formen 
und Farben der mannigfachen Vasen und 
Schalen, die E. Bakalowits Soehne in Tif- 
FANv'scher Art durch die MosEH'sche Schule 
machen lassen, gehören zum besten. Die Lob- 
MEvR'sche Manufaktur hat einige schön ge- 
geschliffene Gläser (von Marschall u. a.) 



DIE TLRINER AUSSTELLUNG 



auBgestellt. GuRSCHNER'scbe Bronzen sind für 
uns jB allerdings nichts Neues. Zwei Interieurs 
in der Art des Proressors J, Hoffmann sind 
hier noch zu nennen. Ihre unmittelbaren 
Urheber sind Witzmann und Wytrlik, zwei 
junge Architekten, die in diesen gutbürger- 
lichen Räumen einen hübschen Sinn für 
Komfort und Einfachheit der Form zeigen. 
Aus dem Kreise der Jugend sieht man noch 
Kassetten und graziösen Schmuck von Otto 
pRUTSCKER, auch schon von andersher zum 
Teil bekannt, die wundervollen Arbeiten des 
Zentralspitzen kurses (des Prof. Hrdlicka) 
und gute Töpfereien aus der Teplitzer 
Schule, Von diesen Arbeiten wird man aber 
besser thun , einmal im Zusammenhange 
zu handeln, was einen hübschen Abschnitt 



über österreichische Kunsterziehung geben 
mag. 

Der zweite österreichische Bau ist eine 
Villa, ebenfalls von Baurat Baumann. Ein 
Landhaus, vollständig eingerichtet, sollte nach 
Dannstädtischer Anregung ein getreues Bild 
österreichischer Wohnungseinrichtung und 
zugleich österreichischer Lebenskultur geben. 
Ich kann leider nur sagen, dass dies miss- 
glückt ist. Ich ßnde nur englische, recht 
allgemeine Bau- und Dekorationsformen 
variiert, manche schöne Arbeit, aber gar 
nichts Ergreifendes, auch gar nichts besonders 
Oesterreichisches. Das Schema des Hauses 
(Vorbau mit Loggia, Vorraum, Halle mit 
Treppe zum ersten Stock und den Schlaf- 
räumen, im Parterre an die Halle gegliedert die 



^,-^5> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^^^ 



WANDTEPPICH « AUSCEFOHRT VON DER SCHULE FOR KUNSTWEBEREF, SCKERREBECK 



Empfangs- undSpeisezimmer) ist nichts Neues, 
und hier kommt mancher böse Fehler zum 
Vorschein. Es galt also eine voll einge- 
richtete Villa zu zeigen. Allein ich vermisse 
Küche und Wirtschaftsräume, ich vermisse 
sogar den Speiseaufzug, was sicher wichtig ge- 
wesen wäre. Dann: es ist kein Arbeitszimmer, 
kein Schreibtisch da; in der Thal man kann 
weder eine Stunde arbeiten, noch eine Stunde 
Karten spielen, in diesem bürgerlichen Land- 
hause. Und schliesslich — es lässt sich 
gar nicht ausdenken, was für Menschen hier 
wohnen sollen — auch hier kein Kinder- 
zimmer; auch hier ist eben alles nur Aus- 
stellung. Fiktive Schauräume sind in dieses 
Haus zusammengetragen worden, und die 
Wirkung der Behaglichkeit, die so leicht zu 
erreichen gewesen wäre, Hess man sich ent- 
gehen. So kann ich nur im einzelnen an- 



merken, dass die braune Halle nach Entwurf 
von Baurat Baumann von J. W. MOller 
sehr Fein und gediegen ausgeführt wurde, 
dass ein Zimmer von Jakob und Joseph 
KoHN die Technik des gebogenen Holzes 
für die neue Linienkunst zu nützen weiss, 
und dass das Speisezimmer von Portois & Fix 
elegant ist. Neben mehreren schon von 
vergangenen Ausstellungen bekannten In- 
terieurs fällt dann (als bester Kaum hier) 
ein Boudoir von Witzmann auf, im Grund- 
riss allerdings unglücklich, da zwei Erker 
schief nebeneinander stehen, in der weiss- 
grünen Farbenstimmung aber sehr angenehm 
und geradezu charmant in den graziösen 
Formen. W. Fred 

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-!r-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG K^-.^ 



DIE SEKTION UNGARN 



Es ist das Volk, wo alle Aussenkultur über- 
trieben rasch gewachsen ist. Manchmal kann 
man den Gedanken an jene üblen Dörfer 
des Potemkin nicht abweisen. Hier ist gar 
keine Tradition wirksam gewesen, und so 
hart es klingt, man ßndet auch recht wenig 
Brücken zu der Art der Menschen, die man so 
kennen lernt oder bei einem Besuche in der 
Hauptstadt Budapest, die denn doch das ganze 
Land in dieser Hinsicht verkörpert, sieht. 
Und die Ungarn geniessen alle Vorteile dieses 
künstlerischen Mangels: der Traditionslosig- 
keit. Eine ganze Reihe von englischen Woh- 
nungseinrichtungen, darunter solche von den 
allerbesten Künstlern, sind tn dieses Land 
gegangen, eine heftige Liebe zu moderner 
Art zeichnet die Künstler und Kunstfreunde 
aus, und die Regierung weiss durch ihre 
Schulen diese Entwicklung zu fördern. Man 
lehnt sich mit besonderer Kraft an die eng- 
lischen Vorbilder an, und die besten Ar- 



beiten, zeigen, dass nicht nur zeitgenössische 
Künstler, sondern auch manche Arbeiten 
von Chippendale, von Sheraton und Adam, 
diesmal besonders dem letzten, eifrig stu- 
diert wurden. So ist diese Abteilung selbst 
in den besten Objekten der Wohnungskunst, 
wie sie z, B. Professor HoRTV entwirft, 
dennoch nicht viel mehr als eine Rekapitu- 
lation fremdartiger moderner Motive, und 
man ist manchmal versucht, die etwas 
derbe, aber nationale Eigenart mancher bäu- 
rischen Stube weitaus höher zu schätzen 
als die höchst unpersönliche Eleganz dieser 
Räume, Deshalb wirken auch einige bäu- 
rische Töpfereien mit kräftigen Farben und 
naturalistischen Motiven von L.Groh wirklich 
wohlthuend. In technischer Hinsicht ist aller- 
dings auch sonst manchmal eine beträchtliche 
Höhe erreicht. So gehören die Emailarbeiien 
von Rappaport zu den besten und farben- 
reichsten Werken dieser Art. w. Fred 



^j-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^^^ 



SPEISEZIMMER ■ ENTVORFEN VON C. WITZMANN « AUSCEFOHRT VON JAKOB SOULEK, WIEN 



DIE SEKTION FRANKREICH 



Als gleichiönenden Refrain muss ich jedem 
Berichte über eine Abteilung der Turiner 
Ausstellung vorausschicken, dass man sich 
hüten müsse, das Bild der nationalen Pro- 
duktion, das da geboten wird, für einen ge- 
treuen Spiegel der Wirklichkeit zu nehmen. 
Wie England, wie Amerika, so hat auch 
Frankreich nur hi^chst lückenhaft ausgestellt. 
Es ist ja nur zu bedauern, nicht zu ver- 
wundern, dass dies so ist. Allein, wie soll 
ein starker und fruchtbarer Eindruck er- 
stehen, wenn, um nur einige zu nennen: 
GALLfi, Lalique, Delahebche, Lachenal, 
fehlen? Und wenn nicht ein einziges Interieur 
einen Begriff davon zu vermitteln bereit ist, 
wie jenes Volk lebt, das die allerstärkste 
Tradition der Wohnungskunst besitzt. Um 
diesen Brennpunkt der Tradition und Tradi- 
tionslosigkeit scheint sich — der Leser wird 
es aus diesen Glossen, die dieses Leitmotiv 
abwandeln, bereits erkannt haben — hier 
aber alles zu gruppieren. Man sieht die 
Länder, die nie eine eigenartige dekorative 
Kunst besessen haben, tastend, unsicher ihren 
Weg suchen, Bizarrerien anheimfallen, jeder 
Grundlage entbehren, der Gefahr der äusser- 



lichen Nachahmung immer ausgesetzt. Man 
sieht die Künstler anderer Länder unter der 
ruhmvollen Last der Kunst vergangener Jahr- 
hunderte keuchen, das Publikum bestrickt 
von den alten Formen hochmütig die neuen 
Versuche abweisen. Von solcher Art scheint 
das Schicksal Frankreichs zu sein. Die Ver- 
suche des letzten Jahrzehntes sind, was die 
Wohnungskunst anbelangt, sämtlich miss- 
glückt ; die Revolutionäre kehren sich oft 
und oft alten Zielen zu. In der Kleinkunst 
steht es ja besser. Die Bibelots der Zeiten 
wechseln, die Lust an ihnen bleibt diesem 
spielerischen, tändelnden Volke, diesen Men- 
schen der ville de la ville ewig erhalten. 
Auf die Platte des Kamins ein neues Glas 
zu stellen, die neuentdeckten Reize der Farben 
auf Töpfen, Stoffen, leichten Seiden spielen 
zu lassen, ist jeder entschlossen, — den 
Rahmen der Wohnung selbst aber hält man 
zähe fest. Die Stile der Könige herrschen. 
Und an das Louis XVI. knüpfen die mo- 
dernen Architekten soeben wieder an. Die 
Brüder Goncourt, die ersten Modernen, die 
Agitatoren japanischer Weise, waren es 
auch, die dem Stil des 18. Jahrhunderts 



^.-^> DiE TURINER AUSSTELLUNG 



neue Freunde schufen. Und Bino, der Chef 
des l'Art nouveau, der praktische Mann, der 
Europa so viel von ostasiatischer Kunst ge- 
zeigt hat, lässt durch seine Zeichner Colonna, 
DE Feure, Delancourt dort anknüpfen, wo 
das 19. Jahrhundert einen Absatz gemacht hat: 
vor den Formen des Empire und Directoire. 

Der Einfluss van de Velde's in Frankreich 
war kurzlebig, und die dünnen englischen 
Möbel haben nur in gewisse kosmopolitische 
Kreise Eingang gefunden, sind eine sterile 
Mode. Hier und da findet man sie. Reiche 
Menschen haben auch so einen Salon. Ins 
Leben selbst hat derlei jedoch wenig Eingang 
gefunden. 

Die Werke von Plumet und Selmersheim 
so gut wie die von Serrurier, sie zeigen 
noch dieselben Eigentümlichkeiten wie vor 
Jahren. Ohne Entwicklung werden dieselben 
Kurven weitergeschwungen, dieselben Farben- 
stimmungen wiederholt. In Turin gab es 
übrigens nur Bekanntes dieser Architekten. 
Ein paar Topfe von Bioot, einige anständige 
Metallarbeiten von Breteau und die treff- 
lichen Ematls von Feuillatre, — das ist altes 
was in der französischen Sektion, die übrigens 
von Besnard mit einigen schonen, doch 
durchaus nicht dekorativen Gemälden ge- 
schmückt wurde, — angenehm auffällt. Mit 
Schrecken sieht man die grotesken Möbel 
von Majorelle, die den Eindruck von Natur, 
Blume und Feld durch Intarsia in dunkeln 
Farben vortäuschen wollen, und mit raschen 
Schritten geht man an der Ausstellung einer 
Gruppe von Nancy vorbei, wo die guten 



Arbeiten Gall£'s industriös verballhornt 
werden. 

Abseits von der offiziellen Galerie haben 
die beiden grossen Pariser Kunstläden aus- 
gestellt; L'Art nouveau von Bing und La 
Maison Moderne von Meyer-Graefe. 
Die Maison Moderne hat aus der Welt 
zusammengetragen, was es so an hüb- 
scher und geschmackvoller Kleinkunst 
giebt. Man sieht die Kopenhagener Tiere, 
Plastiken von dem Deutschen Hoetger, 
der in farbiger Fayence scharfe natura- 
listische Menschendarstellungen giebt, 
einige Fauteuils mit gepresstem Leder 
von Lemmen und Landry. Die farbigen 
Ledersachen sind vielleicht das amü- 
santeste, das Meyer-Graefe in seiner 
internationalen Sammlung mehr oder 
meist minder guter Ware hat; es sind 
einfallsreiche Bildchen von Waldraff, 
Lemmen, Biais oder Landry, die Pariser 
Sentiments vorgaukeln, kokette Dämchen, 
verruchte petits trottins, Blumen des 
Lasters und des Pflasters. Schliesslich 
also doch Dinge, die etwas Pariser Luft 
haben; was nämlich sonst der Maison 
Moderne doch fehlt. 
Bing's L'Art 



-y^^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <S:^^ 



E. BAKALOVITS SÖHNE, WIEN 



SCHALE UND JARDINJERE 



Stärkeren lokalen, vielleicht sogar nationalen 
Einschlag. Siehtman von einigen TiFFANY-Glas- 
Fenstern ab, die Bing aus alter Freundschaft in 
seinem Pavillon hängen hat, so ist ausschliess- 
lich Französische Kunst vertreten. Die Autoren 
sind insbesondere: Colonna, de Feure, De- 
LANCOURT, der junge Bino. Die Formen und 
Farben der Möbel schliessen sich, wie gesagt, 




GUSTAV GURSCHNER *• STATUETTE 



an den Charakter des Louis XVI. Stiles an; 
lichte Töne, schöne Stoffe, sorgsame Arbeit 
sind die Wirkungsmittei. Alles zusammen kann 
das Urteil, wenn also gewertet werden soll, 
heissen: hübsch, aber nicht auFregend. Zum 
Besten gehören einige Porzellan vasen und 
Speiseservice aus Limoges und der graziöse 
Schmuck. Dabei sei angemerkt, dass ich in der 
ganzen Turiner Ausstellung, von ganz wenigen 
Arbeiten H. St. Lbrche's abgesehen, keine 
einzige neuartige Schmuckarbeit gesehen habe. 
Lalique's Einfluss war eben allzu mächtig. 
\F. Fred 

DIE SEKTION ITALIEN 

Die Motive der Veranstalter der Turiner 
Ausstellung sind klar und hier ja auch schon 
zu verschiedenen Malen angedeutet worden: 
man wollte dem Volke durch diese Ver- 
anstaltung eine Lehre für die Zukunft, den 
Künstlern die beste Schule geben. Das ist 
ein überaus vernünftiges Beginnen gewesen, 
soweit es sich nicht um die Frage handelt, 
inwieweit dadurch die kunstgewerbliche Ent- 
wicklung der fremden Länder geschädigt 
wird. Der Kritiker der Turiner Ausstellung 
scheint mir keine besondere Verpflichtung 
zum Zurückhalten seines Urteils der italieni- 
sehen Abteilung gegenüber zu haben, denn 
sowohl die fremden Künstler als die fremden 
Kritiker haben ja nur dem italienischen Volke 
durch ihre Beteiligung einen Dienst erwiesen, 
und schliesslich würde es auch ein schlechter 
und nur äusserlicher Lohn sein, wenn man 
seine kritischen Betrachtungen über die 
Eigenschaften der italienischen Objekte höf- 
lich verschweigen oder übertünchen wollte. 
So lässt sich nur sagen, dass das, was zu 



-^ri^y DIE SEKTION FRANKREICH <^-j- 



FÄCHER « ENTWORFEN VON C. DE FEURE « AUSGEFOHRT VON L'ART NOUVEAU, PAR[S 



sehen war, den Charakter einer Schulaus- 
stellung hatte, wie man sie in den ersten 
Jahrgängen unserer kunstgewerblichen An- 
stalten immer wieder sieht, und dass, da ja 
meist nur Fabrikanten, nicht aber Künstler 
ausstellten, der Rückschluss, den man auf 
die Begabungen, die da zu Tage traten, zu 
machen hat, nicht sehr erfreuliche Ergeb- 
nisse zeigt. Will man sich hierüber Rechen- 
schaft geben, so kann man nach mehrerlei 
fragen: ob eine neue Technik den Fremden 
gezeigt worden ist, die für diese lehrhaft und 
deshalb von Bedeutung ist, oder ob da und 
dort eine neue Form sichtbar wurde, ein inter- 
essanter Versuch der Konstruktion oder doch 
der Benutzung der Form zur Dekoration, 
und schliesslich, ob vielleicht die koloristi- 
sche Begabung des Volkes so stark zu Tage 
getreten ist, dass man auch für die gesamte 
europäische Entwicklung davon etwas zu 
erwarten hätte. Allein auf alle diese Fragen 
giebt es nur eine negative Antwort; es Ist 
in keiner Hinsicht etwas Neues geleistet 
worden. Natürlich ist der traurige Eindruck, 
den Italien auf der Ausstellung in Paris 
machte, nicht mehr so vollständig wiederholt 
worden, denn seitdem haben die Leute eben 
eine Menge gelernt, und wenn auch diejury 
es nicht vermeiden konnte oder wollte, dass 
in der italienischen Abteilung eine Menge 
von Bazarware zu sehen ist, so vermisst man 
doch mit Freude die gewissen Venetianer 
Gläser und die schwarz lackierten Neger, 
die Visiienkartenschalen tragen. Das ist 
immerhin ein Fortschritt, wenn auch nicht 
positiver Art. Was aber gemacht worden ist, 



das ist stillos in den allermeisten Fällen, 
immer aber eine Nachahmung fremdländischer 
Kunst, fremdländischen Handwerks und zum 
Uebel nicht einmal aus der Anschauung der 
Objekte selbst entstanden, sondern eine Frucht 
eifriger Durchsicht der verschiedensten Kunst- 
zeitschriften. Englische und belgische, süd- 
deutsche und österreichische Motive fluten 



G.LEMMEN«LEDERMAPPE«LAMAISON MODERNE, PARIS 






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BADEZIM/ 
GEFÜHRT 



Dctandvt Kunst. V. xa. 



HT VON DER VEREINIGUNG >ARTE DELLA CERAMICA', FLORENZ 



^r-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^i^ 



DOPPELBETT « AUSGEFOHHT VON L'ART NOUVEAU, PARIS 



durcheinander, und die verschiedensten Arten 
der modernen Stile, jene, in denen es sich 
um Konstruktives, sowie jene, in denen es 



sich um Poetisches handelt, sind miteinander 
vermengt zu einem Gewirr von Farben und 
Linien, das oft erschreckend ist. Hier und 
da ist ja etwas geglückt, so ein lichtes und 
freundliches Mädchenzimmer von Moretti, 
das alle Wirkung aus der Farbe holt, ein 
paar Zimmer von Issel und einige Keramik. 
Unter den IssEL'schen Räumen ist ein Kinder- 
zimmer erfreulich, aus leichtem Holz mit 
farbigen Schnitzereien, die Motive des Chry- 
santhemums benützend und mit allerlei hüb- 
schen Dingen, die halb Spielerei, halb An- 
regung für das kindliche Kunstgefühl sind, 
ausgestattet, dann ein Speisezimmer, etwas 
urwäldlerisch und wuchtig in der Form, und 
schliesslich als bester und ernsthaftester Raum 
ein kleines Frühstückszimmer aus lichtem 
Naturholz, in demalle Dekorationsmotive dem 
Ideenkreise des Meeres entnommen sind. Die 
farbigen Fenster zeigen bunte Wimpel von 
Segelschiffen, die Reliefs und Schnitzereien 
bringen Formen der Seetiere, und der ganze 
Raum macht in seiner Gesamtwirkung den 
Eindruck einer kleinen Fischerstube. Das 
alles ist ja nun ganz hübsch, aber wir in 
Deutschland und Oesterreich haben wohl 
nichts davon zu lernen. Interessant sind 
noch einige Versuche der Farailia artistica 
in Mailand, die sehr einfache, auf einen 
Farbenton gestimmte Interieurs herstellt. 



BANK • AUSGEFOHRT VON DER V 



INICUNC »ARTE DELLA CERAMICA', FLORENZ 



antst 



-..-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG -C^^^ 



TASSE, VIERECKIGE SCHÜSSEL UND THEEK&NNCHEM • AUSGEFOHRT VON L'ART NOUVEAU, PARIS 



deren beste Eigenschaft ihre Billigkeit ist, ~ 
die Räume kosten zwischen 600 und 700 Lire — 
und es scheint mir, dass in der Uebung solcher 
ökonomischer Raumausstattungen vielleicht 
der beste Weg zu einer gesunden kunstge- 
werblichen Entwicklung Italiens liegt. 

Weitaus besser als mit der Wohnungskunst 
steht es in Italien mit der Keramik, da ja 
hier eine alte und künstlerische Tradition 
eine Anknüprung der neuen Kunst ans alte 
Handwerk ermöglicht. Der stärkste Grund 
für die mangelhafte Entwicklung der Interieur- 
kunst scheint mir nämlich darin zu liegen, 
dass in den reichen und kunstliebenden Be- 
wohnern Italiens die Freude an den Re- 
naissance- und Mittelalter-Möbeln noch so 
ungemein stark ist, dass Neubildungen gar 
nicht versucht werden, während der Mittel- 
stand ein Bedürfnis nach wirklich eingerich- 
teten Wohnungen gar nicht kennt und sein 
Leben auf der Strasse verbringt. Die Töpferei 
aber hat zu allen Zeiten in Italien geblüht, 
als eine Kunst der Landbevölkerung in den 
Bauern top fereien und dann als eine sorgfäl- 



tiger als die übrigen betriebene Industrie für 
den Fremden. Eine junge Vereinigung, die 
„Arte della Ceramica" in Florenz, deren 
Leiter ein Amateur von hervorragend gutem 
Geschmack, der Conte Vingenzo Giusti- 
NiANi, ist, bemüht sich seit einigen Jahren 
um die Hebung dieser Kunst, und schon 
in jenem armseligen Pavillon Italiens auf 
der Pariser Kirmes konnte man einige gute 
Teller und Ziervasen dieser Vereinigung 
sehen. In den späteren Jahren haben sich 
die Kräfte gesteigert, eine grössere Sicher- 
heit der Form und Farbenbehandlung hat 
sich eingestellt und die Künstler, die der „Arte 
della Ceramica" nahe stehen, sind in ihren 
Dekorationen und Ornamenten immer ein- 
facher geworden und haben sich den Linien 
der Natur immer mehr genähert. So kann 
man an diesen Fayencen und Steingutvasen 
mit ihren bald metallischen, bald dumpfen 
Glasuren, ihrem Dekor, der bald seine Ent- 
stehung der Zufallskunst des Feuers, bald 
der Absicht des Künstlers verdankt, sehen, 
dass es denn doch auch in Italien möglich ist, 



TELLER AUS DER PORZELLAN. MANUFAKTUR GINORl, FLORENZ 
466 



'^'^> DIE SEKTION ITALIEN <^u,^ 



einen Weg zu ßnden, der nicht zur geist- mit Hilfe der Keramik versucht ist. Dem 

losen Nachahmung fremder Muster, sondern Beispiele dieser jungen Gesellschaft folgend, 

zu eigener Schöpfung führt. Die ,Arte della hat auch eine der ältesten Florentiner Manu- 

Ceramica' denkt nun an die Verwendung des fakturen, die von Ginori, dem modernen 

Steingutes als Aussendekoration für die Geiste Rechnung getragen (wie man wohl 

Fassaden, und man konnte in Turin einige sagt), und so kann man auch hier einzelne 

Panneaux sehen, welche die einzelnen Phasen gute Arbeiten, Speiseservice und ein ge- 

der keramischen Arbeit zeigen, sowie auch schmachvolles Badezimmer sehen. Wenn ich 

zwei Interieurs, ein Speisezimmer und ein nun noch erwähne, dass ein Turiner Juwelier, 

Badezimmer, in denen die Innendekoration Musy, in französischem Geschmacke hübsche 



VASEN « AUSCEFOHRT VON DER VEREINIGUNG >ARTE DELLA CERAMICA.. FLORENZ 

467 : 



-.. =--ö> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^-,^ 



KRONLEUCHTER AUS SCHMIEDEEISEN MIT FLACHRELIEFS « ENT- 
WORFEN VON ALICE NORDIN « AUSGEFOHRT VON DER METALL- 
WARENFABRIK FOERENADE KONSTGJUTERIERNA, STOCKHOLM • 



Schmuckwaren ausstellt, so glaube ich der 
italienischen Sektion gerecht geworden zu 
sein. Von der grossen Ausstellung der 
Malereien und Skulpturen möchte ich näm- 
lich lieber nicht sprechen, da hier vielem 
Bekannten, was man auf den regelmässigen 
Ausstellungen (z. B. in Venedig) sehen konnte, 
nur eine Ueberfülle von Mittelmässigkeit und 
Talentlosigkeit angereiht worden ist. w. Fred 



DIE SEKTION SKANDINAVIEN 

Von den drei skandinavischen Ländern hat 
nur Schweden in grösserem Stile ausgestellt. 
Dänemark hat sich, sieht man von der gering- 
Fügigen Schaustellung einiger Porzellanmanu- 
fakturen ab, nicht beteiligt, und Norwegen ist 
lediglich durch zwei Künstler, Herrn H. St. 
Lerche und Frau Frieda Hansen vertreten. 



Allerdings stehen Rang und künst- 
lerischer Wert dieser ganz intimen 
kleinen Ausstellung weitaus höher 
als manche volle Galerie. Denn 
hier findet man starke Persönlich- 
keit, hier spricht sich eigenartige 
künstlerische Phantasie stilgerecht 
aus. H. St. Lerche, von Ab- 
stammung also Norweger, ist ein 
Europäer kosmopolitischer Art. In 
Düsseldorf ist er zur Welt ge- 
kommen, in Italien hat er, einer 
früh • jugendlichen Arbeitspassion 
folgend , als allergewöhnlichster 
Töpferlehrling gearbeitet, in Paris 
sind seine ersten künstlerischen 
Erfolge gekommen, und jetzt lebt 
er wiederum in Rom. Wie sein 
Leben das Zeichen ungestümen 
Wandertriebes, die freie Lust am 
Wechsel und der seelenbildenden 
Entwicklung zeigt, so ist auch 
seine Kunst vielfältig. Er versucht 
sich mit dem allerbesten Gelingen 
in Töpfereien der mannigfaltigsten 
Art, Fayence, wie auch Steingut 
und Steinzeug, nutzt die Natur- 
motive oder das Spiel des Feuers, 
formt die absonderlichsten Tiere, 
grässliche wilde Fratzen. Oder er 
wendet sich vom weichen Material 
ab, folgt anderen Bedingungen 
eines neuen Stoffes und schafft 
in Bronze, jetzt meist in der ro- 
manischen Technik ä cire perdu, 
wobei das Wachs ihm die gute 
Möglichkeit giebt, jeder noch so 
leisen Neigung seiner Laune, seines 
spielenden Talentes zu folgen. Es freut 
diesen interessanten Künstler, der alle seine 
Arbeiten bis ins kleinste selbst macht, un- 
gemein, merkwürdige Tiergestalten oder auch 
Menschenzerrbilder zu schaffen. Die plastische 
Karikatur ist seine Stärke. Dann wieder 
nutzt er die Schärfe seines Auges und seiner 
Charakterisierungskunst zum Bildnis, und 
seine Büste des sitzenden Papstes, nach der 
Natur modelliert, macht einen überwältigenden 
Eindruck.Jene physische Seh wäche.ja geradezu 
Aufgelöstheit, das Staunen, dass noch Leben 
und Fähigkeit zu Thaten in diesem gebrech- 
lichen Leib wohne, das jeder, der den heiligen 
Vater jetzt zu sehen bekommt, unerhört stark 
empfindet, ist in dieser Bronze aufs feinste 
zum Ausdruck gekommen. Auch der graziöse 
Schmuck H. St. Lerchb's sei erwähnt. Die 
Bildwebereien und handgearbeiteten Teppiche 
der Frau Frieda Hansen mit ihren kräftigen 



^i-^^> DIE SEKTION SKANDINAVIEN <^-^ 



BOWLE AUS MATT OXYDIERTEM SILBER «ENTWORFEN 
VON FERDtNAND BOBERG • AUSCEFOHRT VON HOF- 
JUWELIER K. ANDERSON, STOCKHOLM ••«•••• 



Farben, dem guten Stil (wenn 
auch allzu oft Malerisches er- 
strebt wird) ihrer Darstel- 
lungen, sind von Paris her 
vorteilhaft bekannt. 

In der schwedischen Ab- 
teilung merkt man mit ange- 
nehmen Gefiililen an vielen 
Objekten die Eigenart des 
Architekten Boberg. Von 
ihm sind eine Reihe der Mö- 
bel, die vorzüglich durch die 
Wucht des schön gearbeiteten 
Materials wirken sollen, von 
ihm sind u. a. auch die Ent- 
würfe zu Andersgn's gutem 
Silbergeschirr. Von Ferdi- 
nand und Anna Boberg sind 



schwer, milchig im Tone und im Guss mit 
Ornament geziert, das meist naturalistisch ist, 
also Blumen-, Blatt- und Pflanzenmotive hat. 
Von den Metallarbeiten, die in der Sektion 
Schweden sehr gut vertreten sind, Helen mir 
Werke der Manufakturen Fobrbnadb und 
Gamla SantessonskaTenngjuteribt, Stock- 
holm, auf; für die erstere hat z. B. Frl. 
ALrCB Nordin einen leichten, gut geformten 
Lüster mit Flachreliefs gezeichnet, der alles Lob 
verdient. Die Arbeiten der Santessonska sind 
sehr interessant, da sie durch verwischte Töne 
und merkwürdige Aetzungsmusler zugleich 
einen altertümlichen und japanischen, und doch 
originell-selbständigen Eindruck machen. Die 
Formen sind übrigens auch abwechslungsreich 
und sonderbar. Von den beiden Keramik- 
manufakturen RÖrstrand und Gustafsbbrg 
ist zu berichten, dass sie ihren guten Rang und 
Namen weiter behaupten, wovon die Illustra- 
tionen Zeugnis ablegen mögen. w. Fred 



^^ DIE SEKTION SKANDINAVIEN -<^J-c- 



H. ST. LEKCHE • FAYENCEN 



rASE AUS DER PORZELLANFABRIK GUSTAFSBERG, STOCKHOLM 



-^r-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG -(^^^ 




VASEN AUS DER PORZELLANFABRIK GUSTAFSBERC, 5TOCKHI 
470 



^j-^> DIE SEKTION SKANDINAVIEN <^^^ 



H. ST. LEHCHE • FAYENCEN 



LEUCHTER UND VASE AUS DER PORZELLANFABRIK GUSTAFSBERG, STOCKHOLM 
471 



^T-^> DIE TURINER AUSSTELLUNG <^S^^ 
BERICHTIGUNG 



In die UnterschriTien der Abbildungen im 
vorigen Hefte haben sich leider infolge des 
Fehlens eines Kataloges einige Unrichtig- 
keiten eingeschlichen. Der auf den Seiten 
401 und 403 abgebildete schottische Raum, 
den wir irrtümlich dem Ehepaar Mackintosh 
zugeschrieben haben, ist von J. Herbert 
McNair und seiner Gattin Frances McNair- 
JVlACDONALDentworfen, während diedrei Kissen 
auf Seite 415 von Schülerinnen der Glasgow 



School of Art unter der Leitung von Mrs. Jessib | 
R. Nevbery und der Wandbehang auf der-l 
selben Seite von Miss Keyden angefertigt 
wurden. Wir tragen bei dieser Gelegenheit 
noch nach, dass die Vase auf dem Blumen- 
tischchen — Seite 409 — von Mrs. Mar- 
garet Macdonald-Mackintosh, der da- [ 
neben hängende Spiegel von Talwin Morris j 
entworfen wurde. 

Die Reoaktion 



n Alphon 9 Bruckminn, Münc 



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