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K la •i\'7Dv.ri
3/<^^
C7
Die
Kunst des Übersetzens
Ein Hilfsbuch
für den
lateiniscben nnd griecbiscben Unterriclit
Von
Paul Cauer.
Dritte, vielfach verbesserte und vermehrte Auflage.
Mit einem Exkurs über das Präparieren.
Berlin.
Weidmannsche Buchhandlung.
1903.
Das Maß, das der Verstand an die Dinge
legt, geht nie rein auf. Das meiste in der
Welt wird durch inkommensurable Größen
gemacht.
Rembrandt als Erzieher.
(
Den alten Freunden
Ewald Bruhn Anton Funck
in Frankfurt a. M. in Sondershausen
in treuem Gedenken
an die
gemeinsamen Kieler Jahre
J
1 P^rri !^c\
Vorwort.
Elf Jahre ist es her, daß ich zum ersten Mal, als Privat-
dozent an der Universität Kiel, „über philologischen Unterricht
an Gymnasien" las. Aus einem Teil jenes Kollegs ist das
vorliegende Buch erwachsen, das Ende 1893 in erster, Ostern 1896
in zweiter Auflage erschien. Daß es seine Wirkung getan hat,
wird u. a. durch die mancherlei Arbeiten bestätigt, die daran an-
geknüpft haben, im Grundgedanken übereinstimmend, im be-
sonderen natürlich vielfach abweichend. Emmerich Cornelius,
„Über Wechselbeziehungen zwischen dem Lateinischen und
dem Deutschen in der Sexta und Quinta des Gymnasiums"
(Pleckeisens Jahrbb.- 156 [1897] S. 423 ff. 474 ff.), hat sich die
lohnende Aufgabe gestellt, die Hilfen aufzusuchen, durch die
schon der Anfangsunterricht einer späteren verständigen An-
wendung der Sprache beim Übersetzen vorarbeiten kann.
Ferdinand Saxl, „Die Verdeutschung lateinischer Dichter, ins-
besondere Vergils" (Progr. Gzernowitz 1899), und Gottfried
Kentenich, „Wie sollen wir die antiken Dichter in der Schule
übersetzen?" (Neue Jahrbb. UI [1900] S. 543 ff.), verfolgen den
Gedanken, daß die Sprache in der Übertragung eines Dichters
nicht ins Alltägliche fallen dürfe. Andere haben auf einzelne
der von mir berührten Fragen im Zusammenhang eigner
Ausführungen bezug genommen. Nach dem allen erscheint
es nicht notwendig, was zur Erklärung und Begründung des
ganzen Versuchs ursprünglich gesagt wurde, noch einmal zu
wiederholen.
In der neuen Auflage sind vielfach Beispiele durch gleich-
artige doch wirksamere ersetzt, der Kreis der Beobachtungen
ist erweitert worden; im Anschluß daran konnte hier und
da auch die Untersuchung vertieft werden. Zu all solchen
VI Vorwort.
Bereicherungen gab fortgesetzter eigener Unterricht, noch mehr
vielleicht der Anteil den Stoff und die Anregung, den ich als
Direktor an der Tätigkeit von älteren und jüngeren Berufsge-
genossen nehmen darf. Auf gemeinsamer Arbeit und gemeinsam
gesammelten Erfahrungen beruht namentlich der Exkurs „über
das Präparieren", den ich beigegeben habe, um an meinem
Teile die Gefahr zu bekämpfen, mit der uns eine gewisse Sorte
nicht verbotener und gesetzlich nicht anfechtbarer Hilfsmittel
bedroht. Die neuere Entwickelung, in der gelehrte Forschung
und Praxis des Unterrichtes, jede auf ihrem Gebiete sich ver-
vollkommnend, mehr und mehr auseinandergehen, bringt es mit
sich, daß unter den Ausgaben Kommentaren Wörterbüchern
diejenigen an Zahl und Verbreitung zunehmen, die der Jugend
am wenigsten Arbeit und eignes Denken zumuten. Der Yer-
flachung und Verarmung, die so in den philologischen Unter-
richt eindringen will, gilt es zu widerstehen. Man kann ja
nicht leicht jemand hindern, seinen Unterricht auf dem ge-
drückten Niveau zu halten, auf dem Speziallexika und „Schüler-
präparationen" als Wohltat empfunden werden. Doch kann
man immer wieder das Bessere und Kräftigere dagegen stellen
und mit Wort und Tat für die Überzeugung protestieren, daß
Gängelband und Krücken Kindern und Kranken dienen mögen,
für den gesund Heranwachsenden aber kein Mittel sind um
gehen zu lernen.
Mehrfach habe ich der Versuchung widerstanden, in das
Gebiet der neueren Sprachen hinüberzugreifen. Auch sie
können so betrieben werden, daß durch den Unterricht das
Denken vertieft, der ursprügliche Sinn der Worte und damit
ein Stück Entwickelungsgeschichte von Begriffen aufgedeckt
wird. So weit sich aber aus den verbreiteten Schulausgaben
mit ihren Anmerkungen und Wörterverzeichnissen schließen
läßt, ist diese Aufgabe noch keineswegs allgemein erkannt.
Die Analogie der klassischen Sprachen und der an ihnen seit
lange ausgebildeten Praxis könnte sich hier sehr nützlich
erweisen.
Düsseldorf, im Februar 1903.
Paul Cauer.
Inhalt.
Seite
Einleitendes: Begrenzung der Aufgabe 1
I. Schlichtheit und gewählter Ausdruck 9
Tl. Grundbedeutung 20
IIT. Sinnliche Vorstellimg und Begriff 32
IV. Synonj'ma 44
V. Partikeln 57
VI. Übersetzen oder erklären? 72
VII. Woi-tstellung 87
Vin. Verschiebung des Grewichtes 100
IX. Satzbau 111
Schluß: Fortleben der Aufgabe 131
Exkurs über das Präparieren 139
Anmerkimgen 148
Register 157
Einleitendes.
Begrenzung der Aufgabe.
Est quadam prodire tenus, si non datur ultra.
Horaz.
Als König Ptolemäus Philadelphus die heiligen Schriften der
Juden ins Griechische übertragen zu sehen wünschte, ließ er
siebzig jüdische Gelehrte in ebenso vielen Zellen auf der Insel
Pharos einschließen und jeden für sich eine Übersetzung an-
fertigen; als man dann die Resultate der Arbeit verglich,
stimmten sie alle wörtlich überein. Diese hübsche Geschichte i)
ist ein Lieblingstück unsrer populären Bibelkunde geworden; und
mit verständlichem Instinkt hat sich gerade die Schule ihrer
bemächtigt. Denn sie ist innerlich verwandt mit jener naiven
Auffassung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Sprachen,
von der die meisten Schüler und manche Lehrer beherrscht
werden. Wer zuerst anfängt Wörter und Formen einer fremden
Sprache zu lernen, der erwartet nicht anders, als daß sie denen,
die er kennt, Zug für Zug entsprechen werden. Noch erinnere
ich mich der Beunruhigung, die ich als Sextaner empfand, da
ich begreifen sollte, dafs die Freude im Lateinischen ein Neutrum
sei. Gegen dergleichen Überraschungen nun wird ja auch der
jugendliche Geist bald abgehärtet. Aber im Grunde bleibt doch
die Überzeugung stehen, daß zwei Sprachen nur ein doppelter
Ausdruck für dieselbe Sache seien, daß für jeden Satz, der
in der einen ausgesprochen ist, ein genau gleichwertiger in der
andern vorhanden sei und daß solche Übereinstimmung nichts
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 1
2 Einleitendes.
Wunderbares habe, vielmehr auf der natürlichen Ordnung der
Dinge beruhe. Der Unterricht, dem es obliegt den Verstand in
stramme Zucht zu nehmen und eine Schar von 20, 30 oder
mehr kleinen Menschen an ein geordnetes und gleichartiges
Denken zu gewöhnen, kann gar nicht anders als von gesetz-
mäßigen Beziehungen zwischen den Teilen, die er verbinden
soll, ausgehen. Er muß kategorisch erklären: das und das
„heißt" auf lateinisch so und so; diese Übersetzung ist falsch,
jene richtig. Unablässige, tägliche und stündliche Arbeit wird
erfordert, um ein System fremder Flexionsformen, einen aus-
reichenden Vokabelschatz, vollends später um feinere syntaktische
Verhältnisse zu allgemeinem und sicherem Besitz zu bringen.
Da ist es begreiflich, wenn auch der Lehrer, der inmitten dieses
Betriebes tagaus tagein sich abmüht, nach und nach von der
schülerhaften Betrachtung der Dinge angesteckt wird. Mag
er beizeiten dagegen ankämpfen, immer wieder wird er in
Gefahr kommen, das, was Mittel zum Zweck ist, für die Sache
selbst zu nehmen, und zufrieden zu bleiben wenn er es dahin
gebracht hat, daß für non ignoro gleich von selber „ich weiß
wohl", für non magis quam „ebenso wenig wie" gesagt, jeder
lateinische Potentialis mit „dürfte" wiedergegeben wird.
Dem Übel wird scheinbar dadurch abgeholfen, daß man
auch auf die Abweichungen des deutschen Sprachgebrauchs
vom fremden fleißig achten lehrt. Aber indem man diese in
Regeln zusammenzufassen sucht, geschieht es bald, daß der eben
hinausgetriebene Irrtum von der andern Seite wieder hereintritt.
Die Meinung, daß es für jede deutsche Wendung eine von Natur
gleichbedeutende lateinische oder griechische gebe, ist nicht er-
schüttert, wenn man auch gelernt hat, daß die dem Sinne nach
gleichen Ausdrücke in bestimmten Fällen unähnUche Form haben.
Xenophon Memor. n 1, 24 xt äv ?8ü>v y] ti dxoüoa? xspcpöstTjc
übersetzte ein Obersekundaner: „was zu sehen oder zu hören
dich erfreuen würde." Auf das Verlangen, er solle auch einmal
wörtlich übersetzen, antwortete er ganz bescheiden: „Das ist
ja wörtlich; die Verba des Affekts regieren im Griechischen das
Begrenzung der Aufgabe. 3
Partizip statt des Infinitivs." Was liegt alles in diesem „statt"!
In Prima las ich einmal die Ode auf Licymnia: quam nee ferre
pedem dedeeuit ehoris „der es wohl anstand den Fuß zum
Reigen zu heben." Das war nichts. Ich versuchte auf einem
kleinen Umwege zu dem richtigen Verständnis zu führen: Horaz
will rühmen, daß die Geliebte des Mäcenas auch bei ausge-
lassenem Spiel die Grenzen des Anstandes niemals überschritt;
also etwa „die es verstand mit Anmut den Fuß zu heben."
Aber die negative Wendung wollte mein junger Freund nicht
gelten lassen: non dedeeei sei eine Litotes, bedeute also ein ver-
stärktes deeet Nicht mit Unrecht warnte Moriz Haupt in
seinen Vorlesungen^ vor dem Gebrauch grammatischer Kunst-
ausdrücke wie Ellipse, Pleonasmus, Enallage u. s. w., wodurch
Erscheinungen des Sprachlebens äußerüch zusammengefaßt
und kurz bezeichnet würden, während es darauf ankomme den
Vorgang in der lebendigen Menschenseele zu erfassen, auf dem
jedesmal die Erscheinung beruhe.
Der Mechanisierung des Ubersetzens und Erklärens wird
neuerdings dadurch Vorschub geleistet, daß schriftliche Über-
tragungen fremder Texte ins Deutsche unter die vorschrifts-
mäßigen Klassenarbeiten aufgenommen worden sind und auch
bei den Prüfungen eine wichtige Rolle spielen. Der Gedanke
an die „Zielleistung" muß den Gang des Unterrichts mit be-
stimmen, er drängt dahin, daß ein fester Schatz von Formeln
und Kunstgriffen ausgebildet und angewöhnt werde, damit am
Ende diejenige äußere Korrektheit erscheine, die vor einem
summarisch prüfenden Auge bestehen kann 3). Dem gegen-
über möge kein Lehrer versäumen, von Zeit zu Zeit an der
Erkenntnis sein Gewissen zu schärfen, zu der Wilhelm von
Humboldt, auch er seinerzeit Leiter der geistlichen und Unter-
richtsangelegenheiten im preußischen Ministerium, gelangt war.
Er schreibt an August Wilhelm von Schlegel, den Shakespeare-
Übersetzer, am 23. Juli 1796*): „Alles Übersetzen scheint mir
„schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmög-
„lichen Aufgabe. Denn jeder Übersetzer muß immer an einer
1*
4 Einleitendes.
„der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des
„Geschmacks und der Sprache seiner Nation zu genau an sein
„Original, oder auf Kosten seines Originals zu sehr an die
„Eigentümlichkeit seiner Nation zu halten. Das Mittel hier-
„zwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich."
Noch härter absprechend Haupt: „Das Übersetzen ist der Tod
des Verständnisses." Das klingt freilich paradox, und man
empfindet darin etwas von dem Hochmut des Vertreters der
reinen Wissenschaft, der dem banausischen Treiben der Schule
den Rücken kehrt; aber einen recht heilsamen Mahnruf kann
doch auch sie aus dem übertreibenden Urteil entnehmen. Wer
ihn verstehen will, lese die feinsinnige Abhandlung von Julius
Keller: „Die Grenzen der Übersetzungskunst" ^). Dort wird aus-
führlich nachgewiesen, wie die Sprache kein Kleid ist, das
man von den ausgesprochenen Gedanken abziehen und durch ein
anderes ersetzen könnte, sondern daß sie mit den Gedanken
untrennbar verwachsen, zugleich Form und ein Stück des Inhalts
ist. Nicht nur für Abstracta wie etwa lat. fides giebt es kein
genaues Äquivalent im Deutschen, sondern auch durch sinnliche
Gegenstände wie Sonne Mond Baum Rind Esel waren im
Geiste der alten Völker Vorstellungen erweckt und mit den
dafür geschaffenen Namen fest verbunden worden, die uns fremd
sind und in die wir erst versuchen müssen uns hineinzudenken.
Den Streifzügen durch mannigfaltige Gebiete des sprachlichen
Lebens, mit welchen Keller den kindlichen Glauben, daß das
Denken bei allen Völkern das gleiche sei, bekämpft, folgt man
um so williger, als er zuletzt doch nicht bei der negativen
Konsequenz, daß eben Übersetzung unmöglich sei, stehen bleibt.
Vielmehr sucht er diejenigen Elemente im grammatischen und
logischen Bau der Sprachen auf, die mit einiger Sicherheit als
gleich vorausgesetzt werden und der Übertragung zum Anhalt
dienen können. Sein Ziel ist nicht, vom Übersetzen abzu-
schrecken, sondern zu verständiger und eindringlicher Übung
dieser Kunst anzuleiten.
Kellers Abhandlung soll vorzugsweise der Schule dienen.
Begrenzung der Aufgabe. 5
die natürlich auf die Tätigkeit des Übersetzens nicht verzichten
kann. Aber auch außerhalb ihrer Kreise hat die stolze Re-
signation, von der wir einige Zeugnisse anführten, nicht die
Herrschaft behauptet. Humboldt selber hat sich an einigen der
schwierigsten Aufgaben fast mit leidenschaftlichem Eifer ver-
sucht und in der Einleitung zu seinem Agamemnon (1816) auch
theoretische Bemerkungen gegeben, die für jeden, der Ähnliches
unternehmen will, wertvoll sind (Ges. Werke III S. 12 ff.). In
neuester Zeit sind eine besonders erfreuliche Erscheinung die
Übersetzungen griechischer Tragödien von Ulrich von Wilamo-
witz-Moellendorff. Da man dem Hellenentum die Wirksamkeit
in der Schule mehr und mehr erschwert, so muß auf andere
Wege gesonnen werden, durch welche die ästhetischen und
sittlichen Kräfte der Griechen der modernen Menschheit zu-
geführt und zu Elementen einer neuen Kultur gemacht werden
können. Der Verdeutschung des Hippolytos (1891) als seinem
ersten Versuch in dieser Richtung hat Wilamowitz ein Kapitel
über die Frage, was Übersetzen sei, vorangestellt, in dem er,
an Haupt anknüpfend, die Schwierigkeit, aber auch die Mög-
lichkeit einer verständnisvollen Nachbildung erörtert^). Der
gröfste Teil seiner Ausführungen hat es mit der metrischen
Form zu tun, kommt also für die bescheidneren Aufgaben
der Schule kaum in Betracht. Aber auch sie kann sich, mit
einer kleinen Modifikation, den Satz aneignen, . in den er die
Forderung zusammenfaßt, die an den Übersetzer zu stellen
sei. Auch ihr Ziel muß sein: einen deutschen Text herzu-
stellen, der auf heutige Leser oder Hörer einen ähnlichen Ein-
druck macht, möglichst annähernd gleiche Gedanken und Em-
pfindungen in ihnen weckt, wie das Original sie in den Zeit-
und Volksgenossen des Autors hervorrief.
Aus diesem Grundgedanken erwächst eine doppelte Aufgabe.
Einmal muß die Sprache in die wir übersetzen wirkliches,
lebendiges Deutsch sein, nicht ein künstliches Latein-Deutsch
oder Griechisch-Deutsch; wie soll es sonst unserm Gemüt nahe
kommen? Dann aber muß die Eigenart des alten Dichters oder
6 Einleitendes.
Schriftstellers gewahrt werden; Homer muß in anderes Deutsch
übersetzt werden als Vergil, Tacitus anders als Cicero^. Jede
dieser Forderungen für sich ist schwer genug. Die erste be-
deutet Herrschaft über die Muttersprache, zur zweiten gehört
es, daß der Übersetzer sich in den Geist seines Autors hinem-
lebe und von da aus den deutschen Ausdruck bilde; woraus
weiter folgen würde, daß es eigentlich für jeden Schriftsteller
eine besondere Kunst des Übersetzens gebe^. Das Schlimmste
aber ist: beide Tendenzen wirken einander entgegen; sie aus-
zugleichen, das ist eben die Unmöglichkeit, auf die Humboldt
hinwies. Eine Übersetzung, die dem Original Wort für Wort
und Satz für Satz folgte, würde die Eigentümlichkeiten des ur-
sprünglichen Stiles erkennen lassen, aber in unsauberer Zeich-
nung; wie denn DonQuixote (X 10) eine Übersetzung mit der Rück-
seite einer niederländischen Tapete vergleicht, wo die Figuren
sich zwar zeigen, aber durch kreuz und quer gehende Fäden
entstellt sind. Andrerseits wenn man sich bemüht die großen
und kleinen Flecke wegzuputzen, die durchgesteckten Fäden zu
verbergen, so ist zu fürchten, daß das Bild zwar wieder glatt
werde, doch dem ursprünglichen nicht charakteristisch ähnlich
bleibe. Eine absolute, in Regeln faßbare Auseinandersetzung
zwischen den Ansprüchen, die von beiden Seiten erhoben werden,
kann nie gelingen. Aber wer darum den Versuch überhaupt
aufgeben wollte, würde einem Maler gleichen, der daran ver-
zweifelte eine Landschaft oder ein menschliches Antlitz darzu-
stellen, weil er nicht jedes einzelne Teilchen, alle Bäume, Zweige,
Blätter, alle Palten und Haare wiedergeben kann. Die wesent-
lichen Züge kann gerade seine Kunst herausheben und dadurch
den Kindruck des Lebens erneuern, während die Photographie
durch pedantische Treue verwirrt und tötet. Alles künstlerische
Schaffen hat seine eigentliche Kraft auf dem Gebiete des Irra-
tionalen; so auch das des Übersetzers.-
Ist damit die Entscheidung letzter Instanz dem Verstände
genommen und dem subjektiven Gefühl zugeschoben, so versteht
es sich doch von selbst, daß dieses imi so sicherer das Gute
BegrenzuDg der Aufgabe. 7
treffen wird, je mehr es sich von Willkür fern hält, je feiner
die Nuancen sind, zwischen denen es wählt, je sorgfältiger vorher
durch verständige Überlegung das Material bereitet ist, mit dem
gearbeitet werden soll. Deshalb wird der Übersetzer die Gegen-
sätze, die er gern versöhnen möchte, immer im Auge behalten
und, ehe er seinen sprachlichen Takt wirken läßt, mit klarem
Bewufstsein festzustellen suchen, wie viel er jedem der beiden
Streitenden zugestehen kann, ohne den andern zu verletzen.
Indem so die Aufmerksamkeit nach zwei Seiten gespannt bleibt,
wird auch ein doppelter Gewinn sich ergeben.
Es wird gelingen ein Stück fremder Literatur in das eigene
Geistesleben aufzunehmen. Ohne Übersetzung, sei es die eigne
oder eine fremde, ist das doch nur ganz wenigen möglich. Den
geringen Einflufs, den manche hervorragende Werke ausländischer
Literatur auf die deutsche Bildung gewonnen haben, erklärt
Michael Bernays^) daraus, daß die Eigenart solcher Schöpfungen
wie z. B. der französischen Tragödie sich einer würdigen Nach-
bildung im Deutschen nicht fügen wollte. Die Übersetzungen
der Schule können mit Arbeiten, wie er sie hier im Sinne hat,
nicht wetteifern, aber sie haben doch auch ihren eignen Vorzug.
Immer von neuem werden sie erzeugt, nicht in einmal gefun-
dener Form festgelegt; und während der Reproduktion begleitet
den Geist des Sprechenden wie des Hörenden noch das Bewußt-
sein von den Worten des Originals, um die unvollkommene
Wiedergabe zu rechter Fülle und Klarheit zu ergänzen i^').
Der zweite Gewinn, den die Mühe des Übersetzens einbringt,
besteht in der Bereicherung der eignen Sprache. Einer der
ersten, die das erkannt hatten, war Cicero, der selber erzählt,
wie er durch Übersetzen des Äschines und Demosthenes seinen
Stil gebildet habe. Aus neuerer Zeit ließen sich von Schiller,
Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher verwandte Zeugnisse
anführen ^^). „Der Übersetzer", schreibt Bernays, „darf sich wohl
„einem Eroberer vergleichen, der, was er in fremden Landen
„an herrlicher Beute gewonnen, der Heimat zuführt, wo es hinfort
„als nutzbringendes Besitztum dauernd gedeiht." Aus gleichem
8 Einleitendes.
Sinn erwachsen ist eine ältere Schrift von Tycho Mommsen^^),
die von der Übertra^ng fremder Dichtwerke handelt; da werden
die Vorteile fein hervorgehoben, die jede einzelne der modernen
Sprachen dem poetischen Ausdruck bietet, und Proben von der
Kunst deutscher Übersetzer gegeben, die eben im Wettkampf mit
jenen Vorteilen für die Muttersprache neue Formen geschaffen,
überraschende Klangwirkungen ihr entlockt haben. In beschei-
denem Maße läßt sich ein ähnlicher Erfolg auch auf der Schule
erreichen, bei Knaben und Jünglingen, deren Bewußtsein von
den Schätzen der eigenen Sprache noch im Werden begriffen
ist. So ist es ja nicht gemeint, daß dem Deutschen fremde
Elemente aufgedrängt werden sollen; sondern, aufgestachelt durch
das Suchen nach dem treffenden Ausdruck für einen gegebenen
Gedanken, soll der Einzelne lernen, was alles für Worte und
Verbindungen, dem Keime nach, ohne daß er es merkte, in
seiner eigenen Sprache enthalten waren.
Wie das nun zu versuchen sei, daß man die beiden Schwierig-
keiten, die wir bezeichnet haben, gleichzeitig beachte und die
sich begegnenden Linien nicht zur Schneidung kommen lasse,
sondern durch sorgsame Kleinarbeit in einander überführe, so
daß sie wie in einer schön geschwungenen Kurve verlaufen:
dies soll im Folgenden an einigen Beispielen aus dem Gebiete
der beiden klassischen Sprachen dargetan werden.
I.
Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
Nichts ist einem lebendigen Gesicht mehr, aber
zugleich auch weniger ähnlich, als eine Maske.
R. a. E.
1. Terentii fabülis plus delector quam Plaut i steht unter den
Musterbeispielen unserer Grammatik; mir ist noch kein Sekun-
daner vorgekommen, der es ans eignem Antrieb anders übersetzt
hätte als „ich werde mehr ergötzt". Dergleichen bekommt
man manches zu hören. Dumnorix wird von einer „Magistrats-
person" der Äduer angeklagt; nachdem Cäsar die „Schlacht-
reihe" aufgestellt hat, kämpfen seine „Fußsoldaten" von einem
„höher gelegenen Orte aus"; sie haben Gallien „mit Krieg
überzogen" und später ihrem Feldherrn den „Brdkreis" unter-
worfen. Alle diese Ausdrücke leben gar nicht in der deutschen
Sprache, sie verdanken ihr Scheindasein nur den lateinischen
Vokabularien und Übungsbüchern. Auch ein Schüler empfindet
das, wenn man ihn etwa fragt, ob er selber schon einmal im Theater
ergötzt worden sei, oder wenn man dem Magistrat die Stadt-
verordneten, den Fußsoldaten die Bleisoldaten gegenüberstellt.
Trotzdem drängt sich die Unnatur immer wieder hervor. Als
das Unwetter losbrach, „erstrebten" die Jäger „verschiedene
Häuser" (Aen. IV, 163 f.); Äneas und Dido schwelgten den
Winter hindurch „uneingedenk" ihrer Reiche (194). Kalypso
„schritt zum Palaste" (e 242); warum „ging" sie nicht einfach
„nach Hause"? Uterque erklärt man Jeder von beiden", um
es von ambo zu unterscheiden; das merken die Jungen und
scheuen nun vor jedem schlichten „beide" zurück. Vielen ist
10 I* Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
die steifleinene Redeweise so zur Gewohnheit geworden, daß
sie auch da von ihr Gebrauch machen, wo keine fremde Vor-
lage sie nötigt. Der Abiturient schreibt in seinem Aufsatz:
„Penelope blieb treu trotz aller Nachstellungen, die ihr bereitet
wurden"; und schon der kleine Sextaner, der insidiae eben
kennen gelernt hat, berichtet in der Geographiestunde: „nach
Sibirien kommen die, welche dem russischen Kaiser Nach-
stellungen bereiten".
In seinen Beiträgen „zur Kunst des Übersetzens aus dem
Französischen" tadelt Wilhelm Münch die Art, wie man (er
hätte doch lieber sagen sollen „mancher") sich das Übersetzen
aus dem- Lateinischen und Griechischen leicht gemacht habe;
ein Jargon sei erwachsen, der in einer eigentümUch ungelenken
fremden Rüstung einherschreite und dem, der schlecht und
recht Deutsch rede, ganz seltsam vorkomme. Desselben Aus-
druckes hat sich Lattmann bedient, als er im Anhang zu einem
seiner Programme eine Blütenlese deutscher Sätze und Wen-
dungen aus lateinischen Übungsbüchern gab^^. Übrigens ist
hier doch ein Unterschied, den man beachten muß um nicht
ungerecht zu werden. Wer Beispiele zum Übersetzen aus dem
Deutschen bildet, kann oft gar nicht anders als den Ausdruck
etwas verschieben und zurechtbiegen, um den Gedanken der
Lernenden die Richtung auf eine fremde Sprachform zu geben,
die herauskommen soll; bei der umgekehrten Arbeit aber liegt
das Ziel auf Seiten der Muttersprache. Hier darf man es bei-
nahe als die erste Aufgabe des Unterrichtes bezeichnen, daß
ein „Schul-Jargon" nicht ausgebildet und, wo er sich hervor-
wagt, mit Kraft und Zähigkeit unterdrückt werde. Einen glück-
lichen Fingerzeig, an welchem Ende das anzufassen sei, gibt
Luther in seinem herzhaften „Sendbrief von Dolmetschen" (1530):
„Man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprachen
„fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel thun, sondern
„man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen,
„den gemeinen Mann auf dem Markt drümb fragen und den-
„selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach
Schul- Jargon. 11
„dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, daß man
„deutsch mit ihn redet." Bei lanius steht im Lexikon „Fleischer" ;
aber in Kiel mußte es „Schlachter" heißen, so gut wie in
Süddeutschland „Metzger". Im ganzen wird man in der Be-
nutzung dessen, was die lokale Mundart bietet, zurückhaltend
sein und öfter Anlaß haben vor Provinzialismen zu warnen.
Auch ohne das gibt es Gelegenheit genug für -ein natürliches
Deutsch einzutreten.
Phalinos antwortet einem der Strategen am Tage nach der
Schlacht beiKunaxa (Anab. U 1, 13): dXXA cptXoo6<pq) jisv lotxac,
CO veaviaxe, xal Xs^st? oöx a^^aptoxa. Man kann 10 gegen 1
wetten, daß der Tertianer sagen wird: „o Jüngling"; wenn er
sehr verständig ist, läßt er das „o" weg: erst wenn er sich
besinnen soll, wie wohl heute jemand in ähnlicher Lage sprechen
würde, kommt er auf die Anrede ,junger Mann" oder etwa
gar „mein Jüngelchen". So ist m jxstpaxtov in den Worten
des Perikles an Alkibiades (Memor. I 2, 42) sicher nicht „o
Knabe" sondern „mein Junge". Die Schüler sträuben sich erst
etwas, wenn ihnen zwischen den ernsten Wänden der Klasse
solche Wendungen zugemutet werden; aber bald merken sie
doch mit Vergnügen, wie ihnen dadurch der Stoff, mit dem sie
sich beschäftigen, näher kommt und faßbarer wird. Herodot
VI 38 erzählt: xal STTiaa^opsÄ xaxeXaße diroöavstv aTratSa,
TtXTrj^evxa xt]v xecpaX7]v TreXsxst Iv x(p irpuxavYjtcp irpö? dvSpöc aöxo-
[loXoü xxX. Mein Obersekundaner übersetzte: „indem ihm einer
mit dem Beil den Kopf spaltete"; aufgefordert, wörtlich zu
übersetzen, sagte er treu grammatikalisch: „geschlagen in be-
zug auf den Kopf". Das natürliche „auf den Kopf geschlagen",
das nun statt dessen eingesetzt wurde, machte ihn verlegen
lächeln; er scheute sich einen Ausdruck zu gebrauchen, der im
täglichen Leben vorkommen könnte. Besonders oft bietet Homer
Gelegenheit die Schüler von den Stelzen, auf denen sie einher-
gehen, herunterzuschrecken. „Traun, du bist ein Schelm" soll
Kalypso zu Odysseus sagen, s 182:^ 6)] dXtxpo? fioot. Wer
von uns redet so? Aber ^du bist doch wirklich — " hat wohl
12 I* Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
mancher schon selbst gehört. Und fürchte nur niemand, daß
auf diese Weise der Dichter von der ihm gebührenden Höhe
herabgezogen werde; Homer ist so voll von großtönenden,
schwer übersetzbaren Worten, daß immer noch genug übrig
bleibt, um den Eindruck des Feierlichen und Ungewöhnlichen
zu machen. Gerade in den kleinen Sätzchen aber, den Fragen
Vorwürfen Ausrufen Übergängen, die so zu sagen die Arti-
kulation der Rede ausmachen, schmiegt er selbst sich so fein
und zugleich ungezwungen den Wendungen der natürlichen
Sprechweise an, daß wir schon deshalb nach Ausdrücken
suchen müssen, die uns auch bequem liegen und behaglich
klingen. Als der Bettler, den die Königin durch Eumäos zu
sich entboten hat, nicht kommen will, fragt sie befremdet den
Sauhirten (p 576): xt xoux ^voyjaev ctXVjxy]?; „Warum ersann der
Bettler dies?" heißt es im Jargon der Schule; „was dachte er
sich dabei?" ist eben so genau und versetzt den Hörer in die
Situation. Dies ist ja überhaupt das Mittel, mit dem es gelingt
die Schüler nach und nach dahin zu bringen, daß sie wirklich
in ihr eigenes geliebtes Deutsch übertragen: man muß sie
immer wieder anhalten, daß sie sich den Hergang vorstellen,
sich einbilden sie wären selber dabei gewesen, und nun heraus-
fühlen, wie sie dann gedacht und gesprochen haben würden.
Ein Primaner, der sich mit einem Stück aus Horazens neunter
Satire redlich abquälte und im Drange des Augenblicks ein
anredendes „Sie" hören ließ, war sehr erstaunt als ich ihm
sagte: „Dieses Versehen war das Beste an Ihrer ganzen Über-
setzung".
2. Manchmal ergibt es sich zur Überraschung, daß gerade
die wörtliche Wiedergabe zugleich die natürlichste ist. So in
Achills Warnung an Patroklos (H 93 f.): jjn^ xtc du OöXüfiTtoto
ösÄv dteqsvsiaoDV ^jxßvjxi »'^^^ nicht einer von den Göttern ein-
schreite." Den Satz des Demosthenes (I. Phil. 13): Sei xä
irpooVjxovxa Troteiv IdeXovxa? dizdoyeiv otTtavxa? exotficoc, der einem
Primaner Schwierigkeit machte, übersetzte ein anderer in Ein-
falt und Einfachheit schlagend so: „alle müssen bereit-willig
Wortlich, aber nicht pedantisch. 13
sein zu tun was ihnen zukommt." Daß es ein hohes Glück
sei, wenn Mann und Frau in Eintracht „das Haus inne haben"
(oTxov lyyixov C l^^)» glaubt dem Odysseus kein Mensch; „in
Eintracht haushalten", das klingt ganz anders. Die „hehre
Göttin" für ota Osgccdv ist eine leblose Formel, deren es im
deutschen Homer so viele gibt; und diesmal ganz ohne Not.
Das Buch der Bücher, der Herr der Herren, der Knecht der
Knechte Gottes sind dem Schüler bekannte Begriffe; warum
also nicht „Göttin der Göttinnen"? Als einmal wieder, wie all-
jährUch nach Ostern, diese Form gesucht und gefunden wurde,
brachte einer ganz passend aus Maria Stuart (IV 5) die Worte
der Elisabeth bei: „er, den ich groß gemacht vor allen Großen",
ein andrer die hebräische Art etwas wie einen Komparativ
zu bilden: und so war zugleich erst das rechte Verständnis
jener geläufigen deutschen Verbindungen gewonnen. Viel-
leicht kommt auch einmal an Stellen wie a 228 (vejxsooT^oatTO
xsv avT^p), 400 (jisia -^d^ xz xat aX^eot TepTrsxat avT^p) ein
Schüler von selbst auf den Gedanken, dv^p nicht mit „ein
Mann" zu übersetzen und so den Ursprung des deutschen „man"
zu erkennen; das wäre gar keine verächtliche Leistung für
einen Vierzehnjährigen, der im Banne einer geschriebenen
Sprache mit orthographischen Regeln und Diktaten aufgewachsen
ist. Homo novüs mag oft als „Emporkömmling" übersetzt werden ;
aber wenn im J. 217, vor der Wahl des Terentius Varro, ein
Tribun behauptet (Liv. XXn 34, 7) necfinem ante belli habituros,
quam consulem vere plebeium id est hominem novum fecissent,
so meint er auch für uns: „bis sie einen wirklichen Plebejer
d. h. einen neuen Mann zum Konsul gemacht hätten".
In vielen Fällen wird freilich die Übersetzung erst dadurch
getreu, daß sie nicht pedantisch genau bleibt. Die Unter-
scheidung zwischen dem Zahlwort jx6ptot und einem Adjektiv
jjLüptoi („unzählige"), die von griechischen Schulmeistern er-
funden ist, wollen wir deutschen ihnen nicht nachmachen und
getrost „tausend" für „zehntausend" einsetzen so gut wie für
ein römisches sescentL Orbis terrarum ist in der Regel einfach
14 I* Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
„die Welt", womit natürlich nicht ausgeschlossen wird, dafs
man einmal in gehobener Redeweise wie bei Sallust Catil. 8, 3
„Erdenrund** dafür sage. Mühsam lernen die Schüler den
lateinischen Tempusgebrauch in Sätzen wie ut sementem feceris
ita metes, und könnten eigentlich schon aus den häufigen
Fehlern, die sie dabei anfangs gemacht haben, wissen, d€iß
hier die deutsche Redeweise von der lateinischen abweicht;
trotzdem übersetzen sie Catos Worte (Cat. Mai. 6, 18): de
Carthagine vereri non ante desinam, quam illam excisam esse
cognovero, undeutsch „als ich erfahren 'haben werde". Es
ist dasselbe Beharrungsvermögen, das sie verleitet in Über-
tragungen aus dem Lateinischen und dann auch in den deutschen
Aufsätzen „demselben" statt „ihm" und „desselben" statt „sein"
zu sagen, weil sie sich den sorglosen Gebrauch von sibi und
suus haben abgewöhnen müssen. Natürlich würde auch hier
nichts verkehrter sein als starre Konsequenz; in der knappen
und strengen Antwort, die den Gesandten des Bocchus in Rom
zu teil wird (lug. 104, 5), muß es heißen: „Bündnis und Freund-
schaft sollen gewährt werden, wenn er es verdient haben wird"
(cum meruerit).
Wie die Besinnung auf den eigenen Sprachgebrauch vor
einem fremdartigen Ausdruck bewahrt, so anderwärts der Ge-
danke an sachliche Verhältnisse des modernen Lebens, soweit
sie der Jugend vertraut oder interessant sind. „Den Rufer im
Streite" zwar, der ein Stück des deutschen Sprachschatzes
geworden ist, wird man aus der Übersetzung nicht verbannen
wollen, nur erklärend hinzufügen, daß ßoY]v d^aftoc der ist, der
„ein schönes Kommando" hat. Aber warum verschmähen wir
für expeditus, das die Historiker bei Schilderung von Streifzügen
und Festungsangriffen gern gebrauchen, die genau entsprechende
Bezeichnung unsrer Dienstsprache? Cohortes expeditae sind
Gehörten „im Sturmanzug". Von dieser Seite her muß es
denn auch gelingen die „Schlachtreihe" ins Wanken zu bringen.
Aciem instruere heißt „das Heer zur Schlacht ordnen"; und
wenn Livius schreibt: magis agmina quam acies in via con-
Fremdwörter. 15
curremnt (XXI 57, 12; ähnlich öfter), so heißt das nicht: „mehr
Heereszüge als Schlachtreihen", sondern: „mehr in Marsch-
formation als zum Kampfe geordnet stießen die Truppen auf
einander". Für die Übersetzung der alten Historiker, Cäsar
voran, läßt sich aus den technischen Ausdrücken, die in
unserem Heere gebräuchüch sind, noch manches gewinnen.
In ähnlicher Weise dürfen, zumal bei Lektüre der Redner, po-
litische Vorgänge und Einrichtungen, die Verhandlungen unsrer
Parlamente mit der eigentümlichen Redeweise, die sie aus-
gebildet haben, herangezogen werden. Auf beiden Gebieten
sind, im Anschluß an die erste Auflage dieses Buches, spe-
ziellere Studien erschienen, die mit gut gewählten Beispielen
dafür zu wirken suchen, daß die Übersetzung der alten Autoren
sich nicht in wesenlosen Ausdrücken bewege, sondern in
Worten, die heute „auf dem Markte des Lebens als kursfähige
Münze ihre Geltung" haben i*).
3. Sollten bei solchem Bestreben, was leicht geschehen
kann, einzelne Schüler vor den Fremdwörtern zurückscheuen,
so giebt das eine erwünschte Gelegenheit der puristischen Mode-
krankheit mit einer kräftigen Warnung entgegenzuwirken.
Das wird ja niemand empfehlen oder auch nur dulden, daß
enormis mit „enorm", absolvere als „absolvieren", eleganter
durch „elegant", praetendi und revisit bei Vergil (Aen. IV 339.
396) mit „prätendieren" und „revidieren" wiedergegeben werden.
Am wenigsten wird man dem Tacitus dergleichen aufdrängen
dürfen, der selbst in seiner Sprache die Fremdwörter miedi^);
also darf bei pensavisset (Ann. U 26) niemand an „kompensieren"
denken, hostium aiiibus infectus (ü 2) ist nicht „inficiert" sondern
„getränkt" oder „angesteckt". Etwas anders steht es schon in
Fällen wie pro Rose. Am. 1, 4, wo Cicero der Männer gedenkt,
die ihn bewogen haben die Verteidigung zu übernehmen,
quorum ego nee benevolentiam erga me ignorare nee auctoritatem
aspernari nee voluntatem neglegere debebam. Wir übersetzen
„verkennen", empfinden aber den Ansatz zum deutschen Ge-
brauch von „ignorieren". Und oft ist ohne die Hilfe fremder
16 !• Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
Ausdrücke eine treffende Übertragung kaum möglich. Schon
der Quartaner, der bei Cornel findet (Timoth. 4, 4): haec extrema
fuit aetas imperatomm Atheniensium, lernt übersetzen: „dies
war die letzte Generation athenischer Feldherren". Wir würden
kleinmütig den Besitz verleugnen, den unsere Mutter Sprache,
für uns erworben hat, wenn wir für exploratores, publicare,
Salus, Studium, temptare auf Wörter wie „Patrouillen, konfis-
zieren, Existenz, Interesse, sondieren" verzichten oder uns
quälen wollten, an Stelle des „Intriganten", den die Römer
factiosus nannten, einen „Parteisüchtigen" zu erfinden. Fides
ist unter Umständen weder „Glaube" noch „Vertrauen" sondern
„Kredit", und liefert in dieser Anwendung eine treffliche Probe,
daß Verdeutschung von Fremdwörtern ein gefährlicher Sport
ist; denn sie hat uns mit dem sinnlosen „Gläubiger" für
creditor beschenkt.
Manchmal dient das Fremdwort dazu^ einen Begriff oder
eine Beziehung, die man durch Umschreibung zwar ausdrücken
könnte aber verschieben müßte, in voller Schärfe festzuhalten.
Soweit es sich dabei um Bewahrung von Bildern handelt, sparen
wir Beispiele einer späteren Gelegenheit auf; doch das sind
nicht die einzigen. Quae pro hostibus et advorsum se opportu-
nissimae erant (bell. lug. 88, 4) sind Plätze „die für die Feinde
und gegen ihn die meisten Chancen boten" ; scriptorum magna
ingenia (Catil. 8, 3) „große schriftstellerische Talente". Aus
diesem Grunde würde ich auch bei Tacitus ein „strategisch"
für imperatorium gelten lassen und in der Odyssee kein Be-
denken haben jjLoTpa (z. B. p 335. ü 293) mit „Portion" zu über-
setzen oder die Hunde, welche d^XaiTjc evexsv von ihren Herren
gehalten werden (p 310), als „Luxushunde" zu bezeichnen. Den
Bettler der sich „geniert" (a^ootoc dXVjir)?) mag man p 578
wenigstens zur Erläuterung herbeirufen; dem deutschen Text
würde er eine saloppe Färbung geben, die man nicht wünschen
kann.
4. Überhaupt giebt es hier eine Grenze, die nicht über-
schritten werden darf und an die wir schon im voraus erinnert
Beabsichtigte Inkonzinnität. 17
haben: der deutsche Ausdruck soll nicht zum Alltäglichen
nivelliert werden. Zunächst ist klar, daß wir überall da eine
etwas ungewöhnliche Wendung suchen werden, wo der Autor
selbst etwas gesagt hat, was von seinen Landsleuten als un-
erwartet empfunden werden mußte. Die bei Sallust und
Tacitus beliebte Ungleichmäßigkeit in der Bildung paralleler
Glieder darf nicht verwischt werden, wenn der originale Bin-
druck des Stiles erhalten bleiben soll. Wir werden uns also
bemühen, die vielen pars — alii, eques — pedites u. ä. auch
im Deutschen zum Vorschein zu bringen ; werden z. B. in den
zwei Begriffspaaren (Catil. 6, 1) sine legibus sine imperio, liberum
atque solutum nur einmal „und" setzen, weil Sallust es im
ersten Paare weggelassen hat, und den Wechsel in einem
Satz wie Catil. 17, 6: incerta pro certis, bellum quam pacem
malebant beibehalten: „sie wollten unsichere Güter statt der
sicheren, Krieg lieber als Frieden". Selbst ein so hartes Anä-
koluth wie in Tacitus Beschreibung der Betuwe (Histor. IV 12),
quam mare Oceanus a fronte, Rhenus amnis tergum ac latera
circumluit, möchte man nachbilden: „die das Weltmeer von vorn
bespült, der Rheinstrom den Rücken und die Seiten". Manch-
mal liegt die Versuchung sehr nahe, die Unebenheit auszu-
gleichen; so Ann. IV 37: et prioris silentii defensionem et, quid
in futurum statuerim, simul aperiam; denn einen indirekten
Fragesatz in ein abstraktes Substantiv zusammenzufassen ist
ein geläufiger Handgriff der Übersetzung. Diesmal darf er
nicht angewandt werden: „die Verteidigung meines früheren
Schweigens, und was ich für die Zukunft beschlossen habe,
will ich zugleich kund tun". So bleibt der Bindruck gewahrt,
den die römischen Leser hatten und haben sollten. Zu solchem
Zweck ist es nicht nötig, die Inkonzinnität ängstlich gerade an
den Satzteilen zum Ausdruck zu bringen, die im Lateinischen
ihre Träger sind. Wenn Tacitus Ann. II 14 schreibt: pavidos
adversis, inter secunda non memores, so gelingt uns eine knappe
Wiedergabe am ehesten, wenn wir die Zeitbestimmungen gleich
bilden und dafür das häßliche „eingedenk" vermeiden : „furcht-
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 2
m I. Schlichtheit und gewählter Ausdruck.
Kam im Tn^lück, während sie im Glück nicht an göttliches
nicht an menschliches Recht dächten**.
I )iese Freiheit müssen wir oft in Anspruch nehmen, wo es
>^ilt rednerische Figuren und spielende Beziehungen der Begriffe,
mit den(?n der fremde Autor seinen Stil verziert hat, nachzu-
jihmen. Wenn Horaz die Gegenstände, von denen Alcäus singe,
mit wirksamer Anaphora beschreibt (11 13, 27 f.): dura navis,
dura fuf^ac mala, dura belli, so werden wir im Deutschen nicht
„harte" wiederholen, sondern „Leiden." Zu der behaglichen
Mahnung des Herolds an die Freier (p 176) oö jjiiv yctp xi
/iosi^v ev fopr, osirvov e>ial)at bemerken die meisten Erklärer,
im Ueiitschon begnüge man sich hier mit dem Positiv; und
doch können wir die vergleichende Beziehung ohne Mühe
festhalten: „es ist garnicht das Schlechteste" oder „es ist ebenso
gut". In den Worten des Boten (Antig. 276) TrapsijjLt 8' axcov
w/ ixoootv wäre es pedantisch die Konstruktion festhalten zu
wollen; gibt man sie preis, so läßt sich dafür das Wesentliche
d(;s Kindruckes, den zwei verwandte Ausdrücke in enger Ver-
bindung machen, wieder herstellen: „Hier bin ich gegen meinen
Wunsch, gegen euren Wunsch." Überhaupt gewähren unter
den Wort- und Klangspielen diejenigen, die auf etymologischem
Zusammenhang beruhen, einen gewissen Anhalt für übersetzende
Nachbildung. Zu Horaz Od. III 2, 30 (incesto addidit integrum)
fr)rdert liosenberg mit Recht, daß die beiden Adjektive auch
deutsch gleich geformt werden; also nicht „dem Unreinen den
Frommen", sondern „dem Unreinen den Unschuldigen". Repressum
— oppressum bei Cicero (pro Mur. 15, 32) sind „zurückgedrängt —
verdrängt", neque modum neque modestiam bei Sallust (Catil.
11, 4) „weder Maß noch Mäßigung", bei demselben (Catil. 52, 27)
miseria als Gegensatz zu misericordia nicht „Elend" sondern „Leid".
Wenn Cicero (pro Rose. Am. 50, 147) von Caecilia rühmt: cum
esset mulier, virtute perfecit etc., so müssen die Begriffe „Frau"
und „männlicher Sinn" auch deutsch nebeneinander bleiben.
Im übrigen ist es gut auf diesem Gebiete von vornherein
Resignation zu üben, um nicht in Künstelei zu verfallen; die
Rhetorische Figuren. Wortspiele. 19
Art, wie sich manchmal der Euphuismus im deutschen Shake-
speare darstellt, lockt nicht zur Nachfolge, selbst wenn ein
Übersetzer in der Lage wäre mit Schlegel zu wetteifern. Aber
wenn sich bei der Übersetzung eines Autors, der solchen Schmuck
liebt, irgendwo ganz von selber ein Wortspiel einstellt, so ist
man wohl berechtigt es festzuhalten; also etwa bei Sallust
Catil.2, 8 {corpus voluptati, anima oneri fuit) die zufällige Ähnlich-
keit von „Lust" und „Last" zu benutzen, als ein Stückchen
Ersatz für die Anklänge, die anderwärts aufgegeben werden
müssen, wie otio — negotiis lug. 4, 4 oder foedus — foedam
43, 1. Wenn Cicero schreibt (ad fam. IX 16, 3, bei Bardt
Nr. Q^) : nee praestari qulcquam potest quäle futurum slt, quod
positum est in alterius voluntate, ne dicam libidine, so bringen
wir durch Gegenüberstellung von „Wille" und „Willkür" keinen
fremden Zug herein. Im Grunde war es gerade so gemeint; was
im Lateinischen vernommen wird, ist zwar kein Anklingen der
Worte, doch der verwandten Begriffe. Im allgemeinen werden
solche spielenden Beziehungen, die von der Gestalt der Wörter
unabhängig sind und vielmehr von den Begriffen getragen
werden, am ehesten zu bewahren sein. Bei Tacitus Hist. III 31: ut
quis ordine anteibat, cedere fortunae, gibt Heraeus für ordine
anteire „höher im Range stehen", für cedere „sich fügen" und
zerstört dadurch die Antithese: „in dem Maße wie einer im
Range vorangeht, weicht er dem Schicksal". Das vorher aus
Cicero angeführte Beispiel ist nur insofern anderer Art, als sich
zufällig im Deutschen ein etymologischer Zusammenhang ein-
stellte und das logische Verhältnis, durch das der Autor wirken
wollte, noch deutlicher hervortreten ließ. —
Von der Aufgabe, die Eigentümlichkeit des fremden Stües
zu erhalten, wird noch vielfach die Rede sein, besonders in den
Abschnitten über sinnliche Bedeutung und über Wortstellung.
Einstweilen mögen die gegebenen Beispiele genügen, um unsrer
zuerst aufgestellten Forderung nach schlichtem und natürlichem
Deutsch ein Gegengewicht zn bieten.
2*
n.
Grundbedeutung.
In die Tiefe mußt du steigen,
Soll sich dir das Wesen zeigen
Schiller.
1. Jeder kennt die üble Neigung der Schüler, sich beim
Präparieren mit einer Bedeutung zu begnügen, die gerade für
den vorliegenden Zusammenhang paßt, mag sie dem ursprüng-
lichen Sinne des Wortes noch so fem stehen. Die Quelle des
Fehlers liegt in den unteren und mittleren Klassen, in dem
Unfug der SpezialWörterbücher, die es dem Knaben möglich
machen den Verstand ruhen zn lassen und mit Auge und
Pinger zu suchen, welcher deutsche Ausdruck für den bestimmten
Paragraphen oder Vers angegeben ist. Den Gebrauch solcher
Hilfsmittel schlechtweg zu verbieten geht nicht an; dadurch
würde für manche die Verführung erst recht groß sein, für
alle eine neue Gelegenheit zu Vergehen, Untersuchung, Strafe
geschaffen werden. Aber die Schule soll durch freundschaft-
lichen Rat vor der scheinbaren Erleichterung warnen, daneben
bei passendem Anlaß zu verständiger Benutzung eines größeren
Lexikons anleiten. Das kann schon in Quarta bei der Nepos-
Lektüre geschehen, vollends nachher für Cäsar, Xenophon, Ovid.
Und wenn einige klug zu sein meinen, indem sie den erteilten
Rat nicht befolgen, so läßt sich auch ihre Torheit für's All-
gemeine fruchtbar machen; die Proben vorzeitig freier, innerlich
unverstandener Übersetzung, mit denen sie hervorkommen, liefern
dem Lehrer das willkommene Material, um durch Vergleichung
die Art und den Wert gründlicher Arbeit greifbar zu zeigen.
Spezial Wörterbücher. — Aequus, iniquus. 21
Die Schüler erkennen dann doch, daß ihnen aus der momen-
tanen Bequemlichkeit nur Schaden für später erwächst, daß die
einzelnen abgeleiteten Bedeutungen wie abgeschnittene Blumen
sind, die bald welk werden, wogegen der, welcher die Grund-
bedeutung erfaßt hat, einen lebendigen Stamm besitzt, aus dem
er mit geschickter Pflege immer neue Blüten hervortreiben kann.
Die Bedeutungslehre ist vielleicht derjenige Teil der Sprach-
wissenschaft, der am unmittelbarsten für die Schule frucht-
bar gemacht werden kann; denn sie bietet kleine Probleme, an
denen sich schon der jugendliche Geist mit Erfolg versucht,
und wirft für das Verständnis der eigenen Sprache manchen
erfreulichen Gewinn ab. Wenn es bei Livius einmal heißt, die
Römer hätten den Puniern gegenüber haud dubie aequiore loco
gestanden (XXII 16, 2), so darf die Seltsamkeit nicht unbeachtet
bleiben, daß durch den Komparativ ein Verhältnis der Ungleich-
heit an dem Begriffe der Gleichheit ausgedrückt ist. Ähnliche
Beobachtungen kommen leicht hinzu. Den Besuch in der Unter-
welt schildert die Sibylle als ein sehr schwieriges Unternehmen
(VI 129 ff.): pauci, quos aequus amavit luppiter aut ardens
evexit ad aethera vlrtus, dis geniti potuere. Wie kommen wir
dazu, aequus „günstig, geneigt, gewogen" zu übersetzen? Es
heißt doch „gleichmäßig, gerecht", und das ist Juppiter gerade
nicht, wenn er wenige Männer so sehr bevorzugt. Im Grunde
steht es mit iniquus nicht anders: Horaz nennt die Parzen
„ungerecht", wenn sie ihm nicht den Willen tun (Od. 11 6, 9),
und spricht gar (I 10, 15 f.) von* den iniqua Troiae castra der
Griechen, die doch gegen die Vaterstadt des Paris in gerechtem
Kriege liegen. Aber von dem negativen Begriff aus läßt sich
denn auch die Erklärung finden: der Mensch ist nur allzu bereit,
eine Handlungsweise die ihn unangenehm berührt ungerecht zu
nennen, auch wenn sie wohl verdient war, während er um-,
gekehrt eine Bevorzugung vor anderen gern als etwas ihm
Gebührendes ansieht. Mag die Erinnerung daran für die Über-
setzung nicht viel helfen, vielleicht wird sie sonstwie sich dem
Knaben nützlich erweisen.
22 11- Grundbedeutung
Für den gegenwärtigen Zweck wichtiger sind diejenigen
Fälle, in denen ein Zurückgehen auf den eigentlichen Sinn auch
in der Übersetzung zum Ausdruck kommt. Patres conscripti
pflegt man als „Versammelte Väter" zu verdeutschen und so
ganz ohne Not den Schein zu erwecken, als wäre das eine Wort
Attribut des anderen. „Patricische und plebejische Senatoren**
ist allerdings zu umständlich und schon nicht mehr Übersetzung;
aber warum nicht „Väter und Verordnete**? Wie necessarius,
dva^xato?, necessitudo zu der Bedeutung „befreundet, verwandt,
Freundschaft, Verwandtschaft** kommen, ist eine Frage, die
hoffentlich schon manchen Sekundaner beschäftigt hat; wenn
er angeleitet wird, zunächst „eng verbunden, enge Verbindung**
zu sagen, so kann ihm der Zusammenhang nicht leicht wieder
verloren gehen. Beinahe als ein Allerweltswort erscheint ratio;
in den kommentierten Ausgaben von Cicero sind die Uber-
setzungshilfen dafür besonders zahlreich und mannigfaltig.
Ratio comitiorum (pro Mur. 17, 35) soll „Gang der Wahlver-
sammlungen** sein, tempestatum ratio (ebenda 2, 4) die „Eigen-
tümlichkeit der Stürme**. Aber ratio ist „Berechnung**; und
wenn auch nicht dieses Wort, so doch den Gedankenkreis, in
den es weist, können wir festhalten, indem wir übersetzen:
„Verhältnisse des Wetters, der Komitien**. Cum ad rem nihil
intersit (pro Rose. Am. 16, 47) heißt nicht, „da es für meinen
Zweck nicht darauf ankommt**, sondern „da es keinen Unter-
schied macht**; und solche Wendung mag denn dazu dienen
den eigentlichen Sinn unseres viel gemißbrauchten Fremdwortes
„Interesse** wieder deutlich zu machen.
Ganz ähnliche Beobachtungen ergeben sich für das Grie-
chische. Thukydides 1 128 sagt von Pausanias : BüCavxiov sXcov . . .
TOüTOü? o3? sXaßev OLTzaTzi^izzi ßaoiXsT xpücpa täv olXXcdv $U[jL[jta)^a)v.
Der Satz kam in dem Abschnitt vor, den vor einigen Jahren
die Kieler Abiturienten im schriftlichen Examen zu bearbeiten
hatten. Wohl alle hatten übersetzt: „heimlich vor den Bundes-
genossen** oder „ohne Wissen der Bundesgenossen**, und recht-
fertigten die Weglassung von aXXcüv in üblicher Weise damit.
auch beim Übersetzen festzuhalten. 23
daß hier ein „Gräcismus" vorliege; mit frappierender Einfach-
heit gab der Schulrat: „vor den andern Mitstreitern". — Herodot
gebraucht einmal (VI 109) kurz hintereinander die Wendungen:
i^ ol dvT^xet, h ok xsivei xal ix oeo -^pTTjTat. Wir werden zu-
gleich den Eindruck seiner Redeweise lebendig erhalten und
unser eigenes Sprachbewußtsein erneuern, wenn wir auch im
Deutschen die entsprechenden Ausdrücke nicht vertauschen
oder wiederholen, sondern mit genauer Scheidung sagen: „auf
dich kommt es an, nach dir richtet sich und von dir hängt ab".
Bei demselben IX 69 meint dTTstYOfjtevou? nicht „eilend" sondern
„sich drängend", xaxeoTopeoav nicht „hieben nieder" sondern
„streckten nieder"; ^[Jtap dva^xaiov im Epos ist wörtlich der
„Tag des Zwanges", ivapi&fjtio? der welcher „mitzählt". Solche
Genauigkeit im kleinen macht sich bei Gelegenheit in sehr will-
kommener Weise bezahlt. Ein Schüler, der gewöhnt wird vtjXst^?
„unbarmherzig" zu übersetzen und nicht „grausam", behält die
Empfindung für den negativen Charakter des Wortes und kann
ähnliche Bildungen, wie vtjttsv&t^? vTjxepÖT^c, wenn sie ihm später
begegnen, ohne Hilfe verstehen. Wer die Frage des Eumäos an
den Bettler (u 166: Jetv', t^ ap xt oe [laX^^ov 'A}(atol sbopaouoiv;)
schlicht nach dem Wortlaut wiedergibt, nur passivisch: „bist du
irgendwie mehr angesehen", empfängt zum Lohne die Erinnerung
daran, was unser „Ansehen" im Grunde bedeutet. Bei Homer
ist üicpeXe nicht ein abgeschliffenes „o daß doch" sondern ein
Verbum mit noch lebender Bedeutung. Wie Odysseus am
unbekannten Gestade liegt, an das ihn die Leute des Alkinoos
gebracht haben, und mit seinen Schätzen nichts anzufangen
weiß, wünscht er (v 204 f.): a?&' ocpeXov jASivai irapot Oan^xsaatv
aüTOü „ach, sie hätten dort bei den Phäaken bleiben sollen".
Solche Übersetzung bewahrt die Schüler vor dem gedanken-
losen Hantieren mit starren Formeln und gibt zugleich dem
deutschen Ausdruck etwas Frisches und Kräftiges. Und davor
braucht man sich auch in späteren Perioden der Sprache
manchmal nicht zu scheuen. Das bekannte Musterbeispiel, das
Klearch bei Xenophon (Anab. n 1, 4) bietet, cScpeXs \ih Küpo?
24 U- Grundbedeutung
r
r^v, ist uns von der Grammatik geradezu verdorben worden;
man versuche nur den echten Wortlaut „Kyros hätte am Leben
bleiben sollen" einzusetzen, und man wird finden, wie viel derber
und glaubhafter die Rede des alten Soldaten klingt.
Hier ist nun aber Vorsicht von nöten, daß man nicht durch
Aufwecken der Grundbedeutung den ebenen Fluß des Gedankens
störe oder dem Autor einen Nebengedanken aufdränge, den er
selber garnicht gehabt hat. Egregius ist genau „hervorragend" ;
bedenkt man aber, wie dieses Wort in der modernsten deutschen
Umgangsprache verbraucht ist, so wird man es bei Horaz in
laudes egregii Caesaris (Od. I 6, 11) für ungeeignet halten und
dafür „des erhabenen Cäsar" sagen. Derselbe Dichter ge-
braucht einmal das Gleichnis von einem Vogel, der für seine
Jungen dann am meisten zittert, wenn er sie im Nest allein
gelassen hat, obwohl er ihnen gegen die böse Schlange doch
nicht helfen könnte: Utadsidens implumibus pullis avis serpentium
adlapsüs timet magis relictls, non, ut adsii, auxili latura plus
praesentibus (Epod. 1, 19 ff.). Hier würde „dabei sitzend"
geradezu irre führen, denn wir sollen uns ja vorstellen, daß
die Alte nach Futter ausgeflogen ist; also darf aus adsidens
nur der Begriff der Fürsorge entnommen werden: „der die
unflüggen Jungen hütet". Daß Schriftsteller, die zeitlich weit
auseinanderstehen, in solchen Dingen verschieden empfunden
haben, also verschieden verstanden werden müssen, daß Thuky-
dides dieselben Worte mit mehr Bewußtsein des ursprünglichen
Sinnes gebraucht als Plutarch, kann ein Primaner wohl be-
greifen. Eine besondere Schwierigkeit bieten die Tragiker.
Wenn Äschylos (Sept. 145) den Chor beten läßt: xal o6, Aüxsi*
avaS, Aüxeio? ^svou oipaKp 8aiq>, so muss der Übersetzer das
etymologische Spiel festhalten, einerlei ob er die Ableitung von
Xüxo? billigt oder nicht: „Und du, König Wolfgott, zeige dich
wölfisch". So ist auch bei Sophokles Elektr. 7 a^opa Aüxstoc
der „Wolfsmarkt", als Eigentum toü Xüxoxtovoü Oeou; das
hindert den Dichter nicht, ein andermal mit einer Beziehung des
Auxsios ava$ zu den Lykischen Gebirgen zu spielen (Kön.
^
darf dem Autor nicht aufgedrängt werden. — Die Tragiker. 25
Öd. 203. 208). Man sieht: das Epitheton hatte für ihn und
seine Zuhörer keine feste Bedeutung mehr; er konnte es so oder
so wenden, wie die Gelegenheit es brachte, konnte aber auch
die Anrede AiJxei' ava£ oder Aöxet' ''AtuoUov ohne tieferen Sinn,
einfach als überlieferte Formel, weiter gebrauchen. Das tut
er mehrmals in der Elektra; und wir haben kein Recht, ihn auf
Grund unsrer sprachwissenschaftlichen Einsicht zu korrigieren
und mit Theodor Plüß zu übersetzen: „Fürst des Morgenlichtes"
oder „Gott des Lichtes, ApoUon". Dieser allzu feinsinnige Er-
klärer geht überhaupt ziemlich weit darin, dem Dichter fremd-
erneuerten Schmuck zu leihen^^). Zeü<g ist ihm zwar 824, wo
der cpal&cüv 'AsXio? daneben steht, und auch sonst gelegentlich
einfach „Zeus", aber an anderen Stellen (149. 162), ohne erkenn-
baren Unterschied des Zusammenhanges, der „Lichtgott". Für
xatpo?, xatpio? wird jedes einzelne Mal der Begriff „Schicksals-
stunde" aufgeboten, und das in so harmlosen Sätzen wie 22
(rv' oöxsT öxveiv xatpo?, dXX' ep^wv dxjAT]): „wo der Befehl der
Schicksalstunde nicht mehr lautet, sich besinnen und bedenken,
sondern entscheidend, schneidend handeln". Für die Tragiker
ist gerade das umgekehrte Verfahren von dem, welches Plüß
eingeschlagen hat, richtig. Sie überschütten uns mit gedanken-
schweren Worten, kühnen Bildern, rhetorischen Wendungen;
die griechischen Hörer waren an solche Sprache gewöhnt, und
das milderte ihnen den Eindruck: für uns muß der Übersetzer
zu Hilfe kommen, indem er ein wenig von der Überkraft des
Ausdruckes abzieht. Davon wird auch in anderem Zusammen-
hange noch die Rede sein.
2. Am notwendigsten ist das Zurückgreifen auf die Grund-
bedeutung naturgemäß bei Homer. Das mag an ein paar Bei-
spielen gezeigt werden, die, einer und derselben Begriffsphäre
angehörig, unter sich in einer Art von Gegensatz stehen. Für
ösjAt? gibt Seiler-Capelle diese Umschreibung: „alles, was durch
Gebrauch und Herkommen eingeführt und geheiligt ist, das
Billige, das Gebührliche; Ordnung, Sitte, natürliches Recht";
auch im großen Lexikon Homericum ist der Begriff „Ordnung,
26 II» Grundbedeutung.
Satzung" an die Spitze gestellt. Versuchen wir mit ihm die
geläufige Redensart 9^ Osjjtt? iozi zu erklären. An einigen Stellen
gelingt es gut, z. B. W 581. y 45; an anderen ist durch das
Hinzutreten der Negation der Übergang zu der Bedeutung
^erlaubt" leicht vermittelt (so H 386. x 73. $ 56), die in positiver
Anwendung I 33 vorliegt. Aber was machen wir mit FI 796 f.
(TTOtpo? Y8 \iky o5 bi\i{<; tjsv Jtuttoxojxov TTi^XTjxa [jtiaivso&at xovtiQotv)
oder mit \ 451, wo Agamemnon von Telemach sagt: xal xsivo?
Traxepa TrpooTUTüSeiat, 9^ ösjjli? Iotiv? An dieser letzten Stelle
wissen sich die Herausgeber mit übereinstimmender Geschick-
lichkeit der Aufgabe des Erklärens zu entziehen, indem sie
nur auf y 45 verweisen, wo in der Tat von einem heiligen
Brauch die Rede ist, den zu befolgen sich ziemt. Aber daß
ein Sohn an den heimkehrenden Vater sich anschmiegt, das
wäre „in der Ordnung*' oder „herkömmlich" oder „gebührend"?
An dergleichen Rücksichten dachten, im homerischen Zeitalter
wenigstens, die Kinder gewiß nicht, sondern taten was ihnen
„natürlich" war. Und das ist die Bedeutung von ftejAu: „das
Gegebene". Der trauernden Witwe ist es (J 130) natürlich zu
weinen, wenn sie ihres Gatten gedenkt; das Recht der Gast-
freundschaft (A 779. t 268. cd 286) beruhte auf einem natür-
lichem Gefühl; der Briseis gegenüber hat Agamemnon auf den
Liebesgenuß verzichtet, obwohl es nur natürlich gewesen
wäre (I 134) ihn zu verlangen. Jetzt kommt auch der Helm
des Achilleus (FI 796) an den rechten Platz: nicht „verboten"
war es früher oder „den Göttern mißfälhg", daß er mit Blut
und Staub besudelt wurde, sondern es war nicht das Natür-
liche für ihn, er war eine andre Behandlung gewöhnt. Also
etwa: „bisher gab es das nicht, bisher war das nicht die Regel."
Der Grieche dachte hier sicher nicht daran, daß dem Helme
des Peliden eine „gleichsam geheiligte Existenz" zugeschrieben
werden solle ^^). Aber das erkennt man allerdings an dieser
Stelle wie an manchen der anderen, daß in dem ursprüng-
lichen Begriffe des Wortes ein Keim enthalten war, der sich
zu religiöser Bedeutung entwickeln konnte i^). Indem der
Homer (O^fJ-i;, 5atfi.ovio?). 27
Schüler diesen Zusammenhang begreift, ahnt er zugleich etwas
von dem tiefen Unterschied hellenischer und christlicher Welt-
anschauung: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom
Geist Gottes", läßt Luther den Apostel sagen (I. Kor. 2, 14);
dem Griechen war der eigne natürliche Sinn eine Quelle der
Offenbarung, daraus er Gedanken von einer gottgewollten Ord-
nung der Dinge schöpfte.
Wenn die gewohnte Reihenfolge des Geschehens ein ein-
zelnes Mal in auffallender Weise durchbrochen wurde, so konnte
das wieder nur durch göttlichen Willen bewirkt sein: diese
Betrachtung verdichtete sich zu dem Begriff SatjAOvio^ Nach
Lehrs' trefflicher Erklärung ^^) wird der so genannt, dessen
Handlungsweise so sehr von der gewohnten oder erwarteten
abweicht, daß man sie sich nur durch Annahme einer gött-
lichen Einwirkung erklären kann. Als die Freier unvorsichtig
laut den Mordplan gegen Telemach erwähnen, fährt Antinoos
sie an (8 747): SatjAOvtot, jaüöoü? \ikv ÖTrspcpioEXou^ dXeao&e, d. h.
„seid ihr verrückt?" Odysseus sagt zu Penelope, die ihn auch
nach dem Bade nicht erkennen will: 8ai[jtovi7], iripi oot ^s YuvatxÄv
OyjXuTSpacüv xr^p dxepajjLVOV eÖTjxav OX6[jL7ria boi\LOLT sj^ovie?,
und meint: „ich verstehe dich nicht" {t^ 165). Manchmal läßt
sich eine kurze Form der Anrede auch im Deutschen finden;
so wenn Andromache Z 407 kopfschüttelnd sagt: „du böser
Mann", oder gleich nachher in Hektors zärtlichen Trostworten
(486): SatjxoviT], iat^ jjloi ti Xitjv axa^^iCeo Oüjaw, wo Jordans
„Närrchen" ganz hübsch paßt. Und wie anders klingt es dann
wieder im Munde des Bettlers, der die plumpe Drohung eines
Rivalen zurückweist (o 15): 8ai[jt6vi', oüts ti os peC«) xaxov xxX.
„Närr'scher Kerl, ich tu dir ja nichts zu leide." In der Regel
wird man doch einen ganzen Satz bilden müssen. Wie Here
ihrem Gemahl auf den Kopf zusagt, wer bei ihm gewesen ist,
ruft er erstaunt aus (A 561): 8at[xovi7], a?si ja^v äieat oöSe os
X-^öü) „das geht nicht mit rechten Dingen zu". Zu dieser
Stelle machte einer meiner Schüler den Einwand: die Erklärung
von 8ai[jtovio<g könne doch nicht richtig sein, da eine Göttin selbst
28 II» Grundbedeutung.
so genannt werde. Dies mußte beantwortet werden, und dabei
ergab sich die Möglichkeit, mit schnellem Blick auch einmal
den Anfänger die lange Entwickelung von Sprache und Dich-
tung ermessen zu lassen, die vorangegangen sein mußte, ehe
ein Werk wie unsre Ilias entstehen konnte. Ihre Sprache er-
(luickt uns Spätlinge durch Ursprünglichkeit, und enthält doch
selbst schon eine Menge von Worten und Wendungen, die
durch lange Gewöhnung etwas von der ersten Kraft eingebüßt
und eine uneigentliche, wo nicht gar konventionell erstarrte
Geltung gewonnen hatten.
3. Dieses Leben und Sterben und Neuerstehen läßt sich
innerhalb der Literaturgebiete, die den Schülern bekannt werden,
an der Bedeutungsentwickelung der fertigen Worte reichlich
beobachten. Viel seltener wird man Ursache haben auf den
Ursprung der Wörter, ihre Bildung aus Stämmen, Suffixen,
Wurzeln zurückzugehen. Eine Gelegenheit dazu bietet sich
beim Extemporieren, wo man den Leser anleiten mag, Worte,
die ihm zunächst fremd erscheinen, aus ihren Bestandteilen zu
erkennen; dadurch wird er lernen, auch zuhause nicht gleich
immer gedankenlos das Lexikon zu wälzen, sondern Ausdrücke
wie etwa prae-rupta audacia, animo re-cursat, d-cpiXo-xtjjLoc, iv-
uTTviov, ^{-tocü&eiY], av8paTüo8-a»S7]^ sich selber zu erklären. Und
dabei können ihm gewisse durchgehende Analogien der Ab-
leitung durch Gewohnheit vertraut werden. Ein ausdrücklicher
Unterricht über Wortbildung, gar über die Teile der Etymologie
die jenseits des Griechischen liegen, gehört nicht in die Schule.
Merkwürdigerweise erfreut sich gerade dieser Zweig der Sprach-
wissenschaft bei vielen Lehrern der größten Beliebtheit; nament-
lich im Anschluß an Homer wird er mit Eifer gepflegt. Es
gibt ernsthafte Schulmänner, welche den Jungen zumuten,
sich für den Ursprung von oö, aü, ^e, eövVj, Xeuoaa), x^^P^^ ^- ^*
zu interessieren, drei oder vier Erklärungen eines Sizai Xsyojxsvov
aufzufassen und nach der Wortbedeutung von 'AttoXXcuv, Aavdr],
'Hpy], Mivo)? zu fragen. Und daneben findet man dann in
Formenlehre und Syntax ein ängstliches und hartnäckiges Wider-
Etymologie. 29
streben, auch nur die einfachsten Grundanschauungen der
historischen Sprachwissenschaft für die Erleichterung und Ver-
tiefung des Unterrichtes zu verwerten^^a). Dies muß doch immer
der Maßstab sein, nach dem über Aufnahme in den Lehrstoff
der Schule entschieden wird; und daraus ergibt sich für die
Etymologie ein sehr einfacher Grundsatz: sie darf und soll
so weit herangezogen werden, als sie dazu dient, Wörter, die
der Lernende schon kennt, untereinander in Verbindung zu
bringen, durch Rückführung auf eine gemeinsame Bedeutungs-
wurzel in seinem Bewußtsein festwachsen zu lassen, oder
Wörter, die er neu lernt, in derselben Weise an bekannte
anzuknüpfen; sie ist vom Übel, sobald sie ihre Deutungen aus
Gebieten holt, die dem Schüler fremd sind, und Unbekanntes
durch Unbekanntes erklären will.
Die Herkunft der vorher angeführten Wörter und zahlloser
andrer ist auch den meisten Philologen dunkel und ist auch, so
interessant an sich, doch für das Verständnis griechischer Texte
gleichgültig, weil sie von dem Volke selber längst vergessen
war und für die Entwickelung der Bedeutungen innerhalb der
historischen Sprache nicht mehr erkennbar nachwirkte. Aber
daß Sato[jLat und 8ai? zusammenhängen, xsjxsvo? der „Abschnitt"
ist, xpT^8£[jtvov die „Kopfbinde", yjjxiovo? der „Halbesel", x^tfjtVjXtov
das „liegende" Besitztum, irpoßaTov das „vorwärts gehende",
avSpotTToSa die Herde „mit Menschenfüßen", aequor nicht beliebig
das „Meer" sondern die „Fläche", Ingenium das „Angeborene",
secundus der „nachfolgende", assiduus der, welcher gehöriges
Sitzfleisch hat: alles dies sind Anschauungen, die dem Griechen
und Römer geläufig waren und jetzt dem Schüler zugänghch
und nützlich sind. Nicht immer kommt die richtig verstandene
Etymologie unmittelbar in der Übersetzung zum Ausdruck:
„Selbstgenügsamkeit" für duxapxsia würde irre leiten; und die
irapsxßaoet? der Stäatsformen bei Aristoteles (Wilam. S. 154)
sind nicht „Ausschreitungen" sondern „Ausartungen". Aber
die Einsicht in den Ursprung der Bestandteile führt doch auf
den richtigen Gedanken; und manchmal läßt sie sich ohne
30 n. Grundbedeutung.
weiteres für den Wortlaut der Übersetzung wirksam verwerten.
Schon daß man praecipue, eximius nicht „besonders" und „aus-
gezeichnet" übersetzt sondern „vornehmlich" und „ausnehmend",
demonstrare „darauf hinweisen" aber ostendere „vor Augen
halten", ist ein kleiner Gewinn, weil damit der gedankenlosen
Vermischung der Synonyma Abbruch geschieht. Oft wird man
diversus adverbiell umschreiben: „in verschiedenen Richtuhgen",
so an einer früher (S. 9) angeführten Vergilstelle. Überhaupt
beruht die Sprachgewalt dieses Dichters zu einem guten Teil
darauf, daß er Worte von verblaßter Bedeutung mit einem
Bewußtsein von ihrem ursprünglichen Sinne anwendet: sterneret
aequor aquis (VIII 89) „eine glatte Fläche aus den Wassern
herstellte" d. h. „zur Ebene die Gewässer glättete", rumore
secundo (VUI 90) „vom Plätschern begleitet", saecula Aen. I 606
als „Geschlechter", ganz ähnlich wie die saecla ferarum bei
Lukrez. Daß saeclum zu serere ähnlich steht wie generatio zu
generare, begreifen die Schüler leicht; und dann wird ihnen die
Übersetzung „Generation", die an vielen Stellen noch für sae-
cülum paßt, deutlich machen, wie ein Wort, das eigenthch eine
Gesamtheit zugleich erzeugter und zugleich lebender Wesen
bezeichnet, dazu gekommen ist ein Zeitmaß zu benennen.
Zu Einblicken solcher Art fordert die Etymologie, innerhalb
der von uns gezogenen Schranken, mehrfach auf. Wer prudens
als providens erkennt und „vorausblickend" übersetzt, versteht
schon beinahe so gut wie Homer (z. B. A 343), was „Klugheit"
sei. Ein Wort wie dY^vcup mit seiner doppelten Bedeutung
braucht für den Sekundaner nicht eine Vokabel zu sein, die er
mechanisch lernt; er kennt a^av, dvi^p, T^vopsT] und weiß oder
lernt eben jetzt, daß höchgemtiot im Nibelungenliede etwas
anderes ist als „hochmütig" im neunzehnten Jahrhundert. An
secundus wurde schon erinnert. Der „nachfolgende" Wind ist
günstiger als der „entgegenwehende"; und wer sich darauf
einmal besonnen hat, empfindet nun auch das Bild in der Über-
tragung beider Attribute auf das Schicksal. Daß minister in
der modernen Anwendung des Wortes so viel mehr ist als
Etymologie. 31
magister, mag dem jungen Lateiner, der magis und minus besser
zu kennen meint, seltsam vorkommen; vielleicht dämmert ihm
dabei die Erkenntnis, daß alle menschlichen Urteile und Begriffe
bloß relative Geltung haben. Aber auch das ewig Gleiche im
Denken der Menschen lernt er finden, wenn ihm avejjtoc und
animus, ^o^ri und {dva)^6yBi)f, Tuveöfia, Spiritus, esprit in ge-
meinsamer Betrachtung zusammengefaßt werden. Überall ist
der Versuch gemacht, das geistige Element, das sich mit den
Sinnen nicht fassen ließ, als eine körperliche Substanz feinster
Art zu begreifen; und damit hat die schöpferische Sprache bei
den verschiedensten Völkern immer wieder unbewußt jenes
Gleichnis vollzogen, das, zu deutlicher Anschauung gesteigert,
in den Worten Jesu an Nikodemus mit überraschender Wahrheit
leuchtet. —
Einige der letzten Beispiele ragen schon in ein Gebiet
hinein, das zwar dem Gedankenkreise, in dem wir hier stehen,
angehört, innerhalb desselben aber von besonderer Art und
besonderer Wichtigkeit ist und daher in einem eigenen Kapitel
behandelt werden soll.
III.
Sinnliche Vorstellung und Begriff.
Anschaun, wenn es dir gelingt.
Daß es erst ins Innre dringt,
Dann nach außen wiederkehrt :
Bist am herrlichsten belehrt.
Goethe.
1. Abstrakte Begriffe auszudrücken besitzt die Sprache
überhaupt kein anderes Mittel als die übertragene Anwendung
sinnlicher Vorstellungen. Dieser Satz beweist so zu sagen sich
selbst: denn fast alle einzelnen Wörter, die er enthält, sind eben
diesen Weg gegangen: abziehen, (be)greifen, ausdrücken, be-
sitzen, überhoübet, Mitte, übertragen, (an)wenden, (vor)stellen.
Und das ist kein Zufall. In den Zeiten, als die Sprache sich
bildete und ihr Wortschatz geschaffen wurde, war die Auf-
merksamkeit der Menschen noch ganz von der körperlichen
Welt in Anspruch genommen. Erst allmählich lernte man auf
geistiges Leben achten und mußte nun allerdings dessen Kräfte
und Beziehungen auch benennen; aber das war für den noch
ungeübten Verstand eine schwere Aufgabe, und so suchte er
sich das Fremdartige und allzu Feine durch Bilder aus einem
vertrauten und wahrnehmbaren Gebiete nahe zu bringen und
faßlich zu machen. Je länger und häufiger nun solche meta-
phorischen Ausdrücke gebraucht wurden, desto mehr gewöhnte
man sich, den abstrakten Wert, den sie nur durch ein Gleichnis
andeuten sollten, unmittelbar in ihnen zu empfinden: das Bild
wurde vergessen, die uneigentliche Bedeutung verschob sich
zur eigentlichen. Es ist ein ähnlicher Übergang wie der von
gewogenem Edelmetall zu gestempelten Barren, von da zu
Entstehung abstrakter Begriffe. . 33
geprägten Münzen, endlich zum Papiergeld. Danach versteht es
sich von selbst, daß die alten Völker an sinnlichen Ausdrücken
reicher, an abstrakten ärmer waren als wir, oder richtiger ge-
sagt: daß in ihren abstrakten Begriffen das sinnliche Element
noch stärker mitgefühlt wurde als in den unsern. Denselben
Unterschied kann man auch schon innerhalb kleinerer Zeiträume
beobachten. Vortrefflich schildert ihn Bernays, indem er von
den Schwierigkeiten spricht, die sich einer modernen Ver-
deutschung Shakespeares entgegenstellten (Preuß. Jahrb. 68 S.
561): „Ihm war noch eine Sprache geläufig, in welcher die
„Einbildungskraft ihr herrliches Spiel ungebunden trieb; und
„er soll sich nun mit einer anderen begnügen, die sich der
„heilsamen aber einengenden Zucht des Verstandes längst
„unterworfen. Wenn er redete, so schien es, als ob das Wort
„in aller Frische unverkümmerter Jugend aus der Fülle des
„sinnlichen Lebens unmittelbar hervorquölle, um die sinnliche
„Anschauung des Hörers ebenso unmittelbar zu befruchten ; —
„und jetzt soll er die gleichen Wirkungen erzeugen in einer
„Sprache, in welcher die immer weiter um sich greifende
„Herrschaft der abgezogenen Begriffe die erste, frische, sinnliche
„Bedeutung der Wörter immer entschiedener in Vergessenheit
„zurückdrängt." Diese Betrachtung läßt sich auf das Verhält-
nis der beiden klassischen Sprachen zur deutschen vollkommen
übertragen.
Allerdings gibt es Fälle, in denen ein bildlicher Ausdruck
im Lateinischen und Griechischen bereits ebenso verblaßt ist
wie der entsprechende bei uns. Wenn Piaton von der falschen
Kunst, die keine klaren Begriffe habe, sagt: 06 -^voüoa dXXA
oT0}(aoajAlv7] (Gorg. p. 484 C), so empfand er wohl nur noch den
Gegensatz zwischen zwei Abstrakten: „nicht erkennend, sondern
es treffend." Der Begriff, dessen sich Lysias bewußt war, als
er 25 (6>J[jl. xaxaX. diroX.); 29 ouxocpavxetv iTziyeipoooiv schrieb,
oder der, welchen Cicero im Sinne hatte, wenn er pro Sest.
16, 38 sagte: ut meum factum semper omnes praestare deberent,
war schwerüch verschieden von dem, was wir meinen, indem
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 3
34 * in. Sinnliche Vorstellung und Begriff.
wir sagen, jemand „ergreife" ein Gewerbe oder er „stehe ein
für die Handlungsweise" eines anderen. Ob man respicere
„berücksichtigen" ebenso beurteilen soll, ist doch zweifelhaft;
das deutsche Verbum ist ja kein ursprüngliches, sondern von
einem schon abstrakten Substantiv abgeleitet. Weiter dann,
wenn Herodot (IX 64) schreibt: vtxyjv dvatpeiTat xaXXtaTT]v, so
möchte ich glauben, daß dabei dem Griechen noch der Vorgang
des Kampfspieles, von dem Siegespreise heimgebracht werden,
vor Augen stand, während wir in der Wendung „einen Sieg
davontragen" an nichts mehr der Art denken. Beweisen läßt
sich ein solcher Unterschied ja nicht; und die Grenze, von der
an wir zu fühlen meinen, daß den Alten die sinnliche Kraft
einer Vorstellung noch lebendig war, wird naturgemäß oft
schwankend bleiben.
Aber es finden sich Beispiele genug, über die ein Streit
kaum entstehen könnte, in denen der fremde Ausdruck frischer
nach dem Ursprung schmeckt als der deutsche. Tacitus Ann. VI 7
(nobis pleraque digna cognitu obvenere) übersetzt Nipperdey:
„uns ist sehr vieles als der Kenntnisnahme würdig entgegen-
getreten", und bemerkt richtig, obvenire nähere sich hier der
übertragenen Bedeutung, in der wir „vorkommen" statt „scheinen**
sagen; aber das wird nicht leicht jemand behaupten, daß beide
Begriffe sich schon decken. So ist expressa vestigia bei Cicero
(Rose. Am. 22, 62) körperlicher als „ausdrückliche Spuren",
TuapaoTotTic Xenoph. Memor. II 1, 32 anschaulicher als „Beistand",
Tuaoav 7cpo{>u[jLt7jv IxTstvetv in Herodots Sprache (VII 10 tq) kühner
als in modernem Deutsch „allen Eifer anspannen" oder „an-
strengen" ; deutsches „zusammenstimmen und zusammenpassen"
klingt abstrakter, als wenn Piaton sagt: oö oüvaSoüotv oö8k
ouvapfxoTTOüatv dXXr^Xot? (Protag. p. 333 A). Vielleicht läßt sich
hier durch einen kleinen aufgesetzten Druck die kräftigere
Wirkung herstellen: „(beide Sätze) stehen nicht im Einklang
und fügen sich nicht in einander"; in der Regel aber können
wir kaum anders als ein verblichenes deutsches Bild für das
farbenkräftige des Originals einsetzen, weil wir sonst der eigenen
Verblafste deutsche Bilder werden aufgefrischt. 35
Rede Gewalt antun würden. Herodots Erklärung (11 123) Ijxol
8s Tcapä iravTa t6v Xo^ov ÖTroxsixat OTt xtX. übersetzt Krüger:
„liegt (als maßgebend und warnend) der Satz zu Grunde", als
ob er dem natürlichen „mein Grundsatz ist" mit Absicht aus-
wiche. In Lysias Rede gegen Eratosthenes (12, 81) machen
die Worte Schwierigkeit: •Jjp.st? vüvI sie xaTTi^optav xal diroXo^tav
xa[>eoTa[jLev, und lassen sich doch einfach wiedergeben: „wir
haben uns auf den Standpunkt von Anklage und Verteidigung
gestellt". Dieselbe Wendung dient uns bei Livius (XXI 19, 4):
etsi prlore foedere staretur. Sogar bei Homer dürfen wir, denke
ich, Übereinstimmungen dieser Art benutzen. Es ist doch kein
bloßer Zufall, wenn die Aufforderung (p 44) xaTaXe£ov otuo)?
^vTr]oa? ÖTTCüTu^c genau der unsrigen gleicht: „erzähle, zu
welcher Anschauung du gekommen bist". Mag der deutsche
Ausdruck schwächer sein als der lateinische oder griechische,
er ist immer stark genug an jenen zu erinnern, und darf dann
von ihm ein Stück der verlorenen Kraft für den Augenblick
wieder leihen. Hier zeigt sich besonders glücklich der eigen-
tümliche Vorzug der Schulübersetzung vor jeder noch so guten
gedruckten, von dem in der Einleitung die Rede war.
Auf diesem Wege entwickelt sich dann aus der praktischen
Schwierigkeit, von der wir ausgingen, sogar ein Vorteil. Durch
den unmerklichen Einfluß der Gewöhnung des Ubersetzens wird
der echte Sinn vieler deutschen Worte wieder aufgefrischt; und
wer dieser Einwirkung empfänglich nachgibt, wird dahin ge-
langen nun auch im eignen deutschen Stil manche scheinbar
ganz abstrakte Begriffe wieder mit einem leisen Gefühl ihrer
bildlichen Geltung zu gebrauchen. Goethe erklärt es (in den
Sprüchen in Prosa) für „das schönste Zeichen der Originalität,
„wenn man einen empfangenen Gedanken dergestalt fruchtbar
„zu entwickeln weiß, daß niemand leicht, wie viel in ihm ver-
„borgen hege, gefunden hätte". Das gilt auch von denjenigen
Gedanken, die bereits in Begriffe zusammengedrängt sind.
Goethe verstand es diese Kunst zu üben; und so erhielt
unter seinen Händen die deutsche Sprache einen eigenen
3*
36 ni. Sinnliche Vorstellung und Begriff.
Glanz, nicht so sehr durch neue Farben mit denen er die blaß
gewordenen übermalte, als durch die feine Sorgfalt, mit der
er das uralte Bildwerk von der aufgelagerten Staubdecke be-
freite^). Daß die lernende Jugend ihm nacheifern solle, könnte
als ein übertriebenes Verlangen erscheinen; aber das wird
jeder zugeben, daß wir sie vor dem oberflächlichen Sinn be-
wahren sollen, der die überlieferten Ausdrucksmittel sorglos
weiter gebraucht und weiter verbraucht und nur deshalb etwas
zu sagen scheint, weil die Sprache für ihn dichtet und denkt.
2. Kehren wir aber zu dem, was hier unsere eigentliche
Aufgabe ausmacht, zurück, zu dem Bemühen, die deutsche Über-
tragung eines alten Textes so zu bilden, daß der Eindruck
sinnlicher Fülle und Anschaulichkeit erhalten bleibe. Bisher
war bloß von dem besonderen Fall die Rede, wo für einen bild-
lichen Ausdruck der alten Sprache ein gleicher, nur schon ganz
abstrakt gewordener der unsrigen zur Verfügung stand, der
dann mit einer kleinen Steigerung seines ursprünglichen Ge-
haltes eingesetzt werden konnte. So leicht liegt die Sache
nicht immer; oft bedarf es einiger Besinnung, um einen
deutschen Ausdruck zu finden, der nicht ins rein Begriffliche
abfällt. Unsere Schüler neigen nur zu sehr zum letzteren, und
der Unterricht leistet ihrer Bequemlichkeit manchmal Vorschub
anstatt Widerstand, wenn er sie etwa ein für allemal anleitet
hostes f andere m\i „schlsigen'* , praestare mit „sich auszeichnen",
prohibere mit „hindern« zu übersetzen, obwohl „zerstreuen",
„voranstehen" o(ler (z. B. Sallust Catil. 37, 5) „hervortreten** und
„fernhalten" oft aufs beste in den Zusammenhang passen und
besonders bei prohibere die lateinische Konstruktion (z. B. Liv.
XXII 14, 2) gar nicht verstanden werden kann, wenn man nicht
von der Grundbedeutung ausgeht. Vergil sagt mit deutlich
empfundener Übertragung: caecique in nubibus ignes terrificant
animos (IV 209); ist es nötig den Gedanken deutsch ins Ab-
strakte zu ziehen: „zweck- und ziellos"? Wir lassen die Sol-
daten manchmal „blind chargieren", sprechen von „blindem
Lärm": und so nennt larbas die Blitze Juppiters, wenn sie
Deutsche Bilder erneuert durch wörtliches Obersetzen. 37
•
keine Wirkung tun, „blinde Feuer". Nun gar Homer! Wie
Odysseus zwei Nächte und zwei Tage lang in den Wellen um-
hertreibt, TToXXä 8s o{ xpaStr] irpoTioaoeT oXe&pov (e 389): das
ist wahrhaftig eine Situation, in der auch der gebildetste Sohn
unseres klugen Zeitalters nicht erst seinen Verstand zu Hilfe
nehmen würde, um „den Tod zu ahnen", den er „vor Augen
hat". npooTTTüaoea&at heißt eigentlich „sich in Falten an-
schmiegen", also auch y 22 (MevTop, ttcü? t ap' To), tccü? t
äp TrpooTrTüfojAat aüT6v;)nicht einfach „freundlich anreden, be-
grüßen"; die Sorge des schüchternen Telemach ist, wie er
„sich an ihn machen" soll. Beim Mahle der Phäaken schickt
Odysseus dem Sänger ein schönes Stück Braten: (ocppa) jjliv
irpoaTTTüfoiJLat dxvüfxevo? Tcsp {^ 478). Das soll nicht heißen:
damit ich ihn „liebevoll behandle" oder „begrüße" oder „ihm
meine Zuneigung beweise"; die Grundbedeutung läßt sich so
ziemlich festhalten: „daß ich mich bei ihm einschmeichle".
Noch treffender wäre „mich insinuiere"; und wenigstens als
Beispiel werden wir es heranziehen und dem Schüler zugleich
die Falten des Gewandes und, wieder einmal, den Nutzen des
Fremdwortes anschaulich machen. Wer Ixjirjpüso&at (Anab. VI
5, 22) mit „defilieren" wiedergibt, macht sich das von Xenophon
gebrauchte Bild und damit den eigentlichen Sinn des modernen
Ausdrucks deutlich. Denselben doppelten Vorteil gewährt in
Ciceros Rede für Sulla (13, 39 dornt eius pleraque conflata esse
constabat) die Übersetzung „daß in seinem Hause meistenteils
konspiriert wurde".
Manchmal gelingt es durch Ergänzung eines Begriffes oder
durch Umschreibung ein Bild zu bewahren, das verloren gehen
müßte, wenn man ängstlich Wort für Wort wiedergeben wollte.
Ciceros Warnung (Lael. 22, 83), man solle nicht glauben libi-
dinum peccatorumque omnium patere in amicitia licentiam, will
Nauck mit der sprichwörtlichen Wendung, daß „Tür und Tor
geöffnet" sei, übersetzen; noch besser wäre vielleicht „daß freie
Bahn geöffnet sei", weil darin auch der Begriff von licentiam
angedeutet ist. Euander gedenkt seiner Jugend (Aen. Vm 160) :
38 III. Sinnliche Vorstellung und Bcgriflf.
tum mihi prima genas vestibat flore iuventus; „umgab mit
sprossender Hülle" könnte man deutsch sagen, um dem doppelten
Bilde gerecht zu werden. Als Freier um Kleisthenes' Tochter
kamen alle zusammen, ooot ocptot ts aÖTOtot ^aav xal iraxpiQ
IScü^xcDjAevot (Hdt. VI 126); „stolz" ist farblos, „aufgeblasen"
gibt einen tadelnden Sinn, so versuchen wir: „denen das eigene
Bewußtsein und ihr Vaterland die Brust schwellte". Den
häufigsten Anlaß zu Umformungen dieser Art bietet natürlich
die Sprache der alten Dichter. In Hesiods Beschreibung des
goldenen Zeitalters, die ich einmal zum Text einer Klassenarbeit
wählte, übersetzten zwei Schüler das TepTuovT iv öaXt-oot (spy.
115) ganz geschickt: „erfreuten sich in blühendem Glücke".
Bei Homer ist xt^os' dvauXr^oat (e 207) „das Maß der Leiden
erfüllen", tc^vöo? aejev (p 489) „er nährte das Gefühl der Trauer".
In Sophokles Aias 182 f. ouiroTe ^ap cppevoOev 7' iir' dptoTspa,
irai TeXafxcüvo?, eßa?, können wir der Anregung folgen, die
Bnnius an einer wohlbekannten Stelle gibt, und sagen: „nie-
mals hast du dich so weit vom rechten Wege des Denkens
entfernt". — Übrigens kommt es auch vor, daß gerade eine Ver-
kürzung des Ausdruckes im Deutschen dazu hilft ein Bild zu
erhalten. Der falsche Freund des unglücklichen Drusus Libo
verführte ihn zu ausschweifendem Leben, quo pluribus indiciis
illigaret (Ann. II 27). Das heißt einfach: „um ihn desto fester
in der Schlinge zu haben" ; denn welche Art von Schlinge ge-
meint ist, zeigt ja gleich das Folgende: „Sobald er Zeugen
genug hat."
Fälle der letzten Art sind nicht allzu häufig, weil im all-
gemeinen der deutsche Ausdruck weniger knapp ist als der
antike. Zufrieden können wir schon sein, wenn es gelingt
Anschaulichkeit und Kürze zugleich zu wahren, indem das
Vorstellungsgebiet, in das ein Wort des Originals uns versetzt
hat, etwas verschoben, erweitert oder verengt wird. „Sitzen"
und „Stehen" haben das Element der Dauer gemeinsam, „sich
setzen" uud „sich legen" das der Beruhigung; also bleiben
wir dem Sinne des Lateinischen nahe, wenn wir für assiduus
Bilder erhalten durch Umschreibung, Verkürzung oder Verschiebung. 39
„beständig" und für flatus resedit (Aen. VII 27) sagen: „das
Wehen legte sich". "AoirXaYXvo? bei Sophokles (Ai. 472) ist
„marklos", ou-yxsxpafiat 8üa in Kreons Klage (Ant. 1311) „ich
bin dem Unglück vermählt". Xenophon soll sich (Anab. V 8)
vor den Soldaten rechtfertigen, daß er früher manche von
ihnen geschlagen hat. Es sei notwendig gewesen, sagt er,
um in bedrängter Lage die Säumigen zur Aufbietung aller
Kräfte zu nötigen; jetzt aber, wo es dem Heere gut geht,
oüSsva iratco- h eöStcf -yäp opo). 6[jLac (19). Krüger bemerkt
dazu: „e&8ta eigen thch dem Sturme entgegengesetzt, hier ,Gefahr-
losigkeit*". Aber damit wird der Gedanke zerstört; denn die
Vorstellung der Seefahrt braucht der Redner, um auf das ent-
gegengesetzte Bild, das er im Folgenden ausführt, vorzubereiten:
OTav 8s )(ei|ici)v ij "^^^ öaXaooa [xe^aXT] ^TutcpepTjTat xtX. Wir er-
reichen seine Absicht, wenn wir sagen: „ich sehe euch im
sichern Hafen". — Für das horazische quidquid delirant reges
plectuntur Achivi (Epist. I 2, 14) wird man die Übersetzung
des trefflichen Seume immer dankbar benutzen: „wenn die
Könige sich raufen, müssen die Bauern Haare lassen". Aber
delirare verlangt doch auch als Vokabel eine Erklärung, und die
„Furche" (lira) leitet auf die verwandte deutsche Redensart „aus
dem Geleise kommen, entgleisen" hin. Hat man zufällig mit den-
selben Schülern in der vorhergehenden Klasse den ionischen Auf-
stand bei Herodot gelesen, so ist gewiß noch einer und der andere
der sich erinnert, mit welchem Bilde jene seefahrende Nation
den gleichen Gedanken malte, VI 12, IxuXtioavTs? xoö vooü:
„wir haben den rechten Kurs verloren".
3. In Bezug auf den Gebrauch von Metaphern nimmt inner-
halb der auf der Schule gelesenen Autoren Sophokles eine be-
sondere Stellung ein. Denn in der poetischen Gattung, deren
einziger Vertreter er hier ist und doch wohl bleiben wird, dienen
Bilder nicht nur dem Bedürfnis nach anschaulicher Darstellung,
sondern vor allem dem W^unsche, den Stil prächtig auszu-
schmücken und über das Niveau der natürlichen Rede hinaus-
zuheben. Wir dürfen diesen Schmuck nicht abstreifen, wenn
40 in. Sinnliche Vorstellung und Begriff.
wir den Eindruck des Originals wiedererzeugen wollen, und
werden deshalb auch manche kühnere Verbindung wagen.
„Leichentrümmer des Herdenmordes" klingt uns wohl kaum
befremdlicher als den Griechen ipetTuta vexpÄv dpvetoü cpovoo
(Ai. 308 f.); und eine so malerische Vorstellung wie El. 118 ff.
([lOüVTj Y^P «T^^^ oöxlxt ou)xä> Xötutj? dvTtppOTTOv oiybo^) läßt
sich auch der Phantasie des deutschen Lesers oder Hörers
mitteilen: „allein vermag ich nicht mehr der Last des Jammers
das Gleichgewicht zu halten". Auch der beliebten Vermischung
getrennter sinnlicher Gebiete können wir nicht immer aus-
weichen, z. B. Kön. Od. 473 ff.: sXa[jn{;s ^^p "^o^ vtcposvTO?
dpxtü)? cpavetoa cpap-a Ilapvaooü, t6v a8r]Xov avopa iravi lyye6eiy'^
von einem Orakel-„spruch" ist die Rede, aber durch ein aus-
geführtes Bild wird er in die Sphäre des Sichtbaren gezogen und
mit einem Feuerzeichen verglichen, das „vom Gipfel des schnee-
igen Parnaß leuchtend erschien". Dergleichen aufgeben heißt
die Eigenart des Dichters verleugnen. Trotzdem werden wir
uns freuen, wenn dann und wann eine schon verblassende
deutsche Metapher es möglich macht, die gar zu strotzende
Farbe des griechischen Ausdrucks zu dämpfen, sodaß Gedanken
einander nicht „verschwistert" erscheinen, sondern „verwandt"
(Antig. 192), der Gesang „hell erklingt" anstatt zu „leuchten"
(Kön. Öd. 187), Unglück das Greisenalter „begleitet", nicht mit
ihm „zusammenwohnt" (Od. Kol. 1238), cppovTtöoc SY/o? (Kön.
Öd. 170) zur „W^affe der Klugheit" verallgemeinert wird. Nicht
selten endlich wird es doch notwendig sein das Bild ganz zu
verlassen, zumal da, wo es nicht ausgemalt, sondern nur durch
ein einzelnes Wort angedeutet ist und im Deutschen entweder
unverständlich werden oder eine breite Umschreibung erfordern
würde. Ohr und Sinn der Griechen waren anders gestimmt
als die unsern, und diesem Unterschied muß Rechnung tragen,
wer in uns einen ähnlichen Eindruck hervorrufen will wie jene
empfingen. Darauf wurde schon früher (S. 25) hingewiesen.
Es ist lehrreich der Behandlung dieses Punktes in den Wilamo-
witz'schen Übersetzungen nachzugehen.
Bilder bei Sophokles, bei Homer und Herodot. 41
Von dem Stil der Tragödie völlig verschieden ist die Rede-
weise Homers, auch sie reich an Bildern, die uns oft überraschen.
Aber hier sind es nicht kunstvolle Zierate, zu augenblicklichem
Gebrauch erfunden, sondern es sind jene uralten Gleichnisse, mit
deren Hilfe überall der menschliche Geist die körperlose Welt
der Gedanken seiner Auffassung zu unterwerfen gesucht hat.
Dem ältesten Dichter steht von dieser Seite der Vater der
Geschichte noch nahe genug. Man darf für die Übersetzung den
Grundsatz aufstellen, daß Bilder, die bei Homer und Herodot
vorkommen, wenn irgend möglich auch im Deutschen festgehalten
werden sollen; denn da berühren sie uns nicht fremdartig
sondern heimatlich, indem sie die verblichene Anschaulichkeit
unsrer eignen Sprache auffrischen helfen ^i).
Wieder ganz anders steht es mit den lateinischen Autoren,
die der Schüler zu lesen bekommt. Die geistige Atmosphäre, der
Cicero Vergil Tacitus angehörten, war der, in welcher wir atmen,
ähnlich, nur zu ähnlich. Daß immerhin das Latein der goldnen
und silbernen Zeit noch reicher an Metaphern ist als unser jetziges
Deutsch, lehrt schon ein Blick in Nägelsbachs Stilistik. Aber der
Prozeß der Umwandlung sinnlicher Ausdrücke in Abstracta war
doch schon weit genug vorgeschritten und lud zu Neubildungen
ein. Am reichsten an solchen ist von den Prosaikern Tacitus,
und der Übersetzer soll ihn nicht korrigieren. Exciti prospero
clamore, qui modo per agros fuga palabantur, victoriae se mi-
scebant, schreibt er Hist. III 17, und wir zerstören das Gemälde,
wenn wir (mit Heraeus) für se miscere „sich beteiligen** setzen;
vielmehr: „sie mischten sich in den Sieg". Ut quis destrictior
accusator, velut sacrosanctus erat, steht Ann. IV 36; Nipperdey
meint das Bild ungefähr festzuhalten, wenn er destrictus mit
„scharf" wiedergibt. Aber hätte Tacitus dies gemeint, so würde
er acrior gesagt haben; da ihm das nicht genügt hat, soll es
auch uns nicht genügen, und wir versuchen ebenfalls das
erloschene Bild zu erneuern, indem wir „schneidiger" sagen. —
Daneben kennt doch auch Tacitus und kennen andere neben und
vor ihm die feinere Art, einen bildlichen Ausdruck dadurch wieder
42 III» Sinnliche Vorstellung und Begriif.
lebendig zu machen, daß er geschickt in eine Umgebung ge-
bracht wird, die an den ursprünglichen Sinn erinnert. Horaz
weiß verständig zu raten: dixeris egregie, notum si callida ver-
bum reddiderit iunctura novum (a. p. 47 f); und er befolgt selber
den Rat, indem er die körperliche Bedeutung von Worten wie
tollere (Od. IT 4, 11) oder onus (Epist. I 17, 39) lebhaft erfaßt
und zu Gleichnissen ausdehnt *'2). Das ist dieselbe Kunst, die
wir vorher an Goethe gerühmt haben, von der auch aus
römischen Autoren, aus Tacitus und Vergil, schon Beispiele
erwähnt wurden (S. 29. 30); unsere Sache ist es die Absicht
zu merken und beim Übersetzen nicht zu verwischen. Claras
heißt hundertmal „herrlich, berühmt", aber clarus Olympus
(Aen. IV 268) ist der „strahlende Olymp", ah(kr^zi<; bei Homer.
Sustinere für alere ist ebenso gedacht und war in Sallusts Zeit
wohl schon ebenso gebräuchlich wie unser „Unterhalt" ; aber in
den Worten homo omnium quos terra sustinet sceleratissimus
(lug. 14, 2) ist es wieder voller empfunden, und so müssen
auch wir sagen: „von allen welche die Erde trägt". Obire
heißt „begehen, bereisen, besorgen" und ist in dieser Anwendung
transitiv; wenn nun Livius (X 25, 13 f.) den Prätor Appius
Claudius sagen läßt: non suffecturum ducem unum nee exercitum
unum adversus quattuor populos; periculum esse sive iuncti unum
premant sive diversi gerant bellum, ne ad omnia simul obire unus
non possit, so zeigt schon die ungewöhnliche Konstruktion mit
ad daß das Verbum im eigentlichen Sinne genommen ist: „nach
allen Seiten zugleich entgegentreten".
Ganz in seiner Art verhält sich zu den geläufigen meta-
phorischen Ausdrücken Cicero. Gedankenlos gebraucht auch er
sie nicht; aber während Sallust und Tacitus durch Stellung
und Verbindung oder durch die treffende Wahl eines benach-
barten Wortes den Keim der bildlichen Vorstellung erhalten
oder erwecken, weiß ihn die fruchtbare Phantasie des Redners
zu einem ausgeführten Gleichnis zu entwickeln. Von adversa
und secunda fortuna war schon einmal die Rede; bei Cicero
(off. n. 6, 19) lesen wir: Magnam vim esse in fortuna in utram-
Bilder im Lateinischen; bei Cicero. 43
que partem vel secundas ad res vel adversas quis ignorat? nam
et, cum prospero flatu eius utimur, ad exitus pervehimur optatos,
et, cum reflavit, adfligimur. Und noch unmerklicher hat er
einem so abgebrauchten Begriffe wie impellere „bewegen" ein
volles Bild entlockt de or. 11 79, 324: quos (locos) tamen totos
explicari in principio non oportebit, sed tantum impelli prlmo
iudicem leviter, ut iam inclinato reliqua incumbat oratio.
Nägelsbach, der beide Beispiele anführt, übersetzt das erste
(§ 134, 2) ohne alles Bild, das zweite (§ 128, 1) mit ver-
änderter Metapher. Ich würde es vorziehen, auch hier der
Gedankenrichtung zu folgen, in die der Autor selbst uns weist:
„damit sich, wenn er schon wankend geworden ist, die übrige
Rede auf ihn werfe", und: „wenn das Glück unsre Segel
schwellt gelangen wir zum erwünschten Ziel, wenn der Wind
umschlägt leiden wir Schiffbruch".
Man mag in dem letzten und in manchen früheren Fällen
einwenden, daß sich unser Verfahren zu eng an die Vorlage
anschließe; und sicher wird sich oft eine glattere und auf den
ersten Blick gefälligere Übersetzung finden lassen. Aber unser
Bestreben war ja, gerade die eigentümlichen Züge des Originals
in der Übertragung frisch zu erhalten und durch das Suchen
nach ihrer Wiedergabe zugleich die Vertrautheit mit den Aus-
drucksmitteln der eignen Sprache zu erhöhen. Das wird uns
auch im folgenden Abschnitt zu Forderungen führen, denen
von vornherein nicht jeder zustimmen möchte.
IV.
Synonyma.
Wer dolmetschen will, muß großen Vorrat
von Worten haben, daß er die Wahl könne
haben, wo eins an allen Orten nicht lauten
^»"- Luther.
1. Einer der häufigsten Fehler des Stiles ist Eintönigkeit.
Wer nicht auf sich achtet, verfällt leicht in die lässige Gewohn-
heit, dieselben Dinge immer wieder mit demselben Namen zu
benennen. Und das schadet nicht nur dem Wohlklang, sondern
auch der DeutUchkeit. Denn selten oder nie sind Synonyma
gleichbedeutend; und wer zwei oder mehr verwandte Begriffe,
für welche die Sprache besondere Wörter geschaffen hat, stets
nur mit einem von diesen bezeichnet, wird notwendig gerade
den Ausdruck, den der Zusammenhang seiner eignen Gedanken
erforderte, oft verfehlen. Ob sie z. B. etwas anführen oder mit-
teilen, erwähnen oder auseinandersetzen, darstellen oder ent-
wickein, beschreiben oder erzählen wollen, ist den Verfassern
deutscher Aufsätze, und zwar nicht bloß derjenigen die korrigiert
werden, manchmal vollkommen unklar. Um solchem Übel ent-
gegenzuwirken gibt es kein besseres Mittel, als das Übersetzen
aus einem mustergiltigen fremden Werke 2^). Denn beim Vortrag
dessen, was man sich selbst ausgedacht hat, ist man fortdauernd
in Gefahr, in den vertrauten Kreisen geläufiger Vorstellungen
und Ausdrücke befangen zu bleiben; der fremde Text aber
bringt die Nötigung, uns selbst aufzurütteln, unser Gedächtnis
zu durchgrübeln und aus ihm auch solche Worte emporsteigen
zu lassen, die uns bekannt und verständlich waren, wo sie ein
Mannigfaltigkeit des Originals nachahmen. 45
andrer verwandte, aber dem Bewußtsein nicht gegenwärtig oder
nicht nahe genug, um für eignen Gebrauch gleich zur Hand zu
sein. Diese Arbeit muß ja getan werden, wenn wir der
Mannigfaltigkeit des Originals gerecht werden und jede Ver-
bindung von Begriffen möglichst in der Schattierung erhalten
wollen, die der Autor für sie gewählt hat. So wirken auch
hier die beiden Absichten, deren wir uns am Schluß des vorigen
Kapitels wieder erinnerten, aufs beste zusammen.
Zuweilen handelt es sich um Unterschiede, die nur leise
empfunden werden und unwesentlich erscheinen können. Ich
freute mich doch, als ein Schüler die Worte Xenophons (Mem.
IV 2, 33): iTrt)(etpü)v dTuoStopaaxetv [xstoc toü uioö tov xe
iraiSa dTrcüXeae xal aÖTÖ? oöx t^Süvt^&y] ocod^vat, von selbst
so wiedergab, daß Dädalos „mit seinem Sohne" zu fliehen ver-
suchte und „sein Kind" verlor. Und oft führt das Bestreben,
die Abwechslung des Ausdruckes nachzuahmen, erst dazu, daß
die Begriffe scharf erfaßt werden. So an einer Stelle der divi-
natio in Q. Caecilium (19, 61), wo sich dadurch Gelegenheit
bietet ein früher besprochenes Wort in seiner Grundbedeutung
zu erhalten: nullam neque iustiorem neque graviorem causam
necessitudinis posse reperiri quam coniunctionem sortis, quam
provinclae, quam officü, quam publici muneris societatem, d. h.
„kein gerechterer und kein wichtigerer Grund zu enger Ver-
bindung könne gefunden werden als die Vereinigung des Loses,
als die Gemeinschaft des Wirkungskreises [nicht „Amtsbezirkes",
wegen des folgenden munus], der Pflicht, des Staatsamtes".
Imperium heißt oft genug „Herrschaft", und dieses Wort würde
auch bei Sallust Catil. 2, 2 (maxumam gloriam in maxumo
imperio putare) ganz gut passen ; weil aber lubidinem dominandi
unmittelbar vorhergeht, so ist es in „Herrschbegier" schon ver-
braucht, und wir bilden nun: „im größten Machtbereiche".
Ein Beispiel gehäufter Synonyma aus Herodot ist früher (S. 23)
vorgekommen. Wenn Xenophon Memor. II 1, 18 TaXanrcDpoiv,
TTovcüv, [jLOx&oüot kurz hintereinander setzt, so können wir ihm
folgen, indem wir „sich plagend, arbeitend, sich anstrengen"
46 IV. Synonyma.
sagen. Und kurz darauf (33) ähnlich: ^^atpoüotv „sie freuen
sich", dYQtXXovTai ,,fühlen sich gehoben", TjSovTat „haben ihre
Lust daran". Derselbe Schriftsteller scheint (ebenda 7, 9) d-^airav
und (ptXetv klar zu sondern, indem er sagt: aü jiev Ixstva^
cptX']^aetc, 6p«>v w<fek(^OD<; öeaoTvf oSoac, Ixetvat oe o^ dya-
Tur^aoüotv, afo&ofjievat yatpovxa aöxat?, „du wirst sie lieben,
da du siehst, daß sie dir nützlich sind, und sie werden etwas
von dir halten, da sie merken, daß du mit ihnen zufrieden bist".
Aber wenige Zeilen später (§ 12), wo dasselbe Verhältnis als
nunmehr eingetreten geschildert wird, ist die Verteilung umge-
kehrt: at [ikv o)? xTjSsiJLOva ecptXoüv, 6 81 (i)c a)cpeXt[ioü? T^YOtira.
Also wäre es auch an der ersten Stelle möglich beide Verba zu
vertauschen oder gar auszugleichen; doch das dürfen wir nicht.
Offenbar ist das Spiel mit diesen Worten von Xenophon be-
absichtigt; imd unsere Sache ist es nicht, ihn zu korrigieren,
sondern seinen Absichten, auch wo wir sie etwa nicht ganz ver-
stehen, nachzugeben.
Besonders groß ist die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks bei
den Dichtern, teils aus natürlicher Fülle wie bei Homer, teils
infolge kunstmäßiger Arbeit. Manchmal ist es für den Übersetzer
unmöglich hierin dem Original treu zu bleiben; so Aen. IV 478,
wo wir uns wohl vergebens bemühen würden germana und soror
auch deutsch auseinander zu halten. Anderwärts wieder ist die
Bewahrung des Unterschiedes überflüssig, weil er ganz tonlose
Worte betrifft. Wenn wir an früher angeführten Stellen dviQp
mit „man" übersetzen wollen, so braucht uns ein nachfolgendes ti?
davon nicht zurückzuhalten; vielmehr werden wir o 400 f. {^ia
"^dp T8 xal aX^eot xepTreiat dvi^p, o? tk or; jjidXa TuoXXä TrdftiQ
xal iroXX' iTua^Tjä'^) so geben: „nachträglich freut man sich
auch über Leiden, wenn man schon viel erduldet hat und viel um-
hergeirrt ist". Aber Fälle dieser Art sind nicht die Regel ; meist ist
es mögüch und lohnend die Vielheit der Synonyma nachzubilden.
Zwischen jxTjvto), xoTeo[i.at und y^oXsTzaivoi zu unterscheiden
würde dem Schüler schwer werden; vielleicht empfindet er doch
etwas davon, wenn er angehalten wird einen Satz wie e 146 f.
Abwechselung des Ausdruckes bei Dichtern. 47
genau zu übersetzen: Ati? 8' ItzotzO^bo {i^vtv, jjlt^ tu(i)c toi
[xsTOTTto^ys xoTeoaafjLevoc XQ^^^^i^^? „scheue den Groll des Zeus,
daß er nicht hinterher erzürnt dich seinen Unwillen fühlen lasse".
Bei Vergil werden clarus und Inclutus, oculi und lumina oft
als gleichwertig gebraucht; aber wenn Aen. VI 478 f. hello clari
und inclutus armis unmittelbar aufeinander folgen, so sind es
Männer „die im Kriege geglänzt haben" und der „waffenberühmte"
Parthenopäus ; und lumine hinter oculos (Vni 152 1) heißt
„mit dem Blicke" nicht „mit dem Auge". Seinen Bericht von
Hercules und Cacus beginnt Euander mit dieser Beschreibung:
iam primum saxis suspensam harte adspiee rupem, disieetae
proeul ut moles desertaque montis stat domus et scopuli ingentem
traxere ruinam (VIII 190 ff.). Wir hüten uns auch im Deutschen
vor Wiederholung desselben Wortes und sagen etwa: „gleich
zuerst sieh diesen am Gestein hängenden Felsen, wie die Massen
weit auseinander geschleudert sind und die Wohnung des Berges
verödet steht, und wie ein gewaltiger Sturz die Zacken nieder-
gerissen hat". Die Schüler gehen gern, und oft mit Geschick,
auf solche Bemühungen ein; so wurde Aen. VI 673 ff.: nulli
certa domus, lucis habitamus opacis riparumque toros et prata
recentia rivis incolimus, gleich beim ersten Übersetzen ganz
treffend wiedergegeben: „keiner hat ein bestimmtes Heim, wir
hausen in schattigen Hainen und bewohnen die Uferbänke und
die von Bächen erfrischten Wiesen".
2. Allerdings kann der Eifer zu weit gehen und muß dann
wieder zurückgehalten werden. Man darf nicht kunstreicher sein
wollen, als der Klassiker von dem man lernen soll selbst war.
Wenn Vergil Aen. IV 1, 5 in kurzem Zwischenraum zweimal
cura gebraucht, so dürfen auch wir zweimal — nur freilich
nicht „Sorge" sagen, als sei Dido um ihren Unterhalt verlegen
gewesen, wohl aber „Kummer" oder „Gram". So sind auch
bei Homer e 212f. Seji,«^, cpuVj, eloo^ streng zu scheiden: „Ge-
stalt, Wuchs, Aussehen"; aber wenn in V. 217 sI8o? und
eJoavTa Ksaftat bequem nebeneinander stehen, so werden wir
vor „Aussehen" und „anzusehen" nicht zurückscheuen.
48 IV. Synonyma.
Unter Umständen ist es geradezu notwendig, ein Wort, das
unverändert wiederkehrt, auch wieder ebenso zu übersetzen.
In Ciceros Rede für Murena 2, 4 sind summo honore affec-
tus, eodem honore praeditus mit Absicht nur teilweise unter-
schieden worden: „angetan — ausgestattet"; den Begriff „Würde"
hat der Redner in beiden Gliedern gleich ausgedrückt Er
wollte die Stellung seines Klienten seiner eignen möglichst
gleich erscheinen lassen, und durfte doch magistratu nicht
sagen, da Murena erst designierter Konsul war. Daß er nicht
etwa um Synonyma für honor verlegen war, zeigt Cicero in der-
selben Rede 5, 12, wo laus, memoria, honos, glorla („Ruhm,
bleibendes Gedächtnis, Ehre, Glanz") hart neben einander stehen.
Aber kurz darauf wieder (12 f.) findet sich innerhalb von
fünf Zeilen viermal der Begriff maledictum oder maledicus.
Ein Herausgeber übersetzt an der ersten Stelle (maledicto nihil
in hisce rebus loci est) „Vorwurf", an den folgenden „Schmähung" ;
doch damit wird der innere Zusammenhang der Gedanken zer-
stört, der gerade auf der Gleichheit des Ausdruckes beruht
Man muß versuchen sie beizubehalten, etwa so: „für ein böses
Wort ist hier kein Platz", und nachher: „das böse Wort verrät,
wenn es mit Recht gebraucht wird, einen heftigen Ankläger,
wenn mit Unrecht, einen bösen Lästerer" (maledici conviciatoris).
Noch wichtiger ist die Gruppierung um einen gemeinsamen
Wortstamm bei Sallust Catil. 3, 1 f . : et qui fecere et qui facta
aliorum scripsere multi laudantur; ac mihi quidem, tametsi
haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et actorem (sie)
rerum, tamen in primis arduum videtur res gestas scribere.
Die gedrängte Kraft des Gedankens geht verloren, wenn wir
scriptor etwa als „Erzähler" dem „Vollbringer der Taten"
gegenüber fassen; die Anlehnung an das vorhergehende und
nachfolgende scribere muß bleiben. So setzen wir: „den,
welcher Geschichte schreibt, und den, der Geschichte macht".
— Bei Xenophon (Memor. III 12, 5) lesen wir unmittelbar
hinter einander die Worte: irp6? Travta, ooa TupaTxoüotv av-
8pü)Tuot, 5(p")^oi[i.ov t6 00) {xa äoitv hf Traoat? Se xaT? toü ocü-
Gleichförmigkeit bewahren. Epitheta omantia. 49
|i.aTO? y^eiOLi^ iroXi) Stacpspsi d)? ßeXxtoTa xh a(h[ia sxsiv. Da
dürfen wir xpst« und xp^otp-oc nicht von einander reißen, und
versuchen mit „Anwendung, zur Anwendung kommen" die Ein-
heit des Begriffes festzuhalten. Manchmal ist die Gleichheit des
Ausdrucks von weiter her vorzubereiten. Sokrates fragt (ü 2,
11) seinen Sohn Lamprokles, der sich über die Mutter beschwert
hat: elizi jaoi, irotspov SXkov tivA oist Sstv dspaTtsustv, r^ Tcape-
Gxsuaaai jjlyjSsvI dv&pcüTccov Tretpao&ai dpsoxstv jjl7)8^ iret&eo&at
[ii^Te otpaTTj^ij) jjLT^xe aXXq) apxovtt. Für depaTrsöeiv sind an
sich manche deutsche Wörter möglich, hier aber wird ein
solches erfordert, das auch weiter unten (§ 13) in dem Satze
Platz findet: Idv xic ^ovsac jay] &epa7reüiQ. Deshalb übersetzen
wir: „ob du glaubst einen andern als Herrn ehren zu müssen",
und nachher mit Wegfall eines Elementes: „wenn einer seine
Eltern nicht ehrt".
Wesentlich, nicht für den Gedanken aber für den Stil, ist
eine gewisse Gleichförmigkeit des Ausdruckes bei Homer. So
sehr seine Sprache, verglichen mit jeder anderen, uns als etwas
Ursprüngliches anmutet, unmittelbar aus der reichen Quelle
sinnlicher Vorstellung geschöpft zu sein scheint, so enthält sie
doch zahlreiche Bestandteile, die dafür zeugen, daß auch sie
schon am Ende einer langen, keineswegs nur aufsteigenden Ent-
wickelung steht. Sie bietet in freigebiger Anwendung Worte
und Formeln, die durch langen Gebrauch stereotyp geworden
sind und nun vom Dichter ohne lebendiges Bewußtsein ihrer
eigentlichen Bedeutung benutzt werden. Davon war schon bei
Gelegenheit von SatjjLovto? die Rede, das, im Gespräch zwischen
Göttern gesetzt, einem Schüler aufgefallen war. Uns mag es
ja seltsam und vielleicht manchmal gar langweilig vorkommen,
daß die gleichen Wendungen sich so oft wiederholen, daß Morgen
und Abend, Essen und Trinken, Frage und Antwort, Verwundung
und Tod stets in denselben Zügen beschrieben werden, daß der
Tag immer „heilig" heißt, die Salzflut „weißlich grau", die Schiffe
„schnell" auch wenn sie im Hafen liegen, der Himmel „sternen-
reich" auch bei hellem Tage, daß Zeus den Verführer der
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 4
50 IV. Synonyma.
Klytämnestra einen „(Helden) ohne Tadel** nennt in dem Augen-
blicke wo er von seinem Frevel erzählt, daß Odysseus immer
wieder der „viellistige** oder der „erfindungsreiche** ist, und was
dergleichen mehr sich anführen ließe. Aber solche Auswüchse
gehören zum Körper der alten epischen Dichtung, und wer sie
abstreift verwundet ihn. Das haben zwei Männer getan, die
gerade im starken Gefühl künstlerischer Empfänglichkeit sowohl
wie Gestaltungskraft und mit einer gewissen Geringschätzung
gegen uns Philologen es unternommen hatten den echten und
bleibenden Gehalt der homerischen Poesie dem deutschen Volke
zugänglicher zu machen 2*). Hermann Grimm rühmt sich aus-
drücklich, daß in seinen Proben einer „Übertragung** die „her-
gebrachten, tönenden Adjectiva** ausgelassen sind, wie er denn
z. B. auch die Anrede SaijAovte in den liebevoll vorwurfsvollen
Worten der Andromache (Z 407) einfach gestrichen hat. Um-
gekehrt hat Wilhelm Jordan die stehenden Epitheta dadurch zu
beleben gesucht, daß er sie an verschiedenen Stellen verschieden
übersetzt, z. B. für iroBwxea riTjXeitüva, das in der Ilias zehn-
mal vorkommt, sieben Ausdrücke hat: der schnelle Achilleus,
der schnelle Pelide, der schnelle Sohn des Peleus, der schnelle
Stürmer Achilleus, der Pelide der Meister im Laufe, endlich
einmal, in der Art wie bei Grimm, bloß „der Pelide**. Beide
Bearbeiter haben geschadet, wo sie helfen wollten, am schlimm-
sten diesmal Jordan, da er nicht bloß ein Element des epischen
Stiles wegließ, sondern ein falsches an seine Stelle setzte. Eher
wird man zustimmen können, wenn Rothfuchs in einem Para-
graphen (40) seiner „Bekenntnisse** ^5) empfiehlt, die schmücken-
den Beiwörter zwar da, wo sie bei derselben Person oder Sache
wiederkehren, gleich, in neuen Verbindungen aber anders zu
übersetzen; in Oa^epol a^C^oi, OaXepic 7a[xo<r, OaXepov §axpt>
schwebten sicher dem Dichter selbst verschiedene Begriffe vor.
Aber auch hierin kann man leicht zu weit gehen; den „gött-
lichen** Sauhirten würde ich nicht mit Rothfuchs in einen „edlen**
verwandeln, und Treptcpptov bei Männern, vornehmen Frauen und
Dienerinnen nicht unterscheiden. Die gleichmäßig helle Freude,
Differenzierung im Deutschen, wann geboten? 51
mit der der Dichter fast bei allen Vorstellungen, die in ihm
aufsteigen, gerne verweilt, berührt unser blasiertes, nach
Charakteristik verlangendes Geschlecht etwas fremdartig; aber
diesen Hunger mögen dann unsere Turgenjew und Daudet stiUen.
Der Reiz homerischer Erzählung liegt eben darin, daß sie uns
für Augenblicke an jener heiteren Weltanschauung teilnehmen
läßt, in der alle Dinge wie mit einem goldigen Schimmer über-
gössen erscheinen, einer Anschauung, deren Wesen das grie-
chische Volk so fein erkannt und so anmutig bezeichnet hat
durch den Glauben, daß sie nur in den Erinnerungen eines
blinden Greises habe leben können ^ßa).
3. Mit dem allen ist natürlich nicht gesagt, und der Irrtum
braucht wohl nicht erst mühsam widerlegt zu werden, daß nicht
sehr oft einem und demselben griechischen oder lateinischen
Worte ganz verschiedene deutsche Ausdrücke in der Übersetzung
entsprechen müssen. Immer da wird dies der Fall sein, wo
weder um logischer noch um stilistischer Wirkungen willen die
Gleichheit betont werden muß, wir vielmehr zu erkennen meinen,
daß der Autor, obwohl er sich desselben Wortes bedient, es
doch jedesmal wieder von einer andern Seite faßt und einen
anderen Teil seines Begriffsinhaltes im Vordergrunde des Be-
wußtseins hat. Davon war ja schon in der Einleitung die Rede,
daß auch die scheinbar ähnlichsten Begriffe in verschiedenen
Sprachen sich niemals völlig decken, ein Verhältnis, das
Schopenhauer 26) mit dem Bilde von nicht ganz konzentrischen,
einander schneidenden Kreisen anschaulich gemacht hat.
^'Ep^ov und „Werk" stehen sich vom Ursprung her nahe
genug; und doch, welche Fülle von Bedeutungen hat das
griechische Wort bei dem einen Homer! Vorausblickend ist es
die „Aufgabe" (z. B. y^ 149), zurückschauend die „Leistung"
(p 313). Daß xaxä sp^a bei den Freiern nicht „schlimme
Werke" sind, sondern „schlimmes Treiben" (z. B. ß 67), wird
man den Schülern leicht beibringen; aber nun steht o 362 in
den Scheltworten des Eurymachos gegen den Bettler: ep-ya xax'
e[xjAa&£c, und durch die Verbindung mit jjLav&av^tv wird wieder
4*
52 IV. Synonyma.
eine andere Seite des Begriffes hervorgekehrt: „du hast ein
schlechtes Handwerk gelernt". Proficisci ist „aufbrechen**, wo
Anfang und Fortgang der Bewegung unterschieden werden, wie
bei Cäsar Gall. I 12, 2: de tertia vigilia cum legionibus tribus
e castris profectus ad eam partem pervenit etc. ; daß sie so auch
da, wo diese Unterscheidung nicht stattfindet, übersetzen (z. B.
civ. I 24, 1: Pompeius Luceria proficiscitur Canusium atque
inde Brundislum), muß man den Jungen erst abgewöhnen.
Nun haben sie „marschieren" begriffen, verfehlen aber wieder
den Sinn, indem sie den Statthalter, der in seine Provinz geht,
„marschieren" lassen, oder umgekehrt, sie machen den Marsch
eines Peldherrn mit seinem Heere zur „Reise". Diese Ver-
kehrtheit überträgt sich dann auf das griechische iropsüsoöai.
Man kann es erleben, daß den makedonischen Soldaten nach-
gesagt wird, sie seien am Sterbebett ihres Königs „vorbei-
marschiert", Tov hk acpcovov sTvai TrapairopeüOfxsvYjc t^C oxpa-
xiäq (Arrian. VII 26, 2). Für civitas bringt ein Sekundaner
aus der Cäsarlektüre schon eine reichliche Auswahl deutscher
Synonyma mit, und doch dürften sie an einer Stelle wie Sallust
Catil. 5, 8 alle versagen: corrupti civitatis mores sind die ver-
dorbenen Sitten „der Gesellschaft". Wenn Cato im Senat eifert
(Catil. 52, 22): omnia virtutis praemia ambitio possidet, so meint
er das „Strebertum"; aber gleich darauf (26), wo er ironisch
die Verschworenen entschuldigt (deliquere homines adulescentuli
per ambitionem), will er den „Ehrgeiz" als eine verzeihliche
Schwäche hinstellen. Wenn der Redner einen Einwand des
Gegners als erheblich anerkennt, so sagt er: audio „das läßt
sich hören" ; dasselbe Wort drückt dann wieder seine Ungeduld
aus, wenn eine unerwiesene Behauptung immer aufs neue vor-
gebracht wird: „ich höre ja" (Cicero Rose. Am. 52. 58).
Invidia ist „Neid, Mißgunst, Eifersucht", aber auch passivisch
„Mißliebigkeit, Mangel an Popularität", falsus „täuschend" und
„getäuscht", laetus „erfreulich" und „froh", infestus „drohend"
und „bedroht", certus „gesichert" und „sichernd" (z. B. Cic. de
or. n 9, 38), aTitoToc „ungläubig" und „unglaubwürdig", dp^oc
Verbale Nomina; aktivische und passivische Bedeutung. 53
„träge" lind „unbearbeitet", xsSvoc „achtsam" und „achtbar".
Diese Doppelheit aktivischer und passivischer Beziehung läßt
ja den Gebrauch vieler Wörter in beiden alten Sprachen ganz
unverständlich bleiben, so lange man nicht auf sie achtet.
Daß für die Verbaladjectiva auf -toc in unsern Grammatiken
allein oder doch als das Regelmäßige der passive Sinn ange-
geben ist, wird später beim Lesen die Quelle vielfacher Irrtümer.
Bei Homer sind avtita ep-ya (p 51) „Taten der Vergeltung";
Alkinoos weiß die Stimmung des Gastes zu würdigen: „du
sprichst nicht in unfreundlicher Absicht", oöx d^aptoTa (& 236).
Bei den paar Beispielen, in denen djxi^apToc in der Odyssee
vorkommt, drehen und wenden sich die Erklärer, um einen
verständlichen Sinn herauszubekommen; alles fügt sich aufs
schönste zusammen, wenn man bedenkt, daß es auch „nicht
mißgönnend" bedeuten kann^^). Euripides hat die zwiefache
Möglichkeit für ein Wortspiel verwertet, wenn er in der Tau-
rischen Iphigenie (1092) den Chor sagen läßt, der Eisvogel
erhebe eöjüvstov Jüvstoic ßodv. Demselben Zwecke dient die
Wiederholung von cpfXoc in einem Ausruf des Pylades (ebd.
650): aCTjXd toi cpfXoiot övTQaxovxcöv cpiXtüv »Ein schlechtes Glück
für den Liebenden, wenn der Geliebte stirbt". Im Lateinischen
besteht das gleiche Verhältnis. Cicero spielt ganz ähnüch wie
Euripides (ad fam. n 18, 1): mea studia tibi, homini gratissimo,
grata esse vehementer gaudeo. Bei Tibull (11 6, 46) heißt occulto
sinu „im bergenden Busen" ; in Sallusts lugurtha 74, 3 verdient
die alte Lesart wiederhergestellt zu werden: Numidis in Om-
nibus proeliis magis pedes quam arma tuta sunt, d. h. „bringen
Sicherheit". Wenn Äneas sagt (I 384): ipse ignotus, egens
Libyae deserta peragro, so hat man das mit Recht erklärt:
„ohne Kunde, fremd"; umgekehrt ist ignara lingua (Sali. lug.
18, 6) die „unbekannte Sprache".
Daß überhaupt diese Erscheinung nicht auf die im engeren
Sinne so genannten Verbaladjectiva beschränkt ist, sondern
sich auf alle Nomina erstreckt die einen verbalen Begriff ent-
halten, wird schon an einigen der angeführten Beispiele deutlich
54 IV. Synonyma.
geworden sein. Auch die doppelte Beziehung von StxTj gehört
hierher: was von der einen Seite als Recht geltend ge-
macht wird, erscheint auf der anderen als Pflicht; und dem-
gemäß läßt sich das davon abgeleitete Adjektiv zwiefach wenden
und verwenden: „berechtigt" in aktivem, „verpflichtet*' in
passivem Sinne (z. B. otxaioc Ijii sCttsiv Protag. p. 319 B). Noch
mag an Wörter wie carus, odorus ( Aen. IV 132) erinnert werden,
die durch aktive, an caecus innoxius securus, die durch passive
Anwendung zunächst überraschen. So gut wie arpTjxroc hat
airopoc beide Seiten, drsüth^? wie airoaTo?, flebilis wie invisus.
In Rektors Verwünschung seines Bruders F 40 (atft' ocsXec
a^ovoc t' Ip^vai cxYajio? -z dTroXsa&ai) heißt a-^ovo? „nie geboren** ;
Augustus aber, der (Sueton 65) durch diesen Vers seinen Un-
willen über den Kummer ausdrückte, den ihm Tochter und
Enkelkinder bereitet hatten, meinte etwas andres und ordnete
demgemäß die Worte: ai&' oceXov a^ajiG? x' Ijisvai a^ovoc t'
diro>ioftat. Das ganze Gebiet der Wörter, an denen verbale
Bedeutung in nominaler Form erscheint, bedarf noch sehr der
gründlichen Untersuchung und würde sie reichlich belohnen^.
Diejenige lateinische Vokabel, die von allen die größte Mannig-
faltigkeit deutscher Ausdrücke erfordert, ist wohl res. Hier
aber liegt der Grund nicht in dem reichen Inhalt des lateinischen
Begriffes, sondern umgekehrt in seiner Leerheit; er ist wie ein
Gefäß, in das eine durch die umgebenden Sätze erzeugte Vor-
stellung aufgenommen wird. Die einfachere und straffer kon-
zentrierte Denkart der alten Römer machte es möglich, solche
Vorstellung stillschweigend aus dem Verständnis des Zusanunen-
hanges entstehen zu lassen; unsere immer komplizierteren, zu-
gleich aber loser in einander gefügten Gedankenreihen bedürfen,
um richtig erfaßt zu werden, öfter einer äußeren Nachhilfe.
Wenn der Lateiner ein haec res oder eius rei oder quam rem
las, so wußte er von selbst, ob es eine Tat oder ein Gedanke,
Forderung oder Zugeständnis, Absicht oder Wirkung, Nachricht
oder Annahme, Hoffnung oder Befürchtung, ein Plan oder ein
Erfolg, ein Gegenstand oder ein Verhältnis war, was damit an-
Res, 6e6o£oöai, weiter ars und '^iyyt\, 55
gedeutetund worauf Bezug genommenwerden sollte; ein deutscher
Autor ist genötigt seinem Leser immer dann und wann in Er-
innerung zu rufen, um was eigentlich es sich gerade handelt.
Für den pädagogischen Wert des Übersetzens ist dieser Unter-
schied beider Sprachen wieder ein Vorteil; denn nun werden
auch die Schüler veranlaßt sich dieselbe Frage vorzulegen und,
um sie beantworten zu können, das Ganze zu erfassen und vor^
wärts wie rückwärts zu blicken. Sie lernen es in diesem Falle
leicht und zwingen dabei ihren Lehrer sie zum Bewußtsein der
damit geübten Denkoperation zu erwecken; denn sonst wird er
immer aufs neue erleben, daß sie auch aus deutschen Texten
jedes beliebige Abstractum mit res übersetzen wollen, unbe-
kümmert darum, ob ein Verbum oder ein Satz in der Nähe steht,
der dem bloß schematischen Worte die gewünschte Bedeutung
mitteilen kann. Die gleiche Behandlung substantivierter Prono-
mina wird uns später beschäftigen. Eine ähnliche Bewandtnis
hat es in der homerischen Sprache mit dem Substantiv jjlu&o?,
das die Rede samt ihrem Inhalt bezeichnet und deshalb je nach
Umständen als „Bericht" («y 94) oder „Frage" (2 361), „Auf-
forderung" (<p 143) oder „Bescheid" (e 98), „Vorschlag" (M 80)
oder „Drohung" (A 25) genommen werden muß.
Übersetzungen wie die hier angedeuteten wird man nicht
damit abweisen wollen, daß sie dem Original zu wenig genau
entsprächen. Es kommt ja doch nicht darauf an, die Wörter
zu übertragen, sondern die Gedanken; und in diesen waren die
Vorstellungen, deren Ausdruck wir im Deutschen hinzufügen,
schon enthalten. Der Unterschied liegt nur darin, daß es dem
fremden Autor entweder nicht nötig erschienen war, wie bei res,
oder noch nicht gelungen war, wie bei manchen homerischen
Begriffen die wir differenzieren müssen, das, was ihm deutlich
genug vor der Seele stand, auch in der Sprache zu bezeichnen.
^suBeoöat heißt „sich täuschen" und „lügen": undenkbar,
daß die Griechen den Unterschied nicht empfunden hätten;
aber bloß im Aorist ließen sie ihn der Form nach hervortreten.
Beim Übersetzen sind wir gezwungen uns für eins von beiden
56 I^* Synonyma.
ZU entscheiden, also ein Gedankenelement zur Entwickelung zu
bringen, das in dem griechischen Begriffe nur erst als Keim
enthalten war. — „Kunst** und „Wissenschaft" hatten im Alter-
tum noch kein Bewußtsein ihres Gegensatzes; ts/vtj sowohl
alsar5 bedeutete diese beiden Seiten menschlicher Geistestätigkeit.
Dem Schüler erscheint das wie ein Mangel an sprachlicher
Ausdrucksfähigkeit; denn gegeben habe es beides doch schon
damals. Mag er lernen, daß der Grund tiefer liegt, in der
inneren Verwandtschaft von Forschen und Schaffen, die in jener
jugendlichen Zeit des Menschengeschlechts noch nicht so weit
auseinander gingen wie in unsrer überreifen Kultur. An andrer
Stelle habe ich zu zeigen gesucht, wie heilsam es für das
moderne Denken und gerade auch in der Schule sei, sich
darauf zu besinnen, daß Wissen und Können von Natur überall
zusammengehören 2^). Wer x^pyj ins Deutsche überträgt, muß
eins der zwei Worte wählen, also im Ausdruck wechseln, oft
in kurzem Zwischenraum, und wird unvermeidlich jedesmal einen
Teil des Begriffes auf Kosten des andern hervorkehren. Wenn
er sich dabei nur klar wird über dieses Verhältnis, so kann
er aus der praktischen Schwierigkeit einen Gewinn für das
Erkennen ziehen, der weiter seiner ganzen Arbeit zu gute
kommt. Auch die Kunst des Übersetzens soll ja keine bloße
Fertigkeit und Routine sein, JjxTretpta xal xpißi^, welche oöx
iyzi 'ki'^ov oöS^va <5v irpoocpepet, otzoV arra ttjv cpüotv lottv
(Gorg. p. 463 C. 465 A), sondern recht eigentlich eine ts/vt],
Kunst zugleich und Wissenschaft.
V.
Partikeln.
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Schiller.
Scheinbar einen ganz geringen Gehalt von eigner Bedeutung
haben die Partikeln; in Wahrheit sind sie nichts weniger als
leer. In ihnen drängt sich gerade eine ganze Fülle von Vor-
stellungen zusammen, die den Gedankengang des Redenden be-
gleiten, in der Seele den Untergrund für die nacheinander aus-
gesprochenen Sätze bilden und nur von Zeit zu Zeit in einer
lebhaften, bedeutenden Gebärde oder in ein paar dazwischen ge-
worfenen Silben sich Geltung und Ausdruck verschaffen. In
besonderer Art wichtig sind diejenigen kleinen Wörter, die dazu
dienen Sätze zu verbinden. Eine gut gewählte Konjunktion
leistet etwas Ähnliches wie im großen eine geschickte Wendung
des Übergangs; in beiden tritt ein inneres Verhältnis voran-
gehender und nachfolgender Gedanken hervor, beide trennen
zugleich und verbinden: es sind die Gelenke im Körper der Rede.
I. Selten werden wir bei der Etymologie Hilfe finden, um
eine Partikel zu erklären; suchen dürfen wir sie für den Schüler
nur dann, wenn die frühere Stufe der Entwickelung, auf die
zurückgegriffen werden soll, auch ihrerseits bekannt und ver-
ständlich ist. Wie ein quin zu der Bedeutung ,ja sogar, für-
wahr" kommen konnte, läßt auch der klassiche Sprachgebrauch
noch erkennen; etwa bei Vergil (Aen. VI 33 f.): quin protinus
omnia perlegerent oculis, ni iam praemissus Achates adforet Da
mag man getrost übersetzen: „Warum sollten sie nicht sofort
58 V. Partikeln.
alles durchmustern? wenn (nur) nicht Achates schon da wärel"
Das versichernde xot und der Dativ des Pronomens der zweiten
Person sind dem Leser von Odyssee und Ilias gleich geläufig;
er wird ohne Mühe begreifen, daß beide im Grunde dasselbe Wort
sind, und wird sich freuen, auch im Deutschen das Ursprüngüche
einzusetzen, was oft genug sich schickt. Z.B. woDiomedes seinem
Wagenlenker aufträgt, sich womöglich der Rosse des Äneas zu
bemächtigen (E 265): tt^c ^ap tot ^eve^c, % Tpcöt irep s6puo7ra
Zeuc 8(üx(s) „denn sie sind dir von derselben Rasse, von
der Zeus dem Tros (welche) gab". Daß bei Homer auf ein
jjLsv manchmal kein 8e antwortet, fällt zunächst auf. Das Be-
fremden wird schwächer bei der Erinnerung daran, daß noch
in Luthers Sprache unser „zwar" dieselbe Freiheit genießt („so
wollen wir zwar wiederum auch herzlich vergeben"); und alles
ordnet sich aufs beste, wenn man erkennt, daß |xev von jxtjv
dem Ursprung nach nicht verschieden, also dem deutschen ze
wäre auch in der Bedeutung gleich ist.
Die besondere Versicherung, daß etwas richtig sei, wird
in der Regel von der Vorstellung dessen begleitet sein, was
man als falsch ablehnen will; sie enthält also naturgemäß ein
Element des Gegensatzes. Dies bestätigen von der andern Seite
her, mit Bezug auf einen voraufgehenden Gedanken, lateinisch
vero, verum, die sich in einer unserm „aber" ähnlichen An-
wendung befestigt haben, doch nicht selten durch das genauere
„in Wahrheit" lebhafter und besser wiedergegeben werden.
Übrigens ist dies nicht der einzige Weg, auf dem der Begriff
des Gegensatzes entstehen kann; durch dXXof wird unmittelbar
ausgedrückt, daß man etwas „anderes", von dem Vorigen ab-
weichendes sagen will. Und oft ist es nur auf einem Umwege
eben durch lebendiges Erfassen dieses Gedankenverhältnisses
möglich, bei aller Fülle deutscher Vokabeln die im Lexikon für
aXXa geboten werden („aber, doch, dagegen, vielmehr, sondern")
die treffende Übersetzung zu finden. Was machen wir z. B.
mit einem Satz wie Memor. I 2, 60? Vorher ist der Vorwurf
bekämpft worden, daß Sokrates es gebilligt habe, wenn die
Etymologische Ableitung (quin, toi, vero, dDA), 59
armen Leute geschlagen würden; vielmehr habe er gelehrt, daß
diejenigen, auch wenn sie sehr reich wären, in Schranken ge-
halten werden müßten, die weder im Krieg noch im Frieden
etwas Nützliches leisteten. Dann fährt Xenophon fort: dWä
2a)xpaTY]c "ys tdvavTta toutcov cpavepi? r^v xat STjjiOTtxic xal
<piXav&peo7uoc «>v. Einen Gegensatz bezeichnet dXkd auch hier,
aber nicht zu dem letztvorhergehenden Satze, sondern zu dem
der durch diesen widerlegt wurde und dem Schriftsteller immer
noch deutlich vor der Seele steht. Gegen ihn wendet er sich
mit einem kräftigen: „Nein, im Gegenteil; Sokrates war offen-
bar ein Volksfreund und ein Menschenfreund".
11. Über den Kreis hinaus, der durch die gegebenen Bei-
spiele der Art nach bezeichnet ist, darf die Schule nicht gehen;
ja man mag zweifeln, ob die Wissenschaft selber an den ety-
mologischen Experimenten, denen sl und an, -^i xsv d u. ä.
so gern unterworfen werden, ein rechtes Interesse hat. An-
genommen, es gelänge bei einem solchen Worte die Herkunft
sicherzustellen, so wäre damit für ein Verständnis seiner Ge-
schichte kaum etwas gewonnen. Denn die Kraft dieser kleinsten
Redeteilchen hat sich nicht aus innerem Keim entwickelt, sie
ist von außen herangewachsen. Die Bedeutungen, die man für
die lautlichen Wurzeln der verschiedenen Partikeln angesetzt
hat, sehen einander meist sehr ähnlich; aber ihre Funktion im
Zusammenhang der Rede unterschied sich. Eine gewisse Art
von Nebenvorstellung, Gedankenrichtung, versteckter Beziehung,
die von einer bestimmten lautlichen Äußerung begleitet zu
werden pflegte, wurde durch Gewöhnung immer fester mit ihr
verbunden: in der fertigen Sprache erscheint sie wie ein eigener
Bedeutungsinhalt dieser Lautgruppe. Den Sprachgebrauch, und
in erster Linie den ältesten, muß man durchforschen, um den
Sinn der Partikeln herauszufühlen. Auf diesem Wege aber
läßt sich doch ein gutes Stück weiterkommen, als zur Zeit
noch die meisten zu glauben scheinen.
1. Z. B. gleich das so viel berufene av! Man hat es schon
halb verstanden, wenn man auf seine Etymologie verzichtet.
60 V. Partikeln.
Denn nun braucht man nicht mehr aus einer angenommenen
Grundbedeutung die Fülle der wirklichen Anwendungen künstlich
und vielleicht gewaltsam abzuleiten. Ein einzelnes Wort, das
im Deutschen dem av oder xsv entspräche, wird nie gefunden
werden: trotzdem spukt noch in Wörterbüchern und Kommen-
taren das unsinnige „wohl". Bei nüchterner Betrachtung des
Gebrauches ergibt sich ein ganz klares Verhältnis. Die Ver-
bindung von av mit dem Konjunktiv ist schon bei Homer
erstarrt, die Partikel wird darin nicht mehr empfunden; die
Bedeutung des Konjunktivs mit av ist für uns von der des
Futurums nicht zu unterscheiden. Für alle übrigen Modi aber
(Indik. Prät., Optativ, Infinitiv, Particip) trifft Gottfried Her-
manns Beobachtung zu: av drückt aus, daß das Verbum bei dem
es steht an eine Bedingung geknüpft ist^o). Man muß die
Schüler anhalten diese Bedingung aufzusuchen, die oft nicht
ausgesprochen ist, nur mehr oder weniger bewußt dem Reden-
den vorschwebt; dann mögen sie selber, unabhängig vom Wort-
laut, diejenige deutsche Form des Gedankens finden, die ihrer
nun gewonnenen Einsicht entspricht, und durch Wahl des
Modus, durch ein Hilfsverb, ein zugefügtes Adverb oder einen
kleinen Zwischensatz das umschreiben, was der Grieche mit
seinem d'v leise andeutete. Diese einfache Regel ist nicht bloß
praktisch und schon bei Tertianern vollkommen durchführbar;
sie könnte hier und da auch den Gelehrten nützlich werden, z. B.
an einer von der Kritik angefochtenen Stelle aus Herodot. Die
Ermunterung, welche die Griechen von Thermopylä aus an die
Phoker und Opuntischen Lokrer richteten, schließt mit den Worten
(VII 203): oö ^Äp Osov elvat xiv iiriovta sirl t)]v 'EX>.aöa dXX'
av&ptüTTOV elvat 6k OvTjiiv Oüoeva Oü6e eoso&ai, xoT xaxov i^ «PX^^
Yi^vojaIvoj oö oüve[istx&Y], ToTot 8e [le^toxotot aüxcov jAe-ytaTa*
äcpetXsiv cSv xat x^v iTieXauvovxa, (o^ I6vxa &V7jxov, aT:6 xr^c Sojrj?
TTsoeiv av. Hier hat K. W. Krüger daran Anstoß genommen, daß
bei ^cpstXetv ein Infinitiv mit av stehen soUe. Obwohl er daher,
nach Hermann 3^), richtig übersetzt „daß er fallen könne", meint
er doch av streichen zu müssen; dasselbe hat neuerdings Holder
Psychologische Deutung (ä'v, ^ xoi, et — et — ). 61
getan. Stein vermutet dv<ä j^o^o^y. Aber der Text ist ganz
in Ordnung: auch der Perser, der heranzieht, müsse „unter Um-
ständen in seiner Erwartung getäuscht werden", d. h. er „müsse
mit seiner Absicht scheitern können". Daß er „scheitern müsse"
(unbedingt), können die Leute doch nicht behaupten.
2. In der Behandlung des homerischen ^ xoi spielt über-
all „traun" eine große Rolle, womit wir doch nie eine lebendige
Übersetzung gewinnen, weil der deutsche Ausdruck selber uns
fremdartig ist. „Doch, fürwahr" sind im Notfall immer zur
Hand, geben aber dem Gedanken keine charakteristische Färbung.
Diesmal ist es wirklich ein einziges Wort, das nahezu immer
paßt, in den Wörterbüchern aber zwischen einem halben Dutzend
andrer verschwindet. "^H tot heißt „freilich". Damit wird
stets auf einen Gegensatz hingedeutet, der entweder nachfolgt
oder (z. B. D 61) vorausgeht, ausgesprochen ist oder nur in
Gedanken den Redenden beschäftigt. Beispiele findet man
genug in meinen Anmerkungen zur Odyssee, wo auch gelegent-
hch gewarnt wird, das deutsche Adverb nicht ängstlich jedesmal
festzuhalten; manchmal müssen wir uns begnügen, es beim
Sprechen zu empfinden. Auch sonst kommt es oft vor, daß
eine Partikel zwar übersetzt werden könnte, aber nur durch ein
Wort, das sich lautlich und begrifflich» zu breit machen würde,
so daß wir es lieber ganz weglassen und nur für den Ton der
Rede im Sinne behalten. Die meisten Beispiele bietet wohl ys,
bei Homer wie anderwärts (z. B. Xenoph. Memor. U 2, 9:
TouTo 75 oüx otjxat). Aber nicht anders ist es mit den
lateinischen et — et — , neque — et — , die in dem „einerseits"
— andrerseits" unsrer Gelehrten- und Amtsprache ein un-
erfreuüches Nachleben führen. Wo wirklich von zwei Seiten
die Rede ist, da hat diese Formel auch im Deutschen ihr Recht;
z. B. ad fam. XV 4, 4 (bei Bardt Nr. 28), wo zwei Landschaften
von einem dazwischenliegenden Gebirge aus betrachtet werden:
non longe a Tauro castra fecu ut et Ciliciam tuerer et Cappa-
dociam tenens nova finitimorum consilia impedirem. Im ganzen
aber lag die Neigung, einen Gedanken disjunktiv anzusehen.
t
«52 V- Partikeln.
der Sprache Justinians viel mehr im Blnte als der unseren,
und wir sollen uns hüten dieser Gewalt anzutun.
3. Wenn irgend eines der homerischen Füllwörtchen für
unübersetzbar galt, so ist es ioi : verstehen aber läßt sich auch
dies. Es drückt eine Übereinstimmung zwischen Gedanken und
Tatsachen aus, entweder so, daß ein eintretendes Ereignis, das
Tun und Reden einer Person, der Erwartung entspricht die
man hegte, oder umgekehrt, daß das Denken sich der Wirklich-
keit anpaßt, indem aus ihr ein Schluß gezogen wird. Durch
ein einzelnes Wort kann man dasselbe im Deutschen nicht
leisten; so gebe ich als Grundbedeutung ein paar kleine Satz-
chen: „wie sich denken läßt, wie man erwarten konnte, wie
man schließen muß", die nachher in der Regel nicht beibehalten
werden sondern auf einen kürzeren Ausdruck hinführen.
Im Anfang von tj ist erzählt, daß Athene ihren Freund mit
Nebel umhüllt (14 f.); wie er nachher durch die Stadt geht,
heißt es (39 ff.); tov o apa Oatr^xs? vaoaixXüTOt o&x Ivoijoav
ipyojisvov xaTÄ dfaro ota oc^sa?' oo -^cap 'A&t^vtj efa lüTrXoxa-
jioc, ostvYj Oeoc, t5 P^ ^^ 6r/}hv OsaTreaiVjV xaTs/eoe. ^Dm be-
merkten [wie sich denken läßt, also] natürlich die Phäaken
nicht; denn Athene ließ es nicht zu, die ja [wie ihr euch er-
innert] Nebel über ihn ausgegossen hatte". ^OyM^oa^ o' apa
eItte (e 355): unmutig, wie sich denken läßt, d. h. „in begreif-
lichem Unmut sprach er". Manchmal bleibt die ganze Um-
schreibung stehen, z. B. e 397, wo in einem Gleichnis von der
Genesung eines Familienvaters die Rede ist, der schwer krank
gelegen hat: doTraotov o' apa tov ^s &£ol xax6TY)To? iXüoav,
y,man kann sich denken, wie ersehnt es kam, daß die Götter
ihn vom Leiden befreiten". Nun Beispiele der entgegengesetzten
Art! Zu den Kyklopen kommt Odysseus, of pa &eotot TrsTcot-
Doxec d^avaTOtotv outs cpoTeuoüotv )rspolv cpüT^v out dpooooiv
(t 1071) : „die, doch wohl [wie man annehmen muß] im Vertrauen
auf die Götter, weder pflanzen noch pflügen". Antinoos
hat den Bettler mit einem Schemel geworfen, „doch der
blieb stehen fest wie ein Fels; [man konnte erkennen:] offenbar
apa bei Homer und später. 63
hatte ihn der Wurf nicht erschüttert", oö8' apa [itv ocp^Xsv
ßsXoc 'AvTivooto (p 464). Glaukos hat gesehen, wie Hektor den
Leichnam des Patroklos preisgibt; da ruft er: „du warst also
[wie sich gezeigt hat] dem Kampfe lange nicht gewachsen",
[laj^Tjc apa izoWhv ISsusü (P 142). Auch hier kann es vor-
kommen, daß wir etwas mehr Worte brauchen. Der Bettler
erzählt in x der Königin, daß ihr Gemahl der Heimat schon
nahe sei, ja daß er längst heimgekehrt sein würde, wenn er
es nicht vorgezogen hätte erst noch Schätze zu sammeln: xai
xev iraXat iv&a6' 'OBuooebc "^yjv akV OLfa o! xo ye xspStov
eibaxo &üjx(p (x 282 f.) „aber so mußte es ihm wohl nützlicher
erscheinen". — Eine lohnende Aufgabe wird es sein, die Geschichte
des apa in der späteren Gräcität zu verfolgen; Spuren der ur-
sprünglichen Kraft begegnen da auf Schritt und Tritt. Nachdem
Xenophon die Lehrweise seines Meisters geschildert hat, schließt
er (Mem. I 2, 8): ircoc oijv 3v 6 xotoöxoc avYjp Stacp&etpoi xoü?
veoüc; 2? jxY] apa t] x^? apexr^c iirtjAeXeia 8iacp&opa ^oxtv.
Was man für s? jxt] apa gegeben hat, nisi forte, trifft doch nur
ungefähr den Gedanken; er meint: „Wie sollte ein solcher Mann
die Jugend verderben? falls nicht dann [der Schluß gezogen
wird, daß] die Pflege der Tugend ein Verderben ist". Und
ganz lebendig an einer Stelle der Anabasis, VE 4, 13. Da wird
von Thrakern erzählt, die aus dem Gebirge hervorkommen um
durch Xenophons Vermittlung mit Seuthes zu verhandeln, den
Vorwand aber benutzen, um die Gelegenheit für einen nächt-
lichen Überfall auszuspähen: rA 8' apa xaöx' e^.e-yov xaxaoxo-
TtTjc Svsxa, d. i. „doch sie sägten das eben [wie man hernach
sah] um zu kundschaften".
m. In vielen Fällen hat man natürlich längst nach der
geschilderten Weise die Grundbedeutung festgestellt. Aber nun
erheben sich dadurch Schwierigkeiten — reichlich schon bei
Homer, aber erst recht oft im späteren Griechisch — daß
Partikeln von entgegengesetzter Wirkung vertauscht erscheinen
oder nebeneinander stehen, oder daß eine einzelne an einem
Platz auftritt, wo sie eigentlich gar nicht hinpaßt.
64 V. Partikeln.
1. Wie soll derselbe Satz zum vorhergehenden zugleich
Gegensatz und Begründung enthalten? Trotzdem findet sich
dXXä — ^ap gar nicht selten. Aber wenn z. B. Odysseus er-
zählt, wie seine Gefährten auf der einsamen Insel im Weltmeer
laut jammerten und weinten, und abschließend hinzufügt (x 202):
dXX' oö Yotp TIC TTp^Sic ^Yt-fvexo fiüpOfjLSvoioiv, so gehört nicht
einmal allzu viel Phantasie dazu, um ihn zu hören und zu sehen,
wie er hinter dem „Aber" innehält, mitleidig und resigniert die
Achseln zuckt oder die Hände etwas nach vorn hebt und mit
halb trauriger, halb spöttisch überlegener Miene andeutet, daß
das Jammern doch nicht ewig gedauert habe: „denn es half
ihnen nichts zu klagen". Etwas von all diesen Elementen steckt
in dem dWä — ^dp; wir vergröbern die Empfindung, indem
wir sie in Worte fassen, aber wir können sie leise nachfühlen,
wenn wir uns an die Stelle des Redenden denken. Und dies-
mal gelingt es sogar, die griechische Verbindung genau nach-
zubilden: „Aber — es half ja nichts". Wie hier das kräftig
einsetzende ak\d, so ist häufig die Anrede (z. B. 'ATpetÖT] W 156,
O-^fjLie a 337, w cptXoi x 174) von einem Gebärdenspiel be-
gleitet, das dann im Folgenden begründet wird. Von andrer
Art sind Fälle, in denen der Satz mit ^dp als Parenthese zu
fassen ist, wie $ 355 f.: dlX — oö ^dp o<piv Icpatvsxo xep-
8tov eivai [laiea&at irpoTipo) — xol \ikv irdXiv aSitc sßatvov.
Hier steht dem Erzähler, indem er mit dlXd anhebt, das, was
er zu berichten hat (xol [i^v irdXtv aüxt^ eßaivov), schon
deutlich und fertig vor der Seele, und er unterbricht sich, um
es zu begründen; wodurch es denn äußerlich den Anschein
gewinnt, als ginge der mit ydp begründende Satz dem Gedanken,
der begründet werden soll, voraus. Beide Gebrauchsweisen von
-ydp liebt unter den Schriftstellern besonders Herodot. In einer
Rede athenischer Gesandten (IX 27) kommen sie dicht neben
einander vor: dXX' oö ydp xt Tipos^^ei xoüxcdv iTrifjLSjAv^o&ar
xal •^dp äv )^p7joxol xoxe eovxe? coüxol vöv 3v sTsv cpXaüpoxepoi
xxX. („Aber es nützt ja nichts u. s. w."), und: dXX' — oö
^Ap iv x(p xoitpös xdStoc sivexa oxaotdCetv TrpsTrei — dpxioi
dXXa— yötp. Satz mit ycfp vorangestellt. 65
sfjjLSv iretfteo&at öfiTv („Aber — denn es ziemt sich nicht in
solchem Augenblick über den Platz zu streiten — wir sind so
gefügig euch zu gehorchen"). Gerade bei Herodots Stil begreift
es sich leicht, daß in all solchen Fällen die Stellung des -^ap-
Satzes nicht willkürlich verkehrt ist, daß er vielmehr seinen
natürlichen Platz behauptet, nur eben auf einen Gedanken sich
bezieht, der unausgesprochen den Redenden beschäftigt hat.
Dasselbe möchte ich nun aber auch in späterem Griechisch,
wo es irgend angeht, gelten lassen. Wenn der Chor den zum
Tode Bestimmten bedauert und dieser ihn unterbricht (Iph.
Taur. 646): oTxxoc ^Ap oö Taüi'* dXXä x^^'P^*^' ^ U^ai, so darf
man nicht sagen, „der begründende Satz stehe vor dem
begründeten" ; das innere Verhältnis der beiden ausgesprochenen
Gedanken ist ja durch dk\d klar bezeichnet, als Gegensatz.
Vielmehr bezieht sich vap auf eine vorhergegangene Hand-
bewegung, womit Orestes den Klagen Einhalt gebietet: „Zu
jammern gibt es hier ja nicht; nein, freut euch, ihr Frauen".
Eine bejahende Gebärde wird durch -^ap erläutert, wo Antigone
auf Kreons Frage, ob sie wirklich gewagt habe sein Gebot zu
übertreten, antwortet (450): oö ^ap xt [loi Zso? ^v 6 xr^püja^
xdhe „War es doch nicht Zeus, der mir dies verkündigt hatte".
Ja ganz ohne Bindeglied fügt sich im raschen Wechselgespräch
dem, was der eine gesagt hat, von der andern Seite die
Begründung an. Iphigenie teilt dem Bruder mit (1031), daß
sie ein Mittel zur Rettung gefunden habe: xaT? oaioi [lavtaic
XpTQOojiat oocptofiaoiv. Asival yäp a! Y^vatxs? süpioxeiv xs^^va?,
antwortet er. Hier ist nichts von einer Ellipse („Ich wundere
mich nicht, daß du das kannst"); sondern Orestes begleitet
verständnisvoll den Gedankengang der Schwester und ergänzt
ihn unmittelbar, als wäre es eine zusammenhängende Rede.
2. In ähnlichem Verhältnis wie ^ap und dWd stehen nep
und Y£- Darüber hat, mit Bezug auf eine bestimmte homerische
Verbindung, August Nauck eine lehrreiche Beobachtung mit-
geteilt ^2): TTotpo? 7£ heißt „früher wenigstens, früher doch",
Tcapo^ Tiep „auch früher, schon früher"; durch irotpo? ^s wird
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 5
66 V. Partikeln.
das Frühere vom Späteren gesondert, durch -ndpoq Tisp seine
Übereinstimmung mit dem, was nachher geschehen ist, hervor-
gehoben. So heißt es von Tydeus (E 806 f.): aoiap 8 Öüfiiv
l;)(cov 8v xapxepov, a)c xö irapoc irep, xoöpoüc KaöfASicov irpo-
xaXtCsTo, während Hephästos 2 386 seinen Besuch mit den
Worten empfängt: irapoc^e fi^v ou ti öttfitCeic „sonst <jedenfalls>
kommst du gar nicht oft." Wo die Handschriften zwischen
irlp und ^i schwanken, wird man, mit Nauck, hiernach die
Entscheidung treffen, zumal da der sonstige Gebrauch der beiden
Partikeln dazu stimmt. Für -^^ bedarf das keines Nachweises;
aber auch für izip ordnen und begreifen sich so die mancherlei
Anwendungen am ehesten, wenn man von „auch" als Grund-
bedeutung ausgeht. Ein Vers wie F 3 (t^üts irep xXaYYT) 75-
pavcov ireXet oöpavo&i irpo) zeigt deutlich die Fügung des Ge-
dankens, für die dann &q irep der stereotype Ausdruck geworden
ist. In abhängigen Sätzen {ei Tcep A 81. E 224 u. ö., f^v irep
T 32) und bei Participien (Isfisvoc irep a 6, T^dojeo xtjoojisvt^
irep A 586, TTüxa irep <ppove6vTa>v I 554) steht irsp ganz im Sinne
von xat, nicht gar selten schon mit diesem kimiuliert (xal
d^vüfievof irep 651, xal [laXa irep dojicp xe5(oXco[jLevov A 217,
xal cx&avaxoc irep lireX&cov e 73), woraus dann das im Attischen
herrschende xaiirep erwachsen ist. Die entgegengesetzte Rich-
tung, die irep und -^i dem Gedanken geben, zeigt sich besonders
deutlich, wenn beide zusammen stehen, wie 476: jitj p.äv
dairoüoi ye 8aji.aooa[ievo( irep SXotev v^ac „wenigstens nicht
ohne Mühe, wenn sie uns schon bezwingen, mögen sie die
Schiffe nehmen".
Aber nun finden sich Stellen, wo irip die Funktion von -^e
zu übernehmen scheint. Wenn Amphinomos zu dem Bettler
sagt (o 122 f.): ^evoixo xoi ec itep öirtaoo) oXßoc' dxdp [i^v vöv
ye xaxoic e^^eai iroXeeootv, so kann er doch nur meinen:
„wenigstens in Zukunft". Ähnlich Achill (A 352 f.): fir^xep,
iirei [jl' exexlc ye [iivüv&dStov icep lovxa, xijjltqv irip [loi o<peXXev
'OXüjiirtoc i^'^i^aki^aK »da du mich doch einmal geboren hast,
wenn auch zu kurzem Dasein, so hätte mir wenigstens Ehre
Tzip und yi scheinbar vertauscht. 67
Zeus yeriMheii sollen". So bittet Odysseus den Zürnenden:
wenn dir Agamemnon verhaßt ist, oh 8* aXXouc irep Ilava^^atob?
xeipofilvoüc IXiaipe (I 301 f.). Gerade in Wunschsätzen ist
dieser Gebrauch nicht ganz selten **). — Um ihn psychologisch
zu verstehen, müssen wir wieder auf xai- zurückgreifen. Dieses
nimmt die Bedeutung „auch nur" da von selber an, wo es
einen Begriff einleitet, der entweder an sich etwas Einschrän-
kendes enthält oder durch einen im Zusammenhang nahe
liegenden Gedanken diese Färbung bekommt. Von dem Öl,
mit dem Hiere sich salbt, heißt es S 173 f.: toü xal xtvüfievoto
Aiöc xaxÄ yaky.o^axk^ 85) sjjltttjc ^c Yaiav ts xal oöpavöv fxei'
düTjjLTj, d. h.: es brauchte nicht ausgegossen zu werden, auch
bei leiser Bewegung trat die Wirkung ein. Herodot erzählt
(EK 68) von der Masse des persischen Fußvolkes: irptv y] xal
ao{i.[i8T£ai xoioi TroXe^itoioi ecpsü^ov, d. h. sie flohen nicht eigent-
lich aus dem Kampfe, sondern schon vor einer ersten Berührung,
Derselbe läßt die Athener sagen (Vin 144) : Irioiaofts, eox' 3v
xal eTc ireptTj 'A&7]vaicov, {iTj^afiä öjjLoXo^i^oovxac T^fila? SepSifl —
auch einer würde genügen um den Widerstand fortzusetzen.
Überall ist das Glied mit xat von einem andern Standpunkt
aus gedacht als der umgebende Satz, in den Hauptgedanken
mischt sich eine begleitende Empfindung: „Was ich meine,
gilt auch für den Fall, daß die oder die Einschränkung ein-
tritt". Dies nun, auf die Denkform des Wunsches angewendet,
ist ohne weiteres verständlich, wie gleich im Anfang der Odyssee
(et 58): tijievoc xal xairv&v dTio&ptfJoxovxa vo^oai % Yai7]C, wo
wir unwillkürlich hinzudenken: schon den Rauch zu sehen
würde ihm eine Freude sein. Und so in den vorher besprochenen
Fällen mit luep: auch wenn es künftig dem Bettler gut ginge,
auch wenn Zeus Ehre verliehen hätte, auch wenn Achill mit
den übrigen Achäern Mitleid empfände — würde dem Sprechen-
den ein Wunsch erfüllt sein.
3. Für 78 wird man mit dem Grundbegriffe „wenigstens,
jedenfalls" in der Regel auskommen, oft allerdings so, daß im
Deutschen nur die Betonung ihn andeutet. Es entspricht
5*
68 V. Partikeln.
ziemlich genau dem lateinischen quidem; und das muß uns
helfen eine Gruppe von Anwendungen zu begreifen, die den
Erklärern manche Schwierigkeit bereitet hat. Im Dialoge — in
der Tragödie sowohl wie bei Piaton — wird öfters eine kurze
Antwort mit xal . . . . ^e oder bloßem ye unmittelbar an die
Worte des Vorredners angeknüpft; das ist et ... . quidem,
„und zwar". Als Ödipus den Tod des greisen Polybos erfahren
hat, vermutet er (963): voooic 6 iXi^ficMv, mq loixsv, ecpftiTo;
der Bote nickt zustimmend: xal T(p [laxpcp fe oüfx[i8Tpoü[isvo?
3^p6v(p ^und zwar entsprechend der Länge der Zeit". An einer
Stelle im Anfang des Protagoras müssen wir uns dieselbe
Kopfbewegung vorstellen, nur daß sie hier nicht bestätigen soll
sondern berichtigen. Der Freund, mit dem Sokrates zusammen-
trifft, meint sicher zu sein (p. 309 C): oö Stqttoü xtvl xaXXtovt
hixiijzq aXX(p Iv ^e ttJös t^ iroXei; doch kurzab wird er belehrt:
xal iroXü ^e „und zwar bei weitem". Dasselbe haben wir nun
bei bloßem y^, z. B. bei Sophokles da, wo der Alte von dem
Kinde zu erzählen gezwungen wird, das einst durch ihn die
Königin hat aussetzen lassen. Texoüoa rXi^ficov; fragt Ödipus
entsetzt; mit stummer Gebärde bejaht es jener, dann fügt er
die Erklärung hinzu: OeocpotKov y' oxvtp xaxcov „und zwar aus
Furcht vor schlimmer Prophezeiung" (1175). Wie Gorgias auf
Befragen den Namen seiner Kunst genannt hat, meint Sokrates:
'PiQTopa apa /piQ os xaXstv; 'A^aftov ye co ScuxpaTsc? ist die
zuversichtliche Antwort. „Also einen Redner soll man dich
nennen? — Und zwar einen guten, wenn du mich so nennen
willst, wie zu sein ich mich rühme" (p. 449 A). — Wieder
etwas anders ist die Stimmung der Antwort an einer späteren
Stelle in demselben Dialog (p. 463 D. E.). Polos ist von Sokrates
in die Enge getrieben, und Gorgias muß gestehen: aW dyci)
oöSfe düTÖ? oüvt7]jii Tt Xe^etc. Jener zuckt die Achseln und
sagt tröstend: EJx6t(i>? ^e („Und zwar natürlicherweise"), co
Wie dieser Gebrauch von -^s mit der sonst herrschenden
Bedeutung psychologisch vermittelt werden könne, vermag ich
Y^ = „und zwar". — Stellung von Ti^p und yi, 69
zur Zeit nicht zu sa^en. Immerhin weist der Vergleich mit
lat. quidem uns den Weg, auf dem wir dahin gelangen eine
Menge gleichartiger Fälle zusammenzufassen und nach dem,
was sie sagen wollen, zu deuten. Auch für das homerische
ir^zi fi' dcpeXeofte ys Sovtsc (A 299), das Haupt im Gespräche
mit Wilamowitz als Probe der Unübersetzbarkeit anführte,
vermag das Lateinische doch einige Aufklärung zu bringen:
quando quidem ademistis. Aber hier liegt ein weiterer Anstoß
in der Stellung des Wörtchens, durch die es einen einzelnen
Begriff hervorzuheben scheint, während es in Wahrheit an-
deuten soll, in welchem Sinne der ganze abhängige Satz in
den Gedanken eingefügt ist.
4. Jacob Wackernagel hat die schöne Entdeckung gemacht 3*),
daß die Enkhtika und andere Wörter von leichtem Gewicht
(dtv, apa, 81, [lev, o3v, toivüv) der zweiten Stelle im Satze
zustreben und sie gern auch dann einnehmen, wenn dadurch
eine logische Beziehung verdunkelt wird. Das muß' man be-
sonders bei Homer im Sinn behalten, um sich vor Mißverständ-
nissen zu schützen. Wo die Sache so einfach liegt wie J 240 f.
(Iv&a [i^v lvvaeT8c iroXefjLtCojAev ote? 'Axai&v xcp BsxotTcp h\ xxX),
da ist freilich keine Gefahr; daß nicht ev&a sondern iwaexec
dem Sexexxq) gegenübersteht, sieht jeder. Die Drohung des
Odysseus, der sich soeben zu erkennen gegeben hat: dXXa xiv'
oö «peoSeo&ai öfofiat (x 67), macht doch einen ganz andern
Eindruck, wenn wir „nicht einer" verstehen anstatt „mancher
nicht", riep und ys hat Wackernagel ausgenommen; sie seien
an das Wort gebannt, auf dessen Begriff das Hauptgewicht falle.
Im allgemeinen ist das richtig; aber ganz entziehen doch auch
sie sich nicht der herrschenden Neigung. In dem vorher an-
geführten Verse F 3 gehört nep weder zum vorhergehenden
tJüxs noch zum nachfolgenden x^ä^yt], sondern zu ^epav^jüv.
Mit sachgemäßer und klarer Wortstellung sagt Penelope x 312:
iWd jjLOi c58' dvä &ü[jlöv äiexai, o)? eoexat Tisp „mir ahnt es
so im Herzen, wie es auch [wirklich] kommen wird". Aber
wo sie früher die Gesinnung des Fremden lobt (p 586): oüx
70 V. Partikeln,
acppcov 6 SeTvoc itexat, Sc icep Sv exT], da gehört ir^p dem Sinne
nach ebenso gut zu evri wie in t zu Joe-zai: „er denkt nicht
unverständig, [viehnehr] so, wie es auch [wirklich] sein dürfte".
— Die Stellung von ^e macht besonders da Schwierigkeit, wo
sich, wie eben an der vorher angeführten Stelle aus A, das
„wenigstens'' auf einen ganzen Gedanken bezieht. Manchmal
ist es dem Dichter gelungen diesen an ein einzelnes Wort
anzuhängen, das dann vorausgeschickt wird und für ^i die
natürliche Stütze bietet; z. B. S 91 f., wo Odysseus den Vor-
schlag des Atriden heftig tadelt: p,u&ov 8v oo xev dviQp 78 hä
0T6p.a irajiTcav a^otxo, oc Tic iirtataiTO ijoi cppeotv apxia ßaCetv.
Die Meinung ist: „wenigstens wenn er . . . verstünde"; formell
ist -^i mit dem logisch unbetonten dvijp verbunden: „ein Mann
jedenfalls, der . . . verstünde". Aber so bequem geht das nicht
immer. Kalypso will es noch nicht glauben, daß Odysseus sie
verlassen soll: et ^e ji^v eföeiTjc oiflot cppeotv, sagt sie, 000a xot
aloa xi^Se' dvairXTJoai xxX, d. h. „[dann] jedenfalls, wenn du
wüßtest . . ., würdest du hier bleiben" (e 206). Hier ist -^e an
die Partikel der Bedingung angeschlossen^^), und wir über-
setzen: „Freilich, wenn du wüßtest". Ein andermal wird ein
Wort innerhalb des hypothetischen Satzes scheinbar durch ye
hervorgehoben. Eumäos fragt den König, was er mit dem
Bösewicht Melanthios machen soll, ihn töten oder herbringen:
■^ jiiv dTcoxTetvo), ai xe xpsioocov 76 Ylva>fi.ai, tq^ aol iv&dS' är{io
(j^ 167 f.). Auch hier gehören «2 ... 75 zusammen, wie lateinisch
si quidem. Ganz irreführend ist die Wortstellung & 138 f.:
oö ^Äp h{m '^i Ti <pTQfi.l xaxc^Tspov aXXo &aXdoo7]C avSpa ye ou^xs^a^«
Einen Gegensatz, an den ^£ erinnern könnte (Öe6v, YüvaTxa),
sucht man vergebens; richtiger würde es zu oDY/süai bezogen
sein, am besten aber zu dem ganzen Gedanken: „jedenfalls
[darin], einen zusammenzuschüttein".
Zuweilen wird es mit aller Schmiegsamkeit des Nach-
empfindens nicht gelingen, Wörtchen wie apa, ^e, vü bei Homer
StelluDg von rAp und y^. — Erstarrte Partikeln. 71
auch nur zu verstehen. Das kann unter Umständen darin seinen
Grund haben, daß sie den Dichtern der jüngeren Partien selbst
nicht mehr geläufig waren. Diese lernten und übten die epische
Sprache als eine halbfremde Mundart und mochten schließlich
dahin kommen, einsilbige Partikeln fast so sorglos als Füll-
stückchen für den Vers zu gebrauchen, wie es die Text-
verbesserer und Textverderbei: in alter und neuer Zeit zu tun
liebten. Die im Grunde sinnlose Verbindung av xev bietet
davon ein lehrreiches Beispiel^*). Meistens aber muß es doch
möglich sein eine Partikel, deren Sinn man einmal erfaßt hat,
auch da zu empfinden, wo man sie unübersetzt lassen muß um
ihr nicht durch einen volleren deutschen Ausdruck zu viel Ge-
•
wicht zu geben. Dann kann, wie wir gesehen haben, oft die
Betonung helfen. Und dies erinnert von neuem an die Plicht,
daß wir die Worte, die wir lesen, uns gesprochen denken
sollen. Mehr als irgendwo gilt dies fürs Epos, dessen Verfasser
nur für das Ohr gedichtet haben, an ein Aufschreiben und eine
Wirkung auf Leser gar nicht denken konnten ^^). Nicht viel
anders ist es bei Herodot, den nur der versteht, der ihn hört;
darin, daß sie diesen Charakter treulich gewahrt hat, beruht
zum guten Teile der Wert von Lange's Übersetzung. Aber
selbst die Späteren, Griechen wie Römer, wenn sie auch im
rechten Sinne als Schriftsteller tätig waren, standen doch dem
ursprünglichen Gebrauch der Sprache, daß sie eben gesprochen
wurde, unendlich viel näher als unser papiernes Zeitalter, in
dem es vorkommen kann, daß ein Redner in kunstvoll aus-
gearbeitetem Vortrag auf das verweist was er „weiter unten**
sagen wird, oder am Schluß das Resultat der „vorstehenden
Betrachtungen" zusammenfaßt. Dieser fundamentale Unterschied
der alten und der modernen Sprachen wird weiterhin noch
Öftersich fruchtbar erweisen; das folgende Kapitel soll zunächst
an einen früheren Punkt anknüpfen.
VI.
übersetzen oder erklären?
Eine Übersetzung kann und soll kein
Kommentar sein.
W. V. Humboldt, 1816.
1. Zu den stereotypen Wendungen, mit denen in der
Lektüre-Stunde operiert wird, gehört auch die: „hier müssen
wir etwas ergänzen", sei es nun ein Wort oder ein ganzer
Satz. Dagegen ist auch nichts zu sagen, wenn nur immer
gefragt wird: „Warum müssen wir denn?" Sonst spielt die
Ergänzung leicht eine ähnliche Rolle wie manchmal die Hilfs-
linie beim Konstruieren einer planimetrischen Aufgabe. Auch
diese ist berechtigt, wo sie durch eigne Überlegung gefunden
wird; sie darf nicht als deus ex machina auftreten.
(a.) Die Besprechung von res hat gezeigt, wie in der
volleren deutschen Übersetzung doch nur ausgesprochen wird,
was der Verfasser des lateinischen Textes stillschweigend hinzu-
gedacht oder durch den Zusammenhang seiner Gedanken an-
gedeutet hatte. Auch der gleichartigen Erscheinung bei den sub-
stantivierten Neutris der Pronomina geschah schon Erwähnung.
Ea malo dicere, quae maiores nostri contra lubidinem animi
rede atque ordine fecere, schreibt Sallust Catü. 51, 4, und wir
übersetzen: „von den Fällen will ich lieber reden, in denen
unsere Vorfahren gegen ihres Herzens Begier nach Recht und
Ordnung gehandelt haben." Zu Tacitus Ann. IV 40 (ceteris
mortalibtis in eo stare consilia, quid sibi conducere putent)
bemerkt Nipperdey, in eo stare heiße „blieben dabei stehen,
beschränkten sich darauf". Aber durch „dabei" oder „darauf"
Ergänzung von Substantiven. 73
wird die Beziehung des abhängigen Satzes nicht deutlich, zumal
unser „was" den Unterschied von quid und quod verwischt;
wir müssen sagen: „die Gedanken der übrigen Sterblichen blieben
bei der Frage stehen, was ihnen wohl nützlich sei". Beispiele
dieser Art findet man in jeder Stilistik gesammelt. Wohl noch
häufiger sind sie im Griechischen, wo zu den übrigen Prono-
nünalformen noch die kürzeste, der Artikel, hinzukommt. Und
daß diese Verschiedenheit von unserm Sprachgebrauch wirklich
in der strengeren logischen Geschlossenheit der alten Sprachen
begründet ist, erkennt man am besten an den Stellen, wo auch
das schwächste Bindeglied zwischen einem Satze und der über
ihn gefällten Aussage, das zusammenfassende Pronomen, weg-
gelassen ist und beide unmittelbar aufeinander bezogen werden.
So bei Lysias 25 (St^jjl. xaxaX. ditoX.), 5: jisya jx^v oüv tsx-
ji-Z^piov TjifoüjjLai sTvat, oti, sfirep iSüvavxo xtX., „ein starker
Beweis liegt für mich in der Erwägung, daß". Auf der
andern Seite gut von den substantivierten Adjektiven dasselbe wie
von den kurzen Fürwörtern. Varium et mutabile semper femina,
so verleumdet Merkur bei Vergil (Aen. IV 569 f.); und sicher
empfand ein Römer das Neutrum ebenso geringschätzig wie wir
i,ein wechselndes und veränderliches Ding." Viel öfter müssen
wir beim Plural ein Substantiv hinzufügen, um ihn überhaupt
zu bezeichnen. T&v ivSoSoxatcov 7rotY)Tü)v xA iroviQpoxaxa
(Memor. I 2, 56) sind „die schlimmsten Stellen", inania bei
Tacitus Hist. HI 19 als Apposition zu pacem preces clementiam
gloriam „nichtige Vorteile". Ebenso nun auch im Masculinum
und Femininum. Daß wir utrique „beide Teile" übersetzen, ist
ein Notbehelf; der lateinische Ausdruck ist kürzer und nicht
weniger deutlich, also besser. Entsprechend sagen wir für
fxaoxat i 229 ,jeder Jahrgang", für gxaoxot co 419 „jede
Familie", bei Herodot VI 95 Jede Gemeinde". Auch die Um-
schreibung mancher abstrakten Substantiva gehört hierher: sa-
tietates bei Cicero (Lael. 19, 67) sind „Augenblicke der Sättigung",
gleich darauf (69) excellentiae „hervorragende Persönlichkeiten".
In ähnlicher Weise wie der Mangel an Flexionsfähigkeit
74 VI. Obersetzen oder erklären?
macht sich die geringere Kraft der Wortbildung im Deutschen
fühlbar, wenn es z. B. darauf ankommt, Adjektiv und Adverb zu
unterscheiden. Immanis in antro bacchatur vates, sagt Vergil
VI 77 und stellt dadurch, daß er die Eigenschaft der immanitas
dem Subjekt beilegt, nicht dem was geschieht, die ganze Er-
scheinung anschaulicher vor uns hin. Wir fühlen es und können
es nachahmen, brauchen aber ein Wort mehr: „die Seherin rast
in der Höhle, ein furchtbares Bild". Oder ebenda 268: ibant
obscuri sola sab nocte per umbram; der Begriff „dunkel" darf
mit sub nocte und per umbram nicht gleichgestellt werden,
„dunkle Gestalten" wollen wir sehen. So meint es auch Xeno-
phon, wenn er (Memor. II 1, 31) die Lebemänner beschreibt:
dirovcoff jjL^v Xtirapol 8ti vs^ttjtoc «pepofievot (sie), Jirtirovcüc 8i
aüXfi.>]pol 8tä Yi^pcoc irspÄvre?, die „mühelos als glänzende
Erscheinungen durch die Jugend hinschweben, aber mühselig als
dürre Gestalten durchs Alter sich arbeiten", während ein braver
Mann auf ein YTJpac Xtirapiv (x 368) hoffen darf. Einen be-
sonderen Vorteil gewährten den alten Dichtern die Patronymika
und Ethnika mit ihrem Reichtum an Formen und der Dehnbar-
keit ihrer Bedeutung, wo wir uns dann durch diesen oder jenen
Zusatz helfen. An den „Telamonier" Aias sind wir gewöhnt;
aber Laomedontius heros ist der „Held aus Laomedons Geschlecht",
Delius et Patareus Apollo (Horaz) „der Gott von Dolos und
Patara, Apollo", uxorius ein „Weiberknecht".
Auch in der Verbindung der Worte besaßen die Alten größere
Freiheit und vermochten dadurch Wirkungen zu erzielen, die wir
unmittelbar nicht wiedergeben können. Wenn Homer den Odys-
seus an den Tag sich erinnern läßt, als ihm irXsioTot yahLripBa
Soüpa Tpwec iizippi^av irepl IlTjXeiwvt öavovxi (e 309 f.), so ist
er sicher, daß jeder das irepi richtig versteht: „im Kampf um
den Peliden". Auch die lateinischen Präpositionen haben noch
etwas von dieser anschaulichen Fülle, die den deutschen verloren
gegangen ist und durch irgend eine Umschreibung ersetzt werden
muß. Somno positae sub nocte silenti (Aen. IV 527) läßt
sich deutsch so kurz nicht sagen: Vergil meint „im Schlaf
Die alten Sprachen kurzer im Ausdruck. 75
gelagert unter dem Mantel der schweigenden Nacht". Und
gleich darauf (560): poteshoc sab casu ducere somnos? „kannst
du ruhig schlafen, während dieses Schicksal über dir schwebt?**
Die Beweglichkeit der Negation weiß sich der Lateiner ge-
schickt zu nutze zu machen, um Sätze zu verbinden. Vergil
hat den Eifer geschildert, mit dem die Trojaner beschäftigt sind
zum Scheiterhaufen für Misenus Holz zu fällen, und fährt fort
(VI 183 f.): nee non Aeneas opera inter talia primus hortatur
socios paribusque aeeingitur armis, „Und auch Aneas ermahnt",
so dürfen wir nicht anfangen; denn die andern ermahnen ja
nicht. Ein Begriff, dem das „auch" gilt, schwebt dem Dichter
während der ersten Hälfte des Satzes vor, und wie dann höttatur
eintritt, ist „auch" soweit vergessen, daß es nicht mehr stört.
Wir müssen, wenn wir diese Vorstellungsreihe festhalten wollen,
jenen halbbewußten Begriff ganz hervorziehen und etwa sagen:
„Und auch Äneas läßt es nicht an sich fehlen; als erster in-
mitten solcher Arbeiten ermuntert er die Genossen". Genau so
angewendet erscheint in demselben Buch nee minus 212 und
wieder nee non 645. Doch Fälle dieser Art sparen wir lieber
dem besonderen Kapitel auf, das der Wortstellung gewidmet
werden soll.
Unsere kleine Auswahl von Beispielen, die durch einige
früher (S. 37 f.) besprochene vermehrt werden mag, wird hin-
reichen, um deutlich zu machen, wie die klassischen Sprachen
an ursprünglicher Kraft und Gedrungenheit unsrer modernen
überlegen sind, so daß unvermeidlich • die Übersetzung etwas
ausführlicher wird als das Original. Dasselbe äußere Verhältnis
kann aber auch aus einer entgegengesetzen Ursache hervorgehen.
Latein und Griechisch in den Werken, die wir lesen, sind doch
schon Erzeugnisse und Träger einer hohen Kultur, selbst die
Sprache Homers blickt auf eine lange Tradition zurück. Im
Laufe der Zeit mußte es öfter vorkommen, daß einzelne Aus-
drücke in bestimmten Beziehungen immer wieder gebraucht
wurden und von da aus durch Association und Gewöhnung ein
Begriffselement, in sich aufnahmen, das ihnen an sich fremd
76 VI. Cbersetzen oder erkEren?
war. So sind loci in der Rhetorik, wenn es sich um Erleichtenmg
des Gedächnisses handelt, „Stutzpunkte** (de or. I 157), viel
häufiger, wo von der Durchdringung des Stoffes die Rede ist,
„Gesichtspunkte** (I 151. II 134). Facinus ist schlechthin die
„(Un>tat*' geworden, potestas die „(Anits)gewalt*' , caput die
„(bürgerliche) Existenz**. Wie oft wird /»pa weggelassen oder
yetp! Pur 8eSta haben auch wir kurz „die Rechte**, aber
dji90T£piQ(3tv muß heißen „mit beiden Händen**. Wenn Cicero
(imp. Pomp. 1, 1) sagte: hie locus ad agendum amplissimus,
ad dicendum ornaiissimus, so verstand ein Römer ohne weiteres
den Unterschied, weil er wußte, wem das agere cum populo
zukam; wir suchen auszuhelfen: „zum Reden für den Beamten
der ansehnlichste, für den Privatmann der ehrenvollste**. Bei
all den Worten wird in der Übertragung ein Zusatz erforder-
lich sein, mit denen irgend ein zugehöriger Begriff konventionell
so fest verknüpft ist, daß er, unausgesprochen, doch mit
empfunden wird.
(b.) In diesem Punkte stehen nun aber die jetzt lebenden
Sprachen den alten mindestens gleich; so dürfen wir uns nicht
wundem, wenn uns umgekehrt Fälle begegnen, wo der deutsche
Ausdruck kürzer ist als der fremde, den er wiedergeben soll.
Zumal auf abstraktem Gebiete macht sich da eine größere
Reife des modernen Denkens geltend. Eine Untersuchung de
rebus bonis et malis (Tuscul. V 4, 10) heißt uns einfach „über
Gut und Böse**. Quae tarnen omnia dulciora fiunt et moribus
bonis et artibus, schreibt Cicero Cat. Mai. 18, 65; wir können
das „gut** entbehren und sagen: „durch Charakter und Bildung**.
Tacitus' Beschreibung der stoischen Lebensanschauung (Hist.
IV 5): potentiam nobilitatem ceteraque extra animum neque
bonis neque malis adnumerant, möchte man gern in ähnlicher
Knappheit behalten; dazu hilft eine Übersetzung wie die von
Heraeus nicht: „was sonst noch dem inneren Geistesleben nicht
angehört". Aber wir brauchen hier den „Geist** gar nicht;
^Maoht, Adel und die anderen Äußerlichkeiten** versteht jeder,
und gerade so, wie die Stoiker es gemeint haben. Einen
Fälle von größerer Kürze auf deutscher Seite. 77
Vorteil gewährt es auch, daß im Deutschen Verbalsubstantiva
wie „Hoffnung, Behauptung, Annahme" die Kraft bewahrt
haben einen daß-Satz zu regieren. Tacitus' Worte (Germ. 4):
ipse eorum opinionibus accedo, qui Qermaniae populos ....
exstitisse arbitrantur, übersetzt Döderlein gewiß richtig: „ich
selbst trete der Ansicht bei, daß Germaniens Bevölkerung usw."
Jeder kennt die Neigung des Lateinischen, animus oder corpus
auch da zu benennen, wo wir die Seite des Ich, die gerade in
Anspruch genommen wird, unbezeichnet lassen. Sallust Catil.
36, 5: tanta vis morbi ac veluti tabes plerosque civium animos
invaserat, ist ein Beispiel für viele. Freilich finden sich dann
doch wieder Stellen, wo wir kaum umhin können eben diesen
Begriff im Deutschen erst hinzuzusetzen: quae me suspensam
insomnia terrent (Aen. IV 9), „welche Träume schrecken mein
banges Herz". Ausnahmslose und bequeme Regeln gibt es
überall nicht.
Diese Erkenntnis soll uns vorsichtig machen, daß wir beim
Übersetzen der Neigung, den Gedanken ergänzend auszuführen
und zu erklären, nicht allzu bereitwillig, nicht ohne erkennbaren
Grund nachgeben und vor allem immer da widerstehen, wo
mit der Kürze zugleich ein wesentlicher Teil des Eindrucks,
den der ursprüngliche Text machte und machen sollte, verloren
gehen würde. Die Worte bei Piaton (Republ. I p. 346 A) tva
Ti xat TTspaivwjjLsv hörte ich einmal vom Lehrer so wiedergeben:
„damit wir auch [wirklich] etwas [Bedeutendes] zu stände
bringen" ; es klingt doch viel kräftiger und dabei nicht minder
deutlich, wenn wir die ergänzten Begriffe auch im Deutschen
weglassen. Ein wahrer Mißbrauch ist lange Zeit, nicht ohne
Schuld der Seyffert und Nägelsbach, mit den sogenannten phra-
seologischen Verben, den „können, müssen, sehen, wissen" usw.,
getrieben worden. Auch sie haben ja ihr Recht und ihren
Nutzen, und auf einen FaU davon werden wir nachher in dem
Kapitel über Wortstellung zu sprechen kommen; verkehrt aber
war es, daß man sie in deutsche Übungstücke massenhaft ein-
flocht, damit die Schüler Gelegenheit hätten sie bei der Über-
78 VI. Obersetzen oder erklären?
tragung ins Lateinische richtig wegzulassen. Von da sind sie
dann in den Gebrauch beim Übersetzen aus dem Lateinischen
eingedrungen und tun das Ihrige dazu, um die Farbe des
Originals zu verwässern, während doch umgekehrt unser durch
Leitartikel und Wahlreden verdorbenes Deutsch danach streben
müßte sich von der PüUe umschreibender Bildungen zu befreien.
Mit vollem Recht empfiehlt Rothfuchs (Bekenntn. S. 67), man
solle getrost non infitior' durch „ich leugne nicht", confiteor
durch „ich gestehe" übersetzen. Auch die abstrakten Substantiva,
von deren Ergänzung vorher die Rede war, sind nicht immer
am Platze; bei Sallust und besonders bei Tacitus würden sie
oft die beabsichtigte Wirkung stören. Vastus animtis immode-
rata, incredibilia, nimis alta semper cupiebat, heißt es in der
Charakteristik Catilinas (5, 5): „sein wüster Sinn verlangte immer
nach Ungemessenem, Unglaublichem, Allzuhohem" ; der Eindruck
maßloser Begehrlichkeit würde schwächer sein, wenn die Begriffe
durch Substantiva näher bestimmt wären. Tacitus fügt seinem
Bericht über den Tod des Arminius (Ann. II 88) wenige be-
wundernde Worte hinzu und schließt Kapitel und Buch mit
einem leisen Vorwurf gegen die Römer, daß sie den Ruhm
dieses Mannes nicht nach Gebühr bewahren, dum vetera exfolli-
mus recentium incuriosL Alles würde im Deutschen verdorben
werden, wenn wir breiter als nur mit den allerunentbehrlichsten
Worten den Gedanken andeuten wollten: „indem wir das Alte
erheben, um das Neue unbekümmert". Beispiele dieser Art
findet man allenthalben.
Auch da, wo die Kürze zu einer kleinen logischen Un-
genauigkeit oder Undeutlichkeit geführt hat, muß sie womöglich
beibehalten werden. Quod arduum sibi, cetera legatis permisii
(Ann. II 20): „für sich, was schwierig war, das andre überließ
er den Legaten". Wir sollen ja doch übersetzen, nicht erklären
oder gar korrigieren. Danach werden wir auch die abgekürzte
Vergleichung in der Regel bestehen lassen und vor den „götter-
gleichen Gedanken" des Odysseus (v 89) nicht zurückschrecken.
Am wenigsten darf natürlich da geändert werden, wo für die
Phraseologische Verba. Vorsicht im Ergftnzen. 79
Logik alles in Ordnung idt, nur das grammatische Gewissen
eine Ergänzung zu fordern scheint. Da dextram misero, fleht
Palinurus (Aen. VI 370), und ein Herausgeber verlangt, daß im
Deutsdien „mir" eingesetzt werde. Aber Goethe schrieb (Herm.
u. Dor. 19 f.) : „Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laß
es am Zweige weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern
hin". Wo Tacitus mit bloßem inde oder hinc die Erzählung
fortführt (z. B. Hist. III 25), ist es Pedanterie ihm ein Verbum
finitum „entstand" oder „kam" aufzudrängen. Manchmal scheint
ein Zusatz unvermeidlich, dem wir dann doch durch über-
legte Wahl des Ausdrucks ausweichen können. Zu subit
recordatio (Histor. IE 31) bemerkt Heraeus: „anwandeln, über-
kommen"; dann müßten wir ein Objekt haben, das im Text
fehlt. Aber auch wir können sagen: „die Erinnerung steigt auf".
2. (B.) Ein kunstvoll arbeitender Schriftsteller wird gelegent-
lich mit Willen seine Worte so wählen, daß dem eignen Verstände
des Lesers noch etwas zu tun bleibt; ein andrer mag unwill-
kürlich, in der Lebhaftigkeit des Vortrages, etwas sagen oder
schreiben, was nicht ganz klar oder nicht ganz korrekt ist. Daran
muß man in der Schule, die für ihr Teil nach Deutlichkeit und
Regelmäßigkeit strebt, immer wieder erinnern, damit sie sich
nicht naseweis mit solchen Tugenden auch da breit mache, wo
sie nicht hingehören, und diejenigen zu meistern unternehme,
von denen sie lernen soll. Wenn Sallust den Cäsar rühmen
läßt, die Römer hätten nach Beendigung des Krieges gegen
Perseus die abgefallenen Rhodier begnadigt, ne quis divitiarum
magis quam iniuriae causa bellum inceptum diceret (Catil. 51, 5),
so sind freilich divitiarum causa und iniuriae causa verschieden
gedacht; trotzdem darf man nicht langweilig bessern wollen:
„um ihre Schätze zu gewinnen, um ihr Unrecht zu strafen".
KtvSüvo? bezeichnet in Gerichtsreden oft den Prozeß; aber muß
man es darum so übersetzen? Verstehen deutsche Richter nicht,
was der Angeklagte meint, wenn- er von der Gefahr spricht in
der er schwebe? Oder wenn der Krüppel bei Lysias auf seine
oüfi.<pop4 hinweist (24,3), so will er eben das häßliche Wort
80 ^^' Übersetzen oder erklären?
„Gebrechen" oder „Krankheit" nicht aussprechen und redet un-
hestimmt von seinem „Unglück". Tu sanguinis ultimus auctor,
sagt Vergil VII 49, indem er Saturn, den Ahnherrn des Latinus,
anruft; wir haben keinen Grund, den „letzten" in den „ersten"
zu verwandeln, sondern können ebenso wie der Lateiner aus
der Gegenwart in eine ferne Vergangenheit hinausblicken. Wenn
Tacitus Hist. IV 8 ulteriora in Gegensatz zu recentia stellt und
den eigentlichen Ausdruck „Vergangenes" vermeidet, so darf
der Übersetzer ihn ihm nicht unterschieben, wird vielmehr auch
seinerseits sagen: „das Entferntere". Bei demselben Schriftsteller
ist der häufige Gebrauch von dum in Kausalsätzen kein Vorzug,
so wenig wie das moderne „indem" ; aber eben deshalb gehören
beide zusammen, wenn sie auch auf etwas verschiedene Art
entstanden sind. Daß man, um die Eigenart eines Schriftstellers
auch im Deutschen wirken zu lassen, seine Schwächen nicht
tilgen solle, wird von Rothfuchs (Bekenntn. S. 76) mit erfreulicher
Entschiedenheit gefordert. Cicero geht in der Pompeiana zum
dritten und wichtigsten Teil mit den Worten über (9, 26):
restat ut de imperatore ad id bellum deligendo ac tantis rebus
praeficiendo dicendum esse videatur. Ähnliche Wendungen hat
er auch sonst vielfach, z. B. in derselben Rede 4, 11: videte
quem vobis animum suscipiendum putetis; es ist, als ob man
einen Parlamentarier von heute hörte, der seinen Standpunkt
dahin präzisiert, daß er zu der schwebenden Frage in dem und
dem Sinne Stellung nehmen zu sollen glaube. Aber in unserm
Falle ist das videatur doch besonders überflüssig, und Deuerling
empfiehlt es im Deutschen wegzulassen. Ja, wenn es darauf
ankäme, durch die Übersetzung aus Cicero einen Mirabeau oder
Bismarck zu machen! Will man das nicht, so muß man ihm
schon das Behagen lassen, mit dem er sich gern auf den Wellen
inhaltleerer Worte schaukelt; zu ihnen gehört illud tertio quoque
sensu in omnibus orationibus pro sententia positum 'esse videatur*
(Tacit. dial. 23).
Bisher war nur von solchen Anstößen die Rede, die durch
einzelne Worte gegeben werden; auch der Satzbau kann so
Eigentümlichkeit soll bewahrt werden. Anakolathe. 81
besphaffen sein, daß er den Übersetzer zur Erklärung oder Be-
richtigung aufzufordern scheint. Dazu gehören die zahbeichen
Anakoluthe nicht nur bei Homer, sondern auch bei Herodot.
Auch für diesen gab es, worauf schon hingewiesen wurde (S. 71),
noch nicht wie für uns einen festen Unterschied zwischen Schrift-
sprache und mündlicher Rede; er schrieb so, wie er gesprochen
haben würde, und deshalb begegnete es ihm nicht selten, daß
er aus einem Gedankengefüge in ein anderes hinüberglitt 3^).
Besonders charakteristisch ist das Zerfließen der Konstruktion
an einer Stelle wie VI 13: Maftovie? hk taüia •yqvÄfi.eva Ix
Toiv 'I(üV«)v öl oTpaxYjYol xcov 2!a[i.iu)V, iv&aöxa St] irap' A?otxeoc
TOü SüXooÄVTOc xetvoüc tobe irpoiepov eTrejiTus X.o'yoüc AiaxTj?
xeXeüovTwv täv IlepoecüV, Seofievoc ocpecov IxXtTceTv ttjv 'Icovcov
oü[i.fi.a)rtTf]v — oi Sotfiioi wv öpÄviec afia jisv ioöoav dxaJtYjv
ttoXXtjv Ix täv 'Icüvcdv Iosxovto xoüc X.O'yoüc, Äfia 8^ xaxecpatveTO
o<piv eivai dSövata xA ßaaiXeo? irpr^YjiaTa uirepßaXeo&at. Denn
hier ist das Durcheinanderwogen der Satzglieder ein sprechendes
Bild der Verlegenheit in der sich Herodot befand, die schlechte
Sache seiner Freunde, der Samier, zu verteidigen; ein lehrreicher
Zusammenhang, den Cobet glücklich durch Umstellung und
Streichung einiger Worte zerstört hat. Wir nehmen eine Um-
schreibung zu Hilfe, um das anzudeuten, was Herodot durch
das früh eintretende Objekt erkennen läßt: daß der Gedanke an
das regierende Verbum von Anfang an wirksam ist. „Als die
Führer der Samier wahrnahmen, daß dies von Seiten der lonier
geschah, da entschlossen sie sich denn, von Äakes dem Sohne
des Syloson jene Vorschläge, die Äakes früher auf Befehl der
Perser hatte machen lassen, indem er sie aufforderte das
Bündnis der lonier zu verlassen — die Samier also entschlossen
sich, zugleich weil sie große Unordnung auf Seiten der
lonier herrschen sahen, die Vorschläge anzunehmen, zugleich
erschien es ihnen unmöglich die Macht des Königs zu über-
winden". — Nicht soviel Mühe bereitet uns Cäsar, wenn er
einmal in ähnlicher Lage sich zwischen unangenehmen Wahr-
heiten hindurchwindet, VI 36, wo er einen Mißgriff des Quintus
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. Q
82 VI. Übersetzen oder erklären?
Cicero großmütig zu entschuldigen sucht; er bleibt immer ,der
sichere Meister der Sprache, nur Einfachheit und Durchsichtigkeit
seines Stiles leiden Einbuße. Aber der Fehler ist hier so
charakteristisch, daß Köchly gewiß nicht recht getan hat ihn
ganz zu beseitigen, indem er die Periode in fünf bequem
übersichtüche Teile zerlegt. Wir kommen bei späterem Anlaß
auf die Stelle zurück.
(A.) So entschieden wir bisher jeden Versuch abgelehnt
haben, durch die Übersetzung den Eindruck größerer Klarheit
zu erreichen als das Original selbst ihn macht, so müssen wir
doch zugeben, daß es Fälle gibt, in denen ein solcher Unter-
schied gar nicht vermieden werden kann. An einzelnen, heute
reicher entwickelten Begriffen ist dies schon in dem Kapitel
über Synonyma gezeigt worden (S. 551); nicht minder häufig
kommt es im syntaktischen Gebiete vor. Schon die Wahl
zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel bringt in jede
Übersetzung aus dem Lateinischen einen Unterschied, der dem
Original fehlt; es müßte denn sein, daß dort die Unbestimmtheit
mit Hilfe des Plurals angedeutet war, wie (pro Sulla 2, 6)
etiam nocentes deserendos non esse, „auch einen Schuldigen dürfe
man nicht im Stich lassen". Die Zeitstufen ferner werden in
unserer Sprache schärfer auseinander gehalten als z. B. in der
homerischen. Zu den Belegen dafür gehören nicht oöx diei? a 298
oder S-^etc t] 49; denn auch wir können hier das Präsens ge-
brauchen und verstehen, wenn wir einem Bekannten begegnen
und ihn anreden: „ich höre daß du krank gewesen bist", oder
wenn wir bei einem Besuch vom Diener den Bescheid erhalten:
„Sie finden die Herschaften im Garten". Aber in der Erzählung
vergangener Ereignisse setzt Homer sorglos immer dasselbe
Tempus, ohne darauf zu achten, in welchem Verhältnis die
einzelnen zu einander stehen; er bezeichnet fast immer nur
ihren Abstand vom Standpunkte des Erzählers. Odysseus sagt
zur Nausikaa: ich staunte über den Palmbaum, eirel oü 7ra>
Toiov dv^Xu&ev ix 66pu Yatr)? (S 167 „da noch kein solcher
Stamm aus der Erde emporgeschossen war"); und zu ihren
k
Genauere Scheidimg der Zeitstufen im Deutschen. 83
Eltern: mich führte eine Gottheit nach der fernen Insel, iizei
fioi v^a 8oY]v dp7^Ti xepaüvij) Zsüc i\dooL^ iniacae (t) 249 f.
„da mir Zeus das Schiff zertrümmert hatte"). Wenn wir in
solchen Fällen auch deutsch einfach das Präteritum anwenden
wollten anstatt des uns natürlichen Plusquamperfekts, so würden
wir einem Maler gleichen, der auf die Kunst der Perspektive
freiwillig verzichtete und eine Landschaft in der kindlich un-
beholfenen Weise früherer Zeiten so darstellte, daß Bäume,
Häuser, Menschen alle gleich groß und gleich deutlich gezeichnet
würden, als wären sie alle gleich weit vom Betrachter entfernt'®).
Am ärgsten wird die Undeutlichkeit da, wo in die Erzählung
ein längerer Bericht über Dinge, die weiter zurückliegen, ein-
geschaltet ist, wie 1 533 ff. die Vorgeschichte des kalydonischen
Krieges. Diese Behandlungsweise berührt uns so fremdartig,
daß sie Verständnis und Genuß stört, und wir sind um so
mehr berechtigt sie beim Übersetzen zu ändern, als wir damit
doch nur einen Teil der Hilfe ersetzen, die den Zuhörern des
Sängers durch Betonung und Gebärdenspiel gewährt wurde. Auch
in späterem Griechisch wird es oft vorkommen, daß ein Aorist
oder Imperfekt im Nebensatz oder in einer nebensächlichen An-
gabe durch ein deutsches Plusquamperfektum wiedergegeben
werden muß. Eine interessante Aufgabe stellt dem Übersetzer
Thukydides' Bericht über die ersten verräterischen Versuche des
Pausanias. Dieser ganze Abschnitt (I 128, 3 — 131, 1) steht ge-
wissermaßen im Plusquamperfekt, da er, zurückgreifend, in die
Erzählung späterer Ereignisse eingeschoben ist; es wäre aber
auch uns lästig, das Bewußtsein hiervon drei Kapitel hindurch
streng festzuhalten: so werden wir uns begnügen beim Ausbiegen
aus dem ursprünglichen Gange der Darstellung und beim Wieder-
einlenken das Verhältnis der Vorzeitigkeit zu markieren
(128 sösp^eotav irpÄtov xatsöexo, 131 dvexaXeoav), was dazwischen
steht aber schlicht erzählen, als etwas einfach Vergangenes.
Das ganze System der griechischen Tempora beruht eben
auf einer wesentlich anderen Denkweise als das der deutschen
und der lateinischen 8^). Dem Griechen war, wenn er erzählte,
6*
i^ VL Ütenetzm oder erküren?
dBH Wichtigste die Art der Handlung. Die Stofe der Vergangen-
heit kam nur da zum Ausdruck, wo das Augment eintrat; und
gar flas zeitliche Verhältnis zwischen mehreren yergangenen
Handlungen blieb fast immer unbezeichnet, so daß der Hörer
oder Ix^ser aus dem sachlichen Zusammenhang erst schließen
mußte, wie die Ereignisse auf einander gefolgt waren. Aus
diesem Orunde ist es nicht richtig Participia des Aoristes ohne
weiteres mit ^nachdem"" aufzulösen. Bei der Xenophon-Lekttire
in Tertia wird sich das kaum vermeiden lassen; sobald aber
Homer eintritt, sollte man die Beispiele, die er bringt, benutzen,
um den Schülern den wahren Sachverhalt klar zu machen.
Wenn der Bettler zu den Hirten sagt (g 463): eöcotfisvo? -i
Irtoi Ipiio^ so meint er: „ein Wort des W^unsches will ich
äußern^; kein Gedanke daran, daß das Wünschen dem Aus-
sprechen vorhergehe. Athenens Aufforderung an Laertes —
(0 518 f.: e6£a(xevoc xoüpiji YXaüxcGTrtSt xal Ali iraTpl al^a fid>.'
d)ji77CiraX(l>v Ttpotet SoX^tx^oxiov ?y/o? — läßt sich schon eher
so verstehen, daß er erst beten, dann schleudern soll. Und
ganz sicher ist eine Reihenfolge der Handlungen beabsichtigt,
wenn Alkinoos dem Herold befiehlt, noch einmal die Becher zu
füllen, o^p' eö^dfievoi Atl Traxpl t6v Setvov TrlpiTrco^jLev (v 51).
Dali Fälle der letzten Art die häufigsten sind, zumal in erzählender
Prosa, ist natürlich; da erwächst eben aus dem Verhältnis der
Tatsachen der Sinn der Vorzeitigkeit. Im Aoriststamm ist
nichts davon ausgedrückt. — Im Gegensatz zu dieser Sorglosig-
keit ist im Lateinischen gerade das gegenseitige Verhältnis der
Zeiten besonders fein ausgebildet und abgestuft, so daß man
überrascht ißt, wenn vereinzelt eine Zeitsetzung begegnet, die
der griechischen ähnlich sieht. Bei Livius lesen wir (II 1, 2):
Ubcrtas ut laetlor esset, proxumi regis superbia fecerat; nam
priores ita regnarunt, ut omnes deinceps conditores partium certe
urbis numerentur, bei Cicero (in Verr. act. I 5, 14): iste praetor
monumenta anttquissima etiam nostrorum imperatorum, quae
victorvs civitatibus Siculis aut dederunt ant reddiderunt,
spoliavit nudavitque omnia^% Da müssen wir denn das Plus-
Participia. Modus im abhängigen Satze. 85
quamperfekt vermeiden, weil der Schriftsteller es absichtlich
vermieden hat, mag auch der Sinn seiner Absicht nicht überall
so klar zu Tage liegen wie an diesen beiden Stellen.
Auch in der Bezeichnung des Modus ist die deutsche Sprache
unter bestimmten Verhältnissen genauer als die lateinische
und vollends als die griechische. Wenn wir einen lateinischen
Acc. c. Inf. durch einen daß- Satz ausdrücken, so sind wir ge-
zwungen in diesem entweder den Konjunktiv oder den Indikativ
zu setzen, also einen Unterschied des Gedankens zu bezeichnen,
der in der Unbestimmtheit des lateinischen Infinitivs verschwand.
Das macht den Schülern oft Schwierigkeit. Verl simile non
est odio fuisse parenti filium sine causis multis et magnis et
necessariis. rursus igitur eodem revertamur et quaeramus, quae
tanta vitia fuerint in unico fiiio, quare is patri displiceret, at
perspicuum est nulluni fuisse, (pro Roscio Amer. 14, 40 f.) Man
meint, der Gedanke sei nicht mißzuverstehen. Trotzdem gab
ein Teil der Klasse in schriftlicher Übersetzung: „unwahrschein-
lich, daß der Sohn gehaßt wurde; klar zu sehen, daß er
keinen (Fehler) gehabt habe" — verteilte also Indikativ und
Konjunktiv dem Sinne gerade entgegengesetzt. Im Griechischen
kommen wir gar in die Lage den Modus eines abhängigen Aus-
sagesatzes nicht nur zu deuten, sondern zu korrigieren. Aller-
dings nur in der Übersetzung, nicht im Texte! Wenn Herodot
(Vn 218) erzählt, die Phoker, die den Bergpfad schützen sollten,
seien vor den Persern geflohen iTrioTafAsvoi cüc I-kX o'fsa? 6p-
jiT^ftTjoav «ip/T^v, so werden wir uns hüten mit Stein 6p[jL7]ftet7]-
oav zu schreiben, deutsch aber sagen: „in der Meinung, daß
sie von vornherein das Ziel des Angriffs gewesen seien". Der
Krüppel bei Lysias verteidigt sich gegen einen Vorwurf seines
Anklägers (24, 15): U^zi, wc ußptoTi^c sijjLi xal ßtaio?. Man
würde den schlauen Patron auf die geistige Höhe des Gerichts-
dieners Holzapfel in Shakespeares Komödie herabdrücken, wenn
man ihm ein „daß ich bin" in den Mund legen wollte.
Auch wo die griechische Sprache ein Mittel der Unter-
scheidung besitzt, macht sie nicht immer Gebrauch davon.
86 ^I* Übersetzen oder erklären.
Sokrates verlangt (Memor. I 1, 9), man solle die Götter nicht
ohne Not bemühen, sondern selber lernen, S fjia&ovTac ttoisTv
iScoxav o! fteot: vollkommen verständlich. Aber unmittelbar
vorher hieß es: Saifiovav toü^ fiavieüojjievoüc S xoT? dv&po)-
irotc IScoxav o! 8sol jxa&oüoi Biaxpiveiv. Solche Attraktion
ist ja etwas sehr Geläufiges, aber doch im Grunde ein logischer
Fehler; denn der im Participium zusammengedrängte Gedanke
gehört zum Infinitiv (Siaxptveiv) nicht in den übergeordneten
Satz (toic dv&ptüTTOt? eScoxav o£ 8so0- Diese Abweichung
dürfen wir nicht mitmachen, sonst würde der Sinn zerstört
werden: nicht „nachdem sie gelernt hatten** sondern „nachdem
sie gelernt hätten"; oder freier: „was die Götter den Menschen
ermöglicht haben auf Grund selbsterworbener Einsicht zu unter-
scheiden". Gerade Participia verlangen oft beim Übersetzen
eine Vervollständigung dessen, was im Original ausgedrückt ist
— nicht nur, wovon vorher die Rede war, hinsichtlich des Zeitver-
hältnisses, sondern überhaupt — dadurch, daß sie in Nebensätze
verwandelt und also gedeutet werden, je nachdem wir sie mit einer
temporalen, kausalen, konzessiven Konjunktion umschreiben.
Und dabei macht sich ein weiterer Vorzug des deutschen Aus-
druckes geltend: indem wir einen passivischen Ablat. absol. durch
einen aktivischen Satz wiedergeben, bezeichnen wir die handelnde
Person, die der Lateiner aus der Situation hinzudenken ließ.
Die lateinische Redeweise ist auch hier knapper, aber die deutsche
ist dem Mißverständnis weniger ausgesetzt. Der Übersetzende
kann gar nicht anders als etwas von Erklärung hinzutun.
Durch solche Ausnahmen wird die allgemeine Regel, man
dürfe beim Übersetzen nicht klüger sein wollen als der Autor
selbst, nicht umgestoßen. Übrigens wird der Lehrer um so
lieber gelegentlich bei ihnen verweilen, weil dadurch dem Irrtum
vorgebeugt wird, als seien die alten Sprachen unter allen Um-
ständen und in jeder Beziehung die vollkommneren. Das nächste
Kapitel führt uns nun wieder an einen Punkt, .in dem wir ihre
Überlegenheit anerkennen müssen.
VII.
Wortstellung.
Ordlnis haec virtus erit et venus, aut ego fallor,
Ut iam nunc dicat iam nunc debentia dlci.
Horaz.
„Unsere deutsche Sprache kann zwar die homerischen
„Beiwörter meistens in ebenso kurze gleichgeltende Beiwörter
„verwandeln, aber die vorteilhafte Ordnung derselben kann sie
„der griechischen nicht nachmachen. Wir sagen zwar ,die
„runden, ehernen, achtspeichigen* aber ,Räder* schleppt
„hinten nach. Wer empfindet nicht, daß drei verschiedene
„Prädikate, ehe wir das Subjekt erfahren, nur ein schwankes,
„verwirrtes Bild machen können? Der Grieche verbindet das
„Subjekt gleich mit dem ersten Prädikate, und läßt die andern
„nachfolgen; er sagt: ,runde Räder, eherne, achtspeichige*. So
„wissen wir mit eins, wovon er redet, und werden, der natür-
^lichen Ordnung des Denkens gemäß, erst mit dem Dinge, und
„dann mit seinen Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vorteil hat
„unsere Sprache nicht**. So schrieb 1766 Lessing im Laokoon
(XVni) ; heute wäre das Urteil nicht mehr ganz richtig. Man
kann in diesem Punkte recht deutlich den Einfluß beobachten,
den durch Voß und Goethe hindurch Homer auf die Bildung
unsrer Muttersprache geübt hat. Es gibt Leute, welche den
Erfolg für einen schädlichen halten*^), und sie können sich
ja nun auf den Ausspruch eines namhaften Philologen be-
rufen. Wilamowitz beklagt es (Hippel. S. 8), daß in „Hermann
und Dorothea" die Wirkung des „echt homerischen Geistes"
durch „den falschen homerischen Rock" beeinträchtigt werde.
88 Vn. Wortstellung.
In Wahrheit wird es nie gelingen beide von einander zu trennen.
Das, was uns in Goethes Gedicht homerisch anmutet, die ganze
behaglich breite Denkart, die sich in freundlich teilnehmender
Betrachtung der Menschen und Dinge gehen läßt, ist ihrem
Wesen nach mitbestimmt durch gewisse Eigenheiten der Sprache
in Ausdruck, Wortfügung, Satzbau, die eben an Homer an-
klingen; und diese wieder könnten so nicht bestehen ohne das
bequeme daktylische Versmaß, dem sie sich wie von selber
einschmiegen. Dies im ganzen zu beweisen würde eine eigne
Untersuchung erfordern; hier ist nur von der Stellung der
Epitheta die Rede. Wendungen wie diese: „setzten sich auf
die Bänke, die hölzernen, unter dem Torweg" (I 66), oder:
„die ein Haus nur verbirgt, das wohlversehne** (I 114), oder:
„bracnte die Schinken hervor, die schweren" (II 77) wären noch
vor hundert Jahren als undeutsch empfunden worden; durch
Goethe sind sie deutsch geworden. Wir haben keinen Grund
solche Bereicherung unsrer Sprache zu verschmähen.
In der Schule ist man umgekehrt in Gefahr sie zu miß-
brauchen. Es gibt viele Schüler, und es mag wohl auch
Lehrer geben, die sich für verpflichtet halten jedes Substantiv
mit seinem Beiwort in der Reihenfolge wiederzugeben, wie sie
bei Homer stehen: „unter der Halle der tönenden, ein Schwert
ein zweischneidiges, die beiden Augen die schönen". So wird
das, was als gelegentlicher Schmuck dem Ohre wohltun könnte,
durch pedantische Regelmäßigkeit unerträglich gemacht; man
versuche nur einmal Verse wie v 195 f. nach diesem Muster
zu übersetzen: dTpaTrixot ts BiTjvexsec Xifisvsc xe Tcavopfiot
itsTpai t' T^Xtßaxoi xal oevopea zrikeMovza. Wo der Anschluß
an die Wortstellung des Originals angebracht sei, wo nicht, muß
im einzelnen der Takt entscheiden; doch läßt sich auch mit einer
allgemeinen Erwägung zu Hilfe kommen. Der Gang des Denkens,
den Lessing beschreibt, daß wir erst die Hauptvorstellung mit
unsrer Phantasie erfassen, dann nachträglich ihre einzelnen
Eigenschaften kennen lernen, wird sich am leichtesten da voll-
ziehen, wo jene von vornherein mit einem etwas stärkeren
Substantiv und Attribut. — Künstlerische Gruppierung der Worte. 89
Gewicht auftritt; und dies ist der Fall, wenn eines der Epitheta,
von den übrigen gesondert, dem Substantiv voraufgeht, oder
wenn das Substantiv von seinen Attributen durch mehrere
Worte getrennt ist. So a 96 f.: uttö icooalv ISrjoaio xaXä
Tcibika dfißpooia /püoeia, oder F 330 f.: xvTf]fi.i8a? ji^v Trp&xa
icepl xvT^fjLTQoiv eft7]X8V, xdkd<;y dp-yopsoiotv iiriocpüptoi? dpapuiac.
In solchen Fällen kann man getrost von der an sich gesetz-
mäßigen deutschen Wortfolge abweichen.
Denn das ist ja überhaupt der Vorteil, den wir vorläufig
noch vor anderen lebenden Völkern haben, daß die Flexion in
unsrer Sprache noch nicht ganz abgestorben und es deshalb
nicht so wie etwa im Englischen und Französischen notwendig
geworden ist, die Funktion eines Wortes innerhalb des Satzes
durch den Platz anzudeuten, den man ihm anweist *2). Einen
Vers wie Aen. VII 340: arma velit poscatque simul rapiatque
iuventus können wir genau nachbilden: „Waffen wünsche und
fordre zugleich und raffe die Jugend". Die Schüler sind nicht
sehr geneigt sich diesen Vorzug zu nutze zu machen; sie achten
mehr auf das syntaktische Verhältnis der Worte als auf ihre
künstlerische Gruppierung und übersetzen citus modo modo tar-
das progressus (Sallust Catil. 15, 5) „sein Schritt bald schnell
bald langsam"* anstatt „schnell bald bald langsam sein Schritt",
oder bei Vergil (Aen. IV 134) ostroque insignis et auro steif und
langweilig: „mit Purpur und Gold geschmückt"; und doch hat
Scheffel, als er die fröhlichen Gesellen in Heidelberg „an Weis-
heit schwer und Wein" nannte, gewiß nicht an lateinische Vor-
bilder gedacht, also eben deshalb klar bewiesen, daß solche
Verschränkung der Satzteile auch uns nicht unerhört ist. Wenn
Xenophon die Erinnerung an ein begangenes Unrecht der Ver-
sammlung, in der er spricht, tropfenweise zumißt (Anab. V 7, 19):
xol oi av6p8? dTToftvi^oxoüoi Tpsi? ovts? o£ Trpeoßsic xataXeü-
o8£vxe?, so müssen auch wir seiner Absicht folgen: „und die
Männer werden getötet — drei waren es, die Gesandten —
durch Steinigung". Zuweilen gelingt es, durch eine kleine
Freiheit in der Konstruktion eine Anordnung der Begriffe zu
90 VII. Wortstellung.
retten, die auf den ersten Blick fürs Deutsche verloren schien.
Die horazische Strophe (I 12, 33 ff.): Romulum post hos prius
an quietum Pompili regnum memorem, superbos Tarquini fasces,
dubito, an Catonis nobile letum^^), verliert ihre Anmut, wenn
das regierende dubito voran- oder nachgestellt wird. Nun aber
bilden wir: „Soll ich nach diesen den Romulus zuerst oder die
friedliche Herrschaft des Pompilius erwähnen, die stolzen Fascen
des Tarquinius (unschlüssig bin ich) oder den ruhmreichen Tod
des Cato?** — und haben die wirksame Hervorhebung des
Schwankens inmitten der mit einander streitenden Ziele gewahrt.
Dergleichen Züge zu verstehen und nachzuzeichnen wird
unsern Schülern immer schwerer werden, je mehr sie unter dem
Druck des jetzigen Lehrplanes gezwungen sein werden, die ein-
zelnen Stücke eines Satzes, den frühere Generationen mit einem
Blicke überschauten, mühsam konstruierend zusammenzusuchen.
Trotzdem, oder vielmehr um so eifriger, wollen wir uns
bemühen ihren Sinn zu schärfen^). Die Stellen, an denen
rhetorische Wirkungen am häufigsten gesucht werden, sind
Anfang und Schluß; aber auch die Folge der Begriffe und
Gedanken im Innern einer Periode kann bedeutend sein. Daraus
ergeben sich von selbst die Gesichtspunkte für unsere Be-
trachtung.
1. Vorab ist anzuerkennen, daß natürlich nicht jedes Wort,
das im Original den Satz eröffnet, auch in der Übersetzung an
diesen Platz gehört. Die Gewohnheit der Römer, ein Pronomen
oder Pronominaladverb (is, inde, haec, huc, qui, quem, ubi),
das sachlich an den vorhergehenden Satz anknüpft, auch formell
die Vermittlung übernehmen zu lassen, können wir ohne Zwang
nicht nachahmen und haben keinen Grund uns darum zu
bemühen. Ebenso wenig sollen wir die Negation, die in neque
und o56e steckt, gewaltsam an der Spitze des Satzes festhalten.
Die Schüler haben gerade hierfür, soweit meine Erfahrung reicht,
eine wahre Leidenschaft und übersetzen i 64 (o6 8' apa [lot
TrpoTspo) xtJ^) : «Doch nicht fuhren mir die doppeltgeschweiften
Schiffe weiter", oder Sallust Catil. 26, 2 (neque Uli tarnen ad
Der AnfaDg des Satzes. 91
cavendum dolus aut astutiae deerant): „auch nicht jenem jedoch
fehlten . . ." Offenbar meinen sie, weil 068I in der Regel und
neque immer ein Wort bildet, so müßten „und nicht" oder
„aber nicht" auch im Deutschen vereinigt bleiben. Mit Mühe
macht man ihnen klar, daß die Negation nur formell von der
satzverbindenden Partikel M oder que angezogen worden ist,
also durch die Stellung am Anfange gar nicht hervorgehoben
werden soll. Und wo nun wieder dies der Fall ist, wo wirklich
ein Wort als stark betontes den andern vorangestellt ist, da
kann man 10 gegen 1 wetten, daß sie es nicht merken und
durch nüchtern grammatische Wortfolge den Eindruck verderben.
Noch in Prima begegnet dies, wo doch die Mittel der Um-
formung, auf die schon vorher hingewiesen wurde, geläufig
sein müßten, und in der lebhaften Wechselrede eines platonischen
Dialoges; z. B. Gorg. p. 448 C: 'laipiv apa (paoxovtec aöt^v
elvat xakS>q äv iXi-pfiev; „Einen Arzt also müßten wir ihn
nennen um richtig zu sprechen?" Wie hier Haupt- und Neben-
satz vertauscht werden, so ein andermal Aktiv und Passiv.
Horazens Gedanke (a. p. 47 f.) : notum si callida verbum reddi-
derit iunctura novum, würde, wörtlich übertragen, unklar werden :
„wenn ein bekanntes Wort eine geschickte Verbindung neu
gemacht hat". Was soll man opfern, die grammatische Kon-
struktion oder die logisch wirksame Gruppierung der Begriffe?
Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, und danach die Über-
setzung: „wenn ein bekanntes Wort durch geschickte Verbindung
neu geworden ist". Hier zeigt sich beim Beginn und am Ende
die stilistische Absicht. Ebenso in der Erzählung von dem
Wunder, dessen Gegenstand Horaz als Knabe gewesen sein
will (III 4, 9 ff.) : „Mich haben fabelhafter Weise auf dem Voltur
in Apulien, jenseits der Schwelle meiner Amme, als ich von
Spiel und Schlaf überwältigt lag, mit frischem Laube Tauben
den Knaben bedeckt" ; durch das vorangestellte fabulosae wird
etwas Unglaubliches angekündigt, und dann bis zuletzt die
Spannung erhalten, wer denn hier tätig eingegriffen habe.
Besonders wichtig ist die Wortstellung bei Homer, wo sie
92 VII. Wortstellung.
der Gliederung des Gedankens Dienste leistet, die in reiferen
Sprachen durch die syntaktische Form versehen werden. Das
erkannte Goethe, der in einem „Rezept" für das Studium dieses
Dichters*^) schreibt, die Konstruktion sei im Homer „reinste
Bilderstellung". Daher sind bei ihm noch zahlreicher als sonst
die Fälle, in denen der Begriff, der den Satz beginnt, seinen
Platz behaupten muß, wenn der Gedanke nicht leiden soll
Dem Gegensatz dient die Voranstellung p 286. Der Bettler
hat auf eine wohlgemeinte Warnung des Sauhirten soeben er-
klärt, daß er gegen Schläge und Würfe abgehärtet sei, also
geduldig ertragen wolle, was ihm etwa auch hier Böses wider-
fahre: ^aoiepa S' o5 irco? eoriv dT:oxp6({/ai {xe^iauiav, „nur den
Magen zu verbergen ist unmöglich, den gierigen". Anderwärts
knüpft das vorgezogene Wort in Übereinstinmiung an das Vor-
hergehende an; so beginnt Achilleus einen neuen Teil seiner
kraftvollen Absage mit den Worten (I 378): i^^pA 5e [loi xoö
85) pa, Tio) 8s [iiv iv xap6c 0Li<rq, „verhaßt sind mir auch seine
Geschenke". Ähnlich nachher in der Entgegnung des Phönix,
wo wir eine Umschreibung zu Hilfe nehmen müssen um die
Reihenfolge zu behalten. Er hat hervorgehoben, welche glänzende
Genugtuung Agamemnon dem Beleidigten biete, und fügt hinzu
(520 f.): av8pac 8fe A^iooeoftai lirnrpO£T)xev dpiotoüc xptvotjjLevo? xaxd
Kahy *Axattx6v, „auch die Männer, die er hergesandt hat zu bitten,
sind die besten, auserlesen aus dem Volk der Achäer". Zuweilen
deutet die Stellung einen Gedanken an, den die uns geläufige
Sprache durch einen besonderen Satz ausdrücken würde. Wenn
Telemach erst allgemein von einem neuen Leid gesprochen hat,
das sein Haus befallen habe, und nun (ß 50) erklärt: ji^jt^pi jiot
fjLV7]OT7]pe? dir^Xpaov o&x e[>eXo6oT(j, so würde ein heutiger Redner
sagen: „es handelt sich um meine Mutter". Und wo Eury-
machos dem Bettler spottend eine Stelle in seinem Dienste an-
bietet und die Bemerkung dazwischen wirft (o 358): jjiio^ög hi
TOI apxio? lotai, da empfinden wir den Übergang: „was Lohn
betrifft, den sollst du reichlich haben". Dergleichen moderne
Schnörkel werden wir in die Übersetzung nicht einführen; aber es
Homer. Nachgestellte und schließende Worte. 93
ist gut sich ihrer zu erinnern, um das Gewicht richtig zu wür-
digen, das die Voranstellung eines Wortes bei Homer hat.
2. Ebenso sehr, nur in ganz anderm Sinne, lebendig ist die
Wirkung, die dadurch erreicht wird, daß ein wichtiger Begriff
dem andern nachfolgt. Alkinoos fordert die Seinen und den
Gast auf (ö 100): vüv 8' IJsX&cofiev xal de&Xcov ireipTj&ajiev,
und man meint mit anzusehen, wie er sich besinnt und hinzu-
setzt: TrdvTcov, &? y^ 6 Jeivoc ivtoTq] oFot cpfXotoi xtX. Den
ganzen Eindruck verdirbt, wer übersetzt: „wir wollen uns in
allen Kampfspielen versuchen". Ähnlich y 54 f., wo nach
Antinoos' Fall Eurymachos für sich und die andern um Gnade
bittet: vöv 8' 8 jxfev h jiotpio irecpaTai, ob 8^ cpeiSeo XaÄv oiov.
Das ist es ja, was uns in Homers Gedanken so menschlich ver-
traut anspricht, daß sie nicht fertig vorgelegt werden, sondern
vor unsem Augen sich bilden. Die metrische Gliederung hilft
dazu mit, indem sie jeden Hexameter zunächst als ein Ganzes
für sich auffassen läßt; aber auch innerhalb eines Verses können
wir oft das Denken des Sprechenden beobachten, wie es eine
Weile in der Schwebe bleibt, um zuletzt einen festen Punkt zu
gewinnen. Achill sendet seine Mutter zu Zeus, um ihn zu bitten
(A408f.): ai xev ir«)? I&sXtooiv IttI Tpt&sooiv dpTJjat, tob? h\
xatA irpüfjLVctc TS xal djjLcp' aXa eXaat 'A}(aioü?. Undenkbar,
daß wir verstehen sollten: „die Achäer aber an den Schiffen
und am Meer zusammenzudrängen"; der Held denkt viel zu
verächtlich von ihnen, als daß er sie gleich nennen möchte:
von „den andern" spricht er, und fügt zuletzt widerwillig den
Namen hinzu. Daß diese Wortfolge nicht auf den Ausdruck
der Geringschätzung beschränkt ist, braucht wohl nur erwähnt
zu werden; sie ist auch nicht auf Homer beschränkt. Aique
hie Priamiden laniatum corpore toto Deiphobum vidit, erzählt
Vergil (VI 494 f.) und läßt den Hörer erst nachdenken, wen
seine Schilderung meine; das darf auch ein Sekundaner nicht
verkennen und etwa sagen: „Hier sah er Priamus' Sohn Dei-
phobus, am ganzen Körper zerfleischt". Oft werden wir, um
unsrer Sprache nicht Gewalt anzutun, den Begriff der kommen
94 Vn. WortsteUung.
soll durch ein Pronomen im voraus andeuten; so bei Horaz
(in 1, 38 ff.): neque decedit aerata triremi et post equitem sedei
atra cura, „und sie weicht nicht von der erzbeschlagenen Triere
und sitzt hinter dem Reiter, die schwarze Sorge". — Daß auch
in Prosa dem Schluß des Satzes ein ähnliches Gewicht bei-
gelegt werden kann, zeigt wieder, der Lebendigkeit des wirk-
lichen Gespräches treffend nachgebildet, die Sprache Piatons.
Aus zusammenhängender Rede bietet ein lehrreiches Beispiel
Cicero (pro Murena 6, 13): Tempestivi convivü, amoeni hei,
multarum deliciarum comes est extrema saltatio. Wer noch
mit Subjekt und Prädikat zu schaffen hat, übersetzt bedächtig:
„Der Tanz ist der letzte Begleiter eines früh beginnenden Ge-
lages"". Der Redner meinte ganz etwas anderes: „Zu einem
früh beginnenden Gelage, einem anmutigen Platz, einer Fülle
von Genüssen gesellt sich zuletzt der Tanz". Am meisten weiß
wohl Tacitus durch geschickte Gruppierung zu wirken. Wie
die Religion der Germanen beschrieben wird (Genn. 9): lucos
ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum
illud, quod sola reverentia vident, übersetzt Döderlein im Aus-
druck vortrefflich, aber mit veränderter Wortfolge. Wir stellen
sie wieder her und sagen: „mit Götternamen rufen sie jenes
geheimnisvolle Wesen an, das nur ihr anbetender Geist schaut".
Der lateinische Satzbau weicht im allgemeinen darin vom
deutschen ab, daß er das Verbum finitum ans Ende schiebt.
In der Regel werden wir einfach darauf verzichten dies nach-
zuahmen, z. B. Liv. XXXI, 8, 11 (consules duas urbanas legiones
scribere iussi, quae, si quo res posceret, multis in Italia contactis
gentibus Punici belli societate iraque inde tumentibus, mitterentur)
ohne Bedenken übersetzen: „welche abgeschickt werden sollten,
wenn die Umstände es irgendwo forderten". Aber nicht ganz
selten liegt noch ein besondrer Sinn darin, daß das Verbum
zuletzt steht, mag es nun das Resultat einer längeren Erwägung
bringen oder durch einen vorbereitenden Gegensatz hinaus-
geschoben sein oder durch begleitende Begriffe, von denen man
es nicht gern trennen möchte, am Ende festgehalten werden.
Hauptverbum auch deutsch ans Ende bringen. 95
Da muß man denn auf Mittel sinnen, es auch im Deutschen an
seinem Platz zu lassen. Sallust schreibt Catil. 8, 1 : Sed pro-
fecto foriuna in omni re dominatur; ea res cunctas ex lubidinu
magis quam ex vero celebrat obscuraique. Die beiden Verba
müssen zusammen bleiben; daher nicht etwa: „dies verherrlicht
alle Ereignisse mehr nach Willkür als nach der Wahrheit und
verdunkelt sie", sondern: „dies ist es, was" oder noch besser,
weU einfacher: „dieses stellt alle Ereignisse mehr nach Willkür
als nach der Wahrheit ins Licht und ins Dunkel". Die Um-
biegung in einen abhängigen Satz, an die schon hier gedacht
werden konnte, erweist sich nützlich z. B. in der Rede des
Cremutius Cordus (Tacit. Ann. FV 35), der sich im Senat wegen
seiner Verherrlichung des Brutus und Cassius verteidigt: Num
armatis Cassio et Bruto ac Philippenses campos obtinentibus belli
civilis causa populum per contiones incendo? an Uli quidem,
septuagesimum ante annum perempti, quomodo imaginibus suis
noscuntur, quas ne Victor quidem abolevit, sie partem memoriae
apud scriptores retinent? Die Gegenüberstellung quomodo — sie
verlangt dringend, daß nicht angefangen werde: „oder behaupten
jene"; statt dessen etwa: „oder ist es nur an dem, daß jene,,
vor 70 Jahren umgebracht, wie sie aus ihren Bildern erkannt
werden, die auch der Sieger nicht beseitigt hat, so ein Stück
Nachleben bei den Schriftstellern behaupten?" Hier ist denn
auch die Gelegenheit, um von phraseologischen Verben den
schon angekündigten Gebrauch zu machen: indem man ein
„wußte" oder „vermochte" oder „suchte" voraufnimmt, genügt
man der Forderung des deutschen Stiles, behält aber zugleich
im Infinitiv den Hauptbegriff an seiner schließenden Stelle. So,^
wenn Tacitus die Bestattung der mit Varus Gefallenen durch
Germanicus schildert (Ann. I 62): Igitur Romanus qui aderat
exercitus sextum post cladis annum trium legionum ossa, nullo
noscente alienas reliquias an suorum humo tegeret, omnes ut
coniunctos ut consanguineos, aucta in kostem ira, maesti simul
et infensi condebant; „so mußte das römische Heer, das zur
Stelle war, sechs Jahre nach der Niederlage die Gebeine voa
96 VII. WortstelluDg.
drei Legionen, ohne daß jemand erkannte ob er fremde Über-
reste oder die der Seinen mit Erde bedeckte, jeden wie einen
Verwandten, einen Blutgenossen, mit gesteigertem Zorne gegen,
den Feind, traurig zugleich und erbittert, bestatten".
Von ähnlicher Art war ein früher (S. 81) besprochenes
Beispiel aus Herodot. Dem Griechen wie dem Lateiner wurde
es leicht von vornherein die Aufmerksamkeit auf das Nach'
kommende hin gespannt zu halten; wir müssen durch Um-
schreibung helfen, deren es manchmal schon in recht kurzen
Sätzen bedarf. In der Schilderung des Wagenkampfes, bei dem
Orest gefallen sein soll, heißt es (Soph. El. 728 f.): xdvxeö&ev
äkXo^ aXXov ii ivic xaxou l&paüs xavIiriTTTS „und daher mußte
einer den andern . . . ." oder noch besser: „und daher geschah
es daß einer den andern infolge eines Unfalles beschädigte und
bedrängte". Freilich kann es auch vorkommen, daß die Um-
formung gerade verkehrt wirken würde. Sed si tantus amor
casus cognoscere nostros et breviter Troiae supremum audire
laborem, quamquam animus meminisse horret luctuque refugit,
incipiam: so Äneas bei Vergil II 10 ff. Wir könnten den Nach-
satz beginnen: „so will ich, obgleich mein Herz bei der Er-
innerung schaudert, ...."; aber das meint der Dichter
nicht: erst im letzten Augenblick soll der Held den Einschluß
sich abringen. Wir bilden deshalb aus dem Satze mit quam-
quam eine Parenthese, unterdrücken durch ihr Eindringen den
Nachsatz zu si tantus amor imd lassen zuletzt das Zugeständnis
im Gegensatz zu der widerstrebenden Empfindung hervor-
brechen: „aber wenn deine Begierde so groß ist unser Schick-
sal zu erfahren und kurz von Trojas letztem Ringen zu hören
— zwar schaudert das Herz bei der Erinnerung und hat sie
bisher trauernd gemieden — doch es sei".
3. In diesem Satze handelt es sich im Grunde nicht bloß
um den Schluß, sondern auch schon um die Reihenfolge der
ihn vorbereitenden Gedanken; und dies führt uns auf den letzten
Punkt, der hier zu besprechen ist. Wenn das Denken der
Wirklichkeit entsprechen soll, so muß auch sein Fortschreiten
Reibe der Ereignisse, GedankeDgaog, Wortfolge. 97
dem Gange der Ereignisse sich anschließen. Mühelos geschieht
das oft bei Homer, dem eben in der natürlichen Folge die Vor-
stellungen zufließen. Aber noch Horaz ist hierin ein Meister,
doch wohl mit Bewußtsein, wenn er z. B. in der Fabel von
den beiden Mäusen erzählt (Epist. I 7, 30 f.): pastaque rursus
Ire foras pleno tendebat corpore frustra, wo wir ohne weiteres
folgen können: „und gesättigt wieder hinauszugehen bemühte
sie sich mit vollem Leibe vergebens". Nicht anders in der
schlichten Sprache des Historikers. Wenn Livius erzählt (XXn
6, 4): spoliare cupientem triarii obiectis scutis arcuere, so heißt
das nicht „die Triarier hielten ihn, als er die Rüstung rauben
wollte, mit ihren Schilden ab", sondern: „als er . . . rauben
wollte, da hielten die Triarier . . .". Von der sachlich ange-
messenen Wortfolge sollen wir, wo sie sich bewahren läßt,
nicht abgehen. — Aber nun findet sich auch das Umgekehrte,
die einzelnen Momente gerade im Gegensatze zur Wirklichkeit
angeordnet, schon bei Homer, wie S "07 f.: cp ts Kpovtcuv oXßov
iittxXcuoiQ ^otp-sovit TS "(lYvojASVip T£, odor 723: ooooti jaoi ojaou
Tpacpev ^8' iYsvovio, und dann vollends bei späteren Dichtem.
Orestes in Euripides* Elektra (969) ruft aus: ttcuc yäp xtävcd viv,
^ \L eöps^j^s xatexsv; und in der taurischen Iphigenie (709) redet
er seinen Freund an: co Sufxüvay^ xal JuvexipacpeW ip-ot „mein
Jagdgenoß und mein Jugendgenosse". Sollen wir auch hier
der Laune des Autors folgen? Ich meine, ja, selbst wenn
es eine bloße Laune wäre; aber die Sache liegt anders.
Wir freuen uns doch, wenn ein Gelehrter uns den Weg
führt, den seine eignen Gedanken genommen haben; und
dabei geht er oft von dem der Natur nach Späteren, das
der menschlichen Betrachtung näher liegt, rückwärts zum
Ursprung. Müssen wir dem natürlichen Menschen, den
der Dichter zu uns reden läßt, oder dem naiven Dichter
selbst nicht das gleiche Recht zugestehen und ihm gerne
nachgehen, wenn er sich an seiner Erinnerung in die Ver-
gangenheit zurücktastet?
Die eigentliche Schwierigkeit fürs Übersetzen entsteht da,
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 7
98 Vn. Wortstellung.
WO die Stufen der Erzählung oder Betrachtung durch Teile
eines zusammengesetzten Satzes gebildet werden. Wenn Herodot
(VI 113) berichtet: toioi xi [lioov pijjaot aÖTcuv, ouva"yaY6vTsc
xÄ xepea, i[ia)(ovxo xal ivixcov 'AÖTjvaiot, so sind die Schüler
geneigt zu verdeutschen: „gegen die, welche das Centrum
durchbrochen hatten, kämpften die Athener, nachdem sie mit
den Flügeln eingeschwenkt waren, und blieben Sieger" ; freilich
erkennen sie dann leicht, daß die taktische Bewegung vor den
Kampf gehört, und verbessern: „gegen die, welche durchge-
brochen waren, schwenkten die Athener mit den Flügeln ein
und erfochten den Sieg". Aber das Mittel zur Herstellung der
sachgemäßen Ordnung ist nicht immer so bequem zu finden.
Xenophon schreibt Memor. I 3, 6: eJ 8e ttoxs xXY)&sk sde^osiev-
£Ttl osiTTvov IXfteiv, xoic ttXsioxok; ipY«)8£oxax6v iaxiv, Äaxs
cpüXdJao&ai zh uirep xiv xopov d[i7rt7rXao0ai, xouxo pa8ia>c 7ravi>^
icpüXaxxsxo, und es ist klar, daß wir nicht sagen dürfen: „so
hütete er sich vor dem was den meisten usw.", mit nach-
klappendem „sehr leicht". Vielmehr: erst der Anlaß, dann die
Aufgabe die aus ihm erwächst, zuletzt die Lösung. Also etwa:
„wenn er einmal eingeladen zu einem Gastmahl gehen wollte^
wo es für die meisten sehr schwierig ist darauf zu achten
daß sie sich nicht überladen, so achtete er hierauf ganz leicht".
Quae cum ita sint, si kann man oft übersetzen: „wenn unter
diesen Umständen"; aber es gibt Fälle, in denen das nicht
angeht, z. B. ad fam. Xni 50, 2: quae cum ita sint, si ullam
in amicitia mea spem habes, hoc mihi da atque largire ut M,
Curium sartum et tectum, ut aiunt, conserves. Cicero hat dem
Freimde, an den er den M'. Curius empfehlen will, sein nahes
Verhältnis zu diesem geschildert, und kann nicht fortfahren:
„wenn du unter diesen Umständen irgend eine Hoffnung auf
meine Freundschaft setzest"; denn die Umstände haben mit
dieser Annahme gar nichts zu tun, sie dienen nur der nach-
folgenden Bitte als Begründung. Wir trennen sie daher von
dem wenn-Satze und schreiben: „So hegt die Sache; wenn du
also irgend eine Hoffnung auf meine Freundschaft setzest, so
b
Zerlegung von Perioden. 99
tu mir den großen Gefallen, daß du den M'. Curius in gutem
Stande, wie man sagt, erhältst".
In den drei bisher besprochenen Beispielen war das Stück,
dem der passende Platz gesucht wurde, ein Gedankenglied; nicht
wesentlich anders stellt sich die Aufgabe, wenn ein einzelner
Begriff, etwa das Subjekt, den Stützpunkt für die stilistische
Erwägung bildet. So bei Sallust lug. 103, 2: Tum rursus
Bocchus, seu reputando quae sibi duobus proeliis venerant, seu
admonitus ab aliis amicis quos incorruptos lugurtha reliquerat,
ex omni copia necessariorum quinque deleglt, quorum et fides
cognita et ingenia validissma erant „Jetzt wieder Bocchus!
Mochte er nun erwägen . . ., oder war er . . . ermahnt: er
wählte . . .". Ein andermal wird man einen ganzen Satz
bilden, um das Subjekt loszulösen (vgl. S. 75), die andern
Satzteile in ihrer Reihenfolge zu lassen und den Eindruck
der Spannung zu erhalten. Dieser Satz kann auch eine Frage sein.
Catil. 51, 5 rühmt Cäsar die Milde, die das römische Volk
immer auch gegen Schuldige bewiesen habe: im Kriege gegen
Perseus stellte sich Rhodus auf die Seite der Gegner; sed post-
quam bello confedo de Rhodiis consultum est, maiores nostri,
ne quis divitiarum magis quum iniuriae causa bellum inceptum
diceret, inpunitos eos dimisere. Hier brachte einer meiner Schüler,
als einmal dieser Abschnitt in der Klasse schriftlich übersetzt
wurde, von selber die Form: „Aber als nach Beendigung des
Krieges über die Rhodier beraten wurde, was taten da unsere
Vorfahren? Damit niemand sagen könnte . . . ., ließen sie sie
ohne Strafe davonkommen".
Doch wir geraten wieder in Gefahr einem späteren Kapitel
vorzugreifen, dem, welches der richtigen Auffassung und
Wiedergabe lateinischer und griechischer Perioden dienen
soll. Ehe wir zu diesem letzten Gegenstand unsrer Be-
trachtung übergehen, müssen wir die ihm entsprechende
Erscheinung im Kleinen, in der Verbindung der einzelnen
Worte, aufsuchen.
j » j ., ;;• ^""o
j - > j , ^ " -
' ' 7*
vm.
Verschiebung des Gewichtes.
Der Buchstabe tötet, der Oeist at>er
macht lebendig.
Paulus.
Um eine für den Sinn wertvolle Reihenfolge der Vor-
stellungen festzuhalten, war es unter Umständen geboten die
Kasusform eines Wortes, d. h. die syntaktische Beziehung eines
Begriffes, zu ändern. Dies ist im Grunde nur ein spezieller
Fall einer viel allgemeineren Erscheinung. lunone secunda
(Aen. IV 45) tibersetzen wir „von Inno geleitet", o5 irote ^ap
9pev688v y iiz dpiatepa, iroT TeXafiÄvoc, sßac xoooov, bf
irof jivaic icftvcüv (Ai. 183 ff.) „nie gingst du so weit vom rechten
Wege ab, in die Herden zu fallen" — und ersetzen an der
einen Stelle Aktiv durch Passiv, an der andern Particip durch
Infinitiv, weil wir eine breite Umschreibung vermeiden wollen.
Beide Beispiele gehören noch dem Gebiete der Flexionslehre
an, das zweite weist aber schon hinüber in das der Wortbildung.
Denn Particip und Infinitiv sind Verbalnomina, und mit ihrer
Vertauschung geschieht nichts wesentlich anderes, als wenn der
Quintaner angehalten wird für ab urbe condita zu sagen „seit
Gründung der Stadt", oder wenn der Sekundaner audita
Cannensis clades bei Livius von selbst in „die Kunde von der
Niederlage" verwandelt. Man kann in solchen Umwandlungen
zu weit gehen. In dem Satze Ubi illam gloriam trücidantium
Crassum, exturbantium Antonium, si mancipium Caesaris, tot
per annos Servitut em perpessum, Parthis imp^ritet? (Ann. n 2)
^>J P'ÖJ)p§rä^ die Participia so tibersetzt haben, als ob
. •*-
Wortform oder Wortart beim Übersetzen geändert, 101
trucidationis exturbationis dastünde; und doch vermag unsre
Sprache dem Original zu folgen: „wo sei der Ruhm der Männer,
die den Crassus niedermetzelten, den Antonius austrieben?"
Aber recht oft werden wir allerdings genötigt sein, ein Element
des Satzes im Deutschen in eine andre Wortart überzuführen.
Viele FäUe der Art sind jedem geläufig: virtutum studia (Cic.
Cat. Mai. 8, 26) „edles Streben", omnium fama (ebd. 17, 61) die
„öffentliche Meinung", cursu aequare „mitlaufen", natura pu-
dorque mens (pro Rose. Am. 4, 9) „meine natürliche Schüchtern-
heit", temeritas et casus, non ratio nee consilium (de divin. 11
41,85) „der blinde Zufall, nicht vernünftige Überlegung"; für
facilius proniusque fuit (Sallust lug. 80,4) stellt sich bald ein:
„es war leichter und ging flotter von statten", für manu voce
vulnere sustentabat pugnam (Ann. II 17): „wie er kämpfend
rufend verwundet die Schlacht zum Stehen zu bringen suchte".
Aber es gibt auch Fälle, in denen schon einiges Nachdenken
dazu gehört, eine glückliche Umbildung zu finden. Die Worte,
welche Tacitus dem Germanenhelden in den Mund legt (Ann.
I 59): Arminium potius, gloriae ac libertatis, quam Segestem,
ftagitiosae servitutis ducem, sequerentur, möchten wir nicht gern
verwässern, sagen deshalb kurz: „sie sollten lieber dem Arminius
zu Ruhm und Freiheit als dem Segestes zu schimpflicher
Knechtschaft folgen". Wie hier die Präposition so kann oft
ein Adverb die Aufgabe erfüllen, der im Lateinischen ein Nomen
oder Pronomen dient. „Hier zuerst dem Boden zurückgegeben",
für ein lateinisches redditus his primum terris (Aen. VI 18), ist
wieder ein ganz bekannter Typus. Manchmal wird es gar nötig
sein, den Inhalt eines Wortes durch einen Satz zu umschreiben.
Wir erinnern uns an SaifAovioc, an A ttottoi („Ist es zu glauben?")
oder an die Scheltworte des übermütigen Freiers p 375, die
man neuerdings hat ändern wollen, weil sie keinen Sinn gäben:
m dpiYvtüTs oußcuTa, „daran erkennt man dich recht, Sauhirt".
Das Gemeinsame all solcher Beispiele ist von Münch und
dann wieder von Julius Keller treffend benannt worden. . ^s
besteht in einer „Verlegung von Momenten des Gedank'enaüs*
102 VIII. Verschiebung des Gewichtes.
drucks", wie der eine, in einer „Verschiebung des begrifflichen
Schwerpunktes", wie der andre sich ausdrückt. Das, was der
Erscheinung zu Grunde liegt, ist, grammatisch gesprochen, die
Verschiebung eines Abhängigkeitsverhältnisses; und vom Satz-
bau her glauben wir zu wissen, daß diese vorzugsweise in zwei
Richtungen erfolgen kann: entweder so, daß Unterordnung in
Nebenordnung, oder so, daß Neben Ordnung in Unterordnung
geändert wird. Vielleicht könnte die Herausarbeitung eines
Attributes wie dpi^vcoTe als Beispiel der ersten Art gelten, so
gut wie jede Verwandlung eines participialen Ausdruckes in
einen koordinirten Satz, während die Annahme eines §v 8iÄ
Süotv sicher der zweiten angehört: membris et mole (Aen. V
431) „durch die Wucht seiner Glieder". Aber abgesehen von
diesen leicht verständlichen und vielumfassenden Kategorien
steht es in der Mehrzahl der Fälle doch anders. Ein Kasus,
der in einen andern verwandelt wird, tritt aus der abhängigen
Stellung nicht heraus, er wechselt nur den Herrn. Ebenso ein
aktives Participium das in ein passivisches übergeht, ein
Adjektiv das zum Adverb wird, oder umgekehrt: sie bleiben
abhängig, suchen aber anderswo sich anzulehnen. Oder aber,
sie werden selbständig und übernehmen zugleich die Herrschaft
über eben den Begriff, dem sie vorher als nähere Bestimmung
dienten; post reges exactos „nach Vertreibung der Könige",
Xa&8 ßtwoai; „lebe im Verborgenen" sind bekannte Beispiele
dafür, wie Regierendes und Regiertes ihren Platz tauschen.
Fast alles, was den zu Anfang dieses Kapitels vorgeführten
Proben gleichartig oder ähnlich ist, wird sich in eine der beiden
zuletzt bezeichneten Gruppen einordnen lassen. Nachdem sie
erkannt sind, erwächst die Aufgabe, jede von ihnen etwas
genauer zu beschreiben.
1. Wir beginnen mit Fällen, in denen ein Attribut von
einem nominalen Begriff getrennt wird und sich an einen anderen
nominalen Begriff anschließt. Pedites sagulo leves schrieb Tacitus
(Serm. 6), wix übersetzen mit Döderlein: „in leichtem Feld-
AaAtelfJi./Weihn Cicero (pro Mur. 2, 3) sagt: Catoni vitam ad
Attribut und Adverb. 103
certam rationis normam derigenti, so können wir alle einzelnen
Begriffe in ähnlicher Gruppierung erhalten, nur so daß certus
mit ratio statt mit norma verbunden wird: „der sein Leben
nach dem Maßstab einer bestimmten Theorie einrichtet."
Etwas künstlicher verschlungen ist das Verhältnis zwischen
fremdem und deutschem Ausdruck etwa bei Vergils Worten
(Aen. VII 207) Dardanus Idaeas Phrygiae penetravit ad urbes,
„zu den Städten am phrygischen Ida". Und vollends frei vom
Wortlaut müssen wir ims machen, wenn wir Horazens Gedanken
partem solido demere de die (I 1, 20) erträglich verdeutschen
imd zugleich das BUd bewahren wollen: „dem Tage einen
Bruchteil rauben". — Nicht minder häufig ist der Austausch
zwischen Adjektiv und Adverb, d. h. der Übertritt eines Begriffes,
durch den im Lateinischen oder Griechischen ein Nomen näher
bestimmt wird, in die Abhängigkeit von einem Verbum, oder
auch umgekehrt. Beides zugleich wenden wir an, um die Frage
der lokaste zu verstehen (Kön. Öd. 938): Trotav Süvajiiv (58'
?ysi oiTüXrjv; „wie hat es diese doppelte Kraft?" Das Gewöhn-
lichere ist, daß wir ein Attribut in adverbiollen Ausdruck ver-
wandeln müssen. Didos Worte (IV 379) ea cura quietos
so///aYa/ übersetzte Schiller treffend: „das stört sie auf in ihrer
goldnen Ruh". Horazens fabulosae palumbes sind schon in
anderm Zusammenhange gewürdigt worden (S. 91). Es kommt
ja vor, daß wir versuchen müssen das Adjektiv zu bewahren,
wenn nämlich der nominale Ausdruck dazu dienen sollte, eine
Gestalt, eine Person anschaulich hinzustellen; davon ist früher
(S. 74) die Rede gewesen. Aber ein 5stva> 8s o? ooos cpaavOev
(A 200) ist typisch für die Leichtigkeit, mit der in der
überwiegenden Menge der Beispiele ein beschreibender Zug
verschoben werden kann: „furchtbar leuchteten ihr die Augen."
Hierher gehören auch die zahlreichen Adjektiva, namentlich
bei Homer, in Zeitangaben, die wir (logisch richtiger) auf die
Handlung des Satzes anstatt auf das Subjekt oder Objekt
beziehen: Travr^fAspioi osiov, sBoev 7:avv6j(ioc, x^^^^*^ -^Xüösc.
Auch das Subjekt kann durch einen Begriff gebildet sein.
104 VIII, YerschiebuDg des Gewichtes.
der in der Übersetzung besser zur näheren Bestimmung
des Verbums verwandt wird, wie Tacitus Ann. IV 40 : principum
diversamessesortem, quibus praecipua rerum adfamam derigenda,
„verschieden sei das Los der Fürsten, die sich in der Haupt-
sache nach der Meinung richten müßten". — Seltener ist,
worauf schon hingewiesen wurde, die umgekehrte Verschiebung,
daß ein Satzteil, der dem Verbum angeschlossen war, deutsch
als Attribut oder Prädikat zum Nomen gezogen wird. Davon
bietet Tacitus noch ein paar Beispiele: (Germ 11) audiuntur
auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate „mehr als
einflußreiche Ratgeber denn als befugte Machthaber" (Döderlein),
und (Histor. I 36): et omnia serviliter pro dominatione „kurz:
ganz Diener, um Herr zu werden".
Auch daß das Prädikatsverbum selbst seinen Inhalt hergeben
muß, um im Deutschen ein Subjektsnomen zu bilden, kommt
vor, z. B. bei Sallust Catil. 20, 2: nequiquam opportuna res
cecidisset „vergebens wäre der Zufall günstig gewesen". Wie
hier als Träger des Gedankens nur die Kopula übrig bleibt, so
kann es öfters zweckmäßig sein das Verbum auf eine bloß
formale Funktion einzuschränken und die Vorstellung, die ur-
sprünghch in ihm ausgedrückt war, in andrer Gestalt, etwa
als Adverbium, heraustreten zu lassen. Cum barbaris aeternum
Omnibus Graecis bellum est eritque, schreibt Livius (XXXI 29, 15) ;
„mit Barbaren haben alle Griechen ewigen Krieg, jetzt und
künftig". In Vergils Worten (VIII 20 f.): atque animum nunc
huc celerem nunc dividit illuc in partisque rapit varias perque
omnia versat, müssen wir wohl zu diesem Mittel greifen, wenn
der Begriff von dividere nicht ganz aufgegeben werden soll:
„und er wendet den schnellen Geist teils hierin teils dorthin,
reißt ihn in wechselnde Richtung und tummelt ihn nach allen
Seiten". Aus mallei machen wir in einem Satze wie Tacitus
Ann. II 10 (ne propinquorum etc.) „anstatt", um eine ausdrucks-
volle Wortfolge nicht zu stören. Ein andermal mag es gelingen
zugleich diese und den Vorstellungsgehalt des Verbums zu
wahren, z. B. Cic. Lael. 20, 74: dispares mores disparia studia
Nomen und Verbum. Participialkonstruktionen. 105
sequuntur „Ungleichheit des Charakters hat Ungleichheit der
Interessen im Gefolge".
Innerhalb des verbalen Gebietes sind es namentlich die
Prädikate der Ablativi absoluti, die oft beim Übersetzen ihre
Zugehörigkeit wechseln müssen. Ein Beispiel dafür wurde
schon (S. 100) erwähnt, einige weitere liefert ebenfalls Vergil:
quo numine laeso (so! Aen. I 8) „in welchem Wunsche gekränkt",
magna stipante caterva (IV 136) „von einer großen Schar be-
gleitet", commixta grandine nimbus (IV 120) „Regen mit Hagel
gemischt". Früher durfte der Lehrer auch wagen coniecta
cerva sagitta (IV 69) als „die vom Pfeil getroffene Hinde"
wiederzugeben; jetzt muß er sich vor solcher Freiheit hüten:
sie würde Verwirrung stiften und dazu beitragen, daß an anderisn
Stellen die Stümperei im Lesen und Verstehen, die durch Ver-
kürzung der Dichterlektüre und Unterdrückung der metrischen
Übungen schon schlimm genug geworden ist, vollends ins Un-
erträgliche sich steigert. — Zu ähnlicher Behandlung fordert
das Participium coniunctum auf. Wenn Vergil den Schmuck
der jungen Trojaner beschreibt (V 556): omnibus in morem
tonsa coma pressa Corona, so sagen wir: „allen ist ein Kranz
von richtig beschnittenen (Zweigen) ins Haar gedrückt". Auch
Fälle wie Aen. VIII 177 f. (praecipuumque toro et villosi pelle
leonis accipit Aenean) gehören hierher, obwohl das vom Verbum
abgeleitete Adjektiv da nur deutsch als Particip erscheint: „er
empfängt auszeichnend". Hier wird Passiv in Aktiv verwandelt;
viel häufiger umgekehrt, weil die aktivischen Participia im
Deutschen nur einen sehr beschränkten Gebrauch haben:
d8X6op.ivq) Ss jAoi ^Xöov (p. 438) „ersehnt kamen sie mir".
-Namentlich das des aktiven Aorists nachzubilden können wir
gar nicht versuchen: xöv Tj^sjACva ^oavxe? TrapaötSoaoiv aötoti;
(Anab. IV 2, 1), öaXotfioio 86pY]v iiüxtvco? dpapuiav xdXXiTcov
d'^xXtva«; (x 155 f.), T^OeXY)os o ox^olto^ xotvoö iraoaoÖat, toü?
h\, öoüXcoaa? aYstv (Soph. Ant. 201 f.). Wenn ich nicht irre,
hilft man sich hier oft mit umschreibenden Nebensätzen: „nach-
dem sie gebunden hatten, nachdem er geknechtet hätte".
106 VIII. Verschiebung des Gewichtes.
Richtiger ist es doch wohl die Gedrungenheit des griechischen
Audsruckes soviel als möglich zu erhalten; und hier ist es voll-
kommen möglich, sobald man die Participia ins Passivum setzt
und auf das Objekt anstatt auf das Subjekt bezieht, „sie über-
liefern den Wegweiser gebunden; ich ließ die Tür angelehnt;
er wollte sie geknechtet wegführen".
Sind die Schüler an diese Umformung einmal gewöhnt, so
werden sie sich nicht fürchten sie auch da anzuwenden, wo das
Verbum finitum lym ist: xiv 'Aotoa^ea Köpo? xaTaarpe^j^ajAevoc
so/e (Hdt. I 75) „er hatte unterworfen"; t4c Öüpiac taüta;
dTroTafiofjLSvot eo^ov o? AaxeSaifxovioi (182) „hatten weggenomen";
Toioi KXetoösvTjc xal 8p6[iov xat iraXaioTpyjv 'ironf)oap.svoc lic
aÖT(p TOüTcp slys (VI 126) „ihnen hatte Kleisthenes eine Rennbahn
und einen Ringplatz ad hoc [wie man beinahe sagen möchte]
machen lassen". Man könnte an unsern Übersetzungen Anstoß
nehmen, weil das griechische sysiv auch in solchen Verbindungen
noch mehr Gewicht eigner Bedeutung habe als unser „haben".
Aber das gilt doch nur für einen Teil der Beispiele, und schon
in dem letzten der soeben von Herodot angeführten ist die
Vorstellung des Besitzes stark verblaßt. Ja bei Homer selber,
wenn er Achill klagen läßt (A 507) : SXwv ^äp lyzi ^epac, aöxic
dTToupa«;, zeigt der Zusatz dTroopai;, daß SX«i)v ej^ei für das
Denken schon in eins verschmolzen waren, das Particip nicht
mehr als solches empfunden wurde. Vollends bei späteren
Schrifstellern ist solche Verbindung kaum verschieden von dem
einfachen Perfekt oder Plusquamperfekt: irpa-yoc aoxoTrov ly(Zi
irepavac (Soph. Ai. 21 f.), tiv p.lv irpoTioa? xiv 8' dxip.a9a? e^ei
(Ant. 22), Ol) [ib Y^^ W^^ StoXIoa«; Ixsi? (Eurip. Herakl. 264).
Und in Wahrheit sind ja doch die zusammengesetzten Zeit-
formen in den modernen Sprachen eben auf dem Wege ent-
standen, den die Entwickelung des Gebrauches von ej^eiv zeigt.
Nimmt man einige verwandte Tatsachen noch zum Vergleich
hinzu, wie ein lateinisches clausuni lacu ac montibus et circum-
fusum suis copiis habuit hostem (Liv. XXn 4, 5) oder bei Homer
(cd 491) ji^ 8)j oyeööv cioi xiovts? „daß sie nicht schon nahe
k
Ix«> niJt Particip. Substantiv und Attribut. 107
gekommen sind*", so ergibt sich eine neue Bestätigung dessen
was wir wiederholt gefunden haben: wie abgebrauchte und
verständnislos nachgesprochene Ausdrucksweisen der Mutter-
sprache dadurch mit einem Male durchsichtig werden und
neues Leben empfangen, daß sie zur Übersetzung von Worten
oder Wortverbindungen einer älteren Sprache verwandt werden,
die denselben Prozeß der Abschleifung begonnen haben, aber
dem Ausgangspunkt noch ein erkennbares Stück näher stehen.
2. Das Bild von der Verlegung des Schwerpunktes paßt
besonders deutlich da, wo abhängiges und übergeordnetes Glied
ihre Rollen tauschen ; und dafür ist wieder das einfachste Bei-
spiel die Beziehung zwischen Substantiv und Attribut. Atavi
reges sind ^königliche Ahnen", Numidae agrestes bei Sallust
(lug. 18, 8) „numidische Bauern", declivis latituto (ebd. 17, 4)
eine „breite Senkung". Was Demosthenes (I. Olynth. 8) irapa-
iteirccDxoia xaipov nennt, ist nicht „eine (uns) zugefallene Ge-
legenheit" sondern ein „gelegener Zufall", der nebenbei wieder
daau verhilft ein geläufiges deutsches Wort in seinem Ursprünge
zu verstehen. Dirae ultrices (IV 610) meinte Vergil doch wohl
als „rächende Diren" ; wir werden seinem Gedanken nicht untreu,
wenn wir sie in „grausige Rachegöttinnen" verwandeln. In all
diesen Fällen wurde das Substantiv bei der Übersetzung zum
•Adjektiv; es kann aber auch in der Weise untergeordnet werden,
daß es Substantiv bleibt. So im Aias 17 ^^aXxooxofxoa x(i)8cdvo<;
<S)? Tt>poY)vix^c: »wie von dem ehernen Munde einer tyrrhe-
nischen Trompete". Aus dem abstrakten Gebiete gehört hierher
der Typus ab urbe condita mit seiner Schar von Anwendungen
(vgl. S. 100. 102). Weiter gibt es ähnliche Vertauschungen auch
für solche Nomina, die nicht gerade im Verhältnis von Substantiv
und Attribut mit einander verbunden sind: plenis nubilis annis
(Aen. VII 53) „volljährig zur Vermählung", primaevo flore iuventus
(ebd. 162) „die erste Blüte der Jugend", armatum peditem gravis
attutit alvo (VI 516) „brachte im Leibe die Last bewaffneten
Fußvolkes mit".
Von dem Wechsel zwischen verbaler und nominaler Passung
108 VIII. Verschiebung des Gewichtes.
eines Begriffes bietet Vergils Beschreibung der Fama ein Beispiel
(IV 175): mobilitate vigei „Beweglichkeit ist ihr Leben"; mn-
gekehrt wird man Horazens stet vivax (a. p. 69) mit „beständig
lebt" übersetzen. Beide Beispiele streifen zugleich, das erste
in seiner lateinischen das andere in der deutschen Form, ins
adverbielle Gebiet hinüber. In weiterem Sinne ihnen verwandt
ist deshalb die Weise, wie manchmal Prädikat und adverbielle
Bestimmung einander ablösen ; so wenn wir für in malus crederetur
bei Tacitus (Histor. 1 18) sagen: „in Gedanken vergrößert würde".
Derselben Vertauschung bedarf es, damit Sallust Catil. 51, 27
verstanden werde: Omnia mala exempla ex bonls orta sunt;
sed ubl Imperium ad Ignaros elus aut minus bonos pervenlt,
novum lllud exemplum ab dlgnls et Idonels ad Indlgnos et non
idoneos transfertur. Statt sed hat man et schreiben wollen
oder sclllcet; und wirklich enthält der folgende Satz zum vorher-
gehenden eher eine Begründung als einen Gegensatz. AUe
Schwierigkeit verschwindet, wenn wir auf bonls den Hauptton
legen und übersetzen: „Jedes schlechte Verfahren war ursprüng-
lich gut; aber . . . ." Genauen Ausgleich des Besitzstandes
zwischen beiden Gebieten haben wir bei Horaz Od. I 12, 39:
gratus inslgnl referam camena „will ich dankbar durch den
Bericht (referam) meiner Muse auszeichnen (Inslgnl),*" Und
ähnüch einmal in den Annalen (IV 32): llbero egressu memora^
bant „sie ergingen sich in freier Erzählung".
Wo ein Verbum und ein verbales Nomen zusammen das
Prädikat ausmachen, fügt es sich öfters, daß sie bei der Ver-
deutschung die Rollen wechseln müssen; aus {xeteüOftsv oe
TTpooTpoTToi (Köu. Öd. 41) wird „wir wenden uns flehend an
dich". Dasselbe geschieht noch leichter bei der Art nominaler
Bildungen, die noch als lebendige Triebe des Verbums ge-
fühlt und als Parlicipia ihm zugerechnet werden. Cokortatus
mllltes, ut se Intuentes pugnarent (Liv. XXXI 24, 11) ist doch wohl
nichts anderes als: „daß sie beim Kampfe auf ihn blicken
sollten". Und damit sind wir bei ben FäUen angelangt, in denen
die Begriffe, die um einen gemeinsamen Punkt gravitieren,
Verbum finitum wird deutsch zum Nomen, zum Adverb. 109
beide Verba sind, öpo) axa>v djietßexat (0 684) wird dem Scbüler
erst recht anschaulich, wenn er dafür sagen kann: „springt
abwechselnd"; die Art wie Telemach den Sauhirten an seinen
Tisch zieht, veöa' itd of xaXsoac (p 330), bleibt auch sachlich
unverstanden, wenn nicht übersetzt wird: „er rief ihn durch
einen Wink zu sich**. An den abgeschliffenen Gebrauch von
Verben wie Xav&avci) xo'^ydvto BiatsXo} wurde schon erinnert.
Natürlich wird man auch hier dafür sorgen, daß der Zusammen-
hang zwischen Grundbedeutung uud freier Übersetzung den
Schülern nicht verloren geht, und gern die Gelegenheit be-
nutzen, wo einmal der eigentliche Sinn greifbar hervortritt.
TüYjfotvst o5v Ijiol 7] aÖTT) sx&pa irpoc 'A^opaxov toütovI xai toj
irXi^&st T(p up^sT^pcp üirap^^oüaa (Lys. 13. 1) lautet auf deutsch:
„Es trifft sich nun, daß für mich dieselbe Feindschaft
besteht wie für das Volk, das ihr vertretet**. Eben diese
wörtUche Übersetzung ist nicht selten bei Piaton erfordert,
wenn ein vorläufiges Resultat festgestellt oder etwas Gegebenes
eingeführt wird; letzteres z. B. Protag. p. 318 A: tü^j^avet Iv
JiriftüjiiaL oiv „er befindet sich in einem Zustande (oJv) der Sehn-
sucht**. Mit einem „zufällig** wäre hier gar nichts anzufangen,
so geläufig sonst solche adverbielle Umformung jedem Leser
des Griechichen ist. Anlaß dazu bietet übrigens auch das
Lateinische. Die et argutae properet Neaerae murreum nodo
cohibere erinem, sagt Horaz (in 14, 21 f.) und meint: „sie möge
eilends das Haar zusammenraffen**. An eas beobachtet dievonseiner
Mutter gesandten Tauben : quo tendere pergant (VI 198) „wohin
sie weiter (ihren Flug) richten**. Besonders oft begegnet in
solcher Anwendung solere: quäle solet silvis brumali tempore
viscum fronde virere nova (Aen. VI. 205 f.) „wie manchmal in
den Wäldern die Mistel grünt** ; (se) tantum modo audire solitum
ex Oabinio (Sali. Catil. 47, 1) „er habe nur öfter von Gabinius
gehört**; säepe audivi mirari solitum C, Fabricium (Cat.
mai. 13, 43) „Fabricius habe sich immer wieder gewundert**.
Die Beispiele würden sich leicht vermehren lassen.
Wir brechen hier ab, um nunmehr die wechselnden
110 VIII. Yerechiebung des Gewichtes.
Beziehungen grammatischer Ahhängigkeit, sowohl für sich wie im
Austausch mit der parataktischen Verbindung, dahin zu verfolgen,
wo sie am interessantesten sind und ihr eigentUches Reich hahen,
inr Satzgefüge. Gelegentlich (S. 102) wurde dieses Kapitel schon
gestreift. Denn natürlich ist die Grenze keine absolute, und es
wird immer nur auf den Standpunkt der Betrachtung ankommen,
ob eine participiale Konstruktion als verkürzte Form des Satzes
oder als erweiterte einer attributiven oder adverbiellen Be-
stimmung gelten soll. Die Frage, wann ein Wort in einen Satz
aufgelöst, wann umgekehrt ein Satz in ein Wort zusammen-
gedrängt werden müsse, mag denn den Anfang machen von
dem, was über die letzten Aufgaben des Stiles zu sagen bleibt.
IX.
Satzbau.
Der Stil ruht auf den tiefsten Grundfesten
der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge,
insofern uns erlaubt ist es in sichtbaren
und greiflichen Gtetalten zu erkennen.
Goethe.
1. Ein durchgehender Unterschied zwischen dem Stil der
Griechen und Römer und unserm heutigen besteht darin, daiJ
sie vieles in Form eines Satzes sagten, was wir durch ein ab-
straktes Substantiv ausdrücken. Beispiele liefert jedes Lehrbuch
der Stilistik in Menge. Livius VIII 27, 9: decernitur ut societas
cum Samnitibus renovaretur „die Erneuerung des Bündnisses
wird beschlossen"; ebenda 11: nihil ultra, quam ut frustra
paeniteret, restabat „nichts weiter als vergebliche Reue blieb
übrig". Im Griechischen ist es dasselbe: Xenophon Memor.II 1, 25
oöSevöc a*ics^6[j.svo^, o&ev äv ouvaiöv tq ti xspSavat, „indem
du dich von keiner möglichen Quelle des Gewinns fernhältst".
In demselben Werke I 1, 11 (oöSek TTtoiroxs Scüxpaxoü? ooo^v
dosß^? ohhh, dvooiov oiixe TupdTTOvxf)? sTSev ouxs Xs^covxo? -^xoüosv)
können wir die Verba wenigstens im Infinitiv festhalten:
„keiner hat jemals den Sokrates etwas Unehrerbietiges oder
Gottloses tun sehen oder sagen hören"; aber fast natürlicher
wäre uns doch das abgeschlossene Substantivum: „keiner hat
von ihm eine unehrerbietige oder gottlose Handlung oder
Äußerung gesehen oder gehört". Offenbar ist auch dies ein
Merkmal der alternden Sprache, die schon viel erlebt hat und
sich manche Bequemlichkeit gönnt: eine Verbindung von Be-
griffen zum Gedanken, die der jugendliche Geist erst frisch
112 IX. Satzbau.
vollzog oder, wenn das schon geschehen war, doch in jedem
Augenblick wieder als werdend empfand und in der Form des
Geschehens ausdrückte, verliert allmählich ihr Leben, wird dem
überlieferten Besitz eingereiht und in Gestalt eines abgeleiteten
Substantivs aufbewahrt. Wie viele Sätze mußten gebildet,
gebraucht und verbraucht werden, ehe Substantiva wie Begut-
achtung, Veranstaltung, Bereitwilligkeit entstehen konnten,
ganz zu schweigen von modernsten Ungetümen wie Vergesell-
schaftung, Wissenschaftlichkeit, Beanlagung!
Die erstarrten Denkoperationen, die in solchen Wörtern
zusammengefaßt sind, bieten der abstrakten Verstandesarbeit
handliches Material: aber sie tun das Ihre dazu, um der
Sprache den Hauch des Ursprünglichen zu nehmen. Und indem
sie es auch dem Schwätzer möglich machen scheinbar etwas
zu sagen, dadurch daß er die inventarisierten Gedanken früherer
Menschen hin- und herschiebt, bedrohen sie einen Stil, der noch
in der Bildung begriffen ist, mit ernster Gefahr. Was über
diese Gustav Rümelin in einer seiner letzten akademischen Fest-
reden*^) gelehrt hat, sollte niemand, der deutsche Aufsätze oder
Übersetzungen zu korrigieren hat, ungelesen lassen. Namentlich
bieten die letzteren einen Anhalt, um dem Prozeß der Erstarrung
entgegenzuarbeiten und die Lernenden dahin zu bringen, daß sie
sich des Zusammenhanges zwischen ihren Vorstellungen un-
mittelbar bewußt werden und ihn mit eignen Worten aussprechen.
Man darf sie nur nicht in dem Glauben erhalten, daß es un-
bedingt erwünscht sei einen Nebensatz in ein deutsches Verbal-
substantiv zusammenzudrängen, muß sie vielmehr auf die
Umstände achten lehren, unter denen es richtiger ist die Aus-
drucksweise der Vorlage nachzuahmen. Ein Beispiel der Art
ist schon (S. 17) vorgekommen; weitere finden sich leicht,
und selbst unter denen, die gerade für die Verwandlung in
ein Substantiv verwertet zu werden pflegen. Cum multa cm-
deliter avareque fecisset, petiit a Pharnabazo (Cornel Lys. 4, 1)
wird in einem vielgebrauchten Schulbuch übersetzt: „nach
mancher grausamen Tat usw.** Es heißt aber vollständig:
VerbalsubstantiT und Satz. 113
cum Lysander praefectus classis in hello multa crudeliter avareque
fecisset deque his rebus suspicaretur ad cives suos esse perlatum,
petiit a Pharnabazo. Sollen wir nun sagen: „Da Lysander nach
mancher grausamen und habsüchtigen Tat als Führer der Flotte
im Kriege vermutete usw."? Dann schweben „als Führer"
und „im Kriege" in der Luft oder lehnen sich an „vermutete"
an: das Verständnis wird erschwert. Also besser: „Da Lysander
als Führer der Flotte im Kriege vielfach grausam und habsüchtig
gehandelt hatte und vermutete". 'Eäv 8s irote YevTjtat xtc
iiroyta oTuotvetDC «9 tSv soxai tauta, sagt die Kaxta zu Herakles
(Mem. n 1, 25), und man könnte vorschriftsmäßig verdeutschen :
„sollte jemals die Befürchtung eines Mangels an Mitteln zu
solchen Freuden eintreten". Das ist abscheulich; wir müssen
die verbale Form des Gedankens, die an der einen Stelle
verschwindet, an der andern wieder hervortreten lassen: „sollte
jemals die Befürchtung aufkommen, daß die Mittel zu solchen
Freuden mangeln könnten". —
Den Mißbrauch der Substantiva zu vermeiden werden die
Schüler sich um so eher gewöhnen, wenn sie daran erinnert
werden, daß es doch auch Fälle genug gibt, in denen ein
einzelnes Wort der fremden Sprache im Deutschen durch einen
Satz umschrieben werden kann oder gar muß. Etwas Besonderes
ist es allerdings, wenn der Autor mit bewußter Künstelei die
Substantiva gewählt hat, wie Thukydides, wo er den Inhalt
des von Themistokles an den Großkönig gerichteten Schreibens
•angibt (I 137): ^pa^ac ttjv ix SaXajxrvoc irpoaYTS^otv t^c dva-
^^CÜp^OSO)? Xal T7]V TÄV Y^^Wp^V, 7]V t};eü8(Ü? irpOOSTTOlT^OaTO,
TOTS 81' aÖTÖv oö StocXüotv. Hier merkt Wilamowitz an (zu
S. 56, 2), die künstlerische Rede der Zeit gefalle sich darin,
nominale und verbale Konstruktion zu vertauschen, um durch
das Ungewohnte zu wirken; so werden wir uns bemühen den
fremdartigen Eindruck auch im Deutschen hervorzubringen und
werden die abstrakten Ungetüme nachbilden. Anders, wo ein
griechisches oder lateinisches Substantiv der ungesuchte Aus-
druck für einen Vorgang oder eine Wirkung ist, wir nur zufällig
Cauer, Die Kunst des Obersetzens. 3. Aufl. 3
114 IX. Satzbau.
keine ganz entsprechende Vokabel besitzen, d. h. keine, die in
substantivischer Form den Begriff des Verbums gleich lebendig
bewahrt hätte. Für ep^ov bei Homer fanden sich eine Menge
deutscher Synonyma; aber für sratöev ep^ov detxe^ (S 13)
müssen wir wohl sagen: „er sah wie Unwürdiges geschah".
Mtaojia x<"pa^ ™ König Ödipus (97) ist „was das Land befleckt";
Tiav fj.iaap.a toü tsövtjxoto^ ebenda (313): „alles, was durch den
Toten befleckt ist". Irritatio animorum ea prima fuit, schreibt
Livius (XXXI 14, 10), und wir sagen: „dies war das erste, was
die Gemüter aufregte". Ähnlich bei Cicero (pro Deiot. 3, 8):
adfectum illum quibusdam incommodis et detrimentis propter
offensionem animi tui meminerant\ d. i. „weil du dich verletzt
gefühlt hattest". Öfter wird solche Umformung bei Tacitus
nötig werden, weil er es liebt Gedanken in Substantiva zu-
sammenzudrängen, wo es denn doch wichtiger ist die Knapp-
heit des Ausdruckes zu erhalten als die nominale Form:
ambitu remanendi aut eundi „da man intrigierte um zu bleiben
oder zu gehen" (Hist. I 19); quaeque alia turbamenta vulgi
„und was sonst die Menge aufregt" (ebd. I 23). Warum in
der Einleitung zu Sallusts Catilina (3, 2) scriptor nicht gut als
„Schriftsteller" ins Deutsche übergehen kann, wurde früher
erklärt. Die Nomina dieses Typus bedürfen öfter einer ähnlichen
Umformung; z. B. (Aen. VI 529) hortator scelerum Aeolides:
„dessen Beruf es ist zum Frevel zu raten".
Daß absolute Participialkonstruktionen oft im Deutschen
zu Sätzen sich ausdehnen, braucht nur erwähnt zu werden.
Hervorgegangen sind sie ja aus dem adverbialen Gebrauch der
Kasus, der lateinische Ablativus absolutus aus dem Ablativus
modi, temporis, causae; und so wäre die Übersetzung durch
einen präpositionalen Ausdruck an sich das Natürliche. Aber
wenn wir z. B. Ann. II 9 für quaesito an Caesar venisset gleich
kurz sagen, „auf die Frage ob Cäsar gekommen sei", so gibt
wenige Zeilen später ein Ablativ, obwohl in ihm die instrumentale
Beziehung noch lebendig ist, ein Beispiel entgegengesetzter
Art: inslgnis flde et amisso per vulnus oculo paucis ante annis
Substantiva und Participia im Deutschen umschrieben. 115
duce Tiberio. „Durch den Verlust des Auges" geht nicht an;
denn was soll dann aus den angehängten Bestimmungen werden?
Wir müssen uns zum Bau eines Satzes entschließen. — Stellen
wie diese erinnern noch daran, daß der Abi. absol. im Grunde
nur ein adverbial gebrauchtes Nomen mit Attribut ist, also die
Anwendung des Particips in ihm von der im Participium con-
iunctum nicht wesentüch verschieden*^). Doch verlangt dieses
auch hier wieder eine eigene Betrachtung.
Im vorigen Kapitel wurden Proben gegeben, wie die
Knappheit des participialen Ausdruckes durch Verschiebung in
ein anderes Genus verbi oft beim Übersetzen erhalten werden
kann; natürlich wäre es sehr verkehrt das Streben danach zum
Gesetz zu machen. Livius schildert XXXI 34, 4 den schrecklichen
Eindruck, den der Anblick der im Kampf mit den Römern
Gefallenen auf die Soldaten des Königs von Macedonien machte:
postquam gladio Hispaniensi detruncata corpora, bracchiis cum
humero abscisis, . . . viderunL „Durch das spanische Schwert
verstümmelte Leiber" ließe sich sagen; aber dann fehlt ein
Anknüpfungspunkt für die genauere Beschreibung, ganz ähnüch
wie bei jenem amisso oculo. Ein andermal ist der Zusatz, den
wir mit hereinziehen müssen, auch im Lateinischen ein ganzer
Satz; z. B. in demselben Buche 22, 3: quamquam per praetorem
prope debellatum erat, consul quoque C, Aurelius profectus in
Galliam victorem exercitum a praetore accepit Während wir
an der vorher angeführten Stelle das Attribut in einen Relativ-
satz verwandeln („Leiber, die verstümmelt waren, indem . . ."),
werden wir hier seinen Inhalt als Hauptsatz koordinieren, um
dem Gedanken quamquam debellatum erat das Gleichgewicht zu
halten. Zusammengenommen dienen diese beiden Sätze aus
Livius dem Verständnis einer bekannten Odyssee-Stelle, in der
freilich das Attribut kein Participium ist (i 21 f.): vatstaw 8'
'I8axY]v söSi^eXov • iv V opo^ aönp Ni^ptTOv eJvootcpüXXov dpiTTpeirec.
„Ich bewohne Ithaka das weithin sichtbare; denn es liegt ein
hoher Berg darauf": dies bleibt unklar; aber jeder begreift:
„Ich bewohne Ithaka, das weithin sichtbar ist; denn darauf
8*
I
116 IX. Satzbau.
liegt ein hochragender Berg^. Das bloße Beiwort, auch das
nachgestellte, gewann in unsrer Vorstellung nicht Kraft genug,
um eine Begründung zu vertragen; es mußte zum Satz erhoben
werden. Bei Homer werden wir die vielen Participia, die auf-
gelöst werden müssen, in der Regel parataktisch anfügen und
die schleppenden „nachdem** und „indem** vermeiden: icpo^ow
iTziyeue (fipoooa „brachte Wasser und goß es auf**; ofoc itot'
iuxxi^jtiviQ Ivl Alaßcp Sc eptSoc OtXofjLYjXetSiQ iiraXaiosv dvaorac
(p 133 f.) „wie er einst in Lesbos aus Anlaß eines Streites
aufstand und rang**. Übrigens kommt es doch auch vor, daß
das Particip als solches erhalten werden muß, wenn der Sinn
nicht leiden soll, z.B. p 88 ff.: xohg 8' iirsl o3v Sp^coal Xoöoav
xal XP^^ötv iXatcp dji^l 8' apa /Xatvac ooXac ßdXov tqS^ ^^iTÄva^,
Ix p' daafjLiv&cuv ßdvTSc iizl x^topLOiot JcaOTCov. Schwerlich ist
doch das Ankleiden innerhalb der Badewannen erfolgt; der
Nachsatz meint also: „da setzen sie sich, den Wannen entstiegen,
auf Stühle nieder**. Sehr häufig kann ein Participium gar nicht
richtig übersetzt werden ohne klare Anschauung des sachlichen
Zusammenhanges; und so wird umgekehrt diese gefördert,
indem man nach dem treffenden deutschen Ausdruck sucht.
Davon wird noch später kurz die Rede sein.
2. Die Verwandlung des Particips in einen Nebensatz kann
mit einer anderen Verschiebung der Konstruktion verbunden
sein. Wenn wir bei Tacitus lesen, Ann. VI 2 [8]: crediderat
epistulae subsidio sibi alterum ex consulibus poscentis, so über-
setzen wir: „dem Briefe, in dem jener forderte**, und haben ein
Beispiel einer der beiden Erscheinungen, die im vorigen Kapitel
(Vin 1) besprochen wurden: ein abhängiges Glied bleibt un-
selbständig, sucht aber eine andere Beziehung auf, durch die
es sich regieren läßt. Einen Relativsatz, der aus stilistischen
Gründen vom Nachsatz einer Periode losgelöst und mit dem
Vordersatz verbunden wurde, haben wir früher in einer Stelle
aus Xenophon gefunden (S. 98). Auch die Art des Satzes kann
eine andere werden. Was Cicero pro Mil. 7, 17 kondizional
einführt (Nisi forte magis erit parricida, si gut consularem patrem
Art des Nebensatzes geändert. 117
quam si quis humilem necaverit), werden wir relativisch unter-
ordnen: „wer als Sohn einen gewesenen Konsul tötet". Viel
häufiger ist das Umgekehrte, daß Relativsätze bei der Übertragung
ins Deutsche ihre Form ändern und nun durch eine Konjunktion
«ingeleitet werden: xüVYj^^Tat of te xaft' üXtjv aXysa icaoj^oooiv
(t 120 f.) „wie sie im Walde Beschwerden erdulden" ; oi xe
xotT* alo)(oc s)(Süe xal 4ooo[j.lv"(]oiv hizioom 07^Xüxlp"(]ot ifüvaiSt,
xal 9^ X* söepYÖc sTQotv (X. 433 f.) „auch wenn eine brav ist";
se missum ,a Crasso, qui Catilinae nuntiaret (Sallust 48, 4)
„um dem Catilina zu melden". Aus der ganzen Fülle derjenigen
Relativsätze, die konsekutiven, kausalen, konzessiven, hypo-
thetischen, finalen Sinn haben, würde ein großer Teil hierher
zu ziehen sein. Das Gemeinsame ist überall, daß der im Relativ-
satz enthaltene Gedanke sein attributives Verhältnis aufgibt und
in ein adverbielles eintritt, nicht mehr einem nominalen Begriff
zur Bestimmung dient, sondern auf den ganzen Satz, auf die in
ihm ausgesagte Handlung bezogen wird.
Auch der zweiten der im vorigen Kapitel beschriebenen
Veränderungen begegnen wir hier wieder: daß regierendes und
abhängiges Glied ihre Rollen vertauschen. In dem Satze des
Sallust: nie Vera via nititur, huic quia bonae artes desunt, dolis
atque fallaciis contendit (Catil. 11, 2), ist es wieder die bedeutende
Anordnung der Begriffe, die uns nötigt die Konstruktion auf-
zugeben: „diesem fehlen die guten Eigenschaften, so daß er mit
List und Trug arbeitet". Eine ähnliche rhetorische Wirkung
retten wir bei Vergil Aen. V 144 f. (non tarn praecipites biiago
certamine campum corripuere ruuntque effusi carcere currus),
wenn wir, das grammatische Verhältnis umkehrend, sagen: „So
stürzen nicht die Wagen vorwärts, wenn sie im Wettkampf mit
dem Zweigespann das Feld hinter sich gerissen haben und nun
aus den Schranken ergossen dahinstürmen". Nicht ganz so
stark ist das Gewicht des untergeordneten Gedankens etwa in
den Sätzen (bell. civ. III 7, 2): sed neque Uli slbl conflsl ex
portu prodlre sunt ausl . . . und bei Livius (XXH 22, 2): classls
Visa cum magna laetltla portum tenult; aber auch hier trägt er
118 IX. Satzbau.
den Ton, und das deuten wir dadurch an, dafi wir ihn in den
Hauptsatz bringen: ,Jene trauten sich nicht so viel zu, daß sie
gewagt hätten aus dem Hafen hervorzukommen", und wieder:
„die Flotte erschien zu großer Freude, wie sie auf den Hafen
zuhielt"*. An und für sich kann man ja gerade in lateinischer
Syntax erwarten, daß die Hauptsache auch im Hauptsatz ge-
sagt sein wird; aber nicht selten ist sie im grammatischen
Verhältnis herabgedrückt und dafür durch Wahl des Ausdrucks
und Wortstellung um so wirksamer hervorgehoben: das müssen
wir dann empfinden und die gleiche Wirkung zu erreichen
suchen, wenn auch die Mittel dazu andre werden..
Besonders häufig sind die Fälle, in denen ein Nebensatz
zwar nicht durch seine sachliche Bedeutung wohl aber dadurch
erhöht wird, daß er die Handhabe bietet, mittels deren zugleich
sein regierender Satz in einen dritten relativisch eingehängt ist.
Viele Beispiele dieser Art können wir überhaupt nicht nach-
ahmen und müssen dann die grammatische Verbindung ganz
fallen lassen; so Tuscul. I 17, 39: errare malo cum Piatone,
quem tu quanti facias scio et quem ex tuo ore admiror, quam
cum istis vera sentire: „Lieber will ich mit Plato irren (ich
weiß wie hoch du ihn stellst und bewundere ihn in deinem
Munde) als mit jenen Leuten das Richtige meinen**. Aber es
liegt auch oft so, daß wir die Konstruktion im ganzen bewahren
können, nur eben innerhalb des relativen Einsatzes das Gewicht
verlegen müssen. Eine vielfach verwertete Musterstelle ist de
erat. I 28, 126: quod a te dictum est esse permulta, quaeorator
nisi haberet a natura, non muttum a magistro adiuvaretur, „es
gebe viele Eigenschaften, die der Redner von Natur besitzen
müsse, wenn er von einem Lehrer überhaupt Nutzen haben
wolle". Noch gewöhnlicher als eigentliche Nebensätze dienen
Participien und Infinitive dazu, einen zusammengesetzten Ge-
danken als Relativsatz unterzuordnen. Civilis suchte die Gallier
aufzuwiegeln: admonebat malorum, quae tot annis perpessi mi-
seram servitutem falsa pacem vocarent (Histor. IV 17): „er er-
innerte sie an die Leiden, die sie in so vielen Jahren erlitten
Regierender und regierter Satz vertauscht. 119
hätten, um endlich eine elende Knechtschaft fälschlich Frieden
zu nennen". Lykurg ruft den Athenern die Taten ihrer Vor-
fahren ins Gedächtnis: oU irapaSsqixaoi )(p(oji8vot ßlXtiov
ßoüXsüoso&s (xaxa Aecoxp. 83) „die ihr als Beispiele benutzen
mögt, um dann besser zu beschließen".
Aus dem Gebiete des anderen Verbalnomens gehören hierher
die zahllosen Infinitivsätze, die von Verben des Sagens oder
Denkens abhängen, deutsch aber gern zu selbständigen Sätzen
erhoben werden mit einem eingeschobenen „wie man erzählt,
wie er glaubte, dem Vernehmen nach". Dies wird oft sogar
notwendig sein, und zwar dann, wenn der im Lateinischen ab-
hängige Gedanke das enthält, was dem Zusammenhang nach
die Hauptsache ist; in einem Satze wie bei Sallust Catil. 15, 2
kann man deutsch nicht anders als das regierende pro certo
creditur unterordnen. Schon Tertianer wissen solche Umformung
ganz geschickt vorzunehmen; es gilt nur wieder zu verhüten,
daß die Gewohnheit nicht zur Tyrannin werde und durch
mechanische Gleichmacherei das individuelle Leben von Ge-
danken und Sprache unterdrücke. Die wörtliche Übersetzung
muß neben der freien geläufig erhalten werden, damit man
jederzeit ohne weiteres auf sie zurückgehen und von ihr aus
das Richtige finden könne. Etsi ex mandaiis, quae Qalbae
Volumnioque ad senatum dedisti, quid timendum putares, su-
spicabamur, tarnen timidiora mandata videbantur, quam erat
dignum tua populique Romani victoria (ad fam. XI 18): das
scheint nicht mißverstanden werden zu können. Und doch
schrieben in einer Klassenarbeit mehrere Primaner: „was, wie
du glaubtest, gefürchtet werden müsse". Nicht, was gefürchtet
werden muß, hat Cicero erkannt, sondern, was sich Brutus für
Gedanken darüber macht; das Gewicht des regierenden Verbums
ist hier so stark, daß seine Unterordnung im Deutschen geradezu
einen falschen Sinn ergibt. So bei Vergil Aen. IV 597 f., wo
Dido über den Wortbrüchigen spottet: en dextra fidesque, quem
secum patrios aiunt portare penates, „das ist die Tr«ue dessen,
von dem man erzählt [sie glaubt es nicht mehr], daß er die
120 IX, Satebau,
heimatlichen Götter mit sich führe". Noch unmöglicher wäre
ein „wie man erzählf" in folgendem Beispiel. Liyius hat die
Zahl der am Trasumennus Gefallenen angegehen und fährt fort
(XXn 7, 3 f.): multiplex caedes utrimque facta traditur ab alüs;
ego Fabium potissimum auctorem habuL „Daß ein vielmal
größerer Verlust stattgefunden habe, wird von anderen über-
liefert; ich habe . . .". Wie vorher Dido so will hier der
Schriftsteller eine falsche Angabe zurückweisen; eben dagegen,
daß sie voh anderen verbreitet wird, richtet sich sein Wider-
spruch: so erhält der Begriff des Sagens, Behauptens eine
Wichtigkeit, der auch im Deutschen nur die Form des regie-
renden Satzes genügt. Eine ähnliche Betonung kann davon
kommen, daß dem, was jemand sagt, das was er tut entgegen-
gestellt wird. Lysias (12, 80) warnt die Richter des Eratosthenes:
[j.7]8' cüv cpaoi {leXXsiv irpafetv TrXsto) X^P^^ aüToic ibts >) c5v
iTTofTjaav SpytCea&s. Das heißt nicht: „für das was sie ihrer
Aussage nach leisten wollen", sondern: „hütet euch mehr Dank
zu empfinden für das, was sie zu leisten versprechen, als Zorn
über das, was sie getan haben". Jeder einzelne Fall verlangt
eben seine besondere Beurteilung.
3. Bei allen bisher geschilderten Umwandlungen blieb der
Gesamtbestand eines jeden Satzes unvermindert; das wird anders,
wenn wir uns veranlaßt sehen eine Periode in mehrere selb-
ständige Stücke zu zerlegen. Unter allen Kunstgriffen, die beim
Übersetzen angewandt werden, ist dies wohl der geläufigste;
allein die Fälle, in denen etsi — tarnen durch „zwar — aber"
ersetzt wird, machen eine stattliche Menge aus. Die lateinische
Sprache ist eben viel mehr als die unsrige geneigt, den inneren
Zusammenhang, der zwischen einer Gruppe von Gedanken
besteht, dadurch auszudrücken, daß sie diese alle zu einer
grammatischen Periode zusammenfaßt, in der dann jeder einzelne
den Platz und die Rangstellung erhält, die seiner sachlichen Be-
deutung entspricht. Beides läßt sich im Deutschen viel weniger
gut vereinigen. Wiederholt mußten wir (S. 90. 98), um eine
für das Verständnis wirksame Reihenfolge der Begriffe festzu-
Grammatische Periode auflösen, logische erhalten. 121
halten, die Teile aus dem Verhältnis von Herrschaft und Unter-
ordnung lösen und wie gleichberechtigte nebeneinander stellen; es
kann aber auch vorkommen, daß Konstruktion und Wortstellung
zugleich aufgegeben werden. Livius schreibt XXXI 9, 5: Cum
dilectum consules haberent pararentque quae ad bellum opus essent,
civitas religiosa, in principiis maxime novorum bellorum, suppli-
cationibus habitis iam et obsecratione circa omnia pulvinaria
facta, ne quid praetermitteretur, quod aliquando factum esset,
ludos lovi donumque vovere consulem, cui provincia Macedonia
evenisset, iussit. Hier wäre eine wörtliche Nachbildung uner-
träglich; wir versuchen es so: „Die Konsuln waren dabei die
Aushebung zu veranstalten und die notwendigen Vorbereitungen
für den Krieg zu treffen: die Bittfeste hatten schon stattgefunden
und in allen Tempeln waren Gebete gesprochen worden: aber
die Gemeinde verfuhr, zumal beim Beginn eines neuen Krieges,
mit peinlicher Gewissenhaftigkeit. Um daher nichts zu unter-
lassen, was jemals gesehen wäre, beschloß sie u. s. w." Man sieht,
der Zusammenhang ist auch in dieser Form nicht zerstört; kleine
Wörtchen wie „aber, daher" und vor allem die Interpunktion,
d. h. die Vortragsweise, deuten ihn an. Solche Mittel müssen
wir überall anwenden, um das, was an straffer Gliederung der
Gedanken durch die parataktische Satzfügung verloren geht,
wieder einzubringen. Die Schüler sind gar zu geneigt, besonders
Participialkonstruktionen einfach in selbständige Sätze aufzulösen
und dem regierenden Satze gleichzustellen; sie bedenken nicht,
daß die grammatische Unterordnung doch in der Regel der
Ausdruck dafür ist, daß ein Gedankenglied auch logisch und
sachlich dem anderen dient, sei es als Vorbereitung oder als
Ausmalung, als Begründung oder als hebender Gegensatz. Durch
ein „dann, so, hier, dadurch, dabei, deshalb, doch, trotzdem",
das dem nachstehenden von zwei nun koordiniert erscheinenden
Sätzen hinzugefügt wird, läßt sich das innere Verhältnis meist
auch im Deutschen bezeichnen.
Eine besondere Gruppe bilden die Fälle, wo der Name der
handelnden Person, an die Spitze einer längeren .Periode
122 IX. Satzbau.
gestellt, sofort ankündigt, wovon die Rede sein wird, während wir,
falls wörtlich übersetzt werden soll, genötigt sind ihn mitten
hinein zu schieben und so den Überbück zu erschweren. Das
läßt sich vermeiden, wenn man aus den die Periode einleitenden
Begriffen einen kurzen selbständigen Satz zusammenfassenden,
vorbereitenden Inhaltes bildet. Schon der Anfänger empfindet
diesen Vorteil, wenn ihm etwa bell. Gall. I 22 so zurecht gelegt
wird: Lablenus, ut erat ei praeceptum a Caesare, ne proelium
committeret, nisi ipsius copiae prope hostium castra visae essent,
ut undique uno tempore in hostes impctus fieret, monte occupato
nostros exspectabat proelioque abstinebat. „Lahienus tat wie
ihm von Cäsar befohlen war. Er sollte erst, wenn dessen
Truppen sich in der Nähe des feindüchen Lagers zeigten, den
Kampf eröffnen, damit von allen Seiten zugleich der Angriff
auf die Feinde erfolge; so besetzte er nur den Berg, erwartete
dann die Unsrigen und enthielt sich des Kampfes". — Ge-
übtere Leser, denen Livius und Sallust geboten werden, mögen
den gleichen Kunstgriff selber anwenden; z. B. lug. 13, 5: Tum
lugurtha patratis consiliis, postquam omnis Numidiae potiebatur,
in otio facinus suum cum animo reputans timere populum
Romanum, neque advorsus iram eius usquam nisi in avaritia
nobilitatis et pecunia sua spem habere. „So sah lugurtha seine
Pläne verwirklicht. Aber seit er sich im Besitze von ganz
Numidien befand, hatte er Muße seine Tat bei sich selbst zu
erwägen; er fürchtete jetzt das römische Volk und Ifatte im
Hinblick auf dessen Zorn keine andere Hoffnung, als die auf
der Habsucht der Nobilität und seinem Gelde beruhte". —
Ähnlich ebd. 74, 1: Eodem tempore lurgurtha amissis amicis,
quorum plerosque ipse necaverat, ceteri formidine pars ad Romanos
alii ad regem Bocchum profugerant, cum neque bellum geri sine
administris posset et novorum fidem in tanta perfidia veterum
experiri periculosum duceret, varius incertusque agitabat „Was
tat zur selben Zeit lurgurtha? Nach Verlust seiner Freunde,
welche er großenteils selber getötet hatte, während die übrigen
aus Furcht, ein Teil zu den Römern, andere zum König
Beispiele aus Cäsar und Sallust. 123
Bocchus geflohen waren, war es nicht möglich Krieg zu führen
ohne Mithelfer; auch hielt er es für gefährlich bei so großer
Treulosigkeit der alten die Treue neuer Freunde zu erproben:
so schwankte er völlig unschlüssig hin und her."
Sallust ist überhaupt unter den römischen Historikern der
kunstvollste im Aufbau der Sätze, am weitesten dem Livius über-
legen. Er bindet nicht leicht Gedanken zu einer Periode, die nicht
auch sächlich eng zusammengehören und sich um einen deut-
lichen Hauptgedanken gruppieren; zuletzt erscheint die Ordnung
und Verknüpfung der Sätze wie ein natürliches Bild der Ver-
hältnisse, in denen die Dinge selber sich wechselseitig stützen
und hindern. Dieser Vorzug des Sallust hat darin seinen
einleuchtenden Grund, daß er eine lebendige Anschauung von
den Vorgängen besaß, die er erzählen wollte, und immer danach
strebte, auch den inneren Zusammenhang der Ereignisse zu
verstehen*®). Davon noch ein Beispiel! Catil 48, 5: Sed ubi
Tarqainius Crassum nominavit, hominem nobilem maximis
divitiis summa potentia, alii rem incredibilem rati, pars, tametsi
verum existumabant, tarnen quia in tali tempore tanta vis
hominis magis leniunda quam exagitanda videbatur, plerique
Crasso ex negotiis privatis obnoxii, conclamant indicem falsum
esse deque ea re postulant uti referatur. „Aber sobald Tar-
quinius den Crassus genannt hat, einen vornehmen Mann von
größtem Reichtum und höchstem Einfluß, erhebt sich ein all-
gemeines Geschrei; einige fanden den Vorwurf unglaublich,
andere hielten es zwar für wahr, meinten aber, daß man in
solchem Augenblick eine so bedeutende Macht mehr besänftigen
als reizen müsse, recht viele waren von Privatgeschäften her
dem Crassus verpflichtet: so rufen sie, der Zeuge sei falsch,
und verlangen, daß dieser Zwischenfall zur Verhandlung gestellt
werde." Dem Lateiner wird es nicht schwer während eines
langen Satzes den Geist auf das zum Schluß folgende Prädikat
hin gespannt zu halten; wir können das nicht und mögen im
vorliegenden Beispiel weder unmittelbar hinter dem was Tar-
quinius tut, noch unmittelbar vor dem was die Senatoren sagen,
124 IX. Satzbau.
die Angabe entbehren, dafi sie sich laut äußerten: so bleibt
wohl nichts übrig als denselben Begriff zweimal zu setzen.
Auch so vermag er die Teile zusammenzuhalten und das, was
grammatisch auseinanderfällt, doch noch zu einer logischen
Periode zu verbinden.
Aus dem, was in den letzten Abschnitten entwickelt ist,
wird schon deutlich geworden sein, daß wir die parataktische
Neigung unserer Sprache nicht durchaus für einen Vorzug halten.
Man schilt gern über den schädlichen Einfluß, den der deutsche
Stil von der Übung des Lateinischen erfahren habe, über die
schwerfälligen Perioden, in denen Gelehrte und Beamte ihre
Gedanken aufzutürmen lieben. Aber man vergißt, daß das,
was hier als unschöne Übertreibung erscheint, doch im Grunde
eine höchst schätzbare Eigenschaft ist, und daß die Flucht vor
dem einen Extrem gar zu leicht in das andere hineintreibt.
Wer den Periodenbau als undeutsch zu meiden sucht, gerät in
Gefahr, auch die Kraft einzubüßen die sich in ihm betätigt,
jene straffe Konzentration des Denkens, die das Verwandte er-
kennt und verbindet, das minder Wichtige dem Wichtigen unter-
ordnet und durch die Fügung der Sätze ein Bild der Verhält-
nisse zu schaffen sucht, in denen die Tatsachen ineinander
greifen. Dieser Erschlaffung, die sich hier und da schon be-
merkbarmacht, kann wieder derphilologische Unterricht entgegen-
wirken, indem er beim Übersetzen ins Deutsche nicht allzu frei-
gebig ist Perioden aufzulösen, vielmehr auch der eigenen Sprache
in diesem Punkte etwas zumutet. Daß dies möglich ist ohne
ihr Gewalt anzutun, zeigt u. a. die Verdeutschungsprobe, die
Carl Bardt 1885 einer Versammlung rheinischer Schulmänner
in Köln vorgelegt hat*^). Er gab vom ersten Kapitel der
neunten Philippischen Rede Ciceros zwei Übersetzungen, eine
wörtliche und eine „so genau als möglich, so frei als nötig";
aber auch in dieser zweiten war unter zwölf lateinischen Sätzen
nur bei einem die parataktische Umformung vorgenommen.
Wenn wir uns die gleiche Vorsicht zum Grundsatz machen, so
werden wir nicht in Versuchung kommen, an Stellen wie der
Der parataktischeu Neigung des Deutschen nicht zu sehr nachgeben. 125
schon erwähnten bell. Gall. VI 36 den charakteristischen Ein-
druck zu verderben. In diesem Falle handelte es sich um eine
Gewundenheit der Sprache, die sich bei Cäsar unwillkürlich ein-
gestellt hatte; anderwärts kann man zweifeln, ob er nicht mit
Absicht von seiner sonstigen Schlichtheit abgewichen ist. So
bell. Gall. EI 25, wo die Verwirrung eines Kampfes geschildert
wird, und noch mehr VI 43, 4 — 6, wo sich das Ende des Satzes
dem Leser, der es eben erreicht zu haben meint, immer wieder
gerade so entzieht wie Ambiorix, von dessen Flucht erzählt wird,
den nachsetzenden Reitern. Natürlich hat die Möglichkeit der
Nachahmung ihre Grenzen: das Malerische dieses Berichtes hätte
Köchly empfinden sollen; aber das Satzgefüge, in dem (ü 25)
Gefahr und rettendes Eingreifen in derNervierschlacht beschrieben
werden, läßt sich wirklich nicht als Ganzes ins Deutsche bringen.
Köchly hat sechs Sätze daraus gemacht, Rothfuchs noch einen
mehr^). Das ist nun doch wohl zu viel. Und wenn der letzt-
genannte zur Vergleichung die drei Perioden mit abdruckt, in
denen einst seine Tertianer den Stoff gruppiert hätten, so muß
ich bekennen: mir gefällt diese Form besser, als die soviel glattere
in sieben Sätzen, die er von einem tüchtigen Primaner meint
verlangen zu können. Der Leser soll hier durch die Fülle der
Mitteilungen ebenso bedrängt werden, wie am Schlachttage der
Feldherr durch die Menge der Schwierigkeiten und Gefahren.
4. Wer unsrer Fürsprache für den deutschen Periodenbau
doch noch zweifelnd gegenübersteht, möge sich der nicht ganz
wenigen Fälle erinnern, in denen gerade erst im Deutschen ein
Satz einem andern untergeordnet wird, dem er in der lateinischen
oder griechischen Vorlage gleichstand. Sallust schreibt z. B.
(lug. 98, 3): Marias coilis duos propinquos inter se occupat
quorum in uno castris parum amplo fons aquae magnus erat,
alter usui opportunus, quia magna parte editus et praeceps pauca
munimenta quaerebat Uns wäre es unbequem, die beiden
parallelen Glieder durch „deren** oder „von denen" zusammen-
zuhalten; wir machen daher das zweite abhängig und sagen:
„von denen der eine eine starke Quelle enthielt, während der
126 IX. Satzbau.
andere bequem zu benutzen war". Diese Unterordnung des
zweiten von zwei parallelen Gliedern kann bei längeren Perioden
geradezu notwendig werden, weil die Parataxe im Deutschen
dann nicht stark genug ist, um einen vom Anfang weit ab-
stehenden Gedanken unter der Herrschaft eines vorausgehenden
gemeinsamen Begriffes festzuhalten. Der Begriff, der alles
Folgende zusammenfaßt, kann eine Negation sein oder ein
regierendes Verbum, ein Fragewort oder eine Konjunktion.
Zur Erläuterung diene eine Stelle aus Demosthenes, wo zwei
Beispiele dicht hinter einander stehen, L Phil. 34 f. Der Redner
hat den Athenern dringend geraten, mit ständiger Streitmacht
und offensiv gegen Philipp den Krieg zu führen, schildert nun
die Vorteile, die davon zu erwarten sind: xoG izdoysiv aötol
xaxcoc IJo) 'yevT/oeo&s, oby^ woizep xov TrapeXOovta XP^vov eU A%-
fjLVOv xal TjjLßpov ifjißaXcbv aly^^Lokwzoo^ TcoXixac ujiexepoüc tp/ex'
£)ra)v, Trpbc tw Fepaioxc^ xa itXoTa auXXaßcbv dfjLuOiQxa )(pTQji.ax'
sJsXeJsv, xä xsXeuxai* e?? Mapa&oiv' dTreßTQ xal xtjv tepdv dizh x^?
/(opac «Jx®"^' ^X***^ '^P^'^P'^' 6jjLet? 8' oSxe xaöxa 86vao&e xcoXusiv
oox' eU Touc XP^^^^^? Q^^ ^v 7cpo&Y]o&e, ßoTQ&eiv. xaixot xt
ÖT^TCoxe, <o avSpec 'AOyjvaiot, vojitCexs X7]v jjl^v xcov nava&7]vata)v
eopxYjv xat xy;v xojv Aiovüoicdv dsl xoü xa&T^xpvxoc xP^voü Yt^vsoftai,
av xs Seivol Xdxcootv av x' töiÄxat ol xouxoiv ixaxipcuv kizi-
jjLsXoöjjLevot, eU ä xooaüx' dvaXtoxexe yß-fiiia-iay oo' oö8' s^^ Iva
xcüv dTTOoxöXcov, xat xooouxov oxXov xal TrapaaxeuiQV, ootjv oöx
oI8' ei xt xÄv aTcdvxcüv sx^t, tobe 8' otTcooxoXouc irdvxac Ufiiv
uoxeptCetv xcov xaipcov, xiv ek Me&coviQv, xiv s2? na^aoa'^, xov
zk noxei8atav; Wollte man hier wörtlich übersetzen: „nicht
wie es früher war, wo er . . . einfiel und . . . wegführte, . . .
erbeutete und . . . einzog, zuletzt . . . landete und . . . weg-
führte", so würde ein nachfolgendes „ihr aber dies nicht hindern
könnt" kaum noch verstanden werden. Ebenso im zweiten
Beispiel; auf das einleitende „warum, glaubt ihr, finden die
Feste alle zur rechten Zeit statt?" folgen so viele Zwischen-
sätze, daß ein abschließendes „eure Kriegszüge aber kommen
alle zu spät?" in der Erinnerung keine Stütze mehr für seine
Unterordnung im Deutschen statt ursprünglicher Beiordnung. 127
logische Beziehung findet sondern wie losgelöst erscheint
Wir helfen, indem wir die abfallenden Glieder aufs neue ab-
hängig machen, von dem zunächst vorhergehenden Gedanken,
und sie so mittelbar wieder unter die Herrschaft des Begriffes
zwingen, der der ganzen Periode die Haltung bestimmte: „nicht
wie es früher war, wo er . . . we^ührte, während ihr dies
nicht hindern könnt. Und doch, warum glaubt ihr, finden die
Feste zur rechten Zeit statt, ob nun . . ., während eure Kriegs-
züge alle zuspät kommen?"
In diesen Fällen war das zweite Glied wohl stärker betont,
doch stand das vorhergehende sachlich wie grammatisch mit
ihm auf einer Stufe; es kann vorkommen, daß das Übergewicht
noch stärker ist, das erste Glied als logisches Element in
Wahrheit eine dienende Stellung einnimmt. Dann tun wir gut
dies auch in der Form zum Ausdruck zu bringen, eben weil
es uns schwerer fällt, den Gedanken, nachdem ihm eine be-
stimmte Richtung gegeben ist, lange in der Schwebe zu halten.
So bei Xenophon Memor. II 7, 11: ouio) jjloi ooxetc xaXco? Xs^stv^
ü) Scüxpaxe?, woie Trpoa&ev jjlsv oü TrpootsjjLVjv 8avstoao&at, s{6ü>c
Ott ... . oö)^ ejo) otTcoSouvat, vöv ös jjloi Soxco ei(; spytov
acpopp.7]v uTTOfjLsvstv aüiö Troi^oat. Offenbar wäre es verkehrt
zu sagen: „dein Vorschlag leuchtet mir so sehr ein, daß ich
früher nicht borgen wollte, jetzt aber es tun werde"; es muß
heißen: „daß, während ich früher mir nicht beikommen ließ
Geld zu borgen, ich jetzt meine, daß ich mich dazu entschließen
werde, um ein Betriebskapital zu bekommen". Hier ist also,
umgekehrt wie vorher, das zweite Glied übergeordnet worden
und mußte es werden, weil es den Hauptgedanken enthält.
Etwas anders verfahren wir an einer ähnlichen Stelle der
Odyssee, a 74 f.: ex xou öy] 'Ooüo^a Ilooeiöacüv ivootj^&tov oi>
Tt xaxaxTsivet, TiXaCst S' octtö TcaxptSoc atY]C. „Seitdem läßt Po-
seidon den Odysseus, wenn er ihn auch nicht tötet, doch fern
von seinem Vaterlande umherirren": das wäre logisch richtig,
aber durch die vorausschauende Periodisierung unhomerisch.
Besser also: „seitdem läßt Poseidon den Odysseus — nicht
128 IX. Satzbau.
sterben, aber umherirren"; die Pause vor „nicht** deutet eine
überraschende Wendung des Gedankens an, wie sie im Griechi-
schen wirklich empfunden wird. —
Homer kann uns warnen, daß wir den Geist unsrer Sprache
nicht verkennen; denn der seinigen ist sie an konstruktiver
Kraft ebenso überlegen, wie sie hinter der Syntax eines
Demosthenes oder Cicero zurücksteht. In zwangloser Folge,
wie die einzelnen Gedanken in das Bewußtsein des Sängers
eintreten oder sich eindrängen, so werden sie vorgetragen,
immer wieder durch das farblose 8s einer an deti andern ge-
reiht. Natürüch darf man nicht meinen, der Dichter und seine
Zuhörer hätten die mannigfachen logischen Beziehungen nicht
empfunden; durch Gebärde und Betonung mochten sie sich
Ausdruck verschaffen: nur um in grammatischer Form fixiert
zu werden, dazu waren sie noch nicht klar genug erkannt.
Beim Übersetzen nun können wir nicht anders, als das, was
unsere Sprache schärfer zu erfassen gewohnt ist, auch bei
Homer etwas derber anfassen und ein wenig vergröbern; damit
kommen wir dem Eindruck, den die griechischen Hörer emp-
fingen, doch immer noch näher, als wenn wir in bleierner
Eintönigkeit jedes 6s mit „aber** oder, noch jämmerücher, mit
jenem „nun" wiedergeben wollten, das in der Regel da sich
einstellt, wo der Redende zu bequem ist sich das Verhältnis
der Gedanken klar zu machen. Kein Zweifel, daß ein homerisches
3s, in lebhaftem Vortrage richtig gesprochen, auf dieses Ver-
hältnis hindeutete; wir, denen die Verse nur gedruckt vor Augen
stehen, müssen erst die umgebenden Worte zu verstehen suchen,
die Art des Zusammenhanges erkennen und dann diejenige
deutsche Konjunktion wählen, die ihm entspricht. „So sprach
er, Pontonoos aber mischte den honigsüßen Wein** (v 53): daß
das falsch ist, begreift jeder leicht; denn was kann man von
dem Herold anders erwarten, als daß er den Befehl des Königs
ausführt? Also: „so sprach er, «/zöf Pontonoos mischte**. Oder
(i 144 f.) o& 8s osXi^VT] oöpavo&sv Trpoucpaivs, xaxst/sxo 8^ vscps-
saaiv: y^denn er verbarg sich hinter Wolken**. Ägisthos gehorchte
Das homerische U. 129
dem Hermes nicht (a43), vöv o' a&poa tcgcvt* dTrstiasv: „drum
hat er jetzt alles auf einmal gebüßt". Die Schüler erlangen
nach einigen Wochen, wenn sie zu solcher Überlegung ange-
leitet werden, eine ganz hübsche Fertigkeit darin; und indem
sie, um das richtige Wort zu finden, in den Zusammenhang
einzudringen suchen, gewinnt dieser selbst für sie gesteigertes
Leben. Noch ein paar Beispiele! Die Art, wie das Schiff der
Phäaken durch die Wellen streicht, ist anschaulich beschrieben;
dann heißt es (v 86): r^ hk jaoc^' dacpaXeco? Oeev sjxttsSov „so
fuhr es sicher dahin, immerfort". Wie Telemach seine Rede
in der Volksversammlung beendet hat, sagt der Dichter (ß 80 f.) :
fi)C cpaxo }(a>o[xsvoc, i^otI Zh ax^Tuipov ßdXe yaiiQ Sdxpu ctvaTTpi^oac *
olxtoc o' sXs Xaov airavxa: „da ergriff Mitleid das ganze Volk".
Hier könnte man auch an „so daß" denken; aber die
Wirkung würde, so nebensächlich erwähnt, nicht stark genug
hervortreten. Anders z. B. i 290 inmitten einer Reihe von
koordinierten Sätzen: sx 8' i^xscpaXoc /ajidSt? pie, oeue 8^ ^atav
„floß zu Boden, so daß es die Erde benetzte". Und im ganzen
wird es oft sich empfehlen, den Eindruck der homerischen
Erzählweise, die doch einmal den Sinn ermüden könnte, dadurch
zu mildern und zugleich das Verständnis des Gedankenganges
zu erleichtern, daß man kleine Perioden bildet. So in der
heftigen Rede des Antinoos ß 85 f. : TyjHfjLax' üij^aYopy], jxevos
aa)^ST£, TTOiov sstTcs? r^\iia<; aiayovwvl sOeXoi? oe xs jxwjxov
fivd^oii: „Großsprecher, Unbändiger, was hast du da gesagt,
indem du uns schmähst, weil du uns einen Schandfleck anheften
möchtest". Und später (p 456 f.) in den herausfordernden Worten
des Bettlers an denselben Freier: 8? vuv dXXoTpiotat Tuap^jASvoc
ou Tt |iot stXy]? atTou dTTOTTpoeXcüv o6[jL£vat * tä 0£ t:oXX& Ticxpeaitv:
„obwohl da vieles vor dir liegt". Daß durch solche Freiheiten
der Gesamteindruck des homerischen Stiles leiden könnte, ist
nicht zu fürchten, sobald man sich zur Regel macht, eine
Periode nur da herzustellen, wo sie durch besonders enge
sachliche Verbindung eigentlich schon gegeben ist. Dann aber
gibt es kaum eine deutsche Konjunktion, die nicht gelegentlich
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3. Aufl. 9
130 IX. Satzbau.
für 8e eintreten könnte; z. B. auch, um noch eine recht un-
wahrscheinliche zu nennen, „wenn**. In dem schönen Vergleich
des Menschenlebens mit dem Fallen und Sprießen der Blätter
(Z 147 f.: cpuXXa xä jjiv x avejjioc yoL\idhi^ j^iet, iWa Ss &' üXtq
TTfjXe&ctouoa cpüst — sapo? 8' iTri^t^veTai ÄpTj) würden wir sagen:
„wenn die Zeit des Frühlings herankommt". Oder, wie Odysseus
den Probeschuß getan hat und nun zu ernsterer Arbeit sich
rüstet (y^ 6 f.): vuv a5xe axoir^v aXXov, 8v oo ttco xi^ ßaXev avVjp,
eroojiai, aX xs x6)fa)ji,t, TcopiQ 8e jxoi e3)roc WiroXXcov: ^etzt will
ich ein anderes Ziel versuchen, ob ich es treffe, falls Apollon
mir Ruhm verleiht". —
Das Kapitel über den Satzbau hat uns länger beschäftigt
als irgend eines der früheren. Zum Teil hatte dies in der
äußeren Gestalt und dem Umfang der Beispiele seinen Grund,
zum Teil doch auch darin, daß hier manche der vorher eröffneten
Betrachtungen zusammengefaßt und abgeschlossen werden
mußten. Von Vollständigkeit ist trotzdem gerade dies Kapitel
besonders weit entfernt; und niemand wird sie von einer Dar-
stellung wie der hier gebotenen erwarten. Einen anderen
Vorwurf dagegen könnten manche erheben; dem zu begegnen
seien wenige Worte noch hinzugefügt.
Schluß.
Fortleben der Aufgabe.
Wenn sich der Geist der Geister will entfalten
Wird unablässig er das Wort erneuen.
Gottfried Keller.
Zu festen, allgemein giltigen Gesetzen sind wir nirgends
gelangt; immer wo im einzelnen ein solches gefunden zu sein
schien, mußte auf ein entgegenstehendes Bedenken hingewiesen
werden, das auch seine Rücksicht verlangte, auf ein Bedürfnis
des Ausdrucks, das in Gefahr geriet vernachlässigt zu werden:
die letzte Entscheidung blieb fast durchweg dem sprachlichen
Takt überlassen. Dies ist nun freilich gerade das, was beab-
sichtigt war. Nicht ein System von Regeln wollten wir gebeij,
die sich einfach und sicher überall anwenden ließen, sondern
durch gewählte Beispiele eine lebendige Anschauung vom Wesen
der Sprache und ihrem Verhältnis zum Denken erwecken helfen,
aus der dann für jeden, der von ihr durchdrungen wäre, von
selbst im einzelnen Falle ein guter Gedanke erwachsen könnte.
Auch in der Einleitung wurde nichts anderes versprochen.
Trotzdem konnte Tadel gegen ein solches Verfahren nicht
ausbleiben; zu sehr widersprach es der heute herrschenden
Denkweise, für welche überall „die** richtige Methode das ist,
was man sucht oder, kaum weniger bescheiden, gefunden zu
haben meint. Oskar Jäger hat sich gelegentlich^^) den Ausspruch
eines geistreichen Franzosen angeeignet: une langue parfaite
serait la v^rit^ mime; so könne man auch sagen, daß eine voll-
kommene Übersetzung das Original selbst sein würde. Gewiß;
9*
132 Schluß.
aber wir dürfen in seinem Sinne hinzufügen: solche Vollkommen-
heit bezeichnet eine Grenze, der wir uns nähern sollen, die aber
nie erreicht werden kann. Und es ist gut, daß es so ist; Menschen
müßten sonst aufhören Menschen zu sein. So lange sie das
bleiben, wird auch ihr Denken und Sprechen seinen Reiz und
seinen unerschöpflichen Wert gerade in dem haben, was seine
Schwäche ausmacht, in der Verschiedenheit der Auffassung
desselben Gegenstandes durch verschiedene Geister. Ließe sich
nicht eine Steigerung der Technik denken, durch welche es
möglich wäre, daß ein so schwieriges Musikstück wie eine
Beethovensche Sonate durch ein Uhrwerk fehlerlos und mit
vorzüglichen Klangmitteln abgespielt würde? Aber würde der
Genuß, dem zuzuhören, größer sein, als wenn Bülow dasselbe
Werk vortrug? Gewiß nicht. Wir würden die künstlerische
Wirkung vermissen, jenes unfaßbare Element, das zwischen
Idee und Ausführung sich einschiebt, mathematisch betrachtet
den Vortrag ungenau macht, ihn bald hemmt bald leise
beschleunigt, den Ton dämpft oder verstärkt und eben
durch solche fast unmerkliche und zum guten Teil wohl un-
gewollte Abweichungen den Hörer fortreißt den Sinn der
Töne zu verstehen, das mitzuempfinden was der Vortra-
gende in ihnen gefühlt hat. Einer Sprache, die nicht irren
könnte, die ein unmittelbarer Abdruck der Wirklichkeit wäre,
würde die Seele fehlen, so gut wie dem Lichtbild oder der
Spieluhr.
Die Stellung des Übersetzers zu dem Texte, den er aufleben
lassen will, ist ähnlich wie die des ausübenden Musikers zu
seinem Kunstwerk oder des Schauspielers zu seiner Rolle. Den
beiden letzten ist es gemeinsam, daß die künstlerische Leistung
mit dem Augenblicke vorüberrauscht, der sie geboren hat, und
jedesmal von neuem erzeugt werden muß. Für die Kunst des
Übersetzens gilt dies eigentlich nur von dem mündlichen Vor-
trag, und diese Vergänglichkeit verleiht der scheinbar eintönigen
Arbeit des Lehrers in der Schule ein eigentümliches Leben.
Immer tiefer dringt er im Laufe der Jahre in den Stoff ein,
Fortleben der Aufgabe. 133
mit immer reiferem Verständnis sucht er ihn zu gestalten, immer
neue Generationen von Schülern sind es, die dazu mitwirken.
Aber auch im großen erfährt doch die Nation etwas Ähnliches.
Treffend bemerkt Gidionsen in der Vorrede zu seiner Übersetzung
der Ars poetica (Kiel 1865): „Wenn wir wirklich den Horaz
„reden lassen sollen wie einen Originaldichter, so scheint zu
„folgen, daß er, um zeitgerecht zu bleiben, mit jedem Jahrhtmdert
„anders wird reden müssen." Auch Humboldt erkannte dies.
„Übersetzungen", sagte er (HI 21), ^sind mehr Arbeiten, welche
„den Zustand der Sprache in einem gegebenen Zeitpunkt wie
„an einem bleibenden Maßstab prüfen, bestimmen und auf ihn
„einwirken sollen, und die immer von neuem wiederholt werden
„müssen, als dauernde Werke".
Um dies recht zu verstehen, braucht man nur Luthers
Neues Testament mit dem von Weizsäcker oder von Stage zu
vergleichen. Die Sprache des Reformators macht einen ehr-
würdigen Eindruck, weil sie altertumlich ist und von der des
täglichen Lebens abweicht; aber eben deshalb bedarf sie vielfach
des erklärenden Wortes, und das tut der ins Innere dringenden
Wirkung Abbruch. Man kann geradezu sagen: daß die christ-
liche Religion einem Teil der jetzt lebenden Deutschen fremd
geworden ist, rührt mit daher, daß wir keine Übersetzung der
Bibel haben, die ebenso vom Geist unserer Zeit und Sprache
getragen wäre wie Luthers Werk von dem des sechzehnten
Jahrhunderts. Oder auch umgekehrt: wenn die Religion im
protestantischen Volke eine stärkere Macht wäre, so würde sich
diese Tatsache durch die Schöpfung eines neuen deutschen
Bibeltextes, der den Lutherschen ersetzen könnte, Ausdruck
verschaffen. Die Arbeit der Revisions-Kommission mußte not-
wendig Flickwerk bleiben; das Urteil, das Paul de Lagarde über
sie gefällt hat ^2)^ ^ar wohl kaum zu hart. Mit Homer steht
es, wiewohl in geringerem Grade, ähnlich. Es gehört heute
zum guten Ton das Werk des wackeren Voß zu verspotten;
auch in Wilamowitz' Augen findet es keine Gnade (Hippel. S. 8).
Und das ist ja richtig: vieles darin mutet uns seltsam an;
134 Schluß.
Dias und Odyssee würden fleißiger gelesen werden, wenn es
eine Übersetzung gäbe, in der wir mehr unsere eigene Sprache
vernähmen. Aber ist das ein Vorwurf für den Eutiner? Viel-
mehr ist es zum guten Teile sein Verdienst, daß wir über ihn
hinausgekommen sind; die starke Wirkung, die von ihm aus-
ging, hat gemacht, daß er veraltete ^^. Vielleicht ist es bald
an der Zeit Homer von neuem zu übersetzen, und zwar, wie
Goethe einmal geraten hat, zunächst in Prosa ^). Dies war die
erste von drei Stufen, die er für die Übersetzungskunst unter-
schied. Er wird auch hier recht haben; nur darf man nicht
vergessen, worauf er selbst hinweist, daß die Epochen sich nicht
reinlich von einander scheiden. Dem, der Kraft und Trieb
zu poetischem Schaffen in sich fühlt, wird niemand verwehren
der Wissenschaft vorauszueilen und sich an der künstlerischen
Nachbildung eines Literaturwerkes zu versuchen, dessen sprach-
liche Erklärung noch nicht überall im reinen ist; und umgekehrt
soll man den Gelehrten nicht schelten, wenn er fortfährt an
der Prüfung und Deutung von Gedanken zu arbeiten, die
schon in bestimmter Auffassung und Übertragung ein Gemein-
gut seines Volkes geworden sind. Ja, die Perioden wieder-
holen sich im Laufe der Jahrhunderte, wenn der Portschritt in
der Entwicklung der eigenen Sprache und im philologischen
Verständnis der fremden stark genug geworden ist, um die
Rückkehr von der höchsten Art der Übertragung zur schlichte-
sten zu verlangen, wo denn Arbeit und Wachstum von neuem
beginnen.
In dieser Irrationalität des Verhältnisses zwischen Original
und Übersetzung liegt zugleich der entscheidende Grund, weshalb
wir nicht aufhören dürfen griechische und lateinische Texte zu
lesen und deren selbsterarbeitetes Verständnis als wichtigsten
Teil derjenigen Art von höherer Bildung zu pflegen, die sich
überhaupt auf das Altertum gründet. Es heißt wohl, das sei
überflüssig; denn eine gute gedruckte Übersetzung biete inhalt-
lich vollkommen dasselbe, nur in bequemerer Form. Das ist
ungefähr so, als wenn jemand sagen wollte, es sei nicht nötig
k
Fortleben der Aufgabe. 135
nach Italien zu reisen um Rafael und Tizian zu studieren, weil
man ihre Werke in guten Kupferstichen handlicher und billiger
überall haben könne. Richtig ist ja dies: Felsen und Bäume,
Gewölbe Fenster Türen, Tiere und Menschen in Gruppierung
und gegenseitiger Haltung, auch in Gesichtszügen und Gebärden
der einzelnen, zeigt die Nachbildung ebenso deutlich wie das
Gemälde, oft genug deutlicher. Wo die bunte Fülle der Farben
den ungeübten Blick verwirrt, in zartester Abtönung unmerklich
eine in die andere übergeht, wo im Original durch das Alter
Dunkelheiten entstanden sind, da tritt der Kupferstecher als
Interpret ein und gibt in klareren Strichen ein Bild dessen,
was seiner Ansicht nach der Künstler hat darstellen wollen.
Aber von diesem Vermittler sind wir nun abhängig: wir sehen
immer nur einen Teil der ursprünglichen Schöpfung, das was
mit farbloser Zeichnung sich greifen läßt, und auch dies nicht
mit eignen Augen, sondern so wie ein andrer es gesehen hat.
Auch die reproduzierende Kunst hat ihre Geschichte; dem
Einfluß ihrer Wandlungen können sich die einzelnen, die zu
bestimmter Zeit und an bestimmtem Orte sie ausüben, nicht
entziehen. Volpatos Stich der Schule von Athen ist etwas
merkbar anderes als der moderne von Louis Jacoby; und doch
ist der „Inhalt" beider Bilder genau derselbe. Worin hier und
in ähnüchen Fällen der Unterschied besteht, traue ich mir nicht
zu so im Vorbeigehen zu definieren: genug, er ist vorhanden
und wird empfunden ; und der Versuch ihn zu beschreiben führt
auf ein intimeres Verständnis des Kunstwerkes selber hin.
Wirklich ins Innere zu dringen und von der Seele des schaffenden
Künstlers unmittelbar berührt zu werden vermag nur, wer sich
mit empfänglichem Auge in die Farbenpracht des Originales
vertieft. Hat er dazu noch Geschicklichkeit und Muße, um das
was er sieht festzuhalten und mit eigner Hand aufs Papier zu
bringen, dann ist die so entstandene Zeichnung, mag sie
künstlerischen Ansprüchen noch so wenig genügen, für ihn doch
wertvoller als die beste Wiedergabe von der Hand eines Meisters;
denn sie bedeutet ihm Selbsterarbeitetes, Selbsterlebtes.
136 Schluß.
Auf eben diesen Standpunkt den Kunstwerken der Literatur
gegenüber führen wir den, dem wir dazu verhelfen sie in der
Sprache zu lesen, in der sie geschaffen sind. Mag die Über-
setzung, die er sich zurechtmacht, schlechter sein als manche
gedruckte, das schadet nichts; der Segen jeder geistigen Arbeit
liegt nicht so sehr in dem Resultate, das durch sie erreicht,
als in der Betätigung der Kräfte, die dabei aufgeboten wird.
Ja, die Mängel und Anstöße, die beim Suchen nach Verständnis
und Ausdruck stehen bleiben, bringen sogar Nutzen; denn da
sie dem, der sich redlich abmüht, selber am deutlichsten zum
Bewußtsein kommen, so lassen sie allmählich in ihm die Ein-
sicht hell werden, daß eine vollkommene Lösung der Aufgabe
überall unmöglich ist. Oft genug wird es vorkommen, daß ein
Primaner einen Gedanken bei Homer, Sophokles, Piaton klar
versteht, auch in den feineren Schattierungen die etwa durch
Modus und Partikeln gegeben werden nachempfindet, ohne daß
sich doch ein ganz entsprechender deutscher Ausdruck finden
läßt; man kann die Nuancen umschreiben, dann wirken sie
breit und schwerfällig — oder weglassen, dann ist die Wieder-
gabe unvollständig. Gedanke und sprachliche Form verhalten
sich eben nicht wie Kern und Schale, deren einen man
aus der andern reinlich lösen mag, nicht wie der Leib zum
Gewände, das er ablegen und vertauschen kann, sondern
sie sind vom Ursprung her in einander verwachsen. Solche
Erkenntnis macht bescheiden in bezug auf das Verständnis
überlieferter Gedanken, das man sich zutraut. Und diese
Bescheidenheit erworben zu haben ist an sich schon ein Preis,
der die Mühe des Studiums einer fremden und fremdartigen
Sprache lohnt.
Im Grunde ist es ein negativer Gewinn, daß man die Be-
ziehung zwischen Sprechen und Denken vorsichtig würdigen
lernt, und nicht meint man habe einen Begriff, wenn man ihn
benennen kann. Aber dies ist nicht das einzige, was bei treuer
Arbeit des Übersetzens gewonnen wird. Wer sich als denkender
Mensch — und das sind doch unsere Schüler — an ihr beteiligt,
Fortleben der Aufgabe. 137
nimmt dadurch an jenem geistigen Prozeß teil, der durch die
Jahrhunderte geht, und der nicht aufhören wird, weil die
Forderung, die ihn in Gang hält, immer neu erwächst. Diese
ist: daß wir in stetem Verkehr mit den an ursprünglicher Stärke
überlegenen Sprachen des Altertums den Geist und die Form
der eigenen Rede stählen, und dabei aus solchem Jungbrunnen
immer gerade die Kräfte schöpfen, deren wir, das zur Zeit
lebende Geschlecht, bedürfen, um gesund zu bleiben. Die
Menschen mit ihren Schwächen ändern sich; so ändert sich
unmerklich auch die Art der Hilfe, die sie für Klärung und
Festigung ihres Denkens in den alten Sprachen suchen müssen
und finden können.
So betrachtet ordnet sich die Tätigkeit des Übersetzens
einer allgemeineren Aufgabe unter. Auch Religion und Sitte,
Recht und Gesetz, Wissenschaft und Kunst der Griechen und
Römer fordern unsere Kraft heraus; auch für diese Seiten des
antiken Lebens gibt es immer wechselnde Auffassungen, weil
es immer wieder veränderte moderne Kulturstufen sind, die
sich mit der alten Kultur vergleichen und sie nach eigenem
Maße messen. Wer die wirtschaftlichen und politischen
Leistungen der Alten erkennen will, muß analoge Verhältnisse
imd Vorgänge in der modernen Welt aufsuchen, um zu wirk-
licher Anschauung den Stoff zu gewinnen; wobei er denn
umgekehrt die eigne Zeit richtig schätzen lernt, indem er
durch Vergleichung mit Fremdem in ihren Erscheinungen das
Wesentliche herausfindet^^). Wenn ihm manches deutlicher
wird als seinen Vorgängern, so soll ihn der Gedanke bescheiden
machen, daß, die nach ihm kommen, über ihn hinwegschreiten
werden. Jede Generation glaubt das Altertum zu verstehen
und fühlt sich ihm verwandt; und jede versteht es doch anders
als die vorige. So ist es den großen Schöpfungen der Vorzeit
vergönnt, nicht nur unvergänglich zu dauern, sondern auch
Gestalt, und Antlitz zu wechseln, als ob sie noch fortwüchsen,
uns aber, mit ihnen wie mit lebenden zu verkehren und an
ihnen zu werden. Man hat gegen diese Betrachtungsweise
138 Schluß.
eingewendet, sie sei wohl gut für den Gelehrten, könne aber
dem Schüler nichts nützen; dies Buch möchte für sein engeres
Gebiet den Beweis geführt haben, daß das ein Irrtum ist.
Auch die Kleinarbeit der Schule wird dadurch gefördert, daß
man sie an die allgemeinen Probleme, die das Geistesleben
bewegen, anknüpft; und die ernsten Gedanken der Wissenschaft
werden für die Entwickelung der Menschheit erst dann recht
fruchtbar, wenn sie mit irgend welchen ob auch entfernten
Ausläufern in die Tätigkeit hineinreichen, mit der an der Er-
ziehung des heranwachsenden Geschlechtes gearbeitet wird.
Exkurs zu Seite 20.
Über das Präparieren.
Durch das neueste Prüfungs-Reglement wird der Gebrauch
eines Lexikons bei der Übersetzung aus dem Griechischen aus-
geschlossen. Das bedeutet scheinbar eine Erschwerung, in
Wahrheit eine bedenkliche Erleichterung der Aufgabe. Denn
natürlich wird nun die Menge der Hilfen, die der Lehrer zu-
gleich mit dem Texte gibt, vergrößert werden müssen. Das
Reglement sieht nicht bloß diese Vermehrung vor, sondern
will auch gestatten, daß noch während der Arbeit auf Wunsch
weitere Hilfen hinzugefügt werden: vollends eine unglückliche
Bestimmung. Sie schadet den Bescheidenen, belohnt die Vor-
lauten und gibt, was schlimmer ist, jedem die Möglichkeit, durch
ein Gespräch mit dem Lehrer absichtlich oder unabsichtlich die
Mitarbeitenden sei es aufzuklären oder zu verwirren. Denn
durch törichte Fragen, die sie mit anhören, können Angstliche
von einer richtigen Fährte abgebracht werden; aus dem was
ein Gescheiter fragt werden aufmerksame Zuhörer die Voraus-
setzung der Frage und damit oft den für das Verständnis
entscheidenden Gedanken entnehmen. Doch auch wenn dieser
Mißbrauch, der vom Gebrauch kaum zu trennen wäre, durch
freigebig im voraus diktierte Erläuterungen vermieden wird,
so bleibt solche Freigebigkeit an sich ein Übel. Ungewöhnliche
Vokabeln hat man auch bisher schon angegeben, weil die Mühe,
sie im Lexikon aufzusuchen, eine Arbeit ohne geistigen Inhalt
140 Exkurs
ist. Künftig aber wird man auch von bekannten Worten etwas
sagen müssen, wenn sie in ungewohnter Konstruktion oder in
einer etwas weiter abgeleiteten Bedeutung vorkommen, die
das Bedenken erweckt, ob sie auch allen erkennbar sein werde.
Und trotzdem kann es dem Lehrer passieren, daß er ein Wort
für bekannt oder durchsichtig hält, das nachher doch nicht
verstanden wird und durch seine falsche Deutung den Sinn
eines ganzen Abschnittes über den Haufen wirft.
Die unvermeidliche Folge der neuen Bestimmung ist, daß
die griechische Arbeit der Abiturienten entweder den Charakter
einer selbständigen Leistung verliert oder mehr und mehr an
Texten leichtester Art geleistet wird, die unter das Niveau,
dem sonst die Lektüre der Primaner angehört, hinabsteigen.
Sollte dies die Absicht gewesen sein? Doch wohl kaum. Eher
möchte man glauben, daß die Unterrichtsverwaltung durch die
Klagen mancher Schulmänner beeinflußt worden sei, die davon
berichteten, wie unverständig oft während der Prüfung das
Lexikon gewälzt, kostbare Zeit vergeudet. Irreführendes heraus-
gelesen werde. Auch mir sind solche Klagen bekannt geworden.
Sollten sie den Tatsachen entsprechen, so würden sie ein sehr
ungünstiges Zeugnis bedeuten, das wir uns selber ausstellen:
der philologische Unterricht auf dem Gymnasium bringt die
Schüler nicht so weit, daß sie beim Übergang auf die Uni-
versität die Fähigkeit besitzen das Lexikon richtig zu gebrauchen ;
d. h. er bringt sie nicht dahin, das sie einen alten Autor auf
eigene Hand lesen können.
Hier sind diese Erwägungen nur deshalb angedeutet worden,
weil durch sie in erhöhtem Grade die Pflicht begründet wird,
auf der Schule und im Unterrichte selbst zu vernünftiger Be-
nutzung des Lexikons anzuleiten. Für die oberen Klassen ist
uns das durch eben jene Vorschrift erschwert. Denn während
es bisher doch wohl die Regel war, daß in Obersekunda und
Prima zu schriftlichen Klassenarbeiten das griechisch-deutsche
und lateinisch-deutsche Lexikon mitgebracht wurden, wo dann
der Lehrer Gelegenheit hatte, hemmend ratend zurechtweisend
über das Präparieren. 141
einzugreifen, sind wir jetzt genötigt, wenigstens die Primaner
an die Art des Arbeitens zu gewöhnen, die in der Reifeprüfung
gefordert wird, also ohne Wörterbuch. Auf den vorhergehenden
Stufen aber, die für Gewöhnung an richtiges Arbeiten die
grundlegenden sind, hindert uns niemand das Naturgemäße
zu tun und dadurch, so viel an uns liegt, die Schüler vor dem
Schaden zu bewahren, den die Spezialwörterbücher und erst
recht die gedruckten Präparationen von der Art der Kraft- und
-Ranke'schen stiften. Die Praxis, die sich auf diesem Gebiete
seit einigen Jahren unter meiner Mitwirkung ausgebildet hat,
soll hier zunächst kurz beschrieben werden.
Gleich nach Ostern bringen die Untertertianer ihr lateinisches
Lexikon mit in die Schule, das dann 2 bis 3 Wochen dort bleibt
um in jeder Lektürestunde zur Hand zu sein; auch der Lehrer
hat ein solches Buch vor sich, und nun werden unbekannte
Vokabeln gemeinsam gesucht.. Manche stellen sich sehr unge-
schickt an, die einfachsten Handgriffe müssen ihnen gezeigt
werden: die Art des Blätterns, daß man nicht Seite für Seite
umschlägt sondern ein Päckchen auf einmal, nicht aUe Wörter
einer Kolumne durchsieht sondern sich an die Stichwörter oben
am Rande hält, ebenso wie innerhalb des einzelnen Artikels
an die fett oder gesperrt gedruckten Grundbedeutungen. Wie
die Abkürzungen zu ergänzen sind, wissen kleine Menschen
doch nicht von selbst. Auch wenn, was nicht einmal überall
der Fall ist, ein erläuterndes Verzeichnis dem Buche vorgedruckt
ist, muß ihnen gezeigt werden, wie man das zu Rate zieht;
und manches dort gefundene Wort bedarf noch weiterer Er-
klärung. „Freq(uentativum) , Intens(ivum)" mögen aus dem
grammatischen Unterricht bekannt sein; aber was mit „fig(ürlich)"
oder „trop(isch)" oder auch deutsch „übertr(agen)" gemeint
ist, muß irgend einmal gelehrt werden. Auch darauf tut man
gut hinzuweisen, daß eine dem Kennwort eines Artikels in
Klammern beigefügte Vokabel ein verwandtes Wort ist, in der
Regel das von dem jenes abgeleitet werden kann. Die Auf-
merksamkeit auf den etymologischen Zusammenhang wird
142 Exkurs
namentlich später dem Suchenden viel nützen können —
Beispiele dafür sind schon früher (S. 28) dagewesen — und
mag in Obertertia, wo sich im Anschluß an Xenophon ähnliche
Übungen mit dem griechischen Wörterbuch wiederholen, aus-
drücklich anerzogen werden.
Ohne daß der Name „Etymologie" gebraucht wird, läßt sich
der Sinn dafür schon früh wecken. So fest den Jungen das
Gefühl eingepflanzt werden soll, daß Raten ungefähr das Ärgste
ist, was sie — zu eignem Schaden und eigner Schande — tun
könnten, so heilsam ist es, ihnen zu zeigen, wie man durch
Nachdenken zu vernünftigen Vermutungen kommt. Wenn
Wörter wie impune, difficultas als fremde im Cäsar begegnen,
so mögen die Schüler, zuerst durch Fragen des Lehrers geleitet,
sie zerlegen und erklären und dann im Lexikon nachsehen, ob
sie das Rechte gefunden haben. Überhaupt ist das eine wichtige
Sache, daß sie lernen auch bekannte Wörter nachzuschlagen;
aber nicht planlos, im dumpfen Gefühl der Unzulänglichkeit
des eignen Wissens, sondern immer mit einem bestimmten
Ziele. Vexillum proponendum, quod erat insigne, cum ad arma
concurri oporteret: so lasen wir kürzlich bell. Gall. n 20 bei
Gelegenheit solcher Übung. Alles war richtig übersetzt, nur
insigne „ausgezeichnet" stimmte nicht: und nun suchten wir
nach, ob das Wort auch etwas andres heißen könne. His
difficültatibus duae res erant subsidio, steht wenige Zeiten später.
Hier war subsidium bekannt; aber „Hilfe, Beistand" für Schwierig-
keiten? ja wenn es „Abhilfe" bedeuten könnte! Das war durch
Überlegung gefunden, wurde nun durch das Wörterbuch be-
stätigt. Auch einen falschen Weg einzuschlagen wird man bei
dieser gemeinschaftlichen Arbeit die Schüler nicht hindern,
vielmehr getrost eine Grundform oder Vokabel mit suchen, die
es gar nicht gibt, um nachher desto wirksamer zeigen zu können,
wie man aus dem Gefundenen oder Nichtgefundenen sich
selber korrigiert.
In Obertertia im Griechischen wird diese Kunst weiter vervoll-
kommnet. Die Schulwörterbücher führenja die wichtigsten Formen
über das Präparieren. 143
der eigentlich unregelmäßigen Verba in der alphabetischen Reihe
mit auf; aber es bleibt doch noch manches, was dem Anfänger
Not macht. Wenn exü/e, eöoSe zufällig in einer Lexikon-
Stunde zum ersten Male vorkommen, so ist es ganz natürlich,
daß die Jungen tü^- 8oJ- aufsuchen; da finden sie denn ttl/Yj
Soja, dahinter aber in Klammern TüY/avco Soxsco, und es ist
nicht zu viel verlangt, daß sie nun selber erkennen sollen: das
werden die Verba sein, von denen stü/s sSoJs herkommen.
Sehr schön, wenn einer solche Findigkeit von Natur besitzt; wem
sie aber fehlt, der darf doch nicht einfach seinem Schicksal über-
lassen werden, sondern wir wollen versuchen sie ihm anzuge-
wöhnen. Schadet gar nichts, wenn in solchen Stunden äußerlich
wenig geschafft wird; das Opfer an Zeit macht sich in späteren
Jahren bezahlt. Daß ostoa? ösioaviec unter Sstoo) verzeichnet
stehen, kann ein jugendlicher Leser der Odyssee nicht von selber
wissen; er schlägt Seio- auf, findet Seto^vtop ostoiSaijAtüv, und
sieht aus dem in Klammer beigefügten Setoo), wohin er weiter
sich zu wenden hat. Zu ßsßpwosxai sucht er ßpo)- und wird
durch das Stichwort „ßpwot? (ßißptüoxo))" auf den rechten
Weg geführt.
Nachdem die Stelle im Lexikon gefunden ist, kommt es
darauf an, aus dem was dort steht das Richtige zu entnehmen.
Das Wort im Zusammenhang der Rede und dasselbe als Gegen-
stand eines Artikels im Wörterbuch sind nicht dasselbe Ding:
auch wer dies noch nicht theoretisch sich klar machen kann,
soll es fühlen und praktisch befolgen. Gewiß nicht bloß mir
sind Sekundaner vorgekommen, die, weil sie iji^cpoc als „Stimm-
stein", contio als „Volksversammlung" kennen oder erklärt
gefunden haben, nun meinen übersetzen zu müssen: „mit diesem
Stimmstein abstimmen" (Herodot IX 55), „nachdem das Volk
zur Volksversammlung gerufen war" (Liv. XXni 3, 1). Weist
man dergleichen Pedanterien zurück, so berufen sie sich wohl
auf den gedruckten Gewährsmann. Deshalb lautet eins meiner
Zehngebote, schon seit vielen Jahren: Du sollst nicht sagen
„es steht so im Lexikon". Was dort steht, ist aufgespeichertes
144 Exkurs
Material, aus dem ein denkender Mensch das herausnehmen
soll was er braucht, um es in dem Zusammenhang eines ihm
vorliegenden Gedankens lebendig werden zu lassen. Allerdings
könnte für gute, d. h. innerlich begründete Ordnung des
Materials in den Wörterbüchern selbst noch manches geschehen.
Der Schüler darf nicht einer bunten Speisekarte von Bedeutungen
gegenübergestellt sein, die ihm nur das Gefühl gibt, daß wer
die Wahl hat die Qual hat. Er muß erkennen können — wenn
auch nicht gleich begrifflich formulieren — , wie sich die ver-
schiedenen Gruppen von Bedeutungen, die im Druck hervor-
gehoben sind, zu einander verhalten, damit er bestimmen kann,
welcher Gruppe die Anwendung, die er gerade im Texte vor
sich hat, angehört Dabei mag er fehlgreifen und nachher den
Fehler berichtigen, das kommt überall vor; nur soll er nicht
verleitet werden ratlos herumzuprobieren.
Unter den Gesichtspunkten, von denen aus die Lebens-
äußerungen eines Wortes einheitlich betrachtet und in ihrer
Verzweigung durchschaut werden können, bleibt der wichtigste
immer der Unterschied von Grundbedeutung und abgeleiteter
Bedeutung, der sich besonders häufig als Gegensatz von körper-
licher und ins Geistige übertragener Anwendung darstellt.
Dieses Verhältnis kann in der Schule gar nicht früh genug
deutlich gemacht werden. Und zwar geschieht das zunächst
am besten in ganz hausbackener Weise, indem man auf jenes
„trop." oder „übertr." aufmerksam macht und zeigt, wie im
Lexikon immer diese Hauptgruppen einander gegenüberstehen,
so daß der Leser sich jedesmal darüber klar werden muß, in
welcher von beiden er zu suchen hat. Allmählich befestigt sich
so die Gewohnheit, den mannigfaltigen Gebrauch eines Wortes
als Wachstum aus fruchtbarem Keime anzusehen. Und von
da aus wird es schon in Sekunda gelingen, vollends in Prima
nicht schwer fallen, in den jungen Menschen den Trieb zu
wecken und zu pflegen, der auf das Ursprüngliche geht und
es wieder hervorzieht. Dafür leisten uns auch die besseren
Lexika nicht ganz die Hilfe, die wir brauchen, indem sie gern
über das PräpariereD. 145
für einzelne Fälle eine unnötig freie Übersetzung geben, deren
Zusammenhang mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes
der Schüler nicht mehr erkennen kann. In einer Homerstunde,
der ich zuhörte, wurde für Sit oE (ppeolv aptta -^öet (E 326)
gesagt: „weil er mit ihm eines Sinnes war**; das stehe so bei
Benseier. Als ich nach der Herleitung des freien deutschen
Ausdruckes und zu dem Zweck nach der Bedeutung von apxia
fragte, erhielt ich die überraschende Antwort: „Glieder"* Was
hatte nun diesem Jünghng das Aufschlagen des Lexikons ge-
nützt? Freilich war es seine Schuld, daß er mit den Augen
anstatt mit dem Verstände suchte; aber daß er dabei etwas
fand ohne zur Betätigung des Verstandes genötigt zu werden,
war die Schuld des Buches. Ein andrer half aus; und wir
erkannten leicht, daß im Ausdrucke gar nichts geändert, nur
nominale und verbale Form getauscht zu werden brauchte:
„weil er in der Gesinnung zu ihm paßte". — Derselbe Benseler-
Kaegi übersetzt die Worte des Wächters in der Antigene (225)
i:oXXäc 7Äp lo)^ov ©povTiScov iTTioTotostc abstrakt und farblos:
^mir kamen manche sorgliche Gedanken". Einer meiner eignen
Schüler, dem ich das zurückwies, erwiderte sogleich: „Ja,
eigentlich heißt es: ich hatte vielfachen Aufenthalt der Ge-
danken". Bleiben wir doch beim Eigentlichen, wenn auch ein
etwas ungefüges Deutsch herauskommt; eben solches Griechisch
wollte Sophokles den Mann aus dem Volke reden lassen. All-
gemein aber: die Welt ist heute so voll von Uneigentlichem
und Unechtem, daß wir alle Ursache haben in heranwachsen-
den Menschen die Freude am Echten und Eigentlichen zu
pflegen.
Den starken Beitrag hierzu, den die Lektüre der Alten
bietet, flüssig zu machen ist nun freilich in erster Linie eine
Aufgabe des Lehrers, der durch persönhches Wirken auch die
Hemmungen überwinden soll, die von etwaigen Mängeln der
gedruckten Hilfsmittel ausgehen. Zu diesem Zwecke ist es
nicht nur nützlich sondern doch wohl notwendig, daß auch mit
reiferen Schülern, die selbständig präparieren, doch daneben
Cauer, Die Kunst des Übersetzens. 3; Aufl. JQ
146 Exkurs
das gemeinsame ex tempore Übersetzen als regelmäßige Übung
beibehalten wird. Nur so behält der Lehrer die Klasse in der
Hand und kann auf die Art, wie die einzelnen arbeiten, dauernd
Einfluß üben. Oberflächliches Driiberhineilen und unfruchtbares
Grübeln müssen gleich sehr bekämpft werden durch Gewöhnung
an ruhiges und zugleich entschlossenes Denken, das von der
Grundbedeutung der Worte wie von der genauen Konstruktion
der Satzteile ausgeht ^^). Was sodann die, an Umfang natürlich
überwiegende, vorbereitete Lektüre betrifft, so sollte man auch
in der obersten Klasse beim ersten Übersetzen nicht eine glatte
und elegante, sondern eine solche Sprache fordern, die von
selbständiger Bemühung um den Sinn und eindringender Be-
schäftigung mit der Vorlage deutliche Spuren trägt. Das gilt
wie für die Wahl der Ausdrücke so für die Fügung der Ge-
danken. Nachbildung stilistischer Feinheiten, z. B. einer kunst-
vollen Wortstellung, ist gewiß etwas Gutes; aber sie muß
zurückstehen, so lange noch um das Verständnis gerungen
wird. Die Schüler sollen Rechenschaft ablegen, wie weit sie
darin gekommen sind; und da wird man sich unter Umständen
sogar: mit einer Darlegung begnügen können, die überhaupt
noch nicht bis zur Wiedergabe des Textes in einem deutschen
Satze gediehen ist. Mit Solons Worten aWa 8' oö fiaxYjv i'spöov
waren meine Primaner nicht zu stände gekommen: auch
Wilamowitz' Anmerkung (zu 50, 13), daß die Negation zu espSov,
nicht zu iiatYjv gehöre, hatte sie eher verwirrt; die Negation
gehört überhaupt nicht zu einem einzelnen Begriff, sondern
zum ganzen Gedanken. Nachdem dies gesagt war, konnten
sie meine Frage, welcher Gedanke denn es sei den der
Dichter ablehne, beantworten: daß er zwecklos versucht habe
andres zu vollbringen. — Nun, und wie könnte man das auf
deutsch sagen? — „Ich war nicht so töricht andres zu unter-
nehmen."*
Fälle der Art sind doch zum Glück selten. Meistens wird
es gelingen schon das erste Verständnis in einer Übersetzung
auszudrücken, die dann als vorläufige gilt und in der Stunde
über das Präparieren. 147
gemeinsam umgebildet, von gar zu groben Spuren der Arbeit
die darin steckt befreit wird. Kann einer beide Formen gleich
mitbringen, desto besser; aber dann soll er sie deutlich von
einander scheiden. Nur durch strenge Erziehung nach diesem
Grundsatz läßt sich die Voreihgkeit austreiben, die von vorn
herein auf eine gefällige Form los geht. Das ist derselbe Fehler,
vor dem Goethe warnt in einem seiner Distichen über den
Schhttschuhlauf, das wir einst — in besseren Zeiten — in der
Schule lateinisch nachzubilden versucht haben: .
Affectas faciles titubanti corpore motus?
Frustra: ornat validum gratia sera pedem.
10*
Anmerkungen.
1. (S. 1.) In der ersten Auflage war hier in einer Anmerkung
gezeigt, wie sich die Legende allmählich entwickelt hat imd wie
zuletzt die entstellteste Form der Sage die herrschende geblieben ist.
2. (S. 3.) Christian Beiger, „Moriz Haupt als akademischer Lehrer*
(Berlin 1879) S. 151. Der nachher citierte Ausspruch über das Über-
setzen ebenda S. 145.
3. (S. 3.) Sehr beherzigenswert ist, was Julius Keller S. 41 seines
gleich zu erwähnenden Progammes sagt. Er warnt vor der ober-
flächlichen Manier, die sich begnügt zu erklären, oby^ Snuii bedeute
„nicht nur nicht" oder o65iv ti [jiaXXov „trotzdem nicht", imd knüpft
daran den Ausdruck seiner Besorgnis, daß der Glaube an „verbesserte
Methoden" im Verein mit dem „Axiom der Übersetzbarkeit" dahin
führen werde, auf Kosten eines tieferen Verständnisses den „Drill
zum raschen Übersetzen weiter zu kultivieren".
4. (S. 3.) Angeführt von M. Bemays, Preuß. Jahrb. 68 S. 560.
Die Lust, mit der trotzdem Humboldt selbst Pindar und Aschylos
übersetzte (vergl. oben S. 5), schildert Haym in seiner Lebensbe-
schreibung (Berlin 1856) S. 232 f.
5* (S. 4.) Progr. des Gymn. zu Karlsruhe, 1892. Keller geht
davon aus, daß nicht einmal innerhalb derselben Sprache aus einer
Mundart in die andere glatt und ohne Verlust für den Sinn übersetzt
werden kann, ja daß bei einer solchen Übertragung besondere
Schwierigkeiten hinzukommen, von denen die aus einer fremden
Sprache frei ist. Sehr hübsch S. 11: „Das wirklich Übersetzbare an
der Dialektdichtung, d. h. der begriffliche Kern, ist nichts weiter
als der gerupfte Vogel", den man vergebens mit neuen Federn zu
umkleiden sucht.
6. (S. 5.) Der Aufsatz ist wieder abgedruckt in Wilamowitz
„Reden imd Vorträgen" (Berlin 1900).
Anmerkungen. 149
7. (S. 6.) Schleiermacher hat 1813 in der Akademie eine Ab-
handlimg „über die verschiedenen Methoden des Überseteens" gelesen
(wieder abgedruckt in den Sämtl. Werken m 2 S. 207 ff.), die sich
übrigens zu sehr im Abstrakten bewegt, als daß sie gerade für unsere
Zwecke fruchtbar gemacht werden könnte. Dort heißt es (S. 229):
„Der Leser der Übersetzung wird dem bessern Leser des Werks
„in der Ursprache erst dann gleich kommen, wenn er neben dem
„Geiste der Sprache auch den eigentümlichen Geist des Verfassers
„in dem Werke zu ahnen und allmählich aufzufassen vermag." Gegen
diesen Gedanken wie überhaupt gegen Schleiermachers Abhandlung
wandte sich Karl Schäfer, „Über die Aufgabe des Übersetzens",
Progr. Erlangen 1839. Vergl. unten Anm. 11.
8. (S. 6.) So war es ein ganz berechtigtes Unternehmen, wenn
Karl Bon^ in- seiner Schrift „Wie soll ich übersetzen?" (Düssel-
dorf 1890) alle Beispiele aus der einen Rede für Archias wählte. —
Daß sich bei so begrenztem Programm doch eine Fülle allgemeiner
Gedanken entwickeln imd tiefer begründen läßt, hat neuerdings
Carl Bardt bewiesen in dem Hilfsheft („Zur Technik des Über-
setzens", 1901), das er seinen „Ausgewählten Briefen aus Ciceronischer
Zeit" beigegeben hat. Manches aus seinen Beobachtimgen imd Rat-
schlägen hätte ich für meine neue Auflage verwerten, hier und da
auch widersprechen können. Wenn die Aufgabe des Übersetzens,
wie vom (S. 6) angedeutet, zwei Seiten hat, daß der Autor zum
Leser und daß der Leser zum Autor hinübergezogen werde, so scheint
mir Bardt ein zu starkes Übergewicht auf die erste Seite zu legen.
Doch es ist wohl besser den einheitlichen imd gewissermaßen per-
sönlichen Charakter des von jedem von ims Gebotenen nicht zu
stören und es anderen zu überlassen, ob sie die sachlichen Be-
ziehungen zwischen zwei Arbeiten über so ven\^andte Themata
aufsuchen wollen«
9. (S. 7.) In einer gedankenreichen Abhandlung, deren Lektüre
ein für allemal zur Ergänzung imserer allgemeinen Andeutungen
empfohlen sein möge: „Vor- imd Nachwort zum neuen Abdruck
des Schlegel-Tieckschen Shakespeare", Preuß. Jahrb. 68 (1891)
S. 524—569. Die S. 7 angeführten Worte stefien dort S. 563.
10. (S. 7.) Einen ähnlichen Gedanken entwickelt Keller S. 40.
Beispiele s. oben S. 35. 71.
11. (S. 7.) Cicero de opt. gen, oratorum Kap. 5. — Schiller in
einem Brief an Kömer vom 24. Oktober 1791. — Humboldt, Ein-
leitimg zu Aschylos' Agamemnon (Werke Bd. III) S. 14 f. — Schleier-
macher hat dieses Verfahren wohl etwas übertrieben, praktisch in
seinem Piaton und theoretisch in der vorhlBr (Anm. 7) citierten
150 Anmerkiingeiu
Abhandlung: das mag man Schäfer zugeben. Aber im Prinzip hatte
er doch recht. Was er (S. 213 f). über das Recht jedes freidenkenden,
selbsttätigen Menschen, auch seinerseits die Sprache zu bilden,
sagt, verdient heute in einer Zeit, die nach schablonenhafter Korrekt-
heit strebt, besondere Beachtung. — Interessant ist es den Einfluß
zu beobachten, den die Übersetzung der Bibel auf die Entwickelimg
der lateinischen Sprache gehabt hat. Proben davon gibt Wölfflin
in einem Aufsatz, der „Neue Bruchstücke der Freisinger Itala"
behandelt, Sitzgbr. philos.-philol. imd histor. bayer. Akad. 1893, U.
12. (S. 8.) Tycho Mommsen, „Die Kunst des Übersetzens fremd-
sprachlicher Dichtungen ins Deutsche" (1858), Zweite, vermehrte
Auflage, mit einem Anhang über Shakespeare und Marlowe, Frank-
furt a. M. 1886. Auch in Bezug auf die alten Sprachen findet sich
hier manche treffende Bemerkung: vergl. imten Anm« 41.
13. (S. 10.) W. Münch, „Vermischte Aufsätze über Unterrichts-
ziele und Unterrichtskunst an höheren Schulen" (Berlin 1888)
S. 165 — 201. — Lattmann, „Der Schvd- Jargon des lat. Unterrichts",
als Anhang zu einer Abhandlung über „Die Kombination der
methodischen Prinzij)ien in dem latein. Unterrichte der imteren imd
mittleren Klassen", Clausthal 1882.
14. (S. 15.) Für das Politische: Gr. Lejeune-Dirichlet, „Die
Kunst des Übersetzens in die Muttersprache". Jahrb. Philol.
Pädag. 150 (1894) S. 507— 518. — Für das MiUtärische: Max Hoder-
mann, „Unsere Armeesprache im Dienste der Öäsar-Übersetzung".
Pädag. Archiv 40 (1898) S. 265 ff.
15. (S. 15.) Ein charakteristisches Beispiel dafür hat Wölfflin
hervorgezogen in dem oben (Anm, 11) citierten Aufsatz S. 11. Ta-
citus erzählt von dem Freigelassenen Milichus, der die Verschwörung
gegen Nero entdeckte (Ann. 15, 71): conservatoris sibi nomen,
Qraeco eins rei vocabulo [d. h. SwTi^p], adsumpsit. ,
16. (S. 25.) Plüß, „Sophokles Elektra. Eine Auslegung", Leip-
zig 1891. — Was er neuerdings ausführt, \xm meine Einwendungen
zu widerlegen (Aberglaube imd Religion in Sophokles' Elektra
[Basel 1900] S. 9 ff.), hat mich nicht überzeugen können. Ange-
nommen, seine Etymologie von AOxeioc, für die er sich nun auf
Usener beruft, sei richtig, so bleibt immer die Frage, ob sie dem
Sophokles und seinen Zeitgenossen noch bewußt war; und diese
Frage wagt Plüß selber nur zweifelnd zu bejahen.
17. (8. 26.) So Herm. Grimm (zuerst Deutsche Rundschau 82
[1895] S. 368). Auch B 73 ist die Formel 9) U^ia iirzi^ nicht „Flick-
ausdruck", wie Haupt (bei Beiger S. 184) meinte. Allerdings ist
die Probe, die der Dichter hier den Agamemnon anstellen läßt.
Anmerkungeu. 151
keineswegs natürlich; die Behauptung aber, daß sie es sei, begreift
man vollkommen . — vom Standpunkte des Dichters aus. Auch
modernen Rednern imd Schriftstellem pflegen Worte wie „natür-
lich, selbstverständlich, notorisch, offenbar" gerade da am leichtesten
^us Feder und Mund zu fließen, wo sie etwas vorbringen, was recht
sehr der Begründung bedürfte.
18. (S. 26.) Umgekehrt steUt Lehrs in seinem Aufsatz über
Themis (Populäre Aufsätze« [1875] S. 93 ff.) den ethischen Begriff
voran imd sagt dann (S. 100): „Übrigens auch durch die Natur er-
„strecken sich diese Gesetze; denn auch in den Ordnungen, welche
^in der Natur walten, erkennt der Grieche dieselben Sittlichkeits-
„gesetze.** Aber gerade das von Lehrs hervorgehobene Prinzip der
Deutung [daß man das Verständnis von Göttinnen wie Themis, Hören,
Muse, Nemesis „nur gewinnen kann aus dem wohl beobachteten und
„verstandenen Gebrauch der entsprechenden Nennwörter in der
Sprache") führt, wenn man von Homer ausgeht, dazu, daß in O^fxtc der
Begriff des Natürlichen die eigentliche Grundlage bildete.
19. (S. 27.) Popul. Aufs.« S. 145. Die Erklärung hängt zusammen
mit dem Unterschiede, den Lehrs für die beiden griechischen Be-
zeichnungen der Gottheit festgestellt hat: deo{ sind die Götter,
insofern sie „durch Herrlichkeit, Mächtigkeit, Seligkeit hoch über
alles Lebende emporragen"; 8a{|xove?, insofern sie „fördernd oder
schreckend, erhebend oder demütigend, . . . wohltätig oder ver^
derblich . . . auf den Menschen einwirken".
19 a. (S. 29.) Eine Vermutung über den Grund dieses Wider»«
Spruches habe ich in „Grammatica militans" zu Ende des Kapitels
über historische Sprachwissenschaft (V) angedeutet.
20. (S. 36.) Dies habe ich weiter ausgeführt in einem pseudonym
erschienenen Aufsatz der Preuß. Jahrbücher (69 [1892] S. 782 ff.):
„Zur Plege der deutschen Sprache" von Ludwig Logander.
21. (S. 41.) Über die doppelte Art von Bildern handelt gut
Robert Thomas in seiner Dissertation „Zur historischen Entwickelung
der Metapher im Griechischen" (Erlangen 1891) S. 3 ff., der dafür
die auch sonst vorgeschlagenen Ausdrücke „Sprachmetaphem" und
„Autormetaphem" gebraucht. Er selbst hat die ersteren, für die Litera-
tur von Homer bis zu Pindar und Äschylos, in lexikalischer Anordnimg
bearbeitet.
22. (S. 42.) Über onus vergl. Kießlings Anmerkung; das Verständnis
von Od. n 4, 9 ff. ist zuerst von Bücheier (Rhein. Mus. 37 [1882], S. 228)
gegeben und danach dieses Beispiel in meiner Schrift „Wort- und
Gedankenspiele in den Oden des Horaz" (Kiel und Leipzig 1892)
S. 42 f. in den Zusammenhang verwandter Erscheinungen gestellt.
152 Anmerkungen.
23. (S. 44.) Weiteres hierüber in meiner Schrift „Unsere Erzieh-
ung durch Griechen und Römer« (Berlin 1890) S. 52 f.
24. (S. 50.) Herm. Grinun, Homer: Ilias, erster bis neunter
Gesang; Berlin 1890. Zehnter bis letzter Gesang, 1895. — Wilh,
Jordan: Homers Odyssee, Homers Ilias, übersetzt imd erklärt.
Frankfurt a. M. 1875. 1881. — Vergl. meine Besprechung von Jordans
Hias in den Jahresberichten des philol. Vereins zu Berlin X (1884)
S. 268 — 277, wo das vom ausgesprochene Urteil genauer begründet
ist. Aus Grimms Buche lernt man den Übersetzer so ziemlich
kennen; von Homer ist nicht viel übrig geblieben.
25. (S. 50.) Julius Rothfuchs, Bekenntnisse aus der Arbeit des
erziehenden Unterrichtes. Das Übersetzen in das Deutsche und
manches andere. Marburg 1892. Ein recht brauchbares Buch, das
durch praktische Winke namentlich jüngeren Lehrern gute Dienste
leisten kann.
25 a. (S. 51.) Daß trotzdem für den, der mit stetigem und ein-
dringlichem Blicke verweilt, der Eindruck des Stereotypen in Homers
Schilderungen mehr und mehr schwindet und die durchsichtiger
•werdende Hülle einen Reichtum an feiner Charakteristik erkennen
läßt, habe ich zu zeigen gesucht in dem Aufsatze „Homer als
Charakteristiker", Neue Jahrb. V (1900) S. 597—610.
26. (S. 51.) Parerga und Paralipomena, Kap. 25: Über Sprache
und Worte. Dort findet sich manches Nützliche vom Übersetzen
imd vom freien Gebrauch der eigenen Sprache gesagt. U. a. macht
Schopenhauer die treffende Bemerkimg, daß, wie der ungeschickte
Gebrauch überlieferter Wortverbindungen und Redensarten auf
Mangel eigener Gedanken schließen läßt, so umgekehrt „Originalität
„der Wendungen und individuelle Angemessenheit jedes Ausdrucks,
'„den einer gebraucht, ein unfehlbares Symptom überwiegenden
„Geistes" ist.
27. (S. 53.) Das Genauere über dtfjL^yapToc findet man in meinen
„Anmerkungen zur Odyssee" (4 Hefte im Verlage der G. Grote'schen
Buchhandlung in Berlin).
28. (S. 54.) Darauf habe ich schon vor mehr als 20 Jahren
hingewiesen in einer Rezension des Osthoffschen Buches „Das
Verbmn in der Nominalkomposition", Zeitschr. f. Gymnasialwesen 33
(1879) S. 306. Auch Wilamowitz hat (Commentariolum metricum U
[1895] p. 6) die Beobachtung ausgesprochen: in vetere Graecorum
lingua adiectivis omnibus activam et passivam vim inesse. Aus
diesem Grunde läßt er dva68q> fx^vei in Aschylos' Agamemnon 238,
das er früher in dvaiSet (x^vet ändern wollte, jetzt gelten: vis quae
•vocem prohibet. Auch seine Erklärung des doppelten Begriffes von
Anmerkungen. 153
otTT] (zum HeraMes 918) ruht auf dieser Anschauung. — Einige
weitere Beispiele, die auch für die Lektüre in betracht kommen,
sind in dem Kapitel „Induktion und Deduktion" in meiner „Gram-
matica militans" angeführt; auch was dort S. 9 und 83 über die
Verbaladjectiva gesagt ist, mag herangezogen werden.
29. (S. 56.) Über Wissen imd Können. Düsseldorfer Antritts-
rede. Gütersloh (C. Bertelsmann) 1899.
30. (S. 60.) Hermann Opusc. IV. p. 10 (De particula av, I 3)
erklärt die Bedeutimg von av im Vergleich mit ?au)c, ttou, 'zi so:
„Fortuita notantur particulis av vel xiv**, d. h. (nach p. 9): „quae
„utrum sint an non sint fortuitum est, i. e. ex aliqua condicione
„suspensum, cuius veritas prius cognoscenda est, quam, venunne sit
^quod ex ea pendet, sciamus". — Weiteres über den Gebrauch der
Modi mit av imd ohne av s. Gramm, milit. Kap. VIU.
31. (S. 60.) Hermann ebenda p. 179 sq. (Partie, av IV 2): „TtEaeiv
„est cadere, neaelv av cadere posse, ut apud Herodotum VH 203'*.
32. (S. 65.) Nauck in seinen „Kritischen Bemerkungen" (größten-
teils zu Homer), Bulletin de TAcademie imperiale des sciences de
St.-Petersbourg 25 (1879) S. 474 ff.
33. (S. 67.) Weitere Beispiele für diese Anwendung von Tc^p
sind: A 508. A 796. D 205. 523. P 239; xa{ ist in derselben Weise
gesetzt noch S 78. Die ganze Erscheinung würde ein genaueres
Eingehen lohnen, am besten im Zusammenhang einer vollständigen
Untersuchung und Darstellung des mannigfach verzweigten Ge-
brauches von irip.
34. (S. 69.) Jacob Wackemagel, „Über ein Gesetz der indo-
germanischen Wortstellung", Indogerm. Forschungen I (1891/92)
S. 333 ff. Die Bemerkung über ^i imd Tc^p S. 371.
35. (S. 71.) Genaueres über die Verbindung av xev findet man
in „Grundfragen der Homerkritik" (1895) S. 111 in dem Kapitel
„Dialektmischung". Eben dort S. 49 f. 56 ist, im Zusammenhang einer
Betrachtung der „voralexandrinischen Textgeschichte", gezeigt, wa-
rum wir anerkennen müssen, daß Wörter wie xi, ^ci, -^i vom Dichter
selbst manchmal geradezu bedeutungslos gebraucht sind.
36. (S. 71.) Einen Beitrag zur Verw^ertung dieses Gedankens
brachte mein Aufsatz „Zur homerischen Interpunktion", Rhein. Mus.
44 (1889) S. 347—368.
37. (S. 81.) Man kann für den Reiz der Naivität, der in Herodots
Anakoluthien liegt, empfänglich sein imd doch erkennen, daß in
diesem Punkte die strenge Zucht, der die Sprache durch den fort-
gesetzten schriftlichen Gebrauch imterworfen wurde, heilsam gewirkt
hat. Der Grundsatz, daß man so schreiben solle wde man sprechen
154 AnmerkuDgen.
würde, ist heute nicht mehr berechtig; er würde, konsequent be-
folgt, zu einem Naturalismus führen, der einen geistigen GeNxdnn
von Jahrtausenden wieder in Frage stellte. Dieser Gefahr ist sich
Otto Schröder in seinem hübschen Buche „Vom papiemen Stil"
(zuerst Berlin 1889) nicht recht bewußt gewesen.
38. (S. 83.) Vgl. hierüber das Kapitel „Homerische Komposition"
in meinen „Gnmdf ragen der Homerkritik".
39. (S. 83.) Über Zeitart. und Zeitstufe handelt Karl Mutzbauer:
„Die Grundlagen der griechischen Tempuslehre und der homerische
Tempusgebrauch" (Straßburg 1893) S. 4 f., und noch schärfer Hans
Meltzer, Zeitschr. für das Gyinnasialw. 49 (1895) S. 467 f. (in einer Re-
zension von Kaegis Schulgrammatik). Vgl. dazu Gramm, mil. S. 93 f.,
wo auch für das Participium Aoristi weitere Beispiele gegeben sind.
40. (S. 84.) Dies sind Beispiele von selbständigem (absolutem)
Tempusgebrauch an Stelle des bezogenen (relativen), den man zu-
nächst erwartet: regnarant, dederant aut reddiderant. Genaueres
darüber Gramm, mil. S. 87 ff.
41. (S. 87.) Tiefer blickte Tycho Mommsen in der oben (Anm,
12) citierten Schrift (S. 58): „Obgleich auch der beste deutsche
„Hexameter im Grunde nur ein Spottbild eines griechischen oder
„lateinischen ist, so hat man doch auf dem Wege der Nachahmung
„rhj^thmische Gebilde erschaffen, welche nicht sowohl die einfacheren
„Formen der Alten so analog wie möglich wiedergeben, als vielmehr
„(z, B. bei dem deutschen Hexameter und Pentameter) wieder neue
„Formen geworden sind, die sich ihre eigenen Wohllautsgesetze
„ausgebildet haben, die auch, was das AUermerkwürdigste ist, bis
„zu einem hohen Grade populär geworden sind".
42. (S. 89.) Wie .sehr doch auch unsere Sprache durch den
Verfall ihrer Formen undeutlich geworden ist und immer jnehr wird,
zeigt die überaus lehrreiche Abhandlimg von Hermann Röhl: Über
die praktische Brauchbarkeit der wichtigsten modernen Sprachen,
speziell der deutschen. Naumburg a. S. Gynm.-Progr. 1892.
43. (S. 90.) Daß Usener (Rhein. Mus. 24 [1869] S. 338) das an vor
superbos mit Recht gestrichen hat, sollte nicht erst erwähnt zu
werden brauchen.
44. (S. 90.) Ein treffliches Beispiel wirksamer Wortfolge aus
('icero in Catilin. I 1, 3 (habemus senatusconsultum in te, Catilina,
vehemens et grave) erläutert mit seiner erquickenden Frische v. d.
Gabelentz, „Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und
bisherigen Ergebnisse" (1891), S. 355.
45. (S. 92.) In einem Brief an Frau von La Roche, 20. November
1774, abgedruckt bei Bernays, Der junge Goethe, HI S. 43 f., jetzt
Anmerkungen. 155
in der Gesamtausgabe der Briefe 11 S. 205 f.: ^Hier ein kurzes
„Rezipe für des werthen Baron v. Hohenfelds Griechisches Studium!
»*So du einen Homer hast, ists gut; hast du keinen, kauffe dir den
„Emestischen da die Clärckische wörtliche Uebersezzung beygefügt
„ist; sodann verschaffe dir Schauffeibergs Clavem Homericam» und
„ein Spiel weiffe Karten. Hast du dies beysammen so fang an zu
„lesen die Bias, achte nicht auf Accente, sondern lies wie die Melodey
„des Hexameters dahinfliest imd es dir schön klinge in der Seele.
„Verstehst du's; so ist alles gethan, so du's aber nicht verstehst,
«sieh die Uebersezzimg an, lies die Uebersezzung, imd das Original,
„und das Original imd die Uebersezzimg, etwa ein zwanzig, dreifig
„Verse, biff dir ein Licht aufgeht über Construcktion, die in Homer
„reinste Bilderstellung ist. Sodann ergreife deinen Clavem wo du
„wirst Zeile vor Zeile die Worte analisirt finden, das Praesens und
„den Nominativum schreibe sodann auf die Karten, steck sie in
„Dein Souvenir, und lerne dran zu hause und auf dem Feld, \\ie
„einer beten mögt, dem das Herz ganz nach Gott hing. I'nd so
„immer ein dreisig Verse nach dem andern, und hast du zwe}-, drey
„Bücher so durchgearbeitet, versprech ich dir, stehst du frisch und
„franck vor Deinem Homer, imd verstehst ihn ohne Uebersezzung
„Schaufelberg und Karten.' Probatum est! — Im Ernst liebe Mama,
„warum das alles so und so, und just. Karten sejTi müssen. Nicht
„untersucht ruft der Arzt! Warum muff das eben Neffeltuch seyn
„worin das Huhn gestoft wird. Sagen Sie dem hochwürdigen Schüler
„zum Tröste, Homer sey der leichteste Griechische Autor, den man
„aber aus sich selbst verstehen lernen muff." Kann es etwas An-
mutigeres geben als diese Schilderung, die man doch wohl als ein
Selbstbekenntnis auffassen darf? Da die Stelle in den beiden
neuerdings erschienenen Auswahl-Ausgaben Goethescher Briefe, von
Philipp Stein und Eduard von der Hellen, fehlt — warum wohl? —
«o habe ich sie auch in der neuen Ausgabe ganz hergesetzt.
46. (S. 112.) „Über die neuere deutsche Prosa", Deutsche Rimd-
schau 59 (1889) S. 36—47. Rimielin stellt u. a. die beiden Sätze
gegen einander: „eine öffentliche Kede soll vor allem klar und ver-
ständlich sein" und: „die erste Fordenmg an eine für die Öffentlich-
keit bestimmte Rede ist Klarheit und Verständlichkeit'*, Die zweite
Form entspricht der heutigen Mode, von der der Verfasser statistisch
nachweist, wie sie seit Goethes Zeit zugenommen hat.
47. (S. 115.) Genaueres über die Entstehung des absoluten
Ablativs aus einem adverbialen, der in den Satz organisch eingefügt
war, s. Grammatica militans Kap. HI.
48. (S. 123.) Zu der Aufgabe, Sallust im Vergleich mit Livius
156 Anmerkungen.
im Unterrichte zu w^irdigen, gibt weitere Beiträge das Kapitel
meiner Palaestra vitae, das „die Geschichtschreiber" behandelt.
49. (S. 124.) Im Anschluß an einen Vortrag über die Über-
setzungskunst. Dem kurzen Bericht darüber, den Moldenhauer in
der Zeitschrift f. d. Gymnasialw. 39 (1885) S. 648 f. gegeben hat, ist
diese doppelte Übersetzung vollständig beigefügt. Auch in der
neuesten, vorher (Amn. 8) citierten Arbeit „Zur Technik des Über-
setzens" warnt Bardt (S. 7), die Fähigkeit der deutschen Sprache
auch zu umfangreicheren Satzgebilden nicht zu unterschätzen.
50. (S. 125.) Rothfuchs, Beiträge zur Methodik des altsprach-
lichen Unterrichtes, insbesondere des lateinischen (3. Auflage, 1893)
S. 61 ff. — Kapitel 2 — 4 dieses nützlichen Buches handeln vom Kon-
struieren, Extemporieren, Präparieren.
51. (S. 131.) In der Diskussion über den Anm. 49 citierten
Bardtschen Vortrag.
52. (S. 133.) „Die revidierte Lutherbibel des Halleschen Waisen-
hauses, besprochen von Paul de Lagarde." Aus dem zweiten Stücke
der goettingischen gelehrten Anzeigen des Jahres 1885, besonders
abgedruckt Goettingen 1885. Eine in vielen Beziehungen höchst
lesenswerte Schrift.
53. (S. 134.) Über die Einführung der fremden Metra ins
Deutsche vergl. oben S. 10 f. und Anm. 41. Neuerdings ist für den
bleibenden Wert von Vossens Übersetzung mit großer Wärme ein-
getreten G. Lejeune-Dirichlet in dem schon (Anm. 14) erwähnten
Aufsatz, während Martin Joris in seinem Programm „Über Homer-
übertragung, mit neuen Proben" (Limburg a. d. Lahn, 1902) die oft
gehörten Ungerechtigkeiten gegen Voß wiederholt. Ganz ohne Not;
denn die ansprechenden eigenen Versuche des Verfassers hätten der
Rechtfertigung durch einen Angriff auf den ehrwürdigsten und er-
folgreichsten Vorgänger nicht bedurft.
54. (S. 134.) Wahrheit und Dichtung III 11. Die weiter er-
wähnten drei Epochen sind in den Noten und Abhandlungen zmn
Divan, unter „Übersetzungen", beschrieben.
55. (S. 137.) Diese Andeutungen sind jetzt ausgeführt in meiner
Schrift „Palaestra vitae. Eine neue Aufgabe des altklassischen
Unterrichtes" (Berlin 1902).
56. (S. 146.) Über die Notwendigkeit wie über die Art des
Konstruierens habe ich etwas ausführlicher und mit Beispielen ge-
handelt in einer Rezension des Nausester'schen Buches „Denken,
Sprechen und Lehren", Zeitschr. f. d. Gymnasialw. LVI (1902)
S. 556 ff., und in der „Duplik in Sachen des Reformgymnasiimis"
(Leipzig 1903; Sonderabdruck aus den Neuen Jahrbüchern) S. 10 f.
Register.
I.
Ablativiis absolut us 86. 105. 114.
Abstrakte Begriffe, ihr allmäh-
liches Entstehen 32 f.
Adjektiv und adverbieller Aus-
druck vertauscht 103.
Adjectiva substantiviert 78.
Adverbieller Ausdruck deutsch
zum Nomen gezogen 104.
Aktiv imd Passiv vertauscht 100.
105 f.; aktive und passive Be-
deutung desselben Wortes 52 f.
Anakoluthe 81.
Aorist im Particip ohne Bedeu-
tung der Vorzeitigkeit 84.
Artikel, bestimmter oder unbe-
stimmter 82.
Attraktion des Kasus beim Parti-
cip 86.
Attribut ändert seine Beziehung
102 f. ; Attribut dem Substantiv
nachgestellt 87 ff., Attribut und
regierendes Substantiv ver-
tauscht 107.
Bardt, Carl 124.
Bemays, Michael 7. 33.
Bibelübersetzung, deutsche 133,
lateinische 150.
Bilder verblassen allmählich 33 f ;
deutsche Bilder beim Über-
setzen aufgefrischt 35. 41.
Bildlicher Ausdruck der Vorlage
erhalten durch wörtliches Über-
setzen 36 f.; durch Umschrei-
bung oder Verschiebung des
Begriffes 37 f. ; im Deutschen
zu mildem 40; Bilder bei Homer
und Herodot 41; bei den La-
teinern 41 f. ; bei Sophokles 39 f.
Bone, Karl 149.
Cicero 7. 42. 80.
Deutsche Ausdrücke , erstarrte,
werden beim Übersetzen wieder
belebt 106 f. : zusammengesetzte
Tempora 106. Im einzelnen:
Ansehen 23, ausdrücklich 34,
man 13, scharf 41, Standpunkt
35, Unterhalt 42, vorkonunen 34,
Zufall 107.
Deutsche Sprache wird allmählich
weniger deutlich 154; ^indem'*80.
Deutscher Stil durch Einfluß des
Übersetzens geschädigt 9 ff. 14
(„derselbe"), 124(Satzbau); aber
160
Schäfer. Karl 149 f.
Schüler 7- 103.
Schleiermacher 1-19.
Schopenhauer 152.
Schriftsprache 71. 81. 153. Vergl.
Milndliche Rede.
Schröder, Otto 154.
Schul-Jargon 10 ff.; Schulübei>
setziiDK durch die Erinnerung
an das Original ergänzt 7. 35.
92 f.; immer von neuem er-
zeugt 132 i.
Septuaginta 1.
Shakespeare 19. 33.
Rpezialwörterbücher 20.
Substantiv im Deutschen für einen
Satz der fremden Sprache Ulf;
lungekehrt 113 f.
Tacitus 15. 17. 41. 78. 80. 94. 114.
Tempora: absolute und relative
Zeitgebung 84; Zeitstufen im
Beutschen und im Griechischen
83 f. Vergl. Aorist, Futur, Plus-
quamperfekt, Präsens.
Tragiker 24f. ; Methaphem bei So-
phokles 39 f.
Treu durch Abweichung 13. 17. 96.
Unbestimmtheit des Ausdruckes
nicht korrigieren 79.
rnnatürliohes Deutseh 9 ff.
Terbaladjectiva 53.
Verbum, regierendes, schwebt
schon im Anfang des Satzes
dem Sprechenden vor 81, 96.
123;|wie kann man es deutsch
am Ende erhalten? 95. 96. 123.
Ein Verbum wird zum Nomen
108, zum Adverb 108. 109. Be-
gierendes Verbum dicendi oder
sentiendi wird im Deutschen
oft untergeordnet 119, abernicht
immer 119 f. Phraseologische
Verba 77 f. 95.
Vergil 30, 41 f.
Vergleichung, abgekürzte 78.
Verkürzung des Ausdruckes im
Deutschen 76 f.
VoQ. Johann Heinrich 133 f.
Wackemagel, Jacob 69.
Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich
von 5. 40. 87. 1.^.
Wortart geändert 100 f.
Wörterbücher 20. 141 ff.
Wortspiele 18. 24. 53.
Wortstellung; logisch gebunden
oder künstlerisch frei 89 f.
Die Enklitika liehen die zweite
SteUe im Satze 69 f. — Vergl.
Attribut. Gedankengang, Satz-
bau, Verbum.
Zusammenge.setzte Zeitformen jn
den modernen Sprachen 106.
acer 41 I aequus
acies 9. 14 aetas .
adversus 30. 42 ambitio
aequor 29 | animus
Register.
161
ars . . .
assiduus .
audio . .
.. . 56
29. 38 f.
. . 52
bellum inferre 9
caecus 36. 54
certus 52
civitas 52
clarus 42
conflare 37
corpus 77
cura 47
ilelectare 9
dellrare 39
demonstrare . . . . 30
destrictus 41
diversus 30
dum 80
egregius 24
esse videatur 80
et— et . . 61 I
eximius 30 !
expeditus ....... 14
exploratores 16
expressus 34
factiosus 16
fides 4. 16
fundere 36
pene ratio 30
gratus 53
homo novus 13
hortator 114
ignarus 53
ignorare . 15
ignotus 53
Cauer, Die Kunst des Obersetzens. 3.
immemor . . . . .9, vergL 17
impellere 43
imperatorius 16
Imperium ......... 45
infectus 15
infestus 52
Ingenium 16. 29
iniquus 21
innoxius 54
insidiae 10
Interesse 22
invidia 52
irritatio 114
is, inde 90
laetus ... ... 52
lanius 11
loci 76
lumen 47
magister 30 f.
memor 17
minister 30 f.
se miscere 41
miseria 18
necessarius, necessitudo . 22. 45
nee non 75
neque 90 f.
neque—et 61
obire 42
obvenire 34
occultus 53
odorus 54
onus 42
opportunus 16
orbis terrarum ... 9. 13 f.
ostendere 30
pars — alii 17
patere 37
Aufl. 11
162
Register.
patres conscripti
praecipue . .
praestare
proficisci- . .
prohibere . .
prudens . .
publicare . .
• • t '
33 f.
quin
ratio
res . .
residere
respicere
22
80
36
52
36
30
16
57
22
54
39
34
saeculum
Salus
scriptor
secundus 30.
Stare
Studium
subire
sustinere
temptare
tollere .
tutus .
ulteriora, ultimus
uterque . . . .
utrique . . . .
uxorius
vero, verum
virtus . .
ayovoc
30
16
48
42
35
16
79
42
16
42
53
80
9
73
74
58
18
46
30
16
54
16
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dXXd— Yctp 64 f.
aUoc 22 f.
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difA*j(i.(uv 49 f.
av 60
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dvi^^p 13. 46
dvTiTo; 53
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. 64 f.
66. 67 f.
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Register.
163
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II*
164
Register.
III.
Äschylos Agam. 238
„ Sept. 145 . .
Aman VH 26, 2 . . .
Cäsar Gall. I 22 . .
„ III 25 . .
„ VI 36 . . 81 f
„ VI 43, 4-6
(,'icero in Caecil. 19, 61
„ Catil. I 1, 3 .
„ pro Deiot. 3, 8 .
„ ad fam. 11 18, 1
V » » -X-I 18 .
„ „ XLII 50,
„ „ „ IX 16, 3
XV 4 4
„ imp. Pomp. 1, 1
„ JLia6i. ~<^, oo • .
„ pro Mur. 2, 4 .
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w » „ O, lö .
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de off. II 6, 19
„ or. 1 28, 126
„ „ II 79, 324
„ Rose. Am. 14, 40 f
Tuseul. I 17, 39
in Verr. I 5, 14
Cornel. Lys. 4, 1 . .
Timoth. 4, 4 .
Demosth. I. PhU. 13 .
I. « 34. 35
Eiiripides Iph. Taur. 646
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1032
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152
24
52
122
125
125
125
125
45
154
114
53
119
98
19
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76
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37
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48
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18
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118
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118
84
112 f.
16
12
126
65
53
65
53
Herodot II 123 35
VI 13 81
VI 38 11
VI 109 23
VII 203 60
Vn 218 85
VIII 144 .... 67
IX 27 64
IX 68 67
Hesiod ipy. 115 38
Homer A 299 69
A 352f 66
A 408f 93
„ A 507 106
A 561 27
„ B 73 150 f.
r 3 66. 69
r 40 54
E 265 58
Z 147f 130
Z 407 27. 50
Z 486 27
I 134 26
1 301 67
I 520 f 92
I 533 ff 83
S 91 f. ...... 70
S 173 f. ..... 67
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n 796f 26
P 142 63
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Y 22 37
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. . 47
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. . 37
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Register.
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Homer lOOf 93
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„ X 202 64
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„ e 130 26
„ e 355 f 64
„ $463 84
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p 44 35
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p 176 18
p 375 101
p 586 69 f.
. a 15 27
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T 312 69
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. X 167 70
„ 6 165 27
„ üi 518 f 84
Horaz a. p. 47 f 42
„ Epist. I 2, 14 ... 39
„ I 7, 30 f. . . 97
„ I 17, 39 . . . 42
„ Od. I 1, 20 ... . 103
„ I 12, 33 ff. . . . 90
„ U 4, 11 .... 42
„ 11 12, 17 ... 3
„ II 13, 27 f. ... 18
„ III 1, 38 ff. . . 94
„ III 2, 30 ... . 18
„ III 4, 9 ff. . . . 91
„ Epod. I 19 ff. . . . 24
Liviiis II 1, 2 . .
„ X 25, 13 f.
84
42
Livius XXI 57, 12
. ... 15
»
xxn 7, 3 f.
. ... 120
»
XXn 16, 2
. ... 21
9
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. ... 13
»
XXXI 9, 5 .
. ... 121
»
XXXI 22, 3
. ... 115
Lykurg gegen Leok
r. 83. . 119
Lysias
12, 80 . .
. ... 120
»
12, 81 . .
. ... 35
»
13, 1 . .
. ... 109
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aOf D . .
. ... 73
Platon
Gorg. p. 465
A . . 56
»
« p. 463
D. E . 68
»
Protag. p. 31
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»
p. 3(
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V
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... 122
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. ... 125
»
„ 103, 2
. ... 99
»
« 104, 5
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Sophokles Aias 182 '.
ff. 38. 100
n
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M
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. ... 145
»
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. ... 65
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El. 7 .
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*»
. 22.
. ... 25
166
Register.
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•
. . 40
Vergil Aen
. V 556
•
. . . 105
»
„ 728 f. .
. . 96
»
»
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. . . 21
»
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•
. . . 47
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. . 103
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YI 494 f.
. . . 93
»
. „ 963
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. . . 47
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. . 100
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VIII 190 ff
. . . 47
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. . 78
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Histor. I 86 .
. . 104
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. . . 98
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„ III 31 . .
. . 19
»
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18
. . 45
Thukydides I 128 . . .
. . 22
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« II 1.
25
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I 128—131 .
. . 83
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31
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. . 113
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. 112,
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. . 46
. . 49
Vergil
Aen. II 10 ff. . .
. 96
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« 11 7.
. 9.
12 . 46
»
„ IV 163 f. .
. 9. 30
»
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11
. . 127
»
„ IV 569 f. . .
. . 73
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„ IV 597 f. . .
. 119
n
. IV 2
if o>
) . . 45
»
„ V 144 f.
• •
. 117
Druck von G. Bernstein in Berlin.
Von demselben Verfasser sind früher erschienen:
Zum Verständnis der nachahmenden Kunst des
Vergil. Kiel (Lipsius & Tischer) 1885. Mk. 1.—.
Unsere Erziehung durch Griechen und Römer.
Berlin (Julius Springer) 1890. Mk. 1.20.
Wort- und Gedankenspiele in den Oden des Horaz.
Kiel und Leipzig (Lipsius & Tischer) 1892. Mk. 1.60.
Anmerkungen zur Odyssee. Für den Gebrauch der Schüler.
Vier Hefte. Berlin (G. Grote) 1894—1897. Jedes Heft Mk. 1.20.
Grundfragen der Homerkritik. Leipzig (s. Hirzei)
1895. Mk.6.
Woher ? und Wohin ? sechs Reden zur Entlassung der Abiturienten.
Düsseldorf (L. Voss & Cie.) 1902. Mk. 1.—.
OMHPOY O^YJSJSEIA. Homers Odyssee. Schulausgabe. Dritte Auflage,
(unveränderter Abdruck der zweiten). Leipzig (0. Freytag) 1902. geb. M. 2.40.
OMHPOY lAIAJS. Homers Ilias. Schulausgabe. Zweite, berichtigte und
durch Beigaben vermehrte Ausgabe. Leipzig (G. Freytag) 1902. geb. Mk. 3.—.
PalaeStra Vitae. Eine neue Aufgabe des altklassischen Unterrichtes. Berlin
(Weidmannsche Buchhandlung) 1902. geb. Mk. 3.40.
GrammatiCa militanS. Erfahrungen und Wünsche im Gebiete des la-
teinischen und griechischen Unterrichts. Berlin (Weidmannsche Buchhandlung)
1898. Mk. 3,60.
_ _ _ „
Über Wissen und Können. Rede bei der übernähme des Amtes |
als Direktor des städt Gymnasiums und Realgymnasiums zu Düsseldorf gehalten.
Gütersloh (C. Bertelsmann) 1899. Mk. 0.80.
V
Verlag der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin SW. 12.
Kernfragen des höheren Qnterrtchts
öon
Dr. i^shat ^eif^enfeh,
^rofeffoc am ^önigl. BrrangOfffc^en ®k)mnafium in Berlin.
XVI u. 352 ©. gr. 8^. 1901. ®e^. 6 SW., &ef). 7 Tl. 80 ^f.
1. S)aS SGBefen beS ©^mnafiumS. — 2. ®ic Umtoeöe be§ pi&crcn Untctrid^tS.
— o. Über ben erneuerten äJorfdjIaß, ben frenibfprac^Iicben Unterricht mit bcm
granjöfifd^en ju beginnen. — 4. 2)ie natürliche unb bie fünftlicije Sprad^crwerbung.
— 5. S)ie SRcformbeftrebungen auf bcm ©cbiete t>t^ frcmbfprac^lict^cn Unter»
ric^tS ^ — 6. ®er neue Öelörptan be§ Sateinifc^en. — 7. Über unfcrc äöorlagcn
jum Überfe^en auS bem ©eutfd^en in§ Öateinifc^c für bie oberen klaffen. —
8. Über ißerfejjunflen.
Kernfragen des höheren Unterrichts
Dr. ^dftut ^et|ettfe($^
^rofeffor am Äönigl. Sraitsßüicbcii ©Dnutafium tu ä^erliu.
Sene folge,
®r. 8^ (IV u. 879 8.) 1902. m% 6 m., ÖJeb. 7 m. 80 ^f-
l. S)aS 3nfommenfurabIe beS Unterric^tSproblemS, — 2. S)ie ^l^ilofopl^ie auf
bem ©^mnafium. — 3 S)er SBilbun^Smert ber $oefie. - 4. S^ie pl&iIofop]^iftf)en
Elemente unferer flaffifc^en Sitteraturperiobe nac^ il^rer SBerwenbbarfeit für bie
Sd^ule. — 5. S)ie SBebeutung öon (SiceroS rl^etorifc^en ©d^riften für bie ©d^ule.
— 6. ßiceroS S3riefe als ©d^uHeltüre. ^— 7. S>ie ©^non^mil, mit befonberer
Serüdfic^tigung beS il^ateinifc^en. — 8. Über Sitl, SCuSwalöl nnb Einrichtung ber
^oraalcltüre. — 9. ®ie Urbanität. — 10. 2)ie (Sermonen beS ^oraj mit be»
fonberer Serüdfic^tigung feiner Epistula ad Pisones.
Reden und Vorträge
von
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff.
Zweite Auflage,
gr. 8. (VIII u. 278 S.) Geh. 6 M., geb. in Halbleder 8 M.
Inhalt.
Was ist übersetzen ? — Von des attischen Reiches Herrlichkeit. Rede zu Kaisersgeburts-
tag 1877. — Basileia. Rede zum Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms I. 1885. — An-
sprache an die Studierenden bei dem Jubiläum der Universität Göttingen 1887. — Paul
de Lagarde. Rede an seinem Sarge 1891. — Philologie und Schulreform. Prorektorats-
rede Göttingen 1892. — Weltperioden. Rede zu Kaisersgeburtstag 1897. — Volk, Staat,
Sprache. Rede zu Kaisersgeburtstag 1898. — Neujahr 1900. Rede zur Feier des Jahr-
hundertswechsels. — Der Zeus von Olympia. — Die Locke der Berenike. — Aus ägypti-
schen Gräbern. — An den Quellen des Clitumnus.
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MAK 8 1907
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