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Full text of "Die Kunst : Monatsheft für freie und angewandte Kunst"

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L7NIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 

FROM  THE 
CANADA  COUNCIL  SPECIAL  GRANT 


FOR 

HISTORy  QF  ART 


DIE  KUNST 


VIERUNDDREISSIGSTER    BAND 


DIE  KUNST 

MONATSHEFTE  FÜR  FREIE 
UND  ANGEWANDTE  KUNST 


VIERUNDDREISSIGSTER   BAND 

ANGEWANDTE  KUNST 

DER    „DEKORATIVEN    KUNST" 
'S»  >©  «  'S    XIX.  JAHRGANG    's  ^  >q  's 


MÜNCHEN  1916 
F.  BRUCKMANN   A.-G. 


ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN 


Druck  von  F.  Bruckmann  A.  G.,  M&ncheo 


Inhalts-Verzeichnis 


Textbeiträge  Seite 

Bahlsen-Ausstellungshaus 196 

Behrendt,  Walter  Curt.  Kleinsiedlungen  205 
Bischoff,  Paul.    Reißbrett  und  Beleuch- 
tungskörper      95 

Braungart,  Richard.  Bruno  Heroux*  Zy- 
klus „Vae  Solls" 188 

Eisler,  Max.  Ein  städtisches  Garlen- 
wulinhaus  von  Josef  Hoflfmann     ...        1 

—  —  Die  Giasausstellung  in   VViei.         .     55 

—  —  Otto  Prutscher 168 

—  —   Die  Wiener  Modeausslellung      .    .  229 

—  —   Robert  Oerley 317 

—  —  Ludwig  Heinrich  Jungnickel     .    .  331 

—  —  Von  der  Wiener  Werkstätte  .    .    .  337 

—  —  Dagobert  Peche .  401 

Epstein,  Walter.  Neue  Landhäuser  .    .  245 

Förster,  Karl.  Neue  Blumengartenge- 
staltung und  Pflegeerleichterung  durch 
klimageniäße  Dauerpflanzen 280 

Gangl,  Joseph.  Kriegsmedaillcn      .       .  273 
Gross,    K.    Die  Dresdener  Margareten- 
Spiize 92 

Haenel,  E.  Ein  ländlicher  Wohnsitz 
von  ()swin   Henipel 381 

Heilmeyer,  Alexander.  Neuere  Bauten 
von  Professor  Eugen  Honig  und  Karl 
Söldner 141 

—  —  Julius  Seidler,  ein  Münchner  Haus- 
plastiker 173 

Heyl,  Hedwig.  Der  Blumenschmuck  in 
der  Kriegszeit 16 

Konrad,  Martin.  Die  Danzigcr  Glasma- 
lereien F.  A.  Pfuhles 298 

Löffler,  Melitta.     Textilarbeitcn     .    .    .  312 

Mebes,PauI.  DieOberreaUchuIe  inZeh- 
iendorf 349 

Michel,  W.  Gläser  von  Emanuel  Josef 
Margold 157 

Moritz,  Carl.  Das  Künstlerheim  des  Ar- 
chitekten   293 

Münchner  Künstler-Kriegspuppen- 
Spiel      37 

Muthesius,  Hermann.  Ueber  die  Zu- 
kunft der  deutschen  Form 52 

—  —  Heimatkunst  und  Einheitsform      .  159 

—  —  Die  mechanische  Seidenweberei 
Michels&Cie.  in  Nowawes  bei  Potsdam  190 

Popp,  JoseF.  Kriegsdenkmal- Entwürfe 
von  Richard  Berndl 304 

Runge  &,Scotland,  Zu  den  Arbeiten  von    41 

—  —  Zwei  neue  Räume  von 285 

Sattler,  Karl.  Eine  Gartcnanlage  in  Ba- 
den (Schweiz) 73 

Schäfer,  K.  Der  Bildteppich  in  der  Kunst 
der  Gegenwart 63 

—  —  Bildwirkereien  von  Wanda  Bibro- 
wicz-Sclireiberhau 397 

Storck,  Dr.  W.  F.  Kriegergrabmal  und 
Kriegerdenkmal 357 

IVestheim,  Paul.  Qualität  und  Ge- 
schmack  99 

—  —  Zu  den  Goldschmiedearbeiten  von 
Josef  Wilm  d.J 135 

—  —  Von  der  Gesinnung  in  Architektur 
und  Kunstgewerbe 181 

Wiener  Mode 123 

Wolf,  Georg  Jakob.  Neues  Nymphen- 
burger  Porzellan 25 

—  —   Ein  Wandteppich  von  Julius  Diez    34 

—  —  Zeitmedaillen    von  Ludwig  Gics  .     90 

—  —  Die  Bauten  von  Ludwig  Ruff.    ,    .  105 

—  —  Oesterreichische  Werkkultur  .    .    .  336 

ZoCf,  Otto.     Künstler  als  Kriegswtssen- 

schaftler 254 

Zweybrück,  Emmy.  Textilarbeitcn  von  347 


Abbildungen  Seite 

Albiker,  K.  Entwurf  zu  einem  Krieger- 
denkmal    378 

Anstalt  für  Frauenhausindustrie,  Wien. 
Spitzen 238 

Auliczek,  Dominik.     Porzellan-Figur  .    30 

Bahlsen-Ausstellungshaus  ,  .  196-201 
Bartning,   O.      Reihengräberanlage    im 

Felde 366 

Behrens,  Peter,  rürgriffe  und  Beschläge  204 
Berndl,  Richard.  Gedächtniskrenze  306.  307 

Kriegsdenkmale  304.305.308.309.  311 

Denksteine 309.  310 

Bernhuber,  Maria.  Stickereien  .  235.  236 
Bertsch,  Karl.  Herrenzimmer  ....  132 
Bibrowicz,  Wanda.  Wandbehang  ,,l''al* 

ken" 397 

—  —  Wandteppich   „Weihnachten"  .    .  398 

—  —  Wandteppich  „Märchen"   ....  399 

—  —  Gewebte  Handtaschen,  Kissen  und 
schwarz-weiße  Decke 400 

Bing  &.  Gröndahl.     Weihnachtsteller   .    98 

Blonder,  Leo.     Seidenstoff 128 

Bolek,  H.     Zierglas 58 

Bonatz,  P.     Entwurf  für  ein  National- 

Denkmal      377 

Botz.     Gartenstadt  Karlsruhe 226 

Bräck,  W.  Kriegcrgrabzeichcu  ....  358 
Braeuning,    F.     Einzelgrab     für     einen 

Krieger 364 

—  —  Kriegerdenkmal 375 

Brück,  Franziska.    Aus  der  Schule  lür 

Blumenschmuck      .,.,....     16 — 24 

Bruckmann,  Peter  &.  Söhne.    Dose  .  ,  278 

Schalen 278 

Bustelli,   Franz.     Porzellan-Figuren  .    .    31 

Charton  ,  Reg. -Baumeister.  Arbeiter- 
wohnhäuser am  Kaiser  Wilhelm-Kanal  214 

—  —  Dreifamilienhaus  für  Unterbcamte 

am  Kaiser  Wilhelm-Kanal 215 

—  —  Zweifamilienhaus  für  Unterbcamte 
der  Marschbahnverlegung 214 

Czeschka,  C.  C.     Seidenstoff 128 

Dietsch,  Friedr.    Glasdose 58 

Diez,  Julius.     Vivatband 243 

—  — Wandteppich  für  H.Bahlsens  Keks- 
fabrik      35.    36 

Weihnachtstellcr   .    .    .   .  •     ...    97 

Ebbinghaus,  Karl.  Plastiken  ....  79 
Engelmann,  Richard.     Bronzefigur    .    .  242 

—  —  (Jrabmal   Rhcinbaben 241 

Epstein,    Walther.      Gartenanlage    am 

Waldsee  in  Zehlendorf 261 

Herrenhaus  Rehbrücke   .   .    253-256 

—  —  Landhaus  Fischbach  ■  Schlachten- 
see      246—252 

—  —  Landhaus    Kocherihalcr- 

Dahlem 265-269 

—  —  Landhaus    von  KÖnig-Schlachten- 

see 245 

—  —  Landhaus     Meier- Gräfe  -  Nikolas- 

i>ee 262-264 

Landhaus  Waltz-Zehlendorf  257-259 

—  —  Landhaus  Zehlendorf- 
West     260.  270-272 

Esch,  H.      Anlage  von  Grabhügeln   .    .367 

—  —  Entwurf  zu  einer  Grabplatte  .  .  366 
-    —  Grabplatte  aus  Gußeisen     ....  380 

—  —  Kriegerdenkmale 374 

Fachschulen,  Gewerbliche,  Augsburg. 

Schmiedeeiserne  Kassetten 72 

Feldbauer,  Max.     Vivatband 243 

Fischer ,  Theodor.  Kleinwohnhaus- 
kolonie der  Bauhandwerks  Gesellschaft 

Neu-Westend  in  München 211 

Fliegerbauer,  Josef.     Vivatband    .       .  244 

Fochler,  L.     Seidenstoff 129 

Foltin,  W,     Grabstein 364 

Förster,  Kart.  Blumen  u.  Stauden  280-284 
Frick,  Kurt.     Gartenstadt  Hellerau  : 

Bebauungsplan 216 

Grundrisse 216 

Ansicht  der  Straße  9 217 


Seite 
Frick,  Kurt.     Gartenstadt  Hellerau  ; 

Fünffamilien-Reihenhaus    ....  219 
Zehnfamilien-Reihenhaus    .    .    .      219 

—  —  Kolonie  Gröba  b.  Riesa: 

Lageplan 218 

Achtfamilienhaus 218 

Gangl,  Josef.    Anhänger      .....  275 

Medaillen 273—275 

Gies,    Ludwig.      Kriegs-    und    Trauer- 
schmuck    89.  91 

Goldberg,  Karl.  Ziergläser  .....  61 
Göttel,  Jakob.  Sommerhäuschen  .  .  .  212 
Grässel,  Hans.     Grabkreuze    ...        .  359 

—  —   Soldatenchrengräber  im  Münchner 
Waldfriedhof 360.  361 

Graumüller,  M.     Gedenkstein    ....  368 

Kleiner  Soldatenfriedhof     ....  371 

Gropius,  Walter.    Tafelgerät 279 

Gsell,  H.    Kriegerdenkmal 372 

Harrachsche  Glasfabrik.  KrisUllschale   55 

Hartmann,  R.    Grabkreuz 358 

Hempel,  Oswin.  Haus  Wolf-Cossmanns- 
dorf: 

Votfahrt 381 

Grundrisse    .        382 

Straßenseite 383 

Nebengebäude    383 

Versenkter  Garten 384 

Vorgarten 385 

Durchblick  auf  den  Garten    .    .    .  386 
Spalierlaube  und  Naiurbad    .    .    .  387 

Haustür 388 

Halle 389 

Kamin  in  der  Halle 390 

Herrenzimmer 391 

Ecke  im  Speisezimmer 392 

Speisezimmer 393 

Bad 394 

Garderoberaum       395 

Pergola 396 

H^roux,  Bruno.    Aus  dem  Zyklus  »Vae 

Solia- 189 

—  —  Vivatband     ....        244 

Hildebrand,  A.  von.  Grabplatte  .  .  365 
Kamin 80 

Putto       .  81 

—  —  Tumulus    zur    Bezeichnung    eines 
Massengrabs 368 

Hoffmann,  Josef.     Blumenschale    .    .    .  340 

Fruchtschale 340 

-  Haus  Skywa 1 — 15 

—  —  Kaffeegeschirr 341 

Kronleuchter 343 

—  -    Leinenstoff 330 

Schale 342 

—  -  Seidenstoffe 128.  129 

—  —  Tafelaufsatz 341 

—  —  Tunkenschüssel 342 

Hölscher,  Georg.     Friedhof  für  ein  in 

Flandern  stehendes  Jägerbataillon    ,    .  373 
Honig  &.  Söldner.    Geschäftshaus  Dall- 
mayr,  München 151.   152 

—  ■ —  Geschäftshaus     >Zum     schönen 
Turm«,  München 141—148 

—  —  Landhaus    der    Frau   S.   von   Pritt- 
witz  und  Gaffron  in  Tutzing    ,    153—156 

Weinhaus  Kurtz,Münchenl44. 148— 150 

Hugo,  M.  von.  Heldenhügel  bei  Epoye 
in  der  Champagne 357 

Isabelle-Hausindustrie-Verein,    Preß- 
burg.    Ausstellungsschrank 234 

Gestickte  Borte .  237 

Stickerei 237 

Jacobson,  Fella.     Handbeutel    .   239.  240 

Junghanns,  J.  P.     Vivatband 244 

Jungnickel,  L.H.  Farbiger  Holzschnitt: 
Löwe 331 

—  —  Farbiger  Holzschnitt:  Flamingus  .  332 

—  —  Farbiger  Holzschnitt:  Marabus     .  333 

—  —  Radierung:  Rehe 334 

—  —  Radierung:   Aus  Sarajevo  .    .    .    .335 

—  —  Radierung;  Junges  Reh 336 

Kahlhammer,  G.     LeinenstoflT  ....  SSO 


ABBILDUNGEN 


Seite 
Kärner,    Theodor.     Po"^"^^^ ''^l"'!^    32 

Kaulitz,  Marion.    Marionetten  zu    -De 

Fischer  un  syne  Fru« •    •     4U 

Münchner  Kriegspuppen    .   .     37— Ja 

Klatt,  Reg.-Baumeister.    Zweifamilien- 
haus für  Unterbeamte  der  Marschbahn- 

verleeung ,;••'■'     07 

Klee,  Fritz.     Weihnachtsteller    .    .  VI 

Klemm,  Walter.  Vivatband  .  .  .  .  .244 
KlossDwski,  Erich  Wandmalerei  .  .  ^b4 
Köhler,   Mela.    Kleider  und  Hüte  235.  iih 

Kolb,  Alois.     Vivatbänder 243 

Kolbe,  Georg.     iJrunnen ^'W 

Gruppe  zu  einem  Krieger  Gedenk- 

btunnen    379 

Plastiken ^ob 

-  -  Reliefs 254    272 

Krüger,  Georg.  Geschnitzte  Bank  .  201 
Kunstgewerbeschule,  K.K.,  Wien.  Aus- 

stellungsschrank ^•^^ 

Lochstampter,  W.  Grabkreuz  ....  358 
Lock,  Josef.     Schalen  und  Leuchter    .  277 

—  —  Teeservice 276 

Löffler,  Melitta.  Stickereien  .  312-314 
Lönholdt,    Julius.      Türgriffe    und    Be- 


schläge 


.  204 


LötzWw,.  Job.  Glaspokal 59 

Loevy,  S.  A.  Bronzearbeiten 204 

Low,  Fritzi.  Seidenstoff 128 

Maaß,  Harry.  Gedächtnismal  in  der 
Heimat 369 

Marcks,  Gerhard.  Skizze  zu  einem  Krie- 
gerdenkmal       3'n 

Margold,  E.  J.    Bündnisglas 163 

—  —  Glasschale 62 

—  —   Kristall-Bowle  mit  Gläsern    .    .    .  163 

Obstschale 158 

Pokal 164 

Vasen  und  Dosen    157.  158-  163.  165 

—  —  Weinservice 161 

Mata,  J.  Grabsteine  für  Reihengräber  .  367 
Mebes,  Paul.  Haus  Mildner 228 

—  —  Oberrealschule  in  Zehlendorf: 

Vorhalle 350 

Hauptfront  an  derBurggrafenstr.iUe  351 

Sternwarte 352 

Direktoren-Wohnhaus 353 

Blick    in    den    Hauptkorridor    des 

ersten  Stockwerkes 354 

Vorraum  der  Haupttreppe  zur  Aula  354 

Treppenhaus 355 

Turnhalle 356 

Brunnen    356 

—  —  Reihenhäuser  in  Zehlendorf.  .  .  227 
Meltzer  &,  Co.,  Carl.   Likörflasche    aus 

geschliffenem  Glas 62 

Mine,  J.  Porzellan-F'igur 33 

Meyer,  Willy.  Kleiner  Soldatenfiiedhof  371 
Moritz,  Carl.  Heim  des  Künstlers:  Stra- 

Uenseite 293 

Gartenseile 294-296 

—  —  Laubengang 297 

Muthesius,   Hermann.     Fabrikgebäude 

der  Seidenweberei  Michels  Sc  Cie.,  No- 
wawes 190-195 

—  —  Kleinhäuser  in  Duisburg     ....  213 

—  —  Kleinhäuser  in  Helierau      ....  2J3 

Naumann,  Margarete.  Dresdener  Mar 

garelen-Spitzen 92-94 

Niemeyer,  Adelbert.  Speisezimmer  .   .  133 

Oerley,    Robert.    Gartenwohnhaus    in 

Wien 326.  327 

Diele 328 

Küche 329 

Kinderspielzimmer 329 

—  —  Landhaus  in  Kalksburg 323 

Seitenansicht 322 

Grundrisse 322 

Gartenseite 324 

F.ßzimmer 325 

—  —  Landhaus    in  Neubruck  : 

Straßenseite 317 

Gartenseite 318 

Grundrisse 318 

Eßzimmer 319 

Wohndiele 320.  321 

Oertcl  &.  Co.,  Joh.  Farbige  Gläser     .  .    60 

-   —  Geschliffene  Glasdose 57 

Ostendort,  Fr.    Gartenstadt    Karlsruhe. 

Einfamilienhäuser 225.  226 

Geschäftshaus 225 


Seile 
Paul,  Bruno    Ehrenfriedhof  Darethen  .  370 

Türgriffe  und  Beschläge      ....  204 

Peche,  Dagobert.  Wiener  Modeausstel- 

Inng :  .    .  „,q 

Vitrinenumgang ■    •  f^ 

Damenboudoir 230.  231 

Mittelhalle ^3j 

—  —  Bonbondosen 401 

Kaffeegeschirr 402 

Tafelgeschirr *0i 

Aufsatz     40^ 

Teedose  und  Aufsatz 403 

—  —  Fayencen 404 

Bilderraum     in     der     Ausstellung 

Rom  ign *0b 

Salon 406 

—  —  Damensalon 407 

Sitzecke  im  Damensalon     ....  408 

—  —  Empfangssalon 409 

Schaukasten-Ecke  im  Vitrinenum- 
gang der  Modeausstellune  in  Wien      410 

Blick  in  die  Haupthalle  der  Mode- 
ausstellung in  Wien 411 

Stoffmuster 412 

—  —  Eieratrappe  aus  Pappe 412 

Pfuhle,   F.  A.  Fenster  in  der  Westpreu- 

IJiächen  Feuersozietät,  Danzig  ....  303 

—  -   Kirchenfenster :  Christi  Geburt    .  298 

—  —  Kreuzigung 299 

—  —  Auferstehung 300 

Himmelfahrt 301.302 

Porzellan-Manufaktur,  Berlin.  Weih- 
nachtsteiler      98 

Meißen.  Weihnachtsleller  .    .     96.  97 

Powolny,  M.  Glaspokal 56 

Prutscher,  Otto.  Damenzimmer    .  170.171 

Garten ...  167 

Halle 171 

—  —  Speisezimmer 168 

Villa  R.  Bienenfeld,  Baden    .  166.167 

Villa  M.  Rothberger,  Baden  170-172 

—  —  Vorraum 170 

—  —  Zimmerecke 172 

Rasche,  Adolf.  Geschliffener  Glaspokal  57 
Riemerschmid,  Richard.  Wohnzimmer  134 
Rosenberg,  Berti.  Dekorative  Stickerei  130 
Rosipal,  Jos.  Geschliffene  Gläser  ...  60 
Ruff,  Ludwig.  Einfamilienhausgruppc  in 
St.  jobst-Nürnberg 117 

—  —  Fortbildungsschul-  und  Bibliothek- 
gebäude der  Maschinenfabrik  Augs- 
Imrg-Nürnberg 120.  121 

—  —  Gartenvorstadt  Werdcrau- Nürn- 
berg : 

Volkhammerplatz 108 

Arbeiterhäuser 109.  112 

Meisierhaus 110 

Hoffmannstraße 111 

Gastwirtschaft 113 

Hofpartie 114 

Beamtenhaus 122 

Einfamilienhäuser    109   112.  122.  208 

210 

—  —  Kleinwohnungsanlage  Gibitzenhof 
der  Baugesellschaft  für  Kleinwohnun- 
gen, Nürnberg ,  115 

—  —  Landhaus  Endres,  Gmünd  am  Te- 
gernsee 119 

—  —  Landhaus  Engel,  Feucht  bei  Nürn- 
berg   118 

—  —  Landhaus  Löwengart,  Fürth  ,    .    .  105 
Villa  Hahn,  Pilsen-Lochotin  106.  107 

—  —  Wohnungskolonie  Angerhausen 
der  Maschinenfabrik  Augsburg-Nürn- 
berg. Einfamilienhäuser 210 

Runge  &.  Scotland.  Bibliothek  Roselius- 
Berlin 286.  288-292 

—  —  Doppel  wohnhaus  Prof.  Dr.  H,  und 
Richter  Dr.  B 53 

—  —   Empfangszimmer   Roselius-Berlin 

285-287 

—  —  Haus  Friese  in  Bremen  ....  47.48 
Haus  Herbst   ....        ...    .49.51 

—  —   Haus  Kißling 50 

Haus  Windisch   .        .49.54 

—  —  Laden  der  Kaffee-Handels-Gesell- 
schaft in  Wien 41—46 

—  —  Landhaus  in  Bremen-Vahr    .    .  51. 52 

Sattler,  Karl.  Landsitz  Boveri,  Baden 
(Schweiz) : 

Gartenhaus      73.  75 

Lageplan 74 

Musik-  und  Festsaal 80 

Schwimmbad 76.  77 


Seite 
Sattler,  Karl.    Landsitz  Boveri,    Baden 
(Schweiz) ;  ^ 

Terrassenanlage *8 

Treppenanlage 81 

Weganlage '9 

Schmarje,  Walther,  Relief 349 

Schmitthcnner,  Paul.  Gartenstadt  Staa- 

ken :  

Straße 220 

Reihenhäuser 221 

Vierfamilienhaus 222.  223 

Grundrisse 224 

Kolonie  Forstfeld  bei  Kassel.    Be- 
bauungsplan     224 

Schmohl,  Baurat.  Kolonie  Altenhof  der 
F.  Krupp  A.  G 209 

—  —    Kolonie    Gewerkschaft    Emscher 
Lippe  der  K.  Krupp  A.-G 209 

Schramm,  Julius.  Kircheoschlüssel  .   .  202 

OberlichlgiUer 202 

Rosette 203 

Schröder,  R.  A.  Speisezimmer    ....  264 

Tafelaufsatz  des  Bremer  Rates  .    .  279 

Schule  für  Blumenschmuck  Franziska 

Brück 16-24 

Schule  Margarete  Naumann.  Dresdener 

Margareten-Spitzen 92—94 

Schulz,   Richard  L.   F.    Beleuchiung«- 

körper 99.  102.  103 

Tischlampen 100    101.  104 

Schulze,  D.  und  K.  Gewerkschaft  Vik- 
toria   205 

Kolonie  L.  Mannstaedt,  Troisdorf: 

Gesamtansicht 206 

Platzanlage 206 

Seeck,  F.  Erinnerungsmal  auf  freier  Höhe  370 

—  —  Grabstein  in  der  Heide 363 

—  —  Kriegerfriedhof 372 

Scidler,  Julius.  Brunnen       180 

Krkerplaslik      . 148.  177 

—  —  Fenstergewände      174 

Gedenktafeln 173 

—  —  Geschnitzter  Faßbodeii 184 

—  —  Hausplastiken 175  -  187 

-  Hauszeichen    148.  17G  178   183.  185 

.187 

—  —  Madonna 179 

St.  Christoph 179 

—  -  St.  Georg 175.  181 

Siebrecht,  Karl.    Ausstellungshaus    der 

Keksfabrik    Hahlsen    auf  der    Kölner 
Werkbund  Ausstellung    ....    196-201 
Singer,  E.  Krieger-Gedenkbrunnen   ,   .  375 
Stockar  v.  Bernkopf,   R.     Geschliffene 

Glaser 60 

Strnad,  O.   GrnCcs  Kreuz  aus  Eichenholz  362 
Stübchen-Kirchner,  Else.  B.itiken  235  236 

Troost,  P.  L.  Beleuchtungskörper  .     83.  85 

—  —  Schlafzimmer 86.  87 

—  —  Schränkchen 83 

—  —  Toilettentisch 88 

Vorraum 82.  84 

Vierthaler,  Ludwig.  Baukeramik  196 — 198 

Wackerle,  Josef.  Majolika-Figuren  26  27 
Waldschütz,  R.  Grabkrciz 357 

—  —   Kriegerdenkmal 372 

—  —   Kriegergrabmal 364 

Wenz-Vietor,  Else.  Tcezimmcr  ....  131 
Widmer,  Hermann.    Adresse   für  Feld- 
marschall von   Hindenburg 315 

—  —  Adressefür  Herrn  Joh.  A.  von  Wül- 
ling 316 

Wiener  Werkstälte.  I^esuchs-  und  Sira- 

ßenkleider 123-127 

LeinenstolTe 330 

Seidenstoffe 128.  129 

Silberarbeiten 337-342 

Wilm,  Josef.  Anhänger 135-137 

—  —  Armbänder 135.  136 

—  —  Broschen 136 

—  -  Brotkorb 139 

GürtelschlieOen 137 

—  —  Kaffeeservice 138 

Platte 139 

Zuckerdosen 138.  140 

Wimmer,  E.  J.  Blumenschalen    .    338.  339 

—  —  Blumenvase 338 

Früchtekorb 339  342 

Vase  und   Dose 337 

Wislicenus,  Max.  Wandbehänge  63.65  —  67 

71 

Wandteppiche 64.68-70 

Woenne,  Paul.  Messer 203 


SONDERBEILAGEN  -  SACH-REGISTER 


Seite 

Zovetti,  A.  Leinenstoffe 330 

Zumbusch,   Ludwig  v.   Wcilinachtsteller   98 
Zweybrück,  Emmy.  Decitclien  in  Weiß- 
stickerei     345 

Handbeiitel 239.  348 

Kissen 348 

Polster 344 

—  —  Seidendecke 346 

Spitze 345 

—  —   Umhang 347 


Sonderbeilagen 

vor  Seite 
Aus   der  Scliute  für  Blumenschmuck 
Franziska  Brück 17 

Epstein,  Walther.  Landhaus  Fischbach- 
Schlachtensee  :  Ansicht  von  der  Ein- 
fahrt aus 245 

—  —  Herrenhaus  Kchbrücke.  Parkan- 
sicht   253 

Förster,  Karl.  Perennen-Farm  in  der 
Maiblüte 281 

Göttel,  Jakob.  Sechs-,  Vier-  und  Fünf- 
hausgruppe in  der  Gartensiedlung  Ober- 
eßlingeu  bei  Stuttgart 213 

Hempcl,  Oswin.  HausWolf-CoGmanns- 
dorf :   Ansicht  vom  Garten 381 

Haus  Wolf-CoDmannsdorf:  Halle  .  389 

H^rou.x,  Bruno.  Aus  dem  Zyklus  «Vae 
Solls. 189 

Hcffmann,  Josef.  Haus  Skywa:  Vorder- 
ansicht        1 

llönig  &■  Söldner.  Geschäftshaus  'Zum 
schönen  Turm*  in  München     ....  141 

Mebes,   Paul.      Die    Oberrealschule    in 
Zehlendorf:    Hauptfront  an  der  Uurg- 
grafenstraße     .....' 349 

Oerley,  Robert.   Landhaus  in  Neubruck  317 

Prutscher,  Otto.    Speisezimmer    .   .   .  169 

Ruff,  Ludwig.  Gartenvorstadt  Werderau- 
Nürnberg;    VoIkhammcTplatz     .    .    .    .109 

—  —  Gartenvorstadt  Werderau- Nürn- 
berg    Arbeiter  -  Kinfamilienhäuser   .    .113 

—  —  Landhaus  Lüwengart,   Fürth  .    .    .  205 
Runge    &.    Scotland.        Ladenraum     der 

Kaffee-Handels-Gesellschaft  in  Wien  .     41 

—  —  Fensterecke  im  Empfangszimmer 
Roselius-Berlin 285 

—  —  Empfangszimmer  Roselius-Berlin  .  293 

Sattler,  Karl.  Landsitz  Boveri,  Baden 
(Schweiz)  :   Gartenhaus 73 

Schulze,  D.  und  K.  Gewerkschaft  Vik- 
toria,  Lünen,    Marktplatzgruppe    .    .    .  205 

Seidler,  Julius.  Madonna  vom  Anger- 
kloster in  München 173 

Troost,  P.  L.  Vcrraum  der  Ausstellung 
der  Vereinigten  Werksthtten  für  Kunst 
im  Handwerk  auf  der  Werkbund-Aus- 
stellung in  Köln 85 

TVackcrle,  Josef.     Porzcllangruppe: 

Pierrot  und  Pierrette 25 

Wiener  Werkstätte.    Straßenkleider  .   .  125 
Wislicenus,  Ma,\.  \yandteppich  >Diana<     65 

—  —    Wandteppich   »Venus« 65 


Sach-Register 

Seite 

Adressen 315    316 

Anhänger 89.  91.  135.  136.  137 

Anlage  von  Grabhügeln 367 

Arbeiter-Ilauser  .   .   .  109—115.  205—227 

Armbänder 135.  136 

Ausstellung  ,, Kriegergrabmal  und 

Kriegerdenkmal"        357-380 

Ausstellung  „Wiener  Mode"  .   .   229—240 


Seite 
Ausstellungshaus  .....  196 — 201 
Ausstellungsräume 405.  410/11 

Bad 14    394 

Badehaus    155 

Bahlsen-Ausstellungshaus    .   .    .    196—201 

Balkone 47.  263.  266.  326 

Bänke  .   .   .   .  • 44.  201.  283 

Batik-Arbeiten 2.35.  236 

Baukeramik 196—198 

Bebauungspläne 216.  218.  224 

Beleuchtungskörper    83.  85.  99.  102.  103 

168.  343 

Beschläge 204 

Besuchskleider 123.  124.  127 

Beutel 239.  240.  348 

Blumenschalen 338—340 

Blumenschmuck 16 — 24 

Blumen  und  Stauden 280—284 

Borte 237 

Bowlen 163 

Bronzearbeiten 204 

Bronzeflguren 242.  308.  309 

Broschen 89.  91.  13« 

Brotkorb         139 

Brunnen  49.  152.  180.  192.  248.  254.  261 
270.  356.  372.  375.  378 

Brunnenfiguren     379 

Bündnisglas 163 

Decken    ...       ...       .    .  345.  346.  400 

Denkmale      304.  305.  308—311.  372.  374 
375-378 

Denksteine 309.  310.  368.  374 

Dielen  und  Hallen         8.  9.  171.  232.  251 

252.  264.  268.  269.  320.  321.  328.  389 

Dosen        57.  58.  138.  140.  157.  158    163 

165.  278.  337.  401.  403 

Ehrenfriedhof  Darethen 370 

Ehrengräber  im  Münchner  Waldfried- 
hof  360.  361 

Eieratrappe    .    .  ....  412 

Eisen-Arbeiten  72.  2Ü2.  203.  358.  364.  380 

Erinnerungsmale 369.  370 

Erkerplastik 148.  177 


Fabrikgebäude 
Faßboden    ,   .    . 
Fayencen    .    . 
Fenstergewände 
Festsaal 


190-195 
...  184 
.  .  .404 
.    .   .  174 

80 


Friedhöfe 371—373 

Fruchtkörbe 339.  342 

Fruchtschalen 158.  340 

Garderoberaum       ....  ...  395 

Gärten   49.  73-79.  81.  167.  248.  261.  281 

384/386 

Gartcnhallen      271.  272.  324 

Gartenhäuser 51.  73.     75 

Gartenplan        74 

Gartenstadt  Hellerau     213.  216.  217.  219 
Gartenstadt  Karlsruhe  ....       225.  226 
Gartenstadt  Staaken  bei  Spandau  220—224 
Gartenvorstadt    Werderau    bei    Nürn- 
berg   108—114.  122.  208.  210 

Gastwirtschaft 113 

Gedächtnismale  in  der  Heimat      369.  370 

Gedenkbrunnen 375.  379 

Gedenktafeln 173 

Geschäftshäuser 141-152.  225 

Gewerkschaft  Viktoria,  Lünen  ....  205 

Giebel 146.  205.  221 

Gitter 202 

Gläser 55—62.  157—165 

Glasmalereien      298—303 

Grabkreuze 357—361 

Grabmale 241 

Grabmal-Figur 242 

Grabplatten .  365.  366.  380 

Grabsteine 363.  364.  367 

Grundrisse    105.  106.  109.  150.  153.  212 

216.    218.    224.  246.  253.  257.  268.  318 

322.  382 

Gürtelschließen 137 

Hallen  siehe  unter  ,, Dielen" 

Handtaschen 400 

Haus  Bienenfeld,  Baden  ....  166.  167 
Haus  Dallmayr,  München  .  .  .  151.  152 
Haus  Fischbach-Schlachtensee  .   246—252 

Haus  Friese,  Bremen 47.     48 

Haus  Hahn,  Pilsen 106.  107 

Haus  Herbst 49.     51 

Haus  in  Bremcn-Vahr 51.     52 


Seite 

Haus  in  Kalksburg 322—325 

Haus  in  Neubruck 317—321 

Haus  in  Wien-Hietzing        .    .    .   326—329 

Haus  Kissling 50 

Haus  Kocherthaler-Dahlem  .  .  265—269 
Haus  von  König,  Schlachtensee  .  .  .  245 
Haus  Löwengart,  Fürth       .    .    .  105 

Haus  Meier-Gräfe-Nikolassee    .   262—264 

Haus  Mildner,  Zehlendorf 228 

Haus  Moritz,  Köln  ....  293—297 
Haus  Prof.  Dr.  H.  und  Richter  Dr.  B.  53 
Haus  Prittwitz,  Tutzing  ....    153—156 

Haus  Rehbrücke 253—256 

Haus  Rothberger,  Baden  ....   170—172 

Haus  Skywa      1—15 

Haus  Waltz,  Zehlendorf  ....   257—259 

Haus  Windisch 49.  54 

Haus  Wolf-Cossmannsdorf  .  381-396 
Haus  Zehlendorf-West      .     260.  270-272 
Haus    ,,Zum    schönen    Turm",    Mün- 
chen   141—148 

Hausplastik  .  .  145.  146.  148.  174—187 
Hauszeichen  148.  176.  178.  183.  185.  187 

Höfe 114.  209.  256 

llolzarbeiten 309 

Holzkreuze  .  .  306.  307.  358-360.  362 
Holzschnitte      331-333 

Kaffeewärmer 314 

Kamine      9.  171.  251.  269.  288.  321.  390 

Kannen    .    .       138 

Kassetten 72 

Keramik .   196—198 

Kirchenfenster 298— 3li2 

Kissen 344.  348.  400 

Kleider 123—127.  233—23« 

Kleinsiedlungen  108-117.  122.  205-228 
Kolonie  Altenhof  der  F.  Krupp  A.-G.  209 
Kolonie  Angerhausen  der  Maschinen- 
fabrik Augsburg-Nürnberg  ....  210 
Kolonie  der  Bauhandwerks -Gesell- 
schalt Neu-Westend  in  München  .  .  211 
Kolonie  Forstfeld  bei  Kassel  ....  224 
Kolonie  Gewerkschaft  Emscher-Lippe  209 

Kolonie  Gröba  bei  Riesa 218 

Kolonie  L.  Mannstaedt,  Troisdorf   .    .  206 

Kriegerdenkmäler 357—380 

Kriegergrabmäler 357 — 380 

Kriegsdenkmale   .    .    .  304.  305.  308—811 

Kriegsdenksteine 309 

Kriegsmedaillen 273—275 

Kriegspuppen .  37—39 

Kriegsschmuck    .       ....  89.  91.  275 

Kronleuchter 343 

Küche 329 

Ladenräume 41 — 46.  147.  152 

Lampen,  elektrische  .    .  85.  100.  101.  104 

Landhäuser  und  Villen    49—54.  106.  107 

117-119.    153.  154.  166.  167.  212.  245 

246-272.  317.  318.  322-324.  381 

Laubengang  297 

Leuchter     .    .  277 

Likörflasche 62 

Majolika-Figuren 26.     27 

Margareten-Spitzen 92 — 94 

Marionetten 40 

Medaillen 89.  91.  273-275 

Messer 203 

Miethäuser  .  .  108-117.  122.  205-227 
Mode 123-127.  233-236 

National-Denkmal 377 

Naturbad 387 

Oberrealschule  in  Zehlendorf  .  349-356 
Öfen     156.  325 

Pergola 396 

Pokale 56.  57.  59.  164 

Polster 344 

Porzellan-Arbeiten  .  .  25.  28—33.  96—98 

Radierungen 189.  334-336 

Reihengräber 366.  367 

Reliefs     254.  272.  349 

Repräsentationshalle 190 

Rosette 203 

Schalen     55.  62.  139.  158.  277.  278.  279 
338-340.  342 

Schaufenster      41.  198 

SchifFshütte 155 

Schließen ...  137 

Schlüssel    202 


SACH-REGISTER- NAMEN-VERZEICHNIS -ORTS-REGISTER  -  BOCHERBESPRECHUNGEN 


Schmuck     89.  91.  135-137. 

Schnitzereien  184.  201.  286.  290-292 
307.  309 

Schränlie,  Bücher- 

„  Kleider- 

,,  Spielzeug- 

,,  Wand- 170. 

Zier-  ....    42.  83.  285. 

Schreibtische 15- 

Schulgebäude    ...   120.  121.  349- 

Schwirambad 76. 

Seidenweberei  Michels  &.  Cie.,  Nowa 

wes 190- 

Service,  Kaffee-  .   .   .    138.  139.  341. 

Tafel- 

,,        Tee- 

„        Wein- 

Sessel  und  Stühle      15.  46.  131.  132. 

286    288 

Silberarbeiten       136-139.    276-279! 

338- 

Soldatenehrengräber  im  Münchner 

Waldtriedhot 360. 

Soldatenfriedhöfe     371- 

Spitzen     .....       .    92-94.  238. 

Städtische  Wohnhäuser  1—5.   47.   48. 
105-107.  166.  167.   228.  293—297. 

Steinplastik    148.  173—187.  266.  378. 

Sternwarte 

Stickereien     .   .    130.  234-237.  239- 
312-314.  344- 

Sto«fc 128.  129.  330. 

Straßen  und  Plätze        108.  111.  143. 

205.  206.  213.  217.  220. 

Straßenkleider 125. 


Seite 

,  275 

.  306 

.  328 

.  290 

.  134 

.329 

,  230 

292 

292 

-356 

77 

-195 
402 

.  402 
276 

.  161 
251 
321 
337 

-342 

361 
-373 
345 
53 
326 
327 
379 
352 
-240 
..348 
412 
144 
226 
126 


Tafelaufsätze 279.  341.  403 

Teppiche 287.  291 

Terrassen 78.    81.  154 

Tierfiguren     25.  28.  29.  32.  33.  309.  372 

Tische .44.  286.  287.  291 

Toilettentisch 88 

Treppenanlagen 81.  154 

Treppenhäuser  7.  147.  171.  195.  264.  320 
321.  328.  355 

Tumulus .   ,  368 

Tunkenschüssel  342 

Türen  und  Tore  .  170.  262.  263.  266.  285 

388 

Türgriffe 204 

Turnhalle .356 

Umhang 347 

Vasen .      157.  165.  337.  338 

Veranden  siehe  unter  „Gartenhallen*' 
Villen  siehe  unter  „Landhäuser" 

Vivatbänder .    243.  244 

Vorfahrt 381 

Vorhallen .6.  147.  350 

Vorraum 12.  82.  84.  170.  354 

IVandbrunnen 49 

Wandleuchter 83 

Wandteppiche    .  35.  36.  63—71.  397—399 

Weihnachtsteller 96—98 

Weinhaus  Kurtz,  München    144.  149.  150 
Wintergärten     13.  251 

Zimmer,  Bibliothek-  .   .       .  286.  288-292 

„        Damen-  170.  171.  230.  231.  406 

407.  408 

„        Empfangs-  .   .   .     285-287.  409 

„        Herren- 132.  391 

„        Kinder-     329 

„        Musik- 80 

„        Schlaf-  .   .       .  .    10.  11.  86.  87 

„        Speise-  .   .   .  133.  168.  172.  264 

319.  325    392.  393 

"        Spiel- 13.  329 

"        J,".- 131 

„       Wohn- 14.  134 


Namen -Verzeichnis 

Seile 

Albertshoter,  Gg 153 

Auliczek,  Dominikus 32 

Bäuml,  Albert 25 

Berndl,  Richard 306 

Bernhard,  Karl 190 

Beuster,  Fritz 207 

Bibrowicz,  Wanda 67.  397 

Bonatz,  P 380 

Brück,  Franziska       16 

Bustelli,  Franz 28 

Carsten,  A 301 

Charton,  Reg.-Baumeister 227 

Diez,  Julius 34 

Ebbinghaus,  Karl 76 

Eisler,  Max 336 


Fischer,  Theodor 
Frick,  Kurt   .   .    . 


.    .   .  223 
214.  227 


Gangl,  Josef 273 

Georgii,  Theodor 76 

Gies,  Ludwig .   .  90 

Grässel,  H 363 

Hanak,  Anton 10 

Heinersdorff,  G 302 

Hempel,  Oswin    ...  381 

Hdroux,  Bruno 188 

Hildebrand,   Adolf  von  ....         76    374 
Hildebrand,  Jacobine  von    ....  76 

Hoffmann,  Josef      1.331 

Moll,  Elias 109 

Honig  &  Söldner 141.  174 

Janssen,  U 374 

Jessen.  Peter .     130.  238 

Jungnickel,  Ludwig  Heinrich     .   .    .      331 

Kärner,  Theodor 32 

Kaulitz,  Marion 37 

Klatt,  Reg.-Baumeister 227 

Klinger,  Max ip8 

Kolbe,  Georg 253 

Krüger,  Georg 200 

Lange,  Willy 282 

Leisching,  Eduard .    .    55 

Löffler,  Melitta 312 

Margold,  E.  J 157 

Mebes,  Paul 349 

Mene,  J 32 

Migge,  L 214 

Möhl  &.  Schnitzlein 78 

Naumann,  Margarete 92 

Oerley,  Robert 317 

Orlik,  Emil 332 

Peche,  Dagobert 240.  401 

Pfuhle,  F.  A 298 

Prutscher,  Otto .  igg 

Riezler,  Walter 238 

Ruff,  Ludwig 109.  223 

Runge  &Scotland 41.  285 

Sattler,  Karl 73 

Schmitthenner,  Paul 214.'  227 

Schmutzer,  Ferdinand   ......     332 

Schulz,  Richard  L.  F ...  101 

Seidl,  Gabriel  von 147    179 

Sfidler,  J 151.  179 

Siebrecht,  Karl i9tj 

Strnad,  Oskar 62 


Thyriot^ . 


349 


Seile 

Vetter,  Adolf 62.  229.  S36 

Vierthaler,  Ludwig 196 

Wackerle,  Josef .       .   .    33 

Wilm,  Josef  .  .      135 

Wisliccnus,  Max     67 

Zweybrück,  Emmy       547 


Orts-Register 

Baden  (Schweiz).  l..ind!iiz  Boveri  73—81 
Berlin.      Schule      für      Blumenschmuck 

Franziska  Brück 16—24 

Bremen.     Zu  den  Arbeiten  von  Runge 

&  Scolland 41— M 

Cossmannsdort.     Haus  Wolf.   .  381— S96 

Danzig.  Die  Glasmiilereien  F.  A.  Pfuh- 
les 298-303 

Dresden.  Dresdener  Margareten-Spii/en 

92-94 

Köln.  AusslellunfTshaus  Bahlsen  auf  der 
WerkbundAusstelliing     ....    196-301 

—  Kiinstlerheim  des  Architekten  C  Mo- 
riu 293-297 

Mannheim.  Ausstellung  »Krtegergmbmal 
und  Kriegerdenkmal* 357—380 

München.  Münchner  Künstler -Krieits. 
puppen-Spiel 37—39 

Neubruck  a.  d.  ErJaf.  I.aDdhiut    317-321 
Nowawes.    Fabrikgebäude   der  Seiden- 
weberei Michels*  Cie 190-195 

Ober-Schreibcrhau.  Schlesische  WerV- 
slälten  für  Kunstweberei     .    .    .    397— 40O 

WTien.     Glasausslellunc     .       .    .    .55-62 

—  Haus  Skywa 115 

—  .Modeausslellung       229—240 

—  Wiener  Mode 123-127 

—  Wiener  Werkstätle 337-346 

Zehlendorf.    Die  Oberrealichule    349-356 


Bücherbesprechungen 

Deutsche  Form  im  Kriegsjahr.  Jahr- 
buch des  Deutschen  Werkbundes  1915  130 

Eisler,  Max.  Oetterreichisch«  Werkkul- 
tur      336 

Muthesius,  Hermann.  Die  Zukunft  der 
Deutschen  Form 52 

Schmitz,  Hermann.  Berliner  Baumei- 
ster vom  Ausgang  des  aclitzehnten 
Jahrhunderts SS 

Soldatengräber  und  Kriegsdenkmale  59 


Gedanken  über  Kunst 

Neumann,  Karl 195 

Obrist,  Hermann 396 

Oesterreicbische  Werkkultur 346 

Rembrandt  als  Erzieher 46 

Streiter,  R 78.  201 

Vischer,  F.  Th 396 

WTielandt,  Manuel 396 

Winckelmann 396 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  ZUFAHRT 


EIN  STÄDTISCHES  GARTENWOHNHAUS 
VON  JOSEF  HOFFMANN 


Will  man  den  Zustand,  in  dem  sich  die 
Kunst  Josef  HoFFMANNSgegenwärtig  be- 
findet, annähernd  bezeichnen,  dann  müßte  man 
ihn  den  der  äußersten  Selbstentfaltung  nennen. 
Das  gilt  im  mehrfachen  Sinne:  niemals  vor- 
her waren  die  Aufgaben,  die  ihr  gestellt  wurden, 
derart  mannigfaltig,  niemals  für  sich  so  um- 
fassend, niemals  die  Formen  ihres  Ausdrucks 
so  klar  und  notwendig.  In  übereinkommender 
Weise  finden  sich  jetzt  die  reichlichen  An- 
sprüche des  Auftraggebers  und  die  gereifte 
Fähigkeit  des  Künstlers,  sie  zu  befriedigen. 
Hält  man  sich  nur  an  einiges  Wesentliche 
der  allerletzten  Jahre,  dann  ergibt  sich  aus 
der  baulichen  Tätigkeit  Hoffmanns  die  Reihe: 
eine  Festhalle  (auf  der  Werkbundausstellung 
in  Köln),  eine  Fabrik  (Günther  Wagner  in 
Wien),  ein  großindustrielles  Bureau  (Poldihütte), 
eine  Vorstadtkolonie  (Kaasgraben  in  Grinzing), 
ein  Landhaus  (in  Winkelsdorf)  und  ein  städti- 
sches   Gartenwohnhaus   (in    Hietzing).    Jedes 


Bauwerk  greift  auf  ein  besonderes  Gebiet, 
die  Summe  aller  umfaßt  nahezu  den  ganzen 
Kreis  moderner  Bauaufgaben. 

Man  wird  schon  aus  dieser  bloßen  Auf- 
zählung allerhand  von  weiterführendem  Belang 
entnehmen  können.  Sie  reicht  vom  äußersten 
Luxus  bis  zum  nüchternsten  Zweckbau,  von 
der  Laune  bis  zum  Bedürfnis,  von  der  ge- 
legentlichen Ausnahme  bis  zur  wiederkehren- 
den Sozialforderung,  verschreibt  sich  keinem 
bestimmten  Stande,  keinem  ständigen  Auf- 
gabenkreis, entspricht  fast  allen  Ansprüchen, 
die  aus  großstädtischer,  also  modernster  Wurzel 
kommen  und  erhält  in  diesem  lebendigen  Aus- 
tausch mit  der  Reichhaltigkeit  des  Auftrags 
die  eigene  Persönlichkeit  im  stetigen  Fluß, 
in  andauernder  Erneuerung. 

Diesem  Oesterreicher  zeigt  sich  die  Art  der 
Heimat  ausnahmsweise  günstig  gesinnt.  Sie 
bewahrt  ihn  vor  dem  Schicksal,  dem  draußen 
im  Reiche   viele  der  Guten  und  Besten  zum 


Dekorative  Kunst.    XIX.    i.    Oktober  1915 


1 


Opfer    werden.     Denn    dort    bemächtigt    sich 
der  kühnere,  stärkere  Unternehmergeist  schnell 
des   Genies,    dessen   zweckdienliche   Eignung 
er  erkannt,  bindet  es  an  die  eindeutige  Rich- 
tung seiner  Interessen,  veranlaßt  es  eine  Fähig- 
keit bis  zur  Virtuosität  auszubilden    und  ver- 
schuldet damit  nicht  selten  jene  Einseitigkeit, 
die    wohl    immer    vollkommener    wird.    Voll- 
kommeneres gibt,  aber  sich  selber  auch  immer 
wiederholt.     Dort   hat   der  Grundsatz  der  In- 
dustrie, das  Prinzip  der  Arbeitsteilung,  nament- 
lich   in    den    letzten   Jahren    auch    von    dem 
Boden  der  Kunst  fortschreitend  Besitz  ergriffen 
und  hat  sich  durchgesetzt,    weil   es  über  den 
stärksten    wirtschaftlichen    Rückhalt    verfügte. 
Die  Folge  war  die  Züchtung  eines  Spezialisten- 
tums, das  seither   erschreckend  überhand  ge- 
nommen hat.     Dies  aber  ist  dem  Wesen  des 
Künstlers  geradezu  feind:   denn   es   führt   zu 
einer  Verkümmerung   des  Vollmenschen,  der 
im  Bezirke  der  Kunst   seit  je  Heimrecht  be- 
sessen.    Und  doch   ist  seine  Erhaltung  heute 
wichtiger    geworden    als    irgendwann.     Denn 
schon    ist    auf   allen    Gebieten    menschlicher 
Tätigkeit,  von  der  Wissenschaft   bis   zur  Ma- 
schine, der  Spezialist  ins  Vorrecht  gesetzt,  die 
Gefahr    der    Einseitigkeit    im    Denken     und 
Handeln  ganz  allgemein  geworden.    Die  Kultur 
mag   dabei   in  ihren  Ergebnissen  Gewinn  ge- 
nug erzielen,  aber  ihre  Träger  werden  minder- 
wertig,   mindervoll    und    minderfroh,   —    das 
Werk  überwindet  und  erniedrigt  den  Menschen, 
der  es  vollbringt.     Die  Kunst   kann   da  nicht 
mittun,  will  sie  sich  nicht  verlieren;  denn  hier 
ist  Werk  und  Mensch   eines  nur,   hier   steigt 
der  Wert   des   Ergebnisses   mit    der   Freiheit 
und  Freudigkeit  seines  Vollbringers. 

In  Oesterreich  liegen  die  Dinge  zurzeit 
noch  anders.  Unsere  Wirtschaft  ist  anders 
und  nicht  zuletzt  deshalb  ist  es  auch  die 
Kunst.  Unsere  Wirtschaft  ist  weniger  groß- 
artig, weniger  geschlossen  in  ihren  Gattungen, 
weniger  robust  und  eigenmächtig  in  ihren  An- 
sprüchen an  die  Kunst.  Allerdings  auch  weniger 
willig  zum  Anschluß  an  sie.  Das  kommt  un- 
serer Kunst  nicht  gerade  gelegen,  aber  mit  dem 
übrigen  zwingt  es  sie,  alle  nur  erdenklichen 
eigenen  Wege  zu  gehen,  —  sich  selbst  über- 
lassen —  selbständig  und  selbsttätig  zu  bleiben, 
alle  Fähigkeiten  zu  entwickeln,  um  nur  bestehen 
zu  können,  und  in  voller  Bewegung,  in  allseitiger 
Fühlung  mit  dem  Lebensganzen  zu  verharren. 
Haben  wir  nicht  auch  deshalb  so  viele  neue 
Künstlergedanken,  so  viel  ursprüngliche,  quel- 
lende Erfindung,  so  wechselreiche  Formen,  — 
so  wenig  Uebereinkommendes,  der  Verallge- 
meinerung Fähiges?  So  viele  und  vielseitige 
Persönlichkeiten  und  so  wenig  vom  Typischen? 


Man  vergegenwärtige  sich  nochmals  jene 
letztjährige  Werkreihe  Josef  Hoffmanns.  Der 
Künstler  kann  —  oder  muß  —  sich  von  einem 
Problem  dem  andern  zuwenden,  ohne  von 
einem  spekulativen  oder  großzügigen  Unter- 
nehmer zur  Verflachung  und  Abwandlung 
eines  Themas  verhalten  zu  werden.  Nach 
einer  Fabrik  baut  er  ein  Landhaus.  Das  liegt 
natürlich  auch  an  der  Lauheit  der  nächst- 
stehenden Auftraggeber.  Anders  als  im  Reiche, 
wo  die  Standes-  und  Interessengemeinschaften 
nach  Geist  und  Bewußtsein  enger  vergesell- 
schaftet sind,  geschlossener  organisiert  und 
deshalb  auch  einhelliger  in  ihrem  jeweiligen 
Kunstbedürfnis,  lebt  man  bei  uns  mehr  in 
sich  und  durcheinander,  der  Fabrikherr  mit 
dem  Großgrundbesitzer,  dem  höheren  Beamten 
und  dem  Künstler.  Aus  solchen  durcheinander- 
gemischten Kreisen  kommt  dann  zuweilen  der 
Wunsch  nach  Kunst,  nicht  selten  nach  der 
Kunst  desselben  Künstlers,  der  allen  der  rechte 
scheint.  Draußen  ist  schon  das  Bedürfnis 
nach  Kunst  organisiert,  bei  uns  ist  es  Ge- 
legenheitssache. Und  dies  Gelegentliche  des 
Anlasses  bleibt  auch  das  Merkmal  des  Werk- 
ergebnisses. 

Von  der  Festhalle  Josef  Hoflfmanns  in  Köln, 
von  den  Gruppenhäusem  im  Kaasgraben  kann 
man  Maximen  ablesen,  grundlegende  Erkennt- 
nisse, wie  Fragen  solcher  Art  erledigt  werden 
können:  also  das  Gesetzliche,  die  notwendige 
Folge  von  Voraussetzung  und  Lösung.  Aber 
die  Lösungen  selber  eignen  sich  nicht  zur 
VervielUltigung.  Sie  verweigern  sich  schlecht- 
hin jeder  Typisierung.  Ueber  dem  allgemein 
Gültigen  und  Lehrhaften  daran  behauptet  sich 
noch  so  viel  des  Originalen  und  Eigenwilligen, 
daß  hier  jede  Nachahmung,  jede  Wieder- 
holung widersinnig,  wesensverleugnend  er- 
schiene. Selbst  wenn  ein  organisiertes  Be- 
dürfnis die  Vervielfachung  dieser  Formen  zu 
geläufiger  Verwendbarkeit  verlangte,  sie  müßten 
erst  ihr  Bestes  und  Eigenstes  aufgeben,  ehe 
sie  dazu  brauchbar  würden.  Es  ist  die  be- 
sondere Art  österreichischer  Werkkunst,  die 
sich  durch  ihren  Meister  am  klarsten  aus- 
spricht: hier  steht  das  Persönliche  noch  vor 
dem  Allgemeinen,  der  Künstler  über  dem 
Werk,  nicht  das  Werk  über  ihm. 


Das  Hietzinger  Viertel,  in  dem  das  Haus 
Skywa  steht,  läßt  noch  heute  deutlich  genug 
die  Spuren  aller  Stadien  erkennen,  die  es  von 
der  ländlichen  Siedlung  zum  städtischen  Vor- 
ort und  endlich  zum  13.  Großstadtbezirk 
durchschritten  hat.  Es  ist  noch  genug  Willkür 
und  Lässigkeit  in  seinen  Straßenzügen,  noch 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  VORDERANSICHT 
1* 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  SEITENANSICHT 


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JOSEF  HOFFMANN-TIEN 


HAUS  SKYWA:  EINGANGSHALLE 


durchbrechen  weite  Pflanzengründe  die  Häuser- 
zeilen, die  sich  hier  zuletzt  doch  wieder  mehr 
geschlossen  haben  als  in  den  „Villenvierteln" 
der  Stadt.  Die  Aufnahme  des  Gliedes  in  den 
Körper  ist  hier  teilweise  weiter  vorgeschritten, 
aber  zwei  Merkmale  geben  ihm  noch  heute 
Besonderheit:  die  Gärten  und  die  Wohnbe- 
stimmung. 

Das  bauliche  Einzelbild  widerstreitet  vielfach 
diesem  Stufengang  des  Siedlungslebens.    Vor 
den    achtziger  Jahren    bewahrt    es    noch    die 
Eintracht    seiner    Erscheinung    mit   ihrer    Be- 
stimmung, vereint  ländliche  Freizügigkeit  mit 
maßvoller    städtischer    Stattlichkeit,    ist    noch 
Kultur  im  Sinne  des  Lebensausdrucks.    Dann 
reißt   der    Faden.     Eine  Strecke    weit   stehen 
schmale,  hohe  Häuser  mit  den  üblen,  üblichen 
Fassadenfanfaren,  einander  überschreiend,  über- 
trumpfend, in  geschlossener 
Reihe,  — •  die  Zwitter  aus 
der  rücksichtslosen  Verbin- 
dung von  Grund-  und  Bau- 
spekulation. Mitten  drin  öff- 
net sich  die  Kette,  läßt  statt- 
lichen Parkgrund    frei    und 
zeigt  darin  ein  weitläufiges 
Gebäude,   das  alle    Allüren 
eines     Herrensitzes     trägt, 
ohne  einem  „Herrn"  zu  ge- 
hören und  doch  von  seinem 
Baumeister  daraufhin  insze- 
niert. 

Dann  lenkt  man  in  einen 
stillen  Seitenweg,  den  Aus- 
lauf der  Gloriettegasse.  Drü- 
ben stehen  freundliche  Häu- 
ser, ohne  viel  Prätention, 
ihnen  gegenüber  das  Haus 
Skywa. 

Hinter  dem  Gitter  liegt 
der  Garten.  Nur  seinen 
hausnahen  Teil  hat  Hoff- 
mann selber  gestaltet,  der 
zur  Linken  anschließende 
kam  erst  später  hinzu  und 
verschuldete  eine  Verschie- 
bung der  Situation,  für  die 
der  Künstler  nicht  verant- 
wortlich ist.  Vor  dem  Hause 
läuft  ein  schmaler  Rasen, 
zu  beiden  Seiten  der  Ein- 
fahrt stehen  Bäume,  rechts, 
hinter  der  Garage,  reicht 
eine  Zunge  mit  Beetpflan- 
zungen zum  alten  Wohn- 
haus. Aber  erst  linkerhand 
und  hinter  dem  Hauptbau 
lebt  sich  der  Garten  freier       josef  hoffmann-wien 


aus,  decken  Rasen-,  Nutz-  und  Blumenbeete 
weitere  Flächen,  liegt  zwischen  Glashaus  und 
Laube  das  Halbrund  des  Bassins,  zu  dem 
man  beiderseits  über  Treppen  niedersteigt.  In 
die  strenge  Felderteilung,  die  klaren  Niveau- 
unterschiede, die  den  Raumsinn  beleben,  bringt 
überall  der  stehengebliebene  Rest  alter,  breit- 
kroniger  Bäume  etwas  von  der  Bewegung  ur- 
sprünglicher Ungebundenheit. 

Die  hausnächsten  dieser  Bäume  haben  auch 
den  Umriß  des  Hauses  mitbestimmt,  der  auf 
ihre  Erhaltung  Rücksicht  nahm  und  ihnen  zu- 
liebe gelegentlich  zurückwich  oder  vorsprang. 
In  ihrem  tiefgrünen  Schutze,  im  helleren 
Rahmen  der  Grasbeete  bietet  sich  hinter  dem 
schwarzeisernen  Gitter  die  Schauseite  des 
Hauses  in  den  warmen  Farben  seiner  Baustoffe, 
dem  gelblichen  Terranovaputz,  dem  Altrot  der 


HAUS  SKYWA:  TREPPE 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYTA:  HALLE  MIT  TREPPE 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 

Dekorative  Kunst.  XIX.     t.    Oktober  1915 


HAUS  SKYWA:  HALLE  MIT  KAMIN 


JOSEF  HOFFMANK-WIEN 


HAUS  SKYTA:  DAMENSCHLAFZIMMER 


Ziegel  und  dem  Kupfer  der  Dachfenster  und 
des  Firstes. 

Die  beiden  Seitenflügel  unter  Dreieckgiebeln 
treten  nur  wenig  vor  den  breiten  Mittelteil. 
Dort  gliedern  wenig  erhabene  Rillenpfeiler 
von  wechselnder  Breite  die  Mauerfläche,  die 
sich  in  schmäleren,  hohen  Fenstern  öffnet, 
hier  kräftiger  vorspringende,  gekurvte  Halb- 


säulen zwischen  den  breiteren  Fensteröffnun- 
gen. Die  spärlich  verteilten  Ornamente  in  den 
vermauerten  Flächen ,  der  reichere  Fries- 
schmuck, die  stehenden  Figuren  an  den  Halb- 
säulen, die  lagernden  in  den  Giebeln  (alle 
von  Anton  Hanak),  —  das  alles  läßt  dem  Bau- 
körper sein  herrschendes  Recht,  schlägt  aber 
doch  wieder   zu   der   sprossenden   Umgebung 


10 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  HERRENSCHLAFZIMMER 


die  Brücken  leichter  Bewegung,  bringt  beides 
in  wohllautenden  Einklang,  bringt  Anmut  und 
Strenge  zum  Ausgleich,  Natur  und  Bauwerk 
auf  die  Basis  der  Kunst.  Hier  ist  alles  zum 
einmütigen  Rhythmus  geworden,  und  dieser 
Rhythmus  ist  nicht  Laune  und  Spiel,  nicht 
Zufälliges,  sondern  Notwendigkeit.  Er  wurde 
gewonnen  auf  den  Wegen  der  Werkform  durch 


einen  Künstler,  der  die  Fülle  der  Gegeben- 
heiten auf  die  Einhelligkeit  ihres  vereinbarten 
Wesens  brachte. 

Dem  Aeußern  entspricht  das  Innere,  ist 
wie  jenes  heiter  und  festlich.  Zunächst  wirkt 
die  klare  Anordnung  der  Räume,  offen  unter- 
einander, wo  eine  verwandte  Bestimmung  vor- 
liegt, streng  gesondert,   wo   die  Zwecke  aus- 


11 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYVA:  VORRAUM 


einanderlaufen.  Die  Mehrzahl  der  Einzelräume 
im  selben  Geschoß  kann  sich  bei  gastlicher 
Gelegenheit  zum  Ganzen  verbinden  und  da- 
mit dem  äußersten  Zwecke  dieser  vornehmen 
Häuslichkeit  gerecht  werden. 

Sonst  aber  ist  gerade  auf  die  Individualisierung, 
auf  die  Herausarbeitung  von  räumlichen  Beson- 
derheiten volles  Gewicht  gelegt.  Nicht  nur  daß 
jeder  Raum  nach  seinem  besonderen  Zwecke 
in  sinnfällige  Erscheinung  tritt,  sich  durch  Ab- 


messungen und  Verhältnisse  von  seinem  Nach- 
bar abhebt,  in  der  Art  und  Farbe  des  verwende- 
ten Materials  einen  ihm  eigenen  Grundton  an- 
nimmt, —  sondern  auch  jedes  Ding,  das  den 
Raum  füllt,  ist  für  sich  behandelt,  echt  im  Stoffe, 
erlesen  in  der  Form.  Neben  dem  Architekten, 
der  das  Wort  führt  und  die  Einheit  des  Ge- 
samtraumes verbürgt,  behauptet  sich  der  Kunst- 
handwerker, dessen  Neigung  der  edlen  Einzel- 
arbeit gehört,  in  seinem  beigeordneten  Rechte. 


12 


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JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  BAD 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  WOHNZIMMER 


14 


Das  alles  lassen  die  Bilder,  wenn  auch  nur 
ungefähr,  erkennen,  werden  es  noch  deutlicher 
machen,  wenn  man  sie  gegen  die  des  Land- 
hauses Primavesi*)  hält,  das,  fast  zu  gleicher 
Zeit  entstanden,  an  einem  andern  Orte,  für 
andere  Zwecke,  andere  Menschen  gebaut  ist. 

Beide  tragen  vor  allem  darin  das  Merkmal 
der  Reife  ihres  Urhebers:  daß  sie  aus  den 
Bedingungen  ihrer  Umgebung,  der  natürlichen 
und  verbauten,  gerade  das  heraushoben,   was 


*)  Siehe  unseren  Aufsatz  im  Maiheft  1915. 


wesentlich  war,  und  dies  Wesentliche  mit  dem 
Persönlichen  des  Künstlers  zur  überzeugen- 
den Form  verbanden.  Nicht  als  lärmende 
Proklamationen,  sondern  als  stille,  werbende 
Proteste  stehen  dieses  Landhaus  und  die 
Gartenwohnung  auf  Siedlungsböden,  in  denen 
das  zeit-  und  heimatlose  Unwesen  des  üblichen 
„Villenbaues"  bisher  Vorrecht  hatte  und  öffnen 
dort  dem  Rechten  und  Schönen  wieder  nicht 
den  einen  Weg,  der  allein  gilt,  aber  der  Wege 
viele,  die  sich  erfüllen  werden,  wenn  Künstler 
sie  beschreiten.  max  eisler 


JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


HAUS  SKYWA:  DAMENSCHREIB- 
TISCH IM  WOHNZIMMER  D 


15 


SCHULE  FÜR   BLUMENSCHMUCK  FRANZISKA   BRÜCK,  BERLIN 
HORTENSIEN  UMRAHMUNG 


DER  BLUMENSCHMUCK  IN  DER  KRIEGSZEIT 


Mit  einiger  Besorgnis  könnten  die  Blumen- 
freunde der  Winferzeit  entgegensehen, 
die  es  gewohnt  sind,  Räume  und  Tische  mit 
bunter  Blumenaugenweide  zu  schmücken,  da 
die  Flora  Italiens  sich  uns  meistens  versagen 
wird.  Wie  für  viele  Dinge  Ersatz  gefunden 
wurde,  so  hat  das  stilsichere  Auge  der  Blumen- 
künstlerin Franziska  Brück  sorglich  Ersatz 
erdacht  und  gefunden.  Viel  zu  feinfühlig,  um 
eine  Belebung  der  sogenannten  Makartdeko- 
ration  anzustreben,  hat  sie  sich  an  die  Ent- 
deckung von  einheimischen  Pflanzen  gemacht, 
welche  sich  durch  sachgemäße  Behandlung 
auch  für  den  Winterschmuck  verwenden  lassen. 
Dieses    anscheinend    leblose  Material    bedarf 


mannigfacher  Ordnung  und  Vorbereitung,  er- 
fordert technisches  und  erlernbares  Können; 
deshalb  wird  eine  Beschäftigung  für  gebildete 
Frauen  daraus  gestaltet  werden,  die  eines  Neben- 
erwerbes bedürfen.  Das  Kunstwerk  selbst  zu 
schaffen,  wird  dem  nicht  so  leicht  zu  findenden 
Talent  vorbehalten  bleiben.  Aber  auch  Wissen 
gehört  zur  Ausgestaltung  dieser  Kunst,  das 
Studium  der  Pflanzen  in  ihrer  botanischen  Be- 
schaffenheit, die  Kenntnis  ihrer  Entwicklung, 
die  die  verschiedenen  Abschnitte  derselben  be- 
züglich Haltbarkeit,  Farbe  und  Form  zu  nutzen 
weiß.  Nur  so  erwachsen  die  künstlerischen 
Gebilde  in  natürlicher  Anmut  und  Selbstver- 
ständlichkeit,  die  sowohl  dem  Aestheten  wie 


16 


SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK  FR.  BRÜCK,  BERLIN    D    FLACHER  RECHTECKIGER  KORB,  BUNTE  GARTENBLUMEN 


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SCHULE  fOR 
BLUMEN- 
SCHMUCK 
FRANZISKA 
BRÜCK, 
BERLIN 


GMUNDENER 

KRUG  MIT 

RITTERSPORN 

UND 

GRASERN; 

BUNTERANKE 


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SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK  F.  BRÜCK,   BERLIN     B     HERBSTBLUMEN:  GEORGINEN,    HELENIUM,  WILDER  WEIN 


SCHULE    FÖR 

BLUMENSCHMUCK 

FRANZISKABRUCK, 

BERLIN 


TRAUERKRANZ, 
LAUB  U.KIEFER 


Dekorative  Kunst.     XIX.    i.    Oktober  1915 


17 


SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN  OWEIHNACHTSSTRAUSZ 


den  gärtnerisch  Gebildeten  Befriedigung  ge- 
währen. Daß  die  schmückenden  Blumen  zu  dem 
Raum,  Platz,  der  Kleidung  oder  dem  Gegen- 
stand, für  den  sie  bestimmt  sind,  in  naher  er- 
gänzender Beziehung  stehen,  beweist  die  feine 
Kunst,  die  wir  in  einigen  Beispielen  im  Bild 
zeigen. 

Der  herbstliche  Garten,  der  vorwiegend 
frische  Farben  und  größere  Blumen  in  voll- 
kommener Ausbildung  bietet,  liefert  den  bun- 
ten Strauß.  In  einer  unkundigen  Hand  wäre 
es  wohl  kaum  möglich,  über  fünfzig  Blumen 
in  der  einfach  geformten  gelben  Läugervase 
unterzubringen,  die  die  bunten  Töne  so  glück- 
lich zusammenfaßt.  Ueberall  ist  das  Laubwerk 
bis  auf  wenige  Blätter  entfernt,  die  Stiele  stehen 
in  verschiedener  Höhe  so  im  Wasser,  daß  ihre 


weichen  Saugeröhren  genügend  Wasser  auf- 
ziehen können.  Deshalb  halten  sich  z.  B.  die 
Hortensienblüten  frisch.  Die  abschattierten  Rit- 
tersporne im  grünen  Bauerntopf  verschränken 
ihre  Verzweigungen  zu  farbenprächtiger  Wir- 
kung, ohne  den  graziösen  Bau  in  der  Ausladung 
des  Straußes  einzubüßen.  Leicht  klingt  in  der 
grünen  Hafertönung  die  Farbe  der  Basis  wieder. 
An  diesem  Feststrauß  liegt  ein  Geburtstags- 
gewinde, das  als  biegsame  Girlande  den  Platz 
des  Festträgers  schmücken  soll  und  im  bunten 
Blumengewirr  doch  wieder  die  Dominanten  an 
dem  Ende  bringt,  das  Blau  in  Blumen,  das 
Grün  in  der  Bandschleife.  Die  rote  Schattierung 
der  Tischunterlage  wird  fein  in  der  Blumen- 
wahl für  den  Kranz  verwertet. 

Die   verklingenden   Herbstfreuden   könnten 


18 


trübe  stimmen,  aber  wenn  man  in  die  Werk- 
statt der  Blumenkünstlerin  schaut,  so  sieht  man 
Farben-  und  Formenpracht  für  den  Winter  auf- 
gespeichert und  Modelle,  die,  wie  die  Abbildun- 
gen zeigen,  andere  aber  nicht  weniger  schöne 
Lösungen  ergeben. 

Ein  Stück  Gewinde  ist  vom  duftigen  Reiz 
des  doppelten  Schleierkrautes  umwoben.  Seine 
Blüten  sind  ausdrucksvoller  und  weißer  wie 
die  anderer  Gipskräuter  oder  Gypsophila,  die 
man  ja  in  vielen  Arten  meist  als  ausdauernde 
Pflanzen  kennt,  wie  kriechendes  Mauer-Gips- 
kraut, Rispen  oder  als  rosa  oder  fleischfarbenes 
zierliches  Kraut.  Die  großen  Blumen,  die  rosen- 
roten Acroclinium  und  deren  weiße  Abarten, 
deren  Hüllschuppen  in  seidenglänzenden,  trok- 
kenhautigen,  dünngelben  oder  grauen  Scheiben- 
blüten eingefügt  sind,  und  die  diese  Farben 
ergänzenden  Helichrysum  macranthum,  die  mit 
ihren  amarantroten  bis  ins  tiefste  Weinrot  ge- 
tauchten Farben  und  ihren  stumpferen,  ge- 
schlosseneren Blütenköpfen  den  Grundstrich 
in  dieser  Dichtung  ergeben. 

In  dem  Blumenkorb  modelliert  nach  altem 
Modell  von  Prinzessin  August  Wilhelm,  bietet 


sich  ein  Konzert  haltbarer  Blumen  in  fröh- 
lichster Mischung.  Gerade  der  durchbrochene 
Korb  der  Biedermeierzeit  kann  gar  nicht  schöner 
verwendet  werden,  da  es  keines  Einsatzes  be- 
darf, um  die  in  Moos  gesteckten  haltbaren 
Blüten  zu  fassen.  Die  Helichrysum  sind  darin 
um  weiße,  gelbe  und  rostbraune  zu  den  im  Ge- 
winde verwendeten  hellen  Schattierungen  ver- 
mehrt. Die  leuchtend  gelben  Humboldt-Stroh- 
blumenwerden durch  orangegelbe  Sonnenaugen- 
Heliopsis,  durch  kleine  Zweige  der  verschie- 
denen Staticenarten,  wie  superba,  speciosa, 
elata  und  eximia  in  weißen  und  blauen  Schat- 
tierungen unterbrochen.  Zuweilen  schieben  sich 
die  Stachis  germanica-Blätter  mit  ihrem  Samt- 
grau in  die  Blumenfülle,  in  der  einmal  ein  Tuff 
grüner  Hortensienblüten  oder  eine  größere  Sil- 
berdistel einen  Ruhepunkt  geben.  Zartere  Arten 
von  Gypsophila  sind  auch  hier  angewandt  und 
leiten  zu  dem  in  früheren  Zeiten  so  häufig  auf 
Tischen  verwendeten  gestrickten  Weiß  der 
Decke  über. 

Für  den  Schmuck  des  Speisezimmers  gibt 
die  tiefblaue  Schale  ein  Beispiel.  Auf  weichem 
Moos,  das  sich  in  Schlangenmoos  durch  Ranken 


SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 

19 


HUrSCHMUCK  AUS  NATÜRLICHEN  BLUMEN 

3» 


SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK  FR.  BRÜCK,  BERLIN       q        LICHTERKRONE 


ausladet,  liegen  die  bizarren  Arten  einiger  Lagen- 
arien, die  zu  den  haltbaren  Früchten  gehören. 
Ein  Bündel  schön  geformter  Mohnköpfe  lagert 
sich  an  die  Fruchttraube  einer  Palme,  die  mit 
ihrem  bläulichen  Schein  in  die  Farbe  der  Schale 
übergeht;  darüber  spinnt  sich  das  Gezweig  der 
mit  roten  Hagebutten  besetzten  Hagrose  und 
nimmt  der  Schale  die  Steifheit,  kleine  Beeren- 
ranken  schmiegen  sich  zu  demselben  Zweck 
gleichfalls  ein  .  .  .  das  ganze  ein  Stilleben  von 
bleibendem  Reiz. 

Oft  begegnet  man  in  den  botanischen  Gärten 
Früchten  oder  in  den  Parks  graziösen  Schoten 
eigener  Form,  wie  z.  B.  den  Gliditschen.  Die 
wuchtige  Bronze  vase  in  einer  Bibliothek  stehend, 
zeigt  ihre  Verwendung.  Die  bronzefarbigen  Sa- 
mengebilde sind  mit  Aehren  dunkler  Moor- 
hirse  und  einigen  Agapantusblättern  zu  einer 


wundervollen  Wirkung  in  ihrem  plastischen  Ge- 
fäß gebracht. 

Künftige  Zeiten  werden  bei  der  Heimkehr 
unserer  Krieger  manche  Gelegenheit  zum 
Schmuck  im  Raum  geben.  Der  Jagdfreund 
findet  sein  Hauptgeweih  mit  farbigem,  nie  ge- 
sehenen Kranz  umgeben.  In  wuchtigen  Sträußen 
reiht  sich  die  Fülle  haltbarer  Blumen,  zuweilen 
unterbrochen  durch  Tuffs  von  Mohnköpfen,  die 
in  ihrer  Abschattierung  und  Art  eine  Farben- 
verbindung mit  den  Farben  des  Geweihes  her- 
stellen, damit  alles  ein  Ganzes  bildet. 

Das  Bild  einer  Mutter  oder  Frau  ist  mit  dicht 
aneinander  gedrängten,  ganz  reifen  und  dann 
haltbaren  Hortensienblüten  im  Halbkranz  um- 
rahmt. Die  grünen,  bläulichen,  mattrosa  Töne 
derselben  sind  so  diskret,  daß  die  frischfar- 
benen,  zur  Tapete  gutstehenden  Bänder,  welche 


20 


SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK 
FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


KORB  MODELLIERT  VON  PRINZESSIN  AUGUST  WILHELM  VON 
PREUSZEN.     FÜLLUNG:    VIELFARBIGE   BLUMEN   UND  DISTELN 


SCHULE  FOR  BLUMENSCHMUCK  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 

21 


STILLEBEN:  NATURFROCHTE 


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22 


SCHULE  FÜR  BLUMENKUNST  FR.  BRÜCK,  BERLIN     El     RANKE  AUS  SCHLEIERKRAUT  MIT  BUNTEN  STROHBLUMEN 


SCHULE  FÜR  BLUA\ENSCHMUCK 
FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


GEWEIH  UMKRANZUNG  AUS  HALTBAREN 
FRÜCHTEN  UND  BLÜTEN 

23 


die  Befestigung  des  Kranzes  organisch  bedingt, 
eine  pikante  Lösung  zu  den  Farben  geben. 
Ein  anderes  Bild  zeigt  den  Hutschmuck  aus 
natürlichen  Blumen.  Die  zierlichsten  Blumen 
sind  dafür  vorbehalten,  jene,  die  im  großen 
Ornament  verloren  gehen  würden  und  nun 
sorglich  ausgesondert  wurden  zur  Weihe  eines 
sehr  persönlichen  Gegenstandes.  Die  Xeran- 
themum,  Santolina,  Gnafalien  und  das  Helenium, 
wie  die  Ammöbien,  die  Schafgarbe,  sie  mischen 
sich  mit  den  süßen  Agrostis  nebulosa  und  der 
zierlichen  Schmirle  und  sind  in  unzähligen 
Farbenwirkungen  dem  Hut  in  Kranz  und  Tuff- 


schmuck anzupassen.  Blumen,  die  noch  nie  der 
Ehre  teilhaftig  wurden,  Frauen  zu  schmücken, 
erfahren  —  durch  ihre  Eigenschaft  getrocknet 
Form  und  Farbe  zu  behalten  —  jetzt  eine  Ver- 
wendung an  bevorzugter  Stelle. 

Der  Krieg  und  ein  verständnisvolles  Frauen- 
auge haben  sie  in  ihren  Eigenschaften  entdeckt 
und  mit  kunstverständiger  Hand  dazu  erhöht. 

Die  Pflege  trockener  Blumen  besteht  darin, 
sie  alle  vier  Wochen  mit  einem  Sprenger  zu 
befeuchten,  besonders  an  den  Stielen,  wodurch 
das  Abbrechen  im  warmen  Raum  verhütet  wird. 

Hedwig  Heyl 


SCHULE  fOR  BLUMENSCHMUCK  FR.  BRÜCK,  BERLIN 
ZUR  WEIHNACHTSZEIT 


24 


JOSEF  WACKERLE 


Kgl.  Porzellanmanuraktur  Nymphenburg 


PIERROT  UND  PIERRETTE 


THEODOR  KÄRNER 


REH  UNO  AFFE 


Kgl.  Porzellan-ManuFaklur  Nymphenburg 


NEUES  NYMPHENBURGER  PORZELLAN 


Die  Königlich  Bayerische  Porzellan- Manu- 
faktur in  Nymphenburg  betont  in  man- 
cherlei Hinsicht  gern  ihre  Tradition.  Die  Haupt- 
meister Alt-Nymphenburgs,  der  Italiener  Franz 
Bustelli,  der  Böhme  Dominik  Auliczek  und 
der  Deutsche  Johann  Peter  Melchior,  leben  in 
der  künstlerischen  Produktion  weiter:  in  man- 
cher Nymphenburger  Schöpfung  unserer  Tage 
verspürt  man  ihres  Geistes  einen  Hauch,  aber 
man  kann  das  Weiterleben  auch  in  wörtlicherem 
Sinne  nehmen  —  ihre  Meisterwerke  werden 
in  vorzüglichen  „Neuauflagen"  heute  noch  „aus- 
gebacken"  und  strahlen  wie  vor  hundertfünfzig 
Jahren  in  ewiger  Jugend.  Dem  Betrieb  der 
Manufaktur,  der  immer  noch  im  ländlichen 
Grün  hinter  den  Rokoko-Kavalierhäusern  im 
nördlichen  Schloßrondell  seine  Stätte  hat  wie 
im  Jahre  1758,  da  ihm  hier  Kurfürst  Max  III. 
Joseph  eine  Behausung  schuf,  ist  ein  patriar- 
chalischer Zug  eigen,  der  in  alles  Wirken  und 
Schaffen  eine  künstlerisch  förderliche  Altväter- 
stimmung trägt.  Dabei  wird  einem  doch  bewußt, 
daß  jede  der  zahlreichen  chemischen  und  tech- 
nischen Erkenntnisse,  die  bei  der  modernen 
Porzellanfabrikation  das  geheimnisvolle  Arka- 
num  der  Alten  abgelöst  haben,  hier  praktisch 
verwertet  wird  und  daß  die  starke,  echte  Por- 


zellanwirkung Neu-Nymphenburger  Arbeiten 
in  gleicher  Weise  das  Werk  des  Künstlers  wie 
des  Technikers  ist  .  .  . 

Als  um  die  Mitte  des  neunzehnten  Jahrhun- 
derts die  Manufaktur  zurückging  und  nament- 
lich nach  ihrem  Verkauf  an  einen  Privatmann 
(1862)  die  künstlerischen  Interessen  Neben- 
sache wurden,  erfolgte  leider  auch  eine  unent- 
schuldbare Verschleuderung  der  alten  Original- 
modelle und  -formen;  als  daher  nach  Ueber- 
nahme  der  Manufaktur  durch  Albert  BXuml 
im  Jahre  1888  an  die  „Neuauflage"  der  alten 
Porzellangruppen  herangetreten  wurde,  konnte 
nur  in  wenigen  Fällen  auf  die  Originalformen 
zurückgegriffen  werden.  Andererseits  schließt 
sich  natürlich  ein  bloßes  Abgießen  oder  Ab- 
formen der  alten  Porzellanplastik  aus,  da  be- 
kanntlich der  Härtungsprozeß  im  Ofen  ein 
Schwinden  der  Porzellanmasse  um  ein  Siebtel 
bewirkt  und  solche  Verkleinerungen  stets  eine 
Minderung  der  Qualität  mit  sich  bringen.  Des- 
halb mußten  Kopien  der  alten  Plastik  unter 
Berücksichtigung  dieses  Einschrumpfungsver- 
hälfnisses  angefertigt  werden,  von  ihnen  wurde 
sodann  die  negative  Form  gewonnen  und  all- 
gemach wird  solchermaßen  Alt-Nymphenburg 
wieder  geboren. 


DekorltiTC  Kunst.    XIX. 


Oktober  1915 


25 


JOSEF  WACKERLE 


ZWERG  MIT  TROMMEL  (MAJOLIKA) 
Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


26 


JOSEF  WACKERLE 


ZWERG  MIT  FLÖTE  (MA|OLIKA) 

Kgl.  Porzellin-Manufiktur  Nymphenburg 


27 


THEODOR  KARNER 


WIESEL 


Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


Neuerdings  sind  mehrere  Figuren  der  „Chi- 
nesen-Familie" des  Franz  Bustelli  wieder 
in  die  Erscheinung  getreten.  Die  Originale 
stammen  aus  der  Frühzeit  Nymphenburgs,  sie 
dürften  um  1760  entstanden  sein.  Chinesen 
im  ethnographisch  korrekten  Sinn  geben  die 
Figürchen  freilich  nicht.  Man  hat  den  Eindruck 
einer  lustigen  Rokoko-Maskerade:  das  Rokoko 
gefiel  sich  ja  in  diesen  grotesken  Chinoiserien, 
die  man  natürlich  ganz  nach  modischem  Ge- 
schmack aufputzte.  So  glaubt  man,   daß   jede 


dieser  Pseudo-Chinesinnen  den  Reifrock  unter 
dem  farbenprächtigen  Gewand  des  fernen  Ostens 
trägt  und  wenn  so  ein  Chinesenpriester  oder 
Chinesensänger  seinen  Habit  abstreifte,  müßte 
er  ganz  gewiß  in  Eskarpins  dastehen.  Die  leb- 
haften und  doch  geschlossen-runden  Bewegun- 
gen der  Figürchen,  die  ihren  Zusammenhang 
betonen  und  die  Möglichkeit  schöner  Gruppie- 
rungen geben,  werden  auf  das  glücklichste 
durch  die  Farbgebung  unterstrichen,  die  kräftig 
und  wirkungsvoll  ist,  ohne  irgendwie  zu  über- 


THEODOR  KARNFR 


Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 

28 


ZWERGSCHNAUZEL 


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DOMINIK  AULICZEK 


Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 

30 


AEOLUS 


31 


THEODOR  KARNER 


DEUTSCHER  SCHÄFERHUND 


Kgl.  Porzellin-Manufaktur  Nymphenburg 


treiben  oder  in  die  kulturlose  Buntheit  neuer 
Porzellane  zu  verfallen. 

DoMiNiKUS  AuLiczEK,  Seit  1765  Modell- 
meister in  Nymphenburg,  ist  schwerer  und 
weniger  graziös  als  Bustelli,  er  ist  ein  Freund 
massiger  Fülle  und  seine  Figuren  sind  viel 
statuarischer,  mehr  architektonisch  sozusagen, 
als  die  des  malerischen  Bustelli.  Zu  seinen 
Hauptwerken  gehören  die  drei  Götter- Figuren: 
Mars,  Vulkan  und  Aeolus,  gelegentlich  deren 
man  an  Auliczeks  Marmorgruppen  im  Nymphen- 
burger  Schloßpark,  den  er  mit  olympischen 
Göttern  bevölkern  half,  denken  mag.  Die  grie- 
chische Mythologie,  in  ihren  heroischen  Er- 
scheinungen ins  spielerische  Porzellan  gebannt, 
das  mag  manchem  als  sinnwidrig  erscheinen, 
und  er  mag  vielleicht  befürchten,  daß  dabei 
so  etwas  wie  ein  Offenbachischer  Olymp  her- 
auskommen müßte.  Indessen  ist  das  nicht  der 
Fall:  Auliczek  rettete  einen  Zug  von  Größe 
und  Heldentum  in  das  zärtliche  Material  hin- 
über und  bewies  damit,  daß  es  noch  andere 
Porzellan-Möglichkeiten  als  die  der  „Amouret- 
und  Fürwitz-Stücke"  gibt. 

Aus  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  stammen  einige  idyl- 
lische Tierplastiken,  liebenswürdige  Miniatur- 
gruppen, für  die  der  Münchner  Maler  und  Bild- 
hauer Habenschaden  und  der  Belgier  J.  MfeNE 
die  Modelle  lieferten.  Diese  Arbeiten  können 


sich,  obwohl  sie  künstlerisch  nicht  sonderlich 
bedeutend  sind,  wenigstens  einer  schönen  Sil- 
houettenwirkung rühmen,  technisch  interessant 
ist  bei  Mfenes  Gruppe  „Schaf  und  Lamm"  die 
Durchbildung  der  Oberfläche  infolge  der  reali- 
stischen Nachahmung  der  Schafwolle:  das  er- 
gab ungeahnte  Materialreize  und  feine  Licht- 
reflexe und  könnte  eigentlich  die  zeitgenössische 
Porzellankunst  zu  ähnlichen  Versuchen  an- 
regen, trotzdem  das  Losungswort  von  der  ge- 
schlossenen Oberfläche  und  glatten  Haut  des 
Porzellans  nachgerade  ein  Evangelium  geworden 
zu  sein  scheint. 

Auch  heute  bildet  die  Tierplastik  eine  Spe- 
zialität der  Nymphenburger  Manufaktur.  Die 
Modelle  dazu  stammen  fast  ausschließlich  von 
Theodor  KXrner,  der  über  diesen  Arbeiten 
seinen  eigenen  Stil  fand:  ohne  sich  von  der 
Natur  und  der  tatsächlichen  Erscheinung  der 
nachgebildeten  Tiere  allzuweit  zu  entfernen, 
verschmäht  er  prinzipiell  das  „Tierporträt"; 
er  hat  den  Naturalismus  überwunden,  aber 
nicht  auf  eine  gewaltsame  Weise,  sondern  indem 
er  die  stärkste  Materialwirkung  zum  Ausgangs- 
punkt seiner  Schöpfungen  machte.  Allgemach 
kam  durch  Kärners  Arbeit  eine  unterhaltsame, 
auf  Heiterkeit  gestimmte  Nymphenburger  Me- 
nagerie zustande,  in  der  es  Raubtiere  und  Affen, 
Rehe  und  Hunde  und  eine  reichbevölkerte  „Vo- 
liere" gibt.    Das  jüngste  Prunkstück  Kärners 


32 


ist  ein  majeif 
Format,  ein  ungemein  dekoratives  Stück,  das 
auch  in  der  farbigen  Wirkung  restlos  gelungen  ist. 
Professor  Joseph  Wackerle,  der  an  dem 
künstlerischen  Wiederaufblühen  Nymphenburgs 
den  Hauptanteil  hat,  ist  auch  nach  seiner  Ueber- 
siedlung  nach  Berlin  mit  Nymphenburg  in 
Fühlung  geblieben  und  hat  sowohl  reizvoll  be- 
wegte, anmutige  und  von  aller  Süßlichkeit  weit 
entfernte  Porzellangruppen  geschaffen  („Pierrot 
und  Pierrette ")  als  auch  die  derberen  Majolika- 
Arbeiten,  die  er  gerne  ins  Groteske  hinein- 
steigert. Zwei  musizierende  Zwerge,  die  nach 
seinen  Modellen  für  die  Bayerische  Abteilung 
auf  der  Kölner  Werkbund-Ausstellung  von  der 
Nymphenburger   Manufaktur   hergestellt  wur- 


den, sind  Drolerien  im  besten  Sinn  des  Rokoko 
und  doch  undenkbar  ohne  das  zeitgenössische 
Empfinden,  das  alle  Erscheinungen  dieser  ab- 
geklungenen Epoche  mit  einem  Schimmer  von 
ironischer  Sentimentalität  umgibt.  Indem  der 
ungestüme  Trommler  mit  seiner  komisch  weit 
ausholenden  Gebärde  als  Türke,  der  Flötist 
aber  durch  die  phrygische  Mütze  und  die  Haar- 
tracht nach  Art  des  Robespierre  als  französi- 
scher Revolutionär  charakterisiert  ist,  hat 
Wackerle  diesen  Arbeiten  einen  feinen  Zug 
von  Beziehungsreichtum  und  Laune  eingefügt, 
ohne  daß  er  darüber  „literarisch"  geworden 
wäre  und  nur  einen  Augenblick  seine  Aufgabe 
plastischen  Gestaltens  aus  den  Augen  verlo- 
ren hätte.  Georg  Jacob  Wolf 


j.  MENE 


SCHAF  MIT  LAMM 


Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


Dekorative  Kunst.  \IX.     i.    oktolier  1915 


33 


EIN  WANDTEPPICH  VON  JULIUS  DIEZ 


Die  Kunst  des  phantasievollen  Münchner 
Malers  Julius  Diez  hat  sich  schon  an 
mancher  dekorativen  Aufgabe  versucht,  beson- 
ders die  großen  Mosaiken,  die  er  entworfen, 
sind  in  ihrer  Art  Meisterwerke.  Das  Gebiet  der 
Gobelinzeichnung  indessen  war  Diez  bisher 
fremd  geblieben,  hier  betrat  er  Neuland.  Aber 
schon  die  erste  Arbeit  wurde  ihm  „ein  großer 
Wurf.  Der  Auftrag  ging  von  der  Firma  Bahlsen 
in  Hannover  aus,  die  in  vorbildlicher  Weise  ihr 
Geschäftshaus,  ihre  Fabrikation,  ihre  Packun- 
gen und  ihre  ganze  Propaganda  unter  das  Ge- 
setz künstlerisch -geschmacklicher  Durchbil- 
dung gestellt  hat.  Für  den  Sitzungssaal  der 
Firma  war  ein  großer  Teppich,  der  von  einer 
Galerie  frei  herabhängen  soll,  zu  beschaffen; 
der  Wunsch  der  Auftraggeber  ging  dahin,  ihn 
mit  Figuren  und  heiteren  Schildereien,  die  zu 
der  Produktion  der  Firma  Beziehungen  haben 
sollten,  auszuzieren.  Julius  Diez,  der  „inner- 
lich voller  Figur"  ist,  war  der  geeignete  Mann, 
diesen  Auftrag  zu  erfüllen.  Er  fand  sich 
spielend  in  die  Eigenart  des  Materials  mit 
seinen  starken,  farbigen  Möglichkeiten,  mit 
der  Notwendigkeit  einer  streng  flächigen  Auf- 
formung der  Motive  und  mit  dem  Vorklang 
der  dekorativen  Elemente.  Der  Künstler  teilte 
die  große  Fläche,  die  ihm  zur  Verfügung 
stand,  energisch  durch  ein  breites  Kreuz,  in 
dessen  Schnittpunkt  als  Oktogon  die  Bahlsen- 
sche  Fabrikmarke,  das  „Tet",  Platz  fand.  Die 
Arme  des  Kreuzes  münden  in  eine  breite  Um- 
randung, die  als  dekorative  Bordüre  ausge- 
bildet ist  und  eine  Fülle  origineller  Ideen  in 
künstlerischen  Einfällen  und  in  der  Zeichnung 
aufweist.  Das  ornamentale  Muster,  das  von 
kleinen,  reizvoll  in  den  Raum  gestellten  Tier- 
bildern unterbrochen  wird,  ist  neuartig  in  der 
Erfindung,  von  großer  Lebendigkeit  und  im 
besten  Sinne  „materialgerecht".  Die  durch  den 
ornamentalen  Rahmen  gewonnenen  vier  Felder 
sind  durch  Gestalten  belebt,  die  vorzüglich  zu- 
einander abgestimmt  sind.  Ein  Merkurius  ist  im 
oberen  linken  Feld  zu  schauen,  es  ist  Tempo 
und  Zug  in  seiner  energischen  Bewegung.  In  der 
Art,  wie  er  seinen  Flügelhut  keck  auf  den  Flü- 


gelstab gehängt  hat,  möchte  man  etwas  von 
schalkhafter  Ironie  vermuten.  Sein  Gegenüber 
ist  ein  mittelalterlicher  „Rechner",  der  mit  Be- 
dacht Zahl  an  Zahl  reiht  in  seinem  mächtigen 
Hauptbuch;  die  Katze,  die  ihn  umschnurrt, 
charakterisiert  ihn  als  Stubenhocker.  Unter 
dem  Merkuriusfeld  ist  ein  zierliches  Mädchen 
zu  schauen,  das  Bahlsengebäck  abwiegt  und 
sozusagen  die  Allegorisierung  des  Kleinver- 
kaufs gibt,  während  die  junge  Mutter  mit 
dem  Büblein,  das  sehnsuchtsvoll  die  Hände 
nach  den  leckeren  Herrlichkeiten  ausstreckt, 
ein  Bild  des  Einkaufs,  des  Konsums  darstellt. 
Das  naturalistische  Moment  ist  bei  den  Ge- 
stalten völlig  überwunden;  trotzdem  sie  an- 
nähernd in  Lebensgröße  erscheinen,  empfindet 
man  sie  nirgends  „körperlich",  sie  bleiben 
durchaus  Flächendekoration.  So  witzig  das 
alles  ausgedacht  und  komponiert  und  so  vor- 
züglich es  gezeichnet  und  in  den  Raum  ein- 
geordnet ist:  Idee,  Komposition  und  Zeichnung 
sind  trotzdem  nicht  das  Entscheidende  dieser 
Arbeit  und  waren  nach  meinem  Gefühl  auch 
für  Diez  nicht  die  Hauptsache.  Denn  der 
höchste  Reiz  und  die  tiefste  Schönheit  dieses 
Werkes  liegt  in  der  Farbe,  in  der  Zusammen- 
stimmung kräftiger  und  sanfter  farbiger  Klänge, 
heller  und  dunkler  Partien,  in  bewußten  Kon- 
trastwirkungen und  weichen  Harmonien,  Da- 
mit ist  das  Wesen  der  Teppichkunst  erkannt 
und  solchermaßen  bedeutet  Diezens  Arbeit  eine 
restlose  Lösung  der  Aufgabe,  an  die  er  all  sein 
reiches  Können  wandte  und  die  ihm  ersicht- 
lich viel  Freude  bereitete. 

Die  schwierige  technische  Ausführung  des 
Wandteppichs  war  der  ausgezeichneten  Mün- 
chener Gobelin-Manufaktur  übertragen, 
die  in  viermonatlicher  Arbeit  den  Teppich 
fertigte  und  dabei  allen  Intentionen  des  Künst- 
lers gerecht  wurde.  Zu  den  zahlreichen  schö- 
nen Arbeiten,  die  aus  dieser  Werkstätte  schon 
hervorgingen,  tritt  mit  diesem  Wandteppich 
eine  bedeutungsvolle  neue  Leistung,  die  be- 
rufen ist,  für  die  Münchner  Kunst  und  das 
ihr  eng  verbündete  Kunsthandwerk  beredtes 
Zeugnis  abzulegen.  wolf 


34 


JULIUS  DIEZ 


WANDTEPPICH  FÜR  H.  BAHLSENS  KEKSFABRIK  IN  HANNOVER 

35  »• 


JULIUS  DIEZ 


WANDTEPPICH  FOR  H.  BAHLSENS  KEKSFABRIK  IN  HANNOVER  (TEILSTÜCKi 

36 


MARION  KAULITZ  B  MÜNCHNER  KRIEGSPUPPEN  :  MICHEL,  JOHN  BULL,  DES  TEUFELS  GROSZMUTTER 


MÜNCHNER  KÜNSTLER-KRIEGSPUPPEN-SPIEL 


Unter  dieser  stolzen  Flagge  hat  Marion 
Kaulitz,  die  bekannte  Münchner  Puppen- 
künstlerin, eine  kleine  Gesellschaft  vereinigt, 
zu  dem  Zweck,  den  Kindern,  groß  und  klein, 
■  im  Rahmen  eines  hochoriginellen  Kasperl- 
theaters  den  Weltkrieg  von  Kasperls  Gnaden 
aus  zu  veranschaulichen. 

Im  Märzheft  dieses  Jahres  hatten  wir  Ge- 
legenheit, Seite  182—187  neue  Kaulitzfiguren 
zu  zeigen,  in  Form  handfester,  drastischer 
Kaffeetanten,  welche,  als  Getränkwärmer  ge- 
dacht, viel  Humor  in  die  weihnachtlichen 
Schützengräben  des  Jahres   1914  brachten. 

Aehnlich  in  der  Technik  sind  die  hier  ab- 
gebildeten Kasperlfiguren  behandelt.  Mit  einer 
Verwegenheit  sondergleichen  hat  die  Künstlerin 
die  Farbenfreudigkeit  der  verschiedenen  Filz- 
arten auszunutzen  verstanden,  mit  Hilfe  farbi- 
ger und  seidener  Wollfäden  die  aus  Filz  mo- 
dellierten Köpfe  durch  Nadelmalerei  kräftigst 


unterstützt,  so  daß  dekorative  Wirkungen 
kühnster  Art  erzielt  wurden,  die  den  neu- 
artigen Kasperlfiguren  markante  Fernwirkung 
sichern. 

Neben  den,  den  Weltkrieg  behandelnden 
Stücken  hat  sich  das  deutsche  Märchen  auf 
dem  Spielplan  seinen  Platz  erobert.  Wer  kennt 
nicht  aus  Grimms  Märchenschatz  die  Ge- 
schichte vom  Fischer  un  syner  Fru?! 

Leider  ist  der  Raum  zu  begrenzt,  um  die 
habgierige,  nimmersatte  Fischerfrau  in  allen 
Stadien  ihrer  Verwandlungen  auftreten  zu 
lassen, als  dasind  Gutsbesitzerin, Schloßherrin, 
König,  Kaiser,  wir  beschränken  uns  darauf, 
sie  in  ihrem  vorletzten  Stadium  im  Papst- 
ornat zu  bringen. 

Das  wüste  Gesicht  der  „Fru"  in  seiner  ur- 
komischen, drastischen  Dummheit  läßt  sich 
auch  durch  die  Pracht  des  Papstgewandes 
nicht  verwischen. 


37 


MARION  KAULITZ 


MÜNCHNER  KRIEGSPUPPEN:  RUSSE,  FRANZOSE,  KNÜPPEL  AUS  DEM  SACK 


Jede  einzelne  Figur  des  Kasperltheaters  ist 
ein  kleines,  in  sich  abgeschlossenes  Kunst- 
werk, von  erstaunlich  sicherem  Blick  und  aus- 
gewähltem Geschmack  zeugend. 

Mit  großer  Liebe  bis  in  die  kleinste  Einzel- 
heit ausgearbeitet,  hat  Marion  Kaulitz  zur  Be- 
lebung der  Kasperlbühne  allein  40  Figuren 
geschaffen. 

Die  lustige  Gesellschaft  ist  künstlerisch  ge- 
geneinander abgestimmt,  so  daß  jedes  Bühnen- 
bild eine  Augenweide  bietet. 

In  Leipzig  hatte  die  Akademie  der  graphi- 
schen Künste  ihre  Aula  den  Kasperliaden  ge- 
öffnet, in  Dresden  sicherte  sich  der  Kunstsalon 
E.  Richter  eine  Reihe  dieser  einzigartigen 
Vorführungen,  selbst  in  Prag  bei  den  öster- 
reichischen Bundesgenossen  zog  man  gelegent- 
lich großer  Festvorstellungen  zum  Besten  des 
Landeshilfsvereins  des  Roten  Kreuzes  das 
Münchner  Künstler -Kriegspuppenspiel  zur 
alleinigen  Bestreitung  des  Programms  herbei; 
hier  stand  das  Kasperltheater  unter  dem  Pro- 
tektorat des  Grafen  Erwein  Nostiz. 

Umjubelt  von  groß  und  klein  hat  sich  die 
kleine  Unternehmung  in  kürzester  Zeit  Ruf 
und  Ansehen  verschafft. 


In  Berlin  öffneten  sich  während  der  Theater- 
ferien die  Kammerspiele  Max  Reinhardts  den 
künstlerischen  Puppenspielen. 


KUNSTLITERATUR 

Schmitz,  Hermann.  Berliner  Baumeister  vom 
Ausgang  des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Mit 400  Ab- 
bildungen. Verlag  für  Kunstwissenschaft,  Berlinl914. 

Diese  schöne  und  reiche  Veröffentlichung,  die 
sehr  glücklich  aus  der  allgemeinen  Baugeschichte 
Deutschlands  das  Kapitel  von  der  Beteiligung  der 
Berliner  Baukünstler  um  die  Wende  des  18.  Jahr- 
hunderts abgrenzt  und  heraushebt,  soll  nicht  so 
sehr  wissenschaftlich-systematischen  als  praktisch- 
anschaulichen Zwecken  dienen.  Daher  ruht  ihr 
Hauptgewicht  auf  den  vielen  Tafeln,  die  in  gleicher 
Weise  den  Baukünstler  wie  den  Bauherrn  und 
Liebhaber  anregen  wollen.  Mit  ihrer  sachkundigen 
Auswahl  und  der  Sorgfalt  ihrer  Ausführung  — 
Verdienste,  in  die  sich  der  Herausgeber  und  der 
Verleger  zu  teilen  haben  —  werden  sie  diesen  Zweck 
auch  vollkommen  erreichen.  In  würdigster  Weise 
(ausgenommen  die  etwas  allzu  nüchterne  Einband- 
decke) schließt  sich  das  Werk  den  trefflichen  Bänden 
der  von  Julius  Hoffmann  in  Stuttgart  herausge- 
brachten „Bauformenbibliothek"  an. 

Schmitz  ist  ein  genauer  Kenner  der  einschlägigen 
Epoche   und  weiß   die  Phasen   ihres   historischen 


38 


Ablaufs  und  die  Träger  ihrer  Entwicklung  mit 
knappen  Worten  zu  charakterisieren.  Die  ausführ- 
liche Einleitung  räumt  zunächst  mit  einigen  leeren 
StilbegrifFen,  wie  Nachahmung  der  Antike  und 
Klassizismus  auf,  zeigt,  wie  den  damaligen  Bau- 
künstlern, ungeachtet  sie  sich  antiker  Bauformen 
bedienten,  die  sachliche  und  lebendige  Gestaltung 
ihrer  Bauten  einzig  und  allein  am  Herzen  lag,  und 
wie  seit  dem  15.  Jahrhundert  bereits  die  klassische, 
d.  h.  auf  das  Struktursystem  gerichtete  Bauweise 
neben  der  barocken,  d.  h.  der  jenigen, die  das  plastische 
Element  zu  überwiegender  Geltung  bringt,  einher- 
gegangen ist  und  wie  sich  beide  oft  in  einer  und 
derselben  Künstlerpersönlichkeitnachweisen  lassen. 
Hierzu  gehört  bereits  Knobelsdorff,  der  Baumeister 
aus  der  ersten  Regierungshälfte  Friedrichs  d.  Gr., 
hierher  auch  Gontard  und  Unger,  die  bedeutendsten 
Erscheinungen  aus  der  Zeit  nach  dem  Siebenjäh- 
rigen Kriege. 

Das  ist  der  Anfang,  das  Vorspiel.  Unter  Fried- 
rich Wilhelm  II.,  der  eine  neue  künstlerische  Bau- 
behörde, das  Oberhofbauamt,  ins  Leben  ruft,  setzt 
die  hohe  Zeit  dieses  Stils  ein.  Langhans,  der  das 
Brandenburger  Tor  baut,  steht  an  der  Spitze  und 
bildet  eine  glänzende  Schule;  sie  vollendet  sich  in 
dem  jungen  Gilly,  der  früh  dahin  muß,  aber  in 
Schinkel  den  Erben  seines  Geistes  hinterläßt.  Kenn- 
zeichen dieser  Architektur  ist  das  Vorherrschen 
des  bürgerlichen  Privatbaus;  die  Aufgaben  der 
früheren  Zeit,  Kirche,  Schloß  treten  zurück,  nur 
im  Friedrichs-Denkmal  schafft  sich  die  Epoche  ihre 


große  monumentale  Aufgabe.  Dieser  bürgerlich- 
patrizische  Stil  bleibt  nicht  auf  Berlin  beschränkt, 
in  Dessau  entwickelt  ihn  ganz  selbständig  Erd- 
mannsdorf,  in  Braunschweig  führt  ihn,  nachdem 
der  ältere  Gilly  dort  das  Viewegsche  Haus  errichtet, 
Peter  Ludwig  Krähe  fort.  Auch  im  Kunstgewerbe 
der  Zeit  macht  er  sich  deutlich  fühlbar  und  prägt 
vor  allem  dem  Mobiliar  seinen  Stempel  von  Würde 
und  Behagen  auf.  — 

Der  Gedanke,  diesen  Stil  in  allen  seinen  Aeuße- 
rungen  im  Bilde  wieder  aufleben  zu  lassen,  hängt 
aufs  engste  mit  der  gegenwärtigen  Strömung  der 
Baukunst  zusammen,  wie  sie  sich,  im  Norden 
wenigstens,  zu  erkennen  gibt.  Messel,  mit  seinem 
feinen  Gefühl  für  alle  struktiven  Werte  griff  als 
erster  auf  die  Tradition  der  älteren  Berliner  Bau- 
schule, der  Vor-Schinkelzeit  zurück.  Er  zeigte, 
welche  Entwicklungsmöglichkeiten  in  diesem  Stile 
ruhen,  dessen  Vorzüge  ein  Gefühl  für  Zweckmäßig- 
keit, der  Sinn  für  das  elementar  Mathematische  der 
Form  und  —  nicht  zuletzt  —  eine  ausgesprochene 
nationale  Eigenart  sind. 

In  der  schicksalsvollen  Stunde,  zu  der  —  durch 
einen  Zufall  —  das  Werk  seine  Wirkung  auszuüben 
beginnt,  wird  diese  nationale  Eigenart  noch  stärker 
empfunden  werden  als  unter  den  früheren  Verhält- 
nissen. Mahnend  und  beratend  soll  diese  architek- 
tonische Bilderschau  für  die  Zukunft  reichen  Gewinn 
bringen,  aber  nie  möge  sie  mißbraucht  werden, 
der  Gedankenlosigkeit  und  Bequemlichkeit  eine 
modische  Atrappe  zu  liefern.  hans  Mackowsky 


M.  KAULITZ  Q  MCNCHNERKRIEGSPU.'PEN:  MICHEL,  ÖSTERREICH,  DIE  DICKE  BERTA  L'.  DIE  FEINDLICHEN  MACHTE 

39 


MARION  KAULITZ 
MARIONETTEN     D 


FISCHER, 

FISCHERSFRAU, 

PAPST,  KARDINA 

AUS  GRIMMS 

MÄRCHEN 

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ARCII.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


LADEN  DER  KAFFEE-HANDELS-GESELLSCHAFT 
IN  WIEN:    SCHAUFENSTER  UND  EINGANG  ■ 


ZU  DEN  ARBEITEN  VON  RUNGE  &  SCOTLAND  IN  BREMEN 


Daß  die  Kaflfee-Handels- Aktiengesellschaft  in 
Bremen  für  ihre  mannigfachen  geschicic- 
ten  Werbeunternehmungen  gut  beraten  ist, 
mußte  den  Kunstfreunden  schon  längst  auf- 
gefallen sein.  Die  Packungen  und  Schaufen- 
steranordnungen, die  farbigen  Werbebilder  und 
die  Drucksachen,  das  Sporthaus  auf  der  Hy- 
giene-Ausstellung und  in  Köln  im  vergange- 
nen Jahre,  der  Erfrischungsraum  im  Bremer 
Hause  der  Werkbundausstellung  sind  Proben 
davon  gewesen.  Dies  glückliche,  geschmack- 
volle Gewand,  in  das  die  Kaffeehag  ihre  Ge- 
schäftsunternehmungen kleidet,  ist  das  Ergeb- 
nis der  alten  Beziehungen  des  Gründers  der 
Firma,  Roselius,  zu  den  Architekten  Runge 
&  ScoTLAND,  von  deren  Arbeiten  hier  die 
Rede  sein  soll. 

Ein  Ladengeschäft,  das  die  Kaffee- Handels- 
Gesellschaft  in  Wien  einrichtete,  ist  die  Auf- 
gabe, aus  deren  Anlaß  diese  Raumlösung  und 
die  Einzelmöbel  entstanden. 


Um  ihnen  gerecht  zu  werden,  ist  es  nütz- 
lich, sich  zu  besinnen,  was  wir  heute  vom 
Kunsthandwerk  dieser  Art  verlangen  können 
und  wollen.  Das  Modernsein  um  jeden  Preis 
und  aus  Grundsatz  hatte  in  der  Zeit  um  1900 
dazu  geführt,  daß  man  jede  Anlehnung  an  alte 
Formen  ablehnte  und  lieber  nüchtern  und  form- 
los sich  gab. 

Der  Rückschlag  gegen  diesen  Radikalismus 
blieb  nicht  aus.  Die  Neigung  zu  der  äußerlich 
und  innerlich  unserer  Zeit  so  verwandten  guten 
bürgerlichen  Kultur  aus  Goethes  Tagen  läßt 
sich  nun  einmal  nicht  hinwegleugnen.  Niemand 
will  heute  die  Ueberlieferung  gänzlich  negieren. 
Von  Behrens  bis  R.  A.  Schröder,  sogar  von 
Riemerschmid  kann  man  ebenso  wie  von  Bruno 
Paul  sagen,  daß  sie  mit  Naturnotwendigkeit 
zu  einer  solchen  Verarbeitung  alter  überlieferter 
Formgedanken  gelangt  sind,  die  sich  von  selbst 
ergibt,  und  die  mit  Absicht  zu  vermeiden 
töricht  wäre. 


Dekorative  Kunst.  XI\. 


Noveml>er  1915 


41 


ARCH.  RUNGE  4,  SCOTLAND-BREMEN 


Q  ZIERSCHRANK  AUS  DEM  LADEN  DER 

KAFFEE-HANDELS-GESELLSCHAFT  IN  WIEN 


42 


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ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


SOFABANK  IM  LADENRAUM  DER  KAFFEE- 
HANDELS-GESELLSCHAFT  IN  WIEN  B 


ARCH.   RUNGE  IL  SCOTLAND-BREMEN    D    GESCHNITZTER  TISCH  AUS  DEM 

LADEN  DER  KAFFEE-HANDELS-GESELLSCHAFT  IN  WIEN.   PLATTE  GELBER 

MARMOR  MIT  SCHWARZEM  RAND 


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45 


Es  bleibt  nur  zu  fordern,  daß  wie  hier  die 
Einheit  des  so  Geschaffenen,  der  gestaltende 
persönliche  Geist  Herr  bleibe  über  die  An- 
regungen, die  die  Formen  einer  älteren  Kultur 
uns  geben  und  so  dazu  beitragen,  an  dem 
Werden  des  Stils  unserer  Zeit  zu  bauen. 

In  diesem  Sinne  ist  die  persönliche  Art  zu 
werten,  die  in  den  Schöpfungen  von  Runge 
&  Scotland  zum  Ausdruck  kommt,  der  Ton  des 
Ganzen  ist  durchaus  modern  und  eigen. 

Das  ist  auch  da  der  Fall,  wo  in  erhöhtem 
Maße,  wie  bei  den  hier  gezeigten  Landhaus- 
bauten, die  Bestimmungen  und  Wünsche  des 
Bauherrn  im  großen  und  im  kleinen  mitspre- 
chen. Sei  es  bei  dem  Hause  Friese  mit  seinem 
fast  romantisch  anmutenden  Heckengarten,  sei 
es  bei  dem  heiter  behaglichen  Hause  Kißling, 
dem  der  Bauherr  das  Motto  „Zum  frohen  Leben" 
gegeben  hat,  oder  bei  einem  Brunnen  oder 
Gartenhäuschen,  überall  zeigt  sich  der  schaf- 
fende und  ordnende  Geist,  der  die  rein  prakti- 
schen Anforderungen  des  Lebens  mit  dem  Künst- 
lerischen zu  einer  Einheit  verschmolzen  hat. 


Nicht  oft  genug  kann  es  wiederholt  werden:  an 
die  Kunstgesinnung  der  alten  Zeit  soll  man  sich  halten, 
nicht  an  ihre  Kunstleistungen ;  man  soll  die  letzteren 
niemals  im  einzelnen  nachahmen.    Die  moderne  Zeit 
hat  moderne  Bedürfnisse  und  braucht  eine  moderne 
Kunst.  Eine  moderne  Kunst  aber  kann  nur  gedeihen, 
wenn  sie  zugleich  in  sich  das  Gegengewicht  des  Blei- 
benden, Festen,  Notwendigen,  Angeborenen,  Ewigen 
trägt.    Dies  ist  nicht  in  etwaigen  früheren  künstleri- 
schen Erzeugnissen  des  Volkscharakters  —  welcheauch 
ihre  Zeit  hatten,  in  der  sie  einmal  modern  waren  — son- 
dern nur  in  der  lebendigen  Quelle  des  heutigen  deut- 
schen Volkscharakters  zu  finden.    „Das  Lebende  hat 
Recht".    Man  hat  nicht  zurückzubleiben,  sondern  um 
sich  zu  blicken;  man  hat  von  innen  nach  außen,  nicht 
von  außen  nach  innen  vorzugehen;  um  neue  Kunst- 
formen, die  bildsame  Schale  des  Volksgeistes,  anzu- 
setzen, hat  man  nicht  auf  frühere  abgestorbene  Scha- 
len zurückzugehen,  sondern  sich  wiederum  an  den  Kern 
selbst  zu  wenden.  Und  das  kann  nur  geschehen  durch 
ein  Eingehen  auf  den  besonderen  lokalen  Charakter 
der  einzelnen  Gegenden  Deutschlands ;  dadurch  allein 
kann  man  wieder  zur  Verschiedenheit,  Mannigfaltig- 
keit, Naivität  der  künstlerischen  Produktion  gelangen. 
Den  Volkscharakter  muß  man  in  seiner  lebendigen 
Fauna,  nicht  in   seinen    Versteinerungen  studieren. 
Die  irrende  Seele  der  Deutschen  muß  sich  wieder  an 
den  heimatlichen  Boden  binden 

Aus  ,,Remhranit  alt  Eriithtr" 


*''^"pfnM°''  ^  SCOrLAND-ÜRHMEN   G.    SESSEL  AUS  DE.M  LADEN- 
RAUM DER  KAFFEE-HANDELS-GESELLSCHAFT  IN  WIEN 


46 


ARCll.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


HAUS  FRIESE  IN  BREMEN  B 

ANSICHT  VOM  VORGARTEN  AUS 


47 


ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


HAUS  FRIESE  IN  BREMEN:  GARTENSEITE 


48 


ARCII.  RUNGE  &.  SCOTLANDBREMEN 


HAUS  WINDISCH 


ARCH.  RUNGE  &  Si.dl  lAM)  UKl  \ll  N 

Dekorative  Kunst.     XIX,    a.    November  1915 


BRUNNEN  AN  DER  GARTENMAUER  DES  HAUSES  HERBST 

40  7 


ARCH.  RUNGE  &,  SCOTLAND-BREMEN 


HAUS  KISSLING 


50 


ARCH.  RUNGL  Ä.  SCO  1  LAND  lilih.MLN  o   LANDHAUS  IN  BKhWUN-N  AI IR.    ROCKSEITE  MIT  STALL  U.  GARTENHAUS 


ARCH.  RUNGE  i  SCOTLAND-BREMEN 


51 


HAUS  HERBST:  GARTENHAUS 
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ARCH.  RUNGE  &,  SCOTLAND-BREMEN 


LANDHAUS  IN  BREMEN-VAHR:  STRASZENSEITE 


HERMANN  MUTHESIUS  ÜBER  DIE  ZUKUNFT 
DER  DEUTSCHEN  FORM 


Was  Muthesius  auf  der  Versammlung 
des  Deutschen  Werkbunds  in  Köln  im 
Juli  1914  über  die  Exporlfähigkeit  des  deut- 
schen Kunstgewerbes  und  über  das  Typische 
des  deutschen  Kunstgewerbes  sprach,  das  er- 
fährt in  einem  soeben  vorgelegten  Heft  „Die 
Zukunft  der  deutschen  Form"  (Deutsche  Ver- 
lagsanstalt, Stuttgart)  eine  Erweiterung  und  Ver- 
tiefung, wird  namentlich  mehr  von  der  theore- 
tischen Seite  her  angesehen,  nachdem  es  im 
Augenblick  praktisch  doch  unverwertbar  ist, 
und  in  Zusammenhang  gebracht  mit  unserem 
Kampf  und  unserer  Not  in  dieser  Zeit.  Die 
Einleitung  holt  weit  aus,  fördert  aber  auch 
sehr  wertvolles  Tatsachenmaterial  zutage.  Na- 
mentlich zwischen  der  oft  gehörten  Frage : 
Warum  sind  die  Deutschen  so  unbeliebt?  und 
der  anderen  Frage:  Haben  die  Deutschen  ihre 
eigene  „Form",  die  Form  auch  in  Lebens- 
haltung und  täglichem  Umgang?  werden  be- 
ziehungsreiche Fäden  geknüpft.  So  klagt  Mu- 
thesius mit  Recht  darüber,  daß  Deutschland, 
das  sich  zu  einer  ersten  Weltmacht  empor- 
gearbeitet habe,   ohne  den   äußeren   Apparat 


einer  Weltmacht  geblieben  sei,  ohne  Reprä- 
sentation, ohne  Pflege  der  äußeren  Symbole 
der  Stellung,  ohne  weltmännische  Formen. 
Das  habe  sich  in  den  ersten  Monaten  des 
Krieges  bitter  gerächt  und  so  könne  es  künftig- 
hin nicht  bleiben.  Der  Mangel  an  repräsenta- 
tiver Veranlagung  des  Deutschen  wird  durch 
das  Beispiel  erklärt,  daß  Deutschland  einem 
Manne  gleicht,  der  in  übertriebener  Arbeitsam- 
keit und  mit  Anspannung  aller  Energie  sich 
Güter,  Stellung  und  Bedeutung  errungen,  aber 
seine  Aufmerksamkeit  nicht  in  gleicher  Weise 
auf  das  Gefällige,  Verbindliche,  Anziehende  ge- 
richtet hat.  Die  einseitige  Tüchtigkeit,  Tüchtig- 
keit ohne  Liebenswürdigkeit,  Tüchtigkeit  ohne 
„Form",  hat  Deutschland  unbeliebt  gemacht. 
Alle  anderen  Völker,  die  Bedeutung  in  der  Welt- 
entwicklung erlangten,  haben  einen  lebhaften 
Sinn  für  die  Form  bekundet  .  .  .  Nachdem  mit 
viel  Ernst  und  Nachdruck  gegen  die  deutsche 
Fremdländerei  Stellung  genommen  wird,  die 
uns  in  den  Augen  der  Welt  verächtlich  macht 
und  unsere  deutsche  Form,  namentlich  auf 
dem  Gebiet  der  bildenden  Künste,  zerschlägt, 


52 


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wirft  Muthesius  die  Frage  auf,  ob  überhaupt 
eine  deutsche  Form  möglich  sei  und  beant- 
wortet sie  damit,  daß  wir  nicht  nur  in  der 
Lage  sind,  eine  deutsche  Form  zu  schaffen, 
sondern  daß  wir  sie  bereits  auf  den  aller- 
meisten Betätigungsgebieten  besitzen;  freilich 
meist  noch  in  den  Anfangsstadien,  so  daß  es 
nötig  ist,  sie  weiter  zu  entwickeln.  Auf  dem 
Gebiet  der  bildenden  Künste,  besonders  der 
Architektur  und  Raumkunst,  wird  es  vor  allem 
Pflicht  der  Auftraggeber  sein,  die  bisherigen 
glücklichen  Anfänge  einer  deutschen  Form  nicht 
weiterhin  als  nichtexistierend  zu  betrachten. 

Was  den  Begriff  der   deutschen   Form    an- 
langt,  so   wünscht  Muthesius,   ihn  nicht  mit 


ARCH.  RUNGE  &  SCOTLANDBREMEN 


dem  Begriff  der  „patriotischen  Kunst"  ver- 
wechselt zu  sehen.  „Eine  deutsche  Kunst  durch 
Anwendung  vaterländischer  Sinnbilder  herbei- 
führen zu  wollen,  wie  es  tatsächlich  in  Kriegs- 
zeiten versucht  zu  werden  pflegt,  ist  eine  voll- 
ständige Verkennung.  Der  bekannte  industrielle 
Hurrakitsch  ist  die  natürliche  Folge."  Trotz- 
dem kann  sich  die  wahre  Kunst  des  völkischen 
Elementes  nicht  entäußern.  Denn  dieses  Ele- 
ment ist  in  dem  Born,  aus  dem  alles  künst- 
lerische Schaffen  fließt,  in  der  Seele  des  Men- 
schen, untrennbar  enthalten.  Zum  deutschen 
Wesen  gehört  es,  das  Charakteristische  über 
das  Normalschöne  zu  setzen,  das  Seelischge- 
mütvolle über  das  Abgeklärte,  das  Eigenwil- 
lige über  das  Verallgemei- 
nerte. „Aber alle  diese  Eigen- 
heiten sind  ungewollt.  Wollte 
man  das  Nationale  heraus- 
destillieren, um  dann  eine 
nationale  Kunst  gleichsam  in 
Reinkultur  zu  züchten,  so 
würde  man  sich  an  dem  ge- 
fährlichen Abgrund  bewegen, 
der  zu  den  Niederungen  der 
Pseudokunst  führt." 

Deutsche  Form  im  guten 
Sinne  nimmt  Muthesius  be- 
sonders auf  dem  Gebiet  der 
Architektur  und  des  Kunst- 
gewerbes wahr  und  zeigt  auf, 
wie  sie  dem  deutschen  Volke 
wirtschaftliche  und  morali- 
sche Frucht  bringen  muß, 
wenn  sie  mit  Zielbewußtsein 
durchgesetzt  wird.  Die  deut- 
sche Form  —  meint  Muthe- 
sius —  hätte  es  in  sich,  die 
Weltform  zu  werden,  wie  die 
Vorherrschaft  der  germani- 
schen Völker  auf  der  Erde 
heute  besiegelt  sei,  unter  de- 
nen wiederum  Deutschland 
die  Führung  habe.  Arbeit  gäbe 
es  freilich  noch  genug  zu  lei- 
sten, aber  es  käme  nur  auf 
eine  bewußte,  geschlossene 
Vorwärtspolitik  an.  „Es  gilt 
mehr  als  die  Welt  zu  beherr- 
schen, mehr  als  sie  zu  finan- 
zieren, sie  zu  unterrichten, 
sie  mit  Waren  und  Gütern  zu 
überschwemmen.  Es  gilt,  ihr 
das  Gesicht  zu  geben.  Erst  das 
Volk,  das  diese  Tat  vollbringt, 
steht  wahrhaftander  Spitze  der 
Welt;  und  Deutschland  muß 
dieses  Volk  werden." 


HAUS  WINDISCH:  EINGANG 


54 


KRISTALLSCIIALE 


GRAF  IIARRACIISCIIE  GLASFABRIK  NEUWELT  IN  BÖHMEN 


DIE  GLASAUSSTELLUNG  IN  WIEN 


DieAusstellungimOesterreichischenMuseum 
wollte  zunächst  der  vom  Kriege  hart  be- 
drängten Glasindustrie  luhilfe  kommen.  Wohl 
kein  Gebiet  unseres  Wirtschaftslebens  ist  in 
seiner  Gesamtheit  so  sehr  auf  den  Export  an- 
gewiesen, keines  reicht  so  weit,  umfaßt  in  des 
Wortes  vollerer  Bedeutung  den  Weltmarkt. 
Hier  mußte  der  Krieg  zum  plötzlichen  Still- 
stande führen;  und  ihn,  wenigstens  teilweise, 
wieder  in  Bewegung  zu  setzen,  die  Kontinui- 
tät der  Arbeit,  wenn  auch  im  verminderten 
Maße,  aufrecht  zu  erhalten,  wurde  die  zeit- 
notwendige Pflicht  der  Nächstbeteiligten,  in 
erster  Reihe  des  Verbandes  der  nordböhmi- 
schen Glasindustriellen,  der  die  Anregung  gab, 
in  zweiter  des  Museums,  das  sie  bereitwillig 
aufnahm  und  mit  vielseitigem  Verständnis 
durchführte.  Die  Art  der  Verarbeitung  dieses 
aktuellen  Anlasses  durch  Direktor  Hofrat  Dr. 
Eduard  Leischino  hat  die  Notstandsaktion 
zu  einem  Ereignis  von  künstlerischem  und, 
darüber  hinaus,  von  kulturellem  Gewicht  wer- 
den lassen. 

Bei  dem  eingreifenden  Belang,  der  dem  Glas- 
betrieb für  Kunst  und  Industrie  in  Oesterreich 
zukommt,  haben  ihm  die  Schaubietungen  des 
Museums,  die  regelmäßigen  und  die  gelegent- 
lichen, seit  jeher  besondere  Aufmerksamkeit 
zugewendet.  Die  Ausstellung  der  Fachschulen 
1902  stärkte  das  Interesse  und  Verständnis 
des  Unternehmers  und  des  Laien,  und  auf  den 
allgemeinen  Ausstellungen  der  nächsten  Jahre 
stellte   sich  das  Glas  mit  steigender  Geltung 


neben  das  übrige  Kunstgewerbe.  Nirgend  ließ 
sich  die  Stetigkeit  seiner  künstlerischen  Ent- 
wicklung vollkommener  nachweisen  als  am 
Beispiele  der  Firma  Lobmeyr,  deren  Arbeit 
die  Stilgeschichte  des  österreichischen  Glases 
während  der  drei  letzten  Geschlechter  darstellt; 
die  Ausstellung  von  1914  gab  diesen  lehrrei- 
chen Rückblick  über  die  1823  einsetzende  Tä- 
tigkeit des  Hauses,  das  allmählich  zum  Gewissen 
unserer  Glasproduktion  geworden  ist.  Aber 
trotz  allem  —  ein  durchgreifendes  Gesamtbild 
von  der  Gegenwart  dieses  Werkgebietes  war 
bisher  nicht  geboten.  Das  brachte  uns  erst 
der  Krieg. 

Der  spannende  Punkt  der  Ausstellung  liegt 
in  dem  Gegensatz  von  Industrie-  und  Kunst- 
glas; zwei  gesonderte,  das  Wesentliche  umfas- 
sende Gruppen  führen  ihn  vor.  Was  im  Export- 
teil an  widerstreitenden  Richtungen,  an  Ver- 
fälschung ursprünglicher  Form-  und  Schmuck- 
werte, an  Halb-  und  Ungeschmack  der  Ab- 
nehmermassen aller  Welt  herauskommt,  ist 
ein  trübes  Kapitel  moderner  Kultur,  das  hier 
nicht  geschrieben  werden  kann,  —  wirtschaft- 
lich ebenso  imposant  wie  künstlerisch  unge- 
heuerlich und  niederschlagend.  Nur  diese  Be- 
ziehung, die  zur  Kunst  im  Gewerbe  geht  uns 
hier  an.  Im  Gedankenkreise  eines  modernen 
Industriestaates  müßte  vor  diesem  Anblick  der 
Vorsatz  wach  werden,  das,  was  sich  hier 
schlechthin  verleugnet,  Großbetrieb  und  Kunst, 
zum  möglichsten  Ausgleich  zu  bringen.  Uns 
in  Oesterreich  liegt  es  näher,  den  Gegensatz, 


55 


der  sich  bietet,  in  seiner  ganzen  Schroffheit 
zu  nehmen,  zwei  getrennte  Lager  zu  sehen, 
die  ihre  eigenen  Wege  gehen  müssen,  das 
Unvereinbarliche  zu  betonen  und  jeder  Ver- 
mischung mit  Mißtrauen  zu  begegnen.  Denn 
wir  müßten  davon  die  Trübung  unseres  Kunst- 
wiilens  im  Handwerke  befürchten,  daß  unseren 
Erwägungen  als  eine  Kraft,  die  ist,  mehr  am 
Herzen  liegt  als  die  Industrie,  die  anderswo 
mehr  Gewicht  und  darum  auch  mehr  Recht  hat. 
Die  Industrie,  wie  sie  hier  in  Erscheinung 
tritt,  —  eigenmächtig  und  rücksichtslos  —  be- 
drückt uns;  im  Bereiche  des  Handwerks  at- 
men wir  freier.  Schon  bei  den  altösterreichi- 
schen Gläsern,  die  mit  lehrhafter  und  ver- 
söhnender Wirkung  zwischen  Export  und  Kunst 
gebracht  wurden,  fühlen  wir  uns  wieder  zu- 
hause. Dann  stört  ein  Mißton :  die  Nachahmun- 
gen alten  Glasgutes.  Sie  sind  täuschend  ge- 
raten, technisch  einwandfrei;  aber  wieder 
mischt  sich  ein  fremder  Geist  ein,  der  hier 
den  Werkanlaß  gab:  der  Händler.  Doch  da 
sich   auch  dieses  Produkt  im  Kreise  unserer 


Ueberlieferung  hält,  findet  sich  darüber  hin- 
weg die  Brücke  zum  Verständnis  des  Moder- 
nen, das  sich  zuletzt  in  geschlossener  Aus- 
lese zur  Schau  stellt:  Böhmen  ist  die  Heimat 
der  Arbeitsstätten  geblieben,  Haida  und  Stein- 
schönau  die  Hauptsitze,  deutsch  das  Handwerk 
in  seinem  überwiegenden  Teile,  und  auch  Ge- 
sinnung und  Werkweise  von  ehedem  haben 
sich  grundsätzlich  erhalten:  ein  altverlrauter 
Stoff,  den  die  Hand  mit  ererbter  Redlichkeit 
und  ganzer  Hingabe  an  das  Einzelding  formt 
und  schmückt. 

Eine  Materialfrage  von  entscheidender  Be- 
deutung wird  zum  erstenmale  aufgerollt.  Ne- 
ben das  altheimische  Kalikristallglas  tritt  jetzt, 
von  ausländischer  Konkurrenz  herbeigeführt, 
das  Bleiglas.  Beide  haben  verschiedene  Ar- 
beitsbedingungen —  sie  stehen  beim  Kaliglas 
höher  —  und  verschiedene  Werkwirkungen, 
die  in  den  Graden  der  Lichtbrechung  gelegen 
sind.  Vom  Standpunkte  der  Kunst  im  Hand- 
werk erscheint  die  weitere  intensive  Pflege 
des  Kaliglases  am  ratsamsten,  wirtschaftliche 


GLASPOKAL 


ENTWURF:  PROF.  M.  POWOLNY  El  AUSFÜH- 
RUNG: JOH.  LÖTZ  WWE.,  KLOSTERMOHLE 


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Dekorative  Kumt.    Xl\.    3.    November  1913 


57 


Rücksichten  gebieten  die  nebenhergehende 
Wahrnehmung  auch  des  anderen  Gebietes. 

Die  Vollbewegung  des  Betriebes  erweist 
sich  an  der  Handhabung  aller  Techniken  — 
des  Schleifens  und  Kugeins,  der  Gravierung 
und  Bemalung,  des  Ueberfanges  und  der 
Aetzung  —  ihre  Stufe  an  der  gleichmäßigen 
Beherrschung  jeder  Arbeitsart. 

In  den  Formen  ist  ein  durchgängiges  Merk- 
mal schwer  festzustellen.  Das  „Stilgemäße" 
beruht  auf  den  gemeinsamen  Voraussetzun- 
gen der  Werk  weise  und  auf  der  vorherrschen- 
den Absicht,  jedes  Ding  eine  gerade  und  ein- 
deutige Sprache  reden  zu  lassen  und  es  zu- 
gleich —  nicht  im  alltäglichen  Sinne  —  ge- 
brauchsfähig zu  machen.  Das  schließt  das 
Spielerische,  das  absolute  Phantasiestück  von 
vornherein  aus.  Es  überwiegt  das  Breite  und 
Statische,  das  Grazile  und  Flüchtige  tritt  völlig 
zurück.  Entscheidend  bleibt  das  Verhältnis 
zum  Schmuck :  die  Form  herrscht,  bedient  sich 
gern  offener  Farben,  aber  der  Zierat  ordnet 
sich  durchaus  unter,  geht  in  der  Form  auf. 
Weil  dies  nun  gerade  auf  einem  von  anders 
gearteten  Erbgedanken  umfangenen  Gebiete 
offenkundig  wird,  erscheint  als  das  Wesent- 
liche: die  Steigerung  der  Formkraft  nach  Er- 
scheinung und  Ausdruck,  —  nicht  so  sehr  im 


GLASDOSE   a   AUSF.:  FRIEDK.  Dll.lbClI,  STEINSCHÖNAU 


ZIERGLAS 


ENTWURF:  H.  BOLEK    B    AUSFÜHR. :  JOH. 
LÖTZWWE.,  KLOSTERMOHLE  IN  BÖHMEN 


Sinne  neuartiger  Bildungen,  als  in  dem 
andern  der  völligen  Aufnahme  und  Ver- 
arbeitung des  Schmuckes  in  die  Form. 


Die  Reihe  der  Kunstglaserzeuger  hat 
sich  beträchtlich  erweitert.  Diesmal 
traten  besonders  hervor:  „Arthl"- 
Prag,  BAKALOWiTS-Wien,  Conrath 
&  LiEBSCH-Steinschönau,  Goldberg- 
Haida,  Graf  HARRACH-Neuwelt,  Lob- 
MEYR-Wien,  LöTZ-Klostermühle,  Mas- 
SANETZ-Steinschönau,  Meltzer-  Lan- 
genau,  OERTEL-Haida,  PiETSCH-Stein- 
schönau,ScHAPPEL-HaidaundTscHER- 
NiCH-Haida.  Die  Lehrstätten  von  Haida 
und  Steinschönau  spielen  eine  ihrer 
Erziehungsaufgabe  durchaus  angemes- 
sene, fortschreitende  Rolle.  Aber  auch 
der  Kreis  der  Wiener  Kunstgewerbe- 
schule greift  durch  seine  Lehrer,  Schü- 
ler und  Bekenner  mitbewegend  ein  und 
vermittelt  der  bodenständigen  Grund- 
gesinnung den  Zuschuß  großstädtischer 
Denkart:  neben  JosEFHoFFMANNstell- 
tensich  Margold,Prutscher,  Bolek, 
Peche,  Nechansky  und  Jungnickel 
in  den  Vordergrund  des  Interesses. 

Max  Eisler 


58 


SOLDATENGRÄBER  UND  KRIEGSDENKMALE*) 


Unter   diesem  Titel    ist  vor  icurzem,    vom 
Oesterreichischen    Kunstgewerbeförde- 
rungsamt herausgegeben,  ein  höchst  beachtens- 
wertes Buch   über  das  uns  heute  alle  bewe- 
gende Thema  erschienen,  ein  Buch,  das  sich 
freilich   seinen  Weg   nicht  leicht   macht.     Es 
kommt  zwei  weit- 
verbreiteten   und 
gemeinhin      aus- 
schlaggebenden 
Erwartungennicht 
nur  nicht   entge- 
gen,   sondern 
scheint  ihnen  — 
auf     den     ersten 
Blick  —  geradezu 
grundsätzlich  aus- 
zuweichen: es  ver- 
meidet   die    An- 
knüpfung an    die 
volkstümliche 
Ueberlieferung 
und    scheut     das 
offene  Pathos  der 
Zeiterregung.  Die- 
se spröde  Haltung 
des  Buches   muß 
seine    erste   Auf- 
nahme   erschwe- 
ren.   Sie  ist  nicht 
jedermann      ver- 
ständlich,       und 
kann,  wo  die  Wil- 
ligkeit  zu    ernst- 
hafter   Auseinan- 
dersetzung      mit 
dem     Gebotenen 
fehlt,    leicht    zur 
Ablehnung      füh- 
ren. Aberwersich 
nur    einmal  dem 
Texte  überlassen 
hatundseinerFüh- 
rungfolgt,mußdie 
Brücke  zum  Bilde 


•)  Soldatengrä- 
ber undKriegsdenk- 
male,  herausgege- 
ben vom  Kunstge- 
werbeförderungs- 
amt.  Wien  1915. 
Kunstverlag  Anton 
SchroU&Co.,  G.m. 
b.  H.     10  M. 


GLASPOKAL 


finden  und  durch  beides,  wenn  nicht  erhoben, 
so  doch  belehrt  und  klarer  gemacht  werden. 
Denn  das  ist  der  treibende  Nerv  des  Wer- 
kes selber:  klar  zu  bleiben  im  Sturm  der 
widerstreitenden  Empfindungen,  den  die  im 
Zeitleben  ankernde  Aufgabe  entfacht,  klar  zu 

werden  an  der  un- 
erbittlichen Fol- 
gerung aus  den 
einfachsten      und 

bestimmenden 
Voraussetzungen, 
die  hier  gelten. 

Daserklärtauch 
schon  die  anschei- 
nend frondierende 
Stellung  zur  über- 
lieferten Volks- 
und Heimats- 
kunst. Ein  Werk 
wie  dieses, das  nur 
Grundsätze,  nicht 
Lösungen  geben 
will,  wird  an  eine 
formale  Aufnahme 
und  Fortbildung 
des  volkskünstle- 
rischen Erbes 
nicht  denken  kön- 
nen. Aber  was  am 
alten  Arbeitsgange 
gesund  ist,  das 
muß  hier  neue 
Gellung  gewin- 
nen. Es  heißt  für 
den  Leser  von  der 
Bilderscheinung 
zu  ihren  Bedin- 
gungen vordrin- 
gen, wenn  er  sich 
die  Mühe  nimmt, 
diese  tieferliegen- 
den Zusammen- 
hänge der  Alt- und 
Neu  formen  aufzu- 
spüren. Jedenfalls 
ist  der  hier  ein- 
geschlagene Weg 
geeigneter,  das 
Brauchbare  und 
Gültige  im  alten 
AusFOHRUNG:  JOH.  LöTZ  WWE.,       Handwerksbrau- 

KLOSTERMOHLE  IN  BÖHMEN        Q        ChC       den      neUCH 


59 


GESCHLIFFENE  GLÄSER 


ENTWURF:     R.  STOCKAR  V.  BERNKOPF  UND 
JOS.  ROSIPAL  B  AUSFÜHRUNG  :  ARTEL,  PRAG 


FARBIGE  GLÄSER 


AUSFÜHRUNG:  JOH.  OERTEL  &  CO.,  HAIDA 


60 


Bedürfnissen,  der  anders  gewordenen  Zeit  zu 
gewinnen,  als  der  gangbare  und  bequemere 
wahlloser  Verwendung  von  hergebrachten  und 
beliebten  „Motiven". 

Nicht  so  leicht  wird  man  sich  mit  dem 
Mangel  an  offenkundiger,  vom  Zeitereignis 
aufgewühlter  Erregung  zurechtfinden  können. 
Auch  hier  hat  die  strenge  Umgrenzung  der 
Aufgabe  allen  Beteiligten  Zurückhaltung  der 
persönlichen  Anteilnahme  geboten,  und  zu- 
weilen spürt  man,  wie  schwer  es  dem  oder 
jenem  wurde,  sich  nicht  ganz  und  frei  ausspre- 
chen zu  dürfen.  Aber  wie  die  Dinge  lagen, 
wäre  es  als  eine  persönliche  Einmischung  er- 
schienen und  aus  dem  Rahmen  des  Ganzen 
gefallen,  das  typische  Andeutungen  bringen 
wollte,  —  die  unanfechtbare  Basis  für  jede 
weitere  individuelle  Aeußerung  zeitbewegten 
Empfindens,  mag  dieses  nun  einem  im  Stam- 
meskreise wurzelnden  Handwerker  oder  einem 
in  sich  ruhenden  Künstler  angehören,  mag  es 
in  den  Bezirken  von  Familie  und  Heimat  eng 
beschlossen  sein  oder  mit  den  Gemeingedan- 
ken des  Zeitenschicksals  weitere  Wege  und 
Wirkungen  suchen.  Aber,  wie  gesagt:  von  dem 
Gefühl,  daß  hier  eine  letzte  Befriedigung  un- 


erfüllt bleibt,  wird  man  sich  nicht  ganz  los- 
machen. Der  Gegensatz  aller  Kriegsgaben  des 
Deutschen  Reiches  und  der  unsern  in  ihrer 
inneren  Spannung  ist  zu  offenliegend,  um  über- 
gangen werden  zu  können.  Die  Erklärungen 
werden  sich  zu  anderer  Zeit  besser  geben 
lassen. 

Aber  das  Buch  ist  stark  durch  sein  Pflicht- 
bewußtsein und  die  Richtung  auf  das  Wesent- 
liche, würdig  durch  seinen  jeder  spielerischen 
Laune  und  Stimmungsmache  fremden  Ernst, 
erziehlich  und  gebend  fast  auf  jedem  Blatte. 
Die  Bildgaben  —  Modelle  und  Entwürfe,  nur 
wenig  Ausgeführtes  —  sprechen  die  Sprache 
des  Textes:  aufrichtig  und  deshalb  aufrüttelnd. 
Man  wird  sich  ihrer  nur  so  bedienen  müssen, 
wie  sie  sich  geben.  Der  weitwirkende  Gewinn 
kann  dann  nicht  ausbleiben,  auch  wenn  ihn  in 
vollem  Maße  vielleicht  erst  eine  Zeit  bringt, 
die  an  die  Frage  besonnener  herantritt,  als  es 
der  Gegenwart  möglich  ist. 

Die  Haupteinteilung  richtet  sich  nach  den 
Zeitbestimmungen  der  Werkpläne:  Grabstätten 
für  einen  und  viele  —  und  Denkmäler  für  den 
Kriegsgedanken.  Nähere  Unterscheidungen  er- 
geben sich  aus  der  Oertlichkeit  der  Aufstellung. 


ZIERGLASER 


AUSFOHRUNG:  KARL  GOLDBERG,  HAIDA 


61 


GLASSCHALE 


ENTWURF:  E.  J.  MARGOLD  a  AUSFÜHRUNG:  KARL  SCHAPPEL,  HAIDA 


Das  Ganze  durchdringt  der  strenge  Geist 
Oskar  Strnads,  der  sich  hier  deutlicher  als 
sonst  als  die  Energie  dieser  Persönlichkeit 
erweist;  sie  wird  noch,  wenn  nicht  alles  trügt, 
in  dem  kommenden 
Kapitel  unserer  Archi- 
tekturgeschichte ihre 
tiefere  Spur  ziehen. 
Die  nähere  Ausfüh- 
rung des  Buchplanes 
ist  das  Ergebnis  der 
Gemeinarbeit  unserer 
Kunstgewerbeschule, 
ihrer  Lehrer  und  Fach- 
klassen. Die  Anre- 
gung gab  der  Direktor 


LIKÖRFLASCHE   AUS  GE- 
SCHLIFFENEM GLAS 


des  Gewerbeförderungsamtes,  Hofrat  Dr. 
Adolf  Vetter,  und  hat  damit  wieder  den 
Sinn  seiner  Tätigkeit  auf  solchem  Boden  be- 
kundet: das  Gelegentliche  und  Zeitgemäße 
zur  Hervorbringung 
grundlegender  Werte 
zu  nützen. 

Das  Buch  ist  hand- 
lich, solid  und  verhält- 
nismäßig wohlfeil ;  der 
durch  den  Wechsel 
von  Steinzeichnungen 
und  Tonklischees  her- 
vorgerufene unruhige 
Eindruck  war  kaum  zu 
vermeiden. 


□   AUSFÜHRUNG:  CARL 
MELTZER  &,   CO.,  HAIDA 


62 


MAX  WISLICENUS 


LÖWE.     WANDBEHANG  FOR  DAS  RATHAUS  ZU  LÖWENBERG    IN  SCHLES. 


DER  BILDTEPPICH  IN  DER  KUNST  DER  GEGENWART 

Von  Prof.  Dr.  K.  Schaefbr 


Die  Bildwirkerei  hat  von  jeher  als  eine 
Höchstleistung  der  angewandten  Kunst 
gegolten.  Sie  war  trotz  der  unzähligen  Hinde- 
rungen, die,  in  der  Technik  des  Webens  lie- 
gend als  Beschränkung  für  jede  Art  von  Form- 
gebung wirken,  der  freien  Kunst  der  Malerei 
mit  ihren  großen  und  starken  Möglichkeiten 
am  nächsten,  schien  sogar  oft  wertvoller  als 
diese  durch  die  Kostbarkeit  des  Materials  und 
die  mühselige,  kunstvolle  Sorgfalt  der  lang- 
wierigen Ausführung  auf  dem  Webstuhl.  Der 
Bildteppich  war  dem  Mittelalter  ebenso  un- 
entbehrlich wie  der  Renaissance,  und  dem 
Stil  des  18.  Jahrhunderts  diente  er  erst  recht 
als  willkommenes  Mittel,  die  prunkvollen  Säle 
und  Galerien  der  Schlösser  mit  figurenreichen 
Tapeten  auszustatten,  die  in  den  Farbtönen 
des  Woll-  und  Seidengewebes  noch  viel  ein- 
schmeichelnder und  wohliger  zu  dem  Luxus 
dieser  Raumkunst  und  zu  der  zarten  Farben- 
tönung dieser  Stilharmonien  passen  mußte, 
als  die  aufdringlicheren  und  anspruchsvolleren 
Gemälde  mit  den  gleichen  Darstellungen  es 
gekonnt  hätten.  Zahllos  sind  die  Arbeiten 
der  französischen,  flämischen  und  deutschen 
Werkstätten,  die  im  17.  und  18.  Jahrhundert 
für  den  fürstlichen  und  für  den  bürgerlichen 
Bedarf  solche  Bildtapeten  herstellten;  eine  ge- 
wohnheitsmäßige Ueberlieferung  hat  auch  den 
unbedeutendsten  unter  ihnen  eine  stilvolle 
Haltung  gegeben,  die  als  Erbteil  der  einheit- 
lichen Zeitkultur  uns  heute  charaktervoll  und 
bedeutend  zugleich  erscheint. 


Das  Können,  die  technische  Fertigkeit  der 
Gobelinweberei  ist  uns  nicht  verloren  ge- 
gangen. Bei  allen  großen  Ausstellungen  para- 
dierten noch  bis  1900  die  französischen  Manu- 
fakturen mit  handwerklich  meisterhaft  ausge- 
führten Bildteppichen  von  oft  riesiger  Größe, 
von  kostbarer  und  schwieriger  Technik,  von 
reichster  Bildwirkung.  Aber  es  fehlte  bei 
diesen  Ansprüchen  und  Leistungen  zweierlei, 
was  ihnen  erst  die  Daseinsberechtigung  hätte 
geben  müssen.  Einmal  die  wirtschaftliche 
Berechtigung:  niemand  verlangte  nach  diesen 
modernen  Bildteppichen.  Kein  Bedürfnis  der 
Zeit,  ihrer  Architekten  und  Raumkünstler  hatte 
sie  entstehen  lassen ;  sie  waren  tote  Aus- 
stellungswunder, für  die  im  modernen  Leben 
kein  Platz  war  und  nach  denen  keine  Sehn- 
sucht bestand.  Und  zweitens  die  künstlerische 
Berechtigung:  alle  Ueberlieferung  war  abge- 
rissen. Gemälde,  alte  oder  neue,  möglichst 
wortgetreu  in  die  Maschen  des  Gewebes  zu 
übersetzen,  schien  den  Werkstätten  das  er- 
strebenswerteste Ziel  und  gab  ihrem  Tun  den 
einzigen  Halt.  Verwilderter  Naturalismus  oder 
sklavische  Wiederholung  alter  Vorbilder  waren 
die  ständig  wiederkehrenden  Eigenschaften 
dieser  gänzlich  stillosen  Erzeugnisse.  Ganz 
natürlich ;  denn  zu  dem  sehr  tüchtigen  Hand- 
werk des  Gobelinwebers  kam  die  Kunst  eines 
Mannes,  der,  wenn  er  Maler  war,  weder  Lust 
noch  Veranlassung  dazu  gehabt  hätte,  sich  mit 
dem  Materialstil  des  Bildteppichs  und  seiner 
Herstellungsweise  zu   beschäftigen,   oder   der 


63 


MAX  WISLICENUS 


■         WANDTEPPICH  „HEXE"         B 
GEWEBT  VON  WANDA  BIBROWICZ 


64 


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MAX  WISLICENUS 


Q  WANDTEPPICH   „DIANA"  Q 

GEWEBT  UNTER  LEITUNG  VON  ELSE  WISLICENUS 


MAX  WISUCENUS 


O        WANDTEPPICH  „VENUS"         ■ 
GEWEBT  VON  WANDA  BIBROVICZ 


andernfalls  Musterieichner  der  Manufaktur 
und  also  unselbständig  und  geistlos  von  Na- 
tur, auf  das  Kopieren  angewiesen  war.  — 

Es  ist  bezeichnend,  daß  in  den  Sturm-  und 
Drangjahren  des  jungen  deutschen  Stils,  um 
1900  herum,  auch  der  Bildteppich  eine  Rolle 
spielte.  Die  Jugend  greift  gleich  nach  dem 
Höchsten  und  liebt  es,  die  Stufen  zu  über- 
springen, von  denen  man  später  sagt,  daß  man 
sie  bedächtig  und  überlegt  emporsteigen  sollte. 
Was  damals  der  heute  doch  wohl  unterschätzte 
Otto  Eckmann  und  was  O.  Ubbelohde  mit  den 
Scherrebecker  Werkstätten  an  figürlichen  We- 
bereien auf  den  Markt  brachten,  war  kühn, 
radikal,  war 
vortrefflich  ge- 
dacht. Der  be- 
wußte Verzicht 
auf  Gemälde- 
wirkung war 
der  einzig  mög- 
liche Weg,  um 
dieGrundlagen 
eines  Stils  für 
moderne  Bild- 
gewebe wieder 
zu  finden.  Daß 
man  in  der  pla- 
katmäßigen 
Flächigkeit  der 
Darstellung  zu 
weit  ging,  daß 
man  den  Reiz 
des  Spiels  von 
kleinen  For- 
men und  Far- 
ben so  gründ- 
lich vernach- 
lässigte, der 
sich  nun  ein- 
mal aus  der 
Webetechnik 
von  selbst  er- 
gibt und  der 
eine  bezeich- 
nende Eigen- 
tümlichkeit der 

Bildteppiche 
aller    früheren 

Stilepochen 
und  durchaus 
sinngemäß  ist, 
sehen  wir  heu- 
te als  Mangel. 
Auch  war  das 

Handwerk 
selbst  in  Scher- 
rebeck       noch       MAX  WISLICENUS 


reichlich  primitiv.  Daß  aber  die  ganze,  be- 
geistert unternommene  und  so  viel  bewunderte 
Arbeit  damals  scheiterte,  lag  nicht  an  künst- 
lerischen Mängeln  —  denn  es  haben  bekannt- 
lich viel  schlechtere  Kunsthandwericserzeug- 
nisse  ihre  Abnehmer  gefunden  und  ihren  Mei- 
stern das  Leben  gefristet.  Auch  wenn  die  Wand- 
teppiche Eckmanns  und  Ubbelohdes  noch  viel 
vollkommener  gewesen  wären,  der  Enderfolg 
wäre  derselbe  geblieben:  es  gab  in  der  Tat 
im  Kreise  der  Käufer  kein  Bedürfnis  nach 
diesen  anspruchsvollen  Ausstattungsstücken. 
Es  gab  im  deutschen  Wohnhaus  keinen  Platz 
für  sie,  an   dem  sie  begehrenswert  oder  gar 

notwendig  ge- 
wesen wären, 
wie  es  einst  die 
alten  Gobelins 
waren ,  jene 
dem  Architek- 
ten hochwill- 
kommenen 
Elemente  zum 
Schmuck  und 
zur  Gliederung 
der  Wände.  Sie 
erwiesen  sich 
weder  wirt- 
schaftlich noch 

künstlerisch 
als     notwendi- 
ges Glied   un- 
serer      neuen 

Raumkunst. 
Und  —  das  ist 
imGrundeheu- 
te  noch  eben- 
so: Es  wird 
schwerlich  be- 
stritten werden 
können,  wenn 
ich  sage,  daß 
der      moderne 

Wohnraum, 
wie  ihn  Bruno 
PauloderPeter 
Behrens  oder 
R.  A.  Schröder 
zu  gestalten 
pflegen,  nach 
Bildwirkereien 
nicht  begehrt, 
sie  eher  ab- 
lehnt. Die  Not- 
wendigkeiten 
des  Alltags, 
die  Möbelstof- 
fe ,    Vorhänge, 


ORNAMENTALER  WANDBEHANG 


Dekorative  Kunst.  XIX.    2.    November  1915 


65 


MAX  WISLICENUS 


WANDBEHANG  „SEEPFERD" 


Tischdecken,  Fußbodenteppiche  in  die  Harmo- 
nie des  Raumganzen  einzuordnen,  ist  offenbar 
die  viel  dringendere  Frage  und  sie  ist  gelöst 
worden,  mußte  zuerst  gelöst  werden,  weil 
wir  für  das  Bürgertum,  als  Verbraucher  des 
neuen  Hausrats  arbeiten,  nicht  für  Kirchen 
und  Rathäuser  wie  das  Mittelalter,  und  nicht 
für  Palais  wie  die  Werkstätten  der  Rokoko- 
zeit. Wandbehänge  und  Bildteppiche  sind  nur 
als  Ausnahmeerscheinungen  in  diesem  Stil- 
gefüge  denkbar. 

Die  groß  angelegte  Gründung  der  Scherre- 
becker Webeschule  von  1897  sollte  uns  nur 
ein  Beispiel  sein;  andere  Gründungen  von 
derselben  Absicht,  der  Handweberei  wieder 
eine  Stätte  zu  bereiten,  haben  dieselben  Er- 
fahrungen gemacht,  wenn  sie  es  nicht  recht- 
zeitig vorzogen,  statt  der  Bildwirkereien  ein- 
fache Gebrauchsstoffe  von  der  Art  der  alten 
Hausfleißerzeugnisse  herzustellen,  ob  sie  nun 
modern  in  ihren  Formen  waren  oder  sich 
mit  der  Nachbildung  alter  Muster  begnügten. 


Aus  diesem  Scheitern  so  vieler  mit  gutem 
Willen  und  tüchtigem  Können  unternommener 
Versuche,  muß  also  der  Schluß  gezogen 
werden,  daß  es  bisher  noch  nicht  gelungen 
ist,  für  die  vornehmste  Art  der  Webekunst 
in  unserer  modernen  Raumkunst  eine  Stelle 
zu  schaffen ;  wäre  diese  gefunden,  dann  wür- 
den sich  alsbald  auch  die  Stilforderungen  als 
Richtschnur  und  Maßstab,  als  Aufgabestellung 
für  den  modernen  Gobelin  daraus  ergeben 
haben.  Solange  diese  Verbindung  von  innerer 
Notwendigkeit  noch  nicht  hergestellt  ist,  wer- 
den wir  noch  im  Zustand  der  Versuche  stehen 
bleiben.  Entmutigt  von  Erfahrungen  solcher 
Art  und  von  der  wirtschaftlichen  Erfolglosig- 
keit sind  die  meisten  Versuche,  den  Bild- 
teppich wieder  zu  einem  wesentlichen  Aus- 
stattungsstück unserer  neuen  Innenräume  zu 
machen,  alsbald  wieder  aufgegeben  worden. 
Die  entwerfenden  Künstler  hatten  sich  wohl 
auch  die  Eroberung  des  Stils,  der  nur  in  lang- 
samer Arbeit  aus  der  Hersfellungsweise  und 


66 


MAX  WISLICENUS 


WANDBEHANG  „WASSERSTIER" 


dem  Werkstoffe  des  Gewebes  und  aus  selb- 
ständigem Studium  des  Gobelinstils  alter 
Zeiten  sich  ergeben  kann,  leichter  vorgestellt, 
als  sie  ihrer  schwierigen  Natur  nach  sein 
konnte. 

Der  einzige,  der  bei  der  Aufgabe  ausharrte 
und  unbeirrt  durch  den  Mangel  an  Aufträgen 
und  bestimmten  Aufgaben  an  der  einmal  be- 
gonnen Arbeit  festhielt,  war  Max  Wislicenus. 
Und  daß  diese  Beharrlichkeit  mit  der  Zeit 
ihre  Früchte  tragen  wird,  davon  konnten  sich 
die  Besucher  der  Kölner  Wcrkbundausstellung 
im  vergangenen  Jahre  überzeugen.  Der  schle- 
sische  Saal  mit  seiner  dunkeln  Wandtönung 
erhielt  sein  festliches  Gepräge  durch  sieben 
große  Wandteppiche,  die  in  der  Werkstatt  von 
Frl.  Wanda  BiBROwicz  nach  den  Entwürfen 
von  Prof.  Wislicenus  ausgeführt,  zum  ersten 
Male  der  breiten  Oeffentlichkeit  die  Ernte  einer 
mehr  als  zehnjährigen  Arbeit  zu  Gesicht 
brachte.  Der  Eindruck  war  ohne  Frage  ein 
starker.     Einheit   in   der   künstlerischen  Auf- 


fassung, in  die  Anpassung  an  die  Technik 
der  Weberei  und  sichere  Ausführung  von  hand- 
werklich tüchtiger  Vollendung  ergeben  zu- 
nächst mindestens  den  Eindruck  eines  klaren, 
in  sich  gegründeten  Stils,  der  überzeugend 
wirkte  durch  seine  Verbindung  flächig  ge- 
sehener, rhythmisch  bewegter  Figuren  mit 
reicher  Belebung  des  Bildfeldes  durch  orna- 
mentale Uebersetzung  der  Naturmotive. 

Die  Abbildungen,  die  hier  beigegeben  sind, 
lassen  eine  ausfühiliche  Schilderung  der  ein- 
zelnen Kompositionen  überflüssig  erscheinen. 
Mit  dem  meisten  Glück  beschränkt  sich  Wisli- 
cenus auf  Figuren  großen  Maßstabs,  die  er  ein- 
zeln oder  in  vorwiegend  symmetrisch  zusammen- 
geschlossenen Gruppen  den  Rahmen  des  Bild- 
feldes möglichst  ausfüllen  läßt.  Das  ergibt 
einen  dekorativen  Reichtum,  wie  ihn  etwa  die 
ältesten  griechischen  Vasenmalereien  oder  die 
Glasgemälde  des  frühen  Mittelalters  oder  auch 
die  Bild  Wirkereien  des  16.  Jahrhunderts  zeigen, 
wo  die  Füllung  der  Fläche  als  oberste  künst- 


67 


MAX  WISLICENUS     D     GROSZER  WANDTEPPICH  IM  FESTSAAL  DES  KCL.    REGIERUNGSGEBAUDES   ZU  BRESLAU 


lerische  Aufgabe  erscheint,  hinter  der  die  Auf- 
gabe einer  getreuen  Abbildung  der  Natur  zu- 
rückstehen muß.  Geschmackvoll  und  ausge- 
glichen sind  diese  Erfindungen  mehr,  als  daß 
sie  durch  zwingendes  Temperament  sich  zu 
Kühnheiten  erheben,  die  begeistern  oder  zur 
Kritik  herausfordern.  Die  Wahl  des  Stoffes 
sollte  sich  in  Zukunft,  wenn  es  erst  Auftrag- 
geber für  solche  Arbeit  gibt,  von  außenher 
ergeben.  Von  den  hier  wiedergegebenen  The- 
men darf  man  sagen,  daß  den  Einzelfiguren 
der  Vorzug  zukommt.  Der  Akt,  den  Wisli- 
cenus  in  den  drei  Schlangentanzteppichen 
mit  so  glücklichem  Gefühl  für  den  Rhythmus 
angewandt  hat,  der  unbekleidete  Körper,  wird 


für  die  Gobelintechnik  immer  besondere 
Schwierigkeiten  haben.  Das  Gewand  der  be- 
kleideten Figuren  gibt  ihr  dagegen  Möglich- 
keiten, die  Wislicenus  selbst  sehr  fein  aus- 
zunutzen versteht.  Denn  dem  Gewebe  wider- 
streben, wie  wir  schon  sahen,  eintönige  Flächen 
von  Natur;  es  sind  ihm  willkommen  alle  Mo- 
tive, die  wie  das  wiederkehrende  Muster  eines 
Gewands,  reich  geformte  Schuhe,  ein  Haarband, 
flatternde  Schleiertücher  als  Bereicherungs- 
mittel für  die  Zeichnung  dienen,  während  die 
Technik  der  Ausführung  es  verhindert,  die 
zarten  Abtönungen  in  der  Modellierung  der 
Körperflächen  wiederzugeben,  die  der  Akt  ver- 
langte. Außerdem  haben  jene  dekorativen  Mittel 


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MAX  WISLICENUS 


WANDTEPPICH  „SCHLANGENTANZ".  RECHTES  SEITENSTÜCK 

70 


den  Vorzug,  daß  sie  die  Harmonie  zum  Ornamen- 
talen vermitteln,  deren  das  Bildgewebe  nicht 
entbehren  kann.  Gerade  dieses,  das  Ornament, 
dürfte  gelegentlich  gerne  noch  reicher,  schwer- 
wiegender, phantasievolier  entwickelt  werden. 
Die  Alten  verstanden  es  bekanntlich  prachtvoll, 
breite  Einfassungen  von  Blumen  und  Frucht- 
büscheln, von  Ornamentschnörkeleien  mit  figür- 
lichen Zutaten,  bald  streng  architektonisch,  bald 
malerisch  frei  aufgelöst,  als  Rahmen  um  ihre 
Gobelinbilder  zu  erdichten.  — 

Außer  den  aus  freiem  künstlerischen  Er- 
messen entstandenen  Teppichen  findet  der 
Leser  hier  zwei,  die  im  Auftrage  der  schlesi- 
schen  Provinzialverwaltung  entstanden  sind, 
zum  Schmuck  des  Trau-  und  Amtszimmers 
im  Rathause  zu  Löwenberg.  Die  Ansicht  der 
Stadt  mit  ihrer  ausdrucksvollen  Giebelreihe, 
die  über  die  niedrige  Stadtmauer  emporragt, 
ist  in  Haltung  und  Stimmung  außerordentlich 
fein  in  den  Ton  der  alten  Holzschnitte  um- 
gesetzt, die  so  prächtig  die  sachliche,  trockene 
Wiedergabe  so  eines  Stadtbildes  mit  dem  de- 
korativen Spiel  geschmackvoll  geordneter 
Linien  und  Flächen  zu  vereinigen  verstanden. 
Die  ornamentale  Flächenteilung  durch  die 
Baumreihen  des  Hintergrundes,  die  Wölkchen 
über  dem  Horizont  ist  dem  Bildteppiche  durch- 
aus angemessene  Stilweise.  Weniger  selbst- 
verständlich, etwas  unvermittelt,  auch  ein 
wenig  kostümiert  wirken  darunter  die  Ver- 
treter der  einzelnen  Stände,  Ritter,  Gelehrter, 
Bürgersmann  und  Handwerksgeselle.  Der 
schreitende  Löwe  als  Zeichen  der  Stadt,  im 
Bürgermeisterzimmer  des  Rathauses  zeigt  die 
ornamentale  Auffassung  folgerichtig  durch- 
geführt mit  ausgezeichneter  Wirkung. 


Auch  für  das  Gebäude  der  Kgl.  Regierung 
in  Breslau  hat  die  Webewerkstatt  der  Bres- 
lauer Akademie  unter  Leitung  von  Frl.  Wanda 
Bibrowicz  einen  Bildteppich  nach  Prof.  Max 
Wislicenus'  Entwurf  ausgeführt.  Er  zeigt  einen 
Reigen  von  zwei  schreitenden  Paaren  auf 
blumigem  Wiesengrund  und  lehnt  sich,  seiner 
Entstehungszeit  entsprechend,  noch  mehr  als 
die  späteren  Arbeiten,  aber  mit  glücklichem 
Erfolg  an  die  dekorative  Auffassung  der  Früh- 
renaissance an.  — 

Der  hier  beschrittene  Weg,  die  alte  und 
wohlberechtigte  Sehnsucht  zu  erfüllen,  die 
Bildwirkerei  wieder  zu  einem  Bedürfnis  und 
zu  einem  unentbehrlichen  Ausdrucksmittel  im 
künstlerischen  Schaffen  der  Gegenwart  zu 
machen,  ist  gewiß  der  rechte.  In  bald 
15  jähriger  Zusammenarbeit  von  Künstler  und 
Werkstatt  hat  sich  eine  Erfahrung  heraus- 
gebildet, die  alle  Grundlagen  eines  aus  der 
Herstellungsweise,  dem  Werkstoff  geschaffenen 
Stils  in  sich  trägt.  Was  wir  diesem  be- 
wunderungswürdigen zähen  Ausharren  bei  der 
schönen  Aufgabe  als  Lohn  wünschen,  das  ist 
die  Zahl  von  Aufträgen,  die  in  Zukunft  ein 
Ausbauen  und  Ausbreiten  der  bisherigen  Er- 
rungenschaften erlauben.  Kirche  und  Rathaus 
waren  im  Mittelalter  die  Auftraggeber  für 
solche  kostbare  Ausstattungsstücke;  sie  müßten 
es  heute  wieder  sein,  und  könnten  es  sehr 
wohl  sein.  Denn  es  wäre  ein  höchst  be- 
dauerlicher Verlust  an  kunsthandwerklichem 
Kapital,  wenn  diese  jahrelange  Arbeit  durch 
den  Mangel  an  Verständnis  bei  den  Stellen, 
die  als  die  geborenen  Auftraggeber  in  Frage 
kommen,  nicht  ihren  Lohn  fände.  Und  dieser 
ist  ein  Betätigungsfeld. 


MAX  WISLICENUS 


WANDBEHANG  „FABELTIER- 


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SCHMIEDEEISERNE  KASSETTEN    G    SCHOLERARBEITEN  DER  GEWERBLICHEN  FACHSCHULEN  AUGSBURG 


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ARCH.  KARL  SATTLER-MÜNCHEN 


LANDSITZ  BOVERI,  BADEN  (SCHWEIZ):  GARTENHAUS 


EINE  GARTENANLAGE  IN  BADEN  (SCHWEIZ)  VON  ARCHITEKT 

KARL  SATTLER-MÜNCHEN 


Als  dem  Münchner  Architekten  KarlSattler 
,  der  Auftrag  zuteil  wurde,  in  Baden  in  der 
Schweiz  für  Herrn  Walter  Boveri  einen  großen 
Garten  zu  schaffen,  bei  dem  Architektur,  pla- 
stischer Schmuck  und  pflanzliche  Anlagen  sich 
zu  einem  schönen  Ganzen  zusammenschlie- 
ßen sollten,  trat  eine  zwar  reizvolle,  aber  nicht 
leichte  Aufgabe  an  ihn  heran,  denn  die  absolute 
Freiheit  des  Schaffens  war  einerseits  dadurch 
beschränkt,  daß  ein  Wohnhaus  und  ein  alter 
Garten  schon  vorhanden  waren  und  in  ihrer 
ursprünglichen  Gestalt  erhalten  werden  muß- 
ten, andererseits  war  in  dem  abschüssigen  Ge- 
lände eine  Voraussetzung  gegeben,  über  die 
der  Architekt  nicht  hinweggehen  konnte. 

Es  handelte  sich  darum,  einen  Terrassen- 
garten mit  horizontalen  Wegen  (im  Gegensatz 
zu  dem  durchaus  abschüssigen  alten  Garten) 
zu  schaffen.  Als  krönenden  Abschluß  dachte 
sich  der  Bauherr  ein  Gartenhaus,  das  natür- 
lich, entsprechend  den  parallelen  Horizontalen 


der  vier  Terrassen,  gleichfalls  mehr  in  die  Breite 
als  in  die  Höhe  wachsen  mußte,  und  infolge- 
dessen von  dem  Baukünstler  behaglich  hingela- 
gert und  eingeschossig  (mit  niederem  Souterrain) 
ausgestaltet  wurde.  Es  ist  ein  Gartensaalbau 
von  jenem  anmutigheiteren  Wesen,  dessen 
man  sich  bei  den  Gartenbauten  aus  den  kur- 
fürstlichen Zeiten  erfreut,  doch  ist  damit  nur 
die  Stimmung  des  Gebäudes  angedeutet  und 
es  ist  keineswegs  irgendeine  stilistische  An- 
lehnung darunter  zu  verstehen.  Die  Ausfor- 
mung des  Gebäudes  ist  ganz  zeitgenössisch. 
Ohne  starke  äußere  Mittel  ist  durch  vorzüg- 
liche Aufteilung  der  Baumasse,  durch  die  Hori- 
zontal-Vertikalgliederung  der  Fassade  und  durch 
die  gelungene  Proportionalität  von  Fassade  und 
Dach  ein  schöner  Eindruck  erreicht,  der  echtes 
Behagen  auslöst.  Im  Innern  ist  das  Garten- 
haus zu  einem  Musiksalon  und  intimen  Fest- 
raum von  ausgezeichneter  Akustik  ausgestaltet. 
Die  hohen   Fenster,  die   bis    zum   Boden  des 


Dekoralivo  Kunst.    XIX. 


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ARCH.  KARL  SATTLER-MÜNCHEN 


LANDSITZ  BOVERI,  BADEN  (SCHWEIZ):  SCIINX  IMMliAD 


Saals  herabreichen  und  so  zu  Türen  geworden 
sind,  werden  von  schönen,  an  Ort  und  Stelle 
freihändig  in  Stuck  modellierten  Supraporten 
geschmückt.  Die  Türfenster  dienen  nach  Westen 
hin  zum  direkten  Austritt  auf  die  oberste  Ter- 
rasse, die  zu  einer  besonders  intimen  Garten- 
anlage ausgebaut  wurde.  Die  Möblierung  ist 
teils  alt,  teils  entsprechend  neu  ergänzt,  das 
Prunkstück  aber,  ein  Kamin  in  Muschelkalk 
mit  Putten  und  Karyatiden,  ist  eine  Schöpfung 
von  Professor  Adolf  v.  Hildebrand  in  Mün- 
chen, ein  Werk  von  sonniger  Heiterkeit  und 
in  der  Formgebung  und  Gliederung  von  über- 
raschendem Reiz.  Der  holzgeschnitzte  Leucht- 
körper mit  dem  Amor,  den  man  auf  unserer 
Abbildung  sieht,  ist  von  Jacobine  v.  Hilde- 
brand, geb.  Sattler,  gestaltet. 

Vorzüglich  ist  der  Anschluß  des  Garten- 
gebäudes an  die  Terrassenanlage  gefunden 
durch  beiderseits  an  das  Gebäude  angelehnte 
Steintreppen,  deren  Balustraden  als  schöne 
Zier  zwei  lebhafte  Putten  nach  Modellen  Adolf  v. 
Hildebrands  aufweisen.  Plastischer  Schmuck  ist 
auch  sonst  da  und  dort  im  Garten  anzutreffen, 
ohne  indessen  durch  Häufigkeit  zu  ermüden. 
So  sind  die  Plastiken  an  den  Brunnen  usw. 
von  Theodor   Georgii,    der   sie   als   echte 


Steinplastiken  (Muschelkalk  aus  einheimischen 
Steinbrüchen)  direkt  aus  dem  Stein  heraus- 
arbeitete, während  die  vier  Figuren  an  der 
Alleenkreuzung  der  untersten  Stufe  des  Gar- 
tens von  Professor  Karl  Ebbinghaus  stam- 
men. Sie  stellen  die  vier  Jahreszeiten,  durch 
Mädchen-  und  Frauengestalten  versinnbildlicht, 
dar,  und  haben  seinerzeit  auf  der  „Ausstellung 
München  1908",  wo  sie  im  Park  aufgestellt 
waren,  viel  Beifall  gefunden  (Abbildungen  im 
Juliheft  1908);  im  Garten  Boveris  sind  sie  in- 
dessen durch  die  Uebereckstellung  im  Qua- 
drat und  durch  die  grüne  Umrankung  der 
Sockel  viel  vorteilhafter  zur  Geltung  gebracht 
als  seinerzeit  in  München. 

Das  belebende  Element  des  Wassers,  das 
gerade  bei  Terrassenanlagen  zur  Entfaltung 
feiner  Wirkungen  Gelegenheit  bietet,  ist  reich- 
lich herangezogen.  Auf  der  obersten  Terrasse 
ist  ein  Brunnen  mit  fließendem  Wasser  ein- 
gerichtet; dasselbe  Wasser  durchströmt  eine 
Reihe  von  Brunnen  und  Becken  auf  den  ver- 
schiedenen Terrassen,  wo  es  besonders  den 
Vögeln,  die  den  Garten  beleben,  als  Bade- 
platz dient,  und  mündet  zuletzt,  nun  schon 
angenehm  erwärmt,  in  der  großen  Badeanlage, 
die  als  geräumiges  Schwimmbad  mit  hübscher 


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architektonischer  Ausgestaltung  in  einer  Ecke 
des  untersten  Gartens,  hinter  Ulmen  und  Pla- 
tanen verborgen,  ihren  Platz  fand. 

Sowohl  von  den  Fenstern  des  Gartenhauses 
aus,  wie  von  den  Terrassenabstufungen  bietet 
sich  ein  prächtiger  Blick  in  die  wundervolle 
Schweizerlandschaft,  die  von  der  Aare  durch- 
strömt und  von  den  Lägern-Bergen  umkränzt 
wird.  Dieser  Aussicht  zuliebe  mußte  die  gar- 
tenarchitektonische Anlage,  wie  es  auch  dem 
Wesen  des  Terrassengartens  entspricht,  tun- 
lichst horizontal  gehalten  werden,  d.  h.  größere 
Baumgruppen  und  hochansteigendes  Busch- 
werk mußten  auf  die  oberste  Terrassenstufe 
(hinter  dem  Gartenhaus)  und  auf  die  unterste, 
in  der  Gegend  der  Badeanlage,  sowie  auf  die 
gleichfalls  ganz  tiefgelegte  Allee  beschränkt 
bleiben;  außerdem  fanden  Bäume  nur  als  Be- 
grenzung am  Zaun  Verwendung.  Uebrigens 
bewährte  sich  bei  diesem  gartenarchitektoni- 
schen Teil  der  Anlage  die  bekannte  Münchner 
Firma  Möhl  &  Schnitzlein,  die  den  garten- 
technischen Teil  nach  Sattlers  Plänen,  etwa  in 
der  Art  fränkischer  Barockgärten,  ausgezeich- 
net ausführte.  Der  Bauherr  selbst  nahm  mit 
Geschmack  und  großer  Sachkenntnis  an  die- 


ser gartenarchitektonischen  Ausgestaltung  An- 
teil; er  lieh  guten  Vorschlägen  ein  geneigtes 
Ohr,  fand  aber  auch  selbst  vortreffliche  Lö- 
sungen und  schuf  Ausgezeichnetes  bei  An- 
pflanzungen und  Gruppierungen.  Da  eine  Gar- 
tenanlage nicht  etwas  zu  gewisser  Stunde  Ab- 
geschlossenes und  Endgültiges  ist  wie  beispiels- 
weise ein  Hausbau,  sondern  immer  weiter  sich 
entwickelt,  immer  neue  Gelegenheit  zur  Ver- 
vollkommnung und  Ausschmückung  gibt,  ist 
Herrn  Boveri  reiche  Möglichkeit  geboten,  an 
dem  Ausbau  und  der  Vervollständigung  seines 
Gartens  auch  fernerhin  weiterzuschaffen. 


Wenn  je  eine  Zeit  geeignet  war,  mehr  wie  eine 
andere  der  Anschauung  Raum  zu  geben,  daß  in 
Architektur  und  Kunstgewerbe  künstlerische  Wahr- 
haftigkeit, Knappheit  und  Sachlichkeit,  vollkom- 
menste Erfüllung  des  Zweckes  mit  den  einfachsten 
Mitteln  als  erste  Bedingung  gelten  soll,  so  ist  es 
die  unsrige.  Die  ganze  so  großartig  entwickelte 
moderne  Technik,  deren  Erzeugnisse  in  ungeheurer 
Mannigfaltigkeit  täglich  und  stündlich  uns  vor  Augen 
stehen  und  durch  unsere  Hände  gehen,  sie  ist  be- 
herrscht von  dem  obersten  Grundsatz:  die  größt- 
mögliche    Leistung     mit    den    geringstmöglichen 


ARCH.  KARL  SATTLER-MÜNClIhN 


LANDSITZ  BOVERI  BADEN  (SCHWEIZ)  :  TERRASSENANLAGE 
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Mitteln.  Haben  sich  nun  durch  das  beständige  Sehen 
und  Benutzen  jener  Erzeugnisse  unsere  Augen  und 
unser  Tastgefühl  mehr  und  mehr  an  die  sfruktiv- 
technische  Sachlichkeit  gewöhnt  und  unser  tekto- 
nisches  Formgefühl  dementsprechend  beeinflußt,  so 
ist  zudem  noch  unser  Körpergefühl  durch  die  außer- 
ordentliche Steigerung  der  Verkehrsmittel  für  eine 
größere  Bewegungsfähigkeit  sehr  empfänglich  und 
demnach  für  allen  hemmenden  und  beschwerenden 


Ballast  sehr  empfindlich  geworden.  Diese  psycho- 
logische Tatsache,  die  Beeinflussung  also  unseres 
Körpergefühls,  damit  auch  unseres  statischen  Ge- 
fühls, unseres  Formengefühls  überhaupt  durch  un- 
sere ganzen  von  der  modernen  Technik  umgestal- 
teten Lebensverhältnisse  kann  allein  den  Schlüssel 
bieten  zur  Erkenntnis  der  spezifischen  modernen 
Auffassungsweise  tektonischer  Aufgaben. 

R.  Streiter 


ARCII.  KARL  SAi  ILLK 


LANUüAi  .>  iiu\i  Kl,  liAiii.N  (.^cnVii.lZ):  TREPPEN- 
ANLAGR  MIT  PUTTO  VON  A.  VON  HILDEBRAND  ■ 


DekoratNe  Kunst.    XIX.    3,    Dezember  1915 


81 


82 


ARCH.  P.  L.  TROOST  a  BELEUCHTUNGSKÖRPER  AUS  DEM  NEBENSTEHEND  ABGEBILD.  RAUM 

Ausführung:  Wilhelm  &.  Co.,  München 


ARCH.  P.  L.  TROOST  OiSCHRANKCHI:N  AUS  DEM  NEBENSTEHEND  ABGEBILD.  RAUM 
Ausführung:  Vereinigte  Werkstalten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-G.,  München-Bremen 


83 


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ARCH.  P.L.TROOST-MONCHENqTEIL  AUS  DEM  VORRAUM  DER  AUSSTELLUNG  DER  VEREINIGTEN  .WERKSTATTEN, 
MÜNCHEN-BREMEN  AUF  DER  WERKBUND-AUSSTELLUNG  IN  KÖLN 


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ARCII.  P.  L.  TROOSr-MONCllEN  BELEUCHTUNGSKÖRPER 

Ausführung:  Vereinigte  U'crkslättcn  tür  Kunst  im  Handwerk  A.-G.,  München-Bremen 


85 


ARCH.  P.  L.  TROOST-MÜNCHEN 


SCHLAFZIMMER.  AUSSTELLUNG  DES  DEUTSCHEN  WERKBUNDES,  KÖLN 


Ausführung:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-G.,  München-Bremen 


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ARCH.  P.  L.  TROOST-MONCHEN  SCHLAFZIMMER.  AUSSTELLUNG  DES  DEUTSCHEN  WERKBUNDES,  KÖLN 

Ausführung:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-C,  München-Bremen 


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ARCH.  P.  L.  TROOST-MONCHEN  TOILETTENTISCH  AUS  VORSTEHEND  ABGEBILDETEM  SCHLAFZIMMER 

Ausführung:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-C,  München-Bremen 


88 


LUDWIG  GIES-MONCHEN 

I>ekoralive  Kunst.  XIX.    3.    Dezember  1915 


89 


KRIEGS-  UND  TRAUERSCHMUCK 
U 


ZEITMEDAILLEN  VON  LUDWIG  GIES 


Die  konzentrierte  Kunst  der  Medaille,  die 
mit  der  graphischen  Kunst  insoferne  Be- 
rührungspunkte besitzt,  als  sie  von  der  Wirk- 
lichkeitsabschilderung  wegrückt  und  den  dar- 
gestellten Gegenstand  ins  Symbolische  steigert, 
besitzt  in  dem  jungen  Münchner  Plastiker  Lud- 
wig GiES  einen  ihrer  besten  Interpreten.  Auf 
diesen  Seiten  ist  schon  des  öfteren  von  ihm 
die  Rede  gewesen  und  immer  galt  es,  seine 
Originalität  in  den  Einfällen,  seine  Sicherheit 
in  der  Komposition  und  räumlichen  Aufteilung 
und  seine  ausgezeichnete  Beherrschung  der 
Technik  zu  rühmen.  Dieser  Krieg  und  seine 
Auswirkungen  in  der  Heimat  haben  Gies'  Ein- 
bildungskraft außerordentlich  befruchtet.  Nahe- 
liegende Allegorien,  mit  denen  sich  manche  sei- 
ner Kunstgenossen  zufrieden  geben,  verschmäht 
er,  verächtlich  schiebt  er  die  Bettelsuppe  bil- 
liger „Ideen"  von  sich.  Er  steigt  in  die  Tiefe 
und  schöpft  aus  den  Urgründen  künstlerischen 
Ingeniums.  Indessen  wird  seine  Kunst  des- 
wegen nicht  „dunkel"  und  mystisch.  Ihre  helle 
Klarheit,  Durchsichtigkeit  und  Eindeutigkeit  sind 
„medaillengemäß"  im  besten  Sinn  der  Tradition. 
Wenn  Vittore  Pisano  oder  die  Florentiner  Me- 
dailleure des  Quattrocento,  die  heute  noch  vor- 
bildlich sind,  auf  den  Reversen  ihrer  Porträt- 
medaillen durch  eine  symbolische  Darstellung 
ein  Ereignis,  einen  Zeitgedanken  oderdas  Wesen 
des  Porträtierten  zu  umschreiben  unternahmen, 
so  strebten  sie  wohl  nach  Größe  und  Neuartig- 
keit des  Einfalls  und  der  Form,  aber  niemals 
auf  Kosten  der  Klarheit  und  Leichtfaßlichkeit. 
So  hält  es  auch  Gies.  Es  gibt  bei  den  Darstel- 
lungen auf  seinen  Medaillen  Einfälle,  die  ganz 
naiv  sind,  volkstümlich,  kindlich.  Da  drückt  der 
Soldat  seinem  Liebchen  unterm  Kruzifix  die 
Hand  oder  sie  küssen  sich  zum  Abschied  unter 
dem  blühenden  Baum,  eine  trauernde  Frau  legt 
ihr  Kränzlein  auf  ein  Soldatengrab  oder  der 
schönste  Kindermärchenengel  mit  Flügelein  und 
Strahlenkranz  schwebt  himmelwärts  und  flicht 
den  Lorbeer  um  die  Pickelhaube:  in  beiden 
Fällen  trägt  die  Medaille  die  Inschrift:  „Ich  be- 
klage einen  deutschen  Helden"  und  ist  als  Trauer- 
schmuck  für  die  Frauen  gedacht.  Ueberhaupt 
hat  Gies  bei  seinen  neuen  Schöpfungen  immer 
eine  sinngemäße  Verwendung  im  Auge.  Nur 
ganz  wenige  Stücke  —  eigentlich  nur  die  aus- 
gesprochen „artistischen"  —  sind  als  Sammel- 
objekte, als  Schaumünzen  im  alten  Sinn,  ge- 
dacht, die  meisten  sollen  praktischen  Zwecken 


zugeführt  werden  als  Anhänger,  Brosche,  Amu- 
lett, Abzeichen.  Daher  ist  für  die  Ausführung 
billiges  Material  gewählt,  beispielsweise  eine 
Messingmischung,  wie  sie  bei  alten  Devotio- 
nalmedaillen  gebräuchlich  war:  durch  Erkennt- 
nis der  technischen  Möglichkeiten  dieses  Mate- 
rials und  durch  seine  sachgemäße  Behandlung 
sind  gerade  damit  sehr  reizvolle  Wirkungen 
erzielt  worden  . . . 

Als  Broschen  sind  z.  B.  die  Gußmedaillen 
„Der  russische  Bär"  und  „Seegefecht"  aus- 
gebildet, die  beide  trotz  des  Ernstes  ihres  Vor- 
wurfs einer  feinen  humoristischen  Ausdeutung 
nicht  entraten.  Das  „Seegefecht"  wird  durch 
zwei  wütend  gegeneinander  anstürmende  Wal- 
fische verkörpert;  jedes  dieser  beiden  merk- 
würdigen Schiffe  trägt  eine  Schar  erzgepanzerter, 
in  Waffen  starrender  Männer  auf  dem  Rücken, 
Lanzen  sind  gezückt  und  zum  allgemeinen  Er- 
götzen beteiligen  sich  auch  die  Walfische  durch 
Ausstoßen  hoher  Wassersäulen  am  Kampf.  Sehr 
fein  und  graziös  ist  die  Silberplakette  mit  den 
vor  der  einschlagenden  Granate  erschreckt  stei- 
genden Pferden,  hier  ist  das  schwierige  Be- 
wegungsproblem, das  eigentlich  zu  dem  ruhe- 
vollen Charakter  einer  Medaille  nicht  völlig 
paßt,  aufs  glücklichste  bezwungen.  Originelle 
Motive  bieten  ferner  die  Medaillen  „Häuslicher 
Herd",  wo  man  Anklänge  an  die  Heilige-Familie- 
Bilder  der  deutschen  Kleinmeister  herausspürt, 
und  die  Medaille  „Betende  Flüchtlinge",  die 
mir  wie  eine  künstlerische  Apotheose  auf  die 
Russennot  Ostpreußens  erscheint . . . 

Wer  diese  und  andere  Kriegs-  und  Zeitmedail- 
len und  Denkzeichen  von  Ludwig  Gies  auf  der 
Sommerausstellungder  Münchner  Secession  sah, 
dazu  eine  ganze  Anzahl  tüchtiger  Arbeiten  gleich- 
gesinnter  Mitstrebender,  die  wie  Gies  zumeist 
Schüler  des  feinsinnigen  Heinrich  Wadere  an  der 
MünchnerKunstgewerbeschulewaren,derkonnte 
sich  von  Herzen  freuen,  daß  neben  dem  billigen 
industriellen  Schund  von  Kriegsdenkzeichen,  der 
jetzt  in  vielen  Tausenden  von  Exemplaren  auf 
den  Markt  geworfen  und  gekauft  wird,  und  neben 
dem  einfältigen  allegorischen  Kitsch,  den  soge- 
nannte Künstler  produzieren,  doch  auch  aus  dem 
großen  Geist  der  Zeit  heraus  Medaillenschöp- 
fungen entstehen,  die  ihrem  Wert  nach  die  heu- 
tige Generation  überdauern  und  kommenden 
Geschlechtern  im  Abglanz  eine  Vorstellung 
vermitteln  werden  von  der  Wirkung  der  großen 
Ereignisse  auf  die  Kunst.  Wolf 


90 


LUDWIG  GIES-MONCHEN 


91 


KRIEGS-  UND  TRAUERSCHMUCK 
12» 


DRESDENER  MARGARETEN-SPITZE 


SCHULE  MARGARETE  NAUMANN-DRESDEN 


DIE  DRESDENER  MARGARETEN-SPITZE 


Diese  neue  Technik  entspringt  einer  Weiter- 
bildung der  Makrame-Technik  und  es  ist 
erstaunlich,  wieviele  Möglichkeiten  künstleri- 
scher Wirkung  hierbei  vorhanden  sind,  von 
der  feinsten  duftigsten  Art  der  Spitze  bis  zur 
Posamenten-Wirkung  und  zu  entzückenden 
plastischen  Gebilden.  Die  Technik  befindet 
sich  noch  in  der  Entwicklung  und  so  sieht 
man  neben  fertigen  Borten,  Kragen,  Besätzen, 
welche  zu  direkter  Verwendung  für  elegante 
Kostüme  reizen,  auch  Versuche  verschiedenster, 
besonders  auch  farbiger  Art.  Es  fallen  ver- 
schiedene naive  Darstellungen  figürlicher 
Art  auf,  welche  von  den  Arbeiterinnen,  meist 
jungen  Mädchen  aus  dem  Arbeiterstande  aus 
reiner  Freude  an  dieser  Technik  und  ihren 
schöpferischen  Möglichkeiten  geschaffen  wur- 
den.    Aus  Freude  an  der  Arbeit!     Wie  dies 


klingt  im  20.  Jahrhundert,  wo  Tausende  von 
Mädchen  mechanische  Fabrikarbeit  verrichten 
und  Freude  ganz  wo  anders  suchen  als  in  der 
Arbeit.  Ernste  soziale  Gedanken  lösen  sich 
bei  dieser  Beobachtung  aus.  Woran  liegt  es, 
daß  diese  Spitzen-Arbeiterinnen  bei  beschei- 
denem Lohne  an  ihrer  Arbeit  froh  werden, 
sich  ihrer  freuen? 

Man  muß  das  feine  Lehrtalent  von  Mar- 
garete Naumann,  der  Erfinderin  dieser  Spitzen, 
kennen,  um  dies  zu  beantworten. 

Nach  kurzer  Unterweisung  in  schönen  Rei- 
hungen und  Gliederungen  erfinden  und  ent- 
wickeln die  Arbeiterinnen  ohne  jede  Vorzeich- 
nung, während  dem  Knüpfen  ihre  Muster. 
Von  einfachsten  Grundlagen  ausgehend,  wird 
ihre  Phantasie  immer  sicherer  und  reicher, 
so  daß  sie  aus  Freude  an   diesem  schöpferi- 


DRESDENER 
MARGARETEN- 
SPITZE 


SCHULE 
MARGARETE  NAU- 
MANN-DRESDEN 


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DRESDENER 
MARGARETEN-  SPITZEN 


SCHULE  MARGARETE 
NAUMANN-DRESDEN 


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DRESDENER  MARGARETEN-SPITZE 


SCHULE  MARGARETE  NAUMANN-DRESDEN 


sehen  Können  Darstellungen  von  Tieren,  Men- 
schen und  Blumen  knüpfen  in  so  selbstver- 
ständlicher naiver  Art,  wie  die  Volkskunst  es 
stets  getan.  Wie  oft  mußte  in  Vorträgen  ge- 
warnt werden,  Volkskunst  nachmachen  zu 
wollen,  wir  könnten  nicht  mehr  so  einfach 
und  herzlich  fühlen,  und  hier  in  diesen  Spitzen  — 
hier  fließt  aus  einer  neuen  Technik  echte  ge- 
mütswarme Volkskunst.  Diese  Erzeugnisse 
behaupten  sich  in  Museen  unter  den  schönsten 
Arbeiten  alter  textiler  Kunst,  sei  sie  aus  dem 
Morgen-  oder  Abendlande.  Und  Volkskunst 
ist  hier  nicht  Bauernkunst,  sondern  überhaupt 
unverfälschter  schöpferischer  Volksgeist,  dessen 
Erzeugnisse  auch  Fürsten  zieren. 

Diese  neu  aufgebrochene  Blüte  ist  aber  in 
unserer  Zeit  der  Maschine  und  der  kalten 
Profitrechnungen  tödlichen  Gefahren  ausge- 
setzt. Beschützen  und  pflegen  können  diese 
Blüte  nur  jene,  welche  fühlen,  daß  unsere 
deutsche  Kultur  nicht  nur  auf  Geldgewinn, 
sondern  und  nicht  zuletzt  auf  einer  Schöpfer- 
freude aufgebaut   ist,   welche   ihre  Lebensbe- 


friedigung in  sich  selbst  findet  und  lieber 
materiell  bescheiden  lebt  und  kämpft,  als 
diese  Schöpferfreude  entbehrt.  Sollte  es  nicht 
Aufgabe  der  Verständigen  sein,  derartige  Re- 
gungen der  Volksseele  zu  stützen  und  zu  er- 
halten, gegenüber  dem  Materialismus?  Vor- 
aussetzung ist  allerdings  die  Erkenntnis,  daß 
ein  Hundertmarkschein  nur  ein  Tausch,  aber 
kein  Wertobjekt  ist.  Diese  Spitzenfechnik 
kann  für  die  Industrie  zunächst  nur  künstle- 
risch anregend  sein,  muß  aber  Handarbeit 
bleiben,  wenn  ihre  inneren  und  wichtigsten 
Werte  erhalten  werden  sollten.  Die  Spitze 
müßte  sich  auf  dem  Markte  einen  derartigen 
Qualitätswert  erringen,  daß  jedes  Stück  als 
Originalstück  gewertet  und  eingeschätzt  -wird. 
Alles  Verlangen  nach  billigerer  Herstellung 
muß  abgewiesen  werden,  damit  sie  nicht  dem 
Jahrmarkts-Schicksal  der  Klöppelspitze  ver- 
fällt. In  diesem  Sinne  ist  diese  Spitzen-Technik 
jeder  Unterstützung  wert,  sowohl  vom  künst- 
lerischen wie  vom  volkswirtschaftlichen  Stand- 
punkte aus.  K.  Gross 


DRESDENER 
MARGARETEN- 
SPITZEN 


SCHULE 
MARGARETE  NAU- 
MANN-DRESDEN 


94 


REISZBRETT  UND  BELEUCHTUNGSKÖRPER 


Viele  Beleuchtungskörper,  die  von  moder- 
nen Künstlern  gleichzeitig  mit  der  übri- 
gen Ausstattung  eines  Raumes  gezeichnet  wur- 
den, tragen  den  gleichen  Fehler.  Sie  wirken 
nüchtern,  kalt  und  stören  die  sonst  vielleicht 
vorzügliche  Raumstimmung  gerade  durch  ihr 
ängstliches  Bestreben,  sich  mit  der  Formen- 
sprache der  Umgebung  in  absoluten  Einklang 
zu  setzen. 

Der  unbefangene,  mit  natürlichen  künstleri- 
schen Instinkten  begabte  Beobachter  empfindet 
dieses  Bestreben  als  Nachteil,  wenn  er  sich 
auch  über  den  Grund  seines  Gefühls  nicht 
klar  wird.  Und  doch  ist  der  Grund  recht  ein- 
fach. Der  Beleuchtungskörper  gehört  eben  nicht 
in  dem  Sinne  zur  Raumausstattung  wie  Möbel 
und  Wandbekleidung.  Sein  völlig  isolierter 
Platz  berechtigt  ihn  nicht  nur  zur  freiesten 
Abweichung  von  der  Formensprache  des  Rau- 
mes, sondern  verpflichtet  ihn  geradezu,  durch 
wohltuende  Kontrastwirkung  die  wohnliche 
Stimmung  zu  steigern.  Er  wird  unbewußt  stets 
als  unabhängiges  Gerät  empfunden,  das  als 
Ganzes  für  sich  der  Beurteilung  unterliegt.  Der 
Architekt  wird  beim  Entwurf  immer  geneigt 
sein,  in  mehr  oder  weniger  nüchterner  Linien- 
berechnung den  Beleuchtungskörper  als  Detail 
der  Zimmereinrichtung  zu  behandeln,  als  Detail, 
das  nur  in  Zusammenwirkung  mit  dem  Gan- 
zen den  beabsichtigten  Stimmungsakkord  er- 
zeugen hilft.  Tatsächlich  wird  aber,  wie  schon 
gesagt,  dieses  Zusammenwirken  in  ganz  anderer 
Weise  empfunden  als  das  Reißbrett  vortäuschen 
möchte.  Der  konstruierte  Zusammenhang  ist  in 
Wirklichkeit  kaum  vorhanden,  und  der  Be- 
leuchtungskörper erscheint,  auf  sich  selbst  an- 
gewiesen, ärmlich  und  nüchtern.  Es  entscheiden 
Werte  in  seiner  Wirkung,  die  auf  dem  Papier 
keine  Geltung  hatten,  und  die  mangelhafte 
Fachkenntnis  des  Künstlers,  der  über  diese 
Werte  nicht  gebot,  macht  sich  unangenehm 
bemerkbar.  Man  kann  sich  sehr  wohl  bei- 
spielsweise einen  Metallbeschlag  vorstellen, 
der  an  sich  betrachtet  handwerklich  nicht  ein- 
wandfrei ist  und  trotzdem  in  Verbindung  mit 
dem  Möbel  die  beabsichtigte  Wirkung  auslöst. 
Ein  Beleuchtungskörper  dagegen,  der  die  Merk- 
male mangelhafter  Technik  verrät,  kann  durch 
die  Wechselwirkung  mit  seiner  Umgebung  nicht 
veredelt  werden.  Sein  exponierter  Platz  im 
Raum  verlangt  gebieterisch  die  Ausnützung 
aller  kunsthandwerklichen  Traditionen  und  bietet 
für  dilettantische  Versuche  die  allerungünstigste 
Gelegenheit.    Auch  originelle,  oder  sich  so  ge- 


bärdende Formgedanken  können  hier  nicht  über 
Schwächen  hinwegtäuschen.  Vielleicht  für  we- 
nige Augenblicke  der  Ueberraschung,  nachher 
wird  gerade  das  konstruiert  Originelle  zur  un- 
erträglichen Aufdringlichkeit.  Denn  eben  weil 
der  Beleuchtungskörper  so  der  beständigen 
Beachtung  ausgesetzt  ist  und  auch  im  bewohn- 
ten Raum  nicht  wie  Möbel  und  Wände  durch 
das  zahlreiche  Zubehör  persönlichen  Lebens 
in  der  Wirkung  beeinflußt  und  der  Gesamt- 
stimmung eingepaßt  werden  kann,  verlangt  er 
von  vornherein  zurückhaltende  Formgebung. 
Wenn  irgendwo,  so  ist  beim  Beleuchtungskör- 
per eine  gewisse  Anlehnung  an  das  gesund 
Traditionelle  und  Typenhafte  berechtigt.  Da- 
für zu  sorgen,  daß  diese  Eigenschaften  nicht 
identisch  werden  mit  äußerer  und  innerer  Arm- 
seligkeit, liegt  nicht  in  der  Macht  des  Reiß- 
brettkünstlers. Nur  der  Fabrikant,  der  kunst- 
handwerkliche Ueberlieferungen  und  kultivier- 
tes Empfinden  in  sich  vereinigt,  kann  in  dieser 
Beziehung  auf  seinem  Sondergebiet  wirkliche 
Fortschritte  zur  Reife  bringen. 

Hält  man  unter  diesem  Gesichtspunkt  in 
der  modernen  Beleuchtungskörperindustrie  kri- 
tisch Umschau,  so  erscheinen  die  bisher  er- 
zielten Resultate  ziemlich  kläglich.  Es  ist  ver- 
ständlich, daß  der  einkaufende  Bauherr  diesem 
unreifen  Chaos  mutlos  den  Rücken  kehrt,  um 
bei  seinem  Architekten  Rat  und  Hilfe  zu  su- 
chen. Andere  geben  sogar  die  Hoffnung  auf, 
in  Deutschland  überhaupt  zu  finden,  was  ihr 
Instinkt  vom  Beleuchtungskörper  verlangt. 
Frankreich  und  England  waren  die  Länder, 
die  in  solchem  Fall  herangezogen  wurden, 
nicht  ohne  jede  Berechtigung,  denn  in  beiden 
Ländern  hat  die  betreffende  Industrie  ihre  Tra- 
ditionen besser  zu  nutzen  verstanden.  Und  das 
Traditionelle  ist  wie  gesagt  manchem  fein  emp- 
findenden Laien  beim  Beleuchtungskörper  er- 
träglicher als  das  Originelle.  Der  Krieg  wird 
für  absehbare  Zeit  die  Nachbarländer  auch  auf 
diesem  Gebiet  für  deutsches  Empfinden  un- 
möglich machen,  aber  unsere  Industrie  wird 
aus  dieser  Tatsache  so  lange  keinen  Nutzen 
ziehen,  wie  sie  nur  den  kaufmännischen  Nutzen 
darin  erblickt. 

Die  Beleuchtungskörperfabriken  Deutsch- 
lands werden  in  der  Mehrzahl  nach  rein  kauf- 
männischen Gesichtspunkten  geleitet.  Großer 
Umsatz,  billige  Preise,  Export,  Konkurrenz 
sind  wichtiger  für  die  Inhaber  als  das  Streben 
nach  innerer  Gediegenheit  und  andere  ästhe- 
tische Momente,  deren  Nutzen  nicht  unmittel- 


95 


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WEIHNACHTSTELLER 


AUSFÜHRUNG:  KCL.  PORZELLAN- 
MANUFAKTUR MEISZEN  B 


bar  in  der  nächsten  Jahresbilanz  nachzuwei- 
sen sind.  Man  schlägt  und  unterbietet  sich 
um  die  Ausführung  der  Beleuchtungskörper 
für  irgendein  protziges  Kaffee-  oder  Warenhaus, 
ohne  zu  bedenken,  daß  ein  einziger  großer 
Auftrag,  bei  dem  zur  Einhaltung  unmöglicher 
Preise  alle  ehrliche  Werkstattsgesinnung  ver- 
leugnet werden  muß,  den  schwer  erworbenen 
direkten  Nutzen  indirekt  wieder  aufhebt.  Eine 
Werkstatt,  aus  der  nur  einmal  Schund  hervor- 


ging, wird  den  Weg  zur  Gediegenheit  schwer- 
lich wiederfinden.  Es  lohnt  sich,  einen  Blick 
auf  die  Arbeitsweise  größerer  Beleuchtungs- 
körperfabriken zu  werfen  mit  Bezug  auf  die 
Art  und  Weise,  wie  sich  bei  ihnen  Kunst  und 
Gewerbe  zum  Kunstgewerbe  vereinigen.  Besser 
gesagt:  vereinigen  möchten,  denn  die  Verbin- 
dung ist  meist  recht  locker. 

Viele  Betriebe  beziehen  ihre  Entwürfe,  mehr 
oder  weniger  bestechlich  gezeichnete  Blätter, 


WEIHNACHTSTELLER 


AUSFÜHRUNG:  KGL.  PORZELLAN- 
MANUFAKTUR MEISZEN  D 


96 


WEIHNACHTSTELLER    a 
ENTWURF:  FRITZ  KLEE 


AUSFÜHRUNG:  FACHSCHULE  FCR 
PORZELLANINDUSTRIE,  SELB        o 


entweder  von  (es  ist  leider  nicht  anders  auszu- 
drücken) hausierenden  Zeichnern,  oder  von 
ihren  Spezialzeichnern,  deren  mancher  seiner- 
seits eine  ganze  Reihe  Zeichner  beschäftigt. 
Jeder  dieser  Leute  züchtet  dank  seiner  ein- 
seitigen Beschäftigung  am  Reißbrett,  in  sich 
die  Fähigkeit,  Beleuchtungskörperentwürfe  ge- 
radezu aus  dem  Aermel  zu  schütteln.  Irgend- 
welche technische  Verantwortung  trägt  der 
Zeichner  nicht,  nur  selten  bekommt  er  das  von 
ihm  entworfene  Stück  zu  Gesicht. 


Andere  Betriebe  haben  ihre  eigenen  Zeichen- 
ateliers. Mit  erstaunlicher,  durch  den  Kon- 
kurrenzkampf bedingter  Geschwindigkeit  wer- 
den hier  umfangreiche  Offerten  ausgearbeitet 
mit  zahlreichen  Entwurfskizzen.  Damit  ist  im 
allgemeinen  der  künstlerische  Teil  der  Aufgabe 
erledigt.  Die  nötigen  Werkzeichnungen  sind 
meist  oberflächlich  und  bezüglich  der  techni- 
schen Einzelheiten  so  vieldeutig,  wie  es  bei- 
spielsweise im  Tischlergewerbe  undenkbar  wäre. 
Die  Metalltechnik  läßt  eben  immer  viele  Lö- 


WEIHNACHTSTELLER    □     AUSFÜHRUNG     KCL.    POR- 
ZELLANMANUFAKTUR   MEISZEN 


WEIHNACHTSTELLER  B  ENTW.:  JUL.  DIEZ;  AUSFÜH- 
RUNG: K.  PORZELLANMANUFAKTUR  NYMPHENBURC 


Oekoraiivr  Knust.  XI.\.     i.     Dezember   1915 


97 


13 


WEIHNACHTSTELLEK    Q     AUSFÜHRUNG:    KGL.  POR- 
ZELLANMANUFAKTUR BERLIN 


WEIHNACHTSrtLLhK  Q  ENIMUKI  ;    LUDWIG  v.  ZUM- 
BUSCH   B   AUSF.:   PH.  ROSENTHAL  &  CO.   A.-G.,  SF.LB 


sungen  zu,  und  ein  gewissenloser  Fabrikant,  dem 
ein  nach  Zeichnung  abgegebener  Preis  beschnit- 
ten wird,  findet  durch  Anwendung  einer  billi- 
geren Technik  immer  noch  die  Möglichkeit, 
„zurechtzukommen".  Wenn  er  sie  nicht  selbst 
findet,  findet  sie  der  Meister,  der  bezüglich  der 
technischen  Ausführung  die  Entscheidung  hat 
und  meist  die  Preisberechnung  ausführt.  Bei  alle- 
dem ist  der  Künstler  so  gut  wie  ausgeschlossen, 
und  je  größer  der  Betrieb,  desto  schärfer  ist 


diese  Trennung  von  Reißbrett  und  Handwerk. 
Glücklicherweise  gibt  es  Ausnahmen;  Werk- 
stätten, wo  Kunst  und  Handwerk  in  glücklicher 
Verbindung  wertvollere  Erzeugnisse  schaffen. 
Aber  solange  bei  der  Mehrzahl  der  Fabrikan- 
ten der  Kaufmann  das  erste  und  letzte  Wort 
behält,  solange  wird  beim  Beleuchtungskörper 
und  bei  manchem  anderen  kunsthandwerkli- 
chen Erzeugnis  das  Reißbrettkunsfgewerbe  sein 
totes  Leben  weiter  führen.        Paul  Bischoff 


WEIHNACHTSTELLER    D    AUSFÜHRUNG  :  KOPENHAGENER  FAYENCEFABRIK  BING  &  GRÖNDAHL,   KOPENHAGEN 


98 


RICHARD  L.  F.  SCHULZ-BERLIN 


BELEUCHTUNGSKÖRPER 


QUALITÄT  UND  GESCHMACK. 

zu  DEN  BELEUCHTUNGSKÖRPERN  VON  RICHARD  L.F.SCHULZ,  BERLIN 


Sachlichkeit  war  vor  fünf  Jahren  das  Feld- 
geschrei des  neuen  Kunstgewerbes.  Alles, 
was  sich  vor  dem  Begriff  nicht  ausweisen 
konnte,  war  Verbrechen,  war  Laster,  war 
Barbarei.  Ich  entsinne  mich  noch,  wie  einer 
der  damaligen  Kunstgewerbe-Vielschreiber  den 
Frauenhut  verdammte.  Vielleicht  lesen  die 
Theoretiker,  die  jetzt  eine  deutsche  Mode 
machen  wollen,  die  Stelle  noch  einmal  nach: 
„Da  gibt  es  Bänder,  die  nichts  binden  und 
Schließen,  die  nichts  schließen  .  .  ."  O  Greuel, 
o  Greuel.  Es  war  eine  schlimme  Sache  um 
den  Hut  unserer  Damen.  Schlimm,  sehr 
schlimm,  bis  man  verstanden  hatte,  daß  ein 
Begriff  wie  die  Sachlichkeit  doch  nicht  allen 
Erscheinungen  des  künstlerischen  und  gewerb- 
lichen Lebens  gerecht  werde.  Und  Worte 
blühen  und  vergehen.  Man  hat  sogar  im  Ver- 
lauf der  merkwürdigen  Entwicklung,  die  das 
neudeutsche  Kunstgewerbe  ja  hinter  sich  ge- 


bracht hat,  der  Sachlichkeit  mehr,  viel  mehr 
als  gut,  entraten.  Dafür  ist  ein  neues  Wort 
den  Zungen  geläufig  geworden,  ein  sehr  gutes 
Wort,  denn  es  heißt:  Qualitätsarbeit. 

Qualitätsarbeit  ist  unbedingt  eine  der  An- 
forderungen, die  an  alle  menschlichen  Betäti- 
gungen gestellt  werden  sollten.  Richtige,  ge- 
diegene, nicht  zu  übertreffende  Arbeit,  das  ist 
eine  der  Voraussetzungen  für  alles  Ausgezeich- 
nete, was  Menschengeist  und  Menschenhände 
hervorbringen  können.  Mit  militärischer 
Qualitätsarbeit  besiegt  man  eine  halbe  Welt 
voll  Feinde,  ballistische  Qualitätsarbeit  allein 
vermag  sich  auszuwachsen  zum  42- Zentimeter- 
Mörser,  die  Qualitätsarbeit  der  technischen 
Industrie  baut  Dreadnoughts  und  Untersee- 
boote, konstruiert  Flugzeuge,  spannt  mächtige 
Brücken  über  Flüsse  und  Täler.  Der  Faust, 
die  Rembrandtsche  Anatomie  oder  gotisches 
Maßwerk,    das   alles  ist  auch  Qualitätsarbeit. 


99 


13» 


RICHARD  L.  F.  SCHULZ-BERLIN 

Und  es  ist  ganz  klar,  daß  der  Künstler  oder 
der  Handwerker,  die  etwas  von  Wert  schaffen 
wollen,  immer  auszu- 
gehen haben  von  der 
qualitätvollen  Arbeit. 
Theoretisch  hat  man 
das  bei  uns  wohl  be- 
griffen und  scheint  es 
ganz  besonders  begrif- 
fen zu  haben  in  unse- 
rem Kunsthandwerk 
und  unserer  Kunstin- 
dustrie. Denn  nirgends 
betont  man  so  sehr, 
wenn  man  von  sich 
redet  und  sich  in  ein 
vorteilhaftes  Licht  set- 
zen will,  die  Qualitäts- 
arbeit; in  Wirklichkeit 
ist  aber  das  Wort 
Qualitätsarbeit  gerade 
hier  nur  ein  Wort, 
ein  ruhmrednerisches 
Wort  geblieben.  Neun 
Zehntel  alles  neu- 
deutschen Kunstge- 
werbes war  als  tech- 
nische und  manuelle 
Arbeitsleistung  nicht 
mehr  als   halbwertig.      richard  l.  f.  schulz 


TISCHLAMPEN 

Beweis:  die  in  der  amtlichen  Denkschrift  der 
Bayerischen  Gewerbeschau  zum  Ausdruck  ge- 
brachte Anschauung, 
daß  Farben  Wirkung  und 
gute  Form  „eine  unbe- 
dingte Voraussetzung 
für  jede  Qualitätslei- 
stung ist,  während  sich 
die  technische  Vollen- 
dung relativ  begrenzt 
denken  läßt".  Von  die- 
ser Qualitätsarbeit,  die 
technisch  nicht  voll- 
wertig ist,  und,  wie 
Köln  jaaller  Weltoffen- 
bart hat,  die  auch  for- 
mal das  meiste  zu  wün- 
schen übrig  ließ, haben 
wir,  denke  ich,  genug. 
Also  folgen  wir  ein- 
mal denen,  die  die  allei- 
nigen und  wahren  Füh- 
rer des  Kunsthandwer- 
kers und  Kunstindu- 
striellen sein  sollten, 
folgen  wir  den  ganz 
Wenigen,  die  die  Qua- 
litätsarbeit nicht  nur  im 
Munde  führten,  son- 
TiscHLAMPE       dem     sie     in     ihrem 


100 


RICHARD  L.  F.  SCHULZ 


Schaffen  auch  wirklich 
betätigen,denen, die  sich 
schämten,  ein  schlech- 
tes, ein  nicht  vollkom- 
men durchdachtes  und 
vollkommen  durchgear- 
beitetes Stück  unter 
ihrem  Namen  herauszu- 
geben. Kämen  wir  wäh- 
rend dieses  Krieges,  der 
ja  überall  den  Sinn  für 
das  Echte  und  Gedie- 
gene steigert,  zu  dieser 
gesunderen  Auffassung 
der  kunstgewerblichen 
Verhältnisse,  es  würde 
zwei  fellos  ein  gewaltiges 
Verblassen  von  klingen- 
den Namen  geben.  Un- 
ter denen  aber,  die  un- 
antastbar blieben,  wäre 
der  des  Richard  L.  F. 
Schulz,  der  im  heutigen 
Berlin,  vielleicht  imheu- 
tigen  Deutschland  über- 
haupt, als  der  eifrigste 
und  überzeugendste  An- 
walt der  geschmackvollsten  Qualitätsarbeit  an- 
zusehen ist. 

Es  sind  hier  ein  paar  seiner  Leuchtkörper 
abgebildet,  schöne,  gediegene,  vornehme 
Bronzearbeiten,  wie  sie  besser  und  formvoller 
wohl  in  der  ganzen 
Welt  nicht  mehr 
hergestellt  werden 
dürften .  Zu  dem  ein- 
zelnen Stück  mag 
der  Geschmack  sich 
stellen,  wie  er  will, 
gegen  die  Güte  die- 
ser Produktion,  ge- 
gen ihre  handwerk- 
liche Lauterkeit 
kann  es  Einwendun- 
gen nichtgeben.  Sie 
sind  Erzeugnisse  ei- 
ner Werkstatt,  die 
nach  der  Richtung 
hin  keine  Konzes- 
sionen kennt.  Einer 
Werkstatt,  die  dar- 
um auch  als  vorbild- 
lich anzusehen  ist. 

Wenn  ich  recht 
unterrichtet  bin, 
dann  war  sie  noch 
vor  zehn  Jahren,  als 
dieser   Rieh.  L.  F.        kichard  l.  f.  schulz 


TISCHLAMPE 


Schulz  sie  von  seinem 
Vater  übernahm,  ein  Be- 
trieb wie  so  viele  andere, 
die  damals  bestanden. 
Es  werden  da  Beleuch- 
tungskörper undBronze- 
waren  fabriziert  worden 
sein,  wie  sie  zu  jener 
Zeit  marktgängig  waren 
und  wie  sie  noch  kei- 
neswegs ganz  aus  den 
Musterkatalogen  dieser 
Branche  verschwunden 
sind.  Mag  sein,  daß  die- 
ser Schulzsche  Betrieb 
sich  auch  ausgewachsen 
hätte  zu  einer  Riesenge- 
sellschaft mit  Riesenum- 
satzziffern,  wenn  einer 
solchen  Produktion  für 
den  landläufigen,  das 
heißt:  seichten, auf  halb- 
wenige  Arbeit  einge- 
stellten Publikumsge- 
schmack sich  nicht  ein 
herrischer  Wille  entge- 
gengestemmt hätte, eben 
der  Wille  ihres  neuen  Leiters,  der  es  als  eine 
Ehrensache  ansah,  nichts  mehr  herzustellen 
und  nichts  zu  verkaufen,  was  nicht  den 
äußersten  Anforderungen  an  Qualität  stand- 
hielte.    In  ihm  erstand  etwas  gänzlich  Neues 

für  unser  Kunst- 
handwerk: der  Ehr- 
geiz den  Markt  zu 
beherrschen,  nicht 
dadurch,  daß  er  die 
meisten ,  sondern 
daß  er  unstreitig  die 
besten  Waren  sei- 
ner Spezies  ver- 
trieb. Damit  wandte 
er  sich  an  den  klei- 
nen Kreis  der  Ken- 
ner, an  das  winzige 
Häuflein  der  Lieb- 
haber des  Echten, 
des  ganz  Guten  und 
—  dieser  Wille 
zur  Qualität  endete 
durchaus  nicht,  wie 
die  Verteidiger  des 
gangbaren  Schun- 
des immer  einzu- 
wendenpflegen, mit 
einem  Mißerfolg. 
Im  Gegenteil,  die- 
iiscHLAMPE      sem  Schulz  gelang 


101 


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RICHARD 
L.F.SCHULZ-BERLIN 


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BELEUCHTUNGS- 
KÖRPER 


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RICHARD  L.  F.SCHULZ 


es,  da  er  wie  kaum  ein  zwei- 
ter Geschmack  hatte,  einen 

Geschmack,   der  an   dem 

Auserwähltesten  aus  aller 

Herren    Länder    geschult 

war,  was  wohl  keinem  von 

den  eifrigen  Vertreibern  je- 
nes Basarkitsches  jegelun- 

gen  sein  dürfte,  sich  einen 

Kreis  von  Abnehmern,  ei- 
■  nen  Kreis  von  Freunden 

seiner  Arbeit  zu  schaffen, 

der  das  eine  nur  bedauerte, 

daß  diese  Produktion  auf 

Beleuchtungskörper     und 

Bronzewaren     beschränkt 

blieb. 

Gelegentlich  gab  es  ja 

auch    zwischen    den    Be- 
leuchtungskörpern einmal 

ein  schönes  Stück,  einen 

Fetzen  Batik,ein  englisches 

Glas,    ein   dalmatinisches 

Osterei,  das  Schulz  von 
seinen  Reisen  durch  die 
Welt  für  sich  und  mehr 
aus  Liebhaberei  oder  aus  Aufmerksamkeit  für 
seine  Freunde  mitgebracht  halte  und  mit  immer 
neuem  Glück  aufzuspüren  wußte.  Vielleicht 
wie  wir  alle  angeekelt  von  dem  Zeug,  das  von 
Jahr  zu  Jahr  mehr  in  den  sogenannten  Berliner 
Kunstgewerbehäusern  feilgeboten  wurde,  hat  er 
in  der  Bellevuestraße 
schließlich  jenen  La- 
den eröffnet,  in  dem  es 
neben  seinenBeleuch- 
tungskörpern  das  nicht 
allzu  zahlreiche  Kun  st- 
gewerbe  gibt,  das  die- 
sen Bronzewaren  an 
Geschmack  und  Ge- 
diegenheit nicht  nach- 
steht. Damit  hatte  Ber- 
lin das  Kunstgewerbe- 
haus bekommen,  das 
einzig  dieses  Namens 
würdig  ist. 

Betrachtet  man  in 
einerZeit  der  Bilanzen, 
in  der  wir  stehen,  die- 
ses Werk,  das  Werk 
eines  Mannes,  der  es 
ais  eine  Lebensaufgabe 
ansah,  das  Bestmög- 
liche herzustellen  und 
zu  vertreiben,  so  er- 
geben sich  als  Aktiv- 
posten zwei  Dinge,  die       richard  l.  f.  schulz 


TISCHLAMPE 


sich  hier  erfolgreich  erwie- 
sen haben  und  die,  wenn 
wir  an  eine  ernsthafte  Ver- 
edelung unserer  gewerbli- 
chen Arbeit  gehen  sollten, 
unerläßlich  erscheinen. 
Diese  beiden  Faktoren,  die 
bei  uns  trotz  der  sogenann- 
ten Bewegung  und  trotzder 
Entwicklung  immer  noch 
nur  sporadisch  vorkom- 
men, sind  Geschmack 
und  Qualität.  Beides  in 
dem  Sinne  aufgefaßt,  wie 
es  hier  der  Fall  ist.  Das 
heißt  ein  Geschmack,  der 
nicht  sentimental  spießbür- 
gerlich an  buntiger  Zier,  an 
Heimatkunst  -  Blümchen, 
am  Zopfigen  und  Verdreh- 
ten hängt,  sondern  der  sich 
im  Einklang  befindet  mit 
allem,  was  edel  und  rassig 
der  Welt  irgendwo  erwach- 
sen ist.  Der  Geschmack, 
der  als  Freude  am  Geisti- 
gen und  Geistreichen  selbst  Geist  geworden 
ist  und  der  sich  den  Sinnen  bietet  an  Gestal- 
tungen von  kostbarster  Vollkommenheit. 

20  Jahre  neues  Kunstgewerbe  und  noch 
immer  endigt  man  mit  der  Feststellung,  dȧ  den 
Leuten  bei  uns  die  einfachste  Voraussetzung, 

der  Sinn  für  die  Güte 
und  Gediegenheit  der 
Arbeit,  fehlt.  Noch  im- 
mer muß  man  solche 
Selbstverständlichkeit 
fordern,  noch  immer 
hat  man  sie  wie  das  ganz 
Außerordentliche  zu 
bewundern.  Wird  das 
in  Zukunft  ebenso  blei- 
ben, wird  das  „Niveau", 
von  dem  in  letzter  Zeit 
so  viel  Redens  war,  das 
Niveau  des  Halbguten, 
Halbechten  und  Halb- 
schönen wie  eine  zeh- 
rende Krankheit  fort- 
wuchern, oder  wird 
man  auch  hier  —  end- 
lich —  zu  einem  gedie- 
genen Schaffen  von  der 
Art  kommen,  wie  sie 
die  Schulzschen  Be- 
leuchtungskörper als 
Mahnung  und  Vorbild 
TISCHLAMPE       bieten?     p.  Vestheim 


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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


LANDHAUS  J.  LOWENGART,  FÜRTH 


DIE  BAUTEN  VON  LUDWIG  RUFE 


Architektonische  Studien  an  vorzüglichen  alten  Architekten,  die  ihre  Kunst  in  den  Dienst  der 

1\.  Bauwerken   können   in   ganz  ungeahnter  Forderungen  unserer  Tage  stellen.    In  solchen 

Weise  Beziehungen   bewirken   zwischen  Bau-  Fällen  braucht  es  sich  nicht  um  eine  augenfällige 

meistern,  die  vor  dreihundert  Jahren  gelebt,  und  Anlehnung  in  der  ganzen  Anlage  oder  in  irgend- 


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ARCH.  L.  RUFF-NÜRNBERG 

Dekorative  K'mst.    XIX.    4,    Januar  1916 


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LANDHAUS  LÖWENGART:  ERD-  UND  OBERGESCHOSZ 

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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


VILLA  M.HAHN,  PILSEN-LOCHOTIN  (BÖHMEN) 


an  der  ferLibaBer  :3&ape(-£fcst)0tii))] 


'SnC^ßbdposS. 


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welchen  Einzelheiten  zu  han- 
deln, sie  ist  oft  sogar  völlig 
ausgeschlossen;  die  Anregung 
erfolgt  vielmehr  im  Sinn  eines 
großen  Baugedankens,  im  Wie- 
deraufnehmen eines  Motivs, 
das  in  seiner  Neubelebung  eine 
gänzliche  Umgestaltung  erfährt, 
oder  oft  genug  auch  aus  dem 
Geist  des  Widerspruchs  heraus; 
manchmal  ist  sich  der  Ange- 
regte vielleicht  der  Tatsache 
der  Anregung  gar  nicht  bewußt. 
Zuweilen  begibt  es  sich  auch, 
daß  erst  ein  unbefangener 
Dritter  das  Gemeinsame  in 
Bauwerken  des  17.  und  des 
20.  Jahrhunderts  empfindet  und 
sich  darüber  Klarheit  zu  ver- 
schaffen sucht.  Er  wird  sich 
bei  seinen  Nachforschungen  vor 
der  Erkenntnis  finden,  daß  er 
eine  der  Hauptadern  baulichen 
Gestaltens  anschlug,  daß  es 
sich  um  ein  Problem  handelt, 
das  „klassisch"  genannt  wer- 
den muß,  weil  es  von  ewiger 
Modernität  ist  und  weil  es  in 


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ARCH.  LUDWIG  RUFF-NORNBERG 


GARTENVORSTADT  »ERDERAU-NORNBERG.     VOLKHAMMERPLATZ 


ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


GARTENVORSTADT  WERDERAU-NORNBERG :  ARBEITER-EINFAMILIENHAUSER 

(ORUNDRISZ  S.    unten) 


irgendeiner  Ausdrucksweise  oder  Form  immer 
wieder  einmal  auferstehen  muß,  auch  wenn  es 
viele  Jahre  lang  verschüttet  lag  oder  ein  ver- 
kümmertes Dasein  zu  führen  verdammt  war. 
Ich  empfand  Aehnliches,  als  ich  mit  ganz  kur- 


"^OliS  ^O. 


ARCH.  L.  RUFF  GRUNDRISZ  DER  ZWEI  OBEN  ABGEBILDETEN  HAUSER 


zem  zeitlichen  Zwischenraum  in  Augsburg  vor 
den  mir  längst  vertrauten  profanen  Bauten  des 
„bestelltenWerkmeisters  der  freien  Reichsstadt" 
stand,  vor  der  Ostfassade  des  Rathauses,  der 
Stadtmetzg,  dem  Bäckerhaus  und  den  kleinen 
Bauten  in  der  Jakober- 
Vorstadt,  die  Elias 
HoLLS  Meisterhand  im 
ersten  Drittel  des  17. 
Jahrhunderts  aufgeris- 
sen, —  und  dann  in 
Nürnberg  die  vor  eini- 
gen Jahren  und  zum 
Teil  noch  während  der 
Kriegszeit  entstandenen 
Bauten  und  Siedelungen 
zu  sehen  bekam,  die 
Ludwig  Ruff  geschaf- 
fen. Nichts  liegt  mir 
ferner,  als  einen  Ver- 
gleich anzustellen  zwi- 
schen den  künstleri- 
schen Charakteren  des 
Klassikers  deutscher 
Baukunst  und  des  zeit- 


109 


ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG  D  GARTENVORSTADT  WERDERAU-NORNBERG  :  MEISTERHAUS 


genössischen  Architekten,  der  noch  im  vollen 
Aufstieg  begriffen  und  dessen  Entwicklung 
noch  nicht  abgeschlossen  ist.  Zeitlicher  Ab- 
stand von  einer  künstlerischen  Persönlich- 
keit bewirkt  immer  einen  Respekt  und  eine 
Qualitätsverehrung,  die  oft  über  das  Maß  des 
Notwendigen  hinausgehen  und  eine  unge- 
rechtfertigte Verkleinerung  des  künstlerischen 
Schaffens  der  eigenen  Zeit  bedeuten.  In- 
dessen muß  man  mit  diesem  Respektgefühl 
rechnen,  und  in  unserem  Fall  kommt  hinzu, 
daß  Bauaufgaben  vorliegen,  die  von  einer 
Verschiedenartigkeit  sind,  wie  sie  kaum  größer 
zu  ersinnen  ist.    Das  Gemeinsame  jedoch  ist 


dies,  daß  man  hier  an  mustergültigen  Bei- 
spielen sieht,  wie  alte  und  neuzeitliche  Bau- 
werke ohne  Beiziehung  der  Dekoration  allein 
durch  ihre  Konstruktion  ästhetisch  wirk- 
sam werden.  Vielleicht  tritt  das  deswegen 
besonders  sinnfällig  in  Erscheinung,  weil  so- 
wohl im  alten  Augsburg  mit  seinen  malerisch 
belebten  Fassaden  als  auch  im  neuen  Nürn- 
berg mit  seinen  Bausteinkasten  -  Architekturen 
das  dekorative  Moment  im  Gegensatz  zum 
konstruktiven  zu  stark  betont  ist,  fast  domi- 
niert, und  so  die  Baumeister- Konstrukteure  in- 
mitten der  Schar  von  Dekorateuren,  die  ihre 
kompakte  Majorität  auch  wirtschaftlich   auszu- 


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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG      B      GARTENVORSTADT    WERDERAU -NÜRNBERG  :    ARBEITER-EINFAMILIENHAUSER 


nützen  verstanden  oder  verstehen,  wie  Fremd- 
linge emporragen  .  .  . 

Was  RufF  anlangt,  so  ist  das  Konstruktive 
seiner  Kunst  nicht  auf  die  Außenseite  seiner 
Bauten  beschränkt.  Es  beherrscht  den  Grund- 
riß und  zwar  nicht  nur  den  Grundriß  des  Ein- 
zelgebäudes, sondern,  da  sich  Ruff  wiederholt 
in  die  Lage  versetzt  sah,  ganze  Siedelungen 
oder  wenigstens  großzügige  Baublöcke  zu  ge- 
stalten, auch  den  Grundriß  der  städtebau- 
lichen Anlage.  Haben  RufFs  Bauten  ein  ästhe- 
tisch erfreuliches  Aussehen,  fühlt  man  sich 
wohl  vor  den  Fassaden  und  in  den  Treppen- 
häusern und  Räumen,  die  er  geschaffen,  aber 
auch  in  den  Höfen,  Straßen  und  kleinen  Markt- 
plätzen, die  nach  seinen  Angaben  gestaltet  sind, 
so  tut  das  nicht  der  Aufputz,  auf  den  sich 
andere  auch  und  vielleicht  besser  verstehen, 
sondern  dieses  ästhetische  Behagen  steigt  von 
untenherauf,  sein  Ursprung  sitzt  tiefer  und  es 
hält  darum  auch  länger  vor,  es  trägt  die  Ge- 
währ der  Dauer  in  sich. 

Solche  konstruktive  Tüchtigkeit  und  die 
Möglichkeit,  sie  ästhetisch  wirksam  zu  machen, 
besitzt   der  Theoretiker  selten,   jedenfalls  er- 


ringt er  sie  erst  durch  heißes  Bemühen.  Ihre 
Voraussetzung  ist  handwerkliches  Können,  wenn 
möglich :  Herauswachsen  aus  handwerklicher 
Tradition  und  Tätigkeit,  sodann  aber  die  Ge- 
legenheit, viel  zu  bauen,  sich  an  immer  neuen 
Aufgaben  versuchen  und  womöglich  aus  dem 
Vollen  schaffen  zu  können.  Beides  ist  Ruff  zu- 
teil geworden.  Er  ist  ein  Praktiker,  der  von  der 
Picke  auf  gedient  hat,  der  schon  im  Knaben- 
alter im  heimischen  Dollnstein  im  Baufach  sich 
betätigte,  auf  einem  reich  bewegten  Lebens- 
und Berufsweg  viel  sah  und  lernte,  und  darum 
Technik  und  Material  seiner  Kunst  beherrscht 
wie  wohl  wenige  seiner  Architekten-Kollegen. 
Seit  er  vor  sechs  Jahren  als  Professor  an  die 
Kunstgewerbeschule  in  Nürnberg  berufen  wurde, 
sind  reiche  und  dankbare  Aufgaben  an  ihn 
herangetreten.  Seinen  Befähigungsnachweis, 
solche  Bauten  ausführen  zu  können,  legte  er 
freilich  schon  früher  ab,  namentlich  in  Strau- 
bing, wo  er  im  Dienste  der  Militär-Baubehörde 
mehrere  Jahre  wirkte  und  wo  der  schöne  ge- 
schlossene Bau  des  Gasthofs  Röhrl  mit  sei- 
nem behäbigen  Grundriß,  der  guten  und  prak- 
tischen  Innenaufteilung    des  Raums  und   der 


112 


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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


GAIMENVORSTADT  WERDERAU-NÜRNBERG :  GASTWIRTSCHAFT 


schmucken  Fassade,  in  der  etwas  von  der  ver- 
pflichtenden Kunsttradition  des  bayerischen 
Donautals  gegenständlich  geworden  ist,  Zeug- 
nis ablegt  von  der  Zusammengehörigkeit  des 
Künstlers  mit  der  sympathischen  altbayerischen 
Landstadt. 

Die  großen  Aufgaben  traten  jedoch  erst  in 
Nürnberg  an  RufF  heran.  Seine  erste  Schöpfung, 
ganz  im  städtebaulichen  Sinne,  war  die  im  Auf- 
trag der  „Baugesellschaft  für  Kleinwohnungen" 
entworfene  und  nun  größtenteils  schon  aus- 
geführte Kleinwohnungsanlage  in  der  Vorstadt 
Gibitzenhof  am  Donau- Main- Kanal  (Abb. 
S.  115).  Mehrere  hundert  Wohnungen  in  teil- 
weise fünfgeschossigen  Häusern,  die  durch  ein 
klug  bedachtes  und  sinnvoll  aufgeteiltes  System 
von  Höfen  verbunden  sind,  galt  es  da  zu  schaffen 
und  zugleich  wurde  derSiedelungs-  und  Gemein- 
wesencharakter betont,  denn  u.  a.  waren  da  ein 
Wirtshaus  mit  Saalbau,  verschiedene  Kaufläden, 
Metzgerei  und  Bäckerei  mit  ihren  typischen 
Geschäftsräumen  einzubauen.  Das  Werk  ge- 
lang. Die  außerordentliche  Höhe  der  Gebäude 
wurde  durch   eine  ausgezeichnete  Ausbildung 


der  Dachstühle  und  durch  luftige  Giebelbauten 
wettgemacht;  um  indessen  dadurch  keine  Ver- 
teuerung der  Bauten  und  Wohnungen  herbei- 
zuführen, sind  Giebel  und  Dächer  sehr  sach- 
gemäß und  anmutig  und  eigenartig  zu  Wohnungen 
ausgebildet.  Eine  kräftige  Mauer  gegen  die 
Straße  zu  und  Baumgruppen  bringen  die  ge- 
wünschte Auflockerung  der  Baumassen  an  der 
Basis.  Daß  aber  die  mächtigen  Fassaden  nicht 
allzu  geschlossen  und  schwer  wirken,  auch  da- 
für wußte  Ruff  Rat  zu  schaffen,  und  eben  hier 
tritt  die  konstruktive  Note  seiner  Baubegabung 
hervor.  Freilich  zeigt  sich  da  und  dort  ein  Or- 
nament, auch  trägt  die  Wechsel  weiseVerwendung 
von  Verputz  und  dem  in  Nürnberg  heimischen 
rötlichen  Sandstein  ein  farbiges  Moment  in 
die  Baumassen,  aber  das  allein  hätte  keine 
Gliederung  der  Straßen-  und  Hofwände  be- 
wirken können.  Die  geschah  vielmehr  vom 
Grundriß  aus,  durch  leichte  Biegung  oder 
Winkelstellung  der  Fassaden,  so  daß  sie  durch 
die  Lichtführung  gleichsam  modelliert  werden, 
weiterhin  durch  das  Verhältnis  der  Querbauten 
zu  den  Längsbauten  und  besonders  durch  die 


Dekorative  Kunst.   \1X.     4.    Janu. 


113 


15 


ARCII.  L.  RUFF-NORNBERG 


GARTENVORSTADT  WERDERAU-NORNBERG :  HOFPARTIE 


Proportionierung  der  Fassaden  selbst,  fein  ge- 
gliedert durch  Fenster,  Austritte,  Erker,  alles 
am  rechten  Fleck,  dabei  völlig  von  innen  nach 
außen  strebend,  nie  irgend  etwas  vortäuschend 
um  der  Dekoration  willen,  sondern  organisch 
aus  dem  Grundriß  herauswachsend. 

Wesentlich  verschieden  von  dieser  Klein- 
wohnungsanlage in  Gibitzenhof  war  die  Bau- 
aufgabe, vor  die  sich  RufF  bei  der  Anlage  der 
Gibitzenhof  benachbarten  Gartenvorstadt  Wer- 
der au  gestellt  sah  (Abb.  S.  108  bis  114). 
Die  Maschinenfabrik  Augsburg-Nürnberg  hat 
diese  Siedelung,  die  auf  mehr  als  dreihun- 
dert Einzelhäuser  gebracht  werden  soll,  für 
ihre  Ingenieure,  Beamten,  Werkmeister  und 
verheirateten  Arbeiter  bestimmt:  es  tritt  also 
der  Gemeinwesen  -  Charakter  wieder  beherr- 
schend hervor,  und  dabei  galt  es  diesmal  so 
etwas  wie  eine  soziale  Schichtung  herbei- 
zuführen, denn  die  Beamtenhäuser,  deren  Miet- 
preise entsprechend  höher  sind,  mußten  natür- 
lich reicher  und  geräumiger  ausgeführt  werden 
als  die  Arbeiterhäuser,  sie  sollten  auch  zu  einer 
eigenen  Gruppe  zusammengefaßt  werden,  und 
dabei  sollte  doch  der  Gedanke,  daß  alle  Wcr- 


derauer  Angestellte  des  nämlichen  industriellen 
Unternehmens  sind,  deutlich  zum  Ausdruck 
kommen. 

Um  einen  kleinen  Marktplatz,  der  mit  den 
Jahren  noch  eine  stattlichere  Ausgestaltung  er- 
fahren wird,  gruppierte  RufF  die  Häuser  und 
Häuschen,  die  durchaus  zweigeschossig  sind 
(Parterre  und  ersten  Stock),  aber  durch  die 
geschickte  Ausnützung  gewisser  Gelände- 
schwankungen, die  liebevoll  erhalten  und  be- 
nützt wurden,  und  durch  die  Mannigfaltigkeit 
der  baulichen  Formgebung  vor  dem  Odium  der 
Eintönigkeit,  die  bei  der  massenhaften  An- 
häufung gleichgeschossiger  „Villen*  einzutreten 
pflegt,  bewahrt  blieben.  Da  sind  auch  nirgends 
die  sattsam  bekannten,  sterbenslangweiligen 
Villenstraßen,  deren  eine  wie  die  andere  aus- 
sieht. Das  hat  der  Architekt  schon  bei  der 
Planlösung  der  ganzen  Siedelung  bedacht. 
Ohne  daß  im  allgemeinen  einem  unüber- 
sichtlichen Gewirr  von  Straßen  und  Gassen 
das  Wort  gesprochen  sein  solle,  darf  man  sich 
der  Willkürlichkeilen  freuen,  mit  denen  hier 
der  Gesamtgrundriß  gestaltet  wurde:  das  gibt 
ihm  das  Persönliche  und  macht  Werderau  zu 


114 


ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


KLEINWOHNUNGSANLAGb   GIBITZENHOF    DER   BAU- 
GESELLSCHAFT FÜR  KLEINWOHNUNGEN,  NÜRNBERG 


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ARCH.  L.  RUFF-NÜRNBERG 


KLEINWOHNUNGSANLAGE    GIBITZENHOF-NÜRNBERG   (PREIS- 
GEKRÖNTER UND  ZUR  AUSFÜHRUNG  BESTIMMTER  ENTWURF» 


115 


15- 


einer  Schöpfung,  die  rein  und  klar  die  Züge  ihres 
Künstlers  trägt.  Sanft  geschwungene  Straßen, 
die  mit  der  streng  linearen  Baulinie  und  der 
Reißbrettaufteilung  eines  Geländes  nichts  zu 
tun  haben,  vermitteln  freundliche  Stadtbilder, 
ohne  daß  es  dazu  der  mätzchenhaften  Ein- 
stellung auf  das  Malerische,  die  heute  so  oft 
beliebt  wird,  bedurft  hätte.  Das  schmucke 
Grün  der  Gärtchen  bei  jedem  Haus  und  be- 
sonders die  individuelle  Durchbildung  jedes 
einzelnen  Baues  gewähren  den  malerischen 
Eindruck  von  selbst.  Die  individuelle  Form 
für  jedes  Häuschen  ist  das  Besondere  an 
Werderau.  Das  Typenhaus  ist  hier  verpönt; 
das  Unpersönliche  sollte  verbannt  bleiben. 
Das  ist  ein  sympathischer  Zug,  der  nicht  nur 
künstlerisch  erfreut,  sondern  auch  seine  glück- 
lichen sozialen  Auswirkungen  haben  muß.  Das 
sind  keine  seelenlosen  Koloniehäuser,  son- 
dern wirkliche  Heimaten,  deren  jede  sich 
durch  ihre  Besonderheit  von  der  Heimat  des 
Nachbars  unterscheidet:  welch  günstigen  Ein- 
fluß im  Sinne  der  Liebe  und  Anhänglichkeit 
an  das  eigene  Heim  und  der  erhöhten  Häus- 
lichkeit das  haben  muß,  wie  es  besonders  auch 
für  die  Treue  der  heranwachsenden  Generation 
zur  Heimat  förderlich  werden  muß,  liegt  auf 
der  Hand. 

Gibitzenhof,  das  später  in  der  Häusergruppe 
am  Thummenbergerweg  ein  vielleicht  noch 
ausgereifteres  Gegenstück  erhielt,  und  die 
Werderau  waren  gewissermaßen  Ruffs  Nürn- 
berger Programmbauten  auf  dem  Gebiete  des 
Kleinwohnungs-  und  Siedelungswesens.  Die 
große  Baufreudigkeit  und  Schaffenslust  Ruffs 
vermochten  sie  indessen  nicht  völlig  zu  be- 
friedigen. Die  ganze  Art  seiner  Kunst  weist 
Ruff  auf  den  bürgerlichen  Einfamilienbau  hin; 
das  Breite,  Behagliche,  Gediegene,  das  Herein- 
grüßen behäbig- ländlicher  Elemente  läßt  den 
Baukünstler  als  den  berufenen  Mann  erschei- 
nen, Landhäuser  ins  Grüne  zu  stellen.  Es 
war  ganz  gewiß  ein  glücklicher  Griff  der 
„Baugesellschaft  Haus  und  Garten"  in  Nürn- 
berg, sich  der  Mitarbeit  Ruffs  zu  versichern. 
In  dem  welligen  Gelände  der  Hohenlohe- 
und  Caprivistraße  entstanden  die  ersten  der 
Nürnberger  Einfamilienhäuser  nach  Ruffs  Ent- 
würfen. Nur  bei  einigen  dieser  Bauten  ver- 
suchte es  der  Architekt,  mit  kühnen  Giebeln 
„nürnbergisch"  zu  kommen.  Es  war  ein  Ver- 
such, ein  Ausflug  in  ein  Gebiet,  das  nicht  zu 
seinem  Wesen  gehört,  und  er  kehrte  als- 
bald wieder  zu  sich  selbst  zurück.  Bei  dem 
Einfamilienhaus  VIII  z.  B.  hat  er  sich  schon 
wieder  völlig  gefunden.  Wie  musterhaft  ist 
da  —  bei  aller  Regellosigkeit  im  Verstand 
symmetrischer  Gesetze  —  die   Fassade   auf- 


geteilt, wie  lebt  dieser  steinerne  Organismus! 
Die  Einfamilienhäuser  an  der  Erlenstegener- 
straße  bedeuten  in  dieser  Hinsicht  noch  eine 
Steigerung  des  ästhetischen  Eindrucks.  Hier 
gab  Ruff  sein  Reifstes  auf  dem  Gebiet  des 
Einfamilienhauses.  Im  einzelnen  stellt  das 
Haus  Dr.  Hiltermann  in  seiner  monumentalen 
Schlichtheit  und  Verinnerlichung  eine  Meister- 
leistung dar.  In  dem  Haus  Löwengart  in 
Fürth  (Abb.  S.  105),  das  dem  Architekten  die 
Möglichkeit  zu  einer  reicheren  Entfaltung  sei- 
ner Mittel  bot  und  wo  er  hinsichtlich  des 
Baumaterials  u.  a.  nicht  auf  äußerste  Sparsam- 
keit angewiesen  war,  ebenso  in  dem  Land- 
haus Endres  in  Gmünd  am  Tegernsee  (Abb. 
S.  119)  und  neuerdings  in  einem  Familien- 
haus in  Pilsen  in  Böhmen  (Abb.  S.  106,  107) 
traten  Aufgaben  ähnlicher  Art  an  Ruff  heran 
und  auch  da  fand  er  die  Lösung  aus  dem 
konstruktiven  Moment  heraus.  In  dem  Haus 
Löwengart  steigert  sich  die  Harmonie  bis  zu 
klassischer  Höhe  —  vielleicht  weil  hier  der 
Architekt  auch  an  der  Innenausgestaltung  mit- 
wirkte und  in  den  Zimmern  und  vielen  Raum- 
ensembles schaffen  konnte,  die  ihn  auch  als 
einen  Möbelkünstler  von  vielen  Graden 
erscheinen  lassen.  Besonders  merkwürdig 
ist  in  dieser  Hinsicht  der  Farbengeschmack 
Ruffs.  Er  bildet  gewissermaßen  die  Komple- 
meniärerscheinung  zu  seiner  konstruktiven  Er- 
scheinung und  läßt  erkennen,  daß  ihm  der  Sinn 
fürs  Dekorative  keineswegs  fehlt,  daß  er  aber 
bei  seinen  schlichten  Putzfassaden,  die  sich 
nur  zuweilen,  wie  ich  bei  Gibitzenhof  er- 
wähnen konnte,  des  Sandsteins  als  Zutat  am 
Portal  oder  an  einem  Erker  bedienen,  auch  ohne 
dieses  dekorative  Moment  auszukommen  weiß 
und  auskommen  will.  Eine  Schöpfung,  wie  die 
luxuriöse  und  auf  stärkste  farbige  Effekte  ge- 
stellte Innendekoration  des  Nürnberger  Apollo- 
Theaters  erscheint,  wenn  man  die  ganze  bis- 
herige Entwicklung  Ruffs  überblickt,  als  etwas 
Fremdes,  Zufälliges  in  seinem  Werk.  Es  sieht 
aus,  als  steckte  da  etwas  wie  Trotz  dahinter, 
seinen  Mitbürgern  zu  zeigen,  daß  er  auch  auf 
akonstruktivem  Gebiet  etwas  Eigenartiges  zu 
sagen  habe.  Den  eigentlichen  Zwang  des 
Herzens,  den  unzähmbaren  Schöpferwillen  ver- 
mißt man  doch  wohl  gegenüber  diesem  Werk. 
Indessen  —  vielleicht  bedeutet  diese  Schöp- 
fung einen  Uebergang  im  Schaffen  Ruffs.  Der 
Künstler  ist  heute  noch  nicht  vierzig  Jahre 
alt  und  die  monumentalen  Aufgaben  werden 
erst  jetzt,  da  er  sich  so  unverkennbar  be- 
währt hat,  an  ihn  herantreten.  Sie  finden  ihn 
namentlich  durch  seine  Erfahrungen,  die  er 
sich  erbaut,  aber  auch  durch  die  Erfahrun- 
gen,   die    er   sich     als    Teilnehmer    manches 


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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


LANDHAUS  ENGEL,  FEUCHT  B.  NÜRNBERG  (STRASZENANSICHT) 


ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


LANDHAUS  ENGEL,  FEUCHT  B,  NÜRNBERG   (ROCKANSICHT) 
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ARCH.  L.  RUFF-NORNBERG 


B  FORTBILDUNGSSCHUL-  UND  BIBLIOTHEKGEBÄUDE  DER 

MASCHINENFABRIK  AUGSBURG-NÜRNBERG,  WERK  NÜRNBERG 


120 


ARCH.  L.  RUFF-NÜRNBERG 


D«kocMI»«  Kuiut    XIX.    t.    Januar  ijt« 


■  FORTBILDUNGSSCHUL-  UND  BIBLIOTHEKGEBAUDE  DER  ' 

MASCHINENFABRIK  AUGSBURG-NÜRNBERG,  VERK  NÜRNBERG 


121 


16 


großen  Wettbewerbs  erzeichnet,  gerüstet.  Eine 
solche  große  Aufgabe  beschäftigt  gegenwärtig 
den  Künstler:  er  ist  an  den  Plänen  für  den 
Neubau  der  erzbischöflichen  Seminarien  in 
Bamberg.  Ob  er  dabei  verwertet,  was  ihn 
als  ähnliche,  wenn  auch  viel  kleinere  Auf- 
gabe sein  Nürnberger  Bau  für  die  Fachschule 


der  Maschinenfabrik  Nürnberg-Augsburg  lehrte, 
ob  er  sich  in  etwas  der  Bamberger  Bau- 
tradition anschließt  oder  ob  da  ganz  etwas 
Neues  entsteht,  das  eine  Cäsur  in  Ruffs 
Schaffen  zu  bilden  berufen  ist,  wird  die  nahe 
Zukunft  lehren. 

Georg  Jacob  Wolf 


ARCH.  L.  RUFF 


D  GARTENVORSTADT  WERDERAU-iNÜRNBERG  G 

ROCKANSICHT  EINES  BEAMTEN-EINFAMILIENHAUSES 


122 


WIENER  WERKSTATTE.  MODEABTBILUNG 

KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCH.  ED.  WIMMER 


ül  SUCHSKLEID 


WIENER  MODE 


In  Wien  hat  die  neue  Modebewegung,  die 
von  der  Lostrennung  von  der  Pariser  Mode 
ihren  Ausgang  nahm,  besonders  weite  Kreise 
gezogen.  In  einer  Reihe  von  Ausstellungen 
wurden  Versuche  auf  den  verschiedenen 
Modegebieten,  z.  T.  auch  gute  Lösungen  ge- 
zeigt (siehe  die  Besprechungen  in  unserem 
Februar-,   April-   und  Maiheft).     Diesen  klei- 


neren Vorsuchen  folgt  nun  die  eben  im  Oester- 
reichischen  Museum  in  Wien  eröffnete  große 
Modeschau.  Wir  schicken  eine  Auslese  von 
Arbeiten  der  Wiener  Werkstätte  voraus, 
die  demnächst  im  Zusammenhange  mit  den 
Darbietungen  der  Modeschau  im  Museum  in 
ihrem  künstlerischen  Werte  näher  gewürdigt 
werden  sollen. 


123 


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WIENER  WERKSTATTE,      o      MODEABTEILUNG 
KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCH.  ED.  WIMMER 


BESUCHSKLEID 


124 


WIENER  WERKSTÄTTE.    MODEABTEILUNG       G 
KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCH.  ED.  WIMMER 


STRASZENKLEIDER 


WIENER  WERKSTATTE       Gl       MODEABTEILUNG 
KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCIl.  ED.  «IMMER 


STRASZENKLEIDER 


123 


WIENER  WERKSTATTE,      o      MODEABTEILUNG 
KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCH.  ED.  WIMMER 


STRASZENKLEIDER 


126 


WIENER  WERKSTATTE      B      MODEABTEILUNG 
KÜNSTLERISCHE  LEITUNG  ARCH.  ED.  WIMMER 


BESUCHSKLEID 


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ENTWURF  LEO  BLONDER 


ENTWURF  C.  C.  CZESCHKA 


ENTWURF  FRITZI  LOW 


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SEIDENSTOFFE  ,.  AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTATTE^"^*'"'*'^  ^''^^^  HOFFMANN 

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ENTWURF  JOSEF  IIOPFMANN 

SEIDENSTOFFE  ■  AUSFÜHRUNG :  WIENER  WERKSTÄTTE 


ENTWURF  L.  FOCHLER 


Dekorativ«  Kunst.     XIX.    4.    Januai   1916 


129 


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DEUTSCHE  FORM  IM  KRIEGSJAHR*) 


Das  neue  Werkbund-Jahrbuch  ist  erschienen. 
Unter  dem  Titel  „Deutsche  Form  im 
Kriegsjahr"  behandelt  es  die  unglückselige 
Kölner  Ausstellung  1914,  die  —  kaum  ge- 
grüßt, gemieden  —  wenige  Tage  nach  ihrer 
endgültigen  Fertigstellung  wegen  Kriegsaus- 
bruchs geschlossen  werden  mußte.  Man  hatte 
sich  seinerzeit  in  Köln  mit  dem  Gedanken 
einer  dickleibigen,  mit  Abbildungen  gespickten 
Denkschrift  über  die  Ausstellung  getragen; 
diese  Absicht  mußte  aufgegeben  werden,  und 
es  ist  nicht  schade  darum.  Denn  schließlich 
läßt  sich  das,  was  in  Köln  an  wirklich  Gutem 
und  restlos  Gelöstem  geboten  wurde,  auch 
in  weniger  anspruchsvoller  Form  und  in  enge- 
rem Rahmen  zusammenfassen.  Das  Jahrbuch 
unternimmt  das,  und  ganz  zweifellos  sieht 
die  Ausstellung  in  dieser  Reproduktion  auf 
168  tadellos  gedruckten  Tafeln  besser  aus  als 
seinerzeit  in  Wirklichkeit;  das  Buch  bringt 
es  also  zuwege,  so  etwas  wie  den  verklären- 
den Schimmer  der  Erinnerung  über  die  miß- 
glückte Veranstaltung  auszugießen.  Das  Prinzip 
der  Auslese,  das  bei  der  Zusammenstellung 
des  Jahrbuchs  maßgebend  war,  hätte  schon  bei 
dem  Aufbau  der  Ausstellung  Geltung  gewinnen 
müssen,  dann  wäre  etwas  Ganzes,  Geschlosse- 
nes herausgekommen.  Durchblättert  man  das 
Buch,  so  wird  einem  vor  allem 
bewußt,  wieviel  Arbeit  deut- 
sche Künstler,  deutsche  Ge- 
werbetreibende und  deutsche 
Industrielle  an  die  Ausstellung 
wandten.  Im  Hinblick  auf  die 
Quantität  entschieden  zu  viel, 
denn  es  liegt  auf  der  Hand, 
daß  bei  einer  derartigen  Rie- 
senausstellung viel  Gering- 
wertiges unterlaufen  mußte. 
Erfreulicherweise  ist  aber 
von  diesen  minderwertigen 
Leistungen  nur  sehr  wenig 
in  das  Jahrbuch  übergegan- 
gen, und  das  Wenige  viel- 
leicht   nur  in   der   unausge- 


*1  Deutsche  Form  Im  Kriegsjahr.  Jahr- 
buch des  Deutschen  Werkbundes  1915. 
Mit  168  Bilderseiten.  Verlegt  bei  F.  Bruck- 
mann  A.-G.,  München.   Preis  3  M. 


BERTI    ROSENBERG-BERLIN 
DEKORATIVE  STICKEREI  □ 


sprochenen  Absicht,  auch  charakteristische 
Verirrungen  zu  zeigen.  Da  das  Jahrbuch  an 
die  Stelle  der  ausfallenden  Denkschrift  tritt, 
also  dokumentarischen  Wert  beansprucht  und 
beanspruchen  darf,  kann  man  diese  Aufnahme 
von  Werken,  die  gewissermaßen  „Gegenbei- 
spiele" sind,  durchaus  begreiflich  finden.  Frei- 
lich ist  zu  bedauern,  daß  dadurch  manchen 
vorzüglichen  Leistungen,  die  man  in  Köln  zu 
sehen  bekam  und  die  ein  Anrecht  gehabt 
hätten,  bei  einer  noch  so  strengen  Auslese 
berücksichtigt  zu  werden,  der  Platz  wegge- 
nommen wurde. 

Der  dem  Tafelwerk  vorangestellte  Text  von 
Peter  Jessen  behandelt  in  sachlicher,  auf- 
schlußreicher Weise  die  Vorgeschichte  und 
das  Werden  der  Ausstellung,  unternimmt  es, 
ihren  Charakter  zu  umschreiben,  und  führt 
schließlich  in  einem  Rundgang  durch  die 
Hallen.  Die  Werturteile,  die  Jessen  abgibt, 
sind  vorsichtig  formuliert,  so  daß  auch  andere 
Meinungen  daneben  in  ihrem  Recht  bestehen 
bleiben.  Allerdings  hält  Jessen  Verirrungen 
gegenüber  sein  Mißfallen  nicht  zurück  und 
spricht  ganz  offen  von  den  Mängeln  der  Aus- 
stellung; daß  er  aber  mit  mehr  Vergnügen 
und  mit  größerer  Ausführlichkeit  verweilt  bei 
den  gelungenen  Lösungen,  die  man  in  Köln 
fand,  das  liegt  im  Charakter 
der  Aufgabe,  die  er  übernahm, 
und  entspricht  auch  dem  ge- 
rade heute  wirksamen  Zug  im 
deutschen  Wesen,  die  positi- 
ven Seiten  einer  Leistung 
mehr  zu  betonen  als  die  ne- 
gativen; aufzubauen  statt  ein- 
zureißen; freudiger  das  Gute 
anzuerkennen  als  das  Schlech- 
te zu  rügen.  In  diesem  Sinn 
muß  das  neue  Jahrbuch  im 
ganzen  eine  positive  Leistung 
genannt  werden  —  als  Doku- 
ment einer  der  wichtigsten 
Stationen  auf  dem  Entwick- 
lungsgang der  Geschmacks- 
bewegungin  Deutschland  steht 
seine  Bedeutung  und  sein  Wert 
außer  aller  Frage. 


130 


Aus  dem  Jahrbuch  des  Deutschen  Werkbundes  191S 
■     (Verlag  von  F.  Bruckraann  A.-G.,  München)     ■ 


ELSE  VENZ-VIETOR-BERLIN 
■  TEEZIMMER  ■ 


Ausführung  von  den  Deutschen  Werkstätten  A.-G. 

131 


Drcsden-Hellerau  und  München 


17« 


Aus  dem  Jahrbuch  des  Deutschen  Werkbundes  1915 
B     (Verlag  von  F.  Bruckmann  A.-G.,  München)     Q 


KARL  BERTSCH,  MÜNCHEN 
B  HERRENZIMMER        a 


Ausführung  von  den  Deutschen  Werkstätten  A.-G.,  Dresden-Hellerau  und  München 


132 


If 


Aus  dem  Jahrbuch  des  Deutschen  Werkbundes  1915 
Q     (Verlag  von  F.  Bruckmann  A.-G.,  München)     o 


ADELBERT  NIEMEYER-MÜNCHEN 
■  SPEISEZIMMER  ■ 


Ausführung  von  den  Deutschen  Werkstätten  A.-G.,  Dresden-HeUerau  und  München 


133 


Aus  dem  Jahrbuch  des  Deutschen  Werkbundes  1915 
Q     (Verlag  von  F.  Bruckmann  A.-G.,  München)     Q 


RICHARD  RIEMERSCHMID-MONCHEN 
Q  WOHNZIMMER  Q 


Ausiahrung  von  den  Deutschen  Werkstätten  A.-G.,  Dresden-Hellerau  und  München 


134 


JOSEF  WILM-BERLIN 


ARMBÄNDER:  GOLD,  DIAMANTEN  U.  HALBEDELSTEINE 


ZU  DEN  GOLDSCHMIEDEARBEITEN 
VON  JOSEF  WILM  D.  J. 


Der  Goldschmied  Josef  Wilm  ist  ein  merk- 
würdiger Fall.  Merkwürdig,  weil  er  der 
erste  Handwerker  gewesen  ist,  der  mit  der 
Kölner  Werkbund -Ausstellung  zufrieden,  das 
heißt  natürlich  materiell  zufrieden  war.  Er 
ist  aus  der  Gelegenheit  ohne  Verluste  heraus- 
gekommen, hat,  wie  er  sagt,  einen  Teil  seiner 
Sachen  in  Köln  verkauft,  ja  sogar  auch  noch 
im  Rheinland  Auftraggeber  bekommen.  Und 
bei  der  Weihnachtsmesse,  die  der  Verein 
Berliner  Künstler  mitten  im  Krieg  veranstal- 
tete, hat  es  für  Wilmsche  Arbeiten  ebenfalls 
Abnehmer  gegeben.  Das  Geheimnis  dieser 
Erfolge  ist  wohl  das,  daß  hier  eine  Publikums- 
kunst vorliegt,  nach  der  sogar  unter  den  denk- 
bar  ungünstigsten  Bedingungen  noch  Begehr 


ist  und  zeigt  an,  daß  wir  wenigstens  bis  zum 
Kriegsausbruch  in  Deutschland  einen  großen,  für 
künstlerische  Handarbeit  lebhaft  interessierten 
Mittelstand  hatten,  für  dessen  Bedürfnisse  an- 
scheinend nicht  genügend  gesorgt  ist. 

Es  ist  das  eine  Beobachtung,  die  immer 
wieder  nicht  nur  hier,  wo  es  sich  um  Schmuck- 
sachen und  Schmuckgeräte  handelt,  zu  machen 
ist.  Unsere  künstlerischen  Bemühungen  haben 
wohl  dank  einer  rührigen  und  geschickten 
Kunstindustrie  den  Weg  zur  Masse  gefunden ; 
aber  für  die  bürgerliche  Mittelschicht,  die  nicht 
zu  dieser  industriellen  Massenkunst  greifen 
möchte  und  ihrer  materiellen  Lage  nach  auch 
nicht  dazu  gezwungen  wäre  und  die  andererseits 
doch  auch  wieder  nicht  imstande  ist,  die  kost- 


it 


Gold,  Opalin 


Silber,  Granat,  Türkis  Gold,  Diamant,  Chrysopras 

ANHANGER  VON  JOSEF  ^XILM-BERLIN 


135 


baren  Einzelwerke  zu  be- 
zahlen, die  von  ein  paar 
wenigen  ausgezeichneten 
Künstlern  gefertigt  wer- 
den, gibt  es  fast  nichts  oder 
doch  viel  zu  wenig  An- 
nehmbares. Immer  wieder 
sieht  man  Leute  von  be- 
stem Geschmack  und  be- 
sten Absichten  auf  der 
Suche  nach  dem  Kunst- 
handwerker, der  ihnen  et- 
was entwirft,  was  ihrer  Lage 
gemäß  ist.  Der  Mangel  an 
solchen  Kräften  oder  die 
Tatsache,  daß  so  viele,  die 
prädestiniert  wären,  der- 
artige Wünsche  zu  befrie- 
digen, sich  nicht  ernsthaft 
um  diese  Aufgaben  bemühen,  ist  eigentlich 
ein  bedauerliches  Zeichen  für  unsere  Kunst- 
ökonomie. Publikum  und  Künstler  ständen 
sich  besser  und  ständen  sich  wohl  auch  freund- 
licher gegenüber,  wenn  diesem  gewaltigen  Be- 
darf nach  schöner  Handwerksarbeit  ein  gleich 


JOSEF  WILM-BERLINq  BROSCHE  IN  SILBER 
GESCHNITtEN  MIT  CHRYSOPRAS' 


großes  Angebot  entspräche. 
Solange  nämlich  der  ein- 
zelne, der  dies  oder  jenes 
Stück  haben  möchte,  sehen 
muß,  daß  es  als  wirkliche 
Hand-  und  Kunstarbeit  nur 
einer  kleinen  Schicht  ma- 
teriell Bevorzugter  zugäng- 
lich ist,  muß  er  alle  diese 
Bestrebungen  für  sich  und 
Leute  seiner  Art  als  eine 
theoretische  Angelegen- 
heit ansehen.  Daher  der 
Erfolg  aller  der  Kunst- 
handwerker, die  in  diese 
Bresche  einspringen.  Sie 
genügen  einem  Verlangen, 
das  zu  erhalten  und  auf 
jede  Weise  zu  fördern, 
unser  Ziel  sein  muß.  Denn  hier  in  diesen 
künstlerischen  Interessen  des  bürgerlichen 
Mittelstandes  liegt  vielleicht  auch  eine  un- 
serer Eigenarten.  Wir  in  Deutschland  ha- 
ben nicht  die  Aristokratie,  die  so  reich  und 
kunstbedürftig  ist,  daß  von  ihr  allein  unsere 


JOSEF  WILM-BERLIN  ANHANGER 

Gelbgold,  farbige  Brillanten  und  Edelsteine 


JOSEF  WILM- 
BERLIN 


JOSEF  WILM-BERLIN      a      BROSCHE    IN  SILBER 
MIT   MALACHITEN 


ARMBANDER 
Silber,  schwarzer 
Achat,  Mondstein 


136 


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Gold,  Achat 


Granat,  Silber,  Diamant,  iVlond- 

Pcrlschale  Moosachat  Steinquarz 

ANHÄNGER  VON  JOSEF  WILM-BERLIN 


Gold,  Karneol 


Künstlerschaft  bestehen  könnte.  Dafür  aber 
gibt  es  bei  uns  diese  breiten  bürgerlichen 
Schichten,  die  aus  einem  nie  erfüllten  Eifer 
um  die  Kunst  Opfer  über  Opfer  bringen,  um 
sich  etwas  Schönheit  wenigstens  zuzueignen. 
Naturgemäß  muß  es,  wenn  man  die  Dinge 
von  dem  Standpunkt  ansieht,  interessieren, 
was  für  Arbeiten  und  was  für  Leistungen  bei 
diesem  Publikum   Erfolg  haben.     Einen  Bei- 


trag zu  dieser  Frage  geben  zweifellos  die 
Wilmschen  Schmuckarbeiten,  die,  wie  gesagt, 
sogar  unter  recht  ungünstigen  Verhältnissen 
sich  noch  durchzusetzen  vermochten.  Und  da 
erscheint  als  das  Wesentliche  nicht  die  Art 
der  Formgebung,  nicht  die  Erfindung,  sondern 
die  einwandfreie,  ordentliche  und  tüchtige 
Handwerksarbeit  und  ein  gewisser  Sinn  für 
das  Praktische  und  Einleuchtende  der  Sachen. 


JOSEF  WILM-BERLIN 

I)ekorntive  Kunst.  XIX.    4.    Januar  1916 


GORTELSCHLIESZEN  IN  SILBER,  ACHAT  UND  ROSA  QUARZ 

137  18 


JOSEF  WILM-BERLIN 


KAFFEEKANNE  IN  SILBER  GETRIEBEN 


JOSEF  WILM-BERLIN 


ZUCKERDOSE  UND  MILCHKANNE  IN  SILBER  GETRIEBEN 

138 


JOSEF  WILM-BERLIN 


PLATTE  IN  SILBER  GETRIEBEN  (ZU  NEBENSTEHENDEM  SERVICE) 


Es  ist  da  nicht  die  Möglichkeit  im  künstle- 
rischen Sinne  kühn  zu  experimentieren.  Das 
würde  auf  Verständnislosigkeit,  wenn  nicht 
gar  auf  Ablehnung  stoßen.  Das  große  Publi- 
kum fragt  im  Gegensatz  zu  dem  Schaffenden 
oder  dem  Kenner  nicht  nach  künstlerischen 
Entwicklungen.  Das  Erneuern  und  Entwickeln 
der  Ausdrucksmittel  sind  Angelegenheiten,  die 
seinem  Interesse  fernliegen,  ja  man  darf  sagen 
fernliegen  müssen,  weil  es  sich  ernsthaft  nur 


mit  dem  einzelnen  Stück,  das  ihm  jeweils  ge- 
boten wird,  nicht  aber  mit  der  ganzen  Kette 
der  aus  dem  Gewerbe  hervorgegangenen 
Leistungen  zu  befassen  hat.  Daher  erscheint 
es  einleuchtend ,  wenn  ein  Experimentieren 
nach  der  Richtung  nicht  erst  versucht  wird. 
An  Arbeiten,  die  für  derlei  Zwecke  gedacht 
sind,  ist  es  wesentlicher  den  Geist  der  Zeit 
und  den  herrschenden  Geschmack  zu  kennen 
und  von  ihnen  ausgehend  etwas  Eigenes  und 


JOSEF  WILM-BERLIN 


139 


BROTKORB  IN  SILBER  GETRIEBEN 
18« 


Apartes,  etwas,  was  der  Zeit  gefällt,  zu  schaffen. 
Wilm  scheint  dieses  Talent  zu  haben.  Ich  kann 
mir  denken,  daß  sehr  viele  Leute,  die  mit 
Kunst  eigentlich  nichts  zu  tun  haben,  die 
irgendwo  sonst  im  praktischen  Leben  stehen, 
rechten  Gefallen  finden  an  dem,  was  er  als 
gewissenhaft  arbeitender  Handwerker  herstellt. 
Ein  Teeservice,  eine  Kanne,  eine  Dose,  das 
alles  muß  einem,  der  nicht  geradezu  einen 
verderbten  Geschmack  hat,  einleuchten.  Und 
von  dieser  zum  bürgerlichen  Werkeltag  passen- 
den Art  sind  auch  seine  Schmucksachen.  Es 
ist,  um  im  Atelierjargon  zu  reden,  an  ihnen 
„nichts  Aufregendes".  Aber  gerade  das,  diese 
selbstverständliche,  diese  allgemein  gefällige 
Gediegenheit  ist  die  Eigenschaft,  die  sie  in 
gewissem  Sinne  brauchbar  machen.  Sie  fallen 
nicht  auf,  sie  beanspruchen  als  Untergrund 
nicht  unerschwinglich  kostbare  Toiletten.  Oft 
ist  mit  einfachen  Steinen  gearbeitet,  aber  nicht 
mit  diesem  grell  bunten,  plakatartig  knallenden 
Zeug,  das  mit  Vorliebe  benutzt  worden  ist, 
wenn  Kunstgewerbler  „billigen  Schmuck"  ent- 
worfen haben.  Im  Gegenteil,  Wilm  ist  immer 
bedacht  auf  diskrete  Wirkungen ;  auch  in  den 
Fassungen,  die  er  um  solches  Gestein  legt, 
ist   alles   vermieden,   was    allzu   vordringlich 


wirken  könnte.  Formen  sind  bevorzugt,  die 
das  Gemüt  auf  seine  Kosten  kommen  lassen 
und  die  doch,  wenn  man  genauer  zusieht,  sich 
immer  aus  einer  handwerklichen  Gewandtheit 
heraus  legitimieren.  Vielleicht  liegt  der  ent- 
scheidende Reiz  überhaupt  hier.  Man  sieht 
an  jeder  Arbeit,  daß  da  Finger  tätig  waren, 
die  auf  immer  andere  Weise  aus  der  Technik 
Mannigfaltigkeit  herauszuholen  verstehen. 

Ist  es  allzu  gewagt,  daraus  Schlüsse  zu  ziehen 
auf  die  Natur  der  Leute,  die  an  diesem  Hand- 
werk gefallen  finden?  Spricht  daraus,  daß 
hier  ein  Handwerker  um  seines  Handwerks 
willen,  um  der  Qualität  seiner  Arbeitsaus- 
führung geschätzt  wird,  nicht  ein  günstiges 
Zeichen  für  die  Wandlung,  die  sich  doch  in 
unserem,  für  Kunst  interessierten  Bürgertum 
vollzogen  hat?  Was  da  geschätzt  wird,  ist  gewiß 
nicht  das  Endgültige,  nicht  das,  was  der  Künst- 
ler selbst  an  erster  Stelle  schätzen  würde,  aber 
ist  es  allzu  vermessen,  dieses  Ausgehen  von  der 
tüchtigen  und  gediegenen  Arbeitsleistung  als 
ein  Symptom  der  Gesundung  zu  nehmen?  Mag 
man  diese  Fragen  so  oder  so  beantworten,  die 
Tatsache,  daß  wir  in  der  Richtung  marschieren, 
ist  nicht  zu  bezweifeln  und  wohl  auch  nicht 
zu  bedauern.  paul  Westheim 


JOSEF  WILM-BERLIN 


ZUCKERDOSE 


140 


rm^- 


ARCII.   HONIG    UND 
SÖLDNER-MÖNCHEN 


GESAMTANSICHT  DES  GESCHÄFTSHAUSES  „ZUM  SCHÖNEN 
TURM"    VON    DER    NEUHAUSERSTRASZE    AUS   GESEHEN 


NEUERE  BAUTEN  VON  PROFESSOR  EUGEN  HONIG 
UND  KARL  SÖLDNER 


ARCII.  HONIG  UND  SÖLDNKK-MÜNCHEN  Q  URSPRÜNG- 
LICHER   FASSADENENTWURF    DES  GESCHAFTSHAU-' 
SES  „ZUM  SCHÖNEN  TURM" 


In  unseren  Millionenstädten,  „wo  alles  Un- 
rast, Leben  und  Bewegung  ist,  wo  sich 
Tausende  von  Einzelstimmen  zu  einem  brau- 
senden Akkord  von  Arbeit  vereinigen,  wo 
unübersehbare  Menschenmassen  hin  und  wider 
fluten,  wo  alle  Verkehrsmittel  nur  mühsam 
ihre  höchste  Kraftleistung  zurückhalten",  in 
diesem  kaleidoskopartigen  Bilde  der  Großstadt 
bedürfen  wir  als  einer  naturgemäßen  Entgegen- 
setzung Ruhe  und  Einheit  in  der  Architektur. 

Diesen  berechtigten  Forderungen  steht  leider 
das  Reklamebedürfnis  des  modernen  Geschäfts- 
betriebes entgegen.  Die  moderne  Sucht  auf- 
zufallen, macht  aus  jeder  Fassade  ein  Plakat, 
beklebt  jede  freie  Wand  mit  riesenhaften  Schil- 
dern, höhlt  die  Häuser  aus  und  stellt  sie  auf 
Stelzen.  Die  Straßenwand  wird  dadurch  be- 
ständig durchbrochen  und  durchlöchert  und 
mit  der  Zeit  werden  ganze  Bauquartiere  und 
Stadtkerne  ausgehöhlt. 

Unsere  modernen  Städte  haben  durch  diese 
baulichen  Sensationen,  die  sich  jeder  künst- 
lerischen Disziplin  der  Ein-  und  Unterord- 
nung des  Einzelnen  in  ein  großes  Ganzes  ent- 
ziehen, unendlich  gelitten. 

Nur  an  Stätten,  die  noch  gewisse  künstle- 
rische   Traditionen   bewahren,    herrscht  auch 


noch  der  höhere  Gesichtspunkt,  der  in  einem 
Bauwerk  auch  nur  einen  Teil  des  Ganzen 
sieht.  So  auch  in  München,  wo  man  sich 
dieser  modernen  Entwicklung  gegenüber  einer 
maßvollen  Zurückhaltung  befleißigt  und  im 
Sinne  guter  Ueberlieferungen  Wert  auf  eine 
harmonische  Eingliederung  des  Neuen  in  schon 
bestehende  alte  Baugruppen  legt. 

Moderne  Münchener  Baukünstler  wie  die 
hier  genannten  Architekten  Honig  und  Söldner 
verschließen  sich  deshalb  doch  keiner  der 
berechtigten  sozialen  Forderungen  des  moder- 
nen Lebens,  die  nach  allen  Annehmlichkeiten 
einer  höheren  Lebensführung  und  Lebensfreude 
verlangen.  Sie  bedienen  sich  all  der  Einrich- 
tungen und  Mittel,  die  die  moderne,  technische 
Wissenschaft  an  die  Hand  gibt.  Sie  erweisen 
sich  gerade  im  Industrie-  und  Geschäftsbau 
als  Gestalter  neuzeitlicher  Bedürfnisse  und  be- 
triebstechnischer Anforderungen,  die  auf  mög- 
lichst hygienische  und  praktische  Lösungen 
dringen.  Ein  besonderes  Verdienst  haben  sich 
diese  Künstler  dadurch  erworben,  daß  sie  ihre 
Geschäftsbauten,  ohne  jede  Prätention,  dem 
alten  Stadtbilde  anpassen;  in  geradezu  vor- 
bildlicher Weise  im  Warenhaus  Guttmann,  im 
Haus  Dallmayr  und  im  Geschäftshausneubau 
„Zum  Schönen  Turm". 

GESCHÄFTSHAUSNEUBAU  „ZUM  SCHÖ- 
NEN TURM",  KAUFINGERSTRASZE  22 

Nur  wenige  Oertlichkeiten  in  München  kön- 
nen das  gleiche  Interesse  beanspruchen  wie 
die  Baustelle  bei  der  Einmündung  der  Neu- 
hauser-  in  die  Kaufingerstraße. 

Hier  an  diesem  Punkt  standen  dicht  ge- 
drängt von  alters  her  bedeutsame  Bauwerke. 
Die  Augustinerkirche  mit  der  ruhigen  First- 
linie ihres  hohen  Schiffes  und  dem  mächtigen 
Chorabschluß,  dessen  Wucht  durch  die  kleinen 
Anbauten  noch  gesteigert  war,  der  Schöne 
Turm  als  formen-  und  farbenfreudiger  Ab- 
schluß der  Neuhauserstraße  gegen  das  Stadt- 
innere, dem  ältesten  Stadtkern  als  Festungs- 
tor dienend,  endlich  alles  überragt  von  dem 
mächtigen  Doppelpaar  der  Türme  Unserer 
Lieben  Frau,  die  sich  in  ihrem  gewaltigen 
Aufwärtsstreben  noch  zu  guter  Letzt  ihres  ge- 
mütlichen Münchener  Ursprunges  erinnerten 
und  statt  durchbrochener  Spitzhelme  rundliche 
Blechhelme  aufsetzten.    Der  Schöne  Turm  ist 


Dekorative  Kunst.    XIX.    5     Februar  1916 


141 


I» 


schon  seit  fast  100  Jahren  verschwunden  und 
nun  mußten  der  Verbreiterung  des  schmalen 
Augustinergäßchens  von  knapp  2  m  auf  13  m 
auch  die  letzten  alten  Häuser  weichen,  welche 
viele  Jahre  im  Schatten  des  Schönen  Turmes 
an  seiner  Zufahrtsflanke  zugebracht  hatten. 
Es  galt  nun,  den  verbliebenen  Zeugen  einer 
großen  baulichen  Vergangenheit  durch  die 
neuen  Häuser  einen  erträglichen  Nachbarn  zu- 
zugesellen, zugleich  aber  auch  der  Baumasse 
des  Reichenberger  Hauses  an  der  Ecke  Kaufin- 
gerstraße —  Domfreiheit  Rechnung  zu  tragen. 
Das  Areal  der  Neubauten  hatte  ursprüng- 
lich eine  ganze  Reihe  von  Besitzern,  von 
denen  die  Stadtgemeinde  München  in  kluger 
Voraussicht  rechtzeitig  einige  ablöste.  Ihr  ge- 
lang es,  am  Ende  die  ganze  Baufläche  unter 
zwei  Anwesensbesitzer  aufzuteilen,  die  nach- 
maligen Bauherren  des  Geschäftshauses  „Zum 
Schönen  Turm"  und  des  Weinhauses  Kurtz. 
Besonders  wichtig  für  die  städtebauliche 
Gesamtwirkung  war  es,  zu  verhindern,  daß 
bei  dem  Eckhaus  der  bereits  geläufig  ge- 
wordene Warenhaustyp  aufirat,  das  unge- 
mütliche Glashaus  mit  den  pathetischen  Ver- 
tikalen; vielmehr  machte  gerade  das  im 
Hintergrund  aufstrebende  mächtige  Doppel- 
paar der  Frauentürme  eine  horizontale  Glie- 
derung der  vorgelagerten  Baumassen  zu  einer 
gebieterischen,  beinahe  selbstverständlichen 
Notwendigkeit.  Dem  Gewohnheitsbild  ent- 
sprechend sollten  die  Baumassen  am  Eck 
selbst  soweit  möglich  gering  gehalten  werden, 
während  ihre  Kulmination  ungefähr  an  die 
Stelle  des  ehemaligen  Schönen  Turmes  zu 
liegen  käme,  in  der  Form  eines  großen  Giebels 
gegenüber  der  Fürstenfeldersfraße,  der  dem  vor- 
handenen Giebel  des  Nachbarhauses  das  Gleich- 
gewicht hielte  und  als  quergerichtete  Firstlinie 
für  die  Gesamtwirkung  von  Bedeutung  war. 
Im  Interesse  der  Verringerung  der  Massen 
des  Eckhauses  war  das  eigentliche  Haupt- 
gesims über  das  dritte  Stockwerk  verlegt,  das 
vierte  Geschoß  mansardemäßig  behandelt  und 
in  seiner  Bauflucht  zurückgesetzt,  um  zugleich 
die  immerhin  erhebliche  Hauptgesimshöhe 
herabzumindern.  Eine  Reihe  von  Fenster- 
gurtungen  betonten  gleichmäßig  die  Horizon- 
tale, endlich  sollte  ein  Walmdach  mit  leider 
nur  kurzer  Firstlinie  den  Baukörper  be- 
krönen. Solchergestalt  war  der  ursprüngliche 
Bauentwurf,  von  welchem  eine  perspektivische 
Zeichnung  beigegeben  ist. 

Dem  unüberwindlichen  Widerstand  der 
Hausmieter,  die  sich  infolge  der  bescheideneren 
Ausbildung  der  Eckmassen  geschäftlich  ge- 
schädigt fühlten,  mußte  dieser  Entwurf  welchen, 
dessen  wesentlicher  Bestandteil  die  zur  langen 


Firstlinie  der  Augustinerkirche  quer  gerichtete 
Firstlinie  war.  So  entstand  dann  auf  der  Basis 
wirtschaftlichen  Kompromisses,  wie  so  oft  im 
baulichen  Wirken  der  Privatarchitekten,  etwas 
anderes  als  das  ursprünglich  Gewollte,  ein 
teilweiser  Ausgleich  der  Massen  und  ein 
zweiter  Giebel  am  Straßeneck. 

Durch  konsequente  Fortsetzung  der  Hori- 
zontalen und  kräftige  Verneinung  des  eigent- 
lichen Giebelaufbaues  durch  Gesimse,  in- 
sonderheit durch  das  unbekümmert  durchge- 
führte Hauptgesims  über  dem  dritten  Stock 
hat  auch  diese  Lösung  zu  einem  befriedigenden 
Ergebnis  geführt,  wobei  allenfalls  noch  als 
Trost  für  die  Anhänger  überlieferter  Städte- 
bilder die  Tatsache  dienen  mag,  daß  ur- 
sprünglich an  eben  dieser  Stelle  noch  im 
gotischen  München  Sandners  ebenfalls  eine 
Giebelbildung  vorhanden  war. 

Ueber  die  Durchbildung  der  Fassade  selbst 
ist  zu  sagen :  Der  energische  Rhythmus  in 
dem  Verhältnis.  Sockel,  Aufbau,  Bekrönung 
sichert  die  Ruhe  der  Unterteilung,  die  be- 
scheidene, völlig  gleichmäßige  Behandlung  der 
Hauptflächen,  im  Gegensatz  zu  den  ungemein 
reich  gestalteten  Steinerkern  den  Charakter 
der  Gesamterscheinung.  Die  Erinnerung  an 
den  Schönen  Turm,  welcher  dem  Hause  seinen 
Namen  gegeben  hat,  ist  in  der  Form  eines 
mächtigen  Hauszeichens  am  Eck  gegeben,  wo- 
bei in  sinnigem  Bezug  auf  die  benachbarte 
Augustinerkirche  ein  Augustinermönch  das 
ansehnliche  steinerne  Turmmodell  trägt.   . 

Der  üppige  plastische  Schmuck  ist  gleich- 
falls nicht  ohne  allegorische  Bedeutung.  So 
stellen  die  8  Figuren  der  Erker  an  der  Au- 
gustinerstraße die  8  Kreise  Bayerns  dar, 
während  die  Figuren  des  reichen  Erkers  der 
Kaufingerstraße  im  zweiten  Stock  die  vier 
Menschenalter  symbolisieren.  Im  besonderen 
sei  hier  auf  das  harmonische  Verhältnis  des 
Bildwerks  zur  Architektur  hingewiesen.  Alles 
Bildwerk  wächst  organisch  aus  der  Wand  hervor 
und  wirkt  gerade  an  wichtigen  Punkten  des 
Hauses,  am  Eck,  Erker,  über  der  Türe  und 
am  Giebel  als  charakteristischer  Hausschmuck. 

Besonders  bemerkenswert  erscheint  an 
diesem  Geschäftshaus  die  Gestaltung  der 
großen  Schaufenster.  Sie  sind  mit  Kreisbögen 
überspannt,  was  allein  die  dünnen  Zwischen- 
pfeiler möglich  macht.  Horizontale  Stürze  bei 
gleichen  Pfeilerdimensionen  hätten  notwen- 
digerweise eine  gestelzte  Wirkung  des  Unter- 
geschosses hervorgebracht.  Hier  und  in  der 
ganzen  Durchführung  der  Bauangelegenheit 
ist  das  nicht  eben  häufige  Maß  von  Einsicht 
des  Bauherrn  rühmlichst  hervorzuheben,  wel- 
cher   in    voller    Absicht    dem    Vorurteil    der 


142 


ARCH.    IlöNIG    UND 
SÖLDNER-MÜNCHEN 


GESAMTANSICHT  DESGESCHAFTSHAUSES„ZUMSCHONENTURM" 
VON  DER  KAUFINGERSTRASZE  AUS  GESEHEN  MIT  BLICK  AUF 
AUGUSTINER-,  MICHAELSKIRCHE  UND  ALTE  AKADEMIE  ■ 


143 


IV 


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ARCH.  HÖNlG    UND 

SÖLDNER-MÖNCHEN 


NEUE  AUGUSTINERSTRASZE  MIT  DEN  GESCHÄFTSHÄUSERN 
„ZUM  SCHÖNEN  TURM"  UND  WEINHAUS  KURTZ  B 


144 


ARCH.  HÖNlG  UND  SÖLDNER-MONCIIEN 
BILDHAUER  PROF.  JULIUS  SEIDLER    B 


ERKER    DES    GIEBELS    AN    DER 
AUGUSTINERSTRASZE  (DETAIL» 


145 


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ARCH.  HONIG  UND  SÖLDNER-MÜNCHEN 
BILDHAUER  PROF.  JULIUS  SEIDLER     a 


GESCHÄFTSHAUS  „ZUM  SCHÖNEN  TURM":  GIEBEL 
MIT  ERKER  AN  DER  KAUFINGERSTRASZE  El 


146 


AliClI.    IlöNIG    UND 
SÖLDNER-MÜNCHEN 


GESCHÄFTSHAUS  „ZUM  SCHÖNEN  TURM":  VOR- 
HALLE IM  LADEN  DER  FIRMA  NEUNER  &.  BASCH 


Geschäftswelt  getrotzt  hat,  welches  rundbögige 
Auslagen  Fenster  verwirft. 

An  diesem  Vorurteil  scheitern  nur  allzu- 
häufig die  Bemühungen  der  Architekten  und 
doch  ist  die  Ueberführung  dünner  Pfeiler- 
massen durch  Bogen  in  die  Flächenform  die 
glücklichste  Lösung  zur  Wiederherstellung  der 
geschlossenen  Wandfläche,  ohne  welche  ein 
richtiges  Haus  nicht  auskommen  kann. 

Im  übrigen  zeigt  das  Beispiel  gerade  dieser 
Häuser  deutlich,  daß  durchaus  keine  Beein- 
trächtigung an  Lichtzufuhr  für  das  Innere 
durch  Bevorzugung  der  horizontalen  Auflösung 
besorgt  zu  werden  braucht. 

Die  leichte  Biegung  der  Baulinie  an  der  Kau- 
fingerstraße verleiht  den  Horizontalgesimsen 
eine  gewisse  Weichheit  und  leitet  zugleich  an- 
genehm auf  die  Flucht  des  Nachbarhauses  über. 

Das  Dach  ist  mit  dunklen  Ziegeln  gedeckt, 
welche  in  ihrer  stark  wechselnden  Färbung 
die  Dachfläche  angenehm  beleben. 

Der  feinkörnige  Bewurf  der  Putzflächen  ist 
grünlichgrau  getönt,  als  dunkler  Hintergrund  für 
den  heller  wirkenden  Muschelkalkstein.  Diese 


Kontraste  werden  sich  im  Laufe  der  Jahre  noch 
vertiefen  und  damit  wird  das  Gesamtaussehen  ge- 
winnen. (In  der  Bauausführung  betätigte  sich  das 
Architektur-  und  Baugeschäft  Georg  Meister.) 


Das  Schöne-Turm-Haus  steht  in  seiner  warm- 
gelben Tönung,  in  seiner  weichen,  geschmei- 
digen, in  Licht-  und  Schattenspiel  plastisch 
wirkenden  Formgebung  prächtig  gegen  den 
Himmel  und  ergibt  mit  den  warmen  ziegel- 
farbenen  Dächern  und  den  Frauentürmen  eine 
anziehende  malerische  Erscheinung.  So  bietet 
das  Schöne-Turm-Haus  gerade  an  dieser  be- 
vorzugten Stelle  dem  vom  Karlstor  herkommen- 
den Beschauer  einen  prächtigen  Blick  dar. 

Es  hat  sich  erfüllt,  was  der  genius  loci  der 
Münchener  Baukunst,  Gabriel  von  Seidl,  immer 
gewünscht  hat,  daß  das  an  dieser  Stelle  beson- 
ders schöne  Münchener  Stadtbild  in  seiner  Har- 
monie erhalten  bleibe.  Wenn  er  nach  seiner  Ge- 
wohnheit hier  noch  vorüberwandelte,  würde  er 
sich  über  den  prächtigen  Anblick  des  „Hauses 
zum  Schönen  Turm"  aufrichtig  gefreut  haben. 


147 


BILDHAUER  PROF. 
JULIUS  SEIDLER  □ 


EINZELHEITEN  DER  ERKERPLASTIK  DES 
ERKERS  AN    DER    KAUFINGERSTRASZE 


DAS  WEINHAUS  KURTZ 
AN  DER  AUGUSTINERSTRASZE 

Gleichzeitig  mit  dem  Geschäfishause  „Zum 
Schönen  Turm"  an  der  Kaufingerstraße- 
Augustinerstraße  entstand  an  Stelle  alter  Ge- 
bäude aus  dem  17.  Jahrhundert  und  der  Wein- 
halle aus  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  der 
Neubau  des  Weinhauses  Kurtz.  Die  schöne 
Form  der  Straßenführung,  der  alten  Graben- 
linie folgend,  verleiht  der  Augustinerstraße 
einen  besonderen  Reiz,  umsomehr  als  hier 
nicht  städtebauliche  Willkür  die  Veranlassung 
gewesen  ist.  Die  stark  konvex  gestaltete 
Straßenfront  ist  beim  Durchschreiten  der 
Kaufingerstraße  zumeist  in  starker  Verkürzung 
sichtbar.  Diesem  Umstand  soll  die  Fassaden- 
ausbildung Rechnung  tragen,  indem  die  Fenster 
gleichmäßig  nebeneinander  gereiht  wurden, 
so  daß  auch  in  der  schärfsten  Verkürzung  der 
Eindruck  der  Größe  der  Hausfront  gewahrt 
bleibt.  Zu  dem  ausgesprochenen  Horizontalis- 
mus der  Gliederung  bilden  die  beiden  flachen 
Erker  den  künstlerischen  Gegensatz.  Das 
vollständig  ausgebaute  4.  Stockwerk  ist  mit 
Rücksicht  auf  die  intimere  Gesamterscheinung 
in  einem  steilen  Mansarddach  untergebracht, 
welches  in  seinem  oberen  flacheren  Teil  or- 


ganisch zum  Eckhaus  überfährt.  Aber  auch 
die  verbleibenden  vier  Stockwerke  sind  noch- 
mals kräftig  unterteilt  über  dem  Erdgeschoß 
und  über  dem  2.  Stock  in  der  Form  eines 
weitausladenden  blumengeschmückten  Haupt- 
gesimses, das  auf  beiden  Erkern  aufruht  und 


BILDHAUER  PROF.  JUL.  SEIDLER  G  HAUSZEICHEN  DER 
WEINWIRTSCHAFT  KURTZ,  AUGUSTINERSTRASZE  1 


148 


AUCH.    IIÖXIG    UND 
SÖLDNER-MÖNCHEN 


WEINHAUS  KURTZ  AN  DER 
AUGUSTINERSTRASZE 


Dekoraiive  Kunst.  XIX.     5.    Februar   1916 


149 


20 


ARCH.  HONIG  UND  SÖLDNER-MÜNCHEN 


HAUPTGASTRAUM  IM  WEINHAUS  KURTZ 


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GRUNDRISZ  DES  ERDGESCHOSZES  VOM  WEINHAUS  KURTZ 

150 


dem  gegenüber  das  Dachge- 
sitns  an  Bedeutung  entschie- 
den nachsteht. 

Das  Erdgeschoß  enthält  die 
Gaststätten  und  stellt  sich 
nach  außen  als  rustikal  be- 
handelte Bogenarchitektur 
dar,  dem  die  unverändert 
übernommenen  kleinen  mit 
Butzenscheiben  geschmück- 
ten Fensterchen  des  alten  Ne- 
benzimmers harmonisch  an- 
gegliedert sind. 

Der  erste  Stock  enthält 
die  Wohnung  des  Gasthof- 
besitzers und  Wirtes,  die 
anderen  Etagen  Geschäfts- 
räume. 

Die  besondere  Zweckbe- 
stimmung des  obersten  Stock- 
werkes mit  seinen  höchsten 
Ansprüchen  an  Lichtzufuhr 
gab    Veranlassung   zu    einer 


beinahe  restlosen  Auflösung  der 
Wand  in  aneinander  gereihte  Fen- 
ster. So  sehr  überwiegt  der  Ein- 
druck der  Reihung,  daß  nieman- 
dem, auch  nicht  dem  Fachmann 
die  ganz  unterschiedliche  Größe 
dieser  Fenster  auffällt,  ein  Ex- 
periment, das  die  Alten  in  ganz 
selbstverständlicher  Weise  jedem 
Bedürfnis  zuliebe  machten,  zu  dem 
wir  aber  infolge  unserer  mathe- 
matischen und  linearen  Erziehung 
erst  nach  Ueberwindung  starker 
Bedenken  gelangen.  Aehnlich  dem 
Eckhaus  hat  das  Weinhaus  Kurtz 
doch  wieder  seine  ganz  bestimmte 
Eigenart,  eine  leichtfaßliche  Art 
der  Gliederung,  die  sich  dem  Ge- 
dächtnis gut  einprägt.  Dunkelge- 
tönter Putz,  mehr  ins  Bräunlich- 
gelbe spielend,  bildet  den  Hinter- 
grund für  den  sparsam  verwende- 
ten hellen  Muschelkalkstein. 

Ein  weitherausragendes  Wirts- 
hausschild im  ersten  Stock  mit 
Laterne,  im  Geiste  dieser  Wahr- 
zeichen geformt,  kündet  von  wei- 
tem die  gastliche  Stätte  an. 

Auf  den  gemütlichen  Charakter 
des  Hauses  weist  auch  noch  der 
plastische  Schmuck  in  Gestalt  eines 
humorvollen  Hauszeichens  in  Re- 
liefform und  die  beiden  originellen 
Schlußsteine  von  Bildhauer  J.  Seid- 
ler hin. 

Das  Innere  des  Hauses  enthält 
das  große  Gastzimmer  in  einer 
dem  Geiste  des  alten  Lokales  ver- 
wandten Durchbildung,  und  nur  ein 
wenig  größer  wie  das  alte  Lokal. 

Die  beiden  Nebenzimmer  sind 
dem  alten  Bau  entnommen  und 
mit  geringfügigen  Aenderungen  dem 
Neubau  einverleibt  worden. 

Die  künstliche  Beleuchtung  der 
Räume  erfolgt  überall  in  indirek- 
ter Form,  so  daß  der  Gast  durch 
keine  blitzenden  Lichtquellen  ge- 
stört wird,  dagegen  auf  seiner 
Tischfläche  selbst  ein  Höchstmaß 
von  Licht  hat.  Diese  Lichtkreise 
umschließen  dann  immer  von 
selbst  kleine  in  sich  geschlossene  Zirkel, 
deren  gemütliches  Zusammensein  die  Haupt- 
sache ist,  im  Gegensatz  zu  anderen  Loka- 
len, in  denen  eine  möglichst  große  gegen- 
seitige Sichtbarkeit  und  Gesamtübersicht  ge- 
wünscht wird. 


ARCIl,   HONIG    UNI) 
SÖLDNER-MÜNCHEN 


GESCHÄFTSHAUS  DALL- 
MAYR,    DIENERSTRASZE 


So  herrscht  auch  im  neuen  Hause  wie  im 
alten  derselbe  gesellige  Geist,  die  Münchner 
Gemütlichkeit,  an  der  Stätte  behaglichen 
Lebensgenusses. 


151 


X» 


DAS  HAUS  DALLMAYR, 
DIENERSTRASZE  13—15 

Das  Geschäftshaus  der  altbekannten  Firma 
Alois  Dallmayr,  war  Neu-  und  Umbau;  die 
Häuser  13  und  14  mußten  einem  vollständigen 
Neubau  weichen,  das  Haus  Nr.  15  wurde 
lediglich  im  Innern  umgebaut.  Für  die  äußere 
Architektur  war  maßgebend,  diejenige  des 
alten  Hauses  Nr.  13  aus  dem  Ende  des 
18.  Jahrhunderts.  Die  Fassade  war  bei  aller 
Strenge  der  damaligen  Kunstübung  doch  von 
einer  besonderen  Eigenart,  die  ihre  Erhaltung 
wünschenswert  gemacht  hätte.  Allein  die  Un- 
möglichkeit, mit  den  gegebenen  Stockwerks- 
höhen auszukommen,  ferner  die  Notwendig- 
keit, ein  weiteres  Stockwerk  aufzubauen, 
zwangen  zum  Neubau.  Um  den  Charakter 
des  Straßenbildes  zu  wahren  und  die  alte 
Architektur  am  neuen  Hause  festzuhalten,  ist 
das  neue  Haus  ganz  im  Geiste  des  alten 
wieder  erbaut.  Das  Erdgeschoß  mit  seinen 
Rundbogenschaufenstern,  Muschelkalkpfeilern 
und  Einfassungen,  ist  der  entschiedenen  Glie- 
derung der  oberen  Etagen,  in  freien  jonischen 
Pilasterstellungen,  glücklich  angepaßt. 

Das  vierte  Stockwerk  ist  als  eine  neue  Zu- 
tat von  wesentlich  schädigender  Wirkung  stark 
zurückgesetzt,  mit  Ziegelvordach  versehen  und 
so  gleichsam    zur  Mansarde  gestempelt,  oder 


in  die  Dachwirkung  mit  einbezogen.  Und  so 
aliein  konnte  eine  wesentliche  Beeinträchtigung 
der  alten  Formeneinheit  in  der  Fassade  ver- 
mieden werden. 

Haus  Nr.  14  war  zum  Mittelrisalit  umge- 
wandelt, dessen  Bedeutung  für  die  Gesamt- 
anlage erst  nach  Einbeziehung  des  Hauses 
Nr.  15  in  die  gleiche  Formengeburg  klar  ver- 
ständlich wird. 

Die  farbige  Erscheinung  des  Hauses :  dunkle 
Putztönung,  dunkle  Dachziegel,  entspricht  dem 
gewohnten  Münchener  Siraßenbild. 

Das  Innere  erhält  seinen  besonderen  archi- 
tektonischen Charakter  durch  Anknüpfung  an 
eine  schon  vorhandene  wuchtige  Säulenarchi- 
tektur, eine  große  Doppelreihe  gedrungener, 
dorischer  Juramarmorsäulen,  mit  Spitzbogen- 
verbindung. Zwischen  diese  sind  in  geschickter 
Weise  die  Ladentische  eingebaut. 

Ein  Marmorfußboden  aus  rotem  Lienbacher 
Marmor,  dunkelgetöntes  Eichenholz  der  Laden- 
einrichtung, farbige  Stilleben  in  vergoldeten 
Stuckrahmen,  Hirschgeweihe  auf  kranzum- 
wundenen Schädeln  an  den  Wänden  und 
zwischen  den  Pfeilern,  Glasmalereien  mit  den 
Hoflieferantenwappen  an  den  rückseitigen 
Fenstern  und  eine  diskrete  Deckenbeleuchtung, 
alles  wirkt  zusammen,  um  eine  richtige  Stil- 
atmosphäre der  Lebensmittelverkaufshalle  zu 
schaffen,  wie  sie,  wenigstens  in  unserer  Zeit, 


ARCH.  HÖNlG  UND  SÖLDNER-MÜNCHEN 


GESCHÄFTSHAUS  DALLMAYR:  LADENINNERES 


152 


ARCH.  HONIG    UND 
SÖLDNER-MÜNCHEN 


LANDHAUS  DER  FRAU  S.  VON  PRITTWITZ  UND  GAFFRON 
IN  TUTZING  AM  STARNBERGER  SEE:  BLICK  VOM  SEE  AUS 


nur  selten  angetroffen  wird.  Ein  reizender  mit  dem  lustig  plätschernden  Wasser  ein  be- 
Zierbrunnen  mit  Fischen,  aus  Treuchtlinger  lebendes  Element  mehr  in  der  von  regem 
Marmor,   von    Prof.  Gg.  Albertshofer,    bietet      Verkehr  erfüllten  Verkaufshalle. 


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GRUNDRISZ  DES  ERDGESCHOSZES  VOM  LANDHAUS  PRITTWITZ 


153 


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154 


In  einem  angenehmen  Gegensatz  zu  dieser 
Halle,  die  in  ihrer  Formengebung  schwer 
wuchtend  gehalten  ist,  steht  ein  in  eleganten 
und  zierlichen  Formen  durchgeführter  Kon- 
fitürenladen. Hier  ist  die  Ladeneinrichtung 
aus  poliertem  Kirschbaumholz  und  die  Decke 
zum  Teil  weiß  stuckiert,  was  dem  kleinen 
Raum  eine  helle  und  freundliche  Wirkung 
gibt.  Daß  diese  angenehme,  farbig  dekorative 
Wirkung  dieser  beiden  Räume  mit  Verwen- 
dung nur  heimischer  Baumaterialien,  Steine 
und  Hölzer  erreicht  wurde,  verdient  besonders 
bemerkt  zu  werden.  Ein  Schwarzweiß- Bild 
davon  gibt  kaum  eine  Vorstellung  von  dem 
malerischen  Reiz  und  der  warmen  tonigen 
Harmonie  dieser  Farben, 

Auch  hier  ist  wieder  eine  besondere  Bau- 
aufgabe, einen  für  die  besonderen  Ansprüche 
der  Lebensmittelbranche  mit  ihren  oftenaus- 
gelegten  Waren  geeigneten  und  zugleich  an- 
ziehenden Verkaufsraum  zu  schaffen,  der  allen 
Ansprüchen  des  Kaufherrn  wie  des  Publikums 
genügt,  glänzend  gelöst. 


LANDHAUS  DER  FRAU  S.  von  PRITTWITZ 

UND  GAFFRON  IN  TUTZING  AM  STARN- 

BERGER  SEE 

Ein  Landhaus  ist  kein  Stadthaus.  Beim 
Landhaus  ist  noch  mehr  wie  beim  Stadthaus 
eine  gewisse  Zurückhaltung  im  Gebrauch  ar- 
chitektonischer Details  notwendig.  Denn  stär- 
ker als  das  Gebild  von  Menschenhand  spricht 
die  Natur. 

Bei  der  Projektierung  von  Landhausbauten 
ist  deshalb  Ein-  und  Unterordnung  in  das 
Naturbild  eine  selbstverständliche  Forderung. 
Hier  kann  nur  eine  Architektur  mit  großen 
einfachen  Linien  wirken,  welche  gleichsam 
das  Grundmotiv  der  örtlichen  Situation  in  ihrer 


horizontalen  oder  vertikalen  Linienführung  auf- 
nimmt und  in  ihrem  Organismus  rhythmisch 
abwandelt. 

In  diesem  Sinne  ist  auch  das  durch  die 
Architekten  Honig  und  Söldner  erbaute  Land- 
haus der  Frau  S.  von  Prittwitz  und  Gaffron 
in  Tutzing  am  Starnberger  See  disponiert. 

Die  außerordentlich  einfache  Gliederung 
dieses  Hauses  ist  durch  die  Lage  bedingt. 
Im  Vordergrund  die  breite  Seefläche,  im 
Hintergrund  die  bewaldeten  hügeligen  Ufer 
weisen  von  selbst  auf  einfache  Silhouettierung 
hin,  wie  solche  auch  z.  B.  im  alten  Schloß  zu 
Starnberg  so  schön  zum  Ausdruck  kommt. 
Der  Hauptraum  des  Hauses  der  in  der  Mittel- 
achse gelegene  Salon,  ist  auch  äußerlich  mit 
einer  Steinsäulenarchitektur  und  davor  liegen- 
der Terrasse  sichtbar  zum  Ausdruck  gebracht. 
Ein  hohes  Sockelgeschoß  aus  gespitztem 
Muschelkalk,  die  Säulenarchifektur  des  Mittel- 
baues mit  der  davorliegenden  Terrasse,  die 
weißen  Putzwände  mit  den  grünen  Fenster- 
läden, das  ruhige  mit  dunklen  Ziegeln  ge- 
deckte Walmdach  wirken  zusammen,  um 
einen  in  seiner  sinngemäßen  Einfachheit  vor- 
nehm wirkenden  Haustyp  entstehen  zu  lassen. 
Die  klare  Symmetrie,  die  sich  in  der  Haupt- 
ansicht des  Gebäudes  ausspricht,  ist  die 
Folge  eines  ebenso  klaren  Bauprogramms 
der  Bauherrin,  wie  der  ebenso  einfach 
klaren  Disponierung  und  Grundrißanlage.  Da- 
nach ergaben  sich  im  Innern  stattliche  und 
doch  stimmungsvolle  behagliche  Räume,  deren 
Fenster  möglichst  viele  Ausblicke  über  den 
See  und  die  entzückende  Femsicht  aufs  nahe 
Gebirge  frei  lassen.  Die  Räume  bieten  alle 
Bequemlichkeiten,  die  der  moderne  Mensch 
auch  in  unmittelbarer  Nähe  der  Natur  nicht 
gern  missen  mag.  In  der  Ausstattung  fand 
hier  auch  das  Kunstgewerbe,  wie  unsere  Ab- 
bildung  des   schönen  Ofens  zeigt,   eine  gute 


ARCH.  HONIG  UND  SÖLDNER-MÜNCHEN 


LANDHAUS  PRITTWITZ:  SCHIFFSHOTTE  UND  BADEHAU& 

155 


ARCH.   HONIG    UND 
SÖLDNER-MÖNCHEN 


LANDHAUS  PRITTWITZ 
OFEN  IM  SALON  □ 


Stätte.  Wie  es  sich  bei  einem  Landhaus  in 
so  bevorzugter  Lage  von  selbst  versteht,  wurde 
die  schon  vorhandene  gärtnerische  Anlage,  vor 
allem  aber  der  bestehende  Naturwuchs  des 
landschaftlich  so  reizvollen  Ufergeländes  nach 
Möglichkeit  geschont.  Eine  alte  Parkanlage 
gibt  dem  Hause  einen  geschlossenen  Hinter- 
grund und  eine  Umrahmung,  wie  man  sie  an- 
mutiger und  reizvoller  kaum  denken  kann. 


Insgesamt  zeigen  auch  diese  neueren  Arbeiten 
der  rühmlichst  bekannten  Architekten  Prof. 
Eugen  Honig  und  Karl  Söldner  wieder,  daß 
ihre  baukünsilerischen  Schöpfungen  sowohl  als 
Einzelwerke,  wie  in  ihrer  Uebereinstimmung 
mit  den  modernen  Bestrebungen  einer  städte- 
baulichen Kultur,  auf  einem  heute  nur  selten 
erreichten  künstlerischen  Niveau  stehen. 

Alexander  Heilmeyer 


156 


VASE  UND  DOSE.    KRISTALL.    RUBIN- 
ROT, OBERFANG.    GESCHLIFFEN        □ 


ENTWURF;  ARCll.  E.  J.  MARGOLD-DAR.MSTADT 
AUSFÜHRUNG:  CARL  SCHAPPEL-HAIDA  ■ 


GLÄSER  VON  EMANUEL  JOSEF  MARGOLD 


Die  Wiener  Ausstellung  künstlerischer  Glas- 
waren österreichischer  Herstellung  brachte 
schöne  Aufschlüsse  über  eine  alte  Industrie, 
die  sich  in  Oesterreich  (man  denke  an  die 
böhmischen  Glashütten)  frisch  und  lebensfähig 
erhalten  hat.  E.  J.  Margold,  der  in  vielen 
Sätteln  Gerechte,  trat  auch  hierbei  hervor. 
Die  kräftige,  gesunde  Eleganz,  die  der  Vorzug 
der  meisten  seiner  Schöpfungen  ist,  zeigt  er 
auch  bei  diesem  vornehmen,  geistreichen  Ma- 
terial. Die  edlen  Kurven,  die  geglückte  Ein- 
teilung der  Flächen,  die  lebendige  Farben- 
wirkung, der  gute  Aufbau,  all  das  fügt  sich 
dem  übrigen  Schaffen  des  Künstlers  passend 
an.  Margold  behandelt  das  elegante  Material 
mit  Zartheit,  aber  auch  mit  Kraft.  Seine  Formen 
haben  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  jene  angenehme 
innere  Gelassenheit,  die  wir  bei  den  uns  täg- 


lich umgebenden  Dingen  nicht  gerne  missen 
mögen.  Den  bloßen  „Einfall"  bekommen  wir 
bald  satt.  Nur  was  bei  aller  Erfindung  Ruhe 
und  Reife  hat,  dem  bleiben  wir  dauernd  gewo- 
gen. Pompös  baut  sich  die  große  Bowle 
mit  ihrem  lebendigen  Profil  auf,  ein  guter 
architektonischer  Gedanke  in  der  Entwicklung 
des  „Sockels",  über  dem  sich  die  gutgeführten 
ruhigen  Flächen  der  Wandung  und  die  sehr 
repräsentable  Deckelpartie  erheben.  Guter 
Handwerksgeist  ist  in  den  niedlichen,  hand- 
und  mundgerechten  Trinkgläsern,  die  sie  beglei- 
ten. Leichter  liest  man  die  Formen  in  den 
einfachen  schönen  Kristalldosen  ab,  die 
sich  neben  guten  alten  Arbeiten  behaupten. 
Modernere  Gesinnung  spricht  aus  der  sechs- 
eckigen geschliffenen  G I  a  s  d  o  s  e,  deren  Linien 
elastisch    und    wie    gespannt  ein  wenig  nach 


Dekorative  Kunst.    XIX.    5.     Februar  1916 


157 


OBSTSCHALE.  KRISTALL.  RUBINROT  OBER- 
FANGEN.     LINIEN    HERAUSGESCHLIFFEN 


ENTWURF:  ARCH.  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT 
AUSFÜHRUNG:  CARL  SCHAPPEL-HAIDA  S 


außen  nachgeben ;  eine  sehr  einfache  Form, 
bei  der  das  Hauptgewicht  auf  dem  einge- 
schliffenen Flächenschmuck  liegt.  Die  tiefen 
ovalen  Schalen  für  Blumen  oder  Früchte 
zeigen  einfachste  Flä- 
chenmuster in  Ru- 
binglas; schlichte, 
gute,  moderne  Art 
von  einem  gelasse- 
nen, weltmännischen 
Auftreten;  der  Reiz 
liegt  hauptsächlich  in 
den  gediegenen,  man 
möchte  sagen :  rich- 
tigen Verhältnissen, 
die  den  Stimmungs- 
wert der  Redlichkeit 


KLEINE  DOSE 
RUBINROT 


und  Vornehmheit  haben.  Baukünstlerischer 
Geist  spricht  sich,  soweit  möglich,  überhaupt 
bei  Margolds  Gläser-  und  Vasenformen  häufig 
aus.    Der  Schmuck  beschränkt  sich  meist  auf 

einfache  Charakteri- 
sierung der  Teilflä- 
chen ;  mit  Recht, 
denn  Glas  ist  in  er- 
ster Linie  Lichtbre- 
chung und  Lichtfär- 
bung, ein  optisches 
Spiel,  dem  man  am 
besten  durch  reiche- 
res oder  schlichte- 
res Gegeneinander- 
setzen  der  Flächen 
dient.        w.  Michel 


ENTWURF:     ARCH.  E.  J. 

MARGOLD-DARMSTADT 

AUSFÜHRUNG:        CARL 

SCHAPPEL-HAIDA 


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HEIMATKUNST  UND  EINHEITSFORM 

AUS  EINEM  VORTRAGE  ÜBER  DEN  WIEDERAUFBAU  KRIEGSZERSTÖRTER  ORTSCHAFTEN 

VON    HERMANN  MUTHESIUS 


Die  neuerliche  Zersplitterung  unserer 
Architektur  hatte  zu  jener  Buntheit 
und  Verworrenheit,  zu  jener  seichten  Ver- 
flachung und  dilettantischen  Oberflächlich- 
keit geführt,  die  dem  Bauschaffen  des  enden- 
den 19.  Jahrhunderts  im  Gegensatz  zu  allen 
früheren  Zeiten  eigentümlich  ist.  Schließ- 
lich kam  der  Zeitpunkt,  wo  weite  Kreise 
einsahen,  daß  auf  diesem  Wege  nicht  weiter- 
geschritten werden  dürfe.  Allerorten  erhob 
sich  der  Ruf,  daß  unser  Land  durch  Neu- 
bauten verschandelt  werde.  Denn  neben  der 
planlosen,  minderwertigen  Architektur  des 
Tages  war  noch  allerorten  die  alte  Bauweise 
der  unberührten  Ortschaften  zu  sehen,  die  sich 
durch  ihre  Geschlossenheit  und  Einheitlich- 
keit, durch  ihre  schlichte  und  anspruchslose 
Art  außerordentlich  vorteilhaft  von  den 
neuen  Gebäuden  abhoben.  Aus  dem  sich 
aufdrängenden  Vergleich,  aus  dem  Wunsche, 
die  alte  Würde  und  Ruhe  wieder  zu  erreichen, 
wurde  die  Heimatkunstbewegung  geboren. 
Unbedingt  muß  es  unser  ganzes  Bestreben 
sein,  ähnliche  gute  Wirkungen,  wie  sie  un- 
sere alten  Ortschaften  bieten,  auch  im  heuti- 
gen Bauschaffen  wieder  herbeizuführen. 
Wie  dies  aber  anzustellen  sei,  darüber  gehen 
die  Meinungen  auseinander.  Die  Sonder- 
maßnahmen, die  die  Heimatkunst  ange- 
wandt hat,  sind  häufig  verfehlt  gewesen.  Zu- 
nächst ist  die  Heimatkunst  häufig  gewechselt 
worden  mit  der  Wiederaufnahme  eines  frü- 
heren Stiles.  Man  glaubte,  man  würde  das- 
selbe ruhige  und  geschlossene  Ortsbild  wie 
in  den  alten  Dörfern  und  Städten  erhalten, 
wenn  man  die  Formen  der  dortigen  alten 
Architektur  wieder  anwendete.  Auf  diese 
Weise  sind  Ortsstatute  entstanden,  die  die 
Architektur  einer  ganz  bestimmten  Zeit  vor- 
schreiben; beispielsweise  werden  fürHildes- 
heim  die  Stilformen  bis  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts gefordert.  Hätte  man  dabei  noch 
das  Wesen  der  alten  Architektur  im  Sinne, 
das  ja  jenseits  der  Stiläußerlichkeiten  liegt, 
so  ließe  sich  noch  darüber  reden.  Aber 
nein,  man  meinte  ganz  bestimmte  Formen. 
Und  so  zeigen  die  Neubauten  in  den  Stra- 
ßen Hildesheims  und  vieler  anderer  „hei- 
matgeschützter" Orte  eine  unmittelbare  Nach- 
ahmung der  vergangenen  Stilmerkmale. 
Aber  mit  welcher  Art  von  Nachahmung  hat 
man   sich   begnügt!   Man   ahmte   selbstver- 


ständlich das  Holzfachwerk  nach.  Um  es 
aber  billig  herzustellen,  stellte  man  dünne 
Stile  und  Riegel  in  weite  Abstände.  Natür- 
lich, denn  das  dichtgedrängte  alte  Fachwerk 
wäre  viel  zu  teuer  gewesen.  Der  Erfolg 
mußte  ein  kläglicher  sein.  Auch  wo  man, 
wie  an  anderen  Orten,  Steinformen  und 
Holzschnitzereien  nachbildete,  stieß  die 
neue  Art  hart  von  der  alten  ab.  Vor  allem 
aber  geboten  ja  die  veränderten  Zeitbe- 
dürfnisse weitgehende  Abweichungen  von 
den  alten  Bauten,  es  traten  andere  Stock- 
werkhöhen ein,  andere  Zimmer-  und  damit 
andere  Fenstereinteilungen,  eine  andere  Art 
der  Dachgeschoßausnutzung ,  wodurch 
natürlich  das  Wesen  der  neuen  Imitations- 
bauten den  alten  Bauwerken  gegenüber  ganz 
grundsätzlich  geändert  wurde.  Die  neuen 
Heimatkunstbauten  stehen  denn  auch  meist 
wie  Karikaturen  neben  den  alten  behäbi- 
gen und  gediegenen  Originalen.  Sie  schei- 
nen ein  Maskenkleid  zu  tragen  aus  zusam- 
mengesuchten billigen  Flicken,  das  ge- 
rade neben  dem  echten  Zeitkleid  der  alten 
Bauwerke  um  so  peinlicher  berührt.  Aber 
auch  wo  man  genau  nachgebildet  hat,  ist 
der  Erfolg  durchaus  zweifelhaft.  Auch  diese 
Bauten  stehen  noch  seelenlos  da,  sie  haben 
etwas  Unglaubwürdiges,  sie  atmen  einen 
falschen  Geist. 

Wie  sind  solche  Mißerfolge  zu  erklären? 
Sie  ergeben  sich,  weil  es  für  uns  ganz  un- 
möglich ist,  in  die  Haut  unserer  Urgroßväter 
zu  kriechen.  Wir  können  immer  nur  aus 
den  Bedingungen  heraus  schaffen,  die  in  uns 
selbst  liegen,  nicht  aber  aus  Bedingungen, 
die  in  anderen  Menschen  und  noch  weniger 
in  einer  anderen  Zeit  gegeben  sind.  Und, 
wenn  wir  der  Sache  einmal  auf  den  Grund 
gehen:  wie  kommen  wir  überhaupt  dazu, 
uns  selbst  in  dieser  Weise  verleugnen  zu 
wollen?  Hat  je  eine  andere  Zeit  etwas  Aehn- 
liches  unternommen?  Hat  je  ein  Baumeister 
des  18.  Jahrhunderts  bauen  wollen  wie  man 
im  15.  Jahrhundert  baute?  Es  ist  niemals 
der  Fall  gewesen.  Nimmermehr  werden  wir 
die  Aufgaben  der  Zeit  zu  lösen  imstande 
sein,  wenn  wir  dafür  kein  anderes  Mittel 
aufbringen  können,  als  eine  Zeitverneinung. 

Aber  die  Unmöglichkeit  der  Stilheimat- 
kunst ergibt  sich  noch  zweifelloser  aus  an- 
deren Betrachtungen.  Man  denke  einmal  den 


150 


21* 


Fall  aus,  daß  am  Schloßplatz  in  Straßburg 
ein  Neubau  zu  errichten  sei,  für  den  die  ge- 
schilderten heimatkünstlerischen  Anschau- 
ungen maßgebend  sein  sollten.  Soll  nun  der 
Neubau  in  den  Formen  des  Münsters,  des 
alten  Schlosses,  oder  des  Frauenhauses, 
oder  des  Lyzeums  gehalten  sein?  Welches 
ist  hier  die  richtige  Heimatkunst?  Man 
sieht,  die  Stilauffassung  der  Heimatkunst  ist 
nicht  aufrecht  zu  erhalten.  Sie  führt  zur 
Zeitenverwirrung  selbst  bei  denjenigen,  die 
das  Nachahmen  alter  Stile  in  neuer  Zeit  für 
berechtigt  halten.  Welche  schreienden  Zeit- 
widrigkeiten werden  aber  unter  dem  Stich- 
wort der  Heimatkunst  heute  tatsächlich  be- 
gangen? In  einem  Vororte  Berlins  ist  ein 
Bahnhof  der  elektrischen  Hoch-  und  Unter- 
grundbahn in  der  Form  eines  strohgedeck- 
ten alten  Bauernhofes  gebaut,  wahrschein- 
lich weil  die  Station  „Dorf  Dahlem"  heißt. 
Dahlem  mag  früher  einmal  strohgedeckte 
Dächer  gehabt  haben.  Inzwischen  hat  die 
Feuerversicherung  längst  für  Ersatz  dieser 
Strohdächer  durch  Ziegeldächer  gesorgt. 
Welcher  Unsinn,  ein  so  modernes  Gebäude, 
wie  einen  Untergrundbahnhof,  in  die  Form 
einer  Bauernhütte  kleiden  zu  wollen. 

Nicht  diese  Art  von  Heimatkunst  dürfen 
wir  treiben.  Worin  besteht  im  Gegensatz 
dazu  die  wirkliche  Heimatkunst?  Die  Frage 
kann  leichter  beantwortet  werden,  wenn  wir 
sie  wieder  auflösen  in  die  beiden  ursprüng- 
lichen Fragen:  l.Wie  erreichen  wir  im  heu- 
tigen Bauschaffen  dieselben  günstigen  Er- 
gebnisse, wie  sie  im  alten  erzielt  wurden? 
und  2.  wie  fügen  wir  die  neuen  Bauten  so  in 
das  bestehende  Alte  ein,  daß  sie  dessen  har- 
monische Gesamterscheinung  nicht  stören? 

Um  mit  der  zweiten  Frage  zu  beginnen, 
die  ja  auch  im  Falle  des  Wiederaufbaues  der 
kriegszerstörten  Ortschaften  die  wichtigere 
ist,  so  muß  man  sich  von  Anfang  an  dar- 
über klar  sein,  daß  alle  heimatkünstleri- 
schen Vorschriften  nicht  eigentlich  schöpfe- 
rischer Natur  sein  können.  Es  kann  durch 
sie  nicht  bewirkt  werden,  daß  gute  Archi- 
tektur gemacht  wird.  Die  Heimatkunst  kann 
nur  darüber  wachen,  daß  gewisse  unter 
allen  Umständen  störende  Maßnahmen  nicht 
getroffen  werden.  Die  Stilfrage  ist  daher  als 
unmittelbare  Anweisung  zum  Gebrauch  be- 
stimmter Formen  unter  allen  Umständen 
auszuschalten.  Nicht  um  eine  Stilfrage  han- 
delt es  sich,  sondern  um  eine  künstlerische 
Taktfrage.  Im  übrigen  lehrt  uns  ja  die 
gesamte  alte  Kunst,  daß  auch  Bauten  aus 
verschiedenen  Bauzeiten  ganz  gut  nebenein- 
ander stehen  und  sogar  ein  ausgezeichnetes 


Städtebild  abgeben  können.  An  dem  schon 
erwähnten  Schloßplatz  in  Straßburg  stehen 
Gotik,  deutsche  Renaissance  und  Barock  ein- 
trächtig nebeneinander.  Warum  sind  gerade 
wir  Heutigen  so  darauf  versessen,  solche 
Nebeneinanderstellungen  nicht  mehr  zu 
dulden?  Dem  Verlangen  liegt  ein  Trugschluß 
zugrunde.  Es  sind  allerdings  dadurch,  daß 
neue  Bauten  in  eine  alte  Umgebung  gestellt 
worden  sind,  Ungereimtheiten  geschaffen 
worden.  Man  hat  daraus  aber  zu  Unrecht 
geschlossen,  daß  das  Unstimmige  von  der 
Stilverschiedenheit  herrühre.  In  Wahrheit 
ist  die  Ursache  nicht  stilistischer,  sondern 
qualitativer  Art,  mit  anderen  Worten,  die 
Entstellungen  liegen  nicht  darin,  daß  die 
neben  den  alten  Bauten  stehenden  neuen 
Bauten  ein  anderes  Zeitkleid  tragen,  son- 
dern darin,  daß  sie  schlecht  sind.  Und 
hier  treffen  wir  endlich  den  Punkt,  um  den 
sich  alles  dreht.  Die  alten  Bauten  waren 
fast  ausnahmslos  gut.  Sie  waren  in  auf- 
richtiger Gesinnung  geschaffen,  aus  einer 
geschlossenen  Ueberlieferung  heraus.  Sie 
machten  nicht  den  Anspruch,  Aufsehen  zu 
erregen,  ihre  Schöpfer  hatten  wohl  über- 
haupt nicht  einmal  die  Meinung,  daß  sie 
Kunstwerke  in  die  Welt  setzten,  sie  fühlten 
sich  als  Handwerker.  Aber  eben  dadurch, 
daß  sie  nur  die  Sache  im  Auge  hatten,  und 
daß  sie,  was  die  Form  anbetrifft,  eine 
feste  Ueberzeugung  teilten,  eben  dadurch, 
daß  sie  aus  dieser  Ueberzeugung  heraus 
mit  einem  gewissen  natürlichen,  unbeirrten 
Sinne  bauten,  dadurch  schufen  sie  gute  Ar- 
chitektur. Demgegenüber  liegen  die  Schä- 
den des  Bauens  der  letzten  fünfzig  Jahre  in 
allerhand  untergeschobenen  unsachlichen 
Rücksichten  und  nicht  zum  mindesten  in 
einer  gewissen  Ansprucherhebung  des  heu- 
tigen Bauschaffenden.  Jeder  Architekt  will 
aufsehenerregende  Werke  in  die  Welt  setzen, 
sie  sollen  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zie- 
hen, wie  die  Gemälde  in  der  Ausstellung 
oder  wie  eine  Statue  auf  einem  freien  Platze. 
Jedes  Haus  wird  deshalb  mit  den  vermeint- 
lichen Ausweisen  der  Kunst  belastet,  vor 
allem  aber  möglichst  anders  gestaltet  als 
seine  ganze  Umgebung.  Das  Publikum 
hat  beim  Betrachten  eines  Bauwerkes  keine 
reine  Freude  mehr,  sondern  nur  noch  die 
Vorstellung,  wissen  zu  müssen,  in  welchem 
Stileeserrichtetsei.  Sagtman  einem  Wissens- 
durstigen, daß  an  dem  oder  jenem  moder- 
nen Bau  ein  bestimmter  Stil  weder  erstrebt 
noch  eingehalten  sei,  so  wird  er  tieftraurig 
und  verliert  jede  Neigung,  sich  weiter  mit 
dem  Dinge  zu  beschäftigen. 


160 


WEINSERVICE.       KRISTALL 
RUBINROT  U.  GESCHLIFFEN 


ENTWURF:  ARCIl.  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT 
AUSFÜHRUNG:  CARL  SCHAPPEL-HAIDA  a 


Durch  alle  solche  Umstände  ist  es  gekom- 
men, daß  die  große  Mehrzahl  der  neueren 
Bauten  schlecht  ist.  Und  deshalb  entstehen 
die  bekannten  Unstimmigkeiten  zwischen 
den  guten  alten  und  den  schlechten  neuen 
Bauten. 

Wer  zu  dieser  Einsicht  gelangt  ist,  für  den 
wird  es  nicht  schwer  sein,  die  richtige  Ant- 
wort auf  die  obengestellten  Fragen  zu  fin- 
den. Wir  werden  dann  wieder  so  harmo- 
nische Stadt-  und  Straßenbilder  bekommen, 
wie  sie  frühere  Zeiten  schufen,  wenn 
wir  neben  die  guten  alten  Bauten  nicht 
schlechte  neue,  sondern  gute  neue  setzen. 
Diese  guten  Bauten  werden  sich  dann  unter- 
einander vertragen,  gerade  so,  wie  sich  gute 
alte  Bauten  aus  verschiedenen  Bauzeiten 
vertragen. 


Wie  erhält  man  aber  gute  Bauten?  Einzig 
und  allein  durch  gute  Baukünstler. 

Es  ist  also  Pflicht,  gerade  bei  Hinzufügun- 
gen zu  der  wertvollen  Architektur  alter 
Straßen-  und  Platzbilder  mit  peinlichster 
Sorgfalt  darüber  zu  wachen,  daß  nicht  Stüm- 
per bauen.  Diesen  werden  auch  die  besten 
Rezepte  und  alle  Ortsvorschriften  des  Hei- 
matschutzes nichts  helfen  können.  Zuzulas- 
sen ist  hier  nur  der  vollwertige  Baumeister. 
Bei  diesem  wird  vor  allem  auch  die  Takt- 
frage im  Vordergrund  seiner  Maßnahmen 
stehen.  Er  wird  von  vornherein  davon  aus- 
gehen, das  Bauwerk  dem  Orte,  an  dem  es 
stehen  soll,  gehörig  einzufügen,  ihm  einen 
allgemeinen  Zuschnitt,  einen  Umriß,  eine 
Dachausbildung  zu  geben,  die  für  den  Stand- 
ort geeignet  ist.    Er  wird  auch  femer  die 


161 


Wahl  der  Baustoffe,  der  Dachdeckung  un- 
bedingt nach  der  Umgebung  bestimmen, 
in  die  der  Bau  treten  soll.  Damit  aber 
erfüllt  er  alle  Forderungen,  die  die  Heimat- 
kunst im  besten  Sinne  des  Wortes  überhaupt 
stellen  kann.  Die  heimatkünstlerische  Frage 
ist  damit  eigentlich  restlos  gelöst.  Zugleich 
ist  alles,  was  darüber  hinausgeht,  nur  vom 
Uebel.  Denn  durch  ästhetische  und  stilan- 
weisende Sondervorschriften  können  immer 
nur  Kompromißbauten  und  schwächliche 
Nachahmungen  erzeugt  werden.  Von  die- 
sen aber  haben  wir  nun  genug  erlebt.  Was 
uns  fehlt,  sind  vollblütige,  aus  warmem  Emp- 
finden erzeugte  Werke. 

Es  ist  in  diesem  Zusammenhange  nicht 
überflüssig,  hinzuzufügen,  daß  die  Grund- 
lagen des  Bauens  vor  allen  Dingen  und  in 
erster  Linie  wirtschaftlicher  Art  sind.  Wür- 
den aber  nur  diese  wirtschaftlichen  Grund- 
lagen stets  in  erste  Reihe  gestellt,  so  würde 
unsere  Baukunst  weit  sachlicher,  weit  natür- 
licher und  wahrscheinlich  auch  in  der  Er- 
scheinung weit  besser  sein.  Denn  es  ist  das 
Eigentümliche,  daß  bei  fortlaufender  Durch- 
arbeitung, bei  immer  tieferem  Eindringen  in 
die  Wesensart  eines  Baues  eine  immer  grö- 
ßere Vereinfachung  erreicht  wird.  Diese  er- 
weist sich  aber  gewöhnlich  nicht  nur  in  der 
Wirtschaftlichkeit  als  Vorteil,  sondern  sogar 
in  der  Form.  Hier  muß  mit  aller  Entschie- 
denheit der  in  Laienkreisen  umgehende  Irr- 
tum berichtigt  werden,  als  bestehe  ein  Ge- 
gensatz zwischen  sogenanntem  praktischen 
Bauen  und  sogenanntem  schönen  Bauen. 
Viele  sagen,  sie  wollten  nur  praktisch  bauen, 
weil  sie  billig  bauen  müßten.  Sie  halten  also 
die  Schönheit  für  eine  kostspielige  Zugabe. 
Jeder  Architekt  weiß  aber,  daß  eher  das 
Umgekehrte  richtig  ist.  Schönheit  ist  ledig- 
lich eine  Angelegenheit  der  guten  Verhält- 
nisse und  diese  pflegen  am  klarsten  hervor- 
zutreten in  der  vereinfachten  Form.  Je 
durchgearbeiteter  aber  ein  Entwurf,  je  reifer 
er  ist,  um  so  mehr  wird  er  sich  dem  hohen 
Ideal  nähern,  gleichzeitig  einfach,  praktisch 
und  schön  zu  sein.  Das  Einfache  ist  näm- 
lich stets  das  Endglied  einer  langen  Ent- 
wicklung, das  Verzwickte  und  dadurch  Un- 
praktische und  Teure  ein  Anfangszustand. 
Hier  ergibt  sich  also  die  oberste  Forderung, 
vor  allen  Dingen  sachlich,  gründlich  und  in 
höherem  Sinne  gediegen  zu  arbeiten.  Das 
ist  das  Grundgesetz  für  jedwede  Arbeit  des 
Baumeisters. 

Indessen  mischt  sich  doch  in  das  archi- 
tektonische Schaffen  noch  etwas  anderes  ein. 
Ueber   jede   Wirklichkeitsforderung    hinaus 


sind  auch  in  der  Baukunst,  wie  in  jeder 
menschlichen  Kunst,  Stimmungswerte  vor- 
handen, die  dem  Werke  eine  ganz  besondere 
Färbung  geben.  Beim  Bauwerk  drücken  sie 
sich  aus  in  der  überkommenen  Bauüberliefe- 
rung, sie  sind  ein  Ergebnis  der  Sitten  und 
Gewohnheiten  der  Bevölkerung  eines  be- 
stimmten Landstriches,  die,  abgesehen  von 
mitgebrachten  Rasseneigenschaften,  wieder- 
um durch  die  geographischen  und  klimati- 
schen Verhältnisse  bedingt  sind.  Diese  Stim- 
mungswerte fassen  wir  in  dem  Ausdruck 
örtliche  Bauweise  zusammen.  Diese  ist  nicht 
durch  alle  Zeiten  dieselbe,  sie  ändert  sich, 
wie  sich  die  Geschlechter  ändern,  aber  eine 
gewisse  Grundstimmung  bleibtim  großen  und 
ganzen  bestehen.  Bewahren  wir  sie,  so  wer- 
den wir  auch  heute  noch  Werke  schaffen,  die 
sich  der  örtlichen  Bauweise  früherer  Zeiten 
nähern,  jedenfalls  mit  dieser  ein  einheit- 
liches Ganze  bilden.  Bedingung  ist  nur,  daß 
die  betreffenden  Schöpfer  dieser  Bauten  die 
örtliche  Stimmung  mitempfinden,  daß  sie 
aus  dem  Volksgeist  heraus  schaffen  und 
zwar  auf  eine  natürliche,  gewissermaßen 
unbewußter  Weise.  Niemand  wird  dies  bes- 
ser zu  tun  vermögen  als  das  Landeskind. 
Daraus  folgt  die  Notwendigkeit,  die  örtlichen 
Architekten  heranzuziehen  und  zwar  die 
wirklich  Begabten,  die  nicht  durch  fremde 
Einflüsse  Verbildeten,  die  den  Volksgeist  in 
sich  Tragenden. 

Gute  Architektur  in  völkischem  Empfin- 
den, mit  Takt  eingefügt  in  das  Alte,  das  ist 
die  echte  Heimatkunst. 

Mit  einer  gewissen  Freiheit  wird  inner- 
halb dieser  Grenzen  bei  solchen  Aufgaben 
gearbeitet  werden  können,  bei  denen  es  sich 
viel  weniger  um  Einfügen  von  Neuem  in 
eine  alte  Umgebung  handelt,  als  um  neue 
Anlagen  größeren  Umfangs.  Aber  hier  sind, 
um  Ergebnisse  zu  erzielen,  wie  wir  sie  in 
unseren  alten  Ortschaften  bewundern,  noch 
einige  andere  Gesichtspunkte  zu  berücksich- 
tigen. Was  nämlich  diesen  alten  Ortschaften 
ihren  eigentlichen  Reiz  verleiht,  sind  nicht  all- 
ein die  guten  Verhältnisse  und  die  gute  Fas- 
sung jedes  einzelnen  Hauses,  es  ist  auch  die 
Uebereinstimmung  aller  zu  einer  Ortschaft 
gehörenden  Häuser  unter  sich.  Diese  Gleich- 
artigkeit und  Einheitlichkeit  ist  sogar  das 
Ausschlaggebende  für  die  Wirkung.  Hier- 
über sind  wir  uns  erst  neuerdings  wieder 
ganz  klar  geworden.  Ganze  Jahrzehnte 
haben  sich  in  dem  Irrtum  bewegt,  Abwech- 
selung sei  das  Erstrebenswerte  in  der  Ar- 
chitektur, die  Mannigfaltigkeit  sei  ihr  Ziel. 
Als    dann   die   Einsicht   einsetzte,  daß   eine 


162 


KRISTALL-BOWLE  MIT  GLASERN 


ENTWURF:  ARCH.  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT 
AUSFOHRUNG:  CARL  SCHAPPEL-HAIDA  ■ 


Umkehr  aus  den  Verirrungen  der  Zeit  ein- 
treten müsse,  glaubte  man  zunächst,  gute 
Architektur  würde  den  Schaden  restlos  be- 
seitigen. Aber  heute  sehen  wir,  daß  auch  in 
Villenkolonien,   bei   denen   jedes    Haus   von 


einem  guten  Architekten  gebaut  ist,  noch 
immer  jene  leidige  Unruhe  und  Undiszipli- 
niertheit  herrscht,  über  die  wir  uns  von  An- 
fang an  beklagten.  Der  Grund  ist  der,  daß 
widerstrebende  Teile  nebeneinander  gesetzt 


BCNDNISGLAS.  KRISTALL  DOSE.    LINIEN  GEATZT 

ORNAMENT  GEMALT         Q  GRUND    GELBES  GLAS 

ENTWURF:  ARCH.  E.  J.  MARGOLD  B  AUSFOHRUNG:  CARL  SCHAPPEL-HAIDA 


163 


sind,  daß  die  Straße, 
der  Platz,  ja  der 
ganze  Ort  nicht  als 
Ganzes  gedacht  ist. 
Die  alten  Ortschaf- 
ten waren  vielleicht 
auch  nicht  als  Gan- 
zes gedacht.  Die 
Leute  aber,  die  sie 
errichteten,  empfan- 
den gleich,  verarbei- 
teten stets  die  ört- 
lichen Baustoffe  und 
schufen  aus  einer 
völlig  einheitlichen 
Baugesinnung  her- 
aus. Da  wir  über 
eine  solche  heute 
nicht  verfügen  und 
die  Baustoffe  nicht 
mehr  örtlich  ge- 
bunden sind,  bleibt 
nichts  andres  übrig, 
als  die  Einheitlich- 
keit zum  bewußten 
Ziele  zu  erheben. 
Neu  angelegte  Vier- 
tel sollten  also  eine 
einheitliche  Archi- 
tektur tragen.  Diese 
Einheitlichkeit  be- 
steht, wie  uns  un- 
sere alten  Ortschaf- 
ten zeigen,  unter  an- 
derem darin,  daß  die 
Gebäude  im  großen 
und  ganzen  diesel- 
ben Materialien  für 
äußere  Wände  und 
Dachdeckung  zei- 
gen, daß  der  all- 
gemeine Zuschnitt 
der  Häuser  der- 
selbe bleibt,  derge- 
stalt, daß,  wo  etwa  gebrochene  Dächer 
angewendet,  diese  auch  einheitlich  durch- 
geführt werden,  daß  bei  Wahl  von  einfachen 
Satteldächern  oder  etwa  Zeltdächern  diese 
das  Bild  beherrschen.  Natürlich  braucht 
diese  Einheitlichkeit  nicht  zur  Einförmigkeit 
zu  werden;  haben  doch  auch  die  Menschen 
alle  gleichen  Körperbau,  ohne  daß  sie  ein- 
ander zum  Verwechseln  glichen  oder  durch 
Einförmigkeit  langweilig  wirkten. 

So  sind  wir  auf  dem  Kerngedanken  der 
ganzen  Frage,  den  der  Einheitsform  ange- 
langt. Die  Einheitsform  bietet  nicht  nur  die 
Gewähr  für  einen  erfreulichen  äußeren  Ein- 


POKAL.      KRISTALL    RU- 
BINROT U.  GESCHLIFFEN 


druck,  ähnlich  wie 
er  uns  in  den  al- 
ten Ortsbildern  ent- 
gegentritt, sondern 
sie  bringt  auch  ge- 
waltige praktische 
und  wirtschaftliche 
Vorteile  mit  sich. 
Gleiche  Grundrisse, 
Aufrisse,  Hausfor- 
men, ja  Einzelteile 
wie  Fenster  und 
Türen,  ermöglichen 
das  Herausbilden 
des  Besten,  Zuträg- 
lichsten und  Wirt- 
schaftlichsten. Die 
Einheitsform  ist  an 
sich  nichts  Neues, 
sie  beherrscht  un- 
sere ganze  Indu- 
strie. Wir  wissen, 
wie  eine  Arbeits- 
maschine durch 
fortlaufende  Fabri- 
kation derselben 
Grundform  und 
durch  die  sich  sum- 
mierenden Erfah- 
rungen an  demsel- 
ben Gegenstande 
besser  und  immer 
besser  wird,  indem 
kleine  Mängel  all- 
mählich beseitigt, 
schwache  Stellen 
verstärkt,  Einzel- 
teile durch  geeig- 
netere ersetzt  wer- 
den. Dieser  Werde- 
gang ist  in  der  In- 
dustriederbekannte 
Weg  zur  Vervoll- 
kommnung. Einen 
solchen  Weg  sollten  wir  auch  in  der  Bau- 
ausführung beschreiten. 

Freilich  bedarf  es  dazu  des  bescheidenen 
Sinnes  des  einzelnen  Mitwirkenden,  der, 
gleichsam  wie  der  Soldat  in  Reih  und  Glied, 
sich  als  ein  Teil  eines  großen  Ganzen  fühlt. 
Bauten  sind  das  eigentliche  Kulturdenkmal, 
das  eine  Zeit  errichtet.  Daraus  folgt  eine 
gewaltige  moralische  Verpflichtung  ihrer 
Errichter.  Jede  wirkliche  Begabung  wird 
von  selbst  zur  persönlichen  Leistung  führen. 
Das  was  der  Mensch  ist  und  in  sich  trägt, 
prägt  sich  schon  in  seinem  alltäglichen  Tun 
und  Lassen  aus,  in  seinen  Gebärden,  in  sei- 


ENTWURF:     ARCH.  E.  J. 
MARGOLDDARMSTADT 


164 


ner  Art  zu  sprechen  und  sich  zu  bewegen. 
Wieviel  mehr  wird  es  aus  seinen  Werken 
zutage  treten.  Und  so  wird  der  Individua- 
lität auch  stets  ihre  Bahn  offen  bleiben  und 
zwar  auch  innerhalb  einer  zeitlichen  und 
örtlichen  Bautradition.  Eine  solche  aber 
wieder  zu  erlangen,  muß  unser  aller  vor- 
nehmstes Ziel  sein. 

Es  ist  beim  heutigen  Bauen  eine  eigentüm- 
liche Erscheinung,  daß  auf  der  einen  Seite 
der  Individualismus  hervortritt  und  auf  der 
anderen  das  Bestreben  herrscht,  durch  Kon- 
trollkörperschaften die  Baukunst  zu  lenken. 
Der  Irrtum  ist  fast  alltäglich,  daß  man  sich 
wohl  mit  einer  nicht  ganz  vollwertigen  Kraft 
begnügen  könne,  da  ja  für  doppelte  und  drei- 
fache Oberaufsicht  und  Prüfung  gesorgt  sei. 


Diese  Ansicht  ist  aber  falsch  in  der  Voraus- 
setzung wie  in  der  Schlußfolgerung.  Eine 
minder  gute  Kraft  wird  niemals  ein  gutes 
Bauwerk  entwerfen,  ein  schlechter  Entwurf 
aber  kann  niemals  zu  einem  guten  umge- 
prüft werden.  Aus  Kommissionsbeschlüssen 
wird  niemals  ein  vollgültiges  Architektur- 
werk hervorgehen.  Deshalb  ist  es  von  höch- 
ster Wichtigkeit,  bei  Bauaufgaben,  wie  sie 
bei  den  kriegszerstörten  Ortschaften  vorlie- 
gen, vor  allem  möglichst  gute  Kräfte  zu  ge- 
winnen, diesen  sodann  aber  möglichste  Frei- 
heit zu  gewähren.  Nur  auf  diese  Weise  ist 
gute  Architektur  zu  erhoffen,  und  nur  so 
wird  unsere  Zeit  der  großen  Aufgabe  gerecht 
werden  können,  die  ihr  durch  das  Kriegs- 
schickSal  auf  baulichem  Gebiete  gestellt  ist 


VASE  UND  DOSE.     SCHWARZ»  EISZER  CBERFANG  UND  GESCHLIFFEN 
ENTW.:  ARCH.  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT  B  AUSF.:  C.  SCHAPPEL-HAIDA 


Dekorative  Kunst.  XIX.    5.    F«bruu  19X6 


165 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


VILLA  R.  BIENENFELD,  BADEN:  STRASZENFASSADE 


166 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


VILLA  R.  BIENENFELD,  BADEN 
O  GARTENFASSADE  G 


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ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


167 


VILLA  R.  BIENENFELD,  BADEN:  GARTEN 


OTTO  PRUTSCHER 


Von  den  Problemen  des  modernen  Kunst- 
gewerbes steht  im  Augenblick  wohl  kei- 
nes näher  als  das  der  industriellen  Verarbei- 
tung und  Verbreitung  seiner  Formen.  Denn  die 
nächste  Folge  des  Krieges  wird  neben  dem  zeit- 
weiligen Zurücktreten  des  Verbrauches  male- 
rischer und  bildhauerischer  Werke  zweifellos 
die  vergleichsweise  stärkere  Inanspruchnahme 
der  kunstgewerblichen  Erzeugnisse   sein,  die 


dem  latenten  Kunstbedürfnis  eine  Befriedigung 
schaffen,  der  geringeren  Kaufkraft  entgegenkom- 
men und  zudem  jener  Verschwisterung  mit  der 
Industrie  fähig  sind,  die  bei  der  dann  maßgeben- 
der hervortretenden  wirtschaftlichen  Ueberle- 
gung  ihre  Rolle  wesentlich  erleichtert.  Daß  diese 
ökonomischen  Erwägungen  nach  dem  Kriege  um 
ein  Beträchtliches  an  Gewicht  zugenommen  ha- 
ben werden,  läßt  sich  schon  jetzt  erkennen  und 


'!  II 


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ARCH.  OTTO  PRUTSCHER  SPEISEZIMMER  IN  SCHWARZER  EICHE 

Ausführung  von  R.  Ludwig-Wien  —  Beleuchtungskörper  von  den  Wiener  Werkstätten 


168 


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legt  dem  offen  sehenden,  mit  wirklichen  Ein- 
sätzen rechnenden  Teil  der  Künstlerschaft  schon 
heute  die  Pflicht  auf,  ihre  Arbeit  mit  dieser 
unumgänglichen  Zeitforderung  in  Einklang  zu 
bringen.  In  diesem  Sinne  verstehen  wir  auch 
jetzt  den  im  Schöße  des  Werkbundes  knapp 
vor  Kriegsausbruch  laut  gewordenen  Ruf  nach 
Typisierung,  ohne  darum  das  Vollrecht  der 
schaffenden  Persönlichkeit  irgendwie  verkürzt 
sehen  zu  wollen.  Denn  dieses  Recht  bleibt  ja 
in  seinem  Wesen  unangetastet,  auch  wenn  die 
künstlerische  Urform  auf  jene  VervielFältigung 
Bedacht  nimmt,  die  eine  typische  Verwend- 
barkeit voraussetzt. 

Es  gilt  nur  sich  zunächst  des  Wesens  dieser 
kunstgewerblichen  Urform  wieder  einmal,  wenn 
auch  von  neuer  Seite  recht  inne  zu  werden. 
Von  den  beiden  Worten,  die  zusammen  das 
eine  „Kunstgewerbe"  geben,  hat  gewiß  das 
erste  nur  wenig  Recht  an  dem  Begriffe.  We- 
nigstens wenn  dem  Begriffe  „Kunst"  das  in 
sich  Schöne  und  Ganze,  das  Außergewöhnliche, 
dem  Alltäglichen  Fremde  wesentlich  zugehören. 
Sache  des  Kunstgewerbes  ist  in  erster  Reihe 
Werkformen  zu  schaffen,  die  dem  Material, 
aus  dem  sie  kommen,  der  Arbeitsweise,  in  der 
sie  hergestellt  wurden,  Hand  oder  Maschine, 
und  der  Bestimmung,  der  sie  dienen  sollen,  klar 
und  ganz  entsprechen.  Gegen  diese  dreifache 
Gebundenheit  haben  die  beteiligten  Künstler 
seit  jeher  nicht  nur  nichts  einzuwenden  gehabt, 
sondern  sie  geradezu  zum  Grundsatze  ihrer  Ar- 
beit gemacht.  Wenn  sich  aus  einem  derart  ge- 
richteten Schaffensgange  ein  Sinngefälliges  er- 
gibt, so  ist  das  noch  immer  nicht  Kunst,  son- 
dern im  äußersten  Sinne  Kultur  des  Handwerks 
—  und  das  ist  unter  Umständen  noch  mehr 
als  Kunst.  Auch  darf  das  Schöne  mit  allen  sei- 
nen Wirkungen,  wie  es  zum  geläufigen  Kunst- 
begriffe gehört,  nicht  auch  notwendig  zum  Wesen 
dieses  Faches  gerechnet  werden,  weil  es  sich 
hier  weder  in  den  angeführten  Grundsätzen  der 
Arbeit  vorbedingt  findet,  noch  auch  ihr  letztes 
Ziel  bedeuten  kann.  Kommt  es  zustande,  dann 
wird  das  Ergebnis  dadurch  vielleicht  erfreuli- 
cher, aber  notwendig  ist  der  Werkform  nur  die 
überzeugende  Erscheinung,  die  zugleich  den 
Charakter  ihrer  Wirkung  bestimmt. 

Bei  solchen,  wohl  allgemein  anerkannten 
Voraussetzungen  ist  es  nur  schwer  einzu- 
sehen, aus  welchen  Gründen  ein  prinzipieller 
Widerstand  gegen  eine,  wenn  auch  nur  teil- 
weise Industrialisierung  des  Kunstgewerbes 
schöpft.  Hat  einmal  die  Maschine  den  ihrer 
Fähigkeit  angemessenen  Entwurf  vom  Künstler 
empfangen,  dann  vermag  sie  alle  drei  Grund- 
forderungen der  Werkform  restlos  zu  erfüllen. 
Das  Wünschenswerte    und    Notwendige   einer 


gewerblichen  Vervielfältigung,  wenn  auch  nur 
durch  Handarbeit,  wird  ja  ohnedies  von  allen 
Seiten  zugegeben.  Damit  ist  auch  schon  in 
dem  exklusiven,  hier  wenig  angebrachten 
Künstlerstandpunkt  des  Einmaligen,  des  ori- 
ginalen Einzelstückes,  eine  Bresche  gelegt. 
Und  die  Konsequenz,  die  gerade  hier  im  Form- 
schaffen entscheidet,  müßte  sich  nur  ent- 
schließen, auch  logisch  in  Aktion  zu  treten, 
um  der  Maschine  und  ihrem  gesteigerten 
Konventionalismus  sein  Recht  zu  geben,  vor- 
ausgesetzt, daß  diese  Konvention  von  echten 
und  modernen,  d.  h.  zeitgerechten  Künstlern 
ausgeht,  stets  neue  Werte  schafft,  und  über- 
dies dem  Originale  und  dem  Handwerk  ihr 
angemessener  Teil  an  der  Werkbewegung  unge- 
schmälert bleiben. 

Der  besondere  Belang  der  Persönlichkeit 
Otto  Prutschers  liegt  nun  in  der  Richtung 
seiner  Leistung  auf  die  Industrie. 

Geht  man  dem  Werdewege  dieses  Künstlers 
auch  nur  von  ungefähr  nach,  dann  wird  man 
diesen  Charakter  seines  Werkes  darin  genug- 
sam vorbereitet  finden.  Ein  Selfmademan 
ohne  gelehrte  Vorbildung.  Von  Beginn  an 
mit  jeglichem  Handwerk,  das  in  sein  Fach 
schlägt,  wohl  und  unmittelbar  vertraut  und  in 
diesem  praktischen  Umgange  mit  dem  Arbeits- 
stoff recht  eigentlich  erzogen.  Der  Sohn  eines 
Tischlermeisters,  der  selber  den  Lehrbrief 
des  Tischlers  erwirbt,  die  Ferien  zur  Übung 
in  der  Bauarbeit  benutzt  und  zwischendurch 
von  Erziehungsstätten  nur  das  besucht,  was 
der  Hand  eine  unmittelbare  Erfahrung  bringt: 
zuerst  die  graphische  Lehr-  und  Versuchs- 
anstalt, dann  die  Kunstgewerbeschule  in  Wien. 
Hier  gerät  auch  er  in  den  wohltätigen  Ein- 
fluß Josef  Hoffmanns,  der  auch  an  dieser  Be- 
gabung seinen  redlichen  Teil  hat.  Als  er  dann 
auf  Reisen  geht,  wird  es  wieder  nicht  Italien, 
sondern  England  und  Frankreich,  und  hier 
wieder  nicht  die  Kunst,  sondern  das  Haus  und 
der  Hausrat  und  das  künstlerische  Gewerbe, 
was  er  aufsucht.  Das  alles  kommt  ihm  nicht 
von  ungefähr  entgegen,  sondern  ein  zäher  und 
hartköpfiger  Handwerkerwille  muß  sich  Schritt 
für  Schritt    dem   Ziele   näher   durchschlagen. 

Als  Werdender  kam  er  in  die  sturmvolle 
Kampfzeit  des  Wiener  Kunstgewerbes,  geriet 
mitten  in  den  tollsten  Wirbel.  Und  als  er 
fertig  war,  hatte  die  Richtung,  die  heute  glück- 
licherweise obenauf  ist,  schon  gesiegt.  Auch 
das  kam  seinem  Werke  vielfach  zugute :  er 
hatte  genug  Reibung  zwischen  den  Gegen- 
sätzen erfahren,  um  sich  eine  sichere  Gesin- 
nung zu  bilden,  und  doch  wieder  nahezu  alles 
von  dem  Kraftaufwande  erspart,  den  die  Vor- 
kämpfer   an    den  Sieg    ihrer    Sache    wenden 


169 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


VORRAUM  IN  DER  VILLA  M.  ROTHBERGER,  BADEN 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


EINGANG  ZUM  DAMENSALON  IN  DER 
VILLA  M.  ROTHBERGER,  BADEN        Q 


170 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


DAMENSALON  IN  DER  VILLA  M.  ROTUBERGER,  BADEN 


ARCH.  onu  l'KUiSCUUK-VklLN 


HALLE  IN  DER  VILLA    V,    Ko  ,  ..UERCER.  BADEN 

171 


mußten.  So  konnte  er  frühzeitig  aus  diesen 
widerstrebenden  Bewegungen  jene  praktische, 
verständige  und  verständliche  Summe  ziehen, 
die  viele,  gutfundierte  Brücken  zur  allgemeinen 
Anerkennungund  Aufnahme  derNeuformen  sei- 
tens der  breiten  bürgerlichen  Schichten  schlug. 

Auf  diesem  Wege  ist  er  hier  allmählich  zu 
einem  erfolgreichen  Regulator  des  bürger- 
lichen Geschmackes  geworden.  Im  Hausbau, 
in  der  Innenausstattung,  im  Möbel,  Schmuck 
und  Glas.  Weitläufige  Anlagen  dieser  Art 
hat  er  bisher  vor  allem  in  Wien  und  Umge- 
bung, in  Deutschböhmen  und  Schlesien  durch- 
geführt. Sie  bekennen  sich  durchaus  zu  den 
Grundsätzen  der  Werkkunst,  ohne  die  gesunde 
mittlere  Linie  zu  verlassen,  nehmen  klugen 
Bedacht  auf  Art  und  Gesinnung  des  Bauherrn, 
ohne  darum  die  eigene  zu  verleugnen,  und 
leisten  in  diesem  besonnenen  Austausch  tüch- 
tiges Erziehungswerk,  das  der  sozialen  Auswir- 
kung der  Bewegung  reichlich  zustatten  kommt. 

Auf  das  gleiche  Gebiet  sozialer  Vermittlung 
gehört  auch  die  Reihe  räumlicher  Ausstattungen 
von  Ausstellungen,   mit  denen   der  Künstler 


in  der  letzten  Zeit  immer  häufiger  vor  die 
Oeffentlichkeit  trat.  Sie  zeigen  den  gleichen 
übersichtlichen  und  wohlgefälligen  Zug,  der 
auch  sonst  seinen  Raumleistungen  eigen  ist. 
Auf  demselben  Wege  bewegen  sich  dem  Sinne 
nach  die  den  maßvollen  Fortschritt  des  öffent- 
lichen Geschmacks  fördernden  Innenausfüh- 
rungen Wiener  Kabaretts  und  Kaffeehäuser. 
Wichtiger  aber  und  vielversprechend  erscheint 
uns  in  dieser  Richtung  die  erst  kürzlich  zu- 
standegekommene Verbindung  des  Künstlers 
mit  einem  führenden  Unternehmen  der  öster- 
reichischen Möbelindustrie,  den  Gebrüdern 
Thonet.  Denn  hier  übernimmt  er  einen  brei- 
testen, bereits  vorhandenen  Konnex  mit  allen 
Schichten  des  industriellen  Verbrauches  und 
gewinnt  ein  weites  Feld  künstlerischer  Ver- 
antwortung, dem  er  nach  allen  Voraussetzungen 
die  geeignete  Kraft  entgegenbringt.  Hier  muß 
auch  künftighin  die  stärkste  Seite  seiner  Be- 
gabung den  Vollbeweis  ihrer  Leistungsfähig- 
heit dartun :  er  wird  in  der  Befruchtung  der 
Industrie  durch  überzeugende  Werkformen  zu 
führen  sein.  Max  Eisler 


ARCH.  OTTO  PRUTSCHER-WIEN 


ZIMMERECKE  AUS  DER  VILLA 
M.  ROTHBERGER,  BADEN  B 


172 


JULIUS  SEIDLER-MONCHEN 


MADONNA  VOM  ANGERKLOSTER  IN  MÜNCHEN 


JULIUS  SEIDLEK-MÜNCIIKN 


GEDENKTAFEL  FOR  GABRIEL  v.  SEIDL  IN  TOLZ 


JULIUS  SEIDLER,  EIN  MÜNCHNER  HAUSPLASTIKER 


Wir  gelangen  jetzt  allgemach  wieder  dazu, 
die  eigentliche  Bedeutung  der  deutschen 
Kunst  mehr  und  mehr  im  Lokalen,  Typischen 
und  Nationalen  zu  sehen.  Es  hat  sich  gezeigt, 
daß  eine  gesunde,  wirklich  gedeihliche  Ent- 
wicklung in  den  einzelnen  Künsten  immer 
nur  auf  dem  Boden  guter 
Ueberlieferungen  stattfin- 
det. „Die  Kunst  bedarf 
des  Lokalismus.  Hier  ist 
derKantönligeistamPlatze. 
In  den  heimatlosen  Millio- 
nen- und  Verkehrsstädten 
kann  nichts  wachsen." 

Um  aber  eine  Tradition 
fortzusetzen  und  zu  pflegen, 
braucht  man  nicht  zurück- 
zublicken, sondern  nur  um 
sich  zu  sehen  und  den 
Volksgeist  erkennen,  der 
sich  immer  wieder  bild- 
sam erweist.  Im  Volks- 
charakter liegt  noch  so 
viel  Bildsames  und  Origi- 
nales, daß  der  Künstler 
nur  darauf  zu  achten 
braucht,  um  auch  wieder 
die  Sprache  zu  finden,  die 
im  Volke  verstanden  wird. 
„Der  Künstler  soll  darum 


JULIUS  SEIDLER 


so  lokal  als  möglich  sein,  innerlich  und  äußer- 
lich, gegenständlich  wie  geistig." 

Die  besonderen  Eigentümlichkeiten  unseres 
Volkes  äußerten  sich  früher  ebenso  originell 
als  geistreich  in  den  an  Häusern  und  Geräten 
angebrachten  Inschriften.   Man  hat  diese  Haus- 
sprüche      sehr      treffend 
Volksepigramme  genannt. 
Sie      zeigen      oft     über- 
raschend   witzige    Gedan- 
ken-  und  Wortspiele    mit 
humoristischen    und    cha- 
rakteristischen Wendungen 
und  neben  ihrer  Sinnigkeit 
einen    fast    kunstgemäßen 
Schliff  und  eine  treffliche 
Präzision     im    Ausdruck. 
Leider    werden    in   un- 
serem  vielfach    ins  allge- 
meine  und   internationale 
strebenden  Zeitalter  diese 
lokalen  und   individuellen 
Besonderheiten        immer 
mehr  verwischt.  DerHaus- 
spruch,    als    Merkzeichen 
des  individuellen  Charak- 
ters    des     Hauses     ver- 
schwindet   immer    mehr. 
GEDENKTAFEL  IN       ^ur   in   vereinzelten  Ge- 
REicHERSBEUERN      genden    hält    der    Bauer 


Uekotativc  Kunst.    XIX.    6.     Mar/  1916 


173 


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JULIUS 
SEIDLER- 
MONCHEN 


FENSTER- 
GEWÄNDE 
AM  RAT- 
HAUS IN 
BREMEN 


noch  so  zäh  daran,  daß  er,  wie  ein  Reisender 
berichtet,  „in  einem  Hause  ohne  Spruch  nicht 
wohnen  mag,  das  wie  ein  Ei  sei  ohne  Salz". 
Neuerdings  hat  sich  das  Volk  dem  Bilde 
wieder  geneigter  gezeigt  als  dem  Buchstaben. 
Wenn  diese  volkstümliche  „Bildung"  an- 
hält, steht  zu  erwarten,  daß  mit  dem  Haus- 
spruche auch  das  Hausbild  wieder  ersteht.  In 
München,  wo  auch  hier  die  Tradition  nie  ganz 
abgebrochen  wurde,  hat  das  Hausbild  schon 
wieder  seine  fröhlichen  Urständ  gefeiert.  Es 
prangt  al  fresco  an  der  Wand  und  es  tritt  als 


Hausplastik  im  innigen  Zusammenhang  mit 
der  Hausarchitektur  auf:  Haus  und  Bild  er- 
scheinen hier  miteinander  verwachsen,  denn 
das  Bild  weist  auf  das  Haus,  seinen  beson- 
deren Charakter  und  seine  Geschichte  hin. 
Wir  sehen  dies  ganz  deutlich  an  dem  von 
Honig  &  Söldner  erbauten  Hause  zum  Schönen 
Turm  und  Weinhaus  Kurtz,  Ecke  der  Kaufinger- 
und Augustinerstraße,  das  einen  ebenso  aus- 
gesprochen modernen  als  lokalen  Charakter  hat. 
Ein  echtes  Münchner  Haus  ist  hier  entstanden 
und   zwar   auf  ältestem  Münchner  Baugrund. 


174 


JULIUS  SlilULHR-MÜNCHliN 


ST.  GEORG  AM  HAUS  DR.  WOLF 


Vormalen  stand  hier  der  Schöne  Turm  und 
gegenüber  zur  Seite  waren  die  Augustiner. 
Darum  ist  das  Haus  zum  Schönen  Turm  be- 
nannt und  darum  auch  an  der  Hausecke  der 
Augustinermönch,  der  den  Schönen  Turm  trägt 
—  ein  Stücklein  geschichtlicher  Anschauungs- 
unterricht auf  der  Straße,  wie  er  origineller 
und  liebenswürdiger  nicht  erteilt  werden  kann. 
Das  Haus  unterrichtet  aber  auch  in  der  baye- 
rischen Landeskunde.  Die  acht  symbolischen 
Figuren  am  Erker  des 
Hauses  versinnbildlichen 
die  acht  bayerischenKreise 
in  ihren  besonderen  Eigen- 
tümlichkeiten. Zudem 
weist  auch  das  Handels- 
büblein  am  Giebel  gar  artig 
auf  das  Kaufhaus  hin. 

Um  wieviel  eindring- 
licher, greifbar  deutlicher 
und  unendlich  liebens- 
würdiger zeigt  sich  hier 
das  Hausbild  an  Stelle  der 
Firmenschilder  und  der 
sonst  üblichen  Blechscha- 
blone von  Geschäftsschil- 
dern  und   Reklametafeln. 


JULIUS  SEIDLER 


Daraus  ist  auch  ohne  weiteres  die  ästhetische 
Bedeutung  und  Stellung  des  Hauszeichens  im 
Straßenbilde  klar  zu  erkennen.  Nicht  nur,  daQ 
es  als  Kunst  an  der  Straße  auftritt  und  dem 
Straßenbilde  eine  künstlerische  Note  gibt,  son- 
dern es  dient  auch  zur  besseren  Orientierung, 
da  man  gewiß  ein  Bild  besser  im  Gedächtnis 
behält  als  viele  Buchstaben.  Durch  seine  Ein- 
deutigkeit und  Sichtbarkeit  eignet  sich 
das  plastische  Hausbild  vorzüglich  als  Merk- 
zeichen für  Geschäfts- 
häuser. 

Und  in  diesem  Sinne  hat 
auch  Julius  Seidler  eine 
Anzahl  solcher  Hausbilder 
für  Geschäftshäuser  ge- 
schaffen, die  auf  den  Cha- 
rakter desGeschäftshauses 
deutlich  hinweisen.  Am 
Bekleidungshaus  Isidor 
Bach  die  beiden  köstlichen 
Bilder,  auf  Geisböcken 
reitende  Puttos  mit  Schere 
und  Bügeleisen,  am  Waren- 
haus Tietz  in  Nürnberg 
zwei  Puttos,  einer  mit  den 
DR^loLF*''  "*"^        Abzeichen  des  Merkur  und 


175 


JULIUS 
SEIDLER- 
MONCHEN 


HAUSZEICHEN 
AM  HAUS  ZUM 
SCHÖNENTURM 
IN  MÜNCHEN 


der  andere  mit  der  Wage;  am  Geschäftshaus 
Dallmayr  in  München  den  Kaufherrn  mit  der 
Wage,  am  Nürnberger  Bekleidungshaus  von 
Bach  den  lustigen  Schneider  und  das  köstlichste 
Hausbild  an  einem  Metzgerhause,  ein  fettes 
Schwein,  darunter  ein  ganz  kleines  Kerlchen 
mit  dem  Schlächtermesser.  Man  wird  keinen 
Augenblick  im  Zweifel  gelassen,  was  solche 
Bilder  bedeuten.    Sie  wirken   so    unmittelbar 


schlagend  wie  ein  Plakat.  Der  Stil  dieser  Art 
Hausbilder  als  Geschäftsabzeichen  ist  wie  der 
moderne  Geschäftsstil  lapidar,  epigrammatisch, 
präzis  im  Ausdruck;  aber  doch  auch  mit  einem 
behaglich  anmutenden  volkstümlichen  Humor 
gewürzt.  Derselbe  gemütliche  Münchner  Geist 
spricht  auch  aus  einer  originellen  Schenkung 
des  Künstlers,  einem  geschnitzten  Faßboden 
für  ein   Kriegsweinfaß    im    Münchener  Rats- 


176 


JULIUS  SEIDLER-MONCHEN 


ERKERPLASTIK  AM  HAUS  ZUM  SCHÖNEN  TURM 


177 


JULIUS  StlULUK-.MCNCHEN 


HAUS  ZUM  KAHl'UMCK   IN 


i;N 


keller.  Wie  diese  Poesie  und  Gemüt,  Witz  angebrachten  Gedächtnistafeln,  Schöpfungen 
und  Humor  atmenden  Hausbilder,  erscheinen  einer  dem  Leben  nahestehenden  volkstüm- 
auch  die  zur  Erinnerung  an  das  verdienstvolle  liehen  Kunst.  In  diesem  Sinne  wirken  die 
Wirken  hervorragender  Männer  an  den  Häusern      Gedächtnistafeln  von  Gabriel  von  Seidl  in  Tölz 

und    für   Geistlichen    Rat 

Probst  in  Reichersbeuern. 

Diese    Hauskunst    erweist 

sich      am      fruchtbarsten 

auf  dem  Boden  der  Ar- 
chitektur, sie    treibt  darin 

ihre  vollsaftigsten  Blüten. 

Gerade  in  der  Beschrän- 
kung auf  ganz  bestimmte 

architektonische     Punkte, 

Tür-  und  Fenstergewände, 

Erker,  Portale,  zeigt  sich 

erst  die  Kunst  des  Meisters. 

Die    Fenstergewände    am 

Rathausbau     in     Bremen, 

die  am  Haus  zum  Schönen 

Turm   mit   dem  Erker  an 

der  Augustiner-  und  Kau- 

fingerstraße,  das  Relief  an 

der  Poliklinik,  der  Reiter 

am  Zentraljustizgebäude  in 

Nürnberg     und     der    am 


JULIUS  SEIDLER  D  HAUSPLASTIK  AM 


BEKLEIDUNGSHAUS  BACH,    MÜNCHEN 


178 


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W^I^^SmW^j^l^^^'T'^''. 


Gebäude  der  Landwehrinspektion  des  Bezirks- 
kommandos München,  geben  dafür  gute  Bei- 
spiele. 

Wiederum  als  Hausschrauck  im  Sinne  geist- 
licher Hausbilder  sind  der  große  St.  Christoph 
und  die  Madonna  am  Angerkloster  in  Mün- 
chen gehalten;  ebenso  das  reizvolle  Brünnlein 
für  den  Hof  dieses  Klosters.  Auch  hier  schöpft 
der  Künstler  wieder  unmittelbar  aus  dem  Emp- 
finden und  der  Bildkraft  volkstümlicher  Vor- 
stellungen, auch  hier  kommt  er  wieder  dem 
Geist  der  alten  Hausbilder  nahe,  die  wie 
Volkslieder  der  Skulptur  anmuten. 


Ihr  Schöpfer,  Bildhauer  Professor  Julius 
Seidler,  vertritt  darin  eine  der  liebenswürdig- 
sten Seiten  der  Münchner  Plastik.  Und  da 
diese  Kunst  im  engsten  Zusammenhang  mit 
der  Münchener  Architektur  steht,  ist  auch 
ihr  Schöpfer  der  berufene  Architekturbild- 
hauer und  Mitarbeiter  hervorragender  Mün- 
chener und  auswärtiger  Architekten.  Er 
stand  Gabriel  von  Seid]  nahe,  dessen  vor- 
nehmste letzte  Bauten,  wie  z.  B.  das  Bremer 
Rathaus,  Seidler  mit  seinen  Skulpturen 
schmückte.    Wie  mit  Gabriel  v.  Seidl,  arbeitet 


ßy^xti^ 


JULIUS  SElDLHR-MlNCHEN      ■       MADONNA  UND 
ST.  CHRISTOPH  AM  ANGERKLOSTER  IN  MONOIEN 


179 


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JULIUS  SEIDLER-MONCHEN 


HAUSPLASTIK  AN  DER  KGL.  luLit^LiMK  IN  MÜNCHEN 


er  jetzt  mit  Emanuel  v.  Seidl,  den  Architekten  und  anderen  hervorragenden  Architekten,  die 

Professor  Honig  und  Grässel,  mit  der  obersten  in    ihren   Bauten    dem   volkstümlichen   Geiste 

Baubehörde,    den    Architekten    Bommel    und  der    modernen     tektonischen    Plastik    Raum 

Baurat  Göschel,  Architekt  Schulz  in  Nürnberg,  geben.  Alexander  Heilmeyer 


JULIUS  SEIDLER-MONCHEN  □  HAUSBRUNNEN  IM  ANGER- 
KLOSTER IN  MÖNCHEN 


180 


JULIUS  SEIDLER- 
MONCHEN 


HAUSPLASTIK  AM 
ZENTRALJUSTIZGE- 
BAUDE  IN  NCRNBERG 


VON  DER  GESINNUNG  IN  ARCHITEKTUR 
UND  KUNSTGEWERBE 


Die  Erneuerung  unseres  architektonischen 
und  icunsthandwerklichen  Schaffens  setzte 
ein  mit  einer  starken  Betonung  des  Ethi- 
schen. Der  Kampf  gegen  ödes  Stilwesen, 
gegen  die  Seichtheit  der  Nachahmung,  gegen 
Schundarbeit,  gegen  die  Sinnlosigkeit,  heutige 
Lebensbedürfnisse  einzupressen  in  Formen, 
die  einer  anderen  Lebensführung  angemessen 
waren,  das  Unwirtschaftliche  und  Unsoziale 
dieses  Raubbaus  an  den  Kräften  der  Nation, 


das  alles  waren  Argumente  mehr  ethischer  als 
ästhetischer  Natur.  Mag  sein,  daß  das  Ueber- 
betonen  dieser  Faktoren  in  erster  Linie  ein 
taktischer  Kniff  der  .Bewegung*  war,  daQ  man 
ganz  richtig  kalkulierte,  daß  bei  der  N'eran- 
lagung  des  Deutschen  Forderungen  der  Moral 
eher  aufgenommen  werden  würden,  als  An- 
sprüche der  Sinne,  als  das  Verlangen  nach 
neuer  und  lebendiger  Schönheit.  Sei  dem  wie 
ihm  wolle,    jedenfalls   waren  die  Apostel  der 


Dekorative  Kunst.  XIX.    6.    Nt.irz   1916 


181 


24 


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JULIUS  SEIDLER-MONCHEN     B     HAUSPLASTIK  AM  HOTEL  STADT  WIEN  IN  MÜNCHEN 


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JULIUS  SEIDLER-MONCHEN  FASSADE  HOTEL  STADT  WIEN  IN  MÖNCHEN 


182 


JULIUS  SEIDLER-MONCHEN 


HAUSPLASTIK  AM  BHKLEIDUNGSHAUS 

BACH  IN  Nürnberg 


neuen  Bewegung  und  vor  allem  die  Schöpfer 
der  neuen  Dinge  erfüllt  von  einer  Gesinnung, 
die  ihre  Größe  in  der  Lauterkeit  des  Wollens, 
in  einer  Ueberzeugungstreue  und  Charakter- 
festigkeit, in  dem  Streben,  ihr  ganzes  Schaf- 
fen auf  Wahrhaftigkeit,  Echtheit  und  innerliche 
Gediegenheit  zu  stellen  hatte.  Was  diese  Ideen 
sich  als  Sieg  zuzuschreiben  haben,  ist  auf  diese 
Reinheit  der  Antriebe  zurückzuführen. 
Vor  wenigen  Jahren  noch  konnte  man  über  die 
Objekte  dieses  Schaffens  schreiben:  „Indirekt 
künden  sie  von  Menschen,   die  sich  erheben 


möchten  über  materialistische  Flachheit  und 
Erwerbsgier,  die  gute,  schöne  und  frohe  Ar- 
beit leisten  wollen.  Der  kunstgewerbliche  Ge- 
stalter, der  die  seichte  Imitation  und  frivole 
Banalität  meidet,  spendet  damit  dem  Ersteher 
einen  innerlichen  Ansporn,  der  wiederum 
ethische  Instinkte  zu  wecken  vermag.  Das 
Einsetzen  der  besten  Kraft,  das  ehrliche  Wol- 
len, die  reinliche  Ueberzeugung  und  der  auf 
die  edle  Leistung  gerichtete  Gedanke  sind  es, 
die  einem  hier  am  kleinen  Gegenstand  so  oft 
entgegentreten.   Wer  die  Gabe  besitzt,  hinter 


183 


24* 


JULIUS  SEIDLHK- 
MONCHEN 


GESCHNITZTER  FASS- 
BODEN IM  MÜNCHNER 
RATSKELLER 


der  einzelnen  Erscheinung  diesen  ideellen 
Drang  zu  verspüren,  vermag  auch  auf  diesem 
Umweg  eine  innerliche  Läuterung  zu  erfahren. 
Und  da  das  alles  sich  tagtäglich  vor  seinen 
Augen  befindet,  wäre  eine  dauernde,  gute  Be- 
einflussung denkbar." 

Es  ist  bekannt  genug,  daß  dieser  ethische 
Gesichtspunkt  in  jener  Werdezeit  allzu  ge- 
flissentlich in  den  Vordergrund  geschoben 
worden  war,  daß  man  um  der  Gesinnung 
willen  so  manches  Talent  duldete,  wenn  nicht 
gerade  propagierte,  das  irgendwelche  Ansprüche 
auf  Grund  künstlerischer  Leistungsfähigkeit  da- 
zu nie  gehabt  hätte.  Es  war  sogar  notwendig 
gegen  diese  Ausartungen  des  Prinzipiengeistes 
aufzubegehren  und  zu  fordern,  daß  der  Nach- 
druck auf  das  künstlerische  Temperament  und 
die  Gestaltungsgabe  gelegt  werde.  Die  Form 
sollte  als  das  Wesentliche  anerkannt  werden, 
denn  schließlich  ist  große  und  gute  Form  ja 
nicht  denkbar  ohne  den  Geist. 

Diese  Reaktion  hat  sich  nun  in  einem  Tempo 
entwickelt,  das  doch  sehr  zu  denken  gibt.  Aus 


einer  bedenklichen  Ueberbetonung  der  Ge- 
sinnung ist  unter  vielen  unserer  Architekten 
und  Kunsthandwerker  eine  Gesinnungs- 
losigkeit geworden,  gegen  die  wir  uns, 
wenn  wir  die  deutsche  Form  in  der  Welt 
durchsetzen  wollen,  wappnen  müssen.  An  sich 
ist  ja  zu  erwarten,  daß  diese  Kriegszeit,  diese 
Zeit  des  großen  Ernstes  und  der  allgemeinen 
Ertüchtigung  mithelfen  wird,  diese  Charakter- 
losigkeit im  Künstlerischen  zu  beseitigen. 

Für  den  künstlerisch  Schaffenden  gibt  es  nur 
eine  Moral,  mit  dem  Einsatz  aller  seiner  Kräfte 
das  Höchste  und  Beste  aus  sich  herauszuholen, 
was  überhaupt  in  ihm  drin  ist.  So  blendend 
auch  vielen  die  Resultate  erscheinen  mögen, 
die  die  Bewegung  aufzuweisen  hat,  so  sehr 
ist  doch  in  den  letzten  Jahren  gerade  von  den 
anerkanntesten  Führern  gegen  dieses  Grund- 
gesetz gesündigt  worden.  Es  liegt  mir  fern, 
in  diesem  Augenblick  ein  Ketzergericht  ab- 
halten zu  wollen,  es  sind  auch  nicht  einzelne 
Personen  allein,  die  dieses  Frevels  zu  zeihen 
wären ;  aber  es  gibt  nach  Messels  und  Olbrichs 


184 


JULIUS  SEIDLER-MÜNCHEN 


HAUSPLASTIK  AM  GESCHÄFTSHAUS  DALLMAYR  IN  MÖNCHEN 


Tode  unter  Architekten  und  Kunstgewerblem 
gewiß  nicht  allzuviel  Leute,  von  denen  man 
sagen  könnte,  daß  sie  jede  der  ihnen  ge- 
stellten Aufgaben  mit  dem  Einsatz  ihrer  gan- 
zen Kraft,  mit  dem  Trieb,  ein  Aeußerstes  zu 
leisten,  etwas  einzigartig  Echtes  zu  formen,  zu 


J.  SEIDLER  Q   PLASTIK  AM  OESCHÄfTS- 
HAUS   BACH   IN    NÜKNBBRO 


heiten  einer  Aufgabe,  eine  ganz 
und  gar  ungeistige  Atelierwirtschaft, 
ein  Jonglieren  mit  modisch  un- 
erlebten  Formen ,  die  in  ihrer 
Aeußerlichkeit  den  Mangel  an  wirk- 
lichem inneren  Gehalt  verbergen 
sollen.  Ob  es  sich  um  einen  Monu- 
mentalbau oder  um  ein  kleines  Stück 
Handwerkskunst  handelt,  immer  ist 
dieser  sogenannte  Künstler  schon 
am  Ende,  wenn  seine  eigentliche  Ge- 
staltungsarbeit erst  beginnen  sollte. 
Das  liebevolle  Versenken  in  die  Ein- 
zelheit, das  Herausarbeiten  letzter 
Feinheiten,  das  Veredeln  eines 
Materials  aus  seiner  besonderen 
Stofflichkeit  heraus,  die  Besorgtheit 
um  die  Nuance,  das  wirkliche  Empor- 
heben eines  Handwerks  zur  Kunst, 
wo  finden  wir  das  noch  in  jenen 
Betrieben,  deren  Anschwellen  wir 
als  Fortschritt  der  Bewegung  ansehen 
sollen?!   Gewiß,  es  gibt  noch  immer 


bewältigen  —  auch  nur  versucht  hätten.  Im 
Gegenteil.  Das  allgemein  beklagte  Uebel  ist 
doch  eine  würde-,  in  einzelnen  Fällen  kann 
man  sogar  sagen  skrupellose  Auftragshatz, 
eine  Gier  nach  einem  klischeehaften  Groß- 
betrieb, ein  Hinwegpfuschen  über  die  Eigen- 


.  SUDLER  ■  PLAtTlK  AM  OnCHATT»- 
HAUS  BACH  IN   NOanBOK) 


185 


JULIUS  SEIDLER  D  HAUSPLASTIK  AM  BEZIRKSKOMMANDO,  MÖNCHEN 


diese  von  jenen  Ideen  beflügelte  Gesinnung 
als  Ausnahmeerscheinung,  noch  immer  und 
immer  wieder  Einzelne,  die  eine  Seligkeit 
in  der  trefflichen  Gestaltung  eines  Bau- 
werks oder  in  der  Verarbeitung  eines  Stück- 
chens Silber,  Bronze  oder  Eisen  empfinden; 
aber  das  Bezeichnende  an  dieser  Entwicklung 
ist,  daß  ihrer  statt  mehr  weniger  werden  und 
daß  sie  halb  nur  geachtet  und  in  den  selten- 
sten Fällen  gefördert,  im  Winkel  sitzen  müs- 
sen, während  ein  gewandtes  Machertum  mit 
Effekten,  die  so  unkünstlerisch  sind,  so  sehr 
sie  in  die  Augen  springen,  über  diese  wahre, 
innerlich  echte  Qualitätsarbeit  triumphiert. 
Das  aber  ist  zu  erkennen,  daß,  wenn  dieser 
Schatz  an  eigentlich  künstlerischer  Gesinnung 
in  gleichem  Maße  weiter  aus  unserem  archi- 
tektonischen   Schaffen    heraus    verschwinden 


sollte,   die   Idee   der  neuen  deutschen   Form 
zu  einer  Phrase  herabsinken  müßte. 

Diese  Gefahr  bestand  vor  Ausbruch  des 
Krieges  drohender,  als  von  den  Parteigängern 
dieser  betriebsam  „Schaffenden"  zugegeben 
werden  dürfte.  Der  Krieg  ist  vielleicht  vielen 
ein  Mahner  zur  Besinnlichkeit.  Mancherlei 
Reklamesuggestionen  haben  aufgehört  und  hin- 
ter der  Fülle  der  Erscheinungen  sieht  man- 
cher wieder  einmal  das  Wesentliche:  die  Eigen- 
heit und  Tüchtigkeit  der  Leistung,  auf  die  al- 
lein es  ankommt.  Denn  was  hier  verlangt  wird: 
die  Gesinnungstreue  einem  künstlerischen  Ideal 
gegenüber,  Charakterfestigkeit  gegenüber  den 
Ansprüchen  der  Banalität,  Bestimmtheit  im 
Wollen ,  Entschiedenheit  in  der  Durchfüh- 
rung eines  Qualitätsanspruches,  Unerbittlich- 
keit gegen  die  eigene  wie  gegen  jede  andere 


186 


Leistung,  diese  innerlichste  Sauberkeit,  die 
allein  den  Tüchtigen  trotz  aller  Suggestionen 
voran  bringt,  ist  ja  nichts,  was  vom  Archi- 
tekten oder  Kunsthandwerker  allein  verlangt 
würde;  in  und  hoffentlich  noch  mehr  nach 
diesen  Tagen  wird  es  von  allen  gefordert,  die 
als  aufbauende  Glieder  teil  haben  wollen  an 
der  Erneuerung  unseres  geistigen  und  öko- 
nomischen Lebens. 

Was  nach  dem  Krieg  das  Schicksal  der 
bildenden  und  angewandten  Künste  im  Reich 
sein  wird,  läßt  sich  noch  nicht  ermessen,  und 
prophezeien  zu  wollen,  wäre  Torheit.  Wir 
haben  aus  dem  letzten  Jahrhundert  zwei  große 
Erfahrungen :  die  Zeit  nach  70  mit  ihrem 
Gründerwesen,  mit  ihrem  unechten,  kunst-, 
geist-  und  charakterlosen  Schwulst  und  die 
Epoche  nach  den  Befreiungskriegen,  die  mit 
Schinkel  an  der  Spitze  so  viel  edle  Schönheit 
entfaltete  an  Häusern,  an  Möbeln  und  an  all 
dem  Kleingerät,  das  zugleich  ein  Entzücken 
der  Sinne  und  ein  Beispiel  rühmlichster  Hand- 
werkstüchtigkeit war.  Es  scheint  mir  nicht  rich- 


tig, den  Unterschied  zwischen  diesen  beiden 
Schaffensperioden  nur  in  der  Wohlhabenheit 
der  Bevölkerungsschichten  zu  sehen.  Reich- 
tum, auch  schnell  zusammenspekulierter  Be- 
sitz muß  nicht  notwendig  derartig  ästhetische 
Greuel  erzeugen,  wie  sie  die  Generation  von 
70  hervorgebracht  hat.  Und  es  scheint  mir 
auch  nicht  so  zutreffend  hinter  den  Feinheiten 
der  Schinkel-Zeit  lediglich  das  arme  und  arm- 
selige Preußen  zu  sehen.  Was  diese  Dinge 
wert,  was  sie  zu  Abbildern  der  nationalen 
Erneuerung  macht,  das  war  neben  einem  denk- 
würdigen Empfinden  für  formale  Feinheiten 
diese  echte  aufs  Große  und  ganz  und 
gar  Gediegene  gerichtete  Gesinnung, 
die  vor  hundert  Jahren  die  Schaffenden  aus- 
zeichnete. 

Wird  dieses  Ethos  auch  die  Schaffenden  von 
morgen  befruchten  oder  wird  jenes  ästhetische 
Proletariat,  das  vor  Kriegsausbruch  Wohnungs- 
kunst so  massenhaft  produzierte,  wieder  einen 
Aufschwung  im  Stile  der  70er  Jahre  erleben? 

Paul  Westheim 


JULIUS  SEIDLER-MÜNCHEN     Gl      HAUSZEICHEN 
AN     EINEM     METZGERHAUS     IN     PFORZHEIM 


187 


BRUNO  HEROUX'  ZYKLUS  „VAE  SOLIS" 


Totgesagte  leben  bekanntlich  doppelt  lange. 
Das  scheint  auch  von  den  radierten  Zyklen 
zu  gelten,  von  denen  viele  immer  wieder  be- 
haupten, sie  seien  längst  gestorben  —  oder 
aus  der  Mode,  was  ja  dasselbe  ist.  Durch 
und  nach  Max  Klinger  sind  sie  sehr  beliebt 
geworden,  und  jeder  Künstler,  der  etwas  auf 
sich  hielt,  versäumte  nicht,  dieser  General- 
probe auf  Phantasie,  Geschmack,  Geist,  Er- 
findung und  technisches  Können  sich  wenig- 
stens einmal  zu  unterziehen.  Und  heute?  Es 
ist  allerdings  richtig,  daß  Zyklen,  die  in  irgend 
einem  gedanklichen  oder  stilistischen  Zusam- 
menhang mit  den  Folgen  Klingers  stehen,  all- 
mählich recht  selten  geworden  sind.  Aber  das 
Bedürfnis,  einen  Ideenkomplex  oder  eine  zu- 
sammenhängende Folge  von  Gesichten  in  zyk- 
lischer Form  graphisch  zu  gestalten,  ist  heute 
kaum  geringer  wie  je  und  wird  wohl  ebenso- 
wenig jemals  ganz  verschwinden,  als  etwa 
die  Dichter  aufhören  werden,  Szenenfolgen 
(Dramen)  zu  schreiben,  oder  die  Musiker, 
einzelne  Sätze  zu  symphonischen  Werken  an- 
einanderzureihen. Man  hat  es  also,  theoretisch 
sozusagen,  mit  etwas  durchaus  Normalem  zu 
tun,  wenn  der  Leipziger  Graphiker  Bruno 
HfiROUx  es  auch  einmal  unternimmt,  einer 
Lieblingsidee  zyklische  Form  zu  geben.  Nicht 
ganz  alltäglich  ist  dagegen  die  Art,  wie  H6roux 
seine  Aufgabe  gelöst  hat.  Künstlerisch  und 
technisch  steht  er  ja  dem  Kreis,  der  sich  um 
Klinger  gebildet  hat,  nicht  fern.  Aber  Hdroux 
ist  hier  ebenso  wie  auf  anderen  Gebieten, 
z.  B.  dem  des  Exlibris,  das  seit  vielen  Jahren 
ein  Hauptarbeitsfeld  des  ungemein  fleißigen 
Künstlers  ist,  seinen  eigenen  Weg  unbeirrt 
bis  zum  Ende  gegangen.  Und  so  ist  in  sechs- 
jähriger, unverdrossener  Arbeit  etwas  zustande 
gekommen,  das  in  technischer  Beziehung  den 
Höhepunkt  des  bisherigen  Schaffens  des  Ra- 
dierers Heroux  darstellt,  durch  seinen  Ge- 
dankengehalt und  die  Art  seiner  graphischen 
Formung  aber  ein  leidenschaftliches  Bekennt- 
nis des  Menschen  und  Künstlers  geworden  ist. 
Die  Technik,  in  der  die  acht  Blätter  dieser 
Folge  ausgeführt  sind,  ist  Radierung  (Aetzung) 
und  —  bei  den  Akten  —  Stichradierung,  die 
H6roux  im  Laufe  der  Jahre  mit  höchster  Vir- 
tuosität zu  behandeln  gelernt  hat.  Die  Haupt- 
ursache für  die  unbestreitbare  monumentale 
Wirkung  des  ganzen  Zyklus  wie  der  meisten 
Einzelblätter  aber  dürfte  in  der  Beschränkung 
auf  je  zwei  Akte  zu  suchen  sein.  Und  die 
Kraft  des  Ausdrucks  dieser  beiden  Körper 
erinnert  manchmal  fast  an  die  Wirkung  be- 
seelter Plastik,  deren  Wesen  ja  ebenfalls  die 


Zusammenfassung  und  die  Zurückführung  auf 
die  letzte  und  einfachste  Formel  ist. 

Die  Grundidee  des  Zyklus,  der  sechs  figür- 
liche Blätter  zwischen  zwei  landschaftliche 
stellt  und  damit  an  den  Kreislauf  alles  Lebens 
von  der  unbestimmten  Allgemeinheit  (der 
Natur)  zur  Individualität,  zur  Zweiheit  und 
wieder  zurück  zur  Natur  erinnert,  ist  die 
Entwicklung  eines  Menschenpaares  von  der 
Gebundenheit  und  Konvention  zur  seelischen 
Freiheit.  Dargestellt  (gewissermaßen  exem- 
plifiziert) wird  das  an  dem  Geschick  zweier 
Liebender,  die  beide  lange  einsam  und  sehn- 
süchtig, vielleicht  sich  ahnend,  durch  die  kalte 
Steinwüste  des  Lebens  irrten,  bis  sie  an  einer 
Wegkreuzung  staunend  und  erschauernd  sich 
fanden.  Nun  folgen  die  ersten  Stunden  reinster 
Seligkeit:  das  Weib  zu  Füßen  des  Mannes 
und  den  Klängen  lauschend,  die  er  der  Geige 
entlockt.  Trunken  vor  Glück  vertrauen  sich 
beide  dem  Licht,  aber  schon  müssen  sie  be- 
merken, wie  die  Gemeinheit,  der  Neid,  der 
Zwang  und  wie  alle  die  Menschheitsplagen 
heißen,  von  allen  Seiten  an  sie  herankriechen. 
Dornen  umkrallen  die  zuckenden  Herzen  der 
beiden  Einsamen,  um  ihrer  idealen  Gesinnung 
wegen  Ausgestoßenen ;  mühselig  schleppt  der 
Mann  das  geliebte  Weib  auf  seinen  Armen 
durch  den  endlos  scheinenden  Sumpf,  in  dem 
alles  Häßliche,  Niedrige  und  Platte  der  Welt 
sich  gegen  sie  bläht  und  sie  herabzuziehen 
sucht.  Aber  in  einer  glücklichen  Stunde  ge- 
winnen sie  doch  als  Sieger  festen  Grund,  das 
Land  der  Freiheit.  Und  dankend  opfern  sie 
im  heiligen  Hain  vor  dem  Altar  der  Ewigkeit. 

Wenn  Einfachheit  das  sicherste  Kennzeichen 
des  Bedeutenden  und  Echten  ist,  dann  darf 
auch  dieser  Zyklus  Anspruch  auf  hohe  Schät- 
zung erheben.  Er  gehört  zu  den  Werken, 
die  durch  gewisse  äußere  Momente  sofort  für 
sich  einnehmen,  deren  Letztes  und  Tiefstes 
aber  sich  doch  erst  dem  erschließt,  der  sich 
länger  mit  ihm  beschäftigt.  Und  liegen  auch 
die  künstlerischen  Ideale  Heroux'  manchmal 
ziemlich  weit  ab  von  denen  der  Modernsten,  so 
wird  doch,  und  vielleicht  sogar  schon  bald,  eine 
Zeit  kommen,  die  dem  Wollen  und  Können 
dieses  ernststrebenden  und  gestaltungsfrohen 
Künstlers  ganz  gerecht  zu  werden  vermag. 
Verdient  hätte  er  es  jedenfalls,  daß  man  sich 
für  ihn  interessierte,  solange  er  aus  dieser 
Teilnahme  noch  ideellen  Gewinn  für  sein 
Schaffen  zu  ziehen  vermag.  Damit  es  nicht 
auch  einmal  von  ihm  heißen  muß :  Vae  solis, 
d.  h.  Wehe  denen,   die  allein  geblieben  sind ! 

Richard  Braungart 


188 


BRUNO  HEROUX 


AUS  DEM  ZYKLUS  „VAE  SOLIS"  (RADIERUNG) 


BRUNO  HCROUX 

Dekorative  Kunst.  XIX.    6.    März  I9t6 


AUS  DEM  ZYKLUS  „VAE  SOLIS"  (RADIERUNG) 

189  as 


ARCH.  H.  MUTHESIUS-BERLIN 


FABRIKGEBÄUDE  DER  SEIDENWEBEREI  MICHELS 
&  CIE.,  NOWAWES:  REPRÄSENTATIONSHALLE      a 


DIE  MECHANISCHE  SEIDENWEBEREI  MICHELS  &  CIE. 
IN  NOWAWES  BEI  POTSDAM 


Für  den  Bau  der  Seidenweberei  Michels  &Cie. 
in  Nowawes  lag  ursprünglich  die  Absicht 
vor,  die  übliche  Sheddachkonstruktion  anzu- 
wenden; der  unterzeichnete  Architekt  sollte 
lediglich  einen  Frontbau  dazu  entwerfen,  in 
dem  einige  Verwaltungsräume  unterzubringen 
waren.  Die  Shedbauform  gilt  bei  vielen  Fabri- 
kanten noch  heute  als  unübertrefflich.  In  No- 
wawes war  sie  aber  schon  deshalb  nicht  recht 
geeignet,  weil  der  große  Webesaal  nach  dem 
Wunsch  des  Bauherrn  von  einer  Mittelhalle 
im  Verwaltungsgebäude  aus  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung  überblickt  werden  sollte.  Bei 
näherer  Untersuchung  stellte  es  sich  heraus, 
daß  sie  nicht  einmal  wirtschaftlich  vorteilhaft 
war,  und  dann  ergaben  Studienreisen  des  für 
die  Ingenieurkonstruktion  verantwortlichen  Mit- 
arbeiters Karl  Bernhard,  daß  sie  gerade  für 
Seidenwebereien  durchaus  nicht  mehr  allge- 
mein verwandt  wurde,  vielmehr  in  neueren  An- 


lagen   vielfach   durch   einheitliche   Hallenkon- 
strukiionen  ersetzt  war. 

Diese  Erhebung  war  um  so  willkommener, 
als  sie  die  Handhabe  bot,  den  Gedanken  der 
Teilung  des  Baues  in  einen  Shedbau  und  eine 
vorgesetzte  Schauarchitektur  endgültig  zu  be- 
seitigen und  auf  eine  einheitliche  Entwicklung 
des  ganzen  Bauwerkes  loszugehen.  Denn  eine 
baukünstlerische  Lösung  ist  nur  möglich,  wenn 
der  Bau  als  eine  organische  Einheit  aufgefaßt 
wird.  Nun  erst  konnte  den  weiteren  Ab- 
sichten des  Bauherrn  entsprochen  werden,  die 
Fabrik  gleichzeitig  als  Werbemittel  für  sein 
kaufmännisches  Großgeschäft  zu  betrachten. 
Das  altbekannte  Seidenhaus  Michels  &Cie.  ent- 
faltet seine  Haupttätigkeit  durchaus  im  Handel. 
Einzelne  Warengattungen  mußten  aber  im  Selbst- 
betriebe erzeugt  werden,  was  bisher  in  einer  an- 
gemieteten Fabrik  in  Krefeld  geschah.  Die  Ver- 
legung nach  Berlin  hatte,  abgesehen  von  der 


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bequemeren  Verbindung  mit  dem  Haupthause, 
den  Nebenzweck  einer  größeren  Ankündigungs- 
wirkung. Ein  Bauplatz  an  der  vielbefahrenen 
Eisenbahnstrecke  Berim — Potsdam  schien  für 
den  Zweck  sehr  geeignet.  Der  Fabrik  mußte  ein 
repräsentatives  Gepräge  gegeben  werden,  Würde 
der  Erscheinung  und  eine  gewisse,  der  Feinheit 
der  Seidenweberei  entsprechende  Vornehmheit 
schwebte  als  Ziel  der  Gestaltung  vor.  Der  Webe- 
saal wurde  zu  einem  großen,  durch  keine  Zwi- 
schenstellung beengten  Räume  ausgebildet,  be- 
stehend aus  einem  rundbogig  überdeckten  Mittel- 
schiff und  zwei  flach  überdeckten  Seitenschiffen. 
Das  Mittelschiff  bezeichnet  die  Hauptachse  des 
Gebäudes,  in  der  vorn  die  Repräsentationshalle 
liegt.  Zwischen  ihr  und  dem  Webesaal  sind 
ganz  große  Spiegelscheiben  eingesetzt,  die  beim 
ersten  Schritt  in  die  Halle  bereits  den  Blick 
auf  den  ganzen,  in  Tätigkeit  befindlichen  Webe- 
saal erschließen.  Durch  das  herausragende  Mit- 
telschiff war  die  äußere  Gruppierung  der  Bau- 
masse vorgezeichnet.  Es  ergab  sich  ein  her- 
ausgeschobener Mittelbau,  vor  den  zugleich  die 
Vorfahrt  gelegt  wurde.  Die  niedrige  Lage  des 
Bauplatzes  nötigte  zur  Anlegung  eines  Unter- 
geschosses, wodurch  eine  den  Verhältnissen 
des  Baues  zugute  kommende  größere  Höhen- 
entwicklung erreicht  wurde.  Der  Unterbau  ent- 
hält reich  bemessene  Wohlfahrtsräume,  die 
Schlosserei,  Lagerkeller,  Vorbereitungsräume. 
Vor  der  Vorfahrt  erfolgt  die  Frischluftentnahme 
für  die  höchst  sorgsam  bedachte Belüfiungs-  und 
Befeuchtungsanlage.  Die  Luft  wird  hinter  einem 
Wasserfall  entnommen,  der  ihr  die  für  Webe- 
zwecke unerläßliche  Feuchtigkeit  zuführt.  Es 
ist  selbstverständlich,  daß  diese  Einrichtung 
architektonisch  verwertet  wurde.  Das  aus  der 
Rampe  herausspringende  Wasser  ergießt  sich 
kaskadenartig  in  ein  vor  der  Rampe  liegendes 
Wasserbecken. 

Die  äußere  Architektur  ist  denkbar  einfach. 
Die  ohnedies  notwendigen  Mauerstärken  sind 
dadurch,  daß  die  Fensternischen  zurückgesetzt 
sind,  zu  pfeilerartigen  Gebilden  gestaltet,  die 
Pfeiler  enden  in  einem  großen  Zahnschnitt,  der 
gleichzeitig  die  Kapitale  für  die  Pfeiler  und 
das  Hauptgesims  für  den  Bau  bildet.  Der  Bau 
sollte  sich  durch  die  Pfeilerbehandlung  etwas 
an  das  alte  friderizianische  Stadtbild  Pots- 
dams anschließen,  vor  dessen  Toren  er  sich 
erhebt.  Als  Material  wurden  dunkle,  klein- 
formatige holländische  Steine  verwendet.  Auch 
alle  Innenräume  des  Baues  sind  in  Form  ge- 
bracht. Außer  der  Repräsentationshalle  wurden 
die  Bureauräume,  die  Räume  des  Chefs  und  des 
Direktors,  ein  Konferenzsaal,  sowie  auch  die 


Wohlfahrtseinrichtungen:  Waschräume,  Eßsäle, 
Garderoben  und  Baderäume  angemessen  aus- 
gestattet. 

Das  eigentlich  Bemerkenswerte  an  dem  Bau 
ist  die  Art  und  Weise,  wie  hier  die  Baukunst  in 
den  Dienst  der  geschäftlichen  Werbetätigkeit 
gestellt  ist.  Man  hört  so  häufig  die  Ansicht 
vertreten,  daß  jeder  Fabrikbau,  da  er  so  billig 
wie  irgend  möglich  hergestellt  werden  müsse, 
notwendigerweise  häßlich  sei.  Wenn  nun  auch 
längst  nachgewiesen  ist,  daß  man  auch  einen 
bloßen  Nutzbau  durch  gute  Verhältnisse  zu 
einem  architektonischen  Gebilde  gestalten  kann, 
so  bleibt  doch  noch  die  Frage  zu  erörtern,  ob 
es  denn  nicht  sogar  angebracht  sei,  auch  auf 
einen  Fabrikbau  etwas  höhere  Ausstattungs- 
kosten zu  verwenden,  um  dem  Bau  neben  sei- 
nem eigentlichen  Zweck  eine  gesteigerte  ge- 
schäftliche Werbekraft  zu  verleihen.  Es  ist  be- 
kannt, welche  hohen  Beträge  große  Geschäfte 
heute  auf  ihr  Ankündigungswesen  verwenden. 
Beläuft  sich  diese  Summe  z.B.  für  ein  Geschäft 
auf  200  000  M.  jährlich,  so  liegt  der  Gedanke 
doch  sehr  nahe,  einmal  den  Versuch  zu  machen, 
einen  kleinen  Teil  davon,  und  seien  es  auch 
nur  10  000  M.,  auf  die  von  einer  guten  Archi- 
tektur ausgehende  Werbewirkung  zu  verwenden. 
Vielleicht  daß  sie  besser  angelegt  sind  als  in 
Zeitungsankündigungen,  die  in  dem  Annoncen- 
teil doch  mehr  oder  weniger  unbemerkt  auf- 
gehen. 10000  M.  sind  aber  S^/o  Zinsen  von 
200000  M.,  eine  erkleckliche  Summe,  um 
einem  großen  Verwaltungs-  oder  Fabrikgebäude 
eine  höhere  künstlerische  Anziehungskraft  zu 
verleihen.  In  vorliegendem  Falle  erreichen  aber 
die  besonderen  Ausgaben  für  künstlerische 
Ausstattung  noch  lange  nicht  diese  Höhe.  Aller- 
dings hat  die  marmorausgestattete  Repräsen- 
tationshalle allein  etwa  60  000  M.  Kosten  ver- 
ursacht, auch  liegt  ein  gewisser  Mehraufwand 
in  den  holländischen  Steinen  für  die  Außen- 
architektur und  in  der  besseren  Ausstattung 
der  Innenräume.  Immerhin  betragen  alle  Mehr- 
ausgaben nur  128000  M.,  also  noch  nicht  ein 
Viertel  der  Gesamtbausumme  von  538000  M. 
Die  Zinsen  dieser  besonderen  Aufwendung  be- 
laufen sich  demnach  auf  6  400  M.  jährlich. 
Das  ist  aber  ein  verschwindend  geringer  An- 
teil an  den  Gesamtreklamekosten  des  Hauses. 
Hoffentlich  wird  die  Erkenntnis  immer  allge- 
meiner, daß  es  keine  edlere,  eindrücklichere 
und  dauerhaftere  Reklame  gibt  als  eine  gute 
Architektur.  Unsere  Warenhäuser  haben  dies 
längst  eingesehen.  Auch  unsere  Fabrikations- 
betriebe sollten  es  mehr  und  mehr  erkennen. 

Hermann  Muthesius 


194 


Wenn  Kunst  höchster  und  monumentaler  Ausdruck 
lebendiger  Zeitgedanken  ist,  so  hat  die  Kunst  in 
unserem  Jahrhundert  einen  schweren  Stand  gehabt. 
Denn  die  Gedanken  der  Zeit  haben  in  hartem 
Ringen  gelegen  mit  den  Gedanken  anderer,  ver- 
gangener Zeiten,  mit  den  Mächten  der  Geschichte. 
Einer  der  eigentümlichsten  Charakterzüge  unseres 


Jahrhunderts  ist  dieser  Verteidigungskampf  histo- 
rischer Mächte  und  Gedanken,  die  sich  ein  Organ 
geschaffen  haben,  wie  es  gleich  ausdrucks-  und 
anspruchsvoll  in  keiner  früheren  Zeit  begegnet. 
Dieser  eigentümliche  Sinn  des  neunzehnten  Jahrhun- 
derts ist  der  historische  Sinn,  die  historische  Pietät 

Karl  Ne  umann 


ARCII.  II.  MUTHESIUS-BERLIN 


■  FABRIKGEBÄUDE  DER  SEIDENWEBEREI 

MICHELS  &  CIE.,  NOWAWES:  TREPPENAUFGANG 


195 


fr<r 


ARCH.  KARL  SIEBRECHT-HANNOVER 


AUSSTELLUNGSHAUS  DER  KEKSFABRIK  BAHLSEN  AUF  DER 
KÖLNER  WERKBUND-AUSSTELLUNG:  SEITENFASSADE  □ 


EIN  BAHLSEN-AUSSTELLUNGSHAUS 


Wo  die  Platzfläche  vor  dem  Hauptgebäude 
der  Kölner  Werkbundausstellung  in  jene 
überging,  die  durch  das  Theater,  das  Fabrik- 
und  Bureaugebäude  und  das  Haus  der  Frau 
gebildet  wurde,  schob  sich,  zwar  selbstbewußt 
und  eigen,  aber  harmonisch  zum  ganzen  und 
trotz  exponierter  Lage  unaufdringlich,  an  die 
Längsseite  der  Festhalle  heran  ein  reizvoller 
Bau,  das  Ausstellungshaus  der  Keksfabrik 
Bahlsen.  Der  Erbauer,  Architekt  Karl  Sifb- 
RECHT-Hannover,  gab  dem  kleinen  weißen  Bau 
eine  ganz  schlichte  Form.  Front  und  Seiten- 
flächen werden  durch  Tür  und  gleichförmige 
Fenster  aufgeteilt.  Zwischen  diesen  kerami- 
scher Schmuck,  durch  gefällige  Bogen  mitein- 
ander verbunden.  Davor  Säulen  mit  Figuren 
aus  gleichem  Material,  entworfen  von  Bildhauer 
Ludwig  Vierthaler -Hannover,  ausgeführt 
von  Ernst  Teichert  G.  m.  b.  H.,  Meißen,  deren 
jede  in  irgendeiner  Beziehung  zum  Keks  steht. 
Dieser  geschickt  geformte,  schönfarbige  Zie- 
rat  gab    den    Fensterauslagen    eine    stilvolle 


Fassung  und  dem  ganzen  Bau  den  lebendigen, 
liebenswürdigen  Charakter,  den  man  als  Fort- 
setzung der  in  Bahlsens  Packungen  zum  Aus- 
druck gelangenden  Schönheitsidee  von  ihm 
füglich  erwarien  muß.  Das  Innere  des  Hauses 
bestand  aus  einem  Ausstellungsraum,  an  den 
sich  nach  hinten  eine  erhöhte  Nische  anschloß. 
In  dem  zweckmäßig  mit  Klinkern  ausgelegten 
Vorderraume  dominierten  natürlich  die  Aus- 
lagen. Da  sprudelten  förmlich  die  Farben  der 
Packungen  von  Julius  Diez,  Aenne  Koken, 
Margold,  Mela  Köhler  und  anderen.  Daneben 
Dosen,  Schalen,  die  das  Bestreben  zeigen, 
die  Kunst  in  weiteren  Dingen  zu  Worte  kom- 
men zu  lassen,  die  aber  alle  unmittelbaren 
Zusammenhang  mit  der  Ware  haben  und  trotz 
ihrer  Mannigfaltigkeit  nicht  über  das  Sachliche 
hinausgehen.  Diese  Erkenntnis  überhaupt  geht 
hier  dem  Beschauer  ohne  weiteres  auf:  die 
treibende  Kraft  des  Unternehmens  ist  in  der 
Durchgeistigung  der  Arbeit  konsequent  bis  zum 
äußersten;  bis  in  die  Gestaltung  der  Bauten, 


196 


\RCH.  KARL  SIEBRECHT-HANNOVER 


AUSSTELLUNGSHAUS  DER  KEKSFABRIK  BAHLSEN  AUF 
DER  KÖLNER  WERKBUND-AUSSTELLUNG  S  PLASTISCHER 
SCHMUCK  VON  LUDWIG  VIERTHALER  HANNOVER  ■ 


Dekorative  K<inftt.    XIX.    6.     Mar«  1916 


197 


ARCH.  KARL  SIEBRECHT-HANNOVER 


AUSSTELLUNGSHAUS  DER  KEKSFABRIK  BAHLSEN  AUF 
DER  KÖLNER  WERKBUND-AUSSTELLUNG  G  PLASTISCHER 
SCHMUCK  VON  LUDWIG  VIERTHALER-HANNOVER  □ 


198 


\RCI1.  KARL  SIEBRECHT-HANNOVER 


AUS  DEM  INNERCN  DES  AUSSTELLUNGSIIAUSES  DER  KEKSFABRIK 
BAHLSEN  AUF  DER  KOLNER  WERKBUND  AUSSTELLUNG  ■ 


190 


ag* 


ARCH.  KARL  SIEBRECHT-HANNOVER  Q  AUS  DEM  INNEREN  DES  AUSSTELLUNGSIiALiLi 
DER  KEKSFABRIK  BAHLSEN  AUF  DER  KÖLNER  WERKBUND-AUSSTELLUNG 


die  der  eigenen  Sache  dienen,  sie  fördern  und, 
ohne  vom  Thema  abzuschweifen,  das  Hohelied 
der  Schönheit  in  die  Welt  tragen. 

Die  Verwirklichung  dieser  Idee  erfordert 
Mäßigung  am  geeigneten  Platz.  Und  so  mußte 
in  diesem  Vorderraum  die  Architektur  als  Folie 
dienen.  Siebrecht  verstand  das.  Er  blieb  dezent. 
Und  da,  wo  er  hervortreten  mußte,  tat  er  es  in 
geschickter,  feinsinniger  Art.  Als  Sitzgelegen- 
heit dienten  in  diesem  Räume  zwei  prächtige 
holzgeschnitzte  Bänke  des  inzwischen  im  Kriege 
gefallenen  Bildhauers  Georg  Krüger-Berlin. 

Der  erhöhte  Raum  ist  schmaler  als  der  vor- 
dere; an  jeder  Seite  befindet  sich  ein  kleines 


Nebengelaß.  Die  Nische  selbst  ist  mit  Tischen 
und  Polstermöbeln  ausgestattet  und  hat  an  der 
Rückwand  ein  breites  Fenster.  Das  Inventar 
ist  von  Siebrecht  entworfen  und  dem  Ganzen 
harmonisch  angepaßt. 

Siebrecht  hat  mit  diesem  Bau  ein  feines 
abgerundetes  Werkchen  geschaffen.  Der  intime 
Reiz  des  Hinterraumes  erhöht  die  sachliche 
Wirkung  des  vorderen  und  umgekehrt.  Aber 
das  alles  vollzieht  sich  ohne  harte  Uebergänge. 
Die  zielbewußte  Hand  des  Architekten  wirkte 
in  der  Gestaltung  der  beiden  verschiedenarti- 
gen Räume  ausgleichend,  so  daß  sie  als  eine 
Arbeit  aus  einem  Guß  erscheinen.  c.  s. 


200 


Die  außerordentliche  Umgestaltung  der  Ver- 
kehrsmittel, der  Produktionsverhältnisse  durch  die 
Herrschaft  der  Maschine  hat  sich  in  allen  mo- 
dernen Kulturländern,  wenn  nicht  in  gleichem  Maße, 
so  doch  überall  in  fühlbarster  Weise  vollzogen. 
Die  Einwirkungen  dieser  Umwälzungen  auf  alle 
Gebiete  der  Technik,  der  Industrie,  auch  des  Kunst- 
gewerbes, der  Kunstindustrie  sind  allerorten  nahezu 
die  gleichen  ;  vor  allem  müssen  diese  Einwirkungen 
auf  das  Formgefühl  im  allgemeinen  überall  in  ähn- 
licher Weise  sich  geltend  machen.  So  gewiß  es 
nun  höchst  wünschenswert  ist,  daß  nationale  und 
lokale  Eigentümlichkeiten,  Färbungen  und  Schat- 
tierungen möglichst  erhalten  bleiben  und  in  lebens- 


kräftiger Fortentwicklung  ein  reiches  und  mannig- 
faltiges Bild  gesunder,  bodenwüchsiger  Kunst  er- 
stehen lassen,  so  undenkbar  muß  es  doch  erscheinen, 
daß  die  allmähliche  Herausbildung  eines  spezifisch 
modernen  Stilgefühls  zunächt  in  nationaler  Ab- 
geschlossenheit vor  sich  gehen  könne.  Das  An- 
knüpfen an  die  heimische  Tradition  wird  ja  wohl 
überall  die  sicherste  Grundlage  für  das  Neuzu- 
schaffende gewähren ;  aber  dieses  Anknüpfen  darf 
nicht  ein  Fortschreiten  nach  den  praktischen  An- 
forderungen der  modernen  Kulturzustände  hindern, 
auch  nicht  in  ästhetischer  Hinsicht  den  Geist  in 
die  Gefühlssphäre  einer  entschwundenen  Epoche 
bannen  wollen.  R.  Streiter 


AKCII.    KAHL  Sll.HKi:CHT-tlANNOVER      Q      AUS  DEM   AUS-STELLUNGSHAUS 

DER  KEKSFABRIK  BAHLSEN  AUF  DER  KÖLNER  WERKBUND-AUSSTELLUNG 

GESCHNITZTE  BANK  VON  GEORG  KRCGER 


201 


^ii^/i&rii 


..•f.'.i*.*  «■; rrjjirÄi 


Aus  dem  Jahrbuch  des 
Deutschen  Werkbundes  1915 


KUNSTSCHLOSSER  JULIUS  SCHRAMM-BERLIN 
OBERLICHTGITTER  UND  KIRCHENSCHLCSSEL 


202 


Aus  dem  Jahrbuch  des 
Deutschen  Werkbundes  1915 


PAUL  WOENNE-SOLINGEN.  MESSER  ■ 

AUSFÜHRUNG  VON  R.  WOLFF  JUN.,  SOLINGEN 
JULIUS  SCHRAMM-BERLIN,  ROSETTE  ■ 


203 


Aus  dem  Jahrbuch  des 
Deutschen  Werkbundes  1915 


BRONZEGIESSEREI  S.  A.  LOEVY-BERLIN  G 

TORGRIFFE  UND  BESCHLAGE  NACH  ENTWÜRFEN  VON 
PETER  BEHRENSJULIUS  LÖNHOLDT  UND  BRUNO  PAUL 


204 


•-■rrHm-a 


D.  UND  K.  SCHULZE-DORTMUND 


GEWERKSCHAFT  VIKTORIA:  BLICK  IN  EINE  GIEBELSTRASZE 


KLEINSIEDLUNGEN 


Unter  den  Aufgaben,  die  die  deutsche  Bau- 
kunst nach  Beendigung  dieses  gewaltig- 
sten aller  Kriege  zunächst  werden  beschäftigen 
müssen,  stehen  die  Probleme  der  Siedlung  an 
erster  Stelle.  Die  Siedlungsfrage  war  bereits 
vor  dem  Kriege  dringlich  gewesen,  sie  hat 
durch  diesen  Krieg  eine  erhöhte  Wichtiglceit 
bekommen  und  ihre  Lösung  wird  nach  diesem 
Kriege  unverzüglich  und  mit  gesammelter  Kraft 
in  Angriff  genommen  werden  müssen.  Es  trifft 
sich  gut,  daß  eine  solche  Konzentration  aller 
Kräfte,  wie  sie  zu  einer  glücklichen  Lösung 
dieser  die  Lebensinteressen  der  ganzen  Nation 
berührenden  Frage  wird  gefordert  werden  müs- 
sen, in  natürlicherweise  schon  durch  die  Lage 
der  Dinge  geboten  ist.  Denn  die  übrigen  Auf- 
gaben der  Baukunst,  namentlich  die  der  mo- 
numentalen und  dekorativen  Architektur,  wer- 
den für  die  nächste  Zukunft  neben  den  Fragen 
des  Siedlungswesens  schon  deshalb  zurück- 
treten müßen,  weil  öffentliche  Mittel  für  andere 


als  die  notwendigsten  Ausgaben  nicht  verfüg- 
bar sein  werden.  Wie  immer  dieser  gewaltige 
Krieg  auch  ausgehen  mag,  zu  wessen  Gunsten 
schließlich  die  Entscheidung  fallen  wird,  er 
fordert  von  allen  Parteien  gleich  schwere  Opfer 
und  er  wird  für  alle  Beteiligten  eine  so  starke 
materielle  Erschöpfung  bringen,  daß  fürs  erste 
an  eine  tatkräftige  Förderung  der  sogenannten 
Kulturaufgaben  kaum  zu  denken  sein  wird. 
Man  wird  überall  damit  zufrieden  sein  müssen, 
wenn  die  unumgänglichsten  Bedürfnisse  des 
Tages  befriedigt  werden  können.  Für  Deutsch- 
land aber  bedeutet  die  Lösung  der  Siedlungs- 
und Wohnungsfrage  eine  solche  unaufschieb- 
bare Forderung  des  Tages.  Eine  drückende 
Wohnungsnot  wird  bei  der  unfreiwilligen  Ruhe- 
zeit, zu  der  sich  das  Baugewerbe  während  des 
Krieges  verurteilt  sieht,  nicht  ausbleiben  kön- 
nen, und  schon  jetzt  deuten  sichere  Anzeichen 
darauf  hin,  daß  namentlich  an  Kleinwohnungen 
ein  empfindlicher  Mangel  eintreten  wird.  Eine 


Dekorative  Kunst.     XIX.    7.    April  1916 


205 


27 


D.  UND  K.  SCHULZE-DORTMUND 


KÜLüML  L.  MANNST AEDT,  TROISDORF:  GESAMTANSICHT 


D.  UND  K.  SCHULZE-DORTMUND 


energische  Siedlungsarbeit  wird  ferner  nament- 
lich auch  in  den  von  den  Zerstörungen  des  Krie- 
ges schwer  getroffenen  Gebieten  einsetzen  müs- 
sen; hier  wird  eine  ganze  Reihe  von  Ansied- 
lungen  buchstäblich  neu  zu  schaffen  sein.  Auch 
machen  sich  jetzt  bereits  in  erfreulicher  Weise 
Bestrebungen  geltend,  welche  die  künftig  in 
großem  Umfang  notwendig  werdende  Versor- 
gung der  Kriegsinvaliden  mit  Hilfe  einer  groß- 
zügig betriebenen  Ansiedlungspolitik  durch- 
führen wollen  und  durch  Schaffung  von  Krieger- 
heimstätten und  -kleinsiedlungen  die  Kräfte 
dieser  um  das  Vaterland  verdienten  Männer 
auch  künftig  zu  ihrem  Heil  und  zum  Segen 
der  ganzen  Nation  nutzbar  machen  möchten. 
Es  kommt  hinzu,  daß  sich  im  Siedlungswesen 
bereits  vor  dem  Kriege  vielfach  Mißstände  ge- 
zeigt haben,  die  zu  ernsten  Bedenken  Ver- 
anlassung geben  mußten.  Erst  vor  kurzem  hat 
der  Berliner  Stadtbaurat  Fritz  Beuster  in  einer 
kleinen  Flugschrift  sehr  überzeugend  nach- 
gewiesen, daß  Deutschland  eine  so  gewaltige 
Kraftprobe  wie  diesen  Krieg  nicht  zum  zweiten 
Male  wird  bestehen  können,  wenn  es  nicht 
durch  eine  planvolle  Reform  des  städtischen 
Siedlungswesens  auf  eine  nachhaltige  Stärkung 
seiner  Volks-  und  Wehrkraft  hinzuwirken  be- 
strebt ist.  Die  Ungunst  der  städtischen  Wohn- 
weise tritt  erschreckend  in  den  statistischen  Er- 
hebungen zutage,  nach  denen  die  Militärtaug- 
lichkeit in  den  Großstädten  im  Mittel  nur  vier 
Fünftel  (in  Berlin  sogar  nicht  einmal  die  Hälfte) 
des  ländlichen  Durchschnitts  beträgt,  sie  wird 
grell  beleuchtet  durch  die  alarmierenden  Nach- 
richten über  den  Rückgang  der  Geburtenziffer, 
der  kürzlich  erst  wieder  im  Preußischen  Ab- 
geordnetenhaus Gegenstand  erregter  Debatten 
gewesen  ist.  Vergleicht  man  aber  diese  sta- 
tistischen Ziffern  über  den  Geburtenstand  im 
einzelnen  miteinander,  so  zeigt  es  sich,  daß 
Ueberschüssenurnoch  in  denStädten  beobachtet 
wurden,  wo  eine  weiträumige  Bebauung  vor- 
herrscht, wo,  wie  etwa  noch  in  Bremen,  der 
Kleinhausbau  gegenüber  dem  Stockwerkhaus 
und  der  gesundheitsgefährlichen  Mietskaserne 
überwiegt.  Damit  ist  aber  auch  das  siädte- 
bauliche  Ziel,  das  bei  der  Lösung  des  Sied- 
lungsproblems anzustreben  ist,  in  der  Haupt- 
sache schon  angedeutet.  Es  wird  darauf  an- 
kommen, eine  systematische  Auflockerung 
des  großstädtischen  Siedlungsverbandes  her- 
beizuführen und  für  jenen  Teil  der  städti- 
schen Bevölkerung,  der  nach  Maßgabe  sei- 
nes Einkommens  auf  die  Kleinwohnung  an- 
gewiesen ist  —  und  das  sind  nach  Erhe- 
bungen der  Statistik  vier  Fünftel  aller  Groß- 
stadtbewohner! —  Ansiedlungsformen  zu 
schaffen,   die   eine   wirksame  Kräftigung  und 


ein   sicheres  Wachstum   der  Volksgesundheit 
gewährleisten. 

Das  großstädtische  Wohnungsproblem  stellt 
sich  also  im  Kern  als  eine  Frage  der  Klein- 
wohnungsfürsorge dar.  Die  mannigfachen  An- 
forderungen aber,  die  in  technischer,  gesund- 
heitlicher und  sozialer  Beziehung  an  die  Klein- 
wohnung zu  stellen  sind,  vermögen  am  voll- 
kommensten die  Hausformen  des  Flachbaues 
zu  erfüllen.  Diese  Bauweise  stellt  dem  Massen- 
miethaus  mit  Stockwerkshäufung  die  isolierte 
Einzelzelle  entgegen,  das  Kleinhaus  mit  Garten, 
zwei-  bis  dreigeschoßig  angelegt  und  zum  Ob- 
dach für  eine  bis  höchstens  vier  Familien 
bestimmt.  Es  tritt  als  freistehendes  Einzel- 
haus oder,  nachbarlich  Wand  an  Wand  neben- 
einandergebaut, auch  als  Reihenhaus  auf. 
Zum  Normaltypus  des  städtischen  Kleinhauses 
ist  das  Reihenhaus  am  besten  geeignet.  Schon 
aus  ökonomischen  Gründen.  Es  bietet  alle 
Vorteile  einer  rationellen  und  wohlfeilen  Bau- 
ausführung, da  es  nur  zwei  Schauseiten  hat 
und  gemeinschaftliche  Brandgiebel  zugelassen 
werden  können.  Ueberdies  ist  beim  Gruppen- 
und  Reihenhausbau  eine  Herabminderung  der 
strengen,  für  das  hohe  Stockwerks-  und  Mas- 
senmietshaus auch  kaum  zu  entbehrenden  Kon- 
struktionsvorschriften ohne  Bedenken  zulässig. 
Die  Aussenmauern  können  schwächer,  die 
Innenwände  leichter  ausgebildet,  die  Breiten- 
maße der  Treppen  können  verringert  werden, 
Maßnahmen,  durch  die  eine  beträchtliche  Ver- 
billigungder  Hausbaukosten  herbeigeführt  wer- 
den kann.  Es  kommt  hinzu,  daß  das  beider- 
seitig eingebaute  Reihenhaus  auch  leichter 
zu  erwärmen  und  warm  zu  halten  ist,  als  das 
freistehende  Einzelhaus.  Ganz  allgemein  aber 
verdient  das  Einfamilienhaus  gegenüber  dem 
Mehrfamilienhaus  schon  deshalb  den  Vorzug, 
weil  es  eine  größere  Bewegungsfreiheit  ge- 
währt, weil  jede  Familie  ihren  besonderen 
Hauseingang  hat,  was  namentlich  in  Fällen 
ansteckender  Krankheiten  von  Bedeutung  ist, 
und  überdies  ganz  nach  eigener  Willkür  über 
die  zum  Hause  gehörigen  Nebenanlagen,  über 
Stall  und  Garten,  verfügen  kann,  wodurch 
Zank  und  Unfriede  zwischen  den  Parteien 
vermieden  oder  wenigstens  nach  Möglichkeit 
eingeschränkt  werden.  Auch  wird  vielfach  — 
ob  mit  Recht  oder  Unrecht  bleibe  dahin- 
gestellt —  behauptet,  daß  das  Einfamilienhaus 
in  besonderer  Weise  geeignet  sei,  den  Sinn 
für  Ordnung  und  Häuslichkeit  zu  fördern. 
Sicher  ist,  daß  das  Kleinhaus  dieser  Art,  es 
sei  als  Reihenhaus  oder  als  freistehendes 
Einzelhaus  errichtet  oder  auch  mit  mehreren 
gleichartigen  zu  einer  Gruppe  verbunden,  in 
jedem    Fall    aber    mit   einem   kleinen   Stück 


207 


27» 


Gartenland  zu  wirtschaftlicher  Nutzung,  zu 
Obst-  und  Gemüsebau  ausgerüstet,  die  beste 
und  gesündeste  Form  der  Kleinwohnung  bietet. 
Jede  Siedlungsreform  muß  daher  letzten  En- 
des darauf  abzielen,  dem  Flachbau  mit  Hilfe 
einer  großzügig  betriebenen  Boden-  und  Ver- 
kehrspolitik die  wirtschaftlichen  Existenzbe- 
dingungen zu  schaffen  und  an  Stelle  des 
Massenmiethauses  in  großem  Umfang  wieder 
das  Kleinhaus  mit  Garten  einzubürgern.  Es 
kommt  darauf  an,  im  Vorgelände  der  Groß- 
städte kleine  selbständige  Wohnkolonien  in 
offener  Bauweise  zu  schaffen,  Kleinsiedlungen 
halb  städtischen,  halb  ländlichen  Charakters, 
die  mit  voller  wirtschaftlicher  Autarkie  und 
eigener  Gemeindeverwaltung  ausgerüstet,  als 
ein  grüner  Kranz  blühender  Tochterstädte  die 
Mutterstadt  umziehen. 

Bei  der  Plangestaltung  dieser  weiträumigen 
Siedlungen  ist  von  den  Formen  des  Klein- 
hauses auszugehen.  Die  für  das  Haus  nebst 
zugehörigem  Garten  benötigte  Grundfläche  be- 
stimmt die  Tiefe  des  Baublocks.  Sie  bildet 
das  Grundmaß  für  die  Blockgestaltung  und 
bestimmt  damit  zugleich  das  Schema  für  die 
Aufteilung  des  Geländes.  Was  nun  die  Grund- 
rißbildung des  Kleinhauses  betrifft,  so  läßt 
die  Einfachheit  der  Aufgabe  naturgemäß   nur 


eine  beschränkte  Anzahl  von  Lösungen  zu. 
Die  Häuser  unterscheiden  sich  im  Grunde 
nur  dem  Typus  nach,  als  Ein-  oder  Mehrfa- 
milienhaus, als  Einzel-,  Reihen-  oder  Grup- 
penhaus; und  auch  innerhalb  dieser  Typen- 
form gibt  es  Unterschiede  eigentlich  nicht  so 
sehr  der  Art,  als  der  Größe  nach,  je  nach 
dem  Umfang  der  verfügbaren  Grundfläche 
und  je  nach  Zahl  und  Größe  der  geforderten 
Räume.  Im  allgemeinen  wird  bei  der  Pla- 
nung solcher  Kleinhäuser  davon  auszugehen 
sein,  daß  die  Küche  zugleich  als  Wohnraum 
benutzt  werden  kann.  Denn  die  Küche  bildet 
im  Kleinhaus  den  eigentlichen  Mittelpunkt 
des  Familienverkehrs.  Hier  schaltet  die  Haus- 
frau, hier  spielen  die  Kinder,  hier  werden  die 
Mahlzeiten  eingenommen,  hier  „am  häuslichen 
Herde"  verbringt  die  Familie,  wie  zu  Zeiten 
des  alten  deutschen  Bürgerhauses,  gemeinsam 
die  freien  Stunden  des  Feierabends.  Und  es 
hat  sich  gezeigt,  daß  selbst  in  den  Häusern, 
in  denen  eine  besondere  Wohnstube  vorhan- 
den ist,  von  dieser  Gewohnheit  nicht  abge- 
gangen wird :  auch  hier  lebt  man  nach  altge- 
wohntem Brauch  in  der  Küche,  während  das 
Wohnzimmer  ungenützt  bleibt  und  als  die 
wohlbekannte  „gute  Stube"  mit  besonderer 
Schonung  behandelt  wird.     Es  hat  sich  daher 


LUDWIG  RUFF-NORNBERG 


GARTENVORSTADT  WERDERAU  BEI  NÜRNBERG:  VIER  EINFAMILIENHÄUSER 

208 


ARCH.  BAURAT  SCHMOHL 


KOLONIE  ALTENHOF  DER  F.  KRUPP  A.-G. 


n  Mua  vifar7«nrr-  i^:-".r 


ARCll.  BAURAT  SCUMUliL 


KOLONIE  GEWERKSCHAFT  EMSCHER-LIPPE  DER 
F.KRUPP  A.C.:  BLICK  IN  EINEN  WOHNHOF       ■ 


209 


LUDWIG  RUFF-NÜRNBERG 


GARTENVORSTADT  WERDERAU  BEI  NÜRNBERG:  EINFAMILIENHAUSER 


heute  allgemein  die  Einrichtung  sogenannter 
Wohnküchen  eingebürgert,  die  als  Koch-  und 
Wohnraum  zugleich  dienen  und  ausreichenden 
Platz  zur  Aufstellung  eines  großen  Eßtisches 
und  mehrerer  Sitzgelegenheit  in  Form  von 
Stühlen  und  Wandbänken  bieten.  Eine  solche 
Wohnküche  erleichtert  der  Hausfrau  den  Wirt- 
schaftsbetrieb, sie  gestattet  eine  schnelle  Be- 


LUDWIG  RUFF-NÜRNBHRü  Gl  W  OHNUNGSKOLOME  ANGERHAUSEN  DER  MASCHINENFABRIK 
AUGSBURG-NÜRNBERG,  WERK  DUISBURG:    DREI  EINFAMILIENHAUSER 


dienung  des  Eßtisches  und  eine  bequeme 
Zureichung  der  Speisen  bei  den  Mahlzeiten; 
sie  erspart  überdies  im  Winter  die  Beheizung 
eines  Zimmers,  Vorteile,  für  die  in  der  Regel 
eine  Beschränkung  des  eigentlichen  Wohn- 
platzes gerne  in  Kauf  genommen  wird.  Vielfach 
schließt  sich  an  die  Wohnküche  eine  kleine  Spül- 
küche an,  die  als  Abwasch-  und  Reinigungs- 

raumdient,und 
in  der  zugleich 
auch  die  Bade- 
wanne unterge- 
bracht wird. 
Außer  diesen 
Räumen  ent- 
hält das  Erdge- 
schoß gewöhn- 
lich noch  eine 
Stube,  die,  je 
nach  Bedarf, 
als  Wohn-  oder 
als  Schlafraum 
benützt  wird, 
während  im 
Obergeschoß, 
je  nach  der 
Größedes  Hau- 
ses, zwei  bis 
drei  Schlafzim- 
mer unterge- 
bracht sind. 
Das  Stallge- 
bäude, groß  ge- 
nug, um  einige 
Hühner  und 
vielleicht  auch 


210 


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211 


JAKOB  GÖTTEL-STALLUPÖNEN 


SOMMERHAUSCHEN 


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JAKOB  GÖTTEL 


GRUNDRISZ  DES  SOMMERHÄUSCHENS 


eine  Ziege  darin  unterzubrin- 
gen, wird  entweder  als  selb- 
ständiger Bauteil  ausgeführt, 
oder  auch,  um  der  Hausfrau 
durch  Verkürzung  der  Wege 
den  Wirtschaftsbetrieb  zu  er- 
leichtern, als  kleiner  Anbau 
unmittelbar  mit  dem  Hause 
verbunden,  so  daß  es  mit 
diesem  einen  geschützten  Win- 
kel einschließt,  der  für  die 
Anlage  der  Hauslaube  ausge- 
nützt werden  kann.  Um  eine 
möglichst  wohlfeile  Bauaus- 
führung, wie  sie  bei  diesen 
Kleinhäusern  stets  aus  Spar- 
samkeitsrücksichfen  geboten 
ist,  zu  gewährleisten,  emp- 
fiehlt es  sich,  für  den  Grund- 
riß eine  einfache,  geschlos- 
sene Form  anzustreben.  Eine 
solche  Grundform  bietet  auch 


212 


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HERMANN  MUTHESIUS-BERLIN 


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HERMANN  MUTIIESIUS-BERLIN 


Dekorative  Kunst.    XIX.    7.    April  1916 


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KLEINHAUSER  IN  HELLERAU 


213 


KLEINHAUSER  IN  DIISBL'RG 

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REG.-BAUMEISTER  CHARTON-KIEL  B  ZWEIFAMILIENWOHNHAUSER  FOR  ARBEITER  AM  KAISER  WILHELM  KANAL 


für  die  architektonische  Gestaltung  große  Vor- 
teile, da  sie  eine  klare  Dachlösung  ergibt  und  die 
Ausbildung  eines  einfach  und  übersichtlich  zu 
gliedernden  Baukörpers  gestattet.  Als  vorbild- 
lich für  die  GrundriÖgestaltung  des  Reihenhau- 
ses können  die  hier  S.  216,  219  u.  224  abge- 
bildeten Hauspläne  aus  der  Gartenstadt  Hellerau 
bei  Dresden  (entworfen  vom  Architekten  Kurt 
Frick)  und  aus  der  Kolonie  Staaken  bei  Span- 


REG. 


BAUMEISTER  CHARTON  U.  KLATT-KIEL  B  ZWEIFAMILIENHAUS  FOR  UNTER- 
BEAMTE DER  MARSCHBAHNVERLEGUNG 


dau  (entworfen  vom  Architekten  Paul  Schmitt- 
henner)  gelten.  Was  die  Ausgestaltung  des 
Gartens  betrifft,  der  beim  Kleinhaus  in  der 
Regel  nur  als  Nutzgarten  für  Obst-  und  Ge- 
müseanpflanzungen dient  und  zugleich  auch 
den  Kindern  einen  behaglichen  Aufenthalt 
zum  Spielen  im  Freien  bieten  soll,  so  wird 
er  am  zweckmäßigsten  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  dem  Hause  hergerichtet,  so  daß 

Haus  und  Garten  eine 
Einheit  bilden  und  der 
Garten  gewisserma- 
ßen eine  Erweiterung 
des  Hauses  darstellt. 
Ein  erfahrener  Fach- 
mann wie  L.Migge  rät, 
das  Obst  in  solchen 
Gärten  nur  als  Zwerg- 
und  Spalierobst  anzu- 
pflanzen und  Hoch- 
und  Halbstämme  nur 
vereinzelt  zu  verwen- 
den. Dagegen  sollte 
Beerenobst  in  allen 
Formen,  sowie  als  Zier- 
strauch der  schwarze 
Hollunder  angepflanzt 
werden. 

Innerhalbeines  Bau- 
blocks werden  nun  die 
Häuser,    die    sich    in 


214 


KUG.-ÜAUMEISTUR  CUAKTONKILL    □     UKlill  AMILILMIAUS  FCR  UNTLliliLAMTL  AM  KAISER  WILHELM-KANAL 


gleichartiger  Ausbildung  wiederholen,  in  Grup- 
pen oder  in  langen  Reihen  zusammengefaßt,  oder 
auch  innerhalb  derselben  Gruppe  mit  anderen 
ähnlichen  Typen  kleineren  oder  größeren  Maß- 
stabs verbunden.  Die  Blöcke  erhalten  eine  lang- 
gestreckte, schmale,  möglichst  rechteckige 
Grundform  und  bleiben  an  den  Schmalseiten 
unbebaut,  um  dem  Winde  ein  kräftiges  Durch- 
streichen zwischen  den  Häusern  zu  ermöglichen. 
Da  man  an  diesen  offenen  Seiten  einen  freien 
Einblick  ins  Innere  der  Baublöcke  bekommt, 
so  ist  es  angebracht,  auch  die  Rückfronten 
der  Häuser  architektonisch  mit  derselben  Sorg- 
falt auszubilden  wie  die  Straßenseiten  (vgl. 
die  Abbildung  S.  227).  Um  den  Häusern  eine 
günstige  Sonnenlage  zu  geben  und  das  Licht 
bis  in  die  letzten  Winkel  der  Wohnung  zu 
führen,  werden  die  Straßen,  so  weit  als  mög- 
lich, in  der  Nordsüdrichtung  geführt.  Nur 
die  wenigen  Hauptstraßen  werden  als  Ver- 
kehrsstraßen in  größerer  Breite  angelegt  und 
mit  einem  für  schwereres  Fuhrwerk  berech- 
neten, solide  befestigten  Fahrdamm  versehen. 
Weniger  noch  als  in  der  Stadt  ist  es  in  der 
Kleinsiedlung  angebracht,  die  Hauptstraßen 
übermäßig  breit  anzulegen.  Was  an  öffent- 
lichem Straßenland  gespart  wird,  das  kommt 


stets  den  Hausgärten  als  Gewinn  zugute. 
Und  die  Pflege  von  Grünflächen  ist,  abge- 
sehen von  ihrem  sanitären  Wert,  auch  wirt- 
schaftlich billiger  als  die  Unterhaltung  von 
Asphaltwegen.  Solcher  Verkehrsstraßen  be- 
darf es  übrigens  in  der  Kleinsiedlung  nur  in 
geringer  Zahl;  meist  wird  es  genügen,  die 
vorhandenen  Landstraßen  auszubauen  und  im 
übrigen  vielleicht  noch  eine  die  Siedlung 
durchquerende  größere  Verbindungsstraße  an- 
zulegen. Diese  kann  dann  in  zweckmäßiger 
Weise  im  Zentrum  der  Anlage  zu  einem 
größeren  Platz  erweitert  werden,  an  dem  das 
Gasthaus,  die  größeren  Geschäfte,  vielleicht 
auch  das  Schul-  und  Gemeindehaus  liegen. 
Durch  diese  in  größeren  Formen  gehaltenen 
Bauwerke  wird  dem  Platz,  der  im  übrigen 
als  Marktplatz  zugleich  auch  praktischen 
Zwecken  dient,  eine  gewisse  architektonische 
Bedeutsamkeit  gegeben,  die  ihn  als  Zentrum 
der  ganzen  Anlage  wirkungsvoll  heraushebt. 
Hier  mag  auch  seitwärts  des  quer  über  den 
Platz  geführten  Verkehrsweges  ein  Denkmal 
oder  ein  Zierbrunnen  Aufstellung  finden  (vgl. 
die  Bebauungspläne  der  Kolonie  Forstfeld 
bei  Kassel  und  Kolonie  Gröba  i.  S.,  AbbiN 
düng  S.  218  und  S.  224). 


215 


KURT  FRICK-STALLUPÖNEN 


BEBAUUNG  DER  STRASZE  9  IN  DER  GARTENSTADT  HELLERAU 


Die  Übrigen  StraOen  der  Kleinsiedlung  sind 
als  sogenannte  Nebenstraßen  auszubilden,  die 
vom  Durchgangsverkehr  ganz  freizuhalten 
sind  und  deren  Breitenabmessungen  daher 
nur  auf  einen  Verkehr  mit  leichten  Hand- 
wagen und  Karren  zu  berechnen  sind.  Viel- 
fach werden  sogar  einfache  „ Gartengänge "  ge- 
nügen, worunter  schmale  Wohnwege  zu  ver- 
stehen   sind,    die    als    leichtgepflasterte   Ver- 


bindungswege mit  beschränkter  Längenaus- 
dehnung zwischen  befahrbaren  Straßen  an- 
gelegt werden.  Sie  können,  in  Anbetracht 
des  geringen  Verkehrs,  den  sie  aufzunehmen 
haben,  ohne  Bürgersteige  ausgeführt  werden 
und  brauchen  kaum  breiter  als  drei  Meter  zu 
sein.  Auch  die  Sackgasse  und  der  Wohnhof, 
wie  er  heute  vielfach  noch  in  alten  holländi- 
schen   und    norddeutschen   Städten    (Lübeck, 


KURT  FRlCK-STALLUPONEN     G     ERD-  UND  OBERGESCHOSZ  EINES  EINFAMILIEN-REIHENHAUSES  IN  HELLERAU 

216 


217 


KURT  FRICK  B  KOLONIE  GRÖBA  BEI  RIESA:  LAGEPLAN 


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KURT  FRICK 


KOLONIE  GRÖBA  BEI  RIESA:  ACHTFAMILIENHAUS 


KURT  FRICK 


KOLONIE  GRÖBA  BEI  RIESA:  GRUNDRISZ 
EINES  ACHTFAMILIEN-REIHENHAUSES     B 


218 


KURT  FRICK-STALLUPÖNEN      13      GARTENSTADT  HELLERAU :    ANSICHT  l:lNtS  FONFFAMILIEN-REIHENHAUSES 


KURT  1  RlCK-SIALLUruNLN 


GARTENSTADT  HELLERAU:  ZEHNFAMILIEN-BEIHENHAUS 
219 


Hamburg)  anzutreffen  ist,  kommen  in  der 
Kleinsiedlung  wieder  neu  zu  Ehren.  Sie  for- 
dern schon  ihrer  Anlage  nach  die  Ausschlie- 
ßung jeglichen  Durchgangsverkehrs  und  bieten 
so  den  Anwohnern  in  gesundheitlicher  Hin- 
sicht noch  den  bedeutenden  Vorzug  einer  ab- 
gesonderten, von  Lärm  und  Staub  der  Fahr- 
straße freien  Lage.  Die  Anlage  von  Wohn- 
höfen bietet  insbesondere  auch  ein  ausge- 
zeichnetes Mittel  zu  zweckmäßiger  und  wirt- 
schaftlicher Aufschließung  tiefer  Baublöcke. 
Den  behaglichen  Eindruck,  den  ein  solcher 
Wohnhof  bietet,  zeigt  die  Abbildung  Seite 
209,  die  einen  Teil  der  von  dem  Architekten 
Schmohl  erbauten  Kruppschen  Arbeiterkolonie 
Emscher-Lippe  darstellt.  Er  ist  auf  drei 
Seiten  von  insgesamt  vierzehn  Kleinwohnungen 
umgeben,  die  zu  je  zweien  unter  einem  Dach 
vereinigt  sind;  die  Häuser  sind  durch  nied- 
rige Stallgebäude  zu  einer  geschlossenen  Flucht 
zusammengefaßt.    Was  die  Führung  der  Stra- 


ßen betrifft,  so  sei  bemerkt,  daß  die  Frage, 
ob  die  gerade  oder  krumme  Richtung  zu 
wählen  ist,  im  allgemeinen  nach  der  Beschaf- 
fenheit des  Geländes  zu  entscheiden  sein 
wird :  die  Straße  muß  in  jedem  Falle  den 
Höhenlinien  zu  folgen  suchen,  damit  ein 
günstiges  Steigungsverhältnis  erzielt  wird.  Ist 
auf  dem  Gelände  älterer  Baumbestand  vor- 
handen, so  ist  unter  allen  Umständen  zu  ver- 
suchen, diesen  zu  erhalten  und  in  den  Stra- 
ßenplan einzubeziehen.  Alte  Bäume  bieten 
für  jede  neue  Kolonie  eine  wertvolle  Gabe, 
die  nicht  in  unbedachter  Weise  verschmäht 
und  mißachtet  werden  darf.  Sie  sichern  mit 
ihren  vollen,  dichtbelaubten  Kronen  der  jun- 
gen Kolonie  den  Eindruck  des  Eingewach- 
senen, der  die  Behaglichkeit  und  Wohnlich- 
keit wesentlich  erhöht  und  der  sich  sonst, 
bei  der  Anpflanzung  junger  Bäume,  erst 
nach  vielen  Jahren  einzustellen  pflegt.  Ein 
schönes    Beispiel    dafür,     wie    ein    zufällig 


P.  SCHMITTHENNER-BERLIN 


STRASZE  DER  GARTENSTADT  STAAKEN  BEI  SPANDAU 

220 


f.  s,c:ilMll  IHLNNLKBtHLIN    Q    U  AKTbNb  1  AU  i   blAAKLN  Ul  1  M'ANDAU:  REIHENHÄUSER 


vorhandener  älterer  Baum  in  geschickter  Weise 
für  das  Straßenbild  nutzbar  gemacht  werden 
kann,  zeigt  die  Kruppsche  Kolonie  Altenhof, 
aus  der  auf  Seite  209  eine  Abbildung  gezeigt 
wird.  Im  übrigen  läßt  sich  die  angestrebte  Weit- 
räumigkeit der  Siedlung  dadurch  noch  wesent- 
lich steigern,  daß  man  auch  den  Straßen  eine 
gartenähnliche  Ausgestaltung  gibt,  daß  man 
sie  mit  Bäumen  bepflanzt  und  vor  den  Häu- 
sern, an  Stelle  von  Vorgärten,  breite  Rasen- 
streifen hinzieht  und  daß  man  schließlich  noch 
die  ganze  Siedlung  an  geeigneten  Stellen  mit 
größeren  Freiflächen,  mit  Sport-  und  Spiel- 
plätzen durchsetzt. 

Für  die  architektonische  Ausbildung  der 
Kleinsiedlungen  ist  in  den  letzten  Jahren  von 
der  industriellen  GroOunternehmung  und  von 
gemeinnützigen  Baugesellschaften,  unter  de- 
nen an  erster  Stelle  die  Deutsche  Garten- 
stadtgesellschaft zu  nennen  ist,  eine  große 
Reihe  von  ausgezeichneten  Vorbildern  geschaf- 


fen worden,  deren  Anregungen  künftig  bei  der 
Lösung  ähnlicher  Aufgaben  mit  Erfolg  verwertet 
werden  können.  Bei  der  Gestaltung  der  Klein- 
häuser ist  man  von  jener  früheren  Anschauung, 
die  in  romantischer  Weise  die  Bedeutung  der 
Aufgabe  überschätzte  und  ihre  Lösung  in  einer 
verkleinerten  Nachbildung  bürgerlicher  Land- 
hausarchitekturen suchte,  allmählich  zu  einer 
weniger  prunkvollen,  aber  sachlicheren  Auffas- 
sungdurchgedrungen. Man  hat  gelernt,  mit  ein- 
fachen Mitteln,  durch  ruhige,  geschlossene 
Formengebung  und  namentlich  auch  durch  aus- 
giebige Benutzung  der  Farbe  charakteristische, 
aus  dem  Zweck  entwickelte  Bauformen  zu 
schaffen.  Die  Zeiten,  wo  man  die  Kleinsied- 
lungen, ohne  an  die  einfache  Lebenshaltung 
ihrer  Bewohner  zu  denken,  zu  architektonischen 
Schaustücken  nach  dem  Vorbild  der  Reklame- 
arbeiterdörfer englischer  Seifen-  und  Schoko- 
ladefabrikanten ausbildete,  sind  längst  vorüber. 
Im  Anschluß   an   die  vortrefflichen    Beispiele 


pckorntive  Kunst.  XIX.    7.    April  1916 


221 


P.  SCHMITTHENNER-BERLIN 


GARTENSTADT  ST  AAKEN  BEI  SPANDAU:  VIERFAMILIENHAUS 


ländlicher  Bauweise,  namentlich  des  alten 
deutschen  Bauern-  und  Handwerkerhauses,  ha- 
ben die  Architekten  versucht,  neue  Hausformen 
herauszubilden,  die  den  heutigen  Lebensbe- 
dürfnissen entsprechen  und  auch  in  der  inneren 
Ausstattung  —  auch  im  kleinsten  Reihenhaus 
fehlt  heute  die  Badegelegenheit  nicht  —  den 
gesteigerten  sanitären  Anforderungen  genügen, 
die  gerechter  Weise  auch  bei  einfachen  Ver- 
hältnissen zu  stellen  sind.  Dieser  planvollen 
Siedlungsarbeit  ist  es  zu  danken,  daß  sich  allent- 
halben bereits  bestimmte  Typen  des  bürger- 
lichen Kleinhauses  herauszubilden  beginnen, 
Typen,  die  in  den  einzelnen  Gegenden,  je 
nach  dem  Charakter  und  den  klimatischen 
Bedingungen  der  Landschaft  und  entsprechend 
den  besonderen  Lebensgewohnheiten  der  An- 
siedler verschieden  sein  mögen,  im  Ganzen 
aber  in  den  Grundformen  doch  übereinstimmen. 
Eine  gewisse  Gleichheit  in  der  architektonischen 
Erscheinung  ist,  da  die  Baubedürfnisse  inner- 
halb einer  solchen  Kleinbürgersiedlung  für  die 
einzelnen  Häuser  sich  im  großen  Ganzen  kaum 
unterscheiden,  nicht  zu  vermeiden,  sie  ist  im 
übrigen  aus  wirtschaftlichen  Gründen  sogar 
geboten.  Denn  man  wird  die  Kosten  des  Klein- 
hausbaues wesentlich  herabmindern  können, 
wenn  für  einzelne  Bauteile,  zum  Beispiel  für 


die  Fenster  und  Türen,  für  die  Beschläge  und 
Gitter,  für  die  Treppen  und  Dachgesperre,  be- 
stimmte, sich  stets  wiederholende  Einheits- 
formen und  -maße  eingeführt  werden,  sodaß 
eine  massenweise  und  fabrikmäßige  Herstel- 
lung dieser  Teile  ermöglicht  wird.  Durch  solche 
Vereinheitlichung  wird  die  künstlerische  Wirk- 
ung in  keiner  Weise  beeinträchtigt;  im  Gegen- 
teil, bei  regelmäßiger  Wiederholung  bestimmter 
Einheiisformen  wird  es  leichter  sein,  ruhige 
und  geschlossene  Architekturbilder  zu  schaffen. 
Eine  allzu  eintönige  Wirkung  wird  man  da- 
durch vermeiden,  daß  man  einzelne  Häuser 
durch  reicheren  Giebelschmuck  oder  durch 
besondere  Ausbildung  der  Hauseingänge  von 
ihren  Nachbarn  unterscheidet,  daß  man  allzu- 
lange Fluchten  durch  Vor-  und  Rücksprünge 
einzelner  Häusergruppen  gliedert  oder  an  ein- 
zelnen Stellen,  zum  Beispiel  gegenüber  einer 
Straßeneinmündung,  die  farbige  Einheit  unter- 
bricht, etwa  in  die  Flucht  geputzter  Häuser- 
fronten einmal  eine  dunkelrote  Backstein- 
fassade einfügt.  Auf  diese  Weise  kann  dem 
Straßenbild  bei  aller  gebotenen  Einheitlichkeit 
eine  reiche  Mannigfaltigkeit  gegeben  werden. 
Ueberdies  wird  sich  auch  durch  die  farbige 
Behandlung  der  einzelnen  Hausteile,  nament- 
lich   des    sichtbaren    Holzwerks,    der    Zäune, 


222 


Türen,  Fensterläden  usw.  jede  gewünschte  Ab- 
wechslung erzielen  lassen. 

In  welcher  Weise  diese  Grundsätze  architek- 
tonischer Gestaltung  praktisch  zu  wirksamer 
Anwendung  zu  bringen  sind,  lehren  die  Ab- 
bildungen dieses  Heftes,  die  einzelne  Straßen, 
Häuser  und  Häusergruppen  aus  jenen  Klein- 
siedlungen darstellen,  wie  sie  vor  dem  Kriege 
in  Deutschland  bereits  ausgeführt  worden  sind. 
Vortreffliche  Beispiele  für  die  architektonische 
Ausbildung  kleiner  Wohnhäuser  bieten  die 
Bauten  von  Jakob  Göttel  (S.  212),  Paul 
Mebes  (S.228),  Hermann  Muthesius(S.  213) 
und  D.  u.  K.ScHULZE-Dortmund  (S.205u.2O6). 
Und  um  den  entscheidenden  Einfluß  zu  erken- 
nen, den  die  klimatischen  und  örtlichen  Verhält- 
nisse jeweils  auf  die  Bauweise  ausüben,  ver- 
gleiche man  etwa  die  glatten  niedrigen  Back- 


steinhäuschen, die  den  Arbeitern  am  Kaiser 
Wilhelm-Kanal  als  Wohnung  dienen,  mit  den 
breit  gelagerten,  behäbigen  Hausgruppen,  wie 
sie  Theodor  Fischer  in  München  und  Ludwig 
Ruff  in  Nürnberg  errichtet  haben.  Die  ernsten 
kleinen  Backsteinhäuschen  mit  ihren  weißge- 
strichenen  Fenstern  und  ihren  niederen  Mauern, 
die  sich  vor  der  Gewalt  der  Winde  gleichsam 
zur  Erde  niederbeugen,  sind  ebenso  nur  im  Bilde 
des  norddeutschen  Küstenlandes  denkbar,  wie 
die  freundlichen,  weiträumig  angelegten  Häuser 
der  Kolonie  Neu-Westend  und  der  Siedlung  bei 
Nürnberg  mit  ihren  breiten,  fast  quadratischen 
Fenstern,  ihren  gedrungenen  Gliederungen  und 
ihren  behäbigen  Dächern  auf  die  behagliche 
Physiognomie  der  bayerischen  Hochebene  hin- 
deuten. Ein  mustergültiges  Beispiel  für  eine 
wirkungsvolle  Gruppenbildung  bietet  das  kleine 


P.  SCHMITTHENNER-BERLIN 


GARTENSTADT  STAAKEN  BEI  SPANDAU:  VIERFA.MILIENHAUS 

223  » 


wj^^mn^sssMWf^'mm^mifi^ 


PAUL  SCHMITTHENNER 


GARTENSTADT  STAAKEN  BEI  SPANDAU:  REIHENHAUSER 
PLATZFRONT,  GARTENFRONT  UND  GRUNDRISSE  a 


PAUL  SCHMITTHENNER 


BEBAUUNGSPLAN  DERJKOLONIE  FORSTFELD  BEI  KASSEL 
224 


FR.  OSTENDORF  t 


GESCHÄFTSHAUS  IN  DER  GARTENSTADT  KARLSRUHE 


FR.  OSTENDORF 


i.ULi  .1:  VON  ACHT  Kl.NFAMlLlENHAüsfcRN 
IN  DER  GARTENSTADT  KARLSRUHE  ■ 


225 


BAUBORO    DER    GARTENSTADT 
KARLSRUHE,  BAULEITER  BOTZ 


ZWEI  GRUPPEN  VON  JE  ZWÖLF  EINFAMILIEN- 
HAUSERN  IN  DER  GARTENSTADT  KARLSRUHE 


FR.  OSTENDORF  t 


GRUPPE  VON  ZWÖLF  EINFAMILIENHÄUSERN 
IN  DER  GARTENSTADT  KARLSRUHE  B 


226 


PAUL  MEBES-BERLIN 


REIHENHAUSER  IN  ZEHLENDORF 


Zweifamilienhausaus  Moorhusen  (Entwurf  Reg.- 
Baumeister  Charten  und  Klatt,  Abb.  S.  2 1 4):  die 
beiden  Wohnhäuser  schließen  zwischen  sich 
das  niedrige  Stallgebäude  ein,  das  in  der  Mitte 
eine  gemeinsame  Waschküche  enthält,  und  um- 
fassen an  drei  Seiten  den  gemeinsamen  Hof; 
an  den  Außenseiten  der  Wohngebäude  sind  die 
Vorratsräume  angebaut,  über  die  ein  mächtiges 
Schleppdach  gezogen  ist.  In  welcher  Weise 
eine  längere  Häuserreihe  durch  vorspringende 
Giebelbauten  wirkungsvoll  zu  gliedern  ist,  zeigen 
die  Straßen  derGartenstädte  Hellerau  und  Karls- 
ruhe; es  sei  besonders  auf  die  schönen,  von 
Kurt  Frick  erbauten  Häusergruppen  hinge- 
wiesen, die  auch  in  der  geistreichen  Durch- 
bildung aller  Einzelheiten  die  geschickte  Hand 
eines  fein  empfindenden  Künstlers  erkennen 
lassen.  Und  für  die  glückliche  Wirkung  kon- 
sequent und  streng  durchgeführter  Einheits- 
formen mögen  schließlich  die  Straßen  der  nach 
Plänen  des  Archtitekten  Paul  Schmitthenner  an- 
gelegten Gartenstadt  Staaken  bei  Berlin  zeugen. 
Die  gleichmäßige  Wiederholung  des  straffen 
Giebelmotivs  gibt  den  Straßen  einen  breiten. 


wenn  auch  etwas  eintönigen  Rhythmus;  diese 
Eintönigkeit  aber  wird  durch  einen  lebhaften, 
mehrfach  in  den  Grundtönen  wechselnden  far- 
bigen Anstrich  wieder  aufgehoben,  der  in  das 
Gesamtbild  eine  fröhliche  Buntheit  bringt. 

An  diese  Vorbilder  wird  künftig  bei  der 
künstlerischen  Lösung  des  Siedlungsproblems 
anzuknüpfen  sein.  Daß  diese  Lösung  nur  im 
Sinne  einer  durchgreifenden  Dezentralisation 
der  Großstädte  möglich  ist,  zeigen  die  ernsten, 
die  Volksgesundheit  gefährdenden  Uebel,  die 
sich  bei  fortschreitender  örtlicher  Verdichtung 
ergeben.  Diesen  Verdichtungstendenzen  gilt 
es  mit  allen  Kräften  entgegenzuwirken;  denn 
der  Bestand  der  Nation  steht  auf  dem  Spiel. 
Und  in  diesem  Sinne  wird  die  Kleinsiedelung, 
das  angestrebte  Endziel  der  Siedlungsreform, 
zugleich  zu  einem  wichtigen  Werkzeug  der 
Bevölkerungspolitik.  Sie  allein  bietet  Woh- 
nungsformen, die,  indem  sie  Licht  und  Luft 
in  die  letzten  Winkel  dringen  lassen,  alle  Be- 
dingungen zu  einem  gesunden  Dasein  erfüllen, 
die  auch  den  Kinderreichtum  wahrhaft  wieder 
zu  einem  Segen  werden  lassen  und  die  es  er- 


227 


möglichen,  einen  nicht  geringen  Teil  der  zum 
Leben  nötigen  Nahrungsmittel  auf  eigenem 
Boden  selbst  zu  gewinnen.  Damit  aber  schaf- 
fen sie  ein  Band,  das  die  Bevölkerung  aufs 
neue  fest  an  den  Boden  des  Vaterlandes  bin- 
det. Alles  aber,  was  in  der  Besiedelung  eines 
Volkes  die  Verdichtung  verlangsamt,  erhält 
zugleich  auch  den  Staat  jung.  Wenn  daher 
im  Gefolge  dieses  Krieges  die  kleinräumigen 
Tendenzen  im  Leben  der  Nation  erneut  und  in 


stärkerem  Maße  wieder  zur  Geltung  kämen, 
wenn  durch  eine  Dezentralisation  großen  Stils 
und  durch  umfassende  Gründung  von  Klein- 
siedlungen eine  neue  Seßhaftmachung  der  Be- 
völkerung gelänge ,  so  würde  man  beruhigt 
sagen  können,  daß  das  dunkle  Gewölk,  das 
zurzeit  das  zukünftige  Schicksal  Deutschlands 
noch  umhüllt,  bereits  ein  kräftiger  Hoffnungs- 
strahl durchbricht. 

Walter  Curt  Behrendt 


PAUL  MEBES-BERLIN 


HAUS  MILDNER  IN  ZEHLENDORF 


228 


ARCII.  DAGOBERT  PECHE 


VITRINENUMGANG  AUF  DER  WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


DIE  WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


Die  Modeausstellung,  die  jetzt  im  Oester- 
reichischen  Museum  zu  Gaste  ist,  gibt 
ein  vorgeschrittenes  Stadium  der  weiter 
zurückreichenden  und  ausgreifenden  Aktion 
des  Gewerbeförderungsamtes,  die  bald  nach 
Kriegsanfang  mit  einer  Sammlung  der 
künstlerischen  und  industriellen  Kräfte  ein- 
gesetzt hatte.  Wer  den  Weg  auf  ein  soziales 
Ziel  im  Kampfe  gegen  die  Teilinteressen, 
wer  die  Schärfe  des  Gegensatzes  zwischen 
Künstler-  und  Händlertorderungen  und  end- 
lich die  Besonderheit  dieser  Widerstände 
im  Oesterreichischen  auch  nur  von  unge- 
fähr kennt,  wird  schon  vor  der  Beharrlich- 
keit des  geistigen  Urhebers,  Adolf  Vetters, 
Achtung  gewinnen  müssen.  Und  wird  dann 
auch    das    vorliegende    Stadium   nicht  nach 


seinen  tatsächlichen  Ergebnissen,  sondern 
nach  seinen  organisatorischen,nichtschlecht- 
hin  nach  den  gebotenen  Werten,  sondern 
nach  ihren  Richtungen  einschätzen. 

Alles  kam  darauf  an,  welcher  Modefaktor 
in  den  Mittelpunkt  der  Bewegung  gesetzt 
würde.  Im  Extrem  konnte  das  der  Künst- 
ler oder  der  Verbraucher  sein.  Beide  Wege 
sind  in  Wien  beschritten  worden.  Aber  jene 
Arbeitsrichtung,  von  der  wir  hier  sprechen, 
entschied  sich  von  Beginn  an  für  die  zen- 
trale Rolle  des  Künstlers  und  gab  damit  dem 
Modeakte  eine  feste  Linie,  die  mit  der  der 
übrigen  Wiener  Wertarbeit  zusammenfiel. 
Der  Rückhalt  am  Künstler,  namentlich  am 
Kreise  der  Kunstgewerbeschule,  hat  hier 
dem  Unternehmen  eine  eindeutige  Auslegung 


Ockoralive  Kunst.  XIX. 


April  1916 


229 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE 


DAMENBOUDOIR  AUF  DER  WIENER  MODEAUSSTELLUNG 

230 


ARCII.  DAGOBERT  PECHE 


DAMENBOUDOIR  AUF  DER  WIENER  MODEAUSSTELLUNO 

231  ao. 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE 


DIE  MITTELHALLE  DER  WIENER  MODEAUSSTEL- 
LUNG MIT  BLICK   IN  DIE  AUSSTELLUNGS-KOJEN 


232 


WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


BLICK  IN  DIE  KOJE  DER  SCHCLERINNEN 
DER  K.  K.  KUNSTGEWERBESCHULE,  WIEN 


233 


234 


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235 


WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


ENTWÜRFE  VON  MARIA  BERNHUBER,  ELSE 
STOBCHEN-KIRCHNER  UND  MELA  KÖHLER 


gegeben  und  ihm  ein  Moment  zugeführt,  das 
der  Aufgabe  ebenso  Wertsteigerung  wie 
unterschiedliche  Hemmung  brachte.  Soweit 
die  Mode  ein  Problem  der  Form  und  des 
Geschmackes  ist,  hat  es  von  jenem  Mittel- 
punkt aus  Spannung  und  Niveau  erhalten, 
trat  mit  der  Besonderheit  des  entwerfenden 
Urhebers  die  heimische  Eigenart  und  Man- 
nigfaltigkeit auch  im  Ergebnisse  hervor, 
ohne  darum  als  echtes  Großstadtprodukt 
die  Fähigkeit  für  den  Weltmarkt  zu  ver- 
lieren.  Dabei  erhielt  die  Rolle  Wiens  inner- 


halb der  Weltmode  ein  neuartiges  Licht. 
Bisher  hatte  sie  neben  einem  allgemeinen, 
näher  nicht  definierbaren  und  keineswegs 
einwandfreien  „Geschmack"  des  Verbrau- 
chers auf  dem  ansehnlichen  Schneider- 
geschick beruht,  und  was  dabei  herauskam, 
war  weniger  ursprünglich  als  Kompromiß, 
—  Allerweltswesen,  wienerisch  zurecht- 
gemacht. Jetzt  sollte  das  Ursprüngliche  an 
Stelle  des  Abgeleiteten  treten.  Und  das  traf 
den  Kern  der  Wiener  Aufgabe,  bedeutete 
auch  auf  diesem  Teilboden  die  Erkenntnis 


236 


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ISABELLE-HAUSINDUSTRIE-VEREIN  PRESZBURG 


GESriCKTE  BORTE.    WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


von  der  Besonderheit  Wiener  Kunstwirt- 
schaft. Denn  unsere  beste  Kraft  liegt  im 
Original,  nicht  in  seiner  Vervielfältigung. 
Nicht  als  ob  wir  das  nicht  auch  verstünden, 
aber  uns  fehlt  jene  industrielle  Organisie- 
rung, die  aus  einer  Idee  hundert  Varianten 
hervorholt  und  Kunstwerte  in  flüssige  Ver- 
brauchsware umsetzt.  Wenn  wir  nun  in 
einem  derart  günstigen  Augenblick  wie  dem 
gegenwärtigen,  alle  Energie  daran  wenden, 
unsere  Begabung  für  das  erst-  und  einmalige 
Modell  nachdrücklich  zu  erweisen,  diesem 
Werte  auf  dem  Kriegsmarkte  Anerkennung 
und  Rechtsschutz  schaffen  und  damit  auch 
seinen  materiellen  Entgelt  sichern,  dann  ist 
damit  schon  einem  Zweige  unseres  Kunst- 
gewerbes jene  Geltung  gewonnen,  von  der 
die  Zukunft  des  Ganzen  in  erster  Reihe  ab- 
hängt.  Es  geht  nicht  weiter,  daß  die  höchste 


Besonderheit  unseres  Schaffens  auf  die 
Selbst-  und  Sorglosigkeit  unserer  Künstler- 
schaft angewiesen  bleibt,  sich  in  immer 
neuen  Entwürfen  ergeht,  die  andere  durch 
Nachahmung  ausnützen,  und  wir  die  un- 
dankbare Rolle  des  Genialischen  mit  dem 
vollen  Kopf  und  dem  leeren  Sack  fortspielen. 
Unser  hier  wieder  sichtbar  gewordenes 
Mehrkönnen  verlangt  nach  Bürgschaften, 
die  ihm  —  wenn  irgendwann  —  die  neue 
deutsch-österreichische  Gemeinsamkeit  brin- 
gen muß. 

Bis  hierher  ist  der  Parallelismus  der 
neuen  Wiener  Modebewegung  mit  der  bis- 
herigen Arbeit  der  Wiener  Werkstätte  offen- 
kundig. Und  wenn  man  will,  war  sie 
es,  die  dem  Gange  der  Dinge  ihre  erste 
Richtung  gegeben  hat.  Auch  draußen  oder 
richtiger:  nur  draußen   hat  man   jetzt   den 


ISABULLEIIAUSINDUSTRIE-VEREIN  PRESZBURG 

Oekorrttlve  Kunst.    XIX.    7.     April  igi6 


237 


STICKEREL    WIENER  MODEAUSSTELLUNC 

31 


SPITZEN  DER  K.  K.  ANSTALT  FÜR  FRAUENHAUSINDUSTRIE,  WIEN 


WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


Einsatz  dieser  Werkstätte  in  der  Entwick- 
lung des  österreichischen  Kunstgewerbes 
von  heute  schon  ungefähr  erkannt.  In  der 
Einleitung  Peter  Jessens  zum  letzten  Jahr- 
buch des  Deutschen  Werkbundes  lesen  wir: 
„Für  viele  Opfer  in  der  Versuchszeit  fühlen 
wir  uns  der  Wiener  Werkstätte  verpflich- 
tet .  .  ."  Dagegen  heißt  es  wohl  in  Walter 
Riezlers  Schrift,  „Die  Kulturarbeit  des 
Deutschen  Werkbundes":  „Gerade  der  Ver- 
gleich mit  früheren  Ausstellungen  der  Wiener 
Werkstätten  zeigte,  wie  fern  wir  heute  schon 
dem  kunstgewerblichen  Individualismus 
stehen,  der  früher  in  den  Wiener  Werk- 
stätten trotz  aller  Vorliebe  für  abstrakte 
Formen  fast  am  extremsten  herrschte." 
Aber  man  wird  dem  nicht  ohne  weiteres 
zustimmen.  Doch  beweist  es  mit  dem  an- 
dern, daß  der  Spannungspunkt  unserer  ori- 
ginalen Wertarbeit  immer  deutlicher  hier 
gespürt  wird.  Und  in  dem,  was  die  Mode- 
ausstellung vorläufig  bietet,  scheint  sich 
geradezu  die  Rolle  der  Werkstätte  zu  er- 
füllen, in  stattlichen  Wirkungen  auszuleben. 
Allerdings  verrät  sie  eben  dadurch  auch 
ihren  starken  Zusammenhang  mit  dem 
Kunstgewerbe.  Man  kann  dieses  Wort  hier 
als  einen  Vorwurf  nehmen.  Aber  das  hieße 
nur  die  Sache  von  einem  Standpunkt  sehen, 
der  nicht  oder  nicht  ausschließlich  öster- 
reichisch ist.    Es  ist  unser  Mangel  und  es 


ist  unsere  Kraft.  Wir  sehen  auch  in  der 
Mode  zunächst  auf  das  künstlerische  Ziel, 
auf  einen  strengen  und  engen  Kreis  und  auf 
seine  bloß  in  sich  vielartige  Einheit.  Wir 
werden  dabei  der  andern  Auffassung,  der 
Mode  als  sozialen  Faktor  mit  seiner  Mehr- 
heit der  Schichtungen  und  ihrer  Forderung 
nach  Gleichförmigkeit  in  sich,  gewiß  nicht 
völlig  gerecht.  Wenn  das  auch  seine  guten, 
schon  reichlich  angedeuteten  Gründe  hat,  so 
bleibt  dieser  Mangel  bestehen  und  damit 
eine  noch  offene  Aufgabe,  der  sich  auch  un- 
sere Künstler  ohne  Schädigung  ihrer  Wert- 
arbeit zuwenden  müßten.  Mit  der  mittel- 
baren Erziehung  des  Erzeugers,  der  jene 
Rücksichten  auf  die  gesellschaftliche  Schich- 
tung kennt  und  befriedigen  muß,  ist  hier 
noch  nicht  genug,  noch  nicht  alles  geschehen. 
Denn  sowie  der  Erzeuger  diese  notwendige 
Umbildung  des  Originales  selber  über- 
nimmt, ist  auch  schon  der  Händlergedanke 
mit  dabei,  der  Künstler  hat  den  sozialen 
Verlauf  seines  eigenen  Produktes  nicht 
mehr  in  der  Hand,  der  Umwertung  bis  zur 
Verflachung  ist  keine  Schranke  mehr  ge- 
setzt. Hier  tut  uns  Einkehr  not,  für  die 
Mode  und  fürs  ganze  Kunstgewerbe.  Viel- 
leicht kommt  sie  von  der  Gegenwart  mit 
ihrer  besonderen  Sinnfälligkeit  sozialer 
Vorgänge  und  Ansprüche,  der  sich  niemand 
ganz  entziehen  kann. 


238 


EMMY  ZWEYBROCKPROCHASKA 


HANDBEUTEL.    WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


Innerhalb  dieser  grundsätzlichen  Haltung 
zeigt  die  Materialschau  imOesterreichischen 
Museum  die  ganze  bewegliche 
Fülle  unserer  Erfindung  auf 
werkgerechter  Basis.  Zu  den 
bekannten  Namen  gesellen  sich 
einige  neue,  die  ihre  Zugehörig- 
keit zur  Kunstgewerbeschule, 
namentlich  zu  Josef  Hoffmann, 
dem  künstlerischen  Leiter  der 
Darbietung,  und  Rosalie  Rot- 
hansi, der  Leiterin  der  Textil- 
werkstätte  an  der  Kunstgewer- 
beschule, leicht  erkennen  las- 
sen. Wollte  man  auch  nur  ein- 
zelne hervorheben,  dann  gäbe 
es  gleich  eine  ganze  Reihe.  Un- 
ter den  Vereinigungen  und 
Lehranstalten  sind  neben  den 
Wienern  die  K.  K.  Fachschule 
für  Maschinenstickerei  und  der 
Vorarlberger  Stickerbund  in 
Dornbirn,  die  FYauenerwerb- 
schule  am  slowakischen  Mu- 
seum in  Ungarisch-Hradisch, 
der  Verein  für  deutsche  Haus- 
industrie,Heimarbeit  und  volks- 
tümliches Kunstgewerbe  in 
Mähren  und  Schlesien  und  der 
Frauenerwerbverein  in  Brunn, 
endlich  der  Isabelle-Hausindu- 
strieverein  in  Preßburg  betei- 


F.  JACOBSON  ■  HANDBEUTEL 
WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


ligt  und  beweisen  den  provinzialen  Fort- 
bestand bei  grundsätzlicher  Annäherung  an 
die  führende  Wiener  Schule. 
Ueber  die  Auswirkung  die- 
ser Lehrorganisation  auf  den 
freien  Geschäftsbetrieb,  also 
über  die  Grade  der  vorläufigen 
Einbürgerung  des  künstleri- 
schen Modegedankens  in  Ge- 
werbe und  Handel,  belehrte  die 
Vorführung  fertiger  Kleider 
auf  der  Modebühne  der  Mitten- 
halle, die  in  der  Zeit  vom  7. 
bis  2L  Februar  stattfand.  Die 
Beteiligung  schied  sich  in 
Großhäuser,  Kleinfirmen  und 
Kunstwerkstätten.  In  der  letz- 
ten Kategorie  sammelte  sich 
die  reinste  Kunst,  aber  deshalb 
nicht  auch  die  beste  Mode.  Den 
auf  sich  selbstgestellten  Kunst- 
gewerblerinnen  fehlt  vorder- 
hand die  Zusammenarbeit  mit 
dem  Fachmann  fast  ebenso- 
sehr wie  den  Kleinfirmen  die 
mit  dem  Künstler.  Gerade  an 
diesen  beiden  Fällen  extrem- 
ster Isolierung  beweistsich  die 
Notwendigkeit  einer  Koopera- 
tion, die  der  Kunst  und  dem  Kon- 
sum gleiches  Recht  werden  läOt 
und    aus   einer   Gemeinschaft 


239 


31« 


aller  zuständigen  Kräfte  das  hervorbringt, 
was  einer  Gemeinschaft  zugute  kommen 
soll.  Wenn  irgendwo,  muß  gerade  hier  allen 
Beteiligten  das  Verständnis  für  den  Begriff 
der  Kunstwirtschaft  aufgehen,  den  der  öster- 
reichische Organisator  im  Widerstände 
gegen  den  hartnäckigen  Künstlerindividua- 
lismus und  materielle  Sonderinteressen  be- 
harrlich denkt.  Ein  stattlicher  Anfang  zu 
seiner  Verwirklichung  liegt  schon  in  der 
Leistung  der  Wiener  Werkstätte  und  in  jener 
der  Großhäuser  vor.  Sie  ist  nicht  in  einem 
zu  nennen.  Dort  die  Werkstatt,  die  alles 
selber  macht,  Entwurf  und  Durchführung, 
Stoff  und  Schmuck,  und  darum  ganze,  ge- 
schlossene Formen  von  vornherein  verbürgt; 
der  händlerische  Nebengedanke  ist  bei  der 
Arbeit  ausgeschaltet,  allerdings  auch  das 
breitere  soziale  Ziel.  Wenn  sich  diesmal 
Darbietung  und  Publikum  übereinstimmend 
begegneten,  so  kann  das  nur  an  der  allmäh- 
lichen Reife  des  Verbrauchergeschmacks 
und  an  einem  Nachlassen  der  Exklusivität 
des  Erzeugers,  der  dabei  seine  künstlerische 
Gesinnung  aufrecht  hielt,  gelegen  sein.  Das 
Großhaus  kann  ohne  Industrie  und  was  sie 
an  Erwägungen  mitführt,  nicht  auskommen. 
Aber  es  kann  sein  Erzeugnis  durch  die  mög- 
lichst erweiterte  Einbe- 
ziehung des  Handwerks 
und  der  Kunst  im  Werte 
steigern.  Das  ist  hier 
schon  reichlich  gesche- 
hen, der  Fortschritt  ge- 
gen das  Vorjahr  gerade 
bei  diesen  ausschlag- 
gebenden Teilnehmern 
ganzunverkennbar.Man 
hat  hier  gelernt,  sich  mit 
der  ursprünglichen  Er- 
findung unmittelbar  aus- 
einanderzusetzen, und 
da  das  übrige  Ortsstän- 
dige, —  Gediegenheit, 
Schneidergeschick  und 
Geschmack  in  der  An- 
wendung —  anhielt,  eine 
Kleidung  erreicht,  die 
bereits  wienerisch  ist 
und  auch  Mode  werden 
wird,  wenn  sie  sich 
schon  bei  der  Vorbe- 
reitung über  die  cha- 
raktergebenden Haupt- 
merkmale näher  ver- 
ständigt. 

Die  stark eWirkung  des 
Dargebotenen  kommt  in 


FELLA  JACOBSON 


WIENER  MODEAUSSTELLUNG 


erster  Reihe  von  der  eigenartigen  Raum- 
gestaltung. Zum  erstenmal  hat  DAGOBERT 
Peche  eine  ganze  Ausstellung  bestreiten 
dürfen.  Unter  denkbar  ungünstigen  Um- 
ständen. Es  stand  nur  karger,  fest  verbauter 
Raum  zur  Verfügung  und  es  mußte  spar- 
sam gewirtschaftet  werden.  Das  Ergebnis 
war  ein  Kompromiß  von  künstlerischer  Frei- 
heit und  Zwang  der  Verhältnisse.  Man  wird 
es  danach  bewerten  müssen.  Im  ganzen 
konnte  eine  einhellige  Lösung  nicht  erzielt 
werden.  Und  so  verlegte  der  Künstler  die 
volle  Spannung  seines  Temperaments  in 
Einzelräume,  in  die  große  Mittenhalle  und 
in  das  Damenboudoir.  Hier  hat  er  auch 
neue,  feine  Zeugnisse  seiner  gewichtslosen 
Anmut  gegeben,  die  alle  Bauschwere  durch 
ein  rhythmisches  Spiel  überwindet.  In  der 
Mittenhalle  mit  der  Modebühne  besänftigt  er 
den  Geometrismus  der  Gliederung  durch 
zarte,  zwischen  Weiß  und  Hellrot  schwe- 
bende Töne,  die  in  der  Beleuchtung  des 
Abends  zur  reinen,  duftigen  Einheit  kom- 
men. Im  gelbgrünen  Damenboudoir  mit 
seinen  reichen  Gardinen  und  dem  phantasti- 
schen Schmuckschrank  siegt  die  schlanke, 
schwingende  Linie.  Wenn  es  das  Ziel  war, 
der  Flüchtigkeit  der  beherbergten  Dinge 
einen  übereinkommen- 
den Rahmen  zu  schaf- 
fen, dann  läßt  sich 
schwer  eine  bessere  Lö- 
sung denken.  Dagegen 
wirkt  der  Vitrinenum- 
gang der  Mittenhalle 
bei  aller  Uebersichtlich- 
keit  der  Gruppierung 
durch  die  großgemuster- 
te Schwarzweißtapete 
gedrückt.  Doch  gerade 
hier  war  der  Künstler 
auch  am  wenigsten  frei. 
Alle  diese  Einschrän- 
kungen können  nicht  an 
den  Kern  der  Sache 
heran:  die  Ausstellung 
ist  als  Werk  und  Ge- 
danke eine  wichtige 
Station  auf  dem  Wege 
zur  Befreiung  unseres 
Kunstgewerbes  und  ein 
voller  Einsatz  für  die 
Neugestaltung  unserer 
Wirtschaftsrolle, an  dem 
schon  die  nächste  Zu- 
kunft nicht  wird  vor- 
beikönnen. 

Max  Eisler 


HANDBEUTEL 


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244 


ARCH.  WALTHER  EPSTEIN 


LANDHAUS  FREIHERR  LEO  VON  KONIC-SCHLACHTENSEE 


NEUE  LANDHÄUSER  VON  WALTHER  EPSTEIN-BERLIN 

MIT  EINEM  GELEITWORT  DES  ARCHITEKTEN 


Die  Landhaussiedelungen  im  Westen  Ber- 
lins sind  im  letzten  Jahrzehnt  zu  einer 
großen,  fast  zusammenhängenden  Wohnstadt 
herangewachsen.  Von  der  Kolonie  Grune- 
wald ausgehend,  über  Dahlem,  Zehlendorf, 
Schlachtensee,  Nikolassee,  Wannsee,  Neu- 
babelsberg ziehen  sie  sich  bis  zu  den  Toren 
Potsdams  hin. 

Das  traurige  Schicksal  Berlins  im  neun- 
zehnten Jahrhundert,  die  Planlosigkeit,  mit 
der  überaus  zahlreiche,  kostspielige  Bauten, 
von  den  Gemeinden,  dem  Staat  und  dem 
Reiche  mit  ungeheuren  Mitteln  errichtet, 
ohne  Beziehung  auf  das  Ganze,  bald  hierhin, 
bald  dorthin  verstreut  wurden,  hat  sich  wie 
eine  ansteckende  Krankheit  auch  auf  dieses 
weite  Gebiet  übertragen. 


Haben  auch  einige  der  kleinen  Orte  künst- 
lerisch durchdachte  Bebauungspläne,  die  ein- 
zelnen Gebiete  stehen  in  keinerlei  Zusam- 
menhang miteinander,  und  in  den  Orten 
selbst  haben  Architekten  und  Auftraggeber 
nur  in  seltenen  Fällen  Rücksicht  genommen 
auf  die  Forderungen,  die  Lage  und  Art  des 
Bauplatzes  der  Bauaufgabe  für  das  Ortsbild 
stellten. 

Mag  man  mit  Liebe  oder  Abneigung  den 
in  rascher  Folge  sich  ablösenden  Modestilen, 
—  der  deutschen  Renaissance,  dem  Wilhel- 
minischen Barock,  den  von  zum  Teil  ehe- 
maligen Malern  in  die  Erscheinung  gebrach- 
ten modernen  Formen,  der  Verwertung  länd- 
licher Baumotive,  der  Anknüpfung  an  die 
Bauweise  um  Achtzehnhundert,  —  gegenüber- 


Dekoiative  Kunst.    XIX.    8.     Mai  1916 


245 


32 


ARCH.W.EPSTEIN-BERLIN 
LANDHAUS  WILH.  FISCHBACH- 
SCHLACHTENSEE:  GRUNDRISSE 


Stehen,  in  all  diesen  Formen- 
sprachen ist  von  bedeutenden 
Künstlern  geschaffen  worden. 

Aber  nur  selten  finden  wir 
einen  großzügigen  Gedanken 
in  der  Einteilung  des  Ganzen 
und  ein  bescheidenes  Einfüh- 
len   des   Bauenden   in   diesen. 

Dem  Gebilde  Groß-Berlin 
täte  ein  Haußmann  not,  der 
erst  in  der  Zeit  Napoleon  III. 
das  heutige  Paris  mit  seinen 
vereinheitlichenden  Straßen- 
durchbrüchen  geschaffen  hat, 
die  den  Blick  auf  ein  bedeu- 
tendes vorhandenes  oder  neu 
errichtetes  Bauwerk  leiten. 

Selbst  in  dem  alten  Berlin, 
das  Frau  de  Stael  als  eine 
der  schönsten  Städte  Europas 
pries,  ist  dagegen  das  Uner- 
hörte geschehen,  daß  Plätze 
von  so  idealer  Gestaltung  wie 
der  Gendarmenmarkt  zerstört 
wurden.  Die  umgrenzenden 
niedrigen  Häuser,  die  dem 
Ganzen  den  wohlerwogenen 
Maßstab  gaben,  sind  ver- 
schwunden, die  beiden  Dome 
durch  ungefühlte  Anbauten, 
wenigstens  in  ihren  Untertei- 
len verdorben,  und  sogar  das 
Innere  des  Schauspielhauses, 
dessen  schlichte,  aber  so  vor- 
nehme altpreußische  Einfach- 
heit nur  noch  in  Schinkels 
graphischem  Werke  fortlebt, 
mußte  einer  modischen  Ein- 
tagsarchitektur weichen. 

In  den  Jahren,  in  denen  wir 
uns  schon  Messeis  feinsinni- 
gen Wirkens  erfreuen  durften, 
wurde  Schinkels  Palais  Rhe- 
dern  am  Pariser  Platz,  in  der 
Wilhelmstraße  manch  adliges 
Stadthaus  aus  friderizianischer 
Zeit  ohne  Schonung  niederge- 
rissen. Wie  taktvoll  im  Maß- 
stabe wußte  Schinkel  sein 
Museum  dem  Königsschloß 
unterzuordnen,  dessen  gewal- 
tiger Eindruck  durch  den  Ab- 
bruch des  kleinen  alten  Do- 
mes und  der  Häuser  an  der 
Schloßfreiheit  so  schwer  ge- 
litten hat. 

Der  mit  der  städtebaulichen 
Entwicklung  des  alten  Berlins, 


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ARCH.  W.  EPSTEIN 


LANDHAUS  WILHELM  FISCHBACH-SCHLACHTENSEE:  EINGANG 


etwa  bis  zum  Jahre  1860,  Vertraute  weiß, 
in  wie  großzügiger  Weise  die  preußischen 
Monarchen  von  Friedrich  I.  bis  Friedrich 
Wilhelm  IV.  mit  den  besten  Baumeistern 
ihrer  Zeit,  von  Schlüter  bis  Stüler,  für  die- 
ses Stadtbild  gewirkt  haben. 

Trotz  des  Fehlens  eines  Stromes,  wie  ihn 
Dresden  und  Paris  besitzen,  oder  der  Höhen, 
die  Wien  umrahmen,  lagen  selten  Bedingun- 
gen günstiger,  wie  die  Berlins,  als  die  große 
bauliche  Entwicklung  nach  den  Einigungs- 
kriegen begann.  Leider  kam  diese  Entwick- 


lung zu  rasch  und  traf  ein  unvorbereitetes 
Geschlecht.  Es  hat  lange  gedauert,  die  Ver- 
irrungen  der  Gründerjahre  zu  überwinden; 
bis  in  das  neue  Jahrhundert  hinein  haben  sie 
fortzeugend  Böses  gewirkt. 

Durch  die  Aufklärungsarbeit  popularisie- 
render Kunstschriftsteller,  vor  allem  durch 
das  Entstehen  zahlreicher  guter  Bauwerke, 
hat  sich  der  Geschmack  weiterer  Kreise 
im  letzten  Jahrzehnt  gehoben  und  das  In- 
teresse für  eine  gute  Wohnkultur  hat  zu- 
genommen. 


250 


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251 


Dem  Verständnis  am  zugänglichsten  ist 
dabei  allerdings  die  hygienische  Seite  des 
Problems,  während  die  Harmonie  des  Rau- 
mes noch  zu  den  wenig  verstandenen  Genüs- 
sen gehört.  Forderungen  übertriebenen  Kom- 
forts siegen  häufig  über  die  klare  künstle- 
rische Gestaltung. 

Mit  diesen  Schwierigkeiten  mag  es  zu- 
sammenhängen, daß  das  Haus  so  selten  rich- 
tig auf  seinem  Platze  steht,  daß  im  besten 
Falle  eine  Hauptansicht  gelöst  ist. 

Ein  freistehendes  Landhaus  ist  keine 
Fläche,  auf  die  nach  schlechter  städtischer 
Gewohnheit  eine  Fassade  geklebt  wird,  son- 
dern ein  plastisches,  von  allen  Seiten  tast- 
bares, kubisches  Kunstwerk,  dessen  Seiten- 
und  Rückansichten  nicht  dem  Spiele  des 
Zufalles  überlassen  sein  dürfen. 

Schinkel  sagt  in  seinem  schönen  Schrei- 
ben über  den  Bau  des  Schauspielhauses,„daß 
die  Schönheit  eines  Gebäudes  nicht  in  dem 
vorgebrachten  Schmuck  zunächst  besteht, 
sondern  vorzüglich  aus  der  Wahl  der  Ver- 
hältnisse erwächst,  welche  aber  ihren  ersten 


Grund   in    der   Verteilung   und   Anordnung 
des  Planes  haben." 


Die  Aufgaben,  deren  Lösung  die  folgen- 
den Blätter  zeigen,  sind  nach  der  Mög- 
lichkeit vorhandener  Mittel  nach  diesem 
Grundsatze  angefaßt  worden.  Es  soll  zu  den 
Bildern  und  Plänen  nichts  hinzugefügt  wer- 
den, nur  über  die  Anordnung  auf  den  Plät- 
zen mag  einiges  gesagt  sein. 

Bei  den  Häusern  Julius  Meier-Gräfe  in 
Nikolassee  und  Kocherthaler  in  Dahlem  ga- 
ben die  Größe  des  Platzes,  ziemlich  bedeu- 
tende Raumbedürfnisse  im  Verhältnis  hier- 
zu, und  die  Lage  an  der  Straße  die  Richt- 
linien. Das  Landhaus  in  Zehlendorf-West, 
das  auf  einem  Eckplatz  steht,  wurde  in  die 
Diagonale  gerückt.  Zwei  Pappelalleen  be- 
tonen die  Zugangswege  und  bilden  zugleich 
den  architektonischen  Rahmen  für  den  rosen- 
umsäumten  Rasenplatz  und  den  Brunnen, 
der  Garten  und  Haus  verbindet. 

Zum    Hause    Waltz    stand    ein    langer 


ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


LANDHAUS  WILHELM  FISCHBACH-SCHLACHTENSEE:  GROSZE  HALLE 

252 


schmaler,  im  Walde  gelegener  Platz  zur  Ver- 
fügung. Durch  Vorlegen  der  Garage,  deren 
Einfahrt  das  Haus  im  Rahmen  erscheinen 
läßt,  wurde  das  handtuchartige  Gelände  in 
Vorgarten,  Ziergarten  und  Park  geteilt. 

Haus  Fischbach  mit  den  durch  Pfeiler- 
gänge verbundenen  Nebengebäuden  wurde 
nicht  parallel  zur  Straße  gestellt,  sondern 
hat  seine  Front  zu  einem  Nebenweg.  So 
konnte  mit  Rücksicht  auf  den  schönen  Baum- 
bestand aus  dem  flachen  Grundstück  ein 
großer  Hausgarten  geschaffen  werden. 

Am   günstigsten   lagen    die   Bedingungen 


beim  Landhause  Rehbrücke,  das  auch  auf 
der  Diagonale  des  großen  Parkgrundstückes 
angeordnet  wurde. 

Als  Material  wurde  in  der  gewachsenen 
Stein  entbehrenden  Mark  Putz-  oder  Back- 
stein verwendet,  letzterer  immer  in  flächi- 
ger Wirkung,  beim  Hause  Waltz  Ratheno- 
wer Stein,  beim  Haus  in  Zehlendorf-West 
Oldenburger  Klinker,  in  Rehbrücke  flache, 
holländische  Ziegel. 

Der  bildhauerische  Schmuck  aus  Terra- 
kotta stammt  hier  wie  bei  den  übrigen  Häu- 
sern von  Georg  Kolbe. 


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ARCU.  W.  EPSTEIN 


HERRENHAUS  REHBROCKE:  GRUNDRISSE 


Dakorative  Kunst.  XIX.    S.    ^(ai   1916 


253 


33 


ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


HERRENHAUS  REHBRÜCKE:  MITTELBAU 
RELIEFS  VON  GEORG  KOLBE  a 


KÜNSTLER  ALS  KRIEGSWISSENSCHAFTLER 


Der  Krieg  stand  dem  mittelalterlichen 
Künstler  weder  in  seelischer  noch  in 
praktischer  Beziehung  im  Wege.  Der  Krieg 
war  eine  Beschäftigung,  mit  der  sich  der 
Künstler  ebensogut  abgeben  als  nicht  ab- 
geben konnte.  Erst  mit  dem  Augenblick,  als 
sich  seine  soziale  Stellung  zu  heben  beginnt, 
erst  mit  der  Möglichkeit,  seine  Kräfte  wei- 
terhin wirken  zu  lassen,  beginnt  er  sich  auch 
für  jene  Zweige  des  öffentlichen  Lebens  zu 
interessieren,  welche  bisher  das  Privilegium 
des  Patrizierstandes  gewesen.  Und  so  fin- 
den wir  seit  dem  15.  Jahrhundert  unter 
den  Künstlern  einige,  welche  sich  auch  als 
Kriegswissenschaftler  ausgezeichnet  haben. 
Daß  sich  z.  B.  Lionardo  ernsthaft  mit  den 
Kriegswissenschaften  abgab,  das  beweist 
nicht  nur  das  erhalten  gebliebene  Material, 
sondern   auch   ein  höchst   aufschlußreicher 


Brief.  Dieser  Brief  ist  an  den  Herzog  Lodo- 
vico  il  Moro  im  Jahre  1483  gerichtet.  Lio- 
nardo empfiehlt  darin  dem  Herzog  seine 
Dienste  sowohl  als  Ingenieur  wie  als  Künst- 
ler. Am  Anfang  steht  die  Versicherung,  daß 
er  alles,  was  die  Meister  im  Fach  der  Kriegs- 
werkzeuge geschaffen,  eingehend  erwogen, 
dabei  aber  gefunden  habe,  daß  all  dies  schon 
längst  bekannt  gewesen.  Von  sich  selbst 
aber  stellt  er  die  Behauptung  auf,  daß  er 
Neues  leisten  könnte.  Er  deutet  eine  Erfin- 
dung von  sehr  großer  Bedeutung  an.  Im 
weiteren  Verlauf  des  Briefes  zählt  Lionardo 
auf,  was  er  als  Kriegsingenieur  alles  in  An- 
griff nehmen  würde.  So  will  er  leicht  zu  er- 
richtende Brücken  herstellen,  die  zugleich 
auch  Schutz  gegen  feindliches  Feuer  bieten. 
Auch  versteht  er  es.  Brücken  in  Brand  zu 


stecken  und  zu  zerstören. 


An  einer  an- 


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255 


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deren  Stelle  gibt  er  ein  Mittel  an,  um  Reiter 
und  Fußtruppen  über  Flüsse  zu  setzen;  an 
einer  dritten  spricht  er  von  der  Ableitung 
des  Wassers  aus  den  Festungsgräben;  an 
einer  vierten  von  der  Methode,  mittels  Mi- 
nengängen eine  Festung  zu  erobern. 

Dieser  Brief  verfehlt  seine  Wirkung  nicht. 
Lionardo  wird  nach  Mailand  berufen,  wo 
ihm  reichlich  Gelegenheit  geboten  ist,  seine 
Pläne  auszuführen.  Er  stellt  einen  Mörser 
her,  der  an  Gewalt  der  Wirkung  alles 
Bisherige  übertrifft.  Er  vervollkommnet 
die  alte  Weise,  Geschütze  aus  Eisenstan- 
gen zusammenzuschweißen,  indem  er  mit- 
tels einer  Maschine,  welche  durch  eine  Tur- 
bine gedreht  wird,  das  Profil  dieser  Eisen- 
stangen möglichst  zweckmäßig  und  gleich- 
förmig zu  gestalten  sucht.  Auf  diese  Weise 
verfertigt  er  eine  große  Anzahl  von  Kano- 
nenkonstruktionen. Darunter  finden  sich 
rotierende,  drehbare  Mitrailleusen,  es  finden 
sich  Geschütze  mit  Anwendung  von  Schleu- 


derkraft und  Schwungkraft.  Es  finden  sich 
—  was  heute  freilich  längst  überholt  er- 
scheint —  Armbrüste,  welche  auf  Räder  ge- 
stellt sind.  Und  es  finden  sich  schließlich 
ganz  große  Batterien  von  Büchsenläufen. 
Sehr  bemerkenswert  ist  auch  die  Tatsache, 
daß  er  vielleicht  in  einem  gewissen  Sinne 
der  Erfinder  des  Schrapnells  ist.  Jeden- 
falls hat  dieses  fürchterliche  Geschoß,  das 
in  seiner  jetzigen  Art  erst  seit  dem  Be- 
ginn des  neunzehnten  Jahrhunderts  bekannt 
ist,  in  der  Sprengkugel  des  Lionardo  einen 
Vorläufer.  Ihre  Zusammensetzung  ist  uns 
heute  unbekannt. 

Nach  Lionardos  Tode  stand  die  jüngere 
Generation  der  italienischen  Kriegswissen- 
schaftler ganz  unter  seinem  Einfluß.  Die 
rege  Arbeit,  die  zu  dieser  Zeit  auf  diesem 
Gebiet  in  ganz  Italien  geleistet  wurde,  ist 
freilich  nicht  nur  auf  sein  Vorbild  zurück- 
zuführen. Die  neue  Zeit,  welche  das  Schieß- 
pulver erfunden  hatte,  verlangte  schnellstens 


ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


HERRENHAUS  REHBROCKE:  WIRTSCHAFTSHOF 


256 


ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


LANDHAUS  OTTO  WALTZ,  ZEH  LENDORF- WEST:  GESAMTANSICHT 


eine  neue  Art  von  Angriff  und  Verteidigung. 
Die  Not  gab  den  Antrieb,  und  der  Antrieb 
gab  die  Arbeitskräfte.  Unter  diesen  finden 
wir  wieder  einen  Künstler,  den  bedeutenden 
Architekten  Sanmicheli,  welcher  zugleich 
ein  ganz  bedeutender,  ja  unvergleichlicher 
Festungsbauer  war.  Nachdem  er  nach  1500 
die  Befestigungen  des  Kirchenstaats  restau- 
riert hatte,  erwarb  er  sich  einen  Namen,  der 
ihn  zuerst  nach  Parma,  dann  nach  Piacenza 
führte,  bis  man  ihn  endlich  nach  Verona  be- 
rief, wo  er  sein  Lebenswerk  vollbringen 
sollte.  Er  befestigte  um  das  Jahr  1527  die 
ganze  Stadt  in  einer  Weise,  die  für  alle  fol- 
genden Generationen  mustergültig  blieb. 
Hier  wurde  er  der  erste,  der  das  Bastionär- 
system  in  Anwendung  brachte,  das  schnell 
in  ganz  Italien  bekannt  wurde.  Er  wird 
kaum  der  Erfinder  desselben  gewesen  sein. 


LANDHAUS  O.  WALTZ,  ZEHLENDORF-WEST :  GRUNDRISSE 

257 


ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


LANDHAUS  OTTO  WALTZ,  ZEHLENDORF-WEST:  GARTENANSICHT 


Schon  Lionardo  hat  sich  mit  Entwürfen  für 
den  Festungsbau  beschäftigt,  welche  eine 
ziemliche  Aehnlichkeit  mit  denen  des  San- 
micheli  zeigen.  Ob  Micheli  sie  gekannt  hat, 
ist  freilich  fraglich.  Das  ließe  sich  auch 
schwer  eruieren.  Das  Problem  des  Festungs- 
krieges stand  damals  derart  im  Vordergrund 
des  Interesses  und  hatte  so  viele  Bearbeiter 
gefunden,  daß  so  manche  Entdeckung  an  vie- 
len Orten  zu  gleicher  Zeit  gemacht  wurde. 
Vor  allem  aber  war  es  einer,  welcher  ein 
bedeutendes  Buch  über  die  Methode,  Festun- 
gen anzulegen,  geschrieben  hat.  Dieser  eine 
lebte  jenseits  der  Alpen,  er  lebte  in  der  klei- 
nen germanischen  Stadt  Nürnberg,  welche 
den  Italienern  nicht  allzuviel  bedeuten  mußte: 
Albrecht  Dürer. 

Dürers  Buch  über  den  Festungsbau  er- 
schien 1527  zu  Nürnberg.  Es  führt  den  Titel: 
„Etliche  underricht,  zu  befestigung  der  Statt, 
Schlosz,  und  Flecken."  Mit  diesem  Werk 
war  Dürer  im  wahren  Sinn  des  Wortes  der 
erste,  der  seit  dem  Altertum  über  die  Befesti- 


gungskunst als  System  geschrieben  hatte. 
Die  meisten  Errungenschaften  waren  auf 
dem  Wege  der  Tradition  vererbt  worden, 
und  nur  über  dieses  oder  jenes  Detail  hatte 
man  von  Zeit  zu  Zeit  einige  Notizen  festge- 
legt. Albrecht  Dürer  aber  ist  der  erste  Wis- 
senschaftler des  Krieges. 

Die  Hauptlinien  seines  Buches  sind  unge- 
fähr folgende:  als  das  Pulvergeschütz  erfun- 
den worden  war,  wußte  man  dagegen  keine 
andere  Verteidigung,  als  die  Mauern  un- 
sichtbar zu  machen;  Dürer  aber  will  sich 
nicht  nur  vor  dem  Feind  verstecken,  er  willij 
ihn  bekriegen  und  schwächen.  Er  erstrebt'' 
eine  möglichst  eigene  Feuerwirkung  zur  Be- 
kämpfung der  feindlichen  Batterien.  Bisher 
hatte  man  die  eigenen  Geschütze  auf  dem 
Wall  untergebracht,  was  zur  Folge  hatte, 
daß  sie  gewöhnlich  schon  zerschossen  wur- 
den, bevor  sie  zur  Wirksamkeit  gelangten, 
Dürer  stellt  nun  seine  Geschütze  in  selb- 
ständige, abgesonderte,  stark  gemauerte 
Werke,  in   die  Basteien,  und  diese  sind  es, 


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Dokorative  Kunst.  XIX.     8.     Mui   igt6 


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ARCIl.  W.  EPSTEIN 


.A.._..AUS  JULIUS  MEIER-GRAFE-NIKOLASSEE:  EINGANG 


welche  den  Wall  flankieren.  Die  Festung  hat 
den  Grundriß  eines  Polygons;  in  jedem  Win- 
kel ist  ein  solches  Flankierungsgebäude  an- 
gebracht. Die  darin  untergebrachten  Ge- 
schütze bleiben  bis  zur  Lösung  ihrer  eigent- 
lichen Aufgabe  intakt,  denn  sie  stehen  in 
Räumen,  welche  gegen  den  direkten  Schuß 
gedeckt  sind.  Ihr  besonderer  Vorteil  ist  ihr 
niedriger  Standort,  so  daß  sie  den  ganzen 
Stadtgraben  entlang  feuern  können.  — Außer- 
dem hat  die  Dürersche  Befestigung  zahl- 
reiche kasemattierte  Räume  zur  Unterbrin- 
gung von  Mannschaft  und  Material. 

So  hat  Dürer  die  einfachen  Prinzipien,  auf 
die  sich  die  moderne  Befestigungskunst  grün- 
det, trotz  der  Rückständigkeit  seiner  Zeit  er- 
kannt. Die  Idee  der  Kasematten  hat  er  als 
System    begründet   und    große    Anwendung 


davon  gemacht.  Bei  allen  Nationen  gilt  er 
als  ihr  Erfinder:  selbst  die  Franzosen, 
welche  die  Kunst,  Festungen  zu  bauen,  für 
sich  gepachtet  zu  haben  glauben,  lassen  ihm 
diesen  Ruhm,  der  unanfechtbar  ist.  Frei- 
lich: Dürers  Zeit  selbst  hatte  für  seine  Ideen 
kein  Verständnis.  Jedenfalls  erregte  sein 
Buch  kein  bedeutsames  Aufsehen.  Es  ist 
aber  auch  möglich,  daß  man  nur  deshalb 
seinen  Vorschlägen  so  wenig  nachkam,  weil 
ihre  Ausführung  zu  kostspielig  gewesen 
wäre.  Als  ein  direkter  Nachfolger  wird 
uns  eigentlich  nur  der  Graf  Reinhard  Solms- 
Münzenberg  genannt,  welcher  15.39  Ingol- 
stadt neu  baute  und  dabei  die  Vorschläge  des 
großen  Künstlers  verwertete.  Zu  ihrer  wah- 
ren Geltung  kamen  Dürers  Ideen  erst  drei 
Jahrhunderte  später.   Nicht  Deutschland  war 


263 


34* 


ARCH.  W.  EPSTEIN 


LANDHAUS  JUL.  MEIER-GRÄFE:  SPEISEZIMMER  13  MÖBEL  VON 
R.  A.  SCHRÖDER;  WANDMALEREI  VON  ERICH  KLOSSOWSKI      □ 


ARCH.  W.  EPSTEIN 


LANDHAUS  JUL.  MEIER-GRAFE:  HALLE  MIT  TREPPENAUFGANG 

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ARCH.  ■*■.  EPSTEIN 


LANDHAUS  J.  KOCHERTHALER:  HAUPTEINGAN'G 
PLASTISCHER  SCHMUCK  VON  GEORG  KOLBE      G 


es,  das  sie  wieder  erkannte.  Frankreich,  wel- 
ches die  tonangebende  Rolle  im  Festungsbau 
spielte,  entdeckte  sie.  In  dem  berühmten 
System  des  französischen  Ingenieurs  Marc- 
Rene  Marquis  de  Montalembert  lebt  der  große 
Festungsbauer  Dürer  wieder  auf. 

Nach  Dürer  finden  wir  erst  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  wieder  einen 
Künstler,  der  sich  ernsthaft  dem  Studium 
der  Kriegswissenschaften  hingegeben  hat. 
Es  ist  Callot,  einer  der  berühmtesten  Radie- 
rer Frankreichs  und  der  Welt.  Man  kennt 
seine  kleinen  und  delikaten  Blätter,  in  denen 
sich   nicht   nur   eine   preziöse   Beobachtung 


des  kleinsten  Lebens  kundgibt,  sondern  auch 
eine  Vielgestaltigkeit  der  Themen,  wie  man 
sie  nur  bei  romanischen  Künstlern  finden 
kann.  Und  da  ist  es  nun  auffallend,  einen 
wie  großen  Raum  in  seinem  Lebenswerk 
Darstellungen  von  Soldaten,  Gefechten, 
Duellen,  Kriegspferden  einnehmen.  Callot 
liebt  den  Krieg. 

So  ist  es  begreiflich,  wenn  er  sich  auch 
theoretisch  mit  dem  Krieg  vertraut  machte. 
Als  er  als  junger  Mensch  nach  Florenz  kam, 
studierte  er  außer  Zeichnen,  Stechen,  Per- 
spektive, Topographie  und  Mathematik  auch 
Festungskunde.    Sein   Lehrer   Parigi,   wel- 


266 


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ARCH.  W.  EPSTEIN-BERLIN 


LANDHAUS  J.  KOCHERTHALER-DAHLEM:  OBERE  DIELE 


eher  damals  einen  hervorragenden  Ruf  als 
Kriegswissenschaftler  genoß,  schien  in  ihm 
das  Interesse  so  stark  erweckt  zu  haben, 
daß  er  es  im  Verlauf  des  ganzen  Lebens 
nicht  mehr  verlor.  Es  wird  uns  berichtet,  daß 
Callot  noch  jahrelang  nachher  am  toskani- 
schen  Hofe  arbeitete  und  sich  in  jeder  Rich- 
tung seiner  Kenntnisse  betätigte.  Trotzdem 
wird  man  wohl  nicht  irregehen,  wenn  man 
annimmt,  daß  er  der  Kriegswissenschaft  im- 
mer  nur    als    Theoretiker   gegenüberstand. 


LANDHAUS  J.  KOCHERTHALER:  GRUNDRISSE 


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Dekorative  Kun«.     XIX.    8.    Mal  1916 


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ARCH.  WALTHER  EPSTEIN-BERLIN 


LANDHAUS  ZEH  LENDORF-WEST 
BRUNNEN   VON   GEORG    KOLBE 


270 


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Sein  Interesse  aber  wurde  der  Anstoß  zu 
seinen  weltberühmten  Radierungen  weltbe- 
rühmter Belagerungen.  Er  galt  zu  seiner 
Zeit  als  Spezialist  auf  diesem  Gebiet;  hatte 
ein  Herrscher  eine  kriegerische  Aktion  ge- 
gen eine  Feste  unternommen,  so  bemühte 
er  sich  schleunigst,  den  gefeierten  Callot  zur 
Verewigung  dieser  Aktion  zu  gewinnen.  So 
berief  ihn  1625  die  Infantin  Isabella  Clara 
Eugenia  nach  Brüssel,  damit  er  die  Belage- 
rung von  Breda  zeichne  und  radiere.  Vier 
Jahre  später  bestellte  Louis  XIII.  eine  Wie- 
dergabe der  Belagerung  von  La  Rochelle  bei 
ihm.  Abermals  vier  Jahre  später  belagerte 
Louis  XIII.  Nancy.  Als  der  Herzog  Char- 
les IV.  von  Richelieu  gefangen  genommen 
wurde,  gab  er  selbst,  indem  er  alles  für  ver- 
loren erkannte,  die  Weisung  zur  Uebergabe 
der  Stadt.  So  wurde  Nancy  kampflos  dem 
Feinde   ausgeliefert.    Trotzdem   wollte    der 


König,  daß  Callot  die  Belagerung  radiere. 
Callot  weigerte  sich  aus  Patriotismus,  und 
es  erzählen  uns  Berichte  seinen  Ausspruch, 
daß  er  sich  lieber  den  Finger  abschneiden 
wolle,  als  die  Schande  seines  Landes  ver- 
ewigen. Und  blieb  gegen  alle  Zusprechun- 
gen standhaft.  Wieso  kam  es  nun,  daß  ge- 
rade er  als  Kriegsmaler  so  gesucht  war? 
Liegt  dies  allein  in  seiner  künstlerischen  Be- 
rühmtheit begründet?  Was  Callot  auf  diesem 
Gebiet  so  hohe  Ehren  eintrug,  war  sein  Ruf 
als  Kenner  der  Kriegsangelegenheiten.  Man 
schätzte  seine  Sachlichkeit,  man  wußte,  daß 
er  in  solchen  Radierungen  nicht  nur  künst- 
lerische Werte  verfolgen  würde,  sondern  in- 
folge seines  Verständnisses  für  das  rein 
Militärische  auch  alles  betonen  würde,  was 
die  Größe  der  kriegerischen  Tat  heraus- 
streichen mußte.  Er  war  der  letzte  Kriegs- 
wissenschaftler unter  den  Künstlern. 

Dr.  Otto'Zoff 


ARCH.W.EPSTEIN-BERLIN   Q    LANDHAUS  ZEHLENDORF-WEST:  GARTEN- 
HALLE     Q      RELIEF  VON  GEORG  KOLBE 


272 


J.  GANGL 
MEDAILLE 


JOSEPH  GANGLS  KRIEGSMEDAILLEN 


Gangls  neue  Medaillenschöpfungen  sind 
nach  Stil,  Format  und  Inhalt  Denk- 
münzen in  der  ausgesprochensten  Form.  Da 
sie  nicht  auf  Persönlichkeiten  hinzielen,  son- 
dern Begebenheiten,  ja,  mehr  oder  weniger 
als  das:  die  Stimmungen  von  Begebenheiten 
zum  Gegenstand  oder  zum  Ausgangspunkt 
haben,  komplizierte  sich  die  Aufgabe  für 
den  Künstler.  Er  mußte  auf  das  herkömm- 
lichste Medaillenbildnis  verzichten  und  Vor- 
derseite und  Rückseite  mit  allegorischen 
oder  symbolischen  Darstellungen  bedenken. 
Unter  solchen  Verhältnissen   leidet  bei  an- 


deren Medailleuren  nicht  selten  die  Einheit- 
lichkeit des  Eindrucks  oder  es  tritt  das 
Gegenteil  ein,  Revers  und  Avers  stellen 
schlecht  maskierte  Wiederholungen  dar,  be- 
deuten keine  Steigerungen.  Gangl  ist  dieser 
Gefahr  nicht  ausgesetzt  gewesen.  Sein  Stil 
und  seine  Formgebung  sind  trotz  seiner  Ju- 
gend schon  so  sicher  und  so  ganz  sein  eigen, 
daß  z.  B.  zwei  Stücke  aus  seiner  Werkstatt 
durch  die  kraftvolle  Persönlichkeitsmarke, 
die  ihnen  ihr  Urheber  mitgibt,  sogleich  als 
ein  Brüderpaar  erkannt  werden,  anderer- 
seits aber  quillt  eine  solche  Fülle  der  Ge- 


J.  GANGL 
MEDAILLE 


273 


J.  GANGL 
MEDAILLE 


sichte  in  Gangls  Kunst,  daß  er  unschwer 
für  das  gleiche  Motiv  zwei  gleichstarke  Aus- 
drucksformen findet.  Das  tritt  besonders  bei 
der  Medaille  mit  den  nackten  Kämpfern  auf- 
fällig in  die  Erscheinung.  Die  Seite  mit  der 
Jahreszahl  1914  ist  gedrungener,  schwerer 
und  ihre  besondere  Gliederung  erfährt  sie 
durch  die  Vertikalen  der  vier  Schwerter  und 
die  frei  behandelten  Dreiecke  der  Spreiz- 
stellungen. Wie  anders  die  Rückseite  dieser 
Medaille!  Da  ist  alles  gelöst,  mehr  Freiraum 
kam  auf  die  Darstellung,  mehr  Hintergrund 
und  Perspektive,  aus  der  Vertikale  ist  die 
Behandlung  des  gleichen  Motivs  in  die 
Horizontale  herübergezogen  und  das  Tempo 
wurde  feuriger,  rauschender.Von  den  Schrift- 


medaillen hat  die  „Deutschland  über  Alles"- 
Denkmünze  meinen  vollsten  Beifall,  sie  ist 
in  ihrer  schlichten  Wucht  tatsächlich  ein 
Ausdruck  deutschen  Wesens,  dagegen  ist 
die  den  Kriegswitwen  gewidmete  Medaille 
in  ihrem  Schriftteil  zwar  von  angenehmem 
Gesamteindruck,  aber  zumal  in  der  will- 
kürlichen Zerteilung  der  Worte  und  Sätze 
etwas  zu  wienerisch,  was  bei  Schriften 
gleichbedeutend  mit  schlecht  leserlich  ist. 
Einige  Schmuckstücke  medailleriartigen 
Charakters  zeigen,  daß  der  Künstler  nicht 
nur  wuchtig  und  monumental,  sondern  auch 
graziös  und  intim  sich  zu  geben  vermag 
und  auch  dann  seine  Persönlichkeit  nicht 
zu  verleugnen  braucht.  W. 


:Ät-ll:.L_?jWD.:&:dütö- 


J.  GANGL 
MEDAILLE 


274 


JOSEPH  GANGL 


ANHANGER  UND  MEDAILLEN 


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Dekorative  Kunst.    XIX.    8.    Mej  1916 


277 


SILBERNE  SCHALE 


AUSFÜHRUNG  VON  PETER  BRUCKMANN  &  SÖHNE,  HEILBRONN  A.  N. 


SILBERNE  DOSE 


AUSFÜHRUNG  VON  PETER  BRUCK- 
MANN &,  SÖHNE,    HEILBRONN  A.  N. 


SILBERNE  SCHALE 


AUSFÜHRUNG  VON  PETER  BRUCKMANN  &  SÖHNE,  HEILBRONN  A.  N. 

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MODERNE  KLETTERROSEN  IN  BERCHTESGADEN 


NEUE  BLUMENGARTENGESTALTUNG  UND  PFLEGEERLEICH- 
TERUNG DURCH  KLIMAGEMÄSZE  DAUERPFLANZEN 


Wer  tief  in  der  gärtnerischen  und  pflan- 
zenzüchterischen  Entwicklung  der 
beiden  letzten  Jahrzehnte  steht,  gewinnt 
einen  ergreifenden  Eindruck  von  der  Pflan- 
zenherrlichkeit, die  auf  allen  Gebieten  der 
Zukunft  des  deutschen  Gartens  entgegen- 
reift, kann  aber  auch  nicht  genug  staunen, 
wie  wenig  noch  das  bereits  erreichte  Große 
in  das  moderne  Kulturbewußtsein  über- 
gegangen ist.  Ein  unglaublich  hoher  Pro- 
zentsatz deutscher  und  österreichisch-un- 
garischer Gärten  ist  noch  fast  völlig  un- 
berührt vom  neuen  Zeitalter  in  der  Blumen- 
gärtnerei. Ihre  Inhaber  gleichen  oft  dem 
Besitzer  eines  herrlichen  Musikinstrumen- 
tes, auf  dem  nur  ein  paar  Tonleitern  und 
Salonstücke,  selten  genug  auch  nur  Volks- 
liedmelodien gespielt  werden. 

Das   gilt   sogar  von   der   blütenreichsten 
Zeit  des  Gartenjahres.  Wie  wenig  aber  nun 


gar  in  den  langen  Monaten  des  Vorfrüh- 
lings, des  Herbstes  und  Spätherbstes  Ge- 
brauch von  den  Blütenschätzen  kinder- 
leichter Gartenkultur  gemacht  wird,  die  aus 
allen  Landen  der  gemäßigten  Zone  bereit- 
liegen, das  ist  ernstlich  schwer  zu  be- 
greifen. 

Wir  Gärtner  und  Züchter  haben  nur  eine 
Gattung  bisher  ganz  unzureichend  „kulti- 
viert", nämlich  die  Gattung  homo  sapiens, 
Subspezies:  Gebildete  Gartenfreunde! 

Ich  will  hier  heute  kurz  von  den  winter- 
fest ausdauernden  Blütenstauden  und  Blü- 
tensträuchern,  sozusagen  den  bequemsten 
Haustieren  des  Blumengartens,  und  von 
ihrer  neuen  Entwicklung  durch  Zuchtstei- 
gerung und  durch  Neueinführung  reden. 
Blütenstauden  überwintern  in  unterirdischen 
Wurzelnestern  und  Knollen  oder  nicht  ver- 
holzenden grünen  Blattschöpfen,  Sträucher 


280 


KARL  FOERSTER-BORNIM 


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PERENNEN-FARM  IN  DER  MAIBLDTE 


Schwarzblaue  Bänder  ausdauernder  ,,Stietmülterchen" :  Viola  cornuta  „Alpha",  weiße  Iberis- 
polster,  hohe  Darwintulpen.  Am  Wasserbecken:  Schwertlilien,  gelbe  und  orange  Trollius 
über   blauen   Schleiern    der   Anchusa  myosotiflora.    Böschungsgrün   aus   Sedum   spurium 


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in  holzigen  oberirdischen  Lebensgerüsten, 
die  sich  gleich  aus  der  Wurzel  verzweigen. 

Zu  den  ersteren  gehören  z.  B.  Phloxe, 
Schwertlilien,  Rittersporne,  Staudenastern, 
Lilien,  Anemonen,  Farne,  zu  den  letzteren 
Flieder,  Deutzia,  Veigelien,  Rhododendron, 
Schlingsträucher,  schutzlos  harte  Rosen. 

Was  ist  aus  all  diesen  alten  Dingen  ge- 
worden? Geblieben  ist  Gutmütigkeit  und 
Treue.  Verschwunden  sind  viel  Eigen- 
schaften der  Unordnung  und  Unberechen- 
barkeit. Neu  geworden  ist  eine  Garten- 
schönheit und  Lebensfülle,  die  keine  Seele 
ermessen  und  überschauen  kann.  Wohin 
man  blickt,  unendliches  neues  Werden  in 
steigendem  Tempo.  — 

Nur  durch  moderne  Stauden  und  Sträu- 
cher gelangt  der  Gartenbesitzer  in  ein  per- 
sönliches schöpferisches  Verhältnis  zu 
seinem  Blumengarten. 

Welche  neuen  Gestaltungen  der  Garten- 
bühne sind  unter  ihrem  Einfluß  entstanden? 
Und  welche  Pflegeerleichterungen  sind  ge- 
meint? 


Ganz  neue  Elemente  feinerer  räumlicher 
und  koloristischer  Berechenbarkeit  bei  ge- 
steigerter Ueppigkeit  und  prachtvoll  zwang- 
loser und  doch  gebändigter  Wildheit  sind 
gewonnen  worden. 

Farbe  und  feines  Pflanzenleben  ist  auch 
in  die  Reiche  des  Gartenschattens,  der 
Aschenbrödelplätzchen,  der  unfruchtbaren 
Böschungen,  der  Gebirgs-,  Stadt-  und  Strand- 
gärten eingezogen;  Nässe  und  Dürre  des 
Bodens  bedeutet  neue  erlesene  Blütenmög- 
lichkeit, statt  trüber  Schwierigkeit. 

Durch  die  neuen  Stauden  und  Sträucher 
kann  man  „immer  leicht  die  Not  in  eine 
Tugend"  verwandeln,  was  bekanntlich  eines 
der  wichtigsten  aller  Lebensprinzipe  ist. 

Langgestreckte  Beetrabatten  tragen  durch 
Monate  immer  neue  Fülle  des  Staudenflors. 
Rhythmus  und  Zwanglosigkeit,  errechnete 
Farbenwirkungen  und  unerschöpfliche  Far- 
benüberraschungen, feinste  perspektivische 
Farben-  und  Formenreize  und  breite  Massen- 
wirkungen sind  hier  auf  verhältnismäßig 
kleinen  Räumen  vereinigt. 


EIN  VERSENKTER  PERGOLA-UMGEBENER  BLUMENGARTEN 
Die   vielseitigste  Darstellung  der  Blumenmassen  und    die  natürlichste  und  bestfcrahmle  Stitte  einer  von  Frülilint  W»  licrkst 

dauernden  gesammelten  Blumenorgie 


281 


RITTERSPORN  „DELPHINIUM  LASCELLES" 
IN  BERCHTESGADEN 


An  den  Aufgaben  der  Staudenrabatte  kann 
sich  der  kleinste  und  der  größte  Garten- 
künstler versuchen.  Ihre  Fortschritte,  Pro- 
bleme und  Reize  könnten  allein  ein  ganzes 
menschliches  Arbeitsleben  ernsthaft  erfüllen 
und  in  steigendem  Maße  elektrisieren. 

Die  architektonischen  Gartenpartien  nahe 
am  Hause,  in  deren  strenger  festlicher  Ord- 
nung die  häuslichen  Raum-  und  Liniengefühle 
gelindert  in  die  freie  Natur  ausschwingen 
und  unerschöpflich  erfrischt  und  gefestigt  zu- 
rückkehren, gewinnen  in  reizvollstem  Kon- 
trast zu  ihrer  Strenge  ganz  neue  malerische 
und  intime  Schönheit.  Ihre  Pflege  und  Unter- 
haltung ist  eine  viel  einfachere  geworden. 
So  verursacht  z.  B.  ein  bloßes  grünes,  sauber 
gepflegtes  Rasenparterre  eher  mehr  Pflege- 
arbeit, als  solch  tief  eingesenkter,  rosen- 
pergola-umgebener,  regelmäßiger  Stauden- 
garten —  wohlfundierte,  kundige  und  ge- 
schickte Pflanzung  vorausgesetzt  — ,  in  dem 
von  Frühling  bis  Herbst  das  Blühen  jahraus 
jahrein  automatisch  und  kaleidoskopisch 
wie  auf  einer  Alpenwiese  wechselt;  auch 
wenn  man  das  nach  einigen  Jahren  sukzes- 
siv nötige  Umpflanzen  zu  stark  zusammen- 
gewachsener Beete  dazu  rechnet. 

Wenn  irgend  möglich,  soll  nie  der  ganze 


Garten  entweder  nur  dem  regelmäßigen 
oder  nur  dem  natürlichen  Stile  unterworfen 
werden;  denn  das  ist  ein  Gefängnis  für  die 
Seele,  welche  im  Garten  Resonanz  für  ihre 
volle  Spannweite,  die  Ueberordnung  über 
die  Natur  und  die  Unterordnung  unter  sie 
finden  will.  Naturgartenpartien,  in  denen 
man  also  der  Natur  nicht  den  Stempel  der 
tyrannischen  Naturbemeisterung,  sondern 
der  feinsten  wortlösenden  Pietät  des  Men- 
schen für  sie  aufdrücken  will,  finden  durch 
Stauden  ihren  feinartikulierten  Ausdruck. 
Eigentlich  erst  durch  die  Raumverhältnisse 
der  Staude  kann  die  Romantik  wilden  Vege- 
tationszaubers mit  seinen  wunderbaren  Ge- 
setzen des  Standortcharakters  und  der  Pflan- 
zengeselligkeit ein  raumgemäßes  Objekt  der 
gartenmäßig  gesteigerten  Nacherschaffung 
werden. 

Wer  in  diesen  Dingen  heimisch  werden 
will,  in  denen  das  Wort  so  wenig,  die  künst- 
lerische Arbeit  und  ihr  Bild  alles  ist,  sehe 
sich  die  Gärten  des  Gartenkünstlers  Willy 
Lange  an  und  lese  dann  seine  Bücher;  er 
wird  eine  Klärung  seiner  GartenbegrifFe 
und  Gartengefühle  erfahren,  die  den  Reiz 
jeder  kleinsten  Gartengestaltung,  jeder  Gar- 
tenpflanze  erhöht  und   alles   der   gesamten 


LACHSROSAFARBENE   KLETTERROSE  „DOROTHY   PER- 
KINS"  AM  PFAHL 


282 


HELENIUM  „GARTENSONNE"  IM  ZWEITEN  JAHR  NACH  PFLANZUNG 


kosmischen  Bestimmung  des  Menschen  auf 
der  Erde  neu  einordnet. 

Eine  besondere  Domäne  der  Stauden  sind 
mächtige  Farbengruppen,  Jahreszeitengärt- 
chen  und  Standortgärtchen,  z.B. regelmäßige 
und  unregelmäßige  Steingärten  und  Ufer- 
gärten, Vorfrühlings-  und  Spätherbstgärt- 
chen. 

Die  Pflegeerleichterung  folgt  hier  schon 
aus  der  Konzentration  nach  gleichen  An- 
sprüchen; im  tiefsten  Grunde  erwächst  sie 


eben  aus  der  Verwendung  eines  Pflanzen- 
materials, das  unserem,  ähnlichem  oder 
rauherem  Klima  entstammt  und  dessen  gärt- 
nerische Veredlung  nicht  auf  Kosten  seiner 
Widerstandskraft  erfolgte. 

Welche  Blütenfülle  alle  diese  neuen,  fest 
mit  dem  Garten  verwachsenden  Dauerpflan- 
zen vom  Vorfrühling  bis  Spätherbst  ohne 
Glashaus  und  Frühbeet  oder  neue  Heran- 
zucht in  unser  Leben  bringen  können,  ist 
noch  so  wenig  bekannt,  daß  wir  Züchter  und 


PFLANZEN  IM  CHARAKTtR  VON  UFERSTAUDEN  BLÜHEN  UM  DAS 
WASSERBECKEN   VON   ENDE  APRIL   BIS  TIEF   IN  DEN  SEPTEMBER 


283 


Schatzhüter  allen  Anlaß  haben,  nicht  nur  in 
Gartenbauvereinen  und  Fachzeitschriften  et- 
was darüber  zu  murmeln,  sondern  uns  auch 
oft  unmittelbar  unter  Benutzung  moderner 
Bildtechnik  an  breite  Kreise  unseres  Volkes 
zu  wenden.*) 

Ich  glaube,  daß  dieser  Krieg  unendlich 
viel  schlummerndes  Naturgefühl  wecken 
und  entflammen  wird  und  viele  aus  der  Enge 


•)  Anmerkung  über  Tulpen:  Die  Lebensdauer  der  Stauden 
ist  eine  sehr  hohe,  oft  Jahrzehnte  und  noch  größere  Zeiträume 
umfassende.  Eine  Statistik  enthält  mein  Buch.  Einige  Knollen- 
stauden und  Halbstauden  machen  Ausnahmen.  Eine  Einschrän- 
kung bezüglich  der  Tulpe:  Bei  Darwintulpen  im  trockneren  deut- 
schen Klima  beobachtete  ich  ein  4— Sjähriges  Wiederblühen  un- 
berührter Zwiebeln,  bei  anderen  Tulpenarten  ein  3mal  so  langes. 
Dauernde  Beobachtung  des  Verhaltens  fast  aller  Tulpen,  Hya- 
zinthen- und  Narzissenarten  und  Sorten  wird  in  meiner  Blumen- 
farm fortgesetzt.    Im  bayerischen  Sommer  müssen  jedoch  viele 


naturferner  Berufe  und  aus  den  Katakomben 
der  großen  Städte  in  freiere  frischere  Sphä- 
ren reißen  wird. 

Auch  ist  die  Abnahme  mancher  Hemmun- 
gen deutschen  Kastengeistes  und  Spießer- 
tums zu  erwarten,  welche  die  gebildete  Ju- 
gend als  „gesellschaftliche  Rücksichten"  so 
tief  in  der  Berufswahl  beeinflussen. 
Karl  Foerster,  Bornim  bei  Potsdam -Sanssouci 


Tulpensorten  herausgenommen  und  im  Herbst  neu  gepflanzt  wer- 
den. Andere  wieder  können  auch  dort  unberührt  und  verwildert 
weiterblühen.  Manche  Dinge  bedürfen  zu  ihrer  Klärung  noch 
der  Tätigkeit  einer  über  Deutschland  verteilten  Anzahl  von  Ver- 
suchs- und  Schaugärten.  —  Man  muß  sich  Deutschland  in  ein  ozea- 
nisches oder  alpines  Regenklima  und  ein  kontinentales  Trocken- 
heitsklima geteilt  denken.  Beide  haben  mancherlei  Gartenvor- 
teile und  Nachteile  von  einander,  die  sich  ungefähr  die  Wage 
halten  dürften. 


BLICK  INS  HERBSTSTAUDENGARTCHEN 

Im  Vordergrund  der  Flor  meterhoher  weißer  japanischer  Herbstanemonen  und 

niedriger  europäischer  Staudenastern.   Rechts  oben  am  Gerüst  der  spiraeenartige 

Flor  des  Polygonium  Auberti  aus  Tibet 


284 


ARCH.  RUNGE  &.  SCOTLAND-BREMEN 


FENSTERECKE  IM  EMPFANGSZIMMER  ROSELIUS,  BERLIN 


ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


AUS  DEM  EMPFANGSZIMMER  ROSELIU3,  BERLIN 


ZWEI  NEUE  RÄUME  VON  RUNGE  &  SCOTLAND  IN  BREMEN 


Eine  Uebersiedelung  von  Bremen  nach 
Berlin,  aus  der  alten  Hansa-Stadt  mit 
den  blumengeschmückten  Vorstädten  und 
der  weitläufigen  Bauweise  nach  Berlin,  dieser 
Anhäufung  von  Verkehr  und  Hast  und  Miet- 
kasernen, mit  seiner  so  anders  gearteten 
Wohnart  ist  ein  weiter  Schritt,  den  man  auch 
am  Ufer  des  Hundekehlen-Sees  nicht  so  leicht 
vergißt.  Es  lag  für  den  Bauherrn  daher 
nahe,  sich  für  die  Ausgestaltung  seiner 
Wohnräume  die  Künstler  zu  rufen,  die  in 
dem  alten  Patrizierhaus  im  Schatten  von 
St.Martiniund  dem  Roselius-Haus  hinter  dem 
Markt  ein-  und  ausgehen  und  in  diese  Zeu- 
gen einer  alten  hanseatischen  Kultur  schon 
vieles  hinein  geheimnist  hatten,  was  Ver- 
ständnis für  das  innere  Wesen  solcher  Bau- 
werke verlangt,  seien  es  nun  Geschäfts- 
räume, die  Werkstatt  eines  Künstlers  oder 
das  Absteigequartier  des  in  der  Ferne  wei- 
lenden Handelsherrn,  den  tausend  Fäden 
noch  an  die  alte  Stätte  fesseln. 

Die   hier  wiedergegebenen    Räume,   eine 
Bibliothek   und   ein  Empfangsraum    zeigen 


daher  einen  gewissen  Einschlag  in  die  Art, 
wie  ein  bremischer  Handelsherr  zu  arbeiten 
und  seine  Gäste  zu  empfangen  liebt.  Der 
satte  grüne  Damast  an  den  Wänden  der 
Bibliothek,  der  tiefgebeizte  rötliche  Ton 
des  geflammten  Birkenholzes,  in  das  sich 
schwarze  SchnitLcreien  einfügen,  hier  und 
da  belebt  durch  ein  Glanzlicht  auf  dem  po- 
lierten Holze  geben  eine  farbgesättigte  Stim- 
mung, die  zu  ernster  Arbeit  die  Ruhe  gibt. 
Der  breite  Kamin  mit  den  flackernden  Holz- 
scheiten ladet  zu  beschaulichem  Gespräch 
an  gastlichen  Abenden. 

Die  lange  Wand  des  Raumes  ist  ganz 
ausgefüllt  von  hohen  Bücherschränken,  hinter 
deren  Glastüren  sich  kostbare  Bände  reihen. 
Die  große  Schrankfläche  ist  oben  durch  drei 
Bogen  abgeschlossen, um  das  Monotone  einer 
zu  langen  geraden  Linie  zu  vermeiden. 

Zwei  niedrigere,  zwischengebaute  Ge- 
wehrschränke mit  darüber  angebrachten  Ni- 
schen gaben  Gelegenheit,  Abwechslung  in 
die  Bücherwand  zu  bringen,  durch  wenig 
durchbrochene  geschnitzte  Türen,  durch  die 


Dekor«tlre  Kunst.  XIX.    9.    Juni   1916 


285 


ARCH.  RUNGE  &.  SCOTLAND  BREMEN 


TISCH  AUS  DER  BIBLIOTHEK  ßOSELlUS,  BERLIN  (vgl.  S.  291) 


ARCH.  RUNGE  &.  SCOTLAND 


AUS  DEM  EMPFANGSZIMMER  (vgl.  S.  287) 

286 


287 


37« 


ARCH.  RUNGE  &,  SCOTLAND-BREMEN 


KAMIN  DER  BIBLIOTHEK  ROSELIUS,  BERLIN 


man,  im  schönen  Gegensatz  zu  dem  schwar- 
zen Holz  den  dahinter  gespannten  grünen 
Stoff  schimmern  sieht. 

Ganz  anders  ist  der  Empfangsraum  ab- 
gestimmt, er  betont  mehr  das  Festliche,  er 
will  dem  Besucher  mit  seiner  Helligkeit  einen 
heiteren  Eingang  bereiten.  Durch  die  drei 
hohen  zum  Garten  führenden  Türen  wirft 
die  Sonne  ihre  Lichter  auf  die  sattgelbe 
Seidenbespannung  der  Wände.  Zierliche  und 
schwerere  Sessel  und  Sofas  sind  mit  blauer 
Seide    bespannt,    die    mit   reichen    Blumen- 


mustern in  gedämpften  Farben  überzogen 
ist.  Das  dunkle  Mahagoniholz  mit  hellen 
Adern  und  Einlagen  faßt  die  Farben.  Die 
große  Prismenkrone  mit  versilberten  Metall- 
teilen und  eingefügten  schwarzen  Kettchen 
und  die  durch  Seidenschirme  gedämpften 
Lichter  der  Wandbeleuchtungen  geben  dem 
Räume  bei  festlichen  Gelegenheiten  den 
Glanz. 

Den  ernsten  und  den  heiteren  Raum  kann 
man  sie  nennen,  der  eine  ernst  ohne  Schwere, 
der  andere  heiter  ohne  Ausgelassenheit. 


288 


289 


ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


AUS  DER  BIBLIOTHEK  ROSELIUS,  BERLIN  (vgl.  S.  289) 


290 


291 


ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND-BREMEN 


SCHREIBTISCHECKE  DER  BIBLIOTHEK  ROSELIUS 


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ARCH.  CARL  MORITZ-KÖLN 


HEIM  DES  KÜNSTLERS:  STRASZENSEITE 


DAS  KÜNSTLERHEIM  DES  ARCHITEKTEN 
CARL  MORITZ,  KÖLN 


Es  ist  eine  Seltenheit,  daß  der  Architekt 
beim  Villenbau  —  wenn  man  von  der  Pro- 
jektierung ganzer  Villenkolonien  absieht  — 
Städtebauliche  Probleme  zu  lösen  hat,  da  zu- 
meist Sfraßenfluchten,  Baufluchten  und  Vor- 
gartentiefen bestimmungsgemäß  festliegen,  und 
eine  Abweichung  dieser  baupolizeilichen  Vor- 
schriften äußerst  selten  zugelassen  wird.  Bei 
dem  vorliegenden  Projekt  des  Künstlerheims 
wurde  durch  die  Gelegenheit,  zwei  weitere 
kleinere  Villen  mitbauen  zu  können,  eine  Bau- 
gruppe geschaffen,  die  nach  städtebaulichen 
Gesichtspunkten  projektiert  werden  konnte. 
Das  Grundstück  liegt  an  einer  starken  Straßen- 
biegung der  Parkstraße  in  der  höchstgelegenen 
Villensiedelung  von  Marienburg  bei  Köln,  die 
einen  herrlichen  alten  Baumbestand  aufweist. 


Die  drei  Villen  sind  durch  niedere  Verbin- 
dungsbauten zu  einer  Baugruppe  in  Winkel- 
form vereinigt  und  das  Künstlerheim  bildet 
in  der  Mitle,  indem  es  zum  Anfang  der  ge- 
rade angelegten  Parkstraße  senkrecht  steht, 
einen  StraQenabschluß.  Dabei  ist  die  Bau- 
gruppe soweit  von  der  Straße  zurückgelegt, 
daß  in  ihrem  Winkel  die  wundervolle  alte 
Akazie  stehen  bleiben  konnte,  die  mit  ihrer 
feinen  Verästelung  einen  schönen  Gegensatz 
zur  umgebenden  Architektur  bildet. 

Diese  Rücksichtnahme  auf  die  Natur  prägt 
sich  auch  sehr  glücklich  in  der  Gartenseite 
des  Hauses  aus,  wo  die  majestätischen  Pap- 
peln, die  alt  ehrwürdigen  Eschen  mit  dem 
architektonisch  angelegten  Garten  und  der  ma- 
lerischen  anheimenden  Fassade   mit  dem  in- 


Dekoritive  Kuiitt.    XIX.    9,    Juni  1916 


293 


ARCH.  CARL  MORITZ-KÖLN 


HEIM  DES  KÜNSTLERS:  GARTENSEITE 


294 


ARCII.  CARL  MORITZ-KÖLN 


HEIM  DES  KONSTLERS:  GARTENSEITE 


295 


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296 


teressanten  vorgebauten  Gartenzimmer  ein  har- 
monisches Ganzes  von  eindrucksvoller  Schön- 
heit bilden. 

Die  äußere  Architektur  gegen  die  Straße  zeigt 
eine  einfache  symmetrische  Aufteilung  nach 
klassischen  Gesichtspunkten,  die  durch  die 
Behandlung  im  Detail  ein  individuelles  Ge- 
präge aufweist.  Das  Loggienmotiv  in  der  Mitte 
mit  den  gebälktragenden  Puttenstützen  sowie 


die  flachen,  seitlich  flankierenden  Erker  geben 
der  Fassade  die  plastische  Sättigung. 

Die  im  Mittelpunkt  befindliche  Haustüre 
aus  schwarzgrauer  Eiche  mit  Knochenintarsien 
und  vergoldetem  schmiedeeisernen  Oberlicht 
bildet  einen  angenehmen  Farbfleck  in  der  in 
graugrünlicher  Terranova  in  Verbindung  mit 
Muschelkalk  ausgeführten  Fassade. 

M.  F. 


ARCH.  CARL  MORITZ  KÖLN 


HEIM  DES  KÜNSTLERS:  LAUBENCANO 


297 


F.  A.  PFUHLE-DANZIG  KIRCHENFENSTER:  CHRISTI  GEBURT 

Ausführung:  Puhi  &  Wagner,  Gottfried  Heinersdorff,  Vereinigte  Werkstätten  für  Glasmalerei,  Berlin-Treptow 


DIE  DANZIGER  GLASMALEREIEN  F.  A.  PFUHLES 


Wer  zum  ersten  Male  durch  die  Gassen 
Danzigs  wandert,  sinnend  in  den  ge- 
ruhigen Plätzen  steht,  die  behaglich  und  froh 
wie  Innenräume  wirken,  sieht  und  erlebt 
jene  alte  Kultur,  die  als  Gotik  und  Renaissance 
hier  in  überraschender  Fülle  eine  für  die 
Ostseestädte  typische  Prägung  gefunden  hat. 
Das  alte  Stadtbild  ist  ein  Meisterwerk  städte- 
baulicher Kunst.  In  seiner  naiven  Selbst- 
verständlichkeit kann  es  geradezu  als  Schul- 
beispiel für  bewußte  moderne  Bestrebungen 
gelten.  Man  sieht  die  starken  Einflüsse,  die 
von  außen  kamen,  man  sieht  aber  auch  das 
Bodenständige  dieser  Kunst.  Und  hat  sich 
das  Auge  in  dieses  reizvolle  Spiel  von  Raum, 
Fläche  und  Linie  hineingelebt,  in  diese  weiche 
Schönheit  und  ruhige  Kraft,  so  bemerkt  es, 
daß  jener  alte  Geist  in  allerneuester  Zeit 
wieder  aufzuleben  beginnt. 


Augenscheinlich  wird  dies,  wenn  man  sich 
von  Südosten  der  von  dem  jüngst  erst  ge- 
fallenen Architekten  Weber  erbauten  Kirche 
in  Oliva  nähert.  Man  erkennt  den  Zusam- 
menhang mit  der  Tradition.  Die  Elemente 
der  einzelnen  Form  sind  noch  die  altüber- 
lieferten, aber  es  ist  die  Sprache  unserer 
Zeit,  die  aus  ihnen  redet. 

Ein  glückliches  Zusammentreffen  wollte 
es,  daß  der  Baugedanke  dieses  allzufrüh 
dahingegangenen  Künstlers  durch  die  Glas- 
malereien des  seiner  Kunstrichtung  konge- 
nialen Danziger  Malers  F.  A.  PFUHLE  seine 
innere  Vollendung  gefunden  hat. 

Man  mäche  sich  einmal  die  Grundelemente 
der  monumentalen  Kunst  der  Alten  klar, 
und  man  wird  finden,  daß  die  ihr  von  An- 
fang an  innewohnenden  architektonischen 
Linien-,   Farben-   und  Flächengesetze  auch 


298 


F.  A.  PFUHLE-DANZIG  KIRCHENFENSTER:  KREUZIGUNG 

Ausführung:  Puhl  &.  Wagner,  Gottfried  HeincrsdorlT,  Vereinigle  Werkstitten  für  Glasmalerei,  Berlin-Treptow 


hier  auf  das  glücklichste  erfüllt  scheinen. 
Hierwie  dort  wird  die  Fensterdurchbrechung 
in  die  geschlossene,  das  Raumbild  erzeu- 
gende Flächenwirkung  der  Wände  hinein- 
bezogen. 

Daß  man  nicht  immer  diesem  Ideale  nahe 
kam,  am  wenigsten  vielleicht  in  dem  ver- 
gangenen Jahrhundert,  von  dem  Jakob  Burck- 
hardt  meint,  es  habe  das  Pensum  der  Ver- 
gangenheit noch  einmal  aufsagen  müssen, 
zeigt  am  besten  die  Geschichte  der  Glas- 
malerei. 

Sie  lehrt  allgemein  gesagt,  daß  die  Glas- 
malerei, eine  Synthese  von  Kunstgewerbe 
und  hoher  Kunst,  dort  ihre  höchste  Vollen- 
dung zeigt,  wo  sie  jedesmal  dem  architek- 
tonischen Organismus  entsprechend,  das  Auf- 
gehen der  künstlerischen  Forderungen  in 
die  des  Kunstgewerbes  zeigt. 

Der  Weg  zur  Erfüllung  dieser  Bedingung 


scheint  in  den  Glasbildern  F.  A.  Pfuhles 
überraschenderweise  gefunden  zu  sein.  Sein 
gesamtes  künstlerisches  Schaffen,  ausgehend 
vom  Dekorativ-kunstgewerblichen,  zeigt  bei 
einer  sicheren  Beherrschung  des  Aktes  das 
Streben  nach  monumentaler  Wirkung.  Diese 
drei  Faktoren,  heute  bewußt  angestrebt, 
waren  der  Kernpunkt  der  mittelalterlichen 
Glasmalereien.  Hinzu  kommen  die  Forde- 
rungen des  Augenblicks.  Vorläufig  sollte 
jedesmal  nur  der  untere  Teil  eines  jeden 
Fensters  seinen  malerischen  Schmuck  er- 
halten, so  daß  der  christologische  Zyklus 
von  Geburt,  Kreuzigung,  Auferstehung  und 
Himmelfahrt  gleichsam  wie  ein  Fries  den 
Chorabschnitt  begleitete. 

Die  Folge  müßte  ein  allzu  starkes  Ein- 
strömen von  Licht  durch  die  darüber  lie- 
genden Fensterteile  sein.  Es  ist  das  Ver- 
dienst  des  Künstlers,   daß  er  mit  wenigen 


299 


F.  A.  PFUHLE-DANZIG  KIRCHENFENSTER:  AUFERSTEHUNG 

Ausführung:    Puhl  &.  Wagner,  Gottfried  Heinersdorff,  Vereinigte  Werkstätten  für  Glasmalerei,  Berlin-Treptow 


Mitteln  aus  der  Not  eine  Tugend  machte, 
indem  er  den  Hauptton  auf  die  Verwendung 
des  Schwarzlot-Ueberzuges  legte  und  nur 
wenige  Farben  nach  rein  dekorativen  Ge- 
sichtspunkten zur  Anwendung  brachte.  Da- 
durch wurde  bei  genügender  Durchlässig- 
keit von  Licht  dennoch  der  raumabschlie- 
ßende Charakter  der  Fenster  aufs  beste  ge- 
wahrt. Unterstützt  wird  dieses  Streben 
durch  die  auf  der  sicheren  Beherrschung  des 
Aktes  beruhende  Zurückführung  des  Körper- 
lichen auf  wenige  große,  charakteristische 
Linien,  die  so  vorzüglich  sich  den  notwen- 
digen Bleiruten  anpassen.  Alles  Materielle 
scheint  damit  negiert  und  eine  unmittel- 
barste Ausdrucksfähigkeit  wird  erreicht, 
die  in  ihrer  dekorativ  bedeutenden  Wir- 
kung zu  monumentaler  Größe  wächst.  Bei 
alledem  ist  die  Nähe  Hodlers  unverkenn- 
bar.     Besonders    deutlich    wird    dies    bei 


einer  Gestalt  wie  der  klagenden  Magda- 
lena vor  dem  Kreuz  (Abb.  S.  299)  und  den 
in  staunendem  Entsetzen  zurückweichenden 
Wächtern  vor  dem  in  mystischem  Glänze 
Auferstehenden  (Abb.  S.  300).  Sieht  man  dann 
weiter,  mit  welcher  ekstatischen  Inbrunst 
die  Jünger,  erdenschwer,  ihrem  gen  Himmel 
fahrenden  Herrn  und  Meister  nachschauen 
(Abb.  S.  301),  so  denkt  man  an  die  in  ihrer 
köstlichen  Naivität  und  der  Kraft  des  künst- 
lerischen Erlebnisses  wundervollen  Fenster 
von  Saint  Pierre  in  Poitiers.  Auch  kompo- 
sitioneil ist  diese  Gruppe  ein  Meisterwerk. 
Das  durch  die  Vierteilung  der  Fenster  jedes- 
mal bedingte  Aus-der-Mitte-rücken  der  Haupt- 
figur erscheint  hier  durch  die  Verteilung  der 
Massen,  die  geschickte  Verwendung  von 
Überschneidungen,  das  Ausgleichen  von  Ver- 
tikale und  Horizontale  und  das  zu  über- 
raschender Wirkung  gesteigerte  Verwenden 


300 


F.  A.  PFUHLEDANZIG 


KIRCHENFENSTER:  HIMMELFAHRT 


Ausführung:   Puhl  &  Wagner,  Gottfried  Heincrsdorff,  Vereinigte  Werl(StStlen  für  Glasmalerei,  Berlin-Treptow 


der  Diagonale  bis  auf  das  letzte  ausgegli- 
chen. Es  ist  außerordentlich  reizvoll,  zu 
beobachten,  wie  es  dem  Künstler  geglückt 
ist,  von  Darstellung  zu  Darstellung  bemüht, 
sich  mit  dem  Problem  des  Glasstiles  aus- 
einanderzusetzen, für  die  letzte,  auch  inhalt- 
lich den  Höhepunkt  darstellende  Szene  die 
künstlerisch  vollendetste  Lösung  zu  finden. 
Das  läßt  sich  bis  ins  Detail  hinein  verfol- 
gen. Betrachtet  man  einen  Ausschnitt  wie 
den  des  Pantokrator  aus  der  „Himmelfahrt", 
so  sieht  man  deutlich,  wie  Konturbleie  die 
verhältnismäßig  großen  Scheiben  rahmen 
und  gleichzeitig  das  Lineare  des  Körpers 
aufs  stärkste  betonen,  wie  Notbleie  anderer- 
seits ihren  Charakter  mit  rücksichtsloser 
Konsequenz  offenbaren  und  gerade  dadurch 
auch  die  feinere  Linienführung  der  Zeichnung 
zu  ihrem  Rechte  kommen  lassen.  Eine  weise 
Beschränkung     in     der    Verwendung     des 


Schwarzlotes  und  eine  geschickte  Wahl  der 
blasigen  und  gehobelten  Antikglasscheiben 
vermeiden  eine  zu  starke  Modellierung  des 
Körperlichen  und  überlassen  den  Haupt- 
eindruck dem  durch  die  Macht  des  Lichtes 
zu  hoher  Kraft  gesteigerten  Ausdruck 
seelischen  Empfindens.  Daß  diese  Schöpfung 
für  eine  evangelische  Kirche  gedacht  ist, 
mag,  abgesehen  von  der  schlichten  Größe 
der  Darstellungen,  eine  vom  Künstler  ge- 
wollte Ähnlichkeit  des  in  diesem  Fenster 
rechts  stehenden  Jüngers  mit  Luther  kenn- 
zeichnen. 

Fast  gleichzeitig  mit  dieser  sakralen  Schöp- 
fung entstand  im  Innern  Danzigs  die  von 
A.  Carsten  erbaute  westpreußische  Feuer- 
sozietät.  Hier  war  es  für  unseren  Künstler 
vielleicht  noch  schwerer,  die  drei  für  das 
Treppenhaus  geschaffenen  Fenster  den  For- 
derungen moderner  Glasmalerei  anzupassen. 


Dekorative  Kunst.     XIX.    9.     Juni  1916 


301 


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F.  A.  PFUHLE-DANZIG 


AUSSCHNITTE  AUS  DEN  KIRCHENFENSTERN 


Daß  es  ihm  glückte,  bei  hinreichender  Durch- 
lässigkeit von  Licht  mit  der  Darstellung 
des  von  einer  Wolke  herab  feuerlöschenden 
St.  Florian,  den  rechts  und  links  allegori- 
sche Scenen  begleiten,  eine  dekorativ  und 
symbolisch  gleich  gute  Wirkung  zu  erzie- 
len, darf  als  ein  besonderes  Verdienst  be- 
trachtet werden. 

Die  Darstellungen  sind,  dem  Charakter 
des  Baues  entsprechend,  im  Empire-Ge- 
schmack gehalten.  An  dem  leichten,  den 
Hintergrund  abschließenden  Gerüst  winden 
sich  und  züngeln  die  Blätter  gleich  Flämm- 
chen  empor,  eine  Illusion,  die  durch  ihre 
rötlich-braune  Farbe  noch  unterstützt  wird. 
In  diesem  leichten  Rahmenwerk  steht,  den 
Haupteindruck  beherrschend,  hoch  aufgerich- 
tet eine  Frauengestalt,  von  spielenden  Kin- 
dern umgeben,  deren  eines  sie  selbst  auf 
ihrer  Linken  trägt  —  das  Ganze  ein  Sym- 
bol des  Lebens  (Abb.  S.303).  Geht  man  so 
von  dem  Gesamteindruck  zu  der  Betrach- 
tung des  einzelnen  über,  dann  findet  man 
auch  hier  in  den  Köpfen  einen  seelischen 
Gehalt,  den  man  mit  klassischer  Schönheit 
bezeichnen  möchte. 


Es  ist  mehr  als  ein  Zufall,  daß  mit  dem 
Streben  unsrer  Zeit  nach  dem  Monumen- 
talen die  Kenntnis  der  alten  Technik  der 
Glasmalerei  wieder  auflebt.  Der  Stilwille, 
der  neue  Bahnen  in  Architektur,  Malerei 
und  Kunstgewerbe  einschlägt,  vergönnt  hier 
einen  Blick  in  seine  innere  Struktur.  — 

An  dieser  Stelle  ist  es  unumgänglich,  der 
großen  Verdienste  von  Heinersdorff-Berlin 
und  seiner  Werkstatt  zu  gedenken.  Eine  ge- 
naue Kenntnis  des  vorzüglichen  Materiales 
und  der  Technik  der  Alten,  getragen  von 
modernem  Geiste,  läßt  ihn  aus  den  Forde- 
rungen der  Gegenwart  eine  sklavische  Nach- 
ahmung der  alten  Scheiben  in  der  aus  ihrer 
Zeit  geborenen  Formensprache  vermeiden 
und  die  besten  und  persönlichsten  Arbeiten 
unserer  Zeit  betonen. 

So  sind  die  Danziger  Glasmalereien 
F.  A.  Pfuhles  alles  in  allem  ein  vielverspre- 
chender Erfolg  des  vorbildlichen  Zusammen- 
arbeitens  von  Künstler  und  Handwerker, 
wie  es  in  den  Werkstätten  von  Heinersdorff 
im  Anschluß  an  die  besten  Überlieferungen 
vergangener  Jahrhunderte  gepflegt  wird. 

Martin  Konrad 


302 


F.  A.  PFUHLE,  DANZIG  a  FENSTER  IN  DER  WESTPREUSZISCHEN  FEUERSOZIETAT,  DANZIG 
Ausführung:  Puhl  &.  Wagner,  Gottfried  HcincrsdorlT,  Vereinigte  Wcriistinen  für  Glumalcrei,  Bcrlin-Trtptow 


303 


ARCH.  RICHARD  BERNDL-MONCHEN    D    KRIEGSDENKMAL,  STEINBANK  UM  EINEN  ALTEN  BAUM 


KRIEGSDENKMAL-ENTWÜRFE  VON  RICHARD  BERNDL 


Seit  dem  Kriege  1870/71  hat  sich  beinahe 
ganz  Europa  einem  zügellosen  Denkmal- 
kult hingegeben,  dessen  wuchernde  Verbrei- 
tung allmählich  zur  Landplage  geworden  ist. 
Den  meisten  Werken  derart  fehlt  der  monu- 
mentale Sinn  und  Stil;  sie  leiden  an  barok- 
kem  Ueberschwang,  der  sie  um  Haltung  und 
Würde  bringt.  Die  moderne  Kunst  hat  auch 
hier  läuternd    gewirkt,   indem    sie  aus  den 


Wesenseigenschaften  des  Monumentes  den 
Anschluß  an  Geist  und  Form  der  besten 
Werke  vergangener  Zeit  gefunden.  Bis  jetzt 
sind  allerdings  solche  Schöpfungen  noch  in 
der  Minderzahl.  Das  kann  auch  durch  den 
Krieg  nicht  mit  einem  Schlag  anders  werden ; 
denn  man  krempelt  liebgewordene  Kunst- 
anschauungen, die  einem  gar  noch  Erfolg 
gebracht,  nicht  gerne  um.   Immerhin  berührtj 


304 


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ARCII.  RICHARD  BERNDL-MONCIIEN     Q     KRIEGSDENKMAL,  STEINKRANZ  UM  EINE  ALTE  LINDE 


es  schmerzlich,  daß  unter  den  zahllosen  Ent- 
würfen für  Schlachten-  und  Heldendenkmale 
so  weniges  sich  findet,  das  dem  Ernst  und  der 
Bedeutung  der  Sache  entspricht,  daß  die  un- 
freiwillige Muße,  die  der  Krieg  vielen  Künst- 
lern brachte,  nicht  im  Sinn  der  Vertiefung 
und  Verinnerlichung  gewirkt  hat.  Die  mei- 
sten begnügen  sich,  alte  Vorbilder  für  den 
neuen  Zweck  zurechtzumachen,  ohne  sie  auch 
nur  annähernd  zu  erreichen.  Immer  wieder 
tauchen  die  abgenützten  Allegorien  und  Sym- 


bole der  Antike  und  Renaissance  auf;  nur 
weniges  ist  aus  einer  bestimmten  Situation 
geschaffen;  die  verhältnismäßig  spärlichen 
Versuche,  mit  einfachsten  Mitteln  etwas  Wür- 
diges zu  schaffen,  sind  fast  ausnahmslos 
flüchtig,  äußerlich,  kümmerlich-dünne  Ein- 
fälle in  magerer  Form  und  ärmlicher  Stim- 
mung. Die  Mängel  dieser  letzteren  Gruppe 
sind  um  so  bedauerlicher,  als  bei  dem  auDer- 
ordentlichen  Massenbedarf  vor  allem  aus- 
gereifte Typen   schlichter  und   doch   wirk- 


305 


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samer  Art  notwendig  sind.  Für  solchen 
Zweck  genügt  nichtirgend  ein  zeichnerischer 
Einfall,  hier  führt  nur  liebevoll  sich  versen- 
kende Kleinarbeit  zum  Ziel  —  auf  Grund 
einer  besonderen  Begabung,  die  der  noch 
lange  nicht  erwiesen,  der  gelegentlich  einen 
Grabstein  entworfen 
oder  eine  bescheidene 
Denkmalkonkurrenz 


gewonnen 


hat. 


Unter  dem  Selte- 
nen, das  man  ausge- 
führt sehen  möchte, 
befinden  sich  die  Stu- 
dien und  Entwürfe 
des  Münchener  Ar- 
chitekten Professor 
RICHARD  BERNDL. 
Sie  zeichnen  sich  aus 
durch  ein  klares, 
kräftiges  Erfassen 
und  Gestalten  ganz 
bestimmter  Gedan- 
ken, die  mit  wenigen 
Mitteln  auf  eine  stim- 
mungsvolle Form  ge- 
bracht sind. 

Zunächst  das  „Ge- 
dächtniskreuz fürGe- 
fallene  eines  ober- 
bayerischenGebirgs- 
dorfes"  (Abb.  S.  307), 
womit  zugleich  dem 


RICHARD  BERNDL-MONCHEN  13  GEDACHTNISKREUZE 
IM  KAMPFGEBIET  DES  HOCHGEBIRGES 


religiösen  Sinn  des  Volkes  und  seinen  Ge- 
wohnheiten Rechnung  getragen  wird.  Das 
Wegkreuz,  das  auch  sonst  sehr  beliebt  ist, 
das  über  Wiesen  und  Felder  hinwinkt,  am 
Kirchweg  und  an  der  Fahrstraße  steht,  eig- 
net sich  jedenfalls  in  besonderer  Weise  zur 

Gedächtnisstätte  für 
die  in  der  Ferne  Ge- 
fallenen: man  verei- 
nigt sich  gerne  mit 
ihnen  im  Gebet  und 
erträgt  so  leichter 
ihren  Verlust.  Kunst 
und  Leben  greifen 
unmittelbar,  gleich- 
sam naturhaft  inein- 
ander. Die  derben 
Formen  passen  ins 
Freie,  das  oft  rauhes 
Wetter  durchstürmt; 
farbig  gefaßt,  mit 
Blau,  etwas  Rot  und 
Gelb,  die  weißen  Ta- 
feln mit  grünen  Krän- 
zen umsäumt,  wirkt 
solch  ein  Kreuz  fest- 
lich und  als  Schmuck 
der  Landschaft.  In 
einem  Steinkranz  und 
einer  Steinbank  um 
altehrwürdige  Bäume 
(Abb.  S.  304  u.  305), 
die  seit  Generationen 


306 


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RICHARD   BERNDL-MONCHEN    □    GEDACHTNISKREUZ  FOR  GEFALLENE  EINES  CEBIRGSDORFES 


307 


RICHARD    BERNDL-MONCHEN     G 
WAPPEN  UND  FIGUR  IN  BRONZE 


KRIEGSDENKMALE    IN    STEIN 


denkt  hierbei  vor  allem  der  dort 
heimischen  Truppenteile,  deren 
Namen  mit  den  Hauptereignissen 
die  Schilder  verkünden  sollen.  Es 
liegt  etwas  treuherzig  Volksmäßi- 
ges in  solch  schlichter,  einheimi- 
scher Zimmermannskunst. 

In  ähnlicher  Weise  könnte  im 
baumarmen,  aber  steinreichen 
Karstgebiet  die  erfolgreiche  Ab- 
wehr welscher  Begehrlichkeit 
durch  Denksteine  gefeiert  werden. 
Kraftvoll  stilisierte  Bronzeadler 
künden  mit  einem  hl.  Georg  oder 
Michael,  christlichen  und  kriegeri- 
schen Abzeichen  das  Zusammen- 
wirken religiöser  und  nationaler 
Gesinnung  für  einen  wahrhaft  hei- 
ligen Kampf.  Knappe  Angaben 
über  die  Kämpfe  und  Kämpfenden 
wirken  in  markiger  Schrift  als  Ur- 
kunden und  sachliche  Zier. 

Da  und  dort  kann  ein  wuchti- 
ges Holzkreuz  (Abb.  S.  309)  mit 
dem  bayerischen  Wappen  von  den 
besonderen  Leistungen  dieses  tap- 
feren deutschen  Stammes  ehrendes 
Zeugnis  geben. 


als  Wahrzeichen  in  der  Gegend 
stehen  und  ein  Opfer  des  Erwerbs- 
sinnes zu  werden  drohen,  ver- 
knüpft sich  gesunde  Heimatpflege 
mit  der  Heldenverehrung.  Dem 
Bauern,  der  durch  seine  vielfache 
Abhängigkeit  von  der  Natur  die- 
ser nicht  immer  gut  gesinnt  ist, 
sie  mehr  nach  ihrer  Nutzbarkeit 
als  Schönheit  wertet,  ersteht  aus 
solchem  Schutz  und  Schmuck  mit 
dem  Gedanken  an  gefallene  An- 
gehörige und  Freunde  ein  ehr- 
fürchtigeres Verhältnis  zur  Natur. 
Auch  der  Wanderer  wird  davon 
nachdenklich  gestimmt:  das  Knos- 
pen, Prunken  und  Verwelken  der 
mächtigen  Laubkronen  kündet  den 
Rhythmus  von  Leben  und  Tod  in 
ewiger  Wiederkehr. 

Wie  im  waldreichen  Gebirge 
Tirols  verschiedene  Kampfpunkte 
dem  Gedächtnis  festgehalten  wer- 
den können  —  wiederum  im  An- 
schluß an  das  Gebetsbedürfnis  der 
umwohnenden  Bevölkerung  —  zei- 
gen einfach  gezimmerte  Kreuze 
(Abb.  S.  306).     Der   Künstler  ge- 


308 


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Dekorative  Kunst.  XIX.    4.    Juni   1916 


309 


Fürdendunk- 

lenHintergrund 

der      östlichen 

Waldbestände 

empfehlen  sich 

gedrungene, 
breit  gelagerte 
Klötze,  die  als 
mächtige  Hüter 
von  Massengrä- 
bern den  monu- 
mentalen Zug 
jener  Riesen- 
schlachten kom- 
menden Ge- 
schlechtern kün- 
den(Abb.S.311). 
An  der  Küste 
könnten  in  ähn- 
licher Weise 
einfache  Blöcke 
mit   stilisierten 

Schiffskielen 
die       ruhmrei- 
chen   Taten   unserer   Flotte    verherrlichen. 
Man  sieht,  all  diesen  Entwürfen  eignet  die 


starke  Versen- 
kung in  die  be- 
sonderen Ver- 
hältnisse,   eine 

gemüthafte 
Durchdringung 
und  knappe 
Form,  ebenso 
angemessender 
Größe  dieses 
Völkerringens 
wie  der  prak- 
tischen Durch- 
führbarkeit, 
auch  mit  be- 
scheidenen Mit- 
teln. Wenn  wir 
in  solcher  Art 
die  furchtbare 
Gegenwart  den 
Späteren  über- 
liefern, werden 
sie  von  dem 
Ernst  unserer 
Gesinnung  wie  unserer  Kunst  Achtung  ha- 
ben und  sich  ihrer  würdig  zu  erweisen  suchen. 

Jos.  Popp 


RICHARD  BERNDL  G  ENTWÜRFE  PCR  DENKSTEINE  AN  DER  KÜSTE 

310 


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MELITTA  LÖFFLER-WIEN 


STICKEREI  IN  BUNTER  WOLLE 


DIE  TEXTILARBEITEN  VON  MELITTA  LÖFFLER 


Die  persönliche  Aeußerung  in  derartigen 
Dingen  des  Kunsthandwerkes,  in  Kissen, 
Decken,  Kappen,  Beuteln,  unterliegt  einer  viel- 
fachen Beschränkung.  Material  und  Arbeits- 
weise kehren  wieder,  der  gleichbleibende  Zweck 
führt  zu  wenig  verschiedenen  Formen,  der 
Schmuck  wird  fast  zum  ausschließlichen  Aus- 
drucksmittel für  das  Besondere  der  Begabung. 
Sie  hat  dann  die  Linie  und  Farbe,  zunächst 
in  der  Fläche,  zu  ihrer  Verfügung. 

Bei  einem  solchen  Sachverhalt  scheint  die 
Schulung  fast  alles  leisten  zu  können.  Und 
wirklich  ist  der  Wiener  Kunstgewerbeschule  ge- 
rade auf  dem  Gebiete  textiler  Arbeit  in  den 
letzten  Jahren  ein  stattlicher  und  vortrefflicher 
Stock  von  Handwerkern  entwachsen,  der  Ent- 
wurf und  Ausführung  aus  dem  Eigenen  be- 
sorgt. Hält  man  ihn  etwa  gegen  den  Nach- 
wuchs an  Keramikern  —  gemeint  ist  auch  hier 
die  Masse  und  ihr  Gemeinsames,  nicht  das  Ein- 
zelne, —  dann  wird  es  recht  offenkundig,  daß 
der  Erziehungsdurchschnitt  dort  schon  jetzt 
einem  höher  gespannten,  fester  geschlossenen 


Niveau  näher  kommt.  Das  mag  sich  daraus  er- 
klären, daß  Handfertigkeit  und  Geschmack  für 
diesen  Arbeitsstoff  in  Wien  bodenständig  sind, 
daß  auch  das  Verständnis  des  Laienkäufers 
mittelbar  fördernd  eingreift  und  daß  hier  die 
grundgebende  Uebereinkunft  schwerer  wiegt  als 
der  persönliche  Einschlag.  Alle  Ursachen  ver- 
binden sich  zur  Erwirkung  eines  sozial  um- 
schriebenen Handwerkszweiges.  Und  es  ist  ein 
wesentlicher  Vorzug  der  Schulwerkstätte,  daß 
sie  den  positiven  Wert  solcher  Voraussetzungen 
gerade  hier  ganz  erkannt  und  planmäßig  genützt 
hat,  —  nur  daß  sie  innerhalb  dieser  gut  konser- 
vativen Haltung  auch  die  Keime  eigener  Künst- 
lerschaft im  Schüler  aufsuchte  und  in  einem 
wohltemperierten  Maße  pflegte.  Nur  so  er- 
reichte sie,  was  dieses  Handwerk  gewiß  schon 
heute  wieder  hat:  Kultur. 

Bei  Melitta  Löffler  hat  die  Linie  eine  be- 
sonders gelenkige  Beweglichkeit,  verlangt  nach 
hellen,  heiteren  Farben,  bringt  das  geometrische, 
blumige  oder  figürliche  Muster,  das  hier  einer 
strengeren   Stilisierung   widerstrebt,   zu    tonig 


312 


MELITTA  LOFFLER-WIEN 


STICKEREI  EINER  SEIDENEN  DECKE 


313 


abgestimmter  Geltung.  Vielleicht  ist  gerade 
die  Seide  der  Stoff,  in  dem  sich  die  feine 
Launigkeit  dieser  Begabung  am  entsprechend- 
sten  auslebt.     Sicher  gehört  sie  zum  Besten 


aus  dem  Erziehungskreise  der  Wiener  Kunst- 
gewerbeschule: Ursprüngliches  und  Kultivier- 
tes geht  hier  in  gegenseitiger  Förderung  zu- 
sammen und  in  eines  auf.  m.  e. 


MELITTA  LÖFFLER-WIEN 


STICKEREIEN  IN  BUNTER  WOLLE 


314 


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mmt^t  iox  Me  (!>f hkw.  ilnt^rofi- 
m  'Hamen  bei'  ^r^&ty^atai^n»  h» 


tttaior  iinÄ  Aommanftciir. 


Berlin,  6«tt  7.  T^prit  1010. 


HERMANN  WIDMER-BERLIN     G     ADRESSE  AUF  PERGAMENT  PCR  FELD.MARSCHALL  VON  HINDENBURG,  CBER- 

REICHT  VOM  J.  GARDE-REGIMENT  ZU  FUSZ,  BERLIN 


315 


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bririam  feine  |?Imtlichenlü!tartidti>rinBorliu 
öronau,  Conöon,pen3ancc.  Binftcröam,  ßonm» 
I)aoea5fochl)olm,a)rlftiflniaino5kau.nßra-yorh 

3um60.6eburt9taaß 

Me  liewüctiftcn  ßlücfttnünrcheöar. 

Der  25.  Ouni  1014  ift  ein  THarhrtein  auf  el« 
nem  erfolobehrän^tm  Ccbenatncoc  unb  ein 
^rntetaa  öer  Irene  unö  Des  Dankes.  Üaf5  jTcl) 
an  öiefem  Ji^iertaoe  eine  fo  aro|5e5char  non 
Oertretern  nerfcliieöener  Bemfe-ßaufleute, 
Cliemiker/nfleöi3iner,Cluri|ten,IecI)nikcr,ßünft'' 
ler-la  einem  Barnen  ^ufammenfinöenift Der 
|tcl|tbareBeroei6fürDieQjeitDer3Ujeiate,umraf 
fenöelätigkeitöeö  Gefeierten. 
mittDeitemBUct\,l\ül)nemUnternetimuno5« 
|Tl  finn.njeirerBbfcl)ät3unij  aller  Ütöalidikev 
ten,aroi3er  lüenfclienkenntniö  unD  tDunöerba= 
rer  RaftlofioKeit  bat  f^err  oon  tOülfing  einBerk 
aefcbaffen.  an  Dem  fiel)  beteiliaenou  können  fiun- 
öerten  dne  freuDig  erfüllte  CeDeneaufoabe  beöeu« 
tetunö  Die  ßJirkung  feiner  Untemebmunoen 
erftreckt  fiel)  auf  alle  teile  Der  fiulturroelt 
Hlöocaucli  fernerbin  5eaenruben  auf  ibm,  feinem 
fiaufe  unö  feiner  Brbeit! 


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HERMANN  WIDMER-BERLIN 


ADRESSE  AUF  PERGAMENT  FÜR  HERRN  JOH.  A.  VON  WOLFING 


316 


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ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN 


LANDHAUS  IN  NEUBRUCK:  STRASZENSEITE 


ROBERT  OERLEY 


Die  Art  Robert  Oerleys  steht  zwischen 
den  Richtungen  der  neuen  Wiener  Bau- 
kunst, ist  keiner  Partei,  keinem  Programm 
verschrieben,  sondern  sucht  den  geraden  Ver- 
kehr mit  der  Besonderheit  der  jeweiligen 
Aufgabe.  Wenn  man  in  der  ansehnlichen 
Reihe  seiner  bisherigen  Bauten  die  Herkunft 
ihres  Unterschiedes  bestimmen  wollte,  müßte 
man  vor  allem  auf  die  bewußte  Unterord- 
nung hinweisen,  die  hier  das  Verhältnis  von 
Objekt  und  Persönlichkeit  regelt.  Bauort 
und  Bauzweck  legen  für  die  Einsicht  dieses 
Künstlers  einen  Rahmen  fest,  in  den  er  sich 
selber  stellt,  den  er  beherrscht,  indem  er 
ihm  dient.  Und  die  Entwicklung  seines  Wer- 
kes läßt  sich  wesentlich  an  dem  gesteiger- 
ten Maße  ablesen,  in  dem  sich  die  Aufgabe 
nach  ihren  Bedingungen  darstellt.  Dabei 
geht  durch  allen  Wechsel  der  Leistungen 
als  verbindender  Zug  die  klare  Männlich- 
keit des  Urhebers. 

Robert  Oerley  ist  1876  in  Wien  als  Sohn 
eines  Großtischlers  geboren.  Zum  Nach- 
folger im  väterlichen  Betrieb  bestimmt,  hat 
er  zunächst  das  Tischlerhandwerk  gelernt 


und  als  Zögling  der  Wiener  Kunstgewerbe- 
schule ihre  damals  recht  internationale  Gang- 
art in  allerhand  Stilen  mitmachen  müssen. 
Der  Unterricht  traf  nur  insofern  einen  leben- 
digen Strang  dieser  Jugend,  als  er  zum 
Handwerk,  zum  Selbermachen  führte.  Auch 
späterhin  bewies  sich  Lust  und  Vermögen 
zu  einer  unmittelbaren  Auseinandersetzung 
mit  dem  Stoffe  in  der  besonderen  Ansfellig- 
keit  des  Künstlers,  die  sich  in  jedem  Hand- 
werk leicht  zurechtfand  und  aus  diesem 
tätigen  Umgang  Erfahrungen  schöpft,  die 
auch  dem  leitenden  Architekten  vielfach  zu- 
statten kommen.  Aber  das  übrige  Schul- 
wesen stieß  bald  auf  den  Widerstand  einer 
noch  durchaus  unklaren  Begabung.  Neben 
dem  Selbermachen  gab  es  doch  zuviel  des 
Nachmachens,und  dieser  überwuchernde  Teil 
der  Erziehung  trieb  den  Ratlosen  in  ein  Feld 
der  Kunst,  auf  dem  das  Selber  alles  gilt. 
Oerley  wird  Maljünger  und  geht  den  Büß- 
gang aller  jungen  Deutschen,  nach  Italien. 
Mehr  als  ein  Jahr  bleibt  er  dort.  Was  er 
hier  getrieben  hat,  ist  für  sich  recht  belang- 
los und  auf  den  ersten  Blick  seinem  späteren 


Dekorative  Kunst.  XIX.     lo.    Juli   iqi6 


317 


41 


ARCll.  ROBERT  OERLEY-WIEN 


LANDHAUS  IN  NEUBRUCK  :  GARTENSEITE 


Werke  völlig  fremd.  Er  malt  Veduten.  Ein 
kleiner  Rest  davon  ist  mit  einer  Schenkung 
in  die  Moderne  Staatsgalerie  gekommen. 
Man  sieht  daran,  daß  Rudolf  von  Alt  da- 
mals in  der  höchsten  Gunst  des  Publikums 
und  der  Maler  steht,  die  ihm  schlecht  und 


recht  nacheifern.  Aber  es  war  doch  ein 
erster,  freilich  ganz  unbewußter  Schritt  zur 
Architektur,  wenn  auch  an  diesen  Stücken 
nichts  gebaut,  auch  nicht  nachgebaut  ist, 
sondern  alles  bloß  auf  eine  nette  Wirkung 
in    der   Fläche   bedacht.     Dann  entscheidet 


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ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN  □  LANDHAUS  IN  NEUBRUCK:  GRUNDRISSE  VON  ERD-  U.  OBERGESCHOSZ 

318 


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41* 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN  LANDHAUS  IN  NEUBRUCK:  WOHNDIELE 

Ausführung  in  FöhrenhoU :  Richard  Ludwig;   der  Polstermöbel:  Leopold  Loevy,  Wien 


eine  Baukonkurrenz  im  Familienkreise  für 
den  künftigen  Weg.  Der  Vater  will  ein 
Stadthaus  bauen,  der  Baumeister  bringt  Archi- 
tektenpläne, der  junge  Oerley  findet  sie  mi- 
serabel und  soll's  nun  zur  Strafe  besser 
machen.  Er  versucht's  und  es  wird  besser. 
Das  läßt  ihn  selber  und  ein  paar  Nahe- 
stehende stutzig  werden,  und  jetzt  geht  es 
flott  ans  Nachlernen.  Freunde  aus  der 
Schule  der  Wiener  Technik,  namentlich  aus 
der  Richtung  Tetmajers,  werden  willige  und 
gründliche  Helfer,  der  praktische  Erziehungs- 
rest bewährt  sich  jetzt  auf  neuer  Bahn,  Ge- 
schick und  Sinn  fürs  Handwerk  tun  das 
Uebrige.  Ueber  Jahr  und  Tag  ist  der  Bau- 
meister fertig  und  setzt  sich  in  einer  nach 
Art  und  Zahl  gleich  stattlichen  Reihe  von 
Werken  durch.  Man  wird  schon  in  diesem 
Weg  genug  vom  Notwendigen  und  Beding- 
ten finden,  das  den  Griff  und  die  Auffassung 
seiner  späteren  Arbeit  miterklärt. 

Auch  ihm  blieb,  wenigstens  vorderhand, 


die  Mitwirkung  gerade  an  dem  wichtigsten 
Problem  moderner  Baukunst,  an  dem  groß- 
städtischen Zinshause,  versagt.  Doch  konnte 
er  sich  in  einer  verwandten  Aufgabe  be- 
tätigen: 1908  entsteht  das  Sanatorium  Auers- 
perg  in  der  gleichnamigen  Straßedes  VI  I  I.Be- 
zirkes. Sonst  muß  er  sich,  wie  die  anderen 
vorgeschrittenen  Architekten  auch,  sein  Feld 
in  jenen  äußeren  Bezirken  suchen,  wo  der 
weniger  robuste  Unternehmerwille  und  der 
private  Bauherr  dem  Künstler  freieres  Spiel 
übrig  lassen.  Wo  die  offenere  Verbauung 
und  die  behördliche  Regelung  die  Eigenart 
des  Einzelwerkes  weniger  einschränken  und 
wo  zudem  der  Wunsch  des  Eigentümers, 
es  seinem  Nachbar  zuvorzutun,  jedenfalls 
aber  es  anders  zu  machen,  neben  allerhand 
üblen  Folgen  das  Gute  mit  sich  bringt,  daß 
sich  das  Persönliche  im  Auftraggeber  mit 
dem  Persönlichen  im  Baumeister  leichter  zu- 
sammenfindet. Oerley  baut  im  Döblinger 
Außenviertel  Mietvillen,  darunter  1906  das 


320 


ARCH.  ROBERT  OEKLEY-WIEN  LANDHAUS  IN  NEUBRUCK:  WOHNDIELE 

Ausführung  in  Föbrenholz:  Richard  Ludwig;  der  Polstermibel :  Leopold  Locvy,  Wien 


gekoppelte  Haus  mit  sechs  Wohnungen  in 
der  Lannerstraße,  Einfamilienhäuser,  dar- 
unter das  in  der  Türkenschanzstraße  des 
XVIII.  Bezirks  1907,  zuletzt  eines  inmitten 
einer  weitläufigen  Gartenanlage  in  Hietzing. 
Zwischendurch  hat  er  das  Landhaus  reich- 
lich gepflegt.  Namentlich  in  den  nördlichen 
Voralpen.  Seit  1910  entstehen  dort  solche 
Bauten  im  tirolischen  Kitzbühel,  bei  Neu- 
bruck  im  Erlaftal  und  in  Kalksburg  bei 
Rodaun. 

Voran  in  diesem  Werke  steht  die  offen- 
sichtliche Materialfreude.  Sie  begründet  auch 
zuallererst  die  lebhafte  Klarheit  und  den 
Wechsel  der  Erscheinungen,  ihre  kräftigste 
Aeußerung  findet  sie  in  der  gemischten  Ver- 
wendung von  Holz  und  Mauerwerk  an  dem- 
selben Gebäude,  —  bei  ländlichen  Aufgaben 
tektonisch  erklärt,  bei  städtischen  dekora- 
tiv herabgestimmt.  Für  den  Unterbau  wird 
gelegentlich  großkörniges  Flußgeröll  mit 
rustikalerWirkungindenAnwurf  gesetzt,  der 


Mauerkern  mit  tonigem  Edelputz  verkleidet, 
das  Dach  mit  grauem  Eternitschiefer  oder  mit 
alten,  rostroten  Ziegeln  eingedeckt,  deren 
satter  Verein  von  den  helleren  Flecken  neuen 
Backsteins  nur  noch  betont  wird.  Das  ergibt 
zusammen  jeweils  ein  starkes,  breit  abgesetz- 
tes Farbenspiel,  das  umso  ansprechender 
und  überzeugender  berührt,  als  es  das  Spiel 
der  Stoffe  sichtbar  macht  und  damit  auch 
die  einzelnen  Bauteile  und  die  Verschieden- 
heiten der  Bearbeitung  erkennen  läßt.  Der 
gewandte  Umgang  mit  den  Arten  moderner 
Bautechnik  und  ihre  besonnene  Zusammen- 
führung in  einem  Bauwerk  führt  zu  einer 
knappen  konstruktiven  Ausdrucksweise  und 
zu  einer  merklichen  Entlastung  der  Masse. 
Für  den  ländlichen  Bau  sind  zunächst 
die  Zusammenhänge  mit  den  örtlichen  und 
volkstümlichen  Gegebenheiten  bezeichnend. 
Das  Kitzbüheler  Landhaus  bedient  sich  noch 
auffällig  genug  der  bodenständigen  Mundart 
Späterhin  verlieren  sich  bei  ähnlichen  Auf- 


321 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN 


LANDHAUS  IN  KALKSBURG:  SEITENANSICHT  (vol.  S.  323) 


gaben  derartige  äußerliche  Anklänge,  aber  neuen  stofflichen  und  struktiven  Voraus- 
die  Form  bleibt  verwurzelt,  nur  daß  sie  aus  Setzungen  und  aus  der  großstädtischen  Art 
ihren  modernen  Baubedingungen  —  aus  den      des   Eigentümers    und   seines    Baumeisters 


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ARCH.  R.  OERLEY-WIEN    B    LANDHAUS  IN  KALKSBURG:  GRUNDRISSE  VON  ERD-  U.  OBERGESCHOSZ 


322 


323 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN  g  LANDHAUS  IN  KALKSBURG :  GARTENSEITE 


—  hergeleitet  wird.  Man  vergleiche  nur 
jenes  Tiroler  Landhaus  mit  dem  Kalksburger, 
das  zugleich  als  ein  freilebender  Landsitz  eine 
vermehrte  Selbständigkeit  für  sich  in  An- 
spruch nimmt.  Dabei  bleibt  auch  hier  der 
landschaftliche  Rahmen  und  das  nahe  gele- 
gene Siedlungsbild  nicht  nur  berücksichtigt, 
sondern  hat  seinen  deutlich  wirksamen  An- 
teil an  dem  ihm  beigeordneten  Neuergebnis. 
Im  außenstädtischen  Bezirke  spricht  diese 
Umgebung,  die  natürliche  und  verbaute,  we- 
niger bestimmend  mit,  da  hier  —  wie  die 
Dinge  leider  liegen  —  jedwedes  mehr  in 
sich  selber  lebt.  Das  Herrenrecht  des  Be- 
sitzers dokumentiert  sich  in  seiner  unter- 
schiedlichen Einmischung.  Bei  der  Errich- 
tung der  Villa  Schmutzer  (1911)  hatte  die- 
ses ständige  Widerspiel  der  Kräfte  einen 
hinlänglich  vernünftigen  Grund.  Ein  bilden- 
der Künstler  mit  ausgesprochenem  Gestal- 


tungssinn will  für  sich  ein  Heim,  das  zu- 
gleich seiner  Altwiener  Familientradition, 
seiner  Kunst  und  seinen  Sammlungen  eines 
werden  soll.  So  wird  das  Haus  ein  Ergeb- 
nis gemeinsamer  Arbeit,  die  beiden  Künst- 
lernaturen finden  sich  zu  liebenswürdigem 
Ausgleich.  Sowie  nun  solche  bestimmende 
Einflüsse  vom  Auftraggeber  her  aussetzen, 
verstärken  sich  auch  hier  wieder  die  per- 
sönlichen Züge  im  Werke  des  Architekten. 
Man  halte  nur  etwa  das  kleine  Einfamilien- 
haus in  der  TürkenschanzstraOe  gegen  die 
Gartenvilla  in  Hietzing.  In  den  wenigen 
Jahren,  die  dazwischen  liegen,  hat  der  Künst- 
ler das  vorsichtig  Tastende,  die  Umsetzung 
altdeutscher  Motive  in  neustädtische  Bau- 
formen, völlig  hinter  sich  und  gibt  aus 
eigener  Sicherheit  ein  Stattliches,  das  seine 
Wirkung  aus  dem  Einfachen  und  Einleuch- 
tenden schöpft.  Gerade  hier  treten  auch  die 


324 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN 


LANDHAUS  IN  KALKSBURC:  ESSZIMMER 


Auslührunt  in  Föhrcnhotz :   M6b«ltabrlk  F.  Michel,  Vicn 

l>.ko™tl»e  K.in«.  XIX.     lO.    Juli  tgi<  325 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN 


GARTENViOHiNHAUS  IN  WIEN-HIETZING  (vgl.  S.  327) 


326 


327 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN  GARTENWOHNHAUS  IN  WIEN:  DIELE 

Ausführung  der  Holzarbeiten:  Richard  und  Bernhard  Ludwig,  Wien 


Grundeigenschaften  der  Oerleyschen  Bau- 
lösungen —  der  straff  und  eindeutig  geführte 
Grundriß  und  die  Hervorhebung  des  zu- 
sammengehaltenen Baukörpers  bei  strenger 
Unterordnung  der  Glieder  —  besonders 
sprechend  hervor.  Der  Charakter  des  Gan- 
zen wird  scharf  herausgearbeitet,  was  ihn 
abschwächen  oder  irritieren  kann,  energisch 
unterdrückt. 

Diese  Grundeigenschaften  kehren  im  Haus- 
innern  wieder  und  bestimmen  die  übersicht- 
liche Aufteilung  der  Räume.  Sie  leben  sich 
bei  gemessener  Höhe  namentlich  in  der 
Breite  aus,  vermeiden  alles  Winkelwerk  und 
lassen  das  Licht  in  freier,  ungebrochener 
Flut  ein.  Das  Möbel  macht  diesen  einfachen, 
körperhaften  Schnitt  mit  und  kann  bei  der 
vollen  Geräumigkeit  der  Stuben  breit  ausla- 
den, ohne  dem  Auswirken  des  Innenraumes 
im  Wege  zu  stehen,  der  hier  ebenso  die 
Hauptsache  bleibt  wie  draußen  der  Bau- 
würfel.    Als  Ergebnis   bleibt  weniger  das 


intim-beschauliche  Interieur  als  die  ländlich- 
offene Behaglichkeit.  Sie  verrät  sich  als  ein 
wesentlicher  Trieb  dieses  Schaffens  auch 
in  jenen  Gartenanlagen,  die  — •  einerlei  ob 
sie  wie  bei  der  erwähnten  Doppelvilla  auf 
ebenem  Boden  spielen  oder  wie  am  Kalks- 
burger Hause  das  ansteigende  Gelände 
terrassieren  —  immer  die  natürliche  Frei- 
zügigkeit in  die  Hemmung  einfacher  geo- 
metrischer Bindungen  bringen. 

Der  jetzt  vierzigjährige  Künstler,  der 
spät  genug  sein  eigentliches  Arbeitsgebiet 
fand,  hat  die  Versuchs-  und  Werdezeit  hinter 
sich.  Seine  besondere  Vernünftigkeit  und 
sein  organisatorischer  Sinn,  der  sich  auch 
im  Bündlerwesen  der  Architektenschaft  — 
er  ist  Vorstand  der  „Gesellschaft  Oester- 
reichischer  Architekten"  —  reichlich  be- 
weist, verlangen  nach  ihrer  Natur  wirklich 
großstädtische  Aufgaben,  um  zur  Entfaltung 
ihrer  besten  Möglichkeiten  zu  kommen. 

Max  Eisler 


328 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN  GARTENWOHNHAUS  IN  WIEN:  KOCHE 

Ausfuhrung  der  Wandverkleidung  und  des  Bodenbelags:  Lederer  &  Nessenyi,  Wien 


ARCH.  ROBERT  OERLEY-WIEN     □     GARTENWOHNHAUS  IN  WIEN:  KINDERSPIELZIMMER 

Auslülirung:  Richard  Ludwig,  Mtbelfabrik,  Wien 


329 


ENTWURF:  JOSEF  HOFFMANN 


ENTWURF:  A.  ZOVETTI 


ENTWURF:  A.  ZOVETTI 


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ENTWURF:  G.  KAHLHAMMER 


LEINENSTOFFE  DER  WIENER  WERKSTATTE 

330 


L.  H.  JUNGNICKEL- 
WIEN 


FARBIGER  HOLZ- 
SCHNITT: LÖWE 


LUDWIG  HEINRICH  JUNGNICKEL 


Gegen  den  österreichischen  Charakter  der 
Kunst  L.  H.  Jungnicicels  ]<ann  auch  die 
Tatsache  seiner  oberfränkischen  Herkunft  nicht 
aufkommen.  Wäre  es  nicht  die  hier  altgeses- 
sene Freude  an  graphischer  Arbeit,  die  gleich- 
verteilte Lust  an  Holz  und  Metall,  dann  ließe 
sich  überhaupt  schwer  ein  fränkischer  Grund- 
ton aus  seinem  Werke  herauslesen.  Nur  die 
unbedingte  Hingabe  an  Material  und  Technik, 
aus  der  seiner  Kunst  jeder  Fortschritt  und 
jede  Erkenntnis  kommt,  dieses  Reifen  am  hand- 
werklichen Innewerden  wird  man  als  klaren 
Erbteil  seines  Stammes  ansprechen  können. 
In  diesem  Erdwinkel,  wo  Rhein  und  Donau 
im  harten  Streit  um  ihre  Nebenwässer  liegen, 
hatte  die  Unstetigkeit  des  Künstleis  von  alters 
her  ihre  Heimat.  Die  Wasser  lockten  zum 
Wandern.  Die  einen  zog  es  nach  West,  sie 
rief  eine  früher  befreite, rastlos  treibendeKultur 
aus  dem  gebundenen  Bergleben  ins  offene, 
regsame  Tal,  die  anderen  folgten  den  östlichen 
Flußwegen,  sie  sprach  das  unverbrauchte,  kaum 
erschlossene  Reich  der  gärenden  barbarischen 
und  gesitteten  Mischung  mit  vielen  Stimmen 
an.  Jeder  Schritt  der  Sonne  entgegen  schien 
sie  den  Wundern  und  Verheißungen  des  Ostens 
näher  zu  bringen.  Das  stammesbrüderliche  Blut 


machte  ihnen  den  Uebergang  leicht.  In  diesem 
Widerstreit  stand  auch  Jungnickel  von  Anfang 
an.  Er  war  früh  nach  Oesterreich  gegangen, 
meinte  dann  eine  Zeitlang  am  Rhein  seine 
Kräfte  entfalten  zu  können,  —  aber  er  litt  an 
der  ererbten  Sehnsucht  und  wurde  so  zuletzt 
doch  wieder  zum  Ostfahrer. 

Die  Akademie  in  Wien,  die  ihn  erzog,  hat 
in  den  letzten  zwei  Jahrzehnten  das  eigen- 
tümliche Geschick,  eine  volle  Reihe  starker 
Begabungen  mit  dem  Recht  des  Wörtlichen 
auf  sich  zurückzuführen,  wiewohl  sie  wesent- 
lich nur  wenig  oder  auch  nichts  mit  ihnen  zu 
tun  hat.  Zuweilen  nur  dies,  daß  ihre  stehende 
und  gleichmachende  Methode  doch  nicht  tief 
genug  an  den  ursprünglichen  Kern  greift,  um 
seine  Wurzeln  zu  verändern.  Daß  sich  trotz- 
dem viele,  die  ihre  Schüler  heißen,  schnell 
und  gerade  zu  ganzen  Persönlichkeiten  ent- 
wickeln, liegt  vor  allem  an  der  stillen  Mitarbeit 
einer  Außenströmung,  die  dem  Schulwesen  auf 
dem  Schillerplatz  beharrlich  und  entscheidend 
entgegenwirkt,  die  kräftige,  suchende  Jugend 
an  sich  zieht  und  nebenher  recht  eigentlich 
erzieht.  Das  ist  die  Strömung  um  Josef  Hoff- 
mann, der  zuletzt  fast  alles  anbeimfillt,  was 
bewegt    ist    und    bewegt  werden  will.     Auch 


331 


L.  H.  JUNGNICKEL-WIEN 


FARBIGER  HOLZSCHNITT:  FLAMINGOS 


Jungnickel  ist  in  diesem  Sinne  ein  Sprößling 
dieses  Kreises. 

Gerade  am  Gegensatz  zur  offiziellen  Rich- 
tung österreichischer  Graphik  wird  deshalb 
seine  Art  schlagend  erkennbar.  Die  Unger- 
Schule,  deren  Nachruhm  seitJahren  vom  Namen 
Ferdinand  Schmutzers  stattlich  fortgetragen  wird, 
hat  mit  ihm  nichts  gemein  und  innerhalb  ihres 
breiten  Anhanges  erscheint  dieser  Künstler 
geradezu  als  ein  versprengtes  Fremdstück.  Er 
ist  weder  repräsentativ  noch  gefällig,  er  schlägt 
ganz  aus  der  geläufigen  Art.  Aber  schon  die 
Vergegenwärtigung  Emil  Orliks,  von  dem  er 
viel  gelernt  hat,  stellt  seine  Verbindung  mit  dem 
österreichischen  Wesen  überzeugend  wieder 
her.  Gerade  worin  er  sich  am  weitesten  von 
Schmutzer  entfernt,  in  der  Notwendigkeit  jedes 


Werkes,  der  technischen  und  sinnlichen,  der 
Anlage  und  der  Wirkung,  gerade  darin  steht 
er  dem  Geiste  Orliks  am  nächsten.  Mit  ihm 
teilt  er  das  restlose  Aufgehen  im  graphischen 
Darstellungsmittei.  Und  innerhalb  dieser,  von 
seiner  weisen  Jugend  selbstgezogenen  Beschrän- 
kung nimmt  er  den  Schritt  zum  Ausschöpfen 
der  Ausdrucksmöglichkeit  jeder  technischen 
Spielart,  gewinnt  in  dieser  Enge  den  Reich- 
tum und  die  geschlossene  Kraft  seiner  Rede- 
weise, ohne  jemals  seinem  Temperament  den 
genialischen  Seitensprung  in  Fremdgebiet  zu 
verstatten.  Es  ist  die  Selbstkultur  einer  wohl- 
gebauten, straffen  und  strammen  Persönlich- 
keit, die  immer  ein  Ganzes  vermittelt,  weil 
sie  ein  Ganzes  ist  und  weil  sie  —  nach  dem 
Worte  Ibsens  —  nur  „in  ihrer  Materie  denkt". 


332 


L.  II.  JUNGNICKEL-WIEN 


FARBIGER  HOLZSCHNITT:  MARABUS 


Für  Jungnickel  ist  Wien  die  Grenz-  und 
Austragstätte  westöstlicher  Kulturen.  Der 
Groüstadtmensch,  der  im  Anschluß  an  den 
Fortschritt  des  Gemeinlebens  den  eigenen  be- 
gründet, verbraucht  den  westlichen  Einschlag, 
der  Künstler  in  ihm  greift  nach  den  Gaben 
des  Ostens.  Auch  er  hatte  zunächst  den  ferneren, 
asiatischen  Einfluß  verarbeitet,  -  es  war  ein 
Schulgang  wie  für  Orlik  —  ehe  er  der  näheren 
und  unmittelbar  erreichbaren  Quelle  an  den 
Leib  rückte.  Gerade  jetzt  ist  er  daran,  was 
er  in  den  bosnisch-herzegowinischen  Reichs- 
landen erfahren,  näher  durchzubilden,  die  über- 
strömende Fülle  des  neuartigen  Stoffes  durch 
die  Form  zu  überwinden.  Noch  ist  diese  neue, 
von  jeder  früheren  Abhängigkeit  befreite  Form 
nicht  klar  erkennbar,  der  Künstler  steht  mitten 
im  Kampfe,  sein  Stil  überwindet  eine  Krise. 


Aber  wir  haben  die  frohe  Zuversicht,  daß  sie 
zur  völligen  Selbständigkeit,  zu  restloser  Ori- 
ginalität führt. 

Gegenständlich  hat  er  in  seinem  bisherigen 
Werke  das  Tierstück,  technisch  die  Spritz- 
zeichnung zu  einer  Vollendung  gebracht,  über 
die  er  innerhalb  dieses  Rahmens  wohl  selber 
nicht  mehr  hinaus  kann.  Hier  liegt  der  «us- 
gereifte  und  erledigte  Teil  seiner  Arbeit  vor, 
und  er  ist  auch  im  absoluten  Sinne  eine  Höhen- 
leistung. Es  ist  kaum  denkbar,  den  Ausdruck 
in  diesem  Mittel  noch  weiter  zu  reduzieren, 
d.  h.  seine  Spannung  noch  einfacher  und  straffer 
zu  gestalten.  Die  Methode,  die  ihn  auf  dieser 
Bahn  zum  letzten  Ziele  führte,  war  Arbeit. 
Er  hält  auch  auf  den  anderen  technischen 
Wegen,  die  er  geht,  an  dieser  handwerkli- 
chen   Erfahrungssteigerung  fest  und    erweckt 


Dekorative  Kunst.    XIX. 


Juli  1916 


333 


4i 


L.  H.  JUNGNICKEL-WIEN 


RADIERUNG:  REHE 


damit  volles  Zutrauen  auf  ihr  stetiges,  unbe- 
irrtes  Reifen.  Von  der  früheren,  einfacher 
und  straffer  gehaltenen  Flächenrhythmik,  die  bei 
zuäußerst  reduzierter  Linienführung  und  mehr 
verhaltenen  Farbflecken  die  Sprache  der  weiß 
belassenen  Partien  hervortreten  ließ,  ist  er 
jetzt  —  wohl  infolge  seiner  Beschäftigung 
mit  Tapeten  —  zu  einer  satteren  und  beweg- 
teren Flächenfüllung  gekommen,  die  sich  zu- 
letzt nicht  mehr  im  Rahmen  des  Blattes  er- 
schöpft, sondern  als  ein  Muster  ohne  Ende 
darüber  hinausdrängt.  Reinere,  vollere  Wirkung 
geben  die  Beispiele  der  ersten  Art,  aber  in 
der  zweiten  wiegt  das  Selbständige  vor  und, 
da  wir  in  ihr  bloß  eine  Zwischenstufe  sehen, 
erhöht  gerade  sie  die  Spannung  auf  das  Kom- 
mende. Auch  nur  der  Wunsch  nach  Wieder- 
aufnahme der   älteren  Arbeitsweise   wäre  an- 


gesichts der  inneren  Notwendigkeit  dieses 
Künstlerweges  töricht,  — wir  wohnen  hier  einer 
erfreulichen  Selbstentfaltung  an  und  finden 
darin  Freude  und  Genügen. 

Hat  früher  die  Radierung  das  übrige  Werk 
nur  gelegentlich  und  unterstimmig  begleitet, 
so  scheint  sie  sich  gerade  jetzt  zum  gleichbe- 
rechtigten Ausdrucksmittel  zuentwickeln.  Schon 
äußere  Merkmale,  die  stärkere  Zahl  der  Nadel- 
arbeiten und  ihr  ins  Stattliche  wachsendes  For- 
mat, bekunden  dies.  Damit  geht  die  steigende 
Fülle  des  sinnlichen  Inhaltes,  die  ins  Reiche 
und  Strömende  schwellende  Bewegung  dieser 
Blätter  Hand  in  Hand.  Waren  sie  früher  im 
engen  Verbände  mit  dem  Stil  der  übrigen 
Techniken  verblieben,  so  gibt  sich  jetzt  gerade 
hier  der  Boden  einer  ersten  Auseinander- 
setzung mit  neuen  Gesichtserfahrungen,  neuen 


334 


L.  H    JUNGNICKEL-WEN 


RADIERUNG:  AUS  SARAJEVO 


rhythmischen  Problemen  zu  erkennen.  Nament- 
lich die  drei  jüngsten  großen  Blätter  aus  dem 
bosnischen  Milieu,  „  Die  Mädchen  aus  Sarajevo", 
„Der  Ziegenfelsen"  und  das  ,,Oesiliche  Straßen- 
bild",  wollen  als  erste  Angriffe  eines  neuen 
Akzentes,  der  Bewältigung  verschiedener,  aber 
immer  großer  Grade  der  Raumerscheinung 
und -bewegung,  genommen  und  geschätzt  sein. 
Sind  einmal  diese  Versuche  zu  ihrer  klaren, 
reduzierten  und  gesättigten  Form  gekommen, 
dann  wird  wohl  von  hier  aus  der  Holzschnitt- 
stil des  jungen  Meisters  wieder  einen  bestim- 
menden Fortschritt  erfahren. 

Ludwig  Heinrich  Jungnickel  gehört  zu  den 
köstlichen,  keimenden  Früchten  jener  Wiener 
Kunst,  die  Zeitkultur  ist.  Die  Gesundheit  und 


Tragkraft  des  Stammes  verbürgt  auch  seine 
reifende  Erfüllung.  Nichts  tut  dieser  Art  von 
Schaffen  mehr  not,  als  daß  sie  in  steter  Verbin- 
dung mit  dem  Baume  bleibt,  dem  sie  organisch 
angehört.  Nichts  könnte  den  natürlichen  Pro- 
zeß ihrer  geraden  Entwicklung  mehr  hemmen 
und  gefährden  als  die  Unterbrechung  dieses 
Zusammenhanges.  Und  so  bleibt  nur  zu  wün- 
schen, daß  Oesterreich  hier  Einem  die  Mög- 
lichkeit des  Bleibens  schafft,  der  dort  nach 
Wahl  und  Wesen  Heimrecht  gewonnen,  und 
daß  man  sich  eine  Kraft  nicht  entgehen  liQt, 
die  den  gleichmütigen  Gang  ihres  Faches 
wieder  in  vor-  und  aufwärts  führende  Voll* 
bewegung  bringt. 

Max  Eisler 


335 


43» 


ÖSTERREICHISCHE  WERKKULTUR 


Im  Juni  1912  tagte  der  Deutsche  Werkbund 
in  Wien.  Der  verdienstvolle  Hofrat 
Dr.  Adolf  Vetter  sprach  über  die  „Bedeu- 
tung des  Werkbundgedankens  in  Oester- 
reich".  Tagung  und  Rede  gaben  den  An- 
stoß zur  Gründung  des  Oesterreichischen 
Werkbunds,  die  am  30.  April  1913  vollzo- 
gen wurde.  Schon  im  Jahre  1914  zog  der 
Oesterreichische  Werkbund  als  geschlossene 
Organisation  zum  erstenmal  auf  Ausstel- 
lungen ;  in  Köln  und  in  Leipzig  legte  er  Zeug- 
nis ab  von  dem  Gesamtzustand  der  öster- 
reichischen Werkbundarbeit.  Das  Oester- 
reichische Haus  in  Köln  war  als  Ausstel- 
lungseinheit zweifellos  die  stärkste  Abtei- 
lung der  Ausstellung.  Trat  man  hier  ein, 
so  schlug  einem  wie  eine  hohe  Welle  der 
Eindruck  entgegen,  daß  man  sich  im  Um- 
kreis einer  auf  nationaler  Eigenart  ruhen- 
den alten  Kultur  befinde  und  ihrer  im  besten 
Sinne  zeitgenössischen  Auswirkungen  froh 
werden  dürfe.  Es  wurde  einem  offenbar, 
daß  die  echten  Künstler  dieses  Kreises 
das  Kühnste  und  Unerwartete  wagen  dür- 
fen, weil  sie  so  prachtvoll  fest  in  eine 
künstlerische  Tradition  eingebaut  sind,  deren 
sich  beispielsweise  die  in  Berlin  schaffen- 
den Werkbündler  nicht  erfreuen;  eine  Tra- 
dition, die  sich  ihrem  Schaffen  nicht  hem- 
mend mit  alten  Stilen  und  abgeklungenen 
Formen  in  den  Weg  stellt,  aber  ihnen  als 
Maßstab  für  die 
eigenen  Leistun- 
gen so  in  Fleisch 
und  Blut  überge- 
gangen ist,  daß 
man  an  Entglei- 
sungen gar  nicht 
glauben  kann. 

Ein  Dokument 
dieser  Arbeit  liegt 
nun  in  dem  Wer- 
ke „Oesterreichi- 
sche Werkkultur" 
(Kunstverlag  An- 
ton SchroU  &,  Co., 
Wien)  vor.  Es  faßt 
hauptsächlich  zu- 
sammen, was  in 
Köln  und  Leipzig 
gezeigt  wurde, 
aber  es  ist  nicht 
engherzig,  be- 
schränktsich  nicht 
auf  die  Werkkunst      l.  h.  jungnickel-wien 


im  engeren  Sinn,  sondern  greift  darüber 
hinaus  und  zeigt  Plastiken  und  graphische 
Arbeiten,  die  eigentlich  in  das  Gebiet  der 
freien  Kunst  gehören.  Breit  und  gründlich 
ist  die  Architektur  behandelt,  in  hinreichen- 
den Proben  kommen  Innenräume,  Möbel, 
Metall,  Keramik,  Glas,  Holz  und  Stein, 
Lederarbeiten,  Textilien,  Buchtechnik  u.  a. 
zur  Anschauung.  Aus  den  gezeigten  Ein- 
zelgegenständen steigt  in  feinen  Schwingun- 
gen der  Geist  auf,  aus  dem  heraus  diese 
Dinge  entstanden,  und  allmählich  hüllt  uns 
die  Atmosphäre  österreichischer  Kultur  ein, 
die  uns  auch  in  Köln,  im  Oesterreichischen 
Haus,  umgab.  Auf  zweieinhalbhundert  Seiten 
sind  in  geschmackvoller  Anordnung  etwa 
dreihundert  Gegenstände  abgebildet;  ein  fein- 
sinniger Begleittext,  den  der  um  das  Zu- 
standekommen des  Buches  in  erster  Linie 
verdiente  Universitätsdozent  Max  Eisler 
schrieb,  leitet  verständnisvoll  und  eigenartig 
in  das  Wesen  der  österreichischen  Werk- 
kultur ein.  Sozusagen  in  Terrassen  baut  Eis- 
ler das  Werkschaffen  Oesterreichs  vor  uns 
auf;  hat  man  seine  bei  aller  Kürze  der  Fas- 
sung überaus  belangreichen  Ausführungen 
gelesen,  so  glaubt  man  aus  einem  Privatissi- 
mum  über  angewandte  Aesthetik  zu  kommen. 
Künstler,  Lehrer  und  Schule  —  diese  Kapitel 
bilden  gewissermaßen  die  Grundlagen  des 
Essais;  Erzeuger,  Aussteller,  Händler  und 

Käufer  bezeichnen 
die  Entwicklungs- 
stufen hinein  in  die 
praktischen  Aus- 
wirkungen des 
Werkbundgedan- 
kens   und   in    die 

wirtschaftliche 
Geltung  der  Werk- 
bundware. Man 
wird  vorzüglich 
unterrichtet  und 
freut  sich,  daß  der 
Oesterreichische 
Werkbund  mitten 
im  Krieg  auf  diese 
vornehme  und  vor- 
bildliche Art  von 
seinem  Wesen,  von 
seiner  Vergan- 
genheit und  sei- 
nen Zielen  Kunde 
zu     geben    unter- 

RADIERUNG:  JUNGES  REH         nahm.  WOLF 


336 


ARCH.  E.  J.  WIMMER-WIEN 


Ausführung:  Wiener  VerkiKtle 


SILBERNE  VASE  UND  DOSE 


VON  DER  WIENER  WERKSTÄTTE 


Als  sich  kürzlich  bei  der  Ausstellung  öster- 
^  reichischer  Moden  und  Kunstgewerbe 
in  Stockholm  ein  merkwürdig  schneller  Kon- 
takt zwischen  dem  skandinavischen  Publi- 
kum und  der  süddeutschen  Darbietung  ergab, 
erinnerte  ein  schwedischer  Kritiker  an  all 
das,  was  in  den  letztvergangenen  Jahren  die 
Schaufenster  der  nordischen  Hauptstadt  unter 
der  Marke  der  Wiener  Werkstätte  gebracht 
hatten.  Und  er  fand  darin  den  Schrittmacher 
für  das  erobernde  Weltwesen  des  Wiener 
Kunsthandwerkes.  Die  Werkstätte  hatte  auch 
hier  ihren  schweren  Weg  gehabt,  war  auch 
hier  anfangs  verhöhnt  und  belächelt,  scharf 
bekämpft  und  schüchtern  verteidigt  worden. 
Aber  jetzt,  nach  Jahren,  erwies  sie  sich  als 
die  kräftige,  unverbrauchte  Wurzel  für  das 
allgemein  gewordene  Verständnis  unserer 
Wertarbeit  im  Auslande. 

Nicht  lange  vorher  war  es  auch  von 
reichsdeutscher  Seite  ausgesprochen  worden, 
daß  das  Kölner  Richtfest  unseres  Werkbun- 
des nach  Wert  und  Erfolg  ohne  die  voran- 
gegangene Leistung  der  Wiener  Werkstätte 
nicht  zu  denken  gewesen  wäre.  Es  kam 
hier  wie  in  Stockholm.  Die  ungemessene 
Arbeit  in  dem  entscheidenden  Zeiträume  des 
letzten  Jahrzehnts,  geschehen  unter  der  Miß- 
gunst oder  Gleichgültigkeit  der  näheren  und 
ferneren  Umgebung,  das  Versuchen,  Wagen 
und  Ringen,  war  zu  allererst  von  dieser 
Stelle  aus  besorgt  worden,  die  man  erst  jetzt 
mit  jedem  Rechtals  die  Werkstätte  des  neuen 


Wiener  Kunstgewerbes  bezeichnen  darf.  Die 
Ernte  fiel  und  fällt  nun  den  vielen  zu,  die 
an  dem  Mut  und  Ernst  des  Vorbildes  all- 
mählich Anschluß  gefunden  hatten. 

Das  ist  ganz  ohnetragischenBeigeschmack 
gedacht  und  auch  so  zu  nehmen.  Nicht  ein- 
mal als  Schicksal  jeder  werkkünstlerischen 
Originalität,  die  sich  in  weiter  greifende, 
weiter  wirkende  Bewegung  umsetzt,  sondern 
als  die  voraus  erkannte  Folge  eines  plan- 
mäßigen Willens.  Nach  wie  vor  ist  die  Wiener 
Werkstätte  nicht  zum  Ernten  für  sich  da, 
will  es  nicht  sein.  Die  Verbindung  hochge- 
sinnter materieller  Förderer  mit  einem  Künst- 
lerstand, der  die  kleinlich  rechtende  Eifer- 
sucht des  Urhebers  nicht  kennt,  sondern 
das  äußerste  Ziel  seines  Wirkens  gerade 
dann  erfüllt  sieht,  wenn  es  die  läuternde 
Anregung  in  weitere  tätige  Kreise  getragen 
hat,  führt  hier  zu  jener  selbstlosen  Form 
eines  Unternehmens,  die  anderswo  nur  als 
eine  ideale  Utopie  erscheinen  würde,  die  so 
nur  gerade  in  Wien  möglich  war  und  wirk- 
lich geworden  ist. 

In  jenem  Wien,  das  doch  jeder  selbstwil- 
ligen und  unnachgiebigen  Kunst  mit  festen, 
vorgefaßten  Urteilen  und  Entschlüssen  be- 
gegnet, das  ihre  Träger  verdrossen  oder 
unverdrossen,  niemals  aber  ganz  froh  wer- 
den laßt.  Die  Künstlerschaft  der  Werkstätte 
gehört  zur  Garde  der  Unverdrossenen.  Das 
liegt  nicht  bloß  an  ihrem  Führer,  sondern 
mehr  noch  an  dem  Zusammenschluß,  dem 


337 


ARCH.  E.  J.  WIMMER-WIEN 


BLUMENSCHALE,  IN  SILBER  GETRIEBEN 


ARCH.  E.  J.  WIMMER       e      SILBERNE  BLUMENVASE 

Ausführung:   Wiener  Werkstätte 


338 


die  Arbeit  Bekenntnis  ist.  Und  eben  darum 
kann  es  hier  kein  Schwanken  und  kein  Nach- 
lassen geben.  Es  ist  schon  ein  Mißverständ- 
nis, wenn  man  in  letzter  Zeit  ein  Zurück- 


weichen des  Künstlers  vor  dem  Verbraucher- 
geschmack wahrnehmen  wollte,  und  es  er- 
klärt sich  doch  wohl  mehr  aus  dem  Näher- 
kommen des  Verbrauchers,  der  durch  lange 


ARCH.  E.  J.  WIMMER-WIEN 


BLUMENSCHALE  UND  FROCHTEKORB 

Ausführung  in  getriebenem  Silber:  Wiener  WerksUile 


339 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


BLUMENSCHALE,  SILBER  GEBUCKELT 


Gewöhnung  erzogen  wurde.  Aber  es  ist  ein 
ganz  wesentlicher  Irrtum,  wenn  man  der 
Werkstättenarbeit  die  Annäherung  an  brei- 
tere Schichten  als  eine  Pflicht  ihrer  fortge- 
schrittenen Entwicklung  zumuten,  also  einen 
grundsätzlichen  Unterschied  zwischen  dem 
Beruf  ihrer  Gründerzeit  und  ihrer  Gegen- 
wart machen  wollte.  Das  Urhebende  war 
ihre  Wurzel  und  muß  ihr  Nerv  bleiben.  Sie 


nimmt  darin  keine  schwächliche  Rücksicht 
auf  sich  selber  und  braucht  sie  deshalb  auch 
nach  keiner  andern  Seite  zu  nehmen. 

Damit  hängt  es  auch  zusammen,  daß  man 
immer  wieder  die  Erwägung  vom  Verhält- 
nis des  individuellen  Werkes  und  sejner  so- 
zialen Bestimmung  an  dieses  Unternehmen 
geknüpft  hat.  Es  geschah  am  unrechten  Ort, 
wiewohl  das  hier  gepflegte  Kunsthandwerk, 


ARCH.  JOS.  HOFFMANN-WIEN  G   SILB.  FRUCHTSCHALE  MIT  PERLRAND 
Ausführung:  Wiener  Werkstätte 


340 


I 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


olLiihKNES  KAFFEEGESCHIRR 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN      13     SILBERNER  TAFELAUFSATZ 

Ausführung:  Wiener  Werkst*tlc 


Dekorative  Kunst.     Xl.\.    lo.    Juli  191^ 


341 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


SILBERNE  SCHALE  MIT  MALACHITEINSATZEN 


ARCH.  E.  J.  WIMMER 


FRUCHTKORB  AUS  GEHÄMMERTEM  SILBER 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN  SILBERNE  TUNKENSCHOSSEL 

Ausführung;  Wiener  Werkstatt: 


342 


ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


KRONLEUCHTER,  IN  KUPFER  GETRIEBEN 


Ausführuni:  Wiener  WerksUtte 

343 


*f 


EMMY  ZWEYBROCK-WIEN 


WEISZGESTICKTES  POLSTER. 


nach  Ursprung  und  Zweck,  eine  soziale 
Forderung  ganz  allgemein  zu  berechtigen 
scheint.  Hier  gilt  sie  nicht.  Denn  nicht  um 
die  Umsetzung  des  Originals  in  ein  Massen- 
produkt, sondern  eben  um  die  Hervorbrin- 
gung jenes  Ersten,  das  dann  anderswo  und 
anders  zum  Mehrmaligen  werden  kann  und 
soll,  geht  es  hier,  nicht  um  Betrieb,  sondern 
um  Werkstatt,  in  der  Kunst  und  Handwerk 
in  reiner,  ausschließlicher  und  erzieherischer 
Verbindung  stehen.  Alles  Uebrige  und  da- 
mit auch  die  wirtschaftliche  und  soziale 
Ausbreitung  des  Erstmaligen  liegt  außer- 
halb, —  im  Bereiche  der  Wirkung. 

Und  nun  zu  einem  anderen  Innewerden 
der  Werkstättenrolle,  die  jetzt,  im  Zeitpunkt 
des  beginnenden  Erntehaltens,  klarer  erkenn- 
bar wird  als  jemals  vorher.  Es  betrifft  die 
Organisation  kunstgewerblicher  Arbeit  in 
Oesterreich.  Auch  hier  hat  der  schwedische 
Berichterstatter  unabhängig  wiederholt,  was 
der  deutsche  nicht  lange  früher  bei  einem  ähn- 
lichen Ausstellungsanlaß  festgestellt  hatte. 
Nämlich  dies:  daß  in  den  zugehörigen  öster- 
reichischen Betrieben  auch  dann  der  Künst- 


ler-Handwerker in  der  beherrschenden  Mitte 
steht,  wenn  die  ökonomische  Rücksicht  auf 
den  Absatz  dem  Händlerbedenken  breiteren 
Einlaß  einräumt.  Nicht  umgekehrt!  Daß 
diese  Ordnung,  die  durchaus  österreichisch 
im  besten  und  notwendigsten  Sinne  des  Wor- 
tes erscheint,  auch  nicht  umkehrbar  ist,  dar- 
an hat  doch  wieder  die  Einrichtung  der 
Wiener  Werkstätte  gewiß  ihren  stärksten, 
vorbildlichen  Anteil.  Und  auch  in  dieser 
Richtung  würde  sie  an  weiter  wirkender 
Energie  einbüßen  und  als  Wegweiserin  un- 
absehbare schlimme  Folgen  —  qualitativ  und 
wirtschaftlich  —  für  den  ihr  nachfolgenden 
Betrieb  unseres  Kunstgewerbes  herbeiführen, 
wollte  schon  sie  der  mitbestimmenden  Teil- 
nahme händlerischer  Erwägungen  Zugang 
gewähren.  Immer  erweist  sich  dasselbe: 
sowie  sie  war  und  geblieben  ist,  in  ihrer 
Strenge  und  Ausschließlichkeit,  gibt  sie  allem 
Uebrigen  den  stets  erneuten,  stets  erfrischen- 
den Rückhalt.  Und  von  dieser  Beständig- 
keit ihrer  Gesinnung  hängt  nicht  zuletzt  die 
anhaltende  Spannung  alles  Uebrigen  ab,  das 
im  Bereiche  ihrer  Wirkungen  liegt. 


344 


EMMY  ZWEYBROCK-WIEN 


SPITZE 


EMMY  ZWEYBRÜCK-WIEN 


DECKCHEN  IN  «  EISZSIICKEREI 


345 


EMMY  ZWEYBROCK-WIEN 


BUNTGESTICKTE  SEIDENDECKE 


An  jedem  Beispiele  ihrer  Arbeitsrich- 
tungen beweist  sich  diese  grundsätzliche 
Haltung.  Und  an  jeder  Zeitstufe  ihres  bis- 
herigen Werkes.  Deshalb  braucht  man,  soll 
das  Wort  durchs  Bild  belegt  werden,  weder 
nach  einem  besonderen  Schaffenszweige  aus- 
zusehen, noch  sich  gerade  an  die  letzte  Ge- 
genwart zu  halten.  Was  hier  das  Metall 
bietet,  gilt  im  gleichen  Sinne  für  jedes  an- 
dere Material,  und  das  Gestern  und  Heute 
steht  auf  einer  Linie.  Mit  der  Zeit  und  der 
Persönlichkeit  ändern  sich  die  Formen,  aber 
die  grundgebende  werkstättische  Gesinnung 
bleibt,  —  muß  bleiben.  max  eisler 


Werkkunst  ist  Lebensgestaltung,  ausgedrückt 
in  Formen,  die  dem  Gebrauche  oder  auch  nur  dem 
Auge  dienen,  immer  aber  jene  Befriedigung  her- 
vorrufen, die  eine  aufrichtige,  dem  Material  und 
Zwecke  klar  entsprechende  Behandlung  mit  sich 
führt.  In  der  besonderen  Art,  in  der  der  Künst- 
ler diese  aller  Werkkunst  gemeinsame  Aufgabe 
erfüllt,  äußert  sich  seine  Persönlichkeit.  Doch 
kann  ihr  Schaffen  der  Mitwelt,  der  sie  ange- 
hört, nicht  entraten.  Sie  muß  ihre  Zeit  und 
ihren  Lebenskreis  tätigen  Anteil  nehmen  lassen 
an  dem  Werke.  Nur  so  gibt  sie  Lebensgestal- 
tung, nur  so  wird  Werkkunst  zur  Werkkultur. 
Aus  „Oesterreichische  Werkkultar" 


346 


TEXTILARBEITEN  VON  EMMY  ZWEYBRÜCK 


In  keinem  anderen  Zweige  des  Kunsthand- 
werkes werden  die  Voraussetzungen  der 
Schule  derart  sinnfällig  und  für  das  Ergebnis 
der  Einzelveranlagung  derart  entscheidend.  Sie 
betreffen  zunächst  die  Technik  und  die  Her- 
leitung des  Zierats  aus  dem  verarbeiteten  Ma- 
terial. Gegen  dieses  Gemeinsame,  das  die  Ge- 
diegenheit und  Bedingtheit  des  Werkes  glei- 
chermaßen verbürgt,  kommt  das  Talent  selber 
nur  auf,  wenn  es  auch  ein  Temperament  ist. 
Und  das  ist  Emmy  Zweybrück.    Sie  hat  einen 


rassigen,  ins  Slawische  spielenden  Farbsinn, 
der  das  Grelle  und  Saftige  betont,  das  Poin- 
tierte, nicht  das  Abgedämpfte  und  Ausgegli- 
chene sucht.  Und  er  verbindet  sich  mit  der 
breiten,  flüssig  stilisierten  Musterung  zu  vollen 
Wirkungen.  Dabei  erstreckt  sich  ihr  Interesse 
auf  unterschiedliche  Zweige  des  Kunsthand- 
werkes, auf  die  Heranbildung  eines  eigenen 
Schülerkreises,  und  vermehrt  damit  die  Merk- 
male des  Expansiven,  die  dieses  Naturell  in 
jeder  Hinsicht  wesentlich  bezeichnen,      m.  f. 


EMMY  ZWEYBROCK- 


AJk^  *■> 


BUNTGESTlCKTtR  UMHANG 


347 


EMMY  ZWEYBROCK-WIEN 


KISSEN  IN  BUNTER  WOLLSTICKEREI 


EMMY  ZWEYBROCK- 
WIEN 


BUNTGESTICKTER 
BEUTEL 


348 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


B       DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF: 
HAUPTFRONT  AN  DER  BURGGRAFENSTRASZE 


"""Wfifr^^^iir^" 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  /.i ÜLLNDORF;  RELIEF  AN 
DER    VORHALLE    VON   WALTHER   SCHMARJEBERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF 

Ein  Schulbau  von  Paul  Mebes 


MEBES  hat  der  Gemeinde  Zehlendorf 
ein  Schulhaus,  eine  neue  Oberreal- 
schule, erbaut.  Nebenan  steht  ein  Gymnasium, 
das  vor  15  Jahren  etwa  gebaut  sein  mag. 
Erbauer  war  Thyriot,  ein  Frankfurter  Ar- 
chitekt, von  dem  die  breitere  Oeffentlichkeit 
nichts  mehr  wissen  würde,  wäre  bei  dem 
Wettbewerb  um  die  >X'ashingtoner  Botschaft 
nicht  ein  gänzlich  unmögliches  Projekt  von 
ihm  mit  einem  Preis  bedacht  worden.  Dieser 
Thyriot,  seines  Zeichens  Schäferschüler,  war 
keineswegs  ein  unbegabter  Architekt.  Wenn 
damals  die  Gemeinde  sich  ihn  heranholte, 
so  wollte  sie  damit  schon  etwas  künstlerisch 
Belangvolles.  Dem  Bau,  den  er  errichtet  hat, 
fehltes  auch  durchaus  nichtan  Qualitäten.  Man 
kann  ihn  im  Gegensatz  zu  den  meisten 
Produkten  aus  jener  Zeit  —  heute  noch 
sehen.  Der  Gegensatz  zu  dem,  was  Mebes 
geschaffen  hat,  besteht  in  dem  prinzipiellen 
Ausgangspunkt.  Nicht  oft  hat  man  so  hand- 
greiflich die  Beispiele  nebeneinander,  die 
vergleichen  lassen,  wieso  die  tüchtige  Ar- 
chitektur von  damals  und  von  heute  zu  so  ver- 
schiedenartigen Resultaten  kommen  konnten. 
Der  Wille  zur  Sachlichkeit  ist  hier  wie  da 
zu  spüren;  bei  Thyriot  ist  er  vielleicht  nur 
vorhanden,  bei  dem  Neueren  vorwaltend, 
eigentlich  ausschlaggebend.  Beide,  der  Jün- 


gere wie  der  Aeltere,  lassen  sich  ganz  richtig 
leiten  von  der  repräsentativen  Notwendig- 
keit eines  solchen  Gemeindebaus.  Solch 
höhere  Lehranstalt  im  Ort  zu  haben,  ist 
zunächst  einmal  ein  Vorrecht  der  Gemeinde. 
Sie  hat  damit  ihren  Bürgern  und  denen,  die 
sie  von  anderwärts  noch  her  haben  möchte, 
etwas  zu  bieten.  Jung  und  entwicklungs- 
hungrig wie  alle  die  Gemeinden  sind,  die 
ihren  Aufschwung  der  Berliner  Mietskaser- 
nenmisere verdanken,  hat  sie  guten  Grund 
solche  Vorteile  ins  rechte  Licht  zu  rücken. 
Es  ist  nicht  Großmannssucht  in  solch  öffent- 
lichem Bauwerk  die  aufsteigende  Entwick- 
lung, die  die  Gemeinde  nimmt,  zu  dokumen- 
tieren. Und  es  ist  nicht  falsches  Pathos,  zu 
bekunden,  daß  man  dasWesentliche  mit  einem 
Sinn  fürs  Große  und  Würdevolle  tun  möchte. 
Thyriot  hat  diese  repräsentative  Größe  ge- 
sucht durch  eine  mächtige  Architekturcnt- 
faltung,  die  sich  wohl  abfindet  mit  dem  pro- 
fanen Zweck  des  Bauwerks,die  diesen  Zweck 
wohl  auch  nie  vergewaltigt,  die  aber  doch  von 
außen  herangebracht  ist,  während  Mebes  — 
im  Fahrwasser  der  gegenwärtigen  Archi- 
tekturbestrebungen —  erst  und  vor  allem 
den  Zweck  sieht  und  aus  ihm  heraus  zur 
großen  Wirkung  zu  kommen  strebt.  Es  ist 
wohl  nicht  falsch,  wenn   ich  mir  vorstelle, 


D«lior«tiT«  Kunst.  XIX.    ii.    .\u£utt  tgt< 


349 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF:  VORHALLE 


wie  bei  der  Anlage  des  Gymnasiums  der 
Architekt  ein  großes  Haus  mit  Giebeln  und 
Ausladungen  und  dekorativ  wirkenden  Fen- 
stereinschnitten sich  ausgemalt  hat,  wie  ihm 
eine  besondere  Materialzusammenstellung: 
Putz  mit  sandsteinumrahmten  Fenstern  vor- 
geschwebt hat  und  wie  in  dies  gefällige 
Gefüge  dann,  wenn  ich  einmal  so  sagen 
darf,  Klassenzimmer,  Zeichensäle,  eine  Aula, 
eine  Turnhalle  usw.  hineinverlegt  worden 
sind.  Das  Ergebnis  war  ein  ansehnlicher 
Bau,  der  ebensogut  ein  Rathaus,  ein  Mu- 
seum oder  dergleichen  hätte  sein  können. 
Keines  von  der  schlechtesten  Sorte,  wie 
schon  gesagt,  aber  immerhin  eine  Sache, 
die  sich  am  besten  in  der  Mappe  des  Ar- 
chitekten gemacht  hätte.  Dieses  Theoretische, 
um  nicht  zu  sagen:  dieses  Papierene  kommt 
einem  noch  mehr  zum  Bewußtsein,  wenn 
man  jene  Materialzusammenstellung  etwas 
näher  betrachtet.  Der  rötliche  Sandstein- 
rahmen um  die  Fenster  ist  das  typische 
Produkt  des  Maintales,  wo  dieser  Stein  ja 
gebrochen  wird.  Am  Main,  in  der  Berg- 
straße,   die    Sachsenhäuser  Villen    um   das 


Städelsche  Kunstinstitut  herum,  das  alles 
ist  so  aufgebaut.  Diese  Tradition  mit  ihrer 
besonderen  Wirkung  hat  den  Architekten  an- 
gereizt und  er  ist  gar  nicht  auf  die  Idee 
gekommen,  wie  so  etwas  in  der  Mark  sich 
ausnehmen  wird.  Daher  ist  man  als  Be- 
schauer stets  in  Versuchung  den  ganzen 
Bau  wegzuschieben,  zurück  in  seine  süd- 
lichere Heimat.  Er  ist  „Architektur",  hat 
wenig  mit  seinem  Zweck  und  gar  nichts 
mit  dem  Boden,  auf  dem  er  steht,  zu  tun. 
Anders  das  Produkt  einer  neueren  Archi- 
tekturgesinnung. Mebes  hat  vielleicht  im 
Konzipieren  nicht  den  großen  Schmiß,  den 
Entwerfer  von  der  Art  des  Thyriot  mit- 
brachten. Aber  er  baut  ein  Haus  in  die  um- 
gebende Welt  hinein,  ein  Haus,  das  gleich- 
sam aus  dem  Boden,  auf  dem  es  steht,  her- 
auszuwachsen scheint.  Er  weiß,  wie  Rot 
des  Ziegels  im  Grün  der  märkischen  Land- 
schaft steht  und  berechnet  auf  solchen  Klang 
seine  Wirkung.  Er  hat  mit  einer  Liebe,  die 
wahrscheinlich  stärker  als  sein  Produktions- 
vermögen ist,  aufgespürt,  was  an  schönen 
alten  Architekturleistungen    in  den  bürger- 


350 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF:  HAUPTFRONT 
AN  DER   BURGGRAFENSTRASZE  VON  WESTEN  GESEHEN 


351 


«• 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF:  STERNWARTE 

352 


I 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLEN- 
DORP:   DIREKTOREN-WOHNHAUS    ■ 


liehen  Zeiten  bei  uns  aufgeblüht  ist  und  in 
jeden  Bau  legt  er  etwas  hinein  von  diesen 
Schönheiten,  die  ein  Teil  seiner  Natur  ge- 
worden sind.  Auch  dieseZehlendorferSchule 
ist  wieder  reich  an  solch  guten  Architektur- 
elementen, die  ihre  Verwandtschaft  mit  dem, 
was  zur  Zeit  Schinkels  geworden,  nicht  ver- 
leugnen. 

Das  aber  springt  zunächst  nicht  in  die 
Augen.  An  dem  Verwaltungsgebäude  der 
Nordstern-Gesellschaft  (s.  Juniheft  1915dieser 
Zeitschrift),  das  eigentlich  nach  dieser  Schule 
entstanden  ist,  ist  gezeigt  worden,  mit  wel- 
cher Meisterlichkeit  —  im  alten,  im  Hand- 
werkersinn des  Wortes  —  Mehes  es  dar- 
auf anlegt,  das  Einzelne,  das  Kleine  und 
scheinbar  Nebensächliche  würdig  durchzu- 
gestalten. In  einem  solchen  Bau,  der  nur 
das  Notwendige  zuläßt  und  das  Praktische 
allenthalben  unvermittelt  bietet,  wirkt  diese 
—  wahrhaft  künstlerische  Sorge  doppelt 
und  dreifach  sympathisch.  Da  gibt  es  wieder 
einTreppengestänge,  wieder  einen  Zimmeran- 
strich, eine  Heizkörperanordnung,  die  durch 
ihre  natürliche  Anmut  bestricken.  Und  diese 
Sorgfalt  sieht  man  gesteigert  bis  zum  Monu- 


mentalen, wenn  man  den  ganzen  Bau  abschrei- 
tet. Gewiß,  die  Erinnerung  an  einen  schönen 
Eindruck,die  Liebe  zu  einem  reizvollen  Motiv, 
verleiten  Mebes  auch  einmal  zu  einer  Ab- 
schweifung. Der  Turm  ist  vielleicht  so  ent- 
standen und  dürfte  gelegentlich  so  aufgefaßt 
werden,  aber  das  ist  das  Bezeichnende  an 
Mebes,  daß  er  solche  Gelegenheiten  immer 
aus  einem  Zweck  heraus  steigert.  Er  baut» 
um  zu  dem  Turme  zu  gelangen,  der  Ober- 
realschule, die  ja  die  mathematischen  Fächer 
schon  sehr  weit  betreibt,  eine  kleine  Stern- 
warte an.  Auf  diese  Weise  sind  alle  die 
kleinen  Aufwendungen  legitimiert,  die  an- 
dere, trockenere  Naturen  sich  erspart  hät- 
ten. Er  nimmt  sich  auch  die  Freiheit,  dem 
Direktor  ein  Häuschen  und  Gärtchen  neben 
die  Schule  zu  stellen,  das  das  reizvollste 
Stück  einer  Kleinhaussiedelung  sein  könnte. 
Aber  diese  Liebe  zum  einzelnen,  zu  der 
Feinheit  im  kleinen  schwingt  bei  ihm  im- 
mer wieder  zusammen  zu  einer  großen  und 
groß  wirkenden  Einheit.  So  steht  die  Schule 
straff  und  einprägsam  an  der  Straße,  so 
ergibt  das  Nebeneinander  des  großen  Schul- 
baus   und    des    Direktorenhäuschens    eine 


353 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF:    BLICK  IN 
DEN  HAUPTKORRIDOR  DES   ERSTEN  STOCKWERKES 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF: 
VORRAUM  DER  HAUPTTREPPE  ZUR  AULA 


354 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORP:  TREPPENHAUS 

355 


ARCH.  PAUL  MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREALSCHULE  IN  ZEHLENDORF:  TURNHALLE 


Städtebauliche  Situation,  um  die  die  Gemeinde 
zu  beneiden  ist. 

Es  ist  erfreulich,  festzustellen,  daß  eine 
auf  Fortentwicklung  bedachte  Kommune  wie 
dieser  Berliner  Vorort  für  eine  solche  An- 
lage nicht  allein  einen  so  künstlerisch  fein- 
fühligen Geist  wie  Mebes  zu  finden  wußte, 


daß  sie  auch  eine  solch  gute  Lösung,  durch 
verständnisvolles  Eingehen  auf  seine  Vor- 
schläge erleichtert  hat.  Nicht  zuletzt  mag  da 
auch  mitsprechen,  daß  Zehlendorf  in  dem  Bau- 
meister Krug  über  einen  verständnisvollen 
Gemeindebaumeister  verfügt,  der  auch  hier 
pfleglich  und  fördernd  gewirkt  hat.     P.  W. 


ARCH.  PAUL 
MEBES-BERLIN 


DIE  OBERREAL- 
SCHULE IN 
ZEHLENDORF: 
BRUNNEN 


356 


M.  VON  HUGO-STUTTGART  HELDENHOGEL  BEI  EPOYE  IN  DER  CHAMPAGNE 

Ausnützung  vorhandener  Naturschönheil  zur  Bestattung  der  Krieger  im  Felde 


KRIEGERGRABMAL  UND  KRIEGERDENKMAL 

RANDBEMERKUNGEN  ZUR  WANDERAUSSTELLUNG  DER  STÄDTISCHEN  KUNSTHALLE 

IN  MANNHEIM») 


Von  allen  Aufgaben,  die  die  Ereignisse 
des  Krieges  an  die  Kunst  herangetragen 
haben,  sind  diese  die  dringlichsten:  den  ge- 
fallenen Helden  eine 
würdige  Stätte  zu  be- 
reiten und  ihr  Andenken 
in  edler  Form  für  die 
Geschichte  zu  bewah- 
ren. Draußen  im  Felde, 
wo  in  der  Bedrängtheit 
und  Unstetigkeit  des  Be- 
wegungskrieges keine 
Muse  zum  Ausbau  ge- 
ordneter Grabstätten 
blieb,  schufen  Soldaten 
ihren  gefallenen  Kame- 
raden schlichte  Denk- 
zeichen   in    ungezwun- 


*)  In  dem  Autsatze  lionnten 
und  sollten  nur  Streiflichter  ge- 
boten werden.  Eine  umfangreiche 
und  offizielle  Publikation  „Krie- 
gergräber im  Felde  und  in 
der  Heimat**  wird  im  Einver- 
nehmen mit  der  Heeresverwaltung 
herausgegeben. 


R.  WALDSCHOTZ-MANNHEIM   ■   SCHLICHTES 
GRABKREUZ    AUS    GUSZEISEN    AUF    STEIN- 
ODER BETONSOCKEL 


gener  Bescheidenheit  und  ungekünstelter 
Derbheit,  oft  ergreifende  Zeichen  eines  un- 
verdorbenen, gesunden  Handwerkssinnes. 
Wo  später  in  Ruhestel- 
lung die  ordnende  Hand 
sichtender  Prüfung  für 
die  Instandsetzung  und 
dauernde  Erhaltung  die- 
ser Grabstätten  zu  sor- 
gen hatte,  konnte  sie 
sich  nicht  selten  begnü- 
gen, den  geschaffenen 
Zustand  zu  belassen  und 
nur  im  Material  zur 
Beständigkeit  zu  ver- 
festigen. Ein  Gefühl  ka- 
meradschaftlicher und 
künstlcrischerPictät  er- 
forderte strenge  Zu- 
rückhaltung. Ein  Haupt- 
augenmerk war  zu  rich- 
ten auf  die  zweckmäßige 
und  doch  wirkungsvolle 
Einordnung   der  Grab- 


Dekoratire  Kunst.    XTX.    ii.    Auffust  1916 


357 


R.ilARTM  ANN-LANDSHUT  B  GRAB- 
KREUZ MIT  BUNTER  BEMALUNG 
(Landesgewerbeanstalt,  Nürnberg) 


bereiten  und  nur  da 
auszujäten,  wo  — 
wenn  auch  in  guter 
Absicht,  so  doch  mit 
unzulänglichen  Mit- 
teln —  Male  errichtet 
waren,  die  eine  wür- 
dige Ehrung  des  An- 
denkens der  Gefalle- 
nen gefährdeten.  Wo 
üppig  wuchernde 
Phantasie  bei  unzu- 
länglicher Gestal- 
tungskraft mancher- 
lei monströse  Ge- 
bilde geschaffen  hat, 
ist  es  gleichermaßen 
Takt  und  Pflicht,  sie 
nach  Tunlichkeit  im 
Hinblick  kommender 
Zeiten  auszumerzen 
oder  umzuformen. 
An  der  Westfront  und 
vor  allem  in  Belgien 
ist  die  Ausgestaltung 
der  Grabstätten  in 
diesem  Sinne  an  vie- 
len  Stellen    eingelei- 


stätten  in  die  Natur:  Es 
galt,  einzelne  Gräber  dem 
Schutze  eines  Baumes  an- 
zuvertrauen, auseinander- 
liegende Gräber  zusam- 
menzuschließen und  sie 
vor  Flurschäden  und  an- 
derer Gefahr  zu  schützen, 
sie  an  eine  Mauer  anzu- 
lehnen oder  einem  vorhan- 
denen Baumbestand  einzu- 
gliedern (Abb.  S.357).  Ei- 
nen guten  Einblick  von 
dieser  sichtenden  Arbeit 
gestattet  das  Gräberalbum 
des  Militärgouvernements 
der  Provinz  Luxemburg 
(Heldengräber  in  Südbel- 
gien 1916),  das  in  der  sorg- 
samen Aufnahme  und  do- 
kumentarischen Verarbei- 
tung der  Grabstätten  blei- 
benden Wert  beansprucht. 
Die  prüfende  Schau 
fachmännischer  Berater 
gebot,  mit  vornehmem 
Takt  nur  durch  ein  ord- 
nendes Zurechtrücken  den 
dauernden  Zustand  vorzu- 


W.  LOCHSTAMPFER-KARLSRUHE  B  REICHERE  FORM 
EINES  GRABKREUZES  FOR  FRIEDHÖFE  DER  HEIMAT 


W.BRÄCK-LÜBLCKeKHIEGERGR  ABZEI- 
CHEN AUS  EICHENHOLZ  MIT  EISENBE- 
SCHLAG B  SCHRIFT  EINGESCHNITTEN 


tet  und  vorbereitet 
worden.  Im  Osten 
haben  die  von  ver- 
schiedenen Künstlern 
im  Auftrag  des  Kul- 
tus- und  Kriegsmini- 
steriums unternom- 
menen Bereisungen 
an  verschiedenen  Tei- 
len der  Front  die 
gleichen  Ziele  in  sorg- 
fältiger Prüfung  ver- 
folgt. Ihr  Inhalt  ist 
in  festgesetzten  Leit- 
sätzen zusammenge- 
faßt. Die  Ergebnisse 
dieser  Bereisungen 
in  der  Form  von  Vor- 
schlägen zur  Ausge- 
staltung der  Krieger- 
grabstätten —  in  Ost- 
preußen, Kurland, 
Litauen,  Polen  — 
zeigen  am  klarsten 
und  bei  ihrer  offiziel- 
len Inaugurierung 
am  bedeutsamsten 
die  Richtlinien,  nach 


358 


BAURAT  HANS  GRASSEL-MONCHEN 


CRABKREUZE    AUF    DEN    KRIEGER-EHREN- 
GRABERN  IM  VALDFRIEDHOF  ZU  MCNCHEN 


359 


«• 


BAURAT  HANS  GRASSEL-MONCHEN 


SOLDATENEHRENGRABER  IM  MÜNCHNER  WALDFRIEDHOF 


BAURAT  HANS  GRASSEL-MONCHEN 


SOLDATENEHRENGRABER  IM  MÜNCHNER  WALDFRIEDHOF 

360 


361 


ARCH.  O.  STRNAD-WIEN  GROSZES  KREUZ  AUS  EICHENHOLZ 

Die  Namen   der  Gefallenen  sind  auf  den  kleinen  Tafeln  angebracht,  die  an  Latten  befestigt  sind.    Standort  eine  Holzhauergegend 

nahe  dem  Gebirge.    Höhe  etwa  18  m 


362 


denen  unsere  heutige  Kunst  die 
Lösung  der  verschiedenen  Auf- 
gaben der  Kriegerehrung  anbah- 
nen muß:  frei  von  leerem  Pa- 
thos und  falscher  Geste,  „wür- 
dig der  Erinnerung  an  deutsches 
Heldentum  und  auch  würdig  als 
Wahrzeichen  dieser  gewaltigen 
Zeit".  Das  Ziel  kann  nicht 
besser  umschrieben  werden,  als 
mit  den  Schlagworten,  die  als 
Motto  an  die  Spitze  jeder  Er- 
örterung deutscher  Krieger- 
ehrung gesetzt  werden  sollten: 
Edle  Einfalt  und  stille 
Größe. 

Schon  frühzeitig  waren  zahl- 
reiche Organisationen  und  Ver- 
bände am  Werk,  aufklärend,  sich- 
tend und  helfend  bei  der  Erfül- 
lung dieser  nationalen  Aufgabe 
zur  Seite   zu  stehen.     Künstler 
schickten  sich  an,  ihren  Teil  zu 
dem  Werk    beizutragen;    Vor- 
schläge  und    Ideenskizzen   ent- 
standen für  Aufgaben  notwendig- 
ster Erfüllung    und    solche   ab- 
wartender   Zukunft.     Für   alle 
diese  dem  gleichen  Ziele  zustre- 
benden Bemühungen  galt  es  ein 
Sammelbecken  zu  schaffen,  um 
zusammenzutragen,  was  Künst- 
ler unserer  Zeit  zu  sagen  hatten, 
und  wie  Künstler  vergangener 
Zeiten  die  gleichartigen  Aufga- 
ben  würdig  und  einprägsam  gelöst  hatten. 
Aus   dem  Zwang   dieser  Idee  erwuchs  die 
Mannheimer    Wanderausstellung   „Krieger- 
grabmal und  Kriegerdenkmal". 

Seit  Jahresfrist  vorbereitet,  trägt  sie  ihren 
wachsenden  und  wechselnden  Inhalt  durch 
deutsche  und  österreichische  Städte.  Das 
Gesamtbild,  das  sie  bietet,  kann  nur  frag- 
mentarisch sein,  solange  der  Krieg  dauert. 
Zahlreiche  Künstler  stehen  im  Felde  und 
sind  ihrem  eigenen  Schaffensbereich  ent- 
zogen; andere  können  —  innerster  Veran- 
lagung gemäß  —  nur  langsam  und  zögernd 
ihre  Kraft  den  neuen  Aufgaben  zuwenden. 
Verschiedenartig  und  verschiedenwertig  sind 
die  Anregungen  und  Ideen,  die  viele  Künst- 
ler —  Architekten,  Bildhauer,  Maler  —  zur 
Lösung  der  mannigfaltigen  Probleme  bei- 
tragen. Gewiß  stecken  manche  noch  in  der 
Entwicklung  und  bedürfen  erst  ordnender 
Klärung  und  Sichtung;  andere  aber  sind  be- 
reits zu  erfreulicher,  schöpferischer  Reife 
gediehen.   Es  gilt  vor  allem  einmal  den  Um- 


ARCH.  F.  SEECK-BERLIN  SCHLICHTER  GRABSTEIN  IN  DER  HEIDE 


kreis  der  Möglichkeiten  der  Kriegerehrung 
abzustecken,  und  allgemeine  Grundsätze  zum 
Ausdruck  und  zur  Geltung  zu  bringen. 

Die  häufigste  Form  des  Grabzeichens,  die 
auch  an  Kriegergräbern  bei  der  besonderen 
Verknüpfung  seiner  christlich-symbolischen 
und  der  deutschen  -  vaterländischen  Be- 
deutung schon  ungewollt  am  Platze  ist,  ist 
das  Grabkreuz.  Oft  schaffen  handwerks- 
mäßig zusammengenagelte  Baiken  oder  Bret- 
ter in  guten  Maßen  und  Verhältnissen  die 
beste  und  wirksamste  Form.  Vielerlei  Mög- 
lichkeiten und  Umgestaltungen  fand  die  Form 
des  Kreuzes  besonders  in  der  Heimat,  wo 
diese  teils  dem  Schmückbedürfnis  einer  ge- 
wissen Bereicherung,  teils  dem  gebräuch- 
lichen Herkommen  entsprangen.  So  zeigen 
etwa  die  Entwürfe  von  H.Grässel(Abb.S.3S9> 
für  den  Münchener  U'aldfriedhof  die  ver- 
schiedenartige Ausführung  von  Grabkreu- 
zen in  Holz,  Stein  und  Eisen.  Andere  Ent- 
würfe —  etwa  der  Nürnberger  Landesge- 
werbe-Anstalt (Abb.  S.  358)    —    tragen    im 


363 


besonderen  volkli- 
chen und  kirchlichen 
Bräuchen  Rechnung 
in  der  bunten  Art 
ihrer  Bemalung  und 
in  der  Ausgestaltung 
einzelner  Form- 
teile. Neben  Holz- 
kreuzen einfacherer 
und  reicherer  For- 
men sind  beson- 
ders die  materialge- 
recht behandelten, 
schmiedeeisernen 
Kreuze  (Abb.  S.358) 
hervorzuheben,  de- 
ren Verwertung  in- 
des schon  wegen  der 
Schwierigkeit  und 
Kostspieligkeit  der 
Herstellung  größ- 
tenteils auf  heimi- 
sche Friedhöfe  be- 
schränkt sein  dürfte. 
Für  die  Verwen- 
dung auch  im  Felde 
ist  im  Hinblick  auf 
die  verhältnismäßi- 


W.  FOLTIN  □  GRABSTEIN  AUS  KALKSTEIN  M.  EISENKREUZ 


ge  Billigkeit  des 
Materials  das  Grab- 
kreuz aus  Gußeisen 
zweckmäßig  und 
empfehlenswert.  R. 
Waldschütz  hat  ver- 
schiedene Formen 
(Abb.  S. 357, 364)  ge- 
schaffen, die  in  Ver- 
bindung mit  einer 
gleichzeitig  isolie- 
renden Stein-  oder 
Betonplatte  aufzu- 
stellen sind.  Das 
Gußeisen,das  schon 
früher  und  beson- 
ders in  der  Zeit  der 

Befreiungskriege 
einer  großen  Be- 
liebtheit sich  er- 
freute, kann  auch 
heute  noch  durch 
sinngemäße  Be- 
handlung der  Ober- 
fläche und  Berei- 
cherung mit  einfa- 
chem, diskretem 
Schmuck        ausge- 


R.  WALDSCHOTZ-MANNHEIM   Q    KRIEGER-GRABMAL 
AUS  GUSZEISEN 


F.  BRAEUNING-BERLIN  Q  EINZELGRAB  FÜR 
EINEN     KRIEGER 


364 


A.  VON  HILDEBRAND-MONCHEN 


EINFACHE  GRABPLATTE 


zeichnet  werden.  Man  hatte  leider  lange  Zeit 
den  Blick  für  die  Schönheit  dieses  Materials 
verloren ;  und  erst  die  Breslauer  Jahrhundert- 
ausstellung öffnete  weiten  Kreisen  die  Augen 
für  die  würdige  und  geschmackvolle  Verwen- 
dung des  Gußeisens  vornehmlich  in  der  Klein- 
plastik. Schwierigkeiten  bietet  zumal  die 
Schrift;  denn  die  Erhaltung  kann  durch  ge- 
wisse chemische  Veränderungen  der  Zusam- 
mensetzung wesentlich  gefördert  werden.  Für 
die  Ausführung  einer  größeren  Anzahl  von 
Arbeiten  in  diesem  Material  empfiehlt  sich 
die  Herstellung  eines  oder  mehrerer  schrift- 
schöner Alphabete  in  Matrizen,  die  aller- 
dings in  besonders  vorsichtig  abwägender 
Raumordnung  auf  der  Fläche  zu  verteilen 
sind,  da  die  Schrift  oft  deren  einzigen 
Schmuck  darstellt.  —  Für  Massenherstellung 
im  Felde  empfiehlt  sich  oft  zwangsweise  aus 
der  Not  der  gegebenen  Verhältnisse  die  Ver- 
wendung des  Kunststeines  (Beton).  Die  Etap- 
peninspektion der  A.A. Falkenhausen  hat  in 
diesem  spröden  Material  eine  der  betreffenden 
Landschaft  gut  angepaßte  Form  eines  Ein- 
heitskreuzes zur  Ausführung  gebracht,  der 
sich  in  dem  Gesamtumriß  (der  Verquickung 
der  allgemeinen  Kreuzform  mit  derjenigen 


des  Eisernen  Kreuzes)  einzelne  Vorschläge 
von  F.  Seeck  nähern,  die  er  in  einfacher  und 
überarbeiteter  Form  für  die  staatliche  Be- 
ratungsstelle des  Kgl.  Preußischen  Kultus- 
und  Kriegsministeriums  geschaffen  hat.  Eine 
reichere  und  anspruchsvollere  Verwendung 
der  Kreuzform  hat  Strnad,  Wien,  in  seinem 
Riesenkreuz  (Abb.  S.  362)  vorgesehen;  ein 
Vorschlag,  der  zuförderst  österreichischen 
Verhältnissen  Rechnung  trägt. 

Wo  es  zeitliche  Gründe  des  Herkommens 
oder  räumliche  Gründe  des  Ortes  erhei- 
schen, ist  die  Anwendung  von  Grab- 
steinen allgemeinerer  Form  nicht  zu  um- 
gehen. Es  empfiehlt  sich  in  irgendeiner 
Weise  das  Wesen  des  Kriegergrabes  dem 
Auge  unzweideutig  kenntlich  zu  machen. 
Unpassend,  unwürdig  und  sinnstörend  wir- 
ken in  jedem  Fall  umständliche  und  auf- 
dringliche Embleme,  Trophäen  oder  der- 
gleichen. Der  andeutende  Schmuck  des 
Eisernen  Kreuzes  oder  des  zeitgemäßen 
Helmes  in  klarer,  plastischer  Modellierung 
werden  die  notwendige  äußerliche  Charak- 
terisierung am  raschesten  treffen  (Abb.S.364). 
Auf  Friedhöfen  oder  überhaupt  bei  Reihen- 
gräbern bietet  die  gleichmäßige  Wiederholung 


Dekorative  Kunst.  XIX. 


August   1916 


365 


O.  BARTNING-BERLIN 


REIHENGRABERANLAGE  IM  FELDE  AUS  TROCKENMAUERWERK 


der  einheitlichen  Form  nach  außen  hin  den  heit  eines  Grabes   kann   es   gestatten,  eine 

überzeugendsten    und    eindringlichsten  Ein-  differenziertere   Form    zur   Ausführung    zu 

druck  soldatischen  Geistes,  kameradschaft-  bringen.    In  der  Publikation  des  K.  K.  Ge- 

licher  Gleichheit  (Abb.  S. 366/67).  Die  Isoliert-  werbeförderungsamtes  (Soldatengräber  und 


H.  ESCH-MANNHEIM  a   ERSTER  ENTWURF  ZU  EINER  GUSZEISERNEN  GRABPLATTE  (INZWISCHEN  AUSGEFÜHRT) 


366 


J.  MATA  (SCHULE  IlOFFMANN-WlEN) 


SCHLICHTE  GRABSTEINE  FOR  REIHENCRABER 


Kriegsdenkmale, 
Wien  1915)  finden 
sich  zahlreiche 
Beispiele  dieser 
Art  in  besonders 
subtiler  Zeichnung 
(Abb.  S.  367).  Die- 
se reizvollen  und 

phantasiereichen 
Vorschläge  sind 
voller  Anregung 
im  besonderen 
Hinblick  auf  öster- 
reichische Ver- 
hältnisse; sie  las- 
sen sich  aber  nicht 
ohne  weiteres  auf 
deutsche  Zustände 
übertragen,  wes- 
halb eine  äußer- 
liche Nachahmung, 
die  nur  allzu  eifrig 
hie  und  da  einge- 
setzt hat,  mit  al- 
lem Nachdruck 
bekämpft  werden 
muß. 

Eine  weitere 
Form  des  Grab- 
zeichens, deren 
Anwendung  eben- 


H.  ESCH-MANNHEIM  D  ERSTE  VORSCHLAGE  ZUR  ANLAGE 
VONGRABllOGELN.  BEI  DEN  NEUEREN  ENTWORFEN  IST  DIE 
HÖHE  U.  DER  UMFANG  DER  HÜGEL  AUSGEDRÜCKT  WORDEN 


falls  wieder  von 
gewissen  lokalen 
Voraussetzungen 
abhängt,  ist  die 
Grabplatte,  die 
schon  manche  alte 
deutsche  Friedhöfe 
schmückte.  Stein 
undGußeisen  emp- 
fehlen sich  zur 
Ausführung  (Abb. 
S.  365/66  u.  360). 
Die  gleichmäßige 

Nebeneinander- 
reihung,  wie  sie 
sich  bereits  auf  al- 
ten Herrnhuter 
Friedhöfen  oder 
auf  Holsteinischen 
Kriegerbegräbnis- 
stätten verfolgen 
läßt,  bietet  eine 
starke,einhcitliche 
Wirkung  ruhiger 
Gelassenheit  und 
vornehmer  Zu- 
rückhaltung. Im 
Feldesindsienicht 
seifen  bereits  von 
den  Soldaten  zur 
Anwendung      ge- 


367 


«• 


A.  VON  HILDEBRAND-MONCHEN    G   TUMULUS  ZUR  BEZEICHNUNG  EINES  MASSEN- 
GRABS IM  FELDE,  IN  VERBINDUNG  MIT  DREI  EICHEN 


M.  GRAUMOLLER-SAALECK  G  GEDENKSTEIN   IN   DER  NATUR,  VCN  BÄUMEN  OBERSCHATTET 

368 


w^^. 


HARRY  MAASZ-LOBECK        GEDACHTNISMAL  IN  DER  HEIMAT  IN  DER  ART  EINES  UMMAUERTEN  EICHENHAINS 


bracht,  z.  B.  in  den  Vogesen,  wo  geeignete 
Steine  zur  Hand  waren  und  man  einfach 
behauene  Platten  mit  einer  schmückenden 
Inschrift  versah.  Auch  in  heimischen  Fried- 
höfen —  in  Lübeck  und  Barmen  —  hat  die 
Form  sowohl  bei  einzelnen  Gräbern  als  auch 
bei  geschlossenen  Anlagen  Eingang  gefunden. 
Die  Formender  einzelnen  Grabzeichen  be- 
stimmen im  wesentlichen  das  Gesamtbild  der 
Friedhofsanlage.  Schon  durch  die  gleich- 
mäßige Aneinanderreihung  ein  und  derselben 
Form  wird  diese  unzweideutig  als  Soldaten- 
friedhof gekennzeichnet.  Der  soldatische 
Geist  hat  diese  im  Wesen  des  Volksheeres 
gegründete  Anschauung  ganz  unbewußt  zum 
Ausdruck  gebracht  bei  der  Anlage  geschlos- 
sener Grabstätten  im  Feld  oder  Etappen- 
gebiet. Manche  Schöpfungen  sind  in  ihrer 
sorgfältigen,  einfachen  und  wohlerwogenen 
Durchführung  und  Gliederung  von  dauern- 
dem Wert,  wie  beispielsweise  der  Friedhof 
in  Olita,  der  mit  dem  vorhandenen  Material 
(Holz)  rechnend,  eine  klar  geordnete  und 
wesentlich  gekennzeichnete  Anlage  darstellt. 
Die  Vorschläge  der  genannten  Künstlerkom- 


missionen verfolgen  die  gleichen  Ziele  (Abb. 
S.  370);  nur  ein  schlichter  Stein  dient  als 
schmückende  räumliche  Zusammenfassung 
und  als  Erinnerungsmal  an  die  Ereignisse 
der  Schlacht  oder  das  Andenken  der  ge- 
fallenen Helden.  Umfangreichere  und  mit 
noch  größerem  künstlerischem  Bedacht 
durchgeführte  Anlagen  folgen  den  gleichen 
Grundsätzen.  Einer  Richtung  der  bürger- 
lichen Friedhofskunst  nachgebend,  rechnen 
diese  Entwürfe  oft  mit  einer  reichen,  ge- 
ordneten gärtnerischen  Anlage.  So  sehr 
diese  ordnende  Aufteilung  eines  Friedhofs- 
geländes zu  begrüßen  ist,  so  ist  sie  doch 
bei  einer  allzuüberstiegenen  Durchführung 
eine  ernste  Gefahr  für  die  Erhaltung  der 
Gesamtstimmung  der  Anlage:  An  Stelle  der 
würdigen  Stätte  eines  Friedhofs  entsteht  dann 
oft  eine  gefällige,  spielerische  Parkanlage, 
deren  Eindruck  bei  dem  Ernst  und  der  Würde 
des  Platzes  strengstens  vermieden  werden 
muß. 

Dem  Charakter  des  gesamten  Waldfried- 
hofes entsprechend  sind  in  München  einzelne 
Bezirke  bezw.  Ausschnitte  in  geschlossener 


369 


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•*. 


ARCH.  F.  SEECKBERLIN 


ERINNERUNGSMAL  AUF  FREIER  HOHE  AN  DER  KAMPFSTELLE  (LÖTZEN) 


ALL«  nstcin 


ARCH.  BRUNO  PAUL-BERLIN 


EHRENFRIEDHOF  DARETHEN  (KREIS  ALLENSTEIN) 


370 


WILLY  MEYER-DRESDEN  KLEINER  SOLDATENFRIEDHOF 

Einfriedigung  durch  eine  Hecke.     Die  Gräber  sind  mit  gleichtSrmigen  Holzkreuzen  bezeichnet. 
Ein  schlicliter  Denkstein  dient  als  Elirenmal 


iV\AX  GRAUMOLLERSAALECK  KLEINER  SOLDATENFRIEDHOF  I.M  TALDE 

Etcuumrankte  Steinmauer,  schlichte  GrabpUtten  mit  Inschrilten;  wOrdiscr  Gedenkstein  al>  Erinneruiit>ii>*l 


371 


ARCH.   F.  SEECK-BERLIN    D    KRIEGERFRIEDHOF   ALS  ABSCHLUSZ  ELNER 

FRIEDHOFSANLAGE 
Schlichte   Reihung  der  gleichförmigen   Grabplatten;   Mauer   mit   plastischem  Schmuclc 


räumlicher  Abgrenzung  zur  Be- 
stattung der  Krieger  bereitge- 
stellt (Abb.  S.360/61) ;  auch  in  an- 
deren Städten  begegnet  man  die- 
ser Art  der  Ausbildung  von  Krie- 
gergedenkstätten im  Walde,  etwa 
in  Lübeck  und  Braunschweig.  In 
den  meisten  Fällen  wird  die  Auf- 
gabe gestellt,  der  vorhandenen 
Friedhofsanlage  einen  geschlos- 
senen Soldatenfriedhof  an-bezw. 
einzugliedern  ;für  Karlsruhe  hat 
Läuger  einen  einleuchtenden 
Aufriß  entworfen.  Für  begrenz- 
tere  Bedürfnisse  gibt  das  Bei- 
spiel von  Seeck  (Abb.  S.  372) 
wirksame  Anhaltspunkte:  die 
Betonung  des  allgemeinen  Cha- 
rakters des  Soldatenfriedhofes 
durch  die  gleichmäßig  wieder- 
kehrende Form  der  Grabzei- 
chen, sowie  die  Hervorhebung 
bezw.  räumliche  und  schmük- 
kende  Zusammenfassung  durch 
ein  schlichtes,  unaufdringliches 
Monument,  das  entweder  in  un- 
mittelbarer Verbindung  mit  der 
Friedhofsmauer  eingebaut  oder 
in  freistehender  Isolierung  auf- 


R.  WALDSCHOTZ  UND  11. 
GSELL  t  Q  KRIEGERDENK- 
MAL, STEINERNER  BRUN- 
NEN MIT  KRÖNEND.ADLER 


gestellt  werden  kann.  Selbst  bei 
kleineren  Soldaten-  und  Dorf- 
friedhöfen ist  diese  Anordnung 
ohne  großen  Aufwand  von  Ko- 
sten und  Material  durchzufüh- 
ren, wie  die  überzeugenden  Ent- 
würfe von  Meyer  (Abb.  S.  371) 
und  Graumüller  (Abb.  S.  371) 
andeuten. 

Im  Felde,  besonders  aber  auch 
in  der  Heimat  ist  die  Anlage 
der  Kriegergrabstätten  im 
Anschluß  an  die  Natur  eine 
dauernde,  würdige  und  ein- 
drucksvolle Form  der  Krieger- 
ehrung. Schon  in  ältesten  Zeiten 
bietet  die  aufgeschichtete  Form 
des  Erdhügels  die  weithin  sicht- 
barste und  dauerhafteste  Gestal- 
tung der  Grabstätte.  In  der  Front, 
wo  nicht  selten  Freund  oder 
Feind  in  größerer  Anzahl  in 
Massengräber  zusammengebet- 
tet sind,  ist  diese  ursprüngliche 
Form  des  Grabhügels  fast 
durchgängig  anwendbar  und 
mit  wenig  Aufwand  an  Mitteln 
durchzuführen.  Es  ist  darum 
nicht  auffallend,  wenn  Entwürfe 


372 


Dekorative  Kuntt.     XIX.    ii.    August  1916 


373 


zur  Durchführung 
dieser  Idee  von  ver- 
schiedenenSeitenund 
an  verschiedenen  Or- 
ten in  gleicher  oder 
ähnlicher  Form  auf- 
getaucht sind;  am 
wirksamsten  in  den 
Vorschlägen  von  U. 
Janssen  für  das  Ge- 
biet der  Armeeabtei- 
lung Woyrsch  sowie 
in  den  Entwürfen  von 
H.  Esch  (Abb.  S.  367) 
zur  Ausgestaltung 
von  Kriegergrabstät- 
ten im  Westen,  die  in 
gesammelter  Form 
als  kleines  Heft  zu- 
sammengestellt der 
Oeffentlichkeit  über- 
geben werden.  Die 
Vorschläge  von  Jans- 
sen verdienen  noch 
besondere  Hervorhe- 
bung, weil  sie  auf 
Grund  praktischer 
Erfahrung  Anwei- 
sungen zur  Gewin- 
nung und  nutzmäßi- 
gen Verwertung 
des  aufzuschüt- 
tenden Erdreichs 
bieten;  erschlägt 
vor,  um  die  Grab- 
stätte einen  mehr 
oderminderbrei- 
ten  oder  tiefen 
Graben  zu  ziehen 
und  die  ausgeho- 
bene Erdmasse 
zurAufschüttung 
des  Grabhügels 
zu  verwenden; 
der  umfassende 
Graben  bietet  der 
Stätte  gleichzei- 
tig eine  weitere 
isolierende  Ab- 
grenzung inner- 
halb der  land- 
schaftlichen Um- 
gebung. Unter- 
mauerung oder 
Anfüllung  mit 
aufgeschichteten 
Steinen  können 
innen    zur   Ver- 


H.  ESCH-MANNHEIM  □  KRIEGERDENKMAL  IN  EBENEM 
GELÄNDE  (GEDENKSTEIN) 


.  ESCH-MANNHEIM  G  KRIEGERDENKMAL  IN  FORM  EINES 
MASSIGEN  GEDENKSTEINES.  VON  BÄUMEN  UMGEBEN 


steifung  der  Masse 
beitragen,  deren  Au- 
ßenseite mit  einfa- 
chem Rasen  belegt 
ist.  EineweitereGlie- 
derung  dieser  For- 
men des  Grabhügels 
führt  zu  den  Typen 
des  Tumulus  (Abb. 
S.  368)  und  der  Pyra- 
mide (Abb.  S.375).  Die 
erstere  Form  wurde 
besonders  durch  den 
Vorschlag  Adolf  von 
Hildebrands  (Abb. 
S.  368)  rasch  Allge- 
meingut, und  fand 
vielfältige  Verwer- 
tung und  Umwand- 
lung. Wichtig  vor  al- 
lem für  die  Wirkung 
in  der  Landschaft  ist 
die  sinngemäße  Ver- 
wertung und  Anpflan- 
zung geeigneter  Bäu- 
me. Bereits  der  Vor- 
schlag von  Hilde- 
brand rechnet  mit  ei- 
ner solchen  Anord- 
nung ; besonders  aber 
H.Maaß  bietet  in 
zahlreiclTen,vari- 
ierten  Zeichnun- 
gen verschieden- 
artige Vorschlä- 
ge zur  Durchfüh- 
rungdergleichen 
oder  ähnlichen 
Idee.  Wer  einmal 
von  dem  erschüt- 
ternden, unaus- 
löschlichen Ein- 
druck berührt 
wurde,  den  die 
Verbindung  der 
drei  Eichen  mit 
dem  einfachen 
Grabmonument 
des  Generals 
Moreau  auf  der 
Räcknitzer  Höhe 
bei  Dresden  auf 
den  Beschauer 
macht,  wird  der 
Ausnutzung  und 
Beachtung  die- 
ser Verbindung 
von    Natur    und 


374 


F.  BRÄUMNG-BERLIN  B  KRIEGERDENKMAL  FÜR  DIE  GEFALLENEN  EINER  STADT,  MIT  VIER  INSCIIRIFTTAFELN 


E.SINGER 


KRIEGER-GEDENKBRfNNEN 


Der  Brunnen  ist  dem  Ortsbild  angepaßt  und  neben  einer  bereits  vorhandenen  Und«  auf  freiem  Plati  errichtet 


375 


Menschenwerk  das  richtige  Maß  von  Be- 
deutung zuerkennen.  Immer  bleiben  solche 
Anregungen  —  auch  einfache  zeichnerische 
Darstellungen  —  ^u  begrüßen,  da  sie  das 
Auge  auf  diesen  wesentlichen  Punkt  der 
Grab-  und  Denkmalsanlage  hinlenken.  Auf 
diese  Weise  sind  mit  den  einfachsten  Mit- 
teln wirksamste  und  ehrwürdige  Wirkun- 
gen erzielt  worden,  wie  manche  Linde 
oder  Eiche  zeigt,  die  dem  Sturm  der  Jahr- 
hunderte trotzend,  Kunde  geben  von  Ereig- 
nissen früherer  Zeiten.  Diese  Art  der  Krie- 
gerehrung zeigt  mehr  Takt  und  innere  Größe 
als  die  marktschreierisch  aufdringliche  Sym- 
bolik, die  oft  in  gespreiztem  Gewände  sich 
breitmacht. 

Die  Denkmale  mancher  früheren  Kriege 
sind  grausame  Zeichen  einer  Verwilderung 
des  künstlerischen  Geschmackes  und  wenig 


vornehmer  Gesinnung.  Darum  konnte  nicht 
genug  in  diesen  Zeitläuften  von  den  ver- 
schiedenen Stellen  aus  gewarnt  werden,  die 
Errichtung  der  Denkmale  nicht  zu  über- 
stürzen, die  Ideen  der  wartenden  Künstler 
—  und  nicht  der  schlechtesten  —  reifen  zu 
lassen,  um  eine  wahrhafte  und  würdige 
Ehrung  zu  schaffen,  die  auch  vor  der  Kritik 
einer  bewertenden  Zukunft  standhält.  Denk- 
male zu  vermeiden,  wird  nicht  möglich  sein; 
der  Gedanke  steckt  unserem  Volke  im  Blut; 
auch  wächst  er  oft  organisch  aus  äußeren 
Notwendigkeiten  und  Gegebenheiten.  Man 
denke  sich  einen  Marktplatz  einer  russi- 
schen Stadt,  auf  dem  gefallene  Krieger  be- 
stattet sind;  in  unmittelbarer  Nähe  liegt  ein 
Musikpavillon,  der  in  friedvollen  Zeiten  wie- 
der der  Muse  und  Unterhaltung  dienen  wird. 
Es  wäre  sinnwidrig  und  störend,  den  Cha- 


GERHARD  MARCKS-BERLIN 


SKIZZE  ZU  EINEM  KRIEGERDENKMAL 


376 


377 


K.  ALBIKER-ETTLINGEN 


ENTWURF  ZU  EINEM  KRIEGERDENKMAL 


rakter  dieser  Begräbnisstätte  dauernd  bei- 
zubehalten; und  mit  vollem  Recht  schlug  die 
ordnende  Hand  des  Künstlers  die  Aufstel- 
lung eines  Denkmales  in  schlichten,  der  ört- 
lichen Tradition  angepaßten  Formen  vor. 
Die  Aufgabe  des  Denkmals  ist  an  sich 
eine  anspruchsvollere,  ist  vor  allem  auch 
eine  zukünftigere.  Anspruchsvoller,  weil  sie 
schon  inhaltlich  dem  Wesen  nach  einen  um- 
fangreicheren Sinn  zum  Ausdruck  bringen 
will;  zukünftiger,  weil  sie  im  besonderen 
das  Geschehen  und  die  Größe  der  Gegen- 
wart einer  kommenden  Zukunft  aufbewahren 
will.  Dazu  kommt,  daß  das  Denkmal  — 
meist  ohne  unmittelbare  Verbindung  mit  der 
Grabstätte  —  eine  selbständigere  Ausbil- 
dung verlangt,  da  es  des  Stimmungswertes 
der  Grabstätte  entbehren  muß  und  nur  in 
der  Eindeutigkeit  und  Klarheit  seiner  For- 
mensprache Abbild  und  Ausdruck  des  Zeit- 
geistes sein  kann.  Künstler  sind  am  Werke 
und  breiten  ihre  Ideen  aus,  die  sie  in  Skiz- 
zen niederlegen:  Architekten  und  Bild- 
hauer. Die  strenge  und  gebundene  archi- 
tektonische Form  muß  ausgezeichnet  sein 
durch  würdige  Einfachheit,  harmonische 
Aufteilung  der  Massen,  klare  Anordnung 
der  Schrift,  die  auch  in  ihrem  möglichst 
strengen  und  schmucklosen  Charakter  Aus- 
druck   der   strengen    Sachlichkeit   und   des 


feierlichen  Ernstes  sein  muß.  Bildhauer 
schaffen  konkreter,  sinnhafter;  die  plasti- 
sche Gestalt  rückt  in  den  Mittelpunkt  der 
Gesamtform,  sei  es  in  der  bildnerischver- 
einfachten  Form  eines  knienden  Soldaten 
(Abb.  S.  376),  sei  es  in  der  rhythmisch  be- 
wegten Gruppe  dreier  Grenadiere  (Abb. 
S.  378),  oder  in  der  symbolisch  ausdeuten- 
den Gruppe  hingebenden  Opfersinnes  (Abb. 
S.  379) :  ohne  Pathos,  ohne  Schrei,  würdig, 
edel  und  schön.  Die  Entwürfe  zeigen  das 
Ringende,  das  Werdende;  oft  wird  das  Sym- 
bol der  Größe  einer  Zeit  erst  durch  die 
Reife  des  Erkennens  und  die  Distanz  des 
Erlebens  geschaffen,  und  so  ist  die  Aufgabe 
der  Kriegerdenkmäler  im  besonderen  eine 
solche  reifender  Schöpfung  und  lebendigster 
Kunstempfindung. 

Oft  läßt  sich  mit  der  Aufstellung  der  Denk- 
male ein  praktischer,  städtebaulicher  Zweck 
und  Gedanke  zur  Durchführung  bringen: 
Etwa  in  der  wirksamen  Anlage  eines  Ehren- 
haines, eines  öffentlichen  Platzes,  oder  eines 
einzelnen  Brunnens  (Abb.  S.375).  Schon 
durch  den  einem  praktischen  Zweck  ent- 
sprungenen Charakter  entgehen  diese  Werke 
viel  leichter  der  Gefahr,  aufdringlich,  ge- 
künstelt, gezwungen  zu  erscheinen.  Beson- 
ders auch  für  kleinere  Gemeinden  lassen  sich 
derartige  zweckmäßige  und  schöne  Möglich- 


378 


GEORG  KOLBE-BERLIN 


GRUPPE  ZU  EINEM  KRIEGER-GEDENKBRUNNEN 
379 


keiten  einer  Kriegerehrung  finden,  von  denen 
in  einem  zweiten  Teil  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Gedenktafeln  und  Ge- 
denkblätter gesprochen  werden  soll. 

Wie  ein  Künstler  unserer  Tage  sich  die 
zukünftigste  Aufgabe  eines  großen  Natio- 
naldenkmals denkt,  möge  der  Entwurf  von 
P.  Bonatz  (Abb.  S.  377)  zeigen:  es  will  in 
seiner  ruhigen  und  sicheren  Formensprache 
ein  ernster  und  würdiger  Ausdruck  der  Zeit 
sein.  Die  Maße  sind  gewaltig :  60  Meter  Höhe, 
50  Meter  Breite.  Die  Flächen  sind  vorge- 
sehen in  braunroten  und  violetten  flachen 
Klinkern  mit  breiten  Fugen.  An  den  Pfeiler- 
seiten sind  plastisch  schmückende  Darstel- 
lungen   angebracht    in    edlem    Stein.     Der 


Schöpfer  denkt  sich  das  Monument  in  einer 
flachen  Ebene  liegen  mit  weitem,  freiem 
Horizont;  es  soll  unmittelbar  aus  der  offenen 
Landschaft  aufwachsen,  etwa  in  der  Nähe 
einer  bedeutenden  Eisenbahnlinie  gelegen 
sein.  Eine  einfache  Zufahrtsstraße  ohne 
Bäume  soll  in  leichter  Windung  auf  die  Stufen 
zuführen,  —  ein  Plan,  der  in  der  Größe  der 
Anschauung  viel  Bestechendes  hat.  Er 
steht  neben  anderen  und  ähnlich  gerichteten 
Entwürfen  verschiedenster  Künstler.  Prü- 
fende Kritik  und  reifende  Erkenntnis  müs- 
sen dazu  beitragen,  auch  für  die  Erfüllung 
dieser  letzten  und  schwierigsten  Aufgaben 
eine  der  Größe  der  Zeit  würdige  Lösung 
zu  schaffen.  dr.  W.  F.  Storck 


H.  ESCH-MANNHEIM 


GRABPLATTE  AUS  GUSZEISEN 


380 


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ARCII.  OSWIN  IIEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSM ANNSDORF:  VORFAHRT 


EIN  LÄNDLICHER  WOHNSITZ  VON  OSWIN  HEMPEL 


Anfangs  mußte  die  neue  Zeit,  die  vor  zwei 
jt\  Jahren  anbrach,  alles  jenseits  der  Grenzen 
von  Blut  und  jeder  Erschütterung  und  Zer- 
störung auslöschen.  Man  hielt  den  Atem  an 
und  lauschte  nur  noch  auf  das  Hämmern  des 
Schicksals,  das  von  draußen  hereintönte.  Die 
wohlgepflegten  Gärten  unsrer  geistigen  Kultur 
lagen  auf  einmal  in  trübem  Schatten,  und  ihre 
Brunnen  schienen  zu  versiegen.  Dann  hoben 
sich  die  Schleier,  die  Luft  ward  heller,  die 
Gehirne  arbeiteten  wieder  ruhiger  und  die 
Sinne  begannen  ihr  Recht  zu  fordern.  Wer 
daheimgeblieben  war,  durfte  das  Besinnen  auf 
die  inneren  Pflichten  des  so  schwer  um  sein 
Dasein  arbeitenden  Volkes  beruhigter  in  die 
Tat  umsetzen.  Man  brauchte  sich  nicht  mehr 
vor  den  Kämpfenden  zu  schämen,  wenn  man 
Kunst  und  Bildung,  Erziehung,  Mode,  Lebens- 
freude und  -Veredelung  in  jeder  Form  wieder 
betrachtend  und  genießend  ins  Auge  faßte. 
Es  war  gleichsam  das  geistige  Erbe  eines  Ver- 
schollenen, aber  Lebenden,  das  es  zu  ver- 
walten, ja  zu  mehren  galt.  Fäden,  die  seit  Aus- 


bruch des  Kampfes  lose  hingen,  wurden  neu 
gespannt,  verjährte  Rechnungen  in  neue  Sum- 
men von  Energie  und  Schaffensfreude  um- 
gesetzt. Der  Aufschwung  aller  angewandten 
Künste,  den  das  neuejahrhundert  in  Deutsch- 
land gebracht  hatte,  war  selbst  durch  das  nun 
feindliche  Ausland  nach  manchem  Sträuben 
anerkannt  worden.  Vor  allem  die  Architektur 
schien  berufen,  den  Platz,  den  sie  sich  nach 
rastlosem  Bemühen  in  der  geistigen  Welt  der 
Gebildeten  errungen  hatte,  selbst  in  der  un- 
geheuren Verschiebung  aller  Werte,  zu  der 
den  Einzelnen  der  Krieg  zwang,  neu  zu  fe- 
stigen und  zu  verliefen.  In  Feindesland  mußte 
sich  neben  den  Linien  der  Landschaft  beson- 
ders die  Eigenart  der  Siedelung  auch  dem 
ungeschulten  Auge  deutlich  einprägen.  Städte- 
bilder von  seltener  Großartigkeit,  wie  Brüssel 
und  Warschau,  erweckten  Bewunderung  für 
die  künstlerische  Ausdruckskraft  einer  großen 
Vergangenheit.  Wer  aber  mit  der  polnischen 
Bauernhütte  und  dem  charakterlosen  Reihen- 
haus, das  den  Kleinstädten  und  Dörfern  des 


Dekorative  Kunst.  XIX,     ij,    September  1916 


381 


ARCH.    OSWIN    HEMPEL- DRESDEN     Q     HAUS  WOLF- 

COSSMANNSDORF:  LAGEPLAN,  OBERGESCHOSZ  UND 

ERDGESCHOSZ  DES  WOHNHAUSES 


besetzten  Frankreichs  ihr  Gesicht  gibt,  nähere 
Bekanntschaft  machte,  dem  wuchs  im  Vergleich 
das  Bild  des  heimatlichen  Hauses,  wie  es  in 
reicher  Mannigfaltigkeit  auf  deutschem  Boden 
erwachsen  ist,  zu  vorher  kaum  geahnter  Schön- 
heit und  Würde  heran.  Es  war  kein  nationales 
Pharisäertum,  das  in  imm.er  neuer  Dankbar- 
keit den  inneren  Reichtum  unsrer  Hausbau- 
kunst pries,  sondern  der  ehrliche  Stolz  auf 
die  Errungenschaften  unsres  eingebornen  äs- 
thetischen Willens.  Aus  dem  Zwange,  sich 
praktisch  in  fremde  Behausungen  einzuleben, 
die  Spannkraft  des  individuellen  Lebensgefühls 
im  Anpassen  an  neue  Raumtypen  zu  erproben, 
entwickelte  sich  die  Fähigkeit  zu  schärferem 
künstlerischem  Urteil  über  Art  und  Absicht  ar- 
chitektonischer Gestal- 
tung überhaupt.  Diese 
unfreiwillige  Stärkung 
eines  Vorstellungskrei- 
ses, der  unter  allen 
Kategorien  künstleri- 
scher Teilnahme  bisher 
die  geringsten  selbstän- 
digen Entwicklungsaus- 
sichten gezeigt  hatte, 
kam  der  Heimatliebe 
selbst  zugute.  Vielleicht, 
wenn  der  Gedanke  der 
Kriegerheimstätten  erst 
wirtschaftlich  fest  ge- 
gründet ist,  erleben  wir 
aus  dem  Ineinander- 
greifen einer  geradezu 
triebhaften  Sehnsucht 
nach  der  eignen  Scholle 
mit  dem  abgeschlosse- 
nen Eigenhaus  und  der 


382 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRi:si)l.N 


HAUS  WOLF  COSSMANNMiJhl  :   MRASZENSEITE 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSMANNSDORF:  NEBENGEBÄUDE 


383 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSMANNSDORF:  VERSENKTER  GARTEN 


künstlerischen  Selbstzucht,  zu  der  die  archi- 
tektonische Bewegung  der  deutschen  Gegen- 
wart die  Keime  gelegt  hat,  eine  neue  Blüte 
der  deutschen  Hausbaukunst. 

Denn  diese  Kunst,  so  Köstliches  sie  auch 
in  alten  Zeiten  geschaffen,  hatte  sich  ja  vor 
dem  Kriege  kaum  erst  aus  der  Unfruchtbar- 
keit eines  billigen  Formalismus  zu  stärkeren 
Schöpfungen  von  innerer  Gesundheit  und 
Wahrhaftigkeit  erhoben.  Ein  feiner  Beobach- 
ter wie  Felix  Poppenberg  las  noch  vor  weni- 
gen Jahren  in  der  Grunewald-Kolonie,  in  der 
doch  Reichtum  und  landschaftliche  Schönheit 
zu  Hause  sein  müßten,  eine  wahre  Muster- 
karte architektonischer  Mißgestaltungen  heraus. 
Falsch  frisierte  italienische  Lustschlösser,  fran- 
zösische Chateaux,  norwegische  Hundinghütten, 
Schweizerhäuschen  mit  Laubsäge-Niedlichkei- 
ten, Jenny  TreibelVillen,  die  ihren  Familien- 
sinn mit  redseligen  Sprüchlein  auf  der  Fassade 
verkünden,  unorganische  Produkte  aus  Ueber- 
gangszeiten,  an  denen  die  Außenseite  in  cha- 
rakterloser,  kalter  Pracht  von   einem   unper- 


sönlichen Baumeister  vorgeklebt  ist,  zusam- 
menhanglos mit  dem  Inneren,  das  etwa  von 
einem  modernen  Architekten  in  solche  un- 
dankbare Umrahmung  geschickt  hineinkompo- 
niert wurde.  In  dies  Chaos  hinein  fiel  das 
Evangelium  von  der  vorbildlichen  Erscheinung 
des  Landhauses  in  England.  Während  die  einen 
in  der  häuslichen  Baukunst  Englands  das  Ideal 
einer  Moderne  erblickten,  die  in  größter  und 
natürlichster  Sachlichkeit  ihre  Aufgabe  so  un- 
befangen löste,  daß  zwischen  den  Häusern 
der  alten  Zeit  und  denen  der  Gegenwart  trotz 
aller  technischen  Fortschritte,  die  hier  Kon- 
struktion und  Einrichtung  bedingten,  eine  grade 
Linie  der  Entwicklung  zu  liegen  scheint,  sahen 
die  anderen  in  der  Rückkehr  zu  dem  bürger- 
lichen Wohnhaus  des  ausgehenden  achtzehnten 
Jahrhunderts  und  in  der  Anknüpfung  an  die 
hier  gegebenen  Erzeugnisse  einer  geschlos- 
senen Baukultur  das  einzige  Heil.  Hier  — 
nämlich  in  England  —  fand  der  eine  vernunft- 
gemäße Lebensweise  und  Architekten,  welche 
ihren    Aufgaben   gewachsen    waren,    bei    uns 


384 


385 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSM ANNSDORF:  DURCHBLICK  AUF  DEN  GARTEN 

386 


Parvenütum  und  gänzlich  unbefähigte  und  falsch 
erzogene  Baukünstler.  Dem  Theoretiker  des 
Bauwerkes  als  eines  in  der  Idee  gefaCten  und 
zu  Papier  gebrachten  körperlichen  Gebildes 
aber  und  dem  Anhänger  der  symmetrisch  durch- 
geführten Stilweisen  der  Urgroßväterzeit  wird 
die  Verworrenheit  in  dem  äußeren  Organismus 
des  manor-house  nichts  als  eine  Quelle  von 
Mißverständnissen  für  jeden,  der  diesen  am 
Endpunkte  einer  großen  Entwicklung  stehen- 
den Typ  auf  andern  Boden  zu  verpflanzen 
sich  unterfängt. 

Es  ist  kein  geringer  Ruhm  für  die  jüngere 
Generation  der  deutschen  Baumeister,  daß  sie 
aus  diesem  Zwiespalt  den  Weg  zu  einem 
Schaffen  gefunden  hat,  das  in  seinen  ge- 
lungensten >X'erken  als  ein  wahrhafter  Aus- 
druck der  geistigen  Kultur  und  der  wirtschaft- 
lichen Tüchtigkeit  des  deutschen  Bürgers  der 
Neuzeit  genommen  werden  darf.  Daß  die  Auf- 
nahme englischer  Baugedanken,  so  unendlich 
viel  Wertvolles  wir  ihnen  entrungen  haben, 
in  der  Gegenwart  noch  viel  Anhänger  finden 
wird,  kann  kaum  befürchtet  werden.  Dennoch 
wäre  es  eine  chauvinistische  Gesinnungslosig- 
keit, wollten  wir  uns  der  Elemente  einer  klaren 
und    formsicheren  Raumkunst    schämen,    die, 


vielen  wohl  unbewußt,  aus  den  Landhäusern 
des  Inselreiches  in  unser  Bilden  übergegangen 
sind.  Wenn  wir  aber  dem  Kriege  nichts  an- 
deres verdanken  sollten  als  ein  Erstarken  jenes 
wundervollen  Heimalgefühls,  das  sich  mit 
gleicher  Liebe  in  die  Linien  der  Landschaft 
wie  in  die  steinernen  Zeugnisse  einer  uner- 
schöpflich aus  sich  selbst  wirkenden  und  zu 
freier  Schönheit  gestaltenden  Volksseele  ver- 
senkt, so  dürfen  wir  ohne  Zaudern  die  Auf- 
gabe übernehmen,  dem  Bürger  des  durch  den 
Kampf  gestählten  Vaterlandes  in  Stadt  und 
Land  das  Haus  zu  erbauen,  das  als  die  Grund- 
lage jeder  natürlichen  Gemeinschaftsform,  der 
Familie,  auch  letzten  Endes  die  Keimzelle 
jeder  größeren  staatlichen  Bildung  darstellt. 

Das  Haus,  das  diese  Blätter  zeigen,  ist  nicht 
in  den  Jahren  des  Krieges  erbaut  worden;  aus 
der  Bekanntschaft  mit  ihm  kann  nicht  im 
eigentlichen  Sinne  ein  Beweis  dafür  genommen 
werden,  daß  die  in  den  Werdejahren  der  neuen 
Baukunst  gelegten  Keime  die  Stürme  dieser 
Zeit  überdauert  haben.  Aber  seine  Entstehung 
fällt  in  die  Zeit  unmittelbar  vor  Ausbruch  des 
Krieges,  und  so  haben  wir  ein  Recht,  es  darauf 
zu  betrachten,  ob  die  Kräfte  der  Gesundheit 
und  Freiheit  künstlerischen  Ausdrucks,  die  ein 


ARCH.  OSWIN  IIEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLFCOSSM ANNSDORF:  SPALIERLAUBE  UND  NATURBAD 
387 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSM ANNSDORF:   HAUSTOR 


388 


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Dakontir«  Kunit.    XIX.    19.    Soplimbw  Iglt 


389 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLFCOSSMANNSDORF 
Gl      KAMIN  IN  DER  HALLE      ■ 


390 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  VOLF-COSSM ANNSDORF:  HERRENZIMMER 


391 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSM ANNSDORF:  ECKE  IM  SPEISEZIMMER 


Volk  wie  das  unsre  nicht  entbehren  kann,  und 
deren  Vorhandensein  unsre  Gegner  uns  so 
leidenschaftlich  bestreiten,  auch  in  seiner  Er- 
scheinung zu  spüren  sind,  und  ob  es  gelungen 
ist,  in  ihm  den  Typus  des  vornehmen  Land- 
hauses würdig  und  persönlich  neuzuprägen. 
Sein  Schöpfer,  Professor  Oswin  Hempel  in 
Dresden,  ist  seit  Jahren  einer  der  angesehensten 
jüngeren  Architekten  Dresdens,  wo  er  als  Leh- 
rer an  der  Technischen  Hochschule  wirkt.  Er 
ist  aus  der  Schule  Paul  Wallots  und  aus  dem 
Kreise  derer  um  Fritz  Schumacher  und  Wil- 
helm Kreis  hervorgegangen;  von  Natur  zu 
monumentalen  Gestaltungen  drängend,  hat  er 
es  doch  verstanden,  in  zahlreichen  städtischen 
und  ländlichen  Wohnbauten  das  Praktische  in 
ein  Gewand  von  schmuckfrohem  Behagen  und 
solider  Eleganz  zu  kleiden,  aus  vollem  Ver- 
ständnis für  die  Erfordernisse  des  individuellen 
Familienlebens  den  Organismus  der  Räume 
zu  formen.  Der  Bauherr  dieses  Hauses,  dessen 
industrieller  Wirkungskreis  ihn  von  der  Haupt- 
stadt fernhält,  wünschte  in  der  Nähe  seiner 
Arbeitsstätte  ein  Heim,  das  die  durchgebildete 
Wohnlichkeit  des  Stadthauses  mit  der  heitern 


und   offnen    Gliederung   des    Landsitzes   ver- 
einigt. 

Der  Baugrund  liegt  im  Südwesten  Dres- 
dens an  der  Stelle  des  Vorlandes  zum  Erz- 
gebirge, wo  sich  im  Weißeritztal  die  beiden 
Flüßchen,  die  wilde  und  die  rote  Weißeritz, 
vereinigen,  um  nach  Durchfluß  durch  eine 
industriereiche  Gegend  und  den  einst  wegen 
seiner  Felsromantik  hochgeschätzten  Plauen- 
schen  Grund  als  ein  stattlicheres  Gewässer  dicht 
unterhalb  der  Hauptstadt  in  die  Elbe  zu  münden. 
Im  Rücken,  gegen  Westen,  von  dichtbewaldeten 
Hügeln  geschützt,  öffnet  sich  die  Baugruppe 
gegen  Nordosten  nach  dem  Tal,  von  dessen 
Wiesengrund  die  Häuser  von  Coßmannsdorf 
sich  zu  halber  Höhe  des  Hanges  hinaufziehen. 
Die  freie  Ausdehnung  des  Geländes  machte 
es  möglich,  das  eigentliche  Wohnhaus  mit  dem 
Wirtschaftsbau  und  den  Automobilschuppen 
samt  der  Chauffeurwohnung  und  dem  Gewächs- 
haus zu  einer  bewegten,  aber  doch  klar  dispo- 
nierten Baugruppe  zu  vereinigen.  Das  Wohn- 
haus, mit  einem  hohen  Sockelgeschoß  und 
einem  Obergeschoß,  ragt  mit  seinem  energisch 
zurückgenommenen    Mansarddach    hoch    über 


392 


393 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSMANNSDORF:  BAD 


den  First  des  Wirtschaftsflügels  empor;  der 
Zwischenbau,  der  das  selbständig  behandelte 
Portal  mit  der  Unterfahrt  an  der  Fassade  ver- 
schiebt, trägt  ein  einfaches  Pultdach.  Die 
durchweg  im  Kreissegment  geschlossenen  Fen- 
ster, die  schnittige  Zusammenfassung  der 
Ecken  in  gelbgrauem  Sandstein,  die  drei  Erker 
des  Erdgeschosses,  von  denen  der  an  der 
Schauseite  reichere  figürliche  Durchbildung  der 
Pfeiler  bietet,  besonders  aber  der  breite, 
schattige  Sims  des  Daches  ergeben,  im  Verein 
mit  dem  flachen,  schlichten  Friesband  zwi- 
schen den  Geschossen  ein  Bild  ruhig  hinge- 
lagerter Seßhaftigkeit.  Und  die  herrschende 
Horizontale  wird  durch  einen  niedrigen  Ar- 
kadengang aufgenommen,  der  das  abseits  ge- 
legene Wagenhaus  mit  dem  Wohnhaus  ver- 
bindet und  zugleich  die  Aufgabe  erfüllt,  den 


Garten  gegen  die  Straße  zu  verdecken.  Von 
einem  runden  Pavillon,  der  den  Anfang  des 
Laubenganges  bezeichnet,  öffnet  sich  der  Blick 
in  der  Achse  des  Gartens  über  ein  Blumen- 
parterre und  den  von  niedriger  Steinmauer  um- 
friedeten Rasenplatz  zu  der  Pergola,  die  den 
Tennisplatz  verdeckt.  Der  Garten  enthält  in 
seiner  Nordostecke  ein  kleines  Schwimmbad, 
das  sich  mit  einer  luftigen,  säulengetragenen 
Ankleidehalle  in  die  äußere  Grundstücksmauer 
schmiegt. 

Die  im  Grundriß  so  unregelmäßig  wirkende 
Anlage  ist,  als  plastisches  Ganzes,  dank  den 
mit  größter  Feinfühligkeit  abgewogenen  Ver- 
hältnissen von  vollkommener  Harmonie  und 
anmutiger  Kraft.  Während  die  dem  Besucher 
sich  zuwendende  Westfront  die  Unregelmäßig- 
keit  der   Fensterachsen   kaum   recht  zu   Be- 


394 


ARCH.  OSWIN  HLAIPIL-DKESDEN 


HALS   UOLF-COSSMANNS- 
DORF:    GARDEROBERAUM 


wußtsein  kommen  läßt,  erweckt  dies  an  der 
Gartenseite  den  Eindruck  eines  lebenstrotzen- 
den Organismus,  der  sich  von  innen  nach 
außen,  in  ländlicher  Sorglosigkeit,  aber  durch 
das  mächtige  Dach  väterlich  behütet,  in  die 
Natur  und  ihre  Reize  und  Gaben  hineinwächst. 
Die  Anlage  des  Innern  wird  durch  den  Wunsch 
nach  wenigen,  aber  deutlich  charakterisierten 
und  durch  stark  sprechende  Motive  beherrsch- 
ten Raumeinheiten  bestimmt.  Eine  gewölbte 
Vorhalle,  deren  farbige  Kachelwände  heiter 
glänzen,  führt  in  den  Empfangsraum,  der  über 
wenige  Stufen  unmittelbar  in  die  Halle  über- 
geht. Ein  von  zwei  freistehenden  Marmor- 
säulen getragener  Rundbogen  schlägtden  Akkord 
festlicher  Würde  an,  der  durch  das  in  reichem 
Maße  als  Vertäfelung  verwandte  Holz,  die  helle 
Decke  mit  den  wuchtigen  Unterzügen  und  die 


gelassene  Linie  der  Treppe,  deren  üppig  ran- 
kendes Geländer  den  Blick  lebhaft  fesselt, 
weitergetragen  wird.  Eine  sehr  sorgfältige  Durch- 
bildung des  Estrichs  erhöht  die  Stimmung  der 
Schmuckfreudigkeit,  die  alle  Räume  des  Erd- 
geschosses durchzieht.  Im  Herrenzimmer  steht 
das  schimmernde  Braun  des  Holzwerkes  neben 
einer  dunkelroten  Wandbespannung,  im  Zim- 
mer der  Dame  Mahagoni  auf  einem  gedimpft 
gelbgrauen  Damast.  Die  Pilasterarchitektur 
des  Speisezimmers  schafft  eine  Raumwirkung, 
der  man  in  gewissen  Innenräumen  der  Spät- 
renaissance schon  begegnet  sein  mag;  in  Ein- 
zelheilen, wie  den  Zwickelfüllungen  über  der 
Kredenznische,  regt  sich  ein  freieres  Formge- 
fühl, und  das  kräftige  Blau  der  Bezüge  der 
Lichtschirme  und  Vorhänge  ruft  uns  vollends 
in  die  Gegenwart  zurück.    Von  den  Zimmern 


395 


des  Obergeschosses,  deren  Zugang  zur  Hälfte 
als  Freitreppe  in  der  Halle,  zum  andern  Teil 
als  eingebaute,  gerade  laufende  Zwischentreppe 
angeordnet  ist,  zeichnet  sich  das  Ankleide- 
zimmer durch  die  heitere  Frische  seiner  far- 
bigen Durchbildung,  das  Badezimmer  durch 
die  knappe  Eleganz  in  der  Materialbehandlung 
aus. 

Der  Künstler  dieses  Hauses  ist  keiner  von 
denen,  die  durch  überraschende  Einfälle  blen- 
den, durch  schimmernde  Pose  betäuben,  oder 
durch  das  Raffinement  der  Schlichtheit  ver- 
blüffen. Sein  Schaffen  strömt  aus  einem  ruhi- 
gen Temperament,  aus  einer  gemütvollen  Ver- 
trautheit mit  dem  Menschlichen  und  aus  der 
sicheren  Kenntnis  aller  technischen  und  sach- 
lichen Gestaltungsmittel.  All  das  spiegelt  sich 
in  dem  schönen  Familienhaus,  das  in  dem 
frischen  Grün  des  Hügellandes  wie  ein  sorg- 
sam geschliffener  Stein  in  den  Falten  eines  sei- 
denen Gewebes  liegt,  edler  Stoff  in  geprägter 
Form.  E.  Haenel 


Mit  dem  Begriff  Talent  verbindet  man  gewöhn- 
lich etwas  Schwächeres  als  mit  dem  Begriff  Genie, 
man  denkt  dabei  mehr  nur  an  eine  gewisse  Leichtig- 
keit, an  die  Gabe  des  Anempfindens,  Nachahmens. 
Jeder  hat  ja  in  seinem  Leben  ein  paarmal  Verse 
gemacht,  aber  ohne  starken  Drang  und  Erfolg. 
Das  Genie  dagegen  ist  eine  geistige  Naturkraft 
von  einer  schöpferischen  Urgewalt,  die  alle  Herzen 
bezwingt.  Es  sieht  mit  dem  Blitz  der  Ahnung  in 
das    Herz    der    Dinge.      Sein    Wesen    ist   zentral. 

F.  Th.  Vischer 

Kunst  ist  der  brausende  Akkord  des  Schönen, 
wie  ihn  sehnsuchtstrunkene  Herzen  träumen.  Einen 
Kanon  für  seine  Harmonisierung  hat  noch  niemand 
gefunden.  Darum  begnügen  wir  uns  mit  Indivi- 
dualität. Manuel  Wielandt 

Man  muß  mit  Feuer  entwerfen  und  mit  Phlegma 
ausführen.  Winckelmann 

Kunst  verhält  sich  zur  Natur  wie  die  Garten- 
rose zur  Heckenrose,  wie  der  farbig  leuchtende, 
von  Wasser  überrieselte  Stein  zu  dem  trockenen 
Kiesel.  Hermann  Obrist 


ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN 


HAUS  WOLF-COSSMANNSDORF:  PERGOLA 


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WANDA  BIBROWICZ-SCHREIBERHAU 


Ausführung:  Schlesische  Werkställe  für  Kunstweberei,  Obcr-Schreiberhau 


VANDBEHANG  „FALKEN" 


BILDWIRKEREIEN  VON  WANDA  BIBROWICZ-SCHREIBERHAU 


Als  vor  kurzem  an  dieser  Stelle  von  den 
i.  Verdiensten  die  Rede  war,  die  Pro- 
fessor Wislicenus  mit  seinen  Entwürfen  und 
seiner  übrigen  anregenden  Tätigkeit  um  die 
werkmäßige  Anwendung  derWebetechnik  für 
dieBildwirkerei  der  Gegenwart  besitzt,  wurde 
neben  ihm  auch  schon  der  Name  der  We- 
berin genannt,  durch  deren  verständnisvolle 
Handgeschicklichkeit  jene  Bildteppiche  vom 
Entwurf  zur  Ausführung  gelangt  sind, 
WANDA  BIBROWICZ.  Von  ihr  seien  heute 
eine  Anzahl  selbständiger  und  neuer  Ar- 
beiten hier  veröffentlicht. 

Denn  Frl.  Bibrowicz  ist  nicht  nur  an 
der  Ausführung  fremder  Entwürfe  am  Web- 
stuhl tätig.  Als  eine  der  ersten  Schüle- 
rinnen von  Wislicenus  hat  sie  neben  dem 
Handwerk  auch  die  Fähigkeiten  der  Ent- 
wurfsarbeit mit  so  viel  Temperament  und 
so  guter  natürlicher  Begabung  geübt,  ist 
durch  die  helfende  und  zügelnde  Nähe 
ihres  Lehrmeisters  lange  Jahre  so  wohl- 
beraten gewesen,  daß  sie  heute  die  größten 
Aufgaben  selbständig  und  mit  schönem  Er- 
folg zu  übernehmen  vermag.  Der  alltägliche 
kleine  Bedarf  an  Entwürfen  für  die  Kissen, 
Taschen,  Wandbehänge  und  anderen  Kleinig- 
keiten, die  in  der  Webewerkstatt  entstehen, 
wenn  es  an  großen  Aufträgen  fehlt,  waren 


schon  lange  ihr  Gebiet.  Und  wenn  wir  an 
die  alten  Bildwirkereien  denken,  die  wir  in 
unseren  Museen  am  meisten  finden,  z.  B.  an 
jene  aus  Schleswig-Holstein  in  Menge  her- 
vorgegangenen Kissenbezüge  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts,  in  denen  Bilder  aus  Bibel 
und  Sage,  umgeben  von  derben  Blumenborten, 
sich  so  typisch  wiederholen,  dann  will  es 
scheinen,  als  könnte  auch  heute  noch  in  die- 
sen nützlichen  und  zugleich  schmückenden 
kleinen  Beiträgen  zum  Hausrat  der  Gegen- 
wart eine  dauernde  lohnende  Aufgabe  für 
die  Handarbeit  am  Webstuhl  liegen.  Dabei 
möchte  ich  nicht  meine  unüberwindliche  Ab- 
neigung gegen  den  Wandbehang  verschwei- 
gen, der  am  besten  wieder  aus  dem  Gedan- 
kenkreis unserer  angewandten  Kunst  ver- 
schwindet, so  lange  wir  keine  schwedischen 
Blockhäuser  bewohnen,  in  denen  er  ein  wirk- 
liches Bedürfnis  von  jeher  gewesen  ist. 

Auf  starke  Farbenwirkungen  von  vorn- 
herein bedacht,  verfügt  Frl.  Bibrowicz,  Polin 
von  Geburt,  nicht  nur  über  das  wünschens- 
werte Temperament  und  die  leichte  Beweg- 
lichkeit, die  zum  stets  erneuten  Erfinden  Vor- 
aussetzung sind,  sondern  sie  bringt  für  diese 
Arbeit  auch  die  unentbehrliche  gründliche 
Kenntnis  der  Webetechnik  mit,  die  von  Na- 
tur  im  Entwurf  des   Gewebes   dieser  Art 


Dckoratlre  Kunst.  XIX.     i?.    September  191S 


397 


berücksichtigt  werden  muß.  Diese  Rück- 
sicht, die  jedem  Naturalismus  der  Zeichnung 
zuwiderläuft,  verlangt  ein  Gefüge  von  mög- 
lichst eckigen,  geraden  und  senkrecht  zu- 
einander verlaufenden  Linien,  strebt  nach 
möglichst  gleichmäßiger  Verteilung  des  Mu- 
sters über  die  ganze  Bildfläche  und  drängt 
so  zu  einer  Stilisierung  der  Natur,  die  uns 
als  Sprache  der  Bildwirkerei  seiner  Zeit 
zuerst  bei  dem  Norweger  Gerhard  Munthe 
aufgefallen  ist.  Ihre  Raben  und  Falken,  ihre 
Rehe  sind  gute  Beispiele  für  diese  Art  von 
Verarbeitung  der  Naturmotive.  Wichtiger 
noch  scheinen  mir  die  Ansätze  zu  einer  eige- 
nen Ornamentsprache.  Diese  gerade  braucht 
die  Bildwirkerei  am  meisten,  wenn  sie  künftig 
vor  dem  Vielerlei  aller  möglichen  Versuche 
zu  einer  festen  typischen  Formbehandlung 
kommen  soll,  die  schließlich  jede  alte  Kul- 
tur-Epoche besaß,  die  wir  in  Mobiliar  und 
Gerät  seit  Jahren  schon  uns  geschaffen 
haben,  und  die  uns  nach  der  Periode  allzu 
eifrigen  Phantasie-Aufwandes  in  Eckmanns 
Tagen  nun  sehr  willkommen  sein  wird  auch 
in  diesen  Gebieten  der  angewandten  Kunst. 


So  scheint  gerade  in  den  einfachsten  der  hier 
abgebildeten  Entwürfe  von  Frl.  Bibrowicz  am 
meisten  der  Weg  zu  liegen,  auf  dem  in  Zukunft 
die  Kleinarbeit  des  Webstuhls  mit  dem  mei- 
sten Nutzen  betrieben  werden  kann.  Zu  dem 
Reiz  einer  sicheren,  klaren  und  einleuchten- 
den ornamentalen  Erfindung  tritt  ja  der  uns 
heute  so  notwendige  andere  der  Gediegenheit 
von  Material  und  Arbeit,  die  an  sich  schon  so 
wertvoll  wirken,  daß  es  eines  üppigen  phanta- 
sievollen Schmuckes  nicht  so  sehr  mehr  bedarf. 
Anders  alsbei  diesen  Gebrauchsgegenstän- 
den steht  die  Frage  beim  eigentlichen  Bild- 
teppich. Wie  sie  diesem  gerecht  zu  werden 
weiß,  wird  Frl.  Bibrowicz  bald  zu  zeigen 
Gelegenheit  haben  an  einem  großen  Staats- 
auftrag, der  ihre  Werkstatt  mehrere  Jahre 
beschäftigen  wird:  das  preußische  Unter- 
richtsministerium hat  die  Mittel  bereitge- 
stellt, um  den  Sitzungssaal  des  alten  Kreis- 
hauses in  Ratzeburg  mit  Bildwirkereien  aus- 
zustatten, zu  denen  die  Entwürfe  bereits 
fertiggestellt  sind  —  ein  höchst  erfreulicher 
Lohn  für  die  lange  Zeit  des  Wartens  und 
Versuchens.  Prof.  K.  ScHAEFER-Lübeck 


WANDA  BIBROWICZ-SCHREIBERHAU  WANDTEPPICH  „WEIHNACHTEN" 

Ausführung:  Schlesische  Werkstätte  für  Kunstweberei,  Ober-Schrciberhau 


398 


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WANDA  BIBROWICZ  □  GEWEBTE  HANDTASCHEN,  KISSEN  UND  SCHWARZ-WEISZE  DECKE 

Ausführung:  Schlesische  Werkstätte  für  Kunstweberei,  Ober-Schreiberhau 


400 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


Ausführung:  Wiener  Werkstllte 


BONBONDOSEN,  SILBER  GETRIEBEN 


DAGOBERT  PECHE 


Salzburg  und  Wien,  Josef  Hoffmann  und 
das  Slawische  haben  diese  Persönlichkeit 
befruchtet  und  sind  noch  immer  an  ihrer 
Läuterung  beteiligt.  Denn  noch  gärt  diese 
Jugend,  noch  ist  sie  nicht  ganz  geklärt,  rauf- 
lustig und  blühend,  bewegt  sie  sich  mit  gleichem 
Behagen  auf  allen  Gebieten  des  künstlerischen 
Schaffens,  hat  die  selige  Unruhe  überquellen- 
der Phantasie,  hat  unverwirklichte  Gedanken 
und  unerfüllte  Sehnsucht.  Wir  treten  hier 
einem  Temperament  mitten  in  seiner  vollen 
Bewegung  entgegen,  freuen  uns  seiner  selbst- 
herrlichen Fülle  und  sehen  unsere  beste  Pflicht 
in  dieser  reinen  Betrachtang,  die  weder  nach 
dem  Fertigen  des  durchmessenen  Weges,  noch 
nach  den  Verheißungen  der  anbrechenden 
Reife  peinlich  fragt,  nicht  nachrechnet  und 
vorschreibt,  sondern  genießt.  Wir  sehen  die 
Kraft,  vertrauen  ihrem  Reichtum  und  wollen 
ihr  keine  Klärungen  bringen,  die  sie  bisher 
in  der  eigenen  Arbeit  gewann,  dort  weiter 
gewinnen  und  uns  bringen  muß.  Es  ist  uns 
genug,  der  Entfaltung  solcher  Künstlerjugend 
gastlich  anzuwohnen. 

Es  kann  einem  Wiener  Kinde  nicht  leicht 
etwas  Besseres  widerfahren,  als  die  Zeit  seiner 
ersten  Reife  in  Salzburg  zu  verbringen.  Der 
Verwirrung  und  dem  Angriff  der  Großstadt 
entzogen,  werden  hier  die  Stürme  der  Seele 
von  dem  freundlichen  Frieden  einer  in  jeder 
Anmut  prangenden  Stadt  umhegt,  in  ihre  Stille 
gelenkt  und  zum  reichen  inneren  Knabenglück. 
Man  wird  diese  Beisteuer  Salzburgs,  das 
Blumige  und  das  spielend  Festliche,  das  erste 
Bekennen  zu  einem  dem  Ernst  und  der  Schwere 


fremden,  von  mutwilliger  Schönheit  geschmück- 
ten und  erleichterten  Dasein,  die  fortwirkende 
Erinnerung  an  die  Gärten  von  Mirabell  im 
Werke  Peches  wiederfinden.  Gerade  auf 
diesem  Knabenglück  beruht  der  Giund  seiner 
heiteren  Männlicl  keit  und  dazu  die  landstidti- 
sche  Umgrenzung  seiner  von  Wien  entfesselten 
Begabung. 

Gewiß,  Peche  brauchte  Wien.  Hier  fand 
er  die  Heimkehr  auf  mütterlichen  Boden,  be- 
schwert von  der  seligen  Fracht  der  Salzburger 
Jahre,  hier  traf  ihn  der  Anruf  des  vielfaltigen 
GroQstadtbedürfnisses  nach  feinem  Schmuck 
des  Haus-  und  Straßenlebens.  Hier  begegnet 
aber  auch  gerade  er  der  vielfachen  Gefähr- 
dung, der  beweglichen  Mode  vom  Tage  in 
die  Hände  zu  fallen.  Und  da  ist  es  doch 
ein  Zeichen  seiner  schlummernden,  auch  heute 
noch  nicht  sinnfällig  gewordenen  Ernsthaftig- 
keit, daß  er,  dessen  Art  und  Alter  leicht  und 
zu  anmutigen  Spielen  geneigt  erschien,  zu- 
nächst die  Lehre  der  strengsten  Kunst  suchte. 
Von  der  Schule  Otto  Wagners,  dem  weltstidti- 
schen  Absolutismus  der  Zweckmäßigkeit,  wie 
er  ihn  hier  sah,  befremdlich  berührt,  tauscht 
er  die  Technik  gegen  die  Akademie  und  ge- 
winnt in  Ludwig  Ohmann  einen  der  eigenen 
Anlage  zusagenderen  Führer  in  der  Architek- 
tur. Weder  der  eine  noch  der  andere  bat 
seinem  beginnenden  Werke  deutliche  Richtun- 
gen gegeben,  aber  auf  der  Spur  beider  findet 
das  Talent  den  Weg  zur  Bekundung  der  eigenen 
architektonischen  Gesinnung,  die  im  Empire 
wurzelt.  Die  Grundlinie  der  Bauform  aller 
seiner  kecken  EinfSlle  ist  die  schlank  strebende. 


401 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


KAFFEEGESCHIRRE 


elegante  Grazie  des  Empire  und  was  sich  dem 
Blicke  auffälliger  bietet,  die  barocke  Schwingung 
und  Fülle,  ist  doch  nur  die  dekorative  Um- 
kleidung, das  unnotwendige  und  wandlungs- 
fähige Attribut  jener  bleibenden  Struktur,  in 
deren  fortschreitender  Klärung,  Sichtbarkeit 
und  Bedeutung  das  schon  jetzt  erkenntliche, 
entscheidende  Moment  seines  reifenden  Stiles 
gelegen  ist. 

So  lagen  die  beiden  Elemente  seines  We- 


sens und  Lebensganges,  der  Schmuck-  und 
der  Formtrieb,  das  Barock  und  das  Empire, 
Salzburg  und  Wien,  noch  recht  unvermittelt 
und  unverarbeitet  nebeneinander,  in  Erwartung 
ihrerorganischen  Verbindung,  die  dieser  Künst- 
ler ja  irgendwann  auch  aus  eigener  Kraft  hätte 
finden  müssen,  aber  jetzt  unter  fremder,  zu- 
ständiger Führung  ohne  unnützen  Aufwand 
mißratener  Versuche,  ohne  die  übliche  Fülle 
von    Bitterkeit   und    Enttäuschung    vollziehen 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


STREUBLUMENGESCHIRR 


402 


ARCII.  DAGOBERT  PECHE  AUFSATZ,  SILBER  GETRIEBEN 

Ausführung :  Wiener  Verkstütle 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


TEEDOSE  UND  AUFSATZ,  SILBER  GETRIEBEN 

Ausfübrunt:  Wiener  WerksMite 


403 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 

Ausführung:  Vereinigte  Wiener  und  Gmundener  Keramilt  G.  m.  b.  H.,  Gmunden 


FAYENCEN 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 

Ausführung:  Vereinigte  Wiener  und  Gmundener  Keramik  G.  m.  b.  H.,  Gmunden 


FAYENCEN 


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Dekorative  Kunst.     XIX,    lu.    September  1916 


405 


S2 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


Ausführung:  J.  Soulek-Wien 

406 


SALON 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


DAMENSALON 


Austabruni:  K»rl  Selditr-Wlen 
407 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE  WIEN 


Ausführung:  Karl  Seidler-Wien 


SITZECKE  IM  DAMENSALON 


konnte.  Schon  bisher  waltete  ja  ein  freund- 
liches Geschick  über  den  Wegen  dieser  Ju- 
gend, die  zuerst  den  rechten  Ort  für  ihre 
innere  Entfaltung,  dann  die  geeignete  Unter- 
weisung in  den  unverkennbaren  Grundlagen 
ihres  weitreichenden  Kunstfaches  erhalten  hatte 
und  nun  ihrer  Entmündigung  harrte.  So  voll- 
zieht sich  unter  dem  Einfluß  Josef  Hoffmanns, 
des  warmherzigen,  hellsichtigen  Meisters,  dem 
die  Jugend   des  Wiener  Kunstgewerbes,   also 


die  blühende,  siegende  Gegenwart  der  Wiener 
Kunst,  ihre  Klarheit  und  Selbsterkenntnis  ver- 
dankt. Man  wird  den  unabsehbar  wohltätigen 
und  weisen  Eingriff  des  Führers  auch  im  Werke 
Peche  unschwer  auffinden,  die  Abstreifung  des 
Herkömmlichen  und  Angelernten,  die  Entfal- 
tung des  Notwendigen  und  Wesentlichen,  die 
Lösung  des  Konfliktes  von  Schmuck  und 
Form,  ihr  Aufgehen  in  einer  nun  wieder  un- 
berührt erscheinenden  Eigenart  sind  hier  wie 


408 


409 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


SCHAUKASTEN-ECKE  IM  VITRINENUMGANG 
DER  MODEAUSSTELLUNG  IN  WIEN  1916       Q 


auch  sonst  im  Umgangskreise  Hoffmanns  die 
untrüglichen,  wirkenden  Zeichen  dieses  Weg- 
bereiters. 

Nun  weiß  man,  daß  in  der  letzten  Entwick- 
lung des  Wiener  Kunstgewerbes  dieVolkskunst 
mannigfach  mitgespielt  hat.  Hier  begegnete 
sich  die  von  der  Architektur  aus  ihrer  struk- 
tiven  Gesetzmäßigkeit  gewonnene  Forderung 
nach  materialechter  Gestaltung  mit  der  tech- 


nischen Sicherheit  des  volkstümlichen  Hand- 
werkes. Hier  strömte  ein  unverbrauchter  Ueber- 
fluß  an  formalen  Gedanken  und  dekorativer 
Erfindung  zu,  eine  ursprüngliche  und  ausdrucks- 
volle Linienführung  und  eine  satte,  sinnige 
Farbenfrische,  die  energisch  in  der  Wahl,  un- 
fehlbar in  der  Zusammenstimmung  erschien. 
Vor  allem  der  slawische  Kreis  bot  überraschen- 
den, ungehobenen  Schatz.  Josef  Hoffmann,  der 


410 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


BLICK  IN  DIE  HAUPTHALLE  DER 
MODEAUSSTELLUNG  IN  VIEN  191« 


Grenzer,  ein  Deutscher  aus  der  Sprachinsel 
inmitten  des  tschechischen  Landes,  mußte  auch 
hier  der  berufene  Mittler  werden.  Wie  sehr 
auch  die  Großstadt,  namentlich  Wien,  die  Reichs- 
hauptstadt der  vielen  Völker,  diesen  Zufluß  zur 
Auffrischung  brauchte,  es  konnte  nicht  aus- 
bleiben, daß  er  hier  anfangs  befremdlich,  ge- 
waltsam verpflanzt  und  entwurzelt  erschien. 
Schon    in    vorgerückter    Stunde,    mannigfach 


verarbeitet,  traf  er  auch  Peche.  Und  so 
konnte  es  ihm  leichter  gelingen,  das  Wider- 
strebende zu  vereinen,  die  ländliche  Beisteuer 
seinem  Schmuckvorrat  einzufügen  und  sie  der- 
art restlos  in  ihm  aufgehen  zu  lassen,  daß  sie 
mit  dem  übrigen  ein  neues  Ganzes  wurde,  in 
dem  sich  jene  Grundlagen  seines  Werkes  nicht 
wesentlich  verändert,  sondern  nur  bereichert 
darboten. 


411 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE-WIEN 


STOFFMUSTER 


So  erscheint  er  uns  im 
blick  seiner  Gegenwart.  D 
deuteten  Erfahrungen  hat 
hier  den  verwandten  Bo- 
den einer  Eigenart  er- 
reicht, die  nur  elemen- 
tare Verbindungen  ein- 
geht. Aus  der  Bedeut- 
samkeit der  Wurzel- 
stränge mag  man  ent- 
nehmen, daß  dieses 
Werden  vielfache,  kom- 
mende Reife  gewärtigen 
läßt.  Man  darf  sich  nicht 
darauf  berufen,  daß  er 
bisher  nur  in  Moden 
und  Tapeten,  in  graphi- 
scher und  keramischer 
Arbeit,  in  Schmuck  und 
allerhand  Kleinwerk,  in 
Möbeln  und  Innenräu- 
men sein  Bestes  gege- 
ben hat.  Man  muß  sich 
daran  halten,  daß  dies 
und  das  übrige,  daß 
hier  alles  noch  Ent- 
wurf ist.   Und  wird  dann 


blühenden  Augen- 
ie  Fülle  der  ange- 


ARCH.  DAGOBERT  PECHE     Q 


aus  diesem  Entwurf  eines  Künstlercharakters 
schon  jene  durchgehende  Linie  der  Form 
herauslesen,  die  über 
das  anmutige  Spiel  hin- 
weg auf  Größeres  und 
Ernstes  deutet  und  in 
der  Architektur  enden 
muß,  wenn  die  Stunde 
der  Reife  und  mit  ihr 
die  äußere  Möglichkeit 
ihrer  Darstellung  in  an- 
sehnlicheren Aufgaben 
gekommen  ist.  Dann  wird 
auch  die  leicht  beweg- 
liche Vielseitigkeit  sei- 
ner Jugend  einer  straff 
gesammelten  Männlich- 
keit weichen. 

Jedenfalls  ist  er  ein 
hoher  Einsatz  in  der  Zu- 
kunft der  Wiener  Kunst, 
die  sich  seiner  voll  be- 
sinnen muß,  will  sie  in 
ihrer  beglückenden  Be- 
wegung nach  aufwärts 
EiERATRAPPE       "'cht  innehalten. 

AUS  PAPPE    a  Max  ElSLER 


Verantwortlicher  Herausgeber :  i.  V.  P.  Kirchgrabeb.  —  Druclj  und  Verlag  von  F.  Bruckmann  A.-G  ,  München,  Nymphenburgerstr.  86 


N 
3 
K7 


Die  Kunst 


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