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UNSERER
ZEIT
EINE CHRONIK DES /
äX/a^dernen Künstlebens.,
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DIE
KUNST UNSERER ZEIT
EINE CHRONIK
DES
MODERNEN KUNSTLEBENS.
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I
MÜNCHEN
FRANZ HANFSTAENGL
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
5
KGL. HOF- UND UNIVER8ITÄTS-BUCHDRCCKEREI DR. C. WOLF & SOHN.
Inhalts -Angabe.
-<3— — e^
1900. II. HALBBAND.
Literarischer Theil.
Seite
Heilnieyer, Alexander. Münchener Jahres-
Ausstellungen 1900 113
.«elte
Heil mey er, Alexander. Ueber deutsche Plastik 157
Vollbilder.
Seite
Münchener Jahres- Ausstellungen 1900.
Bredt, F. M. Eva und Maria 132
Defregger, F. v. Tiroler 120
Eisenhut, F. Theetrinker in Samarkand . . 136
Firle, W. Unter blühenden Blumen .... 116
Jvanovits, P. Furor teutonicus 152
Kaulbach, F. A, v. Das Spielzeug .... 120
Lenbach, F. v. Fräulein Seh 128
Löwith, W. Im Vorzimmer des Ministers . . 136
Müller-Kurzwelly, K. Fallende Blätter . . 116
Petersen, H. Auf hoher See ...... 148
Rau, E. Nach der Pürsch 154
Ritzberger, A. Abendklänge 152
Rupprecht, T. Frauenbildniss 144
Schmutzler, L. Quadrille . 144
Schuster-Woldan, R. Odi profanum 128
Seifert, A. Der Hesperiden goldene Aepfel . 132
Stuck, F. Dionysos 154
Thoma, H. Frühlingsmärchen 148
Seite
Ueber deutsche Plastik.
Begas, R. Venus und Amor 208
Flossmann, J. Beethoven 188
Hähnel, E. Aus dem Bacchuszuge .... 172
Hildebrand, A Der Kugelspieler .... 180
Klinger, M. Kauernde 216
Maison, R. Statue Otto 1 216
Rauch, Ch. Viktoria ■ 164
Rietschel, E. Goethe und Schiller .... 172
Schadow, G. Grabmal des jungen Grafen
Alexander v. d. Mark 164
Schilling, J. Der Morgen 176
— Die Nacht 180
Schwanthaler, L. v. Brunnenfigur .... 200
Siemering, R. Germania-Denkmal in Leipzig 176
Stuck, F. Die Amazone 188
Thorwaldsen, B. Adonis 160
— Tag und Nacht 160
Wagmüller, M. Das Grabmal des Künstlers 208
Widnmann, M. v. Antikes Relief .... 200
Textbilder.
Münchener Jahres
Seite
Beggrow-Hartmann, O. Fische ..... 126
Black, Andrew. Im alten Schottland .... 140
Bios, Carl. Schwarzwälderin 117
Burger, Anton. Tuchgaden 132
Diez, Julius. In arte libertas 153
Eichler, R. M. Gewitter im Frühling . . . 121
— Heugeruch 135
Erdtelt, M. Mädchenbildniss 131
Erler, Fritz, Die Pest ......... 134
Exter, Julius. Eine Ueberraschung .... 127
Fink, August. Novemberabend 125
Georgi, Walther. Kartoffelernte 133
-Ausstellungen 1900.
Seite
Hahn, Hermann. Christus 154
Haider, Karl. Abendlandschaft mit heimkehr-
endem Ritter 147
Herterich, Johann. Der Erlöser 130
Heyden, Hubert von. Kampf 146
Hoch, Franz. Landstrasse 116
Hofner, J. B. Schafe 120
Jank, Angelo. Heidi! 145
Kaiser, Richard. Alter Steinbruch bei Kuf stein 141
Kaulbach, F. A. v. Prinzregent Luitpold von
Bayern 115
Keller, F. Bildniss des Grossherzogs von Baden 123
Seite
Klinger, Max. Schlafende 152
— Tänzerinnen 155
Kunz, Adam. Stillleben 137
Laing, James. Hafen in Dordrecht .... 136
Laurenti, Cesare. Hirtenleben 129
Lucius, Sebastian. Römischer Fries . . . . 113
Marr, Carl. Dämmerung 120
Messerschmitt, P. F". Vor dem goldenen
Löwen 128
Münzer, Adolf. Arbeit und Luxus . . . . 124
Netzer, Hubert. Orpheus-Brunnen .... 150
Oppler, Alexander. Porträtbüste 143
Palazios,E. Grabmal einer vornehmen Spanierin 156
Seite-
Propheter, Otto. Bildniss der Frau Junker . 138
Samberger, L. Bildnisstudie 148
Schaefer, Phil. O. Ständchen 119
Schmitzberger, J. Aus unseren Bergen . . 126
Schreuer, Wilhelm. Reconstruirte Stadtansicht 128
Schulz, Helene Damenbildniss 124
Schuster- Wold an, Raffael. Porträt I. Höh.
der Herzogin von Mecklenburg. . , . 118
Spence, H. Landschaft ........ 139
Taschner. Rauhbein 149
Wirth, Anna Marie. In der Apotheke . . . 122
Zerritsch, F'ritz. Bruckner-Denkmal . , . 151
Zumbusch, L, v. Greis und Kind .... 146
Ueber deutsehe Plastik.
Antike Plastiken: Grabmal (Doppelporträt) . 157
— Das Peristil eines pompejanischen Hauses 158
— ZweiGrabmäler vom attischen Friedhof 161 163
— Ansicht aus einem pompejanischen Hause
mit einer Porträt-Herme 159
— Gräberstrasse vom attischen Friedhofe vor
dem Tipylon in Athen 160
— Römisches Grabmal 164
Begas, R. Merkur und Psyche 208
— Adolf Menzel 209
— Schillerdenkmal in Berlin 210
Brugger, F. Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel 206
Flossmann, J. Büste 197
— Zwei Reliefs vom Bismarck-Thurm am
Starnbergersee 198
— Eine Mutter 199
Hautmann, K. Königin Elisabeth von Böhmen 205
Hähne 1, E. Aus dem Bacchuszuge . . . . 176
— Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das
Tanzen 177
— Entwurf zu einem Standbilde Raffaels . 178
Hildebrand, A. Hirtenknabe 187
— Der Flötenspieler 188
— Porträt 190
— Trinkender Knabe 191
— Kain und Abel 192
— Weibliche Figur 193
Hudler, A. Der Schnitter 219
— Bildnissbüste 217 218
— Adam 218
Kurz, E. Relief zum Geiger- Schauenburg-
Denkmal in Lahr 194
— Bildniss 195
— Porträt 197
Maison,R. Herold v. Reichstagsgebäude in Berlin 211
— Brunnen in Fürth 212
— Brunnen in Bremen 213
— Der Philosoph 214
Netzer, H. Giebelfigur am Justizpalast . . . 220
Netzer, H. Brunnenfigur . 220
— Entwurf für ein Denkmal 220
Rauch, Christian. Max Joseph-Denkmal . . 169
— Goethe im Hausrock 171
— Standbild des Philosophen Immanuel Kant 172
Rietschel, E. Lessingstatue ........ 173
— Das Standbild Luthers 174
— Büste des Bildhauers Rauch 175
Seffner, K. Max Klinger 214
— Königin Carola von Sachsen 215
— Zwei Bildnissbüsten 216
Schadow, Gottfried. Studie zu einem Relief
am Zietendenkmal 166
— Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des
Grossen 167
— Standbild des General Zieten . . . . 168
Schilling, J. Der Krieg. Statue am Nieder-
wald-Denkmal 183
— Kriegerdenkmal in Hamburg (\'order- und
Rückansicht) 184 185
— Schwanenmädchen 186
— Relief vom Niederwald-Denkmal . . . 189
Schwanthaler, L. v. Melusine 202
— Drei Grazien 203
— Grabrelief 203
— Entwurf: Johann Wilhelm 1 204
— Entwurf: Velasquez 204
Siemering, R. Krieg 179
— Relief zum Einzug der siegreichen Truppen
in Beriin 180
— Washington-Denkmal 181
— Relief zum Gräfe-Denkmal in Berlin . . 182
Stuck, Franz. Verwundeter Centaur .... 200
— Der Athlet. (Vor- und Rückansicht) . . 201
Thorwaldsen, Bertel. Aus dem Alexanderzuge 165
Wagmüller, M. Barmherzigkeit 207
— Selbstporträt, Oelgemälde 208
Widnmann, M. v. Stein werf ender Krieger . 206
— Grabrelief 206
Seöasiian J.ii
Römischer Fries
ÜBER DIE
Münchener Jahres-Ausstellungen 1900
VON
ALEXANDER HEILMEYER
Eigentlich bieten Ausstellungen, wo ein Bild neben dem andern hängt und jedes eine andere Art
hat, keinen Genuss, und ein so feinfühliger Künstler, wie Anselm Feuerbach war, hatte ein
Recht zu sagen, Ausstellungen gleichen Jahrmärkten, worauf Dutzende von Drehorgeln spielen und
jede eine andere Melodie. Für Werke, die eine in sich ruhende eigene Welt darstellen, macht sich
dies besonders störend geltend. Man hat in neuerer Zeit angefangen, einen anderen Standpunkt
einzunehmen und auf eine einigermassen künstlerische Umgebung der Bilder Werth zu legen, womit
allerdings noch nicht jener ideale Zustand erreicht ist, dass Jeder eine gerade seiner Kunst angepasste
Umgebung bekommt, ein Verhältniss, wie es sich nur einige unabhängige Künstler Englands geschaffen
haben, indem sie im eigenen Hause ihre Werke ausstellten. Bei uns sind die Ausstellungen
nothwendige Veranstaltungen, deren Ausfall als Kunstmarkt für die Künstler ein empfindliches Manquo
bedeuten müsste. Sie gleichen, wie Einer treffend sagte, einer Börse, die Künstler und Kunstliebhaber
unterrichtet, wie die künstlerischen Strömungen und Werthe stehen.
Die Münchener Ausstellungen erfreuen sich eines besonderen Zuspruchs, sie weisen immer
eine Fülle künstlerischer Qualitäten auf und selbst im heurigen Jahre, wo die Ausstellung schlecht
vom Auslande beschickt wurde und viele Heimischen in Paris ausstellten, kommt dies zur Geltung.
München ist immer noch die künstlerische Centrale von Deutschland. Es müssen starke Quellen
der Anregung zum künstlerischen Schaffen im hiesigen Boden vorhanden sein und das gemüthliche
II 16
114 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Stillleben muss wohl auch dazu beitragen, dieses Schaffen zu begünstigen und die Künstler festzuhalten.
Denn am Strande der Spree werden grosse Anstrengungen gemacht, die politische und wirthschaftliche
Metropole des Reiches auch zum künstlerischen Mittelpunkt Deutschlands emporzubrino-en , indem
man mit Aufwand glänzender Mittel der modernen Kunst einen Nährboden bereiten will.
Eine besondere Eigenart künstlerisch individueller Auffassung äussert sich sowohl in alten wie
modernen Werken. Noch sehr beliebt sind Darstellungen, wie sie sich aus dem Zusammenleben mit
Land und Leuten ergeben. Von der einst so prunkenden Höhe des Sittenbildes, an welche Namen
wie Defregger, Dietz, Spitzweg und andere erinnern, ist nur noch ein matter Abglanz vorhanden,
charakteristischer Weise hält sich die Neigung zu solchen Darstellungen hier bis heute. Auch die
Neigung zu altmeisterlichen Reminiscenzen hält sich hier länger als anderswo, und als Correktiv stehen
sie in unumschränkten Ansehen, was jedoch die Münchener Künstler nie gehindert hat, mit seltenem
Geschick den modernen Bewegungen zu folgen und das entwickeltere, malerische Gefühl für Licht
und Raum auf ihre eigene Kunst zu übertragen. So lässt sich beobachten, wie sich des öfteren
urbayerische Naturlaute mit verfeinerten Symbolizismen mischen, und überhaupt begegnet man
nicht selten eigenthümlichen Erscheinungen, die zum materiellen, schweren Charakter der Münchener
Kunst eine ungemein vornehme geistige Note hinzufügen.
Die heurige Jahresausstellung birgt Kollektivausstellungen Glasgower Künstler, der Italiener,
der Karlsruher Künstlergenossenschaft und des Künstlerbundes, ausserdem sind Werke von Mitgliedern
der Stuttgarter Kunstgenossenschaft vorhanden.
Unter den einheimischen Gruppen fehlt die Secession, die im eigenen Hause ausstellt, dagegen
ist die Luitpoldgruppe und die «Scholle» mit interessanten Werken beschickt.
Bei Betrachtung und Besprechung der einzelnen Kunstwerke wollen wir von dem beliebten,
aber oft einseitig geübten Einschachtelungsverfahren nach Historien, Genre, Sittenbildern u. s. w.
absehen, desto mehr aber der Bedeutung der künstlerischen Schöpfungen nach der Art und Weise ihrer
besonderen Empfindung und ihrer besonderen künstlerischen Absichten gerecht zu werden versuchen.
Der Text musste rasch geschrieben werden, und es ist „daher leicht möglich, dass Manches
übersehen wurde, wie auf einer Eahrt mit dem Schnellzuge durch ein schönes Stück Land mancher
schöne Punkt, manches idyllische Plätzchen übersehen wird, das den gemächlich einherwandernden
Beschauer zum Verweilen einladet. Wer die Ausstellung selbst besucht, wird darum noch manche
Entdeckerfreude ungeschmälert geniessen.
Die Luitpoldgruppe weist immer gute künstlerische Qualitäten auf, wenn sie auch heuer gegen
das Vorjahr in ihrer Gesammterscheinung weniger hervortritt. Wir treffen hier Werke an, welche
die modernen Errungenschaften in der Malerei dem Publikum mundgerechter zu machen verstehen als
die Secession, Maler, die das Plein-Air, den Impressionismus und Neuidealismus und den malerischen
Stil, wie er von England ausging, in allgemein giltige, schöne Form zu fassen suchen. Tüchtiges,
geschultes Können und innige vertraute Naturanschauung zeigt sich in den meisten Bildern und macht
sie für den Beschauer genussreich, lieb und werth. Malerische Experimente, Studien und Materialien
des künstlerischen Schaffens sind thunlichst zurückgehalten, dagegen ist das Fertige, Abgeklärte.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
115
Reife in den Vordergrund gerückt. Diesen Zug hat überhaupt die ganze Ausstellung mit der Luitpold-
gruppe gemeinsam. Und wie sich in Folge der vielfach verschiedenen Art der Maler ein weites,
umfangreiches Stoffgebiet in der Darstellung erschliesst, so zeigt sich andrerseits gerade in den ersten
Werken der Ausstellung eine Kunst, die auf das engste individuell begrenzt ist, und doch in ihrer
idealen Tendenz den breiten und weiten Horizont unserer reifen geistigen Kultur umschliesst, die
von der realen Welt wenig mehr als die animalen Formen entlehnt und den seelischen, eigentlichen
Gehalt der Dinge
wiederzugeben
vermag.
Wenn man von
dem jetzt durch
Vorhänge so
hübsch getheilten
Wandelgang aus,
der die linksseitige
Hälfte der Aus-
stellung durch-
schneidet, durch
die Thüröffnung
in den Mittelsaal
der Luitpold-
gruppe blickt, in
dem Raffael
Schuster- Wol-
dan's Bild «Odi
profanum volgus
et arceo» Auf-
stellung gefunden
hat, so erscheint
es wie eine licht-
umflossene Apo-
theose von hoher
Fritz Aug. V. Kanlbach: Prinzregent Luitpold von Bayern
malerischerSchön
heit.
Dieser Maler hat
das Bedürfniss,
sich seine eigene
Welt 7,urecht zu
machen , eine
Welt, die ein
Stockwerk über
der realen sich
aufbaut. Aus
dieser Anschau-
untj heraus muss
man den Kreis
vornehmer Men-
schen, die auf
dem Bilde ver-
sammelt sind, zu
verstehen suchen.
Das Bild stellt eine
Landschaft dar, in
deren Hinter-
grund man eine
brennende Burg
erblickt. Spricht
sich hier drama-
tisch bewegtes Leben aus, so öffnet sich nach der rechten Seite hin eine beruhigende Aussicht in's
Grüne. Mitten im Bilde ragt ein Krieger in Wehr und Waffen über zwei Frauen. Lieblich sitzt
die Eine in kleidsamer Tracht in der Landschaft und ruhig hingelagert in unverhüllter Schönheit die
Andere, die eine Harfe umfasst hält. Wir empfinden das Bild in dem Sinne: Der Krieger hält von
dem zarten Geschlechte der P'rauen des Lebens feindliche Gewalten ab. Es ist ein Kreis feinen
Lebensgenusses und geselliger geistiger Kultur, in dem er ausruht, wenn er einhält im Thatensturm.
16*
116
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Die bekleidete Dame mit den sprechende Gebärden zeigt sich als eine Vertreterin solch feiner Kultur
während man die nackte Gestalt, die in plastischer Ruhe und Schönheit dargestellt ist als eine
malerische Verklärung des Ewigschönen in der Natur auffassen kann.
Natürlich wird es nicht an Stimmen fehlen, die, weil das Bild einen Hymnus auf die Schönheit
darstellt, weil es schön ist in des Wortes eigentlichster Bedeutung, einen unverständigen Lärm erheben.
Aber wer von Natur aus eine Empfindung für Rhythmus und Wohllaut, wer Geschmack an verfeinerten
J^'ranz Hoch: Landstrasse
Formen und Sitten, überhaupt an reifer abgeklärter Kultur mitbringt, der wird den persönlichen Stil,
der daraus spricht, gewiss nachfühlen. Man muss sich doch allgemach wieder daran gewöhnen, die
Kunst nicht nur in Formen nüchterner Wiedergabe des gewöhnlichen Lebens, sondern als Schmuck
für dies Leben zu betrachten. Das Schöne in der Natur liegt doch tief in ihrem ganzen Sein und
Wesen begründet, wenn es sich auch nicht dem ersten Blicke zeigt, so dass es feine Geister und
Gemüiher immer wieder reizen muss, es daraus hervorzuholen und in eigene Fassung zu bringen,
WalLllur Flrie piiix.
C'opyri^t 1900 bj Frani llKiiraUeogl
Unter blühenden Blumen
K. MQIIiT-Klirintllj (.iiix.
t'hol. K. H»ti(al«euKl, Unuutiei
Fallende Blätter
DIE KUNST UNSERER ZEIT
117
ein Anspruch, den die Naturalisten mit grosser
Betonung immer für sich geltend machen, in
anderer Form aber nicht gelten lassen wollen.
Mir Jenen, der die Aufgabe der Kunst darin
sieht, Dinge aus dem Leben in eine ideale
Form zu übersetzen, wer einen Kultus der
Schönheit feiert, für den hat dieses Bild Zungen,
die ihm viel sagen, der erlebt bei seinem Anblick
innerlich eine grosse Freudigkeit und es ist ihm
so, als wenn ihn ein Duft, ein Klang berührte
aus einer vertrauten Welt. Dieses Bild ist wie
Musik, die durch das Auge geht.
Was für eine siegbewusste , strahlende
Schönheit geht von den Frauen im Bilde aus!
Es sind adelige Naturen , Aristokratinnen des
Lebens. Aus jeder Haltung und Gebärde spricht
eine schöne Seele. Was für ein herrlich Augen-
paar schimmert unter dem lichtbeschatteten Hute
der sitzenden Dame hervor! — Gedämpfte, ver-
haltene Lebenslust und sinnige Weltfreude, eine
sensible Seele verrathen sie. Weiche schwellende
Akkorde tönen durch das Bild, mit denen sich
ernstere Klänge mischen. In dieser malerischen
Vereinigung von Elementen der Natur und
Kultur liegt die Poesie des Bildes, wie sie freier, eigenthümlicher und persönlicher nur noch
auf Böcklin'schen und Klinger'schen Bildern vorkommt.
Ein solches Bild kann nur unter dem Einflüsse einer reifen Kultur gemalt werden. Es weist
auf Urahnen wie Rubens und die grossen Italiener zurück, in deren Schöpfungen zum ersten Mal
der ganze Gehalt der geistigen Kultur ihrer Zeit zum Ausdruck kommt. In der Weise einer freien
malerischen Dichtung, die Kostümliches und Nacktes, Naheliegendes und Fernes mit einander verwebt,
haben solche Darstellungen in Giorgone ihren Vorläufer. Schon bei ihm finden wir die gleiche
malerische Ungezwungenheit der Anordnung, durchsättigt mit durchgeistigter malerischer Empfindung.
Wer auch mit dem Problem und dem Inhalte, den der Maler auf seine eigene Weise in das Bild
gelegt und in edlen Formen gelöst hat, sich nicht auseinander zu setzen vermag, aber im Banne der
grossen malerischen Schönheiten desselben steht, der widerstrebe ihnen nicht und freue sich an einer
Schöpfung, die aus der Fülle inneren Lebens heraus geschaffen und gebildet worden ist.
Derselbe Maler, der die weibliche Psyche so zu deuten vermag, ist selbstverständlich ein
guter Bildnissmaler der Frauen und Schilderer ihrer körperlichen und seelischen Schönheiten. Schon
Carl Bios: Schwarzwälderin
118
DIE KUNST UNSERER ZEIT
im vorigen Jahre trat er hier mit einer Anzahl ausgezeichneter Bildnisse hervor. Heuer weist das
Bildniss Ihrer Hoheit der Herzogin von Mecklenburg wieder gleich vorzügliche malerische und
psychologische Qualitäten auf. Solche von Natur aus vornehme Erscheinungen kommen der künst-
lerischen Auffassung des Malers von selbst entgegen. Sie erleichtern und gestatten ihm eine
charakteristische Wiedergabe ihrer Persönlichkeit. So gibt das Bild ein beseeltes Repräsentations-
bildniss, beseelt durch die vornehme Erscheinung der Dargestellten, die in der Lebendigkeit und
Eigenart ihres Wesens mit malerischer Noblesse und Freiheit wiedergegeben ist.
Marr zeigt sich in seinen
Bildnissen und Studien als eine
durchaus eigenartige und selbst-
ständige Persönlichkeit. Er geht
darin immer wieder neuen
malerischen Problemen nach,
und sucht sie in der Art und
Weise der englischen Maler zu
lösen. An Fülle, Kraft und
Reinheit des malerischen Tones
stehen seine Bilder hoch über
der Mittellinie malerischer Leist-
ungen. Welche Stimmung er-
zeupft nicht das kleine Bildchen
«Dämmerung». Es ist ein rau-
schender, koloristischer Akkord
von grell-gelben, grünen, sanften
verdämmernden und verschwe-
benden Tönen. Die so fein in
den Raum komponirte Figur
ist der bildliche Ausdruck in
diesem Farbenrhythmus und
Farbengedicht, sie klingt mit
ihren fahlen grauen Tönen herr-
lich zu dem Dämmerschein in
Raff. Schuster- Woldan: Porträt I. Höh. d. Herzogin von Mecklenburg
der Landschaft. Man muss über viel malerisches Wissen und Können unbeschränkt verfügen, um so
viel Stimmung auf einen so engen Raum zusammen drängen zu können. Eine Studie, eine Porträt-
zeichnung von Marr ist immer musterhaft, korrekt, richtig, lebendig in der Zeichnung und mit emem
sicheren künstlerischen Gefühl für Raumgestaltung ausgeführt. Wie breitet die sitzende Mädchenfigur
sich aus und wächst im Räume, höchst lebensvoll und völlig ungezwungen in ihrer natüriichen Harmonie!
Mit ganz wenig Mitteln, nur mit den Hauptlinien ist das Organische des Körpers bezeichnet, ist das
DIE KUNST UNSERER ZEIT
119
Phil. Otto Schaefer: Ständchen
Bild auf grauer Pappe fixirt, ist diese wieder als Lokalton benützt, und mit Weiss und einigen
Fleischtönen gehöht, so dass ein lebendiger, malerischer Eindruck entsteht.
Marr steht mit der Natur in fortwährendem innigen Verkehr und naht sich ihren Erscheinungen
immer auf neuen Wegen. Nur in ihr Inneres ist er nicht gedrungen, ihre Psyche blieb ihm
fremd. So leicht er den äusseren Eindruck eines Objektes aufs Feinste festzuhalten weiss, so schwer
wird es ihm, dessen individuelles Leben in denselben Eindruck zu bannen. Er schafft von Aussen nach
Innen, nicht von Innen nach Aussen. Seine Arbeiten nöthigen Jedem Achtung ab durch die Strenge
und Reinheit ihres Strebens, durch ihre malerische Fülle. Er bleibt darin nirgends auf halbem Weg
stehen, jeder Eindruck ist für ihn ein Problem, an dem er festhält, den er studirt, bis er ihn durch
und durch kennt, so dass er künstlerisch gelöst als fertiges Bild heraus kommt. Darum muss man
seine Bilder verehren, um dieses Ernstes der Arbeit willen. Marr kennt und will nichts Halbes, was
er uns gibt, ist eine volle, reife Frucht seines künstlerischen Schaffens, seiner reichen künstlerischen
Erfahrung und Kenntnisse.
Knirr, der ihm im malerischen Streben verwandt ist, beherrscht das malerische Können nicht
mit der unumschränkten Freiheit und vor Allem nicht mit dem malerischen Geschmack, der Marr
auszeichnet. Der unangenehme, abstossende Eindruck des Porträts eines Herrn mit Degen muss
ganz auf Kosten des Malers gesetzt werden.
Im «Ständchen«, einer Schöpfung von Philipp Otto Schäfer, kündigt sich ein Maler an,
der abseits von den ausgetretenen Wegen einen Gang in's Grüne unternimmt, um dies in voll-
kommen freier Weise mit den Gestalten seiner Phantasie zu bevölkern. Diese Selbstständigkeit
120
DIE KUNST UNSERER ZEIT
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Carl Mary: I^ämmerung
verdient um so grössere Beachtung, als wir
die originalen Talente immer schmerzlicher
vermissen, die den Muth haben, abseits der
grossen Heerde auf einem stillen Eilande
sich häuslich einzurichten und sich selber
zu genügen. Philipp Otto Schäfer gehört,
wenn man von seinem modernen Farben-
empfinden absieht, in die Aera Rottmann's,
Genelli's, er sympathisirt mit Carstens
und Cornelius, liebt Schwind und Feuer-
bach, ist seiner ganzen Art und Weise nach
einer der Maler, die man als «Komponisten»
zu bezeichnen pflegt und die die Generation
von 1890 abzuthun sich vornahm. Seither
ward man diesen Malern wieder gerechter,
hat sogar schon da und dort wieder ano;e-
fangen, sie liebevoll von einem künstlerischen
Standpunkt aus betrachten und verstehen
zu lernen; ein grosser Theil rückt natürlich
nach wie vor von ihnen ab, wie der Hund von einem Glas Wein; es riecht und schmeckt nicht für
ihn. Der Grund hiezu ist sehr natürlich und einleuchtend, diese Bilder übersetzen eben die realen
Erscheinungen des Lebens in eine künstlerische Form. Sie zu geniessen, dazu gehören künstlerische
Sinne, wie sie Hildebrand in seinem Problem der Form herbei wünscht. Die Freude an der
sinnlichen Erscheinung der Form, die Zartheit und Energie der Umrisse spielt in Schaf er 's
Bildern die Hauptrolle, oft ent-
steht ihretwegen ein wogender,
schwebender , schwimmender,
tanzender Rhythmus von Linien.
Wie bei oben genannten
Meistern verbindet sich bei ihm
mit dem Gefühl für schöne Linie
und Form ein geistiges Element,
eine übersetzende, künstlerische
Anschauung des Lebens, wie jene
Meister tummelt er sich mit
Vorliebe im klassischen Alter-
thum. Daran erinnern sein «Pro-
metheus«, sein «Kampf« u. s. w. y. ^. jj,^,,,, Schafe
F. vuD Dglic^tf«r ^iux
l'boi, b\ Haut«u«uicl, Uuuoban
Tiroler
V. A. von Kuiilhach lAux
Copj-rlgtat 1900 hj Fratii H*tira(««aitl
Das Spielzeug
DIE KUNST UNSERER ZEIT
121
R, M. Eichler: Gewitter im P'rühlins
Er bevölkert seine Bilder mit Centauren und Lapithen, mit Göttern und Helden, mit Liebes-
göttern und bacchantischem Gesinde. In der Farbe wirken seine Bilder ruhig wie Gobelins. Der
Maler liebt es, feine, silberne, grau-blaue und violette Töne anzuschlagen. In hohen Hallen,
festlichen Sälen wären seine Bilder ein vornehmer Schmuck der Wände. In einer Zeit, die solchen
Schmuck verschmäht, sieht ein Talent seiner Art sich genöthigt, Bilder grossen Stiles in kleinem
Format auszugeben, ein Missstand, für den es leider keine Lösung gibt, so lange der Ruf «gebt uns
Wände!« ungehört verhallt. Auf poetischem Gebiete hat diese Kunst ein Analogon in Konrad
Ferdinand Meyer' s Dichtungen, wie sie ungefähr in solchen Versen hervortritt:
«Aufsteigt der Strahl und fallend giesst
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfliesst
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Fluth,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.»
Fritz August v. Kaulbach's «F"rauenbildnisse» sind schön. Er versteht es, jenes reizende
Lächeln, das einen rosigen Mund und eine schimmernde Reihe perlengleicher Zähne zeigt, im Bilde
II i;
122
DIE KUNST UNSERER ZEIT
neu zu schaffen, und zwar auf malerisch vorzügliche Art, mit einem Können, wie es nur Wenigen für
solch' vergnügliche Arbeit zur Verfügung steht. Er weiss seinen Mädchen und Frauen einen neckischen
Zug in den Mundwinkel zu legen, bald übermüthig herausfordernd, bald süss schmollend, bald wieder
voll trotzigen Ernstes. Endlich kann er feucht schimmernde Augen mit einem Anflug von Melancholie
malen, der unwiderstehlich wirkt. Die ganze Skala von Ausdrücken verschiedener Empfindungen
beherrscht er und bedient sich ihrer mit virtuoser Meisterschaft. Er weiss das Weib zu schildern,
dass es begehrlich wirkt, er gar-
nirt es mit allem graziösen Tand,
zeiet es in aller Nonchalance,
deren eine Weltdame fähig ist und
durch sie sich so anziehend macht.
Er malt die Damen reizend, die
Kinder als steckten Amoretten,
von alten Meistern -gemalt, in
modernen Kostümen. Aber wenn
seine Frauen und Mädchen auch
hübsch, graziös, geschmeidig und
chic sind, überhaupt immer schön
und begehrenswerth erscheinen, so
wird ihr Eindruck doch manchmal
abgeschwächt durch allzu geringe
Betonung des Charakters; alles
konzentrirt sich auf ihre äussere
Erscheinung, und so sind sie gewiss
im Leben nicht immer, vielleicht
sind sie manchmal so in der Gesell-
schaft oder in einem momentanen
Affekt.
Fritz August v. Kaulbach
ist ein geistreicher Maler, er weiss
die malerischen Effekte und Mittel genau seinem Objekte anzupassen. Aber diese Effekte und
Mittel sehen aus, als wären sie von den alten Meistern auch schon gebraucht worden.
Wir sind verwöhnt darin, wir wollen Mittel und Ausdruck mit jedem Objekt wechseln sehen.
Vielleicht leitet sich diese Anschauung von der problematischen Art des künstlerischen Schaffens her,
die die Secession so sehr in Schwung brachte. Aber man kann auf den Schultern der Alten stehen
und die Tradition doch in freier Weise mit Geschick und Geschmack auf die Stoffe der Gegenwart
anwenden, und erst so entsteht der grosse Künstler. «Der Regent« ist ein prächtiges Bildniss, die
Dame in Weiss mit der rothen Schleife entzückend, der Adlerjäger ein Muster in Zeichnung und
Anna-Marie Wirt/t: In der Apotheke
DIE KUNST UNSERER ZEIT
123
Ton. Die ganze Reihe älterer Sachen, die Kaulbach gebracht hat, um ein möglichst übersichtliches
Bild seines Schaffens zu geben, zeigt durchwegs seinen feinen und gebildeten Geschmack und sein
grosses Können. Ja Manches, wie der Frauenkopf im runden Medaillon, vermag um seines
stimmungsvollen Ausdrucks willen dauernd zu fesseln. Weniger entspricht es der künstlerischen Art
Kaulbach's, wenn er als Porträtist einem energischen Männercharakter gegenüber steht. Das Bildniss
des Herrn Possart wird Niemand befriedigen, der das Original kennt, der in dessen lebendigen,
energischen Zügen gelesen hat. Es nützt auch nichts, dass der Herr gerade in einer Rolle agirt,
die ihm sanft zu Gesichte steht,
der Eindruck bleibt trotzdem unsfe-
nügend. Gross und geschmackvoll,
raffinirt, kapriziös, lebendig und
prickelnd ist Kaulbach in seinen
Skizzen. Er hat davon zwei Proben
gesandt, wovon besonders die eine
mit den tanzenden nackten Frauen-
gestalten voll sprühenden Lebens
und spielender Bewegung ist, sie
steht in der farbiofen Haltung und
Komposition einem alten Meister
wirklich nahe, ohne sich an
einen bestimmten anzulehnen. In
dieser Hinsicht in solchem Aus-
druck ist Kaulbach o-anz er selbst.
o
Hier können wir aufrichtig sein
reiches Talent, seinen auserlesenen
Geschmack, seine ausgezeichnete
Geschicklichkeit bewundern. Leider
wird auch dafür keine Gelegenheit
geboten, dass er diesen Theil
seiner Begabung im Dienste grös-
serer Aufträge bethäti^en könnte.
Ferdinand Keller: Uildniss des Grossherzogs von LJadci:
Die Akten über Lenbach's Kunst .sind bereits geschlossen, sie ruhen wie die über einen
alten Meister zum Theil schon in kunstgeschichtlichen Archiven. Aber der Maler lebt und schafft
immer noch wie einer der Allerjüngsten, er besitzt in hohem Maasse die Fähigkeit, in seinen
Schöpfungen sich jung zu erhalten, und stellt sich in vielen neuen Bildern immer neue malerische
Probleme. Lenbach interessirt immer. Er gewinnt seinen Objekten stets einen lebendigen Ausdruck
ab; die Psyche des Menschen ist ja so vielgestaltig und unerschöpflich an verschiedenen Erscheinungen.
Die Kunst des Porträtirens ist die lebendigste, die allzeit von jedem Formalismus sich am freiesten
17*
124
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Adolf Miimer: Arbeit und Luxus
hält, die beständig von der Natur genährt, angeregt und fortgebildet wird. Die Darstellung neuer
Menschen ergibt auch für den Maler jederzeit neue Probleme. Neuerdings versucht Lenbach Jedem
in seiner eigenen Art gerecht zu werden; er stellt nicht nur dar, wie der Porträtirte die Welt
anschaut, er sucht ihn auch in seiner ganzen charakteristischen Haltung festzuhalten.
In dem köstlichen Bilde eines alten Herrn, der die Linke auf die Brust gelegt hält, fand dies
Streben beredten Ausdruck. Auch in der Farbe ist das Bild frisch, es gibt die gesunde, rosige
Gesichtsfarbe treffend wieder; die Modellirung des Kopfes scheint kräftiger, als man sie sonst von
dem Maler zu sehen gewohnt ist. Koloristisch wird er in seinen Bildern immer noch vornehmer
und feinfühliger, und wenn
er in ihnen die Farbenskala
altmeisterlicher Gallerie-
töne spielen lässt, so
wirken sie in ihrer har-
monischen Abgeklärtheit
immer gehaltener und
stimmungsvoller als viele
Versuche der Modernen,
die durch Buntheit und
Unruhe verletzen. Ein
Kenner der Farbe und
ihrer positiven Wirkungen
versteht er es wie Wenige,
mit Wenigem dem Bilde
eine farbige Haltung zu
geben. Und nicht nur
Helene Schulz: Damenbildniss
durch die eminente Kennt-
niss der Alten allein kann
diese Kunst erworben sein,
sie wird zum cruten Theil
o
auch von der Beobachtung
der Natur, des Wechsels
ihrer Licht- und Farbener-
scheinungen, derKenntniss
ihrer Werthe für die ma-
lerische Darstellung her-
rühren. Durch seine Art,
die Augen in verschiedener
Beleuchtung zu malen, so
dass sie in Farbe und Aus-
druckverändert erscheinen,
weiss er einen ungewöhn-
lich lebendigen Effekt her-
vorzurufen, in fein beachteten Momenten das Spiegelbild der Seele hervor zu zaubern. Die Model-
lirung von Augen und Mundpartien ist so lebendig, dass man meinen könnte, das Leben zucke darin.
An dem Porträt einer Dame mit reichem Schmuck im Kleid, mit Geschmeide um den Hals
und in den Haaren mag der Maler selber seine Freude gehabt haben, diese bunten, schillernden.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
125
flimmernden, glitzernden Dingerchen zu malen. Aber eine so vergnügliche Aufgabe dem Maler solche
Schmuckstücke bieten müssen, er ordnet sie mit diskretem Geschmack dem malerischen Haupteindruck,
dem Kopfe, unter. Die Dame mit dem dunklen weichen Haar, das sich so stimmungsvoll von dem
trüben, neutralen Hintergrund abhebt, ist mit Liebe und einem Aufwand von grossem Können
gemalt, es berührt wie ein Gedicht des Malers auf diese schönen Haare. Auch das Gesicht ist schön,
eine südliche, subtile Schönheit mit blassgelbem Teint zeigt sich darin. Die Augen sind wie die der
Gazelle und von tiefschwarzen, weichen, sammtenen Wimpern überschattet, ein feines Köpfchen baut
sich auf leichtem
geschmeidigen
Halse auf wie eine
köstliche Bekrön-
ung auf schlankem
Schafte. Es gelingt
Lenbach nicht
immer, das spezi-
fisch Weibliche
einer Erscheinung
so zu treffen, dies-
mal hat er es ver-
mocht, ohne Härte,
ohne Pose , ohne
besonderen Ac-
cent , sanft und
weich, graziös und
elegant wie die
Erscheinung selbst
sein muss. Sehr
interessiren werden
die Gemälde, durch
die der Maler uns
in seine Familie
hineinsehen lässt.
Fein und köstlich
hat er sich selbst
als Maler charakter-
isirt auf dem Bilde
mit dem Jüngsten
auf dem Arm. Das
eine Malerauge
kneift er zu , wie um
den allgemeinen
Eindruck eines Ob-
jektes zu erfassen,
das andere bohrt
sich scharf, spitz,
stechend darin ein,
— deutlich ist da-
mit der malerische
Beobachter und
der Psychologe ge-
kennzeichnet.
Es ist nicht leicht,
mit Bildnisarbeiten,
wenn sie auch noch so gute malerische Qualitäten aufweisen, direkt neben Lenbach zu stehen.
Aber trotzdem thut sich noch Einiges hervor, das malerisch sehr anziehend und vor Allem in der
Charakteristik interessant und erschöpfend ist. So ist ein Studienkopf «Tiroler» von Franz
V. Defregger unter die Porträts, die eine ganze Rasse kennzeichnen, zu rechnen. Wir haben in
letzter Zeit selten eine an malerischen Feinheiten so vorzügliche Schöpfung des Meisters gesehen.
Warm, satt, leuchtend in prächtiger Tonschönheit, auch in den Schattenpartien, lebendig in der
Zeichnung und kraftvoll und weich in der Modellirung, stellt es ein individuell tirolerisches Stück
Leben dar. Hier ist Defregger ganz der grosse Defregger, der mit Liebe das Leben eines
Aug. Fink: Novemberabend
126
DIE KUNST UNSERER ZEIT
y. Sc/imiizberg-er: Aus unseren Bergen
kernigen Volksthums darstellt und dessen
Name damit verknüpft bleibt für immer.
Die Porträts, die der Karlsruher Otto
Propheter ausgestellt hat, entbehren der
eigenwüchsigen Art in der Auffassung und
P'arbengebung und stehen auch hinter den
vorjährigen zurück. Ein Mädchenbildniss
von Tini Rupprecht, in freudigen, hellen,
blonden Tönen, und das Bildniss des Malers
R. Seh. W. von Helene Schulz .sind
malerisch anziehende Leistungen, besonders
das Letztere ist auch in der Charakteristik
sehr gut. Ein Doppelbildniss in eigenthüm-
Hchem Stil, aber von bewusstgr Originalität
und Sinn für künstlerische Wirkung gibt
Albert Welti. Er hat viel Empfindung
für das Liebe und Kleine, und es hängen
sich ihm bei einer ernsten Naturbetrachtung
tausend kleine Dinge an, die alle einen
eigenen Reiz auf sein poetisches Gemüth ausüben. Daran muss man sich erinnern, wenn man das
Doppelbildniss in einer gemalten Umrahmung verstehen will, die ähnlich den Krügen und Geschirren
der Biedermeierzeit mit allerlei schnurrigem Krimskrams verziert ist. Der Gedanke , die Porträts in
einer Architektur mit lieblicher Aussicht auf ein Stück deutscher Landschaft zu geben, ist vortrefflich,
und der Maler hat es verstanden, durch geschickte Anordnung der Farbenwerte das Nahe und Ferne
darin zum Ausdruck zu bringen. Der Maler zeichnet eigentlich mit der Farbe und bringt durch eine
Art Technik, die an die Emailmalerei gemahnt, grosse und farbige Wirkungen zu Stande. Man
freut sich in diesem Werke an • -
der Liebe und Innigkeit der
Naturbetrachtung, freilich äussert
sich der Maler darin manchmal
noch kleinlich und verschnörkelt.
Die Art, ein Bildniss mit allen
Details in einfacher Anschauung
und strenger Sachlicheit wieder-
zugeben, erinnert an Holbein,
wie Welti auch in der Art und
Weise der Komposition an alte
Ueberlieferungen sich anschliesst. o. Beggro-iv-Hartma,.,,: Fische
DIE KUNST UNSERER ZEIT
127
In der Art, Kunst aus dem Eigenen zu schöpfen, ist Welti wahlverwandt mit den Kollegen
der «Scholle».
Die eanze Reihe von Werken von Lenbach, Kaulbach bis Schuster-Woldan bilden für
sich einen geschlossenen Ring. Alle diese Werke zeichnet eine Reife in der künstlerischen Auffassung
und Anschauung aus, diese Maler sehen in der Harmonie der Farben, Linien und Formen die künst-
lerische Wirkung eines Bildes. Der in künstlerische Form gebrachte Wirklichkeitseindruck gilt ihnen
als Aufgabe, die sie Kraft ihrer individuellen Eigenart auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen
yii/ii/s Exler: Eine t'eberraschuiig
Mitteln zu lösen suchen. Sie stützen sich auf die Tradition und achten sie, ohne jedoch in ihren
Fesseln zu liegen. Man möchte ihre Werke, ähnlich denen der alten Meister, in einem prachtvollen
Palaste untergebracht wissen, in einem Palaste mit Gärten, die die südliche Sonne liebkost und dunkle
Cypressen umschatten, wo in lauschigen Gängen kühle, hoheitsvolle Marmorbilder schimmern. Und
denkt man sich dazu einen Ausblick durch der Lauben hochgewölbte Bogen in's Freie, in die belebte
Landschaft, auf Landstrassen, auf der eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sich tummelt, so
sind wir damit unmittelbar in die Welt Exters eingeführt. In seinen Bildern fluthet das gewöhnliche
Leben mit seinem tollen, ungeschlachten Humor, den Götter und Helden fliehen, und wenn Exter
128
DIE KUNST UNSERER ZEIT
P. F. Messerschmitt: Vor dem güldenen Löwen
versucht, ein Stück Romantik in diese Alltagswelt zu bringen, so geschieht das in absichtlich plumper
Weise, wie das Bild «Eine Ueberraschung» zeigt, wo Nymphen vor Bauernlümmeln erschreckt fliehen.
Auf einem andern Bilde, in dem Bauern mit übergeschulterten Sensen vom Tagwerk heimziehen,
erzeugen die Farben ein Concert, das wie Blechmusik wirkt. Es ist eine glühend sinnliche, kraftvolle
Malerei voll derber Effekte. Das Malenkönnen versteht sich bei Exter von selbst, er ist immer
vollsaftig in der Farbe, und manchmal hat sie einen Schmelz, um dessentwillen man die psychische
Ungeschlachtheit in den Bildern hinnimmt.
Die «Scholle» nennt sich eine Vereinigung junger Künstler, deren hervorragende Kräfte als
Zeichner in der «Jugend» und
im «Simplicissimus» bekannt sind.
Sie streben eine Kunst aus dem
Eigenen an. Gleich der erste
Eintritt in den Saal, der erste
Rundblick und die Musterung
der ausgestellten W^erke macht
auf uns den Eindruck, sie stehen
auf eigener Scholle. Die Ar-
beiten sind auffällig und können
ihre Herkunft von der dekora-
tiven Illustrationskunst nicht ver-
Wüh. Schrcner: Reconstruirte Stadtansicht leugnen. Wie ein vergrÖSSertCr
Franz ron Lenbach (>lni.
Phot. K. H«nf*taeQ^I, Unnatieii
Fräulein Seh.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
129
Oscar Laurenii: liirtenleben
Ausschnitt aus der «Jugend» sieht sich Walther Georgi's «Kartoffelernte» an, wie eine zu
einem Gobelin verarbeitete Illustration aus dem Simplicissimus wirkt Münz er 's dekorativer Fries
«Arbeit und Luxus». Bemerkenswerth ist darin der künstlerische Sinn und das Streben nach
Raumeestaltuno-. Dekorative Grösse hat Erler's «Pest». Mit wenig Linien wird eine weite Räum-
lichkeit geschaffen in der menschenleeren, öden Strasse, durch die ein Schwärm Aasvögel flattert und
die Pest schreitet. Auch die beiden Flügelbilder entwickeln sich gut in architektonischem Rahmen.
Das eine stellt den Karneval des Lebens dar, in der sich die exaltirte Lebenslust einer Zeit äussert,
in der ein grosses Sterben herrscht, das andere gibt die Kehrseite dazu, die bis zum Fieberparoxismus
erhitzte religiöse Phantasie, die so erschreckenden Ausdruck in den Geisselbrüdem gefunden hat.
Bei solchen Darstellungen verlangen wir nach der psychologischen Seite hin einen vertieften Ausdruck,
diesen aber vermag das Bild nicht zu geben. So gut der Eindruck der verödeten Stadt erreicht ist,
so viel Stimmung davon ausgeht, die Personifikation der Pest wirkt doch zu dekorativ, wächst in ihrer
phantastischen Kostümirung über einen bizarren äusserlichen Effekt nicht hinaus, und schafft in uns
Erinnerungen an die kindliche Vorstellung eines Indianerhäupdings auf dem Kriegspfad. Wir sollen
ein Bild dieser Gottesgeissel sehen, die ungeheures Grauen umschwebt, aber das Bild ist nicht stark
II 18
130
DIE KUNST UiNSERER ZEIT
genug, diese Empfindung in uns zu erzeugen.
Bei den Büssern ist wieder die Stimmung
vollkommen gegeben, in dem Idol, das vom
Schimmer der Kerzen umflirrt ist, aber die
büssenden nackten Kerle im Vordergrund
scheinen wieder zu wenig charakterisirt. So
setzt auch in dem Karneval eine rauschende
Farbenouvertüre ein, und es stören den
Gang; des leidenschaftlich beflüorelten Rhvth-
mus' plumpe Unfertigkeiten. Es geht ein
grosser Zug, ein Streben nach dekorativem
Stil wie ein leidenschaftlich' Stammeln durch
das Bild, aber es fehlt ein Theil jener
geistigen Kraft, die den Stoff .durchdringt,
der sich eben mit malerischen Mitteln allein
nicht bewältigen lässt. Erler ist noch mit
zwei Bildnissen vertreten, wovon das eines
jüngeren Herrn mit schwarzem Hut und
hellem Ueberzieher auf heller Wandfläche
durch die nüchterne Wiedergabe des wahr-
o-enommenen Natureindruckes auffällt. Doch
ist es in seiner monochromischen I'^arben-
gebung wirkungsvoll. Es sind nur die
charakteristischen Hauptlinien der Person festgehalten und durch sie die Formen gekennzeichnet und
modellirt. Erler besitzt als Porträtist einen Sinn für das Charakteristische einer Persönlichkeit, aber
er ist auch hier kein Psychologe. Seine Bildnisse haben sachlich malerische Werthe, aber durch
die Empfindung gewinnt man keine Beziehungen zu ihnen.
Stimmungsmaler ist Eichler in seinen Bildern «Heugeruch» und «Gewitter im Frühling».
Glücklich hat er den Stoff seinem Temperamente angepasst, hat ein Stück Natur herausgesucht, mit
deissen Bearbeitung sein Empfinden sich deckt. Mag im PVühling der Strand am Meere, der fellartig
mit üppigem Pflanzenwuchs überzogen ist, von dem sonderbare blaue Blumen aufsprossen, den das
Licht liebkost und den dunkle Wolkenschatten verdüstern, Wahrheit oder Dichtung sein, es ist einerlei,
es wohnt diesem Bilde die Kraft inne, Sümmung zu erwecken, und das ist genug. Das schon erwähnte
Bild von Georgi sollte mehr Erdgeruch haben, es ist zu lyrisch weich und für eine Kartoffelernte
in Arkadien sind die Bauern und Gäule darauf doch zu Dachauerisch. P2in Element von Segantini s
Kunst würde es köstlich würzen wie eine flaue Suppe etwas Salz.
Nach diesen Malern, die Farben- und Formgedanken in eigenem grossen Stil auszusprechen
suchen, kommen jene des Lebens, der umgebenden realen Welt. Sie suchen in ihren Sujets, die
yoh. Herierich: Der Erlöser
DIE KUNST UNSERER ZEIT
131
sie der Gegenwart oder Vergangenheit entnehmen, die modernen Farbenprobleme in Anwendung
zu bringen. Ihr Gebiet ist ein ungeheuer weites und umfangreiches. Einige, wie Eisenhut, stellen
das Leben im Orient dar, als wären sie geborene Türken oder Araber, Andere bewegen sich in der
Vergangenheit, als hätten sie sich lebenslänglich darin aufgehalten, und ziehen die artigsten und
interessantesten Dinge hervor. Simm, Löwith und Seiler, unsere Meissonier's, sind die Haupt-
vertreter dieser Richtung. Wieder Andere, wie Schmutzler, suchen mit Vorliebe die eleganten
Salons der Empire- und Rokokozeit auf und geben beispielsweise in einer Tanzprobe ein geistreiches,
prickelndes Farbenkonzert. Wieder Andere schauen sich in der alltäglichen Umgebung, in Haus und
Hof, in Garten, Küche und Keller, auf der Strasse, in der Kirche, im Wirthshause, in den Bibliotheken,
Boudoirs, Arbeitszimmern und Werkstätten um und suchen die Menschen in ihrer gemüthlichen häus-
lichen Ruhe, bei ihren Geschäften, in Freud und Leid, auf. Unter ihnen finden sich die Arbeiter des
Pinsels, die minutiös und präzis ausgeführten Bildchen stellen Wunderwerke malerischen Fleisses dar.
Unter ihnen finden sich auch die Poeten des Pinsels, Schilderer idyllischer Verhältnisse und Zustände
und intimer Stimmungen, unter denen München einst an Spitzweg einen klassischen Vertreter hatte.
Einige haben eine glückliche Hand, wenn sie alte Zeiten lebendig heraufbeschwören, wenn ihnen auch
nicht die originelle Empfindung und das grosse
malerische Können o-eo-eben ist, das die W^erke
von Dietz auszeichnet und für alle Zeit
schätzbar macht. Etwas vom Geiste dieser
Maler ist in jeder Münchener Ausstellung
vorhanden. In seiner eigfenartigen Bedeutuno-
geschwächt und heruntergekommen ist das
Bauembild, wie es einst in DefresfSfer und
Leibl seinen Höhepunkt erreichte.
Den vornehmen, künstlerischen Charakter,
der dem Sittenbild, wie es aus dem Umgang
mit Land und Leuten erwuchs, unter den Alt-
münchener Meistern eigen war, hat es bei den
schwächlichen Epigonen eingebüsst. Das Malen
nur um des Malens willen, wie es die Secession
einführte, hat diesen originellen Charakter
zersetzt und Viele in das internationale
Malvirtuosenthum hineintredränoft. Messer-
Schmitt 's Darstellungen aus dem klein-
städtsischen Leben der Versfanofenheit werden
durch seine Art der malerischen Stimmungf
M. Erdielt: Mädchenbildniss
verweichlicht und verlieren dadurch die der Natur des Dargestellten eigenthümliche W^ürze.
Kempff's Bild «Belauschung», anziehend durch sein Motiv und die Delikatesse der malerischen
18»
132
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Anton Burger: Tucligaden
Darstellung, ist doch nicht ganz frei von Effekthascherei, und lediglich der malerische Vortrag hält es
über das Niveau ähnlicher Darstellungfen. Anziehend durch ein fein grestimmtes Interieur mit zwei
hübschen Mädchen darin sind Ritzberger's «Abendklänge».
An Lindenschmidt und seine Schule gemahnt Gebhardt mit seinem Bilde «Hämon ersticht
sich an der Leiche der Antigene». Diese Gattung von Historienbildern ist jetzt nahezu ausgestorben,
in der Modelle in Theaterkostümen antike Helden und Könige, Feldherrn und Krieger, rauhe Lands-
knechte und asketische Mönche je nach Bedarf der Historie mit mehr oder weniger Geschick agirten.
Iwanowitz' Bild «Furor teutonicus» zeigt, dass trotzdem an eine Wiederbelebung dieses Genre's
gedacht werden kann, wenn nur wie hier mit Energie der Stoff durchempfunden und ausreichend
malerisches Können vorhanden ist. Das Bild stellt einen der vielen Kämpfe zwischen Germanen und
Römern dar. Beim Frühroth, das durch den nebelumwogten Tannenwald scheint, wo auf feuchten
sumpfigen Wegen eine römische Kohorte dahinzieht, brechen überraschend wie ein Wetterstrahl die
Waldessöhne hervor. Der unwiderstehliche Anprall gegen die festgestaute Masse der Römer ist
klar gestaltet. Die malerische Stimmung ist dem formalen Ausdruck untergeordnet und doch
vereinigen sich beide zu einer für solchen Stoff günstigen Wirkung. Nicht jeder hätte den Muth,
auf einem so weit zurückliegenden historischen Theater Schlachten grossen Stiles in Scene zu setzen.
Bios, Hartmann und Firle bilden ein modernes Künstlertrio. Ihnen ist der Stoff, das
Gegenständliche im Bilde, nur eine Unterlage für malerische Probleme. Liebenswürdig wie Firle
mit seinem Mädchen unter blühenden Blumen, feinfühlend wie Hartmann in seiner Frau Aventiure,
Der Hesperiden goldene Aepfel
DIE KUNST UNSERER ZEIT
133
der kleinen Strickerin und Schafhirtin, emst und volltönig; im Kolorit wie Bios mit seiner Schwarz-
wälderin, bilden diese drei sehr anziehende Erscheinungen in selbständiger malerischer Haltung. Sie
beschränken sich thunlichst auf den malerischen Eindruck, ohne die Frische der Erscheinung, wie sie
uns im Leben entzückt, durch malerische Marotten zu entstellen, die uns Matiegzeck's Bilder
vielfach zeigen.
Eisenhut ist zuviel Maler, um im Stoff allein aufzugehen. Seine Orientbilder sind gluth- und
stimmungsvolle Farbensymphonien. Die Wollust des Malens hat ihn zu diesem Stoffgebiet gedrängt,
darin ihm die köstlichsten malerischen Offenbarungen wurden. Die koloristische Empfindung bestimmt
den Inhalt seiner Bilder. Er greift seine Stoffe auf, wo er sie gerade findet, wo sein Malerauge
gereizt wird, sie aufnimmt und sie gestaltet. «Die Theegesellschaft in Samarkand» und «Sindon,
Gefängniss in Bochara« sind dafür charakteristisch.
Muther signalisirte 1892 die Schotten mit poetischen F"anfarenklängen , heute hätte er dies
nicht mehr nöthig, sie sind Andere geworden. Ihre einst so kühnen und glühenden Farbenphantasien
sind verblasst, ihre Stimmungsmalerei ist nüchterner geworden, die rauschenden Farbentöne von ihnen
sind verklungen und nur einen schwachen Abglanz gibt Spence in seinem Bilde «Nach Sonnen-
untercfanof». Was sie in hervorragendem Masse immer noch besitzen, ist die Fähisjkeit, mit der sie
Luft und Wasser malen. Nicht leicht liegt in andern Landschaften so viel Stimmung in der Luft,
wogt eine solche Atmosphäre. Die Bilder geben in der That darin den Eindruck wieder, wie Muther
die landschafdichen Reize Schottlands schildert: «Der Himmel ist fast immer bewölkt, die Wolken
Walther Georffi: Kartoffelernte
134
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Fritz Erler: Die Pest
hängen niedrig an den Bergen, und was zwischen Erde und Aether wogt, erscheint wie von weichem
Schleier umhüllt, der selbst die stärksten Farbenspiele durch eine F'üUe zarter Tonübergänge verbindet.
Während im Norden die klare durchsichtige Luft in fast brutalem Realismus alle Einzelheiten in
frischen Farben abzeichnet, liegt es hier wie ein grosses, tiefes Geheimniss über der ganzen Natur.«
Alles ist Tonsymphonie, Alles Stimmung und Poesie in den Stunden der Dämmerung, wie es sich
in dem Bilde von Downie «An der Fürth» ausspricht. Alles ist helle, duftige Eleganz in der Frühjahrs-
landschaft von Macnee, aber «die schwellenden Farbenakkorde, voll, tief und rund wie Orgelklang,
mächtig erregte lyrische Stimmungen in Farben« finden wir bei ihnen nicht mehr, auf den gluthvollen
sinnlichen Farbenrausch ist grosse Ernüchterung gefolgt, nach den Sonntagsfreuden ist Werktags-
stimmung eingekehrt. Nirgends zeigt sich deutlicher der Verfall als in Kay's Bildern. Die Stimmung
darauf ist eine künstliche, die Malerei schwer und roh, die Zeichnung haltlos und lotterig.
In der Luitpoldgruppe hängen ein Paar Landschaften von Baer, der die früheren Bestrebungen
der Schotten aufgenommen zu haben und in seiner eigenen Weise fortzusetzen scheint. Seine grosse
Landschaft gibt eine Stimmung wieder, wie sie im Herbst öfter auf unserer Hochebene beobachtet
werden kann, wenn Alles in Gluth und Farben getaucht ist, wenn Himmel und Erde im feurigen
Wiederschein der untergehenden Sonne leuchten. Es ist ein Bild von rauschendem, dekorativem
Wohlklang, dem dieselbe malerische Empfindung zu Grunde liegt, die Kunz zum Maler von Stillleben
prunkender Seide, glänzender Metallgefässe, überhaupt zum Schilderer aller glänzenden, schimmernden
Gegenstände macht.
In der Gruppe der Venetianer gibt sich ein anderes Streben kund, Fragiacomo ist der
Modernste unter ihnen, und mit grossem, einfachem Empfinden ausgestattet. Er sucht nicht, wie
die meisten seiner Landsleute, den Leuten zu gefallen und aufzufallen, sondern malt nur, was er
schlicht empfindet und künstlerisch zum Ausdruck bringen kann. Seine Frühlingslandschaft mit
grünenden Wiesen, blauen, verschleierten Lüften, die mit dem Duft junger blühender Pfirsichbäume
sich verschmelzen, ist von einer süssen, zarten, bestrickenden Harmonie. Das Motiv ist so einfach
DIE KUNST UNSERER ZEIT
135
wie nur denkbar, eine Wiese, die ein schnurgerader Bach durchschneidet und die mit jungen Stämmchen
bepflanzt ist.
Laurent! besingt in einem Hilde die Poesie des Hirtenlebens, sein «Gleichniss«, das in
duftenden, zarten Farben gemah ist, lässt in dem grossen Format das starke persönliche Empfinden
nicht ganz zur Geltung kommen. Die Poesie des Intimen verflüchtet sich in quadratmetergrossen
Bildern zu sehr. Pictor ist ein echter Italiener mit all' den Fehlern und Verkehrtheiten und dem
romantischen Schönheitsgefühl, das Talenten seiner Rasse so häufig eigen ist. Mit dem Bilde «Die
verdorbene Quelle» zollt er der Sensationsmalerei seinen Tribut, wenngleich die Stimmung darin von
künstlerischem Empfinden zeugt. Er hat auch für die beiden anderen Bilder «Venedig bei Nacht»
und «orientalische
Landschaft» gleiche
Stimmung, der
Mondschein der ita-
lienischen Nacht,
in dem Venedig so
romantisch aussieht.
Der andere italien-
ische Saal zeigt seine
gewöhnliche Physio-
gnomie, Bilder, wie
sie als Verkaufs-
waaren für die Frem-
den, als Erinner-
ungen an Italien, ge-
malt werden, immer
dieselben Motive,
und man würde es
nicht einmal merken,
R. M. Ekhler: Heusjeriicli
wenn die Waaren ein-
mal auch nicht aus-
gewechselt würden.
Neuerdings hat
sich Urban auf die
italienische Land-
schaft verlegt und ihr
wieder etwas von
ihrem grossen Stil
und Charakter ab-
gewonnen. Urban
sollte etwas von
Rottmann's Kunst-
charakter haben, um
dem Stil der süd-
lichen Landschaft
grossen Ausdruck
zu geben. Maler-
isch vermag er sie
stimmungsvoll zu interpretiren. In diesem Bestreben zeigt er sich in eigenthümlichem Gegensatz zu
Fragiacomo, der, im Sinne der Modernen ein Realist, die Poesie öder, einfacher Gegenden malt,
während hingegen der Deutsche in romantischem Sinne die schöne italienische Landschaft aufsucht
und darstellt.
Ueber die Bestrebungen der Künstler der Landschaftsmalerei zu schreiben, ist nicht leicht.
Es herrschen darin so vielerlei Standpunkte und spricht so Vielerlei auf unsere Sinne und Empfindungen,
ohne dass wir uns beim ersten Eindruck klar darüber werden und nach den verschiedenen Wirkungen
zu unterscheiden vermögen, in welcher Weise eine Schöpfung zu uns spricht, ob ihr Eindruck ein
nachhaltiger ist oder nur dem flüchtigen Beschauer zu genügen vermag, ohne eine dauernde Betrachtung
auszuhalten und unser Empfinden zu nähren. Das Auge, die Sehstärke, die Empfindlichkeit für Ein-
136
DIE KUNST UNSERER ZEIT
drücke muss bei dem Maler, besonders bei dem der Landschaften, wo es hauptsächlich auf Raum-
gestaltung und Reiz der P'arbe ankommt, eine grosse Rolle spielen und seine persönliche Auffassung
ungemein beeinflussen. Es scheint nun doch zu weit gegangen, wenn man eine Erscheinung wie die
des Impressionismus mit Kurzsichtigkeit zusammenbringt. Das Streben nach Verdichtung aller Einzel-
heiten zu grossen Massen, die Neigung zur Silhouette, entspricht doch dem Bedürfniss, in die künst-
lerische Darstellung der Landschaft einen grossen Charakter, etwas Monumentales, Grosszügiges zu
bringen, und dies Bedürfnis hängt mit dem wieder erwachten Sinn für dekorative Kunst zusammen.
Andrerseits mag freilich eine Besonderheit des künstlerischen Sehens, wie das stereoskopische Sehen,
dem Laien bei Betrachtung eines solchen Bildes gar nicht auffallen, wie er ja auch den Positivismus,
durch den Alles wie im photographischen Apparat wiedergegeben erscheint, für wahr ansieht und
solche Naturtreue ohne künstlerische Uebersetzung bewundert. Die Bilder von Müller-Kurzwelly
sind so gemalt, auch Fink und Palmie
lassen sich von solchen Eindrücken
leiten, die sie dann nur in eine dis-
kretere, malerische Stimmung tauchen.
Als eine eigene Art Stimmungs-
landschaft hat sich die frei kompo-
nirte, wie sie in Böcklin ihren
klassischen Vertreter hat, entwickelt.
Sie beruht auf künstlerischen Grund-
prinzipien der Raumgestaltung, die
aber durch das persönliche Empfinden
in freiester Weise erweitert und belebt
werden. In F"erdinand Keller's
«Hain des Poseidon», in Kanoldt's
«Diana», Hollmann's «Abschied»
und «Jungbrunnen» spiegeln sich
diese Bestrebungen wieder, nur mit
einem theatralischen , pathetischen
Ausdruck, der den Mangel vertieften
Naturgefühls nicht zu ersetzen ver-
mag. In der künstlerischen Gestalt-
ung eines gewonnenen Naturein-
druckes sehen die Landschafter, die
dem Karlsruher Künstlerbund ange-
hören, ihre Aufgabe. Die Erde,
selbst das einfachste Stück Natur, ist
für .sie schön, wenn es Stimmung 5^«;«« g. z«,»^.- Hafen in Dordrecht
ß
CB
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OD
CO
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W LOwitb pinx.
F. Uaufstaengl, UQaobeo
Im Vorzimmer des Ministers
DIE KUNvST UNSERER ZEIT
137
Adam Knm: Stillleben
beseelt, die das Gefühl des
Weiten , Räumlichen erweckt.
Eine Ebene, ein paar Bäume
darauf, eine weiche, wogende
Atmosphäre darüber, räumlich
klar ausgedrückt, so dass mit
wenig Orientirungslinien das Ge-
fühl für's Räumliche erweckt
wird. Ein Waldsaum, mit
grosser, massiger Silhouette der
Bäume , weite Felder, die vom
Horizont begrenzt werden, gibt
ihnen Stoff zu ihren Bildern.
Die Farbe hilft wie in der
Natur das Räumliche ausdrücken,
sie treibt zurück, sie nähert und
modellirt die Gegenstände. Sie
erscheint auf den Bildern von
Vo 1 k m a n n « Vorfrühlingstag »
und «Waldsaum» wirklich als
Aetherblau, saftiges Wiesengrrün
und in duftigen Fernen wie ein
Hauch, der verschwebt. Diese
Maler lieben keine Modellirung
durch starke Kontraste von Licht
und Schatten , ihre Bilder sind hell wie das Tageslicht , das draussen die Gegenstände umfluthet,
verschärft und verschleiert, Licht und Luft bewirken die feinsten Unterschiede, heben, vertiefen, weiten,
modelliren jede Bewegung der Landschaft. In dieser Hinsicht bietet Schönleber's «Hochwasser am
Städtchen» zarte Effekte. Die üble Seite dieses Strebens zeigt sich in Kampmann's Versuchen. Die
obengenannten Künstler streben auch ein Relief der Landschaft an, in dem der Natureindruck gefasst
ist, ebenso wie Strützel mit seinem «Abend am Bach» und «Im Hochmoor». Nur verleitet ihn
dieses Streben zu stärkeren Uebertreibungen. Das Suchen nach Vereinfachung des Natureindruckes
hat zu einer künstlerischen Auffassung geführt, in der man die Landschaft nicht als etwas Räumliches
fasste, sondern auf den Flächeneindruck hinarbeitete und in der die Farbe ähnlich wie bei Teppichen
zur Wirkung kommt. Manche haben das Ornamentale der Landschaft in I'arbe und Linie so hervor-
zuheben gesucht, dass die Feinheit des Natureindruckes, die Atmosphäre als Stimmungsträger in
ihrer eigenen Weise nicht mehr zur Geltung kommt. Man hat mit einer gewissen Gesichtsrohheit
farbige und ornamentale Eindrücke zu sehr auf dekorative Wirkung hin g-esteig-ert. Die T'arbe wirkt
11 19
138
DIE KUNST UNSERER ZEIT
dann schwer und arbeitet nicht mehr an der Klärung der räumlichen Verhältnisse mit. Beispiele
dafür gibt Franz Hoch in seinen heurigen Landschaften. Poetischer Stimmungsausdruck beseelt
Bürgel's «Abendlandschaft». Die Werke der Stuttgarter decken sich in ihrem künstlerischen
Bestreben mit dem des Karlsruher Künstlerbundes. Thoma, der mit drei Bildern auftritt, ist auch
in allen anderen der jungen Karlsruher Landschafter gegenwärtig, sein Einfluss ist unverkennbar.
Stimmung erwecken durch schöne Aussichten, durch räumliche Darstellungen, Stimmung
schaffen durch ornamentale Flächenbilder,
Stimmung überhaupt heisst die Signatur, unter
der die moderne Landschaftsmalerei steht.
Wir haben hier noch Einiges anzuführen,
das sich nach Art und Charakter mit dem
Vorausgeschickten verknüpfen lässt. Von
Petersen ein paar Seestücke mit trefflich
beobachteter und gemalter Stimmung; von
Olga Beggrow-Hartmann ein Stillleben
und von Pirie-Glasgow ein prächtiges
Hühnerpaar mit Küchlein. Ferner müssen
wir noch auf eine Erscheinung in der Stutt-
garter Kunstgenossenschaft hinweisen , die
ihr eine eieenartio-e künstlerische Note ver-
leiht, — es ist Kalckreuth's Kunst; für
seine Eigenart und grosse Auffassung der
Natur spricht neben einer Landschaft am
deutlichsten das Bild einer alten Frau, die
ausruhend und nachdenklich im Freien sitzt.
Mit den einfachsten Mitteln ist das Einfachste
und Nothwendigste , der ganze innere und
äussere Gehalt der Erscheinung in monu-
mentalen Umrissen und F"ormengebung ge-
geben. Man glaubt, eine plastische Figur
von Meunier in ihrer charakteristischen
Silhouette festgrehalten zu sehen. Es ist an dem Bilde maltechnisch Nichts zu bewundem — als
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Otto Propheter: Bildniss der Frau Junker
seine grosse Einfachheit, die sich mit dem Empfindungsausdruck deckt. Das Bild erinnert an ein
Fresco im Lapidarstil.
Kalckreuth hat sonst immer in der Secession ausgestellt, er würde auch heuer unter den
lärmenden Farbensymphonikern durch seine herbe Grösse weit mehr wirken und auffallen.
Auch Keller gehört mit seinem Bilde «Arbeiter in einem Steinbruch» hieher. Es ist ein
Freilichtbild im besten Sinne: Schwarze Schatten und grelle Lichter fehlen darin ganz und doch sind
DIE KUNST UNSERER ZEIT
139
alle Gegenstände kräftig modellirt. Es ist Licht, Luft und Raum darin, und Nahes und Fernes durch
malerische Töne charakterisirt. Ein solches Werk setzt viel zielbewusstes, zeichnerisches und maler-
isches Können voraus; man darf es nur mit andern Bildern, die in ähnlicher Weise einen Vorgang
im Freien darstellen, die aber durch das Streben nach Stimmung unwahr und manierirt erscheinen,
vergleichen, um den treuen Wirklichkeitssinn und die feinen Grade malerischer Wahrnehmung, die
Keller's Bild aufweisen, schätzen und würdigen zu können.
//. Spence: Liuidschaft
Ein eigenartiges Schmuckstück ist der Ausstellung in Herkomers Prunkschild mit Email-
malerei «Der Triumph der Stunde» einverleibt. Was das Menschenherz zu jeder Stunde bewegen
mag, wird hier in einem Gleichniss malerisch ausgedrückt. Es wird erzählt, Herkomer habe diese
Technik der Emailmalerei neu erfunden und gestaltet. Wer sich mit dieser Art der Technik nicht
befreunden kann, wird doch der künstlerischen Geschicklichkeit, die daraus spricht, seine Anerkennung
nicht versagen können. Die Bilder sind von einer Klarheit in der Zeichnung und Schönheit der
Farben , dass sie wirklich als Kleinodien , als Edelsteine im Bild erscheinen und einer kostbaren
19»
140
DIE KUNST UNSERER ZEIT
A/idrezi' Black: Im alten Scliottland
Fassung auch würdig sind. Nur hat Herkomer die Fassung nicht gleichwertig mit den Bildern
gestahet und das ornamentale Beiwerk nicht plastisch klar und zierlich genug gebildet. Es ist dies
eine Forderung, die schon durch die Art und das Wesen des Metalls bedingt wird. Wir Kultur-
menschen können uns nicht mit der Naivität eines Neuseeländers an ungebildeten Massen blinkenden
Metalles ergötzen.
Die Secessionen sind aus der Vereinigung solcher Elemente der Künstlerschaft entstanden, die
erfolgreich aus einem geistigen Rassenkampf hervorgingen und sich kräftig und selbständig genug
zur Gründung neuer Künstlerrepubliken fühlten. Sie gewannen die Sympathie und Unterstützung aller
künstlerisch Gebildeten durch die grossen und breit angelegten Prinzipien, auf denen sie fussten. Ihr
Programm durfte nicht mit der Parole vom Malen um des Malens willen erledigt sein, sondern
es musste darüber hinaus auf ein grösseres Ziel weisen, auf ein Ziel, das die Hebung und F'örderung
allgemeiner künsderischer Bildung in sich schloss. An die Stelle der begrifflichen und abstrakten
Anschauungen, die früher alles beherrschten, sollen Anschauungen treten, die die natürliche Empfindung
und Vorstellung des Menschen nähren und bilden. Es fragt" sich nun, haben die Secessionen bis
DIE KUNST UNSERER ZEIT
141
heute an diesen hohen Prinzipien festgehalten, und ist es ihnen gelungen, der-Pflege der künstlerischen
Kultur mit Erfolg obzuliegen, und wie haben sie diese Aufgabe erfüllt?
Um die Fahne der Secession schaarte sich anfangs Alles, was jung und kräftig war und künst-
lerischem Fortschritt huldigte. Ihre republikanische Verfassung erlaubte Jedem, mit seiner eigenen
Ansicht und mit seinem eigenen Empfinden hervorzutreten. Das Individuelle galt als der tiefe
Born, der unerschöpflich immer neue Lebenselemente der neuen Kunst zuführen sollte. Dabei
zeigte sich aber, dass das Individuelle bei allen Menschen nur in aufgespeicherten Eindrücken
und der Erfahrung von aussen, in der Fähigkeit, Ererbtes und Ueberkommenes zu übernehmen, zu
verarbeiten und weiterzubilden, bestehe, kurz, dass der moderne Mensch nur ein Summe des von
Ahnen, Grossvätern und Vätern Ererbten sei. Er versucht nun mit seinem Empfinden den veränderten
Anschauungen der Gegenwart nachzukommen, indem er es in ein neues Gewand kleidet. Aber nur
wenige hervorragend organisirte, mit tiefer Empfindung und künstlerischer Bildung ausgestattete Naturen
machten wirklich einen Schritt vorwärts, dem grossen Ziele zu, eine moderne Kunst zu schaffen, in
der der ganze geistige Gehalt unserer Zeit zum Ausdruck kommt. Wenn man gesagt hat, diese
Kunst erschlösse das Leben in viel weiterem und tieferem Umfang als jede frühere Periode es erschloss,
so bezieht sich das nur auf die Werke derer, die ausserhalb aller X'ereinigung auf einsamer, stolzer
Riclianl Kaiser: .\lter Steinbrucli bei Kiifstein
142 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Höhe allein stehen. Denn das Verhältniss der mitderen Kräfte zu den führenden Geistern kann erst
wieder in fruchtbringende Wechselbeziehung treten, wenn die moderne Kunst eine allgemeine Form
für ihre Anschauung gefunden hat, in welcher die persönHche Kraft des Einzelnen ausmündet. Vorder-
hand muss man das Individuelle eher als das Element betrachten, das die schwächeren Talente in die
Aera des Malvirtuosenthums hineintrieb. Diese Talente verfallen leicht dem Geiste der Nachahmung, sie
sehen ihre Aufgabe darin, sich so auszudrücken, wie es anderswo gerade Mode ist und wie führende
Meister sich äussern. Sie sollten nur nicht so überhandnehmen, dass sie die charakteristische Erscheinung
einer Societät ausmachen, die sich die Pflege künstlerischer Reinkulturen zum Ziel gesetzt hat.
Die Wollust des Malens hat Vielen den Kopf genommen und das Rückgrat geschwächt, ihre
Farbenoffenbarungen sind diffuse Träume und ihre Zeichnung ist haltlos und schlotterig. Talent und
Genialität zeigt sich zwar in vielen Werken, aber verbunden mit einer künstlerischen Unkultur und
Geschmacklosigkeit, die oft brutal wirkt. Künstlerische Kultur und Geschmack sind eben Dinge,
die sich nicht erwerben lassen, wenn man sie nicht von Haus aus hat. Und die secessionistische
Erziehung , die auf künstlerische Bildung hinarbeiten sollte , ist nicht im Stande , auf -diese Grund-
elemente Werth und Nachdruck zu legen. Auch damit wird im Prinzip ihr ernstes Programm
verletzt und geschädigt. Anschauliche, bildliche Vorstellungen, menschliche Empfindungen erweckt
man nicht allein mit Farbenkonzerten, Farbensymphonieen, ohne dass nicht der Grund des Rhythmus,
der Wohllaut der einzelnen Töne tieferem Empfinden entspringt, einen Halt, eine Organisation hat,
die nur rein geistiger Natur sein kann. Viele Werke aber erfüllen diese Forderung nicht, sie haben
kein Gefüge, keine Organisation, weder eine räumliche, noch eine geistige. Die malerische Epidermis
einer Schöpfung- kann der Anschauung auf die Dauer nicht genügen, die dekorative Wirkung allein
thut es nicht, das Plächenbild vermag nicht so anzuregen, wie eine schöne Aussicht, an die sich
menschliche Empfindungen anspinnen.
Es will uns scheinen, dass die heurige Ausstellung nicht zu den inhaltsvollsten zählt, und dass
das eigentliche, secessionisdsche Prinzip nicht voll darin zum Ausdruck kommt. Das mit Geschmack
durchgeführte Milieu der Säle, in denen die Bilder mit Rücksicht auf ihre Färbung eingeordnet sind,
so dass eine vornehme, geschlossene Gesammthaltung erzielt wird, verleiht dieser Ausstellung ein
einnehmenderes Aussehen als der des Glaspalastes.
Für das Figurenbild, wie es uns in der Secession entgegentritt, ist die malerische Gestaltung
massgebend. Es kommt dabei nur auf eine Harmonie der F"arben, selten auf die der linearen An-
ordnung an. Wohl kann man einen malerischen Eindruck, das Zusammenstellen von P""arbflecken zu
einem Ganzen zum Ausgangspunkt für ein Bild machen und durch neue Motive, neue Akkorde aus
der Natur beständig bereichern, aber diese Eindrücke sind nur malerische Notizen, Rohmaterialien, aus
denen ein Bild erst bereitet werden muss. Es befriedigt beim Figurenbild nicht und ebensowenig bei
der Landschaft, wenn wir malerische Tonwerthe in harmonischer Skala heruntergemalt sehen. Es
genügt nicht, wenn man lediglich einen malerischen Eindruck festhält, wir wollen vielmehr auch einen
charakteristischen Ausdruck allgemein menschlicher Empfindungen darin ausgesprochen finden.
Charakteristisch mit all' seinen guten und schlechten Eigenschaften für diese Richtung ist Ribot's Bild
DIE KUNST UNSERER ZEIT
143
«Die Sänger». Nur ist dieses Bild mit einem Verständniss für Form gemalt, das keines der übrigen
annähernd erreicht. Ribot könnte darin auch Ribera heissen. Die gleiche Saftigkeit und Tiefe des
Tones, die gleiche realistische Kraft wahrer Darstellung! Aber durch den Mangel einer klaren
Komposition büsst das Bild viel von seinen altmeisterlichen Vorzügen ein. Nicht in der feinen Ueber-
einstimmung der Töne allein liegt der organische Zusammenhang, die künstlerische Gestaltung eines
Bildes, sondern vornehmlich in der räumlichen Einteilung. Durch diese erhält ein Wirklichkeitseindruck
für unser Auge erst seine eigentliche Fassung und Wirkung. Uhde's grosses Bild «Ruhepause im
Atelier» ist auf reine Farbenkomposition angelegt. Die räumliche Anordnung bestimmen lediglich
r'arbenwerthe, je nachdem der Farbe die Eigenschaft innewohnt, nah oder ferne, klärend oder ver-
dichtend zu wirken. Jedoch
dieses malerische Problem ist
nicht einwandfrei gelöst. Die
Farben sind allzu grau und
verstaubt, sie wirken und
spielen nicht auf die ihm
sonst eigene, feine Weise in-
und durcheinander. Auch als
Schilderung geht diese Modell-
pause, wie es eigentlich heissen
sollte, über ähnliche anekdo-
tische Bilder nicht hinaus. Da
steht ein alter Mann mit einem
Ausdruck, der deutlich sagt:
für heute habe ich genug
Modell gestanden. Eine junge
Frau, mit dem Kind auf dem
Alexander Opplcr: Portratbü.ste
Arm, betrachtet neugierig die
Leinwand, worauf sie gemalt
ist. Während dessen balgren
sich im Hintergrunde ein paar
weitere Kinder, die vorher
noch als Engel agirten, wie
die an den Kleidern befes-
tigten Papierflügel zeigen. Als
malerischer Vorwurf ist diese
Scene immerhin reizvoll, wenn
auch die Malerei diesmal keine
befriedigende Lösung ergibt.
Slevogt's Bild vom ver-
lorenen Sohn ist ein Werk,
das man um seiner maler-
ischen Vorzüge willen schätzen
mag; aber die malerischen
QuaHtäten allein schaffen auch hier kein gutes Bild, besonders wenn ein Stoff gegeben ist, den
menschliches und künstlerisches Empfinden einfach und gross zu gestalten vermag, wie ihn die alten
Meister in so poetischer Weise gestaltet haben.
Habermann's Bilder, in denen die gleiche Dame nun schon in einem Dutzend Auflagen
erschienen ist, bekommen, wenn sie auch auf malerisch geistreiche Art immer neu pointirt sind, nun
doch einen unangenehmen Beigeschmack. Es liegt in der ganzen Art des malerischen Vortrags etwas,
das dem natürlichen Geschmack widerstrebt.
Geschmack ist ja bekanntlich eine höchst persönliche Sache. Wir möchten hier eine kleine
Geschichte erzählen, in welcher ein besonderes Geschmacksphänomen auftritt, das vielleicht mit vielen
hypermodernen Erscheinungen idendsch ist. Es Hess sich einmal ein modemer Literat zur Vesperzeit
Häring und Kaffee auftischen und behandelte den Fisch als Kaffeebrod, mischte ihn stückweise unter
das Getränke und löffelte Beides aus einer Schale.
144 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Wenn wir Bilder von Habermann sehen, müssen wir uns immer dieser Geschichte erinnern.
Und doch entwickelt Habermann einen so raffinirt vornehmen Geschmack, dass wir ihn am liebsten
in Parallele mit Schuster-Woldan setzen möchten. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei Letzterem
natürliches Feingefühl und feine Empfindung vorwaltet, dagegen bei Ersterem meist nur Haut-goüt.
Als eine Mittellinie, die zwischen beiden hindurchführt, lässt sich Klein's Malerei annehmen.
Er gibt in seinen Damenporträts die reale Erscheinung. Es geht ein gesunder, sinnlicher Zug durch
diese Malerei, der von Habermann's Raffinement, wie von Schuster-Woldan's Sensibilität gleich
weit absteht.
Auf englische Art schildert Oppler in seinem Bilde «Musik» die vornehme Gesellschaft
Englands. Eine Dame in Weiss und ein Kind in Weiss heben sich von einem nur in gedämpfterem
Lichte scheinenden Hintergrunde ab. Diese Malerei verräth deutlich englische Einflüsse, Aber
Oppler ist dieser Art viel näher getreten als auf den Bildern in der Ausstellung 1898. Er
o-elangte in dieser Manier zu einem sehr selbständigem A.usdruck. Während sich damals die reale
Erscheinung in seinen Bildern schemenhaft verflüchtigte , hält er sie in den jetzigen Darstellungen
trotz aller Zartheit der Modellirung doch plastisch fest. Gerade in dem Kontrast körperlich bestimmt
hervortretender Formen und der Gewandtheile , die in zarten malerischen Tönen diese überfliessen,
liegt ein besonderer Reiz der Darstellung. Oppler ist noch mit einem Bilde vertreten, das ihn auf
einem anderen Gebiete zeigt. In einen alterthümlich , bürgerlich behaglichen Raum mit altem,
g-rünem Getäfel , das in den Tiefen warm aufleuchtet , scheint durch ein hohes , in viele kleine
Scheiben getheiltes Fenster die Sonne und malt bunte Flecken auf den Boden , streift auch eine
Schüssel rothwangiger Aepfel, die eine alte würdige Matrone, am Fenster sitzend, abschält. Dabei
steht ein junges Mädchen, von weichem Lichte umfangen und von ein paar Sonnenstrahlen geliebkost
und angeglüht. Das Ganze ist so warm behaglich, zeigt eine so bürgerliche, anheimelnde Umgebung,
dass man sich ordentlich wohl darin fühlen kann. Diese Scene gibt in ihrer Art ein Genrebildchen,
wie Pieter de Hooch sie malte, der in die Sonnenstrahlen, die durch solche Scheiben fielen, verliebt
war, und sie athmet die ruhige, glückliche Atmosphäre, die Chardin so meisterhaft wiederzugeben
verstand. Ist er malerisch auch nicht auf der Höhe dieser Meister, so zeigt sich darin doch ein
Talent, das auf eine selbständige freie Weise jene Wege in die köstlich stillen Winkel gefunden hat,
die ein Malerauge immer entzücken werden. Ja durch die Kunst, die so Gegensätzliches umfasst,
die die vornehme Sphäre des Salons in so diskreter Weise malt und zugleich in dem schlichten Still-
leben aufzugehen weiss, unterscheidet sich dieser Maler von vielen modernen Kollegen auf beachtens-
werthe Weise.
Da vorher von englischen Einflüssen die Rede war, möchten wir hier gleich eines Bildchens
gedenken, das die englische Kunst, wenn auch nur im Kleinen, doch gut repräsentirt. Es i.st dies
«Die Wahrsagerin» von Robert Bell. Diese Maler haben nie die Schönheit aus den Augen
verloren, immer ist sie ihnen als ein himmlisches Mädchen in Wald und Flur, im Haus und in der
Gesellschaft begegnet. Wie auch in Opplers Bilder etwas von jenem vornehmen Wesen über-
gegangen ist, so zeigt es sich hier in einer übersetzteren romantischen Weise. Aber es ist dieselbe
Tinl Ruiii;i;.c:i: ^iui,.
Pbot. K. B4af»uwogl, llQaeb«a
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
145
Angela yank: Heidi!
Rasse, dieselbe Diskretion in der Haltung, dieselbe natürliche Feinheit in der Bewegung und im
Ausdruck der Empfindungen von Gesicht und Händen. Stets das Schöne vor Augen, haben diese
Meister immer die goldene Mittellinie eingehalten und in ihren grossen Schöpfungen sich in mystische
Regionen erhoben, in die kein Staub der grauen Alltagswelt dringt. Es ist ein Bild von Höcker
hier, das auch an Mystizismus streift, aber es ist keine tiefe Offenbarung einer verzückten Seele
darin, sondern nur malerisch raffinirtes Empfinden.
Eine sinnliche Malerphantasie, die im Sehnen und Suchen nach neuer Schönheit .sich verzehrt,
kann in der Produktion leicht negativen Erfolg haben. Aber je mehr gesunde und natürliche
Vorstellungskraft einem innewohnt, desto weniger wird er von diesem geistigen Prozesse angegriffen
und erschüttert werden. Stuck hat keine Anlage zu solchem Zehrfieber, wenn seine Farben-
symphonien auch manchmal diffus erscheinen und ein verschobenes Bild zeigen, wie die heurige
Wiederholung des «bösen Gewissens». Auch unter seinen Porträts verräth nur das des Afrika-
reisenden Eugen Wolff die feste Hand und den Farbensinn des Künstlers. Vielleicht lässt er sich
doch durch den Beifall der Menge und unkritischer Schwarmgeister zu viel aus seinem Schöpferfrieden
aufjagen und gibt Schöpfungen, die er noch nicht au.sgereift hat, allzu leicht weg.
Hierl-Deronco's Kostümbildniss ist von starker dekorativer Wirkung und schön gemalt.
Wenn wir von Porträtkunst sprechen, so bezeichnen wir damit im weitesten Sinne alle Werke,
in denen ein Wirklichkeitseindruck so gewahrt und wiedergegeben ist, dass wir darin jedes Objekt
nach seiner Herkunft und Rasse zu erkennen vermögen. Dieser Zug der modernen Kunst erklärt
sich aus dem innigen Anschluss an die Natur. Es liegt bereits ein wissenschafdicher Zug darin, die
Oberfläche eines Objekts aufs Getreueste in F"arbe und Form wiederzugeben. Diese Richtung hat
einen Positivismus erzeugt, der auf einen sehr engen Darstellungskreis sich beschränkt. Wenn aller-
11 20
146
DIE KUNST UNSERER ZEIT
L. V. Zumbusch: Greis unu Ki.ii
clings diese Anschauung in liebevolle Be-
trachtung aufgeht, wenn das Empfinden
mit der Oberfläche zugleich das Lebens-
gefühl des Ganzen übermittelt, dann wird
daraus ein Segen für die künstlerische
Produktion erwachsen. Dann kommt zu
dem gewissenhaften, fleissigen Abschreiben
der Natur ein Zug von menschlicher
Grösse, die mit gleicher Liebe alles um-
fasst. Ein solcher Zug der Naturbetracht-
unor wohnte Se^antini inne. Es ist
o o
rührend zu sehen, mit welcher Liebe er eine Ziege, die ihr Junges säugt, gemalt hat. Seine Kunst
wächst aus der Erde und ragt in die reinen Lüfte wie die Berofe auf seinen Bildern. Sie ist eine
Frucht, so goldeswerth wie das Korn, so nahrhaft wie das Brod, das daraus gebacken wird. Es ist
eine Kunst der Empfindung, die Samen ausstreut, mögen herrliche Blumen und Blüthen oder erden-
schwere Früchte daraus hervorgehen. Solche Meister sollen wie Patriarchen und Heilitje in den
Secessionen verehrt werden.
Ein älteres bekanntes Bild von Liebermann versetzt uns mitten in ein Altmännerhaus, in
einen Garten mit warmer sonniger Beleuchtung. Die alten Leute sonnen sich, und in jedem Antlitz
steht seine Geschichte. Liebermann hat seitdem wenig- solche Bilder gemalt , das Suchen und
Experimentiren mit malerischen Wirkungen hat diese treue Bildnisskunst in seinen späteren Werken
verdrängt. Ein Doppelbildniss von Anetsberger stellt einen Pferdekopf mit seinem Wärter dar.
Das Bild verräth allzusehr den photographischen Ausschnitt. Mit welch' kühner und starker Empfindung
griff einst Velasquez solche Stoffe in ihrer ganzen Erscheinung auf und übertrug sie auf die Bild-
fläche, stellte Ross und Reiter ruhig in die bewölkte
Landschaft oder lebendig bewegt in eine stimmungs-
volle silbergraue Atmosphäre! Aber es wäre un-
gerecht , vor einem solchen Bilde treuen Arbeits-
fleisses und Vertiefung in die Natur sich solchen
Reminiscenzen zu sehr hinzugeben, es stecken nur
künstlerische Qualitäten darin, die dazu verleiten, sich
kühnerer und grösserer TÄSL<g^ zu erinnern. Man ver-
muthet, Anetsberger hätte nach dieser Seite hin
mehr auszugeben.
Haben wir uns durch diese Erscheinungen ver-
o
leiten lassen, weiter abzuschweifen und die Bildniss-
kunst als ein grosses allgemeines Gebiet aufzufassen,
so führt uns Samberger mit seinen Porträts auf ihr Hubert v. Heyden: Kampi
DIE KUNST UNSERER ZEIT
147
vornehmstes Gebiet, die Einzeldarstellung des Menschen, zurück. Man kann darin einerseits rein
von malerischen Gesichtspunkten ausgehen und mit lebendiger Empfindung den momentanen
Eindruck festhalten, und andererseits kann man von diesem bis zu einem gewissen Grade abstrahiren
und durch das Medium der Empfindung in das Innere einer Erscheinung einzudringen versuchen,
wie dies Lenbach thut. Erstere Art ist die Sambergers. Schnell, fast gewaltthätig reproducirt
er den malerischen Eindruck auf die Bildfläche. Indem er sich müht, das flüchtige Erscheinungs-
bild festzuhalten, mit malerischer Furie dieses auf die Leinwand zu bringen, kommen neben grossen
malerischen Feinheiten, wie sie nur die Stimmung des Augenblickes ergibt, auch viel Unruhe und
nervöse Unsicherheiten zum Ausdruck. Alles ist wie auf einen Hieb heruntergesäbelt, sei es getroffen
oder gefehlt. Damit im Zusammenhang steht auch die Klarheit, Flüssigkeit und Leuchtkraft der
malerischen Töne, der frische lebendige Eindruck, den wir empfinden, wenn wir auch ein plasti-
scheres Gefüge, eine
feste Organisation in
der Gestaltung ent-
behren müssen.
Bei den Land-
schaften der Seces-
sion treten dieselben
Prinzipien , die wir
schon oben bespro-
chen haben, in Er-
scheinung;Stimmung
erwecken durch or-
namentale Form und
Farbe und Stimmung-
Karl Haider: Abendlandschaft mit heimkehrendem Ritter
geben durch schöne
Aussichten! Aus-
schnitte aus der
Natur, bei denen
die Wirkung nur auf
ein paar farbigen Ac-
centen Hegt , die
nach Art eines Ta-
peten-Musters an-
regen, gibt es hier
viele. Sie haben
für den Maler viel
sachliches Interesse,
sie bieten malerische
Werthe, aber wir können sie nur als Stoffe und Materialien auffassen, denen die künstlerische
Gestaltung, die Zubereitung für unsere Sinne fehlt. Wir lieben schöne Aussichten, schöne Punkte,
idyllische Plätzchen, die menschliche Empfindungen anregen. Dem Deutschen erweckt die Landschaft
Gefühl und Stimmung, er liebt landschaftliche Bilder, die seine Brust weiten, die ihn zu fröhlicher,
andächtiger Betrachtung und feierlicher Erhebung stimmen. Er verbindet damit ein Stück Romantik,
uralt sind die Vorstellungen, die Dichtung und Landschaft mit einander verweben und diese mit Gestalten
und Fabelwesen bevölkern. Böcklin vertritt diesen Zug auf's Ureigenste. Die Landschaft als orna-
mentales Flächenbild ist ein Ausdruck, der unserem Empfinden fem liegt, der uns nimmermehr genügen
kann. Wir wollen Landschaften, an die poetische Betrachtung und Stimmung sich anknüpft, Land-
schaften, die in stiller Beschaulichkeit genossen werden können, die unsern Schönheitssinn anregen
und nähren. Haider's Abendlandschaft besitzt eine Stimmung in diesem Sinne. Es ist eine echt
deutsche, contemplative Naturbetrachtung, wie sie U bland beseelte. Ein Abend ist es in den Vor-
- feierlich ernst ragen dunkle Fichtenwälder in die lichte Atmosphäre, und der Horizont wird
bergen
20*
148
DIE KUNST UNSERER ZEIT
vielzackig besäumt von bläulich schimmernder Bergkette. Die Luft ist sanft geröthet und alle
Gegenstände schimmern in hellem, goldigen Ton, sind von einer prächtigen Klarheit, Vornehmheit
und Reinheit. Das Motiv ist ein ganz einfaches, ein Stück Wiese und Wald mit schöner Fernsicht,
und um auf deutsche Art der Stimmung romantischeren Ausdruck zu geben, hat der Maler darin
einen heimkehrenden Kreuzzugritter, dem von waldigen Höhen seine Burg entgegenschimmert,
hineingemalt. Ein solches Bild mag sehr mühsam und nachdenklich geschaffen worden sein, mit
fast Holbein'scher Schärfe und Sachlichkeit sind alle Gegenstände darin behandelt.
Die landschaftliche Stimmung
auf eine reizende Art zu beleben,
indem er an ein köstlich idyl-
lisches Plätzchen ein naives Liebes-
pärchen setzt, das thut Hengeler
in seinem Bilde «Auslug«.
Nach der dekorativen Seite
hin wirken die Landschaften von
Vinnen und Overbeck, man
kann sie wohl in prächtige, vor-
nehme Räume denken. Auch wären
Besie's Bild »Der Dorfbach» und
Flad's «Herbstabend» stimmungs-
volle Schmuckstücke für die Wände
eines Wohnraumes. Von präch-
tiger, englischer Vornehmheit ist
die Flusslandschaft von Cameron.
Es sind Bilder, die eine beständige
Anziehungskraft auf unsere Phan-
tasie auszuüben vermögen, die
man wie gute Hausmusik daheim
immer um sich haben und ge-
messen möchte. Feine landschaft-
liche Zeichnungen gibt Meyer-
Basel und Angelo Jank in den
Ansichten von Rothenburg an der Tauber. Auf grauem Papier, das als Lokalton wirksam mit einigen
Farben gehöht ist, hat er mit weichen, breiten Bleistrichen diesen Ansichten einen ungemein male-
rischen Ausdruck zu geben gewusst. Mit merklicher Liebe und Freude ist er in den Charakter des
Ganzen eingedrungen, und das ist so goldechte Poesie und verklärt dies alte Nest wie die Sonne, die
da und dort in einem Fenster spiegelt, die alte Ziegeldächer erglühen lässt und einen Thurmknopf
festlich funkeln macht.
Z.. Samberger: Bildnissstudie
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Frühlingsmärchen
DIE KUNST UNSERER ZEIT
149
Einem plastischen Werke stehen die meisten Betrachter fremd gegenüber, es erweckt keine
Empfindungen in ihnen. So sehr unser Auge empfänglich geworden ist für malerische Eindrücke, so
sehr der Sinn für malerische Stimmung geweckt ist, so empfinden wir doch nicht die Reize der
plastischen Eorm. Formgefühl und I-'ormempfindung scheint noch gering entwickelt. Allerdings fehlt
es in der Plastik bei uns auch an Werken, welche beides wirksam anzuregen und zu nähren vermögen.
Das plastische Werk, wie es bei uns im Allgemeinen auftritt, entbehrt nicht nur der künstlerischen
Fassung des Natureindruckes, sondern ist auch im Ausdruck der Empfindungen gekünstelt. Sehr
bezeichnend dafür sind die Plastiken, die in Stein, Holz oder Bronze gedacht, immer in der
Manier der .Stuck -Technik ausgeführt er-
scheinen. Diese Manier gibt jede Form in
barbarischer Weise als einen rohen Wirkungs-
eindruck wieder. Dass das Publikum diese
Dinge immer noch als Plastik hinnimmt und
bewundert , beweist ebenfalls seine Empfind-
ungslosigkeit gegen edlere Erscheinungen.
Vielleicht ist die Plastik in solche Aus-
drucksformen verfallen, weil sie so lange
vom Leben isolirt war. Erst die Werke der
Gegenwart verrathen wieder einen Anschluss
an gegebene Situationen und bestimmte Ver-
hältnisse und Oertlichkeiten. Die Plastik war
immer eine Kunst, die sich im Zusammen-
hang mit bedingten Verhältnissen, im An-
schluss an architektonische Werke gross und
vielseitig entwickelt hat. Nur ein Theil der
Bildnerei, wie die Porträt- und Kleinplastik,
ist an keine bestimmten Verhältnisse gebunden,
dagegen ein Grabmal oder Denkmal erhält
erst Werth und Bedeutung- im Zusammenhang-
mit seiner Umgebung. So vermögen wir uns
kein bestimmtes Urtheil über eine Erscheinung zu bilden, wie das Brückner -Denkmal von
Zerritsch, indem hier die Hauptsache, die örtliche Umgebung, aus der das Ganze herauswachsen
soll, fehlt. Wir wissen nicht, ist die Schöpfung darin lebensfähig und ihre Existenz begründet
oder hat der Schöpfer unter Nichtachtung der gegebenen Situation nicht der räumlichen , sondern
nur der künsderischen Ausgestaltung des Stoffes Ausdruck gegeben, indem er das anmuthige
Motiv eines den Gefeierten bekränzenden Genius' zu einem effectvollen Dekorationsstück verar-
beitet hat. Solche Schöpfungen lassen uns bedenken, dass sie in malerischer Gestaltung viel
mehr Stimmung erregen und verbreiten könnten. In der Malerei ist es eben um vieles leichter,
Taschner : Rauhbein
150
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Hubert Hetzer: Ürpheus-Hrunnen
ein solches Motiv auszudrücken und wenn auch nicht tiefe, so doch angenehme Empfindungen zu
erwecken.
Stimmung erweckt und übermittelt auf's Beste eine andere plastische Schöpfung der Ausstellung,
die man sich allerdings auch in bestimmten örtlichen Verhältnissen zu denken hat. Man dürfte den
Orpheusbrunnen von Netzer nur ins Freie stellen unter eine Gruppe alter Bäume in einem stillen,
lauschigen Parke, in welcher Umgebung diese idyllische Welt für sich uns noch deutlicher fühlbar
würde. In der architektonisch-bildnerischen Fassung eines Brunnens ist in freier, selbständiger Weise
dem Motiv des lyraspielenden Orpheus inmitten von Thieren des Waldes Ausdruck gegeben. Netzer
entwickelt in solchen Darstellungen eine besonders reiche Produktion. Alle diese Gebilde sind
ursprünglich empfunden, mit poetischer Phantasie und männlicher Schöpferkraft gezeugt. Dieser
Brunnen ist schön und einnehmend durch seinen freien F"luss der Linien und stimmungsvoll durch den
beseelten Ausdruck der F'ormen, wenn auch nicht so frei in dem Rhythmus der Form und Bewegxing
wie die Brunnenschöpfungen der Renaissance und des Barock.
Wenn man in neuerer Zeit versucht hat, wie in den alten Vorbildern das architektonische Element
in der Conception solcher Schöpfungen hervorzukehren, so darf darum die freie bildnerische Gestaltung
nicht zurückgesetzt werden. Denn diese ist es, welche in jeder Situation nicht nur in dekorativer
Hinsicht wirksam wird, sondern ihr erst einen tieferen poetischen Ausdruck verleiht. Dass beides ver-
einigt so selten auftritt und so selten Werke hervorgehen, die neben den alten bestehen können,
hängt mit dem Missstand zusammen, dass Architekt und Bildhauer getrennt wirken. Es ist das eine
Misere, die die deutsche Plasdk schon das ganze Jahrhundert hindurch bei allen grösseren Unter-
nehmungen schwer und tief geschädigt hat. Immer scheiterten die Plastiker bei Lösung solcher
Probleme an dieser Klippe. Keiner hat dies so richtig erkannt wie Hildebrand, der in seinem
DIE KUNST UNSERER ZEIT
151
«Problem der Form» eine Lösung durch Anschluss an die Tradition vorschlägt und anstrebt. Ihre
Formen, mit neuem Geiste gefüllt, d. h. mit unserem Empfinden durchdrungen, müsste das
Programm der künftigen Plastik bilden.
In welcher Weise die Plastik als eine in's räumlich Grosse gehende, frei schaffende und sich
frei bewegende Kunst durch die Ungunst der jeweiligen Verhältnisse in's Kleine beschränkt und
gedrückt wird, zeigen die sogenannten Statuetten. Manchmal sind freilich solche Statuetten trotz
ihrer räumlichen Beschränkung grosse Schöpfungen und lassen erkennen, dass ihr Schöpfer eine F"ülle
des Lebens in diesen kleinen F'iguren zu concentriren vermag. Sie gelten wie Umsatzwerthe eines
grossen Kapitals, das in solcher F'orm mehr Zinsen trägt. Heuer finden wir zwar keine so über-
raschende kleine Grössen, aber es fallen doch kleine, bescheidene Arbeiten durch die originelle
Art der Erscheinung auf, wie z. B. Taschners «Rauhbein». Auch vieles andere ist so nett
und ansprechend wie Kurzwaaren, die im Bazar
dem Vorübergehenden so orefällig- erscheinen.
Mit der Grabmalsplastik ist der modernen
Bildnerei ein weites Arbeitsfeld gegeben, in
dem eine F'ülle künstlerisch neuer Momente
der Gestaltung harrt. Man erinnere sich, in
welch feiner Weise die Antike hierin schon
die Wege und Ziele zu einer reichen künst-
lerischen Bethätigung gewiesen hat. Die Aus-
stellung weist nur ein paar Erscheinungen auf,
die zeigen, dass diese Art nur hie und da
von Liebhabern eine Pflege erfährt, so Christ's
Gruppe «Der Trost» und Eloy Palazios'
Grabmal einer vornehmen Spanierin; dieses
zeichnet sich aus durch seinen freien selbst-
ständigen Charakter in der Ausführung.
Wie das individuelle Empfinden, wenn es
von keinen künstlerisch tieferen Absichten ee-
läutert und durchdrungen ist, unharmonisch,
bizarr, verschoben wirkt, zeigen Gasteiger's
Arbeiten. Künstlerische Erziehung und natür-
licher Takt bringen geschmackvolle Schöpf-
ungen hervor, und man wird sich ihnen nicht
verschliessen können, wenn sie auch keine be^
sonders tiefe Persönlichkeit verrathen , so gre-
winnen uns die Werke von Nachahmern und
Kopisten, wie sie die Renaissancezeit viele her- j^ri^z Zenitsch: Bnukner-Denkmai
152
DIE KUNST UNSERER ZEIT
vorgebracht hat, durch künstlerische Durchschnittsqualität, Verständnis der Form und Beherrschung aller
lechnischen Ausdrucksmittel Achtung ab. Ja selbst die Werke des Barock , wo die Willkür und
Unnatur des Empfindens anfing Herr zu werden über edle Regungen und einfachen, massvollen
grossen Ausdruck, zeichnen sich immer noch durch traditionelle künstlerische Fassung aus, welche
selbst gröbere Ungezwungenheiten veredelt erscheinen lässt. Dadurch wirkt diese barocke Weise doch
nie verletzend auf künstlerische Sinne wie in Gasteiger's «Prometheus», bei dessen Anblick wir an
eine kleine Bühne erinnert werden, auf der ein leidender Heros durch einen kleinlichen brutalen
Alax Kliager: Schlafende
Charakter karrikirt wird. Das Erhabene schlägt in's Lächerliche um. Durch Humor versucht
Gas teiger zu wirken in seiner Brunnenfigur «Wasserscheu». Er betritt damit neuerdings einen
Vergleichsweg, den er schon vor Jahren mit seinem Brunnenbuberl eingeschlagen hat, um damit die
Gunst des Publikums zu gewinnen. Auch diese Absicht, durch Witz die P^merstehenden und
Gleichgiltigen für künstlerische Produktion zu interessiren , wäre im Prinzip nicht von der Hand zu
weisen. Inwiefern ein plastisches Werk sich eignet, diese Rolle zu übernehmen, das kommt lediglich
auf die Art der künstlerischen Gestaltung an. Künsderischem Takt und Gefühl steht es allein zu,
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
153
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yii/iiis Vicz: In arte libenas
das Mögliche und Unmögliche durch die Art der Gestaltung für unsere Vorstellung angenehm und
wahrscheinlich zu machen.
Es kann einem gefallen, auf absonderliche Art alte Probleme durch ein neues Darstellungs-
verfahren zu lösen zu versuchen. Klinger thut dies in mehreren Werken und auf verschiedene Weise.
In seiner «Leda» und seinem Relief «Schlafend» folgt er alten Prinzipien der bildnerischen Gestaltung,
wie sie uns auch durch Hildebrand wieder näher gerückt wurden, nämlich durch den Prozess des
aus dem Steine Herausbildens, ein Bildwerk auf die natürlichste Art wachsen und sich entwickeln
zu sehen, bis der ursprüngliche Steinraum aufgehoben und sozusagen in lebendige Formen auf-
gegangen ist. Dieses stufenweise Herausbilden zeigt sich deutlich in dem Relief der Schlafenden, und
weiter vorgeschritten in dem der Leda. Im ersteren schlafen wirklich die Formen noch im Steine
gebunden, im letzteren sind sie befreit und zu vollem Leben entwickelt. In den «Tänzerinnen»
schafft der Künstler nach Art altrömischer kleiner Bronzen ein zierliches Schmuckstück fürs Haus.
Die Büste «Assenjeff», die aus verschiedenfarbigem Marmor und kostbaren Steinen zusammengesetzt
ist, ist ein Versuch, nach Art der Antike durch solche Zusammensetzung eine erhöhte dekorative
Wirkung zu erreichen. Es kann durch solche Kontraste , wenn das Objekt an bestimmte Oertlich-
keiten gebunden ist, eine harmonische Gesammtwirkung wohl erzielt werden, vermag aber in dieser
Aufstellung, trotz einzelner Schönheiten, uns nicht anzusprechen. Bei der so eigenartigen persönlichen
Auffassung des Künstlers, der in ganz freier Weise über das Gewöhnliche hinwegschreitet, überrascht
es doch, wenn er die Fundamente der bildnerischen Gestaltung nicht in Acht nimmt, wo diese
unbedingt beim ganzen Eindruck mitsprechen und von Bedeutung sind. Die Existenz der kauernden
Marmorfigur beruht auf einem Fundament, das in einer bestimmten Form zum Ausdruck kommen
muss, denn das Kauern und Niedergedrücktsein findet seinen festen Stand und Rückhalt auf der
Erde. Diese muss darum in einer künstlerisch orgranischen Form, in einer Plinthe , oregfeben sein,
und als solche künstlerische Form sind die Messingkugeln, die die Figur stützen und in ihrer Lage
erhalten, nicht hinzunehmen. Die Schönheit einer Arbeit leitet sich von dem harmonischen Zusammen-
II 21
154
DIE KUNST UNSERER ZEIT
klingen aller Theile her, und so gut in einem musikalischen Gefüge kein Misston den ganzen Eindruck
stört, so schädigt eine Missform die Schönheit einer solchen Arbeit. Man muss annehmen, dass
Klinger's farbig gehaltene Werke in ein bestimmtes Milieu hineingedacht sind; dass sie in einer
anderen Umgebung nur schwer zur Wirkung kommen, sieht man an der gegenwärtigen Aufstellung.
In gegebene Verhältnisse, in eine die bildnerische Auffassung bestimmende architektonische
Umgebung sind die beiden Figuren von Kurz «Weberei« und «Spinnerei« gedacht. Erinnert auch die
ganze Weise der Formengebung und Behandlung an antike Vorbilder, so ermangeln diese Figuren trotz
dieser, äusseren weitläufigen Verwandtschaft nicht des selbständigen eigenen Ausdruckes, der modernem
Schönheitsgefühl durchaus ent-
spricht. Besonders spricht im
Ausdruck der Köpfe so viel
Zartes und Edles uns an, und
verräth so viel Bildung und
edle Herkunft, dass wir, um
ähnliche Erscheinungen zu er-
mitteln, weit zurück blicken
müssen. Sie verrathen neben
feinem künstlerischen Ge-
schmack eine geschulte und
geübte Hand in der Bear-
beitung des Materials, w^ie sie
sonst selten bei uns zu finden
ist. Dieser Künstler empfing
seine Ausbildung in Italien und
ist auch sonst mit gross und
einfach aufgefassten plastisch
durchgebildeten Porträt - Re -
liefs von deutschen Dichtern,
Denkern und Künstlern her-
vorgetreten.
Herrn. Hahn: Christus
Eine Arbeit, die durch
gute, plastische Conception
auffällt, aber durch eine Ge-
schmacklosigkeit unästhetisch
wirkt, ist «Der schweigende
Mann» von W'ildt. Der
Künstler hat durch eine Ma-
rotte, indem er die schöne
Wirkung des Steines durch
einen Ueberzug von Lack
schädigte, den guten Eindruck
seiner Arbeit abgfeschwächt.
Mangelnde seelische Em-
pfindung und Durchdrii.gung
des Stoffes schädigt auch
die formal tüchtige Arbeit
«Christus« von Hahn. Sie
zeigt auch deutlich, dass die
Anregung von Donatello
herkommt, ohne dass jedoch
Hahn wie jener durch eine
innere Veranlassune zu solcher
Darstellung gedrängt wurde. Des Künstlers Stärke liegt auf einem ganz andern Schaffens gebiet,
das auch seinem formalen Empfinden besser zusagt. Darauf weisen die Plaketten und Medaillen
hin, die er brachte. Sie sind in Auffassung, feiner Durchbildung und verständnissvollem Eingehen
auf den Bronzecharakter vorzüMich.
Als eine formal tüchtige Leistung ist hinzunehmen «Perseus», eine Brunnenfigur von Gosen.
Auch Kiefer's «Susanna» ist eine Figur von entschieden seltenen plastischen Qualitäten hinsichtlich
der Conception und des Ausdruckes.
Wohl die künstlerisch anregendste und feinste Art der bildnerischen Thätigkeit, in der Kräfte
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Dyonisos
DIE KUNST UNSERER ZEIT
155
der Beobachtung und Empfindung aufs Beste entfaltet werden können, ist die Porträtplastik. Aller-
dines steht sie noch weit hinter der Porträtmalerei zurück. Selten treffen wir in öffentlichen Anstalten
oder gar Privaträumen gute Büsten an. Vielleicht geniesst diese Art der Bildnerei so geringe Aufmerk-
samkeit und Pflege, weil nur durch die vielfach todte Art der Uebersetzung Lebendiger in Gyps-
Köpfe kein Zutrauen zu dieser Darstellung gefasst wird. Hierin fehlt es aber nur an Darstellern,
die die zuckende Lebendigkeit und Fülle des Lebens auszudrücken vermögen.
Man denke nur an
Alax Klimrer: Tänzerinnen
die Porträts eines Donatello und man wird fühlen, welche Reize einem plastischen Bildniss inne
wohnen können. Nur eine ähnliche Erscheinung braucht aufzutreten, um auch diesen Zweig der
plastischen Kunst wieder erblühen zu lassen. Und vielleicht ist eine solche schon bereit aufzutreten.
Uns sind Bildnissbüsten im Albertinum zu Dresden bekannt, welche die Forderungen, die wir an das
plastische Porträt stellen, hinsichtlich der lebendigen Auffassung und Durchbildung, vollständig erfüllen.
Hier in beiden Ausstellungen vermögen wir ausser Hildebrand und Roemer keine Erscheinung
21*
156
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Palazios: Grabmal einer vornehmen Spanerin
aufzuzeichnen, die dem Zuge der Zeit
hierin Folge zu leisten und ihren Forder-
ungen gerecht zu werden vermöchte.
Wenn wir auf beide Ausstellungen
zurückschauen und ihr Gesammtbild in's
Auge fassen, so ergibt sich eine Fülle
von Erscheinungen , unter denen Einige
ganz bestimmte originale 7.ügQ aufweisen.
Mit Stolz erfüllt es uns, auf die Höhe
hinweisen zu können, die die Bildniss-
malerei in Lenbach und Kaulbach
erreicht hat, auf die hervorragende malerische Dichtung Schuster-Woldans «Odi profanum . . .».
Femer bieten uns eine Anzahl von Werken künstlerische Werthe von fruchtbarer allgemeiner Bedeutung
im Sinne einer künstlerischen Kultur. Wir haben in der Ausstellung der Secession in einem vornehm
abgerundeten Gesammtbild einzelne Schöpfungen bedeutender und starker Individualitäten, — neben
viel Licht aber auch viel Schatten.
Alles in Allem eine Fülle von Früchten künstlerischen Fleisses und Genies, eine Fülle nahr-
hafter Stoffe für unsere Phantasie, und als Gegengewicht gegen das Eindringen der abstrakten
Geistesrichtung in unsere Vorstellung, als Gegengewicht gegen die so allseitig geübte Verstandes-
bildung bedarf es der Fülle an Werken der Form und der Empfindung. Wir möchten mit Konrad
Ferdinand Meyers Worten schliessen:
„Das Herz, auch es bedarf des Ueberflusses,
Genug kann nie und nimmermehr genügen!"
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Ueber Deutsche Plastik
VON
ALEXANDER HEILMEYER
Woran mag es liegen, dass die plastische Kunst, der doch ein so glücklich beschränktes Schaffens-
gebiet angewiesen ist, die so eingehend, wie keine andere, sich mit der Einzeldarstellung des
Menschen und den vornehmen Geschöpfen der Natur sich befasst, — dass eine solche Kunst in
unserer Zeit so wenig Liebhaber findet und so wenig Theilnahme und Verständniss begegnet? —
Die Werke des Bildhauers erschliessen sich uncjleich schwerer dem Aupfe des Beschauers, als
die an einschmeichelnden Reizen reicheren Schöpfungen des Malers, weil sie ein viel umfassenderes,
allseitiges Studium erfordern, bei dem allein dem noch ungeübten Blick erst das Mitempfinden und
Verständniss für alle ihre Schönheiten aufgeht. Dazu kommt, dass wir Germanen im Allgemeinen
auch keinen so stark ausgebildeten Formensinn besitzen, wie die heutigen Romanen und die Kultur-
völker des Alterthums. Um so mehr sollten wir eben darnach streben, diesen Mangel auszubleichen,
indem wir auch in unsere alltägliche Umgebung plastische Kunstwerke versetzen, die unser Empfinden
anregen und unseren Geschmack bilden; das heisst eine innigere Verbindung von Kunst und Leben
anstreben, wie solche in den Zeiten hoher Kultur im Alterthum und der Renaissance bestanden hat.
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158
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Das Peristil eines pompejanischen Hauses
Welch' herrliches Vorbild
gibt uns da die geschmackvolle
Ausschmückung eines alten pom-
pejanischen Hauses. Vornehm-
lich war es das Peristil des-
selben, das je nach Neigung
und Reichthum des Besitzers mit
Werken der plastischen Kunst
ausgeschmückt war. Zwischen
den marmornen Säulen des
Wandelganges und im Garten
waren Figuren, Hermen und Büsten aus Stein und Bronze aufgestellt. Zumeist waren diese Bronze-
figuren Theile eines grossen Wasserwerkes; darauf weisen schon Darstellungen, wie die des Faunes
mit dem Schlauche, dem Wasser entströmt, der Kinder mit allerlei Geflügel, aus deren Schnabel ein
Rohr hervorragt, hin. Es mag von der Säulenhalle aus ein ergötzlicher Anblick gewesen sein, dem
Spiele der kühlenden Wasser zuzusehen, und prächtig mag im Scheine der italienischen Sonne der
leuchtende Marmor der Säulen und Statuen , das Grün der Ziergewächse und die Gluth der bunten
Blumen gewirkt haben.
Die Vorliebe für schmucke Höfe innerhalb des Hauses mit Garten und Blumen hat auch das
späte Mittelalter, hauptsächlich dann die Renaissance und Barockzeit, übernommen. Auch die Neuzeit
würde gut thun, anstatt mit langweiligen Monumenten, durch Anbringung solcher Anlagen von Brunnen
und Statuen reizvolle Strassenbilder zu schaffen.
Ein anderer Zweig der plastischen Kunst, die Porträtbildnerei , erfuhr durch die Alten gleich
grosse Pflege, indem sie Hermen mit dem Bildniss des Hausvaters im Atrium ihrer Häuser aufstellen
Hessen. Eine beigegebene Abbildung zeigt eine solche Herme am Eingange eines Gemaches. Diese
schöne Sitte verdiente erneuert zu werden; denn eine Büste, in Marmor oder Bronze ausgeführt, bildet
eine dauernde Erinnerung und einen vornehmen Schmuck des Raumes. Unsere Zeit jedoch versteht
sich nur schwer dazu; das beklagte schon Goethe seiner Zeit, indem er schrieb: Nicht weniger haben
selbst wohlhabende, ja reiche Personen Bedenken, hundert bis zweihundert Dukaten an eine Marmor-
büste zu wenden, da es doch das Unschätzbarste ist, was sie ihrer Nachkommenschaft überliefern
können. Und wenn er in dem Aufsatze, «Vorschläge, den Künstlern Arbeit zu verschaffen«, den Punkt
anführt, «Pflicht, die Bildhauerkunst zu erhalten, welches vorzüglich durch's Porträt geschehen kann«,
so hat er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn durch gute Porträts wird die Plastik auf
die Höhe in ihrer Ausübung gebracht, und in den Zeiten, in welchen gute Porträts gebildet wurden,
waren auch die anderen Leistungen dieser Kunst hervorragende.
Neben solchen Werken der hohen Kunst barg das pompejanlsche Haus auch sonst noch
herrliche Schaustücke an Kleinplastiken, als Gefässe, Leuchter und Kandelaber. Alles, Möbel, Geräthe,
Geschirre, Schmuck, das zum Gebrauche im täglichen Leben diente, veredelte die Kunst. Ein erhöhtes,
DIE KUNST UNSERER ZEIT
159
vornehmes Lebensofefühl kommt hierin zum Ausdruck. Welche Beschränkunof, selbst Nüchternheit,
tritt in unserer täglichen Umgebung zu Tage. Gegenwärtig macht man Anleihen bei allen Kultur-
nationen des Alterthums und der Neuzeit, um einen neuen Stil in's deutsche Haus zu bringen.
Manchmal erwecken diese Gebilde wahre Stilbegriffsverwirrungen, eine Art paranoia aesthetica. Unter
den vielen Erscheinungen, die diese Bewegung zu Tage fördert, tritt besonders eine hervor, in welcher
das moderne Empfinden dem antiken sich wieder nähert, nämlich der Todtenkult: die Sitte, die
Gräber der Abgeschiedenen mit aller Kunst zu schmücken. Vorläufig vollzieht sich dieses Streben,
hierin die modernen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, in imposanten architektonischen
Entwürfen, die im unbegrenzten Räume der Gedanken ungehindert sich ausbreiten können, die aber
in Wirklichkeit bei der Kostspieligkeit der Begräbnissstätten noch gute Weile zur Ausführung
haben werden. Um
so mehr wird durch
das Vorgehen der
A rchitekten der Bild-
hauer angeregt wer-
den, seine schöpfer-
ische Kraft einem Ge-
biete zuzuwenden,
auf dem seine Kunst
so wie keine andere
zu wirken im Stande
ist. Eine hier bei-
g-eo-ebene Abbildung:
zeigt die Gräber-
strasse des attischen
Friedhofes vor dem
Dipylon in Athen.
Der Reichthum an
Ansicht aus einem pompejanischen Hause mit einer Porträt-Ker.ne
mannigfaltigen und
originalen Formen
einzelner Denkmale
lässt den Mangel an
künstlerischer Aus-
gestaltung unserer
Friedhöfe stark em-
pfinden. In den bild-
nerischen Darstell-
ungen auf diesen
Malen, es sind meist
Scenen aus dem
Leben darauf abge-
bildet, zeigt sich wie-
der das sinnige, dem
Leben zugewandte
künstlerische Em-
pfinden derGriechen.
Es ist dagegen leicht zu bemerken, wie die chrisdiche Symbolik grosse Langweiligkeit auf unseren
Friedhöfen verbreitet hat. Wir sehen dies an der geistlosen Art, in der immer wieder Symbole als
Anker, Kreuz und Herzen, Inschriften, Bücher und Palmenzweige wiederkehren. Auch in den
allegorischen P'iguren der trauernden, weinenden, verheissenden , tröstenden Genien und Kinder-
gestalten offenbart sich ein so konventionelles Empfinden, dass es wirkliches Empfinden abstösst.
Wie feinfühlig zeigt sich auch hierin der Grieche, der selbst in den einfachen Malen dieses schlicht
und gross mit erhabener Würde gestaltet hat. Auch bieten sie in anderer Hinsicht starke
Anregungen, sie zeigen nämlich, vrie man mit den anspruchlosesten Mitteln doch monumentale
Wirkungen erzielen kann. Mit wenigen Formen, aber mit grossem Formgefühl ist der Steinblock
Gerade in dieser Einfachheit
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ZU einem architektonischen und bildnerischen Denkmale zugferichtet
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160
DIE KUNST UNSERER ZEIT
liegt ein bestrickender Reiz und nicht zum wenigsten das Geheimniss der grossen Wirkung.
Bei uns wird zumeist der Natur des Materials wenig nachgegeben, mit Zwang und Künstlichkeit
der Stein gegliedert, wodurch er immer mehr der Würde seiner Bestimmung entrückt wird. Wir
begegnen oft wahren Orgien von Geschmackslosigkeit, die das Protzenthum aufführen lässt und die die
künstlerische Unfähigkeit nicht zu verdecken verstehen. Nach den vorhandenen Ansichten von Denkmalen
des Alterthums muss man sich auch bei den Malen, die handwerksmässig wie unsere Grabsteine
hergestellt wurden, den Geschmack des Publikums und der Künstler so geläutert und vollkommen
denken, als man heut zu Tage überhaupt ahnt. Italien, das auf eine grosse Tradition sich stützen
kann, hat in der künstlerischen Ausgestaltung seiner Friedhöfe manches Bedeutende aufzuweisen. In
tiräberstrasse vom attischen Friedhofe vor dem Tvsvlori in Athen
der That müsste so die moderne Plastik ohne die hemmenden Fesseln und beschränkten Bestimmungen,
die sie in ihrer Entfaltung auf dem Gebiete der Monumentalbildnerei hemmen , in diesen Aufgaben
auf die freie Höhe der Kunst erhoben werden. Damit würde auch den sonst trost- und brodlosen
Idealplastikern neue Ziele und ein ergiebiges Arbeitsfeld eröffnet. Ihre Kunst fände im Anschluss
an die Gestalten des wirklichen Lebens eine I-^ülle von Beziehungen und könnte wahrhaft idealisiren,
ohne in der bisher so beliebten Weise sich an schematische Abstraktionen zu halten. In der Dar-
stellung des Menschen, den Gehalt des Menschen, die menschlichen Empfindungen zum Ausdruck
zu bringen, wo könnten diese herrlicher, inniger zur Geltung gebracht werden, als in den Denk-
malen der Erinnerung an das Leben.
Wenn wir uns jetzt auch wieder an die Antike anlehnen, so geschieht es doch mit einem
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
161
Rückhalt an unser eio^enes Empfinden, in der sachgemässen Erkenntniss und Nutzbarmachung der
grossen plastischen Werthe, die in ihren Werken liegen. Das Studium der Antike hat in mancher
Hinsicht gute I-'rüchte gezeitigt, aber ein lebensfähiges Geschlecht ist aus der Verbindung, die das
deutsche Empfinden mit dem klassischen Geiste einging, noch nicht hervorgegangen. Die Darstellung
des Menschen, als das vomehmste Objekt der antiken Kunst, ist in der klassizistischen Zeit rein
formell nach antiken Schematas aufgefasst worden; nur Wenige versuchten den Gehalt des Menschen
zu charakterisiren. Die Liebe zur blossen I'^orm, zu äusserlicher, wohlgefälliger Schönheit, in der
man das klassische Ideal erblickte, überwog das strenge Streben, in vollkommener Weise wahr zu
sein, Form und Charakter über-
einstimmend zu bilden. Man hielt
sich an eine Uebersetzung der
Natur, indem man sie durch die
eriechische Brille anschaute, statt
an die Natur selber. Geisttödtender
Formalismus, unwahre Empfindung
waren die Folgen.
Damals, da die deutschen
Plastiker den ersten Einfluss dieser
ewig jungen Kunst erfuhren, war
es der Griechen -Geist, der sie
daraus anwehte und dem sie willig
sich selbst zum Opfer brachten.
Der erste Priester, der ihm opferte,
war der vom Geiste des Griechen-
thums erfüllte Gelehrte Winkel-
mann. Heutzutage wird er viel
als Sündenbock für die Fehler
seiner Nachahmer hingestellt. Der
von poetischer Begeisterung Er-
füllte übersah, dass nicht auf dem
(jrabmal vom attischen Friedhof
Wege der Anempfindung eines
fremden Geistes, durch blosse
Nachahmung seiner W^erke, unter
Hintansetzung des eigenen Em-
pfindens und der Tradition eine
neue Kunst erblühen könne; er
war nicht allein diesem Irrthume
unterworfen, die besten Geister
der Nation haben ihn darin be-
stärkt.
Manche Rezepte, die Goethe
den bildenden Künstlern ver-
schrieben hat, sind nicht minder
schädlich gewesen; wenn man über-
haupt in Hinsicht auf die damalige,
nur auf blosse «Dekoration» be-
schränkte Kunst von einer Schä-
digung deutscher Plastik sprechen
kann? Dortmals wie heute leisteten
uns die Kenntniss der antiken
Werke, die Erfahrungen, die wir
aus ihrem plastischen Stil ziehen
können, gute Dienste. Und diese Lehren in die That umzusetzen und sie somit erst eigentlich aus-
zudrücken, war einem Manne beschieden, der ausschliesslich durch eigene Empfindung auf die sinnliche
Schönheit der Form «das klassische Ideal» hingewiesen wurde. Bertel Thorwaldsen war damit
berufen, den unmittelbarsten Ausdruck für das künsderische Streben seiner Zeit zu geben. Er lebte
und schuf sozusagen zeitlos Bilder einer schönen Sinnenwelt, die seinen Zeitgenossen als Werke des
Griecheneeistes erschienen. Sein Einfluss war unermesslich. Dafür ist der Eindruck, den Rauch und
Rietschel, ersterer noch in reiferen Jahren, empfingen, bezeichnend. In einem Briefe Rauch's an
Rietschel, wo von Thorwaldsen's Schaffen und von seinen W^erken in Rom die Rede ist, kommen
162
DIE KUNST UNSERER ZEIT
die Worte vor: «Aus dieser kurzen Andeutung werden Sie sehen, wie es um den Muth des Künstlers
steht, der in diesem grossen, vielseitig erleuchteten Spiegel (nämlich Thorwaldsen), nur seine eigene
Unzulänglichkeit vergleichend, sein Nichts erblickt.»
Die Antwort Rietschel's ist sowohl für Thorwaldsen's Charakteristik, als für Rietschel's
Empfindung so bezeichnend, dass wir nicht unterlassen können, sie umständlich hier wiederzugeben;
sie lautet: «Es mag wohl ein belehrender, Bewunderung erregender Genuss sein, in Thorwaldsen's
Atelier herum zu wandern, und man mag nicht anders als mit hoher Verehrung für den Meister
dasselbe verlassen. Doch — wenn auch wie dieser mit spielender Leichtigkeit und jugendlicher
Frische die schönsten, mannigfaltigsten Gestalten und Formen hervor zaubert, welche die Sinne
ergreifen, die Augen entzücken, wenn er allerdings auf die höchste geistige Weise — ganz Herr —
in diesem Gebiete herrscht, mögen aber doch auch andere sein, die, wenn auch vielleicht weniger
mit dieser glänzenden Leichtigkeit begabt, wohl aber mit männlichem Ernst, gründlicher Tiefe und
beharrlichem Willen die höchste Meisterschaft erworben, welche
viele Freuden des Lebens hingeben, um Werke zu schaffen, die
mit den schönen Formen nicht bloss das Kennerauge ergötzen,
sondern, was noch weit mehr ist, die vom Volke begriffen werden,
es erheben, erfreuen, versittlichen, begeistern — und nur dadurch
erhält ein Kunstwerk die wahre Autorität! Diese, meine ich, mögen
wohl würdig einem Talente wie Thorwaldsen zur Seite stehen, ja
sie mögen fast — ich behaupte es — vom christlichen und sittlichen
Standpunkte aus betrachtet, noch eine Stufe höher stehen. Möge
meine Ansicht eine unzulängliche genannt werden, es schreckt mich
nicht ab, ich behaupte dennoch, sie ist eine wahre.»
Dieses Bekenntniss enthält das ganze Programm Rietschels
und bezeichnet einen Mangel in Thorwaldsen's Kunst, nämlich
den Mangel an Vertiefung der Empfindung und eigenthümlichem
Charakter überhaupt. Eine andere als die sinnliche Wahrnehmung,
das Gefühl für Form lag in Thorwaldsen's Kunst nicht, aber
gerade damit hat er auch das Wesentlichste für seine Zeit geschaffen,
denn mit der Empfindung konnte er das Prinzip eines plastischen
Stiles nicht so konsequent durchführen, als -er es mit eminentem ,
I'^ormensinn begabt, that. Man sieht in seinen Statuen, wie in dem
Adonis in der Münchener Glyptothek, das Bestreben, nach Art der
Antiken zu wirken, kein Glied zu individualisiren; so erscheint der
Adonis als das Urbild eines schönen, weichen Jünglingskörpers, bei
dem der Kopf auch nur ein schöner Theil des Ganzen ist. Die
Köpfe seiner Idealstatuen weisen alle den Ausdruck schöner Theil-
Crabmai vom attischen Friedhof nahmslosigkeit auf; sie erfüllen in vollstem Maasse, was die Wissen-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
163
Schaft des Schönen jedem Kunstwerke zu Grunde gele<^t wissen will, ein angenehmes Gefühl zu
erwecken. Ein Reflex dieser Kunst ist noch in jenem vagen Schönheitsideal wahrzunehmen, das in
den handwerksmässigen Kunstwaaren Jedermann gefällig erscheint.
Es wäre dies im Sinne der künsderischen Bildung allerdings eine Errungenschaft. Thorwaldsen's
Grabmal vom attischen Friedhof
Rundbilder von Morgen und Nacht, in denen die plastische Strenge des Reliefs durch die Anmuth der
Formen gemildert erscheint, sind Gemeingut aller Nationen geworden. Als ein Meister der Plastik
hat er die Form mit I'ülle vorgetragen, aber eng begrenzt erscheint seine Kunst, sobald sie das
Gebiet zeitloser, um nicht zu sagen charakterloser, Idealdarstellungen verlassen muss. Im Porträt
164
DIE KUNST UNSERER ZEIT
wie in den Denkmalen historischer Persönlichkeiten hat er wenig Gutes geleistet. Nicht einmal das
Beste davon, die Reiterstatue Maximilians I. in München, mag uns darüber täuschen. Wir können
davor nicht warm werden, es bleiben immer nur Schematas, aus denen nichts herauszulesen ist.
Der Jubel und Enthusiasmus, der jede Gabe aus seiner Hand begleitete, ist uns Nachlebenden
kaum mehr begreiflich. Als das Grabmal des Herzogs von Leuchtenberg in der Michaelskirche zu
München aufgestellt werden sollte, legte König Ludwig I. auf die Anwesenheit des Kün.stlers einen
solchen Werth , dass sein Nichterscheinen mit 8000 Gulden Abzug am Honorar geahndet werden
sollte. Natürlich zog Thorwaldsen vor, selber zu erscheinen, die Reise von Rom nach München
war darum lohnend genug. Wie ein Fürst wurde er empfangen und geehrt. Thorwaldsen's Leben
war das eines glücklichen Künstlers, eine Schaar begeisterter Schüler umgab ihn und trug seinen
Ruhm durch alle Lande, Könige ehrten ihn, überhäuft war er mit Aufträgen, als ein Glück empfand
man es, Werke aus seiner Hand zu erlangen, und glücklich war auch sein Ende; bei einer Vor-
stellung im k. Hoftheater in Kopenhagen ereilte ihn der Tod am 24. März 1844.
Wie immer der einze
seinen Stempel aufprägt, wie
es dagegen ist, mit einer
anderen als der herr-
schenden Ansicht hervor
zu treten, das bringt uns
Schadow's Lebensgang
in's Bewusstsein. Er zeigt
uns, wie ein Geist, der
stark und original genug
erscheint, wenn ihm erst
aus der Enge beschränkter
Verhältnisse heraus eine
völlig neue und überwäl-
tigende Anschauung zu
Theil wird, sich gänzlich
dieser überlässt und
erst später wieder dazu
kommt, sein Selbst zu
begründen. Schadow,
der sich in den Jahren
1785, 86 und 87 in Ita-
lien aufhielt, berichtet
GOTTFRIED SCHADOW 1764— 1850
ne, überlegene Mann in jedem Fache menschlicher Thätigkeit seiner Zeit
durch ihn angereiht ein Heer von Nachahmern entsteht und wie schwer
über die Eindrücke, die
er dort empfangen, fol-
gendermaassen : «Als ich
in Florenz ankam und
dort die kolossalen Werke
von Michel Angelo und
Giovanni di Bologna auf
offenem Platze erblickte,
überlief mich ein eiskalter
Schauer. Dies war die
erste und heftigste Er-
schütterung , welche die
Bewunderung über die
Schönheiten der Kunst
in mir erregte. Beim An-
blick der vielen Antiken
fühlte ich die Entfer-
nung, in welcher ich da-
von abstand, aber zu-
gleich auch die reine
Wollust, die mir der
i-IN.\W VI';., ■■:'. --',»,-,: • \ I, ■ n v\.t,. , ■,.,,:■ f: ^t-i'lTV'
I^J^i^S
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Römisches Grabmal
ChrlNtltD Rsuoh soulp.
Pbot. y. HanhtMDgl, UaoeheD
Victoria
Qotirrled Sebado« loulp.
Phot. F. HurauenKl, UOnohM
Grabmal des jungen Grafen Alexander von der Mark
DIE KUNST UNSERER ZEIT
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Weg- dahin zu gelangen, darbieten müsse.» In der ersten Arbeit Schadow's, die er, aus Italien
zurückgekehrt, übernahm, in dem Denkmal des jung verstorbenen Grafen von der Mark, mischen
sich Züge solch' italienischen und antiken Einflusses mit der dem vorigen Jahrhundert eigenen Kunst-
weise. Manches in der Anordnung verräth deutlich den Zeitgeschmack, der abgeklärt und gross
durch eine bedeutendere Ansicht gehoben erscheint. Frei und selbständig hat er das klassische
Motiv, die Parzen, darin verwertet, und nicht leicht wird uns in den Werken der Klassizisten eine
lebhaftere Auffassung dieses Vorwurfes entgegentreten. In einem Vortrage, den er wahrscheinlich
um 1792 nach seiner Reise gehalten hat, die er nach Stockholm und Petersburg unternahm, um die
Herstellung grosser Bildwerke in Erz kennen zu lernen (ein Verfahren, das zu Schadow's Zeiten in
Deutschland verloren gegangen war), äussert er unter Anderem auch seine Kunstansicht und Auffassung
über solche Denkmale (es handelte sich um die Herstellung des Denkmals für PViedrich den Grossen)
folgendermaassen: «Wenn Ehrfurcht und Bewunderung die Beweggründe sind, warum man ein Monument
errichtet, wenn der Held selbst gross ist, so denkt sich ihn der Künstler auch gerade als ein simples
Porträt. Es bedarf dann keiner fremden Hülle, um ihn gross und ehrwürdig scheinen zu machen,
und das Gewand, welches er trug, mochte es sein wie es wollte, wird durch den Helden geheiligt.»
Bertel Tlior-jjaldsen: Aus dem Alexaiiderzuge
Schadow gibt dieser Anschauung in der Figur des General Zielen Ausdruck. Er stellt ihn als
Feldherrn dar, der ruhig überlegend an einem Baumstamm lehnt; das Kostüm ist naturgetreu und
gewissenhaft ist auf alle Einzelheiten der Uniform und Bewaffnung eingegangen, ohne in dem Maasse
unruhig zu wirken wie die realistischen Darstellungen unserer Tage. Aber am Schönsten zeigt sich
Schadow's grosszügiger Realismus, man wäre versucht zu sagen idealer Realismus, in den Reliefs,
die Szenen aus dem Leben Zieten's darstellen. In den Rötheizeichnungen, die er wohl als Studium
der plastischen Arbeit zu Grunde legte, überrascht vor Allem die malerische Art des Vortrages, die
Kühnheit der Wiedergabe des individuellen Lebens von Ross, Reiter und Landschaft. In seinen
Zeichnungen, er hat deren viele (theils als Skizzen zu seinen Werken, theils als selbständige Aus-
führungen) angefertigt, offenbart sich mehr als in den plastischen Arbeiten das reiche Talent Schadow's.
In der Art der Auffassung mancher Objekte, in der geläufigen malerischen Technik der Ausführung
hängt er auf's Engste noch mit der Kunst des vorigen Jahrhunderts zusammen , deren Anschauung
und Empfindung auch lebhaft in nebenstehendem Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen
(1797 entstanden) zum Ausdruck gelangt. In auffallend grotesken Formen gehalten, veran-
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166
DIE .KUNST UNSERER ZEIT
Gottfried Schadoiv: Studie zu einem Relief am Zictendenkmal
(Rötheizeichnung)
schaulicht es deutlich den Geschmack jener
Zeit an spektakulirenden Dekorationsstücken.
In der stofflichen Behandlung erinnert auch
die reizvolle Porträtgruppe der beiden lieb-
reizenden Prinzessinen aus dem Hause Mecklen-
burg (der späteren Königin Louise und ihrer
Schwester) daran. Als eine der reifsten
Arbeiten jener Zeit ist die aus dem Schlafe
erwachende sogenannte «Nymphe Salamacis»
anzusehen. Seine Absicht war, damit das Bild
einer Wollust athmenden, schön gebildeten
Sterblichen zu geben. Trotz allem Naturalis-
mus der Darstellung des Körpers ist der Kopf
idealisirt und antiken Vorbildern nachgebildet.
Dass er derartige Arbeiten als die dem Künstler förderlichsten auffasste, spricht er in der
Bemerkung aus: «solche nicht bestellte, sondern aus innerem Behagen entsprungene Arbeiten sollten
wohl immer den Umfang der Fähigkeiten eines Künstlers zeigen, jedoch müssen hierzu manche
Begünstigungen kommen: ,, Gesundheit, nicht Broderwerb, ein gutes Modell und häusliches Glück".»
Das ist die Kundgebung eines Künstlers, der nach freier Ausbildung strebte und seine Kräfte an dem
Ideal aller plastischen Darstellung, am Nackten, messen wollte. Die Gelegenheit, dieses zu beobachten
und darstellen zu können, ist freilich in einem so behosten und dazu prüden Zeitalter wie das unsrige
imtner eine Seltenheit. Hören wir weiter, was er über Thorwaldsen bei der Gelejjenheit sajjt:
«Durch die Natur verführt, wird man nicht, wie Thorwaldsen, in einer Imitation des Idealstils der
Antike verbleiben, sondern seine Originalität darbieten.» Es war eine eigenthümliche Fügung, die
gerade dem so eigenwilligen Schadow widerfuhr, der überall darauf bedacht war, in seinen Arbeiten
seinen Charakter auszuprägen, ein Werk herzustellen, das Eigenart und Charakter ganz verleugnet.
Auch Schadow verfiel in eine Art Imitation des Idealstils der Antike, und der ihn dazu verführte
und hinleitete, war Goethe.
In jeder Phase der Entwicklung des Blücher-Denkmales für Rostock sehen wir vor dem
übermächtigen Einfluss dieses souveränen Beherrschers der Geister Schadow's Ansichten zurück-
weichen, überall zeigt sich gegen besseres Wissen das ängsdiche Bestreben, die diktirte dichterische
Auffassung einzuhalten. So entstand der Fürst Blücher als Herakles, so steht der Marschall Vorwärts,
mit der Löwenhaut und dem Chiton angethan, ausgestattet mit preussischem Feldherrnstab und Husaren-
säbel in Mitten einer deutschen Stadt. Die idealen Neisfuno-en Schadow's im Verein mit Goethe'schen
o o
Kunstansichten haben ein Werk geschaffen , in dem die klassizistischen Forderungen konsequent gelöst
erschienen. Uns erscheint heut zu Tage dieses Werk nicht anders, als eine Verirrung, bei der wir uns
nur ungern des Meisters, des Zieten und des alten Dessauers erinnern mögen.
Wie manche bedeutende Künstler schon vor ihm, wandte auch Schadow sein Augenmerk
DIE KUNST UNSERER ZEIT
167
auf die Verhältnisse, die Proportionen des menschlichen Körpers, deren Kenntniss dem Schaffen des
Künstlers so dienlich ist. Er hat darüber ein Werk, «Polyclet», verfasst, das im Jahre 1835 in
Berlin erschienen ist. Bei den Einsichten des Künstlers und Erfahrungen, die darin niedergelegt sind,
bei der gründlichen Bearbeitung, die sie erfahren haben, ist es zu verwundem, dass das Buch
in Künstlerwerkstätten so selten ist. Mit Zuhilfnahme neuerer P'orschungen und des modernen
Maasses müsste es auch heute jederzeit dienlich und brauchbar sein. Schadow hat sein ganzes
Leben lang Materialien dazu gesammelt, und es umfasst alle Altersstufen mit besonderer Rücksicht
auf das Wachsthum des Schädels und die Nationalphysiognomien. Dieser Theil dürfte bei dem
jetzigen Stande der Anthropologie allerdings überholt sein. In diesen schriftlichen Werken, zumal
in seinen Vorträgen und Kunstansichten, lernen wir in ihm einen scharfen Beobachter, einen klaren
gesunden Verstand , sein künstlerisches Empfinden kennen , wobei auch interessante Streiflichter auf
Kunst und Zeitgenossen fallen. Diese Schriften mit ihrer scharfen, schlagenden Charakteristik bilden
einen werthvollen, kunstgeschichtlichen Bestand und einen Uebergang zu ganz modernen Kunstansichten.
CHRISTIAN DANIEL RAUCH 1777—1857
Aus dem eigenartigen, tief in der Tradition noch wurzelnden Schadow vermochte der
Klassizismus sich keinen Träger zu bilden. Dazu brauchte es einer empfindsameren, weicheren Natur,
deren Konsistenz geeignet war, diese Vorstellung aufzunehmen und der Stammeseigenart angemessen zu
verarbeiten. Wir haben schon Eingangs bei Thorwaldsen darauf hingewiesen, mit welchem
Enthusiasmus Rauch diesen verehrte, — man kann sagen — bis zur Selbstentäusserung. Denn der
Meister hatte zu jener Zeit, als er den erwähnten römischen Brief an Rietschel schrieb, in dem er
sich gegen Thorwaldsen verkleinerte, schon in den
Statuen der Feldherrn aus dem Befreiungskriege das
Reifste und Eigenthümlichste geschaffen, was im Sinne
klassizistischer Monumentalbildnerei damals hervorge-
bracht wurde. Der Bildungsgang dieses Künstlers ist
für die Elastizität und die Zähigkeit im Ausbilden
künstlerischer Fähigkeiten ganz besonders bemerkens-
werth. Früh in einer Bildhauerwerkstätte sich selbst
überlassen, in der nach Art des vorigen Jahrhunderts
handwerksmässig gearbeitet wurde, wurde er aus
Familienrücksichten Kammerdiener, eine Periode und
ein Stand, der manchen modernen Kunstschriftstellern
zu taktlosen Aeusserungen Anlass gab. Während
dieser Zeit benützte Rauch seine Musestunden eifrig
zu seiner künstlerischen, wie allgemeinen Ausbildung;
wir wissen, dass er dortmals die Propyläen hielt und
las. Er hat also schon im Anfang seines künsderischen
Gottfried Schadow: Entwurf zu einem Denkmal
Friedrich des Grossen
23*
16S
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Strebens mit den Kunstansichten Goethe's sympathisirt. Geschadet hat ihm das nicht, seine künstlerischen
Sinne wuchsen und gediehen vortrefflich bei der Nahrung mit klassischer Milch. Man vergleiche nur,
wie er später in dichterisch allegorischer Weise die Reliefbilder am Scharnhorst- und Bülow-Denkmal
ausgestaltet hat. Nach Vollendung seines ersten Werkes, der Grabstatue der Königin Louise in Charlotten-
burg, in dem wir zwar heute nicht mehr das bedeutende Kunstwerk zu erkennen vermögen, als das es
den Zeitgenossen erschien,
war seine künstlerische Zu-
kunft entschieden und ge-
sichert. Er wurde nach Berlin
gerufen und bei seinen ohne-
hin guten, durch das mit Bei-
fall aufgenommene Werk be-
stärkten Beziehungen zum
Hofe gewann er bald für die
Entwicklung der Kunst in
Berlin die orrossartig^e Be-
deutung, in der er uns als
der Begründer der nord-
deutschen Plastikerschule er-
scheint, einer Schule, deren
Fundamente so breit und
sicher angelegt sind, dass ein
stattlicher Bau, der noch nicht
abgeschlossen ist, sich darauf
begründen konnte. An Auf-
trägen mangelte es damals
nicht. Die Kriegszeiten waren
vorüber und damit auch die
den Künsten des Friedens
feindliche Gewalten gebannt.
Die grossen Heerführer jener
Zeit sollten verherrlicht, ihr
Geist und Bild der Nachwelt
Goiifr. Schado
• Standbild des General Ziethen
erhalten werden. Es begann
für Rauch eine äusserst frucht-
bare Periode des Schaffens
mit der Ausführung dieser
Denkmäler. Bestrebt, vor
Allem den Geist, den sinnen-
den , Thaten vollbringenden,
den energischen preussischen
Soldatengeist in Scharnhorst,
Bülow, Gneisenau, York und
Blücher zum Ausdruck zu
bringen, schuf er das äussere
Bild von innen heraus; und
wenn er dem Drange, der
Intuition nachgebend, den Ge-
stalten einen Pathos und
patriotischen Schwung leiht,
der vielleicht manchem dieser
Männer im wirklichen nüch-
ternen Leben fem gelegen ist,
so sucht er damit dem gei-
stigen Bild jener Helden einer
bewegten Zeit gerecht zu
werden. In der Darstellung
huldigt er mit Takt einem
verfeinerten Realismus, der
überall die tieferen Absichten
des Künstlers hervorhebt. Mit
diesen Statuen hat er einen Denkmaltypus für unsere monumentale Bildnerei geschaffen, der als giltiger
Canon selbst für unsere Zeit noch wirksam besteht. Als eine Weiterbildung darüber hinaus sind die
zahlreichen modernen Denkmäler nicht zu betrachten, sie lehnen sich in ihrer Konception vollständig
an diese Vorbilder an, und ihr oft ungeläuterter, durch keine künstlerisch tiefere Empfindung
beseelter Realismus ist nur von schlechterer plastischer Wirkung als Rauch's klassischer. Ein ganz
DIE KUNST UNSERER ZEIT
169
vorzügliches Stilgefühl entwickelte Rauch im Zusammengehen von Figur und Sockel. Indem er
diesen bildnerisch gestaltete, die Erzflächen vielfach belebte, findet er nicht nur äusserlich den rechten
Uebergang zu den architektonischen F'ormen, sondern setzt auch diese Formen zu den Dargestellten
in lebendige Beziehungen. Man hat nicht Unrecht, ihn mit Thorwaldsen als einen Meister des
Reliefs zu verehren.
Bei der Herstellung so vieler Erzdenkmale machte sich nun ein Uebelstand bemerkbar, der
die deutschen Bildner der klassischen Periode oft und schwer geschädigt hat, der Mangel an
tüchtigen, kenntnissvollen Erzgiessern. Schon mit der Ausführung des Max Joseph -Denkmales für
München begann für Rauch eine Reihe ununterbrochener Sorgen, Aergernisse und Qualen, die
ihm oft alle Freude beim Anblick der arg zerschundenen und misshandelten Arbeit nahmen. Er
wandte all' seinen Einfluss auf, bessere Erzgiesser heran zu ziehen. Auf seine Veranlassung entstanden
die königliche Erzgiesserei und
die Ciseleurschule in Berlin. Auch
des bekannten Erzgiessers Stigl-
mayer, der durch Rauch haupt-
sächlich zur Weiterbildung und
Vervollkommnung dieser Technik
veranlasst wurde und unter dessen
Nefifen Miller die Münchener Erz-
giesserei grossen Aufschwung ge-
nommen hat, ist hier zu gedenken.
Rauch's Biograph, Egger, der
in fünf Bänden erschöpflich und
ausführlich Rauch's Persönlich-
keit und Lebenswerk behandelte,
dessen Darstellungen im letzten
polemischen Theil leider nicht
Christ. Rauch: Max Joseph-Denkmal
leidenschaftslos gegenüber der
modernen Kunst geblieben sind,
dem wir viele vorzügliche An-
regungen verdanken, sagt am
Schlüsse seiner Ausführung-en
über diese Bemühungen des
Meisters: «Die Geschichte des
Erzgusses in Deutschland bleibt
dauernd mit seinem Namen ver-
bunden.»
Es dürfte bekannt sein, dass
im Auftrage König Ludwig's I.
von Bayern Leo von Klenze sich
öfters bemühte, Rauch, dieses
glanzvolle Gestirn am damaligen
Kunsthimmel Deutschlands , für
München Zugewinnen. Aber Rauch war für den goldigen Käfig nicht zu haben; ausserdem war er
Preusse und seine Werkstatt in Berlin — seine Heimat. Schwer entschloss sich König Ludwigf auf
die Bedingung im Vertrage wegen Rauch's Lieferungen von Statuen in die Walhalla, auf die für ihn
härteste, einzugehen, die ausdrückte, dass Rauch diese Arbeiten auch in Berlin anfertigen könne.
Die Munificenz des grossen Mäcenaten hat aber damit Rauch's reifste und schönste Schöpfungen auf
dem Gebiete der Idealplastik — die Viktorien, ermöglicht. Diese Siegesgöttinnen, die antiken Niken,
welche er auf Münzen eifrig und nicht ohne Nutzen studirt hat, sind in allen Phasen der Empfindungen,
des Erwartens, des Begrüssens, des Entgegeneilens , der Bekrönung des Kämpfers und der nach-
denkenden Ruhe des opfervollen Sieges, dargestellt. Wohl ist in diesen Gestalten eine Eleganz der
Form, eine Freiheit und Anmuth in der Bewegung entfaltet, wie wir sie meist nur in den Werken
unserer westlichen Nachbarn zu sehen gewohnt sind, aber vor Allem ist darin auch eine Feinheit der
170 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Empfindung, ein Formenadel, der sie uns als die reifste Frucht des Klassizismus erscheinen lassen,
wahlverwandt mit den klassischen Schöpfungen Goethe's. Wie sehr er übrigens, der Künstler, nach
dem Herzen Goethe's war, zeigt uns der ebenfalls sorgfältig und übersichtlich zusammengestellte
Briefwechsel von Egger — Rauch und Goethe. In einer kleinen Statuette «Goethe im Hausrock»
besitzen wir von der Hand Rauch's eines der kostbarsten Goethebildnisse. Ein eigenthümliches
Geschick waltete aber über allen seinen Projekten zur Ausführung einer monumentalen Statue; wir
haben von seiner Hand kein Denkmal des Dichters, an dem er mit so viel Liebe und Verehrung
hing. - — In klassischem Sinne hat Rauch die zahlreichen Grabdenkmale, die er zu allen Zeiten seines
Schaffens ausführte, gestaltet. Als eine interessante Reminiscenz an die Denkmale vom attischen
Friedhofe, vor dem Dipylon in Athen, könnte man das Grabmal der Gräfin Itzenplitz auffassen und
das Relief vom Grabmal Niebuhr in Bonn.
Ganz besonders aber sei auf die Grabstatue Friedrich Wilhelm's III. in Charlottenburg
hingewiesen, die sowohl in der Auffassung wie Ausführung einen bedeutenden Fortschritt gegenüber
der Luisenstatue bezeichnet. Das ist überhaupt ein Merkwürdiges in Rauch's Bildung, wie er immer
aufwärts steigt, immer fertiger wird, um zuletzt als Greis mit der kraftvollsten That, dem Friedrich-
Monument, seine Lebensarbeit zu krönen. Und noch darüber hinaus in seinem Kant ein immer junges
Werk zu schaffen, ein Werk, dessen geistvoller Realismus das Ziel der nächsten Generationen bildet.
Die Aufstellung eines Denkmales für Friedrich den Grossen bildet im Programm zweier
preussischer Könige ein ständiges Projekt, bis es unter der Regierung Friedrich Wilhelm's IV. zur
Ausführung gelangte. Schon Schadow's Lehrmeister, Tassaert, machte einen Entwurf im Auftrage
der Armee. Als Friedrich der Grosse davon erfuhr, war seine Ansicht: «Dass es eine schickliche
Sitte sei, nicht während des Lebens, sondern nach dem Tode, dem Feldherrn ein Denkmal zu
errichten.» Unter Friedrich II. wurde die Angelegenheit wieder aufgegriffen; der König wollte
das Denkmal seines grossen Ahnherrn »auf seine Kosten ausgeführt wissen» und Schadow die
Angelegenheit überlassen. Der machte im Auftrag der Regierung zum Studium des Erzgusses die
schon erwähnte Reise nach Stockholm und Petersburg, eine zweite nach Paris musste wegen der dort
ausgebrochenen Unruhen unterbleiben. Dann kam wieder eine Stockung in die Sache; mittlerweile
starb Friedrich IL, und erst unter Friedrich Wilhelm III. nahm man das Projekt mit Eifer wieder auf,
bis sich, wie Schadow erzählt, «Begebenheiten erreigneten, wo Kunstgegenstände Nebendinge
wurden», die Freiheitskriege begannen. Im Jahre 1830 erhielt dann der Architekt Schinkel den
Auftrag, einen Entwurf für das Friedrichsdenkmal einzureichen und an Rauch die Weisung ergehen
zu lassen, Skizzen dafür anzufertigen. Bis 1839 war die Wahl des Königs noch nicht erfolgt, endlich
fand ein Projekt seine Genehmigung, und am 8. Dezember 1839 bekam Rauch den definitiven Auftrag
zur Ausführung, gewiss eine lange Vorgeschichte. Von da ab beginnt für den 62jährigen eine Zeit
voll Anstrengung und Arbeit, reich an Prüfungen und Mühseligkeiten — aber auch an Erhebung und
freudigem Bewusstsein. In seinem Briefwechsel mit Riet seh el spiegeln sich diese wechselnden
Stimmungen. «Wie dem Geschäftsreisenden — schreibt er an Rietschel am 23. Januar 1850 —
gerade die letzte Meile ihm das Ziel als unerreichbar vor die Seele bringt, so ist mir zu Muthe.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
171
Ich zähle die Stunden, arbeite auch. Aber
das Nichterreichte jedes Abends macht mir
unghickliche Nächte.» ....
Aber er hat das Ziel erreicht. Am iii.
Jahrestage der Thronbesteigung Friedrich des
Grossen, am 31. Mai 1851 wurde das Denkmal
enthüllt. «Ein Glanzpunkt — wie Alexander
Humboldt dem Künstler schreibt — in dieser
elenden, schlaffen, sumpfartigen, frivolen,
charakterlosen Zeit, das Ihren Namen unsterb-
lich macht.» Es haben in neuerer Zeit Rauch's
Werke von Seiten mancher modernen Kunst-
schriftsteller manche ungerechte Beurtheilung
erfahren. Doch wohl nur der oberflächliche
Beobachter wird sich den das Streben Rauch's
verwerfenden Urtheilen anschliessen können.
Im Sinne des Klassizismus hat er die Plastik
auf die Höhe monumentaler Anschauung er-
hoben. Erfüllt von dem klassizistischen Ideal
«der Antike» vermochte er in der monu-
mentalen Darstellung des modernen Menschen
sich nicht davon zu emanzipiren. Gründlich
verachtete er Hut, Rock und Stiefel als nicht
zu solchen Darstellungen würdige Objekte.
Für die plastische Auffassung der Persönlich-
keit, wie sie im Leben geht und steht, hatte
er Empfindung, aber er war nicht unbefangen
genug, diese durchzudrücken. Wenn es Rauch
gelang, für seine Empfindungen bündige For-
meln zu schaffen, seine Kunst in ein gewisses
Verhältniss, allerdings kühler Abstraktion, zur
Natur zu bringen, so verloren sich seine Nach-
ahmer gar bald in einen todten Formalismus.
Christian Rauch: Goethe im Hausrock
ERNST RIETSCHEL 1804— 186 1
Grosse Hoffnungen setzte Rauch auf den begabten, selbständigen Rietschel. Jung, unver-
dorben, weich und bildungsfähig kam dieses Talent in seine Hände. Er hoffte in ihm eine der
stärksten Säulen seiner künstlerischen Tradition heranzubilden. Das Experiment gelang nicht vollständig
172
DIE KUNST UNSERER ZEIT
in Rietschel's Natur sass tief ein spezifisch deutsches Element, das gemüthvolle Empfinden, dass sich in
den klassizistischen Formeln nur schwerfällig bewegen lernte.
Bedeutsam im Sinne moderner Empfindung und Kunstanschauung »ind seine schüchternen
Versuche, vor Allem im Porträt eine intimere Naturanschauung und Auffassung anzustreben. Bei all'
dem gelangt doch Rietschel in seinen Hauptwerken, Lessing und Luther, über Rauch hinaus, wohl
zu grrösserer künstlerischer Freiheit der Anordnuno- aber nicht vollends zu freier Entwicklung seiner
ganzen Individualität. Wenn nicht gerade die gewisse Beschränkung, die in seinen Werken zu Tage
tritt, auch auf das Engste mit
seiner künstlerischen Entwick-
lung zusammenhängt. Das
Leben eines bedeutenden
Künstlers ist ein Stück Kunst-
geschichte. In Rietschel's
Kunst ist ein religiöser Zug,
nicht im Sinne der modernen
Auffassung, sondern in der
Weise des romantischen Glau-
bens- und Kunstideals. Daher
seine Neigung zu biblischen
und christlichen Motiven. Das
hat er von den Nazarenern,
die auf diesen Hang seines
Gemüthes von demselben Ein-
fluss waren, wie auf j^udwig
Richter. Er hat überhaupt
mit diesem Manches ge-
mein. Beide entsprossen dem
gleichen Boden, haben etwas
Verwandtes in der Erziehung,
den harten Erfahrungen der
Jugendjahre, in Beiden auch
Chrisiian liaucli:
Standbild des Philosophen Im. Kant
der Zug tiefer Religiosität,
ein gewisses Zusammenziehen
und Beschränken auf Ver-
innerlichung. Bei Richter die
göttliche Mitgift eines wunder-
baren kindlichen Humors, der
über seine Schöpfungen eine
warme, behagliche Stimmung
breitet, und dessen Ernst in
sinniger Zartheit zum Aus-
druck kam. Rietschel, in
mancher Hinsicht ähnlich ver-
anlagt, wählte die Bildnerei
zum Lebenslauf, die damals
noch keineswegs sich in Bahnen
bewegte, die dem deutschen
Empfinden ähnlichen Ausdruck
zu verleihen im Stande waren.
Rietschel's Empfinden erfuhr
darum auch zu allererst eine
fast krampfhafte Umstülpung
nach der klassischen Mode.
Man weiss aus seinen Jugend-
erinnerungen, dass ihm an-
fänglich bei Rauch in Berlin gar nicht wohl war. Dass er viel besser nach der Natur und seiner eigenen
Eingebung zeichnete, als nach klassischem Muster modellirte. Auch dass er die Antike nicht so hoch
schätzte, als sein Meister, dessen Bestreben war, durch diese Brille die Natur ansehen zu lernen.
Rietschel musste entschieden erst einen langjährigen, oft gewaltsamen Umwandlungsprozess durch-
machen, ehe er der formenstrenge Plastiker wurde, als den wir ihn in seinen späteren Werken
kennen, und als welcher er den Stolz und die Hoffnung Rauch's erweckte, in ihm den Wahrer und
Mehrer seiner Schule, den stärksten Träger ihrer Tradition zu sehen.
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Phot. r. HanfsuMgl, UaDObeo
Goethe- und Schiller-Denkmal in "Weimar
DIE KUNST UNSERER ZEIT
173
In der That ist die Freundschaft, Fürsorge und Anhänglichkeit, die er Rietschel jeder Zeit
bezeugte, ausserordentlich. Rauch scheint an dem consequenten, richtig und tief empfindenden Rietschel
eine starke Stütze und Anregung gehabt zu haben. Die öftere Verschiedenartigkeit ihrer künstlerischen
Ansichten that dem guten Verhältnisse im Einvernehmen keinen Abbruch. Als Rietschel's erste
bildnerische That wird das Standbild des Lessing in Braunschweig bezeichnet. «Ich will ihn ohne
Mantel machen. Lessing suchte im Leben nie etwas zu bemänteln», mit diesen Worten ging Rietschel
daran, ein unumgängliches Garderobestück der Rauch'schen Monumentalbildnerei abzuthun. Aesthetiker
haben in dem Streite
für und ' wider viele
Federn stumpf ge-
schrieben. Heutzutage
sehen wir an vielen
Standbildern, dass man
ganz gute Wirkungen
mit und ohne Mantel
erzielt hat. Auch
die Lessingstatue von
Rietschel kann man
sich nimmer anders
denken. Im Gegen-
theil ist gerade das
Kostüm, das er trägt,
statuarisch sehr dank-
bar und von bester
Wirkung. In der Büste
wie im Standbilde hat
Rietschel des Mannes
Geist glücklich ausge-
prägt. Sein Lessing
und R a u c h ' s Kant
M. Hietsc.hel: Lessingstatue
sind Leistungen , in
denen einem mass-
vollen Realismus die
Wege gewiesen sind.
In einer anderen
Aufgabe , die beide
grosse Bildner beschäf-
tigte, bei der Rauch
zur Anwendung des
Zeitkostümes sich nicht
entschliessen konnte,
wiewohl er es des
öfteren glücklich beim
Friedrichsdenkmal und
so prächtig bei seiner
Kant -Statue angewen-
det hat, ist Rietschel
erfolgfreich mit seinem
Prinzip durchgedrun-
gen. Dieser Goethe
und vor Allem Schiller,
nach Rietschel's Auf-
fassung , wird Einem
unter den zahlreichen Statuen der beiden Dichter immer sympathisch erscheinen. Beim ersten
Anblick des Doppeldenkmales werden wir uns sofort der Gegensätze in der äusseren und
inneren Erscheinung der Beiden bewusst. Die geistige Majestät Goethe's in der imponirenden,
würdevollen Haltung des Welt- und Hofmannes, in der schon ein Stück Geheimrath im ganzen
Aeusseren zur Geltung kommt, und daneben die schlichte bürgerliche Erscheinung Schiller's in einem
Moment, in dem die Kraft künstlerischer Intuition, die ihm die Brust weitet und hebt, kommt hier
plastisch zum Ausdruck. Auch der ominöse Westenknopf fehlt nicht, der schon manchen ästhetischen
Polemiker beschäftigte.
II 24
174
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Eine Schöpfung, in welcher der ganze
RIetschel mit all' seiner Empfindung zum
Durchbruch kam, ist auch seine letzte — - die
Bekrönung seines Lebenswerkes gewesen!
Das Lutherdenkmal in Worms. Ein Werk,
das man an den Anfang seines Schaffens
gestellt sehen möchte, wenn man bedenkt,
was bei Rietschel's Neigung zu wahr-
haftiger Charakterisirung für die Entwicklung
deutscher Plastik hätte folgen müssen. Dass
er sich nicht über Hals und Kopf in einen
radikalen Naturalismus, der oft noch cha-
rakterloser als die klassizistischen Schemen
wirkt, hineingestürzt hätte, ist dieser Arbeiten
nach anzunehmen. Das Wormser Denkmal
fasst die Reformation in all' ihren geistigen
Trägern und wehrhaften Stützen zusammen.
Gleichsam eine Symphonie in Erz und
Steinen gedichtet, deren Grundmodus monu-
mental in dem gewaltigen Träger des Refor-
mationsgedankens, in der Gestalt des Luther,
zum Ausdruck gelangt, der dasteht fest und
unerschütterlich, die Faust auf der Bibel, als
der Mann der Ueberzeugung und der That. Von Rietschel selber rührt nur noch die Hauptfigur
her; als sie im Gipsguss vollendet war, konnte man ihr zu Füssen den todten Meister aufbahren.
Seine Schüler haben das Werk, in das Rietschel seine ganze Kraft zu setzen gewillt war, vollends
ausgebaut.
B. Rietschel: Das Standbild Luthers
ERNST JULIUS HÄHNEL 1811— 1891.
, •• Man könnte der Dresdener Schule ganz gut ein Janusgesicht zudenken, in dem die eine Seite
Rietschel's, die andere Hähnel's Typus aufweist. In der That ist von vornherein eine gründliche
Verschiedenheit beider Kunstcharaktere wahrzunehmen. In Hähnel's erster grosser Arbeit kommt
das gleich zum Ausdruck. Für die Attika des Dresdener Hoftheaters schuf er einen Bacchuszug,
eine Folge von Scenen, in denen alle Grade bacchischer Lust und Trunkenheit nicht mit ursprünglich
genialer Gewalt (gleich Ruben'scher Naturanschauung), sondern in wohlkomponirten Reliefdarstell-
ungen, in dekorativ wirksamen, rhythmisch bewegten Gruppen dargestellt sind. Oft liegt eine malerische
Unruhe in der Häufung der Körper und in den Licht- und Schattenwirkungen, die dadurch hervor-
gerufen werden; hingegen erreichen wieder andere Partien des umfangreichen Werkes die vornehme
DIE KUNST UNSERER ZEIT
175
plastische Wirkung des antiken Reliefstils. Man fühlt förmlich das Anwachsen, Ausbreiten und völlige
Hineinleben des Künstlers in eine Aufgabe, die seinem Empfinden wohl am nächsten stand, und an
der er am unmittelbarsten Theil genommen zu haben scheint. Pur die charakteristische Darstellung
bedeutender Persönlichkeiten, wie Michel Angelo in den biblischen Gestalten am Museum in Dresden,
fehlt es ihm an Tiefe der Auffassung, an Durchdringung der geistigen Individualität. Nicht selten
kokettirt er mit einem Anschein von Ernst und verfällt dabei in Affektion und leere Pose. Am
Besten gelangen ihm Darstellungen von andken Mythen und .Stoffe, bei denen er mit seiner lebhaft
sinnlichen Phantasie sich ganz der bildnerischen Freude an der körperlichen Erscheinung und dem
Spiele der Linien hingeben konnte. So hat er, trotzdem er zahlreiche Schüler und Nachahmer
gefunden hat , einen Ausdruck , einen Stil , in dem er seine eigenen Empfindungen charakteristisch
ausgesprochen hätte, nicht geschaffen, in ihm zeigt sich deutlich die Misere der deutschen Plastik,
die sich an die Stoff- und Formenwelt aller grossen Kunstepochen anlehnt und doch selten etwas
Grosses, Eigenes schafft. Auch Hähnel erweist sich, ohne tiefere Eigenart, gewandt darin, Motive
des christlich romantischen und des klassischen Kunstideals in einem gefälligen, sinnlichen und darum
so allgemein verständlichen Schönheitsideal vorzutragen.
Rietschel und Rauch standen in engem Verhältniss zu ihren Schülern und übten hauptsächlich
durch ihre Thätigkeit in der Werkstätte einen grossen und nachhaltigen Einfluss aus; sie erinnern hierin
an die Meister des Mittelalters. Die guten Folgen für die künstlerische Bildung sind unverkennbar.
Handwerkliche Geschicklichkeit und künsderische Tradition bleibt so erhalten. Mehr wie durch
akademischen Unterricht entwickelt sich ein inniges Verhältniss zwischen Meister und Schüler in der
Werkstätte. Die unmittelbare Theilnahme an dessen
Schaffen, die Uebernahme eines Theils der Verantwortung
für das Gelintjen eines g-rossen Ganzen, die künstlerische
Freude, einen Theil seines Selbst in dieser Arbeit nieder-
gelegt zu haben, erweckt und fördert von Anfang an all'
die Erfahrungen , Kenntnisse und Geschicklichkeiten , die
die Ausführung eines plastischen Kunstwerkes bedingen
und die in der Schule nie erworben werden können. Dem
Plastiker thut Praxis noth. Man kann dagegen einwenden,
Talent sei die Hauptsache und wer künstlerische Em-
pfindung besässe, wird dieselbe unter allen Umständen
durchdrücken, die Technik erlernen und sich ihrer nach
der Art seiner Empfindung bedienen. Wer aber weiss,
dass die Bildhauerei eine Kunst ist, die gerade wegen der
handwerklichen Vorbereitungen, wie Rauch sagte, mit
Aerger anfängt und mit Verdruss aufhört, dem sei wohl-
gerathen, wenn er, eh' er sich ihrer bedient, vorher die noth-
wendigen Handfertigkeiten und Sinn für den praktischen
E. Rietschel: Büste
lli..
is Rauch
24*
176
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Theil in einer Werkstätte erwirbt. Mancher Aufwand von Kraft und Geduld ist erforderlich, ehe der
Plastiker zur Ausführung eines Werkes schreiten kann. Hat er sich zur Auffassung eines Gegen-
standes durchgerungen, so baut er gewöhnlich nach einer kleinen Skizze desselben das Objekt in
beabsichtigter Grösse in nasser Erde auf, ein Material, das wegen der Eisengerüste, die zum Tragen
der Thonmassen erforderlich sind, nicht erhalten werden kann. Es muss darum die Arbeit in Gips
umgeformt werden, und in diesem zerbrechlichen Material, das zudem die Seele des Kunstwerkes todt
und stumpf erscheinen lässt, bleibt es zumeist, wegen der Kostspieligkeit der Ausführung grösserer
plastischer Werke in Stein und Bronze. In unserer Zeit, wem nicht gerade ein monumentaler Auftrag
zufällt, müsste eigentlich die erste Sorge des unbegüterten Künstlers sein, für die Ausführung
-£. Hähnel: Aus dem Bacchuszuge
seiner Modelle einen Gönner zu suchen; im gewöhnlichen Falle beginnt er seine Arbeit mit der
Aussichtslosigkeit des Idealisten, der strebend hofft und hoffend strebt. Trotzdem produziren die
Akademien fortwährend junge Künstler, ja unterstützen vielfach die pure Talentlosigkeit und schicken
sie anspruchsvoll in's Leben hinaus. Was bietet ihnen dieses? Zwar will das Glück Manchem wohl,
während es den Meisten bei dem durch die Schule verschuldeten Mangel an praktischer Geschicklichkeit
kaum das bescheidenste Auskommen gewährt. Die auffallende Erscheinung, dass für die Ausführung
künstlerischer Arbeiten in Stein, Holz und Bronze tüchtige Kräfte selten sind, wird wohl auch mit
dieser akademischen Erziehung zusammenhängen. Schon zu Schadow 's Zeiten war den einheimischen
Bildhauern die Kunst, den Stein zu formen, abhanden gekommen. Rauch musste im Anfange seiner
Thätigkeit geeignete Leute hiefür aus Italien mitbringen, wie auch heute noch zumeist Italiener als
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J.ilia. SüliÜliiit; .^culi).
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Der Morg en
It. Sicniering «ciiTp,
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
177
am unterrichtetsten in diesem Fache gelten. Auch dem Kunsthandwerk gehen so viele Kräfte verloren.
Die soziale Stellung solcher, die sich zur freien Entfaltung ihrer Kräfte nicht durchzuringen vermochten,
ist meist eine unglückliche. Der eben erwähnte Schadow war als Akademiedirektor bekannt wegen
der strengen Wahl in der Aufnahme von Schülern; für gegenwärtige Verhältnisse wäre eine solche
wieder von Vortheil für das Ansehen dieser Kunst.
Neben Persönlichkeiten von allgemeiner und hoher künstlerischer Bildung fehlt es unter den
Vertretern der Plastik nicht an Erscheinungen von ärmlicher Beschränktheit und Ignoranz allen anderen
Gebieten geistigen Lebens gegenüber. Rohheit der künstlerischen Empfindung gilt vielfach als
künstlerische Freiheit. Wirklich bedeutende, selbständige Erscheinungen sind selten, tiefere Bedeutung,
seelischen Ausdruck weisen nur wenige Werke auf. Der Tross der Nachahmer erfüllt zumeist mit
E, Häknel: Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das Tanzen
ihrer Waare die plastische Abtheilung der Kunstausstellungen, ihnen das sattsam bekannte Gepräge
verleihend. Diese Erscheinungen haben es zumeist zu Wege gebracht, dass man der plastischen
Kunst von heute so wenig Achtung entgegenbringt.
Alt und Jung, Gross und Klein,
Grässliches Gelichter:
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermann ein Dichter.
(Goethe)
Die unvergleichlichen Meisterwerke der Antike haben auf die Plastiker der klassizistischen
Periode einen unerhörten Einfluss ausgeübt. Sie begannen mit der mechanischen Nachahmung der
antiken Formen ohne nach der Ursache und den Bedingungen dieser Ausdrucksweise zu forschen
und selbe in sachlicher Weise sich zurechtzulegen. Nicht weniger als die Form trug der gegen-
ständliche Inhalt des Kunstwerkes und seine allgemeine Bedeutung, die es durch ihn für die klassisch
178
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Gebildeten erhielt, dazu bei, diese Bewegung zu einer so umgestaltenden zu machen. Gewiss
verschuldete diese Auffassung auch, dass der Plastik ihre natürlichen allgemeinen Aufgaben, nämlich als
eine monumentale Raumkunst zu wirken, aus dem Gesichtskreis schwand und man sie immer mehr in
einsamen Rundbildern von abstrakter Idealität verlor. Die Antike wurde in dieser Hinsicht ganz
missverstanden, indem man gerade ihre Bezugnahme auf das Allgemeine verkannte, ihre Ausdrucks-
weise nicht als eine harmonische Kunstanschauung von tieferer Bedeutung ansah; denn die Antike
wollte doch nichts als eine künstlerische Auffassung der Natur mit den einfachsten Mitteln wieder-
geben. Die Klassizisten aber sahen in dieser Darstellung unkünstlerischer Weise nur Mittel zu dem
Zweck , klassischen Motiven Ausdruck zu verleihen ; dass die Form Selbstzweck sei und als solche
an sich Vorstellungen erwecke, das wurde nur Wenigen aus Anschauung der antiken Werke klar.
Erst in unseren Tagen hat Hildebrand wieder ausgesprochen: mit der Form als Selbstzweck sei
eine Einheit für die künstlerische Darstellung gegeben , in welcher auch das persönliche Empfinden
ausmünden und so Allgemeingut werden kann; diese Bedeutung der antiken Kunst kam den
Klassizisten nur unklar zum Bewusstsein.
Doch strebte in jener Zeit Rauch im Sinne des antiken Ideals die Verallgemeinerung indivi-
dueller Züge in's Grosse an; er neigte daher weniger der beob-
achtenden, empfindsamen Seite seiner Kunst zu als der nach
schöpferischer Gestaltung strebenden, in der das persönliche
Empfinden in monumentalen Formen aufgeht.
Weniger gross angelegte Talente, die als Nachfolger ängstlich
beflissen waren, in des Meisters Fusstapfen zu gehen, ohne sein
Schrittmass einhalten zu können, seine künstlerischen Ideen zu
durchdringen und sie neuen Zielen zuzuführen, verfielen darum
bald in geistioser Nachahmung einem schematischen Formalismus.
Besonders übel zeigt sich das in den Porträts jener Zeit, die wie
todtgeboren erscheinen, und denen wir nicht das geringste Inter-
esse mehr abzugewinnen vermögen. Man wendet sich als Künsder
nicht ungestraft von der Natur ab. Diese vornehmste Seite der
modernen plastischen Kunst wieder zu neuem Leben zu erwecken
und darin sich wieder der Tradition anzuschliessen, war späteren
Künstlern vorbehalten, die allerdings dann auch durch eine mate-
riell stoffliche, sogenannte «malerische» Behandlung unreine Ele-
mente in die plastische Darstellung brachten. Starkes individuelles
Empfinden bethätigte auch Schadow, der hierin noch ganz in
der Tradition wurzelte , in anregendem Verkehr mit der Natur
stand und damit starkes Talent zur Charakteristik der Erschein-
ungen entwickelte. In dieser Weise steht er Rauchs Kunst, die
Entwurf zu einem Standbilde Raffaeis vorzüglich in's Grosse, Allgemeine geht, gegenüber. Auch durch
DIE KUNST UNSERER ZEIT
179
Rietschel und Hähnel wurde das Inhalt-
liche in der Darstellung immer mehr her-
ausgearbeitet, insbesondere durch ersteren,
der mit starkem Gefühl für den seelischen
Ausdruck , mit sozusagen religiösem Em-
pfinden begabt war, während Hähnel sinn-
lich stoffliches Empfinden leitete, jener also
mehr im Ausdruck , dieser in der Form
die plastische Kunst weiterzubilden sich be-
strebte; beide aber gingen zu sehr in der
inhaltlichen gegenständlichen Vorstellung auf,
ohne für ihr eigenstes Empfinden vollkom-
menen Ausdruck zu finden. So trug auch
das starke Einzelempfinden bei, die plastische
Kunst aus ihrem Zusammenhang mit der
Tradition zu reissen, ohne sie im Sinne der
Antike grossen allgemeinen Zielen zuzu-
führen. Das Gefühl, dass die bildnerisch
monumentalen Aufgaben darin ihre Lösung
suchen müssten, wenn anders sie auf die
Vorstellung gross und erhaben wirken sollen,
leitete auch Rauch, indem er sich mühte,
dafür einen bildnerischen Ausdruck zu suchen,
den man doch nur mit Zuhilfenahme raum-
gewaltiger wirksamer Darstellungsmittel, mit
Hilfe der Architektur , zustande bringen
kann. Wir bemerken von Anfang an das Hereindringen des architektonischen Elementes in die
bildnerische Gestaltung, daraus erwuchs in unserer Zeit, da der Bildhauer ein schlechter Architekt
und dieser ein oft mangelhafter Formverständiger ist, ein Kompromiss, der in den modernen Denk-
malen so charakterlose Früchte zeitigt.
Auch die Werke der Nachfolger Rauch's, Rietschel's und Hähnel's, als deren hervor-
ragendste Vertreter in unserer Zeit Siemering und Schilling gelten, leiden unter diesem Missstand,
für den es keine andere Lösung gibt, als dass man sich die universelle Bildung der alten Meister
aneignet und die reinen plastischen Stilgesetze strikte befolgt. Wieder einmal, wie schon zu Rauch's
Zeiten, wurde der Genius der vaterländischen Künstler durch die Thaten der Nation beflügelt, das
vornehmste Streben Siemering's und Schilling's ist darauf gerichtet, dem Geiste jener Thaten
bildnerischen Ausdruck zu verleihen; ihre stärkste Triebfeder ist also die Empfindung, sie wollen
die idealen Strömungen der Zeit in Formen kleiden.
R. Siemeriii^i : Krieg
180
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Indem sie sich der Träger der wirklichen wie idealen Stimmungen im bildnerischen Ausdruck
bemächtigten, verliehen sie ihren Werken durch die Anziehungskraft der dargestellten Objekte eine
Bedeutung, die ihnen im wirklichen Falle, als künstlerische Gestaltungen, nicht immer zukommen würde.
Diese Kraft der gegenständlichen Anregung ist es auch, die Siemering's wie Schilling's
Darstellung der Germania uns so nahe bringt. Bei jenem ist es ein Heldenweib, das kühn mit dem
über die Schulter gelegten Schwerte einherschreitet, voll Hoheit des Geistes und weiblicher Majestät.
Bei Schilling's volksthümlicher Darstellung ist es das Hervorheben des echt Weiblichen im ganzen
Ausdrucke wie in jeglicher Bewegung, denn so wie sie mit freudigem Stolze die Krone, den köst-
lichen Preis, erhebt, fraulich anmuthig und stolz zugleich, zeigt sich darin das Ideal der deutschen
Frau, und so ist diese Erscheinung schnell volksthümlich geworden und hat in unzähligen Abbild-
ungen ihren Weg in's deutsche Haus gefunden.
Der Volksstimmung in bewegten Zeiten beredten Ausdruck zu geben, ist auch Siemering in
der Darstellung eines Frieses, der den Sockel einer Germania umgab, die zu Ehren der einziehenden
Truppen 1871 in Berlin
aufgestellt wurde, ge-
lungen. Bei Betrachtung
solcher Werke, in denen
die künstlerische Empfin-
dung unmittelbaren Aus-
druck findet, wird man
das Inhaltliche immer als
einen bedeutenden Fak-
tor zur Beseelung der
bildnerischen Darstellung
ansehen müssen, wie bei
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den Reliefen zum Gräfe-
denkmal in Berlin , die
in der Art und Weise
altitalienischer farbig gla-
sirter Terracotta herge-
/\ ■y^'^'~^'^£^L\i'\'^>^ stellt wurden. Sie zeigen
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einen Zug von Kranken,
die zu dem berühmten
'..;J Augenarzt pilgern, und
einen Zug Geheilter, die
R. Siemering :
Relief zum Einzug der siegreichen Truppen in Berlin
von ihm abziehen. Es
liegt auch ein entschie-
denes Verdienst Siemering's darin, bei der Monotonie in der Ausführung unserer Denkmäler auf
diese wirksame Technik hingewiesen zu haben.
Siemering bewegt sich vielfach in der plastisch unreinen Art der Nachklassizisten, die durch
eine freiere, gegenständlich stoffliche Behandlung die klassizistische Trockenheit zu beleben suchten.
Die Eigenschaften des weichen Thones , die beim Modelliren zu weicher lockerer Formbehandlung
Anlass geben, werden in der plastischen Gestaltung oft in einer Weise zum Vortrag benützt, die,
wie in der Darstellung eines Kriegers, direkt an die Formengebung des Barock erinnert. Es liegt
hierin eine Erscheinung vor, die durch die ganze Zeit geht und nicht zum wenigsten durch die
Flüchtigkeit der Ausführung in meist minderwerthigen Materialien, da die Werke vorübergehenden
dekorativen Zwecken dienen sollen, bedingt wird. Vielleicht auch dadurch veranlasst, drängt das
künstlerische Empfinden die Darstellung nach der stofflich gegenständlichen Behandlung hin, die für
das Auge gewisse Reize bietet, oft aber eine Belebung des Gegenstandes auf Kosten der plastischen
Erscheinung ist.
3
Q
■Ivtis. 8ohlUiiig «oiii[>i
Die Nacht
DIE KUNST UNSERER ZEIT
181
Auch in Schilling's Werken wird uns das fühlbar. In vielen seiner Gruppen tritt die Technik
des Modellirens so auf, dass wir annehmen könnten, sie wären Terracotten. Viel trägt zu dieser
Behandlung auch das persönliche Empfinden bei. Rhythmus in Form und Linie und ein weiches
lyrisches Empfinden bilden die Grundzüge. Die Formen fliessen weich ineinander und die Linien
runden sich anmuthig zum Ganzen. Voll und reif sind die Körperformen , in schöngeschwungenen
Linien umwallt und begrenzt sie der Faltenwurf. Nirgends eine Härte, kein eherner Ausdruck, alles
ist Anmuth, Hingebung, liebliches Empfinden. Ganz von selber ergibt sich daraus seine Kunst, die
anmuthige, beseelte Weiblichkeit und holdselige Kindlichkeit zu gestalten. Gleich in seinen ersten
Arbeiten, die durch das Studium klassischer Werke geläutert und herangereift sind, kommt seine
Eigenart zum Ausdruck. Deutsch romantisches Fühlen einigt sich mit klassischer Form. In den
R. Siemeriag: Washington-Denkmal
Gruppen «Morgen Tag, Abend Nacht» ist der deutsche weltweite und innige Idealismus in verschiedenen
Phasen wiedergegeben.
Offenbar sind diese Gruppen unter starkem Einflüsse antiker und italienischer Werke
entstanden. Und wenn man heutzutage so oft hört, eine Italienreise sei nur mehr ein unter-
geordneter Abschnitt im Leben eines Künstlers, so beweisen diese Arbeiten, wenn auch schon um
1860 entstanden, das Gegentheil. Trotz der inneren Umkehr zum Germanismus ward der Einfluss
dieser künstlerisch befruchtenden und belebenden Schönheitssonne immer fortwirken. Nach wie vor
werden in des Nordländers Seele, die von ihren Strahlen getroffen wird, wundersame Regungen
erwachen, werden Formen und Gestalten seine Phantasie bevölkern, wie sie vordem aus Eigenem
nimmermehr ihm entgegentraten. Die ursprüngliche schaffende Kraft unserer Phantasie ergänzt sich
n 25
}82
DIE KUNST UNSERER ZEIT
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R. Siemeriitff: Relief zum Gräfe-Denkmal ia IJerlin
aus dieser für uns idealen Gestaltenwelt. Der deutsche Bildner hat wenig Anlage und Neigung, aus
den antiken Werken Form und Stil sich nur zu Nutzen zu machen, vielmehr sind es innere
Beziehungen, die ihn mit dieser Welt der Schönheit verknüpfen. So sehr man auch von einer Seite
darauf ausgeht, die Wirkung des Kunstwerkes auf unser Empfinden nur in der Harmonie der Raum-
gestaltung anzunehmen, so liegt es doch zu sehr in unserer Eigenart, auch darin eine Seele zu
suchen. Wir werden uns durch das Raumgebilde, es mag formal noch so einnehmend und wirkungsvoll
sein, nicht ganz befriedigt fühlen, empfinden wir doch selbst beim Anblick der Antiken eine gewisse
Kälte, die erst weicht, wenn wir ihre Formen mit unserem Empfinden erfüllen.
Die plastischen , sachlichen Werthe , die in diesen Werken liegen , in ihrem ganzen Umfange
und Bedeutung darzuthun und sie neuerdings nach dieser Seite hin wieder aufzuschliessen, vollbrachte
Hildebrand. Bei einer Thätigkeit, wie die der Bildhauerkunst, die gleicherweise Kräfte der Wahr-
nehmung- wie Vorstellung: erheischt, an welcher darum künstlerische Intuition und sachliche Ueber-
legung gleichen Antheil haben, wird der denkende Künstler, geleitet durch Beobachtung und
Erfahrung, erkennen, dass der künstlerischen Anschauung gewisse Gesetze zu Grunde liegen. Indem
er diesen nachgeht, entdeckt er zugleich in den vorzüglichsten Werken • alter und neuer Zeit
dieselben Grundlagen und erkennt diese als die Ursachen ihrer wunderbaren Wirkung. Und
wenn er auf die Alten zurückgeht, führt er uns nicht gleich den Klassizisten in den engen Kreis
der gegenständlichen Vorstellung zurück, sondern zeigt uns, dass ihre künstlerischen Anschauungen
immer Giltigkeit haben werden, dass durch sie die künstlerische Gabe für uns erst zubereitet und
geniessbar wird.
Von einer Verwandtschaft seiner eigenen Werke mit den Antiken und den Schöpfungen der
Renaissance kann nur insofern die Rede sein, als er jene in ähnlicher Art wie diese künstlerisch
gestaltet hat. Gleich seinem Vorgänger Rauch ist ihm die Antike ein Korrektiv; er steht aber
DIE KUNST UNSERER ZEIT
183
in einem noch innigeren Verhältniss zur Natur als dieser und bereichert seine Kunst mit einer Fülle
neuer Formen. Wenn jetzt wieder, angeregt durch diese Zeitströmung, Künstler, wie Hildebrand,
sich mit erhöhtem künstlerischen Interesse den Werken der Antike und Renaissance zuwenden, so
treten sie zu dieser Kunst in viel nähere und lebensvollere Beziehungen, als die Nachahmer zu
Anfang dieses Jahrhunderts. Dieser Künstler bringt uns in einen engeren Zusammenhang mit jener
Kunst als die Klassizisten , und entfernt uns davon wieder, indem er die Grundlagen aller Kunst
zeigt, deren Besitz allein zu wahrer Selbständigkeit führt.
Hildebrand entwickelte seine Kunst und Kunstanschauungen, die ihn in bewussten Gegensatz
zu den vielfach unklaren modernen Bestrebungen bringen, in Italien vorzugsweise durch das Studium
der Antike und der italienischen Renaissance. Jedenfalls wurde er durch den grossen plastischen
Schaft abzulegen
Stil, der ihm in jenen
Werken entgegentrat, an-
geregt , sich in das Pro-
blem der Form zu ver-
tiefen, das Prinzip der
künstlerischen Gestaltung-
jener Werke zu erfor-
schen und sich selber
über die Natur des künst-
lerischen Sehens Rechen-
Aus
diesen Studien heraus er-
wuchs ihm die Anschau-
ung, dass das künstler-
ische Prinzip auf den Kopf
gestellt worden sei, indem
seine Existenz nicht in
der künstlerischen Fass-
ung vom Räume ange-
nommen werde, sondern
in einem persönlichen In-
halte, den der Künstler
selbst hineinlegt. Nicht
durch formale Gestalt-
ung, nicht durch künstler-
ische Zubereitung sollen
Empfindungen und Vor-
stellungen im Beschauer
hervorgerufen , sondern
durch eine möglichst ge-
treue Wiedergabe einer
natürlichen Bewegung und
Ausdruckgeste dieselben
veranlasst werden.
Hildebrand bemerkt,
dass die werthvollste
Eigenschaft des Kunst-
werkes, seine eigentliche
bildende, die Phantasie
anregende Kraft, die ihm
als Darstellung von Raum
und Form innewohnt,
durch das Unterschieben
persönlicher Vorstellun-
gen im Ausdrucke un-
klar werde und den Be-
schauer, der in der
Bildung der eigenen
Vorstellung beeinträch-
tigt wird, nicht befriedigt.
Hildebrand vertritt mit dieser Anschauung nachdrücklich den Standpunkt, den die Tradition
und der natürliche Wirkungskreis den Künsten und besonders der Plastik anweisen, nämlich nach
Art der antiken Bildwerke möglichst einfache klare Wirkungen hervorzubringen und damit der
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5^. Sc/ii/liiii'- : Der Krieg. Statue am Niederxvakl-Ucnkmal
184
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Bethätigung der Phantasie , dem Vorstellungsvermögen auch auf die einfachste Art und Weise zu
genügen. Er fasst die Wirkung des Kunstwerkes als eine Folge seiner künstlerischen Fassung vom
Räume auf und hält die Selbständigkeit der künstlerischen Schöpfung, als eines Gebildes, das nach
organischen Gesetzen für sich besteht, gegenüber dem Inhalte, der ihm vom Künstler zugelegt wird,
aufrecht. Nicht das Motiv oder die Handlung will er als Quelle der ästhetischen Anregung angesehen
wissen, sondern die Form als künstlerische Gestaltung des Raumes. Daher bezeichnet er diese als
Grundelement der bildnerischen Darstellung, und die Belebung der F"orm durch das subjektive
Empfinden als eine später daraus erwachsene Erweiterung des Darstellungsvermögens. Dass diese
Prinzipien, die früher durch die Tradition von Werkstätte auf Werkstätte vererbt wurden, so gänzlich
vernachlässigt und sogar theilweise verloren scheinen, beklagt er, indem er sagt: «Vergleichen wir
nach all' diesem die frühere Zeit mit der unserigen,
so ist es eine zweifellose Thatsache , dass die
Logik der anschaulichen Vorstellungen weit höher
entwickelt war, und dass darin das Uebergewicht
der früheren Zeit in der bildenden Kunst be-
gründet ist.«
Indem er in seinem Buche, «Das Problem
der Form», sich bemüht, die Grundbegriffe des
künstlerischen Sehens festzustellen, alle die ein-
zelnen Faktoren anzuführen, die die künstlerischen
Anschauungen und Vorstellungen hervorrufen, und
indem er versucht, das Wesen derselben klarzu-
legen, bleibt sein Blick doch immer auf das Grosse,
das Ganze oenchtet, er dozirt nicht wie ein über-
eifrieer Gelehrter, der vor lauter Bäumen den
Wald nicht sieht, sondern wie ein Mann, der die
Sachlage klar vor Äugten hat und sie darum auch
andern klarmachen will.
Der gedankenreiche Inhalt des Büchleins enthält auch ein Kapitel über die Form als Funktions-
ausdruck, damit bezeichnet der Verfasser das Vermögen, durch die Form körperliche und seeliche
Empfindungen auszudrücken, und da diese bei ihm erst in zweiter Linie in Betracht kommen, nämlich
wenn die persönliche Empfindung des Künstlers nicht Selbstzweck ist und sich den Gesetzen der
künstlerischen Gestaltung unterordnet, so wird er mit diesem Theil seiner Ausführungen unter den
Künstlern, die von starkem persönlichen Empfinden beherrscht werden, Anstoss und Widerspruch
erregen. Diese werden ein Kunstwerk nicht als die Folge logischer Vorstellungen sich denken
können, indem man es nicht wie ein wissenschaftliches Werk mit dem Verstände untersucht und
begreift, sondern als ein Ganzes, das aus innigem Naturempfinden heraus entstanden, mit empfin-
dender Seele wahrzunehmen sei. Sie werden auf sein eigenes künstlerisches Schaffen hinweisen,
y. Schilling-: Kriegerdenkmal in Hamburg
DIE KUNST UNSERER ZEIT
185
auf alle jene Werke, in denen das freie künstlerische Empfinden, ja selbst sensible Stimmungen die
prächtigsten und ausdrucksvollsten Formen angenommen haben.
Hildebrand verkennt auch keineswegs die Berechtigung, den grossen Antheil, den die Em-
pfindung am Entstehen des Kunstwerkes hat; er weiss wohl, dass sie es ist, die die Beziehungen
zum Leben und zur Natur vermittelt, das Kunstwerk mit reichem Lebensgefühle durchdringt und
ihm erhöhten Ausdruck verleiht. Er erkennt aber auch klar in dem Vorherrschen persönlicher
Empfindungen, in der subjektiven Willkür die Gefahr, welche der künstlerischen, vorwegs der
plastischen Darstellung droht. Der Wahrheit, der nackten Wirklichkeit, stellt er die höhere Einheit
des geläuterten Kunstwerkes gegenüber. Er sucht, von objektiver Anschauung getragen, das
Bleibende, das wahrhaft Bestehende aus der flüchtigen Erscheinung der Dinge loszulösen und es in
idealer Darstellung zu befestigen. Je mehr es dem
Künstler gelingt, solche Momente aus der zeitlichen
Erscheinung herauszuarbeiten, desto grösseren Werth
wird sein Werk besitzen, es sei nun aus der harmo-
nischen Empfindung herausgeschaffen oder mit ziel-
bewusstem starken Willen zur Darstellung gebracht.
Hildebrand hat versucht, sein Problem der
künstlerischen Darstellung aus den natürlichen Ge-
setzen der Wahrnehmung und Vorstellung abzuleiten
und diesen Prozess mit der Darstellung selber, mit
der bildnerischen Thätigkeit in Stein, aufs Engste
zu verknüpfen. Sein Problem der Form muss als
eine sehr werthvolle Kundgebung bezeichnet werden,
die auf der Tradition fusst und durch eine unbe-
dingte Sachlichkeit sich auszeichnet, wenngleich
gerade die Gesetzmässigkeit des Aufbaues dem
Künsder oft befremdlich scheint. Wie förderlich
aber auch der künstlerischen Arbeit das logische
künstlerische Denken sein kann, und wie die feinste künstlerische Empfindung sich darum unge-
hindert an der Arbeit betheiligt, zeigen viele vortreffliche Werke dieses Bildhauers, den die engere
Künstlergemeinde für den Wolf in der Heerdc hält.
Wir müssen uns Hildebrand's Kunst als eine, die in der Gestaltung in's räumlich Grosse
geht, vorstellen, die monumentale Wirkungen hervorzubringen sucht, indem sie sich aufs Innigste mit
der Architektur verbindet, und als eine Kunst, die im begrenzten Räume, im plastischen Bildwerk,
eine Fülle des Lebens entfaltet und die feinsten Empfindungen hervorzurufen weiss. Wenn wir
von dieser zu jener fortschreiten, wird uns seine künstlerische Eigenart, die vielfachen Beziehungen
seiner verschiedenen Kräfte zu einander vertrauter werden. Hildebrand, der Bildhauer, verfolgt in
manchen seiner plastischen Arbeiten genau die Ziele, die er in seinem Problem der Form ausgesteckt
y. Sciilltng': Kriegerdenkmal in Hamburg
186
DIE KUNST UNSERER ZEIT
e^S
hat, so dass wir. eine Darstellung wie «Der Kugelspieler« als ein Beispiel und Vorbild dafür annehmen
können. Es zeigt sich hierin auch die A^orliebe des Plastikers für die Darstellung des nackten Körpers,
und wie die antiken Bildner in solcher Darstellung sich nie genug thun konnten, so sehen wir auch
die Plastiker späterer Zeiten sich begeistert der Darstellung des Nackten zuwenden, das als das
erstrebenswertheste Ziel, als Prüfstein alles künstlerischen Könnens immer Geltung haben wird. Mag
hier in diesem Falle die Beobachtung eines kugelwerfenden Jünglings die Anregung zu der Schöpfung
gegeben haben, oder das Motiv eine freie Erfindung des Künstlers sein, das spielt hier weiters keine
Rolle. Dem Künstler war es jedenfalls darum zu thun, uns die Schönheit eines nackten jugendlichen
Körpers in einem für das Auge wohlgeordneten Bilde darzustellen. Sein Anblick gewährt dem
Schauenden ähnliche Freude, wie die klare ruhige Schönheit einer griechischen Statue. Mit plastischer
Anschaulichkeit ist die Bewegung des Körpers festgehalten, die Figur bietet eine bestimmte Ansicht,
wirkt seitwärts gesehen von der P'erne wie ein Hochrelief und erinnert darin im Prinzip an die
griechischen Plastiken. Deutlich hilft uns diese Figur auch den Vorgang des freien Herausbildens
aus dem Stein zu ver-
gegenwärtigen, so wie ihn
der Künstler geschildert
hat. Er geht von einer
Bildvorstellung aus (wie
er auch behauptet, dass
die Plastik aus der Zeich-
nung entstanden wäre), er
zeichnet eine klare be-
stimmte Ansicht der Figur,
sagen wir, die als Haupt-
ansicht zu gelten hat, auf
die Steinfläche. Nachdem
er diese Fläche bestimmt
hat.
unc
zwar so ,
dass
'y. Schilling: Schwanenmädchen
der vorhandene Block nach
jeder Richtung hin mög-
lichst ausgenützt und für
die Anlage des Bildes ver-
werthet werde, löst er das
Bild Schichte um Schichte
vom Steinraum los, dass
alle Punkte, die in gleicher
Fläche liegen, gleichmässig
vom Stein auch befreit werden; so rückt das Bild immer als ein einheitliches Flächenbild etappen-
weise vor, und es ergibt sich so ein Darstellungsprozess , der der Vorstellung ungemein zusagt,
diese schreitet sozusagen immer gleicherweise mit der Arbeit fort. Ein sehr anschaulich gedachtes
Bild davon entwirft Michel Angelo, er sagt: «Man müsse sich das Bild (ein plastisches natürlich)
wie im Wasser Hegend vorstellen, welches man allmählich immer mehr ablässt, so dass die Figur
immer mehr an die Oberfläche tritt, bis sie eanz. freilieet.»
Auch die historische Entwicklung der Plastik lässt auf den gleichen Entstehungsprozess schliessen,
zeigen doch die ägyptischen Bildwerke, der Reliefanschauung gemäss, zuerst nur eine vertiefte
Zeichnung und dann im weiteren Fortschreiten und Entwickeln des bildnerischen Sinnes alle Phasen
des aus dem Steine Herausbildens, und bis zuletzt haftet ihnen noch sozusagen die letzte Vorstellungs-
schichte hinten an, gleich einer Schale, in der das noch unentwickelte Leben der Form schlummert.
Nach Hildebrand's Ansicht ist die Thätigkeit des freien Herausbildens aus dem Stein eine
wahrhaft bildnerische und zugleich auch die, welche der künsderischen Vorstellung, weil ihr analog.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
187
am zusagendsten ist; die künstlerische Raumgestaltung wird hier in natürlichster Weise gleich vor ihre
eigentliche Aufgabe gestellt, und das künstlerische Gebilde, das so aus dem gegebenen Räume, dem
Stein, erwächst, wird uns im vollsten Masse auch als Raumgebilde ästhetisch befriedigen.
Hildebrand wirft, indem er von den Vortheilen dieser Technik spricht, einen missbilligenden
Seitenblick auf das Modelliren in Thon, wenn er auch zugibt, dass dasselbe für den Lernenden, «den
Formensucher», das tauglichste Material bleibe. Er sagt unter Anderem: «Wenn wir bedenken, dass
unsere Phantasie mit dem Darstellungsakt sich formt, so lässt sich leicht erkennen, wie verschieden das
freie Aushauen aus dem Stein auf die Phantasie wirken muss, im Gegensatz zum Modelliren in Thon».
Und hauptsächlich ist ihm dabei wichtig, dass beim Modelliren kein Anlass zur Raumvorstellung, wie
es der Steinkörper biete, vorhanden ist. Indem man ein P2isengerüst mit Thon bekleidet und so nach
und nach zu einem Bilde ent-
wickelt, gehe man nicht von einer
im allgemeinen gegebenen Raum-
vorstellung aus, sondern von einer
nur gegenständlichen, sagen wir,
das echt bildnerische Prinzip der
Raumgestaltung kommt dabei we-
niger in Betracht, weil keine be-
stimmende Anre*^uno- dazu pfe-
geben wird.
Man merkt dieses Fehlen der
Raumvorstellung am besten, wenn
modellirte Gruppen in Stein über-
tragen werden, der Unterschied
gegen die, welche vom Künstler in
Stein gedacht und gedichtet sind,
ist in der That ein auffallender.
Die Hildebrand 'sehen Steinbilder
erwecken das Gefühl , als hätten
sie sich im Stein entwickelt, wären
darin gewachsen und hätten sich im
vorhandenen Räume ausgebreitet.
Es ist natürlich, dass es nur
eines Hinweises und Vorbildes
eines solchen Meisters bedurfte,
um viele Irrende und Lernbegierige auf einen Weg zu führen, an dessen Ende als erstrebenswerthes
Ziel die hohe Kunst der Alten einladend winkte. Mit Lust und Eifer stürzten sich Viele in eine
hastende Thätigkeit; den Stein zu bearbeiten, das harte Material zu bewältigen, es bildsam und
A. lii/ilebrand: Hiitenknabe
188
DIE KUNST UNSERER ZEIT
gefügig machen zu können, galt Vielen als eine Hauptsache , und es wurde anfänglich gar nicht
darauf geachtet, dass auch hier nur die Hand am besten durch ein feines Gefühl für Form und
Ausdruck zu guten Werken geleitet werde.
Der Meister, der zu solchem Thun und Treiben Anlass gab, hätte allerdings auch hierin am
besten zum Vorbilde pfenommen werden können.
Ein Künstler, wie Hildebrand, der vorwiegend von objektiven künsderischen Anschauungen
geleitet wird, der mit Zielbewusstsein ein Bild aus der Natur künstlerisch zu gestalten weiss, der wird
jeden Eindruck, den er daraus entnimmt, diesem künstlerischen Gestaltungsprozesse zuerst unter-
werfen und in grossen Zügen das Geschaute wiedergeben, sein Objekt vor Allem auf die Werthe
der plastischen Erscheinung hin prüfen und diese, ohne Rücksicht auf einen besonderen Ausdruck,
zur Darstellung bringen. Hilde-
brand neigt mehr nach der
schöpferisch gestaltenden Seite
seiner Kunst, als nach der beob-
achtenden, Viele seiner Porträt-
büsten sind ähnlich den Antiken
aufgefasst, und die Auffassung gibt
wenig Acht auf das Besondere
des Persönlichen, gibt weniger eine
Charakteristik des Wesens der
Dargestellten als nur eine getreue
typische Wiedergabe seiner Züge.
Bei dieser streng sachlichen Weise,
die vor Allem bestrebt ist, formal
richtig und plastisch wirksam zu
sein, werden aber wieder manche
Merkmale innerlichen Lebens, die
als pure Form nur wenig wirken,
übergangen; in solchen liegt aber
oft wiederum gerade das Leben-
dige , Packende , Tiefcharakter-
istische einer Erscheinung. Viele
von Hildebrand 's Büsten wirken
darum auch völlig objektiv auf den
Beschauer. Wir verstehen voll-
kommen ihre Bedeutung, wenn sie
in der Verbindung mit architek-
tonischen Gliedern, als Hermen in
einer monumentalen Gedächtniss-
halle Aufstellung finden würden.
Und doch ist diese Art wieder
nur eine Spielart des künstlerischen
Schaffens dieses merkwürdigen
Mannes; wir begegnen auch auf
diesem Gebiete verblüffenden Ausnahmen und sehen ihn in einem stets wechselnden Verhältnisse
seiner Auffassung zur Natur stehen, je nachdem er's für seinen bestimmten Zweck angemessen
erachtet. So zeigt er uns in der Büste einer alten Dame eine Feinheit der Naturauffassung, ein so
lebendiges Empfinden und Durchbilden der plastischen Form, dass er auch hierin unter den modernen
Werken nicht viele seinesgleichen hat und den Meistern der Renaissance direkt an die Seite gestellt
werden darf. In den Bildnissbüsten jener Zeit strebte auch eine solche F"einheit der Beobachtung
des Lebens und ein so inniges Formengefühl nach Ausdruck. Die Büste der alten Dame, die ganz
absichtslos, wie in gewohnter Bewegung die Hände über der Taille ineinandergefaltet hält, könnte so
wie sie sich zeigt, auch ganz gut von Donatello herrühren.
Mit ebensolcher Innigkeit des Ausdruckes konzentrirter Empfindung hat er auch die Bronce-
figur eines den Saft der Traube aus einer Schale schlürfenden Knaben eebildet.
A. Hildebrand: Der Flötenspieler
l'hot. r. HsafaUeugi, UDnohcu
Beethoven
Kram Stuck HOtiI|i
Die A in ; I / o n .
DIE KUNST UNSERER ZEIT
189
Hier zeigt er sich der letzten und höchsten Ausdrucksniittel seiner Kunst, einen Moment
reiner Empfindungsthätigkeit darzustellen, vollkommen mächtig, er versteht es, die P'orm als Funktions-
ausdruck, wie er es nennt, mit kräftigem Lebensgefühl zu durchdringen und plastisch vollkommen zu
gestalten. Der Knabe, der aus einer Schale den Saft der Traube schlürft, während er eine andere
noch begierig an sich hält, gibt sich ganz der köstlichen Empfindung der Stillung des Durstes hin; von
dieser Empfindung wird die ganze Bewegung des jugendlichen Körpers beherrscht, der mit all' seinen
charakteristischen Merkmalen aus der Natur getreulich wahrgenommen und gebildet ist. In seiner
Behandlung als Broncebild ist er mustergriltig^.
Mit ähnlichen künstlerischen Sinnen haben die Meister der Renaissance die Natur erfasst, hat
y. Schilling: Relief vom Niederwald-Denkmal
Donatello in verschiedenen Darstellungen des jugendlichen Johannes ähnlich ursprünglich empfundene
Bildwerke, nur noch ursprünglicher und naiver zum Ausdruck gebracht.
Eine köstliche Idylle hat der Meister in dem Bilde eines schlafenden Hirtenknaben mit
bildnerischer Energie aus einem Marmorblocke erstehen lassen. Auf seinem erhöhten Wächtersitze
ist er eingeschlafen, und ungezwungen ruhen die jugendlichen Glieder aus. Es ist der tiefe, friedsame
Schlaf, wie er die Jugend umfängt, und das Gesicht des Knaben spiegelt eine heitere, ruhige Seele
wieder, ohne jeglichen Zwang oder Trübung.
Auch in diesem Bilde ofi'enbart sich des Künstlers Vermögen, feine und feinste Empfindungen
zum Ausdruck zu bringen, und wir bemerken nicht ohne Ueberraschung, wie der Mann des strengen
Willens und bildnerischer Energie, der nach den tiefsten Gesetzen der künstlerischen Gestaltung
eifrig forscht, der künstlerische Disziplinen übt, der mit dem Senkblei und Richtscheit in der Hand
II 26
190
DIE KUNST UNSERER ZEIT
prüfend in seiner Werkstätte einhergeht, auf dass auch alles nach der rechten Seite gefügt und
geformt werde, wenn derselbe Mann sich mit voller Inbrunst künstlerischen Empfindungen hingibt
und mit Liebe auch das Zartgefühlte ausführt. Und der denkende Künstler, der so fühlt, erkennt
die grosse Gefahr, die in dem Vorwalten der Empfindung für die formale künstlerische Gestaltung
liegt, und indem er sich derselben bewusst ist, mahnt er, das dunkle Gebiet achtsam zu betreten und
sich vor allem über die Darstellung als ein künstlerisches Gebilde für sich Klarheit zu verschaffen,
ehe man sich dem Ausdruck der Empfindung überlässt.
Mit all' der Klarheit und Gründlichkeit, die Hildebrand's Schaffen, seine theoretischen Beob-
achtungen und Ausführungen auszeichnen, hat er auch die Grundlagen des Reliefs klargelegt und
von der griechischen Reliefdarstellung abgeleitet. Dieses stellt er als Grundform dar, gegenüber den
späteren und jetzigen Bestrebungen, die seine ursprüngliche Gestalt entstellen. Der gewöhnlichen
Anschauunpf ist das Wesen des Reliefs von Münzen am oreläufifjsten , und eine weitverbreitete Vor-
Stellung sieht im Hochrelief nur einen Durchschnitt von einem runden Körper. Das Relief ist aber
etwas ganz anderes, strebt in ^ der Fläche
es ist eine Formel des ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^_ sich auszubreiten und
Sehens ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^| zu machen»
uns er- ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^M das
das ^^^^^^^^r^ ^^^^^^^^^^H Einheit
liehe einheit- ^^^^^^^T ^^^^^^^H lerische Darstellung, es
liehen Bildfläche dar- ^^^^^H ^^^^^^H ihr harmonischer
gestellt zu sehen; das ^^^^^^A 'TH0f0 %Mlht ^^^^^^^| Ausdruck. «Es
Auge empfängt hiemit ^^^^^^^| y . ^^^^^^^H uns sicheres
die Wohlthat der ge- ^^^^^■1 ^% ^^^^^^H Verhältniss als Schau-
einten Wahrnehmung ^^^^^^H ■■ ^^^^^^^^ä ende zur Natur. Die
der Höhe, Breite und ^^^^^^^^ ^^^^^^^^H allgemeinen Gesetze
Tiefe. Es wirkt, wie ^^^^^ ^^^^^B unseres Verhältnisses
Hildebrand im Bei- ^H "^^fe»,«^ ^^| zum sichtbaren Raum
spiel anführt, wie ein ^^| ^^M werden durch sie in
Körper, der zwischen ^H ^^1 der Kunst erst fest-
zwei Glasplatten sich ^H ^H gehalten, und durch
ausbreitet, so dass ^H ^H sie wird die Natur erst
man von ihm einen ^^| ^^| für unsere Gesichts-
vollständigen Bildein- ^H ^H Vorstellung geschaffen,
druck gewinnt. «Die ^H ^H So formt sich gleich-
sozusagen ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H sam Vorstell-
^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^■^^^^^^^1 das Gefäss,
gleichem Tiefen- S^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H^^H das der Künsder
masse, und jede Form A. //i/dedraad: Porträt gleichsam die Natur
DIE KUNST UNSERER ZEIT
191
schöpft und fasst.» —
Die Bedeutung der
Reliefauffassung für die
künstlerische Darstell-
ung überhaupt lässt sich
am besten mit Hilde-
brand's Worten im
Folgenden erläutern.
«Wenn wir in un-
serer Zeit so häufiof die
Beobachtung machen,
dass Vorstellungen von
Vorgängen anstatt in
Reliefdarstellung ihren
natürlichen Ausdruck
zu finden, barbarischer
Weise als Rundplastik
zur Darstellung kom-
men, so hängt das
zum Theil damit zu-
sammen, dass zu Re-
lief- Darstellungen fast
gar keine Gelegenheit
mehr gegeben ist.
Denken wir an die
vielen Denkmäler, an
Kirchenwände und an-
dere Bauten sich an-
A. Hildebfand: Trinkender Knabe
lehnend, an Tempel,
Triumphbögen etc., wie
sie frühere Zeiten zei-
gen, so ist diese Pla-
stik viel reicher als
die freistehende Rund-
plastik. Heutzutage ist
diese ganze Plastik
nahezu ausgestorben,
unter Plastik denkt sich
der moderne Mensch
nur noch runde Fi-
guren, die in der
Mitte eines Platzes
stehen. Diese unglück-
lichen Monumente sind
fast die einzige Bühne,
auf der der Bildhauer
seine Phantasie aus-
leben darf, und indem
er seine Idee nicht
opfern will , kommt
er zu einer künstler-
isch unmöglichen Form.
Dass dem so ist, ist
wohl dem Umstände
zuzuschreiben, dass die
künstlerische Form für
eine solche Aufgabe von Laien, den sogenannten Comite's, vorgeschrieben wird, anstatt dass gerade
in dieser Gestaltung die wichtigste Arbeit des Künstlers gesehen wird. Es ist das ein unglaublicher
Zustand. Was würde man sagen, wenn einem Dichter oder Musiker nur eine Form für die künst-
lerische Konzeption vorgeschrieben würde und man ihm nur erlaubte, in die vorgeschriebenen Scenen
sogenannte Motive einzufügen! — Welche unsägliche Armuth, welch' ewiges Einerlei zeigen desshalb
die heutigen Monumente! Wenn man die Anzahl von Standbildern, die in den letzten 20 Jahren
in Europa erstanden sind, nebeneinander stellen würde, — welche Masse von Plastik, die sich
abmüht, irgend etwas Neues zu geben, und sich in dem Bann der isolirten Rundplastik unglücklich
krümmt und windet, weil ihr jeder Anschluss an Architektur, an irgend eine Situation verboten ist.
Das, was aber der Kunst immer neues
26*
wie in Einzelhaft verbannt — die reine Sträflingsarbeit!
192
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Leben zuführt und sie immer freudig macht, ist die neue Situation. Die gegebene Natursituation
zu einer künstlerischen Gestalt weiter zu formen , führt immer zu Neuem innerhalb der künstler-
ischen Gesetze.»
In der klassizistischen Zeit sind da und dort schüchterne Versuche gemacht worden, die
Schönheit des Reliefstiles an Hausfagaden, in Darstellungen des betreffenden Handels oder Gewerbes
des Hausvaters, wieder zur Anwendung und Geltung zu bringen, allein die moderne Bauart der
Häuser, die fortwährende Unterbrechung der Fagaden durch Fenster hat wohl diesen hoffnungsvollen
Anfängen ein frühes Ende bereitet. Doch könnte, abgesehen von den Miethskasernen, in sonstigen
privaten Bauten und vor Allem den öffentlichen Staats- und Industriebauten eine Nutzanwendung
daraus gezogen werden, zu-
dem wohlfeiles, dauerhaftes und
schönes Steinmaterial nicht er-
mangelt.
Damit sind wir auf dem Ge-
biete der Architektur angelangt.
Architektur und Plastik sind zwei
Künste, die von Natur aus leicht
ineinander übergehen, indem sie
ähnlichen Prinzipien der Dar-
stellung unterworfen sind , sich
aufs Beste gegenseitig unter-
stützen und eine der anderen
Wirkung erhöht. Im Alterthum
war das Verhältniss zwischen
Architektur und Plastik ein
durchaus harmonisches. In allen
Kunstepochen bis an die Schwelle
des neunzehnten Jahrhunderts
hat die Tradition als vornehmstes Gesetz aufgestellt, die bildnerische Darstellung von der gegebenen
Situation, von der Raumgestaltung abhängig zu machen. Hiemit waren die Bedingungen gegeben,
auf denen eine bisher unerreichte monumentale Plastik, eine Raumkunst grossen Stils, sich ent-
wickeln konnte.
Hildebrand besitzt gleich den alten Meistern jenen architektonischen Sinn im hohen Masse,
und als ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist seine reifste Schöpfung nach dieser Seite hin, der
Witteisbacher Brunnen in München. Er ist der gegebenen Situation vorzüglich angepasst; durch
diese Gestaltung erhält der Platz erst eine eigendiche Ansicht, wir empfinden ihn als ein Gesehenes,
als Bildeindruck, durch seine Gestaltung wird in unserer Vorstellung erst die räumliche Beschaffenheit
des Platzes erweckt und wir vermögen uns darnach zu orientiren.
A. Hildebrand: Kain und Abel
DIE KUNST UNSERER ZEIT
193
Es ist ein Werk, hinter dem das Persönliche ganz in der Grösse des monumentalen Aus-
druckes aufgeht und so durch die Gestaltung doch machtvoll zum Bewusstsein dringt. Die bildnerische
Ausführung erscheint dem architektonischen Prinzip der Raumgestaltung untergeordnet, die Glieder-
ungen und Einschnitte sind darnach bedacht, das Terrain erscheint so modellirt. Und doch tritt uns
im Einzelnen eine Fülle von Pormen, ein Reichthum an dekorativem omamentalem Beiwerk entgegen,
die wirksam an der Hauptvorstellung mitarbeiten. So mannigfach und köstlich ist der Schmuck der
Wandung des oberen Bassins, die dasselbe mit dem unteren verbindet und mit allerhand schwim-
mendem , kriechendem Gethier belebt wird ; von unsagbarem Reize und Stimmungsgehalt sind die
herrlichen Masken am Schaft der
grossen Brunnenschale, sie er-
innern an Böcklinische Phantasie-
schöpfungen; eine Fülle von Ener-
gie und Kraft drängt sich in der
Gruppe des Felsblock schleudern-
den Reiters auf wildem Rosse, an
antike Formenfülle und ruhige
plastische Schönheit gemahnt die
Gruppe des Stieres mit der Jung-
frau. Vielfach wird diese künst-
lerische Schöpfung in ihrer räum-
lichen Anlage und Zusammenge-
hörigkeit, die doch so deutlich
ausgedrückt ist, missverstanden.
Besonders die Massigkeit der
beiden Gruppen, welche das Ganze
mit Nachdruck abschliessen, geben
zu allerlei Urtheil und verdrehten
Meinungen Anlass. Da man sich
den eanzen Orgranismus des Auf-
baues nicht klar werden lässt, so
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A. llildebrand: Weibliche Figur
gelangt man auch nicht zum Ver-
ständniss seiner einzelnen Glieder.
Allerdings ist bei den »Vielzu-
vielen» ästhetisches Gefühl und
Denken nur mangelhaft entwickelt,
und schlechte \ orbilder sorgen be-
ständig dafür , dass dieses nach
der falschen Seite hin verbildet
wird; so kam der Schöpfer des
Brunnens , indem er sein Werk
von künstlerischen Gesichtspunkten
aus gestaltete, in die seltsame
Lage, sich in einer Weise auszu-
drücken, die für die Vorstellung
der Meisten ungewöhnlich ist. Und
doch kommt Hildebrand's Kunst
dem natürlichen Bedürfniss des
Menschen nach dem Schönen in
der einfachsten Weise entgegen;
gleich den alten , ewig jungen
Werken der Griechen sucht er
das Allgemeine, das Immergiltige
in jeder Erscheinung festzuhalten und ihm plastischen Ausdruck zu verleihen.
In Hildebrand erstand uns ein Künsder, dessen Schaffen von festem Willen zu bestimmten
Zielen geleitet wird, der das bildnerische Gestalten dem Chaos der Empfindungen gegenüber als ein
gesetzmässiges auffasst, als eine Form, in welche die Naturerscheinungen gefasst und für unser Auge
und Vorstellung- erst oreniessbar gemacht werden. Sein «Problem der Form« ist in diesem Sinne
eine reformatorische That, und wenn er darin Disziplinen aufstellt, die er als Grundelemente der
künstlerischen Darstellung erkennt, so geschieht das mit klarer Einsicht in das Wesen seiner Kunst
und auf der Grundlage der Tradition, die die künstlerischen Erfahrungen von Jahrtausenden in ihren
194
DIE KUNST UNSERER ZEIT
E. Kurz: Relief zum Geiger-Schauenburg-Denkmal in Lahr
Resultaten zusammenfasst. Von einer Beschränkung des subjektiven Vermögens innerhalb der künst-
lerischen Gestaltung kann darum keine Rede sein; sein Vorwurf richtet sich gegen die Willkür der
Gestaltung persönlicher Empfindungen, die im Ausdruck der künstlerischen Fassung entbehren.
Darum dringt er darauf, die Darstellung nicht allein von dem gegenständlichen Inhalt des Objektes
abhängig zu machen, sondern diese vor Allem als eine räumliche Erscheinung in bestimmten Formen
zum Ausdruck zu bringen. Aehnlich wie man in der Malerei angefangen hat, eine Sache rein um
des malerischen Ausdruckes willen darzustellen, so ist auch die Plastik um der rein plastischen
Erscheinung willen zu betreiben. Die Wege und Ziele zu dieser Kunst hat er durch das Wort und
die vorbildliche That gewiesen.
Einer, der wohl am Engsten in seiner Art und Weise sich an die künstlerischen Prinzipien
Hildebrand's angeschlossen hat, ist Erwin Kurz, ein stillschaffender thätiger Künstler, der in vor-
nehmer Zurückhaltung sich wenig um die jeweiligen künstlerischen Strömungen des Tages zu kümmern
scheint. Die Porträtreliefs, die er von bedeutenden Männern geschaffen hat, haben aber den Beifall
der Kenner in hohem Masse erworben. Auch dieser Künstler bildete sich zumeist in Italien, dort
lernte er Hildebrand kennen, an dessen künstlerischer Thätigkeit er theilnahm und dessen Anschau-
ungen er sich anschloss; gleich diesem empfing er von der Antike und der italienischen Renaissance
starke Anregungen, gleich diesem unterwirft er sein persönliches Empfinden der Gesetzmässigkeit
einer strengen künstlerischen Gestaltung und bewegt sich darin oft mit grosser Anmuth, wie ein
reizender Fries mit Kindern zeig-t.
Vorzugsweise liegt aber die Stärke seiner künstlerischen Begabung auf dem Gebiete des
Porträtreliefs; in ihrer Sachlichkeit und Treue in der grossen Formenwiedergabe mischen sich
klassische Elemente mit solchen, die ihre Herkunft in Holbein' scher Naturanschauung finden könnten.
Die plastische Strenge dieser Reliefs und ihr monumentaler Charakter eignen sie besonders für Grab-
male, und als eines der gelungensten, die der Künsüer ausführte, mag jenes auf einem Münchener
DIE KUNST UNSERER ZEIT
195
Friedhofe gelten, das in der Form einer Stele vom attischen Friedhofe in Athen dem berühmten
Archäologen Brunn errichtet wurde. Einen überaus vornehmen, von feinster Empfindung getragenen
Eindruck hat der Künstler in dem herrlichen Relief der K. v. S. erreicht. Die Bildnisse des Dichters
Paul Heyse, des Gelehrten Helmholtz, des Musikdirektors Levi, sie alle finden ihre Bedeutung in der
Klarheit des plastischen Ausdruckes, in dem schlichten Eingehen auf die Charakteristik der Dar-
gestellten, die in massvoller Weise objektiv begrenzt wird und sich darum in Verbindung mit der
Architektur für öffentliche Denkmale so vorzüglich eignet. Wir möchten sie zusammen mit Hilde-
brand's Kunst als klassisch bezeichnen. Was sie jedoch von den klassizistischen Porträts bedeutend
unterscheidet , ist die Grösse der Naturanschauung und der lebendige Sinn , der darin anspricht.
Des Künstlers abgeklärte Anschauungen und reife Begabung zeigt sich auch in der Darstellung
eines Werkes zu einem Grabmale für Geiger-Schauenburg in Lahr. Seine Meisterschaft in der Führung
des Meisseis, seine Erfahrung und Kenntnisse in der Behandlung des Marmors machen ihn zum
geschätzten Theilnehmer an Hildebrand's grösseren Arbeiten. Gegenwärtig kann der Künstler
dieses bei uns immer noch sehr seltene Können im Dienste eines öffentlichen Auftrages zur besten
Anwendung bringen.
Am Stambergersee wurde dem Andenken des grossen deutschen Kanzlers Bismarck ein
Thurm errichtet, und die, die dieses Mal errichteten und es mit prächtigem Bildwerk ausschmückten,
stehen mit ihrer künstlerischen Gesinnung im Bereiche von Hildebrand's Kunstanschauungen.
Besonders Flossmann der Bildhauer hat in der Ausschmückung des Thurmes mit Reliefen diese im
Sinne Hildebrand's gestaltet. Wir bemerken, wie diese vorbildliche Thätigkeit von einem sehr
begabten Künstler erfasst und in seiner eigenen Art und Weise fortgebildet wurde, so wie es
Verhältnisse und Umstände erheischten. In solcher Weise konzentrirt sich in diesen Reliefen, die
ihrem Inhalte nach alle in sinnige Beziehungen zu dem
Wahrzeichen treten, eine Fülle des Lebens, die in unge-
bundener Weise als Gruppen oder Rundplastik gar nie
so anschaulich hätte zur Wirkung und klarer Vorstellung
gelangen können. Reichlich sprudelt wie aus langver-
haltener Quelle eine Fülle von Gestalten und künstler-
ischen Formen, die, wenn auch oft archaistisch gröblich
die feinere Durchbildung und Ausführung vermissen lassen,
doch im Prinzip als ein wertvoller Beitrag zu der im Auf-
schwung begriffenen modernen Bildhauerei aufzufassen sind.
Ein Zweig echter deutscher plastischer Kunst setzt hier
frische Knospen an. Die ornamentale Bildnerei, das werk-
thätige Leben des freien Herausmeisselns, wie es die
Situation gerade bietet, das ist seit dem Mittelalter in
tiefem Schlaf gelegen, bis in der rührigen Gegenwart jetzt
da und dort klingende Hammerschläge es wieder in's ^- ^«rz: BUdniss
196 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Leben rufen, um das Ehrenmal eines grossen Mannes schmücken zu helfen. Schon in der ersten
Gruppe des jungen Bildhauers, die sich im Besitze des bayerischen Staates in der Glyptothek, zu
München befindet, zeigt dieses gestaltungskräftige Talent Neigung zu strengem, plastischem Stil,
nicht in der Behandlung der Formen, die weich und flüssig ist, sondern in der Art der Komposition,
wie sie Hildebrand liebt, auf möglichste Ausnützung des Steinraumes, zu dringen. Der Erfolg, den
diese Erstlingsarbeit einbrachte, gab dem Künstler Veranlassung, nach dieser Seite hin seinen
plastischen Sinn weiter auszubilden.
Er unternahm mehrere Reisen nach Italien und erwarb sich dort in dem eingehenden Studium
der Antiken und Renaissance -Werke neue Kenntnisse vom Wesen der plastischen Form; diese
Studien ergaben auch für ihn die Veranlassung, sich weiter in Hildebrand 's Probleme zu vertiefen
und dessen künstlerische Anschauungen immer mehr seiner Individualität angemessen und zu eigen zu
machen. Mit Zielbewusstsein strebt er nach immer grösserer Klarheit der P^orm , wofür besonders
seine Porträtbüsten Zeugniss ablegen. Ganz besonders versteht er es, darin dem kindlichen Wesen
beredten Ausdruck abzugewinnen. Der Einfluss der frühen Meister der Renaissance , besonders
Donatello's, ist in seinen Arbeiten nach den italienischen Reisen unverkennbar. Wie sehr plastisch
er empfindet und gestaltet, zeigt sich am Besten in der Büste Beethovens in der Nische, zugleich
erweckt dieses Bild durch die Art der künstlerischen Gestaltung Stimmung und Empfindung im
Beschauer. Aus einem Blocke herausgemeisselt, vertieft sich der Stein zu beiden Seiten des
mächtigen Hauptes zu einer Nische. In einer Fläche ist das Bild festgehalten, die ganze Anordnung
zwingt so den Beschauer, seinen Standpunkt vorne dem Gesicht gegenüber einzunehmen, unserer
Vorstellung bemächtiget sich so der ero-reifende Eindruck dieses im Tode mit erhabener Ruhe
wirkenden Antlitzes. Denn ohne jegliches Dazuthun, als die ornamental bewegten Haare, hat der
Künstler dieses Werk frei nach der bekannten Todtenmaske gestaltet und durch die künstlerische
Gestaltung so tiefe Wirkungen erreicht.
Die Bildhauer können jetzt zu ihrem Erstaunen oft die Wahrnehmung machen, dass die
plastischen Werke, die aus den Händen der Maler hervorgehen, gerade um ihrer plastischen Eigen-
schaften willen den schätzenswerthesten Erzeugnissen ihrer Kunst an die Seite zu stellen sind. Worin
liegt dieses begründet? Offenbar in dem grösseren Können der Maler, in der durch die -Zeichnung
erworbenen Formenkenntniss! Während der Maler in jahrelangem Studium sein Verständniss der
Formen beständig durch Zeichnen bereichert, gewährt der Studiengang, den der Bildhauer meist
nimmt, selten in so reichem Masse jene Anregungen, die ihn in einem beständigen unmittelbaren
Verhältniss zur Natur erhalten. .' '
Das Erstaunen wächst, wenn wir die Maler nicht nur Reliefe, die ja der Art und Weise seiner
künstlerischen Auffassung am nächsten liegen, formen sehen, sondern auch Rundplastik mit grösstem
Verständiss der Form von ihnen durchgeführt werden.
Letztere, echt bildnerische Eigenschaften besitzt in hohem Grade Franz Stuck, der Maler.
Klinger werden wir unter einem anderen Gesichtspunkte, gleichfalls später in der Reihe modemer
Bildhauer auf eine eigene Art thätig sehen. Wer von Stuck je eine Zeichnung gesehen hat, weiss,
DIE KUNST UNSERER ZEIT
197
wie er mit grossem Verständ-
niss die Form beherrscht, wie
er diese im Raum geschickt
entfaltet und welche Fülle ro-
busten Lebens sich darin konzen-
trirt. Diese bildnerische Kraft
in ihm hat jedenfalls durch das
Studium der Antike, vielleicht
nicht zum wenigsten durch pom-
pejanische Kleinplastik, starke
Anregungen erhalten und bei
seinem lebendigen Trieb der
Nachahmung in seiner für alles
Kräftige, Bewegte leicht erreg-
baren Phantasie ähnliche Bilder
und Vorstellungen wachgerufen.
Diese lebendige Empfind-
ung für alles Bewegte , das
E, Kurz: Porträt
sich in einer kräftigen Formen-
sprache ausspricht , verbindet
sich mit einem sicheren deko-
rativem Raum- und Stilgefühl
am schönsten in der Kompo-
sition der Amazone. Ross und
Reiterin sind gleichsam ver-
wachsen in der wilden Lust
der Bewegung, die ihr Lebens-
element zu sein scheint. Die
bildnerische Energie spielt so-
zusagen darin ein graziöses
Spiel, in dem wir aber alle
Aeusserungen eines ungewöhn-
lichen Talents vollauf zu be-
wundern Gelegenheit haben.
In dem sicher gelösten Pr.oblem
des mit grossem Geschick aus-
geführten horizontalen Aufbaues von Sockel und Gruppe, in der Behandlung als Broncebild, der
strengen und doch rhythmisch bewegten Komposition darf man Anregungen von Hildebrand's Kunst
vermuthen. Als ein Werk von äusserlich ähnlicher Komposition, aber nicht in solcher Eleganz des
Aufbaues und weniger flüssig
in dem Rhythmus der Linien
ist «Der verwundete Centaur«,
welcher auch trotz des gegen-
ständlichen, packenden Inhaltes
nicht die gleiche Anregung auf
unsere Vorstellung auszuüben
vermag. UmsomehrhatStuck's
plastische Erstlingsarbeit , mit
der er an die Oeffentlichkeit
trat, «Der Athlet», allgemeinen
Beifall bei Kennern und Kunst-
freudigen hervorgerufen. In der
Darstellung gewaltiger Kraft-
y, F'lossninnn: Büste
entfaltung liegt immer etwas
Bestrickendes, die Stärke re-
spektirt man, und das Kunst-
werk, das für unsere Vorstell-
ung einen solchen Vorgang
wirksam verkörpert, wird da-
rum anziehend; die Kunstleist-
untr wirkt auf naive Gemüther
als ein ähnliches Meisterstück.
Stuck der Maler vollbringt es,
und bei seinem P'ormengefühl
und Können wird er uns und
die Plastiker noch öfter durch
seine Arbeiten überraschen.
Ehe Hildebrand mit seinen Bestrebungen auftrat und unsere Plastik wieder auf den Weg
der Tradition führte, war diese Kunst unter den Händen der Nachahmer Rauch, Rietschel und
Hähnel im Absterben. Eine unendliche Oede und Langeweile geht von den Werken dieser Periode
n 27
198
DIE KUNST UNSERER ZEIT
y. Flossmann : Relief vom Bismarck-Thurm am Starnbergersee
des Anschlusses an die Antike beigefügt , da er
eigentlich das Ziel, das den Bildhauern damals
dunkel vorschwebte, erst klar erfasst und fest-
gestellt hat. Es erscheint uns sein Streben als
ein Ende, indem er als der letzte grosse Epigone
der nachklassischen Zeit die Plastik wieder mit der
Antike verknüpft, und als ein Anfang, da er uns
wieder zur Tradition zurückführte, die nun ihre frucht-
baren Wirkuno en fort und fort zu äussern beeinnt.
Während die deutschen Bildhauer in den
Jahren 1860 — 70 von den romantischen Höhen
aus, in der sich die Bildhauer abquälten, in
abgelebten Formen etwas Neues zu sasjen.
Ursprünglich hatten auch diese Nachahmer nur
die antike Form finden wollen, und erst später
verloren sie sich darin, diese zum Ausdruck
inhaltlicher Vorstellungen zu machen , ein
Streben, das auch wieder in unserer Zeit im
Neu-Idealismus sich bemerkbar macht.
Wir haben Hildebrand und seine Richt-
ung, ungeachtet der Entwicklungen, die die
Plastik dazwischen durchmachte, jener Periode
■_.•-* '~^' .' , ■ ., - -.:
■ . • •'»-.""'
'/* ■* '^ W^^ *
£^^&\ .. .
WSI'W".**!^ ;U.
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'"^smis^'^'^
y. Plossmann :
Relief vom Bismarck-TIiurin am Starnbergersee
y. Flossmann: Eine Mutter
F. Stuck: Verwundeter Centaur
|j. V. Scbwiinthulcr sanii'
Brunnenfigur
(0
cc
C
<
DIE KUNST UNSERER ZEIT
201
herunter den grossen Sprung mitten hinein in's
naturalistische Fahrwasser machten, durchlief die
französische Plastik in natürlicher Folge nach der
Nachahmung der Antike die Nachahmung der
Renaissance. Bald machte sich dort ein leichtes
Aufblühen der Plastik bemerkbar.
Nach der grossen Erkältung, die sich die
deutsche Plastik bei der missverstandenen An-
näherung an den antiken Pol geholt hatte, wen-
dete man sich wieder mehr den Erscheinungen
des Lebens zu. An der Hand der Schwester
Malerei wurde die sieche Plastik zum Urquell
des Lebendigschönen, zur Natur zurückgeführt.
Mit der Liebe und dem Enthusiasmus poetischer
Pantheisten verehrten und umschwärmten die
F. Stuck: Der Athlet
Maler die Natur als Führerin und Leiterin, und folgten
ihr auch die Begabteren unter den Bildhauern, Wag-
müUer in München, Tilgner in Wien und Begas
in Berlin. Diese sahen die Natur mit den Augen
der Maler an, die lebendige Erscheinung, die strenge
Form von Licht und Luft umflossen. Daher bildeten
sie eine Form der Darstellung aus, die sozusagen
eine malerische Wirkungsform ist. Sie achteten wenig
/•■. Stuck: Der Athlet
202
DIE KUNST UNSERER ZEIT
darauf, dass die Form als solche sozusagen räumliche Funktionen erfülle und dadurch für unsere
Vorstellung vom Räume nahrhafte Anregungen biete. In ihrem Bestreben nach freierer lockerer
Durchbildung der Form , nach malerischen Wirkungen hin wurden sie unterstützt in der retro-
spektiven Richtung, die die Zeit nahm, in der bereits die Werke der Spätrenaissance, des Barock
anfingen, die Künstler anzuregen. Die
Früchte dieser Entwicklung können wir
noch überall in dem plastischen dekorativen
Schmuck an den Hausfagaden aus jener
Zeit erkennen, die meist aus schlechtem
billigen Material hergestellt sind.
Es ist dieser Schmuck eine Art Schau-
gericht für den gewöhnlichen Geschmack,
und unkünstlerische Spekulanten, die Stucka-
teure, offerirten ihn der künsderischen Kultur
— aus der Volksküche. Für unsere Phan-
tasie haben diese Gerichte keine Nährwerthe,
und man beginnt jetzt wieder im Sinne der
Alten statt dieser klotzigen Dekorationen
die Flächen in schönem glatten Verputz aus-
zuführen und höchstens mit einem tapeten-
artigen Muster, mit Flachornamenten zu
schmücken.
In dieser naturalistischen Richtung lagen
von Anfang an die Keime zu extremen
künstlerischen Anschauungen und Bestreb-
ungen, die die normalen Wirkungen der
Form im Ausdrucke zu überbieten und
steigern suchten. Diese Bestrebungen
mussten nicht nur eine von der Tradition
immer weiter abweichende Richtung er-
geben, sondern auch sich in einem künst-
lerischen Positivismus und in einer idea-
listisch symbolischen Weise äussern. Bevor
wir jedoch auf alle diese Richtungen eingehen und sie verfolgen, müssen wir noch in Betracht
ziehen, wie sich die Plastik in München äusserte.
Man spricht im Allgemeinen von einer Münchener Schule auch in der Plastik, obwohl das
Wort Schule nur für die Malerei zutreffend ist, denn die Bildhauer dortselbst unterscheiden sich in
ihren Werken keineswegs von den übrigen der klassizistischen und romantischen Periode in
L. V. Sch-ivanthaler: Melusine
DIE KUNST UNSERER ZEIT
203
Deutschland. Der bedeutendste ist hier Ludwig Schwanthaler, 1802 — 1848, der in seinem ganzen
Streben durchaus Romantiker war und dem Mittelalter zuneigte. Seine künstlerische Schwungkraft
erlahmte, je mehr er sich dem klassischen Ideal, der Antike, nähern und nach dieser Richtung
Reliefe schon in der
Komposition häufig
schwülstig und un-
ruhig, so wirken
sie ausgeführt durch
nur mangelhaft ge-
schulte Arbeiter, die
die Intentionen des
Künstlers oft miss-
verstanden, noch viel
roher. Sie zeigen
uns zugleich, dass
den Bildhauern jener
Zeit die Bedeutung
der Antike als einer
hin empfinden sollte.
König Ludwig I.
Hess seine Bauten
mit reichem plasti-
schen Schmuck ver-
sehen und über-
trug Schwanthaler
diese Arbeiten, die
bei der Ueberhast-
ung und Müchtig-
keit der Ausführung
arge Mängel in der
Formengebung auf-
weisen. Erscheinen
solche Gruppen und
L. V. Sclfwanthaler : Drei (irazien
raumgestaltenden Kunst, die monumentale Wirkungen ausübt, noch nicht zum Bewusstsein gekommen
war, oder dass sie diese in ihren einfachen Grundprinzipien nicht erkannt und auch der Form nicht
mächtig gewesen sind. In einer Jugendarbeit Schwanthalers, dem Herkulesschild, den er nach
einer Beschreibung Hesiods bil-
dete, kommt sein schöpferisches
Talent noch klar und ungetrübt
zum Ausdruck: wir können hier
den Reichthum und die Gestalt-
unofskraft seiner Phantasie auf-
richtig bewundern und uns an
der Schönheit der Ausführung,
an der Liebe und Sorgfalt, mit
der alle Gegenstände, Menschen,
Thiere und Landschaft abge-
bildet sind, ergötzen und er-
freuen. Ganz aus dem Eigenen
schöpfte er, wenn er einen
Humpen formte und mit irgend
einem Gebilde aus einer alten
Mär und Sage schmückte. In
L. V. Schvjanthaler : Grabrelief
einem Tafelaufsatz, den er für
König Maximilian II. von Bayern
anfertigte, hat er die Nibelungen-
sage zum Gegenstand seiner
Darstellung gemacht, und wir
sehen darauf alle Helden des
Liedes und manche Episode
daraus plastisch verdichtet und
gestaltet. In solchen Dingen
schuf er Bilder in einer köst-
lichen altdeutschen Art. Und
mit diesen Arbeiten hat er sicher
auf das einheimische Kunst-
gewerbe einen wohlthätigen Ein-
fluss ausgeübt und manchem
Meister darin starke Anregung
gegeben. Bei seiner Vorliebe
204
DIE KUNST UNSERER ZEIT
L. V. Sch-vanthaler' s Entwurf:
Velasquez
für das Mittelalter und seinem Sammeleifer für mittelalterliche Gegen-
stände hat er jedenfalls auch der antiquarischen Richtung und Neigung
für das Altdeutsche in München, die sich in der Ausstattung vieler
Bierstuben dort spiegelt, Vorschub geleistet.
In dem Münchener Schwanthaler-Museum befindet sich eine
Figur, die der Katalog als «Elisabeth, die stolze und hochherzige
Königin von Böhmen, Gemahlin Johanns von Luxemburg, Mutter
Karls IV.» bezeichnet. Die Statue wurde in Erz für die böhmische
Ruhmeshalle ausgeführt. Die Figur stellt eine liebreizende Frauen-
erscheinung dar und ist darin etwas von dem feinen poetischen Em-
pfinden der Romantik verkörpert. Ob die Anregung oder der Entwurf
hiezu von Schwanthal er herrührt, ist uns nicht bekannt, ausge-
führt wurde sie von einem Schüler desselben, von Hautmann,
der in Florenz lebte und starb. Es sollen gerade die besten Figuren,
die sich in diesem Museum befinden, meist von talentvollen Schülern,
wie Brugger und Widnmann, ausgeführt sein. Schwanthal er
selbst lernen wir am besten in seinen Skizzen kennen, die alle Merk-
male seiner reichen Phantasie und seines schöpferischen bildsamen
Empfindens wiederspiegeln, während viele der ausgeführten grossen Arbeiten Phase um Phase diese
Merkmale abstreiften und zu leeren schematischen Gestalten
sich verflüchtigten.
Max Widnmann, 1812 — 1895, wird auch als ein Schüler
Schwanthaler's bezeichnet, was wohl nur für die erste Periode
seiner Entwicklung zutreffend ist, da er sich später in Rom weiter-
bildete. Er zeigt uns in vielen seiner Gruppen meist mytho-
logischen Inhalts mehr Formvollendung, aber auch falsches
Pathos und gedrechselte Posen. So macht sich in der Gruppe
«Herakles reicht Psyche den Trank der Unsterblichkeit dar» die
Vermischung von Formelementen der Antike und solchen, die
aus der Anschauung der Natur gezogen sind , in unangenehmer
Weise geltend. Es scheint damals bei allen, die antiker Form
sich näherten, das Streben vorgeherrscht zu haben, durch reich-
liche aufgequollene Muskulatur bei den Männern und durch die
E'ülle entsprechender Weichtheile bei den Frauen angenehme
Empfindungen anzuregen und dabei den Formensinn zu nähren
und zu stärken. Es ist dieses Streben ein durchaus künstlerisches,
nur sollten die Eormen feinfühliger durchgebildet und mit tieferer
Empfindung durchdrungen sein. Doch ragen auch aus dieser Johann wiiheim i.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
205
Zeit einige Gestalten herüber, die von plastischem
Empfinden eingegeben wurden und die jenen ge-
wissen steinernen Charakter aufweisen, als wären
die Züge des Lebens unter dem Anhauch des
bildnerischen Geistes erstarrt und hätten feste
Form angenommen. Wir erinnern dabei an die
vier sitzenden Figuren auf der Freitreppe zur
Staatsbibliothek.
Von einer ehrlichen und tiefen Begeisterung
für das klassische Ideal scheint Friedrich
Brugger, 1815 — 1870, erfüllt gewesen zusein.
K. Hautmann:
Königin Elisabeth von Möhmeii
M. X'. W'idnmanii : Steiiiw ofrcntlcr Krieger
Man möchte ihn wegen seiner Vorliebe für Motive
sozu.sagen aus einer zeitlosen idealen Welt und
seiner tüchtigen verständnissvollen Beherrschung
des nackten Körpers den Genelli unter den da-
maligen Bildhauern nennen.
Seine grosse Gruppe «Dädalos unterweist
Ikaros im Fliegen» fesselt auch neben der for-
malen Durchbildung durch den Ausdruck inniger
Empfindung.
Als ein echt plastisch gedachtes, anschauliches
Bild erscheint die Gruppe «Cheiron lehrt Achill
das Saitenspiel».
n 28
206
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Johann Halbig, 1814 — 1882, genoss einst bei seinen Zeitgenossen einigen Ruhm als Thier-
bildhauer, aber die nachkommende Generation hat ihn schon wieder unbarmherzig zerpflückt. Sein
bekanntestes Werk
ist die Siegesgöttin
mit dem Löwenge-
spann auf dem soge-
nannten Siegesthor
in München. Seine
Löwen, um derent-
willen er berühmt
war, erscheinen uns
heutzutage als sehr
zahme hausbackene
Pudel. Nur einem
ungeschulten Auge
kann der Mangel an
Studium des thier-
ischen Charakters,
die Flüchtigkeit der
Beobachtung, sowie
M. Wtdnmann: Grabrelief
das mangelhafte V^er-
ständniss für den
thierischen Organis-
mus, das in einer
rohen Formengeb-
ung sich zeigt, ganz
verborgen bleiben.
Die Werke der
Münchener Plastiker
leiden zumeist unter
derselben Schwäche,
dem Mangel an bild-
nerischer Energie,
feinem Formenge-
fühl und Gewissen-
haftigkeit der Aus-
führung.
Konrad Knoll,
1829 — 1899, erfreut uns in seinem Fischbrunnen auf dem Marienplatze zu München durch eine
volksthümliche Schöpfung, wie sie im Mittelalter häufig war, er hat, mit verwandtem Empfinden aus-
gestattet, das Problem frei und
selbständig- zu lösen versucht.
Auch in der Durchbildung zeigt
sich eine individuelle Formen-
sprache , und ist bei der Behand-
lung jeglichen Details auf die Aus-
führung in Bronze Rücksicht ge-
nommen.
Trotz der Fülle von Anreg-
ungen, die das lebhafte Kunst-
schaffen in München zur Zeit
Ludwig L bot, erwiesen sich die
Verhältnisse für einen bedeutenden
Künstler, der nach freier Ausge-
staltung seiner Kräfte strebte, als
F. Bruffger: Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel Ungünstig; eS ist bekannt, dasS
DIE KUNST UNSERER ZEIT
207
Rauch, der eine klare Einsicht in das dortige Treiben hatte, das Anerbieten König Ludwigs I.,
nach München überzusiedeln, ausschlug. Erst nach dieser Periode entwuchs diesem Boden ein Talent,
das die Entwicklung der Plastik weiter förderte und in neue Bahnen leitete.
Michael Wagmüller, 1829 — 81, ein Schüler Widnmanns, leitete die naturalistische
Bewegung ein. Widnmann soll ihm in seiner Eigenschaft als Professor der Akademie der
bildenden Künste die Befähigung zum Bildhauer abgesprochen haben, ein Eall, der uns bei der
Betrachtung des Lebenslaufes einzelner bedeutender Künstler, die die Tradition durchbrachen und
das Alte stürzen halfen, öfter entgegentritt.
Wagmüller hat übrigens während .seiner
akademischen Studienjahre die Antike eifrig
studirt, was auch aus der Betrachtung seiner
späteren Werke herauszulesen ist; doch
stand er mit seinem eigenthümlichen Natur-
empfinden mehr auf der Seite der naturali-
stischen Richtung, wie sie den Malern bereits
geläufig war. Makart, Lenbach, Seitz und
Anderen stand er nahe, sie waren jeden-
falls in ihrer Art nicht ohne Einfluss auf
seine künstlerischen Anschauungen. Wag-
müller soll auch mehrere Jahre für Kunst-
händler Genrebildchen gemalt und kurz vor
seinem Tode sich noch mit dem Gedanken,
ein grosses Bild zu malen, beschäftigt haben.
Das hier beieeeebene Bildniss ist ein Selbst-
porträt und zeigt ihn in seinen thatkräftigsten
Jahren. Es zeigt auch die Art wie er malte
und weist denselben lebensvollen Zug in der
Darstellung auf, der seine plastischen Bild-
nisse so schätzbar macht. Diese hat er
durch seine Auffassung- so wirksam umge-
M. Wagmiiller : Harmherzigkoit
Staltet, dass gleich seine ersten Arbeiten berechtigtes Aufsehen erregten. An Stelle der bisher
üblichen ausdruckslosen P^ormengebung trat nun ein plastisches Bild, das durch eine malerische
Auffassung anziehend erschien. Die weiche flotte Behandlung, wie sie der Thon beim Modelliren
zulässt, begünstigte diesen Ausdruck, allerdings oft auch auf Kosten der Form. Da der Künstler
von der malerischen Anschauung ausging, gab er mehr eine blosse Wirkungsform, die er durch
lebhafte Geberden und Gesten noch zu steigern suchte , wenn auch diese Art der Darstellung mit
der Natur des Objektes nicht immer übereinstimmte. Ebenso wurde durch dieses Hinarbeiten auf
einen Effekt die Form zu sehr zerpflückt und aufgelöst, eine Wahrnehmung, die wir sehr leicht
28*
208
DIE KUNST UNSERER ZEIT
M. Wagmi'iller: Sclbstporträt
machen können, wenn solche Büsten im Freien aufgestellt sind, wo sie dem allgemeinen Räume
gegenüber als Raumgebilde nicht zur Geltung gelangen. \\\ Innenräumen erweisen sie sich immer
sehr wirkungsvoll, und wir gerathen hier leicht in den Bann
dieser subjektiven künstlerischen Schöpfungen.
Wagmüller hat zu jeder Zeit seines Schaffens, da
er mit Leichtigkeit und grosser Geschicklichkeit zu arbeiten
vermochte, viele dekorative Figuren geschaffen, die alle
den Stempel seines eigenthümlichen Empfindens tragen und
eine ungemein kecke frische Art besonders in der stofflichen
Behandlung von Gewändern und Haaren zeigen. Er muss
bei dieser Gelegenheit früh die Werke der Zopf- und der
Barockbildhauer wahrgenommen und studirt haben, wie er
solche auch hier von dem kurfürstlichen Hofstatuarius Johann
Anton Boos unter den Augen hatte. Für des.sjsn Porträt-
Büste, die sein Grabmal auf dem alten südlichen Friedhof
in München schmückt, legte er eine grosse Verehrung an
den Tag. Gleich den Bildhauern dieses Stils hatte er auch
eine besondere Vorliebe und Empfindung für die runden
vollen Kindergestalten, eine Neigung, die in vielen bekannten Genre -Gruppen Au.sdruck gefunden
hat. Bei all' seiner reichen vielseitigen Thätigkeit reifte in der Stille ein Werk heran, eine Gruppe,
die als Grabmal gedacht war. Es ist anzunehmen, dass er diese
Arbeit frei für sich begonnen hat, um seiner Stimmung und
Empfindung vollen Ausdruck zu geben und im vertrauten liebe-
vollen Umgang mit der ■ Natur seine Kräfte zu mehren und zu
stärken. Die Gruppe stellt eine sitzende mächtige Frauengestalt
dar auf einem an den Ecken von beflügelten Sphinxgestalten
getragenen Sarkophag, der rechte Arm hält eine aufgestützte
Schrifttafel und die Linke legt einen Palmenzweig auf die Deck-
platte nieder. Wie eingenistet im faltigen Gewände unter dem
Arm, der die Schrifttafel hält, zeigt sich ein liebliches Kind in
der Fülle der ersten Jugend, sorglos ruhend wie an der Brust
der Mutter und spielend eine Rose entblätternd. Von tiefer
Empfindung ist die weibliche Gestalt beseelt und mit feinem
Gefühl für den Rhythmus der P'ormen dargestellt, Die Strenge
der Form hat hingebende Anmuth bezwungen: — es liegt
etwas Weiches, sozusagen Melodisches, l'ühliges in allen Frauengestalten Wagmüller's, ganz
besonders aber in dieser. Wagmüller hat, als er dieses Werk schuf, schon seine Reisen nach
England unternommen, und es ist anzunehmen, dass er die herrlichen weiblichen lagernden Figuren
R. Begas: Merkur und Psyche
R. Uegai« Moulp.
i'tioi. K. tlktifviactigi, MiiDOhcD
Venus und Amor
Das Grabmal des Künstlers
DIE KUNST UNSERER ZEIT
209
vom Parthenonfries eingehend studirt hat. Denn dieses Werk setzt eine genaue Bekanntschaft mit
jenen Werken voraus, seine Figur erinnert in der Art der Behandlung der Gewänder, in der grossen
einfachen Formengebung, die auf alle naturalistischen Effekte verzichtet, direkt daran. In seinem
sonstigen Bestreben, den weichen Schmelz der Haut nachzubilden, zu dem den Kün.stler sein
malerisches sinnliches Empfinden hinleitete und auch der weiche geschmeidige Modellirthon bei der
Darstellung weicher Formen verführt, in diesem Streben kommt bereits ein Element in Wagmüller's
Kunst zum Vorschein, das später in den Werken des Franzosen Rodin so charakteristisch hervor-
tritt. Am schärfsten zeigt sich unseres Künstlers Eigenart am Liebigdenkmal in München, es gibt
ein getreues Bild seines Strebens und zeigt bei
allen glänzenden Vorzügen auch die Mängel, die
der ganzen Richtung anhaften.
Wagmüller war eine starke und lebhaft
empfindende Künstlernatur, und in seinem jähen
Drange, die Plastik nach seiner Art umzubilden
und sich oreg-en Alles rückhaltslos zu äussern,
was seinem Empfinden entgegenstrebte, durch
dieses Streben mag sein Auftreten und Durch-
brechen für ihn mit vielen Wehen verbunden
gewesen sein. Die alte Thatsache vom Vorwärts-
drängen der lebendigen Kraft und dem zähen
Beharren der trägen Masse tritt uns öfter bei
Betrachtung des Lebenslaufes eines genialen
Mannes entgegen. Wird diese Masse aus ihrem
Sumpfe aufgerüttelt und in ihren Interessen
durch eine sachliche aber strenge Kritik ge-
schädigft, so wird sie o-efährlich wie ein Schwärm
aufgejagter Wespen, die blindwüthig über den
Gegner herfallen und ihn durch die Unzahl
ihrer Stiche töten. Pecht erzählt in seiner Geschichte der Münchener Kunst des neunzehnten
Jahrhunderts, dass Wagmüller durch seine Thätigkeit als Jury-Mitglied der Münchener Jahres-
ausstellung von 1879, welchem Amte er mit mehr Wahrhaftigkeit als Schonung und Klugheit
vorstand, sich den Grimm und Hass der Zurückgesetzten derart auf sich gezogen habe, dass ihm
die gemeinsten und ehrenrührigsten Beschuldigungen nicht erspart blieben. Das nahm er sich so zu
Herzen, dass ihn ein Leberleiden vor der Zeit dahinraffte.
Ein anderer Münchener Bildhauer, Lorenz Gedon, 1843 — 1883, dessen vielseitiges Schaffen
uns deutlich in dem Palais und der Galerie des Grafen Schack entgegentritt, die er erbaut und mit
Skulpturen geschmückt hat, gehört auch dieser Richtung an, die er besonders nach der Seite
des Kunstgewerbes hin gepflogen und ausgebildet hat. Das Weiche , Schwammige der Form-
/?. Begas: Adolf Menzel
210
DIE KUNST UNSERER ZEIT
ükB^
behandlung tritt in seinen plastischen Werken nocli
auffallender hervor, aber ebenso eine ursprüngliche
lebendige Gestaltungskraft und kecke, flotte Behand-
lung. Es muss eine fröhliche , anregende Zeit des
künstlerischen Schaffens in München gewesen sein,
als diese Künstler hier so vielseitig thätig waren, und
das Kunstgewerbe anfing aufzublühen.
Einen ähnlichen Entwicklungsgang wie in München
hat die Plastik im Norden, in Berlin, genommen.
Begas hat sie dort eingeleitet und weitergeführt.
Dieser Künstler ging aus der Rauch -Schule hervor,
in der er jedoch nur kurze Zeit zubrachte, um sich
bald nach Italien zu wenden, wo er im Umgang mit
bedeutenden Malern, wie Böcklin, Eeuerbach,
Lenbach, seine Naturanschauung bildete , die ähnlich
der Wagmüller's von der malerischen Beobachtung
ausging. Als Maler hat er auch in den Porträts, die
er zu verschiedenen Zeiten seines Schaffens bemalt
hat, ein innigeres Naturgefühl, als in manchen seiner
plastischen Bildnisse zum Ausdruck gebracht. Denn
oft zeigt der Realismus, der hier hervortritt, eine
starke Neigung zu bedenklichen Effekten , die statt der lebendigen Erscheinung eine leere , wenn
auch wirkungsvolle Maske wiedergeben. Begas hatte das Glück, einer Zeit anzugehören, die die
Künstler reichlich mit Aufträgen bedachte , da eben die ersten Früchte des vaterländischen
Wohlstandes heranreiften. Und er hatte auch das Glück , einem Kreis hervorragender Menschen
menschlich nahe treten und künstlerisch erfassen zu können. Von diesen Gestalten, Bismarck, Moltke,
Kaiser Wilhelm und Kaiser F"riedrich, hat er in lebendiger Weise, mit grosser Treue gegen die Natur,
lebensvolle Abbilder geschaffen, die durch die gleichzeitigen geistvollen Bildnisse Lenbach's ergänzt
und vertieft werden. Als seine hervorragendste Schöpfung ist die Porträtbüste von Adolph Menzel
hinzunehmen. Begas ist kein Bildniss mehr so gelungen wie dieses, in dem das ganze Sein und
Wesen eines Mannes in so vollendeter künstlerischer Weise zum Ausdruck kommt. Es scheint, als
wären unter dem Einfluss der kleinen Excellenz alle Kräfte des Künsders eewachsen, so dass ihm
gelang, ein bedeutendes Bild der Natur in bedeutender Weise festzuhalten.
Begas hat auch in der Grabmalsplasdk manches treffliche Werk gebildet und dieses Gebiet
durch mancherlei Motive bereichert. Seine schönste Schöpfung auf diesem Gebiet, das Modell zum
Strousberg' sehen Grabmal, vereinigt klassische Anmuth und Würde mit vollendeter Form. Frei von
allzu malerischen Momenten, sind die einzelnen Theile mit grossem edlen F'ormeng-efühl durcheebildet,
es erscheint uns als eine kösdiche Frucht seines römischen Aufenthaltes. Ein ähnlicher Rhythmus
/i". Bebras: Schillerdenknial in Heilin
DIE KUNST UNSERER ZEIT
211
beherrscht auch noch einige der weiblichen [""iguren am Schlossbrunnen, obwohl die Komposition
schon an arrangirte Gruppen, sogenannte lebende Bilder, gemahnt. Auch das Kaiser Wilhelm-Denkmal
mit seiner unerquicklichen Häufung von allerlei Motiven erscheint uns wie ein Ausstattungsstück mit
Koulisseneffekten.
Von Anfang an tritt in Begas' Empfinden die Neigung zur künstlerischen Phrase hervor und
bringt manches Werk um eine würdige einfache monumentale Wirkung. Dazu kommt noch der
/?. Maisott ; 1 lerold vom Reichstagsgebäude in Berlin
Schlendrian in der Ausführung, die sogenannte malerische Behandlung, was sein Biograph Alfred
Gotthold Meyer so schön ausdrückt, wenn er von den Löwengruppen an diesem Denkmal spricht,
«Ihre kunsthistorische Eigenart beruht auf ihrer Naturwahrheit.»
Man wird das Lebenswerk, wie es in der Monographie vorliegt, mit gemischten Gefühlen
betrachten, vereinzelte Werke leuchten daraus hervor, wie von den Strahlen der untergehenden
antiken Schönheitssonne getroffen, andere berühren uns wenig angenehm und überlassen uns unklare
wogende, miteinander streitende Empfindungen.
212
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Begas neigt mehr nach der beobachtenden als der schöpferisch gestaltenden Seite seiner
Kunst hin, daher in Porträts eine gewisse Stärke liegt, aber offenbare Mängel und Schwächen zeigt,
sobald er räumlich grosse monumentale Wirkungen hervorzubringen bestrebt ist. Ein Werk, das
Begas schon in seiner frühen Zeit geschaffen hat, zeigt den Charakter ernster Monumentalität und
den Ausdruck glücklich nachempfundener innerer Grösse. Wir meinen die Schillerstatue, die 1872
in Berlin enthüllt wurde.
Begas hat zahlreiche Schüler herangezogen, geleitet und gefördert, welche dann später,
nachdem sie selbstbewusst und selbständig geworden, meist ihre eigenen Wege gingen. Kraus, der
lange bei Begas arbeitete, und Felderhoff sind die hervorragendsten.
R, Maison: Brunnen in Fürth
Merkwürdig erscheint es, wie die Anhänger der Begas'schen Richtung in neuerer Zeit von
dem entgegengesetzten Pole — nämlich Hildebrand — angezogen werden. Bei näherem Nachdenken
wird man jedoch für diese Erscheinung die inneren Ursachen finden. Jene, die mit Vorliebe im
Begas'schen Kunstcharakter sich bewegten, mausern sich jetzt und zeigen Hildebrand'sche Form-
ansätze, sobald sie an grössere Aufgaben, die für das Freie bestimmt sind, herantreten müssen.
Denn für die ernste Wirkung im Freien reicht die blosse Wirkungsform, wie sie bei künstlich venti-
lirter Beleuchtung im Atelier entsteht, nicht aus. Diese Form stellt selbst schon eine vom realen
Ihatbestand stark abstrahirte Wirkungsform dar, die dem allgemeinen Räume ^eg-enüber als ein
DIE KUNST UNSERER ZEIT
213
eigenes Raumbild nicht bestehen kann und so gleichsam darin zerfliesst und aufgelöst wird. Das
Geheimniss der Wirkung der antiken Plastik in jeder Situation beruht zum grössten Theil auf der
Fülle thatsächlichen P'ormenmaterials , das darin enthalten ist, und auf der rechten Würdigung der
besonderen Umstände und Verhältnisse, denen ein Bildwerk im Freien ausgesetzt ist.
In der Richtung Begas und Wagmüller lag auch der Anlass zu einem anderen Streben.
Nämlich sie begünstigte die künstlerische Anschauung, die von der Photographie und dem Natur-
abguss geleitet wird, indem sie gleich diesen, die Erscheinung jedes Objektes, die Struktur der
Oberfläche genau nachzubilden bemüht ist. Es durfte nur ein Künstler auftreten, der die naturalistische
Richtung konsequent bis
zum Endziel verfolgte,
wie Maison gethan hat.
Dieser Künstler hat in
seiner Art, sich der Natur
anzuschliessen, etwas vom
Geiste Menzel's. Gleich
diesem entwickelt er in
seinen Arbeiten einen
grossen Reichthum an
Motiven und verfügt in
seinem Fache über eine
ähnliche bewunderungs-
würdige Geschicklichkeit,
die Natur in ihren schnell-
sten Bewegungen zu ver-
folgen und nachzubilden.
So hat er auch viele
neue Bewegungsmotive
daraus hervorgeholt, ob-
/?. Maison: Brunnen in Bremen
gleich nur wenige sich
für die plastische Dar-
stellung unbedingt er-
halten lassen. Wir ver-
weisen damit auf seine
bekanntesten Werke in
dieser Art: auf den
Neger, der von einem
Tiger überfallen wird,
und auf jene Gruppe im
Münchener Kunstverein,
die einen Neger darstellt,
der auf einem Esel
reitet, der ihn abzuwerfen
sucht. Mit einer unge-
mein scharfen Beobacht-
ungsgabe ausgerüstet, in
allen technischen Fertig-
keiten gewandt , wäre
dieser Bildner im Stande,
Szenen aus dem vielgestaltigen zuckenden Leben, ähnlich wie Menzel sie malerisch dargestellt hat,
auch in der Plastik auszuführen. Ein Streben, das zum Unternehmen von plastischen Panoramas führen
könnte. Gegenwärtig arbeitet der Künstler an einem Denkmal für Kaiser Friedrich, das in Berlin
aufgestellt wird. Er nähert sich darin einer einfacheren grösseren Naturanschauung, und das Modell
lässt auf eine ernste, monumentale Wirkung schliessen. Vielleicht hat der Künstler bei seiner
Neigung zum Naturalismus in positivistischer Form starke Anregungen von den modernen Franzosen
und Belgiern und nicht zum wenigsten von dem Wiener Thierbildhauer Strasser erhalten, mit dem
er auch die Neigung zur Polychromie gemein hat.
Ursprünglich kam die Polychromie sehr häufig bei Statuen für Innenräume zur Anwendung.
Die assyrischen und egyptischen Tempelbilder waren vielfach bunt bemalt, besonders die aus Holz
n 29
214
DIE KUNST UNSERER ZEIT
A'. Miiisoii: Der I'liilosoph
geschnitzten. Bei der polychromen Behandlung von Stein-
figuren wird man auf bestimmte künstlerische Absichten, wie
auf das Hervorheben aus der Umgebung, auf die Betonung
und Aufklärung der F'ormenwirkung u. a. m., zu schliessen
haben. Und wir sehen ausserdem bei den Griechen neben
farbig gehaltenen Bildwerken solche auftreten, die aus ver-
schiedenem Material, wie Holz, Elfenbein und Gold, oder
Bronze, Marmor und kostbaren Steinen zusammengesetzt
waren. Man darf auch hier annehmen , dass diesem Ver-
fahren bestimmte Absichten zu Grunde lagen: nämlich die
Reize und Eigenthümlichkeiten, die sich aus der Beschaffenheit
der verschiedenen Materialien ergeben, unter künstlerischen
Gesichtspunkten in einen bestimmten Zusammenhang und
Wirkung zu bringen. Die Anregung, die solche 'Bildwerke
in dem mystischen Halbdunkel der Tempel auf die erregte
Phantasie ausübten, mag
eine poetisch sehr wirk-
same gewesen sein. In
der künstlerischen Aus-
gestaltung der Kirchen
im Mittelalter beo^egrnet
uns Aehnliches. Die Be-
malung der Holzstatuen war allgemein üblich, auch bemalte man
sie in einem naturalistischen Sinne; jedoch vor Allem macht sich
die Absicht bemerklich, die Figuren in einen Zusammenhang mit
ihrer Umgebung zu bringen. Auch die Bemalung von Stein-
figuren kommt vor. Die Farbe tritt in einem gewissen Ver-
hältniss und Abhängigkeit zur Umgebung auf, daher meistens
bei Statuen für Innenräume; selten erstreckt sie sich auf Edel-
material, wie Marmor, Bronze etc. Wird doch selbst die schöne
Struktur des Edelholzes, wie Eichen, Nussbaum, Ceder etc. im
ursprünglichen Charakter zu erhalten gesucht. Die Farbe ist nie
Selbstzweck, wie bei Maison's und Strasser's Figuren, wo sie
als naturgetreue farbige Bemalung auftritt.
Erscheint doch selbst die Farbe in der Natur meist in
einem Zusammenhang mit einem ähnlich gestimmten Milieu,
und einzelne stark farbige Gegenstände erscheinen uns auffällig
und unnatürlich, wenn sie daraus losgelöst sind. Aehnlich wirkt
A". Seffncr: Max Klinger
DIE KUNST UNSERER ZEIT
215
auch eine farbige Plastik auf Ausstellungen auf uns; wir empfinden sie mit einem gewissen Miss-
behagfen als «jrobe Täuschung^,
Mehr an das alte Verfahren, aus verschiedenfarbigen Materialien ein plastisches Bild zusammen-
zufügen, lehnt sich Klinger an. Der geniale Radirer, der sich mit Lust und Eifer in der Plastik
versucht, unternimmt mit seiner nervösen modernen Seele und ganz persönlichem Geschmacke,
Bildwerke zu gestalten, in denen er etwas von dem Abglanz des farbigen Lebens erhaschen und einige
Züee dieses ewig^ wechselvollen Phänomen in Stein bannen will. Schwebt ihm dabei das Bild einer
von hoher künsderischer Kultur beherrschten Welt vor, ähnlich jener, die er in seinem Inneren hegt
und trägt, wo solche Bildwerke inmitten einer seltsamen Pracht Aufstellung finden könnten.^ Wer
weiss es? Uns muthen sie an wie Probleme einer sehn-
süchtitj nach Schönheit strebenden verofeistieten Sinnen-
weit. Seltsam mischen sich darin Züge scheinbaren
Anschlusses an alte Traditionen mit den Neigungen
und Launen eines schrankenlosen Individualismus. Bald
ringt in diesen Schöpfungen ein leidenschaftlich' Stammeln
nach Ausdruck tiefer persönlicher Empfindungen, bald
bekundet sich darin ein bewusstes Streben, quellende
Lebensformen zu Gebilden von hoher Schönheit zu
gestalten, bald aber auch ein Hinarbeiten auf möglichst
eigenthümliche Wirkungen, die sich verlieren in tech-
nischen Problemen. Wir mögen an vielen seiner Schöpf-
ungen herrliche Einzelformen bewundern, aber ähnlich
wie bei der Betrachtunsf von Werken Rodin's befriedig-t
uns nicht das Ganze als ein harmonisches Gebilde , und
selten überkommt uns davor die Ruhe der Befriedigung,
in der ein Kunstwerk ganz in eine ruhige, stille Em-
pfindung aufgeht. Es gibt eine Form des künstlerischen
Sehens und getreuen Nachbildens der Natur, die man
mit Positivismus bezeichnete. Diese Art Erscheinung finden wir unter den Porträtisten öfter, die im
fortwährenden Umgang mit der Natur stehen und sich einer objektiven Auffassung befleissigen.
Seffner sucht in seinen Werken den Eindruck möglichster Naturwahrheit zu erreichen, seine
Bildnissbüsten sind von ähnlicher Wirkung wie eine photographische Wiedergabe. Durch eine
geschickte stoffliche Behandlung steigert er noch den lebendigen Ausdruck, der ohne künstlerische
Uebersetzung doch jenes gewisse Etwas in der Wiedergabe des Objektes festhält, was mit «sprechend
ähnlich» bezeichnet wird. Seine Porträts bestechen den Beschauer durch Treue und Ausführlichkeit
in der Nachbildung des Lebens. Er erscheint uns in seinem ganzen Streben auch als einei der
modernen Sucher nach einem plastischen Ideal.
Das Streben nach möglichster Naturtreue hat auch noch eine künstlerische Form der Dar-
29«
A". Seffner: Königin Carola von Sachsen
216
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Stellung gezeitigt, bei der
der Künstler weniger von
dem Problem der künstler-
ischen Formgestaltung aus-
geht, als von seinem per-
sönlichen Empfinden, von
dem Eindruck, den ihm
dieses übermittelt. Wie der
Künstler der Form ein ent-
stehendes Bildwerk auf die
Anregfuncf zur Formvor-
Stellung hin prüft, so der
Künstler der Empfindung
sein Werk auf den Gehalt
zur seelischen Anregung
hin. Die Form an und für
sich ist ihm gleichgültig,
K. Seffner: Bildnissbüste
wenn .sie nicht Empfind-
ungen hervorruft.
Die I'orm, als ein über-
setztes Bild aus der Natur,
will den Beschauer zu räum-
lichen Vorstellungen an-
regen und durch diese Em-
pfindungen erwecken, unser
Künstler will in erster Linie
nur durch die F"orm seel-
ische Schwingungen über-
mitteln. Er unterwirft das
nüchterne Erscheinunofsbild
den mannig-fachsten Modu-
lationen und Stimmungen.
Wie die Sprache im Aus-
druck sich dem Gefühl an-
passt, so der Empfindung die Form. Es steht somit "diese künsderische Ausdrucksweise im
Gegensatze zu dem Positivismus, wie er in Maison und Strasser seine Vertreter hat, und sie unter-
scheidet sich von Hildebrand's
Richtung wie Form und Em-
pfindung unter sich. Dass
dieses Problem der Empfind-
ung immer Antheil an der künst-
lerischen Gestaltung nimmt und
diese stark beeinflusst, erkennen
wir an der künstlerischen Ström-
ung der Gegenwart.
In August Hudler's Wer-
ken äussert sich diese Richtung
auf eine entschiedene und kräf-
tige Weise. Er bildete sich
auf der Münchener Akademie,
die aber wenig Antheil an seiner
K. Seffner: Bildnissbüste
Entwicklung hat. Aus dieser
Zeit erhielt sich nur eine aller-
dings sehr merkwürdige Arbeit.
Der Künstler nannte die Figur
«Ismael«. Sein eigenthümliches
tiefes Empfinden drückt sich
hier bereits durch und äussert
sich, wenn auch noch in
unklarer Weise. Von dem
Professor der Bildhauerschule
wurde die Arbeit als nicht
plastisch bezeichnet. Hu dl er
trat zur Malerei über, nicht
dieses Urtheils wegen, nicht
auch, weil ihm das Selbst-
vertrauen mangelte, auf dem einmal beschrittenen Wege weiter zu gehen, sondern in der Absicht,
sein Können durch Zeichnen und Malen nach der Natur noch besser zu schulen. Einige Jahre später
waren von ihm auf der Berliner grossen Kunstausstellung zwei Büsten von Münchener Malern zu
sehen, die durch ihre lebendige Wiedergabe des Persönlichen in der Bestimmtheit der Charak-
M klms'i soiilp.
I'tioi . K ilaiitttiaeiltcl, UUii.:>it:ri
Kauernde.
H, kInUoi) RCulp
V. HKiifHtaeagr, Unucheo
Statue O tto I.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
217
terisirung und durch ihre feine Durchbildung berechtigtes Aufsehen erregten. Professor G. Treu
hat sie für das l<gl. Skulpturenmuseum in Dresden erworben. Indem der Künstler in die Büste
hineinlegt, was er aus dem Objekt herausfühlt, kommt ein gewisser realistischer Zug (wenn man
will idealistisch) in fesselndster Weise zur Wirkung. Die Behandlung und Auffassung ergibt eine
Art malerischer Wirkungsform, wie sie Wagmüller anstrebte und wie sie Rodin zum Theil
eiffenthümlich ist.
In der Bronzefigur «Adam» kommt des Künstlers Streben und Empfinden besonders gut zum
Ausdruck. Er stellt Adam als einen Jüngling dar, der mit reger Wissbegierde eine Blume entfaltet.
A. Hudler: Bildnissbüste
Er zeigt sich in einem Zustande vollkommenen Unberührtseins von aller Bewusstheit, wie ein grosses
Kind, das staunend in die Welt tritt und sie mit jedem neuen Schritte erst entdeckt. In einer
kindlich wissbegierigen Regung gewinnt er Fühlung mit dem Räthsel der ewig schaffenden schöpfer-
ischen Natur, das ihm in der Gestalt einer Blume entgegentritt. Diese Figur stellt gleichsam in
rührendster Weise das Streben des Künstlers, das Suchen nach Ausdruck seiner tiefsten Gefühle
dar. Gleich Adam steht er auf der Erde, in köstlicher Unbewusstheit, inmitten einer unkünstlerischen
Welt löst sich all' sein Sinnen, all' sein Denken in Gefühl und Empfindungen auf
Die objektive formale Richtung Hildebrand's und diese ganz subjektive persönliche, die sich
218
DIE KUNST UNSERER ZEIT
A. Iludler: Hildnissbüste
in Hudler's Kunst äussert, werden immer die zwei Pole sein, nach denen das künstlerische Schaffen
hinneigt und angezogen wird. Sie sind trotz ihrer Verschiedenheit doch unlöslich miteinander verknüpft
durch die Folge von Elementen, welche die künstlerische
Wahrnehmung und Empfindung, Anschauung und Vorstellung
ausmachen. Nur in der Art der künstlerischen Gestaltung
äussern sie sich verschieden, ihre Wirkung bleibt eine ähn-
liche. In der Plastik der Gegenwart flutet die künstlerische
Strömung von einem Pol zum andern.
Wir müssen hier noch einer anderen Thätigkeit ge-
denken, welche in bester Weise das Interesse und Verständniss
für die plastische Kunst zu erwecken im Stande ist, weil
sie überall einfach und liebenswürdig auftritt, auf Strassen
und Plätzen , an Bauten und Grabmalen. Sie kommt dem
natürlichen Schönheitsgefühl entgegen, durch anmuthige oder
kräftige Fülle der Form und durch den Rhythmus schön
empfundener Linien. Sie bildet jederzeit den Genuss- und Au.sgangspunkt der Liebe zu den schönen
Künsten. Sie will im Grunde dasselbe, was Hildebrand gross
und bedeutend in massvolle Strenge einkleidet und anstrebt, nur
lässt die Art, in der sie Hubert Netzer vertritt, den individuellen
Kräften mehr Spielraum.
Netzer's phantasievolle Kunst zeigt sich am schönsten in
seinen Brunnenschöpfungen, in der Gruppe auf einem Münchener
Platz , wo ein Triton mit einer Schlange spielt , die Wasser auf
ihn herabspeit. Femer in dem herrlichen Narziss-Brunnen , der
vom bayerischen Staat erworben, im Hofe des neuen National-
museums aufgestellt ist. Und weiterhin in dem Orpheus-Brunnen,
der die heurige Jahresausstellung im Glaspalast schmückte. Diese
Brunnenschöpfungen gemahnen in ihrer poetischen Erfindung und
in den reizvollen Formen an köstliche Brunnenbilder, wie wir sie
in alten prächtigen .Städten noch überall finden. Dieser Künstler
hat sich auch in dekorativen Gruppen zum Schmucke für Bauten
hervorgethan. In dieser Hinsicht sind von Bedeutung die grosse
Grupi)e in Stein auf der Würzburger Universität «Prometheus als
Lirhtbringer» , ein Motiv, das zu geistvollen Deutungen über die
Reaktion Anlass uab und viel besprochen wurde. Von ausser-
onlcntlirher .Schönheit sind die edlen Frauengestalten am Münchener
Jiisiizpalast. Netzer erweist sich in all' diesen Schöpfungen als ein originaler Künstler; in der
1-ülIe der Motive äussert sich der Reichthum seiner Phantasie und Gestaltungskraft, den er in kräftig
A. Hudler: Adam
DIE KUNST UNSERER ZEIT
219
anrecrenden Gebilden fort und fort kundgibt. Wir nähern uns bei der Betrachtung von Netzer's
Kunstcharakter wieder den am Eingang ausgesprochenen Wünschen und ausgesteckten Zielen, dass
die deutsche Plastik wie die antike in's Leben treten und als eine monumentale Raumkunst im
Freien, wie als eine schmückende im Hause zur Geltung kommen möge
Wir haben ein Stück Entwicklungsgeschichte unserer Plastik seit Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts vorgeführt und konnten bemerken, wie diese Kunst vom Stamme der Tradition
abzweigte und ihr das rechte Gedeihen ermangelte ; wie sie , ähnlich einer Treibhauspflanze , in den
Ateliers der Bildhauer verkümmerte. Wie diese in kleinen Statuetten grosse bildnerische Vorstell-
ungen und Empfindungen auszudrücken sich abmühten, da die natürlichen Bedingungen für die Plastik,
A. Htidler: Der Schnitter
im räumlich Grossen sich auszubreiten, fehlten. Wie aber trotzdem durch diese Arbeiten im Stillen
ein Zug inniger Vertiefung und lebensvoller Empfindung in diese Kunst kam , der ihr bisher fremd
gewesen, oder vielmehr seit der Frührenaissance abhanden gekommen war. Jetzt, da sie aus der
Enge der Ateliers heraus wieder in's Freie, aus kleinen beschränkten Darstellungen ins räumlich
Grosse gehen kann , von abstrakten Anschauungen zu lebendigen Vorstellungen fortgeschritten ist,
jetzt kommt auch der künstlerischen Darstellung die Vertiefung des Empfindens, die Bereicherung der
Form zu Gute. Wo könnten alle die Schätze herrlicher zur Anwendung kommen, als in den
plastischen Schöpfungen im Hause, im Freien, auf Strassen und Plätzen und unseren Friedhöfen,
überhaupt im engen Anschluss an unsere tägliche Umgebung, wie es im Alterthum der Fall war?
Air die Kräfte , wie wir sie einzeln kennen gelernt , in Bewegung zu setzen , all' die tiefen
220
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Quellen, die vorhanden sind, in's
Leben hinüber zu leiten, dies bildet
die Aufgabe der Kunstfreudigen,
der Förderer und Unterstützer der
Künste. Ein Füllhorn schöner
Gaben ist bereit, auszuströmen
und unser Leben zu schmücken.
Unterstütze und fördere man die
Künste auf die rechte Art, ent-
locke man dem Künstler die
edelsten und besten Früchte ohne
Hebel und Schraubstöcke, ohne
Pressen und Blutegel anzulegen, auf eine vornehme menschliche Weise, mit wahrer Antheilnahme
//. Netzer:
Giebelfigur am Justizpalast
//. Netzer: Brunnenfigur
und warmem Mitempfinden
an seiner stillschaffenden,
schöpferisch bildenden Thä-
tigkeit.
Wir sind mit unseren
Betrachtungen bis mitten
in eine fröhlich schaffende
Gegenwart hineingerathen,
da am alten Stamme der
Tradition manches frische
Reis angeschoben hat; wir
können nicht Allen zumal
unsere Aufmerksamkeit zu-
wenden und haben daher
//. Netzer: Entwurf für ein Denkmal
gende, an dem sich der
frische Trieb zu äussern
beginnt, aufmerksam ge-
macht. Wir gedenken
später in weiterer F"olge
aus der jungen Pflanz-
schule deutscher Plastik
noch mit manchem blüthen-
vollen Zweig unsere Blätter
zu schmücken.
Flüchtig traten uns im
künstlerischen Leben der
Gegenwart Erscheinungen
entofeg^en , in denen wir
manche Probleme , die uns
nur auf das Zunächstlie-
hier beschäftigt, in harmonischer Weise gelöst sahen und die zu mancher Deutung Anlass geben
können, welche Wege die deutsche Plastik noch gehen wird, ehe sie sich selbständig zu äussern beginnt.
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