ICUNST
UNSERER
ZEIT ,
k EINE CHRONIK DES /■
./A^DERNEN KUNSTLEBENS
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DIE
KUNST UNSERER ZEIT.
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DIE
KUNST UNSERER ZEIT.
REDIGIRT
VON
H. E. VON BERLEPSCH.
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MÜNCHEN.
FRANZ HANFSTAENGL KUNSTVERLAG A.-G.
1891.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Bot :^
E. UOHLTHALER-t KCL. HOF-BUCH- UND KUmTDRUCKERCI. MCNCHKN.
Die Kunst unserer Zeit.
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AUS DEM LEBEN EINER GEIGE
VON
OTTO VON LEITGEB.
m dunklen Winkel des Ateliers, wo dichte Vorhänge
das kalte, harte Nordlicht dämpfen, lag eine alte Geige
auf einem noch älteren geschnitzten Stuhle mit hoher
Lehne. Sie veränderte fast niemals ihren Platz, und
hatte sich in die Lage vollständig eingewöhnt, ja so,
dass ein unmuthiges Klingen durch ihren Resonanzboden
ging, wenn gerade einmal Jemand sie zur Hand nahm.
Ein Prachtstück!» hiess es dann. «Wie schade, dass
sie in so barbarischer Weise verstümmelt ist!» Ein
viereckig Stück war ihr nämlich aus dem Leibe heraus-
j^eschnitten , und Meister Stradivarius selber hätte sie
kaum mehr so heilen können, dass ihre schöne, helle
Stimme von einst wieder zu gewinnen gewesen wäre.
Und sie sang einst schön, die Geige, bezaubernd!
Jetzt tag sie seit Jahren da, stumm. — Ihre Um-
gebung war ihr genau bekannt, aber verschieden lieb.
Gar nicht leiden konnte sie den geschnitzten Faunskopf
auf der Stuhllehne oben. Der zog so abscheulich
schiefe Mundwinkel und sah immer mit einem so fatalen
Lächeln auf sie herab. O, sie wusste, dass sie diese
ab.scheuliche Fratze schon einmal gesehen hatte, in einer
unvergesslichcn Mondnacht, in der Heimath.
Gerade ihr gegenüber , auf einem Gesim.se, stand
ein alter Schimmel. Er war wohl auch schon betagt,
denn an drei Beinen war der Gyps herabgebröckelt und
hatte nur den Draht zurückgelassen. Bios das vierte
war noch gesund, wie das manchmal bei so alten Kriegs-
kameraden der Fall ist; er diente nämlich lange Zeit
einem Schlachtenmaler (der sich gerne ein wenig marti-
alisch « Bataillen-Maler » nannte) als Modell für den oft
gemalten c Kürassier- Angriff», bald «Bei Leipzig», bald
aus einem neueren Feldzuge.
Dann gab es noch ganz in ihrer Nähe eine
italienische Vase mit phantastischen Figuren. Die
liebte sie auch , denn sie erinnerte sie an die Heimath.
Im Frühjahr und im Sommer, da füllte eine zarte weib-
liche Hand die Vase oft mit Blumen in grosser Menge ;
1
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
dann freute sich die alte Geige. Und ward es dämmerig
herin, der Künstler fortgegangen, dann schwebten
Blumendüfte durch den Raum, und es war, als ob sich
die drei Saiten rührten, die noch an der
Geige hingen; — oder redete sie leise
im Schlaf?
Ja, in der Dämmerstunde und in den
lauen Sommernächten, da träumte die alte
Geige zurück in ihrem
Leben ; sie träumte von
der Heimath und ihrem
blauen Himmel, von den
Pinienhainen und dem
goldenen Sonnenschein,
■KmnK^tfif^iar
Htnrik XorätHterg, Dttaseldorf. Studie.
von den Sommernächten und den Menschen, die damals
waren, so ganz anders waren als heutzutage ....
• •
Darüber war man einig, dass Gianni dei Bellani
ein grosser Künstler werden müs.se. Denn wenn er
mit dem Bogen über die Saiten seiner Geige hinstrich,
so gab es Töne, so rein, .so hell, so schmelzend, wie
sie sonst nur im Liede der Nachtigall klingen. Der
Maestro Fiiippo hatte seinen Jungen zu einem wahren
Wunder erzogen, er und die Luft der Heimath, in der
er aufgewachsen ; der Sommer, mit seinem Blüthenduft.
mit seinen Mondnächten, mit all seiner Poesie des
Himmels, der ewig blau in der Ferne von den Häuptern
des Apennin abgeschlossen wurde; — und im Herzen
des schwarzgeiockten Jünglings, dessen Oberlippe gerade
erst ein feiner Flaum zu decken begann, fasste diese
Poesie Wurzel und trieb und gedieh und füllte endlich
seine ganze Seele aus mit dem unaussprechlichen Zauber,
den er seinem Instrumente entlockte. Das aber wusste
Niemand, dass ihm dabei immer ein Augenpaar vor-
schwebte, aus dessen Engelsblicken er die Lieder gleich-
sam ablas, die er aus den Saiten weckte; und so kam
es , dass er immer am herrlichsten spielte draus.sen in
der Villa Ercole, auf der mondüberglänzten Terrasse,
wenn Vater Fiiippo und sein Sohn den Herren die
Stunden kürzen durften mit Lied und Spiel. Da. sassen
die edlen Frauen und die Signori in der Runde , da
blitzte neben Gcschmeid und Edelstein manches .schönes
Auge, das voll Wohlgefallen auf dem bleichen Gesicht
des Jünglings ruhte, der mit solcher Hingebung seine
Kunst übte, als wäre es der höchste Gottesdienst.
Ein solcher war es aber auch. Denn wenn er Lucrezia's
Blicke auf sich gerichtet wus.ste, dann spielte er die
Träume seiner Kinderjahre und die Liebe, die in seinem
Herzen pochte. Dann klang's aus seinen Liedern wie
der ganze Zauber der Frühlihgsnacht, wie das Athmen
der Blumen und der Gesang der Nachtigallen im Hain,
wie die Poesie der still ruhenden Laubgänge in den
Gärten und das Plätschern der weissen Wasser in den
marmornen Becken ....
So weit zurück seine Erinnerung reichte, kannte
er Lucrezia's schöne, träumerische Augen, und so lange
liebte er sie mehr als sein Leben. Als Kinder waren
sie bei.sammen gewesen, wo noch kein Abstand von
Namen und Sitte sich aufgethan hatte zwischen dem
Töchterchen des edlen Senators und dem kleinen, kraus-
haarigen Sohne des Geigers. Denn Maestro Fiiippo
genoss die Gunst des Edlen, dem er einmal einen grossen
Dienst geleistet hatte, und der Senator war ein feinge-
bildeter, Künsten und Wissenschaften geneigter Mann.
Wie oft hatte er Lucrezia's Kopf mit dem schönen
braunen Haar gekUsst und ihren Mund geküsst und .sie
seine Schwester genannt 1 — Die Jahre aber waren ver-
gangen und Gianni fühlte, da.ss sie seine Schwester nicht
sein könne.
Dann wurden sie mehr und mehr getrennt. Mit
dem Schmerze darüber zog aber in die Brust des Jüng-
lings die Liebe ein, voll Feuer und Wonnen.
Es gab immer Zeiten und Wege, um Lucrezia zu
treffen, und mit dem Bewusstsein, dass ihr Herz sein eigen,
ging ein Himmel des Glückes seinem Sinne auf. Keine
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Seele wusste von dem zarten Verkehre , kein Späher
verrieth ihre Zusammenkünfte, kein Horcher erlauschte
etwas von der süssen Zwiesprache, deren sie pflogen.
Denn Lucrezia wusste es stets klug einzurichten, dass
sie sich trafen , und war der Senator zur Sommerzeit
draussen auf der Villa Ercole, so gab es immer Abende,
wo sie den Geliebten aus der Jugendzeit klopfenden
Herzens erwartete in einem der entfernten Laubgänge
des Parkes, wo kein Laut zu ihnen drang, als das
melodische Plätschern des Wassers in den marmornen
Becken.
Sie war sein Leitstern, seine Fee, seine Muse. Sie
war CS erst, die ihm Kraft gab, seine Kunst zu vollenden,
die aus der neuen Geige vom Cremoneser Meister so
wundersame Melodieen erstehen liess.
Aber es kam auch die Zeit des Schmerzes und
der Verzweiflung. Denn Gianni dei Bellani war nur der
Sohn eines armen Musikanten und Lucrezia die Tochter
eines edlen, reichen Hauses.
Es kam die Zeit , wo das Mädchen herrlich zur
Jungfrau erblüht war und man da und dort munkelte,
dass nächstens ein vornehmer Freier um des Senators
liebliches Kind anhalten werde.
Bald nannte man denn auch einen Namen. Es war
der schöne junge Messer Guido de Gistellamo, den der
Senator zu seinem Eidam ersehen hatte, ein Jüngling
von einnehmendem Wesen und Sprosse eines grossen
Hauses. Lucrezia wurde nicht gefragt nach ihres Herzens
Neigung, die Verschwägerung aber von beiden Sippen
besprochen und beschlossen, und Messer Guido, der
ein feuriger, lebenslustiger junger Edelmann war und
an dem reizenden Mädchen grosses Gefallen fand, war
aller Abmachungen sehr zufrieden.
Nun sah Gianni an seiner holden Liebe gar oft
verweinte Aeuglein und bleiche Wangen, denn sie hatte
arges Herzeleid. In seine eigene Brust aber zog das
Unglück ein, und die Verzweiflung klang in seinem
Herzen wie ein Todtenlied. Jetzt öfter als früher musste
Filippo mit dem Jungen hinauskommen in die Villa,
denn es gab Lustbarkeiten genug, und da konnte man
der Spielersleute nicht entrathen.
Sah er aber Lucrezia's Augen, deren feuchten
Schimmer er nun so wohl kannte, dann packte ihn ab-
grundtiefes Weh und all sein Schmerz klang heraus aus
seinem Spiele. Die Zuhörer aber nickten Beifall, denn
nie früher hatte der junge Geiger so herrlich gespielt. —
Wie es kam, wusste er selber nicht, aber die beiden
jungen Männer hatten sich schon einige Male prüfend
in die Augen gesehen. Sei es, dass Messer Guido mehr
in den Blicken Gianni's erspäht als offenkundig werden
sollte, sei es, dass er in Lucrezia's Wesen irgend etwas
gefunden , das ihm zu denken gab : er hasste ihren
Jugendgespielen recht aufrichtig und könnt' es nicht
vermeiden, dass hin und wieder ein Auf blitz in seinen
schwarzen Augen dem Geiger den Feind verrieth. Ihm
aber war der geschmückte Edelmannssohn ein Dorn im
Auge , und oft wünschten ihn seine Gedanken in den
äus-scrsten Höllengrund.
Messer Guido aber konnte sich ganz nicht meistern.
Und kam sein Unmuth in hämischen Bemerkungen erst
nur für Lucrezia zu Tage, so that er gar bald gegen
Gianni selb.st spöttelnde und mäkelnde Reden, und aus
kurzen Worten , die sich allmälig zusammentrugen,
entstand bald ein Vorrath von Hass, so dass es nur
eines Fünkchens bedurfte, dass prasselnd die helle Lohe
aufging.
Das Mädchen merkte bangen Herzens fernes Sturmes-
wehen, und ängstliche Ahnung erfüllte sie voll zager
Sorge. Da wusste sie nun Gianni zu bitten und zu be-
"^ewik. TWüi
Henrik Nordenber^, Düsseldorf. Studie.
1*
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
schwören und ihm manches Versprechen abzuschmeicheln.
Er aber, der ihr eigenes Unglück sah und sein Blut
heiss und leidenschaftlich im Herzen pochen fühlte,
wusste nur, dass er nichts
ändern könne, und dass er ^
den Andern hasste als seinen
Todfeind.
Verkümmert , verblasst.
geknickt war die Blüthe sei-
nes Glücks und zerrissen sein
Gemüth. — Da gab es trau-
rige Tage und schwüle Som-
mernächte, und je näher die
Zeit kam, wo Messer Guido
Lucrezia als sein junges
Weib heimführen sollte desto
dumpfer wurde es in Gianni's
Kopf und Herzen. Vorerst
aber musste er wohl Acht
haben, Lucrezia's Bitten in
Rücksicht zu behalten und
seinem Nebenbuhler auszu-
weichen, denn oft schon war
es ganz nahe gewesen, dass
sie auf einander losgegangen
auf Leben und Tod. Nichts
wäre ihm erwünschter ge-
wesen, als alle Qual in einem
einzigen Ausbruch der Lei-
denschaft zu kühlen, und
sollte er den Schmerz auch
im eigenen Blute ertränken.
Der Tag war bestimmt,
wo Messer Guido Lucrezia s
Gatte werden sollte. Ls nahte
ihr Geburtsfest. Ein festlicher
Abend im Landhause des
Senators sollte alle Freunde des Hauses vereinen; auch
die Spielersleute waren hinausgefordert worden, Madonna
Lucrezia's Geburtsfest verschönen zu helfen.
Ach, so schön, so herrlich war die Julinacht, von
Mondlicht vergoldet, in dem die Landschaft erglänzte
wie eitel Edelerz. Und Gianni spielte schöner als je.
Waren nicht Lucrezia's Blicke auf ihn gerichtet, dass
er all ihren Schmerz, ihren Kummer daraus schimmern
sah wie Thränenperlen ? — Und dabei nickte sie ihm
V.
'^if
Htnrik XorJtmttrg, Düsseldorf. Studir.
verstohlen zu und spielte mit einer rothen Rosenknospe,
die sie in den schlanken Fingern hielt. Ja , er kannte
die Sprache, wenn sie, wie in Gedanken, die Blüthe an
die Lippen führte, ein, zwei,
drei Mal. — Fem im Parke
unten gab's einen Platz, ver-
steckt unter Lorbeerbäumen
und hohen Hecken. Dort.
in einer Nische, die tief
hincingeschnitten war in den
Laubgang, stand eine Mar-
morsäule, die einen Fauns-
kopf trug und dort hatte er
oft schon der Geliebten ge-
harrt, wenn der Mond die
Landschaft vergoldet hatte,
wie heute. Wieder führte sie
die BlUthe an die Lippen ; —
ja, er verstand die Sprache
gar wohl — heute noch sollte
er sie in den Armen halten,
die Geliebte, Süsse ; — heute
noch, wenn das Haus im
Schlummer lag und man weit-
um nichts hörte als das Plät-
schern der Was,ser in den
marmornen Becken. Und jener
Elende, Verhasste dort — ...
Ks ging laut und fröhlich
her heute im Hause des Sena-
tors. Feurig perlte der Wein
in den Pokalen und man
trank die Gesundheit des
jungen Paares.
Auch Gitinni trank, trank,
dass .sein Blut feuerheiss
durch die Adern stürmte und
wild in den Schläfen pochte.
Endlich aber ging das Fest seinem Ende zu. Die
Hallen leerten sich. Noch einen Blick des Verständ-
ni.s.ses konnte er von Lucrezia erhaschen , als sie mit
Messer Guido in einem der Bogenfenster stand. Er
sprach die süssesten Worte zu ihr, aber, seltsames
Himmern im Auge, hörte sie kaum auf seine Rede,
dass ein paar Mal, blitzgleich, ein spötti.sches Lächeln
um seinen Mund flog. Sie aber hatte trotz Allem
>
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
noch einmal Gianni zuzuwinken vermocht, ehe er die
Halle verliess. —
Er ging mit dem Alten ein gutes Stück, dann trennte
er sich unter einem V^orwande von ihm. Aber noch
war es nicht an der Zeit. So machte er einen weiten
Umkreis auf wohlbekannten Wegen.
Die Nachtluft kühlte seine Stime nicht. Seine
Pulse flogen , seine Hände zitterten und seine Wangen
brannten. Heute durfte er ihn nicht sehen, heute
nicht, — er hätte ihn in den Fäusten zermalmt.
Endlich war er den Weg zum Landhause
wieder zurückgegangen. Die Geige in der Hand schritt
er in den weiten Garten hinein, Wege, die er oft genug
schon gegangen war, unter den Bäumen, im Schatten
der Hecken, bis er an den Platz gelangte. Dort stellte
er sich in die tiefe Nische, in den Schatten der marmor-
nen Säule und wartete.
Lautlose Stille ringsumher.
Fern im Gebüsche hub eine Nachtigall an in lang-
gezogenen Tönen zu singen.
Und auf dem bekie-stcn Wege lag das Mondlicht
und übei^oss die Bäume drüben mit bleichem Schimmer.
Kein Laut.
Wie oft, wie oft, hatte er auf sie hier gewartet I
Wie oft, wie oft sie an sein Herz gedrückt, voll
unaussprechlicher Liebe !
Wie viele der sü.ssesten Worte, der zärtlichsten
Kosenamen von ihren geliebten Lippen gehört!
Wie viele der innigsten , unvei^esslichsten Küsse
von diesen Lippen empfangen, — lange, lange, regungs-
lose, berau-schende Küsse, in denen ihm war, als tauschte
er ein Stück Seele mit ihr —
Wie viele ! Wie viele I
Welch' un.säglich süssen Traum hatte hier das Mond-
licht gesponnen mit .seinen goldenen Fäden, und die Blumen-
düfte, und die laue Luft, und der weite Garten mit .seiner
friedeathmenden Ruhe. Welch' süssen, süssen Traum 1
Und jetzt — und jetzt I
Er lehnte den heissen Kopf an die Säule und
presste die Zähne aufeinander, dass sie knirschten.
Seine Faust ballte sich, und es .schüttelte ihn, wie Fieber.
Mit einem Male aber horchte er auf.
Ein leiser Schritt, der näher kam — Lucrezia.
Gianni beugte sich vor und sah über den Weg,
pochenden Herzens.
Plötzlich aber war ihm, als stocke das Blut in seinen
Adern, und als ströme es dann wieder wie mit einem
heftigen, schmerzenden Schlage alles hinauf in sein Hirn.
Denn im hellen Mondenschimmer erkannte er ihn,
— ihn, den verhassten Nebenbuhler, den Todfeind, den
Räuber seines Glückes!
Mit einem dumpfen Klange fiel die Geige am Fusse
der Säule herab.
Und im Nu hielt Gianni den Dolch in der Faust.
Messer Guido aber hatte Augen, scharf wie die eines
Falken, hii bleichen Mondlichte blitzte die lange, schlanke
Klinge seines Degens.
c Elender Bube ! » stiess er heraus.
Aus Gianni's Brust kam ein Ton hervor, wie der
Kampfschrei eines Raubthieres. Dann stürzte er mit
einem wilden Ansprunge los auf den Verhassten. —
Ein paar heftige Schritte, dass der Kies flog — ein lauter
Aufschrei, wie der letzte Ton aus zu Tode getroffener
Brust, und von Lippen, die sich nie mehr regen sollten.
Mechanisch that Gianni einen Schritt nach rück-
wärts und fiel an der Säule zusammen
Im fernen Gebüsche tönten die klagenden Töne
des Liedes der Nachtigall, und das Plätschern der
Fontänen, gleichmässig wie immer. Sonst kein Laut.
Am Fusse der Säule aber lag Gianni regungslos,
das todtenbleiche Gesicht dem Himmel zugekehrt, die
schwarzen Locken wirr in der Stirne und den gebrochenen
Blick hinaufgerichtet in das goldene Mondlicht und die
azurnen Himmelsfernen.
♦ *
Ja, wenn sie zu sprechen vermocht hätte, die alte
Geige ! Wenn .sie alle die Geschichten zu erzählen
vermocht hätte, die sie in den langen, langen Jahren
erlebt hat! Von der Stunde an, wo man die feinen
Brettchen zusammenleimte, vorsichtig, langsam, wohl-
bedacht, und wo man sie dann aus der Taufe hob mit
dem ersten Bogenstrich, bis hinauf, hinauf, der Jetztzeit
zu, bis daher, wo sie auf dem hochlehnigen, alten Sessel
lag, stumm und unbrauchbar, ein missach teter Krüppel.
Sie war durch so viele Hände gegangen, so vieles
war auf ihr gespielt worden, Freude, Schmerz, Leicht-
sinn, Ernst und Jubel, Kummer, Leidenschaft, Liebe,
Hass, Glaube und Unglauben.
Anfangs hatte man sie nicht recht beachtet. Dann
schätzte man sie allmälig höher. Wechselte sie den Besitzer,
so wurde der Preis immer grösser und sie wurde immer
rücksichtsvoller behandelt, wie ein kostbares Kleinod.
6
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Und wie änderten sich die Menschen in dem
schnellen Laufe der Jahre! Wie änderte sich ihr Aus-
sehen, ihre Sprache, ihre Lebensweise! — Zuletzt war
es so lange, dass der Meister in Cremona sie ins Leben
gerufen hatte, dass alle die Bilder verschwommen
waren und grau, undeutlich wie Nebelgestalten. Un-
glaublich aber war es, dass man endlich vergass, woher
sie stammte, ja, dass man sie zu behandeln anfing, als
wäre sie eine ganz gewöhnliche Geige wie hundert
andere! Nur hin und uieder kam sie in die Hände
eines besser Kundigen, und dann hiess es: (Ah, das ist
ein werth volles Stück! Ja, ja, vielleicht ist es eine
Stradivari!" Vielleicht — o Jammer!
Dann endlich kam sie — um einen Spottpreis —
in die Hände eines alten, absonderlichen Kauzes. Der lebte
mutterseelenallein in einem halbverfallenen Hause, und
nie betrat jemand Anderer die düstere Wohnung, als
eine Bedienerin, die ebenso eisgrau, ebenso runzelig,
eben-so mumifizirt war wie ihr Herr. Der aber hatte alle
die Räume, in denen sich die barocken Decken mit
den schweren gypsemen Guirlanden, Blumen und Arabes-
ken mitunter bedrohlich nach abwärts ausbogen , ganz
angefüllt mit unzähligen Dingen, sonderbarem Gerumpel,
Waffen. Büchern, Vasen , Gemälden und alten Instru-
menten. Und darin kramte und hantirte der hagere,
merkwürdig behende Greis mit dem langen, weissen
Haare den ganzen Tag umher, vom frühen Morgen bis
zum späten Abend.
Ging er einmal aus, dann zog er einen Leibrock
an, der hatte den Schnitt aus Urgrossväterzeiten und
der hohe Hut passte dazu. Die Knaben auf der
Strasse neckten ihn hin und wieder, ja sie zupften ihn
manchmal sogar an den langen Rockschös.sen. Dann
verstand es der merkwürdige Alte aber, eine blitzschnelle
Bewegung zu machen und mit seinem Rohrstocke einen
so wuchtigen Hieb zu führen, wie kein Mensch es ihm
zugetraut hätte. So Hessen ihn denn auch die für-
witzigen Jungen bald in Ruhe. Kam er nach Hause,
so brachte er fast immer ein neues Stück mit, ein
metallenes Spiegelchen, oder eine alte Uhr, ein Porzellan-
figürchen oder einen Leuchter. Die pflegte er dann
höchst sorgsam mit ledernen Läppchen zu reinigen und
mit den scharfen, klugen alten Augen zu begucken, von
allen Seiten. Manchmal verzog sich dann sein Mund
zu einem höhni.schen Grinsen, ja, laut und gellend lachen
konnte er sogar. < O die Menschen, die Menschen 1 >
kicherte er dann seelenvergnügt, « die dummen, blinden
Maulwürfe! Kennen nichts, nichts, — wissen nichts und
verschleudern Alles, Alles: die Uhren, die Teller, ihre
Bilder, ihre Häuser, ihr Leben — ohohoho!»
Als er die Geige gekauft hatte, das war ein grosser,
feierlicher Tag. Der Alte hatte sie Abends nach Hause
gebracht, sorgsam unter seinem grünen Leibrocke ge-
borgen. Dann erfolgte bei Lampenlicht eine sehr sorg-
fältige Reinigung, denn sie war in dem schmutzigen
Trödelladen unbeachtet in einem Winkel vergessen
gewesen. Heute machte der Alte ein ernstes Gesicht,
und während er so über die Geige gebeugt dasass, ging
sein Athem ganz kurz, als ob er sehr erregt gewesen
wäre. < Bei Gott», .^agte er endlich, «wenn das kein
Stradivarius ist, dann kenne ich nichts mehr!»
Nun ging er, holte aus einem schwarzen geschnitzten
Schranke Saiten und einen Bogen, setzte Alles in Stand,
nahm die Geige dann sorgfältig auf, ging in das nächste
Zimmer, indem es ganz dämmerig war, und begann zu spielen.
Und wie spielte er!
Aus der Geige tönte es wie neuer\vccktes Leben,
wie eine Tonfluth, die lange, lange zurückgehalten war
und nun endlich her\'orbrach. Der Alte aber sa.ss auf-
recht da, sein Gesicht leuchtete, seine Augen schienen
doppelt so gross wie sonst und blitzten wie die eines
Jünglings. Manchmal neigte er den Kopf ganz tief auf
die Geige und schmiegte sie wie in hetsser Liebe an seine
magere Wange, und dabei führten die langen, knöchernen
Finger den Bogen sicher und unbeirrt, einmal mit
starkem, schneidendem Striche, da.ss es klang wie Metall,
dann wieder sanft, weich, hinschmelzend wie AeoLsharfen-
töne. Endlich endete der Alte .sein Spiel mit einer breiten,
schrillen, lauten Dissonanz, stand auf, kramte aus dem
geschnitzen Kasten ein Geigenfutteral hervor, legte die
Geige wieder hinein und versperrte Alles in dem Kasten.
Seither aber holte er sie jeden Abend, wenn es
dunkel ward, hervor, ging in das Nebenzimmer, .schloss
Thüren und Fenster ab und spielte, oft stundenlang.
Eines Tages aber war der merkwürdige alte
Herr, von dem Niemand wusste, wer er denn eigentlich
gewesen, todt. Niemand hatte ihn näher gekannt. Nie-
mand etwas von Venvandten gewu.sst. Niemand einen
Anspruch auf das Erbe. Darum Hess die Stadt Alles
zu Gelde machen, und ein wahres Museum fand man
in dem alten, baufälligen Hause. Auch baares Geld, —
aber es waren Münzsorten, die längst nicht mehr kur-
sirten, und Papiere, die seit Men.schengedenken keinen
Werth mehr hatten.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Die alten Sachen aber wurden hierhin und dorthin
in alle Winde verstreut und um Spottpreise verkauft.
Die Geige wanderte wieder zu dem Trödler zurück, hing
wieder in dem staubigen, dunklen Winkel und hing da
lange Zeit unbeachtet.
Eines Tages aber kam ein ziemlich verwahrloster
Mensch in den Laden und fragte um ihresgleichen.
f Habt Ihr etwa eine Geige zu verkaufen, Menichino ? >
€ O, Maestro Lampega», sagte der Herr des Ladens
und lachte. « Violin- und Balletmeister ! Wo habt Ihr
denn die Eure gelassen ? »
cja, denkt Euch mein Unglücke, erwiderte Jener.
€ Gestern Abends, als ich nach Hause kam — Ihr wisst,
es hat stark geregnet — da gleite ich aus, falle hin und
richtig ist der alte Kasten entzwei ! >
cHaha!^ lachte Menichino, »wieder einmal tief
ins Glas geguckt, Maestro?»
»Gott bewahre! Ich sagte Euch ja — der Regen.
— Aber habt Ihr so ein altes, passables Instrument?»
Menichino reichte ihm eines hin.
€ Hm, hm ! > machte der Maestro und schaute höchst
verständig d'rein. c Alter Kasten — leichte Arbeit, ist
Nichts werth. Was soll sie kosten?»
c Zwanzig Franken. >
« Zwanzig I'ranken ! Guter Gott I Sie ist ja nicht
die Hälfte werth. Ich gebe fünfzehn ! »
cBaar gezahlt, Maestro?»
Der Maestro kratzte sich hinter'm Ohre.
€ Baare Anzahlung fünf Franken, der Re.st in sicheren
Monatsraten», sagte er dann. Ist's recht?»
Menichino bedachte sich eine Weile.
« Meinetwegen, » sagte er dann, t Ich bring' den
Kasten sonst schwer los; gebt her!»
Und Signor Lampega legte fünf schmutzige, zer-
knitterte Lire auf den L.adentisch, nahm die Geige in
Empfang und ging seiner Wege.
Bis in solche Hände musste sie kommen!
Kr verstand gar nichts, obwohl er sich immer
brüstete, nun eine c Amati » zu besitzen. Das war aber
nur Comödie, denn er verstand gar Nichts und spielte, dass
es zum Erbarmen war. Unmuthig surrte die Geige
unter den verstimmten Saiten, wenn er sie in die plum-
pen Hände nahm ; aber es nutzte nichts, und sie musste
sich wohl oder übel in ihr trauriges Schicksal ergeben.
*
* *
Nino Lampega spielte die Geige und gab Tanz-
unterricht. Sein Vater hatte im Theater Malibran die
achte oder neunte Violine geführt, schlecht und recht,
und das bischen « Kunst » war das einzige Erbtheil, das
er dem Sohne hinterlassen. Der kleine Nino war auch
auf der Bühne verwendet worden und hatte tanzen ge-
lernt. Seitdem war ein Menschenalter vergangen und
Nino Lampega hatte zu dem väterlichen Erbe nichts
weiter erworben ; er besass nur das bischen « Kunst » ,
dazu aber einen Titel, dem es nichts an Wohlklang
nahm, dass er sich ihn selbst beigelegt. Er nannte sich
Violin- und Balletmeister.
Die «Kunst» trug schrecklich wenig ein, aber er
war genügsam, und Siora Tina verstand es prächtig,
Wä.sche zu waschen und schadhafte Strümpfe auszu-
bessern. So schlug man sich durchs Leben.
Dazu führte Nino eine gute Feder, verstand es, die
Worte wohlgefällig zu setzen und brachte poetische
Liebesbriefe zu Wege. Sein Herz war nämlich jung,
wenn auch die Haare grau wurden. Und er pflegte zu
behaupten, dass er einmal ein ganz wunderhübscher
Junge gewesen. Davon sah man freilich nichts mehr.
Unter dem gelbgrünen Cylinder mit der verbogenen
Krempe schauten die tiefliegenden Augen aus dem
mageren, knochigen Gesichte immer mehr hungrig als
unternehmend in die Welt, und Siora Tina behauptete
anstandslos, sie habe den « alten Lumpen » überhaupt
nicht anders gekannt, und er sei stets so ein «Häring»
gewesen. Dann lächelte Nino, denn es war ja doch
kein Auskommen sonst mit der Frau, und zanken wollte
er nicht. Siora Tina hatte auch allzu stämmige Arme und
kräftige Muskeln. Die ewige Gymnastik am Wa.schtroge !
Heute regnete es trostlos. Die dicken Tropfen
spritzten von den Pflastersteinen auf und durch die Thüre
herein auf den Backsteinestrich, so dass Nino seinen Stuhl
immer weiter zurückrückte und die zwei Wochen alte
Zeitung, die ihm der Marqueur im Cafe Italia zugesteckt
hatte, aus .schierer Verzweiflung zum zwanzigsten Male
wieder von vorne begann. Es dämmerte, trotzdem es
noch früh am Nachmittage war. Dazu wusch Siora
Tina rückwärts in der Küche, und durch die offene Thüre
drang Dampf und Laugengeruch herein. Auch zog es,
aber am Ende machte sie wieder eine Scene, wenn er
die Thüre schliessen wollte, und so fugte er sich geduldig
wie immer in sein Schicksal.
« Dieses verdammte Wetter ! » hörte man Siora
Tina's rauhe Stimme. «Wie ich wohl meine Wäsche
trocknen soll?!» — *Und Du, Faulpelz, he?» —
Nino antwortete Nichts und that nur einen Zug an
DIE KUNST UNSERER ZEFF.
dem Stummel Virginiercigarre, das er zwschen die Lippen
geklemmt hielt.
«He!» schrie Siora Tina.
» Was sagst Du , mein Engel r ? fragte Nino sanft.
?, Ha — mein Engel ! ? pustete Siora Tina gering-
schätzig und .schmiss mit den krebsrothen Armen einen
Ballen Wäsche platschend in das Wasser.
«Du hast es gut!» meinte Nino.
«So — gut! Ich möchte wissen wie!
«Wegen des warmen Wassers», s^^e Nino.
«Du kannst ja auch waschen», rief seine Frau, und
ein höhnisches Lachen ging um ihren Mund. < Immer
besser als das verrückte Fiedeln und der Schwindel von
Tanzstunden. Freilich, hier ist's hübsch wann. "■ Platsch
— die Arme tief in den Trog.
Aber Nino steuerte diplomatl<«ch auf ein bestimmtes
Ziel los. Er hätte gar zu gerne die Thüre zur Küche ge-
schlossen. Denn Marietta von drüben hatte ein paar Male
schon herübergesehen. Er wollte wetten, dass sie einen
Brief brauchte. Daslässtsich nur unter vier Augen abmachen.
tEs zieht hier erbärmlich 5, sagte er, «und die Lauge
— Du weisst, Tina! Ich werde die ThUre schliessen. ?
Wohlweislich wartete er jedoch erst ihre Zustimmung ab.
< Meinetwegen schliess was Du willst ^ . rief sie.
Ah ! Die Thüre war zu und hören konnte sie auf
keinen Fall viel ; sie machte immer so einen Höllen-
lärm. Nun mochte Marietta kommen.
Richtig — es dauerte gar nicht lange.
t Ein Briefchen, gelt ? »
< Ja, Maestro » , sagte das hübsche Mädchen und
erröthete, aber nur ganz wenig.
■> Eh, eh — ich habe mir s gedacht! Warte — — ^
so, da ist Papier, Siehst Du ? — Wunderhübsch, nicht
wahr? Fünf centesimi der Bogen.»
< O Himmel ! » sagte das Mädchen.
< Meine Seele, es kostet mich selbst so viel»,
betheuerte der Maestro. < Und nun komm' her, so,
setz Dich daher, — daher zu mir ; jetzt wollen wir ihm
schreiben, dem Moretto, nicht wahr?»
Das Mädchen hatte sich dicht an seine linke Seite
gesetzt, um den Fortgang des Werkes gehörig contro-
liren zu können.
«Ja, schreibt ihm, dass ich ihn gar nicht mehr
mjig und —
-Oho, mein Schatz! das geht ja nicht, — oh?»
und er liebkoste ihr hübsches, rundes Kinn. " Sind wir
schon wieder einmal böse auf ihn ? 3>
«Ich mag ihn auch wirklich gar nicht mehr», sagte
die Brünette mit einem leidenschaftlichen Aulblitzen in
den schwarzen Augen. «Schreibt ihm das, und was
er denn so lange in Ravenna mache, wo er doch ver-
sprochen, bis im August hier zu .sein, und jetzt ist es
Oktober . . . Und ob er sich denn gar nicht mehr der
armen, armen Marietta erinnere . . . und der schönen
Tage . und wie wir bd der Hochzeit der Lucia ge-
tanzt . . . und ob er noch das Halstuch trägt, das ich
ihm geschenkt, ... es hat baare zwei Lire gekostet, per
Dio I . . . und dass Vico vom Meister fort ist . . . und
dass die Malia jetzt das zweite Kind hat. und ihr Mann
ist so dumm und ärgert sich darüber .\ber er soll
sich nicht einbilden, dass er mir etwas weis machen kann
. . . und treu bin ich ihm immer . . . aber er ist ein loser
Vogel, der am Ende nichts mehr von mir weis,s ... ich
aber kratze ihm die Augen aus, wenn er wieder zurück
i.st . . . denn versprechen und halten i.st zweierlei . . .
und er soll nur nicht glauben, dass er der Einzige ist
in der schönen Welt ... ich brauch ihn ja gar nicht
und mag ihn nicht !>
Maestro Nino schrieb tndess, dass es eine Lust
war. Dabei legte er je zuweilen seine Hand auf das
Knie des Mädchens oder sachte um ihre geschmeidige
Taille. Wenn sie's ihm verwehrte, sagte er: «Wir
Künstler . . . . > Und bd dem prachtvollen Liebesbriefe
wurde das lederne Gesicht des alten Sünders immer röther.
Seine Phantasie spielte ihm den Streich, dass er an Siora
Tina denken musste, wie sie noch ein junges Mädchen war.
Sapperment, sie war schön I Diese Augen ! Diese Taille.
Diese Hüften . . . fest, geschmeidig, rundlich, biegsam . . .
Er schrieb mit etwas zitternder Hand gerade eine
prachtvolle Wendung, schnalzte mit der Zunge dazu und
fa.sste Marietta mit dem dürren Arm, sie so zu sich
hinziehend, dass ihm das Mädchen fast an die Brust fiel.
f. Seid Ihr verrückt, Maestro ? » fragte sie und stiess
ihn von sich.
Aber wirklich, diese alte Künstlerseele war ganz
verrückt wenn es einmal brennheiss wurde unter dem
grauen Schädel.
«Ah, angelo mio, Du bist schön wie eine Nelke!»
stöhnte er. «Und jetzt kommt der Schluss. — Schön
wie eine Nelke, und wenn der Moretto nicht der grösste
Rsel von der Welt ist — Ohe! Dieser prachtvolle
Brief! Und zum Schluss? — Eine Lira ist er unter
Brüdern werth, aber Dir kostet er nur drei.ssig centesimi,
denn Du bist das hübscheste Blitzmädel meiner Seele. »
(lolthKriH Kiiithl ]ut,%
l'liot F llsnrttianfl, Manehin.
Kirehen-Interieur.
DIE KUNST UNSERER ZEH'.
Wahrhaftig, Maestro Nino war ganz verrückt! —
Er neigte den Kopf auf die rechte Seite und sah sie
mit den glänzenden kleinen Augen so an, so ....
dieses hübsche, schwarze, appetitliche Ding, — o heiliges
Kreuz ! c Zum Schlüsse viele Grüsse und viele, viele
Küsse», sagte Marietta.
cEcco, ecco, da sind sie», rief Nino und verewigte
Alles auf dem Papiere, wo die Tinte so hübsch aus-
einanderfloss. c Viele Grüsse — und viele, viele Küsse
— o heiliges Kreuz! Fertig — fertig! Viele, viele
Küsse, — hundert, — tausend, — zehntausend, — zehn
Millionen — o Nelke meiner Seele, und mir nur einen!»
Er winselte förmlich vor Liebe und fasste das
Mädchen fest mit beiden Armen. Sie stiess zwar mit den
Fäusten gegen seine Brust, aber Maestro Nino war ent-
schlossen , heftig entschlossen , und ; c hol' mich der
Teufel!» rief er, cwenn ich sie nicht küsse, diese kirre
Taube ! »
Sie bog ihren Kopf hinunter, und vor seinem
Munde war der schönste, jungfräulichste, rosigste Nacken,
von den kokettesten schwarzen Löckchen umspielt, und
so kUsste denn der Maestro mit einer wahrhaft lech-
zenden Gier
Um aber plötzlich einen entsetzlichen Sprung in
die Höhe zu nukchen. — Siora Tina war in die Thüre der
Küche getreten. — O, o 1 Sie hatte die ganze Schändlich-
keit und Niederträchtigkeit gesehen, bebend vor VVuth wie
eine gereizte Tigerin. Aber sie wollte abwarten, was
denn eigentlich geschehen werde. Und im Momente,
wo Maestro Nino im Begriffe stand, die Früchte seiner
Kühnheit zu geniessen, fand sie das rechte Mittel zur
exemplarischen Ahndung. Sie hob ein Stück Wäsche
aus dem dampfenden Troge, ballte es zusammen und
schleuderte es mit aller Kraft nach ihm. Das nasse,
heisse Projectil fuhr wie eine Bombe an seinen Kopf,
und darauf machte Maestro Nino einen wahrhaften Luft-
sprung, wie ein angeschossener Hirsch Mit zwei Schritten
stand er in einer Ecke des Zimmers, rückwärts von der
Wand, vorne von der Bettlade gedeckt, wischte mit der
Hand das warme Seifenwasser fort, das ihm in den
Nacken rann und sah mit dem Gefühle, dass nun eine
neue Execution folgen müsse, auf Frau Tina hinüber.
Marietta war aufgesprungen und hatte das Geld
auf den Tisch geworfen.
€ Dieser alte Esel 1 » schrie sie zornig.
«Ha, niederträchtiger Vagabund!» schnaubte Siora
Tina. «Ehrloser, gottvergessener Tagdieb! Was —
hier, in meinem Hause — vor meinen Augen? » Sie stand,
die Arme in die Seiten gestemmt, mitten im Zimmer,
und Nino, der wider sein Erwarten sah, dass der Feind
nicht sofort zum Angriffe übergehe, schöpfte ein klein
wenig Muth. Im Nothfalle blieb ihm noch immer ein
Sprung über das Bett hinüber.
« Meine Seele — » sagte er.
«Schweig', schweig', oder ich haue Dich in Stücke! »
schrie Siora Tina. «So ein miserabler, magerer alter
Schuft! Was willst Du denn eigentlich, ha? — Sei froh,
dass Du noch auf Deinen Spindelbeinen stehen kannst.
Du elende Figur! »
Marietta hatte indess den Brief zusammengefaltet,
und nun fühlte Maestro Nino plötzlich doch das
Bedürfniss, in ihrer Gegenwart irgend etwas zu sagen,
um seine Activität zu documentiren.
Er schloss den obersten Knopf seines schäbigen
schwarzen Leibrockes und sagte :
« Wir Künstler sind merkwürdige Menschen, — »
«Ein merkwürdiger Gaudieb bist Du», zischte
Siora Tina, « ein alter Bajazzo, sonst nichts, und ich
würfe Dich am liebsten da hinaus 1 »
Aber Maestro Nino reckte sich mit Würde, schloss
den zweiten Knopf an seinem Leibrocke und sagte
tragisch :
«Du würdest zu Grunde gehen. Du könntest
niemals ohne mich leben, meine Seele!»
Da lachte sie höhnisch auf und rief:
« Schaut ihn einmal an, den armen Narren ! Ohne
ihn soll ich nicht leben können ! — Als ob ich dann
nicht zweimal so viel Suppe im Topfe behielte, o corpo
di Baccho! — So geh' doch in des Teufels Namen
wohin Du willst! »
Der Maestro jedoch fühlte, je stärker seine bessere
Hälfte sprach, je derber und massloser sie wurde, ein
desto grösseres SelbstbewussLsein und desto mehr Würde.
Zwar wischte er noch hin und wieder Seifenwasser aus
seinem Nacken, allein dies vergab seiner stolzen Haltung
nichts. Wenn das gefahrliche Weib bis jetzt nicht
handgreiflich geworden, so konnte er am Ende auch
freie Passage bis zur Thüre erlangen. Neben der Thüre
auf einem Stuhle stand der grüngelbe Cylinderhut. Kurz
entschloss er sich, trat hinter dem Bette hervor, knöpfte
seines Rockes letzten Knopf zu, strich mit einem
gewandten einzigen Handgriffe die dreissig centesimi
ein, welche Marietta auf den Tisch gelegt hatte, nahm
seinen Hut in die Rechte, reckte sich und sagte würde-
2
10
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
voll: cDann verlasse ich also dieses Haus — für immer I
Merke wohl, Tina: für immerl>
Da Marietta die Walstatt bereits verlassen hatte, war
es jedenfalls am klügsten, wenn er nun auch gleich gieng.
cSo geh' zu allen Teufeln oder wohin Du willst!)
rief Frau Tina, ohne die geringste Rührung über seine
tragischen Abschiedsworte zu verrathen, und hinaus in den
strömenden Regen trat Maestro Nino Lampega, drückte
sich den Cylinder fest in die Stime, schlug den Kragen
seines Rockes in die Höhe und wandelte die Calle hinab.
Ja, es goss, als ob alle Schleusen des Himmels
geöffnet worden wären. Und dabei schlug ein kalter
Wind einem den Regen ins Gesicht. Die Leute liefen
nur im Sturmschritt durch die engen Gässchen. Hier
ein paar Chic^giotcn, die auf eine Taverne lossteuerten,
dort, hochgeschürzt, ein Mädchen mit den dumpf-
klappemden Pantoffeln. Wasser — Wasser Uberalll
Maestro Nino aber ging seines Weges, unbekümmert
um Wind und Wetter. Seiner Feuerseele that die
niedere Temperatur wohl, und je tiefer die Nässe durch
den fadenscheinigen Rock eindrang, desto abgekühlter
fühlte er sich. Nach und nach entwich die übcrmüthige
Regung ganz aus seiner Brust. Das Gesicht wurde
wieder lederfarben und die Augen sahen wie im nor-
malen Zustande unter der verbogenen fettigen Hut-
krempe her\or : mehr hungrig als unternehmend. Das
Wasser hatte indes.s auf allen Seiten den Weg durch
den alten Tuchrock gefunden und Maestro Nino fror
zum Erbarmen. Er achtete dessen aber nicht und ging
immer gerade hinaus, hinaus, bis er auf den Marcus-
platz kam, und hinab über die Piazetta und auf die
Riva und entlang dem Wasser, das so braun und
schmutzig war und von dem Millionen Tropfen immer-
fort in die Höhe sprangen, immer, immerfort. Die
Schiffe und die Barken, die Kohienboote und die
Dampfer, das schaukelte alles so trübselig hin und her,
her und hin, und der Himmel war so bleiern, grau,
schwer, weit hinaus in die Lagune. Und alles kalt,
unwirsch, triefend von Wasser, trostlos. So kam es,
dass der gute Maestro auf Gedanken verfiel, die das
Traben in der gewöhnlichen Bahn sonst nicht recht auf-
kommen Hess, und die er ganz vom Hunger und vom
Elend und von Siora Tina ausgemerzt geglaubt hatte.
Nun dachte er wirklich an die Zeit, wo sie ein bild-
schönes junges Mädchen war und er ein junger Kerl,
der es mit der ganzen Welt aufgenommen hätte. Es
wäre auch vielleicht ttw^s Anderes geworden aus ihm,
wenn sein Vater länger gelebt hätte, und wenn er lieber in
die Schule gegangen wäre — ja, und wenn die Tina nicht
gewesen wäre, die er vielleicht ein wenig zu früh hatte
kennen gelernt Langsam erwachten eine Menge Ge-
danken in ihm, ganz merkwürdige Gedanken, eine ganze
Fluth davon, so grau wie das Wasser, das gegen die
Riva platschte, und so schwer, wie der bleierne Himmel,
der oben hing und aus dem es regnete ohne Unterlass.
Dabei kam er vorüber an den Cafe's, wo die Leute
drin Sassen im Cigarettendampf und an den Fenstern
unzahlige Dominopartieen gespielt wurden ; vorüber an
dieser und jener Taverne, wo man die Lichter schon
angezündet hatte und aus denen Matrosenlieder auf die
Strasse hcrausklangen ; vorüber an den kleinen Hüttchen,
wo sie die gebackenen Kürbisse verkauften, ein Stück
wie ein Backstein so gross um einen soldo; vorüber an
einigen Kaufladen, die heute nur Regenschirme zu ver-
kaufen schienen, denn sie alle hatten ihren gcsammten
Vorrath an diesen nützlichen Instrumenten in die F"enster
gehängt, damit es recht augenfällig werde, dass man
sich hier um wenig Geld dieses unentbehrliche Schutz-
und Trutzmittel anschaffen könne. Sehr geringschätzig
sah der Maestro darauf hin und ging noch immer
weiter. Weiss der Teufel, was ihn an diesem Abende
für Gedanken plagten 1 Er dachte an Alles : an das
ABC, an das Theater, an seine alte Geige, an seine
Jahre, an das miserable Zimmer zu Hause, wo es nun
bald wieder so erbärmlich kalt werden würde, trotz der
Glühnäpfchen, und wo er heute erklärt, dass er es Tür
immer verlasse. Für immer ! — Lächerlich ! als ob er
verhungern oder erfrieren sollte. Und die Tina war
eigentlich doch unglaublich derb, bei Gott! Er schämte
sich nun noch dazu, und es fröstelte und hungerte ihn.
Eh was ! Es ist das Leben !
Das Leben, das gerade so wogt wie das schmutzige
Wasser da unten, und in dem es grade so regnen muss
wie es der Himmel will, und das einen Morgen hat wie
jeder Tag, und eine Dämmerung und einen Abend, grade
so wie er jetzt düster, schwarz heraufrückt vom Meer. —
Schleppen muss man es doch, so oder so. Besser mit
Humor als ohne. Freilich, gut wäre jetzt ein kleiner
Kaffee oder ein grochetto oder ein Glas Wein , drüben
beim Compare Checho. Nicht als ob das lumpige
Geld ihm andere Gedanken schaffen könnte, denn heute
fühlte er sich nun einmal in so ernster Stimmung; aber
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
11
bei diesem Hundewetter Die Geige — na es ist
etwas; mit dem Tanzen ist's freilich armselig, aber —
«Wir Künstler», murmelte der Maestro, und es schüttelte
ihn vor Nässe und Kälte wie Espenlaub. Dabei machte
seine linke Hand in der Tasche mechanisch die Griffe
des Liedes, das er nun zu summen begann, und dabei
entdeckte er den Erlös für den wunderschönen Brief an
den Moretto; er hatte des Geldes bei Gott gar nicht
mehr gedacht. — Mit einem Schlage war seine Stimmung
eine andere, und er kehrte sofort um. Ja, wenn er sich
dessen früher erinnert hätte ! Wozu hier im Regen
herumlaufen? — Herrlich wird nun ein Glas Wein
schmecken I — Es war doch gut , dass er die Feder
so zu führen verstand. — Eigentlich hatte er doch etwas
gelernt, ja wohl, etwas mehr doch als das ABC; — und
ausserdem die « Kunst »I Und schliesslich, wenn
man es ganz genau nehmen wollte , hatte er erst nicht
gar so elend gelebt, — wenn man es ganz genau nahm.
Freilich , Geld war nie im Ueberfluss vorhanden gewesen,
dafür hatte er aber auch nie übermässig gearbeitet.
Und Wenn man sich so leicht 30 Centesimi verdient, ist
es doch auch etwas. Er fasste dabei die Münzen in
seiner Tasche und rieb sie mit einer Art wollüstigen
Gefühls aneinander. Keine Frage, jetzt geht man sich
zu Compare Checho etwas trocknen und auswärmen, und
direkt zu G>mpare Checho steuerte der Maestro mit
eiligen Schritten. — Da aber gings heute Abend un-
gewöhnlich lustig zu. Der Musikus wurde mit Jubel
empfangen. Des Gevatters Nicolö Frau war heute eines
kemfrischen Buben genesen, und der Gevatter Nicolö,
der ein reicher alter Obsthändler war, zehn Jahre um-
sonst auf einen Leibeserben gehofft hatte und nun richtig
einen besass, den ihm sein junges hübsches Weib diesen
Morgen geschenkt, der Gevatter Nicolö, sage ich, war
ungemein gut aufgelegt, und wer da kam, war sein Gast.
— Der Musikus aber wärmte sich am Feuer, bald von
rückwärts , bald von vom , und trank dazu ein Glas
nach dem andern. In der kürzesten Frist war er in der
seligsten Stimmung, der brave Maestro. Gerade recht,
dass man irgendwo her ein altes Instrument brachte.
Nur dass der Künstlerstolz sich erst ein wenig offenbaren
musste. Er wehrte hoheitsvoll ab. «Nein, nein, meine
Freunde! — Ihr wisst: ein Künstler! — Ich kann nur
auf meiner eigenen spielen, auf meiner schönen, lieben
Amati. Eine echte Amati, dass Gott mir helfe. Ist
ihre tausend Lire werth wie nichts 1 >
< Pff ! t machte der Gevatter Nicolö und duckte mit
einer Grimasse den dicken Kopf.
«Ihre tausend Lire, bei meiner Seele Seligkeit»,
sagte der Maestro und stimmte die Saiten. «Lieber aber
verhungere ich, als dass ich sie hergebe. Es lebe die
noble Kunst ! »
Und er begann zu fiedeln, dass es eine Lust war,
und das Vergnügen wurde immer grossartiger, von einem
Glas zum andern.
Und deren gab es viele, viele, viele. Von Spielen
war schliesslich keine Rede mehr, keiner wusste über-
haupt mehr, von was die Rede war, — der Maestro schon
gar, er wusste gar nicht was war, als er nach mehreren
Stunden in sehr kühnen Linien nach Hause strebte, nach
dem Hause, das er heute « für immer » verlassen hatte !
O Nelke meiner Seele! Wie war das Blitzmädel
schön, schön und herzig und kusslich.
Er nahm immer die ganze Breite der Gasse für
sich , und als er in die schmale Calle kam , bewegte er
sich nur mehr in liebevollen Anlehnungen von einem
Hause zum andern. «Ja, die Marietta! — Und was der
Moretto für ein grosser Esel ist, für ein ganz grosser. —
Na, wenn sie aber das nächste Mal um einen Brief kommt,
dann, dann — so wahr ich Nino Lampega heisse, Violin-
und Balletmeisterl —
O Beatrice, il cuor mi dice —
Ohil Da kann man sich aber den Kopf ein-
schlagen ! — Langsam , langsam , Maestro ! — Tempo
di marcia! — Eins — zwei — drei — vier!»
Der Weg, den er beschrieb, war eine förmliche
Schraubenlinie; aber endlich war er doch am Ziele.
Gerade zur rechten Zeit. — Alles finster.
Die Thüre abgesperrt.
Vorerst lehnte er sich einmal mit den Schultern
dagegen. Rast thut gut nach der Arbeit. — Und da
oben wohnt sie, sie, sie, der theuerste kleine Teufel
von ganz Venedig. Natürlich schläft sie aber jetzt schon.
Und «die Alte» auch.
Der Regen aber ist des Teufels, die Kälte schändlich,
und er will in's Bett.
Um seine eigene Achse drehte sich der Maestro
herum, lehnte sich mit der linken Seite und mit dem
Cylinder liebevoll und gewichtig an die Thüre und be-
gann zu klopfen. — Erst nur ganz leise.
«Tina! — Holder Engel! — Oh — Tina!»
Keine Antwort.
12
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Er versuchte es mit einigen Faustschlägen.
< Tina ! — Tinetta 1 — Tinina ! >
Keine Antwort.
«Irdischer Jammer eines grossen Künstlers», sagte
der Maestro erhaben. «Tina, Tina, Tina! — Mach'
auf, Marietta, Tinetta; holde Taube, ich will hinein,
— ich will, — ich will — >
Keine Antwort, kein Laut als der klatschende R^en.
Und fester und verzweifelter lehnte sich der Maestro
an die Thüre, je zuweilen mit der Faust ein wenig
trommelnd.
« Heiliger Marcus ! Will sie mich denn nicht hinein-
lassen? — Tma — Engel — Teufelf — Das Pedale
hält nicht mehr recht! — Ti— i — ina!»
Bum! bum! bum!
Keine Antwort als der klatschende Regen.
Der Maestro aber war eine grosse Seele, die nichts
Irdisches so leicht zu trüben vermochte. Er lehnte sich
mit der Vorderfront wie schutzsuchend ganz auf die
Thüre, die heisse Stirn mit dem zurückgestülpten Cylinder
an die nassen Bretter drückend. Und schmelzend begann er:
«O Beatrice, il cuor — mi — di »
Hier wurde die Thüre aufgerissen und Nino I^mpega,
Violin- und Balletmeister, fiel der Länge nach, steif wie
ein Baum, in das Zimmer hinein.
< Gott sei Dank 1 » stöhnte er.
Siora Tina aber hatte die Thüre hinter ihm wieder
abgeschlossen und stand erst eine Weile sprachlos vor
Zorn da. — Aber dies eine Mal wollte sie sich Alles
auf morgen aufsparen, Alles.
«Für immer?» fragte sie nur höhnisch.
Als Antwort ächzte der Maestro:
«Hilf mir. Tinetta! Du bist — das Weib eines —
gros.sen, — gefallenen Künstlers ! »
Sie aber gab ihm nur einen nicht sehr sanften Stoss
mit dem Fusse in die Seite.
« Porco ! T
« Oh — oh oh ! » seufzte der Maestro und raffte
sich langsam empor.
Die bessere Hälfte kümmerte sich gar nicht um
sein Schicksal. Sie warf sich ins Bett und löschte, ohne
weiter ein Wort zu sagen, das Licht aus. Im Finstem streifte
er seine nassen Kleider ab, warf sie auf den Boden und
tappte nach seinem Lager. — Dann ein paar lange,
schwere Seufzer und kein Laut mehr, als draussen das
Klatschen des Regens ....
Nur stöhnte nach einiger Zeit der Maestro auf, als
ob ihm eine Centnerlast am Leibe läge — Nelke meiner
Seele, — Nicolö — Amati »
* *
Die Zeiten wurden böse und der Winter brachte
diesmal auch nicht den erhofften Verdienst. Wie aber
der Künstler .^lles seiner Geige verdankte so gab sie
ihm auch jetzt eine glänzende Idee ein. Er begann
systematisch das Gerücht zu verbreiten, dass sie ein
altes Instrument sei, aus berühmter Werkstatt. Man
hat ja schon die unglaublichsten Geschichten gehört
von solchen Geigen, warum sollte nicht auch 'ihm ein
Gimpel auf den Ldm gehen I
Eines Tages besuchte ihn ein Freund, ein alter
Instrumentenmacher, — ganz zufällig.
Er brachte Nino leicht genug auf das gewünschte
Thema.
( Zeigt sie doch einmal her ! >
Der Geigenmacher prüfte sie von allen Seiten und
sagte dann:
«Nun, wenn Euch daran gelegen ist, will ich Euch
Kanz genauen Aufschluss geben. Ihr wisst, ich bin Euer
guter Freund, und Ihr könnt Euch auf mein Wort ver-
lassen. Die Geige ist nicht gar so alt, aber ein inter-
essantes Stück, so — mehr wegen der Arbeit. Für
einen Sammler, wisst Ihr, der sich gerade darauf capricirte,
könnte sie einen gewissen Wert haben , — einen
gewissen. »
«Wie viel meint Ihr wohl, dass sie werth ware.'>
fragte Nino lauernd.
« Hm — nun, vielleicht fünfzig, sechzig Lire. »
Nino Lampega gab es einen förmlichen Riss.
Sechzig Lire I — Ein Kapital ! — Aber er war schlau !
«Nicht mehr?» fragte er. «Ich dächte — »
«Nein, nein! verlasst Euch d'rauf», sagte der Geigen-
macher. ( Ich verstehe etwas davon ! »
< Und möchtet Ihr sie vielleicht — »
«Ich? — hm! Es ist mir im Momente nicht daran
gelegen. Man hat so viel Zeugs, das nur verstaubt.
Aber wenn Ihr sie gerade los sein wollt und Euch ein
Gefallen geschieht — na! Geht's wieder einmal etwas
knapp, Maestro, he?»
Nino kratzte sich hinterm Ohre.
ija, Baargeld ist selten! — Ihr thätet mir einen
wirklichen Gefallen; mir genügt ja auch eine billigere.»
«Also sechzig Lire, sagt Ihr?»
SUfto Rnlttt p|[,
fhot r. Hanfttneriffl. >1iii)>
Satyr und Nymphe.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
13
< Fünfzig s , verbesserte der Andere.
«Fünfzig oder sechzig», entgegnete Nino. «Wenn
Ihr also sechzig geben wollt — »
c Fünfzig i , sagte der Geigenmacher, c Es ist bei
Gott schon überzahlt.»
«Nun, nun, Freund — fünfundfünfzig», bat Nino.
Der Geigenmacher betrachtete das Instrument wieder
von allen Seiten.
«Viel Geld! — Und schliesslich hängt sie wieder
ein paar Jahre da ; — todtes Kapital. — Aber Ihr sagt,
dass Euch ein Gefallen geschieht. Also meinethalben,
aus Freundschaft!»
Er zahlte Nino baar aus und ging seiner Wege. —
Herrgott ! Herrgott !
Das war ein Freund!
— Das war ein geriebener
alter Fuchs, ein Dieb, ein
Schuft! — O Maria! —
Nach einigen Wochen er-
fuhr es Nino, was ihn wie
ein Schlag traf. Vierhun-
dert Lire waren für die
Geige geboten worden —
vierhundert Lire!
Und er hätte sie bei
Leibe nicht hergegeben.
— Und eine echte Stradi-
vari? O Gott, Gott! —
Maestro Nino ging herum
wie ein Träumender. Aber
er verschloss den Schmerz,
die Wuth, den Hass tief
in seiner Brust, in einem
ganz versteckten Herzens-
winkel. —
Eines schönen Morgens
fand der alte Geigen-
macher den schönen Stra-
divarius unheilbar ver-
stümmelt. Ein viereckiges
Stück, fast handflächengross, war ihr mit raffinirter Bosheit
aus dem Leibe geschnitten. Keine Kunst der Welt
konnte sie heilen. Sie war keine zwei Franken mehr werth.
Der Alte schrie, weinte, zeterte, tobte. Er rannte zur
Polizei und fluchte Pech und Schwefel auf den verruchten
Missethäter herab. Aber man konnte gar nichts entdecken.
Es dauerte auch nicht lange, da hing die Geige
wieder in dem Trödelladen bei Menichino, rückwärts
in dem finsteren, staubigen Winkel. Und eines Tages
kam ein junger deutscher Künstler, stöberte in all dem
alten Kram umher und kaufte dieses und jenes. Er fand
auch die alte Geige, sie gefiel ihm sehr wohl. Das traurige
Schicksal, welches sie erlebt , berührte ilm ganz weh-
müthig. Um wenig Geld
„ .. kaufte er sie und nahm sie
dann mit in seine Heimath
jenseits der Alpen ....
Da lag sie nun auf dem
hochlehnigen Stuhle im
Atelierwinkel, und der ge-
schnitzte Faunskopf sah
immer mit einem so fatalen
Lächeln auf sie herab. In
schönen Sommernächten
aber, wenn das Mondlicht
durch das grosse Fenster
hereinfiel in das Atelier,
wenn Alles so still, so ganz
still war, wenn die alte Vase
mit Blumen gefüllt war,
die so süss dufteten, dann
träumte die Geige wieder
von ihrer Jugendzeit und
von ihrerHeimath. So viele,
viele Jahre war's her! —
Und dann ging ein leises
Klingen durch die übrig
gebliebenen drei Saiten, als
ob die alte G eige im Schlafe
mit sich selbst redete . . .
"!-^!^t^y>J-
u
DIE KUNST UNSERER ZEH.
DIE SONDERAUSSTELLUNG IN DER BERLINER NATIONALGALLERIE
VON
HERMANN MEISSNER.
^ine schöne Sitte lässt die Nationalgallerie regel-
mässig nach dem Tode hervorragender Künstler eine
Sonderausstellung von deren erreichbaren Werken ver-
anstalten. Lückenhaft nur ist das Bild von der geistigen
Physiognomie des Schöpfers, wie es aus einzelnen
Werken, die oft einer seltsamen Stimmung, einem losen
Berühren irgend eines Gebietes entspringen, entgegen-
tritt, — aber aus der Gesammtheit von Werken aller
Lebensperioden, da tritt uns die ganze Künstler-Er-
scheinung mit dem, was sie sagen wollte, und dem,
was sie sagen konnte, plastisch entgegen und an der
Hand der Entwickelung in der Lebensfolge lernen wir
ebenso den Werth eines Künstlers wirklich schätzen,
wie andererseits ein solcher UeberbKck sehr oft den
Nimbus zu nehmen pflegt, den gesellschaftliche Stellung
oder äussere Umstände um einen Künstler gezogen haben.
Am reichsten vertreten in dieser Sonderausstellung
ist Eduard Bendeniann, der i8ll in Berlin geboren
ward, als Sohn eines sehr reichen und kunstliebenden
Hauses, in dem er unter den denkbar günstigsten Um-
ständen aufwuchs und neben der sorgfältigsten Pflege
seines früh offenbarten Talents jene reiche, tiefe Bildung
empfing, die seinem Schaffen das vielseitige Gesicht
verlieh, welches mit annähernd gleicher Schärfe das Wesen
fast aller Gebiete der Malerei erfasste und sich darin
bethätigte. Indessen muss auch gerade in diesem aus-
gleichenden Einfluss universeller Bildung einer der
wesentlichsten Factoren dafür gesucht werden, dass in
der reichen Production des Künstlers eine originelle
Anlage, falls solche vorhanden war, erst zur Geltung
kam, als Bendetnann mit seiner c Wegführung der Juden»
auf der Höhe und zugleich am Ende seines Schaffens stand.
Wollen wir das künstlerische Wesen Bendeinann s
in wenigen Sätzen zusammenfassen , um damit seine
Stellung in der Kunstgeschichte zu skizziren, so müssen
wir eine starke Begabung voraussetzen, die durch
harmonische Ausbildung nach allen Seiten fähig gemacht
wurde, mit gleichem Geschick an alle Aufgaben einer
bewegten Kunstperiode zu gehen und die fast ein
Menschenalter lang als Führerin in der Entwickelung
zwischen zwei Kunstanschauungen stand , es aber nicht
vermochte, einen bleibenden Einfluss auf- die Zukunft
zu gewmnen. Bei aller Hochsinnigkeit, bei aller Grösse
des Blicks schuf der Künstler in den Bahnen des Cor-
nelius lediglich das Geschaute um; bei aller realistischen
Neigung als Maler konnte er kein Verhältniss zu der
bald um ihn herum aufgehenden Düsseldorfer Realistik
gewinnen. Er hatte ein starkes, vorzüglich ausgebildetes
Talent, aber ihm fehlte die geniale Schöpferkraft. Es
bleibt indessen innerhalb dieser Einschränkung noch
genug an künstlerischen Eigenschaften übrig, um das
grosse Ansehen des Meisters in der Blüthezeit seines
Ruhmes zu rechtfertigen.
Bendemann' s Bilder sind durch Ver\'iclfaltigungen
weit bekannt geworden, so dass bei dem wenigen Raum
für diesen Ueberblick die knappste Charakteristik ge-
nügen wird, cjeremias auf den Trümmern von Jerusa-
lem > (1835) ist das grössere unter den älteren Bildern.
Es ist der Anfangspunkt der altdUsseldorfischen senti-
mentalen Geschichtsmalerei , zeigt die Einflüsse einer
kurz zuvor gemachten italienischen Reise und setzt in
seinem künstlerischen Stil die Feierlichkeit sinnendumpfer
Leidensseligkeit gegen eine realistische Formengebung,
die nicht mit Nothwendigkeit aus dem Stoff hervorgeht,
sondern aus der Reflexion erstand. Wundersame Linien-
führung entzückt auf der einen Seite ebenso, wie uns
Moderne die brettharte, nüchterne Farbe abstösst. Drei
Jahre später in Dresden hatte Bendetnann sich von der
Romantik Alt-Judaeas zu der des deutschen Mittelalters
gewendet und Hand in Hand damit in seinen künst-
lerischen Ausdrucksmitteln eine grössere Freiheit und
mehr Unmittelbarkeit gewonnen. Die beste Schöpfung
dieser Periode ist das kleine Bild: cHirt und Hirtin 5),
die von einer Bergeskuppe in eine blaue Welt hinein-
schauen. Ist die Stimmung in diesem Bilde auch nicht
sehr tief, so ist sie doch sehr rein und in dem ganzen
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
15
Werden Bendemanns bezeichnet es den Punkt, wo er
am deutschesten empfindet und denkt.
Eine vorzügHche Technik offenbart der Künstler
alsdann 1 847 im Bildniss seiner Gattin , an dem der
lebendige Ausdruck zu rühmen ist, wenn auch die
generelle Auffassung bei uns nicht mehr das Entzücken
bewirken kann, von dem die Zeitgenossen berichten.
Die Ausmalung des Dresdener Schlosses brachte Bende-
mann zur Antike und staunenswerth ist in all diesen
Compositionen und Cartons die Fülle von archaeo-
logischem und mythologischem Wissen, die Sicherheit
in der von Cornelius übernommenen Compositionsweise
wie Formengebung , die Grazie in der Wiedergabe
hellenischer Welt und der feingelauterte Geschmack,
der Alles zusammenzuschmelzen wusste zu einem har-
monischen Ganzen. Bei der unendlichen Fülle der aus-
gestellten Arbeiten ist es unmöglich , auf die einzelnen
besonders einzugehen. Interessant und als Moment
dienend für meine oben skizzirten Ausführungen über
das Wesen Bendemann's ist die romantis^ch-subjective
Auffassungsweise des Künstlers von der Antike.
Der grosse Lebenswurf aber ward dem Künstler in
seinem Colossalgemälde : c Wegführung der Juden in die
babylonische Gefangenschaft!. Die ganze Summe von
Erfahrung und Wissen stellt sich hier in den Dienst
einer ebenso grossen wie geläuterten Anschauungsweise
und als Eigenes drängt sich zugleich eine Durchdringung
des Stoffs mit seinem eigenen Geiste ein, so dass näm-
lich mit der äusseren geschichtlichen Erscheinung das
Wesen des staatlich vernichteten Judenthums nicht nur
tief erfasst, sondern auch annähernd im Stoff ausgestaltet
erscheint. Hier ist nicht mehr, wie in den cjeremias»,
christliche Askese in die Darstellung hineingetragen,
sondern das ganze Wollen auf geschichtliche Wahrheit
gerichtet. Indessen wiegt neben dem eigenthümlichen
doch das reflective, übernommene Element so stark
vor, dass in diesem Abschluss von Bendemann's Schaffen
bei aller blendenden Pracht des künstlerischen Ausdrucks
wie auch bei der Plastik des Inhalts kein Resultat heraus-
kommt, das einen nennenswerthen Punkt in der Cultur-
arbeit der Kunst bezeichnet. In Hinblick auf diese Rolle
der Kunst in der Geschichte , welche die Taxe für grosse
Einzelleistungen geben muss, kann man Bendeniann nicht
unter die grossen Geister der Nation rechnen, wozu man
allerdings leicht durch die überreiche Fülle wie die
blendenden Erscheinungen seiner Gaben verführt wird.
C. Sieffeck ist gleichfalls Berliner. Gab in Bende-
mann's Elternhause die Geistesaristokratie den Ton
an, — Henriette Herz verkehrte dort, — so war der
Ton in Steffeck's Elternhaus auf bürgerliche Behag-
lichkeit gestellt, und die Tugenden des Bürgerstandes sind
es daher auch vornehmlich, welche Steffeck als Künstler
zieren: Ein sich nie genugthuender Fleiss, Ehrlich-
keit gegenüber der Natur, ein durch Sorgfalt ausgebildetes,
aber mehr kritisches als künstlerisches Auge und als
Folge dieser Eigenschaften ein langsames, aber sicheres
Aufsteigen zu Leistungen, die gediegen sind durch ihre
formelle Sicherheit. Indessen i.st einschränkender Weise
zu bemerken, dass Steffeck weder eingegriffen hat in
seine Zeit, noch auch in individueller Beziehung besonders
werthvoll geworden ist, — er ragte in unsere gährende
Zeit als der Typus des Acadeniikers vom guten alten
Schlage hinein. Der Schwerpunkt seines Schaffens lag
im Pferdestück, auf welchem Gebiet er seit Franz Krüger
als anerkannte Autorität auch den Erfolg hatte. Ein
Reiterbjldniss aus dem Jahre 1865 (Selbstbildniss des
Künstlers) zeigt ihn unter den ausgestellten Werken
am vortheilhaftesten , denn das Pferd ist, coloristisch
wie anatomisch gleich durchgebildet, von vorzüglicher
Lebendigkeit. Eines der bekanntesten seiner grossen
Bilder ist der «Sieger von Königgrätz» (1867), den seine
Offiziere und Mannschaften nach der Schlacht jubelnd
umringen. Auf einer ganzen Reihe von Bildnissen
präsentirt er sich daneben als ein sehr geschickter
Portraitmaler, dem es ebenso gut gelang, ein treues
Abbild vom Leben zu geben, wie dies Abbild mit
lebendigem Ausdruck zu erfüllen. Unter den ansprech-
enden Arbeiten landschaftlichen Genres ist eine der
bekanntesten : «Die Zigeuner» (1877), drei dieser Gesellen
ruhen an einer Parkmauer, während der vierte, ein Knabe,
hinausgeigt in die waldige Ferne, dem hellen, sehn-
süchtig geschauten Streifen Licht am Horizont zu.
Steffeck's nüchternem Wesen war der Zauber der Stimmung
fast ganz versagt und nur zuweilen erhebt er sich, wie
auf dem genannten Bilde , zu einer solchen. Dieser
Mangel nimmt auch dem grossen Hauptwerk des
Künstlers aus dem Jahre 1848: «Albrecht Achill im
Kampfe mit den Nürnbergern um eine Standarte», die
Wucht, welche in der Composition und den grossen
Verhältnissen liegt. Geschichtliche Treue, energisches
Naturstudium, hervorragende Zeichnung sind die Eigen-
schaften dieses bedeutendstenHildes aus des Künstlers Hand.
16
DIE KUNST UNSERER ZEFP.
Eine merkwürdige Künstlernatur ist der Oricntmaler
W. GfM/s; er stammt aus einem der ödesten Nester in
der Mark Brandenburg, Neu-Ruppin. In ihm zeigt sich
die specifische Anlage des c Farbenmenschen • in herr-
lichster Weise. Man mag darin eines der vielen
Beispiele dafür sehen, dass die besondere Richtung
im schöpferischen Künstler durch Eigenthümiichkeit
des Organismus, nicht durch äussere Umgebung be-
stimmt wird. Interessant ist nun bei Gen/s die Ver-
quickung von Märkerthum und Orientalismus. Nur in
seinen frühesten Sachen spricht er die leidenschaftliche
Farbensprache um ihrer selbst willen, und da überrascht
uns in dem schwülen Gewoge mit frappanter SpUrbar-
keit jene Haideschwermuth, welche über den eintönigen
Tannen- und Fichtenwäldern der Mark mit ihren
schweigenden Seen als die sondere Schönheit dieser
aussen so kai^en Welt ruht; in der fortschreitenden
Entwickelung, die bei ihm zum Licht und infolge dessen
zu präciseren Formen geht, arbeitet sich in dem Künstler
jene zähe Festigkeit aus, die der menschliche Charakter
des Märkerthums ist, und die bei ihm — wie in noch
höherem Maasse bei Menzel (beide sind naturalisirte
Berliner) — mit jener berlinischen Eigenthümiichkeit des
leichtflüssigen, beweglichen Ausdrucks durchsetzt erscheint.
Unter den Bildern der Lehrzeit nimmt das früheste
aus dem Jahre 1849 tder verlorene Sohn unter den
Säuen in der Wüste* durch die Einheitlichkeit seines
breiten, warmen Tons wie durch die naive Frische den
ersten Platz ein. Tongebung wie Compositionsweise
sind durch eine spanische Reise des Künstlers inspirirt.
Dem von Belgien und Frankreich damals sich aus-
breitenden coloristischen Weckruf folgend, ging der
Künstler 1852 zum dritten Male für längere Zeit
nach Paris zu Coiiture; dort trat er zu einer Anzahl
bedeutender französischer, wie dort weilender deutscher
Künstler in Beziehung, so zu Delacroix, Decamps, Heil-
buth, Knaus, Feuer back, Henneberg, G. Spangenberg.
Das Wohlgefühl, das der Künstler in diesem anregenden
Kreise fand , spricht sich in der bedeutendsten Arbeit
jener Jugendperiode aus : c Aegyptische Studenten unter
Palmen». Unter Verzicht auf jede Modellirung hat der
Künstler hier den Schwerpunkt auf die originelle Farben-
sprache gelegt und da eine Art von musikalischem
Ausdruck erreicht, der berückend ist.
Zwei religiöse Colossalbilder entsprangen alsdann
dem jugendlichen Drang nach monumentaler Darstellungs-
weise, aber beide Motive, welche Christus als Lehrer
behandeln, haben trotz achtbarer Eigenschaften so wenig
individuelle Kraft und sind so unfertig in sich gegen-
über den früheren Bildern, dass sie nur in der Ent-
wickelung des Künstlers insofeme interessiren, als er bei
Behandlung dieser Stoffe seine Achillesferse erkennen
lernte. Energisch wandte er sich dem Fomienstudium
tu; verblüffend ist die Meisterschaft im Stofflichen
wie in der Beseelung, die uns plötzlich in einem
kleinen Bilde aus dem Jahre 1858: «Angorakatzen»
entgegentritt. Unverkennbar arbeitete er in den nächsten
Bildern mit rastloser Energie am harmonischen Aus-
gleich von Farbe, Form und Beleuchtung und suchte
die einseitig coloristische Sprache zurückzudrängen.
Im Jahre 1860 folgte dann der erste grosse Wurf mit
dem c Sclaventransport durch die Wüste», der uns
in kuhner Composition und packender Anschaulichkeit
das Elend der afrikani.schen Menschen-Jagden schildert .
Der Gesammtton, den Gentz sonst so vorzüglich be-
herrschte, ist hier matt, ohne tieferen Reiz, dies beein-
trächtigt die Wirkung einigermaassen. Unter den zahl-
reichen Bildern der folgenden 2^it sind diejenigen wahre
Cabinetstücke und für die Weiterentwickelung des
Meisters bezeichnend, welche sich mit dem Nil und
seinen geflügelten Anwohnern , den Flamingo's und
Pelikanen, beschäftigen. Hier hat Gcntz den unbe-
dingten Nachdruck auf den farbigen Gesammtton schon
sehr gedämpft und der Localfarbe an den Körpern eine
Herrschaft eingeräumt, die durch ihre lebensvolle Plastik
in der Orientmaleret immer einen Ehrenplatz behalten
werden. Ueber ein Paar vorzügliche Bilder hinweg wie
der f Märchenerzähler bei Cairo», der mit seinem Licht-
gefühl im Raum wie der vorzüglichen Figurenbehand-
lung einen neuen Schritt zur Höhe aufweist, und die
< Begegnung zweier Caravanen in der Wüste » mit ihrer
Wahrheit und der kraftvollen Concentrirtheit im Aus-
druck kommen wir nun zur reifsten Frucht in Gentz' s
Künstlerschaffen, dem c Einzug des Kronprinzen von
Preussen in Jerusalem 1869»; er schuf das Bild im
Jahre 1876.
Man kann das durchaus landschaftlich empfundene
Bild als ein ausgezeichnetes Geschichtsbild auffassen,
wenn man Werth auf eine solche Gebietstrennung legt.
Denn der im Mittelpunkt der Composition auf einem
prachtvollen Araber reitend dargestellte Kronprinz in
der Dragoneruniform mit weissem Staubmantel darüber
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
17
ist mit seinem Gefolge in plastischer Geschichtlichkeit
aufgefasst, ebenso die Menge, welche ihre Palmwedel
vor dem Tritt des vornehmrassigen Pferdes auf den Weg
senkt. Im Hintergrund sieht man dann die heilige Stadt,
zu deren finsterem Thor vom Beschauer aus die spalier-
besetzte Strasse im Bogen führt, und vorn, unmittelbar
am Kronprinzen, neben einem Mauerrest auf dem Maul-
esel sitzend, den Künstler, welcher diesen geschichtlichen
Augenblick im Skizzenbuch festhält.
In der Verschmelzung des Landschaftlichen mit dem
Geschichtlichen zeigt sich bei aller individuellen Eigenart
eine starke Verwandtschaft mit Menzel. Alles ist an
seinem eigenen Ort gesehen und aufgebaut, mit durch-
dringendem Auge für den Zusammenhang erfasst, und
an die hinter die Schöpfung zurücktretende Künstler-
persönlichkeit erinnert nur der verschwenderisch reiche
Farbenausdruck. Er sieht nunmehr mit klarem, ich
möchte sagen, mit unbetheiligtem Auge in die Welt
hinein, der Schwerpunkt der Stimmung ruht in der Er-
scheinung der Dinge, nicht mehr in ihm selbst und man
kann sagen, dass der Künstler hier als eine völlig in
sich abgerundete Erscheinung auftrete.
Auf derselben Höhe mit dem Ausdruck der oben
analysirten Anschauung steht ein Bild aus dem Jahre
1 879 : € Markt vor dem Fort in Algier » . Es drückt
das Thema noch reiner und kürzer, mit noch stärkerer
Empfindung für Licht und Luft aus, steht es auch
im Vorwurf und vor Allem in der Composition zurück.
Unter den Mauern des hochragenden Forts zur Rechten
breitet sich das Gewühl von Menschen in den grellen
Gewändern des orientalischen Südens, von Zelten, Ka-
mcelen, ausgestellten Waaren zwischen Cypressen und
Palmbäumen aus, und darüber steht still und tief ein
glühend durchsonnter Himmel.
Aus der Anzahl bedeutender Bilder, welche um
die.se Zeit entstanden, hebt sich als neuer, wenn auch
eng begrenzter Entwickelungspunkt der heraus, welcher
in den beiden Grisaillen zu Ebet's : « Mirjam an der
Quelle» (Motiv aus «Homo sum») und «die kranke
Uardas (Motiv aus dem gleichnamigen Roman), sowie
in der köstlichen: '< Liebesidylle in der Thebaide » (1883)
das merkwürdige Streben zeigt, statt des eigenen orga-
nisch entwickelten Stils die orientalische StofiVvelt in den
cla.ssischen Stil der Antike zu bringen.
Die beiden ersten Tafeln geben lediglich den
Stimmung-sgehalt der Dichtung an der betrefienden Stelle
in feiner Anempfindung wieder; namentlich die erste,
welche durch Vervielfältigung längst bekannt ist, zeichnet
sich durch grosse Behandlung wie vornehmen Schnitt
in Composition und Gestaltung aus. Die zurückhaltende,
hauptsächlich auf Ausdruck des Wesens durch gross-
zügigen Stil bedachte Art, welche der Künstler in seinen
späteren Arbeiten beibehalten hat, liegt aber am schärfsten
ausgesprochen in der oben erwähnten Liebesidylle. Auf
dem Stumpf eines Grabsteins sitzt die tief braune junge
Schöne, ein Zicklein spielend an sich gedrückt; ihr
schlanker Bau ebenso wie der Korallenschmuck und die
Zierlichkeit der geflochtenen Schürze deuten auf vor-
nehme Abstammung. Hinter ihr dehnt sich eine kleine,
trümmerbedeckte Ebene mit spärlichem Palmenwuchs,
die durch schroff ragenden Fels abgeschlossen wird.
Ueber ein kleineres Felsstück im Vordergrund beugt
sich tief zu der schamhaft bei Seite Blickenden ein
junger Flamingojäger und reicht ihr als Liebeszeichen
mit flehendem Auge eine Hand voll rother Federn, die
er einem erlegten Vogel, der zu Füssen der Schönen
liegt, ausgerissen hat. In dieser knappen Darstellung
aller Formen hat das Ganze grosse ruhende Schönheit,
in dem Gesicht der Beiden ist ein ausserordentlich
reicher wie tiefer Ausdruck.
Neben dem Typischen der beiden Figuren über-
rascht aber ein psychologisches Problem, das der Meister
im Ausdruck gelöst hat. Die Liebesregung niedrig
stehender Naturvölker wird wohl hauptsächlich durch den
rein thierischen Trieb bestimmt; das, was wir unter Liebe
verstehen, das seelische Bedürfniss, ist erst ein Product der
Civilisation. In dem schamhaften Fortblicken der Schönen
wie in dem Schmachten ihres Anbeters hat nun der
Künstler die Keuschheit der kulturerzeugten Liebe ent-
zückend getroffen und dabei in der Haltung der Beiden
doch den dieser Rasse eigenthümlichen Naturtrieb fest-
gehalten; diese Vereinigung zweier psychologischer
Momente in den Dargestellten gibt der Schöpfung einen
eigenen, berückenden Reiz, von dem man nicht loskommt.
Eine unendliche Fülle von Skizzen geben gleichsam
in Anmerkungen Material für die obige Charakterisirung
des Künstlers, der, aus wohlhabendem Hause stammend
und aller gemeinen Sorge frei, sich ausleben konnte, wie
er es seinem Innern Drange nach musste. In einem der
reizendsten Winkel des vornehmen Berliner Westens, in
der poetisch stillen Hildebrandtstrasse, am Saume des
Thiergartens, hatte er sich ein orientalisch geschmücktes
3
18
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Heim geschaffen, in dem ihn die Welt, die er glühend
liebte, traulich umfing. Wie er in seinem echt künst-
lerischen Wesen die Entwickelung der Zeit selbstthätig
mitmachte, so stand er auch in der grössten Vorurtheils-
losigkeit zu den jüngsten Stürmern der < Modernen > als
ein wohlwollender BeratUer, — ein fernerer Beweis, wie
sehr es ihm um die Sache, nicht um den eigenen Ruhm
zu thun war. Er hat keine Ideenthrone gestürzt noch
neue Ziele gebracht, aber in organisch aufbauendem
Werden auf seinem Gebiet hat er sich rund ausgelebt,
und seine Orientmalerei muss desshalb als eine classische
bezeichnet werden.
•«-<iX*^5^-
OTTO FRÖLICHER
H. E. VON HERLEPSCH.
t Ott» Friliehtr.
's ist ein eigen Ding, dass da, wo der Boden die
wetterfestesten Pflanzen hervorbringt, er auch der
Poesie der Natur ein eigenthümlicheres, feineres Gepräge
verleiht, als es dort der Fall ist, wo mit den senkrecht
niederfallenden Strahlen der grossen Welterwärmerin
und Lebenserzeugerin scheinbar alle nur denkbare
Pracht über die Erde ausgegossen ist. Der Süden singt
vom blauen Himmel, vom azurnen Meer, seine Klänge
hallen wider von ewiger Licbeslust und Freude am
Leben, der Mensch lebt leicht, sorglos, und wo sein
Auge hin sich wendet, sieht er der Schöpfung vollendetste
Form um sich, in der menschlichen Figur ebenso wie
im überreichen Blüthenschmuck der Pflanze , wenn sie
tausendfaltig ihre Kelche öffnet und wahre Wolken von
WohlgeriJchen über die grünende, zu kurzem, berauschend
schönem Leben erwachte Welt ausbreitet. Wir sind
leiclit undankbar gegen die nordisch heimische Scholle,
wenn wir zum ersten Male den grossen Grenz wall
zwichen Italien und den Ländern kälterer Zonen über-
schritten haben und die unermessliche Menge dessen,
was hehre, künstlerische Geister schufen, von allen Seiten
auf das halb irre gemachte Auge wirken lassen. Es
klingt vielleicht barock, wenn ich sage, dass ich es für
gar keine besondere Aeusserung menschlicher Em-
pfindung halte, dass Jeder, der Italien zum ersten
Male sieht, aufgeht in einem wahren Taumel von Genuss
an alledem , was sich ihm da beut. Er müsste sonst
ein ganz empfindungsloser Tropf oder ein nordischer
Asket sein. Goethe's Vater sagte ein Wort, was so recht
bezeichnend ist für solche Stimmung: Wer Neapel ge-
sehen hat, der kann nie ganz unglücklich werden. Er
sagte es zu einer Zeit, da so ziemlich alle Welt, mit
Ausnahme der paar Protestanten,*) ebenso wie im Be-
herrscher des Vaticans das Oberhaupt der Christenheit,
so in Italien den Extract alles Schönen in landschaft-
licher sowohl als künstlerischer Art verehren zu müssen
*) Nian verstehe die < paar > Protestanten nicht falsch. Was mit
künstlerischem Auge nach Kom schaute, stand dem Katholicismus siclier
nie feindlich gegenüber und schliesshch gab und giebt es noch heute
z. 13. in der Schweiz, strenge Protestanten, die das Fastengebot de»
Freitags halten und — fUr den Peterspfennig Beiträge zahlen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
19
glaubte. Wir ha-
ben seitdem eine
mächtige Wand-
lung durchge-
macht , wir sind
wieder zu uns ge-
kommen und uns
däucht der schein-
bar bescheidene
Reiz des Nordens
mindestens
gleichwerthig mit
der transalpinen
Circe, ja die Rau-
heit, die Härte,
die in unserem
Boden und seinem
Volke liegt, will uns schier besser zum klangvollen
Liede begeistern, als die Atmosphäre, wo der volle
Ton von selbst kommt und ein melodisches Element
im ganzen Wesen und Sein alles Lebenden zu wohnen
scheint. Wir zählen erst nach Jahrzehnten an der mehr
und mehr sich festigenden Thatsache, dass die wolken-
y Otto Frölichtr. Studie
doch uns das sagt,
was wir mit er-
wachendem Sinne
als Kind zuerst
um uns her wahr-
nahmen. Der
Süden hat nichts
Geheimnissvolles
an sich , in ihm
spielt das unge-
brochene Licht
vor allem andern
eine Rolle. Zieht
aber bei uns
herbstlicherNebel
durch's Tännicht
und zwischen dem
farbigen Blättermeere des Waldes dahin, steigen bei uns
langsam grosse schwere Wetterballen am Horizonte auf,
die sich nach und nach zu einem endlos hohen, bald grell
beleuchteten, bald tiefdunklen Wolkenpalaste aufbauen,
oder decken frostige Krystalle des Ackers Furchen und
des Forstes weitastiges Wirrsal, so liegt darin ein wunder-
schwere, graue Stimmung, die unserer Landschaft weit sam vielfältiges Wesen, ein weit grösserer Zug zu ge-
mehr das eigentliche Gepräge gibt, als der Sonnenschein steigerter Empfindung, als sie uns die schönste Land-
es thut, dass diese eine unfassbar grosse Welt von
Schönheiten in sich berge. Das braune Haideland, die
silberig in unendlicher Ferne sich verlierende Hochebene,
der sandige Mee-
resstrand , gegen
den graue Wogen
heran rollen, .sie
sind uns, wie der
nordische Wald
mit seinen mäch-
tigen Kronen,
heute mehr als die
klassisch geform-
ten Linien des
Südens, denn wir
empfinden in
ihnen die Mutter-
sprache, die, wenn
auch dem zungen-
gewandten Roma-
nen rauh und herb.
Schaft aus Hellas oder Trinacria zu wecken vermag.
Wir wissen , was der Lenz sei , weil wir auch den
Winter kennen und so i.st es denn nicht zu verwundern,
dasi der grössere
Theil unserer
Künstler sich zur
eigenen Natur hin-
gezogen fühlt, was
ja anderseits nicht
ausschliesst, dass
man der Ab wechs-
Iiing zuliebe auch
den Süden liebe;
speciell bei den
Landschaftern ist
dies durchaus der
Zug der Zeit.
Einer ihrer besten,
von dem die Welt
bei Lebzeiten
nicht viel erfahren
Otto Froliclar. Studie.
3*
20
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
hat, ist uns vor Kuntem
entrissen worden: Otto
Frölicher, ein geborener
Schweizer. Wohl kann-
ten seine Freunde die
Tiefe und Klarheit sei-
ner Anschauung , die
ehrliche Ueberzeugung,
mit welcher er den
Dingen seines Studiums
nachging; er hat nie
coquettes Spiel mit Dem
getrieben, was sein In-
nerstes erfüllte. Hätte
7 OUii t'r*lUka: Studie.
Oberfläche gespült wird,
so fehlt es nicht an
Jenen , die das Hosian-
nah in ebenso grossen
Quantitäten von sich zu
geben vermögen, als ein
Anathema. Frolicher
war einer der Stillen,
der L'ngekannten ; erst
sein Tod hat manches
Siegel gelöst ; fanden
doch seine Freunde erst
beim Ordnen des Ate-
liers und der darin auf-
gespeicherten Arbeiten
er es über sich ge-
bracht, er wäre vielleicht ein berühmter Mann geworden, eine Menge von Dingen, darunter fertige Bilder vor, von
denn die Welt im grossen Ganzen, besonders jene, die, deren Ejcistenz sie zuvor keine Ahnung hatten. Er war
wie sie selbst sagt: < gerne t künstlerische Anregungen dabei durchaus nicht etwa ein in sich selbst vcrkrochener,
in sich aufnimmt und damit Tändelei treibt, sie hält weit- und menschenscheuer Kauz, im Gegentheil, wenn
sich von der Strenge einer ernst überlegenden Natur
und von ihrem Streben durchschnittlich ein wenig ent-
fernt. Es genügt ihr, im Allgemeinen ein künstlerisches
Conversations-Lexikon-Wissen zu besitzen, Namen und
und Schlag^vorte zu kennen, aber die Einfachheit ist
ihr entweder ein unbequemes Ding, oder ein von ihr
künstlich gemachtes, das quasi nur als Lar\e dem
innerlich prätentiösen Menschen vorgebunden ist.
cWo haben Sie Ihre erste Medaille bekommen und
wann sind Sie Professor geworden ? » Das ist mit wenig
Schwankungen
die Frage, nach
deren Beantwort-
ung der Mensch,
der Kün.stler be-
urtheiltwird. Und
kommt es manch-
mal vor , dass
Einer, den die
Welt längst
kannte, von dem
sie aber nichts
wusste , durch
irgend einen
glücklichen Zufall
im Strudel des
Lebens an die
+ Otto
im intimeren Kreise die Saiten der Guitarre schnurrten
und ein lustig Lied mit dem andern in bunter Folge
wechselte, so schlich er nicht scheu davon, sondern
benützte die Kehle zu dem. wozu sie unter Anderni
geschaffen ist, zum Singen und zum Trinken, doch blieb
er dabei, rein physiologisch genommen, immer nüchtern.
Ging die Rede auf ein Thema über, was ihn berührte,
so legte er los mit der ganzen Kraft eines von seiner
Sache überzeugten Mannes und hielt mit seiner Meinung
nicht hinter dem Berge, mochte sie nun momentan auf
freundliches oder
gegnerisches Ge-
hör stossen. Da-
I rin war er eine
I kerngesunde Na-
tur, ohne Hehl,
«■linc Vertusch-
ung. Er hatte das
an sich, was man
so schlechtweg
« bieder » nennt,
er war ein Mensch,
den man gern
haben musste;
dazu trug nicht
wenig seine Er-
scheinung bei.
\ W»ltnii pllix
Phot. V. HfinNtaongl, Mim-h-
Portrait.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
21
denn Frölicher war in seinen guten Jahren , ehe viel-
faches Kranksein die Hahung matt, den Gang schlep-
pend machten, eine männlich schöne Erscheinung, gross
gewachsen, herkulisch gebaut, mit mächtig entwickeltem
Kopf, aus dem ein Paar klare, sichere, dunkle Augen
herausschauten, und der, wenn Noth an Mann ging,
auch beweisen konnte , dass seine Fäuste nicht von
weichem Material geschnitzt seien. Er ist von Solothurn
gebürtig (1839 das.) und trug in seiner Erscheinung
vollständig den Typus der dort ansässigen burgundischen
Bevölkerung an sich.
Die Schweiz ist im grossen Ganzen, will man viel-
leicht von Genf absehen , kein Boden für Künstler , es
sei denn, dass der Ruf vom Auslande her die Meinung
günstig stimme, und dass vor Allem auch feststehe, der
Mann verdiene sich gehörige Batzen. Das Land ist
klein und vermag nicht Alle zu ernähren, denen es
Vaterland ist, daher denn bei den Meisten früh der
Sinn für die speculativen Seiten des Lebens mehr in
den Vordergrund tritt als für die idealen, künstlerischen.
Und dennoch, seltsamer Gegensatz, gerade dieser Boden
hat eine Reihe von Männern her\'orgebracht , die voll
und ganz in ihrem Wesen an der heimischen Scholle
hangen , ihr angehören , und dennoch künstlerisch auf
jenen Höhen stehen, zu denen emporzuklimmen wohl
Mancher versucht, das Gelingen solchen Versuchens
aber vereitelt wird durch allzu frühe Ermüdung oder
durch den ursprünglich schon vorhandenen Mangel an
genügender Kraft. Es ist wohl kaum vonnöthen, Namen
wie die eines Gottfried Keller, eines Arnold Boccklin,
Leutlwld, Conrad Ferdinand Meyer und Anderer hier
beispielsweise aufzuführen , ihrer wären eine stattliche
Zahl, wollte man sie Alle nennen. Das hat hier keinen
Zweck. Vielleicht wächst gerade unter den harten
Lebensbedingungen , die ein nüchternes , von seiner
Arbeit lebendes Volk umgeben und den Trieb nach
Erwerb zur maassgebenden Richtschnur machen , jenes
Einzelnen eingepflanzte Element künstlerischer Bean-
lagung nur um so kräftiger, gerade weil es sich durch
eine förmliche Mauer von Vorurtheilen durcharbeiten
muss, um Luft zu bekommen. Mir fällt dabei unwill-
kürlich ein Vers von Gottfried Keller ein, der vielleicht
auf diese Verhältnisse abzielt:
Wer ohne Hass, der ist auch ohne Liebe,
Wer ohne Schmerz, der ist auch ohne Treu,
Und dem nur wird der Himmel wolltenfrei,
Der aus dem Dunkel ringt mit heissem Triebe.
Wogegen er dann doch wieder die feste Eigen-
art Jener preist, die das als eigentliches Wesen an sich
tragen, was ihnen der heimathliche Boden als innerstes
Lebensmark in ihr Sein pflanzte:
Und dennoch ist's das echte,
Das bleil)ende Volk, das rechte,
Das auf der Scholl' erblasst.
Auf der es ward geboren !
Das Schiflflein geht verloren,
Dess' Anker diesen Grund nicht fasst.
Dass die meisten jener Schweizer, deren Lebens-
beruf nicht gerade in allererster Linie auf materielle
Vortheile hinausläuft, zum guten Theil ihr Land ver-
lassen, um sich anderweitig ganz oder zeitweise nieder-
zulassen, das liegt in der Natur der Verhältnisse , denn
ein eigentliches Kunstleben gibt es , wie gesagt , mit
Ausnahme von Genf in keiner grösseren Schweizerstadt,
von den kleineren völlig zu schweigen. Die aber durch
solche Verhältnisse quasi gezwungen auswandern, kehren
damit der Heimath keineswegs den Rücken, und zur
Ehre der Schweizer sei es gesagt, dass sie durchschnitt-
lich nicht jener Acclimatisirungs- und Assimilirungssucht
verfallen, welche bisher eine nicht gerade sehr zierende
Eigenschaft der Deutschen bildete, so dass man oft das
seltsame Schauspiel erleben musste, unter den grössten
Feinden des Deutschthums in den Ländern slavischer,
ungarischer oder romanischer Zunge gerade lauter
Namen zu finden, die so echt deutsch sind, wie nur
irgend Etwas auf der Welt. Im Trentino gibt es da-
für ein äusserst bezeichnendes Sprüchwort :
Che Dio ci guardi dal Todesch' entaliana
L'e'l diaol descadena.
(Gott bewahre uns vor ilalianisirten Deutschen, sie sind wie der
entfesselte Teufel.)
Frölicher hat den grösseren Theil seines Lebens
ausserhalb der Schweiz zugebracht , aber er blieb
Schweizer mit Leib und Seele.
Wo und durch welche Anregung ihm die ersten
künstlerischen Neigungen zum Bewusstsein gerufen
wurden , weiss ich nicht. Er hat mir darüber nie
etwas erzählt. In seine Jugendzeit fällt die Blüthe
Calame's, dessen unübertroffene Lithographien sich —
fälschlicher Weise als Zeichnenvorlagen — über die
ganze Welt verbreitet haben. Von ihm war der junge
Frölicher ganz gewiss inspirirt, hielt er doch fest mit
grosser Achtung an dem Genfer Künstler, auch als
dessen Werke längst nicht mehr zu den «Modernen»
zählten; ein anderer Künstler, der in Solothurn selbst
22
DIE KUNST UNSERER ZETF.
thätig war und durch seine grossen historischen Ent-
\vürfe gleich wie durch die schlagende Charakteristik
seiner ebenso boshaften als geistreich treffenden poli-
tischen Cancaturen eine Zeit lang ausserordentliches
Aufsehen machte, Disteli, dürfte kaum in Betracht zu
ziehen sein, denn seine ganze Richtung verhielt sich
zur Natur Frölichrr's antipodisch. Aber Eines mag ihm
frühe schon Anregung in Menge gegeben haben : die
Natur. In jenem Theile der Schweiz, der sich zwischen
dem Jura und den Hochalf)en hinzieht und zum Theil
von der grünen Aare durchströmt ist, liegt ein malerischer
Reiz eigener Art. Leicht gewellte Höhenzüge geben
dem Bilde einen wesentlich anderen Charakter, als man
ihn so gemeinhin beim Nennen des Wortes < Schweizer-
landschaft >, die etwa ein \'ages Analogen im tTjTolcr
Costüm > hat, aufzufassen pflegt. Keine wilden und
mächtigen Felsgestaltungen bringen da den Ausdruck
des Alpinen hinein , vielmehr sind es die baumbestan-
denen Ufer grüner, schnellfliessender Wasser, breite,
behäbige, vielfach noch mit Stroh gedeckte Bauern-
häuser im Schatten mächtiger Wallnussbäume , und
endlich auch Das, was später ein so ausgeprägtes Wesen
in Frolicher's Bild hineinlegte: die Feme, nicht zu ver-
wechseln mit Femsicht, vielmehr jenes ruhige Ueber-
schneiden der Linien in den tieferen Parthien des Bildes,
jenes Ineinandergehen bewaldeter Hügelrücken und
komfeldbestandener breiter Bodenerhebungen. Er ist
übrigens, nachdem er das Gynin.xsium absolvirt hatte —
eine Errungen.schaft , die ihm im Gegensatz zu vielen
seiner CoUegen sehr zu statten kam — bald ausge-
wandert , zunächst nach München und fand da an
seinem Landsmanne Stefan eine bereits weit vorge-
schrittene Künstlernatur. Steffan hat hauptsächlich
in seinen Bildern das Gebirge cultivirt. Das that zeit-
weise auch Frolicher; den Schwerpunkt seines Schaffens
«iber hat diese Aufgabe nie gebildet. Das Beste und
künstlerisch Tüchtigste, was er in dieser Hinsicht schuf,
sind vielleicht die Cartons gewesen , die er für das bei
Bruckmann erschienene Werk < Rhododendron > von
H. A. V. Berkpsck grau in grau malte; mit ausge-
sprochener Vorliebe indessen hat er sich nie dem Ge-
birgsbilde gewidmet ; vielleicht auch berührten seine
Natur Dinge, wie z. B. die manieristischen Hochlands-
bilder von Lange, die von der Welt bis in den siebenten
Himmel hinein gelobt wurden und lediglich aus lauter
^^eschickt zusammengeleimten Unwahrheiten bestanden,
bis zu einem gewissen Grade unsympathisch , ja ab-
stossend. Dagegen hat zweifelsohne nach der Hand
Lier^ sowohl wie Schleich einen grossen , wenn auch in-
directen Einfluss auf ihn ausgeübt, denn sie waren es,
welche als Künstler die malerischen Reize der bayerischen
Hochebene eigentlich erschlossen , wenn man einen
drastischen Ausdruck gebrauchen soll. Man muss wohl
oder übel annehmen, dass auch die früheren Münchener
Künstler zuweilen die eigenthümliche Schönheit empfunden
haben , die in der schier endlos sich dehnenden, nur
von ganz leichten Terrainwellcn unterbrochenen Ebene
zwischen Lech und Inn liegen. Dem ungebildeten
Auge erscheint das Land öde, langweilig, gänzlich reiz-
los, denn seine Schönheit ist keine aufdringliche, nicht
auf der Hand liegende, sie will gesucht, sie will vor
Allem empfunden sein. Das scheinbar in trostloser
Monotonie sich streckende Land beut wahre malerische
Goldgruben — es bedurfte nur des richtigen Spruches
und sie konnten gehoben werden. Wer im .schnell
dahinbrausenden Eisenbahnzuge nach oder von München
in irgend einer Richtung fährt, der weiss in den wenig-
sten Fällen , welch' reiches Terrain um ihn her ausge-
breitet liegt Bald .sind es braune Torfstiche, in deren
dunkelfarbigen Pfützen sich der blaue Himmel spiegelt ;
die Ränder sind umrahmt von bläulich - rosig schim-
mernder Erica, knorrige Kiefern zeichnen sich scharf
gegen den Horizont und duftend entströmen dem nie-
deren NadelholzgestriJpp harzige Wohlgerüche , wenn
an heissen Sommertagen das Sonnenlicht zitternd über
der weiten, stillen Landschaft liegt, in der man höchstens
hin und wieder den Schrei eines hoch in der Luft sich
wiegenden Weih ertönen hört ; damit wechseln dann
wieder ganz andere Bilder: meilenweit wogende goldige
Aehrenfelder , über deren Horizont nur da und dort
die Kronen niedriger verkrüppelter Zwergobstbäume oder
die rauchenden Kamine spitzgiebeliger Bauernhäuser
hervorschauen oder es schieben sich schön silhouettirte
Waldparzellen mit kegelförmigen Tannen und breit-
wipfeligen Buchen- und Eichenkronen dazwischen, deren
lange Schatten auf die leise wogenden Halme fallen,
zwischen denen die tiefblaue Kornblume und der knallig-
rothe Mohn blüht; dort ziehen am blumenduftenden
Waldsaume stille, klare Bäche ihre leisen Wirbel unter
dem weit ausladenden Wurzelwerk silberig schimmernder
Weiden, die von nickenden Heckenrosen übersponnen
sind , und folgt man dem Wasserlauf in seinen vielen
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
23
Krümmungen, an denen bald frisch -grüne, duftende
Kleeäcker, bald Wiesen mit üppig stengeligem Kraut-
werk und breiten Doldenblüthen saftiger Schierlings-
stauden sich hinziehen, so führt der schmale Gangsteig
zu stillen , grünen Weihern , in welchen die dunklen
Blattdächer der Hainbuche und des Ahorns sich wider-
spiegeln. Unten am Ende ist das Wehr, zwischen
dessen grauem Balken - und Bretter%verk cr}-stailhell
einzelne Wasseräderchen niederrinnen und spritzen,
während die Hauptmasse des flüssigen Elementes auf
hochgelegter, stelzbeiniger, von grünen Moospolstern
überzogener Wasserleitung dahinfliesst und dann in
jähem Sturze auf die Schaufelräder niedersaust, immer
im gleichen Tone, im gleichen Tempo seit hundert
und mehr Jahren. Umgeben von vielblumigem Garten,
in dem wahre Riesenexemplare der Centifolie stehen,
Rosmarin und Nagerl, zu reichen Sträussen zusammen-
gebunden, neben Levkoyen und Reseda blühen, liegt
die Mühle , ein einsam Gehöft, neben dem ein Paar
mächtige alte Eichen in die Luft ragen, so dass
l,Tt^-JJ^-^'
t Olto FrölUhcr. Studie.
das Ganze eine Gruppe , einen Anhaltspunkt für das
Auge gibt , den man auf stundenweite Entfernung in
der Fläche erschaut. Dort schaut man dunstig ver-
schwommen am Horizonte vielleicht die niedrigen
Höhenzüge, von deren einem bei tiefstehender Sonne
die Fenster des Schlosses von Dachau herüber-
glänzen oder den hochragenden Thurni der Kloster-
kirche von Andechs, der weit, weit hinaus in die
Ebene sichtbar ist. Steigt man aber auf die nächste
niedrige Terrainwelle hinter der Mühle, so überblickt
man ein weites Vorland mit einzelnen grossen Baum-
gruppen , die zerstreut , hin und wieder auch zum
kleinen Waldcomplex geeinigt, in den Wiesen und
Aeckern stehen , durch welche sich in weiten Bogen
und Schlangenlinien die mit deutschen Pappeln besetzte
Landstrasse hinzieht, da und dort einen kleinen Wasser-
lauf überbrückend oder zwischen einem, auch mehreren
Gehöften verschwindend. Da leuchten von Weitem die
gelben Rapsfelder und die frischgrünen Saaten, die auf
den historisch-mysteriösen Hochäckern angelegt sind.
24
DIE KLNSl UNStkER ZEIT.
rwischendrein glän^ wohl auch der Spiegel eines schilf-
umstandenen Tümpels oder eines andern Wassers, das
man schon beinahe See nennen kann. An solchen
ist die oberbayerische Hochebene ungemein reich. Und
dann über dem Allem in mild sich hebenden und
senkenden Linien Wälder, Wälder und nochmals Wälder
und endlich fem ob diesen der Bergwall der Alpen.
Ich betone die Feme absichtlich, denn sie spielt
gerade in dieser Landschaft eine Hauptrolle; sieht
man doch von dem Hügel hinter der Muhlc bei
zwanzig Ortschaften, und wie oft sind nicht die Mahl-
knechte und der Müller dort hinauf gelaufen , wenn
sie weit, weit, vielleicht in der Entfernung von ein paar
Stunden, langsam und senkrecht eine schwarze Rauch-
säule aufsteigen sahen oder der nächtliche Wind das
Sturmläuten entfernter Kirchenglocken über Wies" und
Wald herübertönen liess. All' das im flimmernden Sonnen-
schein zu schauen, ist ein herrlicher Genuss, nicht minder
aber, wenn im Sommer nach tagelanger Hitze endlich
die V^orboten des Wetters kommen, das sich unfehlbar
am Nachmittag entlädt, wenn auch Morgens noch
stundenlang hell und klar die Sonne schien. Die ersten
Vorboten, kleine graue Wolken, kommen aus der Ein-
sattelung, hinter der der Walchensee liegt, oder es legen
sich Schleier über die weithin sichtbaren senkrechten
Abstürze der Zugspitze; die anfänglich duftige Feme
wird grau, bleiem. endlich tief dunkelblau. Die Wolken
steigen, noch winkt das vergoldete Kreuz vom Obser-
vatorium des Peissenberges, dann schleichen die Schatten
auch darüber weg, — aber das Wetter ist noch weit,
weit, es kann noch Stunden dauern, bis es nur über
den fernen Ampergrund weggezogen ist. Manchmal
bleibt es dort an den Verbergen hängen; heraussen
im Land fallen höchstens ein paar Tropfen, starker
Wirbelwind wendet die graue Rückseite der Blätter an
den Baumkronen heraus und wirft Wolken von Sand
und Staub in die Höhe, so dass man den Zug der
Landstrasse deutlich daran erkennen mag. Dann kommt's
schwarz, dunkel, unheimlich daher über's Land. Alle
Einzelnheiten verschwinden in einer grossen, mächtigen,
satt- und tiefgestimmten Tonmas.se, so dass höch.stens
die vereinzelten Baumgnippen eine noch dunklere Inter-
punction im Ganzen abgeben. Grau, wie Schleier senken
sich schief die Regenschichten von der Luft nieder, die
Blitze, die, erst ganz fern, fast nur wie ein Funken aus-
sahen, werden länger, schärfer in der Zeichnung, deutlich
sichtbar bald senkrecht niederfahrend, bald in schrägem
Zickzack spitzwinkelig züngelnd, — und wenn dann der
Donner rollt, so hat er an der ungeheuem Fläche einen
Resonnanzboden monumentalster Art. Drüben an den
flachen Höhenzügen gegen die Berge ist's unterdessen
wieder licht geworden; scharf zeichnen sich die Con-
touren des Wettersteingebirges gegen die hellgelbe, fast
schwefelfarbene Luft ab, die weiter nach oben geradezu
grün wird und dann in ein leuchtendes Stahlblau über-
geht, über dessen Fläche noch vereinzelte Wolkenfetzen
dahinsausen. Und wie ganz anders ist das Alles dann
im Herbst, wenn gegen Mittag die Nebel reiben und
die Sonne durchbricht , oder im Winter, wenn nach
lange anhaltender Kälte ein orangefarbener Streifen am
Horizonte nach Süden den unzweifelhaften Vorboten des
Föhns macht, der binnen wenig Stunden dann brausend
und sausend durch die dürrblätterigen Wipfel fährt und
die schweren Eiszapfen von der Dachtraufe niederstürzen
lä.sst. Und wieder ganz anders ist ein Tag auf dem
weiten Lechfelde, das ebenfalls mit zur bayerischen
Ebene gehört! Im kurzen thaufrischen Gras, das auf
der magern Humusschichte gedeiht, spiegelt .sich die
Sonne mit einer Reflexkraft sondei^leichen; in dem
kiesigen Grunde gedeiht die ganze Alpenflora, die man
sonst nur in den Schrofen und auf den grünen Berg-
hängen zu finden gewohnt ist. Drüben über'm Lech
zieht sich in langer, kaum unterbrochener Linie der alte
Reiherwald, wo einst — wie der Name schon andeutet —
ein eigen Stück der edlen Waidmannskunst blühte;
weiter, wo sich die Hänge der cLechleiten> schon bei-
nahe in den Horizont senken, schauen die Thürme des
alten I^ndsberg in die Himmelsbläue, und in entgegen-
gesetzter Richtung zeichnen sich fein gegen den grau-
violetten Horizont, der gar oft das Schauspiel einer
Fata morgana gewährt, die Zwiebelknöpfe des hoch-
aufragenden Aug.sburger Rathhauses, jener von St. Ulrich,
weiter die spitzen Dächer und Firste des Domes und
aller andern Kirchen der alten Augusta Vindelicorum.
Und welche Fülle einsam-grossartiger Bilder entrollt sich
nicht im <Moos», jenem unfruchtbaren Gelände, das
weite Strecken einnimmt , bald ein sumpfig - mooriges
Land, wo man sprungweise nur festen Fuss fassen kann
und der Boden elastisch und schwank unter dem Tritte
sich biegt , dann wieder bestanden mit Buschwerk und
feuchten Waldstrecken. Wenn dort der graue Herbst-
tag über der rostfarbigen Fläche zur Neige geht, dann
CO
m
c
Co
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
25
steigt's aus dem Boden auf, geheimnissvoll, dunstig, in
tausenderlei Gestalt und einigt sich zu einer dunkel
heranrückenden Nebelmauer. Weh' Dem, der unkundig
des Weges davon überrascht wird! Oder wenn der
Wind über die scheinbar öde Fläche daher saust, reisst
er den Nebelschleier in Fetzen, treibt sie dicht am
Grunde dahin, während wenige Meter über dem Boden
trübes Mondlicht in das seltsam geisterhafte Zusammen-
weben und Zerzausen der üunstmassen hinein scheint
und die phantastischsten, in rasender Eile wechselnden
Bilder beleuchtet. Manchmal auch, ist's windstill, sieht
sich die ganze weite Fläche bei solchem Nebel an wie
die See, denn Baum und Busch ragen aus unbestimmtem
Grunde wie bei einer Ueberschwemmung hervor, die
niedrigen Hütten der Einöd - Bauern verschwinden in
halber Fensterhöhe im brauenden, grauen Bodendampf
und erst die aufgehende Sonne des nächsten Tages ver-
treibt das Ganze, in dem auch der Mensch bis an die
Hüften von unten her verschwindet. Wer je auf der
Jagd im Dachauer Moos oder gar in dem meilengrossen
gleichen Terrain an der Donau oder bei Erding gewesen
ist, der kann ein Stück erzählen von dieser ganz selt-
sam schönen, für das ungebildete Auge freilich mono-
tonen Natur. Oh , es ist ein gar eigen Ding um all'
diese Bilder, welche die Hochebene dem Auge er-
schliesst; darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben,
und es ist nicht zu verwundern, dass gerade in München
so sehr viele Maler gleichzeitig auch Jäger sind. Da
bekommt man eben gar Vieles zu sehen , wovon Der
keine Ahnung hat, der in gutgeheizter Studir- oder
Redactionsstube über das Wesen der Kunst sich seine
Vorstellungen zu machen bemüht ist, um sie dann der
Welt als Ragout -fin vorzusetzen.
Frölicher hat in seiner Art ein Buch darüber ge-
schrieben, mit Stift und Pinsel all' das wiedergegeben,
was er in langem Weilen während vieler Jahre da er-
schaute, und wenn ich mich hier schildernd in eine
Landschaft vertieft habe, durch die ich selbst kreuz
und quer gestreift bin, so war es nur der Versuch, an-
zudeuten, in welch reichem Maa.sse der so früh dahin-
gegangene Freund und Künstler das erfasst hat, was
die nächste Nähe Münchens im reichsten Maasse bietet.
In Düsseldorf, wohin er 1864 zog, ist er nicht
lange geblieben. Was er dort an den Werken hochbe-
deutender Künstler, wie der beiden Achenbach, Dücker
u. A. zu sehen bekam, wirkte wohl in hohem Grade
anregend auf ihn, doch war es das nicht, wohin sein
Streben ging. Dafür aber schloss er dort enge Freund-
schaft, die bis an sein Lebensende dauerte, mit Philipp
Roth, einem congenialen Landschafter, der später eben-
falls nach München übersiedelte und mit Frölicher zu-
sammen studierte und arbeitete, ohne dass indessen
zwischen den beiden Malern ein gewisses Abhängigkeits-
Verhältniss in der Anschauung eingetreten wäre. Es
blieb jeder auf seinen eigenen Wegen.
Frölicher kehrte im Jahre 65 nach zehnmonatlicher
Abwesenheit gen München zurück und hat die Isarstadt
nur noch einmal für längere Zeit verlassen, um nämlich
für ein Jahr nach Paris (1868 — 69) zu wandern. In den
älteren französischen Landschaftern, in Daubigny, Dupr(,
Rousseau u. a. fühlte er Verwandtes mit Dem, was er selbst
wollte und dann gab es ja ausser den Werken dieser Cory-
phäen der Landschaftsmalerei dort eine so grosse Reihe
von jungen Kräften, die in vielseitigster Weise, wie sie es
auch heute noch thun, ihre Aufgaben der Natur gegen-
über aufzufassen und zu bewältigen versuchten. Er
Hess sich in Fontainebleau, wo so recht eigentlich die
heutige französische Landschafterschule sich heranbildete,
nieder, und malte dort während Monaten, von den
französischen Collegen überall aufs Liebenswürdigste
aufgenommen und in seinen Arbeiten in kameradschaft-
licher Weise mit grossem Interesse verfolgt. Sie liebten
ihn auch als Men.sch, wie Jeder, der ihm im Leben be-
gegnet ist; war er ja, abgesehen von seinem Können,
eine äusserst sympathische Figur, deren ganzes Wesen
bei aller ungeschminkten Wahrheitsliebe etwas männlich
Freies, Angenehmes hatte. Die dunkelbraunen Augen
schauten treuherzig, wei.ss Gott! und seine Stimme war
sonor, ruhig, nie kläffend und auch nie süsslich. Ebenso
verachtete er alle Ueberflüssigkeiten, hat es auch nie
verstanden, den Rücken zu krümmen. Sein äusseres
Leben war von einer geradezu spartanischen Einfachheit.
Das Resultat seines Aufenthaltes in Fontainebleau
war ein grosses Bild mit mächtigen Bäumen, zwischen
deren Stämmen sich der Blick in offenes Land und
nach fernen blauen Hügelzügen aufthut. Er stellte es
im Salon aus und hat es dort auch sofort verkauft.
Dann kehrte er wieder nach München zurück. Was er
seitdem geschaffen, davon gab die Ausstellung eines
ganz kleinen Theiles seiner nachgelassenen Werke im
Kunstvereine zu München Zeugniss. In seiner Vater-
stadt Solothurn sollen alle noch vorhandenen Arbeiten
26
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
vereinigt und damit ein Act dankbarer Anerkennung
begangen werden, den der Schweizer Künstler bei Leb-
zeiten in seiner Heimath selten kostet.
Er zog spater nimmer weit in der Welt herum.
In Italien ist er überhaupt nie gewesen. Die hügeligen
Waldgelände zwischen Ammersee und Stambergersee,
die Gelände bei Wessling und Seefeld, vor Allem aber
die von der klaren Amper durchflossenen grünen Anger
bei Brück. Heimhausen. Dachau, das wurden seine
Hauptstudienplätze, denen er stets neue Seiten abzu-
gewinnen verstand. Es ist nicht zu leugnen, dass seine
Naturstudien oft etwas viel Frischeres, Unmittelbareres
hatten, ab seine Bilder. Ueber diesen ist er zuweilen zu
lange gesessen, hat zu viel über den W'erth oder Unwerth
des Einen oder Andern in der eigenen Malerei nach-
gedacht. Er war darin vielleicht etwas z u gewissen-
haft und hat es nie über sich vermocht, in breiter,
alle Kleinigkeit beiseite setzenden Weise mit einer Arbeit
abz\ischliessen , wie dies z. B. bei den Schöpfungen
seines ebenfalls zu München wohnenden Landsmannes,
Adolph Stabil, der Fall
ist. Wie er aber vor
der Natur aufzufas-sen
im Stande war, davon
geben die wenigen in
diesen Blättern unzu-
länglich veröffentlich-
ten Studien Zeugniss.
denen wir eine au.sgc-
zeichnete Reproduction
nach einem seiner letz-
ten Bilder beizufügen
glücklicherweise im
Stande sind. Die paar
knorrigen Bäume auf
\--.y
felsigem Boden im Vordergrunde, an denen sich ein Feld-
weg vorbeizieht, die Feme mit den dunklen Wäldeni, die
schwere , massig wirkende Luft , die ob dem Ganzen
schwebt, das Alles ist tein Frölicher-% in des Wortes
bester Bedeutung ynd hat in seiner Art mit keiner Schul-
Anschauung etwas zu thun. Frölicher war durchaus Auto-
didakt und wenn er sich durch bedeutende Collegen
beeinflus.sen liess, so äusserte .sich dies immer in
künstlerisch durchgearbeiteter Weise, niemals aber im
Sinne unselbständiger Nachtreterei , wie das unsere
deutschen Modernen so sehr lieben.
Fiebernd, mit zitternden Gliedern i^t. ir noch im
Herbst des verflos-senen Jahres hinausgegangen nach
Schieissheim , um Studien zu machen ; als ich ihm er-
zählte von den grossartigen land.schaftlichen Kpüsoden
der Bodensce-Ucberschwemmung , die ich kurz zuvor
mit angesehen hatte, da packte ihn förmliche Ungeduld
darob, dass er nicht dabei gewesen. cEin anderes
Jahr entkommt mir so was nicht U meinte er — es
kam anders! Die ersten Frostnächte des Spätherbstes,
die das Laub an den
IJaumen zu Falle brin-
, ;cn. sie brachen auch
\ iin. nnii wenn seine
I'Veunde bald darnach
ob einer unaiusfüllbarcn
Lücke in ihrem Krei.se
trauerten, .so thaten .sie
es um einen ganzen
Mann und Künstler. In
reiferen Jahren schlies-
sen sich die Risse
nimmer, die das Ge-
schick bereitet. Er fehlt
uns Allen
tl
Oito Frolicher. .Stutntr.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
27
PARIS UND DIE MALEREI DER NICHT-FRANZOSEN
VON
MOMME NISSEN.
Sx^urchaus nicht denen möchte ich mich zugesellen,
(^5^ welche da meinen, Paris bedeute in unserem Zeit-
alter dasselbe für die Kunst etwa, was Athen in der Periode
des Perikles — , unmöglich aber, scheint mir, ist es zu
leugnen, dass Paris die Hochburg des Modernen
sei für die Künste unserer Zeit — ganz besonders für die
Literatur und die Malerei — , bis überall dahin strahlend,
wo noch von einer t civilisirten j Welt die Rede sein kann.
Eine andere Sache ist, welchen Werth man jenem
Ruhm, stets der Ausgangspunkt des Neuesten zu
sein, beimessen kann. Man darf sich nicht verhehlen,
dass Modernes durchaus nicht stets das ewig Junge
bedeute — im Gegentheil scheinen sich die Klänge
c modern und «jugendlich» durchaus zu meiden —
und dass, die Hauptstadt stets der t Moderne» zu
sein, sich sehr nahe berühre mit jenem anderen Glanz
von Paris , der über der internationalen Residenz der
Mode ausgebreitet liegt.
Sei dem, wie es wolle: jedenfalls ist es äusserst
fesselnd, zu beobachten, wie weit und wie mannigfaltig
verzweigt die Anregung um sich griff und noch greift,
welche Paris auf dem Gebiete der Malerei fast allen
Völkern gegeben hat.
Es gibt, glaube ich, in der Gegenwart nicht eine
Gruppe irgendwie in Betracht zu ziehender Maler , die
von Pariser Einflüssen in ihrer Malerei nicht berührt
worden wären ; unsere beiden Kunsteinsiedler : Böcklin
und T/ioma sind vielleicht die Einzigen, die als mächtige
Kunstkolo.sse fern und frei von Paris, ganz frei von
Paris, völlig auf gesondert eigenem Boden stehen.
Und es ist erklärlich, dass Paris diese massgebende
Stellung in der .Malerei gewann. War es doch eine
jämmerlich kunstlo.se Zeit zu Beginn unseres jetzt schon
greisenhaften Jahrhunderts, eine Zeit, wo jede Kunstpflege
erstorben war. Wenn uns Deutschen jene Periode auf
dem Gebiete der Malerei auch einige geniale Einzel-
naturen, von Carstens bis Sclnvind, brachte, so erwuchs
doch in Deutschland keine fruchtbringende Erstarkung
und Pflege des Technischen der Weise, als damals schon
in Frankreich, in Paris. Es ist bekannt, wie von David
an in Frankreich die Malerei wieder festen Boden gewann,
wie sie von ihm an Schritt für Schritt langsam aber
sicher neues Gebiet zu erobern begann , ohne auch nur
von den früheren Errungenschaften das Geringste fahren
zu lassen; vielmehr bildete sich bald ein fester Bestand
von Malkenntnissen, die in der Tradition von den Aelteren
auf die Jüngeren übergingen. Die Concentration in Paris
gab der französischen Malerei ein positives Können und
ein gefestigtes .'\nsehen, dem sich die Deutschen durch-
aus nicht an die Seite zu stellen vermochten, zumal da
sie .sich nicht allein sehr zersplitterten, sondern auch
ihre Sucht nach dem Auslande , vor allem nach Rom,
ihrer Entfaltung Abbruch that.
Von Anläufen zu einer selbstständig bedeutenden
Malerei kann ausser in Frankreich dieses Jahrhunderts
erste Hälfte entlang eigentlich nur in Deutschland die
Rede sein, wenn man dazu etwa noch die Malerei der
Engländer Constable, Bonington und Turner in Betracht
zieht. Die anderen Nationen schmiegten sich leicht an
Frankreich an. Und auch die Deutschen zum grossen
Theil. Ist denn nicht Piloty durch die Vermittlung
Belgiens ein Ableger zweiter Hand von der französischen
Malerei eines Delarociu , von dem Evangelium des
Farbigen, welches nach dem genialen Delacroix aus-
gesprengt wurde.' Und wer einigermassen die neuere
Malkunstgeschichte Deutschlands und seiner Kunst-
hauptstadt München kennt, der weiss, was Piloty für
die Entwicklung der neueren deutschen Malerei bedeutet.
Feuerbach war in Paris als Schüler von Couture, ebenso
Henneberg, Brendel und nicht wenig andere Deutsche.
Wie nahe Menzel Paris steht, weiss man, ebenso, dass
Knaus nicht allein bei uns das wurde, was er ist. —
Diese kleine Reihe von Namen genügt, um zu zeigen,
in welch' nahen Beziehungen die Aelteren unserer Maler-
4*
28
DIE KUNST UNSERKR ZEH'.
Schaft in einten ihrer Hauptvertreter zu Paris sich
befinden, und man darf sagen, dass der Connex unserer
jüngeren Künstler mit Paris ein bedeutend stärkerer
und al^emeinerer geworden ist.
Das möchte ich in Kürze jetzt zuerst etwa« näher
beleuchten.
Es ist \TeI von < Pleinairmalerei > die Rede jetzt,
nur zu vid. Man weiss — oder meint zu wissen — ,
da.«^ dieselbe von Paris au^egangen sei, sich auch,
theilweise schreckenerregend, über Deutschland ver-
breite, dass bei uns Ulidt, Liebermann, vielleicht noch
L. V. Kaickrenth, Skarbina, ihre Hauptvertreter seien,
und dass diese — last not least — ganz besonders
die Hässlichkeit als darstellenswerth zu betrachten
beliebten.
Es ist wahr, dass eine hellere, wcisslichere, grauere
Aussenseite der Malerei, im Gegeasatz zu dem fast
stets bräunlichen Ton älterer Bilder, zuerst in Pari.s
ans Tageslicht trat, wenn hiefür auch der Schlagnamc
plein air» eine sehr oberflächliche Bezeichnung ist. Schon
die Fontainebleauer, die Millet, Corot, Rousseau, Daubigny,
TroyoH, hatten der Natur gegenüber stets das Bestreben,
die Dinge i entourc d'air > wiederzugeben, und deren
Hilden sind durchaus — entgegen, glaube ich, mancher
Vorstellung, welche man sich bei uns von jenen mit
Recht so hoch gepriesenen Werken macht — braun,
und doch zum Theil herrlich und voll durchwoben von
der I.uft. die alle Gegenstände bestrahlt und umgibt.
Der Grund zu der Hell maierei liegt tiefer.
Nicht allein jenes Bestreben, die Luft um die Dinge
herum wiederzugeben, hat sie gezeitigt. Der bequemste,
einschmeichelndste, gelegenste Farbton für unser Auge,
für das Auge des Malers i.st das Braun. Es ist ein
warmer, tiefer, weicher Ton. Und es war von den
Alten wahrhaft sehr politisch, wenn nicht ganz, so
doch stets etwas, alle Farben durch das Bräunliche,
welches dem Gemälde immer die natürliche Sympathie
der Netzhaut sichert, dämpfen zu lassen. Und ihr Tact-
i;efühl in dieser Beziehung war so vortrefflich, dass es
nicht zu verwundem ist, wenn den Malern, welche zu-
erst eine braunlose Malerei auf's Tapet brachten , kein
Zuruf erfolgte.
Doch es war nöthig, sich vom Braun zu ent-
fernen. Denn während einstmals Jugendfrische über den
.saucigen » Gemälden lagerte , während ehemals d i e
Illusion , welche trotz der im Grunde unwahren und
naturunähnlichen braunen Töne hervorgerufen ward, den
natürlichen Ansprüchen der früheren Zeiten, Völker und
Männer genügte , wächst in unserem Jahrhundert der
Drang nach einer viel grösseren Illu.sion auch in der
Malerei. Und um eine wirkungsvolle Illusion, den ganzen
neu geformten Anschauungsweisen zudem entsprechend,
welche zumal durch die Revolution der Natur^vissen-
schaften her\oi^erufen wurden, zu bringen in den Ge-
mälden, musste von der freilich so sympathischen, und
desshalb auch so lange herrschenden Bräune abgegangen
werden.
Es ist das Verdienst von Paris, zu Gunsten einer
grösseren Illusion, oder sagen wir: zu Gunsten der Mög-
lichkeit einer grösseren Illusion, auf die alte Malgewohn-
heit verzichtet zu haben. Denn es ist unmöglich, dass die
Braunmalerei nun zunächst eine Zukunft hat. (Die von
der Münchener Ausstellung her bekannten neuen
Schotten sind hier freilich zum Tlicil ein merkwiirili<;fs
Phänomen.)
Wir müssen es unseren Landsleuten Ulide und
Liebermanii danken — ihr persönliches Verdienst ganz
abgerechnet — , dxss sie uns vor Allen das Verständniss
jener neuen Kunstphase, die Paris durchmacht, ver-
mittelt haben. Es ist der Geist eines Alten, es ist der
Geist Afiilet's, der in ihnen, besonders erkennbar in
Liebermann, steckt, und es ist die Malwei.se von Bastien-
Lepage zuweilen, die sie beherrscht, die aber noch eine
viel grös-sere Frische und Freiheit des Malerischen da-
zu erhält.
Doch es sind ja bei weitem nicht allein diese
Beiden, welche von Frankreich in gleichem Sinne in-
spirirt sind, und ich bin der festen Ueberzeugung, dass
gerade diese Beiden am wenigsten vor den Augen un-
befangener Deutschen Gefallen finden werden unter den
Neueren, aber sie waren die Ersten , an die der Streit
sich kettete, und die Ersten, die .so Manchen unter der
deutschen Malerschaft die Augen öffneten über all das
Süssliche und gehaltlos Nette vieler Tagesgrössen.
Glaubt ihr es jedoch nicht, dass jene beiden unliebens-
würdigen Maler eine ganze Generation ein gut Theil
erzogen haben — nun so fragt einmal unsere jüngeren
Künstler, die euer Gefallen schon eher finden und denen
vorläufig die Zukunft gehört, was sie Männern wie Ulide
und Ueberviann verdanken! Sie sind Märtyrer beinahe;
Märt>Ter pflegen keine schönen Züge zu haben , doch
sie sind markig.
DIR KUNST UNSERER ZEIT.
29
Uebrigens können wir stolz sein darauf, welches
Ansehen die Beiden bei unseren Landesfeinden, bei den
Franzosen, geniessen. Es bestätigt sich von Jahr zu
Jahr. Und es bedeutet mehr, in Paris, wo wahrhaft
wählerische Kunstrichter sind , eines Ansehens zu ge-
niessen und Auszeichnungen ersten Ranges zu ernten,
als in Berlin, selbst als in München.
Man sieht, dass fähige Deutsche die französische
Malerei nicht blos nachahmen und unpersönlich weiter-
pflanzen — dann würden die Pariser sich wenig darum
kümmern — , sondern dass sie selbst schöpferisch die als gut
erkannte Malweise ausgestalten und als Mittel dem Zweck
des persönlichen Ausdruckes unterordnen. Eben dess-
halb darf man Paris auch in diesem Falle fruchtbringend
nennen ; wenn es blos Nachahmung hervorriefe, wäre es
uns werthlos.
Was es damit auf sich hat, dass unsere «Hell-
maler 5 sehr gerne als Maler der Hässlichkeit hingestellt
werden, ist allerdings gegen principielle Gegner schwer
zu erörtern. Ich möchte nur anführen, dass das Schön-
heitsideal — meint ja nicht, dass ein Ulidc und Lieher-
mann keines hätten! — wandelbar i.st, wie Alles, und
wenn dasselbe bei den Versuchen der Modernen nicht
entfernt eine Ausgestaltung vorläufig zu erringen ver-
mocht hat, wie friihcr in glücklicheren Kunstzeiten, so
liegt das nicht allein an der Unzulänglichkeit der Per-
sönlichkeiten, die doch nicht gleich ein Michel Angela
oder ein Retnhrandt sein können, als an der Unzuläng-
lichkeit der Zeitverhältnisse. Aber es wird zu leicht
grobe Verkennung, wenn man thatkräftigen Suchern
nach Erneuerung und Wahrheit in der Kun.st deshalb,
weil ihre Schönheitsempfindungen von den altgewohnten
ganz und gar abweichen, von vorneherein entgegentritt.
Dass man manche unserer Maler, eben die haupt-
.sächlich, die von Paris lernten, «Naturalisten- zu nennen
Tür gut hält, ist im Grunde blos ein bequemes Mode-
anhängsel zur Unterscheidung, hier viel weniger be-
rechnet wie bei modernen Literaten. Denn es ist nicht
zu leugnen, dass sich unter den Letzteren sehr viel
Tendenz und leeres Geschrei mit Schlagworten als
« Naturalismus j u. s. w. eingeschlichen hat, zu oft ge-
nährt von einem demokratischen Zuge, während die Um-
strittenen unter den neuen Malern ihre aristokratische
Haltung stets bewahrt haben . ohne jemals den freilich
bestehenden gründlichen Gegensatz erbittert wie jene
zu betonen.
Doch ich zweige etwas ab vom Thema, welches
ich zu behandeln vorgegeben habe. Indem ich später,
um die heutige Situation der Oberherrschaft von Paris
zu veranschaulichen , ein Bild von des Auslandes Ver-
tretung im jüngsten Pariser Salon einflechten möchte,
werde ich auf Deutschland zurückkommen; zuerst aber
ist die Stellung anderer Nationen in ihrer Malerei zu
Frankreichs Hauptstadt näher zu betrachten.
Von einer Malerei in Skandinavien hat man
bisher, einige dänische Anläufe ausgenommen, nichts
gewusst. Jetzt aber entwickelt sich eine, und fast völlig
durch Paris.
Freilich denke ich daran, dass Düsseldorf sowohl
wie München starken Zufluss an norwegischen Malern
hatten, aber diese haben sich ihrem grössten Theile
nach so schnell acclimatisirt und entnationalisirt, dass
sie wenig in Betracht kommen, selbst wenn ihre Talente
zeitweilig etw;is Frisches zu Tage förderten.
Aber unter dem anregenden Einfluss , den Paris
auf so viele skandinavische Talente ausübte, die dort-
hin geströmt kamen, erwachte — für uns beinahe
über Nacht — dort oben im Norden reges, vielseitiges
Interesse für Malerei und zugleich ein nationaler Auf-
schwung derselben. PVeilich unterdrückte wohl die
Seinestadt manche der Landesinstinkte zuerst bei Nord-
ländern und Hess sie schnell als Pariser sich acclimati-
siren , die dann in der Menge der französischen Maler
leicht verschwanden ; bald aber erstarkte bei Kräftigeren
und Späteren das für die Kunst stets fruchtbringende
Hcimat-sgefühl und so lernten die bedeutendsten der
jetzt lebenden nordischen Maler wohl in Paris, aber sie
schufen auf ihren Schneefeldern, ihren Matten, ihren
Fjorden. Und dass sie dies thaten und thun, das
sichert ihrer jungen Kunst eine verheissungsvolle , that-
kräftige, eigenartige Zukunft.
Es liebäugeln die Norweger , Schweden , Dänen
allerdings stets noch sehr mit Paris, und sie haben
damit einer Weise sowohl eine Pflicht der Dankbarkeit
erfüllt gegen die Stadt, die ihrer Kunst Amme war,
als auch gewinnen sie dadurch feste Position in der
europäischen Kunstwelt, der sie sich nicht besser als in
deren Centrum offenbaren können.
Vielleicht ist es nur Optimismus von mir, was ich
jetzt sage, aber ich glaube, dass, wenn die nordische
Kunst bald in Zukunft einen freien, ganz selbstständigen
Sommer feiert, dass dann die Bande, die Nordland an
so
DIE KUNST UNSF.RKR ZKIT.
Paris fesseln, immer lockerer geworden sein, rcrreissen
werden, und dass alsdann die Slcandinavier sich zu erinnern
beginnen, wo ihnen Stammesverwandtschaft zur Seite
steht und sich den Deutschen naturgemäss mehr an-
schliessen werden. Sind doch schon die nordischen Schrift-
steller, die Ibsen, Georg Brandes, Strindberg, Ola Hansson
und wie sie alle heissen, uns grade letzter Zeit auch per-
sönlich immer naher gerückt! Sowohl für Deutsche
wie Skandinavier wäre es auf die Dauer unter allen
Umständen erspriesslicher , wenn beide, anstatt einzeln
mit französischer Kunst zu liebäugeln, gegenseitig
sich stärker zu befruchten versuchen möchten, und
Paris dann links li^en zu lassen vermöchten.
Es erwächst für Paris eine Gefahr aus der allzu
freundlichen Pflege und Aufnahme der skandinavischen
Kunst bei sich. Es könnten die Jungen ihren Erziehern
über den Kopf wachsen. Mehrere Anzeichen schon
bestätigen diese Vermuthung.
Denn es lässt sich nicht leugnen, dass Frankreichs
.schöpferLsche Kraft wie in allen Künsten , so auch in
der Malerei zu versiechen droht. Es erstehen keine
starken Individuen, die hoch über das Niveau empor-
ragen. Hoher Standpunkt der Malerei überhaupt ist
die Marke von Paris. Wo aber bleiben die Grossen,
die den Ueberschuss an Feinnervigkeit , technischer
Geschicklichkeit und nervöser Ueberreiztheit in solch
überzeugend persönliche Formen kneten , da-ss dem
ganzen Lande und Volke dadurch geistige Offenbar-
ungen erwachsen? Es fehlt der Wein für die neuen
Schläuche. Der Boden ist abgezehrt und die Sonne
lässt die schwächlichen Trauben nicht reif genug
werden, als dass der Lebens.saft sich auf's Neue ver-
jüngen könnte.
Aber die Norweger sind ein markiges, junges,
zukunftsfrisches und unverbrauchtes Volk. Darum auch
ihre schleunigen Fortschritte und neuen Kunstwandlungen.
Ks sind einige unter ihnen, die fast genau schon den
Grad der Feinfühligkeit haben im Malerischen wie die
Vordersten der Pariser, dazu aber einen Hauch unver-
wüstlich unwiderstehlicher Jugend und Freudigkeit hin-
zuthun, der die Franzosen matt und entnervt und ab-
genutzt daneben erscheinen lässt. —
I änger als die Skandinavier spielen neuerer Zeit
schon die Niederländer eine Rolle in der Malerei.
Und auch bei ihnen fast überall vernehmbare Befrucht-
unf,' durch Paris.
Zunächst bei den Belgiern. Diese stehen den Fran-
zosen wie als Volk, so auch in der Malerei noch näher
als die Holländer. Ihr Geist geht oft im französischen
auf, oft freilich erstarkt und färbt er den.selben doch
ein wenig national nach dem Flamändi.schen hinüber.
Dennoch wird man in wenigen F'allen den modernen
belgischen Maler vom französischen bestimmt unter-
.scheiden können : ein Beweis . wie eng auch hier die .
Verwandtschaft mit Paris ist.
Anders bei den Holländern. Die Israels, Ataris,
Afattve , Mesdag haben ihr ganz bestimmtes Local-
colorit. welches ihnen festumrissen das Ansehen einer
ganz einzigen , ganz und gar holländischen Maler-
gruppc giebt. Deshalb stehen sie Paris aber nicht \-iel
weniger nahe. Ihr Geist ist freilich Barbizon, wo die
Fontainebleauer schufen, verwandter als Paris, aber
Barbizon li^ doch auch noch im l^nnkreis von Paris.
Im Grunde sind die neuen vorzüglichen holländi-
schen Landschafts- und Innenraummaler die natürliche
Fortsetzung der Fontainebleauer, viel mehr als die neuen
Franzosen. Die Pariser Kunst hatte vielleicht ihre letzte
gesunde Epoche in MüUt und seinen Paladinen, theil-
weise noch in Bastien-Lepage. Nach diesen nur zuviel
krankhafte Experimentirkun.st und neben Ueberfeincrung
gefällig gute Modemalerci. Als gesund aber treten
die I lolländer in die Fussstapfen der jetzt schon älteren
Franzosen, und — o Wunder! — jetzt beginnen auch
sie schon alt zu werden und müssen der Sturmesfri.sche
der nordischen Kunst nur zu leicht weichen.
Aber wir dürfen nicht verkennen, dass die intime,
sckmucklose, eraste Naturanschauung der Holländer in
ihrer vorzüglichen malerischen Au.sgestaltung einen so
hohen Rang einnimmt und eine solch rein gcnuss-
bringende Harmonie zu Tage gefördert hat, dass sie
ohne Rivalen ist. Erinnere man sich doch der ge-
schmackvoll feinen holländischen Säle auf mehreren
letztverflossenen Münchener Ausstellungen ! Sie fanden
nicht ihresgleichen.
Die skandinavische Malerei ist anspruchsvoller wie
die holländische, und sie hat entschieden auch stärkeren
Rückhalt und mehr Zukunft — steht doch allein eine
ganz andere Volksmacht dahinter! — vergleicht man
aber, was bis jetzt positiv gegeben worden ist hier und
da, dann ergibt sich leicht, dass Holland .schon eine
abgerundete, in sich erquickend geschlossene Kunst-
periode hinter sich hat und dass im Norden noch alles
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
31
wilde Gähning, schäumender Most ist, aus dem bis
jetzt nur einzeln eine reife und männlich fertige Schön-
heit er\vuchs.
Während England zum grossen Theile selbst-
ständig in seiner zum Theil auf Bedeutung Anspruch
machenden Malerei dasteht, während die trunkenen
Schotten, wenn sie von irgend Jemandem etwas ge-
lernt haben, ein gut Theil bei den Fontainebleauern in
die Schule gegangen sein müssen , ist Amerika —
soweit es denn überhaupt die Kunst schon mit auf
Rechnung hat — wohl ganz im Abhängigkeitsverhältniss
von Paris. Es sind starke amerikanische Talente auf
dem Continent, selten aber bemerkt man einen eigen-
thümlich amerikanischen Zug. Sie sind in ihrer Aus-
bildung Europäer geworden und haben ihr Landes- und
Heimatscolorit verloren.
Es ist bekannt, dass der Pariser prix de Rome »
die Kunstbeziehungen F'rankreichs zu Italien unter-
hält, bekannt, dass manche italienische Talente sich
Paris zuwenden ; von einem lebhaften Kunstconnex kann
hier indess wohl kaum die Rede sein. Dann noch eher
in der Verbindung mit Spanien, welches ja neuerer
Zeit zuweilen eine ganz seltsam pompöse Entfaltung des
Malerischen zeigt, die jedenfalls nichts weniger als frei
von Pariser Schulung ist.
Da zu leicht bei solch allgemeinen Erörterungen
vorliegender Natur ein mattes und farbloses Bild von dem
Zustande der neueren, Frankreich freundlichen, Malerei der
verschiedenen Völker entsteht, wenn nicht Darstellungen
von bestimmten Gemälden und besonders charakterist-
ischen Künstlertypen sie begleiten, möchte ich an der
Hand der reichhaltigen Vertretung, welche die fremden
Nationen verflossenen Sommer zu Paris fanden, dem
Leser einen kurzen Abriss des interessantesten Bruch-
stücks beinahe moderner Malerei in Bildern zu geben
versuchen. Zumal desshalb nützlich, ich hoffe, da ich
Namen von erster Bedeutung berühren werde, deren
Klang das Ohr der Deutschen nur ganz vereinzelt ge-
streift haben wird.
Skandinavien.
Einer besonders war es unter den Norwegern, den
ich doppelt lieben lernte, wie ich seine neuen Bilder
sah. Ich denke an Fritz Thaulmv. Das ist ein freude-
bringender Künstler von urwüchsiger Schöpferkraft und
entzückender Frische. Er liebt es, den Schnee , den
Schnee seiner weiten Heimathfelder zu malen , und er
malt ihn so, dass man ihn lieb gewinnt, mehr als den
schönsten Sommer, den Mitteleuropäer daneben uns
verführerisch vor Augen zu stellen unternahmen.
Ein älteres Schneebild von Tliauloiv hängt im
Luxembourg zu Paris, und es ist sehr gut. Aber bei
weitem hat der Meister es übertroffen in den neuen
Darstellungen. Es ist enorm , wie sein Gefühl für die
Töne eines Schneefeldes gerade geschärft geworden ist,
immer feiner und feiner, ohne da.ss diess je als störend
übertrieben zu Tage tritt. Wenn man auf diese sonn-
beschienene weisse Decke der Bilder sieht , kann man
zuweilen ein überraschtes Staunen nicht unterdrücken
über die Stärke der gegebenen Illusion. Mir wenigstens
ist es so gegangen, dass ich momentan glaubte, draussen
an einem starren Wintertag wirklich in den Schnee zu
blicken ; zwar ein Gefühl , welches wie der Blitz vor-
überhuscht, keineswegs eine panoramenhafte Täuschung.
Dabei geht dieser Maler so überaus einfach mit dem
Material um — er kommt ganz ohne Mahvitzchen zum
Ziel — , .so dass er von Allen eigentlich am meisten
darüber .steht. Aus.ser dem vortrefflichen Maler wirkt
aber vor Allem der empfindende Mensch, die gross-
schauende Künstlernatur. Tliauloiv bleibt stets Nor-
weger ganz und gar: man lebt mit ihm zwi-schen den
hohen Bergen , wo einsam nur vereinzelte Menschen
wohnen; — man fühlt eine Welt voll wahrhaftiger
Schönheit und Poesie auf sich eindringen durch die
Allgewalt der malerisch und menschlich schaffenden
Persönlichkeit des ungezwungenen Künstlers. Was er
gibt , erfreut mich so , dass ich Sehnsucht bekomme,
dorthin zu wandern, wo die Natur so weit und so frei
und so luftig ist. — Am poetischsten vielleicht —
jedenfalls am romantischsten — ist Thaiilczv in seinen
neuen Bildern mit einem Pastell, auf dem er einen
Bach malte, den Steine anfüllen — : Abends in waldiger
Gegend, mit dünnen Bäumchen zur Seite, fliesst das
Wasser hinunter, an der dunkelnden Wiese vorüber. . . .
Weniger schlagend in der unmittelbaren Wirkung,
theilweise doch auch frisch und gesund, wirkt Albert
Edclfelt, von dem ich eine Sammelausstellung sah. Er
ist viel mehr berührt und nivellirt von der französischen
Ueberkultur als Tliauloiv, er ist bei Weitem nicht so
sehr seines Heimathlandes Kind geblieben. Einige von
32
DIE KUNST UNS?:rER ZEH'.
seinen Bildern könnte auch ein frischer Franzose gemalt
haben, während bei T/iaultnv dieser Gedanke absolut
in W^all kommt, so sehr ist er Nordländer und so
sehr ist er schon fem und frei von der Pariser Ge-
schicklichkeit. Thaulow, fühlt man, malt nur, was ihm
ganz am Herzen liegt, er malt nur die Natur und nur
die Stimmung, die für ihn als Menschen einen Theil
seiner Lebensluft ausmacht ; erst innerhalb dieses Kreises
sucht er Sachen von auch malerischem Reize. EdelfeU
hingegen hat schon, oder noch etwas von der bei den
Franzosen fast ganz allein massgebenden Triebfeder des
Malens, von der einseitigen Augenweide am speciell
Malerischen. Hs fehlt das bestimmte, das packende
Localcolorit. Er gab Porträts, Genrebilder und Land-
schaften. Er würde die Wirkung seines talentvollen
Auftretens' verstärkt haben, wenn sein Talent einge-
dämmt wäre in eine leidenschaftliche, tiefe Neigung für
ganz besondere Darstellungen ; man vermisst das Ge-
fühl, dass er aufgeht in dem, was er schafft. Es gefällt
mir hingegen an Edel/eil, dass er sich so anspruchslos
und einfach, ohne Nörgelei giebt; er i.st nicht bestrebt,
mit jedem Bilde gleich einen Trumpf auszuspielen —
er hat nicht das Bemühen . zu wirken um jeden Preis,
sondern hat er einmal einen Eindruck fixirt , dann läs.st
er ihn stehen, wie er gekommen ist, ohne ihn ängstlich
noch steigern zu wollen ; da gibt er lieber im nächsten
Bilde ein Mehr. Stellenweise bekommt er einen Anflug
von Schlichtheit, der anderen, französischen Bildern
gegenüber an eine räumliche Lehre gemahnen könnte,
aber das quält ihn glücklicher Weise nicht.
Tragardh, ein bis neuerdings unbekannter schwedi-
scher Name, fiel sehr auf. Zwei Bilder des Bouguereau-
Salon trugen seinen Namen.
Auf dem einen ein grauer Herbsttag. Nasses
Wetter, obgleich es augenblicklich trocken ist, — es
hat letzter Tage stark geregnet. Das Grün, welches
die rauhe Jahreszeit noch nicht völlig zu zerstören ver-
mochte, hat noch einmal eine frischere Färbung ange-
nonimen , weiche jetzt zu dem braunen Laub um so
stärker in Gegensatz tritt ... Es ist eine menschlichen
Wohnungen ferne Gegend . . . Am Saum eines kleinen
Gehölzes — kommt es mir doch immer vor, als müsste
ich genau so eines kennen! — wo aus dem Gestrüpp
hie und da kräftige Bäume emporragen, geht ein Weg,
von kleinen Pfützen unterbrochen. Auf dem Wege
geht nach vorne 7x\ eine schwarzbraune Kuh , die
letzte der Heerdo ^ . . . . Ein selten fri.scher Wind-
hauch scheint heut über die Erde zu streichen.
Dann das andere Bild:
Ein ganz lichter, sonniger Sommertag ; am Morgen.
-Man sieht dem Lichte fast entgegen. Auf einer Wie.se,
deren Grün die Dürre ein wenig verzehrt hat, stehen
frische Sträuchcr, in der Feme liegt waldige Gegend.
Zwischen dem Gestrüpp, den Binsen — spiegelglatt ein
Teich. Daneben führt ein Mädchen eine grasende Kuh
am Strick, hinten erscheinen deren mehr ....
Doch es nützt nicht viel, dass ich dem Leser diese
so schlichten, prunklosen Vorwürfe in nackten Worten
erzähle; von dieser so ungemein sensitiven Wiedergabe
einer Licht- und Farbenerscheinung kann man sich
ohne .Aaschauung keinen Begrirt' machen. Es wird
freilich Mancher, der vor der Natur nie ein Bild
derselben in sich aufgenommen hat . sondern dessen
Auge deren Reiz blos aus Landschaftsbildem ver-
dolmetscht bekommen hat, der dann sein Auge in eine
Schablone landläufiger Landschaftsmalerei hineingewöhnt
hat, die Schönheit und Tiefe dieser eigenen Aus-
drucksweise nicht nachempfinden können, eben weil sie
zu weit entfemt ist von der Seh-Art, an die er sich ge-
wöhnt hat und die ihn für ein feineres neues Gefühl
abgestumpft hat. — Einen Anklang zeigt Tragardh an
die Anschauungsweise, die in Frankreich in Claude Mond
ihren radicalsten Vertreter gefunden hat. Ich glaube
kaum, dass er ohne Monit's Einfluss zu dem geworden
wäre, was er ist; aber eben .so, wie er jetzt, gefällt er
mir viel besser als jener. Was bei Mottet noch ab-
sichtlich, gequält, unnatürlich und berechnet erscheint,
kommt hier bei Tragardh viel natürlicher heraus: es
scheint ihm schon etwas ganz Einfaches, Selbstverständ-
liches, in dieser lichten farbfreudigen Tonlage einzusetzen.
Hier ist ein echter, .selbstschöpferischer Künstler, der
zwar von den Franzosen Vieles gelernt hat , aber im
eigenen Hirn Alles verarbeitete und Dem unterordnete,
was er wollte und was ihm als Angehöriger .seiner
Ra,s.se und seines Geschlechts, als Pflanze seiner Heimath
am näch.sten lag.
Eines vierten nordischen Künstlers mächtige Hünen-
gestalt drängt sich mir jetzt wieder auf: die des Nor-
wegers Niels Gusta-,' Wetitzel. Ein Maler, der — man
sieht es — am liebsten gleich mit der Keule drein-
schlägt. Sein Bild : « Das Mahl > steht mir lebhaft in
Erinnerung.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
33
Eine grosse Leinwand mit lebensgrossen halben
Figuren. In einer kleinen Hütte sitzt die Familie um
den Mittagstisch. Durch Fenster und Thür sieht man
auf Blockhäuser, auf eine norwegische Hochlands-
scenerie hinaus .... Markige Wesen von Fleisch und
Blut sind hier dargestellt, die ein Leben voll Mühe und
Arbeit haben , die im Schweisse ihres Angesichts ihr
täglich Brot essen, die auch nicht einen Schimmer von
der Koketterie und Geckerei des modernen Cultur-
menschen aufweisen. Wie sie, so ihre Umgebung:
Schlichte Einfachheit der Einrichtung, grobe und
feste Tische, Bänke und Schränke, die sicher schon
mehrere Menschenalter hindurch unverrückt am gleichen
Platz der Stube stehen und unverändert stehen bleiben
werden, so lange nicht sie oder das Geschlecht, welches
auf dieser Scholle wohnt, vermodert hinwegsinken.
Eins haftet am Andern. Die Umgebung gewann durch
diese Menschen Leben, es steckt ein Tlieil ihres Wesens
in ihnen. - Die Men.schen des IVentse/' sehen Bildes
scheinen so seltsam mächtig, so gewaltig, wie ein ver-
gangenes Geschlecht von .stärkeren, grösseren Wesen.
Wie Spielzeug erscheinen daneben andere Bilder und
wie Marionetten deren Figuren: so nichtig, so über-
flüssig, so ewig tändelnd mit der Welt und mit ihrer
eigenen Seele. Aber hier Gestalten, die mitten im
mächtigen Kampf mit den Elementen stehen, die sich
in fortwährendem Ringen und Wühlen die F>de dienst-
bar machen. — Der Vortrag des Malers enthält wuchtige
Schwere und einen tiefen Ernst der Ueberzeugung, der
zum Theil an Tolstoi erinnert. Ein Bild von Wentzel
auf der letzten Münchener Ausstellung hatte bei Weitem
nicht diese Stärke : ob es eine alte Arbeit oder ein miss-
lungener Versuch war, vermag ich nicht zu entscheiden.
Wentsel i.st so gut wie gar nicht Franzose; er ist
vielmehr schon ein nordischer Protest gegen den Geist
des Franzosenthums , deren , wenn nicht Alles täuscht,
die nächste Zukunft bald mehr bringen wird.
Sehr frisch und gesund ist der Norweger Christian
Skredsvig, wie fast immer, so auch in einem neueren,
langen, interessanten Bilde sAus Italien». Vor einer ab-
wechselnden südländischen, durch die « Villa Baciocchi »
pointirten Scenerie grasen zwei Kühe, an einem Winter-
tag. Etwas barock als Vor^vurf wirkt es meinem Auge ;
es ist theilweise zu geschickt gemalt, um unbefangen
nachempfunden zu werden, aber es hat eine grosse Güte
als Stärke sowohl wie als Intimität des Tons.
Ein norwegischer Sommertag, in vollem, warmem
Lichte, in erfreuender Unvüchsigkeit gegeben , ist von
Y. Sörensen zu sehen. Eine Idee von Schülerhaftem,
Unreifem scheint noch darin zu stecken , aber sicher
ist hier gesundeste Begabung. Man sieht, dies Bild
in seiner vollen Farbenwirkung ist mit Lust und
Liebe gemalt; obgleich es als Ton in einer ungestört
breiten Erscheinung zu Tage tritt, sind doch einige be-
zeichnende Einzelheiten , ohne auch nur im geringsten
spitz zu wirken, zeichnerisch sehr bevorzugt ; so Fenster,
aus denen der Sonnenreflex strahlt, so die Treppe des
Hauses. F^ wirkt mir so, als wenn der Maler sagen
wollte: Seht, hier bin ich zu Hause.
Die Norweger, von denen Männer wie Werenskjold,
Christian Krogh, Eilif Petersen im vorigen Salon leider
nicht vertreten waren, sind im Allgemeinen die kräftigsten
Künstlernaturen des Nordens. Aber auch die Schweden
stehen durchaus nicht ganz abseits.
Allan Oesterlind ist ein prächtiger schwedischer
Figurenmaler. Auf einem Bilde von ihm, welches fröh-
lich ungezwungenen Humor athmet, treiben Mädchen —
Oesterlind malt mit Vorliebe, dabei vorzüglich, Kinder —
ein beliebtes Spiel mit dem Schatten einer Kerze. Es
ist reizend, wie hier die weissbehaubten Kinder alle
ganz bei der Sache sind ; der Beschauer des Bildes be-
lauscht sie ungesehen , nicht eines kokettirt aus seiner
Umgebung heraus. Die Scenerie ist so anheimelnd,
weil das Hauptinteresse ganz und gar auf dem rein
Menschlichen ruht. Nebenbei freut man sich allerdings
noch des geniüthlichen Raumes der Bauemhütte, der
eigenthümlich alten, blauen Stühle, der alterthümlichen
Treppe, des Schrankes und der hübschen, hausmütter-
lichen Anzüge der Kinder. Aber zuerst sieht man blos
deren Spiel und deren Mienen. — Feierlich traurig ist
ein anderes Gemälde von Oesterlind: Im dunklen,
schlichten Gemach brennt schwachleuchtend eine Kerze ;
drei Mädchen — die eine auf der Erde, halb hinge-
worfen — beten neben einem Todtenbett.
Es lässt sich nicht leugnen, dass in der Bauern-
malerei eines Oesterlind bis zu Knaus und Vautier, unseren
Altbekannten zurück ein Fortschritt' ruht. Jener ist
reiner und ungekünstelter als diese, ohne geringsten An-
flug von Caricatur; er gibt keine gesuchten Charakter-
figuren, sondern volle, lebendige Menschen.
Larsson und der vorzügliche Aquarellist August
Franzen sind Schweden von grosser Begabung, ebenso
5
34
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
der freilich sehr zum Franzosen gewordene, selten flotte
Anders Zorn, ein eigenthümlicher Gegensatz zu Sfknlts-
berg, der im Sommer 1888 in Kopenhagen ein in seiner
Art einzig frappantes Schneebild ausgestellt hatte.
Ein erfreuliches Zeichen ist es, dass die vorjährige
MUnchener Ausstellung stärker von Dänen beschickt
ward, als der Pariser Salon, von wo mir hauptsächlich
nur ein Paar schlichte Bilder von Willumsen in Erinne-
rung stehen. Viggo Johannstn und Kroyrr, die beiden
vorzüglichen Begabungen, waren nicht vertreten. — Der
grösste Kunstmacen unserer Tage, der Bierbrauer
Jacobsen zu Kopenhagen, hat die dänisch- französischen
Kunstbeziehungen ausserordentlich genährt.
Deutschland.
Wenn ich dn massiges Bild von Meyerhtim ab-
rechne und eine unbedeutende Landschaftsstudic von
Skarbina, dann bleiben eigentlich nur vier deutsche
Künstler, die zu Paris in's Auge fielen: Uhdt , Paul
Höcker, Liebermamm und KühJ. Aber alle Vier sehr
bezeichnend für das Verhältniss eines grossen Theiles
der deutschen Maler zu Paris.
Da jedoch sowohl Ukde's Joseph und Maria- Bild,
als auch Höcker' s c Die Nonne* und Gottkard Ktukl't
c Ave Maria > von Paris nach München zur Ausstellung
wanderten , bin ich der Mühe überhoben , die Bilder
nochmals an dieser Stelle zu berühren. Nur möchte
ich en*'ähncn, d.-iss die genannten drei Bilder an den
Wänden des Meissonier-Salons die Deutschen achtung-
erweckend vertraten und ihre französische Nachbarschaft
nicht selten zu Boden drückten. Dass man es hier in
diesen Bildern gerade mit sehr au.sgeprägt deutschen
Kuastproducten zu thun gehabt hätte, dürfte man freilich
nicht behaupten ; es waren aber Meisterwerke jenes Theiles
der deutschen Malerei, die mit der französischen Hand in
Hand geht und von ihr zum grössten Theile gesäugt ist.
Max Liebermann wies zwei neue Bilder auf, mit
seiner bekannten, angefeindeten, kräftigen, wuchtigen
und rücksichtslosen Handschrift. Der Vorwurf ist bei
ihm scheinbar stets zufällig; ihm scheint die forsche,
lebendige .Ausdrucksweise das wesentliche Moment des
ganzen Schaffens zu .sein. Auf einem grossen Bilde
hat er eine Frau gemalt, die in den Dünen am Strick
eine Ziege her zu sich , mit sich zerren will , während
willig daneben ein Zicklein geht .... Das wirkt wie
ein echter Liebermann sehr ausgeprägt, zum grössten
Theil aber durch den Manierismus von LitbennanH,
ohne dass er diesmal seiner, in ihrer Haupterscheinung
bekannten Individualität neue Züge hätte hinzuzufügen
vermocht. Dabei ist das Bild ziemlich farblos, besonders
in den Tiefen ; sein grosser Aufwand von Mitteln , .sein
starker wüster Farbenauftrag hat hier nicht zu jener
vollen Wirkung geführt, die man zuweilen auf anderen
seiner Bilder finden konnte. Er zeigt hier ein gewaltiges
couragirtes Streben, ohne indess zu bannen. Vielleicht
kommt es daher, dass dieser sein Vorwurf zu nichts-
sagend ist, um die rücksichtslose Breite zu vertragen.
Es ist kein Gleichgewicht zwischen Thema und Aus-
führung. Dazu fehlt jede Betonung von Einzelheiten,
die Interesse wecken könnten , jede Spur von Intimität
— dies würde unauffällig sein, wenn der Hauptvor
u-urf ein schlagender wäre. — Viel befriedigender i.st
ein kleineres Bild von Litbermann-. Hof- und Garten-
raum zur Seite eines holländischen Hauses. Auf grün-
lich gestrichener Bank an der Mauer sitzen alte Frauen
in weis.sen Hauben und Schürzen. Gegenüber im Garten
schimmern Blumen zwischen mannigfaltigem Grün hervor.
Hinten leuchten sonnbeschienen rothe Dächer; weis.se
Wolken in blauer Luft ziehen darüber Dieser
Eindruck hat hier vollkommenen Reiz erhalten: man
kann das Auge überall auf der Leinwand herumsuchen
lassen und überall findet es interessante Abwechslung,
ohne dass darüber der Totaleindruck gestört wird.
Nie freilich kann ich bei Liebermann das Gefühl
von einem mühsam, vorsichtig, misstrauisch arbeitenden
Künstler verwinden. Man fühlt krankhaftes Ringen
und Wühlen, man spürt den Sturmvogel einer gährenden
Uebergangszeit , man dankt ihm für die Anregung,
da es in der Natur der Sache liegt , dass er vollen
Genuss .schwerlich zu geben vermag. Die begabten
Norweger sind vor Liebermann so unendlich viel glück-
licher daran , weil sie in freierer , dunstloserer Luft ge-
boren und hochgewachsen sind und ihr Blut nicht erst
gegen die herr.schende Kunstmode Mitteleuropas kämpfend
zu verspritzen brauchten: sie traten als freie Menschen
offenen Auges den Strömungen der Culturstaaten gegen-
über und gelangten leicht und bald in ein Fahrwasser,
welches ihrem Naturell ganz entsprach.
Die Niederlande.
Bestechend wirkt ein Bild des bekannten Belgiers
Franz Courtens: Herbstmorgen. Wie die Sonnne die
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
35
herbstlich gelben Blätter der alten knorrigen Bäume im
Walde durchscheint, wie sie über das branstig rothe
Erdreich hinüberspielt und ihr Glanz im Spiegel des
Wassers vorne sich wiederholt, ist mit mächtiger Verve
vorgetragen. Und doch kann das Bild mir keinen sehr
befriedigenden Eindruck gewähren. Man fühlt zu sehr
die rein äusserliche, rein malerisch-decorative Absicht
des Künstlers, der jedes warme menschliche Gefühl
hintenanstellt, blos um unter allen Umständen den Ton-
und Lichteffect richtig zu übersetzen. Und dies ist
gut gelungen, aber es fehlt sowohl hier an Innerlichkeit,
wie bei seinen meisten anderen Bildern. Courtens gibt
sich zu geschickt, um rein zu wirken; man versteht
seine Stimmungen stets, aber man fühlt sie nicht.
Courtens steht dem Pariser Geiste sehr, man möchte
sagen: zu nahe.
Wylsman ist ein eigenartiger begabter Belgier; um
seine pikant moderne Landschaftsmalerei näher zu be-
leuchten, ist in diesen Betrachtungen indess nicht der
Raum.
Stärker und gesunder, strotzend von Frische, er-
scheint Verstra'ele. Herzliche Freude an Sonnenschein
und hell leuchtenden Farben durchhaucht seine Bilder.
Er ist der den Skandinaviern Verwandteste von den
Belgiern , so dass man ihn , über seine Herkunft nicht
unterrichtet, sehr leicht für einen Nordländer halten
möchte. Wiesen mit blühenden Apfelbäumen und
munteren Mädchen liebt dieser Maler. Meistens lässt
er wenig Luft sehen, und dies Wenige ist dann noch
von Blättern, Blüthen und Zweigen lustig und flockig
unterbrochen.
Israels und Artz sind zu viel genannt, als dass be-
sonders auf neue, ihren alten sehr verwandte Bilder
einzugehen nöthig wäre, ebeaso Mesdag, dessen Marinen
stets von einem trotzig persönlichen Temperament durch-
woben und mit markigem Pinsel fest und sicher hin-
geworfen sind. — Stevens, der pikante belgische Salon-
maler, ist bekannt genug.
Spanien, Italien.
Ein Spanier that sich hervor neuerdings: Ulpiano
Checa (sein römisches Wagenrennen war sehr gut ge-
geben , ohne charakteristisch spanisch zu wirken) und
ein eigenartig veranlagter Italiener : Boldini.
Das ist doch ein ganz seltsamer Portraitmaler. Er
gibt meistens gleich ganze Figuren, lebensgross, und
mit ausgeprägt momentanen Bewegungen. Ziemlich
grau gemalt sind die Bilder, mit einem Hintergrund ver-
sehen , dessen Körperhaftigkeit man nie untersuchen
darf, mit einem Fussboden zumal , bei dem nicht im
Geringsten versucht worden ist, ihn perspectivisch ver-
laufen zu lassen — und trotz alledem fesseln die Bild-
nisse ; die Menschen tragen alle einen frappant lebendigen
Ausdruck, obgleich sie beinahe sämmtlich aussehen,
als wollten und müssten sie umfallen, wozu dann wohl
der fragwürdige Untergrund ihrer Persönlichkeit sehr
viel beiträgt.
Himmelweit ist Boldini entfernt von der Malerei
seiner Landsleute, wie sie Vinea z. B. so charakteristisch
vertritt, und es ist kein Wunder, dass blos er, der den
Franzosen so verwandt ist, im Salon ausgestellt hat.
Amerika.
Es ist da besonders ein Amerikaner, der sich in
jüngster Zeit auf unserm Continent hervorthut : Alexander
Harrison. Ein ungemein bewegliches , mannigfaltiges,
erfindungsfrisches Talent. Es erzählt sehr lebhaft von
interessanten Plätzen und Beleuchtungen der Natur in
einer ein wenig gefälligen, aber stark individuellen Mal-
weise. Etwas ist er Feuilletonist der Malerei, wie
sich aus einer Sammelausstellung zu Paris deutlich er-
kennen liess.
Walter Mac Ewen ist ein guter Figurenmaler, der
an unsern Walter Firle erinnert; er ist aber mehr
pariserisch als münchnerisch in seiner frischen Dar-
stellungsweise,
Was die Schotten in Paris boten, war wenig im
Verhältniss zu dem, was sie in München gaben, sehr
wenig sogar. Immerhin hatte Guthrie ein Paar flotte
Pa.stelle gesandt, Paterson eine Landschaft — kahle,
schottische Scenerie mit schwerem Himmel ; fast ge-
spensterhaft grausig eine seltsam geformte und bewegte
Luft, dunkelgelbe Erde mit düsterem Fluss, durch ein
Paar gelbe Sonnenlichter magisch erhellt : man fühlt,
es steigt ein ganz ekelhaft unangenehmes Wetter herauf
— und Kennedy ein lustiges Frühlings-Blüthenbild. Die
vorzügliche, ungenirte Behandlung des Technisch-
Malerischen haben die Schotten zum gros.sen Theil den
Franzo.sen zu danken, der sprühende Inhalt ihrer Bilder
und ihr herrliches Temperament, welches in jedem
Pinselstrich zuckt , ist ihr ureigene,s, angeborenes Gut.
fi*
36
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Wohl mag uns Paris Neid envecken in dem Ruhmes-
schein der grössten Kunststadt unserer Zeit, wohl mögen
mit Recht viele Deutsche schelten auf das allzu bereit-
willige Hinneigen unserer Künstlerschaft nach der Seine-
stadt: es ist unmöglich zu verkennen, dass Paris auch
für uns oft Leben gebracht hat, wo Erstarrung war,
oft Bewegung , wo Versumpfung drohte. Und dass
Paris erschlaffte und noch nicht er^vachte Lebensgeister
aufgerüttelt hat, das ist ein wirkliches Verdienst. Selbst-
verständlich, dass der Angeregte sehen und wissen
muss, auf eigenen Füssen zu stehen, ebenso das ganze
Volk, und da durften sich allerdings Manche besinnen,
ob sie in übergrosser Anerkennung des Fremden nicht
ihr Bestes daran gegeben haben.
Wie stark München im Kern schon von Pariser
Kunstluft durchzogen ist, kann vielleicht nur ein Nord-
deutscher erkennen, und es ist eine Frage, ob auf diesem
Wege ein Weitergehen nicht verderblich werden könne,
zumal da verschiedene Symptome, die ich hier nicht weiter
darlegen kann, in der französischen Kunst einen immer
grösser werdenden Grad von Ner\'osität, eine immer starker
hervortretende Ueberreiztheit und Krankhaftigkeit zeigen.
Doch was nützt die aufjjestellte Vermuthung? Qui
vivra, verra:
H. E. WH Btrlefteh. Winterliche» Waldinterieur.
■^-^^t^^-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
37
ALLERLEI
VON
H. E. VON BERLEPSCH.
Motto: Wu mit vieler Phanluie
Und mit videm Streit und Muh
Trotxdein fuhrt zu einem Ziel,
Dal verdient ein Mitgefühl '
Alle, die lich täglich plagen,
r>a»s sich die Paletten biegen,
Tnd d.-inn über Kaler**> klagen,
Den «ie ohne Autnahm' kriegen —
Die mittamroen emitlich streiten
lieber diese, jene Dinge
Künstlerischer Schwierigkeiten
(Denn es einigt sich ja nie
Das Talent mit dem Genie
1*nd der Streit um'* bessere Recht,
Was <la gut ist und was schlecht)
Denn im Ziel und in der Richtung
Giebc es niemals eine Schlichtung
etc. etc.
(Kiui^uituHt „An/ättn Mttrtt[rnHd".)
lOr an möchte beim Lesen obiger Verse beinahe an
Moritz Busch denken. Sie sind nicht von ihm.
Er sitzt meines Wissens in der Nähe von Lüneburg.
Lüneburg ist zwar nicht so sehr weit von der See entfernt,
indes.scn bespülen die Wogen schon längst nimmer jenen
*) Die sämmtlichen Original - Illustrationen zu diesem Abschnitte,
sowie die reizende Einladungskarte, rühren von dem Akademiker Herrn
P. Hey in München her.
•*) Natürlich nur über den sog. •moralischen •.
Grund. Nein — der obige Zeilen schrieb, ist ein Be-
wohner des Meeresgrundes. —
Des Meeresgrundes?
Ja, ja, ohne allen Spass! Das ist eine höchst sonder-
bare Geschichte, und ich kann nicht umhin, sie zu
erzählen, umsomehr, als sie ganz und gar aus dem
Rahmen jener Kunst heraustrat, die gegenwärtig Ober-
wasser hat und bei der, wie es scheint, Phantasie und
Humor zum Tode verurtheilt sind, weil man es immer
und immer nur mit der Wahrheit zu thun hat, was
indessen nicht hindert, dass dabei gelegentlich auch
die grössten Unwahrheiten, in der bildenden Kunst
wenigstens, mit unterlaufen. In der dramatischen sei
es vielfach ebenso, behaupten — nicht Dramatiker,
sondern Psychiater und verwandte Gelehrte. Mag sein.
Ich wei.ss es nicht.
«Ein Rendez-vous auf dem Meeresgrunde»! Nixen,
Najaden, die complete Halb- und Ganigötterwelt der Tiefe,
Drachen, Ungeheuer aller Art, abenteuerlich aussehende
Fischfiguren mit gleis.sendem Schuppenpanzer, Erschein-
ungen, die dem ganzen farbfreudelosen Wesen unserer
Tage, der pessimistischen Tonart, auf die das Leben
mit all seinen Umständen oft gestimmt erscheinen möchte,
in toller Laune den Laufpass zu geben bestimmt er-
schienen, dazu eine Decoration, wie sie die Phantasie
eines Jules Verne nicht zu überbieten vermag! Wäre
er mit hineingezogen worden in den rauschenden Strudel
festlichen Jauchzens, das diesem Rendez-vous auf dem
Meeresgrunde voll und ganz den Stempel der Freude
gab, der Freude an Dingen der Einbildungskraft, die
fernab vom Wege des modernen Heils liegt! Er wäre
vielleicht betroffen, verwirrt gewesen und hätte schliess-
lich zugestehen müssen: Die verstehen es noch besser
als ich !
Das Ganze, von dem ich spreche, war ein Fest,
gegeben von den Studirenden der Academie der bilden-
den Kün-ste zu München am 5. Februar d. J. Das
Hauptcharakteristicum lag vielleicht darin, dass nirgends
ein academischer Zug in der Sache zu bemerken war,
dass vielmehr hier dem freien Schaffenstriebe voll
38
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
die Zügel
gelassen
worden
waren.
Herrgott,
war da
eine Masse
von Talent , von
künstlerischer An-
schauung, von
sprudelndem Witze
entwickelt ! Wer
möchte in solchen
Stunden an die
Magerkeit und ma-
terielle Dürftigkeit unserer
Kunstzustände in der Kunst-
metropole denken, wo eine
solche Menge von Können,
von Jugend, von Schönheit
in zwangloser Weise wie ein
breiter, farbiger Strom dahin
gesteckt haben mögen) den Ton auf unseren Künstlerfesten angaben ! Es schlichen
auch diesmal unter den Tausenden von Masken noch ein Paar solch ärmliche
L^othische Häringe herum, aber sie verschwanden in ihren st>'lvollen
Costümen gänzlich unter all den andern Figuren, die den wahren,
echten fröhlichen Gimeval illustrirten und jeglich erborgter Gran-
Jezza entbehrten. Hin und wieder giebt sich noch einer die
Mühe, dieser aussterbenden Geseilschaft ein Moschuspülverchen
zu reichen — aber es nUtzt nichts, sie ist rettungslos ver-
abschiedet, hoffentlich auf immer, und wir freuen uns
viel lieber an den alten Originalen als an aufge-
wärmten Copien.
Doch zurück zum Meeresgrund! Auf solch eine
Idee zu verfallen, bedingt an und für sich schon, dass
man nicht blos mit dem Photographenkasten arbeite,
sondern dass man die in unseren Tagen verpönte Eigen-
schaft besitze, sich etwas einfallen zu lassen. Die Moti-
virung ist kurz und einfach in der Kneipzeitung ge-
geben : Ein Mal-Profe.ssor sitzt am Meer und hat das
Pech, dass ihm die beste Studie, die er je gemalt hat,
in die Fluthen fällt und sinkt. Grosser Jammer ! Endlich
findet sich k la Taucher von Schiller ein junger Mann,
der, um des Professors Gunst und dessen Tochter zu
wogte ! Das alles schreiben , ist ein Ding der Unmög- erwerben, den Sprung zur Tiefe wagt. Er kehrt glück-
lichkeit, die Sprache ist zu sehr gebunden an den
Ausdruck und der nicht vielfältig genug, um Alles zu
sagen, was Auge und Ohr da gleichzeitig wie ein toller
Traum umschwebte — das mUsste etwa ein Musikstück
geben können, ähnlich der Danse macabre von Saint-
Saens, aber ohne klapperndes Todtengebein und mitter-
nächtige Stimmung, sondern Alles aufgelöst in ein
tausendfältig verschiedenes, gleichzeitig ertönendes, brau-
sendes Allcgro, — ach Allegro ist viel zu wenig gesagt,
man müsste es beinahe ein Allegro arrabbiato nennen,
in welchem bald da, bald dort Blitze in allen Farben
aufleuchten und der Donner gebildet wird vom Fest-
lärm einiger Tausend Menschen. Festlärm ist ein ganz
eigener Ton , er klingt anders als wenn z. B. der Re-
gisseur der Meininger c Bewegung im Volk > anordnete
oder bei antisemitischen und socialistischen Parteitagen
das € Ordnungsprogramm » zur Abstimmung gebracht wird.
Aber welche Wandlung im Charakter der künst-
lerischen Feste!
Wenig Zeit ist es her, dass Ritter und Exlelfräulein,
sentimentale Singknaben mit flachsgelber Perrücke und
züchtig-ehrbare mittelalterliche Philistergestalten beiderlei
Geschlechts (unter deren Hülle gar oft die richtigen
lieh mit der Studie, die er eben einem unterirdi.schcn
Kunst-Haifisch entris.sen, wieder, und als er nun von
den Ungeheuern und Schrecknis-sen der Tiefe erzählen
soll, da erklärt er, es sei da drunten ein Fest, wie er
es noch nie erlebt, die Künstler am Meeresgrund
hätten Dinge geliefert, wie er sie noch nie gesehen
und er habe von ihnen eine Einladung an die oben
Wandelnden erhalten. Wer widerstände einer solchen,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
39
selbst wenn er Professor! Er mitsammt seiner Tochter
und den Kunstjüngem stürzt sich hinab — —
Da ergreift der Alte des JUngUogs Hand
Und legt sie in die seiner Trudel (Gertrud) ;
Drauf laufen sie hin zur Felsenwand
Und springen hinein in den Strudel.
Die Wellen, sie rauschen auf und nieder.
Ganz nüchtern kam kein Einziger wieder !
Soll ich ein Wort
sagen über die Fest-Deco-
ration? Es war eben der
Meeresgrund mit all seinen
Wundem , eine seltsame
Welt mit seltsamen For-
men, Pflanzen von colos-
salem Wüchse, verästelte
Riesenkorallen und Pilze,
zwischen deren Stengeln
und Stämmen Fische mit
goldglänzenden Flossen,
mit tausenderlei Höckern,
Buckeln und Stacheln in
allen Farben und Formen
umherschwammen , mit
grossen, hellstrahlenden
grünen, rothen, blitzblauen
Augen niederschauend auf
das Getümmel der Masken.
Da lag in einer Ecke wie
ein verendetes Ungethüm,
überwuchert von Seetang
und Algen, ein Riesen-
Torpedo , dessen tod-
bringender Inhalt natürlich
vom Salzwasser längst aus-
gespült war. Die Beman-
nung , die mit dem Boote vor Zeiten
hinabgesunken in die kühlen Tiefen,
hatte dafür in dem weiten Bauche des
spitzköpfigen Geschosses eine Kneipe
etablirt. Wo gab' es Seeleute ohne Trinkstofif, selbst
wenn sie hinabgesegelt sind zu Molch und Unkel
Mitten zwischen felsigen Riffen aber ragte ein stolzer
Dreimaster, aus dessen Luken noch immer dräuend
die Geschützöffnungen blickten. Hoch auf ragte die
starkbewehrte Schanze an des Schiffes Backbord , um
dessen Takelage sich Guirlanden unterseeischer Ge-
wächse wanden. Dort hausten Meerweiber in buntem
Gemisch mit der Besatzung, die sammt dem Fahrzeuge
sank , Meerweiber mit Wasserrosenkränzen , Menschen-
leibern und Fisch-Beinen, denn sie hatten deren alle
zwei aufzuweisen, verstanden sie aber zu schlenkern und
zu krümmen in abenteuerlichster Weise und waren, wie
sich das für die verlockenden Gestalten von selbst versteht,
auch musikalische Genüsse
zu bieten im Stande : Eine
Nixe arbeitete mit mäch-
tigem Trumscheit , ein
Nixerich war mit Pauken-
schlegeln bewaffnet, die
wirbelnd und dröhnend auf
das dumpfklingende Fell
niedersausten, während an-
dere mit Clarinett, Trompet
und Geige allerlei Weisen
spielten, die beinahe wie
oberbayerische Ländler
klangen, dazu das fort-
währende Geläute der tief-
gestimmten Schiffsglocke,
das Ganze aber übergössen
vom grünlich vibrirenden
Scheine elektrischer Lam-
pen, die überall im Saal
vertheilt und mit farbigen
Glaskugeln umhüllt ein un-
sagbar reizvolles Licht
^^^^^■■iHfl auf all die phantastischen
^^S )S^B^W^ Gestalten und Dinge er-
^ -^^ strahlen Hessen. Natürlich
war auch bei dem Drei-
master der Innenraum nicht
unbenutzt : Dort zeigte die in der Luft
baumelnde und zappelnde «Magneta
Neptunas ihre verwegensten Schwimm-
kunststücke, die sie regelmässig mit
einem doppelten Salto mortale beendigte, worauf das
gegen Entree eingelassene Masken - Publicum in see-
männisch - zuthunlicher Weise wieder hinausge— leitet
wurde. Gerade diese Gruppe war von vollendeter Schön-
heit, und wenn irgend ein künstlerisch beanlagter Photo-
graph da sein Können entfaltet hätte, so wären ihm
wohl von seinen Producten nicht viele auf Lager geblieben.
40
niE KUNST UNSERER ZEIT.
Wenns nicht zufällig ein Künstler
that, so ist wohl kaum zu
erhoffen, dass diese brillante
Leistung im Bild der Nach-
welt erhalten bliebe. Zwischen
hohen mit vergoldeten Strahlen-
büscheln und wundersamen
Blumen von riesigen Dimen-
sionen umkleideten Säulen ruhte
auf mächtigem Unterbau der
Ur- Frosch, der Allvater aller
nachkommenden Frosch-
geschlechter, ein Fjcemplar von
etwa 25 Fuss Höhe, in dessen
aufgedunsenem Bauche sich die
Demi-monde der Meerestiefen
etablirt hatte, während aussen.
auf einem gallerieartigen Vorsprung Frösche in Menschengrösse sassen
und in tollen Capriolen, begleitet von unterirdischen Tönen, um die
monumentalen Beine des Frosch-Ur\aters herumpurzelten. Nicht weit
davon lag das versunkene Pfahldorf, zwischen dessen Rost aus
mächtigen Eichen - und Tannenstämmen sich Wesen herumwälzten,
gegen welche diejenigen, die Schiller 's Taucher gesehen haben will,
die reinsten Kinder gewesen sein mc^en. Ueber den Giebel des Daches
kroch eine unheimliche ichthyosaurusartige Gestalt, und beim Eingang
zum Pfahlwirthshaus schnappte ein altersschwacher Drache mit glühen-
dem Rachen wie ein von Asthma Gepeinigter. Grottenartig wölbte
sich wieder anderswo das «Korallentheater*, in dessen Innen -.Raum
mit ebensoviel Geschick als künstlerischer Durchführung alle mög
liehen V'erwandlung.sbilder der griechischen Sage von lebenden Figuren
vorgeführt wurden, wobei denn auch zum Gelächter aller Zuschauer
eine zeternde und keifende, wüthend um sich blickende, ältere Frauens-
person mit fliegenden Haubenbändern sich in ein Meer-
Ungethüm verwandelte. Den Ausgang aus dieser unterir-
dischen Stätte des Zaubers hüteten griechische Hopliten,
angethan mit gleissenden Rüstungen, auf dem Kopfe
die eherne Sturmhaube mit mächtigem Rosshaarbusch,
mehrere auch mit der prächtigen Aulopis und dem
linnenen Koller bekleidet. Der Aechtheit des Anblicks
unbeschadet trug einer sogar einen phantastisch ge-
formten, mit allerlei Buckeln und Vertiefungen gezierten
Helm mit mächtigem Federbusch, wovon sich der erste
bei näherem Ansehen als eine tiefe Kuchenform , der
Busch aber als ein Fächer für Kohlenfeuer erwies —
aber gut .sah's dennoch aus. Eine Triere mit ver-
moderten Planken, halbversunken zwischen Schlamm
Üic gesunkene Galeere .Sirius.
und Morast, gestützt auf die weitausgreifenden Ruder,
lag da im Meeresgrunde begraben; Schiffsschnäbel und
einzelne Bruch-stücke von Fahrzeugen, die einst in
tobender Schlacht zwischen Hellenen und Persem ihren
Untergang gefunden, ragten seitlich und im Hintergrunde
empor ; es war die Stätte von Salamis, da Xerxes Flotte
von Themistokles zersprengt und vernichtet worden
ist. Was lag näher, als hier den Namen des be-
rühmtesten Entdeckers griechischer Alterthümer zur
Grundlage einer ebenso reizenden als kün.stlerisch bis
in alle Details vollendeten Sammlung von Broncen,
Terracotten etc. zu machen, jenen Schliemann s nämlich.
Mit einem Geschick, das nur zu deutlich zeigte, wie
l'lH.C, F, II.,i,'_-.^.n„l, üuiit..i:.
Einladungskarte zum „Fest auf dem Meeresgrund'
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
41
wirbelnde Menge dahin, überall von Scherzworten be-
gleitet. Ein andermal, es sind just zehn Jahre her, da
kam er auf solch ein Fest, aber nicht als Maske,
es war der wahre Sensenmann , der mitten aus dem
Taumel der Freude heraus sich ein paar Opfer holte
und ihr Scheiden aus dem Festsaal und vom Leben
mit hochaufschlagenden Flammen beleuchtete. Es war
die unglückseligeGeschichte
mit den verbrannten Eskimos
am 19. Februar 1881 im
Colosseum zu München, an
die Jeder mit Schrecken
denkt, der sie mit eigenen
Augen gesehen. —
Natürlich trieben sich
auch eine Menge von Er-
scheinungen herum, wie sie
eben jedes Maskenfest mit
sich bringt, solche nämlich,
die nicht just in den Rahmen
des Programmes passen,
aber zur Vielfarbigkeit der
Erscheinung des Ganzen
doch wesentlich beitragen.
Phantasiecostüme der ver-
rücktesten Art, oft nicht
unähnlich jenen, wie man
sie auf Lithographien und
Holzschnitten der dreissiger
und vierziger Jahre sieht,
Figuren , denen einen be-
stimmten Namen zu geben
rein unmöglich ist; einer
z. B. trug eine barock chine-
sisch gehörnte und ausge-
zackte Spitzhaube, bekrönt
mit einem mächtigen Busche
von Pfauenfedern , deren
jede einzelne durch einen
kleinen schwebenden Wassergasballon in die Höhe ge-
zogen wurde. An den Enden des mächtigen Schnurr-
barts befanden sich ebenfalls solche Dinger, um den
Hals statt der steif abstehenden Krause legte sich ein
mit der Hahnenfeder auf, eine Figur, wie von Rethel breiter buntbemalter japanischer Fächer, das Costüm,
geschaffen: der Tod! Umhuscht von leichtfüssigen das übrigens zwei Gesichter, eines vorn und eines rück-
Ballerinen und weithosigen Clowns schritt er durch die wärts aufwies, war halb Harlequin, halb Pierrot, mit
6
das Kunsthandwerk am besten von Künstlern verstanden
werde, waren da denn alle möglichen Dinge hergestellt,
Armspangen, Fibeln, Nadeln, Gefässe aller Art. Dass
dabei im figürlichen Theil die freie Art antiker Auf-
fassung gelegentlich auch zum Ausdrucke kam, braucht
wohl nicht erst gesagt zu werden. Hätte Schliemann
das alles sehen können, er hätte mit seinem Beifall
sicherlich nicht zurückge-
halten. Und wie diese paar
nur oberflächlich gestreiften
Sehenswürdigkeiten von alle
dem Zeugniss gaben, was
das Meer im Laufe mensch-
lichen Handels und Wandels
verschlungen, so fand sich
eine ganz unübersehbare
Menge von Dingen vor, die
alle aufzuzählen und zu be-
nennen gar nicht möglich
ist. Für die wenigen Stun-
den einer Nacht war es zu
viel, denn ob all den Ein-
drücken, die sich in wech-
selnder Fülle auf Schritt und
Tritt boten, ging der Ge-
nuas vieler reizvoller Einzel-
heiten verloren.
Und wenn nun erst von
dem Gewirre der Masken
die Rede sein sollte ! Böcklin
hätte eine gute Zahl seiner
Gestalten auf den ersten
Blick wiedererkannt. Doch
auch die mythenlose Zeit
hatte ihr Contingent ge-
stellt! Was trieb sich da
nicht eine bunte Rotte von
saracenischen Seefahrern,
von Albanesen und Dalma-
tinern, Venezianern und Niederländern, biederen Theer-
jacken und verwilderten Galeerensträflingen herum und
mitten unter ihnen eine lange hagere Figur mit fleisch-
losem Schädel und leeren Augenhöhlen, den grünen Hut
Salamis.
42
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
durchsichtigen Libellen-
fliigeln auf den Achseln
und mächtigem Schellen-
behang an den Knien, die
FUsse aber waren genau
denen eines Frosches nach-
Titclblatl Her Kneipzeitung < Auf dem MeeresgruiMlc i
von I,. Stutz.
gebildet. Ja. was war das! Knrnevalslaune, Faschings-
scherz, rechter, ächter Mummenschanz . der in keinem
Codex sein .streng fixirtes Wesen hat, sondern dem
momentanen Einfall folgt, mag der Unsinn noch so gross
sein, darum ist's eben Fasching. In überaas reizenden und
graziösen Exemplaren war da.s Corps de Ballet vertreten,
wobei denn freilich öfters, wenn eine der Schönen sich den
Halbschleier et\va5 lüftete, ein unverfälschter männlicher
Schnurrbart zum Vorschein kam und die courmachenden
Cavaliere nicht darüber in Zweifel liess, dass diese
graziösen Erscheinungen im gewöhnlichen Leben Manns-
kleider zu tragen pflegen. Sprangen aber hin und wieder
einige dieser leichtbeschwingten Wesen auf die Tische
des an den Festsaal anstossenden und mit einem reizenden,
von marmornen Tritonen und Wasserweibern getragenen
Portale geschmückten Restaurationssaales, um über Mas.s-
krüge, Teller und Platten hinweg wie im Fluge zu sausen,
-i> brach von allen Seiten unbeschreiblicher Jubel aus
und im Nu waren sie dann von kräftigen Armen empor-
gehoben und im Triumph herumgetragen, wobei wohl
die Eine oder Andere mit leichtem &itze von Achsel zu
Achsel sprang, um wieder im Gewühl zu verschwinden
und an einer andern Ecke der labyrinthischen Gänge
zwischen all den Einbauten aufzutauchen, vielleicht am
Arme eines kettenbelasteten Galeerensträflings, dem das
fatale T. F. (tra\-aux forc&) den Nacken zierte, oder ein
paar gravitätisch daherschreitende Orientalen mit leichtem
Fächerschlag für einen Moment aus ihrer .stoi.schen
Ruhe aufzuscheuchen. Einen geradezu tollen Eindruck
aber machte es, als in späterer Stunde die Tische des
Kneipraumes zusammengeschoben wurden und ein Tanzen
anhub, dessen jagendes Tem|K> jeder Beschreibung
spottet. Sat>Tn, Nymphen und Najaden rasten im Kreise
umher, bald geschlossen in doppelter Kette, bald paar-
weise oder einzeln, wie's eben Jeden in seiner Phantasie
dazu antrieb, dazwischen hüpften grüne und gelbe Frösche
über Tische und Stühle weg, Crocodil und Ichthyosaurus
tanzten zärtlich umschlungen die Gallo-
pade und ernsthaft wackelte
zwi.schen eine riesig beleibte
Tube ■- CremserNvei.ss » den
Tact am Arme einer
gleichen aber
schlanken
rnf
lanjjcn M^ur « Her-
linerblau ». Zwischen
durch mit lautem Hi-
hi huschte, flattern-
den Federschmuck
im lang fliegenden
Haare , ganze Büschel
von Skalpen in den Lüften
schwingend, eine Rotte von
Rothhäuten, die übrigens al.s-
hald von einigen ehrbaren Nacht-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
43
Wächtern im Costüm der guten alten Zeit abgefasst
wurden und erst um ein Lösegeld von verschiedenen
vollen Maasskrügen wieder ihre Freiheit bekamen. Es
war ganz einfach, als wenn der Teufel losgelassen worden
wäre und von jenem Phlegma, das durch den Biergenuss
im Menschen entstehen soll, war nichts zu bemerken.
Das Alles kann man ja eigentlich, wie gesagt, gar nicht
.schreiben, denn bis nur ein Bild erfasst war, drängten
sich schon ein
halb Dutzend an-
dere an dessen
Stelle. Alles war
Farbe , Lust ,
Freude , Jugend,
ein wahrer Wirbel
und Strudel von
sinnverwirrenden
Eindrücken ; es
war ein Fest, wie
es eben nur die
Künstlerlaune
hervorzubringen
im Stande ist.
Und wo diese sich
in so glänzender.
Nach dein Icsle im Morgengrauen.
phantasievoller Weise zeigt, sollte da für immer einzig und
allein der Realismus der Thatsachen die führende Rolle
spielen ? Ich glaube nicht, denn wo so viel überquellende
Schöpferkraft Dinge aufbaut, wie ich sie leicht zu skizziren
versuchte, da ist der künstlerische Trieb nicht blos nach
der Darstellung des greifbar Vorhandenen gerichtet ; die
Phantasie lässt sich nicht todtschlagen, ebensowenig als
selbst das Beste und Grösste, was der Realismus hervorge-
bracht hat, einen
Böcklin , Thoma,
Marees , Klinger
auf andere als die
ihnen eigenthüm-
lichen Bahnen
nicht zu drängen
vermochte. Die
Darstellung der
wahren Erschein-
ungswelt wird da-
neben immer ihre
Triumphe feiern.
Zu ihr gehört das
Kennen, zum an-
dern das Kennen
und das Können.
'?'^<t-ir-
Und nun von diesen Bildern hinweg zu jenen, die
unsere drei ersten Hefte geben.
Vom tiefen Meeresgrund hinauf zu den Spitzen der
Dolomiten ist's ein gehöriger Sprung, ebenso wie von den
farbigen, lebenden, sich bewegenden Gestalten des Festes
zu dem Bilde von Hofer, das die ragenden Spitzen jener
eigenthümlichen Bergformationen zeigt, welche den Grenz-
wall zwischen Süd-Tirol und Italien bilden. Dort spielt
die Sagenwelt von König Laurin's Rosengarten. Steht
man auf der Wassermauer zu Bozen und sieht im Früh-
licht die Nebelstreifen hinziehen an den steilen Schrofen
der vegetationslosen Felsendome, die vom Schimmer des
aufgehenden Tages umflossen sind, während in den
Schluchten und Runsen, an den Schutthalden und senk-
recht abfallenden Wänden der tieferen Lagen noch blau-
graue Schatten lagern, so braucht's gar keine grosse
Einbildungskraft, um sich jene sagenumwobene, gewaltige
Natur mit Wesen zu bevölkern, deren Sein mit dem
gemeinen Erdboden nichts zu thun hat; und wenn die
Geister des Sanct Magdalener- Weines, den der edle Trebo
im Batzenhäusl zu Bozen kredenzt, die Stirne warm und
die Zunge geläufig machen, so mag man wohl glauben,
solch Nass sei in einem Revier gewachsen, wo Kräfte
anderer als menschlicher Natur die Elemente mischen,
aus denen solche Tropfen erstehen.
Wir geben gleichzeitig von dem nämlichen Künstler
eine Anzahl von Studien, sowie ein Bild : « Fischfang in
den Lagunen», das sich auf der Münchener Jahres-
Ausstellung des Jahres 1890 befand und durch die un-
gemein frische, kräftige Farbenwirkung auffiel.
Ein anderes Sujet aus der Welt der Sage behandelt
Silvio Rotta in seinem «Satyr und Nymphe» (Seite 12),
ein Aquarell, das durch die geschickte, fleischige Be-
handlung ebenfalli auf der Jahres-Ausstellung von 1890
auffiel. Der bocksbeinige Geselle hat in der Verfolgung
der von ihm in Liebesbrunst Begehrten endlich sein
6«
44
DIK KINSI üNSfcktk ZKil.
Sei erreicht : Sic kann nicht mehr weiter, die Felswand
hält ihre Flucht auf, und jetzt bleibt ihr eben nichts
anderes mehr übrig als der Dinge gewärtig zu sein, die
da kommen werden. CKe ganze Scene ist ausserordent-
lich reizend geschildert, das heranklettemde Geschick
in Gestalt des Kürbisflaschen-Trägers ebenso wie die
scheu niederblickende weibliche Figur, deren Augen
kaum über die wie zur Abwehr empoi^ezogenc Schulter
wegzublicken sich getrauen.
Eine andere Seite des antiken Lebens, das hinab-
sank unter dem Märtyrerthum unzähliger ans Kreuz
Geschlagener, in den öffentlichen Spielen reissenden
Bestien Vorgeworfener und hundert anderer .schreck-
voller Todesarten Gestorbener, schildert G. Max in dem
Bilde « Verurtheilt » . Max hat es immer verstanden,
das rein Menschliche in seinen Bildern, mochten sie
nun irgend einer Zeit angehören, in den Vordergrund
zu rücken. Die Hülle, die seine Figuren umgibt, spielt
nirgends eine Rolle, der Kern der S«che, das seelische
Moment allein beherrscht die Situation. Das ist was die sog.
Historienmalerei allmählich zur bedeutungslosen Costüm-
darstellung herabdrückte, dass ihr in neunundneunzig
C. He/tr. Kucher in den Lagunen.
von hundert Fällen jener innerliche Gehalt mangelte, der
an den Werken von Max stets das Leitmotiv bildet
und es auch in dem vorliegenden Bilde wieder in so
meisterhafter Weise thut, wie man es eben an den
Werken dieses Künstlers stets gewohnt war. Max ist
durchaus individuell. An ihm hat jenes nivellirende
Element nichts zu ändern vermocht, das vor allem
Andern die Abstreifung des Persönlichen in der Kunst
zum Ziele hat. Darin decken sich vielfach die Be-
strebungen der Uitramodernen mit der Thatsache, die
von gar vielen tüchtigen Künstlern über ihren Lehrgang
an dieser oder jener Academie au-sgesagt worden ist,
dass sie nämlich im späteren, nicht mehr academi.schen
Schaffen vollauf zu thun hatten, um das abzustreifen,
was ihnen beim Drill der Kunstschule eingetrichtert
worden war. Jener Lehrer sind sehr wenige, die der
Entwickelung von heranwachsenden Künstlern lediglich
das beizumi.schen vermögen, was sie als Mittel der Dar-
stellung tüchtig kennen müssen ; vielmehr geht das Be-
streben weitaus der grösseren Anzahl unserer acade-
mischen Lehrkräfte dahin, im Schüler einen Abglanz
des eigenen Ich auszubilden. Das ist's, woran unsere
N
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DIE KUNST UNSERB:R ZEIT.
45
Kunst zum guten Theile krankt; ist es doch eine durch
viele Beispiele zu er\veisende Thatsache, dass Jene,
welche auf den künstlerischen Hochschulen die Besten
waren, nachher im selbstständigen Leben auf dem Niveau
der Mittelmässigkeit stehen bleiben oder gar unter
dasselbe hinabtauchen, während eine grosse Reihe von
Autodidakten oder solchen , die vor dem Gerichtshofe
des officiellen guten Geschmackes als c ungenügend »
oder gar c talentlos j befunden worden, sich durch eigenes
Studium, selbstständige Auffassung emporarbeiteten unter
die Besten, die man im Reiche der Kunst zählt. Oft
haftet ihnen ja freilich der sichtbare Mangel des quanti-
tativen Könnens an — aber die Kunst ist kein Rechen-
exempel, das auf dem Schachbrett oder dem Schlacht-
felde seine richtige Lösung findet; vielmehr wird Der
immer höher stehen, der den Stoff seines Bildens in
genialer, grossgedachter Weise anzufassen versteht, als
Jener, der die peinliche Genauigkeit der Wiedergabe als
die Basis künstlerischen Schaffens auffasst. Ein Meissonier
freilich hat beides vereinigt, aber seinesgleichen zählt
man eben nicht nach Dutzenden. Wer möchte hinter
den em.sten Bildern c 1815» oder c Angriff der Cuirassiere
G. Hofer. Studie.
bei Eylau», falls er die Originale nicht kennt, vermuthen,
dass diese letzteren von äusserst geringen Dimensionen sind !
Dass Lehrthätigkeit einem so ausgesprochen eigen-
thümlichen Manne wie Max nicht zusagte, ist leicht
begreiflich. Er hat seine Stelle an der Academie zu
München nach kurzer Dauer niedergelegt, um unbe-
hindert durch Ehrenpflichten ganz und gar nur Dem zu
leben, was seine künstlerische Arbeit fordert. Dass er ferner
keineswegs nur einer bestimmten Richtung folge, durch
welche er im Beginne seiner Laufbahn schnell allbe-
kannt und geschätzt wurde, hat er mehr denn einmal
dargethan. Welch' köstliche Ironie sprach nicht aus
seinem c Kränzchen», dem trefflichen Affenbilde, das
in der kgl. Neuen Pinakothek zu München hängt (ver-
öffentlicht im Halb-Jahrgange der «Kunst unserer Zeit»
vom Sommer 1889). Mit dem hier wiedergegebenen
f Verurtheilt » hat Max in jene Periode zurückgegriffen,
in der sich am glänzendsten das Wort von der Auf-
richtung der Unterdrückten bewahrheitet hat, jener Zeit,
da für das Christenthum geblutet wurde und der Spiess
noch nicht umgedreht war. Was bedarf es da weiter
eines Commentarsl Er ist unnütz. Wo der Künstler
für sich selbst so spricht , bedarf er keines Interpreten.
Weniger auf die Charakteristik der Persönlichkeiten
als auf die Gesammtstimmung des Raumes und der unter
seinen Lichtbedingnissen stehenden Figuren berechnet,
ist das Kirchen - Interieur von Gotthardt Kuehl, dessen
Streben nach glanzvoller, klarer und vornehmlich heller
Tongebung, bei der indes.sen die Einzelnheit durchaus
nicht von ihrer plastischen Wirkung einbüsst, kein
Resultat seiner Münchener Kunst-Bildung ist. Er ge-
hörte früher zu den Dunkelsten der Dunkeln. Den
völligen Wechsel seiner Anschauung in Bezug auf die
Farbe hat er in Paris erlebt, und man darf es ja wohl
sagen, dass ihn die Seinestadt zum feinen Künstler
heranbildete, ohne dass er erst das Purgatorium des
interessanten Manierismus durchzumachen brauchte. Das
letztere bildet offenbar für die meisten jener Maler eine
längere oder kürzere Durchgangsstation, welche unzu-
frieden mit dem Boden ihrer Heimath und dem, was er
bietet, von Zeit zu Zeit einer Auffrischung an fremden Bei-
spielen bedürfen. Leider läuft diese Auffrischung recht
oft auf ein gänzlich sinn- und gedankenloses Nachmachen
hinaus, dessen Producte, wie es bei allem nicht Selbst-
empfundenen und Selbsteroberten der Fall ist, die
fremde Marke nicht verbergen können.
46
I>IK K.INST UNSF.RKR Zl.l l'.
Drei Erscheinungen eigener Art bietet das Blatt
von M. V. Muttkäcsy (Seite 24). Wozu sie gedient, das
weiss ich nicht ; ob es ein spontaner Einfall ohne weitere
Verwendung gewesen, ebensowenig, nur fielen mir un-
willkürlich, obschon sie wesentlich anderer Natur, —
ich möchte sie stylisirte nennen — , die Caricaturen
von Leonardo da Vinci dabei ein, die jedenfalls auf
gehabten Eindrücken beruhen ; laufen doch in der Welt
unglaublich viele Erscheinungen herum, an denen man
nicht haarbreit etwas zu ändern braucht, um sie als
Caricaturen in des Wortes allerbester Bedeutung be-
handeln zu können. Dass dazu manchmal jene am
meisten gehören, die sich vor dem Spiegel sagen : « Du
bist schön und interessant*, steht ausser allem Zweifel;
es sind die Comödianten des Lebens, die nie aus der
Rolle fallen, weil sie viel zu sehr von der Wichtigkeit
derselben überzeugt sind. Wie Mancher macht nicht
gratis (tir hundert Andere den Hanswurst, schätzt ihr
Lachen als Beifall und glaubt, er helfe mit drehen an
'm^
• ff"
^.ll^a^-.;
^.
C tirjtj
G. Hofer. Studie,
der Achse, um die sich Alles bewegt. Ausgesprochene
Caricaturen sind indessen die drei Köpfe von Munkäcsy
keineswegs, weil sie nach keiner Seite eine Uebcrtreibung
zeigen. Dies allein macht das Wesen der Giricatur
aas. Vielmehr darf man getrost annehmen, dass es
Bildnisse dreier, richtiger Menschen seien, sagen wir:
Charakterköpfe: man könnte am ehesten voraussetzen,
dass sie in eine Scenc wie t Christus vor Pilatus»
hineingehörten ; der Aasdruck ist nicht jener des gleich-
gültig dasitzenden Modells; die drei Kerle haben
ihre ganz bestimmten Gedanken, ihr bestimmtes Ziel,
das offenbar ganz wo anders seinen Gipfelpunkt
findet als z. B. im Arrangement eines Wohlthätig-
keitsconcertes oder eines Bazars zu Gunsten von armen
Wöchnerinnen.
Ein Menschenkind ganz anderer Art giebt das weih
liehe Portrait if. ^}. Walton' s, eines Schotten. Es bildete,
wie verschiedene der zuvor genannten Blätter, eine Zierde
der Münchener Jahresausstellung von 1890 und hat in
der Besprechung derselben auch bereits seine Würdigung
gefunden. Das ist volle Jugend, Anmuth, Schönheit, ein
Ding, was von gar vielen modernen Künstlern ge-
mieden wird wie das höllische Feuer. Freilich bieten
dergleichen Aufgaben oft dem Künstler Gelegenheit, sich
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
47
die Zähne auszubeissen oder seine ganze Kraft aufzu-
weisen. Das thut das Portrait überhaupt, weil seine
Bedeutung auf etwas mehr beruht, als auf einer allge-
meinen Impression. Wo es sich um bestimmten, indivi-
duellen Ausdruck, um die Wiedergabe Dessen handelt,
was das innerliche Wesen eines Menschen ausmacht, da
bedarf es nicht blos ganz allgemeiner Andeutung der
Form, vielmehr will das Specifische crfasst sein, und
wo dieses dazu sich noch in persönlich schönen, edeln
Formen ausspricht, da reicht der Altmänncr- und Alt-
weiberCultusunsererTage
entschieden nicht aus, der ^
in eckigen , winkeligen
Formen sich ergeht und
jede feinere Linie meidet,
ob aus Absicht oder Un-
vermögen, das bliebe in
jedem einzelnen Falle zu
entscheiden.
Ein fideles Familien-
Trio giebt Boldiiti's Por-
trait der Familie Brown,
ebenfalls ein Stück der
1 890er Jahres- Ausstellung
zu München. Vor dem
geistreichen Können des
italienischen Malers , der
in Paris lebt, prallte gar
Mancher betroffen zurück,
der die Wahrheit der Dar-
stellung sich nicht einge-
stehen wollte und einen
Schrecken bekam : Am
Ende sehe ich auch so aus !
Da sind doch unsere Por-
traitmaler von Fach durch-
schnittlich viel bessere Menschen. Die meinen es doch
gut mit ihren Bestellern und malen sie im Sonntagsrock
und mit einem Gesicht, wie sie es einst in himmlischer
Verklärung oder in einem Wachsfigurencabinet haben
werden. Aber solch geradezu unverschämte Wahrheit
ach nein, das ist für den gebildeten Kunstphilister
zu viel des Guten, das ist ja der leibhaftige Steckbrief,
und so etwas auch noch ausstellen, der ganzen Welt
zeigen und sie darüber lachen lassen! Oh, glückstrahlendes
Trifolium, Ihr habt gar Manchem einen argen Rippen-
G. Hoftr, Studie.
stoss versezt und Vielen mag innerlich gewiss der Vor-
satz geworden sein: «Nein, von Dem lass' ich mich
nicht malen!» Will doch jeder Schweinemetzger im Bild
aussehen wie ein Commerzienrath und seine Frau wie
eine Dame von Stand. Wer aber Sinn für humorvolle
künstlerische Auffassung hat, der kann dem eigenen
Reize dieser köstlichen Familienscene nicht widerstehen,
vielleicht, das ist möglich, werden einem die lachenden
Gesichter, müsste man sie immer anschauen, nach und
nach zur Fratze, das kann ich mir sehr leicht vorstellen,
denn auch lebende Men-
schen, die immer und ohne
Grund den Mund zum
Schmunzeln verziehen,
langweilen auf die Dauer ;
ich könnte mir übrigens
dieses Trifolium zum Bei-
spiel sehr gut als Schluss-
steine einer Bogenarchi-
tektur vorstellen, etwa in
dem Sinne wie Böcklin
welche modellirt hat.
Boldini hat nun allerdings
die Portraits wahrschein-
lich nicht zu solchem
Zwecke gemalt, indessen
bin ich ihnen gegenüber
dennoch nie den Eindruck
losgeworden, als wären sie
zur humorvollen Decora-
tion irgend eines künst-
lerischen Kneiplocals be-
stimmt. Was er damit
geben wollte, eine bis
an'sCaricaturenhafte gren-
zende Charakteristik der
dargestellten Persönlichkeiten, das ist ihm über alleMaa.ssen
gelungen, und dass er bei seinem eminenten Können
durchaus nicht auf das Charakterisiren bis zur Ueber-
treibung angewiesen ist, das bewiesen seine übrigen
Figurenstudien, z. B. die « Zwei Freunde » (Jahrgang 90
d. Zeitschr., p. 164).
Noch weitere Blätter halten die Erinnerung an die
Jahres- Ausstellung 1890 wach, so die treffliche Repro-
duction des Bildes von Sande -Bakhuyzen, dessen klare
farbige Wirkung von feinstem Reize durchdrungen ge-
it>?M
48
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
wesen ist, nicht minder das herbstliche, von grauer
Abendstimmung durchzogene Waldbild von F. du Chatul,
in dem die ganze poesievolle Schwermuth der welken-
den Natur in Farben-Accorde aufgelöst erschien, denen
man etwa ein Chopin'sches Adagio an die Seite stellen
könnte. Einzig und allein machten dabei die Baum-
formen einen etwas construirten Eindruck, welcher in-
dessen der Farbe gegenüber in den Hintergrund trat.
Breit, mächtig, eine Tonmasse von vollkommener Har-
monie , das sonnig flimmernde Licht sommerlicher Spät-
nachmittagsstimmung trefflich charakterisirend , wirkte
das tonige Flussbild des Schotten John Lai'ery in Glas-
gow, das bei aller Wahrheit der Erscheinung einen
eigenthümlich poetischen Hauch in sich trug und ent
schieden künstlerisch weit höher stand als das von der
kgl. Pinakothek erworbene : < Lawn -Tennis - Platz > .
Es gehörte mit unter jene Erscheinungen, die als
ein Charakteristikum der .schottischen Malerei so un-
gemein imponirend in den Vordergrund traten. Während
heute das Bestreben dahin geht, durch die volle un-
gebrochene Lichtwirkung aller Dunkclmalerei das Genick
zu brechen, wobei denn gelegentlich auch die Wahr-
scheinlichkeit der Erscheinung aus Helligkeits-Principien
beiseite geschoben wird, ging, wie schon früher betont
wurde, der Grundzug der Schotten auf satte, tiefe
Farbenstimmung hinaus. Sie schildern nicht blos die
volle Tageshelle, die übrigens vermöge unserer Aus-
drucksmittel doch auch nur bis zu einem gewissen
Grade in's Malerische übersetzt werden kann, viel-
mehr fassen sie eben jede Stimmung der Natur als
eine dankbare Aufgabe künstlerischer Eindrucksfähig-
keit auf und treffen dabei denn auch, wenn auch zu-
weilen nur in Form vollendeter Tonskizzen, den Nagel
auf den Kopf Ob übrigens unsere modernen hellen
Bilder immer ihre Tonscala gleichmässig halten werden,
das ist eine andere Frage. Man spricht oft so völlig
unverstandener Weise von der Braunmalerei der Alten.
Die Farben wurden eben mit der Zeit tiefer und der
Hass gegen die Braunmalerei kann sich vernünftiger
Weise doch nur auf jene Sucht einer nicht lange hinter
uns liegenden Zeit beziehen, die jene Tiefe, welche
die alten , ursprünglich \'iel , viel helleren Bilder
durch chemische Processe im Laufe von hunderten
von Jahren bekamen, nun sofort den neuen Bildern
mit auf den Lebensweg geben wollten. Das war un-
richtig und verwerflich, weil unwahr, nachgemacht.
C. Hoftr. Geschossener Bär.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
49
Die Alten setzten nicht umsonst ihre
Hauptkraft an das Fresco-Bild, kannten
sie doch zweifelsohne die Ver-
änderlichkeit des Stoffes, wenn
er mit Oelen und Harzen
gebunden wurde, wie wir.
Wo aber haben bei den
Fresken der Alten Nach-
dunkelungen stattgefunden ?
Wo sie unter günstigen kli-
matischen Verhältnissen un-
serer Zeit erhalten geblieben
sind , da wirkt ihre unge-
brochene P'arbenkraft heute .'.
noch wie ehedem; wer da
von einem Mangel an Licht
reden wollte , sieht ent- :, .»
weder von Natur aus oder
aus purer Opposition nichts.
Wer aber von der i grossen
Ehrlichkeit » in der An-
schauung unserer Tage im
Gegensatze zu den alten
Meistern spricht, hat ganz
einfach einen Dürer, einen Holbein nie mit gesunden
Augen angesehen. Durchzöge unsere Künstler durchweg
jenes Wahrheit.sgefühl , was jene hatten, so würde das
C. Btniuuiilt V. Loe/tn. Studie.
Academie besuchte — einen curiosen Ein-
druck machte, wenn einer der corrigi-
renden Herren Professoren, ein letzter
Ausläufer der Cornelianischen Zeit,
während der Pause ruhig weiter
corrigirte, selbst wenn das
Act-Modell gar nicht stand.
Als ich mir aus diesem
Grunde einmal die Bemerk-
: '- ung erlaubte: «Der Mann
hat aber ganz hagere Beine,
pCiv Herr Professor, und ist
nicht so muskulös, wie Sie
ihn mir zu zeichnen die
Freundlichkeit hatten», da
schaute mich der Kunst-Dictator
älterer Ordnung lächelnd über
' sein goldenes Brillengestell hinweg
an und sagte dann: «Dünne Waden,
mein lieber junger Herr, die finden Sie
in der Antike nirgends, und diese allein
kann den Maassstab für künstlerisches Figuren-
zeichnen abgeben». Da hatte ich denn mein
Fett. Dort, am Original dünne Beine, hier
auf der professorlich corrigirten Zeichnung antik - dicke
— erkläre mir Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur.
Wie aber dieser wohlwollende Professor es trieb, so
:V
nicht als ausübende
Künstler, Tausende
von Jenen, die in
Wort «Realismus» in der bildenden Kunst als ein völlig treiben es eben noch
überflüssiges gelten können. Was aber das vielum- heute, wenn auch
strittene Wort «Schönheit» angeht, so ist dafür nicht
von Künstlern ein Canon aufgestellt worden , sondern
von Jenen, die Alles, was da gemalt und gemeisselt, von
echten Künstlern ohne lange Düftelei gemacht
wurde, in die Regel kalt berechnender acade-
misch-ästhetisirender Anschauung geschlagen
werden sollte ; aus dieser einzig und allein
lässt sich die Härte und Gefühllosigkeit Derer
erklären, die man unter die Heroen unserer
Kunst zu rechnen pflegt ; sie haben freilich viel-
fach logisch besser überlegt als practisch gut
gemalt, da sie dabei natürlich nur «schöne»
Erscheinungen im Auge hatten, wie sie sich,
genau auf Kopf- oder Gesichtslängen be-
rechnet, mehr oder weniger construiren lassen.
Ich erinnere mich sehr genau, dass es mir
— als ich in jungen Jahren die Münchener
Max Liebermann. Skizze.
50
DIF KUNSI- r.NSERER ZEFr.
M»x LMtrmtHH. Skise zu einem Bilde: KindenpielpUtz.
Sachen der Kunst das grosse Wort reden, einen Künstler
unter die Seligen versetzen, einen andern in den tiefsten
Höllenpfuhl verdonnern und dabei durchschnittlich dem
schwachathmigsten, unwahrsten Zeug ihr wohlwollendes
Lob angedeihen lassen. Und die gelesensten deutschen
Zeitschriften drucken dergleichen Dinge bona fide ab!
Ich will damit durchaus nicht jenen das Wort geredet
haben, deren Schaffensrayon ausschliesslich innerhalb
von Dingen liegt, für welche ein gut Theil unserer
deutschen Welt vorerst wenig Verständniss hat, weil
sie vielfach nicht blos mit einem , sondern mit zwei
Füssen der inneren Ueberzeugung nach noch im Bann-
kreise der guten alten Zeit steht und all das Schlechte,
was an dieser klebt, als geheiligt anschaut. Ich will
den Malern, die, angeregt von Dingen wie € Germinal »
u. s. w., sich der au,sschlies.slichen Schilderung der Ar-
beiterclassen zugewendet haben und darin die Beglückung
der Kunst für die Zukunft erblicken, durchaus nicht
den Lorbeer a tout prix wünschen. Aber sicher ist, dass
wer charakteristisch gibt was er malt, wer cdie Glaub-
würdigkeit der Darstellung > zu erreichen versteht, mit
Jenen überhaupt nicht verglichen werden kann, die
ihr Schaffen aus einem construirend thätigen Gedanken-
gang entwickeln. Ob das Resultat phantasievoller
Art oder entsprechend einem direct von der Natur
empfangenen Eindruck ist, das bleibt sich ganz gleich;
darin liegt das, was wir heute c schön» nennen, nicht
aber in einem philosophisch abgezirkelten BegrifTe,
der praktisch keinen Werth hat. Deswegen ist die
Kunst noch lange nicht dem Sansculottenthume ver-
fallen, wenn auch dieses momentan die fal.schcn Toga-
Träger stürzt, die vielfach weiter nichts als künstlerische
Parvenüs, ohne pur sang, sind.
Wir hatten glücklicherweise in den letzten Monaten
in München Gelegenheiten, an einer Reihe von hoch-
bedeutenden CoUectiv- Ausstellungen künstlerische Indi-
vidualitäten total antipodischer Art kennen zu lernen.
Ich brauche nur die Namen Max Klinger und Max
Liebermann zu nennen, von den edlen Arbeiten eines
Hildebrand ganz abzusehen, auf die gelegentlich des
Speciellen zurückzukommen sein wird. Mochten sie auch
in ihren Anschauungen über das, was künstleri.sches
Erkennen und Streben bedeutet, diametral auseinander
gehen, der eine zwang dem Beschauer die gleiche Acht-
DIE KUNST UNSERER ZEFr.
51
manifestirte und Zeugniss dafür abgab, in welch intime
r
Beziehungen der Künstler zur Natur zu treten vermag,
<oferne er sich bescheidet, im Rahmen jener Art von
lebersetzung zu bleiben, die eben immer und ewig ein
Gebot der Wiedergabe bleiben wird, so lange es sich
I um Anschaulichmachung der aus den heterogensten
Stoffen bestehenden Dinge auf einer Fläche und mit
denselben Malmitteln handelt , so dass das , was in
der Natur stumpf, mit den gleichen handwerklichen
Medien dargestellt werden muss, wie das was glänzend,
jenes was nass , nicht unter Anwendung anderer Stoffe
wiedergegeben werden kann wie das was trocken ist.
Wahrheit verlangt man von jenem Bilde am meisten,
was, ohne künstlerische Schöpferkraft in sich zu tragen,
einfach ein Stück aus der Natur herausgeschnitten wieder-
geben soll. Dass bei Liebermann die künstlerische Im-
pression — von dieser muss man bei ihm wohl vor allem
anderen reden, — zu einer Reife gediehen ist, die in
Max Litiermaitn. Studie.
ung ab wie der andere, weil aus beiden die Ueberzeugung
für das, was sie schaffen, herausschaute. Wir sind in
der glücklichen Lage, einige Skizzen von Liebermann
beifügen zu können, die für seine Art ausserordentlich
charakteristisch sind ; von Max Klinger wird später des
Längeren und Breiteren die Rede sein — leider freilich
ohne Beigaben .seiner hochbedeutenden Arbeiten. Nun,
die werden zum guten Theile auf der Münchener Jahres-
Ausstellung des Sommers 1891 zu sehen sein und so
mag, wer in die Isarstadt kommt, sich an den Originalen
ergötzen.
Die Skizzen von Liebennann illustriren seine An-
schauung, wenn auch nicht nach allen Seiten, so doch
in einigen wesentlichen Dingen. Sie entstammen der
schon einmal er\vähnten Münchener CoUectiv-Ausstellung
des Berliner Künstlers, aus weich letzterer auch ein
Bild in die Neue Pinakothek zu München gewandert
ist — das Beste freilich war es nicht. Doch an der-
gleichen gewöhnt man sich mit der Zeit. Dies nebenbei.
Und die andern ? Ja, das waren zum Theil äusserst
bedeutende Sachen, in denen sich die klare Anschauung
für die greifbare Wirklichkeit der Dinge aufs Glänzendste
Max Liebermann. Landschaftliche Skizze.
7*
52
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
manchen Dingen ihren grossen, grossen Zauber hat,
kann nur Der leugnen, der absichtlich einseitig sehen
und auflassen uill (ob er es mit einem oft recht falsch
angebrachten Idealismus fertig bringt, ist eine andere
Frage), der, um es mit einem Worte zu sagen, die
Kunst vom Katheder-Standpunkte aus wie eine Sammlung
bereits aufgespiesster oder noch aufzuspiessender Käfer
betrachtet und an Kunstproducten versucht, was der Ana-
tom am Cadaver thut, ohne
sich um die Ps}'che zu
kümmern, die dem leb-
losen Gehäuse den Aus-
druck des Lebens verlieh.
LÄebermamt ist als Maler
kein Poet, wenn man das
Wort Poesie dahin deuten
will , dass sie von Ein-
drücken der realen Welt
ausgehend, sich auf das
Gebiet des geistigen
Fühlens übersetzt und da-
hin ihren Schwerpunkt ver-
legt. Er hat jenes Element
nicht in sich, das der
grösste französische Rea-
list, Zola, bei aller Un-
geschminktheit in Dingen
physischer Voi^änge, den-
noch zum Ausdruck zu
bringen versteht, die be-
rauschende, die Sinne ver-
wirrende Schönheit der
Natur, wie sie sich z. B.
in der Schilderung des
grossen Gartens in der
< Faute de l'abbe Mouret >
zeigt. Auch ist ihm der
grosse Wurf nicht eigen,
den Millct und verwandte
Geister ihren einfachen Gegenständen einzuhauchen ver-
standen. Er bewegt sich — wenigstens den zahlreichen
Bildern und noch zahlreicheren Skizzen und Studien
seiner Ausstellung nach zu urtheiien — auf enger
begrenztem Gebiet , auch ist ihm weder die F'einheit
eines Bastun Lepage nachzurühmen, noch die wahrhaft
«schneidige» Charakteristik eines Adolf Menzel, er ist
Max Liehermann. Interieur- Studie.
kein Original , aber er hat von Originalen Vieles gelernt
und hat ihre Anschauung geistreich erfasst. Geistreich,
das ist vielleicht die hervorstechendste der Eigenschaften
an seinen Dingen. Sie sind prickelnd, sie spielen mit
dem Zufalle des Materials, sie haben etwas von der
Art des norddeutschen Witzes , der treffend ist , ohne
dass ihm eigentlicher Humor innewohnt. Es ist ihm
nicht um die präcise Form der Erscheinung zu thun,
vielmehr hat man seinen
Sachen gegenüber das Ge-
fühl, als wären sie in jenem
Zustande gegeben , wie
.sich die Natur zeigt, wenn
man die Augen blinzelnd
schliesst und so alle line-
aren Schärfen gegenüber
einem flimmernden Ge-
sammteindrucke völlig ver-
schwinden lässt. Er ist
nicht der Mann des Pho-
tographenkastens , denn
dieser giebt (sofern er gut
ist) Alles mit absoluter
Richtigkeit wieder. Viel-
mehr beruht der Reiz
seiner Arbeiten , zumal
seiner gezeichneten Blätter,
auf jenem ungewissen
Etwas , was überhaupt
Skizzen oft interessanter
erscheinen lässt, als aus-
geführte Bilder (ein Um-
.stand, der u. a. die Mehr-
zahl der schottischen Bil-
der von der 1890 er Aus-
.stellung .so wirksam er-
scheinen liess). Schlies.slich
beruht ja auch der Werth
einer kün.stlerischen Aeus-
serung nicht allemal in ihrer minutiösen Ausführung
— sonst wäre Balthasar Denner der grösste Künstler
und die holländischen Kleinmaler das Ideal unter den
Malern.
LÄcberniann ist vor allen Dingen kein Künstler, dessen
Wesen mit dem Boden verwachsen ist, dem der Mfcnsch
entspross. Er hat mit Vorliebe sich an niederländische
Kril* von l'Ii'l? pinx.
Phot. F. Hnnfiunncl, Mönfhfii.
Portrait.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
53
Dinge gehalten, aber dass er kein Niederländer von
Geblüt ist, sieht man auf den ersten Blick. Das ist ein
Umstand, der ihn trennt von Jenen, die bewusst oder
unbewusst seine Lehrmeister waren. Das zu finden,
was das Wesen eines ganz bestimmt und in allen Dingen
charakteristisch abgegrenzten Landes bildet, ist malerisch
gleichbedeutend mit der Aufgabe, schriftstellerisch den
Geist eines Volkes und der Landschaft, in der es lebt,
wiederzugeben. Es giebt in der Malerei ein bestimmt
sich äusserndes Idiom wie in der Sprache , und dieses
kann nur Der beherrschen, voll und der Wesenheit der
Wirklichkeit entsprechend beherrschen, wer mit ihm
ganz und gar verwachsen ist. Wie viele italienische
Figuren haben wir nicht in den Producten unserer
Novellisten aufzuweisen ! Man nehme solchen Erschein-
ungen das Geschickte der Mache, die bestechende Technik
— und es wird vom eigentlichen Italiener blutwenig
übrig bleiben. Das ist es eben, was die Franzosen vor
Allem so sehr auszeichnet, dass sie in ihrem Realismus
Kinder ihres heimathlichen Bodens geblieben sind. Dort,
der Vielbegabte, hat in jedem Fall, so bewundernswerth
auch das Sprühende an seinem Schaffen ist, eben aus
allen Figuren, die er schuf, Franzosen gemacht. Seine
alttestamentarischen Figuren ,' ebenso wie seine Tyroler
sehen aus , als sollten sie < Allons enfants de la patrie >
zu singen beginnen. Man könnte da allenfalls de Neuville
und Detaüle als Gegenbeispiele aufstellen , weil sie den
deutschen Soldaten durchschnittlich besser charakterisirten
als die meisten deutschen Schlachtenmaler es gethan
haben. Je nun, keine Regel ohne Ausnahme, so wie
diese zwei es zuwege brachten, sind es freilich Aus-
nahmen der eclatantesten Art. Doch wird mehr oder
weniger überall das specifisch Nationale sein Ueber-
gewicht behalten , wie es z. B. in Fritz v. Ultde der
Fall ist. Doch — wozu das Alles in die Länge ziehen.
Liebermann ist eben Liehermnnn und wird es bleiben.
Man wird von ihm wohl schwerlich je eine « Potsdamer
Wachparade » zu erwarten haben , bei der die ganze
Strammheit des militärisch durchgebildeten Wesens als
am stärksten in die Augen fallende Eigenschaft auftritt.
Seine Arbeiten wollen , wie schon gesagt , als das ge-
nommen sein, was sie sind, als künstlerische Moment-
Eindrücke, selbst wenn sie an Umfang gross sind.
Vielleicht entschliesst er sich eines Tages, den weissen
Hauben und grossen Holzschuhen Valet zu sagen und
auf jene Bahnen zurückzukommen , die zuerst sein
Ansehen in Künstlerkreisen weckten und wie ein Protest
gegen alles Hergebrachte wirkten. Wenn mir dabei
Eines vorschwebt, so ist es das Bild « Christus im Tempel »,
ein Thema , das freilich , mit nicht weniger Verneinung
gegenüber aller Tradition, schon lange vorher Menzel
behandelt hat, und zwar ohne dass er von Aussen her
beeinflusst gewesen wäre, denn damals gab es weder
internationale Kunstausstellungen noch Photographien,
aus denen man sich hätte Inspirationen holen können.
Und nun nochmals unsere Bilder.
Unter den deutschen Arbeiten der 1890 er Aus-
stellung gehörten vielfach jene der Karlsruher Künstler-
Colonie zu den bedeutsamen Erscheinungen. So die von
Caspar Ritter, dessen « Appenzeller Stickerinnen » eine
feine grau abgetönte Erscheinung boten, welche bei
alledem nicht etwa farblos war und um so überzeugender
wirkte, als der Künstler eines der Mittel zum Zwecke
nicht verabscheut hat, sorgfältige Zeichnung nämlich.
Ein Gleiches gilt von der « Kinderprocession » von
Bennewitz von Loefen in München, ebenfalls 1890 aus-
gestellt, einem Bilde, das seinen künstlerischen Zielen
durch ausserordentliche Sorgfalt in der Einzelerscheinung
gerecht wird. Dass man an solchen Aufgaben scheitern,
sie trotz alles aufgewendeten Könnens zum Ausdrucke
der vollsten Geschmacklosigkeit zu machen im Stande
sei, das bewiesen andere Lösungen des gleichen Motivs.
Seitdem Verhaas seine politische Procession mit ganzen
Colonnen weissgekleideter Mädchen gemalt, und zwar
künstlerisch vortrefflich gemalt hat , ist gar Mancher
hinter die nämliche Aufgabe gegangen und dabei —
auf die schiefe Ebene gerathen.
Von einer neuen, bisher ungekannten Seite zeigte
sich (ebenfalls gelegentlich der 1890 er Jahres -Aus-
stellung) Fritz von Ultde. Während er in seinem « Gang
nach Bethlehem» oder wie er das Bild später nannte
« Dort unten ist die Herberge » eine Arbeit voll der
feinsten Empfindung schuf, sowohl was die Haltung der
Figuren als auch die Tonwirkung des Ganzen betrifft,
und damit eine Zartheit poetischer Anschauung offen-
barte, wie sie unter den «Wahren» unserer Zeit sonst
kaum anzutreffen ist, gab er mit dem «Damenportrait»
eine Erscheinung, durchdrungen von ganz unwidersteh-
licher Anmuth; es gewann durch die tiefe und kräftige
Farbe ausserdem etwas so positiv Körperhaftes, wie er
es sonst nicht zu bieten pflegte. Das Portrait ist für
den Figurenmaler, was der Probirstein für das Metall.
54
niK Kt'NST UNSERER ZEIT.
Einfach in der Anschauung, ferne jeder Pose hat dies
Frauenbildniss etwas Herzerobemdes. Es klingt aus
dem Ganzen rein gar nichts vom c Sitzen» heraus, viel-
mehr wirkt es, als hätte sich das Original in lachend
liebenswürdiger Stimmung, ohne langes Probiren und
Suchen nach einer interessanten Stellung, frischweg auf
den Fauteuil gesetzt, den Kopf auf den Arm ge-
stützt und gesagt : < So, Maler,
jetzt mach' mich halt wie ich
bin, lang halt ich Dir nicht
still ! > Es liegt eine beneidens-
werthe malerische Unmittel-
barkeit in dem Ganzen und
diese hat, wenn auch in ganz
anderer Weise , eine gewisse
Ven*andtscha(t mit BoUini's
I Familie Brown > , nur dass bei
Uhät's Bild der ganze Aus-
druck ein ungleich sympathi-
scherer ist als bei dem lachen-
den Cylinderträger, bei dem ich
immer fürchtete , das Gebiss
möchte gelegentlich aas der
Mundhöhle fliegen. Eines aber
haben beide gemein : Sie ent-
.■^prechen — diese Ueberzeugung
drängt sich unwillkürlich auf —
ganz gewiss ihren Originalen in der Art der prägnanten
Charakteristik und sie bedeuten deshalb für unsere Zeit
das als Kunstwerk, was einer anderen Epoche ein ganzer
Olymp voll Göttei^estalten und construirter Helden werth
war, allerdings keine vom Style eines Böcklin. Der
wäre jener schulmei.-^terlich künstlerischen Zeit ganz sicher
etwas wahrhaft Verabscheuen.'^werthes gewesen.
Noch ein Wort über un-
-cre zwei letzten Bilder, deren
eines von Joseph Wopftur den
andrängenden Wogensturm des
schwäbischen Meeres gegen
einen Hafendamm und mitten
in dem Wellengebrause ein
.Schiff zeigt, dessen Insassen sich
bemühen, Holz zu bergen, das
!ie Was-ser irgendwo vom Ufer
.M-.;L,'cspült haben. Da.s an-
icrc hat Peter Paul Müller in
München zum Autor und gibt
eine Strandscene nach Eintritt
der Ebbe, wo die Bewohner
der Dünen damit beschäftigt
sind, all Das zu bergen, was
die Wogen zur F"iuthzeit auf
den sandigen Grund geworfen
haben.
//. E. V. Btrltftek. Atelier- Ecke.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
55
HANS THOMA
VON
CORNELIUS GURLITT.
' ine <£ Künstlernatur » nennt man kurzweg einen
Menschen von grosser Eitelkeit, daher aufTälliger
Erscheinung und sehr vielen unangenehmen Eigen-
schaften. Unter diesen ist die cVerietzbarkeit > eine
der ausgeprägtesten. Während Achilles nur an der
Ferse und Siegfried nur an der Schulter verletzbar
waren, ist es der künstlerische Held der Salons grund-
sätzlich Überali. Er ist Virtuose auch im Uebelnehmen
und weiss sich darauf etwas zu Gute. Man mag sich
benehmen wie man will, er findet den Grund, warum
er gekränkt sein kann. Die Löwenmähne schüttelnd,
die Mundwinkel herabziehend und das Haupt zurück-
werfend , lässt er Die stehen, die ihm doch schon das
dickste Lob an den Kopf warfen, das sie auf Lager
hatten. Er ist gekränkt! — denn das Gekränktsein
steht der Künstlernatur.
Hier soll von einem Vielgekränkten anderer Art die
Rede sein, von dem Maler Hans T/ioma. Vor mir liegen
etwa hundert verschiedene Besprechungen von Werken
seiner Hand : eine keineswegs anmuthige Blumenlese.
tVerzeihet ihm, er ist ein Original » — das ist das
Merkwort der Wohlwollenden unter seinen Beurtheilern.
Ein Original sein ist nun freilich in den Augen Vieler ein
.sehr zweifelhaftes Verdienst. Wenn es nur ein Original
der gewohnten Art wäre, fände sich die Annäherung,
aber hier einem «sonderbaren» gegenüber ist's schwer,
die Lachmuskeln anzuhalten. « Der einzig in seinem
Wahn - Genre Dastehende » wurde zunächst öffentlich
darüber belehrt , welche Fehler er abzulegen habe.
Pec/U wusste es z. B. 1878 ganz genau, worin diese
bestanden : Es gehe Thoma « in bedauerlichem Grade
das Stilgefühl ab». Der Stil sei aber die Vorbedingung
aller Kunst. IHloty und seine Schule , die damals ge-
feierte Richtung, aber hatten den Stil. Sie hatten die
alten Meister und die alten Costüme studirt und wussten,
woran sie sich zu halten haben. Der Stil stand für sie
fertig da, es hiess nur: Zugreifen! Aber Thoma war
keck genug, von dem Stil nichts wissen zu wollen. Er
verschmähte den Griff in's Fertige und suchte — nach
PeclU — in cynischer Weise Dissonanzen auf. Das heisst :
Er malte nicht, wie man malen muss, im Goldton, im
Accent auf, Braun , in den wohltempirten Farben der
herrschenden Kunstanschauung. Er war ein Stilloser,
ein Realist. Damals warf man z. B. noch Liezen-Mayer's
gleichzeitig mit einem Bilde Thoma' s ausgestelltem
Faustcyklus allzu krassen Realismus vor, weil man etwas
Selbstständiges in ihm fand. Man muss sich eben ver-
gegenwärtigen, welches Urtheil zu jener Zeit das geltende
war. Vor zwanzig Jahren war Liezen-Mayer, der wohl-
erzogene, feine, weiche, so tief in anempfundener Deutsch-
renaissance steckende Illustrator, in den Augen der Kritik
ein allzu kühner Neuerer und dazu noch einer, dem
wegen seiner «Derbheiten» der Kopf gewaschen wurde.
Und neben seinen Arbeiten stand Thoma mit dem Bilde:
Adam und Eva! «Ein ausgezogener Ladenschwengel»,
sagte damals Recht, «der sich mit einer Schneider-
mamsell auf einer blühenden Wiese bei Feldmoching
das Vergnügen macht, Paradies zu spielen 1 »
Mit solchen Bildern durfte man der Kritik nicht
56
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
kommen! Diese hatte um so mehr die Pflicht, Front zu
machen gegen das stillose Wesen, als es ärgerlicher Weise
immer noch Leute gab, welche Thoma bewunderten.
€ Der Jude wird verbrannt ! sagt Lessing — Thoma wird
bewundert ! sagen gewisse Leute ! > so klagt ein Kritiker,
der nun schon zehnmal dargethan hatte, dass diese Be-
wunderung vor den Gesetzen der Aesthetik nicht Stich
halte und dass Thoma < die Function des Wahnes in
malerischer Verkörperung > darstelle.
«Verschwinde doch! Wir sind ja aufijeklfirt;
Das Teufekpack, es fragt nach keiner Regel!
Wie lange bab' ich nicht am Wahn hinausgekehrt.
Wir sind so Ung! Und dennoch spukt's im Tegel >
lässt der Altmeister Goethe den Allerweltskritiker Nicolai
sagen.
«Dieser Realismus T, lehrte Recht schon 1872, ;hört
auf ästhetisch zu wirken. In der Kunst handelt es sich
Überhaupt ganz und gar nicht, wie Künstler und Publicum
so oft meinen, um die Natur, sie ist nur ein unentbehr-
HaHs Thema. Abend.
liches Mittel, das aber durch die Subjectivität des Künstlers
erst umgebildet werden muss, um Kunstwerk werden zu
können ! > Und gerade diese Subjectivität fehlte nach
Pecht's Ansicht dem Realisten Thoma.
«Arm an Erfindung, Geist und Schönheitssinn,
Ein roh' Product in schmutzgen Farbentönen,
Dies stellst du goldumrahmt als Bildniss hin,
Natur und Kunst gteichmässig zu verhöhnen.
Kennst du die Meister nicht, die echter Weihe voll
Bescheidenheit mit klarem Urtheil paarten ?
Von ihnen lerne, was du musst erreichen.
Eh' du der Welt dein Können wagst zu zeigen.
Und treibt dich unbezwingliches Gelltet,
Mit Pinsel und mit Farben zu hantiren.
So streiche Kasten an und Schrein,
Das Malen aber — — das lass' sein ! »
So dichtete Einer als ; Die Wahrheit im Namen
der Kunst » Thoma an und sendete ihm seine holperigen
Verse durch die Post, natürlich ohne sich zu nennen.
Thoma gehört also zu jenen Künstlernaturen, die
nicht die Kunst des Sichverletzenlassens erst einzu-
studiren brauchten : das Material zu ungezwungener
Uebung bot sich reichlich. Sein ganzes Leben und
UaD4 Thomft pinx.
l'hot f. Hanf<.tneriK[, bl&DCheii.
Sage.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
57
Schaffen schien nur dazu
da zu sein, Anderen An-
lass zur Ent\vicklung von
Witz und Geist zu geben.
Die kleine Bosheit der
Welt hat er trefflich zu
wecken verstanden — eine
Leistung, die für ihren Voll-
bringcr etwa den Werth
hat, wie das Herumsto-
chern in Wespennestern.
Es ist schwer sich vorzu-
stellen, welche Summe von
Rohheit und Ueberhebung
sich im Laufe der Zeit
gegen einen Mann auf-
bäumt — blos weil er den
Fehler hat, nicht so zu
sein wie die Andern, die
Verstocktheit, ein Original
bleiben zu wollen.
Es ist etwa fünf bis
Hans TTtoma. Studie.
richtiger Freude auf das
an eine Ecke gelehnt
stehende Bild hingewiesen.
Aber da kam ich schön an !
Die Schüler von Hübner
wiesen mir nach, dass der
Mann kaum einen Gyps
zeichnen gelernt habe und
die Schüler von Pauivels,
dass er kein Stück weisse
Leinwand wirkungsvoll
malen könne. Sie hatten
ja ganz recht. Sagte doch
auch die Kritik über das
Werk, es sei ein Ab-
klatsch eines lebenden
Bildes und zwar ein solcher
nach Figuren , die sich
nicht zu einem Bilde eig-
nen; und eine andere
sagte: die Figuren wett-
eifern, einander an Nichts-
sagendheit und Hässlich-
sechs Jahre her, seit ich
Tlwma selbst kennen lernte. Er hatte einige Bilder in keit zu übertreffen und die Farbentöne sind so unver-
Berlin ausgestellt und war aus Frankfurt a. M. herüber- mittelt schroff nebeneinander gesetzt, dass man nur mit
gekommen, um sich seinen Aerger selbst einzukassiren ; Bedauern sich von solcher Verirrung in der Kunst ab-
denn viel mehr Erfolg war von der Ausstellung schwer- wenden kann ! Die Dresdner in ihrer bekannten Gut-
lich zu erhoffen: In dem Berlin, in welchem der Witz müthigkeit Hessen zwar später das Bild die Jury passiren,
so stark ins Kraut schiesst und das Eigenartige so gar bewiesen mir aber sofort mein Unrecht, dieses «Ge-
« kleinstädtisch » er-
scheint. Ich muss
gestehen , dass ich
sehr neugierig auf
den Mann war. Ein
kleiner Streit in Dres-
den hatte mich auf
Tlwma aufmerksam
gemacht. Dort hatte
er sein Bild «Flucht
nach Egypten » zur
Ausstellung ge-
schickt. Ich war zu-
fällig in die Säle
gekommen, als die
Jury noch arbeitete,
und hatte mit auf-
Hans Thoma. Mainbindschaft.
schmier» für schön
zu finden — und als
ich es ihnen zum
Trotze doch that,
war's um mein An-
sehen im Reiche
des Kunstsinns ge-
schehen ! Kunst ohne
Idealismus ist ein
Unding. Thoma ist
eben nicht ideal,
sondern Realist!
Aber der Mann
und seine Kunst
waren mir doch im
Gedächtniss geblie-
ben. Ich hatte weiter
8
58
DIE KUNST UNSKKKR ZKIT.
erfahren, dass er zu jenen Leuten gehöre, deren Werke
oft von Ausstellungen zurückgewiesen worden seien.
Düsseldorf und Berlin theilen sich in die Ehre, diess am
ausgiebigsten gethan zu haben. Die Ablehnung der Bilder
ist ja immerhin schon eine Empfehlung, zumal wenn es
sich unverkennbar nicht um schwache, sondern um eigen-
artige Kunstwerke handelt. Alle Commissionen sind ihrem
ganzen Wesen nach für die Mittelmässigkeit : Was zu
klein ist und was zu gross ist, passt nicht ftir sie, aber
auch Das nicht, was zu weit rechts oder links sich
befindet. Kün.stler sind einseitig und sollen es sein. Das
unterscheidet eben den Kenner vom Künstler, dass dieser
Vielen nachzuempfinden weiss, während der Künstler
aus sich selbst und allein aus sich vor empfinden soll.
Er soll aus eigener Seele schaffen , jener will Vieler
Seelen erkennen lernen. Also sind Künstlercommissionen
doppelt einseitig. Sie möchten, alle Welt schüfe und
denke wie sie und verstehen es meist nicht, wie man
verständigerweise auch anders denken und schaffen kann.
Ich war also damals, als ich Thoma persönlich
kennen zu lernen ging, neugierig, in welcher Stimmung
der Vielgekränkte sich wohl befinden möge.
Haut Tktma. Charon.
4 Tliomari) sagte der Freund, der mich mit ihm
zusammenführte. — >.Thoma, das ist der gemüthlichste
Mensch , den Sie sich denken können ; ein Mann wie
ein altdeutscher Ofen — — und zwar m i t der
Ofenbank ! >
Und als ich unlängst dem Maler mittheilte, dass
ich über ihn etwas veröffentlichen wollte, .schrieb er
mir: cEs könnte vielleicht scheinen, als lege ich zu viel
Gewicht auf mir widerfahrene Zurücksetzungen. Diesen
Dingen gebührt in meinem Leben nicht zu grosse
Wichtigkeit. Ich muss Ihnen aber ausdrücklich erwähnen,
dass ich mich nie als Märtyrer gefühlt habe, sondern
das Glück hatte, fast immer in einem hohen PVobgefühl
an der Arbeit .sein zu können. Betrachten Sie mich
nicht als einen allzusehr unter dem Druck des Philister-
thums leidenden Künstler. Ich war zwar still und nicht
unbescheiden, aber ein gewis.ser Muthwille Hess mich
dem Philisterthum gegenüber gut Stand halten. Das
Bewusstsein, dass ich .schliesslich Recht behalten werde,
hat mich nie verlassen ! »
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
59
Wie höhnte
einer von TItoma's
Kritikern vor nun
zwanzig Jahren r
cVielleicht finden
spätere Zeiten
Thoma als genial
und bahn-
brechend. Oder
ob er nicht doch
die Rechnung
ohne den Wirth
macht?! »
Ich denke, der
Wirth wird sich
einfinden ! Die
Zeiten Thoma 's
beginnen anzu-
brechen, die
kleine Künstier-
und Kennerge-
meinde, die stets
an ihm mit auf-
richtiger Freude
hing, die sich
durch die Kritik
nicht einschüch-
tern liess, ist eine
grosse Gemeinde
geworden. Die
Münchener
Kunst - Academie ^y^,,, ,„„„,„.
hat ihn zu ihrem
Mitgliede gemacht, äussere Ehren und äussere Erfolge
reihen sich plötzlich aneinander. Im Frühjahr 1890 fand
wieder eine Ausstellung T/towa'scher Bilder in Berlin statt,
abermals ohne Erfolg; dann wanderten die Bilder nach
München — 36 Stück, darunter solche, die schon 1875
dort zu sehen waren. Plötzlich ertönte es wie Jubelruf
durch die ganze deutsche Presse. Ein grosses Talent ist
entdeckt. Hans Tlioma! In vierzehn Tagen wurde die
Hälfte der Bilder von Privaten aufgekauft. Schon 1 879
sagte Gustav Flörke, Thoma' s Werke seien Caviar für's
Volk, auch für kritisches und künstlerisches. Aengst-
lichen Gemüthern sei er einfach zu grün und blau und für
ästhetische Schlafmützen seien seine Engelsköpfchen viel
zu wenig schön,
d.h. conventionell.
Das ist das Ur-
theil eines , der
ein tieferes Ver-
hältniss zur Kunst
hat. Adolf Rosen-
berg erwähnt in
den 1000 Seiten
seiner « Ge-
schichte der mo-
dernen deutschen
Kunst » Thoma
einfach nicht. Das
ist auch ein Ur-
theil, aber ein sol-
ches, an dem man
Herrn Rosenberg
abschätzen kann.
Wenn das Ge-
kränktsein zum
Wesen des genia-
len Künstlers ge-
hört, so ist Tlwma
kein solcher. Wer
ihn selbst oder nur
sein schlichtes ge-
sundes Selbstbild-
niss sah, aus dem
er unter dem Obst-
baum stehend so
unbefangen her-
vorschaut , der
glaubt wohl auch daran, dass dies « Original » auch nicht
durch andere Künstlereigenschaften glänzt : Sein Haar ist
von gewöhnlicher Länge, sein Schlips nicht bemerkens-
werth. Also auch hier fehlt's an der « Genialität » . Auch
nervös scheint mir Thoma nicht zu sein ; Behäbigkeit,
Behagen — das ist eher der Grundzug seines Wesens.
Das wäre ja Alles herzlich gleichgiltig, wäre Thoma' s
Bildern nicht immer wieder die Sucht nach Genialität,
nach Aufsehen erregenden « Di.ssonanzen 1 vorgeworfen
worden. Man sollte denken, dass ein Mann, von dem
man glaubt, er grübele den ganzen Tag darüber, was
er denn Ueberraschendes , Neues hervorbringen könne,
auch äusserlich etwas von dieser Sucht zeigen müsse.
8*
niv.iiL..iiz- Scene.
60
DIE KUNST UNSERER ZEI 1".
Einst lud Thoma mehrere Freunde ein, eine eben
entstandene Landschaft zu betrachten. Es war ein Blick
in das Meer hinaus. Wer die Anfang^ründe der Lehre
von der Perspective hinter sich hat weiss, dass die See in
der Feme scheinbar bis zur Höhe des Beschauers empor-
steigt und in der Höhe des Augenpunktes als mit einer
Geraden gegen den Himmel abschliessend gezeichnet wird.
Diese Linie nennt man den Horizont. Thoma hatte den
Horizont als leicht gebogene Cur\'e gemalt so dass das
Meer gegen den Rahmen zu sanft abfiel. Ueber diese
barocken Gedanken entstand allgemeines KopfschUtteln.
< Ich sehe das so! > erklärte Tkama ganz ruhig.
Und da Lst auch gar nichts dagegen zu sagen. Er sieht
das so und darum malt er es so. Da mag nun wissen-
schaftliche Kritik und kritische Wissenschaft beweisen,
dass dies ein ganz verkehrtes Sehen sei: Thoma sieht
die Welt auf seine Weise und malt sie auf seine Weise.
Wem 's nicht recht ist, der gehe weiter. Er will nicht
so schaffen, wie er schafft, er kann's eben nicht anders.
Das ist sehr einfach. Aber er will's auch nicht anders ;
als er's kann. Das ist eben so einfach — aber das i.st
nebenbei noch sehr gross!
Vor zwanzig Jahren war das Streben nach Stil in
Aller Mund. Stil, wie ihn damals z. B. auch Pecht
verstand , war die Uebereinstimmung eines historisch
empfundenen Kunstwerkes mit der Zeit, in die es hinein-
gedacht war. Das Bild eines Landsknechtes war stilvoll,
wenn es aussah wie ein Bild aus der Landsknechtszeit.
Inzwischen haben wir — oder haben doch Manche unter
uns — andere Ansichten gewonnen. Uns ist Stil die
Uebereinstimmung des Werkes mit seinem Schöpfer.
< Eine Individualität haben, heisst Seele haben >, sagt
sehr schön Rembrandt als Erzieher, t eine geschlossene
Individualität haben, heisst Stil haben». In uns liegt
unser Stil, nicht in den Griechen oder in Tizian. Als
man noch drau.ssen in der vergangenen Kunst nach
Idealen suchte, konnte man das freilich nicht verstehen.
Da erschien gerade die Individualität als stillos. Die
«Willkür war das, was man vor Allem bekämpfte.
Die Regel, das Gesetz sollte den Stil machen, während
dieser doch nur in der Ausgestaltung der eigenen
Empfindung liegt.
€ Ich sehe das so und male es darum so ! i das ist
das Räthsel von Thoma s Kunst. Langsam wird sie die
Augen der Nation für sich gewinnen. Andere werden
durch Thoma auf eine neue Art sehen und die Welt
mit seinen Augen betrachten lernen. Und wir werden
hierdurch viel gewinnen. Wer Lust hat, an den reich
besetzten Tisch sich mit zu setzen, dem mögen die bei-
gegebenen Blätter als Einladungskarten und als Vor-
gericht zugleich dienen. Wer aber seine Augen nicht
umbilden, Thoma' s Art zu schauen nicht entgegen-
kommen will, der bleibe fem. Es wird nicht Thoma' s,
sondern sein Schaden sein.
Einst trat ich in Rom mit einem Freunde öfter zu
gemeinschaftlichem Essen in einem Gasthaus zusammen.
Der Tisch war zwar wenig reichlich, aber vorzüglich
nach Landessitte bereitet. Mein Freund betheuerte,
nichts geniessen zu können , was nicht auf deutsche
Weise zugerichtet sei. « Gott erhalte dir die Dummheit ! »
dachte ich. und ass mich in die italienische Küche mit
Behagen hinein. Das Gute will eben auch erst ver-
stehen gelernt sein!
Man hat Thoma so oft mit Böcklin verglichen. Und
er hat auch thatsächlich viel mit ihm gemein.sam. Schon
die Heimath. Böcklin stammt aus Ba.sel. Wandert man
von da vier Stunden rheinauf, an Säkkingen vorbei,
so kommt man an die Alb, einen vom Schwarzwalde
herabströmenden Bach. Zwei Stunden bergan ist man
in St Blasien, der alten gefürsteten Benedictinerabtei,
welche ihre Kirche zu Ende des vorigen Jahrhunderts
in einen cla.ssischen Tcmf)el nach Art des Pantheons
umbildete, der 1871 schmählich abbrannte. Und dann
noch eine Stunde weiter — dann ist man in Bernau.
Dort oben, zwischen Hochkopf und Feldberg, wurde
T/ioma 1839 geboren. Schon herrscht hier die Alpen-
wirthschaft. Zur Sommerszeit steigt das Vieh auf die
Berghalden, welche dunkle Tannenwälder einfassen. Es
ist grün dort oben , .sehr grün. Die Wiesen strotzen
von saftigem Gras und blinken im überreichen Blumen-
.schmuck, die Luft ist klar und rein. Wohl schwerlich
sagte irgend ein Kritiker, der vom sorgenvollen Amt des
Urtheilens über anderer Menschen Denken und Sehen
Erholung suchend sich dort hinauf verliert, dass ihm
die zwischen mit Schindeln gedeckten , gruppenweise
stehenden Häuser vorleuchtenden Matten zu saftgrün,
dass ihm die Blumen zu bunt , die Forellenbäclie zu
blinkend und die Libellenflügel zu schillernd seien. Er
mag es in Zukunft auch Thoma nicht übel nehmen,
dass er noch heute die Eindrücke seiner Jugend malt,
ganz harmlos, ganz ohne Absicht etwas hinzuzuthun,
so wie er sie aufnahm : also seine grüne Heimath grün.
Hans Thoitin pitix.
Phol. F Huif«i,ienitl, Müiichpn.
Musik.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
61
Da sah ich ein Bild
von ihm, einen t Sonntag-
nachmittag > . Die Kühe
weiden, die Hirten im Hemd-
ärmel liegen rauchend auf
der Matte, das Thal zieht
sich zwischen bewaldeten
Bergen hin. Das ist so ein-
fach, dass die ganz Ge-
scheidten , die das Bild
sahen, sofort sagten: Da
steckt 'was dahinter! Hier
ist ein Einfluss von Corot,
Cazin oder gar von Courbet
zu bemerken.
Aber solche Bilder malte
Tlwma schon, ehe er 1869
nach Paris ging, ehe ihm
dort an der Unmittelbar-
keit der Alten, wie an der
Freiheit der Neuen klar
wurde, dass ihn c die deut-
.schen Professorenbilder und
Kunstvereinsliebhabereien gar nichts angingen». Von
Cazin hat er kaum etwas gesehen. Aber Courbet machte
ihm einen tiefen Eindruck. Er hat Thoma von allen
neueren Malern am stärksten angeregt, er war t fast der
einzige der modernen Franzosen, den er ohne besondere
Schwierigkeit in sich aufnehmen konnte > . Das in Courbet
wirkende Streben nach
unbedingter Naturwahr-
heit, der Hass gegen
die abgenützten Ideale,
die kühne Hinwegsetz-
ung über die alten Kunst-
regeln — das musste
Thoma bestärken, bei
seinen Wegen zu blei-
ben. Ihm war Courbet
« kein Franzose » , wäh-
rend schon Daubigny,
Corot und Andere na-
tionaler erschienen ; er
näherte sich vielmehr
der für alle Maler gil-
tigen Auffassung, jener
//ans TAama. Studie.
//ans Thoma. Hexentanz.
Unmittelbarkeit der Beob-
achtung, die Thoma ebenso
stark bei den Altdeutschen
und Altitalienern antraf.
Auch dort empfand er «prä-
rafaelitisch » . Nicht das
Fertige, zum Stil Gestei-
gerte lockte ihn, sondern
das unmittelbar Empfun-
dene, das starke Erfassen
der Eigenart. Nicht Tizian
und Rafael, sondern Man-
tegna war sein Mann. Er
suchte nicht nach Vorbil-
dern, sondern nach Gleich-
strebenden. Er verlor sich
daher nicht an die Alten
oder an Courbet, sondern er
fand sich in ihnen wieder.
Auch Böcklin hat ähn-
liche Erfahrungen an sich
gemacht und darin liegt
eine zweite Verwandtschaft
mit Thoma. Beide mussten erst mit der alten Kunst
gebrochen haben, um sich ihrer Ziele vollkommen be-
wus.st zu werden. Beide sind Schüler W. Schirmer s.
Thoma s Weg zur Freiheit war aber der schwerere.
Nachdem er durch das im Schwarzwalde heimische
Uhrenmachergewerbe , durch seine Lehre bei einem
Schildermaler in Furt-
wangen das Malen im
Handwerklichen erlernt
hatte, soweit man es
eben dort erlernen
konnte, kam er 1859
nach Karlsruhe, wo die
eigentliche Lehrzeit erst
beginnen sollte. Thoma
hält seinen Lehrer in
dankbarer Erinnerung.
Er war der Einzige, der
ihn in seiner damals
schon ausgesprochenen
Eigenart schätzte. Bei
seinen späteren Lehrern
empfand er immer etwas
DIE KUNST UNSERER ZEH'.
von einer Dressur, die ihn etwas Anderes machen liess,
als was ihm die Seele bewegte. Man versteht dies sehr
wohl. Schirmer war selbst ein Künstler, der von innen
heraus sich entwickelt hatte. Er war von der schlichten
Naturbeobachtung au^egangen, ehe er ein Idealist, ein
Mann der classisch componirten Landschaft geworden
war. Und am wohlsten war ihm immer gewesen, wenn
er ein Stück Natur, etwa einen gesunden Baum, ohne viel
Umschweife malen konnte. Später war er unter die
c Geistreichen > gegangen. Er mochte jetzt den jungen
Schwarzwäldler um seine Unbefangenheit beneiden, der
alle Sommer sich wieder nach Bernau setzte und Bernau
mit voller, reiner Freude an der heimischen Natur malte,
der froh war, da und dort ein kleines Bild verkaufen
zu können, und im Winter sich unten in Karlsruhe den
Kopf darüber zerbrach , warum seine doch so redlich
studirten Arbeiten so gar anders aussahen als die
anderer, berühmterer Maler.
Und so ging es fort bis 1870, elf lange Jahre mit
einer kurzen Unterbrechung durch eine Reise nach
Düsseldorf — wo Thoma rundweg ausgelacht wurde —
und nach Paris. Immer zog es ihn wieder nach Bernau,
wo er neben seinen Landschaften nun auch Figuren zu
malen anfing. Hierin mag doch wohl Paris auf ihn
gewirkt haben. Er musste alsbald herausfühlen, dass
er geistig zu den Männern der c paysage intime > trotz
nationaler Verschiedenheit in naher V^er^^andtschaft stand,
zu jenen , die eine ganz auf das eigene Empfinden be-
zogene Stimmung in der Landschaft sahen und malten,
die den « bedeutenden Sujets » aus dem Wege gingen,
um im Einzelnen treu und in der Durchdringung des
Dargestellten mit ihrem Eigenwesen gross zu sein. Die
Schlichtheit, Gesundheit, der Ernst und die wahrhaft
dichterische Stimmung dieser Bilder standen in einem
zu auffälligen Gegensatz zu jenen nachempfundenen,
literarisch anerzogenen Gefühlen, welche selbst Sciärmer
antrieben , die Bibel landschaftlich zu illustriren , wie
Preller es mit der Od>'ssee gethan hatte.
Auch nachdem Thoma in Italien gewesen war — in
München und in Frankfurt a. M. lebend — hat er immer
wieder Bernauer Landschaften gemalt, wie die ihm geistes-
vervvandten Franzosen ihren Wald von Fontainebleau
malten. Thierzüchter haben herausgefunden . dass die
Race der Nachkommenschaft auch bei späteren Würfen
sich nach dem Vater des ersten richtet, dass sie < zurück-
fällt». Auch bei Thoma war die erste künstlerische
Befruchtung die mas.sgebende fürs Leben. An seinen
Bildern aus der Campagna kann man in erster Linie
sehen, was einem, der mit ganzer Seele Bernauer ist,
an der Umg^end der ewigen Stadt gefällt! Nämlich
das, was ihn heimathlich anzieht. Das Fremde muss er
erst verarbeiten , das Gemeinsame ergreift ihn alsbald
mit Macht. Drunten am Rhein, am Fusse seiner Berge
liegt Säkkingen, das an Tlwma's Landsmann Scheffel
mahnt. Als der nach Capri kam, dichtete er in Schwarz-
waldstimmung. Goethe machte in Rom die Hexenscene
des Faust. Grosse geistige Erregungen, wie sie Italien
den Künstlern bietet, rühren den Grund ihrer Seele auf
Bei Thoma stiessen sie auf die Heimath, auf Bernau, auf
Waldwiesen voller Blumen, so voll, dass er sie alle, jede
einzeln, malen musste, und wenn die Kritik zehnmal
predigte, solche Blumen seien eigentlich nur Zufällig-
keiten der Natur und der diese als Ganzes crfas-sende
Künstler habe daher im Sinne einer höheren Charak-
teristik von ihnen zu { abstrahircn >.
So befestigte TItoma im Süden sich in seinen An-
sichten. Ein Getühl der Ruhe und Sicherheit kam über
ihn. Die Wege, die er ging, konnten keine Irrwege
sein, weil es .seine eigenen Wege waren. V.x hatte
erkennen gelernt, dass man nur auf fremden Wegen sich
verlaufen kann.
Aber die italienische Reise brachte ihn in eine
andere Stellung zur Figur. Bisher war Thoma im Wesent-
lichen Landschaftsmaler gewesen, der seinen Bildern
nach Schirmer' s Vorgang < bedeutungsvolle Staffage c
zu geben wusste; das hdttt, er hatte die Bernauer mit-
gemalt, die ihm während der Studien über die Land-
schaft liefen. Oder er malte den Jugendfreund, der sich
müht, aus dem auf seinem Schoosse liegenden Volks-
liederbuch die Weise auf der Geige zu finden, oder den
Dorfältesten, der nun nur noch am ersten und letzten
Werk des Menschen schafft, am D.isein.
Seitdem Lessing sich den folgeaschweren Gedanken
in den Kopf setzte, es sei die Hauptsache, die Grenzen
der einzelnen Künste kennen zu lernen und daher alle
zünftigen Kritiker nun die Kunst als eine Art Wabenbau
ansahen, in der die einzelnen Bienen oder Hummeln jede
für sich gezüchtet werden — seitdem hat man Begriff
und Wort « Genre » erfunden. Thoma wurde also Land-
schafts- und Genremaler. Das ging noch an, denn es
gab viele Beispiele dieser Art.
Aber er wurde auch Historienmaler. Das trug
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
63
sich, wie mir scheint, etwa so zu. Die Bernauer sind
Holzschnitzer, Uhrmacher und Viehzüchter; das Hand-
werkliche berührte sich dort eng mit dem Bauernthum.
Bäuerlich — nicht bäurisch — ist auch Thomas Land-
schaft. Er sieht die Natur mit der Liebe zum Boden
an , welche der allein hat , der den Bodenwerth recht
bemessen kann. Die fette Wiese, das dampfende Feld,
der dichtbestandene Wald, der fischreiche See — das
ist seine Natur. Er schätzt sie nicht als Sommerfrischler,
sondern als Einheimischer; nicht als Zugvogel, sondern
als Sesshafter. Aber das Stück Natur, welches er kennt,
das redet auch anders zu ihm als zu Anderen. Ihm sind
Wald und Quelle, die durch die Baumgipfel streifenden
Wolkenfetzen und all das Gethier der feuchten Wiese
liebe Vertraute, die mit ihm sprechen in seiner alleman-
nischen Weise — bernauischer Mundart. Sa^je und
Hans Tkoma. Christus am Oelberg.
Volksmärchen, halbverklingende Accorde aus fremdem
Träumen, die sich in der Seele unbewusst festklammern
— sie alle zusammen wurden ihm im Künstlerherzen
zum Bilde. Das ist dann nicht eine Nixe und nicht
eine Nymphe, nicht der Teufel und nicht ein Satyr,
nicht eine Hexe und nicht Persephone, die er malt.
Er weiss es selbst nicht, wer es ist, das Mädchen mit
den träumenden Augen am Quell, das mit Blumen spielt,
die Kinder mit Schmetterlingsflügeln, die die Dolden
der Butterblumen ihr in's flatternde Haar zerblasen, der
Jüngling, der tiefgebeugt am Quell trinkt. So etwas
sieht man eben nur in der Natur, wenn man dort oben,
so nahe dem Himmel geboren ist. Und hat man's
gesehen, so kann man die Luftgebilde nicht fragen :
Wer bist du? Wie heisst du? Wohin des Wegs? Sie
halten nicht Stand. Nein, da heisst's still sein, ganz
still, und die Augen weit aufreissen, von ganzer Seele
schauen 1 Bis man sieht, dass einem die Augen zu-
64
DIE KUNST UNSERKR ZEIT.
gefallen sind und dass man geträumt hat. Und als es
dann Thoma drängte zu malen, was er draussen gesehen
hatte, da sagten die Kritiker: cNun pfuscht er gar in die
Historienmalerei hinein, ohne auch nur annähernd die ge-
nügende wissenschaftliche Vorbildung dazu zu besitzen 1 >
Später hat Tkoma auch < Mytholc^sches > gemalt:
Einen Charcn, einen derben bärtigen Gesellen, der über
ein schauerliches Meer einer unerkennbaren Welt ent-
gegenrudert. Die Kritik warf ihm vor, seine Todten
seien c 2^rrbilder, Träume, wie sie aus dem Magen eines
Riesenkatzenjammers kommen » . Th. Grosse malte in
seinem Bilde der Ankunft
der Todten in der Dres-
dener Gallerie diese alle
als Leute von blühendster
Gesundheit. Nun kann
man ja darüber streiten,
ob wir nach der Aufer-
stehung sehr frisch oder
katzenjämmerlich aus-
sehen, zumal wenn eben
die Fahrt über den wogen-
den Styx und in die Unter-
weit, nicht in den Himmel
führt. Mir will aber schei-
nen, als sei Thomä's Auf-
erstehung unmittelbarer
empfunden , wenn die
Grosse' s gleich mehr im
Sinne der zünftigen Histo-
rienmalerei ist
Und das ist typisch für
unsem Maler. Er dichtet
sich seine Götterlehre eben
um ein Stück weiter, ganz
wie Böcklin. Und geht bei
diesem die Fortbildung
etwas ins Phantastische , in eine grosse Welt der Un- und brillante Energie, die dumpfe, graue Weichheit des
geheuer und Naturkräfte hinein, so bleibt es bei Tlioma Tones rühmend an und waren voller Lobes für Thoma.
im Märchenhaften, Sinnigen. Aber auch er sieht ge- Die Deutschen sahen all dies in dem deutschen Bilde
legentlich ein < Meerwunder » . Dann ist's ein kleiner nicht, weil es ihnen nicht stilgerecht, d. h. nicht italienisch
//./»/ Thema. Krauenfigur mit Amor.
besten liebsten Menschen, die er kannte, in ihrem besten
liebsten Ausdruck mit seiner besten Kunst in die ihm
liebste Natur hinein; nicht schön frisirte Berufsmodelle,
denen man für ihren Apostelkopf eine Mark die Stunde
Sitzung zahlt. Vielleicht that er dies, weil's dort billiger
ist, sicher aber, weil's ihm seelisch vertrauter war, Bernau
in seiner höchsten Steigerung als heilige Geschichte
darzustellen. Man klagte über diese Profanität, weil
man nicht sah, dass hier ein innerlich Frommer das
was ihm die Kindesseele erschüttert hatte, mit einfacher
Redlichkeit zur Schau brachte. Ihm war das Göttliche
einfach die Steigerung des
ihn umgebenden Mensch-
lichen. So hatten es An-
dere auch gemacht, näm-
lich die alten Maler des
15. Jahrhunderts. Aber
J'hovta hatte den unver-
zeihlichen Fehler, seinen
Heiligen einen « unhisto-
rischen Zug » zu geben :
Sie sahen trotz aller vor-
schriftsniässigcn Kleidung
eben nicht Leuten aus
diesem 15., sondern sol-
chen aus dem 19. Jahr-
hundert gleich. In seiner
€ heiligen Familie 3> , die
am Waldbach ausruht,
während Engel ein Blatt
voll Was-ser herbeitragen
und der E.sel am Acker-
rande weidet , erkannten
französische Kritiker die
Ruhe, Zurückhaltung und
die Stärke des geistigen
Accordes, die Delicatcsse
Bub, der verdutzt in die Welt hineinschaut und dessen
liebe Einfalt die brüllenden Seekerle als etwas ganz
Besonderes verschreien.
Dann wieder schuf er Heiligenbilder. Die waren
der Welt nicht fromm genug, denn Thoma malte die
genug war. Sie sahen ihr Ideal noch in der Ferne;
dem Thoma aber steht es nahe zur Seite, es begleitet
ihn durchs Leben.
Und eben.so ging's mit den Bildnissen Thonia's,
die so gar eigenartig und so gar einfach sind, wie die
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
65
Cranach's. Der ganze geistige und farbige Ton war
der Welt unverständlich. Es war das Alles so ruhig,
so aus dem Vollen heraus, nicht witzig sondern heiter,
nicht poetisch sondern gemüthreich, nicht erhaben sondern
einfach, nicht raffinirt sondern empfunden. Vor Allem
war's aber nicht gelehrt, ohne Fussanmerkungen, ohne
Bezugnahme auf die Classiker und die Geschichte, kaum
recht «gebildet», sondern frei erdacht, erträumt, ersonnen.
Man kann Thoina's Bilder hausbacken nennen, trotz ihrer
« cynischen Dissonanzen , aber sie sind gebacken an
dem Herde, an welchem die Heimchen zirpen und an
denen die Grossen unserer Nation zu Hause sind. Haus-
backen in diesem Sinne ist auch Dürer.
Alles in Allem: Thoma war
und ist nicht wie die Andern.
Er gehört nicht einer Schule an,
sondern sich. Das ist sein Ver-
brechen, welches meist bestraft
wird mit Missachtung und Ver-
gessenheit; tritt es allzu öffent-
lich hervor, sogar mit schärferen
Mitteln.
So kam's denn, dass eines
Tages, als Tlioma wieder die Er-
gebnisse einer Sommerreise in
seine Heimath in Karlsruhe aus-
stellte, zahlreiche Mitglieder des
Kunstvereines eine Eingabe an
ihren Vorstand unterschrieben
und einreichten, um Thoma ein
für allemal das Ausstellen zu ver-
bieten. Ein junger Mann, der
sich um die Ermahnungen der
grössten Sachverständigen von
Karlsruhe nicht kümmert, der eigensinnig seine falschen
Anschauungen beibehält, der die in ihn gesetzten Hoff-
nungen absichtlich nicht in Erfüllung bringen zu wollen
scheint — ein solcher Mensch ist auf der Ausstellung
nicht zu dulden. Bilder, selbst schlechte, sind ja an sich
eine sehr harmlose Sache. Ja, gegen schlechte, d. h. un-
bedeutende Bilder haben die Kunstvereine auch noch
nie etwas gehabt. Sie leben ja von ihnen. Aber wo
sich beim Künstler ein solcher Dünkel zeigt, dass dieser
mit dem meist einstimmig « per Acclamation » gewählten,
also sicher im höchsten Grade sachverständigen Vor-
stande grundsätzlich verschiedene Ansichten vertheidigen.
Hant TTioma, St. Christophorus
ein Original sein will — dann 'raus mit dem Kerl!
Der Kunstgeschichte werden wohl die Namen jener
Herren, welche eine solche Eingabe schrieben, nicht
unverloren bleiben. Man braucht sie, um ein Schlag-
wort zur Bezeichnung ähnlicher Menschen zu haben.
Wir wären um einen ganz bezeichnenden Ausdruck
ärmer, hätte man den Namen des Herostrat thatsächlich
verschwiegen !
Das war kurz vor dem grossen französischen Krieg,
und wenn der Waffenlärm der kriegsgerüsteten Völker
gleich den Lärm der Vereinsmitglieder zur Ruhe kommen
Hess, so zog Thoma doch vor, seinen Stab weiter zu
setzen. Er ging nach München, wo mehrere Künstler
sich seiner annahmen, so vor
Allem der schon Ende 1871 ver-
storbene Victor Müller. Dort auch
lernte Thoma BöcklinV&ww&xi, nun,
nachdem er selbst ein vollständig
gereifter Künstler geworden war.
Dort durfte er doch wenigstens
ausstellen, ihm war nicht ver-
boten, sein inneres Schauen der
Welt zu zeigen, und wenn die
Versuche, dies zu thun, auch hier
ihm meist Spott einbrachten, so
führten sie ihm doch einen Käufer
für die in Karlsruhe verfehmten
Bilder zu — freilich einen Eng-
länder, also einen Mann des
(Spleen». Ein Deutscher, doch
ein in Liverpool in englisches
Wesen Eingelebter, kam als
weiterer Förderer hinzu, Herr
Minoprio, der im Laufe der Zeit
eine grös.sere Anzahl von Bildern Thoma's erwarb.
So kam es denn auch, dass Thoma, der nun nach
Frankfurt übergesiedelt war, dort Freunde und durch
Wandmalereien und andere dem Bedürfniss angepasste
Arbeiten eine bescheidene sichere Existenz sich ge-
schaffen hatte, in England den ersten wirklichen Erfolg
hatte. Im Juni 1 884 veranstalteten dortige Kunstfreunde
eine Ausstellung seiner Bilder im Liverpooler Kunstclub.
Zweiundsechzig Bilder waren aus englischem Besitz
zusammengebracht.
< Thoma steht allein unter den lebenden deutschen
Malern*, sagte der Kritiker der Liverpool Daily Post
9
66
ÜIE KUNST UNSERER ZEIT.
vom 19. Juni, cdenn er ist gänzlich frei von den Con-
ventionen der deutschen Schulen . . . Die auffallendste
E^enschaft in Thoma"! Werken ist die völlige Abwesen-
heit der Manier».
Das ists, was auch uns Moderne an Thoma erfreut.
Aber wie kam's, dass in England die Leute diese Eigen-
schaft rühmend erkannten und dass z. B. in Berlin, dem
Mittelpunkt der Intelligenz, namentlich aber unzweifelhaft
dem Mittelpunkt der historischen Kunstkritik, kein Mensch
Thoma für voll nehmen wollte?
Das kommt daher, weil wir noch Systematiker sind.
Es geht alles hecrdenweise bei uns dem Geläute der
Grundsatze nach. Wenn ein Mann mit recht lauter
Glocke in eine Hürde vorausgeht, welche etwa Impres-
sionismus heisst, dann läuft Alles mit. Nun ist erst das
Gebiet des Ereiiichtmaiens bis auf die Wurzeln abzu-
grasen, dann steht man und schaut um, ob nicht ein
grosser Mann komme, der nach dem nächsten grünen
Wiesenfleck führt.
.Aber wehe dem, der allein dorthin geht, ganz still
und unbesorgt, i Das gilt nicht ! » schreien dann gleich
Alle. Das ist Individualismus, das ist ein Original, also
ein Narr 1 Narrheit i.st gefahrlich: dem muss die Polizei
das Handwerk legen, denn er frisst uns ja Alles vor der
Nase fort, während wir bescheiden warten, bis Jemand
unsere Grundsätze soweit geändert hat, dass wir mit-
essen dürfen.
Die Engländer haben eben in ihrer Kunst schon
eine Läuterung durchgemacht, die noch vor uns steht,
dass .«sie das Eigenartige über
das Gesetzmässige in der -^
Kunst stellen, oder richtiger,
dass sie den Künstler mehr
schätzen, der sich .seinen
Stil macht, als den, der in
einem fremden noch so Glän-
zendes lei-stet. Sie wollen
einen Men.schen im Bilde er-
kennen, nicht eine Schule.
Dort ist man schon .seit
den 50er Jahren modern,
während bei uns erst in
den 60er Jahren die rechte Rcnaissancemalerei losging.
Dort gilt aber vor Allem die Naivität. Wir haben
sie verloren. Naiv kann man sich nicht machen. Eis
ist die Widerspiegelung der Unschuld, die man von
Gott mit auf den Lebensweg bekommt und die man
nur einmal verlieren kann. Selbst wenn man die Naivität
allzu ängstlich pflegt, geht sie dahin. Wer sie zurück-
finden will, erlangt nur ihr Zerrbild. Die Gcnremaler, die
kindlich sein wollten, die Bauernmaler, die bieder sein
wollten, die Historienmaler, die classisch sein wollten —
alle sind sie gleich überzuckert , gedrechselt , gestelzt,
gleich unwahr in der tiefsten Tiefe ihrer Seele. Sie
glauben, über ihrem Gegenstände zu stehen und merken
nicht, wie weit unter ihm sie stehen. Naiv ist nur Der,
welcher mitten drinnen steht, der nicht überlegt und grübelt,
ob er das Rechte thue, sondern nie daran gezweifelt hat,
dass anderes Thun überhaupt für ihn unmöglich sei.
Ich halte Tlwuia keineswegs für einen ungewöhn-
lich glänzend begabten Künstler. Viele deutsche Maler
wüsste ich zu nennen, deren Können ich über seines
stelle. Aber eines hat er mit Wenigen, leider sehr
Wenigen, gemein: Dass er sich nie hat beirren lassen,
dass er sich sein Leben hindurch selbst treu blieb. Seine
Bilder können Anderen eine Schule sein , wie sie es
machen und wie sie es nicht machen sollen. Denn
wer Thoma nachahmen will, muss Tliotna sein. Jeder
Andere erkenne an ihm, dass er anders, aber eben
so treu gegen sich selbst malen muss. Die starke
Eigennatur ist's, die Thoma mir so lieb macht.
Möge es bald dahin
kommen, dass man ihn
überall recht verstehen lerne.
Ich sage : recht ver-
stehen lernen. Das heisst
in dem Sinne, in dem er
bedeutend ist, und der da
heisst: Kampf den Schul-
meinungen und den Heer-
den - Stilen und Sieg dem
innersten Wesen unserer Na-
tion, dem Herausbilden des
Eigenartigen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
67
BLIND.
Novelle von R. v. Seydlitz.
•J^lendcnd leuchtete die Sonne ni den Bogengang
'^p am Schlossgarten ; der kühle Wind, der von den
Bergen wehte, duftete nach Schnee. Unten im Thale blühte
der erste Frühling, aber droben an den blauverschleierten
Felsenzinnen sass noch der zerfetzte Winter in den
Winkeln : der spiegelnde, schmelzende Schnee flimmerte
über den Tannengehängen.
Es war ein eifriges Rauschen in der Natur; der
Bach schäumte geschäftiger als sonst; die Fliegen
summten ihr erstes Lied nach langem Schlaf und sonnten
sich an den Mauern. Und durch die F'öhren links im
Garten strich hauchend ein gleichmässiges Gesau.se. Es
sollte wieder Sommer, wieder Leben, wieder Liebes-
weben werden auf der Erde!
Im Bogengänge, auf einer Bank, sass eine junge
Frau, halb traumverloren vor sich hinstarrend; wohl
wärmte auch sie die Sonne, aber tief drinnen wohnte
ihr ein harter Winter, der keine Hoti'nung bieten wollte,
dem kein Frühling drohte.
Sie hatte ein bescheidenes Gewand, und ihre Haltung
war, als fröstelte sie. Tiefe Trauer hing um das bleiche
GesicTit.
Vor ihr auf und ab, den langen Gang hin und her,
wandelte ein alter Herr. Er wandelte ruhelos schon
seit zehn Minuten, ohne aufzublicken. Ein seltsamer
Gegensatz zu seiner jungen Besucherin!
Der Herr des Schlosses, das ehedem eine Bene-
dictinerabtei gewesen, war weit und breit bekannt durch
seine Eigenart. Er liebte es, daheim in einem violetten
langen Gewände einher zu gehen, das vielleicht zu seiner
Umgebung stimmte, denn es sah aus wie das deshabille
eines Kirchenfürsten; aber dazu wollten die Stiefel eben-
sowenig passen, als die Hauskappe und die türkische
Pfeife. Der letzte der Grafen von Altmann war in der
Gegend als Original verschrieen. Aber das dankte der
alte einsame Herr lediglich seinem violettseidenen Schlaf-
rocke. Denn im Uebrigen war er ein beliebter, grund-
braver und einfacher Mann, der seine Pflicht als Grund-
herr so weit als möglich auffasste und Kirche und
Schule , Districtsfeuerwehr und Landtagswahlen auf's
Wärmste sich angelegen sein Hess — ein Fürst seines
kleinen Gebietes, soweit es der Staat erlaubte — und
ein Diener seines Landes , soweit seine gutsherrliche
Würde es gestattete. Wer einmal in den Bannkreis
seiner Fürsorge getreten war, der blieb darin, und zwar
meist zu seinem Heil ; das waren alles seine Kinder,
und ihr Schicksal war der Inhalt seines sonst einsamen,
familienlosen Lebens.
So auch das junge traurige Weib da auf der Bank,
die Frau seines besonderen Schützlings, des Malers Hans
Eggmühl.
Mit dem ersten Frühlingswehen war sie plötzlich
zu ihm hereingeschneit und hatte in bitterster Noth
einen Hülferuf an ihn gewagt. Er, der Graf, hatte sie
heute zum ersten Male gesehen, denn ihr Mann gehörte
zu den wenigen Schützlingen des Grafen, die sich in
undankbarer Verbitterung von ihm gewandt hatten. Der
Graf hatte seinen einstigen Freund, seinen Kunstprotege,
auf den er so grosse Stücke gehalten, seit vielen Jahren
nicht mehr gesehen.
Wies das alte, herrliche Schloss, die berühmt schöne
Kirche und Alles was drum und dran hing, den edelsten
Kunstgeschmack auf, waren jalte Bilder feinsinnig restau-
rirt, ehrwürdige Säulen und Plafonds wieder hergestellt
und die herrlichen , weitläufig behaglichen Räume mit
den schönsten Sammlungen von Waffen, Zinn und Glas
museenartig erfüllt, — so war dies Alles dem ehemals
treuesten, eifrigsten jungen Kunstfreunde des Grafen zu
danken, Hans Eggmühl, dem grossen kühnen Coloristen,
dem scharfspähenden Sammler und gewiegten Kenner
in allerlei Kunst.
Und der Graf hatte es ihm wohl gedankt; reich-
lich, ja fürstlich gedankt: nicht nur mit Gold — denn
von diesem Metall hatte Hans nur dann einen hohen
Begriff, wenn es in edler Ciselirung ein Kunstwerk
schmückte — sondern mit Rath und That, mit einem
9«
68
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Gefühl, das vielleicht nur den Namen Freundschaft ent-
behrt hatte, um wahre Freundschaft zu sein.
Durch ihn, den kunstsinnigen Grafen, war Hans
emporgehoben worden — mit einem Schlag empor-
gehoben — zur Anerkennung, zu Ruhm und Namen.
Ausbau und Ausschmückung des Schlosses war sein
wohlbekanntes Werk ; die Bilder in den Sälen , die
Cartons zu den gemalten Fenstern, die bewundemswcrth
prachtvollen Malereien in der Schlosskirche, die Restau-
rirungen, die Sammlungen — Alles, Alles war EggmUhl's
Werk gewesen.
Gewesen. Denn seit einem Jahrzehnt wollte er
weder den Namen des Grafen je wieder hören , noch
vom Schloss, seinem Werk, je etwas wissen. Diese
Episode seines Lebens — so hatte der Künstler un-
weigerlich, souverän beschlossen — war ausgelöscht und
abgethan für immer!
Aber da sass nun trotzdem seine Frau, in all ihrem
Harm, in aller ihrer quälenden Sorge, und forderte stumm
eine Antwort auf ihre Nachricht, die sie gebracht.
Und diese Nachricht hatte in einem Worte gegipfelt,
das sie zuletzt , flüsternd fast vor Bangen , herausge-
stossen .... Das Wort war im Bogengänge verhallt,
und seitdem war es still geworden.
Der alte Herr war aufgestanden und hatte sein
Hin- und Hergehen begonnen, ohne zu antworten. Sie
sass, demüthig, zagend, aber ohne Hoffnung, mit ge-
senktem Blicke regungslos da.
Nur die Natur ringsum rauschte und webte gleich-
müthg weiter; weisse schneeentsprossene Wolken flogen
über die klare Sonne und die Gräser zitterten im stoss-
weisen Winde, der durch die Föhren hauchte.
Jenes letzte Wort der Frau aber hatte gelautet:
— i Unheilbar ! » —
Frau Ottiiie sah zu Boden ; so sah sie auch nicht
was in den Zügen des alten Herrn vorging. Es arbeitete
heftig darin ; am alten, warmen Herzen riss ein mächtiges
Weh. Die schönste Zeit seines spätem Lebens, der
Verkehr mit dem genialen Jungen, dem Hans, — flog
an seiner Erinnerung vorüber. Wieviel gemeinsame
Freude am Schönen, und was mehr für ihn war, wie-
viel Freude am Schaffen seines jungen Freundes hatte
er damals erlebt! Wie hatte er das seltene Glück ge-
fühlt, das ihm so geboten war, — einmal den fürst-
lichen Mäcen im alten Stile zu spielen! Und wie edel
hatte der Künstler dies aufgefasst! Arm, wie er ge-
kommen, hätte Hans am liebsten bleiben mögen, wenn
Graf Altmann ihm nicht förmlich Alles aufgedrungen hätte.
Und dann, als vieljährige Arbeit das Schloss und
die Kirche zu jenem vielbewunderten Juwel an Kunst-
werth und harmonischem Geschmack umgewandelt hatte,
als Alles beendet war und Eggmühl sich dauernd in der
Stadt niederliess, um für die weite Welt zu schaffen —
da war langsam die Entfremdung, das Missverständniss,
die — ja , es war nicht anders , man musste es so
heissen — die unbegreifliche Undankbarkeit und Ueber-
hebung gekommen; der völlige Bruch war- eingetreten
und Graf Altmann hatte seinen liebsten Schützling völlig
verloren. Wenn die Zeitungen nichts von ihm meldeten,
er erfuhr nichts mehr von ihm. Und die Zeitungen
hatten seit Jahren ganz von Hans Eggmühl ge-
schwiegen 1 Nicht einmal von EggmUhl's Heirath hatte
der Graf gehört; denn die Bekannten des alten Herrn
wussten um den Bruch und schwiegen gegen ihn über
den ungetreuen Schützling. cMag ihn satt geworden
sein ; die Künstler sind auch so ! Sie treiben's danach.
Und Eggmühl vor Allem; Grössenwahn, wissen Siel
Wenn er nur besser malte. Aber das Zeug — » cEben,
das ist's: endlich sind dem Grafen die Augen aufge-
gangen !> cAh, pardon, nein; denn sehen Sie: was er
draussen im Schloss gemalt hat ist himmelhoch besser
als Alles seitdem. Merkwürdig: plötzlich hat das Talent
nachgelassen». € Oder die Augen. Denn ich höre, er
leidet. Gestern sagte mir Einer, Eggmühl wird blind».
cMag sein; sieht nimmer recht die Farben. Armer
Teufel!»
Ja, armer, unglücklicher Künstler! Das Gerücht
sprach wahr. Er wurde blind. Langsam senkte sich
eine dunkle Wolke vor seinen Blick, und löschte den
überquellenden Reichthum der Farbe, das ganze selige
Leben des Lichts nach und nach aus, das seine Freude,
sein Glück , sein ganzes Sinnen und Fühlen gewesen
war. Er wurde blind ; und der Arzt hatte es zur armen
Frau zuerst gesagt — nicht zu ihm ! — das eine herz-
brechende Wort: c Unheilbar!»
Und t Unheilbar I » murmelte jetzt der Graf, endlich
stehen bleibend, vor sich hin ; erschüttert und tief traurig
wiederholte er das düstere Wort, als wie den Schluss
einer langen Gedankenkette, die rathlos wieder zu ihrem
Anfang zurückgekommen war.
Co
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
69
Dann lehnte er sich mit dem Rücken an eine der
Säulen, und stand noch einen Augenblick sinnend da,
den Blick auf die Frau geheftet, ehe er begann.
Mehr wie je sah er jetzt einem Kirchenfürsten ähnlich :
das ernste, faltige Gesicht mit dem weissen Haarkranz,
der schimmernde Talar, in dessen Falten der Wind
wehte; und dahinter die zierliche Reihe der gelblichen,
sonnig beleuchteten Säulen, durch deren Abstände der
kühle, blendend frische Vorfrühling hereinleuchtete.
Endlich begann er, — förmlich und höflich, denn
er war aus einer höfischen Zeit, — c Madame! —
Glauben Sie mir, das schwerste und bitterste, was ich
durch Ihre traurige Nachricht empfinde, ist nicht das
Bewusstsein des Unheils selbst, und auch nicht die Unmög-
lichkeit ernstlich zu helfen, sondern eine Selbstanklage».
Sie sah verwundert zu ihm auf. Sie verstand nicht ....
c Ich weiss kaum , ob Sie das fassen können : ich
empfinde in diesem Augenblick eine Schuld, die ich
am Unglück Ihres Mannes habe. Ich begünstigte nicht
nur sein Schaffen in einer für ihn sonst unerreichbar
gewesenen Weise, sondern ich hegte und pflegte in
ihm seine Eigenart, — seine Vorzüge und Fehler.
Vielleicht — die Letzteren zu sehr! — Mir ist bekannt,
dass er hoch von sich denkt. Ich liebte das an ihm;
jetzt zittere ich, dass dies sein Unglück war. Nannte
ich ihn einst mit Freuden hochsinnig — jetzt fürchte
ich , dass die Welt vielleicht zu grossen Anschein von
Recht hat, wenn sie ihn — hochfahrend nennt. —
Aber» — fuhr er abbrechend fort, indem er von der
Säule fort auf sie zu trat, — c das Alles sage ich um-
sonst; — Ihnen schwebt jetzt die Frage auf den Lippen:
Was soll mir das.' Ich bitte Dich um Brod und
Du bietest mir einen Stein! — Genug darum von mir;
und zu ihm ! Ihr ehrenvolles Vertrauen, das Sie hierher
trieb, fordert Antwort. Sie kamen, wie ich verstand,
ohne ihm das Ziel Ihrer Fahrt zu verrathen?»
« Er weiss nichts davon ; ein Besuch bei einer Ver-
wandten gab den Vonvand», sagte sie.
«So bedarf es also noch immer eines Vorwandes?
Er darf nicht wissen , dass Sie hier sind ? — Wissen
Sie auch, warum er mich nicht mehr kennen will?»
«Er scheint, schon ehe ich ihn das erste Mal sah,
von Ihnen, Herr Graf, gänzlich getrennt gewesen zu
sein. Selbst dass er hier viel für Sie arbeiten durfte,
habe ich erst später erfahren. Selten sprach er mir
von Ihnen, und das immer in — in — »
« Feindlichen Ausdrücken, — das kann ich mir leider
denken > .
«Und dennoch, Herr Graf, trotz jener bittern Miss-
stimmung, gewann ich allmählich, ich weiss nicht wie,
das Gefühl, dass — dass — »
«Ich nicht so arg bin», ergänzte der Graf lächelnd.
«Ja, gute Frau, Ihr Herz hat wahr gesprochen. Wenn
bei irgend Jemandem, so können Sie bei mir anklopfen
in Ihrer Noth; ich bin der Mann dazu. Aber ob ich
der Mann bin, der Ihnen das bieten kann, was Sie sich
vielleicht denken, — das ist eine andere Frage. Noch
haben Sie — und das ehrt Sie hoch I — mir nichts als
die traurige Thatsache mitgetheilt, aber keinen der
Wünsche, die Sie anspornten, mich aufzusuchen. — —
Was kann nun unter dem drohenden Unheil Ihnen
Beiden nützen ? — Haben Sie Kinder ? » unterbrach er sich.
« Eines » .
«Hm. — Wie ich Hans kenne, wäre er nicht im
Stande, Geld anzunehmen — »
Die Frau fuhr lebhaft auf, der Graf beeilte sich,
weiter zu sprechen : « Das ich ihm auch nicht bieten
würde. Denn wer Mittel hat zu helfen, weiss, dass die
wahre Hülfe nicht mit Geld gebracht wird. — Ich
nehme nun an , dass Ihnen aber mit Recht bange vor
der Zukunft ist, in der er nichts — verdienen kann ? »
Die Frau antwortete nicht, aber eine Thräne zog
langsam über ihre Wange hinab. Verdienen ! Lieber
Himmel, — er hatte lange, lange nichts mehr verdient !
Die schwer umstrickende Schuldenlast — wäre sie vielleicht
weniger schrecklich, wenn er sein Augenlicht behielte?
Würde er später je wieder das Glück haben , das ihn
so lange geflohen? Ach, es war ja nur zu klar: er
hatte den Contact mit der Weit verloren , ein Dämon
führte ihn seit langem in der Irre , über seine Werke
schüttelte man den Kopf und über ihn als Künstler war
lange der Stab gebrochen worden.
«Gut also!» sagte der alte Herr, jetzt neben ihr
auf die Bank sich setzend. « Hierüber sind wir im
Reinen. Da er nun voraussichtlich — aufhören wird,
seine Kunst zu üben , was dann ? — — Er war ja ein
wackerer Musiker; ist er's noch? Sollte das nicht — ?»
Frau Ottilie zuckte die Achseln und seufzte schwer.
« O ja » , sagte sie dann, « freilich treibt er Musik. Ach
— wenn er das nicht hätte — was sollte ihn dann noch
beruhigen, trösten und erheben? Was sollte ihm helfen,
die bitteren Stunden zu überwinden, in denen er .... »
70
DIE KUNST UNSERER ZEH'.
Der Graf horchte gespannt ; es klang, als sollte der
Schluss lauten: in denen er reuig, verzweifelt sich selbst
anklagt. Aber das konnte nicht sein; dazu kannte der
alte Herr seinen ehemaligen Schützling zu gut. Der
und Selbstanklage! —
c Sehen Sie, Herr Graf, sein Gemüth ist verdüstert.
Er ist, wie's die Welt nennt, ner^•ös — bis zur Wild-
heit, bis zur Zerrüttung alles Friedens».
c Gegen Andere? Oder auch gegen Sie?»
c Gegen mich zumeist ....->
Sie sagte es leise, fast beschämt. Aber sie hätte
mehr sagen sollen ; denn zu dem drohenden Unglück
der Erblindung, zu dem Schreckgespenst der Noth, kam
noch ein Drittes, das Schwerste für sie. Ihr Verhältniss
war nachgerade ein unleidlich - unfriedliches geworden;
ihr Leben an seiner Seite nar verdüstert und furcht-
durchblitzt. Er war ihr längst zum Peiniger , zum
Schrecken geworden. Aber davon Hess sie nichts
verlauten. Das ging nur sie an: wusste sie doch, dass
all das in seiner Krankheit wurzeln musste; — und so
trug sie es still und schweigend.
< Also 5 , fuhr der Graf fort . nachdem er sie einen
Augenblick forschend beobachtet, i bleiben wir einen
Moment bei der Musik. Als Sie mir vorhin das Un-
glück erzählten, war der Gedanke mein erster: Gott sei
Dank, er ist ja .Musiker! Und der erste Gedanke ist
immer der beste. Der zweite ist meist weniger gut:
ich hatte wenigstens einen solchen zweiten Gedanken,
dem ich kein günstiges Zeichen ersehe?.
j Wie ? > fragte sie, da er .schwieg.
cNun, ich dachte — aber das ist nun nicht mög-
lich, da er von mir nichts wissen will. — ich dachte
daran, dass unser alter Organist pensionirt werden muss,
und ich Ersatz schaffen soll s .
«Herr Graf>, sagte sie erschrocken, eich weiss,
dass Ihre Meinung gut ist — >
cAber, dass er nicht annehmen würde, wie?»
cEher — glaube ich, verhungert er!»
«Nun, nun, nur nicht so tragisch. Ich sagte ja,
der Gedanke war ungünstig. Kann es übrigens be-
greifen ; auch ohne den Hass gegen mich : in der Kirche
sitzen zu müssen, die er au.sgemalt, — blind, in tiefster
Nacht, an der Orgel, die er verzieren iiess — auf der
er mir so manches Stücklein Ett oder Palcstrina vor-
gespielt — um jetzt den Hauerntölpeln eine Messe
drauf zu spielen 1 — Nein, der Gedanke war unglück-
lich. — Ich werde eben dem Herrn Anatol Peternik in
Neutitschein schreiben, dass er angenommen ist; ge-
schickter Spieler, sehr tüchtig; hat leider sieben Kinder
und soll viel trinken. Aber — »
Er unterbrach sich. Am Ende des Säulenganges
war ein Diener erschienen und verbeugte sich wortlos.
Der Graf stand auf.
c Sehr im rechten Moment 1 Wir werden zum Essen
gerufen; sperren Sie sich nicht, Madame, speisen Sie
ruhig mit mir; wir wissen in unserer Angel^enheit nicht
weiter, — da ist es das Beste, eine Pause zu machen.
Nach Tisch kommt uns vielleicht ein besserer Gedanke».
» Herr Graf — >
f Keine Umstände», rief, heiter werdend, der alte
Herr, cund fürchten Sie kein Tete-ä-tcte mit mir; ich
habe den Pfarrer geladen und meinen alten Oberförster».
c Ich möchte doch — ich muss um sechs Uhr auf
der Bahn sein > , brachte sie scheu hervor.
«Nun Ja, beim Himmel, jetzt ist's ein Uhr; ich
gedenke doch nicht bis fünf zu tafeln? Und in einer
Stunde bringt Sie der Wagen — Uebrigens » unterbrach
er sich, — «wie sind Sie gekommen? Zu Fuss? O, dann
lasse ich Sie zur Rihn fahren».
« Ich danke, Herr Graf; .... ich möchte wieder
zu Fuss gehen . . . . »
«Warum denn?> fragte er, hochlich verwundert.
Sie wurde venvirrt und roth. Endlich sagte sie,
nach sichtbarem Entschluss: «Sie werden es mir nicht
mi.ssdeuten. Ich möchte nicht, dass Ihr Kutscher oder
gar ein Diener am Bahnhof zusieht, wie ich in die —
dritte Klasse steige».
Einen Augenblick sah er ernst auf sie, dann bot
er ihr die Hand : « Ich verstehe Sie , Madame. Ich
schätze Sie hoch. — — Aber trotzdem haben Sie Zeit,
bei mir zu speisen. Das ist eine Gefälligkeit, die ich — »
« Wer zu Fuss herwandert, soll bei Ihnen zu Tisch
sitzen ? Wäre das nicht noch ärger ? Und was ich wollte,
ist ja gethan. Ich habe Ihnen Alles gesagt. Wenn Sie
eine Hülfe wi.s.sen, — morgen, später, wann immerl —
so schreiben Sie mir wohl. Und inzwischen kann ... »
Ganz plötzlich brach sie hier in Thränen aus.
Der Graf stand un.schlüs.sig ; dieser Ausbruch musste
abgewartet werden. Aber was dann? Oben warteten
seine zwei Gäste.
Endlich, da sie nicht aufhörte, fing er an, sie zu
trösten: Das Unglück kommt nicht so .schnell; Vieles
kann ihm einfallen bis dahin; ein Umschwung der
Stimmung, ein Erfolg mit Hans' Werken . . . . »
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
71
Aber sie schluchzte heftig auf und gestand endlich
mit versagender Stimme, dass keine Zeit mehr zum
Warten sei ; die äusserste Noth klopfte schon an die
Thür ! Und sie hatte gehofft — ja sie war beseelt von
dieser letzten Hoffnung zu ihm gekommen — dass er
dem ehemaligen Schützling verzeihen, ihn unterstützen
würde, nun, da er, elend und brodlos, einem furchtbaren,
für ihn doppelt furchtbaren Leiden verfallen war ....
Aber der Graf trat einen Schritt zurück, und sagte
erstaunt: «Geld?! — Verehrte Frau, — ich sollte ihm
Geld anbieten ? ! Aber, haben wir das nicht gleich zu
Anfang als undenkbar verworfen.' Wie kann ich thun,
was er zurückweisen muss, — muss und wird } — Oder
glauben Sie, er nähme es jetzt von mir.' Dann be-
greife ich nicht, warum er nicht schreibt, — nicht
statt Ihrer kommt 1 1
« Nein » , sagte sie, — « wenn er weiss, dass es von
Ihnen kommt, nimmt er's gewiss nicht; aber — »
«Wie?!> rief der Graf lebhaft, fast mit Entrüstung,
— «ich sollte ihn heimlich — — Ja, wohin denken
Sie, Madame I — Und was sollte er denken ; woher,
sollte er glauben, käme das Geld?:>
« Ich — ich — — meine Verwandten . . . . »
« Sie wollten Ihren Mann glauben machen, es käme
von Denen? — Madame, ich ehre Ihren Schmerz, ich
begreife die Verwirrung, in die Ihre Angst Sie gebracht
hat; aber — »
cEs sollte ja nur sehr wenig sein», beeilte sie sich
einzuschieben, c Aber einige Zeit hindurch .... ein
kleiner Zuschuss .... Das Uebrige hätte ich aufgebracht
mit Arbeiten .... Ach, Sie wissen ja nicht, wie elend
wir sind ! . . . . Er — mein Kind — ich — — »
Die Stimme verging wieder unter Schluchzen. —
Der Graf wandte sich ab und wischte mit der Hand
über die Wangen; er hatte vorher einen guten Grund-
satz ausgesprochen: wer wahrhaft helfen will, braucht
kaum Geld dazu; — aber es gibt einen Ton in der
Menschenkehle , der die eisernsten Grundsätze bricht ;
sobald der grosse Nothschrei ertönt, schweigt Grund-
satz und Erfahrung, und an ihnen vorbei eilt ein Herz,
dem andern zu helfen ! — —
« Alter schützt vor Thorheit nicht », murmelte einige
Augenblicke später der alte Herr, indem er oben in
seinem Arbeitszimmer ein paar Banknoten in ein Papier
einschlug. — «Und ich weiss doch ganz gewiss, dass
es eine Thorheit ist ; es wird nichts nützen. Wer kann
Dem aber auch helfen. Armes Weib! — — Ob ich
doch noch warte mit dem Herrn Peternik in Neu-
titschein? — Aber der gute Hans nimmt's nicht an.
Und ich biete es ihm nicht an. Und so bleibt's dabei:
ich kann ihm nicht helfen, und Peternik ist angestellt».
*
* *
Acht Tage waren verstrichen. Es war eine Zeit
voll wechselnder Gefühle für das Weib des Unglücklichen
gewesen. Zuerst eine kleine Spanne Glücks : denn das
Almosen des Grafen hatte einen trügerischen Schimmer
von Glück verbreitet ; dann aber war die harte Noth desto
herber und deutlicher, — unausweichlich nahe getreten.
Auch der Frühling hatte nach kurzem Sonnen-
schein einem wilden Aufruhr weichen müssen, und
Schneeregen tobte stürmisch durch die Strassen der Stadt.
Es war das Wetter und die Ermüdung, die der
armen Frau heute dcis letzte Hoffnungslicht löschten;
sie war am Ende!
Die letzten Tage hindurch hatte sie neben aller
häuslichen Noth und Mühe noch Zeit zu finden gewusst,
um einen Gedanken auszuführen, der ihr auf der Heim-
fahrt vom Schlosse gekommen war: sie war mit einem
Packet Noten, Compositionen Hans' aus schönerer Zeit,
in der Stadt bei Gönnern und Verlegern, bekannten und
unbekannten , hinterm Rücken ihres Mannes hausiren
gegangen. Aber umsonst ! Keiner wollte nur einen
Pfennig an diese Werke wagen ; wohl lobte man das
Talent — aber wer zahlt etwas für einen Unbekannten ? —
Einer allerdings hatte einen Preis geboten: aber das
Angebot in seiner ganzen empörenden Kargheit hatte
sie mehr verwundet, als eine runde Abweisung.
Sie hatte das Packet wieder in der — ach so
ärmlichen! — Wohnung gelassen und schlich nun trotz
Ermattung und Wetter zu ihrem Manne in's Atelier,
ihn «abzuholen». Denn so musste sie es nennen.
« Führen » wäre richtiger gewesen , denn er sah in der
Dämmerung des Abends nichts mehr. Aber er wollte
es nicht Wort haben, er verspottete ihre Sorge und die
Mahnung des Arztes. « Ich blind werden ? Lächerlich !
Das sind nur wieder Machinationen und Vorwände, mich
abzuhalten. Ich muss arbeiten, ich bin es der Welt
schuldig und mir; und uns! Je ärger die augenblickliche
Verblendung des Publicums ist, — desto sicherer fühle
ich , es wird meine Zeit kommen. Ich werde siegen !
Verlass Dich darauf und zerquäle Dich und mich nicht
mit unnützer Kleinkrämerei und Sorge » !
Und dabei hatte sie gestern erst den Arzt ge-
sprochen ; der hatte mehr als je ernst dreingesehen
72
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
und hatte ihr erklärt, warum Hans selbst nicht an das
drohende Unheil glauben wollte . c Das ist das charak-
teristische, verehrte Frau, bei diesen Fällen : der Patient
will nichts von dem Zerfall seiner Sehkraft wissen;
eigensinnig schreibt er die offenbaren Fortschritte des
Uebels allen möglichen eingebildeten Dingen lu; — ge-
wöhnlich kommt dann das Bewusstsein plötzlich nach
einer Gemüthswaliung oder dergleichen».
£s ging in jeder Weise zu Ende. Denn die be-
fürchtete letzte Scene in der Tragödie ihres häuslichen
Elends hatte angefangen: die Gläubiger ihres Mannes
hatten Beschlag auf die Einrichtung des Ateliers ge-
legt, und morgen sollte der grausame Hammer des
Versteigerers über jenem Häuflein Rdchthum fallen.
Morgen schon 1
Hans wusste es wohl. Aber in einer finstcm,
trotzigen Verblendung sass er, als sei kein Sturm im
Anzug, im Atelier bei der Arbeit; oder doch bei der
Thätigkeit, die ihm Arbeit hiess. Er that, als wolle er
von der Staffelei weg nur der Gewalt weichen. Und
kein Zittern, keine Unruhe verrieth, dass er vor jenem
Morgen sich fürchte, dass er wehmüthig begriffe, heute
sei der letzte Tag im Atelier 1 .... Von den Colinen,
die ihn meist für c verrückt ? hielten , — das ist ja das
Modewort, mit dem jede kleine Abweichung vom her-
kömmlichen geistigen Uniformzuschnitt abgethan wird,
— wurde er in letzter Zeit gemieden. Viele hatte er
sich verfeindet durch sein immer schroffer und ab-
sprechender werdendes Urtheil, den * Jüngeren > galt
er für einen Phantasten und Zopftrager — wer malt
heut noch Allegorie und Farbenorgien ! — und den
» Klugen > gar musste es erspriesslich erscheinen, von
dem verschuldeten Mann fem zu bleiben. Er war ver-
einsamt; aber er trug das mit demselben stolzen,
verachtungsvollen Lächeln , das er all' seinem Missge-
schick entgegensetzte. Das Schiff seines Lebens, schon
lange von Klippen umgeben, segelte geraden Weges
auf den Felsen los, an dem es zerschellen musste. Er
sah es, er wusste es, aber er wandte das Steuer nicht.
Mochten doch die Felsen vor ihm versinken, ihm Platz
machen; wohinaus sollte er sonst auch? Nirgends war
Fahrwasser zu sehen. War es darum seine Schuld oder
eigentlich die des Geschicks, die ihn in diese Lage
gebracht? Er wollte nicht mehr hoffen — im gemeinen
Sinne; aber auch darum nicht mehr fürchten.
Und darum < arbeitete er auch heute fleissig weiter.
Sein Atelier — ehedem, als man noch Ateliers
€ einrichtete v , als Meisterstück berühmt, war eine Gruppe
von Räumen, die eine Art wilden Museums darstellten,
in dem Alles vertreten war, was Kunstzweige aller Art,
Stile aller Nationen , Bedürfnisse aller Zeiten her\oi^e-
bracht. Einst war der Aufbau, das tausendfache Aen-
dem und Bessern seine Leidenschaft gewesen. In letzter
Zeit hatte er angefangen, ungeheure Flächen Atlas in
brennenden Farben über Wände und Möbel zu breiten,
alles Zartere und tonig Gestimmte verdeckend. « Das
ist alles Kleinkram , — Sauce , — ver^virrter , dunkler
Unsinn ! Gross, — riesig, — leuchtend, — in, berauschen-
den Falten muss es um mich prunken; das gibt Lust
und Muth zu Farbe und Licht 1>
Und die Wirkung war auf seinen Leinwanden zu
sehen : immer schärfer, schneidender wurden die Farben,
immer heftiger die Gegensätze, — längst über das
Maass des Erlaubten, Begreiflichen, selbst für decorative
Compositionen, hinausgehend ; leidenschaftlich trat die
Vorliebe für «giftig grelle» Farben hervor; und die
Zeichnung schwand darunter mehr und mehr.
Ob er das fühlte? Heute besonders schien alle
Zufriedenheit von ihm gewichen.
Seine Frau fand ihn, keuchend vor Anstrengung,
wie er hastig und wild aus alten, riesig grossen Lein-
wanden eine hervorzerrte. Das vorher an der Staffelei
gewesene Bild lag, mit dem Kratzmesser zerfetzt und
zerschnitten, am Boden.
«Noch einmal fang' ich's anl — Aber diesmal so
wie ich will, und Niemand darf mir dreinreden. — Weisst
Du, so wie die erste Skizze war, — die Hauptfigur in
blendendem Licht, — vom Alles dunkel — und das
Gesindel links so bmtal wahr, wie noch nie!» ....
Die Idee war: «Der Weg der Anmuth durch 's
neunzehnte Jahrhundert». Im Hintergrund die Gestalten
aus der Zeit der Grossväter ; diese noch im Zauber der
Grazie befangen, ihr nachblickend; je mehr nach vorn,
desto hässlicher, roher wurden die Gestalten, die Alle
das Kleid ihrer Epoche trugen; bis zuletzt, vom, eine
cynisch freche Bande, aus dem Abschaum der Gesell-
schaft gebildet, höhnend und kothwerfend die Göttin
verfolgte ; diese selbst, in himmlisch keuschem Erröthen,
eilte schnellen Schrittes vorwärts, Thränen der Scham
auf den Wangen. Ursprünglich war die Gestalt der
Grazie unbekleidet gewesen ; später hatte er ein Phantasie-
costüm erfunden, das er hundertmal änderte. . . .
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
73
Und nun fing er fieberhaft an. Mit einem grossen
Pinsel, den er auf's Gerathewohl in eine Farbe stupfte,
umfuhr er die Conturen; aber da es eine früher bereits
bemalte Leinwand war, so wurde ein grausames Chaos
daraus, in dem er sich selbst nicht zurechtfand.
* Es wird schon dunkel. — Steh' mir nicht im Licht !
Zeig' mir lieber — wo hatt' ich doch den Arm der — t
t Hier, Hans». Und sie deutete schüchtern hin.
€ Dummes Zeug ! Das ist ja vom frühern Bild 1 1
Sie widersprach nicht. Er skizzirte den Arm, ge-
trennt vom Körper, mitten in die Luft
Frau Ottilie schlich in eine Ecke und bändigte mit
Gewalt ihre Thränen; Zuschauen war eine Marter.
Komme, was da wolle — jede Aenderung war willkommen 1
c Das ist wieder Deine Theilnahmslosigkeitl >
€ Hans ! •%
(Wozu kommst Du überhaupt her?»
c Ich dachte , wenn Du aufhörst , gehen wir mit-
einander nach Haus».
€ Natürlich! Deinen c erblindenden » Mann führen;
Dich zeigen, wie Du ihn um.sorgst. Das passt Dir;
statt — — »
Er murmelte Einiges und patzte weiter. — Plötz-
lich, nach einer Weile, wandte ersieh zu ihr: c Nun, —
Du hattest mir ja versprochen, eine freudige Nachricht
zu bringen. Was ist's damit?»
c Es ist mir fehlgeschlagen, Hans ; ich hatte .so ge-
hofft, dass es gelingen müsste . . . . s
c Pah ! » machte er geringschätzig. «Kein vernünftiger
Gedanke durchkreuzt Dein Hirn, der uns wirklich Hülfe
brächte. Sorgen, sich härmen und grämen, um Pfennige
feilschen, mir Süppchen brauen und Pantoffeln wärmen —
das ist Deine ganze Philosophie, mit der Du unser Ver-
derben keine Stunde aufhalten wirst, mich aber um die
letzten ruhigen Stunden bringst».
Er wüthete wieder eine Zeit lang auf der Lein-
wand : dort verwirrte sich Alles immer mehr und mehr.
Erbärmliches Licht in diesem Kasten. — Ich
kann kaum mehr sehen und es ist noch nicht 4 Uhr.
— Wie? Das Fenster ist gross genug, sagst Du? —
Willst Du es glauben, dass ich zwischen dem rothen
Vorhang dort hinten und dem hellblauen Atlas da nicht
mehr unterscheiden kann? Sieh' doch das Wetter
draussen 1 Und wenn das Hausmeisterpack die Scheiben
nicht putzt! Mich brennen die Augen förmlich vor
Anstrengung. Aber natürlich, an all Dem bin ich wieder
schuld — nur ich! Das ist das Bitterste in all' derNoth:
Diese wahnwitzigen Vorwürfe, die Du mir machst »
«Ich, Hans?» fragte sie, schmerzlich betroffen.
« Allerdings Du ! Dein Schweigen, — Deine jetzige
Frage ist ein Vorwurf! Alles könntest Du vermuthlich
besser machen; mein ganzes Leben, wäre es vor Dir
enthüllt, würdest Du für eine Kette von Fehlern halten.
Immer würde ich Schuld haben an Allem. — — Ich
möchte nur wissen, ob Du mich auch verurtheilst, weil
ich mich von jenem alten Egoisten, dem Grafen Alt-
mann, losgesagt habe<>.
Sie schwieg einen Moment; und mitten in aller
Betrübniss kam ihr die Klugheit zurück ; sie sagte :
« Altmann ? Ach ja. Dein Gönner ; ich las neulich,
dass er einen Organisten für die Schlosskirche sucht». —
Hans antwortete nur mit «hm!» — Aber nach
einer Pause : « Zu aller Ironie des Schicksals fehlte nur,
dass er mir die Stelle anböte. Er, der von je mein
Unglück war! Dem ich .selbstlos die besten, frucht-
barsten Jahre gewidmet habe! Der mein Werk besitzt,
wie der Drache den Schatz ; der meine Bilder da draussen
vergraben hat, so dass die Welt sie nicht kennt. —
Und das ist nicht Alles: als er mich ausgenutzt hatte,
entliess er mich nicht nur, er sorgte auch dafür, dass
ich niemand Anderm mehr so wie ihm dienen konnte.
Woher denn sonst das Wunder, dass meine Sachen
von dem Augenblick keinen Anklang mehr fanden?»
Und nun redete er sich, gereizt durch bescheidene Ein-
würfe und Zweifel Ottilie's, völlig in Wuth , indem er
jenen ehemaligen Gönner als Urheber alles Unglücks, aller
Misserfolge mit den schwersten Verwünschungen bedachte.
Zuletzt — er fuhr nur noch unsicher zeitweise mit
dem Pinsel hier- und dorthin — warf er plötzlich die
Palette krachend in einen Winkel und schrie:
« Ihn klage an ! Von ihm verlange unser Glück,
ihm auf die Seele weine Deine Thränen ! — Aber was
nutzt das Reden. Ich schreibe es ihm .... ich thu's!
Er muss, er soll wissen, dass sein Ziel erreicht ist, —
dass ich zu Grunde gerichtet bin .... Er soll's er-
fahren , wenn ich Denn ich muss Dir sagen,
denke nicht weiter an Ausflüchte, Versuche und Hoff-
nungen. Es gibt keine. Denke nicht armselig an
Arbeiten und Sparen — ich will nicht langsam ver-
hungern. Denke lieber, wie wir mit Würde das un-
würdige Dasein verlassen !....»
Eine Pause. Sie schwieg; auf den Lippen lag ihr
10
74
ÜIE KUNST UNSERER ZEIT.
das Wort : € Hans, — denke an Dein Kind 1 > — aber
wozu jetzt Oel in die Flamme giessen ?
Und er verbiss sich in den Gedanken, das Leben
zu verlassen; mit grossen Schritten, oft über Teppiche
stolpernd, überall sich stossend, lief er auf und ab. In
al^cbrochenen Sätzen machte sich sein versteckter In-
grimm Luft. Es war bald nur noch das sprunghaft
unzusammenhängende Raisonniren über Alles , Gott und
die Welt. Wie Peitschenhiebe, mit denen dn Wüthen-
dcr leblose Gegenstände regellos auf seinem Wege trifft,
nur um den Zorn auszulassen, so tobte er geraume Zeit
wild und vemunftlos dahin
Allmählich aber kam Ermattung dazu. Er sprach,
er schrie nicht mehr. Dann und wann ein heiseres
Lachen, das vielleicht einen Gedanken verhöhnte; zu
letzt nur ruheloses Umherwandem. — Ottilie, von An
strengung und Furcht ergriffen und ermattet, war laut
los in ihrem Winkel sitzen geblieben, den Kopf zurück
gelehnt, die Hände gefaltet ; so hatte sie lange gesessen
mit geschlossenen Augen, — ohne Gedanken, — fast
ohne Besinnung ....
*
* *
(Gehen wir! 's wird spät«.
Die Worte weckten sie; sie brachte ihrem Manne
den Hut, den Stock. Dabei fiel ihr schwer aufs Herz,
dass dieser klanglose, trockene Abschied aus dem Atelier
der letzte sein sollte !
Wie oft, seitdem sein Leiden bedrohlich geworden,
hatte sie sich den erschütternd tragi.schen Moment aus-
gemalt : der Künstler nimmt Abschied von seiner Werk-
statt auf ewig! Von seinen Werken, von seinem Schaffen,
seiner ganzen Welt! Tastend, mit umnachteten Augen,
die unfähig sind einen letzten Blick auf die Staffelei zu
werfen, wankt er zur Thüre; er überschreitet die Schwelle :
wohin.' In das Nichts eines nutzlosen, freudlosen Daseins 1
So hatte sie es gefürchtet und geträumt. Und nun?
tWozu mir immer den Arm halten?» rief er rauh
und ungeduldig, t Ich finde selbst».
Er fand die Thüre aber nicht so leicht ; und das
Schauspiel war .schmerzlich und peinlich zugleich.
Die Treppe hinunter ging er leicht , au.s Gewohn-
heit die Zahl der Stufen schätzend. Ottilie ging be-
ruhigter neben ihm zum Haus hinaus bis in den Hof —
denn das Atelier lag im Hintergebäude eines Complexes
von hohen, (lüstern Häusern. Vom Atelierhaus kommend,
sah man geradewegs durch die Thoreinfahrt auf die be-
lebte Strasse hinaus , wo die Lampen schimmerten,
schwefelgelbe Punkte im finstem Schatten bildend. Von
oben her aber strahlte tiefroth der Wolkenhimmel herein,
der den Abend des stürmischen Tages mild verschönte.
Angesichts dieses oft gesehenen Bildes schritt Ottilie
weiter; aber Unerwartetes hemmte ihren Schritt.
Hans blieb plötzlich stehen, riss die Augen weit
auf und breitete die Arme vorwärts aus ....
Er athmete ein paar Mal hefbg — dann fing er an
zu zittern .... schnell griff er nach Ottilie, fasste krampf-
haft ihren Arm, ihre Schulter — immer geradeaus
starrend , als sähe er ein schreckliches Phantom ....
Und er sah auch Etwas, aber es war kein Phantom ; er
sah zum ersten Male die Wahrheit: er sah — nichts!
(Ottilie — ich bin — blindl!> — —
Sein Ruf hallte von den Mauern wider, und verhallte.
Die Frau aber stUrzte aufschluchzend an seine
Brust und barg ihr Gesicht.
Da geschah ein Wunder. Seine Arme kamen
weich und langsam, sie zu uinschliessen; und auf ihr
Haar drückte er einen Kus--
Und dann zuckte auch seine Brust und er brach
in markerschütterndes Weinen aus ....
Es war spät geworden und der öde Hof leer und
still ; Niemand sah die Beiden dort stehen : sie blieben
lange, lange so. —
Endlich fuhr er auf, da sich Schritte näherten, und
schob seinen Arm unter den seiner Frau.
Weich, fast schüchtern sagte er: (Führe mich,
Tilly, und — — weisst Du wohin? — |ch denke am
besten auf's Telegraphenamt. Dort dictjre ich Dir eine
Depesche an — an den Grafen . . . . >
Sie fuhr zusammen, er fühlte es.
4 Ich will ihn fragen, ob ... . jene Organisten-
stelle . . . . »
Weiter kam er nicht. Es dauerte geraume Zeit, bis
er sich sammeln konnte. Ottilie fühlte im Moment tiefsten
Unglücks den Keim einer so seligen, friedlichen Zukunft !
« Lass uns wieder ins Haus gehen, Hans, dort be-
sprechen wir in Ruhe — »
(Nie wieder einen Schritt dorthin! Im Atelier
lasse ich alle bösen Geister zurück. Und jetzt brauche
ich die guten Geister ; vor allem Dich, Du armes Weib.
— Werde ich Dir — sage mir das, — werde ich Dir
nie lächerlich sein in meiner Unbeholfenheit? Wirst
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
75
Du Deinen Mann ertragen können , wenn er so eine
Rührstückfigur für eine Vorstadtbühne geworden ist?»
Sie drückte ihm den Arm mit beiden Händen,
und indem sie auf die Strasse hinaustraten, eng an-
einander geschmiegt, — sagte sie :
«Wird denn das lächerlich sein, wenn Du Orgel
spielst? Denke an die hohe Wölbung, von der's so
herrlich wiederklingt, — denke an Deinen x Pilgergesang i.
Deine t Präludien >, — Deine «Trauermusik», Deinen
t Sphärengesang r> — —
«Jai, — murmelte er und ein stilles Lächeln zog
über sein Gesicht — «ja; den auf der vox angelica ... 1
Komm', auf's Telegraphenamt ! »
*
Der Herr Anatol Peternik in Neutitschein, der vor
vier Tagen die Stelle zugesagt erhalten, bekam ein
tüchtiges Abstandsgeld. Die alte herrliche Orgel merkte,
dass sie jetzt einen Meister erhielt ; einen , den sie
schon kannte!
Und der Meister, Hans Eggmühl, sagte in seiner neuen,
heiteren Weise: «Wer darf mich bedauern? — Blind? —
Ich war's früher; jetzt wohne ich im hellen Lichte!»
EIN BRIEF VON UNTERWEGS
VON
H. E. VON BERLEPSCH.
})m Kunstverein zu München hingen V^orfrühlings- Oberlichte aber lag der Schnee in einer Dicke, die man
und Frühlingsbilder die schwere Menge, auf dem grossen dankbarer Weise als eine massige bezeichnen musste.
k-
^V- -^ . _, [■III M-^
Afax Lieiermann. N'ähschule.
es waren ja blos ein paar Zoll. Den Finken und Amseln eigentlich sammt und sonders ä la Eskimo gehalten
blieb das Lied vor lauter kühlen Frühlingslüften im sein müssen. Am Ofen stehen, die Hände wärmen und
Halse stecken und die neuesten Frühjahrsmoden hätten dazu singen: «Der Mai ist gekommen, die Bäume
10*
70
DIE KUNST UNSERER ZEH'.
schlagen aus», das ist etwas seltsam, dnmi fiihr ich in
der angefangenen Strophe weiter
cDa bleibe, wer Lost hat.
Im Pdte za Haut —
Irgendwo musste doch die Sonne scheinen, aber wieviele
Breitegrade südlicher wohl? Probiren geht über studiren,
drum eingepackt
und fort, fort, über
den Brenner. Ja !
da schien die
Sonne, aber ihre
Strahlen erinner-
ten mich stark an
Blümchencaflee
oderandereDünn-
heiten. In Bozen
blühte es wohl,
aber ich bekam
den Eindruck, den
etwa weissgeklei-
dete Festjung-
fraucn mit blau-
gefrorcnen Nasen
machen, also wei-
ter, weiter. Ganz
undankbar will ich
nicht sein; hinter
Ala, bei der ita-
lienischen Grenze,
wie sich das üb-
rigens ganz von
rechtswegen ge-
hört , wurde es
warm oder sagen
wir w — ärmlich.
Die Berge waren
duftig blau, ein-
zelne kleine
Dun.stballen am
Himmel erinner-
ten daran, was für
ein gräulich dunkles und unliebenswürdiges Wolken-
chaos weiter nördlich über der Welt schwebe ; an den
steinigen Berghalden standen grosse Baum - Bouquets,
roth, weiss, lila — ich verstieg mich zu dem zwar nicht
ganz neuen, aber doch immer wieder wahren Gedanken,
dass hier die Natur etwas Brautliches habe — während
bei uns im Norden noch kaum von Verlobtsein die Rede
war ; dann kamen die wunderbar grossartigen Felsmassen
der Veroneser Klause, die prächtige Landschaft um
Domicigliara, von fem dämmerten blau-neblig die Thürme
der Stadt Dietrich's, des deutschen Helden auf, dann
Vorwerke über
Vorwerke, Wälle,
Hrückenköpfe
und was weiss ich
sonst für Köpfe,
weiter .die mäch-
tige Porta nuova,
die starren mäch-
tigen Quadermas-
sen des Amphi-
theaters — ja,
Verona ist viel,
viel italienischer
als manche weit
südlicher gele-
gene Stadt. Auf
der obersten Ter-
rasse desGiardino
Giusti brannte die
Sonne wirklich
ganz anständig.
Also endlich ein-
mal! Drunten in
den Strassen aber
undaufdenEtsch-
brücken blies ein
Wind , frostig,
kalt, staubaufwir-
belnd , zahnweh-
bringend. Und
aus diesem Zahn-
weh kam dann
etwas Anderes,
ein geschwollenes
Gesicht in optima
forma. In einem italienischen Gastliofszimmer zweiten
oder dritten Ranges aber tagelang mit solch einer un-
freiwilligen Gesichtsvergrösserung sitzen und Va.seline
in solchen Quantitäten auftragen müssen, dass selbst
der älteste , härteste Seehundsfell - Koffer wieder weich
Max Lietermann. Gartca - Gang.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
77
würde, das ist ein Genuss problematischer Art. — Man
feierte das fünfzigjährige Priesterjubiläum des Bischofs;
übrigens war es vielleicht auch blos das vierzig- oder
dreissigjährige — ich weiss es nicht. Jubiläen regnet
es ja heutzutage nur so , hat doch in München der
Pächter eines grossen Restaurants das t einjährige Jubi-
läum» seiner Installation mit
bengalischer Beleuchtung und
grossem Tarn - Tam - Schlagen
gefeiert. Es wird wohl nimmer
lange dauern, dass man z. B.
den Jahrestag des ersten
glücklich bestandenen Ban-
kerotts feiern und sich im
Freundeskreis daran erinnern
wird, wie viel man aus solchem
Schiffbruche gerettet hat.
Das zählt Alles auch zur
«Kunst unserer Zeit».
Zu dem Bischofsjubiläum
strömte natürlich viel Volk
herbei, auch gro.sse Kirchen-
fürsten. Selbstverständlicher
Weise war das Anlass zu
mannigfach ersonncner Deco-
ration, das Nobelste sollte
der Dom enthalten. Wenn
man in den Berichten des sechzehnten Jahrhunderts
von solchen Festdecorationen liest, so hat man allen
Grund, an schöne Dinge zu denken, halfen doch die
grössten Künstler bei solchen Gelegenheitsdecorationen
mit, aus deren spontanem Entstehen sich gar oft Kunst-
werke bleibender Art herauskrystallisirten. Kein Wunder,
wenn man also mit Erwartungen nicht geringer Art bezüg-
lich solcher Dinge dann die Hallen eines imponirenden
Bauwerkes betritt. Aber ach — da muss man alle
speranza lasciare. Es war das dümmste, geschmack-
loseste Zeug, gerade wie wenn es von lauter Tapezierern,
die sich ja mit Vorliebe * Decorateurs » nennen, gemacht
worden wäre : Schlappe Vorhänge aus dünnem, parallel-
faltigen Stoff zwischen den Säulen und über den Altären,
Guirlanden von der Magerkeit italienischer Municipio-
Cassen , aber viel Commando und Aufregung. Also
auch da wie bei uns! Ich floh. Wo man auf Weg
und Steg von Eindrücken künstlerischer Art verfolgt
wird , die allerdings mit der Vergangenheit , nicht mit
Max Litbtrmann. Kinderportrait
unseren Tagen, in Verbindung stehen, da hat es etwas
Trostloses an sich, sehen zu müssen, wie eine der her-
vorragendsten Eigenschaften . eines Volkes, grosse, welt-
bewegende Begabung für Alles, was Kunst heisst, bis bei-
nahe zum Gefrierpunkt herabsinken kann. Man schaut
durch so und so viele stolze Palastportale und erblickt
dann Dinge, ob denen einem
die Haare zu Berge stehen:
An der Hausmauer inwendig,
die dem Portal gegenüber
liegt, allerlei gemalte Park-
und andere Landschaften, die
es deutlicher als alles Uebrige
sagen, dass Italien nicht der
Boden der decorativen Land-
schaftsmalerei par excellence
sei. Nein, es ist zum Theile
geradezu fürchterlich, diese
Veduten , die eine optische
Täuschung hervorbringen
sollen und bei deren An-
schauen man sich über den
Geschmack der Palazzi- be-
sitzenden Bevölkerung beim
besten Willen nicht hinweg-
täuschen kann. Es sind eben
auch Hausbesitzer.
Ich sah später diejahresausstcllung zu Florenz und bekam
da erst recht die Ueberzeugung, dass jene Veroneser
Palasthof-Malereien durchaus nicht der Ausfluss localer
Kunstgebarung seien. Davon später ein Wort, man muss
mit dem Aergsten nicht gleich schon anfangs kommen.
Das Alte — all das war bezaubernd wie immer, gross,
stolz , schön , menschlich wahr , viel wahrer als die
meisten Veristi, und dann konnte ich mich ausserdem
des Gefühles nicht entschlagen, dass den Alten auch
was eingefallen sei und sie wahrscheinlich aus unserer
Zeit auch einen künstlerisch grossen Extract zu ziehen
verstehen würden, wenn sie lebten. Das kann man
unseren modernen Künstlern nicht in allen Fällen nach-
sagen, noch viel weniger aber jenen, die aus vergangenen
Kunstperioden das eine oder das andere Fett-Auge ab-
zuschöpfen bemüht sind, um es uns als eigene moderne
Arbeit aufzutischen.
Ich wanderte durch die Porta Vittoria nach dem
Campo Santo hinaus, um das Eine und Andere wieder
78
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
einmal zu sehen, doch auch da w-ar's mir, als hätten
die Neuen von den Alten nicht viel anderes geerbt,
als den Meissel und den Bohrer ; einiges wenige zeugte
von wirklich plastischem Sinne, das Gros war marmornes
Gigerlthum. Wenn man damit die ernsten grossen,
beinahe plumpen Säi^e in dem eng umfriedeten Platze
vergleicht, wo die Scaligergräber stehen, so will es fast
scheinen, als wäre unserer Zeit das wahre künstlerische
Mark und Bein abhanden gekommen. Von den riesigen
Baldachinen mit ihren mächtigen bekrönenden Reiter-
figuren will ich gar nicht sprechen, aber diese eckigen,
trottigen, ungeschlachten Erscheinungen charakterisiren
Max Liibtrmitim. Schustfrwerkstätte.
ihre Zeit doch in einer <^7\m wesentlich anderen Weise, grossen, stolzen Zügen, ein Abbild eiserner männlicher
als CS die Mehrzahl unserer neuen Monumente mit und Wiliensfestigkeit. Ja — mir fiel immer wieder ein, was
ohne Pferd thun. Das Gewand macht s nicht aus, ich der unglückliche Stauffer. den die Welt natüriich für
könnte mir einen Mann unserer Zeit, einen Bismarck einen Realisten vom reinsten Wasser hält, in einem
beispielsweise, sehr gut denken wie den Colleoni zu seiner Briefe von Rom schrieb: « Mir wird immer klarer,
V^enedicr oder den machtisien Gattamclata zu Padua, in dass Malerei ist, was man nicht photographiren, Plastik,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
79
was man nicht nach dem Leben abgiessen kann. »
Und Stauffer muss als Künstler doch mit unter die
Ernsthaftesten unserer Tage gerechnet werden ! Freilich
hat er Das, worauf es ankommt, auch erst recht be-
greifen gelernt, als er nach Italien kam. Dass er da
in Menge sah, wass man auch bei uns an einem Dürer
und Holbein lernen kann , hat bei ihm die feste un-
wandelbare Anschauung über den Ernst der Kunst erst
richtig gezeitigt. Es wird sich später in einer ge-
sonderten Arbeit Gelegenheit geben, des Speciellen
auf diesen leider allzufrüh geschiedenen Künstler zurück-
zukommen und sein eigentliches Glaubensbekenntniss
an der Hand seiner Briefe und seiner zum Theil geradezu
ausserordentlich grossartigen Gedichte wiederzugeben. Er
war einer von Jenen, die von den Alten lernten, ohne auch
nur im Entferntesten in den Fehler zu verfallen, sie in
Acusserlichkeiten nachmachen zu wollen. Diese sind
es, die wir abstreifen müssen, weil sie uns zum reinen
Selbstbetrug führen ; aber mache sich Keiner weis, auch
der Beste nicht, dass er der Natur irgendwie näher
stehe, als es die Alten gethan haben; die Wahrheit,
die ein Dürer ebenso wie ein Rafael oder Velasquez
in ihre Portraits legten, kann ganz einfach nicht in
schlagenderer Weise gegeben werden. Die wirklich
grossen Künstler aller Zeiten werden eben doch immer
zu Recht bestehen bleiben ; ihre Sprache war frei von
den Schlagworten unserer Tage, die im Grunde genommen
nichts als Tagesmoden bezeichnen und der eigentlichen
Kunst gegenüber mehr wie Curiosa oder Abnormitäten
wirken, die vielleicht einmal pfundweise verkauft werden.
Kunst und Natur werden bei aller künstlerischen Wahr-
haftigkeit immer zweierlei Dinge bleiben. Wird die Natur
zur Kunst, dann verleugnet sie ihr Princip absoluter
Freiheit, umgekehrt aber fehlen uns die Mittel, um die
Kunst der Natur völlig gleich zu machen.
Eine F"ahrt durch die lombardische Ebene, ausser
an den Ufern des Po, ist in den meisten Fällen ein
Genuss zweifelhafter Art, zumal bei trübem Himmel.
Das regelmässig bebaute Terrain mit seinen endlosen
geraden Linien bietet nichts, was nicht beinahe mit
Cirkel und Lineal zu machen wäre; hin und wieder
unterbricht ein Gehöft die Gleichartigkeit der Um-
gebung, manchmal auch eine bis zur Unkenntlichkeit
geschnittene Pappel , der man nur ein ganz, ganz
kleines Büschel von Zweigen am obersten Ende gelassen
hat. Und wenn 'das nun obendrein grau in grau da-
steht, das Auge umsonst nach irgend etwas sucht, was
perspectivische Wirkung in das Ganze brächte, so darf
man doch wohl das Wort « Langeweile > in nahe Be-
trachtung ziehen. Station um Station immer dasselbe,
in Mantua unterbrochen durch Häuser, deren Aussehen
mit dem Begriffe der Ungemüthlichkeit in allernächster
Beziehung steht; auf den seichten Wasserbecken, welche
sich um die Mauern derFestung ziehen, spielten in milliarden-
facher Menge die kleinen Kreise, welche durch den nieder-
träufelnden Regen entstehen, an der Station rannte ein
heiser geschrieener Zeitungsverkäufer auf und nieder ; an
der zerbröckelnden Mauer des Gebäudes kauerte ein altes,
in zerfetzten Kleidern fröstelndes Weib und bot saure
Orangen zum Verkaufe — es war ein Stimmungsbild
bester Sorte. Endlich, Gott sei's gedankt, tönt von
vorn der Ruf: Tenzal (partenza), von rückwärts klingt
es wieder: Prontil dann ein Pfiff der Locomotive, der
sich anhört wie die Stimme eines jungen Mannes in der
Periode des Mutirens, ein ächzender Stoss und wieder
hinaus in die Landschaft, an deren grauem Horizont
bald die letzten Silhouetten von Dächern und Thürmen
im Regen-Nebel verschwinden. Das war so ein Stück
von italienischem Frühling!
Endlich kam Modena, weiter Bologna, wo es mir in
der Eile erging wie am Billetschalter zu Ala ; es wurden
mir nämlich verschiedene falsche Geldstücke zuge-
schoben, die man aber hier wie dort nicht anzunehmen
braucht, nachdem es ja selbstverständlich an beiden
Orten « blos aus Versehen » geschah , und zwar ver.
schiedenen Reisenden gegenüber, die sich darüber be-
schwerten. Ich glaubte übrigens irgendwo an einer
nördlichen Bergbahn zu sein, denn es sah im Apennin
nicht um ein Jota anders aus als am Brenner. Die
Hänge ohne Grün, die Bäume blätterlos, die Schluchten
und Runsen der Bergbäche halbdämmerig, die Menschen
überall mit dem Stempel frostiger Empfindung, die
weiten Radmäntel um die Ohren geschlagen und miss-
vergnügten Gesichtes die Reisenden betrachtend, vielleicht
auch mit Wehmuth der Zeiten gedenkend, wo der kate-
gorische Imperativ tFaccia per terra» die Diligence-
Einwohner zittern machte, so dass sie sich ruhig die
Taschen ausleeren Hessen. Gerade die Gegend hinter
Bologna war berühmt; kleine Banden sollen auch jetzt
noch hin und wieder auftauchen, die grossen aber setzen
sich aus lauter « anständigen » Leuten zusammen und leben
80
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
nicht mehr im Buschrevier, vielmehr nehmen sie öffentliche
Stellungen ein, wie z. B. die behördlich angestellten
Kirchen-Restauratoren, die, um einen speciellen Fall zu
nennen, an San Marco zu Venedig sehr viele Steine
aus den Mauern brechen Hessen, «weil sie nicht mehr
gut seien > . Dass die ausgebrochenen Blöcke zum Tlieil
die kostbarsten antiken Marmorsorten und trotz ihrer
« Unbrauchbarkeit > für colossales Geld nach England
verkauft worden seien, das freilich stand nicht in den
ofliciellen Berichten, aber wahr ist es deswegen doch.
Wer Freude an Tunnels hat, kann sich hier gütlich
thun, es sind ihrer viele. Endlich waren wir auf der
Höhe. Da lag nun tief, tief unten das alte schöne
Pistoja im vollen Sonnenschein. Dann ging's in weitem
'^■^^^-■^'•^'^
^^ts^-^ar.mm.^r^-
^t \m
Max Liiierman». Interieur.
Bogen über das Schlachtfeld, wo Catilina fiel, hinab in's
Tiefland, immer weiter ins volle, südliche Licht hinein.
Dann kam Prato, die herrlichen Hügel von Fiesole,
drüben grüsste San Miniato, der Campanil und die
mächtige Kuppel des Domes ragt über den Baumkronen
und Dächern empor — mir schlug das Herz, als müsst'
ich einem alten Schatz in die Arme fliegen , ich hätte
jauchzen mögen und den ersten besten Menschen um-
armen. Jetzt nur schnell , schnell heraus und fort in's
Quartier und dann wieder hinunter — doch nein, was
zum Fenster hinaus sichtbar ist, das ist schon eine
ganze Welt voller Erinnerungen. Die Strasse ist nach
Leo X. benannt, gleich daneben heisst eine andere nach
Lorenz© Magnifico — offenbar hat man sich beim
strassentaufenden Municipio gelegentlich einmal daran
erinnert, dass es einst Medici in Florenz gab ! Nicht weit
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
81
Emil ZimmtrmaHH. Studie.
vom Fenster fliesst der Mugnone am Wall hin, der diesen
äussersten neuen Stadttheil abschliesst, nicht etwa aus
fortificatorischen Gründen , .sondern in gleichem Sinne wie
die «Linie», der viel besprochene Mauergürtel, die Stadt
Wien davor bewahren musste, dass keine Kartoffel und
keine Wurst unverzollt in die Stadt gelange. Auf dem
Wall gehen die Wächter des Gesetzes auf und ab —
was gilt ihnen der F"rühling, die herrliche Landschaft,
sie sind die Augen der städtischen Finanzwirthschaft,
und das enthebt den Menschen aller überflüssigen Ideen
über — nun z. B. über Poesie und andere Herrlichkeiten.
Jenseits des Mugnone ein Vorterrain, das herrlichste
was man sich denken kann : grüne, wirklich grüne Wiesen
mit duftenden Blumen, ganze grosse Büschel blühender
Rosenstauden, Baumgruppen , Pappeln , Cypressen und
volle Laubwipfel , zwischen denen 4iin und wieder ein
flaches Dach hervorschaut, dann sanft gewellte Hügel-
ketten mit prächtigen Gärten und Villen, Alles wie breite
grosse Treppenanlagen aufsteigend, unendlich schön in
der Linie, in der Farbe, dort die Villa Palmieri, in der
Boccaccio dem « Decamerone » das Leben gab — und
darüber die Höhen von Fiesole mit den niederblickenden
Häusern , jene Hügel , an deren Erscheinung ein Liebreiz
eigener Art hängt und endlich zum Schlüsse in weichen,
weitgezogenen Linien tiefblau der Appennin I Ja, es ist das
alte , herrliche Florenz , die Blumenstadt — verzeih' mir's,
nordische Heimath , dass mein Herz so voller Jubel ! Viel-
leicht ist's das Frühjahr allein, der Sonnenschein, ein Paar
Blumen — — vielleicht, vielleicht auch das Gedenken, dass
hier der Boden ist, von dem aus die Befreiung der Geister
sich vorbereitete , kurzum der Boden , der mit dem Worte
«Renaissance» verbunden ist, wie der lebende,
athmende Körper mit dem Blute, das zum Herzen
strömt und von dort wieder bis in die feinsten
Aederchen des verzweigtesten Organismus hinaus-
getrieben wird. Freilich haben die Quattro-Centisten
und Cinque - Centisten nichts gewusst von der Be-
zeichnung, welche ihrer Zeit und ihren Bestrebungen
von einer späteren Periode gegeben worden ist.
Auch ist das Wort «Renaissance» zum Theil gar
nicht richtig, denn die befreienden Thaten des
Geistes und der Kunst waren zu eigenartiger Gattung,
als dass sie wie eine aufgewärmte Geschichte an-
ge.schaut werden konnten, rissen sie doch den ganzen
Menschengeist in Bahnen, die er früher nie gekannt hat.
Die Renaissance im weitesten Begriffe war eine Revolution
in des Wortes edelster Be-
deutung, und wenn man einen
der Hauptherde dieser um-
gestaltenden Geistesbeweg-
ung kennen lernen will, so
ist die Arno-Stadt wohl die
edelste Vertreterin. Und wer
es versteht, zu geniessen,
sich Eindrücke zu holen, die
haften bleiben wie die Er-
innerung an grosse Melodien
und Bilder, der wird auch
ohne Reisehandbuch da seine
Rechnung finden , es heisst
blos: « Die Augen aufmachen,
um nicht lediglich optische
Eindrücke zu haben, sondern
um damit zu fühlen ! » Freilich
laufen die meisten Menschen
als Namens- und Datumver-
zeichnisse in der Welt herum
Ernst Zimmermann. Studie.
11
DIE KUNST UNSERER ZEri".
und glauben, den Zweck einer Reise vollständig erreicht
zu haben, wenn sie das im Reisehandbuche Gesagte mit
dem Originale vei|^leichen. Am amüsantesten aber ist
jene Quote, die a tout prix bewundem. So sah ich in
der Accademia ein Häuflein Leute stehen, die nach Er-
oberung der zum Leben nöthigen Mittel in der Neuen
Welt sich nun an den Culturwundem der Alten ergötzen.
Unter einem Bilde stand v Ignoto > (unbekannt), worauf
denn eine Dame
der Gesellschaft
erklärte , dieser
Maestro Ignoto
müsse offenbar ein
seltsamer Kauz
gewesen sein,
denn man finde
Kilder von ihm,
die unter sich sehr
verschieden seien.
Ob die gleiche
Dame es war, die
beim Besuche des
Palazzo l'itti eine
leere Stelle an der
Wand mit der
Bezeichnung
tCopiasi> (d. h.
das Bild wird co-
pirt , hängt also
nicht da) dahin
deutete, dass alle
Bilder des Malers
Copiasi wegge-
nommen seien —
das weiss ich
nicht, aber sicher
ist, dass man un-
ter dem riesi<;en
Schwärm der Kunst-Reisenden, man sollte sie eigentlich
Kunst-Hyänen 5 nennen, Exemplare trifft, die in guter
.-\uswahl zusammengestellt bei Barnum ein Riesenaufsehen
erregen würden. Sie stechen um so mehr von der
Umgebung ab, als das Volk ringsum lebensfroh, heiter,
liebenswürdie ist. wenn auch Manches verschwunden er-
scheint, was einer anderen Zeit den Stempel grosser
Denkweise gab. Was am Italiener Jedem, der ihn kennt,
hrmt Zimmtrmann. I'ortrait- Studie.
in erster Linie angenehm auffällt, das ist die Genti-
lezza, vor Allem auch des Vornehmen. Die näselnde Von-
Oben - Herab - Behandlung , die in Deutschland so sehr
beliebt ist und in gewissen Kreisen zu den aristokratischen
Allüren gezählt wird , i.st dem Romanen fremd. Andere
Dinge freilich berühren uns Barbari Tedeschi sonderbar.
Da existirte mitten in der Stadt das Viertel, das
die Bezeichnung des t Mercato vecchio > trug ; man
kann sagen , es
sei das Herz von
Florenz gewesen,
war ea doch das
alte Forum ; es
existirt seit
allerneuester Zeit
nicht mehr. Die
engen Ga-s.scn, die
feuchten, moderi-
gen Winkel muss-
ten dem Bedürf-
nisse unserer Tage
nach Luft und
Licht weichen,
man riss kurzweg
alles nieder. Dass
aber das Stamm-
haus der Medici
mit fallen musste,
da.ss das Haus des
Brunellesco fiel,
(las legt die Frage
nahe, ob da nicht
neben dem Sanir-
ungs - Bedürfnisse
auch ein gutTheil
Barbarei und
grobe Ignoranz
sich geltend ge-
macht habe; wo die glorreiche Geschichte eines Gemein-
wesens mit Namen verknüpft ist, wie es bei Florenz dem
Namen der Medici und dem des Brunellesco gegenüber
der Fall, da taucht doch mit Berechtigung die Frage
auf, ob solche Wahrzeichen ruhmvoller Vergangenheit
nicht der Schonung ä tout prix werth gewesen wären!
Camillo Boito, der kürzlich einen Vortrag hielt, äusserte
sich dahin , dass , wenn er diese Zerstörung des alten
Ernst Zimmermann. Skizze.
11'
84
DIE KUNST UNSERER ZEn\
Centrums von Florenz ansehe, es ihm vorkomme, als
müsste er der Section eines ihm geliebten Wesens, das
mit behördlicher Genehmigung ermordet worden, bei-
wohnen, c Niemals wieder » , schloss er , t soll mein
Fuss, weder bei Sonnen- noch bei Mondenschein, da
ruhen, wo das neue Florenz sich als Centrum der Stadt
aufthut. > Es ist doch manchmal, wie wenn die Vor-
sehung sich mit
städtischen Ver-
tretern schlechte
Witze erlaubte ;
diese Erfahrung
kann man auch an-
derswo machen.
Uebrigens regt
sich in Italien in
den wirklich ge-
bildeten Kreisen
allgemein ein
Aberwille gegen
das rücksichtslose
Zerstören der
Monumente und
historischen
Plätze, und man
ist daran , einen
Gesetzentwurf
einzubringen, wo-
nach keine Com-
mune mehr von
sich aus bauliche
Aenderungen vor-
nehmen darf, wo-
bei die Existenz
historischer
L'eberbleibsel be-
droht wird. Die
Regierungsbau-
meister wütheten
hier mit ebenso-
viel Geschick, als sie es anderswo thaten, es bei deutschen
Kirchenrestaurirungen in vielen Fällen noch thun ! Natür-
lich, wer ein Staatsexamen hinter sich hat, ist eo ipso
jjescheidter als andere Leute, folglich muss das auch gut
>ein, was aus den Gedankenwerkstätten solch staatlich
concessionirter und privilegirter Kunst-Bildungs-Inhaber
hervorgeht. Man schaue nur manche dieser Architektur-
producte an, wenn man sich den Appetit für modernes
Bauwesen gründlich verderben will. Erstünden schliess-
lich noch Dinge, ob deren Vorhandensein man sich
freuen kann, so läge die Sache vielleicht ein wenig
anders. Aber es ist in Florenz ebensowenig wie in Rom
oder sonstwo der Fall, denn die personificirte Langeweile,
nicht etwa ein
grosser Zug des
modemenGeistes.
macht sich da
breit und sagt es
laut, wie weit die
Fähigkeiten der
Enkel jenen der
Vorfahren ent-
sprechen. Wohl
kehren die For-
men der architek-
tonischen Vorbil-
der, die auf Schritt
und Tritt einem
vor die Augen
treten , auch an
den modernen
Bauten wieder,
aber sie wirken
wie aus Pappen-
deckel herge-
stellt; der Geist,
der die Riesen-
quadem des Pitti
aufeinander
thürmte, er fehlt,
und bei alledem
begegnet man
dennoch nicht
einem genialen
Wurfe, wie ersieh,
den Bedürfnissen
unserer Tage ent.sprechend, z. B. in der Galleria Vittorio
Emmanuele zu Mailand zeigt. Mit dem Ausbau der Dom-
fagade war weiter nichts erreicht, als die Abtragung einer
Ehrenschuld, Das völlige Abreissen des Mercato vecchio
aber setzt diesem einen Factum ein Fragezeichen von
riesiger Grös.se entgegen. Vielleicht fällt es demnächst
Krnit Zimmtrmatißi. Studie zu dem Bilde : < In der Kirche, >
03
t-,
CD
N
03
O
0)
Q
/
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
85
Jemandem ein, an Stelle des Ponte vecchio eine moderne
Eisenconstruction zu setzen oder die Kuppel des Domes
zu einer Central-Telephonstation umzugestalten, warum
denn nicht! Eines bleibt aber doch zu hoffen übrig,
dass man nämlich in Florenz nicht thue, was in einer
grossen, modernen Millionenstadt möglich war: Ein
monumentales Wachsfiguren- Cabinet, ein Panopticum,
so zu sagen als Mitte der Stadt, wo Berühmtheiten
der allerverschiedensten Art vom Publicum angestaunt
werden, dassolche
Curiositäten für
Kunst hält und da-
ran seine Studien
macht I Es ist nur _
zu venvundern,
dass man noch
keine Wachs-
figuren -Stand-
bilder mit wirk-
lichen Röcken und
Hosen auf öffent
liehe Plätze stellt.
Vielleicht kom-
men wir auch
noch zu dieser
Errungenschaft.
Italien hat eine
Schule , sowohl
unter seinen
< hommes de
lettres » wie auch
unter den Künst-
lern, welche sich
«Veristi » (Wahr-
heits- Apostel)
nennen ; man kann
beiden nicht ab-
sprechen, dass sie
mit ehrlichem Willen bestrebt sind, ihren Ideen an der
Hand von allerlei guten und nicht guten Schöpfungen
Geltung zu verschaffen. Ich hatte mir lange, lange Zeit
den David von Michelangelo in der Accademia angeschaut
und dabei hin und her überlegt, auf was für neuen Prin-
cipien eigentlich die Wahrheitsbringer der Kunst unserer
Tage ihre fruchtbaren Theorien aufbauen, ob sie im
Stande seien, die Natur auch nur in einem Punkte
.-:äC:-r:
Ernst Zimmermann. Studie
realistischer wiederzugeben, als sie, um nur ein einziges
Beispiel zu nennen, gerade in dieser Davidsfigur wieder-
gegeben ist, bei der allerdings ausser der anatomischen
Wahrheit des Körpers auch noch ein anderer Umstand
mitspricht , der künstlerische Geist nämlich , der die
todte Materie belebt und aus dem jugendlich unge-
schlachten Menschen eine riesengrosse, beinahe fürchter-
lich wirkende Erscheinung geschaffen hat! Noch ist
Goliath nicht überwunden, das Wohlfeilste, der Schwert-
streich , der das
Haupt des Riesen
vom Rumpfe
trennt, liegt noch
in weiter Ferne,
es ist vielmehr das
Auflodern des Ge-
dankens in dem
jugendlichen
Kämpen : Mein
Wurf muss ihn
fällen ! Der ganze
Ideengang ist nur
auf das eine Ziel
gerichtet, die
Hände , welche
das Wurfgeschoss
bergen , drehen
dieses unwillkür-
lich, der Kopf, das
Sinnen in dem-
selben hat mit der
Bewegung der
Gliedmassen ab-
solut nichts zu
schaffen. Und was
sind das für Glied-
massen ! Es sind
Hände , die an
rauhe Arbeit gewohnt erscheinen, ihr grobknochiger Bau
spricht dafür ; der ganze Körper sagt es, dass diese Mus-
culatur nicht in der Stube gross geworden ist, es liegt
durchaus nur der Ausdruck des Naturkindes in der ganzen
Erscheinung, nichts verräth das spätere Avancement
zum König ! Ich wüsste nicht , ob die Aufgabe
realistischer und schöner zugleich hätte gelöst werden
können. Michelangelo nahm bekanntermassen ein bereits
/
86
DIE KUNST UNSERER ZEFF.
angehauenes Stück Marmor für diese Figur. Ursprüng-
lich war das Material für eine ganz andere Statue
bestimmt und diese auch bereits in den Hauptmassen
angelegt. Sie blieb unvollendet liegen, bis der Meister
der Medicäer - Graber sich des angehauenen Blockes
bemächtigte und ohne weiteres aus demselben die
jugendliche Heldenfigur herausschälte. Ein ungemein
interessantes Stück, in einzelnen Theilen ganz vollendet,
in anderen noch völlig mit dem Blocke verwachsen,
ist der im Hofe der
Accademia aufgestellte
Matthäus, eine Figur,
wenn man die Meissel-
Skizze so nennen soll,
in der sich ebenfalls die
ganze Wucht der An-
schauung des grossen
Meisters documentirt.
Man sieht an den kühn
weggehauenen Partien
förmlich die Hast, die
Ungeduld des gestalten-
den Künstlers, der nicht
schnell genug in Form
und Linie vor sich
sehen konnte, womit
seine Riesenphantasie
bereits vollständig im
Klaren war. Das aber
gerade ist es, was nicht
blos seinen, sondern sehr
vielen Bildwerken des
Quattro- und Cinque-
Cento jene Unmittel-
barkeit giebt, die in
vielen Fällen vom Bild-
hauer direct, ohnePunk-
tirung nach dem Gyps-
modell. aus dem Stein entwickelt wurden. Es gehörte
dazu allerdings eine tiefgehende Kenntniss der Formen
und bestimmte, absolut klare Vorstellung des Gewollten.
Unsere modernen Bildhauer dagegen stellen sich zu-
näch.st ein Modell aus Thon her, lassen es dann abformen
und beginnen die Steinarbeit erst nach Fertigstellung
des Gypsmodells; die Steinfigur ist mithin im Gnmde
genommen kein Original, sondern eine Copie nach dem
Ernst Zi»
Original-Modell, ein Umstand, der sich oft gar deutlich
durch die mangelnde Frische fühlbar macht. Der in
Florenz lebende Bildhauer Hildebrand, ein Künstler, an
dessen Werken jeder Unbefangene Freude empfinden
muss, hat bei seinen letzten Arbeiten das Princip der
Alten befolgt, direct aus dem Stein heraus nach der
Natur gearbeitet. Es wird sich in einem speciellen
Artikel Gelegenheit finden, auf die trefflichen Arbeiten
dieses Künstlers zurückzukommen, dem es verübelt
wurde, dass er als deut-
scher Künstler in Flo-
renz lebe, wie wenn es
irgend einem Menschen
zu verargen wäre, wenn
er lieber an der Quelle
trinkt, als aus zweiter
Hand. Oder wird am
I-lndc gar eine Professur
an einer deutschen Aca-
demie als der höchste
künstlerische Endzweck
ange.schaut ? Möglich,
dass es Käuze gibt, die
das glauben.
Unweit vom David
in der Accademia hängt
ein Bild, das weibliche
Figuren in einem Baum-
haine zeigt und wohl
irgend eine Allegorie
auf Jugend, Schönheit
und Frühling darstellt.
Näheres darüber weiss
ich nicht. Ich weiss
blos, dass es von Sandra
Botticelli gemacht und
eines jener Bilder ist.
die unter der Erinnerung
an tausend und abertausend bemalte Leinwanden ebenso
fest und nachdrücklich haften bleiben wie die Figur der
Magdalena zu Füssen des Kreuzes Christi von Luca
Signorelli. Bei jenen blondgelockten, wundersam schönen
Figuren auf dem Frühlingsbilde des Botticelli (dessen
Würdigung als Galleriebild man der Fürsorge von Dr.
Bayersdorffer in München zu verdanken hat , der es
irgendwo aus einem dunklen Winkel an's Licht beförderte)
Zahme Indianer.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
87
musste ich unwillkürlich an Böcklin und Klinger denken,
und es ist mir unschwer, zu glauben, dass Beide dieser
Schöpfung von ganzem Herzen zugethan sind. Die
Schönheit, die sich darin ausspricht, hat gleichzeitig
etwas Hoch poetisches, es ist ein gemaltes Gedicht.
Uebrigens wenn man hier im Frühling herumschlendert
an den Berghängen von Fiesole und Settignano, dann
versteht man Böcklin in vielen Dingen erst recht, denn
die Umgebung von Florenz hat ihn zu gar mancher
Schöpfung begeistert; oft, wenn ich grüne, blumige
Wiesen, die im Grunde genommen durchaus mehr land-
schaftlich als architektonisch wirkenden Villen in ihrer
so fabelhaft malerischen Gruppirung der einzelnen Theile
des Gebäudes, die farbigen Rosenhecken längs
der Wege, die feurig blühenden, in grossen
Büscheln zusammenstehenden wilden Tulpen
und die silberig leuchten-
,'^ /^i ,
den Oliven, darüber aber
den Himmel mit seinen
grossen weissen , langsam
dahinziehenden Wolken-
schiffen sah, da war's mir,
als müsste ich mich an irgend eines
der schönen landschaftlichen Bilder
des Schweizer Meisters erinnern. Er
hat sein Atelier übrigens an der
Strasse längs dem Mugnone hin ge-
habt und brauchte nur aus dem
Atelierfenster zu schauen , um den
prächtigsten Landschaftszauber auf
sich wirken zu lassen. Dieser Um-
stand veranlasste seiner Zeit ein paar
Besucher seines Ateliers, die nicht
recht wussten, was sie zu den Bildern
sagen sollten, zu dem Ausspruche:
«Die Aussicht von hier gehört doch wohl mit zum
Besten an diesem Atelier», worauf Böcklin trocken er-
widert haben soll, «wenn Sie sich die Mühe nehmen
wollen, hinauszugehen, so haben Sie das unten auf der
Strasse noch weit schöner. > Ob die Besucher den
deutlichen Wink verstanden, erzählt die Geschichte
weiter nicht. Wo es übrigens so viele herrliche Sachen
zu schauen gibt, muss man doch auch der malenden
und bildenden Kunst unserer Zeit gedenken und nicht
einseitig nur an dem « überwundenen Alten » seine Freude auch mit anderm Curs segeln könne , dann F. Pagiii,
haben. Es traf sich günstig. Unweit der Accademia Salmoni, Gluzzani und Torregiani. Ob sich noch weitere
in der Via Colonna sind die Säle der Jahres- Ausstellung
gegen Erlag einer Lira mitsanimt ihren Kunstschätzen
zu besichtigen, und es wird kaum Jemand, der jene
Räume betritt , sie unbefriedigt verlassen ; was man da
zu sehen bekommt, ist so köstlich humorvoller Natur,
dass es gewiss den griesgrämigsten Griesgram zu einem
Schmunzeln, zu einem Lächeln, vielleicht zu einer ge-
sunden Erchütterung des Zwerchfelles bringt. Ich weiss
nicht, wie sich jene Schule nennt, die Weiss, Violett,
Cadmium , knallendes Blau und noch einige recht
leuchtend aussehen sollende Farben mit dem Spachtel
auf die Leinwand aufsetzt,
mit dem Pinselstiel einige
Striche hineinmacht und das
Ganze als Malerei bezeich-
net. Was Paris in dieser
Hinsicht bis zur äussersten
Grenze der Caprice geleistet hat,
ist reines Kinderspiel gegen einen
Theil der Arbeiten auf der Floren-
tiner Jahres- Ausstellung; soviel ich
ersah, traten diese Dinge auch
offiziell in den Wettstreit mit allen
übrigen Leistungen ein , sie waren
als «zur Preisbewerbung angemel-
det » bezeichnet. Je nun, eine Jury,
welche diese Sachen aufnimmt, wird
sie wohl auch prämiiren, und es gibt
zweifelsohne Menschen, die in diesen
Albernheiten bahnbrechende
Anschauungen zu erkennen ver-
mögen. Ich wüsste nicht, was
in dubio vorzuziehen wäre, die
conventioneile Costüm - Malerei,
die gerade in Florenz ihre Haupt-
vertreter hat, oder aber diese luministischen Capriolen
der Herren von der Livorneser Schule ; natürlich hiess
einer davon Müller , denn wo irgend welche Narr-
heiten passiren , muss ja immer der eine oder andere
Deutsche den Haupt-Hanswurst machen. Sonst las ich
unter diesen Dingen — Arbeiten kann ich sie beim
besten Willen nicht nennen — die Namen Signorini,
Cortiggiatti , der übrigens in einigen Whistler'schen
Nachempfindungen zeigte, dass er unter Umständen
Ernst Zimmermann. Fahrende Musikanten.
88
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Bekenner dieser neuesten Richtung vorfanden, weiss ich
nicht, denn viele Zimmer voll Mitteimässigkeiten rufen
das Bedürfniss nicht hervor, eine solche Kunstpromenade
allzu stark auszudehnen. Von wirklich ernsten Arbeiten
sah ich ausser einer Viehtränke von Panerai äusserst
wenig; das Uebrige stand etwa auf dem Niveau einer sehr
geringen Münchencr Kunstvereins - WochenausstcIIung :
viel schwachathmiges Zeug, was nach gar keiner Seite
hin auch nur im entfern-
testen Race hat. Viel-
leicht Ist das der Ge-
schmack des modernen
italienischen Publicums —
ich weiss es nicht. Die
Alltags-Plastik, die offen-
bar der Hauptsache nach
mit dem Export nach den
neu entstehenden amerika-
nischen Petroleum- oder
Schweineschiächter-
Städten es zu thun hat,
steht auf einem Stand
punkte, für den die Be-
zeichnung i erbärmlich
noch eine viel zu gute ist !
Es ist weiter gar nichts
als Dutzendarbeit, specu-
lative Fremdenfängerei in
Alabaster und Marmor, die
mit dem alierschlechtesten
Geschmacke rechnet, wo-
bei offenbar ganz gute
Geschäfte gemacht wer-
den. Unter den Figuren,
denen man hier zuweilen
begegnet, sind jene nicht
selten, die nach dem .Xus-
spruche eines mir bekann-
ten Amerikaners den reich gewordenen « Wild West >
bestens illustriren . ohne dass indess die Hautfarbe ins
Kupfrige spielt. Sie gleichen unseren central - europä-
ischen Geschmacks-Ur-Mexicanern auf s Haar.
Schaut man sich in einem alten Culturcentrum nach
Dem um , was die Neuzeit bietet, und prallt man bei
solcher Um.schau so zu sagen bei jedem Schritt vor
wahren Ungeheuerlichkeiten zurück , so empfindet man
es um so dankbarer, wenn man endlich auf etwas stösst,
was wirklich künstlerisches Streben verräth ; das ist bei
den Majoliken von CantagalU der Fall, der mit sorg-
samer Ueberwachung manche äusserst zierliche Arbeit
herstellen lässt, freilich immer mit Zugrundelegung alter
Vorbilder. Vorerst sind diese immer das Beste, was
man haben kann : unsere Tage haben nichts, gar nichts
Ebenbürtiges vi schaffen vermocht. Die Tradition
scheint erloschen.
Doch — was ficht
mich das Alles an, mögen
die Modernen machen, was
sie wollen, hier bleibt ja
die Hauptsache immer die
gleiche; die Trümpfe, die
unsere Zeit bis jetzt da-
gegen auszuspielen ver-
mochte, kommen nicht in
Betracht, denn es ist so
zu sagen alles schwäch-
liches Zeug, nichts stellt
im Geiste unserer Tage
sich ebenbürtig den Zeu-
gen der Vergangenheit
gegenüber. Wenn man
von dem Neapolitaner
Morelli, einer ganz bedeut-
.samen Erscheinung , und
vielleicht noch von ein
paar anderen Künstlern,
Dalbono, Micchetti, Paltzei,
Muzzioli, absieht, so bleibt
in der ganzen grossen
Halbinsel erschreckend
wenig von Dem übrig, was
wirkliche Kunst ist, und
dazu rechne ich , wie ge-
sagt, die mit wenig Vari-
wieder dasselbe Thema behandelnde
Costüm- oder besser gesagt Schneider - Malerei nicht,
wenn sie auch technisch noch so geschickt gehalten
ist. Es ist nicht der Mangel an Anlage, der gerade
die Künstler dieser Richtung kennzeichnet, bewahre,
in ihren Arbeiten spricht es sich deutlich genug aus,
dass sie etwas Würdigeres machen könnten ; allein was
.sie machen, ist eben gang und gäbe Waare, und
Ernst Zimmtrmann. Studie
anten immer
rboc. r BuMMüfl, München.
Schlepper aui
:^i'r; iLlut;.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
89
.^f«.
so liegt den Autoren wenig daran , ob sie die Kunst
prostituiren oder nicht — wenn's nur Geld einbringt,
eine Erscheinung, die international ist und einen Theil
der gewaltigen Kluft bildet, durch welche die Kunst
von ehedem von dem grösseren Theile der Kunst von
heute getrennt ist. Die Alten haben sicherlich auch
nicht von der Luft gelebt, vielmehr sind in zahl-
reichen Künstlerbriefen jene Stellen durchaus nicht
selten , wo es zum Schlüsse wie in dem Briefe des
Candidaten Jobs heisst: c Vergesst mir die hundert
Ducaten doch nicht » ! Indessen waren die Alten doch
mehr Künstler der Kunst als des Erwerbes wegen,
es steckte nicht jene Portion
von handwerklicher Speculation
dahinter, die heute manchen
beim Publicum berühmten
Künstler zum Exploitateur
seiner selbst macht, ihn weiter,
weiter treibt, bis endlich eine
ersehnte Vermögensziffer er-
reicht und damit auch in sehr
vielen Fällen der künstlerische
Bankerott besiegelt ist. Aber
was fragt die Welt darnach, —
wenn nur der Mann reich isti
Das zieht schliesslich doch
überall am meisten, und da es
unabweisbar so ist, so kann es
nicht wohl geändert werden,
und thöricht, sich darüber zu
beklagen. Wir sind eben ganz
einfach über die Periode hin-
über, wo der Kunst die Führer-
rolle des Menschengeschlech-
tes zufiel. Drum schätze sich
Ernst Zimmermann. Studie.
denn was wahrhaft künstlerisch ist, verleugnet die Race
niemals. Zweck und Ziel sind stets die gleichen ge-
blieben, auch wenn die Schicksals-Administratoren, jene,
welche der Kunst Beschäftigung gaben, scheinbare
Wandlungen hervorzubringen vermochten. Was nicht
geleugnet werden kann, das ist, dass die Besten aller
Zeiten in gewissem Sinne — verstehe man mich nicht
falsch — sich ähnlich gewesen sind, mochte auch die
Sprache, der Ausdruck verschieden gewesen sein.
Das mag sich ein Jeder nun zurecht legen wie er
will, vielleicht bietet ihm die «Kunst unserer Zeit»
hierin manchmal eine Handhabe. Ich muss übrigens,
um ehrlich zu sein, hinzufügen,
dass wenn ich so und so viele
Säle des Pitti oder der Uffizien
durchwandert und mich an Kunst
voll getrunken hatte, ein Blick
aus einem Fenster nach dem
Giardino Boboli oder hin nach
dem Ponte vecchio und den
darob ansteigenden grünen
Höhen mich erfrischte, wie ein
kühl Getränk — ja, ich freute
mich darüber und dachte da-
bei, dass die Bilder, die ich in
den Sälen sah, eigentlich nicht
für Gallerien, die man einmal
nicht ganz unrichtig mit dem
Ausdrucke «Kunst-Menagerien »
belegt hat, gemalt worden seien,
sondern dass man dergleichen
Dinge einzeln , in der Stille,
im künstlerisch decorirten
Räume genoss und dann eben
andern Genuss davon hatte, als
glücklich, wer, wie an kräftigem alten Weine, sich wenn man die besten Meister serienweise vertreten sieht,
erfreuen kann an den Zeugen einer Kunst, die einst die Es wäre sehr schön, zum Schlüsse etwas über die
Welt beherrschte, und wenn er in unseren Tagen dem famosen Zeichnungen von Lieöemtann zu sagen, den
Einen oder Andern begegnet , was selbstständig , was geistreichen Skizzen von Ernst Zimmermann ein Wort
gross und würdig ist, was auf eigenen Füssen daher- zu widmen, ebenso wie über die Vollbilder, welche dies-
geht und aus eigenem Sinne entstanden ist, gleichviel mal beigegeben sind, zu berichten — das verspare ich
welcher Richtung es angehöre, wenn es nur gut ist, mir für ein andermal, jetzt will ich nach Fiesole hinauf-
dann denke man, dass da eine Flamme von gleichem steigen. Dort oben schreibe ich weiter — aber später!
Stoffe brenne, wie sie einst den Alten geleuchtet hat, Für diesmal Punctum!
13
90
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
SCHOTTISCHE MALER
VON
HELENE ZIMMERN.
,1s eine interessante Erscheinung im Kunstgebiet
Englands ist aus dem sonst an neuen künstlerischen
Elementen nicht eben reichen letzten Jahre daselbst das
Auftreten einer Anzahl schottischer junger Maler von
hervorragender Bedeutung zu verzeichnen gewesen. So
sehr sie sich auch in ihren Werken von einander unter-
scheiden, sind ihnen doch gemeinsam ganz wesentliche
Züge eigen, welche ihre Zusammengehörigkeit als eine
bestimmte Gruppe ebenso deutlich markiren, wie sie
ihnen den Charakter einer Opposition gegen die land-
läufigen, mehr aligemein vertretenen Geschmacksrichtungen
und Lehrmethoden aufprägen.
Diese Gruppe wird von den meisten englischen
Kunstkritikern als die Glasgower Schule l>ezeichnet;
ein passenderer und correcterer Name für dieselbe würde
indessen cDie neue schottische Schule» sein.
Allerdings sind die meisten dieser Künstler Glasgower,
aber darum eben auch entschieden schottisch national
in ihren Zielen und Empfindungen, denn Glasgow ist
der Sammelplatz und Mittelpunkt für den Geist des
modernen Schottland. In dieser arbeitsamen Stadt con-
centrirt sich das für die Kinder jenes Landes charakter-
istische, kräftig pulsirende Leben, welches in Prosa und
in Versen besungen ward von einem der grössten Dichter
dieses Volkes, Sir Walter Scott.
Vor mehreren Jahren wurden in den Londoner und
Pariser Ausstellungen bemerkenswerthe Gemälde junger
Schotten vorgeführt. Obwohl nur vereinzelt auftretend,
verfehlten diese Bilder nicht , Beachtung zu erregen,
und als im Jahr 1 888 Lavery's c Lawn Tennys Party »
die erste goldene Medaille erzielte , die jemals in Paris
einem Kunstwerk aus Schottland zuerkannt worden, da
ward die Gruppe der schottischen Maler zum Gegenstand
besonderer Aufmerk.samkeit. In den Pariser Künstler-
kreisen wird c L'^cole des Ecossais » als eine Schule von
ausgesprochener Individualität geschätzt, und alljährlich
sucht man im < Salon > eifrig nach den Werken derselben
— Die Tür neuere Geschmacksrichtungen empfänglichen
Dircctoren der Grosvenor-Galerie in London hatten in
der Ausstellung von 1890 eine Anzahl Gemälde der
genannten Schule vorgeführt. Als zu Anfang des
Sommers 1890, in der Zeit der grossen Londoner
Ausstellungen, eine Deputation der MUnchener Künstler-
Genossenschaft zwecks Auswahl für die bevorstehende
Jahres-Aausstellung nach London gekommen war, und
diese Herren ihre Umschau auf dem Gebiete der
englischen Kunst hielten, da machten sie ihre interessan-
teste Entdeckung in der Grosvenor-Galerie. Ein Bild
erregte ihren besonderen Beifall ; im Katalog danach
forschend, fanden sie, dass es aus Glasgow stammte.
Ein anderes Bild machte ebenfalls Eindruck — es war
ebenfalls von einem Glasgower gemalt, bei einem dritten
Gemälde, das ihnen zusagte, war derselbe Ortsname
angegeben, kurz und gut — nachdem die Münchener
Abgesandten alle Ausstellungen Londons besichtigt
hatten, waren sie zu dem Re-sultat gelangt, dass die
eigenartigsten und bemerkenswerthesten der in diesem
Jahre ausgestellten Gemälde hauptsächlich von Künstlern
aus Glasgow herrührten. Sie reisten nach Schottland und
setzten sich mit den Künstlern persönlich in Beziehung.
Das Resultat war denkbarst günstig, denn eine ausser-
ordentlich grosse Zahl von Bildern wanderte nach der
Isarstadt, woselbst im Glaspalast mehrere Räume aus-
schliesslich mit schottischen Werken geschmückt wurden.
Ehrungen und Auszeichnungen waren die natürliche
Folge des Vorganges.
Ist nun Das, was von dort gekommen, eine Be-
reicherung der Kunst im wahren Sinne des Wortes?
Die Glasgower Künstler selbst stehen keineswegs
allein mit der Idee, dass die von ihnen eingeschlagene
Richtung zu weit bedeutenderen Zielen führen werde,
als die Welt bisher weiss, ja, dass die von ihnen aus-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
91
gehende Bewegung eine der wichtigsten im modernen
Kunstleben Europa's ist, die seit den Tagen der Neuerer
von Barbizon stattgefunden hat.
Um die wirkliche Bedeutsamkeit ihrer Bestrebungen
verstehen zu lernen, müssen die Kunstverhältnisse des
Landes, von welchem die Bewegung ausgeht, in's Auge
gefasst werden. In England ist die Kunst , da ihr die
staatliche Unterstützung mangelt, weniger durch traditio-
nelle academische Einflüsse gehemmt worden, als in anderen
Ländern. Sind nun die englischen Künstler auf diese Weise
in geringerem Grade der Gefahr ausgesetzt, Sclaven einer
conventioneilen Art zu werden, so liegt andererseits für sie
die Versuchung desto näher, im Streben nach Popularität
die Kunst zu verleugnen. Nirgends fällt der begabte
Künstler mehr der Verlockung anheim , seine ernsten
Ziele zu vernachlässigen, um Bilder zu malen, die darauf
berechnet sind, oberflächliches Gefallen und leichtes
Verständniss bei dem grossen Publicum zu finden. Er
wird verleitet, ein ihm gelungenes Bild, das Beifall ge-
funden hat, mit leichten Veränderungen des Gegen-
standes immer wieder zu malen , bis die Effecte durch
die fortwährende Wiederholung abgeschwächt und ver-
fehlt werden. Daher kommt es, dass in englischen
Ausstellungen so oft eine eigenthümliche Monotonie in
der Darstellung der Natur, in welcher doch nicht zwei
Grashalme einander ganz genau gleichen, sich geltend
macht. In vielen Fällen braucht der Galeriebesucher nur
einen Namen zu hören, um zu wissen, was der Genannte
gemalt hat, und welchen Eindruck das Bild auf den
Beschauer machen wird. Die pseudo - classischen Ge-
stalten des Einen, die historischen Entwürfe des Anderen ;
die Scenen aus der eleganten Welt, die Landschaften,
die anstatt mit der lebendigen Natur selbst, nur mit
früheren Werken des Malers verglichen werden können
— schier endlos ist die Reihe solch hinlänglich be-
kannter, stehender Motive. Die Maler dieser Gattung
sind unwissentlich und unwillkürlich in einen Mangel an
Aufrichtigkeit verfallen; sie malen nicht, was sie sehen,
sondern das, was Andere gesehen und vor ihnen dar-
gestellt haben. So entstand das t regulative academy
picture > (das schablonenhafte Ausstellungsgemälde), eine
Art von Malerei, die so wenig mit der Wirklichkeit
gemein hat, wie Racine's griechische Helden und Heldinnen
aus dem Leben gegriffen sind.
In der Kunst Schottlands, deren Geschichte übrigens
noch nicht weit zurückreicht, herrschen die gleichen
Uebelstände vor, obwohl dort noch weniger von aca-
demischem Zwang fühlbar ist und dem künstlerischen
Gewissen keine Gefahr durch Hofprotection droht. Schön-
heitssinn, Liebe zur Natur und Verständniss für das Charak-
teristische offenbaren sich in der romantischen Literatur der
Schotten, wie in ihren Volksliedern und deren wilden
Melodien in einem so hohen Grade, dass es merkwürdig
wäre, wenn davon nichts in der Malerei zum Ausdruck ge-
langte. Es hat auch in der That nicht an echt künstlerischen
Bestrebungen gefehlt, und von einzelnen Individuen sind
recht schöne Erfolge erzielt worden. Die Portraits von
yamieson und Raebunt , Charakterbilder, wie sie Wilkie
und Plüüpp malten , die Landschaften eines Nasmyth
oder Thomson sind bemerkenswerthe Erzeugnisse schot-
tischer Malerei. Im Ganzen aber war die Kunst der
Schotten, wo sich eine solche als von der englischen
gesondert nachweisen lässt, nicht eben durch Frische
oder Eigenart gekennzeichnet. Ihre Ziele sind schwäch-
lich, einem engen Gesichtskreis entsprechend, und selbst
die fähigsten Maler Schottlands haben sich nur zu oft
geneigt erwiesen, ihre Kräfte an triviale Motive zu ver-
geuden. Die namhaften Grössen unter den lebenden
Malern Schottlands, Männer, die schon zu academischen
Ehren gelangt sind, wie Orckardson, Pettie, Colin-Hunter,
Peter Graham, David Murray u. A., haben mit der
jüngeren Schule nichts gemein.
Vor nunmehr einem Dreivierteljahrhundert ist durch
Begründung einer kgl. schottischen Kunstacademie, deren
Sitz das schöne, historisch berühmte Edinburg ward,
der Versuch gemacht worden, die künstlerischen Kräfte
des Landes zu consolidiren , ihre Wirksamkeit zu
fördern. Und bis vor zwanzig Jahren, auch später noch
war mit dem Begriff" irgend welcher künstlerischen Aus-
bildung nur das Studiren an dieser Anstalt gemeint.
Die Edinburger Gesellschaft gab für die Academie,
die Academie gab in der Kunst den Ton an. Nun
hatte Edinburg, das einst der Mittelpunkt der schott-
ischen Geistesbildung gewesen, in Folge der Centrali-
sationskraft London's diese Stellung längst verloren ;
das dortige Leben litt unter dem veralteten Con-
ventionalismus einer verblichenen Vornehmheit, dem
zersetzenden Einfluss einer in exclusivem Hochmuth
absterbenden Cultur. Die~ Schotten unterstützten ihre
Academie und ihre Künstler, es fehlte nicht an Käufern
von Bildern, aber der Maassstab des Publicums war ein
niedriger , und die Maler mussten sich nach diesem richten.
12*
92
DIE KUNST UNSERKR ZEFF.
Noch bis vor einem Dutzend Jahren hat die kgl.
schottische Academie das ganze Kunstleben im Lande
beherrscht. Selten noch hat ein Kunstinstitut einen
gleich mächtigen und uneingeschränkten Einfluss be-
sessen, und selten hat ein solches Institut seine Macht
in gleich unzulänglicher Weise bethätigt. Man darf
fuglich von einer Academie nicht gut verlangen, dass
sie grosse Männer erstehen lassen solle; denn Genie's
werden geboren, nicht gemacht. Sehr wohl aber kann
eine Academie ein Genie bedeutend in der Entwickelung
schädigen. Die schottische Academie ist, anstatt Fühl-
ung mit den künstlerischen Ereignissen der Welt zu
gewinnen, ganz dem localen Geist kleinlicher Exclusivität
verfallen, der die Stadt beherrscht, in der sie ihren Sitz
hat. Die alten Gewänder des Rob Roy, der Jeannie
Deans, Tam 6 Shanter's und ähnlicher Gestalten, deren
Urbilder freilich von echter Genialität erzeugt worden
sind, bildeten seit einem halben Jahrhundert den Haupt-
vorrath, aus dem die schottische Academie ihren
Bedarf von Inspirationen deckte. Und selbst diese Ge-
stalten wurden in einer so unrichtigen und Conventionellen
Art wiedergegeben, dass die eigentliche Kunstwelt von
ihnen nirgends Notiz nahm. Zur Bestätigung dessen,
was hier über die Academie gesagt ist, werden einige
That-sachen vollauf genügen.
Im Jahr 1886 sollte der Bevölkerung Schottlands
zum erstenmal das Belehrungsmittel einer internationalen
Ausstellung verschafft werden ; es wurde beschlossen,
dieselbe in Edinburg zu veranstalten. Alles geschah,
um das Unternehmen zu einem erfolgreichen zu machen.
In gewerblicher und commercieller Hinsicht hat das Unter-
nehmen seinem Zwecke denn auch glänzend entsprochen.
Man glaubte dies auch in der Abtheiiung für Kunst
erreichen zu können durch Vorführung einer das heutige
künstlerische Schaffen repräsentirenden Sammlung. Die
Academie erwies sich indessen als so unfähig, eine der-
artige internationale Sammlung aufzubringen , dass ein
Privatmann für eigene Kosten eine Anzahl von modernen
Gemälden Frankreichs und Hollands zur Stelle schaffte.
Und diese in einem Saale der Ausstellung zur Besichtigung
gelangte Sammlung wurde alsdann für das Interessanteste
erklärt, was die Kunstabtheilung überhaupt aufzuweisen
habe. In der erwähnten Sammlung waren Werke der
modernen Romantiker und deren Nachfolger, der mo-
dernen Impressionisten enthalten — Bilder von Millet,
Corot, Marts, Bosboom und Dias. So wurden dem
schottischen Publicum zum erstenmale die Augen über
Tendenz und Entwickelung der jüngeren europäischen
Kunst geöffnet. In kunstsinnigen Kreisen ward der
schon längst gehegte Ai^[wohn nunmehr zur Ueberzeug-
ung, dass die schottische Academie ihre Pflicht völlig
versäumt habe Dieselbe hatte die ganze neuere Kunst-
richtung unbeachtet gelassen, die Stiftung der Schule
von Barbizon, dieses grösste die Kunstwelt bewegende
Ereigniss seit Rembrandt's Zeiten, war vollständig ignorirt
worden ; der belebende Strom, der, von dort ausgehend,
sich dem Kun.stleben von fast ganz Europa mitgetheilt
hatte, war an der schotti-schen Academie in Folge ihrer
trägen Selbstgefälligkeit spurlos vorübergegangen. Em-
pört über diesen Sachverhalt, traten die jungen Künstler
des Landes zusammen und stellten in einer Denkschrift
Reform Vorschläge auf, welche dazu dienen sollten, die
Academie mit dem Geiste der Neuzeit in Berührung zu
bringen. Die Zeitungen nahmen den Gegenstand auf,
es entstand eine Controverse, worauf endlich die
Academie, aus ihrer Trägheit aufgerüttelt, sich herabliess,
die Forderungen des Landes in Erwägung zu ziehen.
Es wurden vor etwa zwei Jahren neue Statuten auf-
gesetzt, aber selbst in diesen offenbarte sich der alte
engherzige Standpunkt der Academie noch so sehr, dass
der Edinburger Stadtrath sich bewogen fühlte, eine
Petition an die Königin um Vorenthaltung ihrer Ge-
nehmigung zu richten. Bis heute ist dem Schriftstück
die königliche Bestätigung denn auch versagt geblieben.
Inzwischen gelang es jüngeren Malern , die sich
trotz der Academie oder ohne deren Einfluss zu Künst-
lern entwickelt hatten, dem Auslande eine Anerkennung
abzugewinnen , wie solche der schottischen Kunst unter
Führung ihrer Academie niemals zu Theil geworden wäre.*)
Es ist bemerkenswerth , dass der Kampf gegen
die starren Vorurtheile und conventioneilen Satzungen
nicht nur auf den Norden Grossbritanniens beschränkt
ist. Seit einiger Zeit werden auch von dem « New Eng-
•) Das Beispiel steht nicht vereinielt da — kämpft doch Alles,
was heute in Wahrheit voran will, gegen den verknöcherten Schematismus
dieser Anstalten, die im günstigsten Falle sich mit einem Fuwe rtlhren,
um endlich veralteten, gänzlich unhaltbaren Zuständen piano piano den
Kucken zu kehren. Der Grund mag darin liegen, dass in vielen Staaten
das Ressort für Kunstzwecke in einer, vielleicht in einigen Händen
ruht, die sich immer erst einer Anzahl von Hörrohren bedienen mtlssen,
um zu erfahren, was in der Kunstwelt vorgehe; sind es doch oft Ver-
waltungsbeamte, im gunstigsten Falle Geheim- und Hofräthe, die den
Leitungsdraht von der KUnstierwelt zur maassgebenden Stelle bilden.
Dass selbst Gottesgelehrte gerne nach Einfluss in dieser Sphäre
schnappen, dafUr sind ebenfalls Beispiele vorhanden. Anm, d. Red.
Ö3
s:
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
93
lish Art Club», einem englischen Künstlerverein oppo-
sitioneller Tendenz , alljährlich Ausstellungen stark im-
pressionistischen Characters veranstaltet. Doch gebührt
der schottischen Bewegung das Lob, mehr ihrem Zweck
entsprochen zu haben. Zum Mittelpunkt derselben wurde
Glasgow gewählt, gleichsam aus Opposition gegen Edin-
burg, dem Sitz der Academie. Während die letztere,
seit alten Zeiten als Pflanzstätte der Bildung gepriesene
Stadt, sich begnügt hat, von ihren Traditionen zu zehren,
ist Glasgow unversehens Schottlands eigentliche Haupt-
stadt geworden, in welcher sich das rührige Leben der
besten Kräfte der Nation concentrirt. Wo vor hundert
Jahren noch eine schläfrige Landstadt an den Ufern
eines für Lachsfischerei ergiebigen Gewässers lag, dessen
seichtere Stellen zur Zeit der Ebbe von Kindern durch-
watet werden konnten, da erhebt sich jetzt eine mäch-
tige Grossstadt von einer Million Einwohnerzahl, mit
einer Flotte . deren Schiffe alle Meere befahren , mit
Schmelzhütten und Schmiedeöfen, die unablässig in Be-
trieb sind, das Joch herzustellen, in welchem der Riese
c Dampf» die gewaltige Herrscherin Civilisation über
Länder und Meere tragen muss. In Folge des ungeheuren
geschäftlichen Aufschwunges ihrer Stadt beschlossen
die aufgeweckten Glasgower, dass sich zu der Werkstatt
der Welt, welche ihr Wohnort jetzt war, auch ein Welt-
hafen gesellen solle. So wurde an der Stelle, wo der
Qyde vor hundert Jahren über seichten Grund geflossen
war, ein stattlicher Hafen angelegt. Zweimal täglich zur
Zeit der Fluth sieht man hier die grössten Fahrzeuge
der Weltschifffahrt einlaufen und in See gehen. Hatte
somit die Stadt Gla.sgow ihre Thore dem Weltverkehr
geöffnet, so verschloss sie dieselben auch keinesweges
der Geistescultur. Nur wenig in der Klostergelehrsam-
keit bewandert, welche lange Zeit für die alleinige Quelle
aller Bildung galt, hat Glasgow eine desto bessere Fühl-
ung mit dem lebendigen Menschengeist gewonnen. Vor
dreissig Jahren begründeten die Glasgower Kunstfreunde
ein Institut für die schönen Künste, und der kosmo-
politische Zug, welcher sich in den commerciellen Be-
strebungen der Bürger der Stadt bethätigt, zeigte sich auch
in ihren Kunstinteressen. Man darf mit Sicherheit sagen,
dass Glasgow die einzige Stadt im vereinigten britischen
Königreiche ist — selbst London nicht ausgenommen
— wo seit einer Generation den Einwohnern Gelegenheit
gegeben ist, Richtung und Ziele der modernen euro-
päischen Kunst durch Anschauung kennen zu lernen.
Allmählich machte sich der Einfluss der Ausstell-
ungen dieses Institutes in der jüngeren Künstlerschaft
geltend. In ihren Leistungen trat freilich anfänglich noch
nicht die volle Kraft der Originalität hervor, welche ihr
Schaffen jetzt auszeichnet. Aber in diesem Stadium
des Experimentirens bekundeten sich schon die Merkmale,
dass es hier nicht auf blosse Nachahmung abgesehen
war. Die jungen Maler hatten gehört und verstanden,
was im Gegensatze zu jüngst vergangenen Dezennien
heute wieder das Losungswort bildet : « Studirt die
Natur, lernt sie mit Euren eigenen Augen kennen,
nicht durch die Augen Anderer , malt , was Ihr selber
seht ! » Und wahrlich , an Fleiss und Ernst im selbst-
ständigen Studium der Natur haben diese jungen Schotten
es nicht fehlen lassen. Je mehr sie die Natur studirten,
desto klarer wurde ihnen auch, dass die im Glasgower
Institut gesehenen Werke der modernen fremden Meister
die Natur, selbst wie sie sich in Schottland beobachten
lässt, weit treuer darstellten, als es den sogenannten
schottischen Malern gelang. Diese höhere Naturwahr-
heit beruhte nicht etwa auf peinlicher Wiedergabe localer
Eigenthümlichkeiten oder topographischer Verhält-
nisse. Es war die Einfachheit der Composition, das
Einheitliche der Stimmung, die Würde der Auffassung,
wodurch diese Gemälde auf jeden Beschauer, der Blick
für Naturschönheit hat, den Eindruck machten, dass hier
die Natur mit vollkommener Wahrheit geschildert werde.
Der Eifer nach idealen, geistigen Zielen, — einer
der schönsten schottischen Charakterzüge — Hess diese
jungen, inmitten des kraftstrotzenden Lebens einer grossen,
regsamen Weltstadt lebenden Künstler nicht damit zu-
frieden sein, den jungen Wein ihrer neuen Inspirationen
in die alten Schläuche zu füllen, welche seit langer Zeit
zum Bergen des matten Stoffes gedient hatten, der bisher
dem Kunstverlangen des Publicums hatte genügen müssen.
Wonach sie trachteten, das war ein ihrem Gefühl ent-
sprechender Ausdruck, eine verständliche Sprache , um
ihren Nebenmenschen alles Schöne und Herrliche zu
vermitteln , was sie selber in der Natur und im Leben
erblickten. Und sie gewannen die Ueberzeugung , dass
dieses Ausdrucksmittel einen Universalcharakter hatte,
dass in dieser Sprache überall die wahrhaft grosse Kunst
redet. Empfänglichkeit für gediegene Einflüsse ist von
jeher ein Charakterzug befähigter Menschen gewe.sen.
Eigentlich gibt es keine Originalität in dem Sinne, dass
Jemand aus sich selbst und allein Etwas schaffen könne.
M
DIE KUNST UNSERER ZETl'.
Grosse Männer haben sich stets von den Besten ihrer
Zeit beeinflussen lassen und sich zugleich als Erben aller
Zeiten der Vergangenheit erwiesen, deren Vermächtniss
sie selbst wiederum um Etwas vermehrt, der Nachwelt
hinterlassen haben.
Durch Vergleichen mit Werken, die schon von
Erfolg gekrönt waren, und neben ihren eigenen im In-
stitut hingen, gewannen die jungen Schotten einen
richtigen Maassstab für ihre Leistungen. Conventionellen
academischen Lehren bieten sie grundsatzlich Trotz;
sauber ausgeführte Detailmalerei verschmähen sie. Ihre
Ziele sind vor Allem strenge Wahrheit in Wiedergabe
der Formen, eine durchweg würdige Auffassung des
Ganzen — wenn auch auf Kosten der Einzelnheiten.
In ihren Erzeugnissen, auch den minder erfolgreichen,
ja selbst in denen, die nur gewagte Experimente
sind, oflenbart sich stets ein gesunder, lebensfähiger
Trieb, der von Vielen gern willkommen gcheissen
wird, die des frostigen Qassidsmus, der schalen Lang-
weiligkeit oder Künstelei überdrüssig sind , welche man
in den britischen Galerien zumeist vertreten findet. Die
Technik der jungen Schotten ist interessant, die colo-
ristische Wirkung überall gut ; bei Jedem von ihnen
zeigt sich deutlich da.s Streben nach einer aus directer
An-schauung gewonnenen Naturwahrheit, der feste Wille,
sich in Fühlung mit der Natur zu halten und nur sie
als Quelle aller Inspiration zu betrachten.
.■\llgemein gelten die Vertreter dieser neuen Schule
als in Paris ausgebildet. Besonders wird diese An-
nahme durch die Londoner Presse verbreitet. Dies
beweist, dass sie in der Technik etwas Tüchtiges
gelernt haben, und dass der Character ihrer Kunst die
vornehmen Eigenschaften einer guten Schule zeige. In
Wirklichkeit haben sie diese Vorzüge aber nur in ganz
vereinzelten Fällen in Paris erworben; dieselben sind
vielmehr das Ergebni.ss des Einflusses jenes locaien Kunst-
instituts, das nicht der Kirchthurmpolitik in künstlerischen
Dingen huldigt. In der Technik am stärksten sind
folgende vier Maler der neuen schottischen Schule :
Arthur MelinlU , James Guthrie, Edward A. Walton
und George Henry. Arthur Melxnlle hat allerdings einige
Jahre in Frankreich gelebt, indessen keinen systematischen
Cursus daselbst durchgemacht. James Guthrie hat sich
auf eigene Hand ausgebildet. Er begann seine künst-
lerische Laufbahn in London, wohin er sich aber nicht
seiner Kunststudien halber begeben hatte, sondern weil
seine Eltern dort zeitweilig wohnten. Er hat nie in Paris
studirt Edward A. Walton hat, als er noch nicht
zwanzig Jahre alt war, eine kurze Zeit die Düsseldorfer
Academie besucht, weiter jedoch keine Lehrzeit genossen.
George Henry nimmt eine besondere Stellung unter den
Uebrigen ein. Von ihm ist innerhalb der neuen Be-
wegung eine neue Richtung angebahnt worden. Was
er bis jetzt geleistet hat, ist schon von so starkem
Einfluss auf die Gruppe gewesen, dass von dem.selben
fast kein einziger der kraftvollen jungen KUnstlergemeinde
unberührt geblieben ist. Gerade dieser Mann aber hat
seine Kunst in einer dumpfigen Cit>'-Werkstatt der West
Regent Street in Glasgow erlernt.
Ist nun auch diese neue Bewegung auf einem ihrem
Gedeihen günstigen Boden entstanden, so waren diese
jungen Leute doch keineswegs in der angenehmen Lage,
ihre Bilder, die ihnen jetzt Erfolg verschaflft haben, in
Ruhe malen zu können, vielmehr haben sie sich vor
Allem erst ihr Terrain erkämpfen, und dann jeden Zoll
breit desselben vertheidigen müssen. Und sie haben
sich als wackere Streiter erwiesen, denn die Schotten
sind von jeher zähe, unbeugsame Widersacher gewesen.
Es galt, das Vorurtheil der Kunsthändler zu besiegen,
welche die Buchstaben R. S. A. (Royal Scotch Academy)
hinter dem Namen eines Malers für eine unerlä.ssliche
Bedingung der Verkäuflichkeit seiner Bilder erklärten.
Die Presse war ebenfalls gegen sie und zog die Be-
wegung in's Lächerliche. Das ganze Land war zu ihrem
Nachtheil beeinflusst. Jahre lang waren sie vom Kunst-
verein und den locaien Ausstellungen ausgeschlossen.
Da.ss sie von der schottischen Academie gänzlich ignorirt
wurden, braucht wohl nicht er.st gesagt zu werden. Die
Folge war, dass ihnen ihre Kunst wenig oder gar nichts
einbrachte, dass sie viele Jahre in hartem Kampfe um
ihr täglich Brod arbeiten mussten. Mit Ausnahme
der wenigen Glücklichen, denen eigene Mittel zur Ver-
fügung standen oder die Freunde besassen, welche
ihnen beistanden, hatten diese Künstler mit Entbehr-
ungen zu kämpfen, welche ihnen ihre Studien ausser-
ordentlich erschwerten. Meistens fehlte es sogar an
Gelegenheit zum Lernen und Arbeiten in geräumigen
Ateliers. Gar manches der Bilder, welchen jetzt Beifall und
Auszeichnung geworden, ist in enger, staubiger Schreib-
stube entstanden. Die bittere Noth dieser Maler ward so
offenkundig, dass zur Zeit, als ihre Ziele und Werke
noch total verkannt wurden, und man sie für Leute hielt,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
95
die gar nicht ernst zu nehmen seien, ii^end ein Witz-
bold, auf die Schule das socialistische Schlagwort
f Progress and Poverty > (Fortschritt und Armuth) an-
wendend, ihr den Beinamen «Progress and Poverty-School >
gab. Dieses Beiwort blieb haften. Und die damit Be-
nannten hatten Nichts dagegen ; sie nahmen es mit Stolz
für sich in Anspruch. Noch heutigen Tages sind sie in
ihrem Heimathlande unter diesem Namen bekannt.
In den ersten Leistungen wurde nach der Ansicht
der Gegner plumpes Machwerk und künstlerisches Un-
vermögen deutlich erkennbar. Beurtheiler natürlich,
welche auf die abgedroschenen academischen Satzungen
schwören, fanden diese Bilder verwerflich. Aber auch
urtheilsfahigere Kunstfreunde hatten eben , weil sie
sich zu lange verdrossen von den werthlosen Erzeug-
nissen abgewendet, welche bisher in Schottland für
Kunstwerke ausgegeben wurden, den Glauben verloren,
dass in ihren heimischen Gauen etwas Gutes hervor-
gebracht werden könne. So kam es, obwohl sonst in
Schottland genug Geld für Gemälde ausgegeben wurde,
dass doch Niemand diesen jungen Künstlern auch nur
so viel für ihre Arbeiten geben wollte, wie sie zu ihrem
Lebensunterhalt bedurften. Zum Glück gewannen die
jungen Männer aus dem Glauben an sich selbst und ihr
Ziel die Kraft, sich durchzuringen, ohne zu dem Hilfs-
mittel der Production künstlerischer Marktwaare zu
greifen. Wenn sie sich herabgelassen hätten, nette
Landschaften im gewöhnlichen Touristengeschmack, oder
auch niedliche Genrebilder, hübsche Leute bei entspre-
chender Beschäftigung und in hübschen Anzügen zu malen,
so würden sie mit Leichtigkeit Geld verdient haben.
Dies wäre aber ein totales Verleugnen ihrer künstlerischen
Ucberzeugungen gewesen, und eine Herabwürdigung
ihrer Gaben , die sie als ein ihnen für ganz andere
Zwecke anvertrautes Gut betrachteten. Die hohe Denk-
weise der Schotten in allen religiösen und moralischen
Fragen zeigte sich auch in Bezug auf ihr Künstlergewissen.
Was ihnen die lange Zeit des Kämpfens und Ringens
ertragen half und ihren Muth stärkte, war die brüder-
liche Gesinnung, welche die Gefährten für einander be-
thätigten. Manche, die schon grössere Einnahmen er-
zielten, brachten allen Ernstes eine gemeinschaftliche Kasse
in Vorschlag ; sie sahen keinen anderen Ausweg, um der
Gemeinde alle Kräfte zu erhalten. Brave, tüchtige Menschen
waren moralisch vollständig gelähmt, weil ihnen Maluten-
silien und Modelle fehlten ; sie blieben Wochen, ja Monde
lang in städtischen Behausungen eingepfercht, weil ihnen
draussen zu studieren die Mittel fehlten. Die formelle
Gründung einer gemeinschaftlichen Kasse scheiterte an
den Schwierigkeiten, die der Einrichtung einer solchen
entgegenstanden. Aber Kassengemeinschaft bestand
thatsächlich insofern, als die, welche Geld einnahmen,
sofort zu den minder Glücklichen eilten, um sie mit
Munition zu versorgen. Selbst jetzt sind noch nicht
alle Mitglieder der Gemeinde in der Lage, auf eine
derartige Hilfe verzichten zu können. Aber ihre
Prüfungen sind nicht vergeblich gewesen; die Zeit ist
angebrochen, in der sie die Früchte ihres Strebens ernten.
Die Mitglieder der neuen Schule , die « Boys »
(Jungens), wie sie sich selber im kameradschaftlichen
Tone nennen, sind ihrer fünfzehn an der Zahl. Viele
von den, als zur schottischen Schule gehörend, in der
Münchener Ausstellung zusammen gehängten Bildern
sind keine Erzeugnisse der Gemeinde im engeren Sinne
gewesen. Und grade Diese haben mehr Käufer angelockt,
als die aus der Schule selbst Hervorgegangenen , viel-
leicht, weil das Publicum hier das bisher Gewohnte
weniger vermisste. Die « Boys » behaupten scherzend,
sie fänden sich zumeist vor die Wahl gestellt, ob sie
ehrlich malen oder ehrlich ihre Schulden zahlen wollen.
Aus Liebe zu ihrer Kunst entscheiden sie sich gewöhn-
lich für die erstere Art Ehrlichkeit, hierdurch wird ihnen
ihre Aufgabe indessen keineswegs erleichtert.
Arthur Melville, ein grosser, robuster Schotte, von
den <Boys> in liebevoller Verehrung «König Arthur»
genannt, kann als Führer der Schaar betrachtet werden.
In seinen Knabenjahren besuchte er die schottische
Academie als Schüler und suchte so viel zu lernen
wie er konnte. Doch bald wurde er inne, dass er dort
wenig Aussicht auf wirkliche Fortschritte habe. Zu
Anfang der siebziger Jahre begab er sich daher nach
Paris, wo er zwar nicht systematischen Kunststudien
oblag, aber durch die Berührung mit dem künstlerischen
Leben der französischen Hauptstadt seine Ideen über
die Aufgaben und Ziele der Kunst erweitert hat. Später
machte er eine Reise nach dem Orient, wo er eine Fülle
fesselnder Eindrücke sammelte, und sich zu jener Be-
handlung des Aquarells veranlasst fühlte, durch welche
er die meiste Anerkennung gefunden. In seinen Dar-
stellungen morgenländischer Natur vermeidet er den
sonst üblichen hartblauen Himmel und die mehr oder
weniger strahlenden Farben , die man bisher an den
96
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Landschaften der Oricntmaler gewohnt war. Er hat
die unsagbar herrliche Farbengluth des Morgenlandes
wiederzugeben und doch der Atmosphäre jenen Schimmer
zu verleihen gewusst, der das Licht zwar voll, doch
nicht blendend wirken lisst. Ueber diesen Bildern
liegt eine unendliche Lebensfreudigkeit; sie anzusehen,
ohne ihren Zauber zu empfinden, ist Air Niemanden
möglich, der Schönheitssinn besitzt. Auch seine Technik
des Aquarells ist eine ganz eigenartige. Er hat er-
kannt, welche schöne Schattirung einfach dadurch her-
zustellen ist, dass man einen Farbenfleck voll und
flüssig aufsetzt und dann sachte zerrinnen lässt, bis die
Farbe in unmerklichen Graden von Hell bis Dunkel ab-
getönt ist. Diese Eigenthümlichkeit der Wasserfarben
hat er in vollstem Masse zu verwerthen gewusst, und
sich hierdurch als ein mit natürlichem Scharfblick fUr
technische Wirkungen begabter Künstler erwiesen, der
nicht mehr mühsam mit den Anforderungen seiner Kunst
zu ringen, sondern an der Ausübung, dem Können selbst,
seine Freude hat. Der Elindruck, den das Colorit seiner
Bilder her\orbringt, ist derartig, als wären die zahllosen
Farben alle von .selber entstanden, und als sei die Wirk-
ung eine ganz unabsichtliche. Und dennoch sind diese
Geni.ilde in Wahrheit das Ergcbniss einer ungemein
subtilen Berechnung, und alle diese scheinbar willkürlich
sich ineinanderfügenden Farbenflecke sind dem Gebot
eines zielbcwussten Künstlcrwillens gefolgt.
In seiner Specialität , der Darstellung morgen-
ländischer Motive, steht er unerreicht da. Er hat in
völlig naturalistischer Weise und mit der ganzen Un-
befangenheit eines scharfsichtigen, gastreichen Beob.-ich-
ters die zauberischen Eindrücke jenes Landes vollkommen
treu geschildert. Obwohl seine Bilder aussehen, als
wären .sie mit glücklicher Hand nur so hingetuscht, so
hat der Maler unendlich viel Mühe und Sorgfalt auf seine
Arbeit verwandt. Man muss sich angesichts dieser ebcn.so
werthvollen, wie interessanten Proben künstlerischen
Könnens fragen , ob der Schöpfer solcher Kunstwerke
seinen .schon so bedeutenden Ruf durch spätere Leistungen
noch zu befestigen und zu erweitem im Stande sein werde.
Die bedeutende Persönlichkeit des Mannes , sein
männliches Wesen, die Lebhaftigkeit, mit der er die
verschiedenartigsten Probleme des Daseins und der
menschlichen Seele crfasst — dies Alles bürgt gcwisser-
massen dafür, dass seine bisherigen Arbeiten das Unter-
pfand für noch Besseres sind.
Obgleich JA vornehmlich als Aquarellist berühmt ge-
worden, zeugen seine Oelgemalde nicht weniger von hoch-
gradigem Feingefühl für Farbenwirkung. Die leichte, un-
gezwungene Art, wie er mit der Farbe freigebig umzu-
gehen weiss, trägt auch hier nicht wenig zu dem Reiz
der Gesammtwirkung seiner Bilder bei. Einige seiner
bekanntesten Oelgemalde sind Bildnisse. Dieselben lassen
erkennen, dass er die für die Portraitmalerei .so wesent-
liche Gabe besitzt, sich für die ihm sitzenden Personen
sofort interessiren und er\«ännen zu können. So ist es
ihm gegeben, mit dem leblosen Material seiner Kunst
in lebendiger Darstellung nicht nur das Körperliche zur
Anschauung zu bringen, sondern den Beschauer auch mit
der Seele Dessen in Rapport zu setzen, den er im Bilde
zeigt. Af.'s Portnüts sind nicht immer vollkommen in der
Zeichnung, trotzdem aber werden sie von Kennern als
werth volle Kunstwerke geschätzt, von Freunden der
dargestellten Persönlichkeiten für ausgezeichnet ähnliche
Bildnisse erklärt. In München war ein Gemälde von
ihm ausgestellt — < Andrey und ihre Ziegen ».
Es ist ein Bild, das gar nicht unbemerkt bleiben kann.
Die Intensität der Farben übt auf den Beschauer, der
an so strahlende Tinten nicht gewöhnt ist, zuerst eine
abstossende Wirkung. Nach längerem Hinblicken aber
kann dem Bilde die Bewundenmg nicht versagt bleiben.
Der Künstler hätte hier ein Meisterwerk schaffien können.
Ob jedoch das Motiv zu viel von dem Meister, oder
er von diesem zu viel verlangt hat, mag eine oflene
Frage bleiben. Af. sieht in der Kunst ein bedeutendes
Mittel, in edler Weise die Eindrucke zu gestalten, welche
Natur und Leben dem Menschen bieten. Die Originalität
ist bei ihm etwas Selbstverständliches. Sie besteht nicht
etwa in irgend einer überraschenden Anwendung tech-
nischer Kunstgriflie, sondern im directen Ausdruck Dessen,
was des Künstlers Seele erfüllt Er gibt Etwas, das neu
ist wie der junge Tag, und so alt, wie die Aehnlichkeit
des einen Tages mit zehntausend anderen.
Wenn Af. Nachahmungen bieten wollte, so würde
ihm dies ein Leichtes sein, denn er besitzt eine wahr-
haft phänomenale künstlerische Gewandtheit. Noch
heule erinnern sich viele der ständigen Besucher der
Londoner National-Galerie, wie vor einigen Jahren dieser
junge Schotte binnen weniger Stunden eine gelungene
Copie des lebensgrossen Portraits Philipp IV. von Ve-
lasquez hergestellt hat ; eine wohl noch von Niemand vor
ihm in gleich kurzer Zeit gelieferte Leistung dieser Art.
■ t ¥ II iiiNla.'iiyl, VHtii!
Neckerei.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
97
Nie würde sich M. indessen aus persönlicher Eitel-
keit dazu verstehen, seine Kunst geflissentlich durch
Ausübung von Virtuosenstücken herabzuwürdigen. Ein
Lieblingsausspruch von ihm ist, dass «mit der wahren
Kunst keine Kraftschaustellungen vereinbar sind».
Die imposante Lebenskraft, die von seinen Bildern
auszuströmen scheint, ist auch seiner Person charak-
teristisch. Alle, die ihn näher kennen, empfinden
dies, Jeder fühlt sich von seinem Wesen sympathisch
berührt. Seine persönliche Wirksamkeit für die junge
schottische Malerschule ist von unberechenbarem Werth
gewesen. Jedem Einzelnen hat er genützt und durch
.seinen Einfluss geholfen. Wir haben hier den merk-
würdigen Fall , dass in unserer modernen Zeit der
grossen Academien eine bedeutsame neue Künstlerschule
erstanden ist, die zum grössten Theil unter dem Einfluss
eines einzigen Mannes steht; wo also ein ähnliches
Verhältniss obwaltet, wie es in alter Zeit zwischen einem
Meister und seinen Jüngern bestand, die auch ein ge-
meinsames Schaffen vereinte, ohne dass gerade der Eine
nur lehrend, die Anderen nur lernend thätig gewesen.
Dass hier dieser Eine mehr die Stellung eines älteren
Bruders, als die eines Meisters unter den Uebrigen ein-
nimmt, erklärt sich daraus, dass sowohl im Alter, wie
im Können kein grosser Abstand zwischen ihnen be-
steht. M., dem von ihnen Allen der Respect ge-
zollt wird, der in einer zahlreichen Familie dem
Aeltesten gebührt, weilt zur Zeit in London, wo er die
Anhänglichkeit und Sympathie seiner wackeren «Jungen»
schwer vermisst.
James Guthrie ist vielleicht von der ganzen Schaar
der vielseitigste Künstler, der auch in der Welt schon
die meisten Erfolge genossen hat. Aeusserlich soll er
dem ersten Napoleon ähnlich sehen. Er ist darin vor
den meisten seiner Gefährten vom Schicksal bevorzugt,
dass er von den ruhigen Eindrücken eines behaglichen
Heimwesens umgeben ist und sich nicht mit Sorgen um
sein tägliches Brod zu plagen braucht. Er lebt bei
seiner Mutter, der Wittwe eines schottischen Predigers.
Als seine Eltern in London wohnten, hat er dort seine
erste Ausbildung genossen. In G.'s frühen Studien
ist ein starker Einfluss John Pettie's unverkennbar, der
einer seiner frühesten Lehrer war. Kaum einundzwanzig
Jahre alt, machte er eine Reise nach Paris; dort im
Salon ward ihm die Erkenntniss, dass die Eindrücke
unserer heutigen Alltagswelt einer ähnlichen Auffassung
würdig sind, wie sie ihn bei den alten Meistern, die ihm
aus der Londoner National-Galerie bekannt waren, stets
so sehr angesprochen hatte. Er kehrte mit dem festen
Entschlüsse nach Grossbritannien heim, in gleicher Auf-
fassungsweise das moderne wirkliche Leben mit künst-
lerischer Tiefe und Kraft des Ausdrucks malen zu lernen.
Monate vergingen ihm mit vergeblichem Bemühen. Er
wollte sich nicht mit dem billigen Erfolge begnügen,
den er durch die mit Virtuosität betriebene Kunst eines
Nachahmers hätte erzielen können, vielmehr wollte er
selber sehen und das von ihm Gesehene dann in einem
wahrhaft edlen und charakteristischen Stil zur Dar-
stellung bringen.
So gingen Sommer und Herbst dahin, und der
Winter war in's Land gekommen. In dem schottischen
Dorfe, wo G. damals Aufenthalt genommen hatte,
war Jemand gestorben, und nach dörflicher Sitte ver-
sammelte sich die ganze Einwohnerschaft, um dem Todten
die letzte Ehre zu erweisen. Auch G., obwohl fremd
in dem Orte, mischte sich unter die Leidtragenden.
Die schlichte Leichenfeier, welche vor der offenen Thür
der Hütte stattfand, weil in dieser selbst nicht genügend
Platz für eine so zahlreiche Versammlung war — die
ganze Scene in der schneebedeckten Winterlandschaft —
machte auf den Künstler einen tiefen Eindruck. Sofort
eilte er an seine Staffelei , und sechs Wochen später
hatte der damals Zweiundzwanzigjährige das Gemälde
vollendet, welches ihm einen Namen in der Kunstwelt
verschafft hat — « das schottische Leichenbegängniss »
(Scottish Funeral). Das Motiv gab ihm Gelegenheit,
sich als einen Maler zu zeigen, der mit bedeutendem
Kunstgeschick, einem scharfen Blick für das Charak-
teristische und Sinn für Gesammtwirkung begabt ist;
während sich bei dem feierlich ernsten Vorgang jener Stil
einfacher Erhabenheit von selbst ergibt, der in G.'s
durchweg vornehmer Natur begründet ist und sich in
allen seinen Werken zeigt. Nach diesem ersten Erfolg
erwies sich deutlich, wess Geistes Kind dieser Mann
war. Hätte weniger Kraft in ihm gesteckt, so würde
er nun der Versuchung nachgegeben haben , sein
Glück immer wieder auf dem einmal betretenen Pfad
zu suchen. Ihm aber war dies erste Gelingen nur
ein Sporn zu noch gründlicherem Studium der Natur.
Er war einsichtig genug, ein fortgesetztes Cultiviren
des sentimentalen Genres , so berechtigt das rührende
Element in dem « Leichenbegängniss » auch gewesen,
13
98
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
für die Laufbahn eines Künstlers als verderblich
zu erkennen. So wendete er sich denn mit voller
Energie wieder zur Natur, um ihr fernere Inspi-
rationen abzugewinnen. Arthur MehnlU erblickte das
fLeichenbegängniss» in Glasgow, als es daselbst aus-
gestellt war, und Hess sich mit dem Maler bekannt
machen, um ihm seine Anerkennung auszusprechen.
Dies führte zu einer Freundschaft, die spätere, werthvoUe
Ergebnisse zur Folge hatte. In dem schottischen Dorfe,
wohin G. sich bald nachher begab, um Natur zu
Studiren, schloss MtlvUU sich ihm ao, und die Beiden
arbeiteten eine Zeit lang in Gemeinschaft.
Für G. war es eine besonders glückliche Fügung,
dass er gerade in dem Stadiimi seiner Laufbahn, wo
seine Richtung schon bestimmt war, er aber in tech-
nischer Beziehung noch nicht auf der Höhe seiner Ent-
wicklung stand, mit einem Coloristen wie MehHUe in
Berührung kam. Er profitirte unter dem Einfluss des-
selben ausserordentlich. Damals beschäftigte er sich
\-iel mit Studien experimentaler Art, doch malte er auch
einige Bilder von Bedeutung, so tTheOrchard» («Obst-
garten»), und das Bildniss des Rev. Dr. Gardner, welches
in München mit der goldenen Medaille prämiirt wurde.
Der < Obstgarten s erinnert stark an die Gemälde von
Bastien Lepage , der in gleicher Weise die Wirkung
des Freilichts an Figuren erprobt hat. Das Bildniss
Dr. Gardner's ist eine Charakterstudie, bei welcher durch
einfache Portraitähnlichkeit eine gewisse Intensität des
Ausdrucks hervorgebracht ist. Sowohl in diesem Bilde,
wie in den « Schulkameraden » ist das Colorit vorwiegend
ein ernstes Grau , in Uebereinstimmung mit dem von
dem Maier in beiden Fällen eingenommenen Standpunkt
eines kühlen Beobachters der nüchternen Wirklichkeit.
Hierin liegt, wie treffend bemerkt worden ist, die Stärke
und zugleich die Schwäche dieser Bilder. Es bekundet
sich in ihnen gewissermaassen ein künstlerischerAgnosticis-
mus, insofern darin nur die materielle Seite des Daseins,
allerdings mit wunderbarer Naturtreue, wiedergegeben ist,
jedoch unter völligem Ignoriren des geistigen Wesens,
das von einem grossen Theile der Menschheit als einziger
Grund für das Vorhandensein der materiellen Form
stets betrachtet werden muss. So vortrefflich ihm diese
Bilder auch gelungen sind , konnte sich G. von
solch barem Agnostikcrthum nicht lange befriedigt
fühlen. Er suchte nach einem besseren Ausdruck seines
künstlerischen Empfindens. In dem c Obstgarten ,■ ge-
stattete er seinem Genie grössere Freiheit; er Hess sich
nicht mehr von der peinlichen Musterung seines Gegen-
standes beherrschen. Er analysirte weniger und sah mehr.
Anstatt einer correcten, kalten Abbildung äusserlicher
Formen ist uns hier ein von dem echten Hauch künstler-
ischer Begeisterung durchwehtes Kunstwerk geboten.
G. bekam wie gesagt in München die goldene Me-
daille; dass ihm die Auszeichnung zu Theil wurde, er-
freute alle in hohem Maasse. « Hier sagte man sich (d. h.
in München) sind Menschen, die Verständniss für uns be-
sitzen, die den Geist unseres Strebens erfassen». In die
Freude mischte sich aber ein Gefühl der Enttäuschung, als
sie erfuhren, dass nicht der « Obstgarten » preisgekrönt
war, das Werk, worin der Künstler sich von der besten
Seite seines Könnens zeigt, und ganz den Character der
neuen schottischen Schule repräsentirt. Eine Prämiirung
dieses Bildes hätte bewiesen, dass man die Schule und
ihre Tendenz richtig aufgefasst und geschätzt habe. Nun
war der Preis einem Gemälde geworden , das freilich eine
ganz vorzügliche Probe künstlerischen Könnens ist, doch
weniger mit der neuen Schule, als mit der modernen
materialistischen Richtung gemein hat, welche eben diese
neue Malerschule zu verdrängen trachtet. Mit Aquarell-
malerei hat G. sich kaum beschäftigt; kürzlich aber einige
besonders schöne Erfolge in Pastellfarben erzielt, in deren
Behandlung er sich übrigens schon lange vor der neuer-
dings eingetretenen Manie für Pastell mit grossem Glück
versucht hat. Seine Studien in diesem Fache zeugen
von einer merkwürdigen Gabe des^ Erfassens rasch
wechselnder NatureindrUcke. *)
Als Mensch und als Künstler hat .sich Jofm Lavery
einer grossen Beliebtheit bei den t Boys » zu erfreuen.
Er ist durch und durch eine eigenartige Individualität,
ein gebomer Impressionist und im Stande, seine Ein-
drücke mit Fleiss und Sorgfalt wiederzugeben. Starke
und lebhafte Impulse sind dieser leicht erregbaren Künstler-
natur eigen. Mehrere seiner besten Werke verdanken ihr
Entstehen der Eingebung des Augenblicks. Er venverthet
seine Motive mit Geschmack und sicherer, kräftiger Be-
handlung des Stoffes. Seine Gemälde sind von einer vor-
*) Ausser den beiden obengenannten hatte derselbe Autor in
München 1890 weiter ausgestellt ein lebensgrosses Reiterportrait des
Gg. Smith Esq. in Glasgow, ebenfalls vorzüglich als I^eistung, weiter
das Bildniss des Rob. Gourlay lisq. ebendaselbst und eine vorzug-
liche landschaftliche Darstellung c Das Kornfeld >. Wir verweisen be-
züglich näherer Details auf die Ausstellungsberichte des Jahrganges 1890.
Anmerk. der Redaction.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
99
nehmen Schönheit, sie haben etwas Anmuthiges und zu-
gleich Flottes, dabei die wohlthuende Harmonie und die
ruhige Sicherheit eines sich seiner Kraft bewusstenKünstlers.
Z,.^ist noch ein junger Mann und hat seine besten
Jahre noch vor sich. In Glasgow ist er mehrere Jahre,
wie er selbst erzählt, redlich bemüht gewesen, mit der Brod-
frage zu kämpfen, ohne dieses Problem immer befriedigend
lösen zu können. Im Jahre 1881 gerieth er in den Bann
von Paris, das heisst, unter die künstlerischen Einflüsse,
die dort in der Luft liegen. 1883 stellte er sein erstes
Gemälde cLes deux pasteurs», im Pariser Salon aus,
welches von dem Bildhauer St. Marceaux gekauft
wurde. Den grösseren Theil des folgenden Jahres
verlebte er in ländlicher Einsamkeit, an den stillen
Gewässern von Gretz. Als er dann mit der Absicht
nach Glasgow zurückkehrte, sein dortiges Atelier auf-
zugeben, fand er daselbst die neue Kuastbewegung vor,
die ihm durchaus sympathisch war, und er beschloss,
wenigstens noch eine Zeit lang an den Ufern des Clyde
zu bleiben. Er hat Glasgow seitdem nicht wieder ver-
lassen und ist in die Gemeinschaft der c Boys > getreten,
obwohl er nicht alle charakteristischen Merkmale ihrer
Schule angenommen hat. Seit Glasgow sein fester
Wohnsitz geworden, ist mit der Aufzählung seiner Bilder
auch seine Biographie gegeben. Hauptwerke von ihm
sind die c Lawn tennis party r- (Ballspiel - GeselLschaft),
welches für die Münchener Pinakothek angekauft ist,
und zwei Gemälde, deren Motive der Geschichte der
unglücklichen Königin von Schottland. Maria Stuart, ent-
nommen sind. Die t Tennis party » lässt die Haupt-
vorzüge der Fähigkeit L.'s erkennen — seine frische
und glückliche Beobachtungsgabe, sein .scharfes Auge
und seine sichere Hand, welche sich besonders in der
gelungenen Wiedergabe des Spieles von Licht und
Schatten bewährt hat.*) Seine Behandlung historischer
*) Unter den 1890 in München ausgestellt gewesenen Bildern des
genannten Künstlers erregte die c Sommers - Zeit > (pag. 44 in diesem
Jahrgange der Zeitschrift wiedergegeben), weit mehr noch das Interesse
der Künstlerwelt, als die Tennis party, weil sie des Autors Anschauung
vielleicht noch kräftiger präcisirte. Dass nicht gerade immer die besten
Bilder eines Künstlers für die Pinakothek gekauft werden, ist eine in
der Künstlerwelt längst bekannte Thatsache, indem es sich bei diesen
Ankäufen durchaus nicht immer blos um die ausgesprochenen Fähig-
keiten eines Künstlers handelt, am wenigsten aber um ganz Modernes.
Von Lavery lüYiTlen übrigens eine ganze Reihe bedeutsamer Werke
der MUnchener 1890er Ausstellung her, so eine prächtige weibliche
Actstudie, ein «Junges Mädchen in Schwarz», «Brücke zu Gretz >,
«Dawn, May 141h 1568 > und das prächtige grosse Pastell «Sirene».
Anmerk. der Redaction.
Gegenstände ist eine völlig unconventionelle. In « Dawn,
May 14^ 1568» (Morgendämmerung des 14. Mai 1568),
ist Maria Stuart in der trostlosen Stimmung dargestellt,
die sich ihrer nach der auf die verhängnissvolle Schlacht
bei Langside gefolgten schlaflosen Nacht bemächtigt
hatte. Der Maler hat hier auf die beliebten historischen
Details verzichtet, auch effectvoUe Localfarben verschmäht.
Die beiden Figuren des Bildes sind vollkommen realistisch
aufgefasst. Die ihrer letzten Hoffnung beraubte Königin
und ihre Dienerin, .sind Gestalten, welche unbedingt eine
mächtigeWirkung auf den Beschauer üben müssen. Sowohl
in Haltung wie Geberden bekunden sich völlige physische
Erschöpfung und tiefe Verzweiflung bei diesen von hilf-
losem Jammer erfüllten Frauen. Für Lavery sind die ge-
krönten Häupter nicht von göttlichem Zauber umstrahlt.
Nach Guthrie s Niederlassung in dem malerischen
schottischen Dorfe Cockburnspath, das in Künstlerkreisen
durch das dort vereinigt gewesene Malerquartett einen
denkwürdigen Namen gewonnen hat, gesellte sich als
Vierter zu den dort schon Arbeitenden George Henry,
ebenfalls ein Glasgower. H. hatte schon als selbst-
ständig schaffender Künstler von origineller Begabung
einen ehrenvollen Platz unter den Pionieren der neuen
Richtung erworben. Noch vor einem halben Dutzend
Jahren waren seine Leistungen fast nur von experimentalem
Character gewesen — plumpe Versuche , die geeignete
Form für Das zu finden , was er ausdrücken wollte.
Selbst jetzt noch zeigen seine Werke die Merkmale einer
etwas schroffen Eigenart, und dass in seinen Bildern
eine viel zu individuelle Auffassung markirt ist, um dem
grossen Publicum verständnissvolle Theilnahme abzu-
gewinnen, zeigte sich bei seiner in München ausgestellt
gewesenen Galloway - Landschaft. Dass Henry seinen
Weg fand, ist Edward Homel zuzuschreiben, mit dem
er vor etlichen Jahren auf dem Lande zusammentraf,
und dessen unzertrennlicher Gefährte er seitdem ward.
Sie arbeiten in einem Atelier und oft an einem Bilde.
« Die Druiden » (in München gewesen) ist eines der
ersten bedeutenderen Werke, welche sie gemeinsam aus-
geführt haben. Henris «Aufgang des Mondes in
Kerkenbright gesehen», bezeichnet den Höhepunkt der
ersten Periode seines Schaffens. Das von grauem Zwie-
licht erfüllte Landschaftsbild ist in einfachem Tone
gehalten; die Farbengebung ist schön, ohne aufdringlich
zu berühren. Das Formenverhältniss legt Zeugniss
dafür ab, dass dem Maler ein feines Gefühl für decorative
13*
100
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Wirkungen innewohnt. Dieser Sinn für das decorat ive
Element bildet in der That den Grundzug aller Malerei
H!s. In Bezug auf Kraft und Inspiration sind seine
Bilder von durchaus schottischem Charakter ; desgleichen
in jenem Ahnen des Uebersinnlichen, wofür die Schotten
in ihrem Dialect das Wort cFeyt haben. George
Hatry besitzt gleichsam die Gabe des zweiten Gesichts.
Er fasst, während er die äusseren Erscheinungen der
Natur in sich aufnimmt, dieses Endliche als die Hülle
auf, welche das Unendliche umkleidet. Dieser Geist.
von dem die Werke fast aller dieser jungen Schotten
mehr oder weniger durchdrungen sind, offenbart sich
auch in H.'s cMushroom gatherer» (Die Pilzcsamm-
lerin), einem kleinen, wunderbar stimmungsvollen Bilde,
das ebenfalls in München ausgestellt war. Es ist um
die Dämmerstunde des grauenden Morgens, und grade
über dem im Profil gesehenen Kopf des jungen Mäd-
chens, das sich in dem matten Zwielicht niederbeugt,
steht die gelbe Scheibe des sinkenden Mondes. Das
Motiv ist mit Zurückhaltung behandelt, doch liegt eine
Fülle gedämpfter Farbentöne über den weiten Flächen.
Bei der Galowaylandschaft hat er eine entgegen-
gesetzte Wirkung erstrebt und in Farben , diesem
wichtigsten Mittel der Imaginationsmalerei, förmlich ge-
schwelgt. Das Bild glüht und sprüht von Farben; und
es würde Einem beim Anschauen dieser Pracht durch-
aus natürlich dünken , wenn Moses in einer .solchen
Landschaft den brennenden Busch erblickte, oder das
Licht vom Himmel käme, das den Apostel Paulus um-
leuchtete, da er gen Damascus wanderte. Henry, der
sonach seine Kraft in zweierlei Art zu bethätigcn weiss,
bürgt durch seine bisherigen Studien in der Farben-
gebung dafür, dass ihm bei grösserer Reife und höherer
Beherrschung des künstlerischen Ausdrucks noch edlere,
vollendetere Kunstschöpfungen gelingen werden.
E. A. Walton, der in seiner äusseren Erscheinung
eine merkwürdige Aehnlichkeit mit Robert Bums besitzt,
und dem die « Boys > wegen seiner Vorliebe für die
japanische Kunst den Spottnamen Hokusai gegeben
haben, nimmt künstlerisch so ziemlich die gleiche Stell-
ung ein wie Lavery. Auch er fasst die Dinge von der
heiteren Seite auf, und lässt sich am liebsten von leichten,
gefälligen Eindrücken inspiriren. Doch neben diesem
Hang besitzt er auch die Fähigkeit ernster Empfind-
ungen. W. ist wie ein Kind , das , ohne .sich viel
Rechenschaft von seinen Stimmungen zu geben, ganz
in Dem aufgeht, was sein Wesen just erfüllt. Seine
Bilder sind der genaue Ausdruck seines Wesens, und
so kommt es zuweilen vor, dass er zwei verschiedene
Stimmungen in einem Gemälde vermischt, was zu keinem
besonders harmonischen Ergebniss führt. Eine grosse
Anzahl seiner Bilder sind Portraits. Obwohl er von
Hause aus Landschafter ist , erkannte er doch schon
rechtzeitig, dass das Malen von Köpfen für die tech-
nische Vervollkommnung eines Künstlers ausserordentlich
forderlich ist. Seine Bildnis.se sind besonders als Charakter-
studien von Werth. Am Besten sind ihm jedoch un-
streitig landschaftliche Naturaufnahmen gelungen. •) Seit
Cedl Lmvson gestorben ist, hat Grossbritannien keinen
Landschaftsmaler ersten Ranges besessen. W. dürfte
dereinst berufen sein, die Lücke auszufüllen.
Unübertrofi"en in Bezug auf die Technik ist Joseph
Craxvhall. Der. Pinsel scheint in seiner Hand zum
Zauberstab zu werden. Mit wenig Strichen erreicht er
viel, denn jeder Strich ist von Bedeutung. Die meisten
seiner Bilder sind Aquarelle, und am liebsten malt er
Thiere. Seine Pferde, Hunde und Tauben sind wirkliche
Charakterstudien. In seinen Malereien liegt Witz, .sie
wirken gleichsam wie Epigramme, und hiedurch bringt
er seine jungen Kunstgenossen nicht selten zum Ver-
zweifeln am eigenen Können. Seine leichte, gewandte
Pinselführung scheint ihrer Mühe und Anstrengung zu
spotten. Sein Einfluss wirkte, wie der IVa/fon's, un-
gemein heilsam für die Mehrzahl der Genossen, deren
Ernst vielleicht sonst einen Mangel an Frische erzeugt
haben würde. Er .strebt nicht, wie es in der europäischen
Kunst allgemein üblich ist, nach einer Gesammtheit des
Naturbildes, das er uns vorführt. Er sagt ganz offen:
< Das Ensemble interessirt mich nicht ; ich verweile lieber
bei den Punkten, die mir gefallen >. Und so erinnert
seine Auffassung an den japanischen Geschmack, der sich
am Hervorheben der Hauptsachen genügen läs.st, ohne
sich um die Zwischenräume zu bekümmern. C. malt
fast nur kleine Bilder, was bei seiner Methode und
•) Die geehrte Autorin dieser Zeilen mag es der Redaction nicht
verübeln, wenn sie in diesem Falle etwas anderer Ansicht zu sein sich
erlaubt. Das mit einer Medaille ausgezeichnete c Portrait eines jungen
Mädchens > (Vollbild siehe [«ig. 20 dieses Jahrganges der Zeitschrift)
war eine Leistung, der man allgemein die erste, höchste Auszeichnung
der iScjoer Ausstellung vindicirte. Wenn alle I^andschafter solche Bild-
nisse malten , dann wären die specifischen Portraitmaler völlig über-
flüssige Figuren, denn die Behandlung der Farbe ist bei fVatt(m eine
ebenso volle, empfundene, durch und durch künstlerische, wie auch die
Wiedergabe der Form. Anmerk. der Redaction.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
101
seinen Motiven auch selbstverständlich ist. Von fes-
selndem Reiz sind einige seiner Pastellbilder.
Jaitus Patterson wird gleich Lavery nicht ganz als
zur Gemeinde gehörig betrachtet. Sie Beide besitzen von
Dem, was der neuen Schule charakteristisch ist, die
äusseren Merkmale, welche sie auf ihre sonst dem Tages-
geschmack entsprechenden Bilder übertragen.*) Nach
Ansicht der < Boys » sind diese Beiden eben nur in Paris
ausgebildete Maler, die zufällig in Schottland ihre Kunst
ausüben, um davon zu leben, doch des tiefen Ernstes,
jener Innerlichkeit, wovon die echten Werke der Schule
durchweg durchdrungen sind, ermangeln.
Geistig fördernd und anregend wirkt aui alle Mit-
glieder der Gemeinde der Landschafter Macaulay Ste-
venson, dessen Aquarelle sich durch die feinste Zartheit
der Behandlung auszeichnen. Er ist der Freund Aller,
ein stets wohlwollender, wenn auch strenger Kritiker.
In seinem Atelier finden die Versammlungen statt, und
bis jetzt hat er mit den von Noth bedrückten Collegen
jeden Pfennig seiner Baarschaft getheilt. Seine Land-
schaften sind von echt schottischem Charakter; meist
schattige Waldesgründe, die man sich als Tummelplatz
von Geistern vorstellen kann. Er malt gern Mondschein-
EfTecte, weshalb ihm die «Boys» den Beinamen «The
Moonlighter» (der Mondanzünder) gegeben haben.
David Gould liebt Wolkeneffecte darzustellen, bei
denen er zur Verwunderung der Philister vom soge-
nannten Realismus gänzlich Abstand nimmt. Seine
Farbengebung ist ernst, fast traurig stimmend ; Schwarz
und Grün oder Grün und Blau sind seine liebsten Zu-
sammenstellungen. Man hörte vielfach äussern, dass
seine Compositionen, im Stil der gemalten Fenster alter
düsterer Kathedralen auf Glas gemalt, sich viel schöner
ausnehmen würden, als auf Oelgemälden. Auch hat er
in der That ganz kürzlich einen Entwurf für ein Fenster
vollendet, der so viel Beifall fand, dass ihm darauf hin
das Anerbieten eines kleinen gesicherten Einkommens
nebst einem Antheil an allen fiir seine Glasmalereien
zu erzielenden Einnahmen gemacht wurde.**)
Bei der Beurtheilung dieser neu entstandenen schot-
tischen Schule wäre es verfehlt, einen anderen Maassstab
anzulegen, als den unserer eigenen Kunstperiode. Man
darf diese jungen Maler nicht etwa auf eine Stufe mit
den grössten Künstlern aller Zeiten stellen wollen. Sie
üben ihre Kunst in einer individuellen, neuen Weise aus,
sie streben eine neue Richtung an, die mehr mit der
Malerei der alten italienischen und deutschen Meister
verwandt ist, als sie mit den Traditionen Rembrandfs
gemein hat, dessen Methode das Kunstleben Europa's
seit den Tagen dieses Meisters mehr oder weniger be-
herrscht. Die aus der neuen Schule hervorgegangenen
Gemälde haben etwas von jener strengen, zuweilen in
schroffe Rauhheit übergehenden Behandlung, die jeder
Pionierarbeit anhaftet, und in diesem besonderen Falle
auch dem Charakter des Landes und der Rasse der
Pioniere selber entspricht. Diese Eigenthümlichkeit ist
hier durchaus nichts Ungehöriges. Was bei Kunstwerken
eines durch Generationen überkommenen, ausgereiften
Stils ein Fehler sein würde, ist bei einer neuen, noch
im Durcharbeiten begriffenen Kunstrichtung ein gutes
Zeichen. Weist die neue Schule auch in ihren jetzigen
Leistungen mehr Strenge als Anmuth, mehr die Spuren
von Anstrengung als Behagen auf, so sind diese Neuen
doch auf dem richtigen Wege und können es, was den
Geist und die Entwicklungsfähigkeit ihrer Kunst betrifft
— abgesehen von den ersten Grössen — mit den Besten
ihrer Zeit aufnehmen.
Obwohl sie nach ihrem persönlichen Geschmack
und Talent die grösste Verschiedenheit in den Motiven
wie der Behandlung aufweisen , haben diese jungen
Schotten doch Alle einen verwandten Zug, der ihnen
eine Art Familienähnlichkeit verleiht. Dies ist in An-
betracht des sie Alle beherrschenden Geistes nicht eben
wunderbar. Trägt somit eines Jeden Schaffen den
Stempel einer besonderen künstlerischen Individualität,
so darf man doch von Keinem aus der Gruppe behaupten,
dass er ohne Bedeutung für das Gedeihen der ganzen
Schule gewesen wäre.
*) Gerade Palerson 's Landschaften gehörten zu jenen Bildern, die
unter den Künstlern in München das grösste Aufsehen machten durch
die Kühnheit der Farbenbehandlung und die Tiefe der darin liegenden
Naturbeobachtung. Anmerk. der Redaction.
»*) Unter den zahlreichen schottischen Ausstellern, welche hier
nicht mit Namen genannt sind, dürfte vielleicht noch einer aufgeführt
werden , dessen Bild , < Der gute König Wenzel > , allgemein mit Ent-
zücken betrachtet wurde, Alexander Rocht, von dem ausserdem das
köstliche Bild c Die Kartenkönigin j, sodann c Auf dem Gipfel», «Miss
Leo» und « Die Schafhirten » die Ausstellung zierten. Anmerk. d. Red.
•""^^Sf?^"
108
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
NOCH EINMAL „VON UNTERWEGS"
VON
H. E. VON BERLEPSCH.
Verehrtester/
V\ erden Sie ungeduldig darüber, dass ich nochmals
€Von Unterwegs > schreibe? Es zieht mich gar nicht so
fürchterlich hinüber nach unseren deutschen Gauen, wo
allcrNvege noch sehr kühle Lüfte wehen, wo es mehr
Professoren und Gcheimrathc als Menschen giebt, und
Poeten, die vom Geiste unserer Zeit keine Ahnung
zu haben scheinen. Bürger- und Volksbühnen errichten
wollen, auf denen mittelalterliche Figuren den Sieg der
Tugend über das Laster, sittsamer Weiblichkeit
über politische Bösewichter darstellen und derlei
Rumpelkammer-Dichtung als moralischer Hebel
an die Erziehung des Volkes heute, sage heute,
antjesetzt werden soll ! Ob unsere Antiquitäten-
dichter sich irj^end etwas von ihren Comödien
versprechen, was auf den Gang der Dinge Ein-
fluss haben könnte? Am Ende ^arl Oder sind
sie Apostel im Dienste höherer Machte? Sie
wollen übrigens gewiss nur. dass der Dusel des
Lebens immer der gleiche bleibe, sie wollen
nichts von der gährenden Kraft wissen , die
langsam aber sicher wie ein elementares Ereig-
niss alle Schichten erfasst , unberechenbar in
ihren Resultaten ist. Ach — die Publicums-
Grössen ! Sie gehen doch wohl immer auf Stelzen,
nicht auf eigenen Beinen , und das Köstliche
dabei ist . dass ganz wenige nur das unnatür-
liche hölzerne, absagbare Untergestell sehen,
die Mehrzahl aber an die wahrhaftige Grösse solcher
Erscheinungen glaubt ! Oh — deutsche Poesie , wie
welk sind Deine Ritter - F"räulein - Brüste geworden! Ich
sah übrigens neulich einen Seiltänzer, ganz in Eisen
als Ritter gekleidet, mit der Balancirstange über das
Seil gehen. Ob der Mann von sich aus diesen heillos
ironischen Einfall hatte? Giebt es unter den Seiltänzern am
Ende wirkliche Ritter? Warum nicht I Zieht doch auch
eine wirkliche, unbestritten acht Principessa als Tingel-
Studie.
Tangel-Sängerin durch die Welt! Fragt aber Einer, ob
unsere Ritter auch Reiter seien (was im Grunde ge-
nommen Eins und Dasselbe ist), so könnte ihm vielleicht
Oberländer darüber Aufschluss geben, wie ein berittenes
Ordensritter-Capitel von heute aussähe I
Wären Sie übrigens auch hier, in dieser wunder-
baren Stadt, oder vielmehr nicht in der Stadt, son-
dern hier oben in den luftigen Höhen von Fiesole,
so würden Sie es begreiflich finden, dass ich nicht
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
103
schon längst wieder über die Alpen heimgesegelt bin
in mein Atelier, wo 's am behaglichsten ist, wenn im
Ofen das Feuer knistert und die Schneeflocken am
grossen Fenster vorbei in die Tiefe fallen, wenn's also
Winter ist und der Mensch gezwungenermaassen sich
innerhalb seiner vier Wände bewegen muss. Dann —
ja dann ist der Norden mit seinen geheizten Stuben ein
wahres Eldorado , derweilen man in Italien friert und
ungezählte Tropfen Rothweines durch die Kehle träufeln
muss, um nur einigermaassen in warme Stimmung zu
kommen. Die Nordlän-
der bilden sich immer ^
ein, im c weichen Süden >
friere man nicht, dess-
halb müsse man eigent-
lich die Zeit, wo bei uns
der Christbaum brennt,
in italischen oder an-
deren Landen fremder
Zunge südlich vom 46.
Breitegrad zubringen,
die Neujahrsnacht in
Sommerkleidern auf der
Strasse feiern und am
Dreikönigstage das erste
kleine Sonncnstichlein
heimbringen. Derweilen
verhalten sich die Sachen
ganz anders ; wenn die
Sonne scheint, wenn es
heiss ist, dann ist Italien
eigentlich erst Italien; zur
Winterszeit aber friert
man hier mehr wie bei
uns, denn Oefen sind
eine seltene und ausser-
ordentlich kostspielige Geschichte, da sowohl Holz wie
Kohlen von anständiger Qualität sozusagen schon mit^
zu den kostbaren Artikeln menschlicher Lebensbedürf-
nisse gehören, von Petroleum gar nicht zu reden —
das kostet dreimal soviel als der beste Wein. Auf
Allem, Allem sind eben Steuern, Steuern und nochmals
Steuern. Dafür aber hat Italien eine stolze Flotte
und ein gut — angezogenes Landheer, sehr viele arme
NobiH, beinahe so viele wie wir in Deutschland, armes,
noch mehr unzufriedenes Volk, das vielfach sogar in
Hugo Vogtl, Berlin. Studie,
anständigen Kleidern , aber mit knurrendem Magen
herumgeht und auf Jene nicht gut zu sprechen ist,
denen der Herrgott Amt und Würden , folglich be-
stimmte Einkünfte und damit auch Nebeneinkünfte ver-
liehen hat, welche dem grösseren Theile nach in achtem
gangbaren Gelde ausbezahlt werden. Ja, die Flotte und
das Landheer ! Sauber sehen sie aus , die italienischen
Soldaten , auch gehen die Officiere weder mit Stock
noch Regenschirm spazieren, wie man das zuweilen an
Militärs anderer Staaten, die an Italien grenzen, zu
beobachten Gelegenheit
hat; schlagen würden sie
sich zweifelsohne wie die
Löwen, wenn ihnen die
Gelegenheit dazu gebo-
ten, wenn z. B. so kleine
Nationenhatzen inscenirt
würden , wie man etwa
die beliebten und meines
Wissens nicht streng ver-
folgten , vielleicht im
Stillen sogar sanctionir-
ten « Corpshatzen » in
anderen Ländern , wo
.. Bildung » das Schlag-
wort vom frühen Morgen
bis zur späten Nacht ist,
ausficht. Es wäre eigent-
lich nicht übel , der-
gleichen Paukereien auf
neutralem Gebiet, an der
Grenze ! Vielleicht kommt
es noch dazu, statt der
kostspieligenMonstreauf-
führungen auf den Kriegs»
Schauplätzen einen klei-
neren Maassstab anzunehmen und dabei die Gegner erst
in homerischer Weise sich gegenseitig anbrüllen zu lassen.
— Uebrigens habe, ich, nebenbei bemerkt, unter den
italienischen Studenten blos ganze Gesichter, keine
Treffzonen für gegnerische Hiebe gesehen. Das frei-
heitliche Gefühl des Volkes, das in gewissen Beziehungen
ja ausserordentlich hoch entwickelt ist, würde sich da-
gegen auflehnen, dass man einem bestimmten Stande
das Recht gegenseitiger Körperverletzung offen oder
wenigstens im Stillen zugesteht, während für andere
104
DIE KUNST UNSERER 7FIT.
Bevölkerungsschichten in sol-
chen Dingen der Giminal-
codex jederzeit seine An-
wendung findet. Das ist ein
Zug von natürlichem , ge-
rechtem Empfinden, der viel-
leicht auch anderswo einmal
zur Geltung kommt, wenn das
Princip fwas dem Einen
recht, ist dem Andern billig »
vor dem Gesetze thatsäch-
lich zur Durchführung ge-
langt und es vor der Göttin
mit den komischerweise ver-
bundenen Augen— sie schielt
ja mehr oder weniger doch
unter der Binde hervor —
nur einerlei Recht und Un-
recht für Alle ohne Ansehen
der Person giebt. — Doch
— wozu hier oben, in dieser
göttlichen Ruhe an all' der-
gleichen Larifari denken !
Vom Monte Senario her
wellt ein leiser Wind, der
hin und wieder das Rau-
schen des Mugnone aus dem
Thale heraufträgt, die schlanken Cypressenwipfel leise
biegt und grosse, runde, weisse Wolkenballen langsam
vom Mittelmeere her über das alte Etrurien nach der
Adria hinübertreibt. Am Hange nach dem Thal zu
arbeiten unweit von den Sitzreihen des Amphitheaters
ein paar Maurer am Fundament eines Hauses; man
hört zuweilen den Hammerschlag auf dem harten
klingenden Stein ; vom Klösteriein der Franziskaner, das
droben liegt, wo ursprunglich zweifelsohne ein etruskisch
Heiligthum und die Citadelle stand , tönt irgend ein
Glockenzeichen herüber — sonst ist's aber wirklich still,
ganz still, hier auf der Terrasse des Hauses von Ferucchio,
wo man einen bezaubernd guten Wein trinkt und wahr-
haft paradiesisch gute PoUastri gegen massige Bezahlung
zu essen bekommt , während drunten in der t Aurora >
— der Name ist für die Geldbeutel der dort Ein-
kehrenden sehr symbolisch — alle Preise heillos ge-
salzen sind. Solcherlei Salz kostet nichts ; das wirkliche
ist , wie gar viele der nothwendigsten Lebensdinge,
HngQ Vtgtl, Berlin. Stndie,
wahnsinnig theuer. Warum ?
Ja, da muss man Staats-
männer und Nationalöko-
nomen fragen, obwohl die
nationale Oekonomie in Ita-
lien ein Bild sonderbarer, nicht
besonders erfreulicher Art
giebt. Uebrigens — was geht
tias Alles mein verwaistes
Münchener Atelier an, das
mir just im Kopf herumging,
einen grossen Raum, über,
neben, unter welchem eben-
falls Ateliers sind ! Ich brauche
nur daran zu denken und
mir fällt alles mögliche Zeug
ein, das Stoff böte zu einer
herrlichen Arbeit über < Freu-
den und Leiden eines Atelier-
Inhabers ) ! Man steile sich
z. B. so einen jener unsäglich
miserabel construirten Mün-
chener Atelierhauskasten vor,
de.ssen Erbauer vor seiner
Würde als «Herr Bau-
meister 1 vielleicht Bäcker
oder Schuster oder sonst
was war, auf einmal aber das Baufieber bekam, was
ihm natürlich kein Mensch wehren kann. Ateliers
bringen viel Geld ein — also baut man Ateliers, stellt,
weil es überhaupt in den Münchener Wohnungen der
Fall , das miserabelste Fabrikat von Ofen hinein , das
irgendwo beim Abbruch von Arbeiterbaracken billig zu
haben war, klitscht an die Balken, welche Stockwerk von
Stockwerk trennen , ein paar Latten an, bewirft sie mit
schlechtem Gyps, macht grosse Fenster — da — das Atelier
ist fertig, kostet gehörige Miethe, und wenn man weiter
irgend etwas davon haben will, muss man eben brav selber
blechen ; ist es doch eine der hausherrlichen Cardinal-
tugenden, nichts machen zu lassen, es sei denn, dass
der Miether es bezahle. Doch mit dem Raum allein
hängen diese sc Freuden und Leiden eines Atclierbewoh-
ners .> nicht zusammen 1 Eis giebt ja auch Nachbarn,
z. B. Maler älterer Ordnung, Leute, die wie die fran-
zösischen Epiciers sich mit einem gewissen Alter zur
Ruhe setzen, an Kunst überreichlich genug geleistet
H^
0)
CO
©
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
105
und sich die nöthigen Mittel zum weiteren Lebens-
unterhalte eben in diesem handwerklichen Zweige ver-
dient haben, nichts desto weniger aber doch immer
noch sich den Luxus eines Ateliers erlauben , haupt-
sächlich massigem Lebensgenuss und ihrer Gesundheit
das Hauptaugenmerk zuwenden, Holz sägen und spalten,
den ganzen Tag mit genagelten Schuhen hin und her
laufen wie Menagerie -Einwohner in ihrem Käfig, immer
etwas zu hämmern, zu nageln, zu hobeln, zu feilen und
manchmal — Alter schützt vor Thorheit nicht — sogar
noch Besuch von jungen
Damen, wie es scheint
Athletinnen haben, die
— in welchem Costüm
es geschieht, weiss ich
leider nicht — Ring-
kämpfe aufzuführen
scheinen ! Ja — Atelier-
bewohner! Herrlicher
Titel für ein Werk, ge-
gen welches Herr Tar-
tarin in allen Ausgaben
eine Kleinigkeit ist !
Aber schreiben muss es
eben Einer, der es aus
eigener Erfahrung kennt
und die Maler so zeich-
net, wie sie sind, nicht
im Conventionellen No-
vellenstyl ! Vielleicht
thut's einmal ein Maler,
der schreiben kann. Er
braucht nur zu erzählen,
was man selbst erlebte ;
das ist oft so toll, wie
man es kaum erfinden
könnte. Und da sogar Paul Lindau zugiebt, dass,
wenn ein Maler das Schildern mit der Schreibfeder
verstehe, es ganz gewiss viel besser ausfalle, als alle
und jede Berufsschriftstellerei , so ist zu hofien, dass
sich eines Tages der rechte Mann finde, um so mehr,
als die allgemeine Durchschnittsbildung in Künstler-
kreisen entschieden eine steigende Linie gegenüber
früher zeigt, wo es beinahe als ein Vorzug galt, mög-
lichst roh, brutal, ungeschlacht aufzutreten und vielleicht
keinen richtigen Satz schreiben zu können. Das ist
//ugo Vogel, Berlin. Studie.
noch gar nicht lange her, noch kein halbes Menschen-
alter, und böse Stimmen behaupten, es gebe sogar
künstlerische Titelträger, die mit dem A-B-C auf ge-
spanntem Fusse stünden, während sie das Einmaleins
vorzüglich zu handhaben wüssten, und zwar nicht blos
das künstlerische Einmaleins, sondern schon das andere,
eigentliche. Unter den französischen Künstlern sind
nicht wenige, die mit der Feder umzugehen wissen,
dass es nur so eine Freude ist; stellt doch überhaupt
die litterarische Weit zusammen mit der künstlerischen
dort eine viel einheit-
lichere, in den geistigen
Interessen enger ver-
knüpfte Gemeinschaft
von Schaffenden dar, als
es bei uns im zünftigen
Deutschland der Fall
ist 1 Entbehren wir nun
auch der schriftstellern-
den Maler oder der
malenden Schriftsteller,
so ragt dafür eine an-
dere Körperschaft stark
in's Bereich der Kunst
oder wenigstens der
malenden Menschheit
hinein, die Armee näm-
lich — aber nicht im
activen Zustande. Was
dagegen in Pension lebt
— und die Zahl dieser
wird bekanntlich fleissig
gemehrt ~ das malt, mit
wenigen Ausnahmen.
Es kam mir vor-
hin der Ausdruck « Ma-
lende Schriftsteller» in den Mund.
Wissen Sie auch, dass von solchen, von wirklichen
« malenden Schriftstellern » in Paris ein wirkUcher « Salon »,
der dritte , eröffnet worden ist und zwar unter dem
Titel « Poil et Plume » ! Soll ich Ihnen davon etwas
erzählen ^ Ich bin zwar nicht selbst dort gewesen, auch
wäre mir Das , was ich in deutschen Zeitungen , von
deutschem Beurtheilungsstandpunkt ausgehend (der natür-
lich eigentlich der maassgebende für die ganze gebildete
Welt sein sollte , von Rechtswegen ! !) gelesen habe,
U
106
L)l£ KUNST UNSERER ZEIT.
durchaus nicht maassgebend , denn was hat im grossen
Ganzen (wenige specielle Fälle au^enommen) die deutsche
Journalistik für einen Standpunkt gegenüber von Dingen,
die ausser das Fach der Historienmalerei einerseits und
der Heiligenmalerei anderseits fallen 1 Und nun vollends
einer Ausstellung Geschmack abgewinnen können, an
der man in manchen Fällen nicht so sehr das technische
Geschick als den geistreichen Einfall, den künstlerischen
Wurf in rohen Umrissen bewundem muss — das ist
eine Forderung an unsere Kunst-Feuilleton-Rechthaber,
die wahrscheinlich bei den meisten zu hoch gespannt
erscheint; wird doch das Publicum systematisch dazu
erzogen, in einem möglichst maschinell exercirenden
Soldaten das Ideal des Staatsbürgers, in peinlich durch-
geführter und ausgetüftelter Malerei den letzten,
höchsten Endpunkt der Pinselkunst zu erblicken, und
wie viele Pinsel arbeiten nicht dieser Anschauung zu
Gefallen, theils aus materieller Ueberzeugung, theils aus
wirklicher Talcntlosigkeit !
Nein, was ich von i Poil et Plume> weiss, das
habe ich im « Figaro > gelesen, und da mir das Scriptum
in seinem heiteren, geistreichen, nichts weniger als pro-
fessorlich-docirenden Tone gefiel, so schadet es am
Ende nichts, wenn ich das Eine und Andere weder-
gebe, um so mehr, als vielleicht manchen Lesern der
Kunst unserer Zeit > der < Figaro > nicht zugänglich
ist. Es ist kein Geringerer als Raffatlli. der sich darüber
ausspricht Y.x saijt u. A. :
< Zwei Stunden war ich drinnen — es stieg mir
unwillkürlich der Gedanke auf, wohin denn all diese
Dinge einst kämen, auf welche Weise sie vom Schicksal
zerstreut, zerknittert würden , doch — für den Moment
genügte es mir, Namen wie Glrard de Nerval, AI/rede
de Musset. de Baudelaire u. a. zu lesen , um eine ganz
grosse Portion Respect in mir wach werden zu fühlen,
^'eber Jene zu sprechen, welche in völliger Verkennung
ihrer Anlagen sich hier als Aussteller prasentiren. er-
lasse man mir. Uebrigens habe ich gerade hier die
Ueberzeugung von Neuem bekommen , dass mit der
wahren Kun-^t sich nicht Spass treiben lässt. und dass
Jene, die vielleicht am geistreichsten erscheinen, am
wenigsten den Namen eigentlicher Künstler verdienen.
Haben Sie vielleicht die Ausstellungen der ; Incohcrents
besucht, die seit einigen Jahren stattfinden, und fanden
Sie dieselben vielleicht lustig? Ich meinerseits fand sie
düster, sie stimmten mich traurig, und warum ? Weil
die kürzesten Spässe stets die besten sind und wir uns
kaum einen wirklich denkenden Menschen vorstellen
können, der acht Tage darauf verwendet, ein Witzlein,
einen sogenannten spassigen Einfall zu malen oder zu
radiren!*) Es hat sich mir dabei neuerdings eine Be-
merkung aufgedrängt, die ich schon öfter machte, die
nämlich, dass die geistreiche Art der Darstellung durch-
aus nicht immer ein hohes Maass wirklich künstlerischer
Empfindung vorauszusetzen braucht, dass die geschickten
unter den Malern durchaus nicht stets auch Künstler
vom reinsten Wasser seien. Ist es denn schliesslich ein
Triumph der Malerei zu nennen, wenn -ein gemalter
Zuave so aussieht, als klebte thatsächlich die rothe Mütze
auf der Leinwand, oder wenn beim Anschauen eines
gemalten Bauern sich die groben Holzschuhe wie wahre
Körper präsentiren?
Das grösste Vergnügen übrigens, was ich beim
Durchwandern dieser Aus.stcllung empfand, bestand für
mich darin, zu unterscheiden, wo der Ausfiuss des Schrift-
stellers einerseits, wo der eigentliche Maler anderseits
sich documentire. Diese Schriftsteller-Maler in ihren
zeichnerischen Leistungen richtig zu beurthcilen , dazu
bedarf es vielleicht eines ganz eigen künstlerischen Maass-
stabes. Was in erster Linie auffällt, ist die Ueberzeu-
gung, dass manche der Autoren dieser zweihundert
Leinewanden ohne weiteres die F"eder hinlegen könnten
und mit dem Pinsel nicht blos ihr Glück machen, nein,
dass sie wirkliche gros.se, gute Malerei machen würden.
Vor allen Anderen fällt Bergerat Caliban auf. Oelbilder
ebenso ^vie Aquarellen bezeugen seine mehr als ge-
wöhnliche Befähigung; kein Wunder, dass von ihm die
Idee zu dieser Ausstellung herrührt! Was kann sich
ein Schriftsteller für besseren Erfolg wünschen, als dass
er selbstgemalte Bilder verkaufe ; das thut er, und wenn
ihm also der Schmerz widerfährt, mit seinen Theater-
stücken bei den Herren dieser oder jener Intendanz kein
Glück zu haben — was thuts, komme er in unser Lager I
Wir sind nicht viel mehr als etwa zehntausend Maler,
*) Der geistreiche Autor obiger Zeilen kennt demnach das Gros
jener Künstler, oder sagen wir: «jener malenden Menschen» nicht, die
da glauben, es müsse hinter einem Bilde etwas Anekdotenhaftes stecken !
Wenn er nach München käme, könnte er diese Species nach Dutzenden
von selbstbe« ussten und sich selbst bewundernden Exemplaren kennen
lernen. Leider nimmt unser Publicum diese Leute noch immer als
ernsthafte Kunstler hin, und die Kamilicnjournale, welche HoUschnltt-
futter en masse brauchen, nehmen die Waare aus solchen Werkstätten,
da ihr Inhalt mehr als gemeinverständlich , jederzeit mit Handkuss an.
. Anmerk. d Red.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
107
also findet sich schon noch ein weiteres Plätzchen! —
Doch — er steht nicht allein, glaubt man doch bei gar
Vielen, sie üben die Malerei als ihren eigentlichen Lebens-
beruf aus. Da ist z. B. vortrefflich als Landschafter
Georges Diival, Henry Morel, als Marinemaler Louis
Gaillard; Firmin Javel brachte ein prächtiges Pastellbild,
einen Bergwald mit dunkeln Tannen darstellend, Paul
Massen und Fernand Calmettes zeigen sich als geistreiche
Illustratoren, Gonzague- Privat als Portraitmaler, und
schliesslich darf ich der Namen Gustave Rii>et, Clovis
Hugues , Toudouze, Ponchon,
Moreau- Vauthier, Rene Racot,
Maurice Montegut nicht ver-
gessen. Von M. Bonrdelle
rührt eine hübsche Terra-
cotte her, Philipp Gille und
Gaston Berardi, beide von
der t Independance beige •> ,
sandten reizende Broncen,
Mennos, der unübertroffene
Humorist, gab einen Affen
in Bronce, auf dessen Haupt
der Helm der Minerva sitzt,
Camille Lemonnier sandte ein
Paar im Ton wahrhaft gol-
dene Landschaften. Doch
damit nicht genug, auch
Damen betheiligten sich an
dem köstlichen Unternehmen.
Die eine davon ist Madame
Valirie Fould, die Verfasserin
der köstlichen im Theätre du
Gymnase aufgeführten Comö-
dien, die in der Welt unter
dem Autor - Namen Gustav
Haller segeln. Von ihr rührt
eine reizende Büste, das satirische Lustspiel darstellend,
her. Das ist Geist, Witz, Verstandesschärfe, und mit
welch coquettem Geschick die reizende Erscheinung ihre
Maske trägt! Es ist wahrhaft empfundenes Leben und
könnte in der Natur gar nicht anders sein.
Die andere Ausstellerin ist Gyp, Comtesse de Martel,
von der Linie der Mirabeau Tonneau, mithin vom wahren
alten Adel Frankreichs. Gyp ist, um es mit einem
Worte zu sagen, ein Wesen zum Närrischwerden , denn
Alles, was an ihr ist, zeugt von Witz und reisst zur Be-
Hug0 Vogel, Berlin. Studie.
wunderung, zum Erstaunen hin. Man liest ihre Romane,
ohne davon überzeugt zu sein, dass sie wahre Litteratur-
Leistungen seien, und dabei sind sie dennoch so reizend 1
Man schaut ihre Skizzenbücher durch, ihre Mappen mit
Zeichnungen und Pastellen jeder Art, ohne dass man
dabei gerade an eigentliche Malerei dächte, und dennoch
ist man von den Sachen entzückt — ja, wenn ich je
diese Dame, von der alle Romane sprechen, malen,
wenn ich eine charakteristische Erscheinung des aus-
gehenden Jahrhunderts geben wollte, so machte ich die
Reise nach Neuilly und würde
Gyp bitten, mir zu sitzen so
wie sie da bei « Poil et
Plume » sich zeigt, mit dem
prächtigen Strohhut, unter
dem alles Möglidie hervor-
schaut, was einem den Kopf
vollständig verdrehen kann!
Ich will die Reihe der
Lebenden mit den Besten
der Guten beschliessen : Mit
Haraucourt und Octave Mir-
beau. Ihnen gebührt eigent-
lich das höchste Lob, das
man Künstlern bieten mag.
Harancourt zeigt sich in sei-
nen zwei Pastellen als ein
feinfühliger Poet, bei Octave
Mirbeau aber tritt die ma-
lerische Anschauungsweise in
geradezu hervorragender
Weise zu Tage. Uns Maler
reizt durchschnittlich, was
vom Publicum selten beach-
tet, noch weniger oft ver-
standen, manchmal aber den-
noch bis auf einen gewissen Grad empfunden wird:
die Art, wie im Terrain sich Ueberschneidungen ge-
stalten, das, was dem Ganzen den eigentlichen künst-
lerischen Halt verleiht: die scharfe Beobachtung der
einzelnen Tonwerthe, die Einheitlichkeit der farbigen
Erscheinung, dabei der ausgesprochene Sinn für Zeich-
nung, für «Verschwörung der Linien» (conspiration des
lignes), wie Diderot sagte. Nehme ich die eine wenig
individuelle Studie «Pinie am Meere» aus, so muss ich
zugestehen, dass sich in Mirbeau' s Arbeiten Eigenschaften
14*
108
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Hugo l'tgtl, Berlin. Studie.
äussern, die selbst bei Künstlern von Beruf selten an-
getrotTen werden. Farbe sowohl wie Erscheinung sind
derart, dass man einen starken künstlerischen Geist aus
ihnen herausempfindet; das zeigt sich in der grossen,
schönen Einfachheit, die sich durchweg kundgibt. Mit
solchen Fähigkeiten ausgestattet, kann man eben anfassen,
was man will, und man flösst allerwege damit Achtung ein !
Soweit die Lebenden!
Nun aber zum ; Louvre , zu den Arbeiten der
Dahingegangenen! Gleich der Erste schon nothigt uns
zum respectvollen Gru-sse, TluopliiU Gaulierl Es ist.
als hatte er in den herrlichen Weiberköpfen seine
<ILmaux et camcess gemalter\veise geben wollen!
Sie sind geradezu brillant! Auguste de Cliätillon, der
\'erfasser des Levrette en paletot ?, — Gott, wie lange
i^t es her, dass ich diese Erscheinung, eine ächte gute
Figur der . Boheme » (man erinnere sich an die herrliche
i\"ie de Boheme» von Murger) sah — ist durch eine
Kopfstudie vertreten, die vielfach an Coulure erinnert. In
Houssaye klingt Diaz stark nach , bei den Caricaturen
Alfrede de Musset's empfindet man die ganze verfeinerte
Schärfe dieses Geistes, Baudelaire' s Skizzen sind auch
anregend , aber was sonst noch kommt , ist viel , viel
wichtiger! Victor Hugo und die Goncourts! Darüber
sich so auslassen, wie man es thun könnte, Avts> ver-
langte mindestens ein Buch, es spricht eine ganze Welt
.lus diesen Dingen.
Wer V. Hugo als Schriftsteller kennt , kann ihn in
seinen künstlerischen Leistungen absolut nicht verkennen,
er ist auch da ganz er selbst, wie er leibt und lebt,
eine Erscheinung, zusammengesetzt aus den merkwür-
digsten Gegensätzen , bald ein hoher Spieler , dann
wieder ein Mensch von grandiosen Einfällen, ein ander-
mal rasend, toU, unsinnig, aber immer von eigenartiger
in sich bestimmter Vorstellungsart. Aus Allem weiss er
etwas Geistreiches zu gestalten ; unter seinen Fingern wird
das Dintenfass zum Neger, oder er taucht die Fransen
seiner Kielfeder in das schwarze Nass der Schriftstellerei,
fahrt damit über das Papier hin und her und das Ganze
wird schliesslich eine wilde, stürmische See; ein Tropfen
schmutzigen Wassers auf dem gleichen Papier wird zur
Seidenrobe, oder er macht einen geheimnissvollen See
daraus. Es hat etwas, beinah möcht ich sagen Närrisch-
vergnügliches an sich , seine Arbeiten , Einfalle müsste
man sie eher nennen, zu verfolgen, denn wo steckte z. B.
bei den einer phantastischen Theaterdecoration gleichen-
den mittelalterlichen Stadt-Ansichten auch nur eine Spur
des Eindruckes, den die Natur hinterlä.sst ! Seine Fabel-
Landschaften erinnern gar oft an Erscheinungen, die man
einen Moment im fliehenden Gewölk stürmischer Tage
zu sehen glaubt ; Aehnliches entdecken wir in dem weit-
verästelten, im Farbenton ganz unberechenbar schwanken-
den Gcäder geschliflener Marmorplatten oder im ab-
bröckelnden Kalkbewurf einer Mauer, aus dem sich alle
möglichen Dinge herausfinden lassen. Was aber das
Gelungenste an diesen Zeichnungen ist, das ist das voll-
ständige P'chlen eines auch nur andeutungsweise ge-
gebenen Terrains — Alles geht in der Luft vor sich!
Brücken mit Thorthürmen und anderen Beigaben finden
sich da — aber sie gehen weder von einem sichtbaren
Ufer aus, noch führen sie zu einem solchen hin! Mit dem
Begriffe der Malerei, der graphischen Darstellung über-
haupt, verbinden wir denn aber doch im gros.sen Ganzen
den Gedanken an die Darstellung von Wirklichkeiten,
und das ist, was Victor Hugo eigentlich aus diesem Kreise
ausschlies.st. Er ist durchaus nicht Maler, seine zeich-
nerischen Producte sind theaterhafte Phantasiestückchen.
*^* x***^**'*^'*^**-*»'^ l'
Rrnst Zimmtnnann |<inx
PJu.l F. HfinfHiacntfl, Mttntlieii
Altweibersommer.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
109
Bei den Goncourt's freilich ist das eine ganz andere
Geschichte. Wie einschneidend zeigt sich da das Gegen-
sätzliche im ganzen Wesen des Menschen! Sie sind
Maler, die Goncourt's, besonders jfules. Alles bei ihnen
baut sich über genauer Beobachtung, auf klarer Ueber-
legung, auf echter Ver-
standesarbeit, der eine ge-
wisse zitterige Nervosität
anhaftet, auf, daher denn
auch der Gehalt ihrer Ar-
beiten ein bedeutsamer ist.
Es finden sich da z. B.
Radirungen, deren einzelne
Linien und Striche etwas
Gehacktes, scheinbar Un-
sicheres, etwas Fieberndes
an sich haben, aber was
sie zusammengenommen
vorstellen, ist grossartig, von einer geschlossenen, mäch-
tigen Ueberlegung zeugend. In der Farbe macht sich zu-
weilen eine gewisse Nüchternheit geltend, aber Eines liest
man überall heraus: Es ist die gleiche künstlerische Hand-
schrift, die aus den Beiden berühmte Schriftsteller gemacht
hat , hier mit anderen Mitteln gehandhabt , im Grunde
genommen aber Eins und Dasselbe. Diese Zeichnungen
können einzig und allein von den Goncourt's herrühren,
die ganze Art und Weise sagt es deutlich. Sie sind
darin ganze, volle Künstler, Künstler von Race, von
bestimmten Schönheitsgrundsätzen geleitet, immer, zu
jeder Zeit der Ausführung von Entwürfen nachjagend,
mit einem Worte unruhiges , aufgeregtes Künstlerblut.
Hier Victor Hugo — fabelnd und dennoch gross-
artig, mit dem ^
Fusse die Erde
schon gar nicht
mehr berührend,
seine Dinge über
der Sphäre des
Greifbaren auf-
bauend. Dort die
Goncourt's , unsere
Ernährerin , die
Mutter Erde, mit
Leidenschaftlich-
keit verherrlichend
in ihrer Kunst!
Auf wenigen Papierfetzen ist der InbegrififallerRomantik
und ihres Antipoden, des Naturalismus, wiedergegeben ! »
Soweit Raffaellil
Vielleicht erleben wir einmal Aehnliches — dem
Versuche nach Aehnliches meine ich — auch gelegent-
lich diesseits derVogesen!
■.■.■ine^i-^
Otto Bauch, Carlsruhe. Studie,
Otto Baisch, Carlsruhe. Skizze.
Wer weiss, ob nicht am
Ende daraufhin schon
heute da und dort Zeich-
nen-Lectionen genommen
werden. Wer wird in sol-
chem Falle wohl Protector,
Arrangeur ? Natürlich nur
ein Fachmann , oder am
Ende gar einmal der wirk-
liche Genius des Schaffens ?
Ach, am Ende bekommt
man die ganze Pariser
« Poil et Plume » - Ausstellung einmal in Deutschland
zu sehen , man muss nur die rechten Leute nach
Paris schicken, dann schlagen die Franzosen natürlich
sofort Purzelbäume vor Vergnügen und schicken was
man nur haben will! Und während sich in Paris «Poil
et Plume » neben dem Salon der Soci^te nationale
des Beaux Arts und dem Bouguereau-Salon — der
offenbar mehr und mehr die spitalerhafte Bürgerlichkeit
in der Kunst zu repräsentiren beginnt — zeigt, brilliren
wir Deutsche anderswo, allerdings ziemlich weit draussen
vor dem Centrum der Themsestadt und das noch oben-
drein zum Besten von ein paar Eisenbahngesellschaften,
welche das bisher brachliegende Terrain nutzbringend
machen wollen. Dafür braucht man Leute, die als Aus-
steller weiss Gott
was zu erreichen
hoffen und im
Grunde weiter
nichts sind, als die
purzelbaumschla-
genden deutschen
Lustigmacher im
Dienste englischer
Speculanten !
Wachsfiguren-
Cabinette mit allen
möglichen Spässen,
lebende Bilder aus
110
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Deutschlands Geschichte, Tirolersänger, ächte natürlich Anblick so grossartigen Landschaftsbildes keineswegs zur
(die diesmal vielleicht das < beliebte Nationallied > : Ach, Concentration der Gedanken veranlasst ; ich fühle die
Du mein London, ich muss dich lassen — singen). Grösse, die Schönheit, die Herrlichkeit durch und freue
Bumerassassa und was weiss ich Alles, bilden den ab- mich an der unabsehbaren Reihe von Eindrücken, die
wechslungsreichen und gewiss effectvollen Rahmen zur daherfluthen wie die Wasserberge der Meeresbrandung,
c Deutschen Kunst > 1 Oh — wann werden wir endlich, immer noch einer und dann noch einer und noch einer —
endlich ein-
mal aufhören
mit dieser
Possen - Reis-
serei, mit die-
ser Interes-
sant -Thuerei
und bettel-
haften
Gebahrung
gegenüber
Fremden, die
uns für die
gehabte
Mühe aus-
lachen !
Brauchen wir
es eigentlich ?
Ucbrigens
— schelten
Sie mich nicht
gewissenlos,
dass ich mit
den Gedan-
ken in diesem
Briefe in
tollem Zick-
zack herum-
fahre! Wenn
man von so
vielen Ein-
drücken be-
stürmt wird,
wie es mir
hier oben in
F'iesole geht , so kommen ja selbstverständlicherwcise
auch alle möglichen Dinge, die gar nicht in den Rahmen
dieser grossartigen Pracht — ein Bild kann ich es nicht
nennen — hinein gehören. Ich habe nun schon ver-
schiedene Male die Beobachtung gemacht, dass mich der
l^^i^-iSi'.;.
Otto fiais(h, Carlsruhe. Studie.
es nimmt gar
kein Ende ;
bis man da zu
einem eigent-
lichen , rich-
tigen Arbei-
ten kommt,
dauert es ge-
raume Zeit ,
man muss mit
dem Boden,
auf dem man
steht, völlig
vertraut wer-
den. Ich
habe ein paar
Mal mit sehr
guten Vor-
sätzen auch
Skizzenbuch
undAquarell-
kasten hier
herauf-
gcschleppt —
aber es wurde
aus dem Ar-
beiten nichts,
ganz einfach,
weil ich mir
sagte : Wo-
zu? Bios um
etwas im
Skizzenbuch
zu haben?
Dann ist es
eine unverantwortliche Thorheit, desswegen nach Florenz
zu gehen ! Oder aber, um eventuell das Gemachte be-
nutzen zu können ? Das wäre noch die viel grössere
Thorheit ! Nein , nein , wenn man hier malen und wahr
dabei bleiben will, so darf man nicht .so über Nacht
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
111
vom Norden herkommen und die Freude, die man am Leben hat, auch
gleich durch den Pinsel laufen lassen , es wird ja doch lauter unwahres
Zeug, ein Italienisch mit völlig deutschem Accent und deutscher Satz-
construction. Erst vierzehn Tage, drei Wochen
auf einem Fleck, aber nur auf einem sitzen
bleiben und dann vielleicht an den ersten Strich
denken! Sonst wird's nix oder eben so Mach-
werk , wie die
reisenden AUer-
weltsmaler es
tagtäglich pro-
duciren , heute
eine Landschaft
aus Schottland,
morgen einen
-^ ^^^&^-k
Otto Baisch, Carlsruhe. Skizze.
oder Düsseldorf,
auch in Carls-
ruhe gemalt, wo-
möglich aber un-
ter dem Namen
irgend eines
« Special - Artis-
ten», «der na-
türlich überall
selbst mit dabei
war» , als Illu-
stration ver-
öffentlicht wird.
Nein — ein
Winkel an der
Fischmarkt aus Rotterdam oder ein DUnenbild von Wurm mit ein paar Erlen, blühenden Schlüsselblumen
Ostende, nachher einen ägyptischen Sonnenunter-, einen und Gentianen , ein Stück aus dem Dachauer Moos
chinesischen Sonnenaufgang, die Sahara in Mittagshitze mit der ernsten Stimmung der Ebene, dem weiten.
mit verdauenden Löwen, Grtinlands Fluren im Schlafe
der Polarnacht mit hungrig knurrenden Eisbären u. s. w.
— und das Beste ist dann, dass das Alles in München
,i;
Ollo Baisch, Carlsruhe. Skizze.
weiten Horizont, das liegt Jedem, der die Sprache
seines eigenen Landes ordentlich sprechen und schreiben
lernen will , näher als alles Fremde , auch wenn's
grossartig und herrlich ist, wie ein Blick von hier
hinunter nach dem Arno - Thale oder hinüber nach
den schluchtigen Runsen des Mugnone. Schön ist die
Landschaft, grossartig — aber ihr fehlt Eines, was
unsere viel bescheideneren Fluren in vollem Maasse be-
sitzen : Sie hat vor lauter Schönheit beinahe gar keine
Poesie. Vielleicht ist desswegen die Landschaftsmalerei
überhaupt ihrem Wesen nach ein dem Norden ent-
sprossenes Ding. Uebrigens will ich mich nicht in lange
Reflexionen hierüber einlassen, sondern endlich thun,
was mich veranlasste, Feder und Papier hier herauf zu
tragen , mir den Tisch zurecht zu rücken und den
schwarzen Schleim, der in dem offenbar altetruskischen
Tintenfa.ss seit Jahren liegt — die Italiener sind keine
sehr enrjigirten Briefschreiber — mit wahrem Aleatico
zu verdünnen. Es handelt sich ja um den Text zu den
Bildern der vorigen und dieser Lieferung. Da soll einem
nun immer etwas einfallen; es fällt einem aber zuweilen
beim besten Willen nichts ein (was z. B. die Münchener
Baumeister nicht alle von ihren Werken behaupten
können), selbst wenn man die Bilder als Pillen ver-
schluckte und sie dann im Magen aufgehen liesse.
Von LAebermann war schon früher einmal die Rede,
was nachher an Illustrationen noch auf pag. 76 u. ff. folgte,
der Laubengang, die Schusterwerkstätte, die holländische
112
DIE KUNSI UNSLKER ZEIT.
Nähschule, das kerzenlichterhclltc Interieur u. s. w. —
das Alles bestätigt, was schon gesagt wurde, dass näm-
lich der Autor derselben ein ausserordentlich geistreicher
Künstler innerhalb seiner Sphäre ist, und dass ihm
zweifelsohne ein gut Theil des Verdienstes zufällt,
wenn mit unseren veralteten, verrotteten und vielfach
gänzlich unwahren Anschauungen in Deutschland ge-
brochen wird und eine ehrliche Naturanschauung an Stelle
des Atelier-Receptes tritt. Der künstlerische Glaubens-
durchbruch bei Lictt-nnann entsprang übrigens nicht so
ganz und gar aus seinem Wesen allein, wie etwa Pallas
Athene aus dem Kopfe des Zeus entstieg; im speciellen
Falle hiess der Zeus Jean Francois MilUt, wohnte in Bar-
bizon und hat wenige grosse Geister so beeinflusst, dass
sie die gleiche malerische Ueberzeugungstreue gewannen
wie er; viele kleinere Geister dagegen hielten stark an der
Idee fest, dass mit Bauemkleidern, Holzschuhen und der
bekannten Horizonthöhe das zu erreichen sei, was ein
Otto Hauch, CarUruhe. Studie.
wirklich genialer Mensch durch unendliche Arbeit und
unabläs-sige Beobachtung als Endresultat seiner Ucber-
zeugung geboten hat. Wir Deutsche haben dabei ganz
speciell das Privileg, möglichst unüberzeugt Jedem nach-
zulaufen, der von wirklicher oder gemachter Hoheit
etwas an sich hat. — Fremdartiges wird selbstverstand-
licherweise unter allen Umständen vorgezogen von der
Nation der Denker, der die rücksichtsloseste Aeusserung,
die ihnen oft geradezu ins Gesicht schlägt, am meisten
Respect und Hochachtung abzwingt. Ltcbermann hat
bewusst oder unbewusst darin Manches geleistet und hat
diesem Umstände vielleicht eben so sehr sein Prestige
zu verdanken, als seinen hochentwickelten künstlerischen
Eigenschaften , die zu goutiren im gros-sen Ganzen der
deutsche Geschmacksphilister viel zu wenig diesbezüglich
entwickelten Sinn besitzt. Wollte man eine Geschichte
des Geschmacksphilisteriums schreiben, so kämen darin
gewiss viele Namen vor, die für Sterne allererster Grösse
iiifsiitengl, München
Heimziehende Herde.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
113
Otto Baiseh, Carkruhc. Skizze.
gelten , für ihre Bilder ein Heidengeld einnehmen und
die Seichtheit künstlerischer Gesinnungsweise in ihrem
Lande so gut beobachtet haben , dass sie schliesslich
an ihr eigenes Prophetenthum glauben. Liebermann gilt
unter den Künstlern für einen Propheten. Das ist immer-
hin weit höher anzu.schlagen. Merkwürdig bleibt dabei
nur immer das Eine, was übrigens allgemein menschlich
ist, da-ss sich der Glaube stets an Namen heftet, viel
weniger dagegen an den Urstoff, durch dessen gedanken-
klare Verarbeitung diese Namen zu der ihnen gebühren-
den Geltung kamen.
Eine Künstlernatur wesentlich anderer Art ist Ernst
sich ihm eben bot. Noch in seiner «heiligen Nacht»,
welche zu München in der Pinakothek hängt, machen
sich in Bezug auf die farbige Art allerlei Reminiscenzen
an die ältere Anschauungsweise, die da und dort dem
Asphalt nicht abgeneigt war, geltend. Zimmer-
mann hat diese Bahnen gänzlich verlassen, ohne
jedoch in jenes überzeugungslose Extrem zu
verfallen, dessen Stempel die Werke der meisten
deutschen Neophyten tragen, dem der Ueber-
triebenheit und jener Unselbstständigkeit nämlich,
die den Nachmachern von jeher eigen war.
Viele von Denen, die sich ganz mit Unrecht zu den
Pleinairisten zählen , lachen natürlich darob , wenn
Arbeiten von Künstlern, an deren Bildern man durch-
schnittlich eine gewisse tiefe Tonstimmung gewohnt
war, eines Tages in lichterer Art gehalten sind , ohne
indess jene läppischen Aeusserlichkeiten zur Schau zu
tragen, auf die unselbstständige, der Anlehnung bedürftige
Gemüther stets den grössten Werth zu legen pflegen,
die also , um es mit einem richtigen Worte zu sagen,
das « Fexenthum in der Malerei s so würdig wie nur
möglich repräsentiren. Ernst Zimmermann hat gegenüber
früher seine Palette entschieden mehr der hellen Seite
zugewandt, aber er blieb dabei ein absolut selbstständig
Zimmermann in München. Seine künstlerische Wiege sehender Kün.stler, der es nicht für nöthig hielt, irgendwo
stand nicht auf fremdem Boden, vielmehr ist er Schüler in einem künstlerischen Kometenschweif sich mit fort-
von Wilhelm Diez in München gewesen, hat aber, ent- schleppen zu lassen. Die Alte mit dem Kinde (Vollbild
gegen der Tra-
dition dieser
Schule, sich bei
Zeiten von Fe-
derhut, Büffel-
koller und dem
bekannten
Schimmel (die
übrigens alle
drei stets geist-
reich gezeich-
net im Handel
zu haben sind),
losgesagt und
ist der maleri-
schen Erschei-
nungsweise in
der Natur nahe
getreten, wo sie
Otlo Bahch, Carlsruhe. Studie.
auf pag. lOS)
ist eine seiner
neueren Arbei-
ten. Was sie
mit den Aelte-
ren gemein hat,
das ist die
meisterliche
Behandlung
der Form, das
stofflich Aus-
geprägte, eine
Eigenschaft,
deren viele der
ganz Modernen
aus dem ein-
fachen Grunde
entbehren, weil
sie es nicht
15
lU
DIE KUNST UNSERER ZEri".
machen können. Ffcilich spricht man in solchen Fällen
der Welt gegenüber — ein Mäntelchen muss die Sache
ja doch haben — von geringfügigen Nebensachen, auf
welche Gewicht zu legen die Mühe sich nicht lohne!
Ach, du lieber Gott ! wenn man all Denen auf den Zahn
fühlte! Was möchten da für Hohlheiten herauskommen!
Es kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein, das
künstlerisch Liebenswürdige am ZhHmrrmaMM'xhcn Bilde
des Nahem zu erklären. Ehis mag sich jeder Beschauer
selbst klar machen. Wer Gefühl dafür hat, dem \%-ird
es ja wohl nicht schwer fallen. Dass dieselbe, von klarer
Ucberzeugung geführte Hand sich auch in den Zeich-
nungen äussere, sieht jeder, der es sehen will. Es handelt
sich hier nicht darum, eine künstlerische Exegese zu
geben. Einfach und natürlich, wie der Mensch, so sind
seine Arbeiten — was kann man mehr wollen.
Eine grosse Reihe anderer handschriftlicher Züge
- ich möchte Skizzen am liebsten so benennen — tragen
den Autornamen Otto Baisch, zwei Vollbilder (pag. 105
und pajj. 112) cl>cnfalls. Sie offenbaren alle, was der
lieben.s\vürdige Künstler ist und was er will. Bei aller
Aufmerksamkeit, den veränderten An.schauungen in Bezug
auf die Behandlung tier Farbe gerecht zu werden, ist
er dennoch nie aus dem Rahmen herausgefallen, der
schliesslich in der bildenden Kunst Alles und Jedes erst
zu einer wirklich wesenhaften Erscheinung macht, ihm,
so zu sagen, Hand und Fuss verleiht : die feste, in der
Natur sich niemals verleugnende Form. Doch — lassen
wir ihn selbst reden, das ist wohl das Beste:
c .-Ms ich », schreibt Baisch, t vor zwei Dcccnnien das
Glück hatte, in die neugcgrundetc Schule von Adolf Uer
in München aufgenommen zu >*erden, hatte ich den Kopf
voll romantischer Ideen und gedankentiefer Composi-
tionen. Aber soviel ich mich auch mühte, die Gedanken-
tiefe kam nicht auf die Leinwand. Mein Meister Hess mich
Anfangs ruhig gewähren. Als er mich aber eines Tages
wieder vor einem aufgespannten Papier ansehnlichen
Umfanges antraf worauf ich mit Kohle eine I^ndschaft
zu componiren suchte, zu weicher mir eine kleine Studie,
die ich im Sommer vorher im Walde von Grosshesselohe
gemalt hatte, Anregung und Anhaltspunkte geben sollte,
da meinte Lur: -.Glauben Sie, dass es wirklich eines
solchen Aufwandes von Kohle und Kopfzerbrechens
bedarf, um ein Kunstwerk zu .schaffen.' Ihre Studie
ist leidlich gelungen ; wenn Sic das noch Fehlende mit
Wenigem ergänzen, so bekommen Sie ein Bild, weiches,
wenn nicht gut, 3och jedenfalls besser ist, als was Sie
aus der Tiefe des Gemüths mit unwahren Farbentönen
auf die Leinwand zaubern », » Aber », warf ich schüchtern
ein, < es wird denn doch zu wenig sein für ein Bild > .
'. Ei V , meinte Lier darauf, t die Wiedergabe auch des
kleinsten und unscheinbarsten Stückes Natur ist ein
Kunstwerk, sobald darin das malerische Interesse und
Vergnügen zum Ausdruck gebracht ist, welches der
Künstler empfand, als er dieses Stück Natur betrachtete, »
Ich folgte dem Rathe meines Lehrers und so entstand
mein erstes Bild.
Dann kam das Frühjahr und ich ging hinaus an
einem schönen Märztage, ein Motiv zu suchen. Mit
etlichen Zeichnungen und Farbskizzen kam ich herein
und fing an, auf der Leinwand zusammenzustellen und
zu componiren. Aber es ging nicht, die Erinnerung an
das in der Natur Geschaute war zu schwach, * Nehmen
Sie doch Ihre Leinwand — sie war hübsch gross —
hinaus und malen Sie vor der Natur unmittelbar darauf,
was Sic sehen ■^ . Ich folgte wieder und was ich draussen
gemalt hatte, setzte ich unverändert in einen Goldrahmen
und stellte es aus. Jawohl, meinten damals Alle, die
CS sahen, es mag eine ganz passable Studie sein, aber
ein Bild ist es nicht. Nur Uer bestärkte mich darin,
den eingeschlagenen Weg einzuhalten.
Ich erlaube mir nun die Frage: Sind dies nicht die
Grundsätze auch der heutigen, modernsten Richtung.'
ALs alleinseligmachend sah sie IJcr freilich nicht an.
Er war nicht der Meinung, dass Alles ausschliesslich
unmittelbar nach der Natur gemalt werden müsse. Wer
diesem Grundsatz ein- für allemal folgen will, ist genöthigt.
immer eine 2^it des vollen Tages, eine möglichst lang
gleichbleibende Beleuchtung aufzusuchen. Eine flüchtige
Gewitterstimmung, ein Sonnenuntergang, Morgen- oder
Abenddämmerung, das Alles geht zu rasch vorüber, als
dass man Derartiges vor der Natur auf einer grösseren
Leinwand festhalten und zu vollendeter Darstellung
bringen könnte. Soll nun Dergleichen überhaupt nicht
gemalt werden .' Es liegt doch darin zumei-st der grösste
künstleri.sche und malerische Reiz, Ich will diese Frage
nicht weiter erörtern , ein jeder Maler hat das Recht,
sich zu derselben zu stellen wie ihm gutdünkt.
Wie Lier es that, weiss Jeder, der seine Werke kennt.
Sein Einfluss war in München ein allgemeiner, weit über
den Kreis .seiner unmittelbaren Schüler hinau.sgehender.
Allerdings beschränkte sich dieser Einfluss damals auf
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
115
.^-.
O/A» Baisch, Carlsruhe. Skizze.
die Landschaftsmalerei. Die Figurenmalerei nahm von
Lier's Grundsätzen zunächst nichts an. Man dachte
mehr daran, bei Vorgängen im Freien die Menschen in
zumeist schwarz aus, nicht nur gegenüber der modernen Schule, sondern auch
gegenüber den Werken jener Meister.
Da kam die Losung: Auflichten der Palette. Ein Jahrzehnt später wurde
dieser Grundsatz unter dem schönen
Namen « Plein-air s> nach Deutsch-
land verpflanzt. Nun erst ver-
schaffte sich die Anschauung Lier's
über das Malen in freier Natur
auch bei den Figurenmalern in
Deutschland Geltung. Darüber
eingehend zu sprechen, ist nicht
meines Amtes, und ich schliesse
ab mit meinem kurzen Rückblick,
welchen ich nur aus dem Grunde
der Veröffentlichung übergeben
habe, um meine Dankesschuld dem verehrten Meister
gegenüber abzutragen, dessen Verdienste in unserer
schnellvergessenden Zeit nicht oft und eindringlich genug
ihrer Beleuchtung unter freiem Himmel zu studiren. Nur hervorgehoben werden können».
Lier that es, um dann die so gefertigten Studien als Noch eine weitere Reihe von Skizzen sind in diesem
Staffagen in seine Bilder zu verwenden. Blatte veröffentlicht, die den genialen Hugo Vogel in
Inzwischen ist das freilich anders geworden.
Auch die Art, die landschaftliche Natur zu sehen
und zur Darstellung zu bringen, hat sich geändert.
Ob dieselbe einen Fortschritt aufweist gegenüber
der Art eines Corot, Troyon, Dupr'e , Daubigny
u. s. w., welche Lier als leuchtende Vorbilder vor
Augen standen und deren Werke auch mich be-
geistert hatten, noch ehe ich in die Lier -Schule
gekommen war, — diese Frage mögen Andere
entscheiden. Es musste Neues kommen, sonst
wäre die Schablone unvermeidlich gewesen. Das
konnte man sehr gut auf der letzten Pariser Welt-
ausstellung studiren , wo die Werke aller bedeu-
tenden Künstler F'rankreichs von diesem Jahr-
hundert vertreten waren. Welche Fülle von Licht-
und Tonpoesie enthalten die Bilder von Corot!
Aber Schule konnten sie nicht machen, sie waren
zu persönlich ; wer sich stark von ihnen beein-
flussen Hess, musste zum Copisten herabsinken.
Auch seine grossen Zeitgenossen haben keine
Nachfolger gefunden, welche sich ihnen auf dem-
selben Wege ebenbürtig angeschlossen hätten. Die
Tiefe von Ton und Farbe eines Daubigny, Diaz^
Rousseau war bei ihren Nachfolgern leicht und
luftlos geworden. Die Bilder der Letzteren sehen
Olto Baisch, Carlsruhe. Studie.
15«
HC
»IE KUNST UNSERER ZEir.
Otle Baüei, Carbnilic. HotUndkche Viehweide
licrlin zum Autor haben. Es sind zum grösseren Thcile
Studien zu seinen Berliner Rathhausbildern , doch sind
sie trotz ihrer lebendigen Auffassung immerhin nicht
im Stande, einen BegrilT von des Künstlers feinsinniger
Arbeitsweise, von seiner gesunden Art der Naturanschau-
ung zu geben, die, bei aller Freiheit der Behandlung,
dennoch nie ins Manieristischc verfallt und das Original
nicht verwechselt mit irgend einer künstlerischen Caprice,
die sich beim wirklichen Erfinder geistreich ausnimmt, in
jeder Nachempfindung aber herabsinkt zum bedeutungs-
losen Plagiat.
Die Nacli- Freto-Manie», wie ein Spassvogel gewisse
Erscheinungen unseres deutschen Kunstlebens bezeichnete,
i>t ein wahrhaft zur Plage gewordener Umstand, der sehr
vielen von Jenen anhangt, die immer und immer nur das
Wort i Modern im Munde führen, selbst aber gar nicht
im Stande sind, etwas unseren heutigen Anschauungen
Entsprechendes aus sich selbst heraus zu entwickeln.
Da ist es denn ein wahrer Segen, dass man jährliche
Ausstellungen hat, wo man sich Air die Dauer der
näch.sten zehn Monate Anregung genug holen kann, sei
es nun bei den Franzosen, den Schotten, den Spaniern
oder den Niederländern. Was wird es nicht bei der
künftigen Münchencr Jahres -Ausstellung für neue Er-
scheinungen zu sehen geben, die voriges Jahr als Originale
vielleicht bei den Schotten hingen! Es ist geradezu
jämmerlich, wenn man gegenüber der Zahl von Menschen,
die sich officieli mit dem Titel eines Künstlers belegen,
die kleine Gruppe von Selbstständigen anschaut. Und
was haben nicht gerade diese oft durchzumachen , bis
eine gerechte Wendung des Schicksals sie der Welt in
jenem Lichte erscheinen lässt, in dem sie gesehen werden
müssen, um verstanden zu sein.
Da hat z. B. Hans Tlicina , wie schon anderAveitig
berichtet wurde, im vorigen Sommer in der Isarstadt
einen durch.schlagendcn Erfolg errungen, weil er sich
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
117
auf das Drängen und Rathen von Freunden "hin endlich
entschloss, eine ganze Reihe von eigenen Arbeiten in
geschlossener Weise vorzuführen und damit ein abge-
rundetes Bild seines Wesens zu geben. Jene, die ihn
früher kannten, wussten wohl, was für ein ernster Mann
er sei, der die Kunst durchaus nicht als Etwas ansah,
was man als Mittel zu diesem oder jenem Zwecke be-
nützen müsse, um z. B. vor den Namen irgend ein
Titelchen oder für's hungrige Knopfloch Futter zu be-
kommen. Thonia hat mit seiner Coliectiv - Ausstellung
ein Heer ähnlicher Veranstaltungen heraufbeschworen,
unter dem hin und wieder wirklich Gutes sich fand.
Manche aber, ja viele von diesen CoUectiv-Ausstellungen
waren leibhaftige Illustrationen zu dem Worte:
t Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn ! >
Sic schössen wie Pilze aus dem Boden, die Collectiv-
Ausstellungen, waren aber, wie diese, nur in wenigen
E.xemplaren geniessbar, eigentlich giftige Exemplare
dagegen fehlten allerdings ganz. Wenn ein Liebermann
mit einer Reihe von Arbeiten den Einblick in seine
Anschauungsweise eröffnete und damit quasi ein modernes
Programm entwickelte, so musste das Jeden freuen,
der überzeugte Kunst zu unterscheiden versteht von
künstlerischer Schusterei. Wenn ein Trübner in etlichen
fünfzig Bildern seine Gegenwart und Vergangenheit
illustrirte und damit zeigte, dass die emailartige Behand-
lung der Farbe, das Denken über bestimmte Gegensätze
und das klare, zielbewusste Ausdrücken solcher An-
schauung vollständig gleichwerthig mit der scheinbar
leichten, geistreich in Zufälligkeiten schwelgenden Art
sei, die bei anderen wahren Künstlern das Vorwiegende
des Ausdruckes bildet, so kann kein Zweifel darüber
bestehen, dass im geschlossenen Vorführen einer ganzen
Reihe von Werken eines und desselben Künstlers geradezu
ein Verdienst liege. Wem wäre es eingefallen , in der
^«\MfA>v— ^
■ '-1
Otto Baischf Carlsruhe. Studie.
118
ült KÜNSr UNSERER ZETl'.
grossen Zahl Klmgrr'schtx Radirungen, die gleichzeitig
mit einigen seiner bedeutendsten künstlerischen Schöpf-
ungen auf dem Gebiete der Malerei ausgestellt waren,
etwas Anderes sehen zu wollen, als die absolut berechtigte
Aeusserung : < Da seht Ihr mich, wie ich bin und was
ich will 1 » — (Freilich für dn gut Theil unserer Kunst-
philister — und es gibt deren genug Exemplare der
seltensten Arten und Abnormitäten in allen Kreisen —
blos unverständliche Dinge.) Welche Riesenkraft äusserte
sich da, wie grossartig trat die Macht der Erfindung in
diesen Arbeiten auf, wie sprudelnd perlte da eines edlen
künstlerischen Geistes vielseitiges Schaffen ! Und in wie
ganz anderer Weise wiederum klangen die besten und
schönsten Empfindungen zusammen in der grossen Reihe
plastischer Werke, mit welchen Hildtbrand (der drüben
am Bello Sguardo den herrlichen Sitz San Francesco a
Paola sein eigen nennt) zwei Säle des Kunstvereins
füllte ; wie freudig musste man da jedem einzelnen Dinge
entgegentreten, wie lebte, wie athmete Bronce, Marmor
und Terracotta. die unter des Künstlers Hand den
Charakter der todten Materie verloren und jenes ver-
geistigte Element an sich trugen, was einzig und allein
den Stempel des Edlen, des künstlerisch Wahrhaften,
des um der Kunst willen Gearbeiteten verleiht ! Ja, an
solchen Collectiv-Ausstellungcn ist ein grosser bildender
Zug, denn sie geben des Künstlers innerstes Wesen,
sie eröffnen einen Blick in die Werkstätte des Geistes,
der nicht blos beschäftigt ist mit der Lösung von
Problemen, wenn der Mensch an der Staffelei oder vor
dem Modellirstuhte steht, sondern unablässig beob-
achtend , aufnehmend . gestaltend sich bcthätigt , im
Worte cbeaso wie in der Thatl Das ist es ja, was die
Renaissancisten zu Giganten machte. Ihr Geist bewegte
sich suchend und schaffend nicht blos da, wo unter
der Hand das umfangreiche Werk als Schlussresultat
einer gesunden Ueberlegungsweise entstand, er be-
schäftigte sich mit allen, allen Fragen menschlichen
Könnens; desswegen tragen auch ihre Arbeiten einen
wesentlich anderen Stempel als gar Vieles , was heute die
Räume uaserer Aus.stellungen füllt!
Ja — Collectiv-Ausstellungcn!
Was aber sollten so und so viele andere, bei denen
nian das Gefühl nicht unterdrücken konnte, als wäre der
letzte Fetzen Leinewand, das letzte überzeichnete Stück
Papier hervorgeholt worden, um möglichst viele Quadrat-
meter Wandflache zu bedecken ! Es musste Einem doch
unwillkürlich das Heine'sche Gedicht einfallen : t Die
Menge thut es ! >
Man darf wohl darauf gespannt sein, bei der kom-
menden Münchener Jahres-Ausstellung eine ganze Reihe
von Collectiv- Ausstellungen zu sehen, zu welchen die
Besten ihre Werke hergaben, Lebende und Todte:
B^cklin, Mensel^ Afarres. Meissonirr , auch die schon
genannten Thoma und HilJebrand , wie auch Andere.
Wie seltsam gross müssen dergleichen abgeschlossene
Arbeits -Cyklen wirken gegenüber jenen Sälen, wo in
kunterbunter Reihe durcheinander gemengt ist, was ein-
zeln in hunderten von Ateliers entstand! •Ob da nicht
vieles Gute einfach an die Wand gedrückt wird durch
die Masse der bunten Eindrucke , die unwillkürlich von
rechts und Unks das Auge beeinflussen und ihm jene
Ruhe nicht gönnen, die zum eigentlichen Genuss eines
Kunstwerkes nöthig ist?
Wir leben eben im Zeitalter der Massenproduction
auf allen Gebieten , am abstossendsten aber äussert sie
sich doch im Gebiete der Kunst. Zum feinen Genu.sse
derselben tragen die grossen kaleidoskopartig wirkenden
Säle der Ausstellungen gewiss nicht bei — freilich manch-
mal in Bezug auf das Ausgestellte nicht mit Unrecht;
sind doch Ausstellungen vielfach heute nichts Anderes,
als JagdgrUnde für beutedurstige Seelen!
Doch genug davon. Es wird sich ja noch reichlich
Gelegenheit finden, darauf zurückzukommen.
Und nun noch unsere anderen Bilder. — Sie
brauchen ja wohl keinen Commentar, denn jeglich Ding,
das mit Lust und Treue der Natur abgelau.scht ist,
spricht in sattsamer Weise für sich selbst und gibt hin-
reichenden Maassstab für des Künstlers Unbefangenheit
und Gefühl für Wahrheit in Sachen der Gestaltung; der
Eine liebt es ein wenig mehr so, der Andere mehr so,
Hauptsache dabei bleibt ja immer die Ehriichkeit und
Ueberzeugungstreue, die aus den Bildern spricht — mund-
gerecht freilich sind die beiden letzteren Eigenschaften
weder jedem Kün.stler, noch dem grossen Publikum.
Ein Hauch unverfälschter Poesie geht durch das
morgendämmerige Bild von H. von Sicmiradzki. Von
der hochgelegenen Kirche, die schon vom Scheine des
frühen Morgens umspielt ist, während drunten noch der
Dunst über der Fläche lagert, steigt der Priester nieder
mit dem Viaticum, es einem Sterbenden zu reichen.
Das i.st einfach, ist gut und hat wohl mehr Empfindung,
als manches der gros.sen Werke des nämlichen Künstlers.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
119
IV. Szymanoivski — was soll man da mehr sagen,
als dass das Ganze der Beginn einer jener Geschichten
ist, die entweder mit einer Hochzeit ihr Ende finden,
oder den Todtengräber als letzte Figur zeigen, wie er
Scholle auf Scholle hinabpoltern lässt auf sechs Bretter
und zwei Brettchen. Wir brauchen keine Geschichte
zu dem Bilde zu erfinden , es ist selbst eine. In an-
derer Art variirt dasselbe Thema W. Leibl (pag. ii6)
und verweisen wir bezüglich der Besprechung dieses
Bildes auf die Ausstellungsberichte vom Jahre 1890.
In ganz anderen Sphären bewegt sich die jugend-
liche Figur von Conrad Kiesel in Berlin, die einem aus
mächtigem getriebenen Kupferkessel trinkenden und
dabei mit den Flügeln balancirenden Cacadu lachend
zuschaut. Offenbar rollt in den Adern der jungen
Orientalin ziemlich viel westeuropäisches Blut, wogegen
die lustwandelnde Figur von F. A. Bridgvian einen
ziemlich unverfälschten Racentypus zeigt.
Ungemein sonnig klar ist die Ufer- und Hafenscene
von C. Hochhaus in Berlin, ein Bild, das unter Anderen
Otto Baisch, Carlsruhe. Studie.
ZU den frischen Erscheinungen der Münchener Jahres-
Ausstellung von 1 890 zählte und ferne jeder einseitig con-
ventioneilen Anschauung stand.
Unter anderen Stimmungsverhältnissen zeigt W.
Xylander die mondbeschienenen Wogen def nächtlichen
See. Der Künstler ist bekanntermaassen Specialist in
solchen Lichteffecten, die auch stets ihre Liebhaber fanden.
Fest und bestimmt in der Form, gut gezeichnet und
klar in der Farbe, ist das reizende, einfache Motiv, wie der
Grossvater mit ungelenker Bewegung für den auf seinem
Arm ruhenden Enkel einen Schmetterling zu erhaschen
sucht. Der Autor des Bildes ist Hans Pock in München,
der schon mit manchem guten Wurf dargethan hat, wie
der eigentliche Bauer aussieht, wie man ihn wahr
schildern kann, ohne dabei gerade an Auerbach und
andere schönfärbende Schriftsteller zu denken.
120
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Otto Eckmann s niederländische Waisenkinder auf
dem Spaziergange bieten ebenfalls des Anmuthigen und
Bezeichnenden eine schöne Menge — es ist, was man
kurzweg sagt, ein gutes Bild, an dem vor Allem auch
die Umgebung mit ausserordentlicher Treffsicherheit
wiedergegeben ist
Derweilen ist's Abend geworden! Aus dem Arno-
thal klingen die Glocken herauf, über den fernen Berg-
zügen steht glühendes, sonnenvergoldetes Gewölk — es
ist bei Gott nicht das schlechteste der Bilder, die ich
heute geschaut! Es zu beschreiben, dazu fehlt mir der
Muth. denn es gibt Seiten im Buche der Natur, wo der
Mensch die Finger davon und die Feder in Ruhe
lassen soll.
Jetzt einen Fiasco prickelnden etrurischen Weines,
eine Schüssel voll dampfender Maccaroni — das gibt
Allem einen unbestreitbar positiven Abcchluss; dann
geh' ich hinunter auf die Piazza, wo der weite Blick
nach Florenz hin sich aufthut. Ueber dem blau-rauchigen
Gewirre der Dächer und Schornsteine , der Thürmchen
und Thürme, der Küppelchen und Kuppeln ragt die
eine Riesengestalt heraus, jene von Santa Maria del Y'xox,
seltsam im Dunkel sich abhebend durch den Schein
der tiefer hängenden elektrischen Lampen. So bildet
sie auch in der Nacht das leuchtende Centrum von
Florenz, weithin sichtbar, ein Wahrzeichen grossen
menschlichen Denkens, ein Denkmal, grösser im Zug,
gewaltiger in der Erscheinung als das herrlichste
Menschenmonument und galt' es auch einem Sieger in
tausend Schlachten oder Andern, die neue Sprengstoffe,
Torpedos, Gewehre und was weiss ich erfunden haben.
Ueber der Kuppel des Brunellesco schwebt ein Ding
in der Lufl, grösser, schöner als alles gewaltsam ver-
richtete Menschenwerk, es ist der geistige Sieg des
Humanismus über die Barbarei des Mittelalters, das
zum Leidwesen so Vieler sich immer weiter, weiter
aus un.screm Gesichtskreise entfernt, blos die grossen
künstlerischen Eindrücke zurückla.ssend, während Dunkel-
heiten mehr und mehr verwischt werden durch die
immer heller, leuchtender an uns herantretende Zu-
kunft, die das unantastbare Recht der Menschenarbeit
und ihr X'erdienst in den Vordergrund rollt. Wer
weiss, wann diese 2>it da sein wird, aber .sie kommt,
sie kommt, das sagt mir der mystische Lichtschein ob
der Kuppel von Santa Maria del Fior, deren Urheber
man noch lange preisen wird, wenn an den Altären
unter ih^ das Evangelium der wahren Menschenliebe
erschallt! Dann gibt es keine Abtrünnigen, keine Un-
gläubigen mehr still, eben fangen die Nachtigallen
zu schlagen an in den Blüthengärten und durch die
laue Frühlingsnacht klingen helle, glockenreine Men.schen-
stimmen. — — Oh, sie können singen, die Fiesolaner,
besser als mancher thcuer bezahlte Sanger bei uns
daheim — — — .
r
Fior che non mnore \
Lauü levano quelli alle lor care
Ina canzon che dice : Jo cerco amore !
Fiesole. Anfang Mai IsOl.
^-^
i'liot. y U.iiifiilaenci, Münrni'n.
Gleich hab' ich ihn!
''■fßc^^^'^^'''''
VON
CORNELIUS GURLITT.
[ur Frau Mama begleitete sie zum Wagen. Rück-
sichtslos liess sie das prachtvolle stahlgraue Seiden-
kleid über den Kies des Gartenweges rauschen, um zu
ihrem Kinde zu eilen, ihm durch das Wagenfenster
nochmals einige Worte zuzuflüstern, einen Kuss auf die
Lippen zu drücken.
Die Hochzeitsgäste sollten nichts von der plötz-
lichen Flucht des Paares merken. Aus den offenen
Fenstern der städtischen Villa drang eben der Lärm
des wer weiss wie vielten Hoch, Lachen, Gläserklirren,
das Gesumme einer weinfrohen Menge. Onkel Leonhardt
war unerschöpflich in Versen und Toasten ! Er war der
Verbündete der Mutter und deckte den Rückzug der
Gefeierten mit einer doppelt reichlichen rednerischen
Gabe. Nur ein paar Kinder der Nachbarschaft standen
mit offenen Augen und noch weiter offenem Munde am
festlichen Zweispänner und starrten den prächtigen
Kutscher und seine weissen Zwirnhandschuhe an. Der
stämmige Bureaudiener des Bräutigams und der lang
aufgeschossene alte, hausgewohnt gewordene Lohn-
diener der Schwiegereltern, beide in Frack und mit
mächtigen weissen Cravatten, stritten sich um die Ehre,
auf dem Bock dem Paare das Geleite zu geben. Am
Wagen vorbei polterte ein Handkarren mit Gepäck,
Mänteln, Decken und Schirmen. Eben waren die Koffer
erst geschlossen worden , es war höchste Zeit, sie zur
Bahn zu schaffen. Der Hausmeister sparte seine Lungen
nicht, damit ihn und den Karren, welchen er zog, der
Zweispänner nicht überhole.
cEs ist keine Zeit mehr zum Abschiednehmen I
Kutscher, fort ! ! »
Noch ein Winken mit dem Taschentuch — und
das Elternhaus mit seinem Hochzeitslärm verschwindet ! I
Die Strassen flogen vorüber. Sie sahen recht all-
täglich aus. Die Sonne breitete noch gleichmässiges
Licht über das Pflaster der grossen Stadt, über Schau-
fenster und Firmenschilder. Die Vorbeigehenden sahen
sich nach dem Wagen nicht um. Sie ahnten nicht,
was er barg: Ein Paar, das stumm und steif dasass
und dem die Herzen doch so voll waren.
Er drückte, nachdem er seine langen Glieder vor-
sichtig, ohne sie zu stossen, zurecht gerückt hatte,
leise ihre Linke und blickte sehr ernst unter der Brille
vor. Sie schaute zum Fenster hinaus oder sie richtete
wenigstens den Kopf dorthin. Aber sie sah nichts:
Thränen standen ihr in den Augen.
16
122.
DIE KUNST UNSERER ZEIL
Die Lage war ungemüthlich. Auf einen Ausbruch
des Thranenstromes durfte er es nicht ankommen lassen.
So redegewandt er war und so tiefsinnig er sonst zu
sprechen wusste — heute gerade suchte er vergeblich
nach dem passenden Worte. Vielleicht dass er es jen-
seits des anderen Wagenfensters fand? Auch erschaute
hinaus und las die Firmenschilder. Aber auch diese
verkündeten ihm keinen Entschluss
Sollte er sich umdrehen und ihr einen herz-
haften Kuss geben.'
Nein, so stört man nicht den Abschieds-
schmerz einer Tochter, die das Elternhaus verlässt.
Was war sonst zu thun?
Endlich verfiel er in ein stumpfes Brüten.
Wer die beiden von einander Abgewendeten ge-
sehen hatte, würde wohl gar glauben, sie haben
sich gezankt !
; Sieh mal», rief er plötzlich, tdas Hotel de
Pnisse ist wieder eröffnet I »
< Daran denkst Du jetzt ! > antwortete sie im
Tone schmerzlichen Vorwurfs, und die Thränen,
die sich im braunen Auge schon heimi.sch ein-
gerichtet hatten, fielen ihr in den Schooss.
Er fühlte, er habe eine grosse Dummheit gemacht
und sank reumüthig in sich selbst zurück. Was ging
ihn die Wiedereröffnung des Gasthauses an , zumal
jetzt, angesichts einer auf drei Monate berechneten
Hochzeits- und Studienreise?! Er beschloss das Trost-
mittel des Kusses nun doch anzuwenden und machte
mit den langen Armen einen schüchternen Versuch, ihre
zarte und doch rundliche Taille zu umfassen.
< Liebe Anna 1 >
< Mein Gott, hier vor den Leuten ! >
< Aber es kümmert sich ja Niemand um uns und
kann auch Niemand in den verschlossenen Wagen
schauen. >
t Nein, nein, ich vergehe vor Scham, bedenke doch
nur. Dein Johann sitzt auf dem Bock I >
Das war nicht abzuleugnen. Die breiten Frack-
schössc des Bureaudieners verdunkelten das Vorderfenster.
Ein Kuck! — der Wagen hielt vor dem Bahnhof.
Wie der Hausmeister gelaufen sein musstel Denn
er war, wie Swinegel beim Wettrennen, schon zur
Stelle und drängte den Gepäckträger fort, welcher die
Wagenthürc öffnen wollte.
Johann stolperte bedenklich , als er vom Itocke
schwer auf die derben Stiefelsohlen herabsprang. Aber
er kam doch noch zurecht, um der jungen Frau aus-
steigen zu helfen. Mit zierlicher Gewandtheit bediente
sie sich seines Armes. Fun schneller freundlicher
Dankesblick beglückte den von Aufregung und Wein
Angefeuerten.
Fls war grösste Eile nöthig.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
123
Ernst
stürzte zum
Billetschal-
ter. In die
Reihe der
Wartenden
sich zu stel
len , schien
ihm fast un-
erträglich.
Er über-
ragte sie um
Haupteslänge und durfte sich doch nicht vordrängen.
Während dessen stand sie so allein, so verlassen
in der weiten Halle, zwischen den gleichgiltigen ge-
schäftigen Menschen mitten im Kommen und Gehen der
Dienstbeflissenen. Beinahe hätte sie ein Gepäckträger
umgerannt, der unter einem Riesenkoffer seufzte. Aber
sie sah gut aus im neuen braunen Kleid, mit dem neuen
kecken Hute und dem neuen glänzend gelben Leder-
täschchen. Nur *blass war sie , sehr blass das sonst so
frische, blühende Gesicht. Aber die kleine Gestalt war
doch frisch und straff, der zierliche Fuss stand fest und
sicher auf dem Boden, er trug einen biegsamen kräftigen
Körper. Sie hatte selbst dafür gesorgt, dass Ernst auch
in der Farbe zu ihr passe, hatte noch als Braut mit
ihm den Reiseanzug gewählt, dasselbe Braun, denselben
grauen Filz zum Hut , dieselbe Form der Taschen.
Sonst hatte er immer dunkle Kleider getragen. Er hielt
sie für seine lange Gestalt und sein Wesen, sein ge-
lehrtes Amt angemessener. Aber er gefiel sich in ihren
Farben auch nicht übel, in dem Gewand, das er eben
zum ersten Male angezogen hatte.
« Sie, Sie ! > rief der Beamte aus dem Schalter, c Sie
haben ja Ihr Geld liegen lassen ! 5
€Ach so, danke! — Ich bin etwas zerstreut!»
Nun zum Gepäck!
* Ich komme gleich , liebes Kind ! » rief er ihr im
Vorbeistürmen zu.
Sie stand theilnahmlos , den Blick nach innen
gekehrt, noch auf dem Platze, auf dem er sie verlassen,
mitten im Menschengewoge.
Wieder das lästige Warten und dazu den Ueber-
eifer des Hausmeisters, der sich seinen blutenden Daumen
rieb! Er hatte ihn in der Eile mit einem Koffer ge-
quetscht. Als Trost erhielt er ein Trinkgeld, das weit
ihm in diesem
Augenblicke
über das
Maass des-
sen ging,
was mit der
Schwieger-
mama vor-
her verab-
redet war.
« Mehr ist
unnöthig»,
hatte sie ge-
sagt , aber
an ein paar
was lag
Mark!
«Etwas Ueberfracht?»
«Zwei Billets, 84 Kilo, Breitenberg!» dröhnte es
aus dem Gepäckraum. « Bitte, sich links an den Schalter
zu bemühen ! »
«84 Kilo, also 34 Kilo Ueberfracht! Merkwürdig,
ich habe bei meinen Reisen sonst nie nachzuzahlen
gehabt und habe doch weniger Bücher mit als
sonst ! >
Das gab wieder eine Verzögerung; aber endlich
war Alles fertig. Es war nun auch höchste Zeit. Rasch
an den Kurierzug!
«Breitenberg, II. Klasse!!! 11. Klasse, Breiten-
berg ! 1 1 »
«Schaffner, haben Sie nicht noch ein Coupe frei?
Hier ein Trinkgeld, nehmen Sie, nehmen Sie, — wir
würden gern allein fahren!»
«Dank schön, leider Alles besetzt, rasch hier:
durchgehender \A^agen. — Fertig I ! »
Ein Schrillpfiff, die laute Antwort der Locomotive,
die regelmässigen tiefen Athemzüge des ausströmen-
den Dampfes langsam setzte sich der Zug in
Bewegung.
Die beiden Reisenden standen im Gange eines
jener langen Kurierzug- Wagen. Vor ihnen, vor der ersten
Abtheilung, thürmte sich ein Berg von Koffern und
Taschen auf, von hinten rollten ihnen die eigenen
Taschen, Schirme, Reisedecken vor die Füsse, die durch
das Fenster hereinzuwerfen dem Hausmeister noch
gelungen war. Zwischen diesem Geräth standen sie
auf engem Räume, wie gefangen.
Sie seufzte tief auf und blickte ängstlich zu ihm
empor.
16»
124
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
«Gott, ist das schrecklich ! «
cWenn Dein Bruder nur nicht so gar lang ge-
sprochen hätte! Wir mussten doch seinen Toast
abwarten, ehe wir uns umzogen. Dann hätten wir uns
nicht so zu hetzen brauchen! >
<Ach, er sprach so von Herzen und zu Herzen,
der gute Mensch! Ihm wurde es auch recht schwer,
die Trennung ! t
«Na, er sah aber aus, als wurde er sich mit seiner
Brautjungfer bald wieder trösten und mit dem Wdn!
— Du, vortrefllichen Wein hat Dein Vater !>
« Lass das jetzt, ich bin tief traurig ! >
So eng es im Gange war, der Schaffner drängte
sich doch durch.
< Ich bitte , Platz zu nehmen , vom sind noch
Plätze frei.»
Ernst ging auf Entdeckungsreisen nach einem be-
quemen Coup^. Keines war mehr unbesetzt. Er wählte
eines, in dem nur ein Reisender sass, tief in seine Reise-
decke gehüllt.
Er kümmerte sich nicht um die Neuankommenden,
die sich mit Taschen und Schachteln bequem zu machen
begannen. Schon dämmerte es im Wagen.
Ernst drückte seiner jungen Frau die Hand und zog
die leicht sich Sträubende neben sich auf den Sitz.
tUm Himmelswiilen, dass der Herr nichts merkt!»
flüsterte sie ihm angstvoll zu.
< Der schläft schon I •>
< Nein, ich habe ihn mit den Augen zwinzeln sehen.
Ich bitte Dich. Ernst, lass michls
< Die Fahrkarten, bitte 1 > unterbrach der Schaffner
das Zwiegespräch. »Entschuldigung, hier ist erste
Klasse), fuhr er fort, nachdem er sie geprüft hatte.
< Im Coupe nebenan sind noch zwei Plätze frei ! Ich
werde das Gepäck hinüber bringen. ^
Das war nun ein sehr beschämender Abzug. Sie
ging Straffund trotzig hinaus, während er dem Schlafenden
eine verlegene Verbeugung machte. Sie blieb uner-
wiedert, zu seinem Aerger.
c Unsere Ehe beginnt mit einem Unrecht!» seufzte
sie . < wie peinlich ! — Das war ein unangenehmer
Mensch ! 5
Endlich sassen sie sich gegenüber mitten zwischen
Reisenden. Das war weder bequem, noch der besonderen
Lage des Paares angemessen. Aber es half über die
trübe Stimmung hinweg.
c Gnädige Frau haben wohl nichts dagegen, wenn
ich mir eine Cigarre anstecke?» frug mit einer maje-
stätischen Verbeugung der dicke Handlungsreisende zu
ihrer Linken. Er war sichtlich stolz auf den Beweis
guter Erziehung — und sie nickte ihm mit ihrem sonnigen
Lächeln Bejahung zu.
«Er merkt nichts!» flUsterte sie Ernst in einem
unbeobachteten Augenblicke zu. «Hast Du gehört, er
naimte mich gnädige Frau!»
«Wir sind aber auch sehr vernünftig», sagte sie
nach einer Weile, befriedigt den Gedanken fort-
spinnend.
Auch die Anderen machten sich die Erlaubniss zu
gute. Als der Zug zum ersten Male hielt, erfüllte schon
ein dichter Tabaknebel den Raum. Unser Paar war
andauernd verständig, Sic sprachen von Dem und
Jenem und vermieden jedes Wort, das wie Hochzeit
und Hochzeitsreise klang. Ihre Unterhaltung war sehr
gebildet, sehr altklug. Namentlich die Frage, ob es
besser und billiger sei, sein Gepäck als Guterfracht
vorauszusenden , wurde gründlich in einer Weise er-
örtert dass selbst ein Staatsanwalt nicht das Verbrechen
herausgehört hätte, dass eben zum ersten Male diese
Frage «actuell» geworden sei.
Der Schaffner öffnete die Schiebthüre.
«Draussen ist's frischer», sagte sie und erhob sich.
Ernst blickte sie dankbar an. Sie traten in den jetzt
leeren Gang und fanden bald einen Platz , an dem sie
eine Zeit lang ungesehen zu bleiben hoffen konnten.
«Eis ist zu dumm», fing er an, «dass der Zug so
stark besetzt ist Ich hatte mir die Fahrt so idyllisch
gedacht Aber ich will Dir jetzt nur gestehen, dass
ich dafür gesoi^ habe, damit der heutige Abend um
so gemüthlicher werde. Ich war vor einigen Tagen
heimlich in Breitenberg, habe zwei hübsche Zimmer
bestellt, dazu ein famoses Essen: ein kaltes Brathuhn,
Salat, Früchte, eine Flasche Rothwein. Alles muss auf
dem Tisch stehen, wenn wir kommen. Bei einem Fuhr-
mann habe ich einen Wagen gemiethet. Sobald also
die Gepäckrevision auf dem Bahnhof vorüber ist, steigen
wir in unsere Equipage und sind in zehn Minuten im
Hotel. Allen Empfang von Kellnern und sonstigen
befrackten Neugierigen habe ich mir streng verbeten.
Wir gehen in unser Zimmer, als sei es in unserm Hause.
Kein Mensch sieht uns. Dann werden wir allein sein,
mein liebes, liebes Kind!»
c
CO
O
>
B
Q
o
>
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
125
Er zog sie sanft an sich, sie widerstrebte nicht
mehr und blickte mit dem Kopf an seine Brust gelehnt
hinaus in die vorbeirauschende frühHngsfrische Landschaft.
Die Berghöhen glänzten im Abendroth, im Thale lagen
blaue Schatten, leichte Nebel zogen über den breiten
Fluss hin und her. Die Flockenwolken des Himmels
wie der glänzende Wasserspiegel leuchteten im Gelb
schimmernden Goldes. Ihr war sehr feierlich , sehr
weich zu Muthe, aber sie empfand zum ersten Male
an dem an Anstregung und Aufregung reichen Tage
das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in seinen
Armen. Dem taktmässigen Stossen des Wagens folgte
sie im träumenden Geiste. Es schien ihr, als gebe es
den Rhythmus des Marsches wieder, den der Vetter ge-
spielt hatte, als man vom Hochzeitsmahl in das gegen-
über liegende Zimmer gezogen war; immer wieder die
ersten vier Takte. Sie konnte die Weise nicht sobald
wieder los werden!
So standen sie eine ganze Weile. Auf einmal riss
sie sich los.
€ Da weiss wohl der Wirth in Breitenberg Alles.
Oder was hast Du ihm gesagt?»
Er wollte den Arm wieder um ihre Taille legen,
sie schob ihn aber mit ruhiger Geberde fort.
c Natürlich habe ich ihm Alles gesagt. Breitenberg
ist beliebt als erste Staffel in den Himmel der Ehe.
Die Leute sind das schon gewöhnt, Hochzeitsreisende
zu bewirthen und verziehen keine Miene , wenn man
ihnen den Zweck der Reise erzählt.»
Sie schwieg.
cEs war viel klüger, Alles geschäftsmässig mit
dem Wirthe abzumachen . . . . »
< Geschäftsmässig r » Sie stiess einen tiefen
Seufzer aus.
«Nun, ich meine geschäftsmässig für ihn! Er ist
ja dergleichen mehr gewöhnt als Du und ich!»
Sie wand sich aus seinen Armen:
«Pfui, Du machst unfreundliche Witze. Und das
heute schon. » Nach einer schweigsamen Pause fuhr
sie fort: «Wir wollen wieder in das Coupe gehen, es
fällt sonst auf! »
« Ich hätte Dir noch so viel zu sagen ! »
«Aber doch nicht hier? Ach, hätte ich gewusst,
dass das Heirathen so ist ! »
Sie schritt muthig voran, über die Beine des
Handlungsreisenden weg, der schlafend sich über die
Grenzen seines Platzes ausgedehnt hatte , nahm ihr
Kleid fest zusammen und drückte sich in das frei ge-
bliebene Plätzchen. Auch Ernst setzte sich. Der Rauch
war dichter geworden, die Lampe brannte, im Coupe
war es ganz still, kein Wort wurde mehr gesprochen.
Nur die fauchenden Athemzüge des Dicken mischten
sich in den Gleichtakt des Wagenrasseins.
Was konnte man Schicklicheres thun, als sich auch
schlafend stellen.'
Nur einmal wendete sie sich an ihn:
« Willst Du nicht rauchen ? »
Es that ihr leid, er sah so gut, so besorgt und
doch so hoffnungsvoll aus, er nahm Rücksicht mit den
Nöthen, die sie bedrückten ; sie schalt auf sich, unliebens-
würdig gegen ihn gewesen zu sein.
«Mein armer Kopf!» sprach sie vor sich hin, «ich
vermag nicht einmal mehr dankbar zu sein. Wie lange,
lange habe ich den heutigen Tag ersehnt, wie haben
die Eltern, die Geschwister sich bemüht, ihn mir so
schön als möglich zu machen I Und er war herrlich :
die Kirche, der Gesang, Papa's Rede bei Tisch, die so
treu gemeint und lieb war, Mama's stete Sorge, die Herz-
lichkeit der Schwiegereltern, die mich mit so recht
offenen Armen aufnahmen , Ernst so bescheiden , so
zärtlich, so sorgsam — und ich habe keinen Gedanken
im Kopf als den dummen Marsch!»
Sie wischte sich die Thränen mit ihrem Tuche,
das sie krampfhaft seit dem Morgen in der Hand
gehalten hatte.
« Es ist doch sehr rauchig hier ! t>
Er legte die Cigarre wieder fort, die er eben
angezündet hatte, — und sie war sehr böse auf sich
selbst.
Als wieder Stille eingetreten war, nahm Ernst ein
Merkbüchlein aus der Tasche , schrieb den Preis der
Fahrkarten ein und zählte sein Geld nach.
« Das Reisen zu Zweien ist theurer ! »
Er lächelte über seinen geistvollen Gedanken.
Es war ganz dunkel geworden, als Ernst lange vor
der Zeit das Zeichen zum Aufbruch gab und sich und
Anna zum Aussteigen fertig machte; Breitenberg
näherte sich ; alle Mitreisenden folgten seinem Bei-
spiele. Nur der Dicke schlief, bis der Pfiff die Ein-
fahrt in den Bahnhof meldete. Aber er wurde noch
bequem zur rechten Zeit fertig und lächelte über-
legen als der Erfahrenere. Die Station lag jenseits
126
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
der Grenze und es musste allc-^
Gepäck dem Steuer • Beamten
geöffnet werden.
Der Revisionssaal war, wie
derartige Räume sind: kahl,
nüchtern . von ärgerlichen , noch halb verschlafenen
Reisenden erfüllt, die sich um den Platz am langen
.■\bfcrtigungstische stritten. Die Selbstsucht in rohester
Form macht sich hier zwi-schen Leuten geltend , die
eben erst die Fahrt zusammengeführt hatte. Jeder
war der erbitterte Feind des Andern , Jeder rief nach
den Beamten, den Gepackträgem, vertheidigte sein Gut
und pries es als zoll - unschuldig.
Ernst hatte die Sachlage vorher überlegt und
beschlossen , seine grossen Koffer auf dem Bahn-
hof stehen zu lassen. Nur das Handgepäck , welches
er im Gasthause brauchte , breitete er auf dem
Tische aus. Er hatte nur eine bescheidene Anzahl
Cigarren bei sich, erklärte reinen Gewissens, dass
nur Wasche , nichts Steuerbares sich im Koffer be-
finde.
< Bitte, offnen! Was ist das für ein Packet? I>
t Das sind meine wollenen Hemden. Ich trage
Jäger :
< Aber die sind ja neu 1 Da ist ja noch die Original-
verpackung !
t Natürlich , zur Rei.se nimmt man doch neue
Wäsche mit I
< .Aber Sie haben doch eben erst gesagt, Sie hätten
nichts Steuerbares! >
€ Leibwäsche ist
doch nicht steuerbar! >
< Ach was , das
sind Wollwaaren, Ka-
pitel so und so viel
des Zolltarifs! Warten
Sie, bis die Abfertig-
ung der Uebrigcn vor-
über ist ! »
Die junge Frau
stand hinter ihm und
sah ihn ängstlich an,
aber sie lachte auch
wieder fröhlich mit
ihm, als er ihr den
Unglücksfall unter
lustig übertriebenen
Selbstanklagen geschil-
dert hatte.
t Komm, ich führe
Dich zum Wagen! >
Der bestellte Kut-
scher hielt vor dem
Thore , begrUsste die
Ankommenden und öffnete ihnen den Schlag. Frau
Anna nahm mit den freigegebenen Gepack.stücken
Platz, während Ernst zum Revisionsraume zurück
ging. Er war entschlossen , Ein.spruch zu erheben,
und .sollte er bis zur höchsten In.stanz gehen müssen.
Nicht umsonst hatte er Ihering's c Kampf um 's Recht»
gelesen !
<Sie bleiben in Breitenberg?» frug der Beamte.
<JaU
' Dann bitte ich Sie , sich zu gedulden , bis die
Weiterreisenden alle abgefertigt sind ! '>
Nach einer Viertelstunde war's leer im Saale,
c Sehen Sie > , sagte der Beamte, vertraulicher werdend,
chatten Sie das Packet aufgemacht, so krähte kein
Hahn darnach , ob Ihre Hemden neu oder alt sind , so
aber muss ich Sie bitten, mit in die Kanzlei zu
kommen! »
Das Studium des Steuertarifes muss ein sehr um-
ständliches sein. Es dauerte sehr lange, bis die Ge-
lehrten in Uniform einig wurden, wie der schwierige
Fall zu behandeln sei. Dann wurde das Packet ge-
wogen, ein Schein ausgefertigt, musste gezahlt und
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
127
quittirt, der Koffer geschlossen werden — und er
schloss so schlecht! Die Beschwerde hatte Ernst
inzwischen vergessen.
»Was die arme Frau nur in ihrem Wagen treiben
mag ? fru.,' er sich mit Zagen und stürmte , seinen
Hut schwingend, endlich frei, in schnellen Sprüngen die
Bahnhoftstreppe hinab, so dass der Gepäckträger ihm
kaum zu folgen vermochte.
Sie -sass in einer Art Traum da. Schon hatte
man die Gasflammen am Bahnhof ausgelöscht, da
der Zug längst weiter gefahren war. Die breite Bahn-
hofstrasse war menschenleer. Um so mehr aber war
sie erfüllt vom vollen Licht des Mondes, das in
weissen Fluthen sich um die Hecken und jungen Allee-
bäume legte und über den Strassendamm sich wie
ein Milchstrom ergoss. Die kleinen villenartigen
Häuser glänzten freundlich im bläulichen , duftigen
Zwielicht. Hier und da belebte rothes Lampenlicht
aus den Fenstern die schweigende Herrlichkeit der
Mondnacht.
Die Ruhe that ihr so wohl! Nun erst empfand
sie, wie das Lärmen des Zuges ihre bräutliche Stimmung
vernichtet, sie vom Geliebten fem gehalten hatte, wie
widrig die aufgezwungene Gesellschaft schlafender und
schnarchender Männer ihr stilles Glück gestört hatte.
Sie war ehrlich müde von den Anstrengungen
des Tages, von den Thränen, die sie mit den
Freundinnen schon am frühen Morgen geweint,
als sie durch ein Ständchen geweckt wurde,
von der süssen Mühe des Schmückens, vom
Empfang des Bräutigams, den sie mit Schrecken
sich fern stehend empfunden hatte, gerade
weil er mit so sicherm Lächeln von ihrer Hand,
ihrem Munde Besitz nahm , von der ganzen
schmerzlich frohen Sorge um die nahe und
lerne, so lang ersehnte und doch so unklare
Zukunft. Dann waren die Leute des elter-
lichen Hauses zu ihr gekommen, sie zu be-
wundern ; man hatte die überreichen Geschenke
gebracht, mit denen man ihr das Scheiden aus
dem alten Kreise versüssen zu wollen schien;
sie hatte grosse Gaben mit herzlicher Bewun-
derung, und kleine mit stiller Rührung entgegen-
genommen. Alles das stand ihr klar vor den
sich halb schliessenden Augen. Ihr voller Mund
lächelte im glücklichen Traume. Und aus dem
schwankenden Weiss des Mondlichts glaubte sie die
eigene Gestalt sich entwickeln zu erkennen, das weisse,
die zierliche Brust fest umschliessende Seidenkleid, den
wallenden Schleier, der sich über die Zitternde legte, als
sie gesenkten Hauptes das grüne Myrthenreis von der
Hand der Freundinnen entgegennahm. Und dann er-
tönte es wie Orgel um sie, viel Menschenstimmen, Grüssen,
Nicken im feierlichen Raum , den sie an seinem Arm
durchschritt. Tante Minna, die Vertraute ihrer kleinen
Jugendsünden und ihrer grossen Liebe für ihn, warf ihr
triumphirend eine Kusshand zu ... .
«So, nun los, Kutscher! » tönte es plötzlich neben ihr.
«Das war eine ärgerliche Geschichte!» fuhr Ernst
fort, indem er sich auf seinem Platz im Wagen zurecht
setzte. «Hast Du Dich gefürchtet, liebes Kind.^»
Er nahm sie in den Arm, sie rückte sich wohnlich
an seine Brust, schwieg lange, bis sie ihm mit einem
Kusse um den Hals fiel.
« Ich bin so namenlos glücklich 1 »
Der kleine Wagen fuhr durch's Städtchen, Er
rumpelte bedenklich auf dem Pflaster, aber die menschen-
leere stille Stadt sah so freundlich aus in den scharfen
Schlagschatten und Lichtern des Mondes, so malerisch
und romantisch. Und dann ging's über den Strom auf
breiter Kettenbrücke.
128
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Wie die Wasserfläche blitzte und spiegelte, wie
so klar und rein der Mond am Himmel stand! Und
weiter gings, am Ufer hin!
( In fünf Minuten sind wir im Hotel I >
Der Wagen hielt, das hübsche villenartige Haus
lag im tiefen Dunkel. Nachdem der Kutscher abge-
lohnt war, standen die beiden Reisenden allein auf der
dunklen Uferstrasse und mussten ihren kleinen Kofier
selbst die Treppe zum Hotel hinauftragen.
Der Hausflur war leer, nur eine kleine Lampe
brannte. Nebenan hörte man Stimmen aus der Gaststube.
Ernst trat dn.
Mit einer V^erbeugung kam der geschmeidige Wirth
auf ihn zu, nachdem er ihn verwundert betrachtet hatte.
<Wo kommen Sie denn noch her.'>
c Nun, ich habe doch für heute Zimmer bestellt I >
cja freilich, die sind aber eben vergeben. Sie
sind ja nicht mit dem Nachtzuge gekommen. >
Nur zu bald stellte sich's heraus, durch die Ver-
spätung am Zollschalter war alles Unheil gekommen;
der Wirth hatte angenommen, die Reisenden waren
nicht eingetroffen, hatte seine letzten Zimmer vergeben.
Er selbst war in Verlegenheit. Die Gäste an den
Stammtischen begannen auf das Gespräch zu achten,
ein Einheimischer erhob sich und sagte :
< Im Hotel Weber ist vielleicht noch Platz ! >
Ein anderer schlug ein besseres Hotel vor. Die
Angelegenheit wurde zur öffentlichen.
Die junge Frau wartete inzwischen draussen , bis
zufällig ein Kellner kam, der alsbald auf die Hötel-
glocke losstürzte und ein wahres Sturmläuten begann.
Ueberall flogen Thüren auf, zwei weitere Kellner,
der Portier erschienen; das Stubenmädchen war
neugierig die halbe Treppe herab gelaufen, um
zu sehen, was geschehen sei.
« Gnädiges Fräulein befehlen ? >
cWas steht zu Diensten.' >
Ein befrackter Uebereifriger riss die Thur
zum Gastzimmer auf
€ Vielleicht einzutreten gefällig?!»
Sie flüchtete an die Seite ihres Gatten , unfähig, ein Wort vor-
zubringen und stand nun im raucherfüllten Räume inmitten einer
gaffenden, eifrig rathenden und neugierig forschenden Gesellschaft.
it Ich werde sofort bei Weber nachfragen la.ssen I > sagte der Wirth.
i Ist inzwischen vielleicht ein Glas Bier gefälligt, rief der Kellner
dazwischen, 4 wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen? >
Den Koffer und die Mäntel hatte er den Unentschlossenen
schon abgenommen, s^hon schob er einen Stuhl mit
ungeduldiger Geberde zurecht.
cWas bleibt uns übrig >, sagte Ernst, class' uns
ein Glas Bier trinken. >
€ Aber Ernst , eine Dame allein , hier I ? > Thränen
traten ihr in die Augen.
€ Im Hausflur können wir doch auch nicht bleiben ! >
Und nun ergoss sich aus Emst's Munde ein Donner-
wetter über das Haupt des Wirthes.
Die Gäste des Stammtisches suchten die Reisenden
zu trösten.
(Siebekommen schon noch ein Zimmer, der Wirth
sorgt schon dafür ! >
(Hotel Weber hat sehr gute Betten*, sagte ein
junger Schwerenöther und zwinkerte pfiffig mit den Augen.
Anna war empört, sie wollte aufstehen und diese
aufdringlichen Menschen verlassen, sass sie doch nur
auf dem äussersten Ende des Stuhles.
Sie berührte keinen Tropfen des freundlich blinken-
den Bieres, ja, es gab ihr einen Stich in's Herz, als
Ernst hastig einen Schluck trank und sich nicht ohne
Befriedigung den Schnurbart wischte.
«Wofür mich die Leute nur halten mögen ?> Sie
zog nicht ohne Mühe den engen Handschuh von der
Rechten und spielte mit dem Trauring.
( Wenn er nur nicht so funkelneu wäre. >
Hastig zog sie den Handschuh wieder an.
Endlich kam der Wirth mit befriedigter Miene
zurück. Das Zimmer war gefunden, berichtete er unter
Händereiben, nur ftlnf Minuten Wegs. Das b&stellte
ü
:Gd
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
129
& •uam«Vit.4
Abendbrod war auch schon dorthin gesendet worden.
Mit vielen Kratzfüssen, sich nochmals entschuldigend,
lobte er das Nachbarhaus, c Sie sind dort gut aufgehoben ! »
Endlich brachen sie auf.
cGute Nacht! FeHcissima notteü» klang's vom
Stammtisch, theils mitleidigen, theils neckenden Tones.
Als die Thür geschlossen war, hörte man noch das
herzhafte Lachen der erheiterten Gäste.
Anna weinte an Ernst' s Arm.
« Es ist zu entwürdigend , in seinen schönsten
Empfindungen zum Gegenstand der Neugierde, des
Gespöttes zu werden. Ich mache Dir keinen Vorwurf,
lieber Ernst, Du bist schuldlos, ganz schuldlos. Du
hast es so gut gemeint. Aber meine Stimmung hat
einen Riss bekommen, einen hässlichen Riss. In den
milden Schein unseres Glückes haben sich kalte, frivole
Menschen hineingedrängt! Wie schön war's in der
Mondnacht ! Mit Dir allein ! »
Es war schwer, sie zu trösten; er sagte ihr viel
Liebes und Gutes, hielt sie fest im Arm und drückte
sie heftig an sich, als der mit Koffer und Laterne
vorausgehende Kellner gerade um eine Ecke gebogen
war. Der Weg ging durch Gärten, die Rosen dufteten
und der schwere Hauch des Jasmin erfüllte die milde
Luft. Schöne Ausblicke auf den murmelnden Strom
zur Seite hielten sie auf kurze Zeit fest.
Den Kellner, der seinerseits geschwätzig sich in
ihre Angelegenheiten einzumischen suchte, wies Ernst
mit einem entschiedenen Worte zur Ruhe :
« Sie sind nicht gefragt ! »
Er ging mürrisch und rasch seinen Weg und
sah sich gelangweilt nach dem nun umschlungen
wandelnden Paare um , sobald dies ihm nicht in
.tjleichem Schritte folgte.
Endlich waren sie an Ort und Stelle.
« Nicht übel ! » sagte er, « ein Zimmer mit Balkon ! »
Sie trat wieder hinaus in die freundlich helle Nacht.
tUnd hier das Schlafzimmer. Es ist doch Alles
sauber!:» Mit der Sicherheit eines Reisegewohnten
musterte er die Räume.
« Nun, schnell, decken ! »
Es dauerte wohl zehn durch das Warten ärgerlich
verlängerte Minuten , ehe Stubenmädchen und Kellner
sich verabschiedeten. Die Lampe brannte dann aber
auch gemüthlich; das kalte Huhn streckte lockend
zwischen Salatschüsseln die braunen Schenkel in die
Höhe; neben der Flasche Rothwein lag der schön ver-
nickelte Korkzieher; der Tisch war mit reinlichem
Weiss gedeckt.
«So, endlich! Komm herein und sei Hausfrau, mein
lieber Schatz ! »
« Es wäre mir unmöglich , einen Bissen zu essen !
Ich bin sehr müde und abgespannt. »
Alles Zureden half nichts. Sie lehnte das Mahl
17
130
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
ebenso entschieden ab, wie seine Zärtlichkeit. Auch
der Wein blieb unauTgekorkt stehen.
c Willst Du nicht zur Ruhe gehen ?> frag er zärt-
lich besorgt.
Sie ging auf das Schlafztuuner zu und hielt ihn
vom Eintritt zurück.
«Bitte, bitte, Utas michl Nur heute, nur jetzt.
Die Ankunft hier war so schrecklich 1 Du liebst mich,
Ernst, nicht wahr. Du liebst mich — ich habe heute so
viel erlebt — ich muss mit mir allein bleiben, mich
sammeln ! > flehte sie, indem sie sich an seinen Hab hing.
Er trat zögernd zurück. Sie schloss hastig die ThUre
von innen mit doppeltem Riegel.
«Geh' zu Bette, lieber Schatz, es ist bald Mitter-
nacht, Du bist müde und nerväs», rief er ihr noch zu.
Er hatte auch keinen rechten Hunger. Das Abend-
brod blieb unberührt. Er stand klopfenden Herzens
mitten im Zimmer. So wartete er fünf, zehn Minutca
Es war ganz still im Hause geworden. Dann begann
er ruhig den Koflfer auszupacken und schloss die Fenster.
Drausscn wurde es kühl, die Nebel zogen vom Fluss
herauf Mit einem leichten Frösteln legte er bequemere
Kleider an und setzte sich auf das Sopha.
Was sollte er thun? Anklopfen, sie im Schlafe
stören, sich in ihr Zimmer eindrangen? Das wäre un-
ritterlich gewesen. Aber hier spielte er eine komische
Rolle. So begann er denn zu philosophiren , weil er
es liebte, mit seinen Gefühlen ins Klare zu kommen.
So eine Hochzeit mit ihren nicht immer zarten
Scherzen, ihrem Lärm und Anstrengungen ist ein mittel-
alterlich roher Brauch. Ist's nicht schöner, sich im
Sturm der Leidenschaft an einander zu verlieren, als
kalten Blutes, unter den Augen zum Spott Geneigter
ein junges, zitterndes Wesen dem Manne preiszugeben,
welches im besten Falle nicht weiss, was es thut.
Gerade weil der Tag lange vorher ausgewählt , die
Feste vorbereitet, die Ner\en hingehalten sind, er-
scheint die Hochzeit im Geiste der Unverdorbenen als
ein lang gefürchtetes Gespenst, der Bräutigam als
ein schleichender, mit seiner Beute wie eine Katze
grausam spielender Feind. Die Ehe gibt nicht Rechte,
sie erhöht nur die Anwartschaft, Bitten zu stellen. Die
Werbung soll eigentlich erst mit der Trauung beginnen.
Denn dem Gewähren sollte das Erkennen vorausgehen.
Ist s denn recht und edel, dem Weibe eine Gabe ab-
zuringen, deren Werth sie noch nicht ganz zu erfassen
vermag? Der Mann, welcher glaubt fordern zu dürfen,
hat die Achtung eines wahrhaft jungfräulichen Wesens
schon eingebüsst. Denn die Seele eines Mädchens
ändert eine Stunde Predigt und ein kirchlicher Segen
nicht. Was sie gewähren will, muss frei im Augen-
blicke der völligen geistigen Hingabe geboten werden,
soll es den höchsten sittlichen Werth haben. Ein solcher
Augenblick muss in opfen^'illiger Liebe erdient, in
Geduld abgewartet werden , will man nicht mit einer
Banalität seine Ehe beginnen I — Nie war ihm der heutige
Tag ernster, feierlicher erschienen.
Er streckte sich auf dem Sopha aus und breitete
eine Reisedecke über sich. Die Lage war aber nicht
eben bequem. Hötelsopha's sind kurz und Ernst ist langt
Das liebe Kind schläft. Schlafe ruhig, mein Engel,
du hast ddn liebes Ich in die Hand eines Mannes
gegeben, der das Geschenk zu ehren weiss. Ich liebe
dich nun mehr als je, stürmischer, glühender seit dieser
Nacht der Selbstprüfung, seit ich weiss, dass ich nun
erst recht um dich zu kämpfen habe. So missglückt
diese Hochzeitsreise bisher war — ich mache nie wieder
eine — so soll sie doch zu deinem Nutzen ausschlagen.
Du solbt mich kennen lernen, durch das tägliche freund-
schaftliche Beisammensein meine zarte, aufopfernde und
doch so heisse Liebe verstehen lernen und erst wenn
du ganz mit deinem Herzen einig und ganz seelisch
mit mir verwachsen bist, dann —
Er sprang wieder auf und ging im Zimmer hin
und wieder. Vorher zog er die Stiefel aus, um durch
ihr Geräusch sie nicht zu stören. Nach einer Weile
sah er auf die Uhr.
Halb einsl
Er blickte sich im Zimmer um. Es blieb nichts
übrig, als auf dem Sopha zu schlafen. Endlich bcschloss
er einen Lchnstuhl für die FUsse anzurücken. Das ist
freilich sehr lächerlich und etwas beschämend, sagte
er zu sich selbst, aber was hilft's?
Sie wird nicht von diesem Abende mit Anderen
sprechen, sie wird sich nicht rühmen, mein Ungestüm
gebändigt zu haben. Ist doch der grössere Sieg auf
meiner Seite. Ihrem sittlich empfindenden Herzen wird
dies später einmal mit doppelter Gewalt bewusst werden.
Sie wird und muss mir für diese Schonung, dieses Zart-
gefühl dankbar seini
Inzwischen zitterte die kleine Frau im Nebenzimmer
vor Angst : Allein, ganz allein in einem fremden Gasthaus I
Sie hüllte sich schaudernd in ihre Bettdecke. Und
welches Unrecht gegen Ernst, der sich erkälten muss!
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
131
Wenn sie ihm nur auch ihre Reisedecke hinaus
reichen könnte. Und dazu die Sorge, gleich am ersten
Abend launenhaft und ungezogen gewesen zu sein.
Aber sie konnte ihn doch nicht hereinbitten. Noch
nie hatte ein Mann ihr Mädchen-Zimmer betreten; sie
-schämte sich grenzenlos bei dem Gedanken, dass sie
ihn nun rufen solle.
Zweimal war sie aufgestanden, um leise, ganz leise
die Riegel wieder zu öffnen.
Aber sie wagte es nicht. Wenn er sie überraschte,
ehe sie wieder sich unter schützende Hüllen gerettet hätte 1
Nein, dem konnte sie sich nicht aussetzen!
Plötzlich trat ein grosses Ereigniss ein. In einem
Zimmer nebenan wurden Geräusche laut. Schwere Tritte,
dann Plantschen mit Wasser, gurgelnde Missklänge,
Husten und Prusten. Eine Thür
wurde geöffnet und man hörte
deutlich zwei Stiefel im Hausflur
niederpoltern, dann fiel die Thür
krachend ins Schloss. Endlich ein
tiefes Aufseufzen des benachbarten
Bettes unter schwerer Last.
Noch nie hatte Anna solche
Angst empfunden. Sie begann sich
ha.stig wieder anzukleiden. Als sie
halb fertig auf dem Bettrande sass,
vernahm sie noch Schrecklicheres.
Lang gezogene, furchtbare Töne
in unregelmässiger Folge, als wenn
nebenan in einem Riesenkessel
Erbsen gekocht würden oder eine
Riesenkatze fauchte.
Mit hastender Eile vollendete sie ihren Anzug.
Nur in die neuen Reisestiefel vermochte sie nicht hinein
zu schlüpfen, so sehr sie sich mühte; desshalb verbarg
sie sie unter dem Bette, das sie leise und sorgsam
wieder in seinen alten Stand versetzte. In wenig
Minuten hatte ihre wirthschaftlich geschulte Hand jede
Spur ihrer Anwesenheit im Zimmer entfernt. So mit
ihrem ehrlichen Tagesgewand gewappnet, horchte sie
wieder. Die Töne waren in ein grässliches Pfeifen
umgeschlagen. Sie hörte deutlich die Klagelaute eines
Erstickenden. Eine namenlose Furcht packte sie, so
dass sie Rettung suchend an die verschlossene Thüre
floh. Dort legte sie ihr Ohr an, um zu hören, ob sie
von Ernst etwas vernehmen könnte.
Tiefe Stille.
Sollte er fortgegangen sein, sie allein gelassen
haben? Sie könnte ihm darüber nicht böse werden,
denn sie war es ja, die ihn von sich stiessl
Schnell war der Entschluss gefasst.
Sie klopfte an.
«Anna!» rief es von innen im freundlichsten Ton.
«Kann ich herein kommen, lieber Ernst?»
«Gewiss, mein Kind!»
Sie trat ein. Beide sahen sich lange an, er erstaunt,
sie völlig angezogen zu treffen, sie tief erröthend und
forschend, ob sie bei ihm Hilfe oder Spott finden werde.
«Hast Du gehört?»
« Was ? »
«Nebenan! »
«Nun, was denn?»
« Da ist Einer ! »
«Wo?» Ereilte mit langen Schritten
n's Schlafzimmer, um den Eindringling
niederzuschmettern.
Alles war still.
Endlich hörte er den Schlafen-
den und lachte:
«Der thut Dir nichts!»
Er zog sie zu sich auf den
Schooss, um sie zu trösten. Sie
folgte ihm gern, weil sie die Füsse
so unter die weit herabhängende
Decke des Tisches stecken und
ihm den Mangel an ihrem Anzug ver-
bergen konnte.
Während er sie nun tröstete, ihr Muth
einsprach, dann ihr seine Grundsätze mit
stolzen Worten auseinander setzte, von seiner tapferen
Entsagung , von seiner festen Absicht sprach , ihre Ge-
fühle zu schonen, ihr zuredete, zur Ruhe zu gehen, da
er, wie Cherubin, rein und aufopfernd an ihrem Lager
wachen werde; während dieser langen, im eindringlichen
Flüsterton gesprochenen Rede hatte sie zerstreut an dem
lockenden Hühnchen , welches noch so unbei'ührt auf
dem schön gedeckten Tische lag, mit spitzen Fingern
herumgezupft, bis ein Stück braun -knusprige Haut ab-
gegangen war.
Das steckte sie ihm in den beredten Mund ".md
versiegelte das Geschenk mit einem herzhaften Kuss.
Sie hatte nämlich gefühlt , dass er auch keine Stiefel
anhatte und das gab ihr plötzlich ihren Muth und ihre
Lebenslust wieder.
17*
182
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
€ Hast Du Hunger, mein Schatz ? * fragte er erstaunt.
Mit rascher Wendung war sie an die andere Seite
des Tisches gelangt und begann statt jeder Antwort
das Hühnchen kunstgerecht zu zerlegen und ihm wie
sich ein paar Stücke auf die Teller zu l^en.
cNimm!» sagte sie ... . dch habe mich so ge-
fürchtet, allein mit einem Manne zu reisen — aber so
gefällt mir's ganz gut!>
Er bedurfte nicht des Zuredens, um die Flasche
zu entkorken. Nach einigen Minuten war der Schnarcher
vei^essen und floss Beiden das harmloseste Gespräch
von den Lippen. Sie stiessen wacker miteinander an,
auf die Zukunft, auf glückliche Reise, auf frohe Wieder-
kehr in die Vaterstadt. Sie scherzte und lachte heiter
Über die Erc^isse des
Tages. Das gelockerte
Haar hing ihr bald
bacchantisch um den
Kopf, sie war voller
Witz und Neckerei.
c Hast Du die
Scherze der Kranzchen-
freundinnen in ihrer Auf-
führung verstanden? Du
sollst immer hübsch
achtsam auf Deine
kleine Frau sein und
nicht mit ihr umgehen
wie mit einem Kneipbruder. Immer
hübsch zuvorkommend, nicht wahr? »
€ Nun . ich habe mich doch 'J^'
schon als Bräutigam musterhaft
benommen I »
<Es ging an, aber Du hast noch viel zu lernen,
Du guter, guter Mann. Weisst Du jetzt, warum ich
in Seedorf so böse war?»
(Ich habe es nie ergründen können!»
c Weil Du aus der Droschke gestiegen warst, gezahlt
hattest und darüber vergassest, mir aus dem Wagen
zu helfen!»
t Und auf solche Kleinigkeiten achtest Du so sehr?»
ija, so macht's Onkel auch und das sieht so schlecht
vor den Leuten aus. Tante hat mir immer leid gethan,
so gut sie es sonst auch hat. Als ob Du Deine Frau nicht
liebtest und achtetest, und das thust Du doch, nicht wahr ! >
Er bekräftigte es, indem er ihr die Hand über
den Tisch entgegen streckte, in die sie herzhaft ein-
schlug. Sie spottete über ihre Angst, über die Stamm-
gaste, über die Unbilden der Reise. Er aber verschlang
ihre Gestalt mit den Augen, entzückt von ihrem frauen-
haften Walten, das zu ihrem kindlichen Plaudern so reizend
stand, so dass er sich nicht halten konnte und sie
wieder auf seinen Schooss zog.
Da kam's heraus, dass auch sie keine Stiefel anhatte.
Er wurde darüber fast närrisch vor Freude, nahm ihre
Füssc in die Hand und drückte sie mit zarter Gewalt. Sie
.schämte sich zwar sehr, dass ihr Fehler entdeckt sei,
versteckte sich aber an seiner Brust, während er ihre
Stirn und ihren Hals mit Küssen überschüttete. Dort
hielt sie sich ganz still, doch fest an ihn gedrängt.
Endlich riss er sich auf.
Das Huhn war
verspei-st, der letzte
Tropfen Wein ausge-
trunken, alle Schüsseln
waren leer.
« Kind », sagte er
mit ernster Würde, c es
ist halb zwei Uhr. Du
musst nun zu Bette.
Du weisst , wie ich
Dich liebe. Ich will
das schöne unschuldige
Band, das uns jetzt noch
verbindet , nicht zer-
reis-sen. Denn ich ehre
Deine mädchenhafte
Zurückhaltung und
wünsche jetzt als Dein
Gatte, und merke wohl,
das ist so viel wie Gebieter! dass Du zur Ruhe gehst.
Ich selbst habe mich entschieden, mich für heute auf
das Sopha zu betten. So will ich's haben!»
Sie stand auf und sah ihm ängstlich forschend in's
Gesicht. Die Röthe stieg ihr höher und höher bis in
die Stirn, die sie an seine Brust schmiegte, sich ganz
seiner Umarmung hingebend.
Und dann fiel sie ihm unter Thränen jauchzend
um den Hals:
< Ich danke Dir, Du lieber, guter. Du aufmerksamer
Mann ! >
Im Nu war sie verschwunden , die Thüre .schloss
sich hinter ihr, die Riegel schnappten wieder zweimal
ins Schloss.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
133
Ernst stand lange da und starrte die verschlossene
Thüre an. Darauf sah er sich um, als wolle er sich
überzeugen, dass er nun wirklich allein sei. Kopf-
schüttelnd nahm er die Brille ab, legte sie auf den
Tisch. Dann rückte er sich sein Sophalager wieder
zurecht. Zwischen jedem dieser Unternehmen machte
er eine Pause, indem er aufmerksam nach der Thüre sah.
«Meine Theorien über die Ehe», so sagte er halb-
laut vor sich hin, *sind gewiss sehr fein und geistreich.
Ich weiss zwar nicht, ob sie neu sind — jedenfalls
habe ich sie aber selbstständig gefunden. »
Ehe er die Lampe auslöschte, hielt er noch einmal
inne , um nach der Thüre lange und unverwandt zu
blicken und eindringlich zu lauschen.
Dann legte er sich und rückte sich mühsam auf
dem unbequemen Lager zurecht.
« Wer aber, um Gottes Willen », sagte er nochmals
zu sich, «hat eigentlich von mir verlangt, dass ich
gerade heute geistreiche Theorien erfinden
soll Die ITieorie ist gut , aber
nur ein rechter Esel konnte sie
erdenken ! »•
Darauf dämmerte
er in .süsse Träume
hinüber.
Ein durch die leise
und langsam geöffnete
Thüre dringender Licht-
strahl weckte ihn. Er
sah in verschwimmen-
den Umrissen, wie Kurzsichtige eben sehen, etwas wie
einen weissen Arm hervorragen.
«Ernst», flüsterte Anna, «hier hast Du noch eine
Reisedecke. Die Nacht wird kühl, wickele Dich warm ein ! »
« Und dann . . . . » Sie schwieg.
Nach einer Weile fuhr sie schüchtern fort : « Der
Herr da drüben ist wieder so laut. Ich darf doch die
Thüre etwas offen stehen lassen . . . Du bist ja so
gut und lieb — und ich fürchte mich so sehr in dem
fremden Haus. Ich habe ja Niemanden als Dich; so
kann ich Dich doch errufen — das wird mich ruhiger
machen. Gute Nacht, schlaf wohl. Du Lieber!»
Und der Lichtstrahl fiel breiter in das Zimmer,
seit der Schatten ihrer zierlichen Gestalt wieder aus der
Thürspalte verschwunden war.
Ernst richtete sich auf, rieb sich die Augen und
tappte mit der Hand über den Tisch, seine Brille zu
suchen ....
Am anderen Vormittag war die ganze Gegend voll
Sonnenschein und Lerchenschlag. Im kleinen Wagen
auf dem Wege nach den Bergen sass singend
und lachend ein Paar, eng verschlungen,
leuchtenden Angesichts, so recht mit
weit geöffneten Herzen, um Gottes
schöne Welt zu geniessen. Sie
fuhren neuen Wundern
der Natur entge-
gen, voll Lust und
Kraft, des Herrlichsten
die Fülle in sich auf-
zunehmen.
^
-i^^*<~<r^
PLAUDEREI')
vo»
H. E. VON BERLEPSCH.
- l^y^j^^-^^^l^^
diese denn doch nicht ewig, Andere treten an ihre Stelle.
Es kann sich nur darum handeln, einen glücklichen Griff
zu thun, um mit einem Schlage Furore zu machen,
und ist der eine glückliche Griff gethan, dann geht's
wie am Schnürchen! Man ist ein gemachter Mann
und lost, wie grosse Industrielle, nicht blos schöne
Summen aus den Hauptproducten, es laufen auch noch
eine Menge Nebeneinkünfte mit, denken Sie doch nur an
die Vcrvielfältigungsrechte I Ich weiss es bestimmt, dass
Einzelne aus diesen ganz allein jährlich Tausende ziehen! >
< Künstler oder — Producenten künstlerischer VVaare ? >
< Nun, doch Künstler, ja, Künstler, besonders Maler,
deren Namen durch die Reproduction ihrer Bilder in
die ganze Welt getragen wird — — >
*; Bei der Beieichnung der Skizzen und Studien aof pag. 109 ff.
iit ein unliebsamer Fehler passirt. Alle ab t Otto Baisch > bezeich-
neten Blätter rühren von Prof. Hermann Baisch in Karlsruhe her.
eifelsohne gehört heute ein gewisser Muth dazu , Künstler,
wirklicher Künstler , werden zu wollen , wenn nicht die Er-
ziehung, die sich nicht so schlechtweg wie irgend eine < Lehr-
zeit > abmachen lässt, durch eine wirkliche goldene Basis
gesichert ist. Für wen arbeitet im Grunde genommen der
Künstler? Wer kauft seine handgreiflich gewordene An-
strengung? Wer? Vielleicht der Staat, weniger «vielleicht»
Kunsthändler, am wenigsten < vielleicht > ein Mäcen, denn die
Letzteren sind wohl die seltenste Species unter den Menschen 1
Kunstbegeistert — ach ja, das sind Tausende, Abertausende,
besonders, wenn die Kunst nichts kostet, aber ihrer Kunst-
begeisterung klingenden Ausdruck Gebende — — Diogenes,
zünde hundert, tausend Laternen an und hilf suchen, ob wir
in der ganzen alten Welt, die vor lauter Bildung ausser Rand
und Ikmd geräth, ein Dutzend wirklicher Mäcene finden!»
cUnd dennoch werden viele Leute mit und durch die
Kunst und die Künstler reich, oder wenigstens, sagen wir
^'Ut situirt», und die Künstler — ah bah, Pessimismus, zu
behaupten , sie arbeiteten umsonst oder höchstens < pour la
gloire > ! Es giebt ihrer denn doch eine ganz grosse Reihe,
die ein anständiges Auskommen haben, regelmässig ihre Bilder
verkaufen, hohe Preise dafür einheimsen, und schliesslich leben
<Pah — das beweist rein gar nichts.»
c Auch nicht, dass das Publicum an ihren Arbeiten
Gefallen finde?»
c Damach fragt der eigentliche Künstler überhaupt
in erster Linie nicht, obschon ich glaube, dass Keiner
etwas dagegen hat, wenn er seine Leinewanden ver-
kaufen kann, statt sie allmählig zu einer «Galerie un-
verkauften Genies» anwachsen zu lassen. Immerhin giebt
es auch Liebhaber solcher Umstände, ja Trübner bei-
spielsweise hat dies und jenes seiner Bilder zurück-
gekauft. Aber, wie gesagt, wenn Einer das wahre Zeug
zum Künstler in sich hat, so arbeitet er eben drauf los,
unbekümmert darob, ob ihm seine Bilder Vervielfältig-
ungstanticmen abwerfen oder nicht, unbekümmert selbst
darüber, ob er die Bilder verkaufe oder nicht. Und
Bilder malen — Lieber, das kostet immerhin Geld,
manchmal viel Geld! >
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
135
" -A:-
Ollo Greiner. Betrunkene.
136
DIE KUNSl UNSEKKR /KU.
«Ja, Farben und Leinewand bekommt man, wie
ich mir sehr wohl vorstellen kann , nicht geschenkt,
die Ateliers kosten Micthe, wenigstens für Jene, die
solcher Räume noch bedürfen, denke ich mir, — aber die
Pleinairisten brauchen das wohl nicht mehr, die malen
doch Alles kurz und klein nach der Natur und wohnen
überhaupt gar nicht mehr in Städten — »
«Was? Die brauchten keine Ateliers? Wer hat
Ihnen denn das gesagt ?>
«Nun, ich denke es mir halt; zum Photographiren
nach der Na-
tur braucht
man ja wohl
kein Photo-
graphen-
Atelier , und
da viele von
Ihren CoUegen Photographie und Malerei als Eins und
Dasselbe anschauen, so dachte ich mir, ein Atelier zu
haben, sd eigentlich etwas veraltetes ! »
< Man kann doch nicht immer draussen sein und
drausscn malen, wie sollte man denn da mit grossen
Bildern zurecht kommen, wo es immerhin zuweilen einiger
Ueberlegung braucht, um in's Klare zu kommen — und
schliesslich — schliesslich muss man seinen Raum haben,
wo man heizen kann und — >
«Aus dem Gedächtniss Dies und Jenes ergänzen,
wahrscheinlich, oder?>
«Ach was, ich pfeife d'rauf, wie etwa4 gemacht
sei, es kommt mir blos d'rauf an, ob es künstlerisch sei
oder nicht, fürs Rubriciren und Systcmatisiren können
Andere sorgen, die sich manchmal förmlich um eine
Behauptung und deren Widerl^ung raufen, wenn es
sich um den Beweis handelt, dass dies oder jenes Bild
vor oder nach dem Aschermittwoch, vor oder nach der
Verehelichung des Künstlers von anno Toback gemalt
worden sei. Für die
Welt ist das schliesslich
völlig gleichgiltig; wenn
überhaupt nur etwas
Ottt GrtauT. Portrmit • Studie (Prof. Lieien M«yer).
künstlerisch werthvoll ist, dann bleibt mir es radical
Wurscht, ob es anno 1499 oder anno 1899 gemalt wurde.
Denken Sie an die gottvolle Leistung von Lautner über
Rembrandt, bei deren Behandlung es sich herausstellt,
dass unter Umständen auch einmal der eine oder andere
kritische Kunst - Kapitalist gründlich Bankerott machen
kann. Die Geschichte ist ja köstlich — ach, wenn man
sich nur so recht von Herzensgrund über alle solche Dinge
freuen könnte, die beinahe aussehen, als wurden sie blos
in Scene gesetzt, um irgend einen bisher unbekannten
Namen für Tage, Wochen in den Mund Aller zu bringen !
Jch rathe Ihnen, als Gegenstück zu den Lautner'schen
Kühnheiten die kühle, geistig scharfe, geradezu ver-
nichtende Arbeit von E. W. Moes «Ein moderner
Herostrat» zu lesen. Der führt eine gute Klinge und
weiss, wo die körpergrossen Achilles-Fersen seiner
CD
:3
CO
Uh
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TS
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
137
Gegner am empfindlichsten zu treffen sind. Beim «Volke
der Denker » hat nachgerade eine zeitgemässe Thorheit
mehr Erfolg als überlegte, ehrliche Arbeit. Jeder Bettel
hat die öffentliche Meinung für sich — es sei denn, dass er
Geld koste. Denken Sie nur an die wirklich beschämende
Colonial-Bettelei mit einer Lotterie. Was sollen dazu
Jene sagen, die uns für eine «grosse Nation» halten
Uebrigens, um nochmals auf die Kosten zu sprechen
zu kommen, die zuweilen an einem Bilde hängen, haben
Sie den reizenden Aufsatz von Emile Bergerat*) über
Rochegrosse im < Gil Blas » gelesen ? »
< Nein » 1
«Wollen Sie ihn hören, das ist wieder einmal un-
verfälscht! Hören Sie! Der Artikel ist überschrieben
< Un Brave » — aber er hat nichts mit jenem dummen
Bild im vorjährigen Salon zu thun, das den nämlichen
Titel trug und einen Mann zeigte, der, auf der Strasse
niederkniend, ganz allein auf eine anrückende deutsche
Colonne schiesst — nein, das war ein patriotischer Schafs-
kopf, aber nicht « un brave » . Bergerat beginnt dann :
«Lass Dir sagen, Du practische Republik, dass es
auch ausser Jenen , die zweifarbiges Tuch tragen , in
Frankreich Leute gibt, welche den Namen eines Tapfern
*) E. B. ist derselbe , der im Salon « Poil et Plume > als Maler
glänzte. Sein Figaro-Pseudonym ist <Caliban>.
Otto Grcintr. Studie.
verdienen, ja, eines Tapfern im besten Sinne, denn im
Künstlerthum unserer Tage liegt wahrhaftiger Heroismus,
wenn man bedenkt, dass allein schon Muth dazu gehört,
seine Stoffe, seine Ideen in einer Zeit zu verarbeiten,
in der man viel besser vom Zufall, von der Speculation
lebt! Diese ernährt ihren Mann doch viel besser, als
strenge Arbeit den Maler, Poeten oder Bildhauer ; denn
unser Arbeitstag hat vierzehn Stunden, unsere Woche
ist ohne Feiertag, es sei denn, dass wir gelegentlich gründ-
liche Selbstkritik üben. Im Uebrigen sieht es manchmal
aus, als erginge sich das ausklingende Jahrhundert in förm-
licher Weltuntergangs -Philosophie und als wäre jede
18
188
DIE KUNSrr UNSERER ZEIl'.
Logik, auf dem Gebiete der Arbeit abhanden gekommen.
Sind nicht die bisher gewohnten Wege verlassen, neu
betretene aber mit einer Mei^ von Tastenden erfüllt,
denen irgend Etwas aufdämmert, ohne dass sie eigentlich
wissen, wo hinaus sie wollen. Und «i^rft man einen Blick
auf die Kunst, o Gott, da sieht es
oft trübe genug aus. Unsicherheit
bekümmert die Gcmiither, Keiner
weiss, wohin der Weg geht, woher
das wahre Licht kommt, Jedem
flieht das Ziel in immer weiter
entrückte Femen.
Und die Begriffe über Das,
was man schon nennt, sie vcr»
alten — — —
Wer fragt auch schliesslich
darnach, ob geschaflen werde oder
nicht I Alles, Alles ist schon ein-
mal geschrieben worden. Alles
schon einmal gemalt, geformt und
was etwa noch übrig geblieben
ist — verlohnt es sich da der
Mühe, sein Gehirn überhaupt anzu-
strengen ? Die Demokratie kommt nach dieser Seite hin
für das Menschengeschlecht zu spat. Hätten wir nicht
wenigstens das Bischen Musik, so wäre es überhaupt am
Geschcidtestcn, die Bude der Kunst zuzuschliessen, ver-
mag doch unsere ganze Zeit ihrem Geschicchte höchstens
Geldge^vinnste anzubieten t
Manchmal erscheint es fast wie ein Verdienst dieser
mehr und mehr sich vollziehenden Vcrknöchcrung gegen-
über, wenn man nur den
kleinen Finger rührt; wie-
viel Selbstverleugnung ge-
hört erst dazu, mit beiden
Händen tapfer anzugreifen,
immer wieder anzugreifen,
nicht blos zehnminuten-
weisc! Wahrlich, Muth
gehört dazu , um einer
immer mehr zur Geltung
kommenden dumpfen
Stimmung sich zu erwehren
und einer ansteckenden,
die ganze Welt durchziehenden Gähnsucht zu wider-
stehen, einer Gähnsucht, die man € Modernes Leben >
Ott» Grtmn. SdlMtportimh.
Otl0 Criintr. Studienküpfe,
nennt; Muth gehört dazu, um nicht völliger Gleichgültig-
keit anheimzufallen und aus der Welt zu gehen, wie man
in sie gekommen, mit eingeschlagenen Daumen. Aber
arbeiten, d. h. noch mehr thun, als blos denken! Bild-
hauern, Schriftstellern, Malen, Träume verwirklichen und
Lorbeeren erringen wollen, heute,
neun Jahre vor dem Ende des
kupfernen Jahrhunderts, wo es
Niemanden einfällt, den kleinsten
Schelmenstreich zu verüben, ohne
dass er zwölftausend Livrcs Rente
bringe — oh la, la, mein Lieber,
in solcher Zeit zum Märt>'rer werden!
Und doch giebt es Uner-
schrockene, die es thun, ja bei
Gott, die Tapfem stehen nicht
allein unter den Fahnen, mögt Ihr
.\lle daran glauben!
Soll ich ein Beispiel nennen,
nur eines ; z. B. ein Werk wie der
cUntergang von Babylon>!
Ist es nicht geradezu tollkühn,
Solches zu unternehmen in einer
Zeit, wo eine wohlangebrachte Telephonmittheilung dem
grössten Schafskopf oft Millionen in den Sack wirft?
Ich stand vor diesem Werke einfach sprachlos, ich ver-
stand meine Zeit nicht mehr.
Bedenke man, dass Der es schuf, noch keine zwei-
unddreissig Jahre zählt und man ihn, ginge er die ge-
wöhnlichen Wege des Lebens und unserer gesellschaft-
lichen Verhältnisse , wenigstens in den Folies • Ber-
geres suchen müsste, wenn
er schon bei Bullier etwa
nicht mehr zu finden wäre.
Das nenne ich mir einen
vollen Mann! Woher er
es haben mag? Eine
Leinewand von neun Meter
bewältigen , eine Leine-
wand, vor der selbst ein
Rubens oder Paul Veronese
vielleicht verdutzt stehen
geblieben wäre! Und was
wird er von der Republik,
oder, um mich besser auszudrücken, von seinem Lande
erwarten können?
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
139
Otto Greiner. Unterwelt.
18*
140
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Er erwartet
nichts , rein nichts,
nicht einmal ein
Zündholz für seine
Cigarette — das hat
er mir selbst gesagt,
vielmehr trieb es ihn
eben ganz einfach
dazu, an die Verwirk-
lichung eines Traum-
gesichtes zu gehen,
das er eines Abends
beim Lesen der Heiligen Schrift hatte und an diese
Verwirklichung drei Jahre seines Lebens zu setzen, ganz
abgesehen von den vierzigtausend Francs, die er bei
dieser Gelegenheit geradezu zum Fenster hinauswarf und
von denen er im Grunde genommen keinen rothen
Heller besass! Und dazu lacht er noch — das ist bei-
nahe unheimlich !
sWa.s, vierzigtausend Francs — vier — zig — tau-
send? — ich war starr — da muss man ja Capitalist
Ott» Crtiner. Stadie.
sein oder — das ist ja förmlich zum
Närrischwerden ! »
« Die Probe der Rechnung ist un-
schwer zu machen*, erwiderte der un-
geheuerliche Mensch, ich möchte ihn
am liebsten ein junges Ungethüm
nennen — < hören Sie die einzelnen
Posten und zählen Sie dann selbst zu-
sammen, es wird wohl ungefähr heraus-
kommen, was ich sagte. Ich selber
habe eigentlich die Addition noch nie
gemacht, denn vom Rechnen verstehe
ich im Grunde genommen blutwenig.
Daran ist mein Erzieher schuld, ein
Mensch, ein Poet, der die Wäsche-
rechnung an den Fingern abzählte ; Sic
haben ihn wohl gekannt: Tlieodor de
Bauvillc — er war mein Pflegevater ; .
< Dann wundert mich überhaupt
nichts mehr von Ihnen — so, so —
1 'er hat Sie in's Leben eingeführt —
ja — so ein Stück Leinewand, neun
Meter lang, und dazu der Spass, vierzigtausend Francs
für ein antitelephonLsches und, im Grunde genommen,
völlig überflüssiges Kunstspielzeug — das ist schlie.sslich
auch eine Lebensaufiassung, aber es will mir immer noch
nicht in den Kopf mit der Summe; nein, nein, Sie
irren sich gewiss; nennen Sie mir einmal Ihre2^hlen!>
c Zuerst mein Atelier I Es ist zwar ein colossaler
Raum, aber es kostet dennoch blos drcitau.send Francs
jährlich, das macht, wenn ich nicht irre, in drei Jahren
so etwas wie neuntausend, nicht wahr? Und dann die
Heizung — nackte Modelle haben Wärme nöthig, ich
musste also heizen, ob ich wollte oder nicht, und wenn
ich nun dafür pro Tag fünf Francs ansetze, so ist das
gewiss nicht zu hoch g^riflen. Haben Sie 's?»,
cja, das macht circa dreitausend F'rancs ausl>
< Achttausend etwa», fuhr George Rociugrosse fort,
c kosten mich Leinewand und Farben. Manchen Tag
hatte ich für mindestens fünfundzwanzig Francs Farben-
brei auf der Palette ; was das Gewicht angeht, so könnte
man darüber auch ein Wörtchen sprechen » .
c Und die Modelle?»
c Sagen wir wenig : achttausend Francs ! Der Stoff
zwang mich, nach Gruppen zu arbeiten. Besonders
gegen das Ende hin waren diese Sitzungen manchmal
Otbrltl M»z pini
Phft f. H&uf«tncugl, Müiu
Eine Vision.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
141
geradezu fürchterlich, so dass ich nachher wie eine
willenlose Mcisse zusammenknickte und auf dem ersten
besten Sopha einschlief. Dabei hätte sich die ganze
Welt umstülpen können, es wäre mir doch nichts Anderes
eingefallen als immer all' das Zeug, was ich noch
nebenher bedurfte, Stoffe, Geschichten aller Art, neben-
sächliches oder nothwendiges Zeugs, das mir meine
Specialisten lieferten, Spielereien, wenn Sie wollen, aber
Dinge, deren ich absolut bedurfte. Oft habe ich mir diese
Geschichte an der Hand von Mustern reconstruirt, Manches
auch direct erfunden — umsonst habe ich schliesslich all'
das auch nicht bekommen, es werden wohl weitere vier
Tausendfrancsbillete dabei herauskommen».
« Aber das sind doch schiesslich Dinge, die Ihnen
bleiben ? »
«Wollen Sie sie haben? Wenn ich damit wenigstens
Olto Grciner. Gartenwirthschaft.
meinen Perspectivicus hätte zahlen können ! Der Mann
versteht seine Sache aus dem ff, aber er lässt sich auch
entsprechend zahlen — fünfundzwanzig Francs per Tag,
neunzig Tage brauchte er, also — ja, ich glaube mich
zu entsinnen , dass ich -ihm so etwas wie zweitausend
und einige hundert Francs bezahlte ; der hat seinen
Schnitt gemacht! Und schliesslich ist der Transport
von so einer Leinewand auch gerade keine Kleinigkeit,
man braucht Schienen, man braucht ein Gehäuse, um
die Rolle unterzubringen und andere derartige Kleinig-
keiten. Das Kistchen, was ich dazu benutzte, glich
einem hohlen Baum, neun Meter lang, einen halben
Meter im Durchmesser. Dahinein wurde die Leinewand
eingerollt und so nach dem Salon spedirt. Der Rahmen
142
DIE KUNST UNSERER ZETF.
0U9 Greiner. Portrait • Studien.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
143
macht dann auch noch eine Kleinigkeit aus, und halt,
dass ich es nicht vergesse, die Rechnung für gebrauchtes
Antipyrin gegen Kopfschmerz und Migraine hat auch
eine ganz anständige Höhe erreicht. Schliesslich muss
ich noch dazu rechnen, dass ich jährlich dreissig bis
vierzigtausend Francs verlor, weil ich absolut an nichts
Anderem arbeitete als für die Unsterblichkeit, von der
man bekanntlich nicht lebt!»
c Und das Resultat ? » Wofür all' die Anstrengung,
die Mühe, die Kosten dieses Unternehmens, wofür?»
Er blies eine Rauchwolke in die Luft
und er\viderte : « Bah — Vive la France > I
cNun und?
das Alles?»
€ Ja, was möchten
Sie denn eigentlich
sonst noch ? Ich
dächte, was Roche-
grosse gethan hat,
kann nur ein Mensch
thun, der die glühen-
den Gefühle seines
ganzen Wesens der
Kunst und seinem
Vaterlande weiht 1
Uebrigens scheint in
Frankreich auch all-
mählig die Idee Platz
zu greifen, dass man
nur dann ein Mensch
sei, wenn man die
Uniform getragen
hat. Eines geht ihnen
noch ab: Sie haben
keine Corpsstuden-
ten! Uebrigens was hilft das Alles! Ich wiederhole,
was ich anfangs sagte: Wer die Kunst nicht um ihrer
selbst willen ausübt, der ist kein Künstler, und wenn er
weiss Gott was für Auszeichnungen erfährt! Diese sind
gar oft blos die Zinsen des krummen Buckels, nicht der
Kunst und wer darob sich zu grämen das Zeug hat, kommt
aus dem Trübsinn nicht heraus. Freilich kann er nicht so
leichten Herzens « Vive la France » sagen, wie Rochegrosse.
Aber dem ist die Legion d'honneur doch sicher!»
« Die zählt nach Zehntausenden » !
«Ja, sie wird etwa soviel Mitglieder haben, als bei
uns zusammen genommen Professoren, Commercien- und
Geheime -Räthe existiren, die weder zu unterrichten noch
irgendwie zu rathen haben. Apropos, kennen Sie Gr einer} t
«.Greiner} Nein. Ist er auch Künstler?»
« Da, die fliehenden Faune sind von ihm (siehe S. 1 36),
und hier eine ganze Reihe von Zeichnungen, famose Ge-
schichten, an denen man sieht, mit welcher Liebe er die
Natur studirt, wie er jede Kleinigkeit in ihrer charakteristi-
schen Erscheinung versteht und weiss, wie erst das richtige
Zusammenwirken aller richtigen Einzelnheiten zu dem
führt, was wir heute wieder wollen, und wogegen sich
alle zünftigen A-B-C- Schützen mit Händen und Füssen
wehren. Die führen uns immer als Repräsentanten einer
«poetischeren Zeit» Leute wie Schwind und ähnliche
an, als ob wir nicht allezeit vor solchen Meistern
den Hut abzögen! Was der von der grossen
Menge seiner handwerklichen Zeitgenossen und
Collegen hielt, ist genau das Nämliche , was wir
heute von ihnen halten. Er hat
vor den Modell - Fuchsern und
Gliederpuppen - Copisten
Otto Greiner. l'ortrait - Studie.
verdammt wenig Respect
gehabt, er war eine zu tief
angelegte Natur. Dass sich
aber ein durchaus gründ-
liches Streben nach Wahr-
-\ heit mit ganz phantastisch-
erfundenen Dingen
famos verträgt, dafür
sprechen Leute wie
Greiner 1 Wissen Sie,
dass das ganze blond-
bärtige Männchen
einundzwanzig Jahre
alt und im Grunde
genommen völlig Autodidact ist, der lediglich die Modelle
der Academie sich zu Nutzen zog, weil er sich selbst
keine halten konnte. Er war zuvor Lithograph. Sie
müssten einmal seine Skizzenbücher sehen aus dieser
Zeit! In den Mittagstunden zeichnete er seine Mit-
Lehrlinge und machte allerlei Compositionen, im grossen
Style natürlich, das thut man ja immer, bevor man sich
selbst ernstlich verstehen lernt, was man eigentlich als
Künstler will — aber das ist nicht der wesentliche
144
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Gnindzug seiner künstlerischen Backfischperiode, wenn
ich für das Alter von fünfzehn, sechszehn, siebzehn
Jahren diesen Ausdruck anwenden soll. Ich habe sein
Skizzenbuch aus jener Zeit oft durchgeblättert und mir
die eingeklebten Sachen angeschaut ! Lenau's Savonarob
hat ihn begeistert, Mephisto spielt keine unbedeutende
Rolle, apocaly-ptische Reiter spuken da herum und die
Paralipomena zu Goethc's Faust
beschäftigten ihn stark. Daneben
finden sich humoristische Tisch*
karten, Kegelbahnbilder, Affen-
studien und andere Errungen-
schaften eines Menagcriebesuchcs.
Aquarellskizzen nach der Natur.
die das Hinneigen zum intimen
Formenstudium bereits völlig klar
zeigen, andere aus offenbar weit
vorgeschrittenerem Stadium, weiter
in mehrfachen Exemplaren das
Portrait seiner Grossmutter, als
Sterbende und als Leiche, daneben
geschrieben schmerzliche Betracht-
ungen über das Dahingehen der
offenbar sehr von ihm geliebten
Frau, allerlei zweiflerische Frage-
zeichen über die Schwelle zum
Unbekannten, die der Tod bildet,
dann Portraits von Altersgenossen,
deren treffende Charakteristik frap-
pirend wirkt. Köpfe in den ver-
schiedeasten Beleuchtungen und —
Copien nach Litzen - Mayer idncn
Zeichnungen oder eigentlich Holz-
schnitten zu dem Liede von der
Glocke. Er ist noch in der Schule
Liesen- Mayer' s und hat diesem
kürzlich ein reizendes Blatt ge-
zeichnet, das als P>widcrung auf
eine Mahnung des Lehrers entstand.
Greintr's Phantasie ist diesem vielleicht manchmal etwas
unzeitgemäss erschienen und er ermahnte den jungen
Künstler, sich mehr an die reale Welt zu halten. Eine
-solche Scenc illustrirtc G. : Der Lehrer (wir geben diese
ganz ausgezeichnete Portraitstudie wieder und sind be-
scheiden der Meinung, dass, wer die Natur so aufzu-
fassen im Stande ist. die reale Weit .sicherlich nicht
Otto Grtiner. < Auch ein Akademiker
verkehrt anschaut) sitzend. G. vor ihm stehend und
nebenher, durch die Luft purzelnd, ein Heer von Geistern,
auf die des jungen Künstlers Entschuldigungsgründe
gehen. * Aber Herr Professor , es nützt Alles nichts,
wenn ich auch Geistliche und Hausknechte zeichne, so
kommen doch schliesslich lauter Satyre heraus ! > Ob
der Lehrer nicht eine Riesenfreude über diese liebens-
würdige Entgegnung gehabt haben
mag? In Greiner steckt vielleicht
ein Stück Rochegrosse ^ er ist ein
wirkliches Jeune monstre', wenn
er sich auch noch nicht mit einer
neun Meter langen Leinewand zu
schaffen gemacht hat — das wäre
in Deutschland noch eine viel,
viel .schlechtere Speculation als in
Frankreich, und Greiner hat weder
unter den Fahnen gestanden, noch
•luf der Mensur den Schläger ge-
schwungen — nein , er war ein
armer Lithographenlehrling, des.sen
Vater, wie er mir treuherzig sagte,
■ mich und meine Mutter verlassen
hat. ohne dass wir weiter von ihm
wissenii. Es berührte mich fa.st
traurig ; man hört dergieichenWorte
ungleich stärker, wenn sie aus
einem Munde kommen, der zu
einem sympathischen Gesicht mit
ein paar guten blauen Augen ge-
hört. Greiner hat zuweilen zu er-
fahren geglaubt, dass das Wort
f Entgegenkommen > gerade man-
chen Collegcn offenbar nur dem
Hörensagen nach bekannt sei I Ach
— wir wollen gar nicht von Ent-
gegenkommen .sprechen, nein, nur
von freier, rückhaltloser Anerkenn-
ung ! Wie viele Menschen bringen
das freudigen Herzens fertig, ohne dass ihnen dabei der
Gedanke aufsteigt, sie könnten am Ende an ihrer eigenen
höchst werth- und ehrenvollen Persönlichkeit gar etwa
Schaden erieiden! Brodneid — es klingt unschön, das
Wort, aber es ist eigentlich der Grundbegriff der Mensch-
lichkeit und der gesellschaftliche Kitt Alier oder wenigstens
der Meisten, die im gleichen Fahrwasser dahinsegeln,
P&nl Botk»r plnx.
i'Uoi. f. liüiJ^iauiiitl. MUucheu.
1
Holländisches Mädchen mit Katze.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
145
Brodneid kann z. B. auch jene beleidigend herablassende
Haltung genannt werden, die ein zwar Höhergestellter,
nichtsdestoweniger aber nicht höher Begabter einem
jungen Menschen gegenüber beobachtet, von dem er
im innersten Herzen bereits die Ueberzeugung hegt,
dass er ihm «über» sei! Dergleichen Leute giebt es
— und zwar die schwere Menge — auch unter den
Künstlern, ach, vielleicht da gerade erst recht, besonders
unter Jenen , deren Firma auf dem
Weltmarkt unbedingten Credit ge-
niesst. Was soll nun da so ein junger
Kerl anfangen, Einer, in dem's gährt,
in dem sich das Drängen, das Treiben
innewohnender Kräfte Luft machen
will! D'reinschlagen kann man doch
nicht gleich , auch wenn man 's zu-
weilen gern thäte. Es ist auch un-
höflich, vor Allem unpolitisch; also
was thun? Auf den Richterspruch
eines Verehrten, eines Gewaltigen im
Reiche der Kunst vertrauen, sich
offenherzig an ihn wenden und ihm
sagen , wo einen der Schuh drückt ?
Manchmal glückt's ! Greiner wandte
sich in einer solchen Stimmung an
Menzel. Wär's nicht unbescheiden,
ohne Erlaubniss solch einen Brief ganz
wiederzugeben, so wäre hier vielleicht
der recht« Platz dafür; Greiner wurde
in seiner Hoffnung nicht getäuscht.
Menzel antwortete , antwortete wie
ein Erfahrener, der es mit dem Un-
erfahrenen ehrlich meint und ferne
jeder Hochnäsigkeit steht:
c . . . . Und wie sollte Ihr Weg
ein falscher sein! Das täglich Um-
gebende, wie Sie ja sagen , ist am
besten, am gründlichsten zu studiren.
Die alte Kunst ist ja auch auf keinem andern Wege zu
Flor gekommen. Die alten Künstler waren noch ganz
anders auf ihr Zuhause angewiesen.
Aber noch was macht Ihnen zu schaffen!
Sie werden doch wohl schon an andern Ihrer
Cameraden mit angesehen haben, dass das Keinem,
der nicht gerade in Coupons emballirt zur Welt kam,
erspart wird. Das Ding hat viele, überall andere Namen.
Bei Ihnen heisst's also , süsses Zeug', im Leben heisst
das bittere Kraut ,Muss', auch ,Friss Vogel oder stirb'.
Otto Greiner. Portrait -Studie,
Man weiss von Leuten, und zwar die heute ziemlich
was gelten, an die in ihren hilflosen Jugendtagen noch
andere Ansinnen gestellt wurden. Und musste Alles
als Gelegenheit zum Ueben, zum Lernen mitbenutzt
werden. Es ist da kein anderer Weg, als der da heisst:
Sich aus Allem eine künstlerische Aufgabe machen —
sofort hält man nichts mehr für seiner unwürdig, auch
süsses Zeug wird interessant, lehrreich, sogar schwer.
Das Leben hat für verneinende Gesinnungstuchtigkeit
der Jugend wenig übrig nach solcher
Seite hin. Un verdrossene Leist-
ung ist werth voller, früher oder
später auch fördernder
Ich bin nicht Mentor, sonst würde
ich rathen, auch hübsch was zu lesen,
nicht lauter Dichtung, auch nicht
lauter Künstlergeschichte, aber Ge-
schichte — auch nicht etwa, um Ge-
schichtsmalerei zu treiben! etc. etc. >
Daran erkennt man vielleicht
auch so hin und wieder die Aechtheit
des Künstlerthums vom Gegentheil,
und wenn schliesslich auch eintnalein
Wahrhaftiger unliebenswürdig ist, so
sind die unliebenswürdigen Comö-
dianten und Selbstbeweihräucherer
deswegen nicht um Haaresbreite
weniger unausstehlich und widerlich.
Item, Greiner war glücklich über den
Mensel 'sehen Bescheid und arbeitet
nun eben tapfer d'rauf los, zeichnet,
malt, radirt und versteht seine ur-
sprüngliche Brodkunst, das Lithogra-
phiren, dermassen zu behandeln, dass
man glauben möchte, Radirungen vor
sich zu haben. Und was die Zukunft
bringen wird, ist, geb's Gott, hofifent-
lich gut. Greiner, Greiner, nur nicht
überschnappen, es giebt schon sonst
genug Narren, und der Grössenwahn
ist bekanntermaassen eine der häufigst vorkommenden
Arten geistiger Gestörtheit, an einzelnen Menschen wie
an einheitlichen Vielheiten !
«Was liegt denn da noch neben den Greiner'schen
Satyrn, ein Gabriel Max, was?»
Ja, und ein schöner obendrein. Mag das Bild heissen
wie es will, das bleibt sich für mich ziemlich gleichgültig,
offenbar ist es ein Thema, das mit dem Wesen einer
uns vorerst noch ungreifbaren Welt zusammenhängt.
19
148
t)IF KT-X^T l'X^Fi.'FU' -1
anderthalb Decennien zuvor über die Schlachtfelder auf
Frankreichs Boden an der Spitze seiner siegreichen Armee
vordrai^ und den herrlichsten Schlus&stein in sein ruhm-
reiches Leben einsetzte. Rocholl war Schüler von Piloty
in München, ist später nach Düsseldorf übergesiedelt
und hat militärische Episoden zur eigentlichen Aufgabe
seiner Thätigkdt gemacht. Von ihm war u. A. das
famose Bild der letzten Münchener internationalen Aus-
stellung: {Die Rückkdir des Restes der Cuirassier-
Schwadronen von ihrem Todesritte bei Mars la Tour>.
Dann ist da ein anderes ganz reizendes Ding von Paul
Hoecker in München, das kleine holländische Mädel mit
dem riesigen schwarzen Kater im Arme. Man möchte
beinah sagen, dass die beiden eine gewisse Aehnlichkeit
mit einander haben. Hier dann ein Fächer von Gtprg
Papperits, eine schöne Schläferin von den Göttern des
Traumes still durch die Himmclsräume dahingetragen.
umspielt von Amoretten, die vielleicht nicht den unwesent-
lichsten Theil Dessen ausmachen, was die Sinne des ruhen-
den Menschenkindes umgaukeit und im Traume rosige
Zukunftsbilder erstehen lässt. Und last not least ein
vorzügliches Blatt von Hans voh Barttls, der zuerst unter
den Malern unserer Tage in München der Aquarell-Farbe
jene Geltung verschaffte, die ihr gebührt. Seine Arbeiten
sind von einer Kraft und Sattheit des Tones, wie sie
von Manchem kaum in Oel erreicht werden; er ist. wenn
auch ganz modern, doch keiner von Jenen, welche die
Farbe erst dann für interessant halten, wenn sie etwas
Schwindsüchtiges hat, vielmehr weiss er seine ganze
Palette zu gebrauchen und ihr Dinge zu entlocken, die
ebenso malerisch als gesund gesehen sind. Genug für
heute. Demnächst öffnen sich die Hallen des Glaspalastes,
und dann wollen wir sehen, was dort an allen möglichen
Herrlichkeiten zu schauen sei.
Ott» Griintr. Füchend« Kiuoe.
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