KUNST
UNSERER
ZEIT
EINE CHRONIK DES >
\/A°DERNEN KUN5TLEBEN5
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PURCHASED FOR THE
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
FROM THE
CANADA COUNCIL SPECIAL GRANT
FOR
Hl STORY OF ART
DIE
KUNST UNSERER ZEIT.
EINE CHRONIK
DES
MODERNEN KUNSTLEBENS.
IV. JAHRGANG (1892—93.)
I. HALBBAND.
MÜNCHEN
FRANZ HANFSTAENGL.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
^
JÜN 2o 19/0
5^S/Ty OF TO^
E. MÜHLTHALER'i KGL. HOF-BUCH- UND KUNSTDRUCKEREI, MÜNCHEN.
INHALTS-ANGABE.
.A. VI fs ä -t z e.
Seite
Bernstein, Max, Schlangenspiel 79
Ebers, Georg, Der Abschiedskuss von Lorenz
Alma-Tadema 11
— — Leopold Carl Müller 57
Gurlitt, Cornelius, Die amerikanische Malerei in
Europa 21
Helferich, Hermann, Radiiungen und Bilder des
Freiherrn L. von Gleichen-Russwurm ... 82
Seite
Rosmer, Ernst, Medusa 90
Spier, A., Hermann Kaulbach i
Spiro, Dr. Friedrich, Italienische Musikbriefe . 13
Unsere Bilder 18
Walt her, Ferd., Unkritische Künstlerportraits:
III. Thure F"reiherr von Cederström .... 101
Zimmern, Helen, George Frederick Watts . . 92
^V^olltoilcier.
Seite
Alma-Tadema, L., Der Abschiedskuss .... 12
Bokelmann, Ch. L., Eine Testaments- Abfassung 110
Bracht, Eugen, Die Klause 20
Brütt, Ferd., Die Entscheidung 86
Cederström, Th. von, Quartett 102
Chase, W. M., Meditation 28
Dewing, Thomas W., Musik 32
Galofre yGimenez, B., Heimkehr vom Feste 102
Gaugengigl. J. M., Concert 48
Gut herz, Carl, Der Grabesengel 32
Hartwich, H., Märzschnee 28
Hassam, Childe, Die 5. Avenue in New -York
im Schnee 3Ö
Seite
Haug, Rob., Spaziergang 1 10
Henner, J. J., Mädchen aus dem Oberelsass . . 98
Kaulbach, Hermann, Das Ende vom Lied . . 4
Knaus, Ludwig, Katzenfreundin 18
Koehler, R., Portrait 40
Lenbach, F. von, Schlangenspiel 82
Malczewski, J., Letzte Etappe . , . .^ . 94
Marr, C, Sommernachmittag 44
Meyer -Mainz, P., Hubertustag 106
Müller, Leop. Carl, Palmenzweigverkäuferin auf
einem arabischen Friedhofe zu Kairo ... 60
— — Mädchen aus Kairo. — Trauernde Wittwe 64
— — Messe zu Tanta 68
Seite
Müller, Leop. Carl, Markt in Desuk. — Moschee
des heiligen Ibrahim zu Desuk 72
— — Orangenverkäuferin 74
— — Mariettes Haus in Sakkara. — Kameel-
markt. — Damm im Delta zur Zeit der
Ueberschwemmung 78
Oppler, E., Träumerei 86
Peck, Orrin, Stiefmütterchen 5^
Seite
Pötzelbergcr, Robert, Fränkische Landschaft 8
Pradilla, F., Seebad an der adriatischen Küste 16
Rolshoven, J,, Meditation 54
Stuck, Franz, Medusa go
Ulrich, Charles J., Idyll in Sotto-Marina .... 24
Vonnoh, R. W., Klatschrosen 52
Wen gl ein, J., Kinderfriedhof 94
Whist 1er, J. M. N, Träumend 24
TTe X 1 13 i 1 d e 1-.
Seite
Bridgman, F. A., Das Negerfest zu Blidah . . 41
Bunker, Portrait der Mrs. Bunker 29
Cederström, Th. von, Studien und Skizzen loi
102 103 104 105 106 107
Chase, William Merrit, Eine Parkszene .... 53
Dewing, W. Thomas, Bildnis der Mrs. Stanford
White . . . . • 40
Gleichen-Russwurm, L. von, Studien und
Skizzen 82 83 84 85 86 87 88 89
Hitchcock, George, Mutterglück ....... 47
Innes, George, Landschaft 45
Jones, Francis C, Ich spiele nicht mehr . . 51
Kaulbach, Hermann, Studien und Skizzen 2 3
4 5 6 7 8 9 10 13 18 19 20
Seite
Kengon Cox, Bildnis des Bildhauers Aug. H.
Gaudens 23
Mac Ewen, Walter, Allerseelentag 25
Mos 1er, Henry, Der Kesselflicker 38
Müller, Leo]>. Carl, Studien und Skizzen 58 59
6i 62 63 64 65 6] 68 69 71 73 74 75
1(> 77 ■ 78
Part(5n, Ernest, Im Mai 49
Portrait des Malers Leopold Carl Müller .... 57
Thaycr, Abbot H., Männliches Bildnis .... 33
Tryon, Dvvight William, Tagesanbruch .... 31
Weeks, Edwin Lord, Die Elephanten des Maha-
rajah in Jehorc 43
1=^5^^-
So oft ich einem grösseren Publitcum einen Maler,
I einen wahren Künstler, mit Worten darstellen
soll, kämpfe ich mit der Ueberwindung des
Gefühls, dass ich einer halben Sache diene. Nur die
Hoffnung, dass das gesprochene Wort, nun gar, wenn
es von anziehenden und beweisführenden Illustrationen
unterstützt wird, da und dort zur näheren Betrachtung
der Gemälde des Künstlers und ihrer Reproduktionen
veranlasst, belebt den Willen zu reden, wo man
zeigen möchte. «Sehen Sie», sollte man sagen, nicht
«hören Sie! »
Bei Hermann Kaulbach bleibt die Aufgabe der
Vermittlung und Anregung nicht in dieser Einseitigkeit
stecken. Das Anschauungsmaterial ist vorausgegangen.
Viele kennen einen kleineren oder grösseren Theil seiner
so verbreiteten und geschätzten Werke, aber doch nur
einen Theil! Da liegt der Vortheil und die Gefahr.
Viele beurtheilen ihn eben nur nach dem populär Ge-
wordenen und ahnen Nichts von dem ganzen Umfang
seiner künstlerischen Individualität. Von ihm ist viel
zu sehen und viel zu hören! Er malt aus dem Vollen
eines reichen , durch glückliche Umstände mit den
mannigfaltigsten und feinsten Eindrücken genährten
Lebens! —
Ist er doch der Sohn, der einzige Sohn von
Wilhelm von Kaulbach, von jenem genialen Künstler,
der mit seiner gemalten Geschichtsschreibung, mit seinen
Goethe-Ilhastrationen , mit seiner Satire seine Zeit auf
das Stärkste beeindruckte, — ich dürfte wohl sagen,
beherrschte! Heute in der merkwürdigen Phase des
künstlerischen «jüngsten» Gerichts, aus nur allzu
menschlichen Menschengruppen zusammengesetzt, ver-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
kleinert man die Verdienste dieses bedeutenden Mannes
und scheint gründlich zu vergessen, dass er in der
organischen Entwicklungsgeschichte der deutschen
Malerei ein Bahnbrecher war, ohne den der deutsche
Maler von heute noch ein schönes Stück Weges vor
sich hätte. Er, Wilhelm von Kaulbach, war eben auch
Aus dieser Sphäre , die ein solcher Geist schuf
und belebte, in der täglich hervorragende Menschen
verkehrten und gute Gespräche geführt wurden, er-
wuchs Hermann Kaulbach. Nicht in einer den
Wissenskram in den Mittelpunkt stellenden Schulluft
wurde sein Geist wach, nein, in einem Hause, in dem
der Sohn seiner Zeit. Das rhetorische Pathos seiner gefühlt, gedacht, geplaudert, gelacht wurde, in dem ein
Kunst weckte die damaligen Geister zu einer begeisterten glücklicher Gatte seiner schönen Frau die Leiden seiner
Betrachtungsweise und gabdem
schulhaften, trockenen Bildungs-
wesen eine schwungvollere An-
schauung. Die Wilhelm Kaul-
bach'schen Bilder waren es, die
zu jener Zeit die leicht in den
Vernunft - Egoismus verfallende
deutsche Familie wieder für das
Grössere des Menschenlebens zu
interessiren wussten. Wo heute
noch Menschen , die auf dem
Entwicklungs - und Kunststand-
punkt jener Jahre stehen, seine
Bilder kennen lernen, wirken sie
ebenso stark wie damals. Eine
Reise durch die Zimmer gebil-
deter Provinzler beweist das.
Unter den akademischen
Falten der Wilhelm Kaulbach-
sehen Gestalten pulsirt wohl auch
ein gutgesehenes menschliches
Leben, — oft versteckt, oft fast
erdrückt von der Komposition
und der überreichen Absicht,
■ aber — es ist da!
Wilhelm von Kaulbachs rc-
flektirende und spiritualistische
Bilder täuschen über sein eigent-
liches Wesen. An der Staffelei strebte sein vulkanischer
Geist nach einer konzentrirten Weltsprache. In seinem
Familienleben trat sein warmes Interesse an der Natur,
wie an den Menschen im Kleinen und im Grossen kräftig
zu Tage. Man braucht nur wenige Briefe an seine Frau
und seine Kinder zu lesen, um zu wissen, welch' ein
gefühlvoller Mensch er war, wie gern er mit den Noth-
leidenden theilte , wie lustig er mit den Kindern
scherzte, — und dass er mit den Philistern nichts ge-
mein haben wollte.
Kindheit und Jugend erzählte,
und die Huldigungen der Liebe
zu ihr bis in die Zeit der grauen
Haare fortsetzte, in einem Garten,
den der besitzfrohe Künstler seine
«Kirche» nannte, an dessen
Blumen und Vögeln er zärtlich
hing , unter den Augen eines
Vaters, der jedem Kinde an dessen
Namenstag die unbeschränkteste
Verfügfreiheit über Küchenzettel
und Zeiteintheilung liess. So
lenkte W. von Kaulbach , ein
Gärtner von Neigung, auch die
Entwicklung seiner Kinder mit
gärtnerischer Weisheit.
Sie sollten ein freies Wachs-
thum geniessen und auf den Ruf
ihrer inneren Natur warten. Selbst
die Wunderwerke Hermanns, die
verschiedensten, merkwürdigsten
Gedichte, die derselbe als sechs-
jähriger Junge verfasste, veran-
lassten ihn zu keiner Spezial-
pflege.
Der Vater liess Alles, was
Triebkraft hatte, unbeirrt gross
werden und meinte zuversichtlich
von seinem Sohne : « Der wird gut ! »
Als der Anspruch einer schärferen Schuldisziplin
laut wurde, schickte er ihn in ein Weinheimer Pensionat.
Die welligen Hügelketten der Bergstrasse wirkten wohl
stärker auf den Geist des Knaben, als die Aufgaben
der Grammatik , aber , er lernte. Später kam er von
dort auf das Gymnasium nach Nürnberg, in das Haus
seines Schwagers Kreling, des verdienten Direktors der
Kunstgewerbeschule. Nürnberg, das romantische Nürn-
berg, mit seinen Gässchen, Thorbögen, Winkeln, Thürmen
Hermann Kaulbach. Studie,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Hermann Kaulbach. Studie.
und Brunnen, das lockt Bilder in das Auge, hilft sinnen und dichten
und stimmt die junge Seele zum Lieben 1 — Dort entdeckte der
Jüngling sein Herz und das rechte «andere» und Hermann
Kaulbach ist einer der wenigen Glücklichen, die mit dem ersten
Liebesglück ihr Lebensglück gründeten.
Im Kreise Krelings setzten sich die Kunsteindrücke seiner
Kindheit fort und mit der entschiedenen Absicht Mediziner zu
werden, zeichnete er doch da und dort was Auge und Geist
beschäftigte. In München trat er als Student der Medizin ein und
hörte Jolly, Liebig und andere Autoritäten. Diese Wissenschaft,
welche der Humanität ein so breites, unmittelbares Gebiet, täglich
Mittel und Wege zum Bethätigen der Menschenliebe gibt und
in das Studium der Naturwissenschaft voll einführt, schien den
Bedürfnissen seines Wesens zu entsprechen. —
Aber, der geerbte, in der Tiefe eingesessene Künstlergeist
rüstete sich zum Appell, — die Kämpfe zwischen Malen und
Mediziniren erwachten , beunruhigten , tobten. . . . Die Studien-
köpfe, die Hermann Kaulbach zur selben Zeit in dem Atelier
seines Vaters malte, gelangen, aber — der väterliche Meister
scheute vor dem entscheidenden Wort. Piloty, kein Geringerer,
sprach es aus, — als konfliktbefreiender, kategorischer Imperativ
erklang sein Befehl :
« Du m u s s t Maler werden I »
Piloty nahm ihn unter den freiesten Bedingungen als Schüler
auf, verfolgte mit dem intensivsten Antheil die vielversprechende
Entwicklung, welche mit jeder neuen Arbeit die Berechtigung der
Piloty'schen Initiative bestätigte.
Der Vater selbst — stellte dem Sohne die Aufgabe, sich sein
Heimathsrecht und sein Heimathsgut zu ermalen. Das erste in
dieser Hoffnung ausgestellte Bild Hermann Kaulbachs , ein gut
gezeichnetes, fein getöntes Stillleben, verkaufte sich sofort und
zwar für ein hundert baare Gulden. Der Jubel des Anfängers
war gross, und als er eben seinen Triumph dem Vater mittheilen
wollte, findet er denselben vor dem von ihm erworbenen Gemälde
sitzend, wie er sein Kaufobjekt lächelnd prüft . . .
Das erste grosse Bild, mit welchem Hermann Kaulbach vor
die Oeflentlichkeit trat, war «Der sterbende Mozart».
Es bewies innerhalb der schulgerechten Komposition ein
erstaunlich schnell erwachsenes Können, und noch viel mehr: ein
Auftauchen feiner, individueller Details, ein Sich-nicht-genügenlassen
an der historischen Scenerie, ein Streben nach wahrheitsgetreuer
Darstellung , ein seelisches Eindringen in die seelischen Vorgänge.
Und in dieser Richtung sollte sich Hermann Kaulbachs ganze
grosse Stärke entwickeln. Es entstand eine grosse Wechselwirkung
zwischen der Bereicherung seines so schön angelegten Geisteslebens
und seiner künstlerischen Ausdrucksweise. Er stellte an sich selbst
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
die Ansprüche eines kritil<befähig-
ten Elitemenschen, dem nicht das
eine oder das andere Bruchtheil
des Erstrebten genügte, der nicht
für das Bravo des Marktes arbei-
tete, sondern seinem hohen Ziele
nah und näher kommen wollte.
Er sah neben dem Malerischen
auch das Innerliche, das Bedeut-
ungsvolle der Situation und zählt
heute in gesteigerter und gereifter
Kraft zu den Bekennern der Drei-
einigkeitslehre von der Farbe-,
Form- und Gedankenschönheit
eines Gemäldes. —
Sein Vorjahren in der Berliner
Ausstellung mit grossem allgemei-
nem Beifall aufgenommenes Bild:
«Die Krönung der heiligen
Elisabeth durch Friedrich II,
in der Deutsch-Ordenskirche
in Marburg» ist ein grosser
Zeuge der Hermann Kaulbach'schen Kunst. Gerade
dieses Bild, in seinem Stoff uns scheinbar so fern stehend,
zeigt in deutlicher Weise seine Kraft, das Historische
menschlich näher zu rücken.
Im Mittelpunkte des grossen Bildes steht der Sarg,
auf dem die heilige Elisabeth im Ordensgewande auf-
gebahrt liegt. Vor dem Sarge knieen ihre Töchter,
neben ihnen steht der Kaiser mit dem Sohne und
hält eine kostbare
Krone auf ihr todtes
Haupt. «Da ich Dich
auf dieser Erde nicht
als Kaiserin krönen
konnte, so will ich
Dich doch mit
dieser Krone als
eine ewige Königin
in Gottes Reich
ehren » . Ein Son-
nenstrahl fällt von
den hohen Bogen-
fenstern des Domes
auf diese Gruppe,
der ganze Raum,
llermaini Kaulbach, Studie.
Hermann Kaulbach. Studie.
den eine bunte Menge füllt, ist
weit und hell , — Farben- und
Stimmungsakkorde packen den
Beschauer.
Nur dieses Bild, das Eigen-
Üium der Stadt Wiesbaden wurde,
sei in dieser Ausführlichkeit be-
schrieben ; es ist insofern typisch
für alle historischen Bilder Her-
mann Kaulbachs, weil es trotz
seines Figurenreichthums jeden
Einzelnen individualisirt und zu
einem Bilde für sich gestaltet.
Die Priester, die Nonnen, die sin-
genden Klosterkinder, die Fürsten,
Alle auf diesem Gemälde würden
als Einzelbilder wirken. Ein inter-
essantes Detail, das die Freunde
des zu früh verstorbenen Dichters
wehmüthig berühren wird, ist ,die
Thatsache, dass Karl Stieler zu
der Figur des Kaiser Friedrich
Modell stand, er, eine typische Deutschengestalt.
Hermann Kaulbachs künstlerisches Produktions-
vermögen ist ungemein ergiebig. Die jüngsten zwei
Jahrzehnte hat er enorm und vielseitig gearbeitet. Zu
den beliebtesten Opern und zu einem Theil der Gustav
Freytag'schen Werke lieferte er phantasiereiche, fein
gestimmte Illustrationen; er betheiligte sich an der
Konkurrenz für ein Friesgemälde des grossen Berliner
Rathhauses, und lieh
in diesen Entwürfen
der Geschichte von
der Einigung
Deutschlands als ein
begeistert Mitfühlen-
der pathetische, ju-
belnde Gestalten in
sinnreicher Zusam-
menstellung ; er gab
in den achtziger Jah-
ren einen Cyclus
Narrentypen heraus,
eine lustige Reihe
entzückender, humo-
ristischer Gruppen ;
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7)
CO
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
die gesammten Blätter gingen sofort in Privatbesitz über,
die Reproduktionen sind weit über Deutschland hinaus
verbreitet.
Die deutsche Familie, diese grosse staatbildende
Gemeinschaft, die
Theil ~ ~_~ — 'r ™,^ ,
Originalge-
zum guten
keine
mälde kaufen kann,
sie kennt ihren
Hermann Kaulbach.
Seine Bilder wenden
sich an die natür-
liche Schönheits-
freude des Auges,
an die natürlichen
Gefühle des mensch-
lichen Herzens. Die
Anmuth und Poesie,
mit welcher er die
Ereignisse glück-
hcher und unglück-
hcherLiebe darstellt,
machen ihn zum oft
herbeigeholten Illu-
strator gefühlvoller
Beziehungen. Zu
jungen, gefahrlosen
Liebesfreuden und
Liebesschmerzen
spricht das Bild
Margarethen's «Jetzt
ist er hinaus in die
weite Welt»; Ent-
täuschte betrachten
sich die schöne Kol-
legin, welche dem
weltflüchtigen Ein-
siedler im Walde die
warnende Lehre ab-
nimmt: «Lass ab,
lass ab von der
ä^^'^uLri-M
Hermann Kaulbach. Studie.
welcher das Kind aus der Höhe bringt und mit der
Weisung «Von Gott» jungen Eltern an 's F"enster
klopft, wer kennt ihn nicht? Er ist das edle, ganz
ebenso populär gewordene Pendant zu dem Wilhelm
von Kaulbach'schen
^.— , ,. '"~ "'"'^ *2^ Gott»! und
hat geschmackvoller
Weise den Storch
auf das Gebiet des
Scherzes gedrängt.
— Dieser Engel
mit dem Kinde,
der Schutzengel
und der Weih-
nachtsengel von
H. Kaulbach sind
erlesene , herzliche
Familienbilder,
welche durch ihren
sinnvollen Inhalt
schon derart Eigen-
thum der Allgemein-
heit geworden sind,
dass die verschieden-
sten Besitzer den
Maler nicht kennen,
— namenlos, wie ein
gutes, allgemein ge-
liebtes und gesun-
genes Lied! — Mit
diesen Schöpfungen
hat H. Kaulbach,
unbewusst, wie alle
echten Poeten , ei-
genthch einen Akt
der Gerechtigkeit
geübt. Er hat seine
feine Kunst in den
Dienst einer grossen
Zukunftsträgerin, der
Kinderphantasie,
Lieb!» und oben bei den Thurmfalken im Zwinger, da gestellt und in mittelbarer Weise von den selbst so
wird ein holdseliges Beispiel gegeben , da singt frohe, reich genossenen Schönheitseindrücken seiner glücklichen
einige Liebe ihr Nest- und Festduett ! — Kindheit wieder Schönheitssamen in die Kindersphäre
Und nach den lieblichen Momenten aus dem Liebes- gesandt. Wie mancher unter den kleinen Leuten hat
frühhng die Bilder aus dem Liebessommer! Den Engel, sich wohl schon bei diesen Engeln seine poetischen
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
/{ermann Kaulbach. Studie aus Capri.
Träume und seinen
stärkeren Drang zum
Schönen geholt. Der
wahre Künstler unter-
schätzt solche Zu-
kunfts - Sämannsarbeit
nicht.
Neben seiner bil-
derreichen Welt, der
welthchen und himmli-
schen, mit ihrem Gros-
sen und Kleinen schil-
dert H. Kaulbach auch
mit Vorliebe in leben-
digen, pointirten
Scenen und feinen
Lichtern das Kloster-
leben. Da lehrt eine
Nonne in freigewählter
mütterlicher Pflicht die Kleinen, dort füttert ein Mönch ein
herrenloses Findelkind, da öffnet ein in der Kutte Gefan-
gener mitfühlend einem Vogel den Käfig, der Kollege
flieht nicht, er will nicht befreit sein und sein Helfer simulirt
und seufzt «Verschmähte Freiheit»! Und einanderes
Bild zeigt eine Nonne in einsamer Zelle, die mit weh-
müthiger Sehnsucht in die Ferne schaut und sucht,
was Andere fahren lassen, «O Freiheit!» Jedes
H. Kaulbach'sche Blatt schlägt einen dichterischen Text
an, jedes bietet auch dem einfachsten, schönheitsfrohen
Gefühlsmenschen, dessen Auge nicht für die Feinheiten
der malerischen Qualitäten geschult ist, einen Reiz, —
eine Anregung zur Mitempfindung.
Für alle Freunde einer veredelten Darstellungsweise
war das H. Kaulbach'sche Bild, «Die Opferkerzen»,
ein Anziehungspunkt der vorjährigen Ausstellung. Seine
harmonische, einfache Farbengebung, seine kräftige Be-
leuchtung, sein rührender Inhalt fanden einstimmige
Bewunderung. Der sofortige Verkauf versteckt es nun
im Privatbesitz, die Reproduktionen erhalten es im Ge-
dächtniss eines weiten Kreises.
Das diesjährige Ausstellungsgemälde H. Kaulbachs,
«Das Ende vom Liede», zeichnete sich durch die-
selben Vorzüge in Zeichnung, Farbe und Beleuchtung
aus, — es dringt wie die Töne eines wehmüthig auf-
seufzenden Ave Maria zu Herzen. Seine fromme Sängerin
steht schon nah an dem Himmel, an den sie glaubt,
und nimmt ihr «inneres» Leiden mit hinüber.
Dieses Gemälde beweist aufs « Neueste » , dass die
Schönheitsvorstellung Hermann Kaulbachs nicht vor der
impressionistischen Helle der neuen Malart zerstiebt,
sondern auch im «neuen» Lichte lebendig und lebe-
fähig bleibt. — Es wurde von dem kunstsinnigen Gross-
herzog von Oldenburg erworben.
Ja, wer in der Kaulbachstrasse an die Atelierthüre
Hermann Kaulbachs klopft — und aufgemacht be-
kommt, der findet kaum einen Bildervorrath , aber
immer etwas auf der Staffelei, was den Maler selbst
gefangen hält und gemalt werden mussl —
Es ist unmöglich , die ganze Reihe seiner Werke
aufzuzählen. Wohl über hundert sind schon Zeugen
seiner mannigfaltigen, sicheren, bescheidenen Kunst.
Der Bezeichnung « bescheiden » möchte ich den
stärksten Nachdruck geben, Hermann Kaulbach füllt
dieses viel gemissbrauchte Eigenschaftswort als Mensch
und Künstler mit seinem vollen Goldwerthe aus! -t-
Barrengold I Im Verkehre nicht giltig und nicht
nützlich, — aber Gold! — Er bescheidet sich that-
sächlich in selbst ungerechter Weise. Er kann viel
mehr als er herausgiebt, steckt sich zum Theil selbst
die Bescheiden-
heitsgrenze, zum
Theil steckt sie
ihm die Zeit, die
er so fleissig aus-
braucht und die nie
reicht. — Er kann
modernst malen
und in seinem ge-
heimsten Atelier-
Kämmerlein sind
Bilder verborgen,
die mancher Schot-
tenkenner ruhig den
Schotten — und an-
dere , die mancher
Sezessionist Uhde
zuschreiben würde.
Das hat er nach-
gemacht und es ist
ein Kunststück
seiner vielgewand-
Hermann Kaulback. Studie aus Capri.
DIE KUNST UNSERER ZEri",
Hermann Kaulbacli. Studie aus Capri,
ten Technik. Aber — er hat eigene, kräftige Ideen,
gewinnt die künstlerische Macht über sie und hoffent-
lich erstehen sie bald in Freilichthelle. Er besitzt
als moderner Mensch, der Herz hat, dessen Geistes-
leben aus den günstigsten Faktoren der Vererbung,
des Milieus und der Erziehung heraus gebildet wurde,
ein grosses Interessegebiet, auf dem keine Phrase, keine
Parteiphrase und keine Renommirphrase, wuchert. Un-
kraut könnte nur der Botaniker entdecken, welcher die
märchenhaft schöne, hoch aufstrebende Pflanze des
Idealismus, die so viel Kraft aufbraucht und so selten
Früchte bringt, zu jener Sorte rechnet.
Hermann Kaulbach kann auch Proletarier mit dem
Heiligenschein des Märtyrerthums malen, er hat jetzt eine
Skizze fertig: ein Junge sitzt in einer öden Kammer an
einem Krankenbett, — da ist das ganze Grau des Dach-
stubenelends malerisch ausgedrückt. — Er hat vermöge
seiner Vielseitigkeit ein weites Feld vor sich und ist zu jung
an Jahren und im Geiste, zu ernst denkend und zu ernst
strebend, als dass er sein Malgebiet nicht erweitern sollte.
Seine feinen Portraite sind nur im engsten Kreise
bekannt. Die weitere Welt kennt ihn bis jetzt haupt-
sächlich nur als malenden Dichter ; lyrisch und legendär
erzählte er ihr die liebenswürdigsten , harmonischsten
Geschichten in klangvollen, süssen Reimen.
Die reizenden Skizzen in diesem Hefte, die aus
einer der verborgenen Mappen des Künstlers hervor-
geholt sind, erzählen, wie lieblich seine ersten Ent-
stehungsideen in die Erscheinung treten. Die Fee in
der Mondsichel, welche Sterne streut, die Nonne in der
Waldeinsamkeit und in der Kirchenstille, die Gestalt,
welche mit Lampe und Kranz in die Gruft steigt, welche
liederhafte Lyrik, aber auf der Höhe eines unserer ersten
Liederdichters !
Aus dem Kreise dieser Phantasien führen die Por-
traitskizzen , diese schwarzäugigen Köpfchen in die
Capreser Sonne. Das sind Typen, typisch und charakte-
ristisch wiedergegeben, wie sie um Soldi in allen Blick-
arten betteln I
Die humoristischen Blätter, der Schornsteinfeger auf
des Daches Zinne mit seiner neuesten Nachricht vom
Schatz, «ich mag Dich nimmer», der Ständchensänger,
dessen Guitarre mit dem hohen C seiner Kehle und
seiner Seele
zu wachsen
scheint, der
Fastnachts-
clown, der
ihrenFächer
findet, der
Amor, der
den alten
Kutscher ein-
schläfert und
die Lieben-
den hübsch
langsam
fährt, die Kin-
dergruppe
hinter dem
Briefcouvert-
verschlag,das
Amorl , das
als modern-
ster unter den
modernen Hermann Katäbach. Studie aus CaprL
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
/
Strebern sich an den Luftballon hängt, der Carneval-
brief bogen, — sind das nicht erlesene Zeugen eines
geistvollen, liebenswürdigen Humors?
Die beigegebenen Illustrationen stellen meine An-
erkennung auf die Probe, und ich glaube, sie werden
mir Zustimmungen in Menge einbringen , — indem sie
gefallen, nie ermüden, sondern anziehen, anregen und
lieb gewonnen werden. Der sinnvolle Briefbogen «Dem
Glücklichen schlägt keine Stunde», die Fee mit den sing-
enden Kindern und der Engel, der
eben als Weltkind auf dem Blitz
zug einer Sternschnuppe angereist [
kommt, — das sind Boten eines
reichen Künstler-Geistes !
Es giebt Parteileute, welche
behaupten , Hermann Kaulbach
gehöre einer «älteren, früheren»
Schule an.
Zum Glück ist es eine Un-
möglichkeit, die Kunst durch Partei-
gesetze zu tyrannisiren. Sic
braucht viele und vielerlei Köpfe
und wird vielseitig bleiben, wie
laut auch die Einseitigen um
die Herrschaft schreien mögen. Sie
ist der Spiegel des Lebens und so
tausendfach verschiedenartig die
Lebensgestaltungen sind, so tau-
sendfach verschiedenartig dürfen
auch ihre Nach-Schöpfer sein!
Warum will man gerade auf
dem Gebiete der Malerei Barrikaden
bauen und Die, welche dahinter
bleiben möchten, nicht gelten
lassen.'' Ein müssiges Beginnen,
das kein Gelingen krönen wird.
Wer möchte, weil er Tristan und Isolde mit Be-
geisterung hört , die Schubert'schen Lieder entbehren ?
Ja, wer möchte diese überhaupt an irgend etwas Neuestes
opfern? Niemand, der ihre ganze Anmuth und ihre
ganze Seelentiefe je empfunden hat!
Etwas von dem unvergänglichen Reiz der Schubert-
schen Lieder liegt in den Hermann Kaulbach'schen
Bildern. Man muss ihn sehen und fühlen! — — —
So klar Hermann Kaulbach in seiner Ideenführung
ist, so wenig reizt ihn der Kampf- und Vertheidigungs-
Hermann Kaulbach. Studie aus Capri.
Standpunkt. Das Gerauf um eine Tagesansicht, um Mein-
ungen, die ein meist unverkennbarer Egoismus treibt und
peitscht, geht seiner vornehmen Natur entgegen. Seine
Wesens-Einheit, die ihn immer wieder zum Malen zwingt
und seinen Geist auf beständige, künstlerische Bethätig-
ung und Klärung hindrängt, lässt ihn den Tages-
kampf nur aus der Ferne betrachten. Die Arbeit selbst
schliesst seine Erholung in sich und charakteristisch
für ihn ist bei seinem grossen Talent zur Geselligkeit,
bei all den ehrenden Sympathien,
; die er geniesst, seine zunehmende
Vorliebe für einen engeren Kreis,
charakteristisch insoferne, als es
in seiner Art liegt, einer Erkennt-
niss die logische That folgen zu
lassen.
Vor Jahren baute er sich auf
einer Höhe am Schliersee ein wirk-
lich liebliches, ländliches Haus,
Luginsland genannt. Als ihm
die schöne Lage und der Klang
seines Namens zu viel Fremdes
über seine Schwelle führte, malte
er in neckischer Laune als Leit-
und Leidmotiv über die Haus-
thüre den nicht sehr einladenden
Spruch :
«Wir wollen hier nicht
gasten, nur rasten!»
Die liebe Welt nahm ihm
diese Aufrichtigkeit übel, aber
seine guten Freunde wussten, auf
wen der Spruch gemacht war.
Nun steht indirekt dasselbe
dort:
Friede! Friede!
Diesen Schatz trägt er mit den Seinen selbst ins
Haus. Alles , was den inneren Frieden stören könnte,
Ruhmsucht und wie sonst die Feinde heissen, — kennt
dieser Künstler nicht; — mit dem gesunden Katzen-
jammer, der zwischen glücklichen Schaffensperioden liegt,
wird er tapfer fertig; — was von Aussen kommt und
ihn angreift, behandelt er mit Würde und Kraft, wo es
sich wehren heisst, — mit schmerzbekämpfender Philo-
sophie, wo es sich ums Stillhalten handelt. Er hat
unversiegbare Erfrischungsquellen in der Familie , in
■m^^i
:**•
R. Poctzelbirser pinx.
Phot. r. BkuriUenfl. Haneb*o
Fränkische Landschaft.
y
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Hermann Kaulback. Studie.
der Natur, in seinem Empfindungsreichthum! Das Leben
hat es bisher so gut mit ihm gemeint: Ein Kaulbach-
kind, dann selbst «Einer!»
Jedes liebe Mal, wenn ich solche Menschen
schildere, komme ich in die Gefahr der Indiskretion,
weil ich die Phrase verachte und die Beweise liebe. Ich
möchte genau erzählen dürfen , mit wie lauten Thaten
der besondere Mann in der Kaulbachstrassc die hier
von ihm behaupteten Eigenschaften schon bewiesen hat,
und welche schöne Menschlichkeit hinter, besser gesagt,
i n diesem Künstlerthum steckt.
Aus diesen Beweggründen verrathe ich einen Brief-
passus von ihm, der sich um die Rechtsfrage der neuesten
Kunst dreht; er lautet:
« Wenn ich mitkämpfe , (und jeder Ueberzeugungs-
treue thut das) so geschehe das von mir aus mit dem
Pinsel, nicht mit der Feder. Das ist mein Handwerks-
zeug, ein anderes giebts für mich nicht, und mit diesem
will ich auch fUrderhin mein Glaubensbekenntniss nieder-
schreiben , in der stillen Hoffnung , dass auch Andere
dasselbe mit mir beten werden. Das kann ich aber
sagen, dass ich den für einen Blinden und Thörichten
halte, der ohne rechts noch links zu sehen, seinen Weg
des Schaffens verfolgt. Es ist thöricht, einen schmalen
holperigen Fusswcg, der nicht parallel mit dem unseren
läuft, als falsch und verfehlt zu bezeichnen. Auch dieser
kann Reize bieten , die uns bisher unbekannt waren.
Ich glaube Der, der es ernst mit seiner Kunst meint,
der nicht nur nach alten Rezepten arbeiten will, soll
stets die Augen offen halten, denn er kann und wird
überall lernen. — Sei es Knaus, Stuck, Uhde, Thoma,
Menzel , Jeder wendet in seiner Kunstsprache Worte,
Wendungen und Systeme an, die nur ihm eigen sind,
und die für Jeden von uns von Interesse und Wcrth
sein können, wenn wir dieselben auch ganz, ganz anders
verwerthen als sich diese Künstler denken mögen. »
Hermann Kaulbach steht in den Jahren voller
Schaffenskraft und hat das grosse Vermögen, dem Neuen,
das ihn anregt, kritisch und sichtend nachzugehen, ohne
der Eigenartigkeit seiner Individualität Eintrag zu thun.
Sein bewegtes, aufnahmfähiges Geistesleben erzeugt
immer frische Kräfte, neue Pläne und in der Freilicht-
helle der künstlerischen Wahrhaftigkeit giebts ein ge-
sundes Wachs-
thum. Die Liebe
macht erfinder-
isch — und Her-
mann Kaulbach
liebt seine
Kunst !
In dem
schönen
Münchner
Hermann Kaulbach. Studie.
10
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Rathhause liegt das sogenannte goldene Buch. Als
Hermann Kaulbach im Jahre 1890 aufgefordert wurde
ein Blatt einzuzeichnen, stellte er die Mal-Kunst in
einer symbolischen, lorbeerbekränzten Gestalt dar, Palette
und Pinsel in der Hand. Auf dem naturalistischen
Piedestal eines Bierfässchens streckt sich das Münchner
Kindel, das goldene Buch unter dem Arm, zu ihr empor
und reicht ihr mit den gelobenden Worten: In alle
Ewigkeit! Amen! den Mund zum verbindenden Kusse,
eine entzückende, innige Darstellung von Münchens Ver-
hältniss zur Malerei.
Auch Hermann Kaulbachs Liebe zur Malkunst ist
zärtlich, hingebend, einheitlich. So oft man ihn auch
schon, auf seine hervorragende dichterische Begabung
hinweisend, zur zeitweisen Schriftstellerei, also zurTheilung
der Kraft bereden wollte, — nein, alle seine geistigen
Elemente streben nur zu ihr, — auch er betet und
schwört: In alle Ewigkeit! Amen!
Und er hält Wort. Sein Schwur ist vielverheissend
für die Zukunft !
So schlicsst dieser Versuch eines Bildes, welches
den hoffentlich kleineren Theil eines Künstlerlebens
schildern wollte, mit zwei Worten, — aber diese liesse
ich gerne von Hermann Kaulbach illustriren, jeder Buch-
stabe eine Amorette mit einem verhängten Bild, ernst,
gemüthlich, tragisch, schelmisch keck, ja, auch satirisch,
— im Ausdruck den Inhalt der kommenden, verhüllten
Bilder andeutend und die von indiskreten Engeln ge-
tragene Botschaft hiesse :
Fortsetzung folgt!
' / /
Der Abschiedskuss von L. Alma-Tadema.
VON
GEORG EBERS.
Wie viel Schönes doch ein so kleines Bild um-
fassen kann! Nicht viel breiter ist es als
meine Hand und nur um die Hälfte länger.*)
Dennoch giebt es auf diesem beschränkten Räume gar
Verschiedenes zu sehen : Figürliches, Architektonisches,
Landschaftliches , und voll und ganz widerfährt jedem
Motive sein Recht.
«Ein Abschiedskuss» nennt Alma Tadema selbst
sein Bild, und es muss so heissen.
Der Maler ist kein Erzähler, doch die fluchtige
Handlung, die er hier zum Stillstand zwang, führt den
Dichter in Versuchung, sie neu in Bewegung zu setzen,
ihr eine Vergangenheit zu schenken, sie in die Zukunft
fortzuspinnen , kurz dies Gemälde zu einer Szene aus
der Novelle zu machen, die es ihm bei jeder neuen
Betrachtung eingehender erzählt.
Schön und interessant genug ist sicherlich Alles,
was sich auf diesem kleinen Räume zusammendrängt,
um es poetisch zu verwerthen. Doch der Leser dieser
Zeitschrift will nicht wissen, was der Dichter an ein
Gemälde knüpfte. Es genügt ihm, die Schönheit des
Dargestellten zu geniessen und sich Rechenschaft über
den Vorgang zu geben, zu dessen Zeugen das Bild ihn
macht.
Dieser Vorgang bedarf eigentlich keiner Erklärung ;
denn Tadema steht an der Spitze der Maler, die beim
Denken nicht nur mit Farben, sondern auch mit klaren
Vorstellungen arbeiten.
«Der Abschiedskuss» versetzt uns an eine der
Buchten des Mittelmeeres , etwa an die des alten
Neopolis. Der bärtige Mann, dessen Büste auf der
Marmorherme links steht, besitzt eine stattliche Villa
am Strande. Er ist reich mit Gütern gesegnet; denn
*) Es misst 26,5 : 13,75 cm.
schon im Atrium seines Landhauses tritt der Fuss auf
schön geglätteten Marmor, und ein feiner Mosaikrand
umgibt das Bassin in Mitten des Estrichs. Ueber
der Thür hängt ein schwerer syrischer Teppich, und es
fehlt in der Villa auch nicht an Sklaven. Der köst-
lichste Besitz des Hausherrn ist indess die holdselige
Gattin mit dem röthlich schimmernden Goldhaar und
das Töchterchen, das sie ihm schenkte.
Die Eltern der anmuthig in der Blüthe weiblicher
Schönheit prangenden Mutter wohnen wohl an einer
anderen Stelle der Bucht, vielleicht in Herculanum, und
die junge Frau will sie besuchen. Der Sklave hat bereits
den rechten Flügel der Thür zurückgeschlagen. Dadurch
ist es dem Blicke vergönnt , ins Freie zu schauen.
Auf der Strasse wartet der Wagen. Der junge Lenker
hält das Ross fest am Zügel, und die Schaffnerin, die
die Herrin begleiten soll, sitzt schon in dem leichten
Fuhrwerk und schaut ungeduldig nach ihr aus. Sie
wird bald erscheinen, und es gilt nur noch von dem
Töchterchen, das sie zurücklässt, Abschied nehmen.
Die beiden haben einander lieb ! Wie die Zwölfjährige
mit dem schwarzen Haarschmuck zu der schönen blonden
Mutter aufstrebt und sie umhalst, wie innig die junge
Frau das Kind an sich zieht und ihm die Stirn über
dem hellen Auge küsst, das so liebevoll und als wolle
es sagen : « vergiss mich nicht ! » das ihre sucht.
Die Tochter bleibt gewiss nicht freiwillig zurück;
denn auch sie besucht die Grosseltern gern. Dazu lockt
Alles ins Freie. Die Sonne scheint draussen so schön,
und das Meer glänzt in so köstlichen Azurfarben wie
der Himmel, der sich in seiner leicht gekräuselten Fläche
spiegelt. Schon bevor der Sklave das Atrium geöffnet
hatte, war sein wolkenlos lichtes Blau durch die breiten
offenen Maschen des Gitterwerkes über dem Thore ge-
drungen.
2*
12
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Dies Licht ist uns wohl vertraut. So wirkt es in
Süd -Italien unter freiem Himmel, und es ist von dem
sogenannten « Atelierlicht » so weit entfernt wie auf
Fromentins gleichfalls älteren Motiven aus dem Orient.
Für Alma Tadema scheint uns überhaupt das sogenannte
« Freilicht » nichts Neues zu sein. Schon vor vier
Lustren sah ich von ihm im hellsten Glanz der Mittags-
sonne des südlichen Europa leuchtende Ufer und
Gartenszenen. Sie wirkten damals überraschend, weil
andere es noch nicht gewagt hatten, eine so starke
Lichtwirkung mit gleich rücksichtsloser Treue wieder-
zugeben.
«Treue» ist überhaupt die vornehmste Eigenschaft
unseres Meisters. Ich kenne nichts von ihm, was gegen
sie verstiesse. Und wenn sie ihn dennoch in keinem
Fall über die Grenzen des Schönen hinausführt, die
für ihn die der Kunst sind, so sichert ihn davor der
angeborene Geschmack, den er in der vornehmsten der
Schulen zur Ausbildung brachte. Bei dem griechischen
Alterthum ging er in die Lehre, und er gehört zu den
Sonntagskindern, denen es gestattet ist, in dem erhabenen
Tempel der hellenischen Kunst ihren Genius von Ange-
sicht zu Angesicht zu schauen. Darum wachsen ihm
aus seinem Herrschaftsgebiete die meisten und schönsten
Stoffe entgegen.
Die Forderung, dass wer solch ein Motiv aus ver-
gangener Zeit behandeln will, nichts geben darf, was in
ihr nicht zu den herrschenden Gedanken, Gefühlen und
Gewohnheiten, zu den bekannten und gebrauchten Gegen-
ständen gehörte, finden wir wie auf jedem Alma
Tadema 'sehen Gemälde, so auch auf dem «Abschieds-
kusse» erfüllt. Um dahin zu gelangen, genügt es frei-
lich nicht Kostümwerke zu studiren, und eine Reise an
das Mittelmeer zu machen; es erfordert vielmehr eine
tiefe Vertrautheit mit dem Lokal und ein liebevolles
Mitleben mit der Gesellschaft der zu behandelnden Epoche.
Jene hat Alma Tadema sich durch rastlosen, von warmer
Neigung beflügelten Fleiss ejworben, zu diesem, dem
Mitleben, drängt ihn ein starker congenialer Zug mit der
Antike. So ist denn das Alterthum gleichsam seine künst-
lerische Gegenwart geworden, und von allen Zeitgenossen
möchte ich keinen lieber «einen Griechen» nennen als
ihn, der sich auch im Nebel der Themsestadt das
sonnige Gemüth, den Aufschwung der Seele, ein durstiges
Schönheitsverlangen und den liebevollsten Zusammenhang
mit der Natur, kurz die vornehmsten Eigenschaften des
hellenischen Wesens bewahrte.
Deswegen stellen seine Bilder auch nicht nur Szenen
aus dem heidnischen Griechenland oder Rom dar, sie
sind vielmehr griechisch oder römisch. Das gilt auch
von dem unseren. Wenn einer der verschütteten Be-
wohner Pompejis aus der Asche zu neuem Leben er-
stünde, er würde nichts darauf finden, was ihm nicht
vertraut wäre, was er nicht als möglich in seiner Zeit
anerkennen müsste.
Der tief unterrichtete Archäolog Alma Tadema
begeht keine Irrthümer, sein Griechenthum bewahrt ihn
aber auch vor dem Missgriff, die für die Zeit in die er
sein Bild verlegte charakteristischen Dinge mit pedan-
tischem Gelehrtenstolz zu weit in den Vordergrund zu
rücken. Auf unserem Gemälde will das archäologische
Beiwerk erst aufgesucht werden.
Man solL kein Buch zur Hand nehmen , das man
nicht zweimal lesen könnte und keinem Bilde in seiner
Nähe einen Platz einräumen, das man nicht oft mit dem
gleichen Genuss betrachten möchte. Dies kleine Meister-
werk, auf dem sich ein so freundliches Stück Menschen-
leben mit dem Ausblick in eine der heitersten Stätten
der Natur harmonisch verbindet, hat zwölf Jahre lang
die Probe bestanden. Mit jedem Winter, in dem ich
den Himmel Neapels mit sonniger Bläue durch die Oeff-
nungen über der Thür des Atriums in der Villa bei
Neopolis auch in mein Zimmer leuchten sah, hat es mir
grössere Freude bereitet.
Mit der Bemerkung, wie viel Schönes solch ein
kleines Bild umfassen kann, beginnen diese Zeilen. Ich
schliesse sie mit der Wahrnehmung, wie viel Liebes es
auf engem Raum zu vereinen vermag. Die junge Mutter
trägt die Züge der reich begabten schönen Frau, die
der Künstler sein eigen nennt; ihr Kind stellt des
Meisters Tochter Ane dar, die Büste auf der Herme
aber zeigt Lorenz Alma Tademas eigene Züge. Was
ihm das Theuerstc ist, führte er auf diesem Gemälde
zusammen. Es steht auch meinem Herzen nahe, und
darum liebe ich den Abschiedskuss so sehr, wie ich ihn
bewundere.
S|§"
L. Alma-1 aücma pinx
Phot. P. HanftUAiicl, MQnehen.
Der Absehiedskuss.
ITALIENISCHE MUSIKERBRIEFE.
VON
DR- FRIEDRICH SPIRO.
ötm. CjlitK^lul(tw, »0\Vi^t l\ii.vvi^tu.vi.^e. .
r"
ffermann Kaulbach, Studie,
Die Publikationen von Musikerbriefen sind sich
in den letzten Jahrzehnten schnell gefolgt. Wie
in allen wissenschaftlichen Disziplinen hatte auch hier
Deutschland den Anfang gemacht; bald schloss sich
Frankreich an, und es ist begreiflich, dass Italien wieder
einmal in der Reihe der führenden Mächte nicht fehlen will,
sondern auf sein reiches Material loswirthschaftet. Aber
der Zweck ist im Norden und Süden nicht der gleiche.
Während dort die musikhistorischen Studien allmäh-
lich zur Blüthe gedeihen und sich denen über die
bildende Kurst an die Seite stellen, haben sie hier noch
kaum begonnen. Italien hat der modernen Welt die
Formen und Mittel der Musik, ja so zu sagen die Musik
selbst, so weit sie Kunst ist, gegeben, aber Italien be-
sitzt weder ein Buch noch einen Lehrstuhl für Musik-
geschichte. Wenn die Briefe der deutschen Meister er-
scheinen, denkt der Herausgeber zunächst an das wichtige
Hilfsmittel, das er damit der Wissenschaft an die Hand
giebt ; der Gelehrte weiss, wie viel neue Aufschlüsse ihm
bevorstehen, wie viele Fragen im einzelnen ihrer Lösung
entgegen gehen. Der italienische Herausgeber will sein
Publikum unterhalten, will die Neugier, mit der wir uns
gewohnheitsmässig in das Privatleben der grossen Männer
einmischen, annähernd befriedigen, mit einem Wort, eine
Künstlerindividualität unmittelbar vorführen , dass sie
als solche wirke. So haben denn die'Briefe Donizettis,
welche die Uniotie cooperativa editrice in Rom soeben
zum ersten Male der Oeffentlichkeit übergiebt, einen An-
spruch auf Beachtung überall da, wo man sich für
italienische Musik interessirt ; und das thut man ja aller
Orten, selbst in Deutschland, dessen Prinzipat gerade in
musikalischer Beziehung endlich von allen einsichtigen
Bewohnern unseres Planeten anerkannt ist. Das vorlaute
Geschrei derer, welche seit dem Durchdringen Wagners
das Ende der Oper gekommen meinten, ist gegenüber
den Thatsachen und Wagners eigenen Aeusserungen
verstummt. Man gewöhnt sich allmählich daran, dass
Wagner der Welt noch etwas zu schaffen übrig gelassen
hat; und so lange Derjenige sich nicht findet, der es
leistet, muss man sich wohl oder übel mit den An-
deutungen der Vorgänger begnügen. Eine stilistische
Hauptsache mag das Verhältnis andeuten: Wagner ver-
half dem dramatischen Accent zur Alleinherrschaft, aber
er unterdrückte die gesungene Cantilene; so lange wir
also das deutsche Drama und den italienischen Canto
nicht vereint geniessen können, suchen wir sie getrennt
auf, ohne das eine über dem anderen zu vernachlässigen.
Es sind vier Italiener, welche für Deutschland so
weit in Betracht kommen, dass man ihre Werke als zur
Kultur unserer Zeit gehörig ansehen kann, Rossini, Bellini,
Donizetti und Verdi. Die Briefe des letzteren entziehen sich
einstweilen noch der Publikation, wie denn seine Charakte-
ristik im ganzen erst dann versucht werden darf, wenn er
14
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
sein letztes Wort gesprochen haben wird ; allerdings dürfte
sich dann diese Biographie von der seiner Landsleute
merklich unterscheiden, denn er ist der einzige, welcher
sich energisch an das Ausland anschloss und daher mit
den europäischen Strömungen des Jahrhunderts Schritt
hielt. Dagegen tritt Bellini in völlige Indifferenz zurück;
der weichliche Sicilianer hatte nicht einmal das Feuer
seines Himmelsstriches im Blute, und nachdem seine
Persönlichkeit lange Zeit nur durch den Spott Heines
bekannt gewesen war, gaben die wenigen, in die Zeitungen
gekommenen Briefe nur e i n bemerkenswerthes Detail : der
Mann sprach von dem Effekt seiner Instrumentation,
was ungefähr so viel bedeutet, wie wenn einer unserer
Nazarener sich seines Colorites rühmen wollte. Ganz
anders schon Rossini. Dieser König der Faune, der
raffinirte Lebemann, der sich mit der Kunst nur so
lange abgab, wie er sie brauchte und selbst bei seinen
glühendsten Verehrern mehr durch die Bonmots zündete
als durch die Opern — von ihm konnte man etwas er-
warten. Wirklich sind aus seinem «Epistolario» wenigstens
einige frappante Züge zu entnehmen. Zunächst unter-
scheidet er sich von seinen meisten Fachgenossen da-
durch, dass er seine Muttersprache tadellos, ja sogar
mit Gewandtheit schreibt. Sein Styl ist fliessend, seine
Ausdrucksweise natürlich und fehlerfrei. Man sieht auf
den ersten Blick, dass man es mit einem vernünftigen
Menschen zu thun hat. Nicht minder unterscheidet ihn
von seinen Kollegen die Fähigkeit, sich auch für andere
Komponisten zu interessiren ; er gehört nicht zu denen,
welche im Bewusstsein, selber Noten zu schreiben, jeden
der dasselbe wagt wie ein verirrtes Schaf ansehen. Er
nimmt Stellung zu den Zeitgenossen und vermag es
sogar sich mit einigen von ihnen anzufreunden. Er
sucht Mercadante und Donizetti gute Aemter zu ver-
schaffen, freilich nicht ohne sich mit dem ersteren wegen
seiner Unfolgsamkeit zu überwerfen. Er berichtet theil-
nehmend über Bellinis Leichenbegängnis, freilich durch
eine leichte Indisposition verhindert, bei dem schlechten
Wetter persönlich zu erscheinen. Er zeigt sich aufrichtig
dankbar gegen Pacini, der ihm so nachdrücklich bei der
Instrumentation geholfen hatte. Er liebt von Herzen
den bei canto, und richtet noch 1866 an seinen ama-
tissimo Pio IX. ein Gesuch um Zulassung der Frauen zu
gemischten Chören in der Kirche. Ja, er hat sich einiger-
massen mit den Klassikern beschäftigt und ist so weit
gekommen, sich über die Musik und ihre neueste Ent-
wickelung eine Ansicht zu bilden. Diese Ansicht ist es eben,
welche der Welt aufbewahrt zu werden verdient. Er schreibt
am 1 2 . Februar 1 8 1 7 an Leopold Cicognara unter anderem :
« Hier, mein lieber Leopold, hast Du meine Ideen über
die gegenwärtigen Musikzustände. Seitdem das Klavier
um fünf Tasten bereichert worden ist, habe ich erklärt, dass
sich in dieser Kunst, die damals auf ihren Höhepunkt ge-
langt war, ein unheilvoller Umschwung vorbereite. Denn
die Erfahrung hat gezeigt, wenn man das Beste übertreffen
will, kommt man zum Schlimmsten. Schon Haydn
hat die Reinheit des Geschmackes zu verderben begonnen,
mit all den seltsamen Accorden, künstlichen Uebergängen
und gewagten Neuerungen, die er in seine Kompositionen
einführte ; aber immerhin bewahrte er so viel von der Grazie
der Vorzeit, dass seine Verirrungen verzeihlich erscheinen
können. Indes nach ihm kamen Gramer und schliesslich
gar Beethoven, die mit ihren Musikstücken ohne jede
Einheit und Natürlichkeit, ihrer Menge von Bizarrerie und
Willkür den Geschmack vollends verdarben. Gleich-
zeitig setzte Mayr im Theater an Stelle der einfa,chen
und vornehmen Weisen eines Sarti, Pa'i'siello und Cimarosa
seine genialen, aber fehlerhaften Harmonien, indem die
singende Oberstimme durch den Schwall der Begleitung
erstickt wird, und an die neue deutsche Schule schlössen
sich alle die jungen Operncomponisten an.» — Es folgen
einige Bemerkungen über die berühmtesten Sänger, unter
denen die Catalani als Beweis dafür citirt wird, dass nichts
jammervoll genug sei, um nicht noch die Möglichkeit
einer Verschlimmerung zuzulassen. Dann heisst es weiter:
« Seitdem wurde der Takt, ein so wesentlicher Be-
standtheil der Musik, ohne welchen die Melodie unver-
ständlich bleibt und die Harmonie in Unordnung verfällt,
von den Sängern nachlässig und gewaltsam behandelt.
Sie überraschen, statt zu rühren, und während in der
guten Zeit die Orchesterspieler sich bemühten, mit ihren
Instrumenten zu singen, suchen jetzt die Sänger mit
ihren Stimmen zu spielen. Aber die Menge klatscht
solchem ganz elenden Stile zu und macht aus der
Musik, was die Jesuiten aus der Dicht- und Redekunst
machten, als sie Lucan dem Vergil und Seneca dem
Cicero vorzogen. — Dies sind meine Anschauungen,
und offen gestanden, scheint mir wenig Hoffnung vor-
handen , dass die göttliche Kunst aus ihrem jetzigen
Elend ohne gänzliche Umwälzung der socialen Verhält-
nisse herauskomme. Du siehst, das Heilmittel wäre
schlimmer als das Leiden. Lebe wohl.»
DIE KUNST UNSER KR ZEIT.
15
Das Dokument ist kostbar, der wichtigste Brief,
den wir von Rossini besitzen, jeder Satz bezeichnend.
Grundzug ist die Klage um die gute alte Zeit; der
schüchternste aller deutschen Autoren wird bereits als
verhängnisvoller Neuerer hingestellt, eine Erweiterung
des technischen Könnens als Gefahr empfunden, Beet-
hoven aber als der Gipfel aller Barbarei perhorrescirt. Die
Vorwürfe sind Willkür, Eigenart und das gegen jeden
Neuerer von den Reaktionären wiederholte Hervortreten
des Orchesters gegen die Singstimmen. Das Ideal ist
die alte Armuth und Regelmässigkeit; um angeerbte
Regeln handelt es sich, «die Keiner soll verletzen»,
damit sich in der Kunst nur um Gottes willen nichts
weiter entwickele, keine Gewalt das häusliche Behagen
unterbreche. Das Philisterium, wie es im Buche steht,
hat diesen Brief eingegeben ; und sein Verfasser war
nicht etwa in jenes würdige Alter eingetreten, dem man
das Philisterium allenfalls verzeiht, sondern er stand
im Beginne seiner Thätigkeit, an der Schwelle des
eigentlichen Lebens, in jener Periode, wo der trägste
Mensch, geschweige denn ein Künstler, den Kopf von
Umsturzplänen voll hat. Dieser Mensch war als Philister
geboren. Wohl meinte er es ernst mit seiner Sache, und
am Schlüsse kommt er zu demselben Resultat, das so
vielen ernsteren Männern aufgegangen ist, wenn sie die
Sklavenstellung der Musik und die Unfähigkeit des Publi-
kums sich ewig gleich bleiben sahen. Aber der schleunige
Zusatz, das Heilmittel wäre schlimmer als das Uebel,
zeigt am deutlichsten, welchen Rang die Kunst bei dem
Philister einnimmt, dessen Hauptsorge die Erhaltung der
häuslichen Bequemlichkeit bleibt. Man begreift, dass er
sich von der Musik zurückzog, als sie ihm die nöthigen
Mittel zu einer Pariser Existenz abgeworfen hatte, und
dass in seinen späteren Briefen weniger von Theater und
Gesang als von Salami und Gorgonzola die Rede ist.
Die Zeitgenossen erhoben diesen Satyr zum Olympier,
und selbst Richard Wagner, dem diese olympische
Heiterkeit so lange geschadet hat, lieferte in seiner
« Erinnerung an Rossini » wieder einmal ein Beispiel
seiner vielverkannten kindlichen Gutmüthigkeit. Die
Nachwelt ist etwas strenger gewesen; sie hat gefunden,
dass Behagen und Regelmässigkeit, Taktstrenge und jene
«Reinheit des Geschmacks, welche ausschliesslich in Italien
wohnt», mit der Hoheit der Kunst recht wenig zu thun
haben. Sie hat nur einem Werke Rossinis das Leben
gegönnt ; die harmlose Farce, zu welcher Beaumarchais'
unverwüstlicher und keineswegs harmloser «Barbier von
Sevilla» zurechtgestutzt wurde, vertrug die ungetrübte
Heiterkeit der altfränkischen Salonmusik. Hier hatte das
Philisterium keine Gelegenheit üppig zu werden, und so
zeigte es einen Augenblick seine gute Seite, die welt-
männische Liebenswürdigkeit.
Völlig anders tritt uns Donizetti als Mensch wie als
Künstler entgegen. Bei ihm ist alles einheitlich ; man
mag diese Natur einseitig, ja beschränkt und schwächlich
finden, sie ist konsequent, und weniger als je braucht
man hier den Menschen vom Künstler zu trennen. Er
lebte vom ersten Erwachen des JUnglingsgeistes bis zum
letzten Athemzuge nur der Kunst und zwar, wenn man
genauer zusieht, nur seiner Kunst im allerstrengsten
Sinne. Bei Rossini sehen wir eine starke Negation,
scheinbar den Kampf eines Stiles gegen den andern,
in Wahrheit den Kampf der Ideenlosigkeit gegen die
Idee; bei Donizetti stets nur ein Positives, ein Hindrängen
auf einen Punkt, eine Betonung desselben Wesens. So
kommt es, dass Rossini in allen seinen Lebensphasen
durch eine Manifestation charakterisirt wird, deren Heraus-
gabe seinen Biographien zur Ergänzung dient. Donizetti
pflegte dagegen überhaupt keine Manifeste zu erlassen,
seine Briefe gehören alle zusammen, keiner ist wichtiger
als der andere, keiner für sich oder im Auszuge mittheil-
bar ; dafür aber giebt dieses Ensemble seine volle Persön-
lichkeit, so dass sie eine Biographie geradezu ersetzen.
Was man über Donizetti wissen will und wissen muss, lernt
man aus diesem Bändchen, und man lernt es schneller als
aus irgend einer erzählenden Bearbeitung. Man sieht seine
musikalische Ausbildung einseitig aber rapid sich voll-
ziehen , man sieht seine Entwickelung durch allerlei
Stellungen, die ihn mehr oder weniger kalt lassen, seinen
Taumel von einem Siege und einem Triumph zum andern,
sieht seine Art zu schaffen, zu empfinden und zu denken,
sieht vor allem seine Reizbarkeit, welche genährt durch
eine rückhaltlose Hingabe an den Strudel des gross-
städtischen Treibens seinen tragischen Untergang zur
Folge haben musste. Diese Lebendigkeit , mit der er
sich tummelt , die Frische , mit der er jeden Eindruck
empfängt , verhindert auch , dass die Leetüre dieser
Briefe langweilig wird, obgleich ihr sachlicher Inhalt im
Grunde ein recht bescheidener ist. Wieder und wieder
handelt es sich um Bestellungen und Verträge, Proben
und Aufführungen, Hofgesellschaft und Theaterklatsch;
unzählige Male kehrt die Situation wieder, dass der
16
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Komponist durch die Unpünktlichkeit der Textlieferanten
in peinliche Verlegenheit geräth, sein Wort dem Director
dennoch um jeden Preis halten will und so in unglaublich
kurzer Zeit Unsummen von Musik zu Tage fördert. Uns
ist es ja schliesslich gleichgiltig, ob eine Oper Fiasco
macht oder nicht, ob ihn der König von Neapel zum
Konservatoriumsdirector, der Kaiser von Oesterreich zum
Kapellmeister ernennt oder nicht, ob ihn das Institut
de France auszeichnet, der Chauvinismus verfolgt oder
Victor Hugo aus Eifersucht über sein literarisches Eigen-
thum geschäftlich schädigt. Ja selbst der Schmerz über
den Tod der Gattin während der Cholera oder die Freude
über einen türkischen Orden für neue Militärmärsche
entlocken uns kaum mehr als ein flüchtiges Interesse.
Die biederen Herausgeber der Sammlung allerdings
preisen in ihren Einleitungs- und Begleithymnen diese
Züge als etwas göttliches und erschütterndes ; aber mit
ihrer Rührung beweisen sie nur, dass die schmachtende
Sentimentalität allmählich den Weg über die Alpen
gefunden hat wie das Biertrinken und das Spazieren-
gehen. Solche Ergüsse könnte sich die Unione coopera-
tiva editrice getrost ersparen ; die Briefe sprechen für
sich selbst. Sie zeigen ganz im Gegensatze zu denen
Rossinis eine kindliche Natur, die niemandem etwas thut
und sich um niemanden recht kümmert. Wendet sie
einmal den Blick bestimmt auf ein Objekt, so erkennt
sie es auch, und man kann einer treffenden Bemerkung
sicher sein. Aber das geschieht selten, z. B. bei Er-
scheinungen wie Meyerbeer und Liszt, und dann halb
apathisch, wie im Traume; unbewusst geht sie durch's
Leben, ohne klare Erkenntniss ihrer Umgebung wie ihres
eieenen Innern. Daher auch die oft kindischen Redens-
arten, die knabenhafte Ausgelassenheit, die man aus
Mozarts Briefen kennt ; die Aehnlichkeit mit Mozart tritt
auch sonst hervor, und die Unterschiede beider Er-
scheinungen erklären sich vielmehr aus der Erziehung
als aus dem Charakter. Oft würde man nach der Sprache
glauben, den ungebildetsten Musikanten vor sich zu
haben, wenn nicht wieder andere Stellen eine ent-
schiedene Sprachroutine bewiesen. Die bösesten Knittel-
reime wechseln mit eleganten Gedichten, und man ver-
steht, wie dieser Mensch die Texte, die er französisch
komponirte, italienisch übersetzen konnte oder um-
gekehrt. Seine Stellung zu den Textdichtern ist aber
am überraschendsten. Man erwartet bei einem Italiener
dieser Zeit, noch dazu bei einem solchen Engros-
komponisten, eine absolute Gleichgiltigkeit gegen den
Inhalt; denn darin liegt der Hauptunterschied zwischen
den deutschen und italienischen Meistern, dass jene Dramen
schaffen wollen, diese dagegen Arien und Finales, also
Musiksätze, bei denen man vor lauter Canto vom Text
so gut wie nichts vernimmt. Donizetti war gewiss ein
echter Italiener, der von seinen Romanzen und Duetten
nicht anders spricht, als ein Pianist von seinen Rondeaux
und Variationen; er schreibt für Sänger und Freunde
schönen Gesanges ; aber unbewusst arbeitet in ihm doch
der Dramatiker. Häufig weist er einen Text zurück, und
zwar stets aus inneren Gründen; ja er, der fortwährend
berühmte Schauspiele zu Opernlibretti umgemodelt werden
sah und selbst mit einer derartigen Herrichtung von
V. Hugos Lucrezia Borgia ungeheueres Aufsehen erregte,
lehnte so manches Drama, manchen Roman ab, der damals
die Gemüther beherrschte. Unter den letzteren befand
sich auch Bulwers Rienzi, derselbe den nachher Wagner
mit so viel Begeisterung in Angriff nahm. Auch in diesen
Intentionen Donizettis lag sichtlich etwas unbewusstes;
im tiefsten Grunde seiner Seele, da wo ihm jene Melodien
erstehen , die bis heute populär geblieben sind, wohnt
auch ein Ringen nach Ausdruck, nach Poesie, nach Idee,
— alles das was die Handwerksmusiker nicht verstehen
und so ausdauernd verfolgen. Die Behauptung ist berech-
tigt, dass auf diesem Grundzuge zum grossen Theile
der Erfolg und, was mehr ist, der bleibende Werth der
Donizetti'schen Musik beruht. In Deutschland gehört
heutzutage vielleicht etwas Muth dazu, überhaupt von einem
bleibenden Werthe dieser Musik zu sprechen : dort herrscht
nun einmal die Wagnerpartei — zum Heile unserer Kultur
und Politik hat sie die Gegner endlich überwunden — und sie
negirt in übertriebenem Eifer die italienische Musik, am
meisten vielleicht diesen Donizetti, den Wagner selbst
gern für breit und altmodisch erklärte. Ja es bedurfte
nicht erst Wagners zu diesem Verdikt; ein ausser-
deutscher und in jeder Hinsicht unparteiischer Beurtheiler,
Gustave Flaubert , hat in einem Roman und zwar in
seinem glänzendsten Werke gerade die Lucia gewählt,
um durch Beschreibung eines Opernabends das schablonen-
hafte und sinnlose unseres Musiktreibens zu persifliren.
Aber weder dem einen noch dem anderen ist es ge-
lungen, eben diese Lucia todt zu kriegen; sie hält sich
nach wie vor, und diejenigen Freunde der Wagner'schen
Kunst, welche aus ihrem Empfinden keine Parteisache
gemacht haben, kann man mit derselben Begeisterung das
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
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berühmte, von Liszt arrangirte Des-dur-sextett geniessen
sehen, wie etwa ein Ensemble aus dem Lohengrin.
Damit nicht genug: eine Fähigkeit muss ihm die Geschichte
lassen, welche ihn über alle italienischen und die meisten
übrigen Theaterkomponisten erhebt und welche sich noch
jetzt in ihrer ganzen Folgenschwere zeigt : er hat es ver-
mocht, den ernsten und den heitern Stil auf der Bühne
gleichmässig walten zu lassen, während uns Rossini
immer nur als Komiker und der um so viel tiefere
Verdi immer nur als Tragiker gelten wird. Das
Thema gewährt ja ungeheure Ausblicke; bedenkt man,
dass Sokrates der erste Mensch war, welcher, unter
allgemeinem Widerspruch selbst seiner ergebensten
Schüler, die Schöpfung von Lustspielen und Trauer-
spielen durch einen Dichter für möglich erklärte, und
dass zwei Jahrtausende vergehen mussten, bis Shakespeare
diese Prophezeiung erfüllte, dann wird man jeden Künstler
mit Achtung nennen, der sie irgendwie von neuem wahr
zu machen wusste. Richard Wagner gehört zu diesen
wenigen ; sein Antipode, der Schöpfer des Don Pas-
quale und Elisire (Taviore nicht minder. Beiden gebührt
ihr Platz im Kunstleben der Gegenwart, ohne dass sie in
Parallele gesetzt werden sollen, und es ist sehr zu be-
zweifeln, ob die Zukunft im Stande sein wird, den einen
ohne den andern zu eliminiren.
Die blosse Thatsache, dass es anging, Donizetti bei
Betrachtung seiner Briefe in einem Athcm mit Wagner
zu nennen, zeigt ihre eminente Bedeutung. Alles, was
sie uns für die Natur ihres Verfassers lehren, alle jene
Charakterzüge von der höchsten Inspiration bis zur nied-
rigsten Spielerei, verrathen das eine: das Genie. Es ist
ein Künstler, welcher schafft, ohne zu ahnen, wie und
was er .schafft. Eine Oper nach der andern entsteht,
ihr Autor lebt nur für sie ; dennoch ist dieses Interesse
nur ein mattes, als ob eine durchsichtige aber unzerstör-
bare Wand ihn von jenen trennte. Er komponirt, wie
er lebt, eilig und doch halb im Schlafe. Seine Werke
fesseln ihn halb, nichts fesselt ihn sonst; worin lebt dieser
Mensch ganz? Nirgends; die Erscheinung ist ein Räthsel,
jenes Räthsel, welches durch das Wort Genie stets von
neuem gelöst und wieder gestellt wird. Auch hier darf
an die Aehnlichkeit mit Mozart erinnert werden; doch
sind Mozarts Briefe nicht die einzigen, welche eine Ana-
logie bieten. Ist es denn mit Schumanns, Webers, ja selbst
mit Beethovens Briefen wesentlich anders? Finden wir
nicht dieselbe Verlorenheit, dieselbe Unsicherheit gegen-
über der äusseren Welt, denselben ungleichen Kampf
von zwei inneren Mächten, die sich nie fassen können?
Ja , vielfach stimmen selbst die Aeusserlichkeiten überein.
Schumann schafft und schafft, aber im Momente der Voll-
endung steht er seinem Werke fremder gegenüber als der
phlegmatischeste Tagesmensch, als der erbittertste Geg-
ner; denn der Gegner nimmt Stellung zu dem Werke,
der Schöpfer kann es nicht, denn er weiss nicht was es
ist. Und Beethoven, der gewaltigste unter ihnen allen,
der Riese, vor dessen Erscheinung eine ganze Civilisation
erbebt, dessen michelangeleske Faust zertrümmert wo
sie nur anpackt , um aus den Trümmern Kolosse, und
aus den Kolossen eine neue Welt zu fügen — ach , mitten
unter den hehrsten Emanationen seines Geistes, in Briefen,
die wie seine Adagios rühren und erheben , verfällt er
plötzlich in eine Art von Albernheiten, dass man die
Selbstkarrikatur nicht als komisch, ja nicht einmal lächer-
lich, sondern nur erbärmlich empfindet. Es ist das Kains-
zeichen des Genies, das alle diese unheimlichen Gestalten
an der Stirne tragen; das Genie das in ihnen sitzt und
Werke erzeugt, hat ihrer Menschlichkeit die Kraft aus-
gesogen, so dass nur der leere Schemen eines Menschen
übrig bleibt zu einem menschenunwürdigen Dasein. Aber
Wagner? und Berlioz? Gewiss geht bei dem französi-
schen Farbenmeister alles höchst klar und korrekt zu,
selbst wenn er haufenweise Inkorrektheiten an einander
reiht um desto sicherer Sensation zu machen. Ja, wer
seine Schriften und Briefe liest, wird eher einen geist-
reichen Abenteurer als einen echten Künstler vor sich
zu haben glauben ; und sollten dem die Partituren wirk-
lich Unrecht geben ? — Das Wagnerkapitel ist natürlich
so leicht nicht zu erledigen; aber die Zeit dürfte nicht
allzu ferne mehr sein , wo die Analyse der Dramen
bestätigt, was die Briefe sehr offen aussagen, nämlich
dass er grosse weite Strecken seiner Werke ausarbeitete
nicht wie ein Dichter, sondern wie sein Kommentator,
nicht wie ein Künstler, sondern wie ein Philosoph. Er
beobachtete sich — zum Glück nicht immer, denn das
Genie beobachtet überhaupt nicht. Dass aber der arme
Donizetti, den so viele für einen Faiseur ausgeben, viel-
mehr unter die wirklichen Genies gehört, das zeigen
dem aufmerksamen Beobachter seine Briefe.
-»»»t«g«(-
UNSERE BILDER.
In einer Berliner Kunst-
handlung war unlängst
ein Bild von Francisco de
Pradilla ausgestellt. Vor dem
Bilde stand lange Zeit ganz
vertieft in alle Einzelheiten ein
älterer Herr von
~'^*''^°^ sehr kurzem Kör-
per mit schwerem
Kopf und auf die
Brust niederge-
drücktem
Kinn. Es
war Adolf
Menzel. Der
■'"y-£~ --.^^^ \i\^^^=:^\_ Saaldiener
•"""^"^^ ' "-" erzählte, er
Hermann Kaulbach. Studie. sei schon
Öfter wieder-
gekommen und habe immer lange vor diesem Bilde sinnend
verweilt. Ich trat auch an das Bild heran. Der deutsche
Meister schüttelte den Kopf und brummte etwas vor sich hin :
«Der hat Augen, der hat Augen!! Der sieht so
scharf» — Menzel suchte sichtlich nach einem Ver-
gleich — «der sieht so scharf, wie — ich!»
Wir führen unseren Lesern eine Wiedergabe von
Pradillas kleinem Bilde «Seebad» vor. Der spanische,
meist in Rom lebende Meister, welcher oft auf gewaltiger
Leinwand in lebensgrossen Gestalten sich erging, liebt jetzt
die kleinsten Formate. An der Behandlung des lockeren
Strandkieses auf unserem Bildchen sieht man, dass er mit
breitem Pinsel zu malen weiss. Das Ganze erweckt aber
keineswegs den Eindruck des Spitzen, Mühseligen,
Loupenhaften. Doch ist bei aller Breite des Vortrages
jede Kleinigkeit im Bilde sicher und klar gegeben. Man
sehe zum Beispiel die drei Paar nach dem Klang der
Ziehharmonika und der Guitarre tanzenden Schiffer-
mädchen: Welcher Schwung in der Bewegung 1 Wie fest
packt die Hand der Einen die Schulter der Andern I
Und das ganze zwischen den acht italienisch sorglos
erbauten Hütten, an den rasch aufgeschlagenen Tischen
lachende, trinkende, schwatzende Badepublikum in seiner
eleganten Ungenirtheit, der Blick auf's tiefblaue Meer
und auf die ihm eben Entsteigenden, dieses ganze keines-
wegs an die langweiligen Modebäder Ostende, Trouvillc
oder Brighton mahnende, sondern noch unbefangene
lustige Treiben. — AU' dies ist mit einer erstaunlichen
Schärfe erfasst und mit einer Kraft des Sonnentones
durchgeführt, die schier einzig in ihrer Art sind.
Lustig flattert die italienische Fahne über den
belebten Strand hinaus, der endlosen See zu.
Hermann Kautbach. Studie
Ludwig Entui plox.
J'i.n! K H inf-tii-U/l. Mü
Katzen fr eundin.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
19
Hermann Kaiäbach. Studie.
Unser Ludwig Knaus nennt eines seiner jüngsten
Werke «Die Katzenfreundin». Das Bildchen ist zweifel-
los Portrait : Die weitstehenden, etwas geschlitzten Augen,
das kecke Naschen, den kunstgerechten, lächelnden Mund
und das keineswegs klassische aber herzige Rund des
Lockenköpfchens erfindet man nicht, malt man nicht,
ohne es in der Natur gesehen zu haben. Sie strickt, die
anmuthige Kleine, und die gefleckte, auf ihrem Schooss
liegende Katze schnurrt dazu. Der Meister aber verglich
beim Skizziren das Charakteristische der beiden Köpfe und
er fand, wie bei dem einschmeichelnden Mädchen, bei
der Katze weitstehende, etwas geschlitzte Augen, ein
keckes Naschen, ein feines, reinliches Mäulchen und
kugelrundes Köpfchen. — Und er mag wohl gelächelt
haben, indem er der Katzenfreundin im Bild die Katze
in den Schooss legte.
Auf der letzten Münchener internationalen Aus-
stellung erregte R. Pötzelbergers «Thallandschaft»
grosses Aufsehen. Man war von dem Künstler fein ge-
stimmte, tiefempfundene figürliche Arbeiten gewöhnt, man
wusste wohl, dass er seine Gestalten in eine landschaftliche
Umgebung zu stellen wusste, die das ergänzende Wider-
spiel der sie bewegenden Stimmungen bildete. Aber
eine so farbentiefe , ernste und sinnige Landschaft war
aus Pötzelbergers Werkstatt noch nicht hervorgegangen.
Es scheint fast, als habe die Kunst des Hans Thoma,
diese frische, einfache Naturaufiassung auf ihn befruch-
tend gewirkt. Denn so wenig sein Bild einem Thoma
ähnelt, so sehr ist es von der sinnigen Tiefe der Natur-
beobachtung beherrscht, welche den Frankfurter Künstler
so eigenartig von anderen Meistern unterscheidet.
Es ist Abend und die Gegend liegt schon in
dämmerndem Zwielicht. Pötzelberger schaut vom Hügel-
rande zur Mühle in's Thal hinab, auf die mit Wiesen,
Feldern, Busch bestandenen Lehnen, auf die Auen am
Bach, auf die Heuernte, in welcher man den letzten Wagen
einzubringen sich müht, und die zum-Stall heimziehenden
Gänse. Es ist keine « romantische » Gegend, keine solche,
welche der Tourist «malerisch», oder, wenn er sich
Hermann Kautbach. Studie.
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DIE KUiNST UNSERER ZEIT.
Hermann Kaulbach. Studie.
besonders kunstgebildet erweisen will, «pitoresk» nennt — es
ist nur ein Blick in deutsches Land, ein eindringlicher, liebe-
voller Blick, dem ein echter Meister Dauer und Nachdruck
zu geben verstand.
In einem seiner geistvollen Briefe sagt Karl Stauffer-Bern :
«Es giebt nur eine Kunst, nämlich die, welche hervorgebracht
wird durch die Freude an der Natur und die nichts weiter
sucht, als diesem Gefühl Ausdruck zu geben » — Pötzelberger
hat diese eine Kunst . . .
Der Berliner Akademieprofessor Eugen Brachlist im
vorigen Jahre wieder einmal tief unten im Orient herumgeritten,
um am todten Meere und in Baalbeck, in Syrien und Palästina
nach jenen Gegenden zu suchen, welche ihn besonders maler-
isch anregen: Wilde Berggruppen, gewaltige Steinmassen,
eine ernste, feierliche Felseneinöde oder die unerfassbare
Weite einer Wüste, der See — das sind die Dinge, in welchen
sein Pinsel schwelgt. Es ist noch ein Zug der Kunst des
alten Schirmer oder Lessings in ihm. ' .
Er wirkt durch Stimmungen auf das
Gemüth, durch scharf hingestellte Gegen-
sätze auf den Verstand. So in unserem
Bilde «Die Klause».
Die Wohnung des Eremiten ist prachtvoll gewählt. Ein schmaler Weg, den
er sich selbst baute, führt zu einer Schlucht im gewaltigen Felsen. Der manns-
hohe Steindamm, der über dem jähen Abhänge aufgeführt wurde, schützt den
Alten und seinen kleinen Vorhof vor dem wildesten Anprall des Sturmes.
Durch eine schlichte Mauer ist unter dem überhängenden Felsen die Klause
abgeschlossen. Ein Kreuz ziert die Thüre. Dort, unter dem Schutz der
überhangenden Felsenmassen, sitzt der Alte trocken und sicher. Riesenhaft
thürmt sich das Felscndach über seine Lagerstätte. Von unten,
vom Meeresufer herauf aber schlängelt die üppige Kleinwelt des
Südens in Blumen und Sträuchern ihr buntes Netz empor, jeden
Vorsprung, jede handvoll fruchtbare Erde benützend, um den
starren Fels zu schmücken, an dessen Fuss die See sich in blauer
Weite dehnt.
>l 1^'/
/
Hermann Kaulbach. Studie
Ka^en Brftcht pinx.
Pbol. f. BanrsUMBl, MQnchrn.
Die Klause.
DIE AMERIKANISCHE MALEREI IN EUROPA.
(MIT BERÜCKSICHTIGUNG DKR MÜNCHKNER AUSSTELLUNG 1S92.)
Von
CORNELIUS GURLITT.
An einem Junitage des Jahres 1760 rollte ein
feierlicher Zug von dreissig schweren Pracht-
- wagen die Rampe zum Kapitol hinauf. Es
waren die Mitglieder der berühmten und vornehmen
Gesellschaft der Dilettanten, das ganze kunstgelehrte und
kunstsinnige Rom , welches einem jungen Maler das
Geleit gab, um ihm die damals vor Allen hoch ge-
feierte Statue der alten Kunst, den Apoll von Belvedere,
zu zeigen oder richtiger , um ihn selbst zu beobachten,
welchen Eindruck wohl das kostbare Werk griechischer
Meisterschaft auf den Jüngling ausübe !
Das schmale, schlanke Männchen von nun zweiund-
zvvanzig Jahren, welches, leicht in Verlegenheit gebracht,
roth wurde wie ein Mädchen, machte keineswegs seiner
selbst willen den Eindruck, als sei es von so besonderer
Bedeutung. Das Einzige, was ihn von seinen Be-
gleitern unterschied, war die Einfachheit seiner schwarzen
Kleidung, die fremdartig hässliche Form seines Hutes,
die Schlichtheit seiner Erscheinung. Der junge Mann war
vor wenig Tagen in Livorno auf einem geraden Weges
von Nordamerika kommenden Schiff gelandet. Er hatte
wenig Empfehlungen mitgebracht, aber die Kunde von
der Ankunft des Jünglings hatte sich merkwürdig
schnell verbreitet. Benjamin West , der Sohn eines
Quäkers und Penn'schen Kolonisten, war ja «drüben»
schon eine bekannte Persönlichkeit. Er hatte vor vier
Jahren in Philadelphia und New- York Bildnisse zu malen
begonnen, nachdem er in der unmittelbaren Nähe der
Indianer gemeinsam mit den von seinem Vater aus
christlicher Liebe in Freiheit gesetzten Sklaven auf-
gewachsen war. Es galt als ein Wunder, dass in
solcher Umgebung künstlerische Begabung zu Tage ge-
treten sei. Und wenn West gleich für fünfzig Mark ein
Bildnis und für hundert ein solches in ganzer Figur lieferte,
so war er doch einer der ersten Künstler, den die neue
Welt gebar. Diesen kennen zu lernen, reizte die römischen
Kenner. Nicht seine malerischen Leistungen empfahlen
ihn vor Anderen, sondern der Sagenkreis, der sich um
ihn gebildet hatte
Man hörte von dem wilden Leben , weiches seine
Jugend umtobte, von Kämpfen mit den Indianern, von
dem an den Zug des Germanicus in den Teutoburger
Wald mahnenden Begraben der Reste des Braddock'schcn
Heeres, welche ihn zur bildlichen Darstellung angeregt
hatte, von seinem Versuche , dort hinten in den fernen
Wäldern des Westens ein Bild vom Tode des Sokrates
zu entwerfen. Man erwäge wohl, welche Gedanken-
verbindungen dies für die Römer bot : Der Kenner
der grossen Stoiker des Westens, der Mohikaner und
Dclawaren, malt den Stoiker der Griechen! Es schien,
als stelle dieser Mann aus dem schlicht frommen, streng
sittlichen Kreise der Quäker den Anfang einer Kunst-
verjüngung dar; als bringe dieser Jüngling das ersehnte
Neue, er der Künstler wurde, obgleich ihm erst die Ge-
meinde das Malen hatte gestatten müssen. Denn dies
galt ihr als weltlicher Tand, der aber doch wohl nicht
gottlos sein könne, wenn Gott einem der Ihren so viel
Kraft dazu verliehen habe. Man muss eben bedenken,
dass kurz vorher der junge Jean Jacques Rousseau sich
im Sinne von Fox und Penn in seinem « Discours sur
les arts et sciences » dahin geäussert hatte, Kunst und
Wissenschaft brächten keineswegs eine Verbesserung der
Sitten mit sich ; dass das eben erschienene Buch « La
nouvelie Hcloise» damals die gebildete Welt tief erregte.
22
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
in welchem Rousseau die Rückkehr zur Schlichtheit
eines Naturzustandes, die Ueberlegenheit der Unver-
bildeten über die Träger der alternden Kultur zu
predigen begann — gerade in diesem Augenblick trat
den Männern, welche sich als Vertreter eines über zwei-
tausendjährigen Geisteslebens, als Herren auf dem alt-
heiligen römischen Kunstboden fühlten, der Jüngling
aus der neuen Welt entgegen: Die Zukunft meldete
sich an den Thoren der Vergangenheit!
Deshalb war man so gespannt auf den jungen
Amerikaner. Der blinde Cardinal Albani betastete ihn
körperlich, nachdem er sich vorher neugierig erkundigt
hatte, ob er schwarz oder weiss sei. Geistig betastete
ihn ganz Rom. Wie wird er sein, wie wird auf ihn das
Höchste wirken was die Kunst je geleistet hat? So
frisch und durch Schulen unverdorben als dieser, kam
nicht leicht ein Künstler an die Tiber!
Der Quäker war aber trotz seiner jungen Jahre
und seines schüchternen Aussehens ein formgewandter
Mann, der sich zu beherrschen wusste und mit der Be-
dächtigkeit seiner Glaubensgenossen sich wohl hütete,
als thöricht zu erscheinen. Jedenfalls schlug er den ihn
bevormundenden gelehrten Herren ein Wippchen, als er
sein Examen zu bestehen hatte. Diese drängten sich rings
um ihn, neugierig seine Mienen erforschend, als die Statue
des Apoll plötzlich vor ihm enthüllt wurde. Mit freudigem
Erstaunen rief er aus: «Mein Gott, ein Mohikaner
Krieger!» und hatte damit gerade Das getroffen, was
viele von Jenen zu hören wünschten. Andere schüttelten
freilich den Kopf zu diesem Vergleich , bis ihn West
mildernd erklärte: er habe oft pfeilschiessende Indianer-
helden in dieser Stellung gesehen. Nun war man aber
auch allgemein befriedigt von dem Eindruck. Denn man
lebte in der Zeit der beginnenden Sentimentalität, in der
das Ferne an Zeit und Raum als das Bessere, Glücklichere
zu preisen beliebt war: Der zweitausend Jahre alte Gott
erschien dem fremden Jüngling wie ein zweitausend
Meilen entfernter Wilder aus jenem Stamme, der doch
« bessere Menschen » zeitigte. Es war sein Ausspruch
ein Vorgreifen der bald darauf durch Jean Jacques
Rousseaus «Emile» verkündeten und von aller Welt
mit Begeisterung erfassten Erkenntnis, dass allein die
einfache Natur die wahre Schönheit und die schöne
Wahrheit in sich berge. Der Quäker aus dem neu
entdeckten, von europäischer Verbildung unbeleckten
fernen Westen hatte es verkündet: Die wilden Mohawks
gleichen dem Apoll von Belvedere! Dort wandelte also
die göttliche Vollendung in klassischer Nacktheit auf
Erden, dort im neu erschlossenen Lande der Einfachheit
und Natürlichkeit!
So führte sich durch West Amerika in die euro-
päische Kunst ein. —
Freilich so ganz Neuland für die Kunst, wie man
in Rom glaubte, war damals die westliche Küste des
Oceans doch nicht. Was der englische Stich schon
damals leistete, was von Holland ausgeführt wurde,
führten schon die Schiffe über das Meer. Schon hatte
die schottische Einwanderung einige Künstler mitge-
bracht. Das älteste, als « drüben » entstandene bekannte
Kunstwerk dürfte die Zeichnung in Sepia sein, welche der
seit 171 5 in Perth Amboy N.J. wirkende Maler John
Watson schuf: Es ist eine Venus mit dem Cupido, also
wahrlich kein geistig auf amerikanischem Boden erblühtes
Erzeugnis. Ein anderer Schotte, John Smybert,
brachte die Kopie eines Van Dyck , die er in Italien
gemacht hatte, 1728 mit über das Meer. Nicht seine
eigenen Bildnisse, sondern dieses des Kardinal Bentivoglio
kann man den Quell nennen, von welchem die Kunst
der Vereinigten Staaten ausging. Zwei der bedeutendsten
ihrer Künstler, John Trumbull und Washington
Alls ton, leiten auf die Anregungen, welche von diesem
farbenkräftigen Bilde ausgingen, zurück, dass sie selbst
in der Malerei vorwärts kamen. Henry Bembridge
hatte bei Mengs und Battoni studirt, ehe er in die neue
Welt fuhr.
Freilich bot das Land drüben zunächst noch harten
Boden für die Kunst. Robert Feke hatte um seiner
sündigen Kunstliebe willen schwere Kämpfe mit seinen
Glaubensgenossen, den Quäkern, zu bestehen, bis er
abenteuernd in spanische Lande auswanderte. Aber er
wusste seine Zeitgenossen im Bilde festzuhalten mit
tüchtigem , nüchternem Ernst , und es war immerhin
ein erfreulicher Zug, dass die Malerei auf das That-
sächliche, auf den lebenden Menschen hingewiesen,
und von den Kolonisten das Bildnis der «Venus mit
dem Cupido » vorgezogen wurde. Denn das Bildniss
bildet das Rückgrat aller echten Kunst! —
West wusste sich bald in Italien noch auf andere
Weise als blos durch sein Amerikanerthum eine Stellung
zu machen. Sein erstes in Rom gemaltes und ohne seinen
Namen ausgestelltes Bild gefiel so, dass man es anfangs
für einen Rafael Mengs hielt. Man muss wissen, was
DIE KUNST UNSERKR ZEIT.
23
Kengon Cox. Bildnis des Bildhauers Aug. H. Gaudens.
das hiess: Mengs, der damals die Villa des Cardinal Albani
ausmalte, galt, obgleich er selbst erst einige Dreissig zählte,
für einen der ersten Meister aller Zeiten, um dessen
Werke sich die Fürsten und Reichen stritten. Er war
Direktor der Kunst-Akademie auf dem Kapitol. Als es
bekannt wurde, der junge Amerikaner habe das Werk
geschaffen , erfasste fast ganz Italien ein Rausch der
Begeisterung. Die sonst so verzopften Akademien von
Parma, Bologna, Florenz machten den Jüngling zu
ihrem Mitglied; der König von England, damals noch
Herr der Kolonien, bewilligte ihm durch seinen römi-
schen Gesandten weitgehenden Kredit. Man begann
auf sein Urtheil zu hören und er durfte es wagen, Michel
Angelos Gestalten für unwahrscheinlich zu erklären , ja
man freute sich mehr für Rafael als für West, als dieser
erklärte, dass ihm jenes Werke täglich mehr als sehens-
werth , natürlich und vornehm erschienen. Die neue
Welt trat stolzen Schrittes in die Kunst ein !
Im Jahre 1763 ging West nach London. Es war
damals dort zweifellos der heisseste Boden für Künstler
in Europa. Denn die englische Malerei hatte plötzlich
ihren stolzen Lauf begonnen. Freilich der erste An-
sturm war vorüber. Hogarth war schon den Siebzigen
nahe, er hatte eben sein Buch über die Schönheitslinie
als den Auszug seines ganzen künstlerischen Denkens
herausgegeben. Der Kritiker der Weltsitten, der Swift
unter den Malern, hatte nun alle Hände voll zu thun,
sich der Kritiker seiner Ansichten zu erwehren. In
seinem letzten grossen Werke, der jetzt im Saone-Museum
in London befindlichen Reihe von vier Bildern « Die
Wahl » , waren die Farben schon sehr grau , der so be-
liebte « opake » Ton der Holländer schon sehr gläsern,
der Aufbau, ja selbst die Perspektive nicht ohne Mängel.
Schon lange empfand man in London das Sinken von
Hogarths Stern. Reynolds stand zwar auf der Höhe
seiner Kunst wohl als der grösste Maler der Zeit , aber
er schuf nur Bildnisse und hatte es aufgegeben, Geschichts-
bilder zu malen, obgleich diese für die höchste Leistung
der Kunst gehalten wurden; Gainsborough lebte
noch in Bath als ein in seinem Werth unerkannter
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Landschafter; Wilson, sein Vorbild im Erfassen der
leblosen Natur, der ijrosse Stilist im Sinne Claude
Lorrains unter den Engländern, fand bei seinen Lands-
leuten keinen Anklang, so dass er dem Elende nahe
war — es fehlte England augenblicklich an einer führen-
den Kraft. Nachdem es mit dem überderben Realismus
Hogarths begonnen hatte, mit einer Kunst, welche vor
Allem im unerbittlich wahren , ja übertriebenen Aus-
druck selbst des Hässlichsten ihr Ziel sah , die aber
dieses unkünstlerischer Weise für sittliche Zwecke dienst-
bar machen wollte, war es in Reynolds und Wilson einer
reinen Schönheit zugefallen, einem starken Streben zu
idealisiren, die Natur über sich selbst in Ton und Zeich-
nung zu erheben. Der Reichthum und die geistige Höhe
des Landes, das eben auch in der philosophischen
Fortbildung des freiheitlichen Gedankens und in der
dichterischen Durchgeistigung der Sittlichkeitsbestreb-
ungen die Führung in Europa in die Hand genommen
hatte, auf Frankreich vorzugsweise politisch, auf Deutsch-
land dichterisch anregend zu wirken begann, bot den
besten Boden für einen neuen künstlerischen Geist.
Damals war der letzte Widerstand der Jacobiten gebrochen,
hatte in Amerika, wo die Franzosen unterlegen waren,
das Ringen noch nicht begonnen, weitete sich der ost-
indische Besitz Grossbritanniens und mit diesem trotz
der grossen Staatsschuld der Unternehmungsgeist und
der Wohlstand des Landes. Die politischen Kämpfe
unter Georg III., das Hereinziehen der Volksmassen in
das öffentliche Leben, der tiefgehende nationale Schwung,
all' diese Zeichen einer starken wohlthätigen Erregung
des Volksgeistes führten die Hauptstadt Englands immer
mehr an die Spitze der europäischen Kunststätten,
Auch in London schaffte sich West in raschem
Anlauf einen vollen Sieg. Heute ist er freilich auch
dort für die Menge fast verschollen und von den Kunst-
gelehrten vernachlässigt. Während man jetzt auch in
Paris und in Deutschland immer mehr die Grösse
Reynolds und Gainsboroughs , Romneys und Raeburns
und aller der englischen Bildnismaler aus der Zeit des
Swift und Walter Scott, des Pitt und Wellington er-
kennen lernt, fällt nur wenig Ruhm auf den Amerikaner.
Aber seine Zeitgenossen sparten mit diesem nicht, L^nd
sie thaten sehr wohl daran, denn West brachte that-
sächlich Neues und Eigenartiges nach London, Zwar
seine Farbe war so klassisch akademisch, wie man sie
nur immer damals in Rom sich aneignen konnte. Es
ist jene Farbe, welche Goethe in seinen späteren
Jahren, als auch er ihrer fahlen Buntheit satt geworden
war, « nebulistisch » nannte. Der englische Maler Haydon
nannte sie Ziegelstaub, unerfreulich für Einbildung und
Herz ; der Rammbär im Hafen von Portsmouth , sagte
er, könne ebenso gut malen als West! Und ein neuerer
englischer Kunsthi.storiker nennt ihn den König der
Mittelmässigkeit, einen durch und durch handwerks-
mässigen, akademischen Mann , der den Rezepten der
Rococokunst folge, und sie anwende, wie die Köchin
die ihrigen am Herde.
Damals, als er in London auftrat, war man anderer
Meinung, Die kalten, hellen, dünnen Töne, in welchen
er malte, wirkten überraschend gegenüber der malerisch
viel feineren aber tiefen, saucigen Farbe des Reynolds
und der harten, gläsernen des Hogarth, Sein erstes in
London gemaltes Bild « Pylades und Orestes als Geissein
vor Iphigenia gebracht», jetzt in der Londoner National-
gallerie — wahrlich kein «amerikanischer» Vorwurf —
zeigt alle Eigenschaften jener Schule, welche wir als
die des David zu bezeichnen uns gewöhnt haben. Es
ist ein David vor David, sauber gezeichnet, mit einem
dem klassischen Relief abgelauschten Schönheitsgefühl
für die Linie, einer der Auffassung der Zeit entsprechenden,
sinnig weichen Behandlung antiker Gegenstände, einem
zwar seichten, aber in der Gesammtstimmung des be-
ginnenden «iEmpire» höchst passenden hellen Ton der
Färbung.
Und so ist denn West , wie mir scheint, einer der
ersten Vertreter des abgeklärten Klassizismus, während
gleichzeitig in Mengs und Battoni die Barockkunst, in
Grenze und Reynolds das Rococo noch mitspricht. Er
steht auf einer Stufe mit den englischen Architekten
Adams, welche ja auch zuerst, früher als die Franzosen,
den Stil schufen, den wir fälschlich «Empire» nennen,
weil er erst dreissig Jahre später durch die Franzosen des
Kaiserreichs bei uns zum herrschenden gemacht wurde.
Dieser Klassizismus ist freilich so wenig echt antik,
als es etwa der des Palladio oder Schinkel war. Er ent-
wickelte sich aus Vorhandenem. Die Gesetze des Auf-
baues in seinen Schöpfungen mahnen an die Meister der
Renaissance, ihre mechanische Durchführung mehr noch
an Lebrun. Aber von diesen Gesetzen haben auch
die Deutschen der Folgezeit sich beherrschen lassen.
Man lege einmal einen Stich nach Lebrun, nach West,
nach Cornelius und nach Kaulbach neben einander.
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Träumend.
DIR KUNST UNSERER ZEIT.
Man wird bald erkennen , dass Cornelius zwar die
stärkste Persönlichkeit, dass aber seine apokalyptischen
Reiter aus denselben Anschauungen über künstlerischen
Aufbau hervorgingen wie Wests «Tod auf dem weissen
Ross->, welches 1817 entstand; man wird ferner sehen,
dass all' die ungezählten Geschichts- und Heiligenbilder,
welche der Amerikaner während seiner langen Thätigkeit
in London schuf, mit
den Werken Kaulbachs
eine ausserordentliche
geistige Verwandtschaft
besitzen — nur mit
dem Unterschied, dass
West früher da war
als Kaulbach. Auch
das äussere Leben der
vier Maler verlief ent-
sprechend ihrem geist-
igen Werthe. Corne-
lius, der tiefste und
grösste unter ihnen
hatte sein Leben lang
Kämpfe, die drei seich-
teren und der Welt sich
anbequemenden kann-
ten den Kampf nur als
den raschen Uebergapg
zum Siege. Sie waren
die Lieblinge ihrer Zeit,
ihnen huldigten die
Grossen, jubelte die
Menge zu. Bei Jenem
überwog die Stärke und
Eigenart des Mannes,
er forderte Unterord-
nung vom Geschmack
der Beschauer. Diese wussten meisterhaft ihre Zeit
idealistisch darzustellen , bis zu einem gewissen Grade
realistisch wahr zu erscheinen und doch etwas darzu-
bieten, was sich über die für platt gehaltene Wirk-
lichkeit erhob. Indem sie ihre Gestalten systematisch
ordneten, ihren Figuren eine mit dem antiken Kanon ab-
gemessene Musterform gaben , die Farbe im Einzelnen
leidlich richtig, im Ganzen aber nach dekorativen
Gesetzen umgestimmt anordneten , erschienen sie den
Zeitgenossen wahr und schön zugleich , als vollendeter
Walter Mac Eiven. Allerseelentag,
Ausdruck der nach Schönheit ringenden Welt. Nur
leider erkannte regelmässig die nachfolgende Zeit, dass
die Wahrheit nicht ganz wahr und die Schönheit nicht
ganz aus der Zeit selbst geboren, sondern entlehnt war
und feierte daher Lebrun wie West wie Kaulbach
nicht mehr als Schöpfer einer neuen, sondern im besten
Fall als Fortbildner der alten Renaissancekunst. Ja, zu-
meist folgte bitterer
Hohn dem über-
schwänglichen Lobe 1
Allen dreien war
emeinsam , dass sie
vorzugsweise durch den
Inhalt ihrer Bilder wirk-
ten, nicht durch die rein
künstlerischen Eigen-
schaften. Sie verstan-
den ihre Zeit und wuss-
ten, was dieser behagte.
Gerade in der Sicher-
heit des Gefühles für
das « Aktuelle » liegt
ein gut Theil ihrer Be-
liebtheit. Sie wussten
in der Kunst wie im
Leben sich in die Welt
zu schicken , wie sie
diese nun einmal vor-
fanden. Wie Lebrun
und Kaulbach wurde
auch West Präsident
der Akademie. Alle
drei waren wie berufen
zum Herrschen über
die Kunst, da ihre Ge-
dankenwelt eine durch-
aus auf das Gegenständliche gerichtete war. Auch
West war eine kalte , verständige , betriebsame Natur.
Schnell war er bei Hofe eingeführt und heimisch ge-
worden. Je mehr er stieg, desto mehr erschien er bei
vollendeten Hofsitten doch als der einfache Quäker.
Lehrte ihn sein Bekenntnis äussere Bescheidenheit, so
wuchs tief im Inneren sein Stolz. Die Geistlichkeit wendete
sich dem frommen Manne zu, der Erzbischof von York
warf sich zu seinem Beschützer auf. Es war damals die
Zeit jener Kunstfreunde, die man in Paris «donneurs des
26
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
id^es» nannte. Weil man den Inhalt im Kunstwerk
über Alles schätzte, glaubte man mit einem guten Ge-
danken dem Künstler ein grosses Geschenk zu machen,
an seiner Arbeit den wichtigsten Antheil zu haben. Der
König forderte von West den «Abschied des Regulus
von Rom » : West überstürzte sich in Entzücken über
diesen Gedanken,
Er selbst aber ging doch seine eigenen Wege.
Lange Zeit nach seinem Tode pries der Genremaler
Leslie ein Bild, welches West in seiner Heimath
gemalt hatte. Es stellte seine Familie dar. Der sauer-
töpfische, langweilige aber ehrliche Vater, die klein-
liche, beschränkte aber brave Schwägerin, der Bruder
mit dem etwas pfäffisch gekniffenen Gesicht, das
hilflose Kind beider, der Maler selbst als feiner Mann,
mit gepuderten Locken, Spitzenhemd, Palette, der mit
vornehm gefälligem Lächeln auf die feierlich trocken zur
Schau gestellte Gruppe schaut — AU' das hat einen
Zug von unbefangener Wahrhaftigkeit, der den Hochton
und die gespreizte Würdigkeit der grossen Geschichts-
bilder weit überragt.
Diese Wahrhaftigkeit aber gelegentlich auch in's
Geschichtsbild hineingetragen zu haben, das ist das eigene
Verdienst Wests. Das wäre vielleicht zu seiner Zeit
einem Europäer in gleicher Weise nicht möglich ge-
wesen.
Bei besonders feierlicher Gelegenheit, bei Eröffnung
der seither so bedeutungsvoll gewordenen königlichen
Akademie der Künste zu London im Dezember 1768,
stellte West sein berühmtestes Bild aus: «Der Tod des
General Wolfe in der Schlacht bei Quebeck» (13. Sept.
1759). Schon während des Malens war ein Streit mit
Reynolds ausgebrochen, welcher forderte, bei einem so
erhabenen Gegenstand müsse die erhabenste künstler-
ische Form gewählt werden, müsse also Wolfe und
seine Umgebung in antikem Gewände geschildert werden.
Solche Fragen gaben, wenn einmal aufgeworfen, endloses
Wasser auf die Mühlen der Kunstfreunde. West blieb
bei seinem Vorsatze, den sterbenden Helden und seine
Soldaten so zu malen wie sie waren, mit all' den für ächte
Schönheit damals als unwürdig geltenden , auf einem
erhabenen Bilde als lächerlich wirkend verschrieenen Ein-
zelheiten ihrer Kleidung und Ausrüstung. Er mochte
sich abermals bei Lebrun und dessen Schilderung der
Schlachten Ludwigs XIV. Muth geholt haben. Aber
der amerikanische Quäker überragte den in Rom ge-
bildeten Franzosen ganz erheblich an Kraft des Real-
ismus. Es entstand hier wirklich eines jener Bilder aus
der Tagesgeschichte von wahrheitlicher Absicht, wie wir
sie fälschlich als die Erfindung des Horace Vernet und
der Maler der napoleonischen Zeit ansehen. Wieder er-
weist sich in einem Gebiet des Kunstschaffens, welchem
bisher Frankreich als die frühere Heimath galt, England
als Führer — oder vielleicht gar Amerika!
Noch kennt bei uns fast Jedermann das West'sche
Bild in dem Stiche von Woollet, welches die Zeit-
genossen mit Jubel als eines der grössten Werke aller
Kunst aufnahmen. Zwar hat der Aufbau noch die
Gebundenheit der klassisch-historischen Schule, aber der
Ernst mit dem der Realismus durchgeführt wurde , ist
erstaunlich. Das Bild hat sich in seiner Wirkung nun
durch fast anderthalb Jahrhunderte erhalten — es wird
für alle Zeiten seinen Werth behaupten , wie es denn
von Reynolds vom ersten Tage an als Vorbote einer
Revolution in der Kunst bezeichnet wurde.
Noch einen Kampf focht West siegreich durch. Er
hatte den Quäkern sein Recht abgerungen, Maler zu
werden, seine Gottesgaben für die Kunst zu ver-
werthen: er rang ferner der englischen Hochkirche
das Recht ab , diese Gaben auch für sie zu ver-
werthen, indem er somit den kunstfeindlichen Geist
des Puritanismus besiegen half. Die Briten sollten ihm
dauernd dankbar dafür sein. Er war es, der durch
den König die Frage aufwerfen Hess , ob das Aus-
malen der Kirchen, wie man bisher zumeist behauptete,
gegen deren Würde und gegen den Ernst der Religion
sei; und sein Einfluss bewirkte es, dass die Bischöfe
diese Frage verneinten. So konnte er denn in achtund-
zwanzig Bildern die heilige Geschichte für die Kirche
darstellen und — fast eine halbe Million Mark dafür
einstreichen.
Dem Gange der geistigen Entwicklung Europas
mit feinem Gefühl für deren Walten vorauszugreifen —
das verstand West ganz vortrefflich. Als die Romantik
aus den düstern Bergen Schottlands nach London herab-
stieg, als Spensers Ritterromane aufs Neue die Geister
zu bewegen begannen, Macpherson den Ossian heraus-
gab. Bums den Naturton der schottischen Berge zu
Versen ausgestaltete, war er gleich dabei, der neuern
Richtung bildliche P'orm zu geben. Die «Einführung
eines Bischofs», «Den Ritter Bayard», «Die Höhle
der Verzweiflung» (nach Spensers «Ritter vom rothen
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
27
Kreuz») sind romantische, rein auf die Gemüthsstimmung
berechnete Schauerscenen , welche sich von den An-
fängen deutscher Romantik nur durch das frühere Er-
scheinen auszeichnen.
West ist nach all' dem nicht etwa ein Künstler
ersten Ranges. Er selbst freilich hielt sich dafür, er
betrachtete sich als das Gefäss göttlicher Sendung, als
ein geheiligtes Wesen, als den Gründer und Führer der
englischen Kunst und einer neuen Kunst überhaupt.
Nur in Napoleon sah er einen Mann , mit dem er sich
zu messen habe. War doch auch sein Leben ununter-
brochener Erfolg : Stellte es doch ihn, den Quäker und
Republikaner, trotz aller kriegerischen Wirren zwischen
alter und neuer Heimath, an einen glänzenden Hof, seit
1792 an die Spitze der Akademie und verschaffte es
doch dem am 11. März 1820 Verstorbenen ein ehren-
volles Grab in der Ruhmeshalle Grossbritaniens , im
St. Paulsdome.
* *
*
Als Jüngling hatte West seine alte Heimath ver-
lassen, ein halbes Jahrhundert in seiner neuen gewirkt.
Man würde die in ihm wirkende, von drüben stammende
Anregung, das Amerikanische in seinem Wesen, nicht
hoch einzuschätzen geneigt sein, hätte sich nicht neben
ihm ein zweiter Künstler unter gleichen Verhältnissen
ähnlich entwickelt: John Singleton Copley.
Copley ist in seiner Entwicklung amerikanischer als
West. Er lebte als geschätzter Maler in Boston und
gab im Jahre 1760, dem dreiundzwanzigsten seines
Lebens, in welchem West nach Italien übersetzte, sein
Jahreseinkommen schon auf 6,300 Mark unseren Geldes
der Steuerbehörde an. Unterrichtet hatte ihn wohl sein
Stiefvater, der sehr unbedeutende Schabkunst -Stecher
Peter Pelham, denn schon mit sechs Jahren begann
er in kalten, grauen Tönen mit unbeholfener Hand Bild-
nisse zu malen. Das meiste von dem , was der junge
Künstler konnte, war aus ihm selbst hervorgekommen. Es
stellt also in einer gewissen Reinheit den Höhepunkt des
eigenen Kunstschaffens der nordamerikanischen Kolonien
dar. Bis zu seinem dreissigsten Jahre sendete Copley
seine Werke nach London zur Ausstellung, bis deren Erfolg
ihn endlich ermuthigte, selbst Europa zu besuchen und der
Drang nach Fortbildung ihn veranlasste, 1774 England
und Italien zu bereisen. Im Jahr 1775 Hess er sich in
London nieder und wurde hier bald ein gesuchter Maler
der vornehmen Welt, der er selbst gesellschaftlich immer
näher trat. Sein Sohn ist sogar als Lord Kanzler Lynd-
hurst zu den höchsten Ehren emporgestiegen.
In der Londoner Nationalgallerie befinden sich zwei
der Hauptwerke des Künstlers: cDer Tod der Grafen
von Chatham», d. h. jener Vorgang, als am 7. April 1778
William Pitt, Graf von Chatham, mitten in seiner Rede
gegen die Besteuerung der amerikanischen Kolonisten
tödtlich erkrankte; und «Der Tod des Major Pierson»,
der im Augenblick der siegreichen Entscheidung im
Kampf von St. Heliers, Jersey, am 6. Jan. 1781 von den
Franzosen erschossen wurde. Die Bilder wurden 1780 und
1783 vollendet. Ich nenne diese Daten, um zu zeigen,
dass auch Copley «aktuell » zu sein bemüht war im Gegen-
satz zu den von der damaligen europäischen Kunst mit
Vorliebe betriebenen Versuchen die « Alten » immer
wieder auf's Neue zu beleben.
Auch David hat ja in ähnlicher Weise Tages-
ereignisse darzustellen versucht — freilich später, zu
einer Zeit, in welcher die Stiche nach West und Copley
schon in den Händen aller Welt, also wohl auch in seinen
waren. Aber David hat sich nie von der klassischen
Regel so weit frei machen können, als eben Copley in
seinen ausgedehnten Werken, figurenreichen, lebhaft be-
wegten Bildern von 2,5 zu 3,4 Meter Grösse that. Dazu
hat dieser keineswegs die dünne, spitze Farbe des Empire,
wie sie West nie ganz abzulegen vermochte. In seinem
« Tod Chathams » ist auf die wohl sechszig, meist Perücken
tragenden Köpfe der Lords ein kräftiges Licht ge-
worfen, sind die tiefgefärbten Wände des Raumes,
die Purpurmäntel mit starkem, von Titian und Reynolds
beeinflusstem Ton gemalt. Man sieht die Absicht, den
tagesgeschichtlichen Gegenstand mit der Farbe der besten
Kunstzeiten zu versöhnen, die Errungenschaften des eng-
lischen Bildnisses für das Massengemälde zu verwerthen.
In dem anderen Bilde fällt die rein illustrative Absicht,
das Fehlen alles beziehungsweisen Beiwerkes auf Da
ist weder falscher Pathos und theatermässiges Helden-
thum, da fliegen keine Genien in der Luft herum und
lagern keine Flussgötter in den Ecken. Es ist das Ganze
das, was man bei uns in den fünfziger Jahren noch mit
einem Beigeschmack von Tadel als «historisches Genre >
und damit als eine Neuerung bezeichnete.
Nun ist aber eins zu beachten : Ausser bei den beiden
Amerikanern findet diese bildnisartige Auffassung der
Zeitgeschichte in England weder bei den Einheimischen
noch bei den zahlreich zuwandernden Meistern gleiche
28
DIE KUNST UNSERER ZEll'.
Pflege. Der Schweizer Heinrich Füssli war wohl
ein tiefer Romantiker, ein Verehrer Shakespeares, in
seinen märchenartigen mehr als in seinen geschichtlichen
Werken. Seine Zeit realistisch zu schildern lag ihm aber
völlig fern, ja er wies den Gedanken als unedel, unkünst-
lerisch von sich ab. Der Frankfurter Johann Zoffany
und die Oesterreicherin Angelica Kauffmann, der
Strassburger Philipp Johann von Lauterburg
(Loutherbourg). sie alle halten sich innerhalb der
Grenzen einer stilvollen Naturnachahmung und —
sobald es sich um Werke der Einbildungskraft han-
delt — innerhalb jener des klassischen Gedanken-
kreises. Nicht minder James Barry, dessen Kunst
selten von dem ihr heimischen Olymp auf englischen
Boden herabsteigt. Die Kraft des brittischen Kunst-
schaffens liegt im Bildnis: Von den kostbaren Werken
Reynolds , Gainsboroughs , Raeburns und Romneys
ging eine tiefgreifende Anregung aus. Es ist kein Zu-
fall, dass die Sybille der in England zur inneren Vollend-
ung gelangten Angelica Kauffmann sich in der Dresdner
Gallerie neben den höchsten Meisterwerken als rein
malerische Leistung besser als das meiste Spätere zu be-
haupten vermag 1 Wenn unsere Aesthetiker die Zeit, in
welcher Houdons und Schadows Büsten entstanden, Graff,
Vogel und die Kauffmann Bildnisse malten , die Kunst
in London zu so hoher Vollendung gelangte, die Vaugier-
Lebrun in Paris mit Grenze wetteiferten, jetzt als die
Zeit des tiefsten « Verfalles » der Kunst bezeichnen, so
mag man nicht allzusehr erstaunen, wenn eine kommende,
den Schwerpunkt der Malerei in das Malen verlegende
Aesthetik, die Tage des Cornelius mit diesem viel niiss-
brauchten Worte belegen wird.
Dass die frische Auffassung der Bilder aus der Tages-
geschichte gerade in Amerika ihren Boden hat, das be-
weisst am klarsten das Schaffen des John Trumbull,
der mit 19 Jahren in die Armee eintrat, jedoch fünf Jahre
später, 1780, in London in Wests Werkstätte eintrat und
dann gemeinsam mit John Blake White bis 1817 das
Capitol von Washington mit grossen , die Thatcn des
Krieges verherrlichenden Bildern schmückte. Diese be-
kunden ganz die kräftige, realistische Zeichnung und
den gesunden Blick für die Wirkung der thatsächlichen
Vorgänge, welche Wests bessere Arbeiten auszeichnen.
Das ist meines Wissens selbst von amerikanischen Kunst-
historikern nicht genügend hervorgehoben worden. Die
Heldenthaten der französischen Könige vollführten diese
und ihre Nachahmer nicht selbst: Die Schlachtenbilder
jener Zeit sind daher kalt, sobald sie aus der Dar-
stellung Wouvermann'scher Plänkeleien zur Vorführung
grosser geschichtlicher Ereignisse werden. In Amerika
tritt das Volk in Krieg und Frieden in Mitthätigkeit.
Die Menschen sind nicht mehr blos Staffage für einen
« göttlichen » Helden , sie wirken wie im Leben so im
Bilde selbstthätig mit. Wie bei den Holländern aus
der Zeit ihrer Freiheitskriege entsteht aus der Wieder-
gabe vieler zu gemeinsamen Handeln Verbundener eine
achtere tiefere Art des Geschichtsbildes. Und auch
drüben , wie in Holland , waren es die Bildnismaler,
waren es Gilbert Stuart, Charles Wilson Peale,
Joseph Wright und Trumbull, welche dem in
den Fernen klassischer Götterlehre herumschwankenden
Europa einen starken Realismus entgegenhielten. Frei-
lich ist ausser in Stichen wenig oder nichts von dem,
was damals in New-York , Boston und Washington ge-
malt wurde, nach Europa gelangt.
* *
*
Die amerikanische Rückwanderung nach England
hat mit West und Copley noch nicht abgeschlossen. West
wurde nach Reynolds Tod Präsident der Akademie, zu
deren Gründern er gehört hatte, Copley Akademiker
und Mitglied der vornehmen Gesellschaft Londons, ob-
gleich damals der Befreiungskrieg in Amerika wüthete
und eine für die englische Macht bedenkliche Bot-
schaft nach der andern über das Meer nach London
drang. Die Politik schied damals selbst im, dem öffent-
lichen Leben früh erschlossenen England die Menschen
noch weniger als heute. Der Krieg unterbrach zwar
die geistigen Verbindungen des Muttervolkes mit seinen
in den Westen ent.sendeten , sich befreienden Kolo-
nisten, aber er zerstörte sie nicht. Dafür waren in der
Kunst zwei Männer lebendige Beispiele, welche gewisser-
massen die Ueberlieferung der West'schen Anregungen
darstellen, Newton und Leslie.
Gilbert Steward Newton kam als 26 Jähriger
nach London, in jenem Jahre 1820, in welchem West
starb. Er lebte nur 1 5 Jahre in der britischen Hauptstadt,
fand aber Zeit, in diesen ein für ihre Kunstaufifassung
höchst bezeichnender Künstler zu werden , nicht nur
durch seine Bildnisse, sondern namentlich durch seine
Sittenschilderungen. In diesen nahm er sich ein damals fiir
sehr veraltet geltendes Vorbild: Dem Watteau suchte er
nachzustreben. Man bedenke wohl : Der Mann der neuen
Phot. F. Hsnf«l««n|t, üaiicbMl
Meditation.
0)
C
N
2
DIR KUNST UNSERER ZEIT.
29
Welt suchte rückwärts anzuknüpfen an eine Zeit, welche
man selbst in Paris und sonst überall als eine zopfige,
jammervolle zu verhöhnen gewohnt war. Es bewährt sich
hierbei die Erkenntnis, dass der Aussenstehende , dem
Kampfplatze Entrückte besser Werth und Unwerth der
Ringenden zu würdigen vermag, als die sich bekämpfen-
den Gegner selbst. Newton blieb der freie Blick für die
Schönheit des Rococo in einer Zeit, in der es die Maler
des festländischen Europa fast für eine Beleidigung
hielten, wenn man von ihnen Beifall für Watteau
forderte. Nun erreichte zwar Newton sein Vorbild
nur in bescheidenem Maass: Seine Farbe ist viel zu
schwer, seine Anmuth hat viel zu viel vom Spiess-
bürgerthum der Biedermännerzeit, zu viel von Reitstiefeln
und Cylinderhüten. Aber Bilder wie der dem Dow nach-
empfundene « Fensterflügel » , « Capitain Macheath » das
etwa einem Terbourgh entsprechen soll u. a. m. zeigen,
dass in England und drüben in Amerika die Absicht
bestand, die malerischen Errungenschaften des 17. und
18. Jahrhunderts nicht einfach in's Wasser zu werfen,
sondern sich die Kunstfähigkeiten zu erhalten, welche
jene Zeiten so überreich besassen.
Und neben der Form ist der Inhalt der Bilder Newtons
bemerkenswerth : «Cordelia pflegt den König Lear»,
eine Gruppe, als sei sie unmittelbar Nachbildung einer
Aufführung auf der Bühne, alle Personen in schöner
Stellung, schöner Kleidung, dem Beschauer angenehm
sichtbar zugewendet; die Zeit rühmte das tiefe Gefühl,
mit dem der Arzt den Puls des Königs fühlt. Oder
«Der Vikar of Wakefield und seine Familie», ein Bild,
gestellt wie eine Familienphotographie, durchsichtig bis
zur Gläsernheit in der Komposition, mit einem hübschen
Alten, hübscheren Töchtern und viel Beiwerk an Blumen,
Bibeln, Lauten und Gethier. Oder der « Prinz von Spanien
besucht Catalina» nach Gil Blas; «Jorrick und die Hand-
schuhhändlerin » nach Sterne und dergleichen Werke
mehr , die zumeist der Literatur entnommen und nach
dem Theater empfunden sind. Schon Reynolds malte
gern Mrs. Sheridan als heil. Cecilia oder Miss Pott als
Thais, Miss Hart als Bacchantin oder Mrs. Abington
alsRoxalana; das heis.st, er malte lieber Menschen in der
Verkleidung, so dass sie etwas anderes darstellen als sie
sind; oder richtiger, er Hess sich gerne durch schauspiele-
rische Leistung die Idealisirung scheinbar real vorführen,
um im Darstellen des Idealen realistisch bleiben zu können.
Daraus entwickelte sich eine wahre Lust für das kom-
TTT
ßunker. Portrait der Mrs. Bunker.
mende «aufgeklärte» Zeitalter, durch die Dichter sich
die Räthsel des Lebens erläutern, durch den Schauspieler
sie sich vorleben und dann durch den Maler das Ergebniss
verewigen zu lassen und zwar eines nach dem andern,
so da.ss der Maler nicht Sohn der Natur wurde, sondern
deren Urenkel. Die durchaus literarische Zeit schuf eine
literarische Kunst.
Air diese Eigenschaften sind nicht besondere Merk-
male Newtons. Er ist einer der Besten dieser Richtung,
doch hebt er sich aus der gleichzeitigen englischen Kunst
nicht allzu scharf hervor. Als ächter Amerikaner greift
er nur fest zu und wirkt frisch im Vorderkampf der
Meinungen, so dass ihm das Gefallen der Menge sein
Bemühen reichlich belohnt.
Ungleich bedeutender war Newtons Landsmann
Charles Robert Leslie, der neben David Wilkie
lange Zeit als der gefeiertste Sittenmaler Englands galt,
bis erst der jüngste Umschwung des britischen Ge-
.schmackes seine Werke entwerthetc. Solche Wande-
lungen drücken sich in London am beweiskräftigsten in
Zahlen aus: Von Leslies Bilder, die bis an seinen Tod
heran — er starb 1859 — mit etwa 8 — 10,000 Mark
unseres Geldes gezahlt wurden, brachte cDie Erbin»
1863 26,500 Mark, 1886 aber blos 5800 Mark, «Sancho
30
DIE KUNSI" UNSKRKR ZEIT.
Pansa in den Zimmern der Herzogin» 1874 i 5,000 Mark,
1888 jedoch 3150 Mark. Trotzdem würde ich den Be-
sitzern seiner Schöpfungen nicht rathen, die Arbeiten
zu verschleudern. Die besseren Zeiten für Leslie werden
vielleicht wieder kommen!
Denn er war ganz zweifellos eine kräftige Persönlich-
keit. Freilich steht es mit seinem Amerikanerthum nicht
eben stark. Sein Vater war aus Amerika nach England
heimgekehrt, so dass London Leslies Geburtsstadt wurde.
In seinem fünften Jahr kam er nach Philadelphia, in
seinem lyten begann er wieder an der Londoner Aka-
demie, noch unter Wests Direktion, zu studiren; im sgsten
(1833) folgte er einem Ruf an die Kunstschule zu Westpoint
über den Ocean , aber nach Jahresfrist kehrte er von
Amerika wieder nach England zurück, um die Vereinig-
ten Staaten nie wieder zu sehen. In Lebensgewohn-
heiten und Kunstanschauungen war er Engländer geworden,
und sein Ringen vollzog sich innerhalb der London be-
wegenden Gedanken.
An ihm äusserte sich zum ersten Mal der Einfluss
deutschen Geistes auf einen amerikanischen Künstler.
Füssli war der Lehrer an der Londoner Akademie,
dem er am meisten zu verdanken hatte. Vielleicht
findet sich einmal Gelegenheit, von diesem höchst
merkwürdigen Künstler eingehender zu sprechen, dessen
Namen man in allen britischen Kunstbüchern aus der
ersten Hälfte des Jahrhunderts unzählige Male mit
billigem Spott über seine schlechte Aussprache des
Englischen, aber doch mit einer herzlichen Bewun-
derung seiner knorrigen Kernnatur genannt findet. Von
ihm stammt das weise Wort, welches die Erfolge seiner
Schule erklärt: «Kunst müsse gelernt, nicht gelehrt
werden». Er war einer von Jenen, die Individualitäten
erkennen und zu pflegen wissen. Ob er gleich sich .selbst
am liebsten in phantastischen Welten und romantischen
Fernen bewegte, ist sein Unterricht doch der Ausgangs-
punkt des englischen Genre und der englischen Kolo-
ristik geworden. Ausser Leslie nannten sich Wilkie
und Mulready seine Schüler, also jene Männer, welche
den Uebergang von den letzten Ausläufern der nieder-
ländischen zur deutschen Genremalerei bilden. Es ist
wohl kein Zufall, dass im Empfangszimmer unseres
Ludwig Knaus die Stiche nach Wilkies besten Bildern
hängen I Jenen Künstlern, welche das deutsche Volk in
dem Geiste schilderten, in welchem es Immermann, Auer-
bach, Gustav Freytag und Fritz Reuter beschrieben,
gehen die Maler unmittelbar voraus, welche das englische
Volk mit den Augen des Walter Scott und Dickens
betrachteten.
Leslie folgte mehr dem Scott: Er malte englische
Geschichte und Vorgänge aus der Weltliteratur mit
leichtem Humor, oder malte den Don Quixote mit so
eifrigem Bemühen nach Wahrheit, dass alle seine Spanier,
ebenso wie die F"ranzosen aus seinen Scenen nach Moliere,
zu Briten wurden. Man rühmte seinen Bildern grossen
Verstand nach, ferner Leben und unübertreffliche Sicher-
heit im Neubilden dichterischer Gestalten. Es ist sehr lehr-
reich, dies Urtheil mit seinen Werken zu vergleichen. Seine
Individualisirung hatte ihre Stärke darin, dass er die ge-
schichtlichen Gestalten seinen Zeitgenossen geistig nahe
führte. Er zeigte, dass das Leben früherer Jahrhunderte
in seinem innersten Wesen dem heutigen verwandt sei.
Das hat allen guten Leuten bisher immer aufs Neue Freude
bereitet. Es ist doch zu interessant, aus Ebers zu lernen,
dass schon die alten Aegypter die Liebe kannten ! Der
fleissig herbeigetragene äussere Tand von Kleidungen
und Geräth , Bildnisähnlichkeit und geschichtlichen An-
knüpfungen, macht dem ersten Blick das Alter der Vor-
führungen glaubhaft: sie erscheinen erstaunlich echt!
Der innere Drang zur Unechtheit , die unwillkürlich in
das geschichtliche Bild einschleichende Modernität ist
es aber, die dem Kunstwerke den unmittelbaren Reiz
giebt. Der Reiz verschwindet mit der Zeit mehr und
mehr; die Bilder des Leslie missfallen jetzt, weil sie
gestern modern waren, also heute unmodern sind. Erst
wenn sie so unmodern sein werden, dass an den Kampf
unserer Zeit gegen das Theatralische der Genremalerei
kein Mensch mehr denkt, werden sie als höchst ergötz-
liche Zeitbilder, freilich nicht aus den Tagen des Cervantes
oder Moliere, sondern aus den des Leslie wieder Geltung
erhalten. Eine Frau von Geschmack trägt alten, aber
nicht veralteten Schmuck. Diesen lässt sie für ihre
Tochter liegen , bis er alt wird. Einst werden Leslies
Bilder für eben so echt als Werke von 1830 oder 1840
gelten , wie sie einst für echt im Geiste früherer Jahr-
hunderte genommen wurden.
Es war eine idealistische Kunst, welche Leslie ver-
trat und doch eine solche, die im Lande des Idealismus,
in Deutschland, zu ihrer Zeil kein Ansehen genoss.
Zwar sind Stiche nach seinen Arbeiten in gewaltiger
Zahl bei uns verbreitet gewesen und in mancher klein-
städtischen Wirthsstube und in vielen Bürgerwohnungen
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
31
findet man sie noch heute, ohne dass Jemand danach
frage, wer der Meister des «englischen Stiches» sei.
Leslie suchte die Natur zu verschönen, obgleich er viel
derbe Karrikatur schuf. Er ahnte etwas von jener Schön-
heit, die in der Eigenart liegt.
Hogarth hatte der eng-
lischen Kunst hierfür den Blick geöffnet. Auch Leslies
Figuren galten für «rein der Natur abgelauscht, doch
sich umsehen. Dort finden sie es geschickt gruppirt
zum Kampf gegen eine neue Weltanschauung, dort können
sie auch sehen, wie der Kampf endet, welcher jetzt die
deutschen Geister bewegt. Denn neben dem etwa an
unseren Carl Becker mahnenden Leslie stand Wilkie,
der englische Knaus; neben Etty, dem englischen
Makart, Eastlake, der englische Piloty; neben Stanfield,
Lhvight William Tryon. Tagesanbruch.
mit aristokratischem Sinn». Er besass eine «reiche und
harmonische Farbe», schuf «klare, nie überfüllte Kom-
positionen » , wusste « Licht und Schatten meisterhaft
zu vertheilen» und beherrschte vor Allem das «Clair
obscur». Auf dies legte er das Schwergewicht. Als
zu Ende der vierziger Jahre der Sturm losbrach, welcher
England den Prärafaelitismus brachte, stand er, seit
1851 Lehrer an der Kunstakademie in London, im
Vorderkampf gegen die neue «Sekte». Er hielt 1855
Vorträge und veröffentlichte sie darauf im Druck, um der
Kunst jene Gesetze des Clair obscur zu erhalten, die ihm
als ihr höchstes Besitzthum galten. Denn die verschwindend
feinen Schwankungen im Tone seien schwerer zu finden,
als richtige Linien des Zeichners. Ich empfehle das
Buch — «A Handbook for Young Painters» — jenen
Leuten, welche nach Rüstzeug gegen die moderne Kunst
dem englischen Achenbach , Landseer, der unvergleich-
liche englische Thiermaler. Alle diese waren Meister
von ernstem Streben , von her\'orragendem Können,
Männer, welche der Nation behagten und deren junge
Gegner von dieser mit Abscheu als Frevler und Unfähige
verworfen wurden. Und doch siegte der neue Realismus
gegen alle Feinheiten des Clair obscur, das die jungen
Streber kecklich als « braune Sauce » zu verhöhnen
wagten! Und es ist nicht ohne Witz, dass es diesmal
ein Amerikaner war, der das Veraltende mit aus alter
Kunst entlehnten Gründen und Beispielen vertheidigte.
• *
Lange Jahre trennte der Ocean die Kunstbestreb-
ungen der beiden Welttheile, ohne dass die immer zahl-
reicher ihn kreuzenden Schiffe starke geistige Anregungen
hinüber und herüber getragen hätten. Von dem was
5*
32
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
z. B. Washington Allston, der «amerikanische
Titian», ein Schüler Wests, Anfang dieses Jahrhunderts
schuf, haben wir Europäer nur eine mittelbare Kennt-
nis. Die Abbildungen lassen eine in sich begründete
starke Kraft vermuthen. Die Zeichnung ist schön und
gross, die dargestellten Gedanken sind einfach und tief.
Eine fremdartige Derbheit liegt über den Gestalten.
Es ist vielleicht in diesen Werken, wie in den zu Anfang
des Jahrhunderts drüben entstehenden Bildnissen ein
Zug zu origineller Entfaltung zu finden. Jedenfalls hat
Allston die Seelen der Besten seiner Heimath mit grosser
Kraft zu erfassen verstanden, so dass es sich wohl der
Mühe lohnte, den Wurzeln und den Blüthen seines
Schaffens nachzugehen. Aber über das Meer herüber
reichte seine Kraft nicht.
Ein zweiter Künstler von amerikanischer Eigenart,
Bass Otis, der sich vom Lithographen zum gefeierten
Bildnismaler emporschwang, bildete drüben eine eigene
Schule aus der Peter Frederick Rother mel als
kraftvolle Erscheinung hervorragt. Neben ihm ver-
trat Thomas Prichard Rossiter die romantische
Richtung im Geschichts- und Heiligenbild ; Thomas
S u 1 1 y , dessen Schulung noch unmittelbar auf West zurück-
greift, zugleich das Bildnisfach. Loring Charles
E 1 1 i o t , TrumbuUs Schüler, der Miniaturenmaler Edward
William West haben sich jenseits des grossen Meeres
einen Namen gemacht, ohne dass er sich für uns
Europäer seinem Werthe nach abschätzen Hesse.
* *
*
Mit Allstons Tode (1843) scheint auch seine Richtung
in den Vereinigten Staaten auf die Geister zu wirken
aufgehört zu haben. Es vollzog sich vielmehr eine
Art Rückfall des amerikanischen Schaffens in gewohnte
Geleise. Die Kunstart Wests fand nämlich durch
einen Deutschen erneute Anregung: durch Emmanuel
Leutze. Wie der Quäker die Malerei der Vereinigten
Staaten mit der Londoner Akademie verknüpft hatte,
so fesselte sie Leutze an die Düsseldorfer Schule. Die
deutschen Maler der rheinischen Akademie haben es
durch Jahrzehnte wohlthätig empfunden, dass ihr Schaffen
den Yankees am meisten behagte. Düsseldorf wurde
bis in die sechziger Jahre der beliebteste Markt für den
überseeischen Kunsthandel.
Leutze war kein Pfadfinder in der Kunst, aber
doch eine bedeutende Künstlererscheinung. Deutscher,
Württemberger, von Geburt, früh nach Amerika ge-
kommen, hatte er dort seine malerische Begabung ent-
deckt, so dass er fast noch als Knabe eine um-
fassende Thätigkeit auf der Leinwand entwickelte. «Ein
Indianer, der in die untergehende Sonne blickt»,
war sein erstes grösseres Bild. Der beschaulich be-
deutungsreiche Gegenstand: ein untergehender Volks-
stamm und vor ihm das Abendroth ! — das war Düssel-
dorfer Geist ehe Leutze nach Düsseldorf ging (1841).
Dort am altheimischen Rheine, unter Lessings Leitung,
entwickelte er sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Er
malte mit Vorliebe die Geschichte seiner neuen Heimat :
Columbus , Washington, Scenen aus der Normannischen
Besetzung und den Freiheitskriegen — und malte sie
mit dem vollen, tiefen Einzeltone, welcher der Schule
des Schadow und Lessing, in der ganzen gedanken-
schwangeren Zeit der Düsseldorfer Geschichtskunst
üblich war. Und innerhalb der Schule haben ihn
wenige übertroffen; ja ihm ist es wohl gelungen, das
Werk zu schaffen , welches aus ihr die weiteste Ver-
breitung und die längste Dauer erlangte: «Washington
über den Delaware setzend». Die sichere Ruhe des
Helden inmitten des wilden Eisgangs, die psychologische
Vertiefung in dessen Wesen, die malerische Kraft, die
in der Steigerung der Einzelfarbe sich kundgiebt, die
Geschlossenheit der Komposition , haben dem Werk
einen ebenso ehrenvollen Platz erobert, wie es die
männliche Lebensführung des Künstlers unter seinen
Genossen im alten und neuen Vaterlande that. War er
doch der Gründer des Düsseldorfer «Malkasten» und
einer der Anreger für das Zusammentreten der « Deutschen
Kunstgenossenschaft » . Er brachte somit etwas von dem
frischen Geist der Selbsthilfe mit über das Meer nach dem
aus der Bevormundung sich heraussehnenden Deutsch-
land herüber, während er nach Amerika die hohe
Schaffenslust trug, welche damals am Rhein blühte.
Vergleicht man seine Bilder mit jenen der Ameri-
kaner, welche in England zu Ansehen gekommen
waren, namentlich auf den Stichen , so zeigt sich eine
tief gehende innere Verwandtschaft. Man würde manch-
mal einen Entwurf des Leutze mit einem solchen des
Copley verwechseln können : Dieselbe Auffassung des
Geschichtlichen ; dasselbe Bestreben , die Nebendinge
richtig zu geben, aber ihre realistische Erscheinung
durch klassische Form und eine über die Wirklichkeit
hinaus gesteigerte, verschönte Farbe zu mildern ; dieselbe
Art nicht nur durch das Kunstwerk als solches, sondern
CO
Cftrl Outban piOK
Phnt. V llftnfaU*acl. MöncAan
Der Grabesengel.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
33
durch dessen Inhalt auf das Gemüth der Menschen
wirken zu wollen; dieselbe Absicht, durch die Darstel-
lung grosser Thaten das Vaterlandsgefühl zu stärken
und die Begeisterung aller Edelgesinnten zu erwecken.
Der Deutsche ist der jüngere, aber er ist kein Nach-
ahmer der Londoner, höchst wahrscheinlich kannte er
West und Copley nur
wenig und fühlte er sich
von ihnen trotz aller in-
neren Verwandtschaft nicht
eben angezogen. Denn es
ist die Eigenart aller
Künstler, dass sie das un-
mittelbar vor ihnen Ent-
standene, aus dessen Ein-
fluss sie sich erst mit
Mühe lossreissen mussten,
am bittersten hassen,
gleichviel ob dieser Ein-
fluss thatsächlich völlig
überwunden ist oder nicht.
Wenigstens erinnere ich
mich, selten die Lebens-
schilderung eines bedeu-
tenden Künstlers gelesen
zu haben , welche nicht
beginnt mit einer Verur-
theilung jener Kunst, aus
der er hervorging! Jene
sentimentalnaturalistische
Naturanschauung kam auch
keineswegs unmittelbar aus England nach Düsseldorf,
sondern' auf dem Umwege über Paris; sie stellt die
erste Stufe des Sieges der französischen Romantik
über die deutsche dar. Gerard, Gericault, Delacroix,
Delaroche, Wappers, Gallait sprechen aus ihr. Deutsch
ist an ihr nur die psychologische Vertiefung.
Leutzes Einfluss auf Amerika war ein sehr grosser.
Eine ganze Schaar amerikanischer Kunstbeflissencr
folgte ihm nach Düsseldorf. Der schon genannte Rot-
hermel gehört zu ihnen. Edwin White vervoll-
kommnete, nachdem er in Paris und Florenz studirt
hatte, dort 1869 — 75 seine Studien, um später in seiner
Heimath historische Bilder in der deutsch-sentimentalen
Auffassung zu schaffen; Henry Peter Gray schuf
in ähnlicher Richtung tüchtige akademische Werke;
Abbat H. 'l'hayer. Männliches Bildnis
einem heimischen Kritiker lockt freilich das Wort
« Amerikanische Schule » auf dem Täfelchen ihrer
Rahmen nur ein Lächeln ab, er hält sie kurzweg für
deutsch; William Henry Powell malte im gleichen
Sinne die Rotunde des Kapitols in Washington aus;
Thomas Bachanan Read verband die Farbe der
Düsseldorfer mit einer po-
etisch weichen Empfindung ;
und J. B. Irwing, ein un-
mittelbarer Schüler Leutzes
folgte mit Geschick , doch
bescheidener Selbstständ-
igkeit den Bahnen seines
Lehrers. Auch bei ihm
greift das Genre schon
mächtig in die Geschichts-
malerei hinein; ebenso wie
bei Eastman Johnson
und Richard Caton
Woodville; bei dem in
England geborenen , in
Paris bei Paul Meyerheim
gebildeten Thomas Hill ;
bei Daniel Huntington;
bei dem Elsässer Chri-
stian Schussele, der,
obgleich Schüler Yvons
und Delaroches, doch so-
wenig wie sein Pariser
Landsmann Brion seine
Mutternation verleugnete.
Manche der Arbeiten dieser Künstler ist im Stich zu
uns herübergekommen, doch würde es schwer sein, in
Europa nur aus diesen Hilfsmitteln sich sein Bild ihres
Wesens zu machen.
In zwei acht amerikanischen Genremalem, in William
Morris Hunt, der bis 1846 in Düsseldorf die Bild-
hauerei .studirte , dann aber sich dem Couture in Paris
und endlich dem Millet und der Schule von Barbison
anschloss, sowie in dem, englische Anregungen verarbei-
tenden William Sydney Mount offenbart sich dann
die Hefreiung der nordamerikani.schen Kunst von
deutscher Vormundschaft.
* » »
Um die Mitte des Jahrhunderts überragte Deutsch-
land Frankreich ganz erheblich in der Landschaftsmalerei^
34
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Während in Paris selbst bis in die fünfziger Jahre eine
kalte formaHstische , von Claude Lorrain abhängige
Naturbehandlung an der Akademie gelehrt und von
den hervorragenden Künstlern geübt wurde, begannen
die feineren Beobachter der Luftwirkungen erst in der
Folgezeit sich Boden unter den Künstlern zu schaffen.
Der deutschen Landschaft aber, wie sie damals in
stilistischer Form Rottmann und Preller, mit einem Hauch
von Sentimentalität Schirmer und Lessing und in kräftig
fortschreitendem Realismus, Dahl, Morgenstern, Gurlitt,
Achenbach, Schleich u. A. pflegten, konnte nur die
englische sich ebenbürtig gegenüber stellen. Aber jen-
seits des Kanales waren die leitenden Meister bereits
im Niedergehen: Turner starb 1851, Constable 1837,
Callcott 1844, Collins 1847, Müller 1845, Bonington 1828.
Nach grossartigen Leistungen war in London ein Still-
stand eingetreten. Es ist daher nicht zu verwundern,
dass auch in diesem Kunstgebiet die findigen , Europa
von der Ferne mit prüfender Klugheit zu vorsichtiger
Wahl überblickenden Amerikaner den Deutschen sich
vorzugsweise anschlössen.
Die Ueberführung der Düsseldorfer Auffa.ssung der
Landschaftsmaler erfolgte hauptsächlich durch zwei
deutsche Meister: Paul Weber und Albert Bier-
stadt.
Weber hielt sich von seinem 25. Jahre an, 1848
bis 1858 in Amerika auf. Später kehrte er nach Europa
zurück, ohne dass er, wie es scheint, sich als Ameri-
kaner gefühlt hätte. Aber es war ihm doch sichtlich
gelungen, die Augen der Kunstfreunde auf die deutsche
Malerei zu lenken.
Bierstadt machte dagegen den umgekehrten Weg.
In Düsseldorf geboren, als Kind mit seinen Eltern nach
Amerika ausgewandert, bezog er 1853 bis 1857 die
Düsseldorfer Akademie, kehrte wiederholt nach Europa
zurück, blieb aber in Amerika sesshaft. Sein Arbeits-
gebiet und der Schwerpunkt seines Lebens liegt also
drüben in den Vereinigten Staaten.
Bierstadts Bilder haben seiner Zeit, namentlich auf
der Pariser Ausstellung von 1 867 , grosses Aufsehen
erregt. Er hatte in Düsseldorf scharf und sicher zeichnen
gelernt und besass ein klares Auge für das Eigenartige
der Naturerscheinung. Es ist daher kein Zufall, dass
das Ethnographische ihn in der Landschaft anzog. Er
reiste in den Westen und brachte von dort die ge-
wissenhaftesten Wiedergaben der gewaltigen Bergmassen
und riesigen Bäume, der endlosen Wiesenflächen mit
ihren Büffelheerden , meisterhafte Darstellungen des
Landes, die bei aller Genauigkeit in der Wiedergabe
doch die ordnende Künstlerhand nicht verläugneten.
Der Ton war etwas spitz, im Sonnenlicht etwas gelb,
die Malweise manchmal glatt. Aber trotzdem errangen
die Bilder in den sechziger Jahren sehr grosse Erfolge,
die sich freilich nicht wiederholten, als Bierstadt 1891
wieder mit mehreren grossen Werken in Europa auftrat.
Seine Kunst ist zwar die alte geblieben: In einem
Museum würden sich seine Arbeiten neben Jugendwerken
Andreas Achenbachs sehr wohl gehalten haben, aber die
Zeit ist inzwischen fortgeschritten und die ruhige Beschau-
lichkeit, die Vielseitigkeit, welche aus seinen Bildern
spricht, einer nervösen Schärfe und Unmittelbarkeit des
Beobachtens gewichen.
Die Amerikaner, welche selbst von der Düsseldorfer
Landschaftsmalerei ausgingen, haben zumeist jenen Um-
schwung früh mitgemacht. Maler wie John B. Bristol
scheinen mir, nach den Nachbildungen ihrer Bilder, die
ich sah, einer der deutschen verwandten Richtung zu
huldigen. Nicht minder ist dies der Fall mit dem in
Deutschland bekannter gewordenen, meist in Mexico
lebenden Frede rick Edwin Church, wenn ich mich
gleich nicht erinnere, Bilder von ihm in europäischen
Ausstellungen gesehen zu haben. Wohl aber sah man
in der Nachbildung Landschaften mit starken Effekten,
Ansichten des Chimborasso, des tropischen Mondlichtes
in Mexiko, aus Palästina und der Havanna, stets mit der
Absicht ausser durch die rein künstlerische Bildwirkung
noch durch den Gegenstand anzuziehen. Weit verbreitet
ist der Stich nach seinem, im Edinburgher-Museum häng-
enden & Niagarafall », der seine Art auf's Klarste versinn-
bildlicht. John Frederick Kensett, obgleich in
England gebildet und Sanford R. Gifford waren ihm
verwandt, der Erstere stärker als Kolorist, der Letztere
ein Maler von Lichterscheinungen und Ansichten aus
aller Herren Länder. Ein Holländer Albert van
Beest, der in den 40er Jahren nach New-York kam,
war ihr Lehrer, ebenso wie des die arktischen Land-
schaften bevorzugenden William Badfort.
James M. Hart ging 1851 nach Düsseldorf in
Schirmers Schule und schuf seitdem fein empfundene
Waldbilder mit Vieh, von denen ich in englischen Zeit-
ungen manchmal Abbildungen sah. Aehnlich arbeitete
sein älterer Bruder William Hart, der in England
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
35
seine Schule gemacht hatte und wohl auch einigen An-
theil an der auf malerische Verfeinerung mehr als auf
weiche Stimmung gerichteten Bestrebungen seines Bruders
gewann. Worthington Whittredge, seit 1850
Andreas Achenbachs Schüler, gehört derselben Richtung
an , wusste jedoch bereits seine Heimat und deren
Bewohner mit der anfangs fremdartig erscheinenden
deutschen Auffassung zu versöhnen. Otto Grund man,
Lehrer an der Kunstschule zu Boston, wirkte in gleicher
Weise.
James Fairman, wie jene Brüder Hart, Schotte
von Geburt, wenn gleich von schwedischen Eltern ab-
stammend , unterstützte die Richtung , welche von den
grossen englischen Aquarellisten De Wint und Cox
ausging. Von England her kam auch die Neigung, die
Radierung zum Ausdruck der Kunstempfindungen zu
wählen. So findet man an deutschen Schaufenstern oft
Radirungen nach Hamilton Hamilton, schöne, fein
gefühlte Ausblicke über einen Waldweg auf ferne Hütten
oder an einem Bache entlang auf die Wiesengründe.
William Morgans Radirungen sind gern gesehene
Gäste in unseren Sammlungen , Proben einer starken
Empfindung für Lichtwirkung. Als bedeutende Kraft
tritt Edward Moran uns entgegen, Engländer von
Geburt, doch Schüler Paul Webers, später in London
und Paris thätig, ebenso seine Brüder Peter und
Thomas bei denen immer stärker die englische von
Turner ausgehende Auffassung hervortritt.
Was ich sonst an Nachbildungen nach den Werken
amerikanischer Landschafter aus den sechziger und sieb-
ziger Jahren sah, zeigte zumeist als Hauptverdienst der dort
blühenden Schule : Warmen sonnigen Ton , geschickte
Gruppirung der Massen, reiche Gegenständlichkeit ent-
weder in Fernblicken auf als schön und merkwürdig be-
rühmte Gegenden oder in anmuthigen Einblicken in das
Kleinleben der Hügel- und Uferlandschaften der Vereinigten
Staaten: John W. Casilear, Albert F. Bellows,
Alfred T. Bricher, Eugene Benson, Edward
Gay, ein Schüler Schirmers aus dessen Karlsruher Zeit,
John Adam Parker, George Loring Brown,
eine Art amerikanischer Claude, William Stanley
Haseltyne, Charles Temple Dix, Jervis Mc
Entee, der Maler tiefgestimmter Naturausblicke, Asher
Brown Durand fielen mir auf, ohne dass ich ohne
genauere Sachkenntnis ihr Wesen durch das Wort auch
nur annähernd zu umschreiben oder ohne dass ich sie
von den sonst auftauchenden Künstlererscheinungen
ihrem Werthe nach abzuschätzen vermöchte. Denn gewiss
giebt es drüben noch manchen tüchtigen Meister, der
uns Europäern unbekannt blieb. Sehen wir doch hier
wenig oder nichts selbst von jenem Manne, der als
eigentlicher Anreger der Richtung gilt, von Thomas
Cole, der von Claude Lorrain, Salvator Rosa und
Poussin ausgehend , selbständig zur Behandlung ameri-
kanischer Landschaften gelangte, und in den White
Mountains New Hamphires oder den Catskills am
Hudson eine der neuen Welt eigenartige, idealer Auf-
fassung zugängliche Natur entdeckte.
Die eigeijtlichen Seemaler, welche in Amerika zur
Geltung kamen, knüpfen an Holland an: A. van Beest
gilt als ihr Lehrer; die beiden Brüder de Haas aus
Rotterdam setzten die Schule fort; Harry Chase,
dessen Seestücke drüben sehr beliebt sind, studirte in
den siebziger Jahren unter Mesdag und später in
München unter Kaulbach; Kruseman van Elten,
der 1864 sich in New-York niederliess, brachte dahin
die feinere Beobachtung der Stimmung, den breiteren
Vortrag, die Neigung für düstere, in Halbtönen wirkende
Beleuchtungen.
In dem Zusammenströmen verschiedener Richtungen
dürften die Skandinavier nicht fehlen: John E. C.
Petersen kam kurz nach Elten in New-York an und
führte dorthin die kräftig vorwärts strebende Richtung
seiner dänischen Heimath ein; Alexander H. Wyant,
Amerikaner von Geburt, wurde in den sechziger Jahren
Schüler von Hans Gude in Karlsruhe. Die Münchner
Ausstellung von 1892 brachte ein feines Bild von ihm,
einen Blick in grünes Gelände und über einen Streifen
Wald ganz im Geist der grossen Gruppe von Malern,
welche so lange Deutschland, England und Skandinavien
mit ihrem auf zeichnerischer Vollendung und malerischer
Gründlichkeit beruhenden Realismus entzückten.
Freilich ist dieser schon wesentlich anders geartet
als jener der alten Düsseldorfer Landschaft : Die Stim-
mungswerthe überwiegen bedeutend diejenigen der
gegenständlichen Komposition. Es handelt sich viel
weniger darum eine Gegend darzu.stellen , als einen Be-
leuchtungston festzuhalten. Die jetzt in Amerika vor-
herrschende Schule holte sich bei den Franzosen in
Barbison die Anregung: Mit unverkennbarer Deut-
lichkeit lehrt uns der Umschwung in Amerika , dass
wir zu lange uns mit der in den vierziger Jahren er-
36
DIE KUNST UNSERER. ZEIT.
oberten leitenden Stelle in der Kunst selbstzufrieden be-
gnügten und dass es den französischen Landschaftern
gelang, uns auf einige Jahrzehnte aus der Führerrolle
herauszudrängen.
Ganz hat freilich der deutsche Einfluss bis heute in
Amerika nie nachgelassen. Zum Beispiel zeigen die
Landschaften eines Schülers von D i e z in München,
Charles Henry Miller, deutlich noch heute ihre
geistige Herkunft. Auch seit er aufhörte Alpenmühlen
und das Dachauer Moos zu malen, suchte er drüben
im alten Sinne malerische Gegenstände: Die «alte Mühle
bei Springfield , Long Island » , welche er in den sieb-
ziger Jahren darstellte, konnte ebenso gut auf dem alten
Kontinent zwischen Buchen am Weiher klappern. Es
deckt sich diese Richtung mit der vorzugsweise von
England beeinflussten.
* *
*
Den breitesten Boden in der amerikanischen Kunst
gewann die Genremalerei, in der sich wieder englische
mit deutschen Einflüssen kreuzten. Und zwar sind es
hier die jüngeren Künstler, die mit Eifer an der deutschen
Kunst hangen.
Da ist ein feiner Beobachter, Robert Köhler,
der zwar in Hamburg geboren ist , doch von seinem
vierten bis 2 3ten Jahre in Milwaukee lebte, ein Schüler
von Loefftz und Defregger. Obgleich er 1883 und 1888
die amerikanische Ausstellung in München leitete , hat
er jetzt selbst seine Bilder der deutschen Abtheilung
eingefügt, der er nach seiner ganzen Schaffensart an-
gehört. Selbst das feine Frauenbild, welches er zur
Ausstellung brachte , scheint mehr in der Absicht ge-
schaffen, genrehaft von einem edlen, anmuthigen Weibe
zu erzählen, die sinnend vor sich hinschaut, und die
intimen Töne im Licht und Halbschatten zu studiren,
als um das kräftige Profil portraitmässig festzuhalten.
Als ich, meiner Gewohnheit gemäss, ohne den
Katalog nach Namen und Wohnort der Künstler zu
befragen, meine Notizen über die Werke der Ameri-
kaner in der Münchner Ausstellung machte, bemerkte
ich zu « Hartnäckig 1 » von Louis Charles Möller:
«Nach der Tiefe des braunen Tones, der redlich charakte-
risirten Zeichnung, der Fülle von Nebendingen und der
Art, wie der Vorgang, ein Streit zwischen zwei Spiess-
bürgern am Tische der Wohnstube, geschildert ist, scheint
das Bild von einem Düsseldorfer, etwa von einem Ge-
nossen Fagerlins zu sein». Ich hatte mich geirrt, der
junge, in New-York geborene und dort lebende Künstler
ist ein Schüler des Münchener Meisters Feodor Dietz.
Nicht minder mahnen die zierlichen, sauber und
feinfühlig durchgebildeten Kleinbilder des in München
gebildeten, seit etwa 12 Jahren in Boston lebenden
Ignaz Marcel Gaugengigl an unseren Simm, Löwith
oder Ehrentraut und über diese hinaus ein wenig an
Meissonnier. «Die erste Aufführung» nennt er eines
seiner Bildchen in München, «Das Duell» das zweite.
Beide legen den Schwerpunkt in die feine psychologische
Beobachtung; es sind Kabinetstücke für den Fein-
schmecker, der sich nicht gern einen Zug in der
Charakteristik des jungen begeisterten Musikers, seines
eifrigen alten Begleiters, der Schaar kunstsinniger Hörer
entgehen lässt.
Zwei Deutschamerikaner, beide noch jüngere Männer,
sind jetzt im Begriff mit kräftiger Hand das sich lockernde
Band zwischen dem alten Vaterland und dem neuen
durch künstlerische Thaten aufs neue anzuziehen, Ulrich
und Marr.
Charles Fred. Ulrich, New Yorker von Geburt,
gehört im Wesentlichen noch zu uns , obgleich der
junge Künstler, dessen Wirken diesmal das Zusammen-
kommen der schönen amerikanischen Abtheilung der
Münchener Ausstellung vorzugsweise zu danken ist,
nachdem er bei Loefftz und Lindenschniit studirte,
längere Zeit in Holland und Venedig lebte. Das
beweist sein feines , liebenswürdiges Bild « Idyll in
Sotto Marino». Ist es italienisch in Haltung und Ton,
dieses Bild, wie es italienisch im Gegenstande ist? Ge-
wiss, man könnte es für ein Bruderwerk von Zezzos,
Nono, Tito oder sonst einem der Meister Venedigs
halten. Aber man wird auch an die Oesterreicher
Cecil van Haanen, Franz Rüben und den allzu-
stark in Schönheit arbeitenden Eugen Blaas erinnert.
Und die Engländer William Logsdail, Henry
Woods, der Russe Roussoff , der Amerikaner Charles
Gifford Dyer, der 1871 in München .studierte, — alle
diese gehören auch in diesen Reigen. Der Ursprung
der internationalen Schule liegt einestheils in der maler-
ischen Kraft der Lagunenstadt selbst. Neben den
Niederlanden ist sie zu allen Zeiten Heimath des Kolor-
ismus gewesen : Hier herrscht die Farbe , oben an der
Nordsee der Ton ! Aber die eigentlichen Entdecker
der modernen venetianischen Farbe , jenes wohlausge-
glichenen feinen Spieles zwischen dem Goldton Titians
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
37
und dem Silberton des Canaletto sind, wenn ich recht
sehe, Deutsche: Der Leipziger Karl Werner, der
Vater deutscher Aquarelltechnik , und nach ihm der
Wiener Ludwig Passini.
Von diesen hängt Ulrich allem Anschein nach in
seiner ganzen malerischen Art ab. Selbst bei seinem
Oclbilde glaubt man an der Feinheit und Weichheit der
Uebergänge, am milden Glanz der Farbe, an der vor-
nehmen Gehaltcnheit des Gesammttones die Herkunft
vom Aquarell zu verspüren. Der junge Meister be-
währt sich als ächter, schnell in die Sachlage einge-
führter, umsichtiger Amerikaner, indem er mit sicherer
Hand dort eingreift, wo der Weg nach Vorwärts weist.
Er ist an nationale Eigenart noch weniger gebunden
als die in Venedig lebenden Europäer, er bewegt sich
völlig frei in dem selbstgewählten Elemente.
Anders ist es mit Karl Marr. Seit dieser feine
Künstler in seinen « Flagellanten » jenes grosse Historien-
bild geschaffen hatte, durch welches man lange Zeit
in München glaubte, sich in die Kunstgeschichte ein-
führen zu müssen, ein Bild, welches gewaltiges Können
und ernsteste Studien verrieth, ist Marr in dem hastigen
Vorwärts innerhalb der Münchener Schule stets als mit
an der Spitze des Fortschrittes wandelnd erschienen.
Seine Schilderung unserer nationalen Schmach in dem
tiefen, ernsten Bilde «Deutschland 1806» hat ihn als einen
der Unseren seinem ganzen Empfinden nach erkennen
lassen , als einen Mann von deutscher Innigkeit des
Gefühles. Es ist durchaus bezeichend, dass ein mit
deutschem Kunstwesen so eng verflochtener Mann wie
der Kritiker Pecht, gerade Marr für den bedeutendsten
amerikanischen Maler erklärte: Er ist eben der dem
deutschen Kunstgelehrten am nächsten stehende!
Dann kamen die Schilderungen aus der Bieder-
meierzeit, aus dem Freiheitskriege und dieses Jahr in
München «Ein Sommertag», ein deutsches Familien-
leben: Mädchen, Mütter, Kinder, Hühner im Garten,
unter der Laube. Aber die eigentliche Absicht all'
dieser Bilder ist es nicht , die weichen Saiten des
Deutschthums anzuschlagen, die Thränendrüse in Pflicht
zu nehmen. Marr ist's münchnerisch und amerikanisch
modern um die Farbe zu thun, um Ton und Licht-
wirkung , um den Glanz der im Blättergrün spielenden
Sonne, um das Spiel der Lichtflecke auf dem Boden,
auf den menschlichen Gestalten. Und mit grosser Kraft
setzt er seine Absicht durch: Es blitzert auf dem Bilde
von durchbrechenden Glanzlichtern, die von grünen
Reflexen eingehüllten anmuthigen Frauen und Mädchen
schimmern in dieser bewegten Lichtmasse. Wer mit
Maleraugen sehen gelernt hat, erkennt die Kühnheit der
Leistung, neben die verhältnismässig geringen Schwank-
ungen der Lokaltöne solche Blender zu setzen — und
doch die künstlerische Einheit des Ganzen festzuhalten !
Ihm nahe steht der wieder in München gebildete
Orrin Peck, der durch sein vor drei Jahren ausge-
stelltes Bild «Von ihm» so rasch die Aufmerksamkeit
auf sich lenkte. Denn sicher und frisch hatte er die
Hellmalerei erfasst, Tüchtiges in ihr geleistet und da-
bei eine hübsche Amerikanerin in das weissliche Grün
des sonnendurchleuchteten Gartens gestellt. Nach dem
System der Schule braucht ein Bild um schön zu sein,
nicht etwas in der Natur Schönes darzustellen. Es
kann ein hässlicher alter Mann den Gegenstand eines
köstlichen Bildes abgeben. Dies zu beweisen , plagte
man sich redlich. Dem Amerikaner kam's weniger auf
das System als auf die Wirkung seines Bildes an.
Er malte seine anmuthige Landsmännin , die Parteien
durch ihr niedliches, im hellsten Licht strahlendes Ge-
sichtchen versöhnend. Und er malte jetzt wieder ein
holländisches Kind mitten unter Blumen im Schatten
einer Kastanie sitzend — kein Kampfbild , doch eines
welches sich Freunde wirbt!
Die Mitte zwischen Genre und Landschaft hält zu-
nächst Hermann Hart wich inne. Bald .schildert er
ein Gespann Ochsen auf frischem Blachfeld, bald
Bleicherinnen auf sonniger Wiese, bald Italien mit seinen
warmen Stimmungen, bald — wie in seinem letzten
Bild — eine beschneite Märzlandschaft, durch die ein
Viehhändler mit seinem Hunde auf schlickeriger Strasse
hingeht — der schwere graue Wolkenhimmel lastet
über der stillen Ebene, der angeschwollene Fluss zieht
gurgelnd dahin !
Es siedelte sich in neuerer Zeit wieder ein ganzes
Malergeschlecht in München an: R. Gross hat sich den
Genremalern eingereiht, William A. Leigh stellt sogar
unter den Münchnern mit aus, denen er sich seit einiger
Zeit ebenso wie der auch auf der Kupferplatte ge-
fällige Sion Wenban, der Historienmaler Hermann
Urban und A. V. Renouf Whelpley mit seinem
sehr beachtenswerthen Frauenbildnis anschloss.
Es zeigt sich in diesen Vorgängen deutlich der
Erfolg von Münchens entschiedenem Eintreten für den
38
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Henry Mosler. Der Kesselflicker
Fortschritt in der Kunst: Die Amerikaner, welche in
Schaaren vor vierzig Jahren nach Düsseldorf, vor zwanzig
nach München kamen, dann aber nach Paris abschwenkten,
beginnen wieder an der Isar sich heimisch zu machen.
Die deutsche Genremalerei, überhaupt die starke
Seite unserer älteren Kunst, ragt weit in das ameri-
kanische Schaffen hinein. Die Münchener Ausstellung
zeigte eine Reihe von Namen in dieser Richtung schaff-
ender Künstler, denen man die deutsche Abkunft an-
zuhören glaubt: Mosler, Gutherz, Thayer, Rols-
hoven. Aber so ganz ohne Weiteres dürfen wir diese
nicht für uns in Anspruch nehmen, wie ja überhaupt
die Lage der Kunst und die Irrgänge ihrer Entwicklung
nirgends schwerer zu klären zu sein scheinen, als in
jener grossen Republik drüben: Sie stellt noch ein frisch
gepflügtes, offenes Feld dar, in welchem Samen aller
Arten Nahrung und Gedeihen finden.
Man kann deutlich bei den amerikanischen Figuren-
malern , wie bei den Landschaftern ein langsames Ab-
schwenken von Deutschland bemerken zu Gunsten einer
Annäherung an Frankreich. Dieser Umschwung voll-
zog sich etwa in der Mitte der sechziger Jahre und
wurde durch unsere Siege von 1870/71 nicht aufge-
halten. Die Amerikaner kamen wahrlich nicht in das
Gebiet des Deutschen Bundes aus besonderer Hoch-
achtung für die Bewohner und Verhältnisse seiner sechs-
unddreissig Staaten und wurden durch unsere Einigung
nicht verdrängt; sondern sie kamen, weil sie, Europa
von fern übersehend, den Werth der Kunstschulen am
besten abzuwägen vermochten, unbeeinflusst von euro-
päisch nationalen Anschauungen. Sie gingen eben ein-
fach dorthin, wo sie am meisten zu lernen hofften.
Kaulbach und Piloty zogen sie lange Zeit an. Da-
mals genoss Deutschland die Früchte einer ruhmvollen
DIK KUNST UNSKRKR ZKIT.
39
Kunstentwicklung. Das hohe geistige Walten des Cor-
nelius wirkte mächtig nach, vielfach zogen strebende
Künstler damals München allen anderen Kunststädten
vor. Deutschlands Kunstruhm überflügelte ganz jenen
Englands und Italiens. Die auf höchste malerische Voll-
endung dringende romantische Schule Frankreichs stand
noch aliein in Europa, abgesondert. Aber das jüngere
Künstiergeschlecht empfand den Deutschen gegenüber
bald überall , da.ss diese die zeichnerische Schule des
Cornelius abzulösen bestimmt sei. An den Akademien,
wo die Selbstgefälligkeit in veraltenden Sy.stemen stets
behäbig den Thron und die Köpfe einnimmt , begriff
man dies zuletzt. Dort hielt man fest an der Ueber-
lieferung, auch seitdem sie immer inhaltsärmer wurde.
Man kann deutlich verfolgen , dass die amerikanischen
Maler, welche vorzugsweise München als Studienort
wählten , ihre letzte Ausbitdung in Paris anstrebten,
namentlich seit sie die Deutschen selbst in hellen
Schaaren nach Paris wandern sahen. Piloty war als
Lehrer auch in New- York und Boston hoch gefeiert,
aber wenn man von ihm die Technik des Malens er-
lernt hatte, suchte man in Paris die künstlerische Voll-
endung. Da die Deutschen selbst zumeist so verfuhren,
so kann man es den Ausländern nicht verargen. Diese
gaben zunächst den Akademikern der Ecole des beaux
arts, den Trägern der von David ausgehenden strengen
Schulung den Vorzug. Sehr früh aber erkannten die
Amerikaner den höheren VVerth der Stimmungsmalerei:
Corot fand zunächst in New-York und Boston begeisterte
Aufnahme, die Hellmalerei unter den Söhnen der Ver-
einigten Staaten eifrige Verfechter.
Ein einflussreicher Führer schon in seiner Eigen-
schaft als Lehrer an der New -Yorker Kunstschule
scheint nach dieser Richtung Lemuel Everett VVil-
warth gewesen zu .sein, der 1859 — 1863 bei Kaulbach
stuflirte und dann bis 1867 bei Gcröme arbeitete. Ihm
folgte eine grosse Reihe später berühmt gewordener
Künstler gerade in die Werkstätte dieses Künstlers,
denn dieser übertraf hinsichtlich des .< Raffinements» in
der Farbe selbst jene Pariser, welche \ on den Deutschen
vorzugsweise als Lehrer aufgesucht wurden, den Couture
oder Glayre.
Einen ähnlichen Weg schlug Henry M Osler
ein , einer der in Deutschland am besten bekannten
Amerikaner. Deut.schen Kunstfreunden werden zu-
nächst die Bilder : « Die letzten Momente » aus der
vorjährigen Berliner und «Der Kesselflicker» von der
diesjährigen Münchener Ausstellung in bester Erinn-
erung sein. Sein « Herbstfest ^ , welches man in München
1888 sah und manches tüchtige Werk, welches hier und
dort erschien, lassen die Richtung des Künstlers deutlich
erkennen. Prüft man Mo.slers Bilder darauf hin , was
an ihnen amerikanisch, was deutsch und was französisch
sei, -SO wird man zunächst nicht eben sehr viel mehr
von der Nachwirkung seiner Jugendbildung spüren.
New -Yorker von Geburt, früh nach Cincinnati und
Nashville verzogen, erwuchs er im kunstarmen Westen,
angeregt nur durch die örtlichen Grös.sen. Nachdem er
als Zeichner den Secessionskrieg mitgemacht, und sich
als Ilhustrator bethätigt hatte , kam er dreiundzwanzig-
jährig nach Düsseldorf zu Mücke und Kindler. Das war
ein etwas jäher Uebergang aus der rauhesten Wirk-
lichkeit in eine sehr sanfte, abgeglättete Welt. Bald
verwechselte daher auch Mosler seine Lehrstätte: Er
ging nach Paris in das vielbesuchte Atelier von Hebert,
in dem er namentlich mit den vorwärtsstrebenden jungen
Engländern zusammentraf Dann lebte er mehrere Jahre
in seiner Heimath, bis er 1874 abermals nach Deutschland
und zwar nach München zu Piloty und dann 1877 wieder
nach Paris ging, wo er seitdem sich heimisch machte.
In der psychologischen Auffassung des Menschen
verräth Mosler die deutsche Anschauung. Ohne die
Vorarbeit von Knaus, Vautier und der ganzen deutschen,
auch für Frankreich bestimmenden Genreschule hätte
der nun etwa fünfzigjährige Künstler nicht seine jetzige
Richtung. Die liebenswürdige Versenkung in das Leben
der verschiedenen Stände ist durchaus germanisches
F>btheil , welches wir mit den Engländern und Skan-
dinaviern zu theilen haben: Wilkic, CoUins dort, Mar-
strand in Kopenhagen waren die Anreger für uns ebeaso
-sehr, wie Chodowiecki und Ludwig Richter. So i.st
denn auch der «Kesselflicker» im Grunde nichts an-
deres als ein gutes deutsches Genrebild , auch wenn
es von einem Amerikaner in Paris gemalt ist. i Die
letzten Momente» mahnten an die Düsseldorfer Schule,
sie stehen etwa Brütt oder Bokelmann nahe. Nur in
dem tief gewählten Ton und in der farbigen Behandlung
erkennt man die Nachwirkung von Breton und anderen
Franzosen, welche in der keltischen Bretagne, in den
vlämisch germanischen Landen ein darstellensw-erthes
Volksthum suchten : Denn das romanische Frankreich
bot ihnen ein .solches nicht.
«•
40
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
IV. 7'/wmas Dewing. Bildnis der Mr5. Stanford White.
Auch bei Carl Gut herz, einem Schweizer von
Geburt, der aber schon 1851 als Knabe nach Amerika
kam, täuscht der Name. Er schreibt sich drüben
«Guthers» und wird daher wohl «Gössers» ausge-
sprochen. Er studirte 1868 bei Cabasson und Pils in
Paris, später, wie es scheint mit besonderer Vorliebe, in
Brüssel bei Stallaert und in Antwerpen bei Robert.
1873 nach Amerika zurückgekehrt, machte er sich
namentlich um das Museum zu St. Louis verdient, trat
aber 1884 wieder in Paris in Julians Werkstätte ein und
lebt jetzt dort seiner eigenartigen, koloristisch glänzen-
den, mit spitzem Pinsel vorgetragenen Kunst. Wir
können den Mann keineswegs national für uns in An-
spruch nehmen. Im Gegentheil : Es bekundet sich in
ihm wieder die Bevorzugung der Franzosen selbst bei
uns Stammverwandten.
Wie Leutze und Bierstadt die Wegbahner für die
deutsche Kunst waren, so scheinen Franzosen diesen
Umschwung zu Gunsten von Paris in Amerika selbst her-
beigeführt zu haben: So ein Schüler des Ingres, Pierre
Chasserieau; ein aus Lyon stammender, von 1844
bis 1870 aber in New-York thätiger Schüler des Dela-
roche, der Landschafter Frangois Regis Gignon;
und der schon genannte, einer alten Hugenotten-Familie
entstammende As her Brown Durand, den man drüben
als einen der Väter der heimischen Landschaftsmalerei
feiert. Welche Wege diese Männer gewiesen haben,
erkennt man aus den Werkstätten, welche von nun
an die jungen , aus den Vereinigten Staaten herüber-
kommenden Maler bevorzugen : Es sind jene der grossen
Koloristen Geröme, Bonat und Carolus Duran.
Es war sehr lehrreich , in München die dort aus-
gestellten Arbeiten der französischen Meister mit jenen
ihrer amerikanischen Schüler zu vergleichen. Da war das
farbenprächtige, tief gestimmte, mit vollendeter Sauber-
keit bis ins letzte Ornament durchgeführte «Türkische
Frauenbad» von Gerome. Die Schönheit in der Dar-
stellung der Fliesen, des Marmors, des Beiwerkes, die
Weichheit und Durchbildung der nackten Frauenkörper,
der entschiedene Zug zum Sinnlichen, ein Zug, der durch
ernstes Studium geregelt, wahrlich nichts Verwerfliches
in sich hat; aber die trotz alles feinen, den Raum durch-
ziehenden Duftes doch etwas harte , auf Betonung der
Einzelwerthe begründete Färbung zeigen den Franzosen,
den Meister aus Napoleonischer Zeit, jener Zeit einer
überfeinerten Romantik , welche weniger die Gemüther
bewegen, als die im Tagesgetriebe abgestumpften Nerven
in den Tiefen aufpeitschen sollte. In den Jahren,
in welchen amerikanische Künstler wie Bridgman,
Moore, Weeks, Cox Kenyon, Pickneil, Stewart
und Andere bei Geröme studirten, war diese Richtung
der französischen Kunst noch die in Paris fast allein
herrschende. Die Landschafter der Schule von Fon-
tainebleau und Barbizon, der gewaltig anregende, aber
grosssprecherische und deshalb uin so mehr \'erhöhnte
Courbet , die vielverlachten ersten Versuche der Hell-
malerei hatten noch keinen Boden bei den Künstlern
gefunden. Es entzückte Paris vor Allem die technische
Meisterschaft, die eigentliche Kunst des Malens, welche
von den Romantikern den italienischen Grossmeistern
abgelauscht und von Künstlern zweiten Ranges, wie
Couture, Glayre, Lefebvre, Bouguereau zu einem sicheren
Besitzstande der Pariser Schule gemacht worden war.
Und dann lockte der prickelnde Geist, der vom Napo-
leonischen Paris ausging, dies Leben auf dem Vulkan,
dies frohe tolle Treiben im Angesicht des Untergangs,
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Porträt.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
41
welches sich in der Kunst in Darstellungen der Freuden
des Lebens oder der diesen entgejjentretenden schreck-
lichen Ereignisse äusserte. Derselbe Geröine, welcher
mit Vorliebe Sklavinnen auf dem Markt und Phryne
vor den Richtern darstellte, malte den Marschall Ney,
der im Festungsgraben zusammengebrochen liegen
bleibt, während die Mannschaften, welche das Stand-
Hierin liegt schon eine Art Programm, äussert sich der
in Paris mächtig werdende Zug nach engerer Ver-
bindung mit dem eigentlichen Volksthum. Man war
die grossen Schauervorstellungen und die prickelnde
Sinnlichkeit müde, man ging hinaus aus Paris, auf das
Land, wo die grossen Erneuerer der französischen Kunst
eben damals ihre wunderbaren Entdeckungen im Reiche
/. /I. Briagman. Das Negerfest zu Clidah.
recht an ihm vollzogen , theilnahmlos abziehen : Grau-
samkeit war ja jederzeit das letzte Vergnügen der
sinnlich Ermüdenden.
Ein so fein beanlagter Künstler wie Frederick
Arthur Bridgman musste bald die Schwäche an
der Kunst seines Meisters merken. Zwei Jahre nach-
dem er 1866 in dessen Atelier eingetreten war, führte
er, obgleich er erst die Zwanziger kaum überschritten
hatte , Bilder aus , welche schon im Gegenstand eine
Abschwenkung von seinem Lehrer darstellten. Er malte
zunächst vorzugsweise die Bretagne und ihre Bewohner.
der Stimmung machten. Und als dann Vielen und so-
mit auch Bridgman des Malens von Bauern aus der
Normandie und aus den Pyrenäen zu viel wurde, als
sie sahen , dass ihre verfeinerte Natur sich nicht Tür
diese Aufgabe eigne — da war es der Orient, der sie
alle mächtig lockte, dort wo Pracht und Einfachheit,
Schönheit und Grausamkeit, sanfte Stimmung und
wilder Ernst, glänzencle Farbe und blendendes Licht so
eng beisammen stehen, wo das Volksthum wenigstens
für uns europäisch Gebildete ein wunderbarer Hauch
des Dichterischen umzieht; aus Schmutz und Elend der
42
DIE KUNST UNSERER ZEl'C.
Reichthum an Ton, aus verkommenen Sitten der Glanz
früherer Tage, aus versinkenden Städten höchste künst-
lerische Pracht hervorspricht.
Und dorthin wendeten sich auch die Amerikaner.
Bridgman hat sich Aegypten und Nordafrika zur künstler-
ischen Heimat gewählt. Seine Bilder sind in Deutsch-
land verhältnissmässig oft au.sgestellt worden. Auf der
Berliner Ausstellung von i8gi waren deren allein fünf,
in München ist er ein gern gesehener, regelmässig er-
scheinender Gast, unsere illustrirten Zeitungen bedienen
sich gern seiner Meisterschaft. Unter der Hand des Ameri-
kaners hat sich Gerömes Schule gewandelt. Bridgman
ist heller im Ton, klarer in der Farbe, weisser im Licht.
Die Entdeckungen der Jüngeren, der Hellmaler, haben
ihn nicht ganz für sie bekehrt, aber er hat von ihnen
viel aufgenommen. Ja in seinem Bilde «Das Fest des
Propheten zu Blidah» liegt in dem Spiel mit dem
Weiss der die Frauen umhüllenden Tücher, des Marmors
und des Stuckes der Baulichkeiten als Gegensatz zum
Ton der Abendluft, der brennenden Lichter und der
dunklen Hautfarbe der südlichen Frauen der eigentliche
künstlerische Vorwurf In dem « Negerfest zu Blidah »
tritt neben dem Zug zum ethnographisch Genauen noch
die im Ganzen nicht völlig zur Wirkung gelangende
Buntheit hervor; und in dem nebenbei vorgeführten
«Opfer der Tugend», jener in drei Bildern dargestellten
Erzählung vom Ueberfall einer Harems-Schönen durch
einen lüsternen Mörder, erkennt man, dass auch die alte
Neigung zu Geröme'schen Vorwürfen doch noch nicht
ganz überwunden ist.
Eben.so ist die Vorliebe für das Topographische,
Bildnis-sartige noch bei den Schülern Gerömes stark.
Wenn uns Bridgman gewissenhaft die Orte nennt, die
er darstellt — Orte, deren Dasein ihm nur die ge-
lehrten Geographen oder Orientreisende nachzuprüfen
vermögen — so ist auch dies wieder eine Art Programm.
Man sieht , dass er noch im Sinn der alten Schule den
Gegenstand bevorzugt, dass es ihm nicht lediglich auf
die Darstellung eines Natureindruckes , sondern auch
vorzugsweise auf den sachlichen Inhalt ankommt.
In gleicher Weise schafft der 1849 i" Boston ge-
borene Edwin Lord Weeks, der, nachdem er bei
Geröme und Bonnat seine Studien gemacht hatte, Bridg-
man nach Nordafrika folgte , ihn aber bald , Indien zu-
strebend, weit hinter sich liess. Auch in seinen Bildern,
deren in Berlin und München mehrere zu sehen waren.
tritt die sonnenhelle Oricntmalerci mächtig hervor. In
vielen Arbeiten wird man an den Russen Wereschtschawin
gemahnt , erscheint Weeks gewissermassen als dessen
Eideshelfer, indem er die glanzvolle Wirkung weis.sen
Lichts in weissen Marmortempeln, wie in jenem von
Walkeshwur bei Bombay, mit ähnlicher Kraft des Sonnen-
tones schildert und dazu all das Flimmern der reichen
Farben auf den Gewändern, auf der blanken braunen
Haut der Menschen, auf den bunten Behängen und
Gefiedern der Thiere. Ein echtes Sonnenbild dieser Art,
so recht der Beweis, wie weit man es in der Darstellung
tropischen Lichtes zu bringen vermag, sind die « Elefanten
des Maharajah in Jehore».
Ein dritter Gcröme-Schüler, Harry Humphrey
Moore, hat, ehe er zur selbständigen Künstlerschaft
gelangte, eine zweite Lehrzeit durchgemacht, die starken
Einfluss auf ihn ausübte Er war in Spanien und später
in Rom Schüler des Fortuny. Bei seinen kecken, farben-
frohen, bei höchster Buntheit doch einheitlichen Bildern,
mit Vorliebe Darstellungen aus Japan , kommt ihm die
scharfe, geistreiche, zugespitzte Art des grossen Führers
der modernen Spanier und Römer ausserordentlich zu
statten : Ein so keckes Roth , ein so blitzendes Gelb
hat eben nur die Schule Fortunysl
Den umgekehrten Weg, von den Spaniern zu
Geröme wanderte Julius L. Stewart, der im ver-
flossenen Jahre in Berlin trefflich vertreten war. In die
Werkstätte des Zamagois und des Madrazo führte ihn
die genaue Kenntniss der Malweise des Fortuny: Ist
doch Stewarts Vater der glückliche Besitzer einer Reihe
der besten Werke des Spaniers. Die Farbenfreudigkeit
der Bilder des jungen Meisters erklärt sich trefflich aus
diesem Zusammentreffen: Die ausgeglichene Kraft des
farbigen Tones dankt er der Schule Gerömes; die
heitere Buntheit den spanischen Anregungen; und die
innere Vornehmheit seiner Gestalten, der freie Anstand,
welcher sie beseelt, ist sein eigenstes Gut — oder das
seiner amerikanischen Herkunft.
Auch Kenyon Cox studirte bei Geröme, nach-
dem er vorher Carolus Duran nahe gestanden hatte.
Schon als 26jähriger kehrte er 1882 nach New York
zurück. Das ist vielleicht der Grund, dass er sich von
dem übermächtigen Einfluss der Franzosen frei machte,
welcher in seinen ersten, venetianischen Studien noch
vorherrschte. Jetzt erscheint er eher den Engländern
verwandt. Sein «Abend», eine wundervoll gezeichnete
DIE KUNST UNSKRKR ZKIT,
43
und gemalte, eigenartig stilisirte Frauengestait vor einer
titianisch tiefen Baumgruppe , darf sich vielleicht der
geistigen Pathenschaft von Sir Frederick Leighton rühmen,
während in dem prächtigen Bildniss dos berühmten ameri-
kanischen Bildhauers A. St. Gaudens die freie, selb-
ständige Richtung kräftig sich äussert! Man sehe, wie
prächtig der Kopf auf der grauen Wand steht, selbst
in grauen Tönen schlicht hingemalt, und wie intim die
modellirende Hand gezeichnet ist: In dieser Arbeit
ausserordentlich Bonnat als Maler starker Lichtwirkungen,
kräftig geschlossener Tonkompositionen auf seine Zeit
Einfluss nahm, der begreift auch, dass die Amerikaner,
stets bereit, in den Vorderkampf des Schaffens zu treten,
ihn gerne zum Lehrer wählten. Frank Hill Smith,
Albert Po well Ryder, Charles Gardley Turner.
William Anderson Coffin und gewiss noch viele
andere ältere unter seinen Schülern leben und wirken
jetzt in den Vereinigten Staaten. George Innes,
Etiviin I.orJ iVetks. Die Klephanten des Maharajali in Jeliore.
steckt etwas Besonderes, Amerikanisches, dem zu be-
gegnen dem aufmerksamen Beschauer eine Freude .sein
wird. Abbot Henderson Thayer, der ausser von
Gerome noch von dem international gewordenen Hol-
steiner Heinrich Lehmann angeregt, anfangs Genrebilder
malte, aber bald von dem «Kind mit der Katze» zur
« Leda mit dem Schwan » und endlich ganz von der
Lyrik zur Realistik überging, hat in Amerika auch eine
bemerkenswerthe Ruhe des Tones und Breite des Vor-
trages sich angeeignet , die seine beiden in München
ausgestellten Bildnisse als Werke von kräftiger Eigenart,
als amerikanisch erscheinen Hessen.
Wer sich des Aufsehens erinnert, welches zu Ende
der sechziger Jahre und in der Folgezeit Bonnats Bild-
nisse erregten, namentlich sein «Thiers», wer weiss, wie
des ausgezeichneten New- Yorker Landschafters 1854 in
Paris geborener Sohn, ein tüchtiger Thiermaler, gehört
auch in diesen Kreis. Andere verliessen Paris nicht
auf die Dauer: So Walter Gay, welcher, seit er
1876 in Bonnats Werkstatt eintrat und Paris nur zu
Studienzwecken verliess; Charles Sprague Pearce.
welcher 1873, 22 Jahre alt, sich dem Meister anver-
traute und seitdem als einer der feinsten Künstler
der amerikani.schen Kolonie an der Seine lebt. Beide,
zu den fortgeschrittensten Hellmalern gehörig, waren
wohl vortrefflich in Berlin , nicht aber in München
vertreten. Nicht blos um den Vorwurf mangelnder
Höflichkeit gegen Frauen von mir abzuwenden, nenne
ich gleich hier drei in Paris lebende Malerinnen : die
an männlicher Breite des Vortrages mit der Polin
44
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Bielinska und der Holländerin Schwartze wetteifernde
Anna Elizabeth Klumpke und Lucy Lee
Robb ins, welche durch ihr in Berlin ausgestelltes
Selbstbildniss den Männern bewies , dass man ein vor-
nehmes und anmuthiges Mädchen bleiben kann, selbst
wenn man eine sehr ernst zu nehmende Malerin wurde;
und den Frauen, dass man mit vollster Hingebung sich
einem Berufe widmen und doch dabei in schönster
Weiblichkeit sich erhalten kann ; und endlich Emma
Chadwick, die, so viel ich weiss, Schwedin von
Geburt, schon zu Anfang der achtziger Jahre bei
Robert-Fleury und Cazin studirte und seither Werke
von sicherer Meisterschaft zur Schau brachte.
Alle diese, sowie die jüngeren Mitglieder der
amerikanischen Malergesellschaft in Paris machten sich
früh von Geröme und Bonnat frei, geführt von einem
ihrer grössten Talente John Singer Sargent. Sargent
ist in Florenz 1856 geboren und Schüler des Carolus
Duran in Paris. Seine Bedeutung liegt in der erstaun-
lichen Thatkraft, mit der er die impressionistischen
Bestrebungen der siebziger Jahre vertrat, hierin neben
Bastien-Lepage einer der glänzendsten Vertreter der
Hellmalerei werdend.
Das Programm dieser Maler ist tausendfältig be-
sprochen! Es heisst für sie, die Welt sei herrlich überall,
der zu malende Gegenstand daher gleichgiltig, wenn nur
die Natur in ihrer vollen Wahrheit getroffen werde.
Der Kampf gegen veraltende Ideale führte sie bis zur
grausamsten Entschiedenheit im Realismus. Aber Eines
verklärte ihre Bilder: das Licht, die strahlende Sonne.
Die Wirkungskraft der Farbe durch sie wurde erstaunlich
gesteigert, die Empfindung für die zarten Halbtöne so
verfeinert, dass man der schweren Schatten der alten
Malerei nicht mehr bedurfte. In der geringen Tonver-
schiedenheit zwischen höchstem Licht und tiefstem
Dunkel im Bilde offenbart sich die Feinheit des maler-
ischen Empfindens, eine andere, künstlerischere Art jener
«Beschränkung», in welcher doch die Aesthetiker so
lange die Vorbedingung der Schönheit erblickten. Man
mu.ss ein Bild wie Pearces «Schäferin», George
Hitchcocks «Mutterglück?, Walter Mc Ewens
«Allerseelentag», Sargent Kendalls «Milchhänd-
lerin», man muss ferner die prächtigen Arbeiten des
diesmal in München nicht vertretenen Gari M elchers
auf diese Werthe hin prüfen, um den Malern gerecht
zu werden. Es ist da eine Anspannung des malerischen
Auges, eine Vorsicht in der Wahl des Tones, eine Zart-
heit in der Empfindung für die koloristischen Werthe,
wie sie vor der unserigcn kaum eine andere Zeit besass.
Und gerade in den Werken , welche die an alten
acsthetischen Werthen Hängenden am stärksten ab-
schrecken, tritt die ausserordentliche Steigerung des
malerischen Könnens oft am deutlichsten hervor.
Zwei Bilder seien nach dieser Richtung hervor-
gehoben , ausgedehnte Leinwandflächen , welche in
München viel besprochen wurden: Alexander
Harrisons «Badende» und William T. Dannats
« Spanierinnen ».
Von Harrison soll später noch weiter die Rede sein.
Hier gilt es die Werthe eines Bildes abzuwägen, welches
einen grünlichgelben Abendhimmel, eine fast bewegungs-
lose grüngelbe Meeresfläche und in dieser einige nackte,
ganz von grüngelben Reflexen umspielte Frauen dar-
bietet : Viele Quadratmeter Fläche, in welchen nur das
Haar und die Augen der Frauen einen etwas tieferen
Ton haben, sonst fast ein Einerlei oder doch so beschei-
dene Schwankungen in der Farbe, dass der ungewohntere
Blick ihrer kaum sich bewusst wird. Und trotzdem oder
besser wegen dem : welche Tiefe der Perspektive, welche
Klarheit in der Raumgestaltung, welche endlose Fülle
feiner sich durchdringender Reflexe, welche Wahrheit
und welch' tiefes aus dieser hervordringendes Gefühl der
Ruhe und des Wohlseins!
Dannat hat es erreicht, dass seine Arbeit wohl die
am häufigsten genannte der Münchener Ausstellung
war. Aber neunundneunzig von hundert Besuchern be-
zeichneten es einfach als das «scheusslichste» aller
Bilder. Es ist ja eine Eigenthümlichkeit der meisten
braven Leute , dass sie sich besonders freuen , etwas
gefunden zu haben , worüber sie sich von Grund der
Seele entrüsten können. So war es hier, vor Dannats
Bild: Eine Anzahl aufgeregter, geschminkter Spanier-
innen sitzt aut einer Bank an der Wand , von elek-
trischem Licht beleuchtet. Alle Farben sind durch
dieses Licht ebenso verzerrt, wie die Leiber der zweifel-
haften Schönheiten , alle Glieder umspielt von wunder-
lichen , immer in ein violettes , weissliches Roth über-
gehenden Farbenmischungen. Beobachtet ist das Bild
aber mit ausserordentlicher Schärfe und gemalt, in
leichtem Auftrag alla prima gemalt , dass einem ge-
radezu die Haare zu Berge stehen , wie vor einem
.schreckhaften Wunder 1
CO
CO
C
o
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
45
Mit einer gewissen Sicherheit kann man annehmen,
dass dieses Bild von der grössten Mehrzahl europäischer
Aufnahme-Juroren würde abgelehnt werden. Wie man
in Amerika darüber denkt, weiss ich nicht. Diesseits
des Oceans ist es nur in München und Paris möglich.
Dannat ist kein Anfänger mehr: Jetzt ein Mann nahe
den Vierzigern , hat er einst an der Akademie in
München seine Studien begonnen und lebt nun in Paris.
Dort hat man ihn mit Ehren aufgenommen und eine
Lehrstelle an der Kunstschule überwiesen: Es ist eben
wunderbar, wie «dem ein sin Uhl is, wat dem annern
sin Nachtigall is. » Ich erzählte einem deutschen
Akademieprofessor vor dem Bilde, dass es von einem
seiner Kollegen in Paris stamme : Er sah mich lange
an , ob ich scherze —
dann ging er schwei-
gend und den Kopf
schüttelnd weiter.
Schon vor einem
anderen Bild hatte er
mir nicht recht glauben
wollen , dass meine
Freude eine unge-
heuchelte sei , vor je-
nem von Robert
William V o n n o h :
Ein Blick über ein Feld
blühenden Mohnes, in
dem ein Kind herum-
spielt , dahinter eine
Wiese, etwas Wald, ein Hof; Alles im bläulichen
Sonnenlicht spielend, eine grosse- Bildfläche. Er wollte
nicht einmal zugestehen, dass es meisterhaft gemalt
sei! Es lohnte sich aber das Mohnfeld genau anzu-
sehen: Ein Mosaik in Oelfarbe; das völlig reine Roth
steht in breiten Haufen unmittelbar aus der Tube auf
die Leinwand aufgedrückt da, die blaugrünen Blätter
stehen in breiten Flächen daneben. Zwischen beiden
Farbenklumpen sieht man bis zu einem Centimeter
breit die blanke weisse Leinwand. Diese Amerikaner
scheuen sich wenigstens nicht, mit aller älteren Technik
zu brechen und zu thun, was ihnen nöthig scheint, um
die erstaunliche Lichtwirkung zu schaffen , welche sie
anstreben. Ist dies Streben ein falsches — nun dann
ist selten auf Fehlwegen mit solcher Kühnheit gewandelt
worden I
Charles Edmond Tarbeil, gleich Vonnoh
«drüben» lebend, nimmt eine ähnliche Richtung ein.
Ihm ist's darum zu thun, wechselnde Beleuchtungen
im Antlitz des Menschen zu zeigen: Und da wird der
Kopf ihm kurzweg zum Versuchsfeld für koloristische
Kontraste — selbst ein hübscher Mädchenkopf: «Ein
Opal» und «Ein Amethyst» nennt er seine wuchtig
durchgeführten Studien nach dem Ton des sie um-
spielenden Lichtes.
Minder auffallend, malerisch aber von hohem Werth,
sind die Bilder des unlängst von Paris nach New-York
übergesiedelten Childe Hassam: Die Arbeit «Das
Blumenmädchen , eine Erinnerung an Paris » ist so
viel mehr französisch als die ausgezeichnete Darstellung
der « 5. Avenue im
George Innes. Landschaft,
Schnee » , dass man
sehr wohl erkennt, der
kräftigere Ton sei das,
was die neue Welt
dem Künstler hinzu-
brachte. In Emil
Carlsens Stillleben
sieht man die französ-
ische Schulung deut-
licher. Es könnte das
Bild für einen VoUon
gelten. G. D. F. Brush
und D e n n i s M. Bun-
ker neigen auch in
ihrer Kunst Pariser An-
regungen zu. Eugene Vail datirt seine fein em-
pfundene Darstellung des Themselebens im Nebel so-
gar französisch, mit «Londres».
Henry Muhrmann, zumeist in München gebildet,
jetzt in London lebend, verzichtet mit seinen düsteren
Klippen bei Hastings in noch höherem Grade auf
das Zeichnerische der Naturdarstellung; und wenn er
gleich sein Bild nach einem bestimmten Landschafts-
ort benennt, ist's ihm doch nicht um das Landschafts-
bildniss, sondern lediglich um koloristische Werthe zu
thun. In den beiden anderen Bildern, welche er nach
München brachte, erinnert die «dämmernde Tiefe, der
.schwermüthige Ernst zumeist an L'Hermittes pracht-
volle Werke.
Eine grosse Hinneigung zu Mesdag zeigt das Bild
von H. W. Ranger «Flusslandschaft», während sich in
46
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
den « Gebäuden im Madisonsquare-Garten » Rauch und
Nebel, elektrisches und Gaslicht mit einem Schimmer
von Tag zu einer fein beobachteten Gesammtstimmung
meisterhaft vereinen. Aehnlich neigt Alexander van
Laer, wohl selbst Niederländer, obgleich seine Aus-
bildung sich ganz in New-York vollzog, zu den graueren
Tönen der holländischen Malerei hinüber; mischen sich
in William Henry Howe, in Hugh Bolton Jones,
von dem ich Bilder aus der Bretagne gesehen zu haben
mich entsinne, der also wohl selbst in Paris geschult
wurde; in Horatio Walker, in Francis C. Jones
mit seinem prächtig gemalten an Tadema erinnernden
Interieur, die amerikanische Feinheit der Naturempfindung
mit den aus Europa und besonders aus Frankreich über
das Meer hinübergreifenden Anregungen. Dieselben
zeigen sich bei einem Künstler, dessen Ausbildung, so
viel ich weiss, sich ganz in seinem Wohnort New-York
vollzog, bei John Francis Murphy aus dessen
reizendem Landschaftsbilde, einer Hütte am schilfigen
See im tiefsten Walde, man ersöhen kann, dass auch
am Hudson Luft und Licht ihre wunderbaren Schleier
um die dämmernde Erde breiten, genau so wie im
Walde von Barbizon und an den Ufern der Seine.
In diesen Bildern macht sich bereits eine gewisse
Sonderung von der Kunst geltend, welche in Paris vor-
herrscht. Sichtlich beruht diese nicht auf zufälligen
Eigenschaften der amerikanischen Landschaft.
Auf der Münchener Ausstellung machten die Werke
von George Innes in New-York eine sehr starke
Wirkung. Sein «Sonnenaufgang» wurde mit einer Medaille
ausgezeichnet. Das schon 1888 gemalte Bild, ein paar
dürre Bäume über einer Haide, ein zerrissener tiefblauer
Himmel, aus dem tiefroth die Sonne hervorbricht, ein
paar rothe Flecken als Staffage : Dies einfache Werk
machte den Eindruck einer farbengewaltigen Ton-
dichtung. Es trat den europäischen Künstlern hier
eine stark eigenartige Persönlichkeit entgegen , und
dies ist's wohl, was sie zumeist an dem Werke anzog.
Daneben hatte der Künstler einen «Wintermorgen»
vorgeführt, eine Art Vorfrühling vor dem Ergrünen der
Natur, in dem das Braun der Bäume und Sträucher
sich mildert und durch die Reste des Schnees unter
dem bereits wärmenden Himmel eine Ahnung künftigen
Sprossens hervorlugt. Und dann einen «Stillen Tag»
ein Paar Bäume am See, in der Dämmerung, mächtig
vorgetragen, als gälten dem Maler die Formen der
Natur nur als das Mittel um an ihnen das Spiel der
fein abgewogenen Farben zu schildern. Es spricht aus
diesen Bildern eine ganz veränderte Auffassung dessen,
was malerisch sei. Die Menschen im Bilde sind ihrem
Schöpfer nicht «Staffage» im Sinn der alten Land-
schafterei, Personen, welche zur Erklärung des Gegen-
ständlichen dienen sollen , sondern Mittel ein paar leb-
hafter Töne auf der von prächtigen Lichtblicken durch-
furchten Leinwand anzubringen, welche, mit einer rück-
sichtslos breiten Weise gemalt, von Wirkung strotzt:
. Man sehe , wie die düsteren Bäume auf der warm
grauen Wolke stehen!
Es giebt Künstler — und es hat deren besonders
in Deutschland sehr grosse gegeben — welche in der
Natur unter der Farbe , unter dem Ton zunächst die
Form sehen. Sie führte die wachsende Erkenntniss
ihrer Stellung zur Natur immer mehr dahin , von der
Farbe ganz abzusehen und in der reinen, völlig des
Tonspieles entzogenen Form den Höhepunkt der Kunst
zu erblicken. Ein ganzes Volk, die Hellenen, wahrlich
nicht das Kleinste in künstlerischen Dingen , baute auf
diesem Empfinden seine stolze Kunst auf.
Bei einem Maler wie Innes, erscheint das volle
Gegentheil. Er strebt der reinen Farbe, dem reinen
Tone zu. Ihm wird das Landschaftsbild zur Ton-
symphonie. Ob die einzelnen Gegenstände Form
haben, ob sie für die Beschauer deutlich erkennbar
sind — das kümmert ihn wenig. Er ist zu einer philo-
sophischen Abklärung in der Kunst gelangt, die jener
an Entschiedenheit entspricht, welche die rein plastisch
empfundene , weisse Statue für die vollendetste Form
der Kunst hält. Und er ist in Amerika sichtlich nicht
der einzige seiner Anschauung.
Der Umschwung im Geschmack der Amerikaner
kam gegen Ende der siebziger Jahre scharf zum Aus-
druck. Er stellt sich treff"lich dar in dem Urtheil,
welches zwei Landschafter über Corot fällten. Jervis
Mc. Entee, Mitglied der alten, wesentlich von
Düsseldorf beeinflussten Schule, fand des französischen
Meisters Bilder, deren es drüben sehr viele gibt, nach-
lässig und unfertig, nicht Landschaften, sondern Ge-
spenster von Landschaften, Werke der gehetzten
französischen Schaffensweise, des Dranges, sich durch
Sonderbarkeit auszuzeichnen. Innes aber fasste seine
Stellung zur Kunst merkwürdig pantheistisch. Er will
nicht seine Person in das Mittel der Kunst stellen,
DIE KUNS'l' UNSERER ZEIT.
47
«*- \
iSH:f'-^ ,
George Hitchcock. Mutterglück.
sondern betrachtet Gott als ihren Ausgangspunkt; die
ganze Kraft des ächten Künstlers sei darauf zu richten,
dass er im Kunstwerk verschwinde, dass er die Natur
allein und in dieser Gott darstelle. Ihm ist die Kunst
Gebet ; Wahrheit und Schönheit sind ihm Gottes-
Darstellung. Beide aber gehen aus der Hingabe seiner
selbst hervor. « Ich gebe keinen Pfifferling » , sagt er,
«für einen künstlerischen Gedanken, der nicht darstellt,
was ich fühle. Ich will nur den Eindruck auf Andere
übertragen, den ein Gegenstand auf mich machte. Ein
Kunstwerk soll nicht belehren, erbauen, sittlich heben
— es soll das Gemüth erregen. Diese Erregung mag
sein welcher Art sie will. Die wahre Schönheit be-
ruht auf der Schönheit und Stärke dieser Gefühls-
erregung. Wer sie erreicht, der hat das Höchste ge-
leistet. Zu wenig kann ebenso stören, wie zu viel. Ein
Bild mag noch so gut gemalt, noch so realistisch sein —
es braucht darum noch kein gutes Bild zu sein. Hierin
überragt Corot z. B. den Meissonier. Dieser hat eine
wissenschaftliche, jener eine dichterische Wahrheit, dieser
ist analytisch, jener aesthetisch».
So zeigt Innes die amerikanische Kunst auf dem
Wege der Schule von Barbizon. Erst als diese Bewegung
die jüngeren Amerikaner erfasst hatte, konnte sie sich
auf weitere Kreise erstrecken. Wyatt Eaton war es,
der ihr nach aussen sichtbaren Ausdruck gab. Noch
Schüler Leutze's, doch zugleich des Amerikaners Edwin
White und später des Bildnismalers J. O. Eaton,
dann aber durch Turner angeregt und von Millet
als Freund behandelt, kam er nach Amerika mit
dem Kraftgefühl zurück, endlich den rechten Weg
gefunden zu haben. Ein unbedeutender Vorgang gab
die Veranlassung, dass die beiden Schulen kampflustig
sich entgegentraten. Die National Academy of Arts
sah schon lange die « nachlässigen und unfertigen »
Bilder der aus Barbizon Heimkehrenden ungern in
ihren anderen Idealen geweihten Hallen. Sie traf eine
Bestimmung , um die Beschickung in ihre Ausstellung
48
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
durch solche Werke zu beschränken, indem sie be-
schloss, jedem ihrer MitgHeder zunächst acht laufende
Fuss Wand der Ausstellungssäle zur Verfügung zu
stellen. Am i. Juni 1877 gründete, durch diesen
Schritt äusserlich veranlasst, Eaton mit dem in
Deutschland gebildeten Genremaler Walter Shirlaw,
mit der Malerin Helena de Kay Gilder und dem
Bildhauer Augustus St. Gaudens die «Society of
American Artists». Sie erklärte sich und den neuen
Kunstverein als streng modern. Die Form dieser Er-
klärung ist sehr bezeichnend : Sie seien , sagten die
Mitglieder der schnell sich vergrössernden Genossen-
schaft, zwar Verehrer der alten Meister, aber sie wollen
Front machen gegen Jene , deren Bewunderung ein-
seitig gerichtet sei auf Lambinet, Bouguereau, Cabanel,
Delaroche und — Meyer von Bremen.
Eine lehrreiche Zusammenstellung! Also die Jung-
Amerikaner bekämpften den französischen Classicismus
und das deutsche Genre, die Korrektheit und die Süss-
lichkeit, die rein formale Schönheit und die Gemüths-
verzärtelung 1
Ausser auf Innes richtete sich in der Münchener
Ausstellung die Aufmerksamkeit Jener, die amerikanischer
Kunst näher treten wollten, vorzugsweise auf das Bild von
W i n s 1 o w Homer, auf « Märzwinde >; : Unter grauem
Himmel eine weisslich blaue Ferne und davor eine grau-
braune Ackerhalde; darauf ein paar Sträuche — das
Ganze eigentlich in drei Tönen gehalten, einfach und
doch eindringlich dargestellt. Homer vertritt in seiner
ganzen Art so recht eigentlich das Amerikanerthum.
Seine Ausbildung erlangte der den Sechzigern sich
nähernde Bostoner durch jenen John La Farge,
der die grossartige figurale Kunst des Washington
Allston fortsetzte und sie mit William Morris
Hunt auf den Weg der Selbständigkeit lenkte. Es
ist kein Zufall, dass La Farge als einer der ersten
auf die japanische Kunst als auf eine auch für uns vor-
bildliche hinwies. Als ein Maler sentimentaler Kriegs-
bilder beginnend und als solcher sich den Beifall seiner
Landsleute erringend, trat Homer schon 1867 mit Er-
folg in Paris auf, ehe er selbst nach Europa ging,
mehr um dort die Alten, als um die Modernen zu
Studiren; denn in sich war er damals bereits fertig.
«Sein Stil i.st frei, kühn und gross», sagte ein englischer
Kritiker schon in den siebziger Jahren, «realistisch und
geht gerade zu aufs Ziel. Seine Werke behalten etwas
von der in freier Natur gemachten Skizze, sind sie
doch thatsächlich im Sonnenlicht, im Freien gemalt, in
der unmittelbaren Anschauung der Natur». «Es steckt»,
erklärt jener weiter, «so viel vornehme Schlichtheit, Ruhe
und Nüchternheit in ihnen, dass man den Reichthum
an Gefühl und die Feinheit der Empfindung dankbar
auch bei der Schwäche der Beziehung der F"arbe zum
Gedanken hinnehmen müsse » : Der alte Vorwurf gegen
die Freilichtmalerei, als deren erster und eigenartigster
Vertreter Homer in Amerika gelten muss.
Was ihn seinen Landsleuten aber besonders em-
pfiehlt, ist, dass er Amerika und die Amerikaner malt.
Seine Negerstudien, seine Darstellung von Land und
Leuten , die Verschmelzung des Bodens mit dem auf
ihm heimischen Menschenschlage lässt ihn den Patrioten
der Vereinigten Staaten in besonderem Sinne als den
Ihrigen erscheinen.
Tritt in Homer eine durch die Besuche in Paris
verstärkte innere Verwandtschaft mit den modernen
Franzosen deutlich zu Tage, so noch mehr bei Dwjght
William Tryon, dessen «Dezember» die Münchener
Preisrichter die grosse goldene Medaille zuerkannten.
Der im Anfang der Vierziger stehende Künstler, seit
1885 Direktor der Hartfort-Kunstschule, ist selbst that-
sächlich in Paris bei Daubigny in die Lehre gegangen,
nachdem Louis Jacquesson de la Chevreure und Guillemet
ihn zu Anfang der siebziger Jahre vorgebildet hatten.
Sein zartes Bildchen «Aufgehender Mond» hat denn
auch alle Merkmale der Schule von Barbizon, den feinen
blaugrünen Ton der Landschaft , den zarten Hauch des
hinscheidenden Abendrothes , ja selbst den Heuschober
wie ein Millet ; während der « Tagesanbruch » , ein
Blick über den See auf eine noch in Nacht liegende
Stadt, ganz in der derben, gesunden und doch tief
empfundenen Malweise seines Lehrers gehalten ist.
Die selbstständige Kraft des Amerikaners kommt im
«Dezember» klar zum Durchbruch: Die Luft ist grau,
durchzogen von gelblichen Lichtstreifen ; der dunkle
Wald am Horizont, die grauen Brachfelder, das schilfige
Moor im Vordergrund sind die Gegenstände, über
die die malerisch feinen Werthe sich ausbreiten; das
Ganze erscheint als ein Ausblick in eine kühle, ernste
Natur, aber als der Ausblick eines auf's Aeusserste für
Stimmungwerthe geschärften Auges.
Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich Julian
Alden Weir « Wachsende Schatten » betrachtet. Trägt
G
o
o
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
49
der junge Künstler doch einen in Amerika weit bekannten
Namen: Robert Walter Weir gilt drüben als einer
der ersten Historienmaler im Sinne der Engländer. Es
hat auf die beginnende Laufbahn des 1824 in Florenz
und Rom gebildeten Künstlers schon einen gewissen
Glanz geworfen, dass er der Nachfolger Leslies an der
Kunstschule zu Westpoint wurde, einen Glanz, den er
Ein Künstler wie J. Appleton Brown, dessen Arbeiten
in den siebziger Jahren im Pariser Salon Aufsehen machten,
beweist, dass Amerika mit am frühesten verstand, wo
Daubigny, Millet, Duprc hinaus wollten. Peter Moran,
der ausgezeichnete amerikanische Thiermaler, schwenkte
früh von Landseer zu Rosa Bonheur und Troyon hinüber
und von diesem zu der immer mehr auf Stimmung hin-
Ernest Part(f.n. Im Mai.
durch eigene Arbeiten und durch seinen Einfluss auf die
amerikanische Kunst wesentlich erhöhte. Aber wie sein
älterer Sohn John Ferguson Weir, der namentlich
als Genremaler geschätzt ist, selbst mit derFeder für Millets
Kunst eintrat, ging Julian Alden nach Paris und wendete
sich, wenn er gleich Geromes Schüler wurde, der Stimm-
ungsmalerei zu. Sein Bild — ein eine Anhöhe zwischen
Wiesen hinaufführender Weg und ein paar gegen die
Luft stehende Bäume — sonst nichts — sind an Stimm-
ungswerth einem Cazin gleichzusetzen.
Wir haben es hier also mit einer in den Vereinigten
Staaten längst heimisch gewordenen Kunstweise zu thun.
drängenden Art seiner Brüder Edward und Thomas;
George Bernard Butler, einst Coutures Schüler,
folgte dem Vorgange seiner Landsleute in's Gebiet der
lyrischen Dichtung mit der Farbe. Es geht also durch
die ganze moderne amerikanische Kunst jener Zug in
der Natur weniger Form als Farbe, weniger Gegenstände
als Stimmung zu sehen. Aber den vollen Ton für diese
Richtung fand erst ein in England lebender Amerikaner:
James Abbott Mc Neil Whistler.
Es wird, ehe wir diesem ausserordentlichen Manne uns
widmen, nöthig sein, die Vorbedingungen seines Schaffens
kennen zu lernen. Whistler ist zwar in Amerika geboren
50
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
als der Sohn eines hervorragenden, vielfach mit Hahn-
bauten in Russland beschäftigten Ingenieurs. Früh aber
kam er nach Europa , studirte in Paris unter Glayre,
dem glatten Koloristen, und ging dann nach London,
der Heimstätte seiner eigentlichen Lebensarbeit.
Als er dorthin kam, fand er nicht eben viel Ameri-
kaner unter den tüchigeren Künstlern vor. Seit Newtons
und Leslies Tode hatte sich die Sachlage in England
so völlig geändert, dass dies nicht eigentlich zu ver-
wundern war. Der deutsche Einfluss war hier mächtig
geworden, der strenge historische Sinn, wie er aus
Cornelius und Overbeck spricht, hatte hier Wurzel ge-
schlagen. Die Monumentalkunst wenigstens war deutsch
beeinflusst: Dyce, Eastlake, der Präsident der Aka-
demie, Armitage kamen nach München und Berlin,
um bei Kaulbach die Freskotechnik zu erlernen. Der
Prinzregent Albert lenkte mit Ziclbewusstsein und Sach-
kenntniss die Aufmerksamkeit auf das Kunstleben seiner
deutschen Heimat, auf die Gegenständlichkeit, die Ge-
dankentiefe der Cornelianischen Schule. Diese Art des
künstlerischen Geistes war völlig dem entgegengesetzt,
was die Amerikaner anstrebten. Es bildete sich zwar
in den Vereinigten Staaten eine kleine Gruppe der
sogenannten Praeraphaeliten , von deren Kunst wir in
München in Albert P. Ryders «Pegasus» eine Probe
sahen. Aber es bot das Bildchen nicht genug, um zu
erkennen, ob die Naivetät echt sei, welche bei unbe-
holfener Komposition und stumpfer Farbe doch be-
achtenswerth aus ihm hervorsprach.
Unter den in England lebenden Amerikanern nehmen
meines Wissens neben Whistler nur der Historienmaler
George Henry Boughton und die Landschafter
Ernest Parton und C. W. Wyllie eine hervor-
ragende Stellung ein. Boughton ist zwar in England
geboren, doch erst mit 19 Jahren aus Amerika dahin
zurückgekehrt, war seit 1860 Schüler von Fr^re in
Paris. Wie Bridgman und mancher andere amerikanische
Künstler jener Zeit, begann er mit seiner dortigen Lauf-
bahn mit Bildern aus dem Landleben aus der Bretagne.
Nach England zurückgekehrt, malte er mit Vorliebe
Szenen aus Shakespeare in fein empfundenen Land-
schaften mit eifrigem Bestreben, die Gestalten in weiten
Raum zu stellen, die Luftwirkung zu vergegenwärtigen.
Boughton geniesst als Kolorist in London die höchsten
Ehren, sie werden ihm auch als feinem Beobachter der
menschlichen Eigenthümlichkeiten und einem dichterisch
empfindenden Manne mit Recht zuerkannt. Der leicht
bläuliche Ton , der durch seine zarten Schöpfungen
zieht , die zeichnerische Sicherheit und nicht zum ge-
ringsten Grade die Wahl seiner Gegenstände machen
ihn an beiden Ufern der grossen See beliebt. Aber
das eigentlich Amerikanische tritt an ihm kaum er-
kennbar hervor.
Ernest Partan , über welchen das « Art Journal »
in letzter Nummer ausführlich berichtete, hat die feine,
liebenswürdige Beobachtungsweise des über Englands
Grenzen kaum bekannten , aber darum nicht zu unter-
schätzenden Birket Foster zu seiner Kunstreise
angeregt. Er ist in Grossbritanien zu der festen, klaren
Darstellungsweise gekommen, die ihn jetzt neben David
Murray und Vicat Cole zu einem der beliebtesten
Londoner Landschafter machte. Er strebt die Feinheit
des Tones auch bei durchgeführter Darstellung inne zu
halten und wenn er gleich ein paar Weiden am Bach
und ein Birkenholz im Abenddämmern grossen Fem-
blicken, ruhige Stimmung bewegter Natur vorzieht, so
ist er doch englisch genug, um immer sich fest an das
Gegenständliche zu halten.
Mehr ist dies noch bei Wyllie der Fall, dem gleich
Boughton schon längst in London zu akademischen
Ehren gelangten Seemaler. Seine in hellem klarem Ton
gehaltenen Bilder, so jene Darstellung der « Flottenschau
zu Spithead » am 4. August 1 889 durch unseren Kaiser,
ziehen immer auf die Schilderung thatsächlicher Vorgänge,
oft sogar auf die bildnisartige Darstellung eines bestimmten
Schiffes hinaus. Und wenn auch gelegentlich fantastische
Gegenstände, allerhand Seemärchen, fliegende Holländer
und Ausblicke aus der Taucherkammer auf den See-
grund seine Werkstätte verlassen, so wird das immer
ganz glaubwürdig erzählt, bleibt Wyllie doch immer der
aufs Sachliche gestellte Künstler.
Anders mit Whistler, der, obgleich auch er
schon seit Jahrzehnten mitten im britischen Kunst-
leben steht, doch eine ganz scharf umgrenzte Einzel-
gestalt darstellt.
Es war sehr lehrreich , dies Jahr in München
neben Whistlers reifen Arbeiten das Bild c Träumend >
zu sehen, welches unverkennbar einer früheren Zeit
angehört und es zu vergleichen mit seinen besten
Werken: Dem schon 1873 entstandenen Bildniss des
Carlyle und dem Hauptwerk dieses Jahres, jenem
seiner Mutter. Der Ton der älteren Arbeit ist sehr
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
51
Francis C. Jones. Ich spiele nicht mehr.
eigenartig, namentlich zeigt das Weiss einen Stich in's
Röthlichgelbe, der mich darauf schiiessen lässt, dass von
allen Künstlern der grosse englische Farbendenker
George Frederick Watts auf Whistler den grössten
Einfluss hatte. Jedenfalls spürt man an dem Werke
nichts von französischen Künsten , von der Art des
Glayre. Watts wird zu den englischen Praeraphaeliten
gerechnet. Aber diese sind ihrem Ursprünge nach vor-
wiegend Realisten der Zeichnung, Männer, welche das
Erschaute mit möglichster Genauigkeit, genau bis zur
letzten Rippe des Blumenblattes , bis zu jedem Faden
des Gewebes darstellen wollten. Das hat Watts nie
beabsichtigt. Ihm ist das Bild eine symphonische
Farbendichtung, er ist einer der frühesten unter den
modernen Lyrikern des Kolorits. Wenige haben ihn
anfangs verstanden, aber bei den Künstlern wächst
sein Ansehen Zusehens. Als sein gewaltiges Bild
«Hoffnung» vor einigen Jahren in München ausgestellt
wurde, musste das Wort seines Eigners, Sir Leighton,
es sei dessen herrlichster Besitz, ihm erst die Achtung
schaffen , welche es verdient , aber den deutschen
Kritikern nicht abzugewinnen vermochte. Heute würde
man es schon um seiner selbst willen zu schätzen wissen.
Whistler stand früh den Praeraphaeliten nahe. Er
war es, der in dem kostbaren Wohnhause des Mr. Ley-
land das berühmte « Pfauenaugenzimmer » ausmalte , in
welchem die herrlichsten Werke der Schule und ihrer
Vorgänger aus dem 1 5. Jahrhundert bis vor Kurzem
vereinigt waren. Und doch ist er es wieder , der gegen
den ästhetischen Vertreter jener Schule , gegen John
Ruskin, den entscheidenden, dessen Einfluss nach so
glänzenden Erfolgen brechenden Angriff machte, der zu-
erst ein neues System in die englische Kunst brachte, ein
neues Gefühl für das, was malerisch, was künstlerisch sei.
52
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Whistler, der, je mehr ich die Entwicklungsgeschichte
der modernen Kunst kennen lerne, desto mehr mir als
einer der wichtigsten Merksteine einer neuen Zeit er-
scheint, hat sich wiederholt als ein entschiedener Gegner
dessen ausgesprochen, was Ruskin Realismus nannte,
gegen das rücksichtslose Wiedergeben der Gottesnatur
so wie sie ist, ohne Auswahl, ohne Verschönerungs-
versuche, in der Meinung, die Natur biete stets und
allein das Gute, Schöne. Auch hierin folgte Whistler
den Anschauungen Watts, welcher erklärt hatte, wahre
Natur sei in unserer verfeinerten und verderbten Welt
nicht zu finden, müsse daher vom Künstler erst neu
geschaffen werden.
«Die Natur», sagte Whistler, «birgt in Farbe und
Form den Inhalt aller möglichen Bilder in sich, wie der
Schlüssel der Noten alle Musik.»
« Aber des Künstlers Beruf ist es » , fährt er fort,
«diesen Inhalt mit Verstand aufzulesen, zu wählen, zu
verbinden , damit er das Schöne schaffe — wie der
Musiker die Noten vereint und Accorde bildet, aus dem
Missklang ruhmreiche Harmonien hervorfördert. »
Selbst dass die Natur immer ein richtiges Bild gebe,
selbst dies nennt er eine im künstlerischen Sinne völlig
irrige Behauptung. «Die Natur ist so selten richtig,
dass man meist sagen kann, Natur sei gewöhnlich
falsch: das heisst, die Beschaffenheit der Dinge, welche
den vollendeten, eines Bildes würdigen Einklang her-
vorbringen soll, begegnet uns sehr selten; sie ist
keineswegs gemein. Es gelingt der Natur selten , ein
Bild zu schaffen. »
Nach alledem scheint es, als wenn Whistler zur
alten idealistischen Schule zurückzukehren gedenke. Seine
Schilderung eines unmalerischen Naturanblicks erscheint
wie ein Angriff auf die englischen Landschafter des
Praeraphaelismus, wie zum Beispiel der treffliche John
Brett einer ist.
« Die Sonne brennt», sagt er, « der Wind weht vom
Osten, der Himmel ist wolkenlos und alle Dinge .stehen
fest umrissen da, wie aus Eisen. Die Fenster des Cristall-
palastes erkennt man deutlich von allen Theilen Londons
aus , die Sonntags-Spaziergänger freuen sich des herr-
lichen Tages — und der Maler geht abseits und schliesst
die Augen.»
«Wie selten der Künstlerblick verstanden und wie
gehorsam das Zufällige in der Natur als das Erhabene
genommen wird, das mag man an der unbeschränkten.
täglich erneuten Bewunderung für den unbedeutendsten
(a very foolish) Sonnenuntergang erkennen. Die Grösse
eines schneebedeckten Gebirges verliert sich mit der
Klarheit: Aber es ist der Spass des Bergfexes, wo-
möglich von unten den Besteiger auf der Spitze zu
erkennen : Den Wun.sch zu sehen, blos um zu sehen, will
die Menge befriedigt haben ; daher ihre Freude am Detail ! »
«Doch wenn der Abendduft die Ufer dichterisch
umschleiert und die kleinen Häuschen sich in einem
weichen Nebel verlieren, die niederen Schornsteine wie
Glockenthürme, die Speicher wie Paläste in die Nacht
emporwachsen, die ganze Stadt mit dem Himmel ver-
knüpft und Geisterland vor uns eröffnet wird — dann
eilen die Spaziergänger heim, der Arbeiter wie der
Gebildete, der Reiche und der Vergnügungssüchtige
hören auf zu verstehen, weil sie aufhören genau zu
sehen. Die Natur aber, welche nun in Tönen zu uns
redet, bringt ihr schönstes Lied dem Künstler allein
dar, ihrem Sohn und Meister — ihrem Sohn, weil sie
ihn liebt, und ihrem Meister, weil er sie kennt. »
« Für ihn sind ihre Geheimnisse entwirrt , füi' ihn
ist ihre Unterweisung nach und nach eine klare ge-
worden. Er sieht auf ihre Blumen nicht durchs Ver-
grösserungsglas , um botanische Beobachtungen zu
machen, sondern mit dem Blicke eines, der in ihr die
feine Auswahl glänzender Farben und leuchtender Töne
erkennt, Anregungen künftiger Harmonien. »
« Er giebt sich nicht zwecklosem , gedankenlosem
Nachahmen jedes Grashalmes hin, sondern er lernt aus
der gestreckten Kurve eines kleinen Blattes, dem straffen
kleinen Stiel, wie Anmuth und Würde sich eint, Stärke
die Zartheit vermehrt, damit endlich ein wahrhaft ge-
schmackvolles Kunstwerk entstehe. » *)
*) «That elegance shall be theresult», sagt Whistler. Was ist
Elegance? Sicher nicht das, was das Wort ursprünglich in sentimen-
talem Sinne bedeutet, die Fähigkeit, elegischen Stimmungen sich zu er-
schliessen, elegische Dichterwerke zu schaffen oder zu verstehen. Sicher
auch nicht, was wir unter Eleganz verstehen, und was nicht viel mehr ist,
als das Geschick, sich gut anzuziehen und die gesellschaftliche Form gut
zu wahren. Soll Eleganz das Ergebniss der Kunst sein, oder Nettigkeit,
Zierlichkeit, Feinheit, Geschmack? Diese Worte alle übersetzen nicht,
was Whistler will. Ich wüsste ein Wort, welches es tbäte : Hübschheit.
Freilich ist der Begriff hübsch bei uns heruntergekommen dahin, dass
er soviel gilt wie «fast schön». Das Wort stammt von c höfisch > und
bezeichnete einst Alles, was den Stätten höchster Bildung angemessen
war. Unsere demokratisirende Zeit wird allerdings nicht zugeben wollen,
dass alle Kunst, um echt zu sein, höfisch, aristokratisch werden müsse!
DIR KUNST UNSERER ZEIT.
53
« In dem gelben Flügel eines Schmetterlings mit
seinen zarten Orange-Flecken sieht er vor sich stolze
Hallen in reinem Gold mit ihren schlanken safranfarbigen
Pfeilern. Er ist durch sie darüber belehrt, wie die zarte
Zeichnung hoch oben an der Mauer in den feinen gelb-
lichen Tönen und am Sockel in solchen von schwerer
Färbung gehalten werden muss. »
«Hier findet er die Zartheit und findet liebliche
Winke für seine eigenen Gestaltungen; und auf diese
stehen ihm bei und staunen und erkennen, wie viel
weiter die Schönheit der Venus von Milo als jene ihrer
eigenen Eva reicht!»
Das sagte Whistler vor einer ausgewählten eng-
lischen Gesellschaft im Jahre 1885. Viel früher schon
hatte er es malerisch empfunden und ausgedrückt. In
der für die englische Kunst so bemerkensvverthen Gros-
venor-Exhibition von 1877, jenem ersten Auftreten einer
neuen Kunst neben dem der veraltenden Akademie, er-
William Merrit Chase, Eine Parkszene.
Art wird die Natur zu seiner Quelle und ist sie ihm
stets zu Diensten. Alles Unwürdige weist er von
sich. »
« In seinem Hirn klärt sich der verfeinerte Duft der
Gedanken ab, welcher von den Göttern ausging und die
sie ihm hinterliessen, damit er sie zu Ende führe (which
they left him to carry out). ^
«Lasst ihn ihr Werk vollenden! Er wird jenes
wunderbare Ding erzeugen, welches man ein Meister-
werk nennt. Dies übertrifft in seiner Vollendung alles
das, was jene in der Natur ersannen. Und die Götter
schien der Meister schon in seinen wunderbaren Werken:
« Nachtstück in Schwarz und Gold » ; oder * Harmonie
in Blau und Silber»; oder «Arrangement in Braun»;
;( Variation in Fleischton und Grün». Und das sind
dann Bildni.sse von Menschen oder Landschaften oder
ein Stück Architektur — irgend etwas Körperliches aus
der Natur als Unterlage für die mit erstaunlicher Fein-
heit empfundene Stimmung. In der Farbe, oder richtiger
im Ton liegt die Kraft des Malers. Es ist kein Zufall,
dass er ein Meister der Aetzkunst geworden ist, in der
er mit einigen Linien und völliger Beherrschung des
8
54
DIE KUNST UNSERER ZEH'.
Tones in höchster Abklärung eine Welt von Licht, von
Stimmung, von Poesie auszudrücken vermag.
Und da muss man denn sehen, welcher Ernst und
welche Kraft in Whistlers Malerei durch die vorwiegend
symphonische Auffassung der Farbenwerthe kam. Das,
was in den Arbeiten von Miilet und Daubigny noch
gebunden und vorbereitend auftritt, nämlich die rein
dichterische, die Natur frei ausgestaltende Auffassung
der Beleuchtungswerthe, das wird bei ihm beabsichtigtes,
klar gewolltes Künstlerthum. Namentlich im Bildniss
wird er zu einem der grössten Künstler. Als ich in
Glasgow, aus den Werkstätten der jungen schottischen
Maler kommend , in einer Ausstellung vor Whistlers
wunderbar tiefes und mächtiges Bildnis des Carlyle
trat — da begriff ich die Begeisterung jener für den
Amerikaner und erklärte sich mir mit einem Hlicke,
wie tiefgehend dessen Einfluss auf das moderne Schaffen
ist. Er hat den Realismus gebrochen, das heisst, er hat
die Maler davon abgebracht nur die Natur zu malen, die
Wahrheit zum Selbstzweck zu erheben. Er ist dabei
aber das vollendete Erzeugniss der realistischen Schule.
Ohne diese , ohne die kühnste , klarste , sicherste Los-
reissung von aller alten Kunst wären er und sein
Schaffen nie und nimmer möglich gewesen. Aber er
hat die gefundenen koloristischen Werthe frei zu ver-
wenden gelernt. Seine Bilder sind losgelöst von aller
zeichnerischen Auffassung, sind rein malerisch geworden.
Hierin geht er weiter als Rembrandt, an dem er vor
Allem liebt, dass er «das Schöne in allen Lagen und
Zeiten suchte und fand, dass er Grösse und vornehme
Würde im Amsterdamer Juden viertel sah und nicht klagte,
dass dort keine Griechen wohnen. » Die alten Schulen
sahen den Gegenstand und gaben ihm ein koloristisches
Kleid: Whistler sieht die Farbe und legt ihr einen
Gegenstand unter. Die Menschen , von welchen er ein
Bild gibt, erscheinen ihm als Farbengruppen, nicht als
Linienzusammenstellungen. Er malt die Tonwirkung, die
sie in ihm erwecken und trifft sie dadurch sicherer als
mancher brave Zeichner. Denn wir erkennen den
Menschen von ferne nicht an den Einzelheiten seines
Gesichts, sondern an den Massenverhältnissen in seinem
Kopf, seinem Körper. Das wusste und sprach schon
zu Ende des vorigen Jahrhunderts der deutsche Bildhauer
Schadow aus. Später vergass man diese Wahrheit und
. hat es mit dem Niedergang der Bildnissplastik büssen
müssen, die im Kleinen genau, im Grossen unwahr wurde.
Es ist etwas Gewaltsames in Whistlers Auftreten.
Mit Kopfschütteln sieht der altgläubige Kunstfreund de.ssen
«Schmierereien»; da er den Faden der Umrisslinie nicht
findet, vermisst er die Zeichnung; er sieht nicht die
Bewegung im Bild, und wenn ihm schon recht ist, dass
bei einem bewegten Rad das Blitzen der Speichen ge-
malt wird, nicht etwa die Erscheinungsform, welche die
Momentphotographie hervorbringt, so muss der Mensch
nach seiner Meinung im Bilde doch still stehen. Hat er's
doch in zahllosen langweiligen Sitzungen beim Portrait-
malen an sich selbst schaudernd erfahren. Aber der
koloristisch Gestimmte sieht gerade in der Bewegung
den entscheidenden Fluss der Linien, die ächte Leben-
digkeit der Erscheinung. Er will den Menschen, nicht
seine Salzsäule. Der Mensch zeigt ja sein Leben
durch Bewegung! Und Bewegung äussert sich im
Verschwimmen des Umrisses. Die Speichen eines
Wagens müssen blitzen , soll er als fahrend erscheinen,
der Mensch muss sich bewegend im Bilde erscheinen,
soll er leben! das ist Whistlers malerische Logik., —
Im Ton hat Whistler längst die hellen Kampffarben
aufgegeben. Er sucht Tiefe in der Farbe, Farbe in der
Tiefe. Die Feinheit der koloristischen Abstufungen seiner
Bilder ist ausserordentlich. Durch das ganze neueste
Kunstschaffen geht, nachdem das Erstaunen über die
Lichtentdeckungen der Franzosen überwunden ist , ein
Streben koloristischer Art. Man blickt in das Halb-
dunkel und sucht in ihm die gesteigerte Farbe. Man
kämpft um neue für die Malerei zu erobernde Reiche
in der Natur. Die Schatten sind nicht schwarz, sie sind
nur voller im Ton; das Licht ist wohl in der Sonne
weiss, aber es gibt im Waldesdunkel, im Mondschein,
im dämmernden Räume auch ein Licht, welches leuch-
tend farbig ist. Dies Licht entzückt den Amerikaner,
dies lässt er um die leicht bewegten, in ihren Umriss-
linien daher verfliessenden Gestalten spielen. Das ist
neue Kunst, eine Kunst ohne geschichtliche Vorgänger.
Mögen sie kommende Zeiten achten oder verwerfen, diese
Kunst gehört rein der unsrigen an ; das was wir so lange
in Europa ersehnten, ein Schaffen lediglich mit dem
Blick nach vorwärts, ohne stilistische Hintergedanken,
ohne Umsehen nach weit entlegenen Vorbildern — hier
haben wir es in starken männlichen Zügen vor uns.
Die Zeit der Nachahmerei ist durch den Naturalismus
überwunden, dieser beginnt kräftig zum Stil sich zu ent-
wickeln: Es gibt einen Stil unserer Zeit!
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
55
Zur Theilnahme an dem Marsch in die neue Weit
der Kunst haben die Amerikaner sich sofort muthig
entschlossen. In ihm äussert sich geradezu der Kern
ihrer Kraft. Es ist lehrreich, ihre Vorführungen auf den
Weltausstellungen zu verfolgen. Im Jahre 1855 waren
sie noch unfähig zu selbständigem Auftreten, 1867 füllten
sie einen massigen Raum nur zum Theil, 1878 begannen
sie Aufsehen zu erregen, 1889 war ihr Saal einer der
beliebtesten in Paris. Damals wog noch der Ton der
Holländer in diesem vor, wie ihn Hitchcock vertrat.
Dieser hatte kurz vorher mit einem Bilde grossen Erfolg
gehabt, das ein junges Weib inmitten einer Tulpen-
anpflanzung darstellte, in dem also die Ueberwältigung
der grösstmöglichen Farbenbuntheit durch den Sonnenton
aufs Programm geschrieben erschien. Er war eben mit
Gari Melchers in Holland gewesen und hatte
M es dag beim Malen fleissig über die Schulter gesehen.
Dort hatten sie gelernt, was ihnen vorher weder in der
Londoner Southkensington - Schule , noch im Atelier
Julians in Paris gesagt worden war, dass Holland das
harmonischste aller Länder der Welt sei, nie hart in
Sonne oder Schatten, immer ein Bild hinsichtlich der
köstlichen, alle Gegensätze mildernden Harmonie des
Tones. Und sie malten Holland : Dünen und holländische
Frauen, das Land in seiner durchaus nicht «pittoresken»
Natur, sie malten es anders wie Andreas Achenbach,
nicht Seestürme, alte Hafenbauten und gewaltige Wolken-
ballen, sondern mit dem Blick auf die Düne, auf die
geradlinige, abwechslungsarme Ferne : denn nicht der
Gegenstand beschäftigte ihre Phantasie, sondern das
Licht, die Sonnennebel, der silberne Ton durchfeuchteter
Meeresluft.
Und dann, als Melchers «Lootsen» 1890 in Berlin
auftauchten, da zeigte sich mir, dass auch unter den in
Holland angeregten Amerikanern die Erkenntniss durch-
gebrochen sei, der weisse Sonnenton sei nicht der allein
malenswerthe. Da war eine Feinheit der blaugrünen
Reflexe in dem von ihm geschilderten, farbig ausge-
statteten Raum, welche zeigte, dass hier ein mit feinsten
Organen ausgestatteter Mann auf rechter Fährte sei.
Nicht minder tritt dies bei Sargent hervor. Der
Rivale des Bastien-Lepage in der rücksichtslosen Wieder-
gabe weissen Lichts, der Künstler, welcher einst als
Hellmaler den Sturm der Entrüstungs-Eifrigen auf sich
lenkte, dessen Bilder voll waren von kecker Kampf-
stimmung, der dann in der Ueberwältigung der Farbe
durch den Ton schwelgte, — er ist so still und ruhig
geworden wie ein «Alter». Es wird vielleicht deutsche
Ae.sthetiker lachen machen — aber es ist aus dem
Munde dieser Maler selbst wiederholt bekundet: Sie
lieben vor Allem Sandro Botticelli ! Auch sie halten sich,
wie Overbeck und Rossetti, wie Hippolyt Flandrin und
Puvis de Chavanne für « Praeraphaeliten » , das heisst für
Leute, welche mit ihrer Kunst dort beginnen, wo Rafael
begann, nicht dort, wo dieser endete. Von der reinen
Unbefangenheit aus ging der göttliche Urbinate seinen
Weg — wir folgen seinem Geiste, indem wir unserer
Zeit und Natur gemäss ebenso selbständig einen anderen
gehen 1 So etwa lautet ihr malerisches Glaubensbekenntniss.
Vor einigen Jahren noch galt es, seine Berechtigung zu
vertheidigen, jetzt gilt es schon, zu zeigen, welche
Früchte es zu bringen vermag. Und seit der « Goldton »
der Altai glücklich überwunden und die « Schönheit »
der Zeichnung hinfällig geworden ist, beginnt die un-
mittelbare Wahrheit in Farbe und .'\usdruck wieder sich
zu einer stilistischen Verfeinerung abzuklären, die in
der Schönheit und Tiefe des Tones sich gipfelt.
In Alexander Harrisons ausgezeichnetem Bilde
«Sumpf» spielt dieser neue Ton in hoher Feinheit
und mächtiger Kraft um Waid und Bach, Schilf
und gurgelnde Wasserwirbel. W. Thomas Dewing,
einst ein Schüler Boulangers und Lefebvres, lässt in
seinem schönen Bildniss einer jungen Dame die gleiche
malerische Richtung erkennen. Mehr noch spielt sie um
sein wunderbar feines Bild «Musik». Ich möchte glauben,
dass Dewing der Schotten Orchardson und Sir Fettes
Douglas Werke studirt habe , ehe er dies auf kleiner
Fläche merkwürdig raumgrosse Gemälde schuf Denn
diese cigenthümliche Kunst sah ich kaum bei Anderen
so hoch entwickelt. Aber zu deren koloristischer Feinheit
brachte der New- Yorker Künstler noch eine berückende
Kraft, einen Vollklang des Tones, der spezifisch ameri-
kanisch zu sein scheint. In Berlin sah man ein Bildniss
von Marr in entzückender Tontiefe — es war noch fast
das einzige Bild dieser Art in der letzten Ausstellung
und wurde von Wenigen verstanden und gewürdigt.
Mächtig wirkte auch des in Cincinati und 1879 in
der Schule des Duvaneck in Florenz gebildeten Julius
Rolshovens «Ave Maria» : Ein Mädchen hingesunken
in dämmernder Anbetung , oder sein « Dogenpalast in
Chioggia». Was doch Verschiedene im gleichen Land
sehen.? Ulrich die Sonne, die bunte Vielfarbigkeit, die
56
UIE KUNST UNSERER ZEIT,
blitzernde Fröhlichkeit der Lichtspiele; Rolshoven den
Ton , mächtige grüne , blaue Reflexströme , dunkelen,
feierhchen Ernst! Und beide sind Realisten! Und
beide sind voll Stil!
Als der stärkste Genosse des Whistler stellt sich
aber auf der Münchener Ausstellung William Merrit
Chase dar. Chase war 1872 bis 1878 Schüler Pilotys
und hat eine Anzahl Bilder gemalt , denen man diese
Eigenschaft sehr deutlich anmerkt. Was er jetzt schafft,
seitdem er in New- York lebt , zeigt ihn völlig aus der
alten Lehre herausgewachsen. Da ist eine Feinheit der
Empfindung für Tonwerthe, eine Klarheit in dem fest
erstrebten Ziel, eine Intimität für das Erfassen der Be-
wegung, eine durchaus eigenartige Kraft der Farben-
gebung, welche deutlich lehrt, dass es da drüben in
Amerika doch Leute giebt , die ihre eigenen Wege
wandern, unbekümmert um jene, welche in Europa
eingeschlagen werden.
Wie bei den meisten dieser modernen Künstler ver-
lieren sich hier ganz die alten Gattungsbegriffe, welche
man sich einst abtheilte. Ist Chase Genremaler.' Wohl
schuf er einst ein Bild, « der Hofnarr » , welches ihn als
solchen im deutschen Sinne erkennen lässt. Aber bald
folgten Landschaften und Bildnisse, Darstellungen aus
allen malerischen Gebieten. Was der Maler sieht, muss
er auch malen können, heisst eben die Losung ! Und
Chase sowohl als seine Freunde können es : Wer in
München das kleine Bildniss «Meditation» sah, wer in
die bunte, sichere und doch so wohl abgewogene Dar-
stellung sich gründlich vertiefte, wer dann die Parkscene
daneben hielt, der sieht, dass hier die Kunst zu einer
hohen Abrundung gelangte, dass sie eine vollendete ist,
wenn anders Vollendung in der Kunst das Erreichen
des vorgesteckten Zieles heisst.
*
* *
Mit Achtung folgen wir den Vorgängen in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika. In der Kunst
herrscht zwar ununterbrochener Kampf. Sie ist ein Ringen
ohne Ende, ohne Hoffnung auf endgiltige Siege. Dafür
gewährt sie aber die Freude , dass man sich in ihr an
fremden Thaten neidlos zu erheben vermag.
Es wäre Thorheit, zu sagen, die Amerikaner seien
im Begriff, Europa zu überflügeln. Sie sind aber im
Begriff, neben Europa selbständig und eigenartig sich zu
entwickeln. Das ist für sie und für uns das Wichtigere.
Mögen sie das Bild der Weltkunst immer reicher ge-
stalten helfen, indem sie mehr und mehr die Kraft zum
Fortschreiten in sich selbst suchen!
V
©
S
Leopold Carl Müller.
EIN KÜNSTLERBILDNIS NACH ERINNERUNGEN UND BRIEFEN
VON
GEORG EBExRS.
Leopold Carl Müller.
Die Kunst spricht eine eigene, der ganzen Mensch-
heit verständliche Sprache. Sie wendet sich
nicht an ein Volk, sondern an die ganze der
Kultur erschlossene Welt. Die Würdigung des einzelnen
Künstlers ist aber oft genug von gewissen äusseren
Grenzen umhegt, wenn unsere Zeit des Verkehrs diese
auch recht weit zu ziehen pflegt.
Als es vor wenigen Monaten hiess, Leopold Carl
Müller sei todt, empfand in Wien und in Oesterreich,
was nur ein offenes Auge und Herz für die Kunst be-
sitzt, die Schwere dieses Verlustes. Auch noch in
München, wo er mancherlei ausgestellt und ihm eines
seiner Gemälde die goldene Medaille errungen hatte,
beklagten ihn viele ; in Norddeutschland war er dagegen
nur den Kunstgenossen und Freunden bekannt gewesen.
Das grössere Publikum, das von seinem zu frühen Ende
hörte , wusste mit seinem Namen nur selten eine feste
Vorstellung zu verbinden ; denn es hatte meistentheils
nur Zeichnungen von ihm gesehen , die , mit anderen
vermischt, in dem gleichen Werke erschienen waren,
und es gibt ja da der «Müller» viele.
Aber auch in seiner Heimath Wien waren die ausser-
halb der Kreise der Maler stehenden Kunstfreunde nur
selten dazu gekommen, sich an einer seiner Schöpfungen
zu erfreuen. Wohl besitzt die k. k. Akademie in dem
grossen « Markt in Kairo » eines der besonders in kolo-
ristischer Hinsicht voUendesten Gemälde Müllers, und sein
letztes, ein arabischer Gaukler, ward für den Baron
Königswarter (gleichfalls in Wien) gemalt; in den Aus-
stellungen pflegte man jedoch vergebens nach einem
seiner Werke zu suchen. So kam es, dass er auch in
der Heimath weniger allgemein bekannt wurde als irgend
ein anderer Meister, dessen Gemälde auf den Welt-
ausstellungen die höchsten Ehren und auf dem Markte
die ansehnlichsten Preise errangen. Er hat das auch
selbst gefühlt und bedauert; da aber Oesterreich und
Deutschland in der äusseren Werthschätzung seiner
Gemälde weit hinter England zurückblieben, musste er
ihm die meisten überlassen. Von der Zeit seiner
vollen Reife an war es besonders der Kunsthändler
Wallis, der schon auf die halbvollendeten Schöpfungen
Müllers die Hand legte und sie dann nach London führte,
wo sie meistentheils die Häuser reicher Privatleute dem
Blicke der Kunstfreunde entziehen.
Die Mehrzahl der Bilder aus den Meisterjahren des
Verstorbenen behandelt morgenländische Stoffe, und sie
fanden unter den Engländern, die in näherer Fühlung
mit dem Orient stehen als jede andere Nation, eine um
so höhere Werthschätzung, je glücklicher Müller jede
Regung des ihm tief vertrauten orientalischen Lebens
9
58
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
wiederzugeben verstand. Die
Kunstkenner in Grossbritannien
sahen in ihm vielleicht den vorzüg-
lichsten Orientmaler unserer Zeit,
und wer die Blätter studiert, die
hier wiedergegeben werden sollen
und sich dazu in das Wiener Ge-
mälde des uns beschäftigenden
Künstlers « Markt in Kairo » ver-
senkt, der wird ihnen Recht geben
müssen.
Doch es ging mit Müller
nicht nur ein grosser Meister
auf einem interessanten Gebiete
der Malerei , sondern auch ein
Mensch dahin, in dem sich die
besten Eigenschaften des Mannes
vereinten. Sie gewannen ihm Herz
und Geist der Freunde und wurden
geadelt von der seltenen Gabe,
die die Unsterblichen nur den
Edelsten unter ihren Lieblingen
gewähren : jenes menschliche und
doch göttliche , schwer zu ver-
kennende und noch schwerer
definirbare Etwas, das den genialen von dem talentvollen
Menschen und Künstler unterscheidet.
Die Gemälde des Freundes einer kritischen Würdig-
ung zu unterziehen, steht mir nicht zu. Ne sutor supra
crepidam ! Andere , Berufenere , reichten ihm längst
den Lorbeer, und eine spätere Zeit wird, denke ich,
dem bescheidenen Meister, dessen Gesamtthätigkeit zu
überblicken so schwer ist, eine noch höhere Stelluncf
unter den Malern seiner Epoche anweisen.
Den Bildern, für deren mustergiltige Reproduktion
der Herausgeber Sorge trug, überlasse ich es, für den
Künstler Leopold Carl Müller das Wort zu führen.
Was den Menschen angeht, bleibt es mir erspart, mich
durch eine eingehende Würdigung seiner Eigenschaften
dem Verdachte auszusetzen, dass es nur der Freund
sei, der hier am Grabe des Freundes Weihrauch ver-
brennt; denn auch die mitzutheilenden Abschnitte aus
den theils an die Seinen, theils an mich gerichteten
Briefen werden dem Leser gestatten, sich eine Vorstellung
von dem inneren Sein und Wesen ihres Schreibers zu
bilden.
Ausgestopftes Krokodil
Hauses in
Die einzige Stelle, an der
sich unseres Wissens viele (einige
vierzig) ausgeführte Kompositionen
Müllers zusammenfinden — sie
beziehen sich grösstentheils auf
das Voll<sleben am Nil — ist das
bei Eduard Hallbcrger erschienene
Prachtwerk « Aegypten in Bild
und Wort » , wozu ich den Text
schrieb.
Ihm danke ich die Bekannt-
schaft mit dem Wiener Künstler,
und auf dies Werk bezieht sich
ein grosser Theil des Inhaltes der
an mich gerichteten Briefe. Es ist
darum nöthig, ihm und seiner Ent-
stehung einige Worte zu widmen.
Die hervorragendsten Maler
in Deutschland und Oesterreich
— ich nenne nur Gustav Richter,
Gentz, von Lenbach, Makart —
sowie meine englischen Freunde
L. Alma Tadema und Frank
Dillon hatten mir Beiträge ver-
sprochen oder gegeben.
Unter Tausenden von Skizzen und Bildern in jeder
Ausführungsart hatte ich zu wählen, und doch fehlte
eine lange Reihe von Darstellungen der wichtigsten
Szenen aus dem morgenländischen Leben , ohne die
das Werk , das nur Originale der berufensten Maler
bringen sollte, unvoll-
ständig geblieben wäre.
Da galt es Aus-
hilfe schafien und einen
Künstler an den Nil
schicken, von dem wir
erwarten durften, dass
er das Bestellte in
unserem Sinne , das
heisst in künstlerischer
Vollendung herstellen
werde.
Ich wusste auch
schon wen; denn im
«TT. . o ^ Phantasiecemälde eines arabischen
Wmteri875 — 76 waren ,. , 7 j -.-, ,- „■
' ^ ' Künstlers über der Thür eines Kaflee-
Makart , \. Lenbach, hauses in Kairo.
über der Thüre eines
Kairo.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
59
Gnauth, Huber
und Leop. Carl
Müller zusam-
men in Kairo
gewesen , und
was mir von
Arbeiten des
Letztgenann-
ten aus jener
Zeit zu Ge-
sicht
men war,
zeichnete sich
durch die
höchste Treue
gekom-
Vater und Sohn.
fand sich damals in Venedig, und obgleich er sich gegen-
über einem der besten Kunsthändler verpflichtet hatte
das Bild, woran er malte, bis im Oktober fertig zu
stellen, enthielt seine Antwort auf meine Anfrage doch
die Erklärung, dass er bereit sei in unserm Auftrag
nach Aegypten zu gehen.
Er war mir noch nicht persönlich begegnet, doch
sein Brief steigerte mein Verlangen nach seiner Bekannt-
schaft. Ich gebrauchte eben die Quellen des Württem-
berger Wildbad , und da es mir darum unmöglich war
Müller in Venedig aufzusuchen, schlug ich ihm vor, ent-
weder in dem grünen Schwarzwaldthale oder in Nürn-
berg , das ich auf der Heimreise nach Leipzig ohnehin
berühren musste, mit mir zusammenzutreffen.
Nachdem er mir auseinandergesetzt, wie es sich mit
in der überall dem begonnenen Bilde und dem Kunsthändler verhalte,
eigenartigen schliesst er den ersten Brief:
Auffassung und die ernsteste Sorgfalt in der Wieder- « Während ich hier schreibe , bin ich an der
gäbe aus. Seine Bilder aus dem Kairener Volksleben schwierigen Arbeit des Sichentschliessens.
waren ausser mehreren Gentz'schen die ersten, die mir «Soll ich das Bild erst fertig machen, wenn ich aus
völlig genügten und die besonders auch die Hand eines Egypten wieder zurück bin?
vollendeten Zeichners verriethen. Ich hatte nur
wenige gesehen, doch jedes bewies, dass ihr
Schöpfer den Orient durch und durch verstehe
und dass sein Können genüge , aus jedem ihm
zusagenden Motiv ein Kunstwerk zu gestalten.
Ich verdankte die Kenntnis dieser Arbeiten
dem Architekten Gnauth, der eben zum Direktor
der Nürnberger Kunstgewerbeschule berufen
worden war. Diesen ideenreichen, feinsinnigen
Künstler hatte Eduard Hallberger gewonnen,
um die Wiedergabe des Bildermaterials in Holz-
.schnitt 'ZU leiten. Keiner durfte als vollendet
in die Druckerei gehen , dem er nicht das
« Placet » gegeben , und der Verleger hatte
später oft genug den Kopf zu schütteln, wenn
für das Laienauge recht wohl gelungene
« Stöcke J durchstrichen oder mit der Be-
merkung « Holzhackerei » nach Stuttgart zu-
rückgesandt wurden. Trotzdem machte dieser
wahrhaft grosse Geschäftsmann nicht einmal den
Versuch, einen der Verurtheilten zu retten.
Gnauth bezeichnete die Idee, Müller zu
gewinnen , als « die glücklichste unter allen
denkbaren», und Ed. Hallberger ertheilte mir
die Vollmacht mit ihm zu verhandeln. Er be- Schwarzer Hausknecht, der die europäische Herrin auf den Markt begleitet.
60
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
«Soll ich einpacken, nach Wildbad oder Nürnberg
kommen, um dann gleich weiter nach Kairo zu reisen?
Uf! Wer mir das sagen könnte!
« Das Knöpfezählen ist auch nicht die beste Me-
thode, um zu einem vernünftigen Entschlüsse zu kommen
in ernsten Fragen.
«Mein Verstand sagt mir: Bleibe so lange in
Venedig, bis du das Bild fertig gebracht hast, und sollte
das auch bis Mitte Oktober dauern. Du bist ietzt im
Zuge mit dieser Arbeit, und da es ein venetianisches
Bild i.st, so ist es Dir doch leichter dasselbe in Venedig
zu vollenden — statt in Wien , wohin du ankommst,
die Einbildung voll, übervoll von den ägyptischen Ein-
drücken !
«Doch, haben Sie schon einen wirklich Verliebten
kennen gelernt, der seinem Verstand folgen würde ?
«Mein Herz, das zieht mich nach Kairo!
« Ich komme entweder nach Wildbad oder nach
Nürnberg. Was ist Ihnen lieber ? »
Ich wählte Nürnberg; denn der Schluss des Briefes
enthielt den Satz, dass Müller auch den «lieben sym-
pathischen Gnauth » gern wiedersehen möchte.
Leider wurde dieser durch etwas Unaufschiebbares
abgehalten, zu uns zu stossen : seine Vermählung. Aber
Müller kam , und wir verlebten mit einander unvergess-
liche Tage in der ehrwürdigen, mir schon früh so lieben
Dürerstadt.
Es war im Anfang des September 1877. Müller
stand damals in der Blüthe der Manneskraft; denn er
zählte dreiundvierzig Jahre ; bei der ihm eigenen Leb-
haftigkeit und jugendlichen Frische war man indes
versucht, ihn für einen mittleren Dreissiger zu halten.
Den hoch gewachsenen, damals noch etwas knochigen
und beweglichen Körper krönte ein Kopf, den man
unter vielen bemerkt haben würde; nichts in seinem
Aeusseren hätte aber genöthigt, den Künstler in ihm
zu erkennen; denn er trug das Haar kurz geschnitten,
und das rasirte wohlgebildete Antlitz zierte nur ein
schlichter blonder Schnurrbart. Und doch 1 Welchem
anderen Stande hätte dieser Mann mit den jeden Augen-
blick neu belebten Zügen, auf denen fröhlicher Humor
mit sinnigem Ernste so schnell wechselten , angehören
sollen .' Die Stirn, die sich wulstig über der Nasenwurzel
erhob, um dann als glatte, faltenlose Fläche aufzusteigen,
hätte veranlassen können, ihn für einen denkenden Ge-
lehrten zu halten, dafür aber trieb an Mund und Nase
der Schelm zu fröhlich , ja bisweilen ausgelassen sein
Spiel.
Und dem Aussehen entsprach das gesamte Wesen des
neuen Freundes. Meine P'rau begleitete mich, und während
wir uns bei Tisch, im Wagen oder wenn die Verabredung
über das von ihm zu Schaffende zum Stillstand gekommen
war , daheim unterhielten , riss uns seine Heiterkeit so
unwiderstehlich mit fort , dass uns oft genug die
Thränen über die Wangen liefen. Beim Gespräch über
ernste Gegen-stände und die Aufgabe, der er sich zu
unterziehen gedachte , zogen sich dagegen die Muskeln
auf dem Stirnhügel über der Nase zusammen, und bald
gelassen, bald schwungvoll bewies er dann, mit wie reifer
Ueberlegung er durchdacht hatte, was ihm zu leisten
oblag, wie ernst er es mit der Kunst nahm, wie strenge An-
forderungen er an sich selbst stellte und über welche
Fülle von Kenntnissen er gebot. — Schon am zweiten
Tage Hess er uns auch in sein Inneres schauen, und
ein wie tiefes Gemüthsleben offenbarte sich uns, wenn
er von den trefflichen verstorbenen Eltern und lieben
Schwestern erzählte.
Diese gestatten mir nach seinem Tode Theil zu haben
an ihrem Schmerz und ergänzten in zuvorkommender
Weise, was ich von dem Freunde zu wissen begehrte,
theils durch werthvolle Notizen , theils durch bezeich-
nende Schreiben. Zu diesen Quellen gesellt sich die
grosse Zahl der schon erwähnten an mich gerichteten
Briefe.
Halte ich das Alles mit den persönlichen Erinner-
ungen an Müller und seine Werke zusammen , so er-
gibt sich daraus ein Künstler- und Menschenbild , wie
es freundlicher und ernster, arbeitsvoller und fröhlicher,
bewegter und gesammelter , unermüdlicher in dem
Streben nach immer höherer Entfaltung der ihm ver-
liehenen Kräfte, liebreicher und williger zu fördern und
zu beglücken kaum gedacht werden kann.
Leopold Carl Müller war ein Oesterreicher, und doch
darf auch Sachsen ihn den seinen nennen ; denn er
wurde zu Dresden geboren. Freilich gab die Mutter
ihm nur auf einer Reise, die sie 1834 unternahm, in
dieser Stadt das Leben. Der Vater war in Wien heimisch,
und dort verbrachte der Knabe denn auch die gesammte
Kindheit und Lehrzeit. Schon auf der Realschule, die
er dort absolvirte, machte sich sein Talent in über-
raschender Weise geltend. Jede Mussestunde widmete
er dem Zeichnen , und früh schon brachte er es zu
j(cAL>ruu£2,
Leop. C«rl Illlar
rhot. K. Uanfflttengt, HQadMB.
Palmenzweigverkäuferin auf einem arabischen Friedhofe
zu Kairo.
Alles ist eitel! —
■ ^ jr
I.euclitlnirm auf Ras et-Tin am Eingange des Hafens von Alexandria.
Vom Schiffe aus gezeichnet.
Aus dem Trtimmergebiete des alten Alexandrien.
62
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
solcher Fertigkeit, dass ihm der Vater gestatten konnte,
ihm bei der Arbeit in seinem lithographischen Atelier
behilflich zu sein. Als er später auf dem Technikum
studirte, und dem Vater die lithographische Ausführung
des artistischen Theiles von Tschudis Werk über Peru
übertragen worden war, machte es dem Sohne Freude,
daran mitzuhelfen. Dabei trat hohe seine Begabung in
so augenfälliger Weise zu Tage, dass ihm gestattet
wurde, das Technikum zu verlassen und dem heissen
Seelendrange zu folgen, sich mit voller Kraft der Kunst
zu widmen.
Blaas war damals nach Wien gekommen, zog in
dasselbe Haus, das die MüUer's bewohnten, und vom
achtzehnten Jahre an ward Leopold Carl sein Schüler.
Mit dem zwanzigsten trat er dann in die Meisterklasse,
die der ältere Rüben leitete.
In einem seiner Briefe schreibt er, dass er bei seinem
Eintritt in ^ die Akademie schon recht gut gezeichnet
habe. Er bekennt, dass er den Lehrern vieles verdanke,
dass aber «das eigene Ausschauen, das Leben, das Sichs-
sauerwerdenlassen auf eigenen Füssen und die Erkennt-
niss dessen, was Kunst sei», ihm doch das Beste gegeben.
Vor mir liegt ein Blatt mit tabellarisch geordneten
Notizen, die er, schon im Angesicht des Todes, nieder-
schrieb , und dessen Benutzung mir seine Schwestern
gestatteten. Es kann von grosser Wichtigkeit für den
Kunsthistoriker werden ; denn er führte darauf gleichsam
das Facit seines Lebens zusammen. Es lehrt, was er
in jedem Jahre schuf, wo er sich aufhielt, was das Leben
ihm an bedeutsamen Ereignissen brachte. Leider ist es
mir hier versagt, ihm Schritt für Schritt zu folgen, es
geht aber aus jenen Aufzeichnungen hervor, wie mächtig
ihn, den auf Reisen geborenen, das Wanderblut anfänglich
von einer Stadt der österreichischen Monarchie in die
Strassenhunde.
Tugendprobe in der Moschee des Anir.
Nur wer sich zwischen den Säulen hindurchdrängen kann, darf auf das Paradies hoAen.
andere zog , wie er bald in Ungarn , bald in Böhmen,
bald in Steiermark und am liebsten und häufigsten in
Venedig die Staffelei aufstellte. Sie gestatten uns seinen
Reisen durch Oesterreich und Italien und seinen Fahrten
über das Meer nach Aegypten zu folgen, und staunend
ersehen wir daraus, wie zahlreiche und grundverschiedene
Stoffe seine Kunst sich zur Ausführung wählte.
Als zweiundzwanzigjähriger, lehrt das Gedenkblatt,
ergab er sich den ersten landschaftlichen Studien, und
im nämlichen Jahre zog er über München und Dresden
nach Venedig, um dort einen Stoff zu behandeln , der
vom Landschaftlichen wahrlich weit genug abliegt ; denn
er vollendete das Gemälde « Friedrich der Schöne im
Kerker». 1857 copirt er in Venedig alte Meister. 1860
verliert er die geliebte Mutter, und in den folgenden
beiden Jahren finden wir ihn in Ungarn und sehen
ihn Genrebilder malen, wie: «Bettelnde Zigeuner»,
«Fischende Knaben», «Mädchen mit Enten».
1862 ward ihm auch der treffliche Vater entrissen,
ein hochgebildeter kunstverständiger Mann. Die an ihn
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
63
gerichteten Briefe athmen die wärmste Liebe und bc- Studium, dass in diesem einzigen Jalire keine selbständige
weisen, wie schön der Sohn auf sein Verständnis rechnen Arbeit von ihm entstand.
durfte. Der junge Künstler berichtet ihm alles, von den Nach der Heimkehr fühlte er, dass die Vcrpflich-
erstaunlich billigen Preisen, die er in den kleinen un- tungen. die ihn an den Figaro banden, ihn doch zu
garischen Städten für Essen und Wohnung zahlt, bis zu viele Stunden kosteten, die der Malerei hätten gewidmet
den politischen Wahrnehmungen , die er mit Humor, werden sollen , und so entsagte er denn dem reichen
aber auch mit scharf satirischer Missbilligung wiedergibt, und sicheren Gewinn und begann das alte Wander-
Schon vor dem
Ende des durch
die letzte schwere
Krankheit an jeder
eigenen Thätigkeit
verhinderten Vaters
lässt er sich fest in
der Burggasse zu
Wien nieder und
nimmt die Sorge
für die Familie auf
sich. Er widmet
sich dort einer Auf-
gabe, die ihm nicht
nur viel einbringt,
sondern , wie er
mir selbst mit-
theilte, seiner zeich-
nerischen Fertigkeit
ausserordentlich zu
gute kommt. Das
Witzblatt Figaro
hatte ihn zum Illus-
trator gewonnen,
und es ist mir von
Fellachenfrau mit ihrem Kinde auf dem Trilmmergebiete von Alexandria.
leben von Neuem.
Besonders gern er-
zählte er von den
Wintern, die er
von 1870 an mit
dem trefflichen Pet-
tenkofen im Palazzo
Rezonico zu Vene-
dig verlebte. Ein
schönes von Liebe
und neidloser An-
erkennung gewo-
benes Band ver-
einte die Freunde.
Sie lernten von ein-
ander, und Müller
vollendete damals
eine Reihe der
verschiedenartigsten
Gemälde. Von Ve-
nedig aus bereiste
er auch das übrige
Italien. Im Winter
1872 kam er bis
nach Sicilicn. Auf
Wienern versichert worden, dass man , so lange Müller all diesen Wanderungen blieb er im engsten Zusammen-
an diesem Blatte thätig war, von Nummer zu Nummer hang mit den Schwestern daheim, und es ist rührend
seine mit dem frischesten Humor erdachten und künst- zu sehen, wie eingehend er sie in den an sie gerichteten
lerisch ausgeführten Bilder begierig erwartet habe. Briefen an allem theil nehmen lässt, was ihm begegnet
Doch so bequem diese Thätigkeit ihm auch zu leben und ihm die Seele bewegt , obgleich die schon damals
gestattete, Hess er sich doch keineswegs an ihr genügen, empfindlichen Augen ihm viel zu schaffen machen und
Er malte vielmehr fleissig, und ausser zahlreichen Portraits das Schreiben sie angreift.
zu denen ihm auch hervorragende Persönlichkeiten Ich kann mir nicht versagen wenigstens von einem
sassen , schuf der Vielseitige auch Gemälde wie das dieser Briefe eine Stelle mitzutheilen. Sie gibt ein tref-
einer Ueberschwemmung und einer Prozession. Dazu fendes Bild des empfänglichen Künstlers, dem es ge-
fand er Zeit zu allerlei Reisen. 1867 ging er nach geben ist, was ihm begegnet, nicht nur mit Stift und
Paris , und wie fruchtbringend ihm der Aufenthalt da- Farben , sondern auch in Worten anschaulich zur Dar-
selbst wurde, weiss ich von ihm selbst. Er ergab sich Stellung zu bringen. Dabei fühlt man heraus, dass er
dort von Neuem mit so ausschliesslichem Eifer dem sich an ein junges geliebtes Wesen wendet, dem er.
64
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
QbS5 '
-a '
Verkäufer von gepressten Datteln.
während er es an der eigenen Freude theilnehmen lässt,
auch die Vorstellung zu bereichern trachtet. Spätere
Briefe werden zeigen, dass es nur das Gemüth ist, dem
dies Schreiben den naiv freundlichen Ausdruck verdankt.
«Du wirst bereits aus meinem Briefe an Eduard
vernommen haben», schreibt er am 17. Dec. 1872 der
jüngsten Schwester aus Palermo, «dass es mir ausge-
zeichnet gut geht, dass ich überglücklich bin, hier zu
sein und dass ich auch bereits zu arbeiten begonnen
habe. Ich möchte Dir gern all die schönen Gegenden
und Dinge schildern, die ich auf meiner Reise nach
Sicilien gesehen habe, müsste jedoch dazu einen Brief
schreiben, der so dick werden möchte, dass man ihn
auf der Post gar nicht mehr annehmen würde. . . .
«Es wird Dich interessiren, dass ich den Vesuv be-
stiegen habe, und da wenige Reisende diese anstrengende
Tour unternehmen, so will ich hier Einiges zum Besten
geben:
« Du hast auf Gemälden den Vesuv schon oft abge-
bildet gesehen und weisst, dass er ein ziemlich bedeu-
tender Berg ist, von dessen Spitze eine Rauchwolke
aufsteigt.
cSo sieht man ihn von Neapel aus, wenn man am
Hafen dieser Stadt spazieren geht. In der lachenden
Natur Neapels steht dieser Gottseibeiuns und sieht so
aus der Ferne von duftigem Aethcr umgeben, mit dem
silbenveissen Wölkchen an der Spitze gar nicht bös-
artig aus.
«Kommt man diesem Berge jedoch näher, dann
gewinnt er ein ganz anderes Au.ssehen. Ernst, schreck-
lich, fürchterlich diabolisch ist der Eindruck, den er dann
macht. »
Das Bergansteigen über die Lavaschichten hin über-
gehe ich, obgleich seine Beschreibung den meisten, die
ihr vorangingen, an lebendiger Anschaulichkeit nicht
nachsteht.
« Endlich » , fährt er fort , « ist die Spitze erreicht.
«Man steht athemlos, schweisstriefend , todtmüde
am Kraterrande, und dort wird Jeder für den Augenblick
auf all diese Beschwerden vergessen, vor dem Schau-
spiele, das sich hier vor seinen Augen entrollt.
«Aus dem Kraterrande ragen weise Felsen herauf
Schwefelgeruch erfüllt die Luft. Dünne weisse Rauch-
wolken entsteigen ohne Unterbrechung der Tiefe , und
dort und da schlagen Flammen aus der Asche und
zwischen den F"elsspalten hervor
« Und wendest Du diesem fürchterlich grossartigen
Schauspiele den Rücken , so siehst Du hinaus auf den
mmW:
Iläniller mit unbenennl)aren Waaren.
n.
%.
Mädchen aus Kairo.
(iileistiftzeichnung.)
*
j5w
\
I
ß*,:i.
•»s«
Leop. Carl Müller.
Phat r. Hsnfs<ft«nff), Manchta.
Trauernde Witwe.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
65
Golf von Neapel, so siehst Du das herrliche blaue Meer oder ins Freie, Sie werden sich an meine Seite denken
mit den schönen Inseln Capri, Ischia und Procida, das und mich hier anfeuern, dort mir abwinken können.»
herrliche Sorrento in der Ferne. Ausgebreitet liegt hier Darauf unterrichtet er mich über den Lauf der Schiflfe,
vor Dir die herrlichste lieblichste Landschaft mit der macht den vortrefflichen Vorschlag, unsere Briefe zu
üppigsten Vegetation. nummeriren, damit der Verlust des einen oder anderen
« Es ist ein nicht zu schildernder Contrast für das festgestellt werden könne, und spricht endlich die frohe
Auge, von dem rauchenden, schwarzen, giftige Schwefel- Erwartung aus, dass bei diesem geistigen Beisammensein
dünste aushauchenden Krater
hinweg in dieses Paradies hinab-
zuschauen. »
Sicilien, der Aetna, besonders
Syracus wurden in ähnlicher Weise
beschrieben. Wie lieb muss er
die gehabt haben, denen er mitten
im Genüsse und der Arbeit einen
so grossen Theil seiner Zeit
widmet, um sie an dem Schönen
mit Theil nehmen zu lassen, das
ihm selbst die Seele bewegt!
Die an mich gerichteten
Briefe sind in einem anderen
Tone gehalten. Der Mann wendet
sich in ihnen an den Mann, mit
dem er ein wichtiges Interesse
theilt, den er über seine Thätig-
keit auf dem Laufenden zu er-
halten hat und dem er zu zeigen
wünscht, wie er sich zu gewissen
Fragen stellt, die jener in seinen
Schreiben berührte.
Während eines ganzen Win-
ters wechselten wir allwöchentlich
Briefe: Nachdem wir in Nürnberg
Rath gehalten hatten, machte er
den Vorschlag, mit Hilfe dieser
Correspondenz unseren inneren
Zusammenhang lebendig zu er-
halten. «Nur so», schreibt er am 28. September 1877 ihnen zu gestatten, darin Ateliers einzurichten. Es war
aus Venedig, « werde ich meine Pflicht gegen Sie recht das ehrwürdige Mamlukenschloss, worin der Vicekönig das
erfüllen können, werden Sie von meiner Sendung das Licht der Welt erblickt hatte. Was Künstler binnen
haben, was Sie erwarten. Ich melde Ihnen, was mir Kurzem aus Nichts hervorzuzaubern vermögen, sollte sich
an Stoffen begegnet und was ich zu zeichnen gedenke, hier erweisen ; denn in wenigen Tagen verwandelten Müller
Sie sprechen sich darüber aus und geben mir beiläufig und Makart leere Säle in kleine Heim.stätten der Kunst, die
zu wissen, was Ihnen Neues in den Sinn kam. So wird das Entzücken der Besucher erweckten. — Was sie vor-
die Gemeinsamkeit der Arbeit gewahrt. Mir wird es sein, fanden, kam freilich ihrer dekorativen Aufgabe aufs
als gingen oder ritten Sie mit mir durch die Stadt Beste entgegen; denn die Fussböden waren tin den
^c- -"-- -
Saugbrunnen in Kairo.
des Schrift.stellers und Illustrators
etwas Rechtes zu Stande kommen
werde. «Von manchem, wovon
mir drüben (in Aegypten) die
ersten Noten ans Ohr klingen,
pfeifen Sie mir die ganze Melodie
herüber, ich weiss es. »
Das Alles sagte mir aufs
Beste zu, und es hat sich be-
währt.
Er war kein Neuling im
Morgenlande; denn er hatte schon
1873 Smyrna und Konstantinopel
und in den drei folgenden Wintern
Aegypten bereist und sich dort
längere Zeit aufgehalten. Als
besonders fruchtbringend und
genussreich bezeichnet er den
von 1875 — 76, denermitLenbach,
Makart, Huber und Gnauth in
Kairo verlebte. Der entthronte
Chediw Ismael , dessen guter
Wille, sich förderlich zu erweisen,
nie versagte, wo er von Männern
in Anspruch genommen wurde,
die man ihm als Koryphäen der
europäischen Wissenschaft oder
Kunst bezeichnet hatte, war gern
bereit gewesen, ihnen einen arabi-
schen Palast zu überlassen und
10
06
DIE KUNST UNSP:RER ZEIT.
schönsten Marmormosaiken ausgeführt» und von dem
Saale, den er sich zur Werkstätte wählte, konnte Müller
seiner Schwester Mali am 18. Dec. 1875 schreiben:
«Ich habe mir einen Raum ganz reizend dekorirt.
Die Wände und der Plafond sind mit Holzschnitzereien
bedeckt, die 200 Jahre alt sind, und nun habe ich
9 Teppiche gekauft und einige Einrichtungsgegenstände.
Ich habe viel ausgegeben, komme mir aber jetzt dafür
wie ein Pascha vor.
« Makarts Atelier ist beinahe so gross , wie jenes,
das er in Wien hat. Er richtete es prachtvoll her
«Niemand ausser uns wohnt jetzt in dem Palaste.
Wir haben uns eine Menge Diener aufgenommen, auch
einen Portier (einen schönen braunen Abyssinier), denn
wir haben auch eine grosse Verantwortung, dass an dem
Hause nichts geschieht. Dieser Tage gehe ich zum
Polizeidirektor del Negro, den ich gut kenne, und werde
einen Wachposten verlangen, der immer vor dem Thore
zu stehen hat.
« Es macht , wie Du Dir denken kannst, kein ge-
ringes Aufheben unter den Arabern, dass vier Europäer
Herren dieses Palastes sind. Das Wetter hier ist
immer herrlich , immer Sonnenschein bei wolkenlosem
Himmel. Hier gibt es, Gott sei Dank, keinen Schnee!
Es überläuft mich gruselig, und ich fühle eine Gänsehaut
über meinem Körper, wenn ich an Wien denke. Ich
weiss nicht, was geschehen müsste , damit ich wieder
einmal einen Winter in Wien zubrächte ! »
Müller hatte eben mehrere Jahre hintereinander
den Dunst mit jenem Nilwasser gelöscht, das Champoliion
« den Champagner unter den Wassern » nennt, und das
in jedem, der es trinkt, unauslöschliche Sehnsucht nach
Aegypten wach erhalten soll. Seiner nervösen Natur
that die Wärme der Palmenzone wohl, sein Auge und
Gemüth hatten sich dem Zauber des Morgenlandes ge-
öffnet, und er war tiefer als viele andere in das Leben der
muslimischen Bevölkerung Aegyptens eingedrungen, weil
er es wie wenige verstand , auch den gemeinen Mann
an sich zu ziehen. Der ihm eigene Sprachsinn hatte
ihn verhältnissmässig schnell dahin geführt, arabisch zu
verstehen und mit denen zu reden, deren Thun und
Treiben, deren Land undL^mgebung er zum Gegenstand
seines Studiums und zum Objekt seiner Kunstübung
gemacht hatte. Was schön oder charakteristisch ist im
Orient , entging ihm so wenig wie das Ergötzliche. So
hat wohl kein Maler vor ihm die Schmiererei eines seiner
arabischen CoUegen über der Thür eines Kaffeehauses,
das ausgestopfte Krokodil, das der Aberglaube über den
Eingang eines alten Gebäudes hängte oder ähnliches
wiederzugeben für werth der Mühe gefunden. Und der
Oelhändler mit seinem rachitischen Jungen, der schwarze
Hausknecht der seiner Herrin, einer europäischen Dame
folgt, und aufgeblasen ihre Haltung nachahmt !
Der erste Brief, den ich aus Alexandrien von ihm
erhielt, ward am 12. Oktober 1877 geschrieben. Ihm
folgten andere vom 20., 28., 31. Oktober, 9., 17., 22.,
28. November etc. aus Kairo. So treu hielt er an unserer
Verabredung fest, so ernst war es dem Illustrator darum
zu thun, mit dem Schriftsteller in engem Zusammenhang
zu bleiben.
Als er am 12. Oktober 1877 in Alexandrien ein-
traf, fand er die lange Reihe von Stoffen noch nicht
vor, die ich auf seinen Wunsch dorthin gesandt hatte
und die ihm zwei Tage später zuging. Das beweist
die folgende Stelle aus seinem ersten Briefe:
«Vor einer Stunde hier angekommen, machte ich
mich gleich daran, Ihnen zu .schreiben. Den heutigen
und morgenden Tag werde ich vorerst benützen, um
die kleinen Illustrationen für die erste Lieferung zu
skizzieren. Den Leuchtthurm ihabe ich gleich vom
Dampfer aus gezeichnet. Am Sonntag gehe ich nach
Kairo und führe dort die mitgebrachten Skizzen aus. . . .
« Ich erwarte nun von Ihnen, v. Freund, dass Sie
mich in Kairo baldigst mit Aufgaben überschütten. . . .
« Ich bitte Sie also, mir recht bald eine recht grosse
Anzahl von jenen Bildermotiven, die Sie wünschen, be-
kannt zu geben, damit ich in der Lage bin, jede Gelegen-
heit, die sich mir darin bietet, gleich am Schöpfe fassen
zu können. Was mir an interessanten Dingen, die sich
gut illustrieren lassen, auffällt, werde ich dann auch Ihnen
mittheilen.
«Entschuldigen Sie dies konfuse Geschreibsel. Es
tanzt mir der Boden unter den Füssen, als ob ich noch
auf dem Schiffe wäre, und die bunten Eindrücke aut
der Fahrt durch die Stadt in's Hotel haben mich ganz
betrunken gemacht vor Freude. ^
Kairo, 20. Oktober 1877. «Ich bin nun in Ordnung,
mein Atelier ist eingerichtet, und die Arbeit kann los-
gehen. Zwei Zeichnungen habe ich bereits beendigt,
und zwar den Leuchtthurm von Alexandrien und eine
andere, die Sie gewiss werden brauchen können. Ich
habe nämlich ein malerisches Stück der alten Ring-
ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.
67
mauer des antiken Alexandrien gefunden und die an
Ort und Stelle entworfene Skizze getreu hier ausgeführt. »
Dies schöne Blatt machte mir grosse Freude, denn
CS stellte etwas Interessantes dar, das noch keinen Maler
zur Nachbildung gereizt
hatte.
In seinem Schreiben
vom 28. Oktober geht er
auf meine Gedanken über
die für das alte Alexan-
drien herzustellenden Illu-
strationen ein. Er hatte es
abgelehnt, sie herzustellen
und mir am 30. September
von Venedig aus darüber
geschrieben : « Die meisten
Illustrationen für das alte
Alexandrien werden Zeich-
nungen sein, bei welchen
es sich darum handelt,
dass derjenige , welcher
sie ausführt, das alt-
griechische und zum Theil
das ägyptische Kostüm so
wie die Architektur jener
Zeit genau kennt. Ich
habe nie etwas in dieser
Richtung gemacht —
habe es mit gutem Willen
und guter Absicht ver-
sucht , und gesehen —
dass ich es nicht treffe.
Ich h^be mich in Aegypten
nur um die jetzige dort
hausende arabische Welt
gekümmert, die ich durch
und durch kenne, und da
glaube ich, wäre es weit
besser, wenn Sie die
Zeichnungen für das alte
Alexandrien einem andern übertrügen , der dieser Aut-
gabe besser gewachsen ist als ich. »
Diesem Wunsche war ich sogleich nachgekommen,
indem ich mich an Ferdinand Keller in Karlsruhe ge-
wandt hatte, von dem ich wusste, wie wohl er sich mit
dem Leben, dem Kostüm und der Architektur des
Ziehbrunnen in Kairo.
hellenischen Alterthums bekannt gemacht habe. Er
sagte zu, und Müller, dem für unser Werk nichts gut
genug war, und der Einwand gegen die Mitwirkung
manches wohlberufenen Meisters erhoben hatte, schrieb
darüber : « Dass Herr
Keller die Illustrationen
zum antiken Alexandrien
ausführen wird , freut
mich ; es war dieses eine
glückliche Wahl.»
In meinem folgenden
Briefe hatte ich einer
Verschlimmerung meines
Befindens erwähnt. Da-
rauf bezieht sich der An-
fang des folgenden Briefes
vom 31. Oktober:
«Wenn man, 1. P'reund,
noch so viel Humor hat,
wie Sie ihn in Ihrem letzten
Schreiben an mich zeigten,
dann kann das Uebel ja
nicht tief stecken, und in
dieser meiner Hoffnung
freue ich mich auf den
Tag, an dem wir einmal
zusammen herumlaufen
werden. In Kairo , in
Wien oder gar Leipzig
— es ist ja einerlei wo!
Ueberall wird es schön,
vorausgesetzt , dass wir
etwas in uns mitbringen,
das erheitern und beleben
kann ....
Mein Hausherr führt
einen wohl versehenen
Keller — auf Ihre bal-
dige und vollständige Ge-
nesung trinke ich öfters
mit Bircher, der Ihre Werke kennt etc. manch volles
gutes Glas.
«Die Zeichnung «Rast der Meccapilgerkarawane
auf der Abbasieh», die eine lange und reiche Erzählung
ist, betrachte ich als die weitaus beste Arbeit, die ich
für das Werk bis jetzt gemacht habe. Mit einer der
10*
68
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Nilmesser.
notirten Send-
ungen schicke
ich Ihnen dann
die Fortsetz-
ung dieser Er-
zählung, näm-
lich die Schil-
U|' i derung jener
Theile des aus-
gedehnten La-
gers, auf denen
man die Zelte
des Führers
der Karawane
sieht , ferner
die Tragbahre,
in welcher der
Teppich einge-
schlossen ist,
die militärische
Eskorte etc.
Während des
dreitägigen La-
gers der Kara-
wane auf dem
Abbasiech war
ich natürlicherweise immer unter den Pilgern. Auf
frischer Anschauung beruhen auch der Dattelverkäufer,
die Brunnenbilder, das Bad (ein reizendes Motiv) und
die Händler mit den Waaren, für weiche ich keinen
Namen weiss.
Ich sah in alle seine Töpfe , doch ich blieb so
klug wie vorher.
Sie werden an den Zeichnungen sehen , welch
grosser Unterschied zwischen den Sachen ist , die
man im Atelier aus der Erinnerung zeichnet, und
jenen , zu denen man an Ort und Stelle die Studien
machen kann. »
Leider ist der zweite Theil des köstlichen Lager-
bildes nie vollendet worden ; denn schon im nächsten
Briefe sah sich Müller zu schreiben gezwungen :
«Acht Tage musste ich aussetzen mit dem Zeichnen,
weil ich wieder Augenentzündung hatte.
Es ist noch der alte Katarrh aus Venedig, an dem
ich leide.
Um mich zu heilen , ging ich in die Wüste und
brachte sechs Tage in Helwan *) zu. Ich befinde danach
mich besser. Von dort aus machte ich eines Tages einen
Ausflug nach den Apisgräbern. Ich habe eine Skizze
von denselben und von Mariettes Haus gemacht.
«Als ich nach Sakkara ritt von Helwan aus und
auf dem Damme, der zur Wüste führt, mich dem Wege
näherte, der zur Stufenpyramide führt, sah ich ein Bild,
das ergreifend schön war.
« Mit gellendem Schreien lief ein Mädchen von etwa
i6 Jahren mir entgegen, das die Hände hoch in die
Luft hielt und in denselben ihren Schleier flattern lie.ss.
Die schmerzlichen Ausrufe des Mädchens gingen mir
sehr zu Herzen, und ich ahnte gleich, dass der Aermsten
etwas Trauriges begegnet sein müsse. Und so war es
auch. Als das hübsche Kind mir näher und näher kam,
da vernahm ich die Worte, die es ausrief: Mein Bruder
ist tot , mein Bruder ist tot ! Ohne mich zu beachten,
flog die Arme an mir vorbei, immer den Schleier mit
beiden Händen hoch in der Luft haltend.
« Bald daraufbrachten zwei Männer den todten Bruder.
Es war ein hübscher Knabe, der vor wenigen Momenten noch
gelebt haben muss; es waren selbst seine Hände noch warm.
« Ich versichere Sie, dass mir dies Bild unvergcss-
lich bleiben wird, so schön war es. Die schöne Silhouette
des Mädchens, die ernste Gruppe mit dem Todten mit
dem prächtigen Hintergrunde, der starren, leuchtenden
Wüste nämlich, war aussergewöhnlich packend.
« Das Bild werde ich einmal malen , oder will es
mindestens versuchen. — 1>
Es ist leider, so viel ich weiss und aus seinen Aufzeich-
nungen ersehe, nie zur Ausführung gekommen. In ähnlicher
Weise ergreifend ist aber das Bild der trauernden Witwe, die
mit einem hohen Palmenwedel im Arm, der, wie kummer-
voll, die Spitze nach vorne neigt, auf dem Grabe des verstor-
benen Gatten seiner gedenkt. — Wer die arabischen Fried-
höfe kennt, wird sich nicht wundern, dass ein warmempfin-
dender Künstler, ein Kolorist wie Müller, sich gerne daran
wagte, sie und ihre Besucher wiederzugeben. Vielleicht das
schönste von allen Blättern, die wir dem Verstorbenen ver-
*) Das Helwan, wo Müller Heilung suchte, ist ein kräftiges Schwefel-
bad auf dem östlichen Nilufer, wenige Meilen südlich von Kairo. Es liegt in
der zum Fuss des arabischen Gebirges gehörenden WUste und ist jetzt ein
bequem eingerichteter Bade- und Luftkurort. Kranz Pascha, ein Nassauer,
der trelTliche Architekt des Chedlw, ist der Schöpfer der stattlichen dort
entstandenen Hauten. 1877 halte der Sacfase Dr. Reil und der Schlesier
Dr. Sachs erst eben angefangc-n es in .\ufnahme zu bringen. Ein kleines
sauberes deutsches Gasthaus « zum Waldesel undPfifficus t, das eine muntere
Gesellschaft unserer Landsleute so benannt hatte, nahm die Europäer auf.
I.eop. Carl Müller-
rhot. r. H>nrilaen|l. XlmcbMl
Messe zu Tanta.
(Delta.)
DIE KUNS r UNSERER ZEIT.
60
Die Apisgräber in Sakkara.
danken , zeigt einen solchen und die Verkäuferin von
Palmenzweigen, die sich mit einem Kunden unterhält.
Die Handbewegung, die das arabische «Wer kann's
ändern» oder das salomonische «Alles ist eitel» begleitet,
ist mit unvergleichlichem Feingefühl getroffen.
Am 9. Nov. 1877 schreibt Müller:
«Das, was Sie in Ihrem Schreiben VI von den so-
genannten Genies sagen, stimmt ganz mit meinen An-
schauungen überein. Ich habe z. B. noch keinen Maler
kennen gelernt, der von Bedeutung gewesen wäre, und
doch zu jener Gattung mit den «struppigen Haaren und
ungewaschenen Hemden» gehört hätte. Die jetzt lebenden
grossen Künstler Europas sind beinahe durchgehend fein-
gebildete Menschen, die den äusseren Formen unserer
Gesellschaft Rechnung tragen.
«Ich gehöre z. B. sogar zu denen, die eine Art Miss-
trauen in die Befähigung aller jener setzen, die in ihrem
Aeusseren sich absichtlich von den anderen Menschen-
kindern unterscheiden wollen. Und Ihre Anschauung
über die Bedeutung des Fleisses theile ich ebenfalls.
Wenn ich meinen Wirkungskreis an der k. k. Akademie
antreten werde, wird es eine meiner Hauptbestrebungen
sein, meine Schüler zu rastloser Thätigkeit anzu-
halten. Besonders in den bildenden Künsten ist
Vi einlachen von grosser Bedeutung. In den
bildenden Künsten spielt die Fertigkeit in der
Technik eine unglaublich grosse Rolle. Neben
der Technik ist es dann der Geschmack, der aus-
schlaggebend ist. Nun frage ich Sie aber, ob
Sie glauben, dass die Menschen schon mit gutem
Geschmack auf die Welt kommen? Grössere oder
geringere Anlage zur Ausbildung bringt man mit;
guter Geschmack wird aber zum grösseren Theile
erworben durch Arbeit, rastlose Arbeit.
«Es ist eine Thatsache, dass der grössere
Theil aller schon an der Akademie bewunderten
Talente gewöhnlich verschwindet von der Weltschau-
bühne, während sehr, sehr viele gegenwärtig als
bedeutende Künstler auf derselben wirken, die
während ihrer Schülerzeit als Ochsen ohne Talent
verspottet und verlacht wurden. Der so berühmt
gewordene Overbeck wurde von drei Akademieen
fortgeschickt als gänzlich talentlos. Der Pole Mateiko
wurde weder in Wien noch in München beachtet.
« Eine ganze Reihe von Studenten an der
Akademie in Wien , die ich seiner Zeit beneidete,
mit deren Arbeiten die damaligen Professoren grosses
Wesen trieben und von denen man erwartete, dass sie
die alten Meister übertreffen würden, sind heute spurlos
verschwunden.
«Ganz verschwindend klein ist die Zahl der alten
und der modernen
grossen Künstler,
die von Hause
aus reich gewesen
wären. Alle waren
sie arme Teufel,
die durch uner-
müdlichen Fleiss
und Arbeit sich :^0
das Leben fristen
mussten. Der
Zwang zur Arbeit
ist die beste
Schule für das
Talent. Es plagt
sich selten Einer,
der es nicht nöthig Gazelle.
70
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
hat; daher kommt ein vom Hause aus reicher Maler
nur selten zu jener Vollkommenheit in der Technik,
welche die Ausführung bedeutender künstlerischer Auf-
gaben ermöglicht.
«Es ist dies ein Thema, das mich sehr interessirt,
und ich schwatze da fort, ohne zu bedenken.
Kairo, 17. Nov. 1877.
« Gestern erhielt ich Ihren Brief und es freut mich
zu vernehmen, dass Ihnen die Arbeiten Alma Tademas
so sehr gefallen. Es zeigt dies, dass Sie Geschmack
haben, denn Tadema ist ein durch und durch origineller,
echter und tüchtiger Künstler. »
In dem folgenden Briefe spricht sich Müller auch
über die Reproduktion seiner Bilder aus. Er hatte .schon
mit Gnauth darüber verhandelt.
«Mir ist nämlich immer leid», fährt er von Kairo
aus am 22. Nov. 1877 fort, «wenn ich gut Geschriebenes
lese und verdammt werde auf jeder Seite schlechte
Bilder anschauen zu müssen. Ich war einmal viel strenger
in meinem Urtheile , als ich es heute bin (es kommt
dies glaube ich daher, dass man je mehr man leistet,
desto besser beurtheilen kann, wie schwierig es ist. Vor-
treffliches zu machen) und ging so weit zu behaupten,
dass wenn in einem Werke die Illustrationen schlecht
waren, auch der Text nicht gut sein könne. Ich nahm
an, dass ein guter Schriftsteller so viel Geschmack haben
müsse, dass er schlechte Illustrationen nicht dulden könne
und ich legte ein derartiges Buch immer weg ohne es
zu lesen.
«Ein gut geschriebenes aber schlecht illustrirtes
Buch macht mir denselben widerlichen Eindruck wie
z. B. eine schlecht kolorirte Photographie eines Portraits.
«Es gibt nicht leicht etwas Widerlicheres als so
eine kolorirte Photographie, welche im Grunde die absolute
Wahrheit in Form , Linie und Beleuchtung zeigt und
obenauf mit der Lüge in Farben prangt. An Hallbergers
Stelle hätte ich die Illustrationen mittels Heliotypie her-
zustellen gesucht, wie im Journal l'Art.
«Ich bin sehr neugierig auf die nächsten Schnitt-
proben. Am besten sind geschnitten der Wechsler und
der Läufer, und darum scheue ich nun jetzt die Mühe
nicht, all meine Zeichnungen nur mit der Feder auszu=^
führen, so wie es jene beiden waren. Es kosten mich
diese Federzeichnungen viel mehr Zeit, doch ich erwarte
mir ein günstiges Resultat, wenn man darauf dringt, dass
diese Zeichnungen facsimile geschnitten werden. Bei
einer Federzeichnung hat der Xylograph gar keine Aus-
rede, dass er die.ses oder jenes nicht klar gesehen hätte.
Hier gilt es eben jeden Strich wieder nachzuschneiden.
«Mit diesem Briefe sende ich auch des Beduinen
Morgen gebet, eine Zeichnung, die ich auch einmal
malen werde, weil ich glaube, dass mir die andachtsvolle
Stimmung in derselben gelungen ist. Selbst das Kameel
ist andächtig. »
So verhält es sich in der That; ich sah aber aus
dieser Zeichnung kein Gemälde entstehen. « DenWechsler » ,
dessen Schnitt ihn befriedigte, führte er aber in Oel aus,
und dieses herrliche Bild wurde im Glaspalaste zu
München mit der goldenen Medaille gekrönt.
Wegen der Reproduktion seiner Arbeiten schreibt
er auf einen besonderen Zettel : « Meiner Zeichnungen
braucheich mich nicht zu schämen, Ihr Text» (es folgt
das Lob desselben) . . . «und so müssen wir Schulter an
Schulter durchsetzen, dass alles aufgeboten werde, damit
der Schnitt nichts verderbe. Auch Gnauth wird helfen.
Ed. Hallberger ist ein Verleger, der es ernster nimmt
als andere und einen kleinen Schaden ertragen kann.
Da muss verworfen und vernichtet werden, was nicht
die Nummer i verdient. Die muss auch das ganze Werk
noch erwerben. »
Kairo, 30. Nov. 1877. «Habe Schreiben VIII er-
halten , und hoffentlich erhielten Sie auch inzwischen
meinen wöchentlichen Schreibebrief. Sie können mit
Sicherheit auf meine Briefe rechnen ; denn was ich ver-
spreche, das halte ich . . — Ich habe zur Abwechs-
lungf wieder ein bischen Augenleiden, So oft ich zu
lange des Abends lese, ist der Teufel wieder los. Nun
habe ich mir vorgenommen bei Lampenlicht gar nichts
mehr zu lesen. . . .
« Dr. Reil und Sachs lassen Sie bestens grüssen . . .
In Helwan lernte ich einen weiteren Doktor kennen,
der kein uninteressanter Mensch ist. *j P> betreibt in
Helwan etwas, was für Aegypten eigentlich neu ist. Er
sucht und gräbt nämlich nach Geräthschaften aus der
Steinzeit. Seine Sammlung ist sehr interessant und reich.
Er hat an mindestens 1000 Stück Messer, Lanzenspitzen,
Sägen u. s. w. Die Sägen sind merkwürdig gut ge-
macht, bewundernswerth. Aller Orten, wo er diese
*) Er meint den Dr. Mook. Dr. Reil hatte schon früher eine
schöne Sammlung dieser Art angelegt. Auch die Franzosen Hainy,
Arcelin und Lenormant wiesen lange bevor MuUer am Nil war, auf eine
Steinzeit in Aegypten.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
71
Feuersteingeräthe findet,
gibt es auch immer eine
gute Ausbeute an Knochen
aller möglichen Thiergatt-
ungen
« Dass Sie mich um
meinen Aufenthalt be-
neiden , begreife ich voll-
kommen. Heute war es
tüchtig heiss, und vor zwei
Monaten hätten wir zu-
sammen ohne Feuer im
Ofen und ohne die Reibung
der Geister erbärmlich in
Nürnberg gefroren. Dass
es Gnauth in dem kalten
Norden so geduldig aus-
hält, ist mir ein Räthsel.
Ich werde ja vielleicht
auch in Wien Schnee und
Eis ertragen müssen, aber
wie ungeduldig ich dabei
sein werde , weiss ich
schon im Voraus. Das
ist auch gut; denn wenn
der bekannte Faden reisst,
werde ich wieder frei.
Gärtnerbursclie mit Bouquet am 'l'iirban.
worden , der eigentlich
.schon den Namen der
kalten verdiente. Wo es
warm ist, ist meine eigent-
liche Heimat.»
Kairo, 7. Dez. 1877.
« Vor einigen Tagen wurde
hier ein Wohlthätigkeits-
Bazar zum Besten der
verwundeten Türken im
Esbekije-Garten abgehalten.
Der Garten war schön
dekorirt. Die schönsten
Damen hatten verschiedene
Buden, worin sie alles Mög-
gliche und Unmögliche ver-
kauften. Je schöner die
Dame, desto gefährlicher
war es begreiflicherweise
bei ihr einzukaufen. Uns
armen Männern wurde
mit allen erdenklichen
Schmeicheleien das Geld
aus den Taschen geholt,
und ich möchte wetten,
dass manche Dame, um
nur mit recht vielem Gelde
Dann sage ich den Eisbären gute Nacht und den
Krokodilen und meinen lieben Kameelen, zu denen ich
gehöre, guten Morgen. Ich bin glaube ich aus Ver-
sehen in dem Theile der gemä.ssigten Zone geboren
vor dem Comite erscheinen zu können , ihren Kunden
Dinge versprach , die sie dann ihres Mannes wegen
nicht wird haben einhalten können. Der Vizekönig
war splendid , bezahlte jede Blume, die ihm gegeben
~\ -^
. r^:fi^>^>r;~:^^^^i5^fel^r^':
^(^
Beduinenzelt.
72
DIE KUNST UNSERER ZEIT
wurde, mit i 5 Pfund Sterling, und bekam — recht viele
Blumen. Die Haremsdamen coquettierten reizend aus
ihren Equipagen. Zu verkaufen hatten sie jedoch
nichts. Die Armen würden sich gewiss auch gern so
manchem der anwesenden Männer als Wohlthäterinnen
erwiesen haben.
«Noch eine Bemerkung erlaube ich mir über das
beiliegende Bild. Ich hörte es « Pyramidenbeduinen ;>
nennen*). Da erlaube ich mir die Bemerkung, dass
dieser Titel nicht passend wäre. Die Beduinen bei den
Pyramiden haben ein anderes Costüm, lagern nicht im
Freien und besitzen keine Kameele. Auch ist die Distanz,
in welcher die Gruppe der Lagernden auf dem Bilde
von den Pyramiden entfernt ist, sehr bedeutend. Das
Original, das ich vor mehr als fünf Monaten in London
verkaufte , dankt seine Entstehung einem Spaziergange
bei den Pyramiden. Ich sah nämlich bei Gelegenheit
dieses Spazierganges am Rande der Wüste eine Karawane
lagern mit vielen Kameelen, Zelten u. s. w. Die Leute
waren meistens Zigeuner und Beduinen aus der Libyschen
Wüste. Beim Malen des Bildes konvenirte es mir besser,
auch im Vordergrunde, wo in der Natur bereits bebauter
Boden war, ebenfalls Wüstenterrain zu machen. In
London war das Bild mit dem Titel : «Caravane en repos»
ausgestellt. »
Der folgende Brief bezieht sich auf meinen Roman
« Homo sum » den ich ihm gesandt hatte. Die ein-
gehende kunsthistorische Betrachtung, die er enthält,
wäre wohl werth, hier mitgetheilt zu werden, doch ver-
bietet das der uns bewilligte Raum.
Aus unseres Künstlers Brief vom 18. Jan. 1877 ent-
nehme ich die folgenden Sätze : « Was das Kapitel Be-
wunderung angeht, so vertheidigen Sie Ihre Position
mit Waffen der die meinigen nicht gewachsen sind.
Mit Worten verstehe ich schlecht zu fechten, und ich
lasse Sie also auf dem verlorenen Posten.
« Ich habe von der Kunst einen so hohen Begrift,
dass ich mich nicht einmal zu den Künstlern rechne.
Ein einfach bürgerlicher Maler bin ich, der sein täglich
Brod mit dem Malerhandwerk verdient. Es gibt in ganz
Europa nur 10 oder 12 Künstler — mehr oder weniger
geschickte Maler aber einige Tausende. Auch der von
Ihnen bewunderte ... ist nur ein Handwerker. Alma
Tadema z. B. einer der hochbegnadeten, ein Künstler.
*) Man hatte es in Stuttgart so bezeichnet.
« Da steht vor mir ein grosses Bild. Ich möchte
das Farbengaudium des Orients auf ihm nur einiger-
massen treffen und zur Anschauung bringen. Glauben
Sie, ich brächte es zu wege? Jeden Tag der letzten
Zeit, den ich am Bilde arbeitete . entspricht es weniger
den Anforderungen, die ich an das.selbe stelle, — und
so leide ich nun schon seit geraumer Zeit an einem un-
erträglichen moralischen Katzenjammer. Ich bin in
einem Zustande , in welchem man selbst das was man
kann , zu können bezweifelt. Ich werde darum auch
vielleicht eine Einladung zu einer kleinen Erholungs-
reise, die mir der ältere (Heinrich) Brugsch gemacht hat,
annehmen. »
Gerade dieses sich nie an der eigenen Leistung
Genügenlassen , dies Verzweifeln an dem eigenen in
Wirklichkeit erstaunlichen Können charakterisirt den
bescheidenen Müller als den grossen Künstler, der er
war. Wer das Gemälde kennt, das ihn in eine so ver-
zweifelte Stimmung versetzte — es ist das der Wiener
Akademie — der wird meiner Meinung beipflichten, dass
es wenigen gelang, das « Farbengaudium des Orients •» ,
das Müller zum Ausdruck zu bringen begehrte, auch nur
halb so glücklich wiederzugeben.
Später am 7. Februar 1878 schreibt er in Bezug
auf das nämliche Bild : « Die Politik und die Unzu-
friedenheit über meine Malerei verstimmen mich sehr.
Um so mehr bin ich verstimmt, als mir an meinem
Bilde gerade das nicht gelingen will , worin eigentlich
mein Können besteht. Sowohl aus eigener Erfahrung als
durch meine kunstverständigen Freunde weiss ich, dass
meine Stärke nicht in der Zeichnung und Composition
(sie r), sondern in der Farbe besteht. Gut gezeichnete
und komponirte Bilder existiren viele von Gerome,
doch gut gemalte, ich will sagen, kolori.stisch gute, gibt
es meines Wissens gar keine. Fromentin hat die
Farbe des Orients getroffen, doch er gab eben nur kleine
Landschaften init Staffagen. Mein Ehrgeiz bestand aber
darin, ein grosses figurenreiches Bild zu schaffen, das
auch den Farbenzauber des Orients wiedergeben sollte.
Ach, um das schwache Fleisch!»
Am 15. Februar (Kairo) sagt er unter anderm:
« Einen guten Brief zu schreiben halte ich für schwierig.
Ein Brief soll ja keine Abhandlung sein , sondern soll
auf 3 oder 4 Seiten recht viel sagen. Von den vielen
Freunden und Bekannten, die mir schrieben, treffen es
nur wenige, gute Briefe zu schreiben, obwohl sie sonst
Markt in Desuk.
(Delta.)
I.«>l>. t;>tl Malier,
PbM. r. UM>bU>llcl. MAMti«.
Moschee des heiligen Ibrahim zu Desuk.
(Delta.)
Eine Strasse von Tanta während der Messe.
Wahrsagerei aus der Hand.
Der Fragende driickl die innere Handfläche auf Brodleig ab.
74
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
ganz ausgezeichnet mit der Feder umzugehen wissen. »
Dann geht er wieder auf die Holzschnitte über :
«Es thut mir wohl», sagt er, «dass ich Ihnen nun
schon zweimal von guten Schnitten berichten kann, denn
nur zu oft habe ich Ihnen etwas vorjammern müssen.
« Bilder sind die Bücher der Ungelehrigen » hat der
heilige Augustin gesagt, und er hatte sehr Recht. Mit
welcher Leidenschaft studiren Kinder nicht Bilder-
bücher I
« Und wir Erwachsenen, sehen wir, sobald wir ein
illustrirtes Werk in die Hand bekommen, nicht auch
immer zuerst alle Bilder drinnen an.? Und verderben
wir uns nicht um etwas die Lust das Buch zu lesen,
wenn uns die Illustrationen nicht gefallen haben.' Und
darum habe ich von jeher die Anschauung gehabt, dass
ein Buch sich immer besser repräsentirt, wenn es nicht,
als wenn es schlecht oder auch nur mittelmässig illustrirt
wird. So wie der Text zu dem Werke, so müssen auch
die Bilder werden, müssen Sehnsucht nach dem Zauber-
lande erwecken. . . . Bei einem Werke, das mich nicht
interessirt, hätte ich überhaupt nicht mitgethan. Nun
ich aber mitthue, erlaube ich mir immer offen und
schonungslos die Meinung zu sagen, und das verübeln
Sie mir ja gewiss nicht. . . . Fahren Sie fort mein
Sekundant und Mitkämpfer zu sein, und es wird schon
so, dass man F"reude daran haben kann. »
Einige vierzig Bilder hatte er für unser « Aegypten »
vollendet, nun aber verhinderte ihn die Berufung an die
Wiener Akademie, als deren Direktor er starb, und ein
Augenleiden einstweilen weiter für uns zu schaffen. Er
empfahl das noch Fehlende von Huber herstellen zu
lassen. Zu unserer Freude willigte dieser ausgezeichnete
Künstler ein, und auch die von ihm hergestellten Bilder
sind Zierden des Werkes; denn es vereint sich in
ihnen treffliches Können mit genauer Kenntnis des
morgenländischen Lebens.
Der Zustand der Sehkraft Müllers war ein wahrhaft
beklagenswerther geworden, und dass er trotzdem so
Vieles und Schönes auch noch später vollenden konnte,
ist den ihm am nächsten Stehenden kaum fasslich
erschienen.
Am 22. Februar schreibt er darüber aus Kairo:
« Wie gerne gäbe ich Ihnen einen Theil meiner
Schenkelkraft, wenn Sie mir dafür etwas von der Kraft
Ihrer Augen ablassen möchten. Der (kleinen) Schrift
Ihrer Briefe sieht man die beneiden.swerthen Augen an,
Kalleeliaub. (^FcUerzeicIinung.)
über die Sie verfügen. Während ich jetzt schreibe,
sitzen doppelte Augengläser auf meiner Nase. Wie mich
diese beiden Krüppel von Augen bei meinen Arbeiten
hindern , davon machen Sie sich keinen Begriff. Bei
kleinen Dingen, die ich male oder zeichne, ist's mehr
meine Hand, welche sieht, als meine Augen. Hätte ich
nicht eine .so empfindsame Faust, so wäre ich unmöglich
als Maler. Und diese elend konstruirten Augen sind
nun seit langer Zeit zum Ueberflusse noch krank.
« Geht es besser damit und bin ich in Wien , will
ich gerne wieder die frühere Thätigkeit für das Pracht-
werk entwickeln. Ausser meinem grossen Bilde habe
ich hier noch einige Studien für zwei mir von Wallis
in London bestellte Bilder zu machen.»
Diesen Kun.sthändler erwähnt er oft in seinen spä-
teren Briefen als eines verständnisvollen, ihm persönlich
sympathischen und auch aufsein, des Künstlers Interesse
bedachten Herrn.
Wie schwer er, mit solchen Aufgaben im Sinne, das
Augenleiden trug, geht aus jedem der folgenden Schreiben
L«op. CftrI Müller.
f kot. r. Banhumcl, ■•■rkH.
Orangen Verkäuferin.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
75
Ein Kopte.
(Christlicher Nachkomme der allen Aegyptcr.)
hervor. Wer da hört , dass er in einem Winter etliche
vierzig Zeichnungen, unter denen sich auch viele aufs
Sorgfältigste ausgeführte Compositionen befinden und
daneben noch mehrere grössere Gemälde vollendete,
wird es kaum glauben, dass er langsam arbeitete.
Dies zu begreifen fällt doppelt schwer , wenn man
bedenkt, dass er während jenes Winters keineswegs fort-
während sesshaft in Kairo blieb, sondern ausser mancher
Fahrt zu den Pyramiden und dem Aufenthalt in Hei wan auch
einer Reise in das Delta mehrere Tage widmete. Wäh-
rend derselben entwarf er zwei schöne Bilder, die den
Markt und die Moschee des Ibrahim zu Desuk darstellen,
eine figurenreiche Scene aus der Messe zu Tanta, das
Beduinenzelt und den Damm zur Zeit der Ueber-
schwemmung, eine seiner stimmungsvollsten und wahrsten
Arbeiten.
Auf meine Bitte hatte er .sich nach Tanta, einer
grossen Handels- und Wallfahrtstadt im Delta, begeben,
wo sich auf den drei Messen, die zu Ehren des hoch-
angesehenen arabischen Heiligen Sejjid el-Bedawi ab-
11«
76
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
gehalten wurden, bis an eine halbe Million von Muslimen
zusammen finden.
Wenigstens ein Theil des munteren Briefes, den er
nach seiner Heimkehr von dort aus Kairo an mich
richtete, mag hier mitgetheilt werden. « Viele Grüsse
von dem Apotheker Friedrich aus Tanta» schreibt er.
« Er denkt Ihrer Anwesenheit in Tanta als eines Festes
bei seinem einsamen Fasten. Ein charmanter junger
Mann. Dazu wie
mancher Apotheker
ein Naturforscher,
der mit den geübten
Händen manches
besser erkennt als
der stolze Gelehrte
vom Fach es mit
den Augen fertig
bringt. Sie hatten
Recht , mich nach
Tanta zu schicken.
Ich habe Brauer-
und Förster-, Philo-
logen- und Friseur-
congresse gesehen,
dass aber auch die
Priesterinnen der
Venus Kongresse abhalten, erfuhr ich erst hier. Sie
haben gewiss auch darin recht gesehen. Die alte
Festlust von Bubastis übertrug sich auf das nahe
Tanta. Dank für die Stelle aus dem Herodot. Und
das ist ein Treiben. Man möchte sich loo Augen
mehr, und hätte man sechs Paar Ohren, acht weniger
wünschen. Aber die Augen haben so viel zu thun,
dass die anderen Sinne ohnehin abgesetzt sind. Eine
hübsche Zigeunerin merkte, dass ich sie zeichnete und
schlug die Hände vor das Gesicht. Ich versprach ihr
eine Menge Geld, wenn sie mir still stehen wolle, aber
sie wies es unbändig zurück. Für die Hälfte hätte sie
mir mit dem besten Danke Alles gegeben, was sie sonst
nur zu vergeben hat. So mächtig ist das Vorurtheil.
Oder ist es Aberglaube oder der Koran? Aber was ist
diesen Zigeunerinnen Religion? Ich hörte sagen, sie
wären nicht einmal rechte Anhänger des Propheten.
Ein Reisebeschreiber erzählt*), er habe arabische
Fischauktion zu San. (Tanii )
♦) Es ist der Däne Niebuhr.
Mädchen im Bade überrascht. Die Mädchen hätten
laut aufgekreischt und den Hinterkopf schamhaft in
die Handmuscheln versteckt. Das müssen sie so
machen, nachdem sie gewohnt sind diesen Theil des
Kopfes ängstlich mit dem Schleier zu verbergen. Eine
Europäerin hätte wie die Venus von Medici zuerst den
Busen versteckt. . . . Die Araberinnen sind doch kon-
sequenter als unsere Balldamen d
Das Bild nach
Seite 68 zeigt eine
Strasse von Tanta
während der Messe.
Die schönen und
vornehmen Armbe-
wegungen der ägyp-
tischen Frauen , an
denen Müller so
grosse Freude hatte,
finde ich auf diesem
Bilde bei der Zucker-
rohrverkäuferin, der
Krugträgerin und
Gauklerin wieder.
Auch jede andere
Figur verdankt der
lebendigen Anschau-
ung die Entstehung, doch wurde das Bild ganz anders,
als er anfänglich beabsichtigt hatte.
«Es ist mir nicht gegeben, » schreibt er am i 5. Sept.
1 878 aus Wien , « bei dem Vorwurfe zu einem Bilde,
und sei es auch noch so wohl und sorgfaltig erwogen,
zu bleiben. Bei der endgültigen Ausführung meiner
Skizzen verfalle ich immer ins Aendern, in ein Aendem
ohne Ende. Meine Veränderungswuth geht dann so weit,
dass es passieren kann, dass sich mir aus einem Mekka-
pilgerzug eine Ansicht Venedigs oder eine Glet.'-cherland-
schaft entwickelt, und so möglicherweise auch umgekehrt.
Ich habe jetzt für sechs Bilder Kompositionsskizzen
fertig gebracht. Lauter Darstellungen aus dem ägypt-
ischen Volksleben , Bestellungen für London. Wenn
mir das Ministerium den Urlaub zu einem Ausflug nach
Kairo nicht gewährt, um den ich es ersuchte, so male
ich an den Bildern in Folge Studienmangels für ver-
schiedene Typen u. s. w. mindestens ein Jahr, während
ich im günstigen Falle, das heisst nach einem Abstecher
nach Kairo, in fünf Monaten fertig werden kann. . .
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
77
Andere Briefe lehren, wie gewissenhaft und eifrig
er seine Schüler*) zu fördern bestrebt war. Es machte
ihn glücklich, einige unter ihnen zu besitzen, deren
Talent und Fleiss ihnen ein schnelles und erfolgreiches
Fortschreiten gestattete. Mit den Kollegen stand er in
angenehmer Beziehung. Einmal schreibt er:
« Makart ist nun auch Profes.sor an der Akademie
und übernimmt während der Zeit meiner Abwesenheit
die Leitung meiner Schüler. Makart spricht nicht und
kann auch nicht sprechen ; aber malen kann er wie
In einem dieser Schreiben (1878) gibt er seinem
Verdruss über die Annäherung Deutschlands an Russland
Ausdruck. Daran knüpft sich der folgende Satz des
auf sein deutsches Blut stolzen Mannes, der auch in
vielen Briefen ausspricht, wie herzlich er sein öster-
reichisches Vaterland liebt.
«Kurz nach der Schlacht bei Königgrätz>, schreibt
er, « als die Preussen schon vor Wien standen, da unter-
nahm ich und mehrere Freunde von mir das Wagnis,
in Wien einen deutschen Verein zu gründen. Es war
"^A.-'>:4di
^
Ein Zigeunerzelt.
wenige. Er bringt seine Gedanken auf keine andere
Weise gut zur Anschauung als mit dem Pinsel.
Wer aus Makarts Reden auf die Bedeutung dieses
Mannes schliessen wollte , der würde ~ sich gröblich
täuschen.»
Müller verstand es dagegen, seinen Gedanken auch
in Worten Ausdruck zu geben. Das beweisen besonders
die späteren Briefe, in denen er über sehr verschiedene
Dinge redet; nicht selten auch über Politik.
Diejenigen, auf die er das meiste hielt, waren Bacher, Delug,
Dragon, Hirschl, Jovanowitz, Krämmer, Novak, Ottenfeld, Rothaug,
Tötzelberger, Swoboda, Tichy, Wilda, Wenzel, Zimmermann, die
Prinzessin M. A. Reuss VII. und seine Schwestern Marie und Bertha
Müller.
ein rein politischer Verein, und die Tendenz desselben
eine rein deutsche. Wir wurden damals viel von den
Journalen und den spezifischen Wienern angefeindet, ja
wir wurden geradezu des Hochverrathes denunzirt.
Nichts konnte uns einschüchtern, und der Verein wuchs
und wurde mächtiger und mächtiger. Eine grosse und
mächtige Zeitung verdankte ihr Entstehen diesem Vereine.
Es ist die «Deutsche Zeitung». — Unser Jubel über die
deutschen Siege in Frankreich war ein unermesslicher. s
Was aber dann eintrat, will ihm nicht mehr gefallen.
Er empfand eine starke Abneigung gegen Russland
und hielt Oesterreich für den natürlichen Verbündeten
Deutschlands. Diese beiden wünschte er Schulter an
Schulter und Hand in Hand zu sehen und ist auch
12
78
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
noch Zeuge des Deutsch-österreichischen Bündnisses
geworden.
Aber seine Briefe enthielten keineswegs nur ernste
Betrachtungen. Oft fordert der dem daseinsfrohen
Künstler eigene Humor munter sein Recht, und zwar
nicht nur in Worten, sondern auch mit der Zeichenfeder.
Einmal bemerkt er, dass Menschen , die lange mit
bestimmten Gattungen von Thieren verkehrten , ihnen
mit der Zeit ähnlich würden. So sei ihm ein wunder-
licher Kauz begegnet, der sich daran ergötzt habe, ver-
krüppelte Karpfen zu sammeln und endlich selbst mit
einer Karpfenschnute « gesegnet » worden sei. Einer der
Halbneger, die seine Dromedare bedienten, sehe jetzt
selbst aus wie ein Kameel, und dazu zeichnete er mir
den Kameelkopf und daneben den jenes Mannes. Dies
heitere Bildchen war so charakteristisch, dass ich es in
meinem « Aegypten » wiedergeben liess. Ein anderes
mal schildert er, wie er sich von Erkältungen kurire,
indem er in « die Burg » gehe und sich auf den billigsten
Stehplatz in einem dicken Ueber-
zieher unter die Menge mische. Da
gerathe er in eine heilsame Tran-
spiration und gewöhnlich verlasse er
das Haus im Zustand der Genesung.
Sein Brief aus Tanta ward auch in
heiterer Stimmung geschrieben. Ein
zoologischer Freund hatte ihn ge-
beten, ihm in Aegypten Affengehirne
zu schaffen. Nun schreibt er in einem
Brief an die Schwestern (Kairo, den
30. April 1875), sie möchten dem
Gelehrten sagen , es sei wohl mög-
Das Kammel und sein Doppelgänger
lieh solche zu bekommen, «es sei mir aber zu um-
ständlich, Affen zu kaufen, um sie umzubringen, ihrer
Gehirne wegen. Aber ich will ihm ein Negergehirn
senden. Mohren werden hier täglich hin etc.» ....
Es ist ein echter Künstler, ein denkender, pflicht-
treuer, kenntnissreicher, heiterer, durch und durch
sympathischer Mensch, der mir aus diesen Briefen
entgegenschaut. Die an die Schwestern gewähren
Einblick in sein tiefes liebevolles Gemüth. Sein Tod
riss in ihr Leben eine unausfüUbare Lücke. Die Kunst
beklagt in Leopold Carl Müller einen ihrer edelsten und
berufensten Jünger. Wenn von seinen Werken dem
Vaterlande nur wenige erhalten blieben, so trägt er
daran, wie gesagt, keine Schuld.
Die diese Zeilen begleitenden Bilder sollen mehr
derselben zusammenführen, als je auf einer deutschen
oder österreichischen Ausstellung zu sehen waren.
Die Reproduktionsweise, die der Herausgeber
wählte, ist diejenige, welche der Verstorbene selbst
für die Wiedergabe seiner sorgfältig
ausgeführten Blätter vorgeschlagen
hatte.
Ich schulde Müller viele genuss-
reiche Stunden und wünsche mich
dankbar dafür zu erweisen, indem
ich das Bild seiner in jeder Hin-
sicht hervorragenden und liebens-
werthen Persönlichkeit samt einem
Theil derjenigen seiner Werke, die
er im Dienste eines auch mir werthen
Zweckes schuf, einem grossen Kreis
von Kunstfreunden zeige.
'^Wl^^
Mariettes Haus in Sakkara.
^^
Kameelmarkt.
Leop. Carl Müller.
Pliot. ¥. flanfstaaocl. Httncbeo.
Damm im Delta zur Zeit der Uebersehwemmung.
SCHLANGENSPIEL.
SKIZZE
VON
MAX BERNSTEIN.
I ine Schlangenbändigerin hatte in der Stadt ihre
Künste gezeigt. Ein Meistermaler hielt das Bild
fest : das Weib , nackt beinahe, das Haupt
zurückgebeugt, ausgestreckt den vom Thiere umwundenen
Arm ihr Auge begegnend dem Auge der Schlange.
«Ja, so sind sie» — sagte der Graf, als die Rede auf
das Bild kam. «Sie können's nicht lassen, mit den
Schlangen zu spielen. Eva hat damit angefangen und
noch das letzte Weib, eh' die Erde einfriert, wird das
alte Schlangenspiel treiben. »
Er sah dabei die Baronin an, die ihm den Thee
reichte. Ihr Mann lächelte vergnügt, ohne besonderen
Grund — wie gewöhnlich, sein breites, gutmüthiges
Lächeln. «Ja, so sind sie» — sprach er nach.
Sie -Streifte mit einem flüchtigen Blick den Maler,
der wortlos in seine Tasse starrte. « Was meinen Sie? »
frug sie.
Er sah empor. Sein junges Gesicht röthete sich
ein wenig. « Ja . . . ich weiss nicht viel von ...»
Er verstummte.
Jetzt lächelte die Baronin. « Sie müssen mehr in
die Welt, gehen, das Leben kennen lernen. Ein Künstler
muss Alles kennen, nicht?»
«Ja . . . ich weiss nicht ...» brachte er zögernd
hervor. Aber seine Blicke glitten über ihre schwarzen
Haare, ihre zierlich schlanke Figur und blieben haften
in ihren Augen.
« Die Baronin ist eine gute Lehrerin » , sagte
der Graf.
«Nicht für Jeden » , entgegnete sie mit einem feind-
seligen Blick auf den Grafen.
« Nous verrons » , sagte dieser.
Der gute Baron lächelte wieder — ohne besonderen
Grund.
«Und Marier» frug er sich auf dem Heimwege.
Vor ihm stand die holde Gestalt seiner Braut: das
Mädchen , das seiner wartete , daheim in dem kleinen
Städtchen, wo sie miteinander aufgewachsen waren als
Nachbarskinder, bis er auszog, fort in die grössere
Stadt. Da wollte er die Kunst lernen, für sich und die
Geliebte eine Zukunft bauen. Deswegen hatten sie sich
getrennt — vorher aber, aus Herzenstiefen, Treue ein-
ander gelobt. Und er wusste, dass eher ihr Leben
brechen würde als ihr Schwur, dass er ihr Ein und
Alles war. Mancherlei Frauen und Mädchen waren ihm
begegnet, aber Mariens unschuldig schönes Bild hatte
in seiner Seele gewohnt; da war kein Raum für die
Versuchung. Mit heisser Arbeit rang er um die Kunst
und dabei klang es immer in ihm , in die Gegenwart
herüber aus kommender Zeit, wie eine leise sommerliche
Musik: «Marie! Marie!»
So brachte er sich rasch empor. Sein neuestes
Bild machte Aufsehen, man sprach von ihm, suchte ihn.
lud ihn ein. Er ging, fast widerwillig, denn ihm lag
nichts an der Gesellschaft ; aber wohlmeinende PVeunde
erklärten ihm, dass er sich nicht selbst im Wege stehen
dürfe, dass er Rücksichten nehmen müsse, die Leute
nicht kränken solle So war er auch in das Haus der
Baronin gekommen.
Es ruhte in ihm wie ein Vorgefühl der Welt, so
dass nicht leicht irgend etwas ihn befremdete. Er be-
sass eine schnell entscheidende Empfindung, womit er
in Menschen und Dinge sich hineinfühlte. Er sah bald :
der Baron war ein unbedeutender Mensch, der Graf ein
feiner Egoist von klugen Formen. Und die Baronin?
« Eine kokette Frau » , hatte er sich gesagt, « weiter
nichts».
Doch hie und da ein Blick, eine Geberde, ein Wort
fiel ihm auf, zog ihn an, schien etwas Tieferes zu ver-
13
80
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
rathen. Er begann, sie eigenthümlich zu finden, merk-
würdig, räthselhaft. Er nahm sich vor — aus rein
künstlerischem Interesse, meinte er — sie zu beobachten.
Und so, leise, ganz leise, hatte ihr Bild sich in ihm fest-
gewachsen und immer stärker, alles andere verdrängend,
von ihm Besitz genommen.
* *
*
Als er an diesem Abende nach Hause kam, fand
er einen Brief. Mariens Handschrift. Sonst waren ihm
diese Briefe eine ersehnte Freude, mit eiliger Hand hatte
er sie geöffnet, langsam sie durchgekostet; aus jedem
Wort hatte ihr gerader Sinn, ihr gutes Herz, ihre reine
Neigung zu ihm gesprochen. Nun setzte er sich hin,
den uneröffneten Brief in der Hand , um an Marie zu
denken. Ja, er wollte sich einmal zwingen, an sie, nur
an sie zu denken. Aber nicht mehr wie eine Freude,
nur noch wie einen Vorwurf empfand er diesen Ge-
danken — und wie ein Hindernis. Das Bild erblasste
bald und ein anderes, mit lebendigen Farben, trat an
seine Stelle.
In einem matthellen Gesichte seltsame Augen. Es
liegt über ihnen wie schieiernder Dämmer, unbestimmt,
verbergend. Doch manchmal — plötzlich — zieht es
sich enthüllend hinweg und ein dämonischer Strahl trifft
heraus. Jenes Meisterbild kam ihm wieder in den Sinn :
die Bändigerin , der haftende und haltende Blick des
kühnen, starren Auges, in das alles Leben sich ge-
flüchtet hat und das die Schlange bezwingt.
In ihren Blicken aber — schauernd dachte er daran
— erschien bisweilen nicht nur Herrschaft, sondern eine
sanfte, schmeichelnd werbende Gewalt. Als ob sie —
— nun ja: als ob sie ihn liebe! Wenn es möglich
wäre — wenn sie jemals sein werden könnte, nur ein
Mal, nur ein einziges Mal 1 Ein heisser Strom des Ver-
langens überfluthete ihn. Er glaubte zu ersticken.
Er sprang auf, trat an's Fenster und sah in die
kommende Nacht hinaus. Jetzt erst merkte er, dass er
Mariens Brief noch nicht geöffnet hatte. Als hätt' es
Jemand beobachtet , so erschrak er. Es überkam ihn
wie Scham. Er schüttelte sich, dehnte sich stolz: «Noch
bin ich mein eigener Herr ! » Aber es war ihm, als sei
ein Netz über ihn geworfen, unentwirrbar, unentrinnbar.
♦ *
Sie dachte sich nichts Böses dabei. Sie spielte,
wie Kinder spielen, ohne Zweck und Absicht, des Spielens
willen, Sie nahm ihn, weil er ihr gefiel. Es war so
etwas Unberührtes in ihm — das lockte sie, es zu kennen
zu besitzen und zu zerstören. Ihre kleinen Hände mussten
immer ein Spielzeug haben. War das eine zerbrochen
— ein anderes.
» *
*
Im Atelier. Er hatte Pinsel und Palette weggelegt.
Sie sass in dem grossen altprächtigen Lehnstuhl. Die unter-
gehende Sonne strömte durch das hohe F"enster herein.
Er sprach nicht, denn er fühlte, dass er jetzt die
Lippen nicht öffnen dürfe, wenn er sich nicht verrathen
wollte. Sein Herz war übervoll, sein ganzes Wesen
gespannt bis zum Aeussersten, die verhaltene Leiden-
schaft raste in seinem Innern und rüttelte, wie eine
gefangene Bestie an den Gittern des Käfigs.
«Nun . . . Sie .sind heute nicht sehr unterhaltend",
sagte sie. Die Stimme kam zu ihm durch den Dämmer
wie schmeichelnder Flötenton in der Nacht. Berauschende
Musik durch die Stille.
Als er keine Antwort gab, fing sie an, leise zu
singen. Er stand unbewegt, lauschend. Seine schweren
Athemzüge waren fast hörbar. Plötzlich ging ihr leises
Singen in ein stilles fröhliches Lachen über, das ihn zu
verspotten, herauszufordern und zugleich zu liebkosen
schien.
« Gnädige Frau » — sagte er mit hebender Brust
— dann brach er ab.
Mit zärtlichem Spott tönte es zurück : « Gnädiger
Herr ? »
Es war finster geworden. Er sah nur noch die
Umrisse ihrer Gestalt, glaubte ihre Augen durch das
Dunkel leuchten zu fühlen. Da stürzte er zu ihren
Füssen, sie hauchte «endlich», er zog sie an sich. Die
Sonne war untergegangen.
* *
*
Zwei Monate. Heimliches Glück. Sie genoss —
er schwärmte. Weit von ihm lag Alles, was bis dahin
der Besitz seiner Seele gewesen war. Er lachte über
die Ideale, die er gehegt hatte. Idealer Träume,
thörichte Träume ! Hier war die heisse Wirklichkeit,
War sie gut oder schlimm.- Er frug nicht. Gab es
eine Zukunft? Er frug nicht. Gegenwart war alles,
Glück, Leidenschaft, Rausch. Wenn ihr Blick auf ihm
haftete, so forschte er nicht weiter. Er war in ihrem
Bann.
Und dann kam der Tag, wo sie, harmlos wie ein
Kind, das Spielzeug zerbrach.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
81
Sie suchte mit gleichgültiger Neugier im Atelier
herum und fand im Winkel einer Schublade eine Photo-
graphie. Früher einmal hatte er seiner Braut erwähnt.
Sie errieth sogleich.
«Ah, sieh mal, das ist sie wohl?»
«Wer?* frug er zurück, ohne hinzusehen.
« Deine Braut ? »
«Jaj das ist sie», erwiderte er. Nur ein flüchtiges
Erschüttern in seiner von der Leidenschaft hartgeglühten
Seele. « Gieb » — sagte er dann. Er nahm ihr das
Bild aus der Hand und wollte es zerreissen.
Sie hielt seine Hand auf. «Aber warum
denn ? »
« Es ist ja doch aus ! » sagte er.
« Aus ? Was ? »
«; Meine Verlobung ist längst aufgelöst , selbstver-
ständlich — »
€ Aber warum denn ? »
Sie sprach die Frage ganz ruhig. Es traf ihn wie
ein Schlag.
«Warum?» wiederholte er. «Du glaubst doch nicht,
dass ich jetzt noch — »
« Aber warum nicht ? »
« Du ! T> schrie es aus ihm heraus.
«Ich sage ja nicht, dass du sie in vier Wochen
heirathen sollst. Später! In einem halben Jahr, in
einem Jahr — immer wird es zwischen uns doch
nicht — t)
Er fasste ihre Hand mit einem verzweifelten
Druck.
« Du thust mir weh » , sagte sie. « Was fällt dir
denn ein ? Lass mich los 1 »
Er- schleuderte ihre Hand von sich. «Geh!»
Sie wollte etwas erwidern
« Geh! »
er wiederholte aber:
Als sie nach Hause kam, fand sie den Baron und
den Grafen Karten spielend.
« Sie sind rasch gegangen, Baronin ? » sagte der
Graf. « Sie sehen ein wenig echauffirt aus. Oder eine
Gemüthsbewegung ? »
« Sie rathen vortrefflich » , erwiderte sie. « Mein
Compliment! »
«Es ist das erste Mal, dass Sie mich anerkennen»,
sagte der Graf. « Aber ich habe es ja gewusst. t>
Sie sah den Grafen freundlich an. «Ja, Sie sind
ein kluger Mann. Sie können errathen und schweigen. »
«Gewiss», sagte er.
Der Baron lächelte — ohne besonderen Grund.
Und von Neuem begann das Spiel.
* *
*
Unterdess sass der Maler in seinem Atelier, vor
ihrem Bilde. Er starrte hinein: «Ist es möglich?» Es
zog an ihm vorüber, wie alles geschehen war und was
er besessen und verloren. Er fühlte es: die Jugend
seiner Seele war dahin. Der reine frohe Glaube war
todt, der Frühlingsglaube an Liebe und Glück, Schön-
heit und Kunst , das Weib, das Ideal. Eine verwelkte
Blüthe — das war alles.
Einen Augenblick dachte er daran, aus dem Leben
zu gehen. Dann sagte er sich: «Wozu? Das wäre
Unsinn. Alles ist Unsinn. »
Und aus seinem entgötterten Herzen kam ein bitteres
Lachen, als seine Gedanken auf jenen ersten Abend
zurückgingen, wo es begonnen hatte, und er des Wortes
sich erinnerte: Schlangenspiel
-7fy
13*
Radirungen und Bilder
DES
FREIHERRN L. VON GLEICHEN-RUSSWURM.
VON
HERMANN HELFER ICH.
M-:
ran gestatte , dass wir zur Eröffnung einige
Gieichen'sche Scenen zu skizziren suchen. . . .
Kissingen 1882. Ein Flüsschen mit Win-
dungen, niedriges Buschwerk auf der einen Seite , ein
Baum auf der andern Seite legt seine Aeste herüber,
vorne ist eine Grasscholle mit etwas Schilf, hier ist ein
Kahn im Abstossen begriffen, dessen Schiffer die Stange
hält und uns anblickt, während sein Gesell das Netz
mit den Fischen aufzieht, barfuss , da er bereit ist , in
die Fluth zu springen. Hinten schliessen eine Wiese mit
niedrigem Buschwerk, danach niedrige Hügel die Scenerie
ab : es ist der Stoff in einer Radirung niedergelegt, aber
man ahnt sehr kräftige, entschiedene, deutliche Farben,
eine durch Wucht und Natürlichkeit, wie sie die engli-
schen Landschafter ausgezeichnet hat, hervorstechende
Individualität. ...
Ein Hirt, dessen Schafe im Mittelgrund halten, vom
Rücken gesehen , in einer Landschaft im Höhenformat,
in die rechts die Ausläufer eines Busches hineinragen,
vorne ein weisser belaubter Stamm sich erhebt, dem
am Rand eines Wässerchens zwei starke und hohe
Bäume mit mehr Astwerk als Blatterschmuck folgen.
Der Hirt steht in der Mitte. Er wirkt ganz einfach,
doch voller Empfindung. (Dies Thema hat der Künstler
auch in einem Oelbilde behandelt.) Die Empfindung
der Scene ist einfach, deutsch und eigenthümlich. Sie
zeigt eine Anschauung der Landschaft in dichterischem
Sinne, fast pathetisch stark und doch ländlich. Ein
kräftiges Wehen der Luft dringt zu uns, Athem der
Gesundheit ; es ist, wie wenn ein Gutsbesitzer dichtet, der
auf seinem Grund und Boden Augen hat, den poetischen
Stoff zu sehen , ihn formt und ihm nur das unumgäng-
lich Nöthige von Abänderung angedeihen lässt. welches
die Kunstform verlangt. . . Dies ist ein Pastorale. . . .
Später als diese Arbeit enstandene Werke in Oel
haben nun eine noch feinere Tönung aufzuweisen, noch
mehr Helligkeit, dabei Weichheit, und Brio , mehr,
man möchte sagen, Jugend und Frische der Mache. Sie
entwickeln das Bild dieses Meisters auch nach der
Uci Ki&äingen.
!■■ ■. Ml Lsiil.i.;!,.
t'{ii>t- I- Il:thf4t4en-4l, MiknclKi
Sehlangenspiel.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
83
Richtung des für Maler interessanten Theiles hin, der
Künstler hat sich technisch interessanter ausgebildet,
und jetzt schreitet er auch darin an der Spitze unseres
Vorwärtsgehens, wie er bezüglich des Inhaltes, bezüg-
lich der Vollstän-
digkeit des Gebo-
tenen auf die innere
Bedeutung hin, be-
züglich der Zusam-
menfassung eines
Landschaftscharak-
ters, in der Coni-
position und der
Durchseelung und
Einheitlichkeit im-
mer weit vor den
Dutzendmalern ge-
standen hatte.
Und dann, wenn
er den im Tech-
nischen brillanten,
aber in der lyr-
ischen Veranlagung
schwächeren meist-
genannten Malern
der « neueren Rich-
tung » früher im
Technischen unter-
legen gewesen, aber
sie, als er noch
naiv war, durch
seine Natürlichkeit
und Perspnlichkeit
um Haupteslänge
überragte , so ist
er ihnen jetzt auch
im Technischen,
innerhalb des land-
schaftlichen Ge-
bietes, an die Seite
gerückt.
hinter der Rasenhöhe schickt seinen Rauch in die
Luft. . . .
Um ein Jahr früher — und man bemerkt das auch
— ist ein Blatt, über ein Motiv aus Bonnland in Weimar
ausgeführt , ent-
standen , welches
eine Landstrasse
zeigt, rechts einige
Bäume und ein
Haus , auf dem
Weg zwei Kühe,
links, die Höhe
hinauf den Schäfer-
burschen. der sich
von der Luft ab-
setzt , mit seinen
Schafen.
Im Hintergrunde
der Chaussee wer-
den zwei Kühe
weitergeführt.
Dies Blatt ist
noch mehr zeich-
nerisch , während
das vorher be-
sprochene schon
recht radirungsge-
mäss getönt war.
Das Blatt von 1 877
zeichnet , erzählt
und erinnert an die
deutsche Behand-
lung voll zierlicher
Details und erfreu-
lich in seiner Fülle
von Beobachtetem
und Zusammcnge-
Der Schäfer.
tragenem. Es ist
noch ohne das Be-
streben, die Natur
in dem Verhältniss
Rein idyllisch muthete noch ein sehr liebenswürdiges ihrer Töne nachzuahmen; das fällt ganz fort — wie
Blatt von 1878 an. Ein Schäfer geht, von .seiner Heerde auch bei Ludwig Richter. (Immerhin ist das Blatt
gefolgt, zum Bachrand nieder; Steine sind über den schon ein guter Anfang und zeigte auch für eine Art,
Bach als Brückcheh gelegt; Weiden und andere die Gleichen später gar nicht mehr pflegen mochte,
Bäume sprossen aus der Niederung. Ein Dorfhäuschen viele natürliche Veranlagung.)
Motiv aus Bonnland von 1S77.
Eine Erzählung wie dieses Blatt, in der Behandlung
auf Ton hin indessen bereits den Fortschritt von 1878
(der uns etwas französisches zu haben scheint) mit einer
mehr der deutschen Anschauung gemässen Bildabrundung
combinirend, ist das Blatt von 1 879 : der Ausgang eines
Waldes, in Breitenformat, wo wir in die freiwerdende,
vor uns blauende Lichtung hinausblicken, von welcher
sich die Silhouetten zweier Personen im Walde, die auf
einem Wagen den Weg nach aussen mitten durch den
Wald fahren, absetzen.
Wie weit dann von solchen Blättern der wenn
auch bereits malerischen, doch frühen Entwicklung die
gesteigerten, von genialem Schwung und Erfindung ersten
Ranges zeugenden Blätter verschieden sind, aus des
Künstlers jetzigen Blüthejahren, unter ihnen das zwischen
deutschen Arbeiten ganz unvergleichliche Blatt: «Auf
der Weide», wo auf einer Wiese, die in Wenigem
charakterisirt ist, eine Kuh, fressend, von einer Menschen-
gestalt in mächtiger Anstrengung zurückgezerrt dar-
gestellt, eine prächtige, monumentale Gruppe ergibt, —
bei aller im höchsten Grad unvorgesehenen, malerischen
Wirkung, — das im Einzelnen zu verfolgen, wird nur
dem möglich, der diese Blätter der jetzigen Blüthejahre
in Originalen vor sich liegen hat — denn die Kühnheit
ihrer Behandlung ermöglicht nicht, sie auf photomecha-
nischem Wege für unsere Leser zu reproduciren.
Gleichfalls ausserordentlich, ein Vorgang in wunder-
voll schillerndem Lichte mit höchster Feinheit ausgeführt,
ist eine Frau im Korn, hinten Hügel; ein Blatt, für das
wir gleichwerthige Mitbewerber vergeblich in deutschen
Ateliers suchen würden. Es gibt keine radirten Land-
schaftsbilder von deutschen Meistern unserer Zeit, die
mit diesen Blättern in Vergleich kommen könnten. Sie
sind an Schwung und echt malerischer Behandlung unter
allen deutschen Landschaftsradirungen unserer Zeit
unerreicht. (Unsere Abbildung hier gibt von der Original-
radirung kaum so viel wie von einem glänzenden
Orchesterstück ein matter Klavierauszug geben würde.)
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
85
Prachtvoll in der Empfindung, im Ensemble, in
Kraft und Männlichkeit des Tones ist auch jenes Blatt
aus gleicher Epoche, wo das Licht, das über dem
Hügel auflebt und sich rundet, die Luft und die drei
Bäume ernst und gross sind, — eine enorme, einfache
Kraft liegt in dem Original dieser Radirung, auf welcher
rechts ein Schäfer mit seinem Hunde Wache haltend
ausblickt und von dessen Wiedergabe in unserm Heft
in den Bäumen über dem Wasser: die Vögel glauben
wir zu hören in dem Baumschlag vor der hellen Luft
(ohne dass ein Vogel gezeichnet ist) , so wie wir das
Wasser schwanken und fluthen sehen.
Das « Brücke bei Kissingen t> bezeichnete Blatt
zeigt sehr starkes Licht, und die Personen auf der
Brücke bewegen sich, tummeln sich im Lichte ; unter
ihnen sehen wir unter dem Brückenbogen hindurch in
Aus dem Walde von Fontainebleau.
wir dasselbe wie vom zuvor besprochenen Blatte sagen
müssen. .Bei dem « Park von Charlottenburg » benannten
ausgezeichneten Blatte des genialen Künstlers, ist ein
eigenthümliches Fluthen und Wallen und Reflectiren in
Laub und Wasser das Excellente, hinten sieht man
Gras und Ferne, vorne zwei Männer an dem Rande des
Wassers hingehend, unter den Bäumen, die in ihrem
impressionistischen Ausdrucke Leben, Luft und Beweg-
ung haben. Es ist dies Blatt eines der schönsten und
kühnsten des Künstlers. Das Wasser wechselt Farben
und Schatten vor unseren erstaunten Blicken, welche
gewähnt hatten, dass solche Wechsel empfinden zu
lassen, nur die lebendige Natur selbst, nicht aber die
Kunst vermöchte; das Wasser lebt ganz merkwürdig
fascinirend ; und dann ist noch ein Klingen und Singen
die helle Weite und kräftig hebt sich ringsum das Laub
der Bäume von der starkgefärbten, mit leuchtenden
Wolken durchsetzten Luft ab.
Eine andere Arbeit giebt die haarscharfe, klarkalte
Wirkung einer Baumlandschaft mit viel Zweigen in
der Luft.
Eine andere Landschaft hat weichen , < tonigen >
Charakter und hat als Staflage Rinder, die mitten im
Bilde, in glücklichster Composition, von zwei Männern
in einer Hügelfurche dahingeführt werden , nach oben
vom Hügel, nach unten von Baumschatten, Baumschlag
eines Gesträuches und dazwischen einem in Absätzen
niederfliessenden Wasserlauf umgeben.
Ein allerliebstes Blatt aus dem Jahre 1878, das uns
schon ein .so günstiges Ergebniss zeigte, bringt die
86
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Darstellung eines Wasserrandes mit zwei Kühen und
einer Figur, — das Wasser spiegelt sie und die
Luft, — rechts und links sind Weiden und niedriges
Buschwerk ; es ist eine
allerliebste, jugendliche
Arbeit, und eine mit
allen Eftecten des « Hell-
dunkels » behandelte
Landschaft aus Fon-
tainebleau lässt da-
gegen die Erinnerung
zu jenen grossen Mei-
stern, die wir die Maler
von 1830 nennen, zu-
rückgehen, jenen Class-
ikern der modernen
Landschaft, zu denen
auch Millet gehörte,
der der ländlichen
Figur insonderheit
so machtvollen und
grossen Ausdruck ver-
liehen hat. Wie ein
Millet, für die Radir-
ung verändert , dem-
nach in jenes Weich-
Melancholisch - Traum-
hafte gezogen, das für
Radirung ein so pass-
endes Bette ist und
in der Oelmalerei be-
sonders der neueren
Schule der Holländer
ihren Reiz und Werth
gegeben hat, wirkt auf
uns das Blatt Gleichens,
das eine Frau mit einem
Korb zeigt, die einen
Weg in nur ange-
deutetem Terrain, den
Kopf zu Boden gesenkt, dahingeht — einen endlosen
Weg, mühselig, traumhaft — als technisches Stück be-
trachtet eine Radirung von viel «Sammt» im Ton, sehr
weich, sehr musikalisch tonschön. Es ist das Traurige
des Gegenstandes wohl gewahrt, doch in richtiger Er-
kenntniss der Dinse dieser Stoff zu keinem anderen
Landschaft aus Bonnland.
Endzwecke behandelt worden, als zur Ausbeutung eines
rein malerischen Gedankens, zur Gewinnung eigenartiger
Licht- und Schattenreize. . . .
Es zeigt sich auch
hier die natürliche
Grundlage aller Schöpf-
ungen Gleichens; wohl
ist er durch die
«Meister» hindurchge-
gangen, hat Corot wohl
verstanden, hat Duprc
gesehen , hat sich für
Millet enthusiasmirt :
aber wie der Saft in
den Stämmen steigt,
auf ganz natürliche
Weise ist die Poesie
der Natur ihm sichtbar
und freier und immer
freier von ihm gestaltet
worden, — bis er jetzt
so frei und selbständig
dasteht, die zahm und
mühselig schaftenden
deutschen Landschafter
der Schule, und mit
ihrem Studienfleisse und
ihrer gebundenen Hin-
gabe an das Modell
auch die nur feinen,
« geschmackvollen »
Meister seiner Richtung
als ein souveräner, die
Natur neugestaltender
Künstler, überragend.
Jugendfrisch und
grossartig ist jetzt
das Schaffen dieses
Meisters.
In seinen neuesten
Arbeiten in Oel, in diesen Arbeiten, in denen meistens
nichts das Motiv giebt, als ein Fltwas von Frische,
welches durch ein Gelände geht, oder ein Grün, das
entzückt, ist eine köstliche Unbefangenheit und wirk-
liche Versenkung in die Naturschönheit in einfach
ländlicher Gestalt — und mit diesen Arbeiten, die
CO
0»
E
DIE KUNST UNSERKR ZEIT.
87
Studie zum Schäfer.
unerhört neu , weil voll der natürlichsten Frische sind,
erinnert uns, ohne dass wir das genauer erklären
könnten, Herr von Gleichen an manches Gedicht von
Detlev' von Liliencron. Z. B. :
Ueber das Knicktlior mich lehnend,
Pendelt lässig mein Stock
In den übereinander gelegten Händen
So dicht steh'n mir die nächsten Aehren
Des bald sensendurchsurrten Roggenfeldes,
Dass sie die Stirn mir kitzeln.
Schon bräunen sie sich;
Hell doch sticht ihre Farbe ab
Gegen den grünen Heckenzaun,
Gegen den umgrenzenden Wall,
Den rother Mohn,
£laue Kaiserblumen,
Gelber Löwenzahn,
Weisse Camillen
In bunter Malerei
Prächtig Uberflochten haben.
(Wahrlich, ein reizender Kranz
Für das grosse Kornviereck ;
Dankbar gewunden
Dem künftigen Segen.)
Wie still es ist ;
^ Wie die Lerche jubelt.
Wie die scheue Wiesenralle schnarrt.
Friede, deine Himmelsfahne
Hängt breit und ruhig
Uebcr meinem Haupte.
Man müsste das ganze Buch der Gedichte aber
abschreiben. Es sind nicht im mindesten Aehnlichkeiten
im einzelnen, aber die Naturstimmung, die so sehr viel
näher der Natur als früher gekommene Naturfreude
verbinden für uns diese Gedichte und diese Bilder; bei
beiden lag für die Autoren das höchste Gefühl, die
höchste Wonne in der Natur; in der Natur zwischen
einer Hecke und einem Fliederbu,sche, bei blühenden
Apfelbäumen, bei rothen und blauen Blumen; unter
dem Sommerhimmel, in der morgenlichten Luft fühlen
sie sich wohl:
Der Hahn kräht wieder und ich lausch' im Garten . . .
.\uf Wiesen dampft und wogt und zieht der Xebel
Und hüllt mich ein und lässt mich wieder los,
Und steigt und zischt sich von der Sonne frei.
Erathmend holt die Brust sich klare Ströme.
(Im stark betliauten Netze tlickt die Spinne,)
Und hundert Lerchen, mit gespreizten Schwänzchen,
EntschUtteln ihren Flügeln Nacht und Reif,
Der kecken Trillerkehlchen Tirili
Dem frischen Wandrer um die Mütze schmetternd.
Und die Poesien über das Getreide ! Dieses ganz
neue Jauchzen über die Schönheit des Ackers ! Des
Feldes ! Der starken Farben ! Es ist etwas ganz Neues.
Aber lassen wir den Vergleich mit einem Dichter
der neuesten Zeit und wenden uns einer sehr schönen
Recension eines der wenigen verständnissvollen Kunst-
kritiker über Gleichen zu, welche folgendermassen lautet:
Nur der Maler kommt auf die Nachwelt mit seinen
Werken, dessen Arbeit die Kraft innewohnt, ihn denen
als einen Bekannten vorzustellen, die gar nichts von
ihm wissen. Sie empfinden im Anblicke .-meiner Werke,
das ist Blut von unserm Blute, Bein von unserem. Es
genügt bei einem Kunstwerke nicht blos die ästhetische
Befriedigung, unsere eigene Existenz muss eine gewisse
Vermehrung aus ihm ziehen. Man muss sich sagen, es
würde eine Lücke in uns entstehen, wenn dieses Werk
fehlte. Ich kenne einen Maler (hier ist Herr von Gleichen
14
88
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Fränkische Landschaft.
gemeint), der die Gabe besitzt, das festzuhalten, was
den Blick fesselt, wenn er über den gleichgiltigen Wechsel
sanfter Höhen und Senkungen hinfliegt, die den Charakter
Thüringens ausmachen. Die dort herrschende Mischung
von Feld und Wald giebt er wieder, im Frühling, im
Sommer, im Herbste, in den letzten Tagen des Herbstes,
als ginge und stände man da und genösse die Frische
und die Einsamkeit der Gegend. Er verleiht all diesen
Dingen Sprache. Er
weiss sie in Radirungen
und Aquarellen ebenso
flüchtig niederzuschrei-
ben, wie man selber
flüchtig ihrer geniesst.
Es wäre ein Verlust,
wenn ich diese Blätter
nicht unter den Augen
gehabt hätte.
Sie enthalten nur das
was ich nenne, aber ver-
mehren meine Anschau-
ungen. Sie machen mich
reicher . . . Herman
Grimm schreibt das —
ein weites schönes Ur-
theil über einen Maler,
dessen Schaffen ihm nur
unter einem bestimmten
Gesichtswinkel , unter
diesem wundervoll aber,
verständlich geworden.
So müssen wir nun
Gleichen als einen
historisch Gewordenen
auffassen , der für die
Aelteren Impressionen,
nur Impressionen , und
für Strebende einer jün-
geren Generation viel-
leicht auch nur Impres-
sionen , doch dadurch
für sie alles was in
der Kunst nur erreicht
werden kann, erreichte.
Sein Schaffen stellt sich
als ein durch und durch
gesundes dar. So wird nicht in der Schule gearbeitet,
auf den Academien — so arbeitet der Liebhaber.
Die schönsten Sensationen der Natur aufnehmen, das
Frischeste vom Frühling einfangen, mit aller Poesie im
Geist in kräftigsten Accenten es ausdrücken , leiden-
schaftlich skizzirend ! Die Welt der Farben enthusiastisch
umfassen ! Nach Regeln nicht und nicht nach Conven-
tionen gehen . . . Die Frische der Natur ... in Impro-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
89
visationen, muss man sagen ... in freier Herrschaft
über das Gebiet; ohne Kleinlichkeit, ohne Modelltreiie
doch grandios charaktcrisirend. Und stylvoll in seiner
Weise, sogar mit « Componiren » , mit «dichterischem»
Zug — aber ganz, ganz anders als früher. Eine freie,
rurale Dichtung!
Von der blumigen Frische seines Colorites vermögen
wir nun den
Lesern keine An-
schauung zu ge-
ben ; wie er z. B.
in neuester Zeit
die Landschaft
des Goethe- Gar-
tenhauses üppig,
satt , wie aus
der Natur her-
vorgegangen, ge-
malt und dann
den Morgennebel
über ihren Vor-
dergrund legte
und einige Nym-
phen in ihm
auftauchen lässt;
selbst von den Londschaftsstudie.
Radirungen konnten wir einige, die wir gerne gebracht
hätten, nicht wiedergeben, aus technischen Gründen,
weil es für solchen Druck , wie den dieser Zeit-
schrift, nicht möglich war. Genüge es, zu sagen,
dass der Pinselstrich Gleichens von einer Breite und
Freiheit ist , die beide nur hervorgegangen sein können
aus der angespanntesten fleissigen Uebung in den
früheren Jahren,
und dass der
Rhythmus seiner
Werke wohl von
Anfang an in
ihm geruht haben
muss — unbe-
wusst früher, und
erst allmähHch
seinem Besitzer
zu Händen , der
erst allmählich
auf die Stimmen
in seinem Innern
zu hören ge-
wagt . weil er
zu bescheiden
war, um an sein
Genie zu tilauben.
Frau im Korn.
Medusa.
(ZU DEM BILDE VON FRANZ STUCK.)
L)er Erde Könige
Ziehen aus
Mit schüttelnden Lanzen
Zum letzten Kampf.
Kommen aus schwarz
Ummauerten Städten,
Aus grünen Thälern,
Aus grauen Wüsten,
Von zackigen Felsen
Und schaumweisser Meerfluth.
Alle gerüstet
In klirrendes Erzgold,
Alle gestirnet
Mit finsterem
Ahnen des Todes.
» ♦
Morgenröthlicher
Rauch der Nebel,
Blasse schauernde
Dämmerwinde
Matten, feuchten
Die goldenen Helme,
Die silbernen Schilde,
Die stählernen Schwerter.
Und über Wolken,
Menschenunsichtbar
Schweiget ein fremder.
Ein weisser Fremdling
Mit Friedensaug'
Und gekreuzigten Armen.
* *
*
Aber noch stehet
Hoch auf dem Berge
Götterflammend
Pallas Athene,
Umpanzert die Brust,
Geschildet den Arm
Mit schrecklichem Schild,
Der das Entsetzen
Geschändeter Schönheit,
Das schlangenumlockte
Entsetzte Entsetzen
Mit steinernden Augen
In Mitten trägt —
Das Haupt der Medusa.
Erdröhnend die Felsen
Von dumpfgleichem Schlachtschritt
Der Männergeschlechter,
Luftstille verscheuchend.
Anrasend in's bläuliche
Frühgold des Himmels,
Ein tausendgezeugter
Krachender Schrei,
Erstdonner des Kampfes.
Blutfunkelnde Waffen
Entstreben den Händen,
Blutströmende Leiber
Besäen die Erde,
Und Sterbende morden
Den nebengefall'nen
Noch röchelnden Feind,
Wuthtrunken vom ehernen
Jauchzen der Pallas.
* ♦
Näher durch sonnenlos
Traurige Wolken
Einsam wandert der Gott.
Nahe naht er
Der goldenen Göttin,
Festgeerzt
Die blutenden Hände
Am Rumpfe des Kreuzes,
Das er dahinschleppt
Auf leidengehagerten Schultern.
Nimmer gesehen
Ist ihr dies Antlitz,
Schwach und gewaltig,
Pliut. F. HubUlDtl, NQnrhn.
Medusa.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
91
Dornenbekront.
Ihr, die rückschauend
Vergangnes durchleuchtet,
Ihr, der vorschauend
Zukünftiges hellet,
Ist er ein Fremder.
* »
Feindliche Furcht
Erbebt ihr die Glieder,
Und weitschattenden
Wurfes die Lanze
Schwingt sie entgegen
Der wehrlosen Demuth.
Wehe! Sein Athem
Verwehet den Erzschaft,
Wie Herbstwind zum Sande
Ein dürrendes Blatt schwächt,
Wehe! Sein Blick
Reisst den Helm
Ihr vom Haupte,
Wehe! Er löset
Vom Kreuze die Hände,
Wehe! Ein Tropfen
Gekreuzigten Blutes
Rinnt von den Händen,
Todsegnend —
Der zitternde Tropfen
Er trifft und erschlägt
Die helmnackte Stirne.
Und schwer in die trotzenden
Kniee gebrochen.
Erblindend zum Nachttod
Hebt sterbend die Göttin
Hoch über den Scheitel
Das Antlitz der Gorgo.
*
Da schweiget die Erdschiacht.
Gebannet zum Schauen
Die reissenden Kämpfer.
Es steinern die Lippen,
Es steinern die Augen,
Es steinern die Schwerter
In steinernen Händen,
Es steinert das Blut
In steinernen Wunden,
Es steinern die Todten
In steinerner Stille.
* *
*
Aber hinweg
Durch die sonnebeströmten
Freudigen Wolken
Leuchtet der Fremde.
Schreckenlos trägt er
In heiligen Händen
Gekehret zum eig'nen
Erlösenden Herzen
Das Haupt der Medusa.
Ernst Rosmer.
George Frederick Watts
VON
HELEN ZIMMERN.
In mancherlei Hinsicht ist die Stellung des englischen
Malers George Frederick Watts, des Altmeisters der
- englischen Künstlerschaft, eine ganz eigenartige zu
nennen. Er hat keiner einzigen englischen Schule Etwas
zu verdanken, und er hat auch keine eigene Schule
gegründet, obwohl er allerdings von bedeutendem Ein-
fluss für die zeitgenössische Kunst in England gewesen
ist. Dieser Einfluss war jedoch mehr ein indirecter und
hat hauptsächlich dazu gedient, den Glauben an die
edlen Aufgaben der Kunst zu fördern und auf die
erhabenen Ziele derselben hinzuweisen. Das lange, von
eifriger Arbeit ausgefüllte Leben dieses Künstlers ist ein
beständiges, unwandelbares Festhalten an den hohen
Idealen der Kunst; in seiner schönen und seltenen
Ueberzeugungstreue hat er sich nie durch die gerade
herrschende Mode oder Geschmacksrichtung beirren
lassen , wie er auch auf pecuniären Lohn und welt-
liche Ehren nie den geringsten Werth gelegt hat. Und
dabei ist seine Laufbahn eine glänzende zu nennen, denn
kein anderer Künstler in England hat eine Stellung von
so eminenter Bedeutung unter gleich allgemeiner An-
erkennung inne, trotz der immerhin getheilten Meinungen
über seinen Stil und der Ungleichheit seiner Erfolge.
Auch hat unter den lebenden englischen Künstlern kaum
einer sich auf so vielen Gebieten ausgezeichnet. In der
Fresco- und Wandmalerei, in Andachts- und Heiligen-
bildern, allegorischen und historischen Gemälden, Land-
schaften und Thierdarstellungen , im Portraitiren und in
der Bildhauerkunst hat Watts sich versucht und viel
geleistet; und seine besten Werke stehen so hoch, dass
sie voraussichtlich für alle Zeit einen hohen Rang be-
haupten werden.
Mr. Watts ist ein Maler, der, obwohl in einem
Zeitalter des Luxus und der Ruhelosigkeit geboren, die
einsame Höhe einer strengen Richtung anstrebt. Er
wünscht nichts Geringeres, als was Dante und Milton,
Tizian und Phidias wollten. Alle Achtung vor seinem
Ehrgeiz. «This high man, aiming at a million, niisses a
Unit» sagt Browning; und dieses «Zielen nach einer
Million, mag auch ein Einer verfehlt werden», dieses
durch Nichts zu entmuthigende Streben nach dem
Höchsten und Besten kennzeichnet die Stellungnahme
Watts' unter unseren lebenden Malern. Er ist Idealist
durch und durch , das ganze Schaffen seines Lebens
beruht auf Grundsätzen, die einen entschiedenen Gegen-
.satz zu den Theorien bilden, dass in der Kunst Nichts
auf das Motiv , dagegen Alles auf die Behandlung
ankomme; dass technische Vortrefflichkeit, naturgetreue
Nachahmung der Effecte des Lichts , der Gewebe
und sonstiger Stoffe an und für sich als künst-
lerischer Zweck gelten könne oder doch als ge-
nügende Berechtigung für die Wahl eines völlig un-
würdigen oder unbedeutenden Gegenstandes zu erachten
sei. Obwohl Watts die Vorzüge offen anerkennt, welche
Werke dieser Richtung insofern bieten, als sie leichter
bei dem Beschauer Verständniss finden, so flössen ihm
derartige Geschicklichkeitsproben doch nur so wenig
Bewunderung oder Respect ein, wie das Nachahmen
von Naturlauten in einem Musikstück; glänzend ge-
lungene Imitationen — die Frucht, welche den Vogel
anlockt, der den Sclaven täuschende Vorhang — haben
niemals Reiz für ihn gehabt. An seinen Kunstschöpfungen
ist das Vorherrschende die Idee. Er hat seine Kunst
mehr im Sinne des Dichters als des Malers aufgefasst.
Seine Technik ist eine breite und einfache, bei grosser
Kraft der Zeichnung und Composition nebst hohem Ver-
ständniss für Wahl und Vertheilung der Farben. Nach
seiner ausgesprochenen Ansicht, von der er niemals ab-
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
93
weicht, kann eine wirklich grosse und auf die Dauer
erfolgreiche Kunst nur sein: «Die Darlegung irgend eines
wichtigen Grundsatzes von geistiger oder materieller
Bedeutung, die Illustration einer grossen Wahrheit, die
Erläuterung dessen, was im Buche der Natur steht».
Gegen Mr. Watts' Entwürfe ist oft der Einwand
erhoben worden, dass sie mehr ein literarisches als ein
künstlerisches Interesse erwecken. Der Maler würde
diese Bemerkung vermuthlich nicht für unbegründet
halten, aber keinen Tadel darin finden.
In der Verborgenheit seines grossen Ateliers im
Little Holland House zieht Mr. Watts gleich einer
Zauberspinne rings um sich her das glänzende Gewebe
seiner emsig schaffenden Phantasie. Klatsch sowohl wie
Schmeicheleien der «Kunstwelt» sind ihm völlig gleich-
giltig. Für Ausstellungen arbeitet er nicht; er malt
bald an diesem , bald an jenem Bilde , und wenn die
Zeit der Ausstellung da ist, holt man ihm ab, was er
gerade fertig hat. Nichts was in Künstlerkreisen vor-
geht, tritt an ihn heran, er weiss nicht, ob er verstanden
wird oder nicht. Seine Werke sind da, für Jeden, der
Augen hat und sehen will.
Mr. Watts, der 1820 in London geboren ist, be-
suchte die Kunstschule der Royal Academy, worüber
er indessen kurz und bündig sagt: «da ich dort keine
Belehrung fand, ging ich bald nicht mehr hin». Zu
jener Zeit lag die Kunst, mit Ausnahme der Bildniss-
und Genremalerei, in England arg darnieder. In Folge
seiner entschiedenen Neigung zur Plastik trat Watts in
das Atelier des Bildhauers Behnes ein. Hier pflegte er
dem Künstler zuzusehen , eine andere Art von Be-
lehrung erhielt er nicht. Die Antiken der Elgin-Samm-
lung haben ihn von Anfang an entzückt, und seinem
Studium dieser vollkommenen Werke des Phidias sind
die grössten Erzeugnisse Watts' zuzuschreiben. Unter
dem Einfluss dieser erhabenen Meisterwerke arbeitete
der Jüngling bis 1 847, in welchem Jahre er zwei Porträts
und ein Gemälde «Der verwundete Reiher» genannt, in
der Kgl. Academie aus.stellte; ein interessantes Erstlings-
werk , welches nach mehr denn fünfzig Jahren seinen
Weg in das Atelier deS Künstlers zurückgefunden hat.
Die Leiden, denen die Thiere ausgesetzt sind, die ent-
weder in der Freiheit unseren Jagdflinten zum Ziel dienen
oder zahm Sclavendienste für uns thun, haben auf Watts
stets ergreifend gewirkt. Und von dieser Stimmung zeugt
das kleine, dem jungen Kunstschüler vortrefflich gelungene
Bild — der graziöse Vogel mit dem silbergrauen Ge-
fieder, die Federn gesträubt und blutig, der zuckend am
Boden liegt, während aus der Ferne der flotte Jäger
zu Pferd herbeieilt, um seine Beute zu holen. Sein
Mitleid mit der Thierwelt hat der Künstler als Greis
vor zwei Jahren auch durch ein seiner sonstigen Manier
nicht entsprechendes Bild zum Ausdruck gebracht, das
freilich als Kunstwerk nicht .sehr bedeutende « Das Ende
eines Lebens voll harter ungelohnter Mühen». (A
patient life of unrewarded toil). Hier soll durch die
Gestalt eines erbärmlichen zusammengebrochenen Ar-
beitsgaules das Elend der beklagenswerthen Thiere
geschildert werden, die zur Sclaverei verdammt sind. Im
Jahr 1842 ereignete es sich, dass die englische Regierung,
um die Befähigung der einheimischen Künstler zur
Frescomalerei im Hinblick auf die innere Ausschmückung
der neu erbauten Parlamentshäuser zu prüfen, ein Preis-
au.sschreiben für Cartons erliess. Einen von den drei
ersten Preisen im Betrage von 300 Pfund Sterling bekam
Watts für seine Composition: «Caractacus, im Triumph
durch die Strassen Roms geführt». Dieses Jugendwerk ist
nicht mehr vorhanden, der Entwurf ist verkauft worden
und später, in Stücke geschnitten , in den einzelnen
Theilen zur Verwerthung gekommen.
Mit dem erhaltenen Geld ging Watts nach Italien,
wo er sich mehrere Jahre aufhielt und in Rom, Florenz
und Venedig die alten Meister studirte. Aus den Werken
von Tizian, Tintoretto, Giorgione und Michel Angelo, wie
aus den Kunstschätzen des griechischen Alterthums,
gewann er die Belehrung, deren er bedurfte, und die
er an den Lebenden vermisste. Diese Alten waren in
der That für einen Künstler von so eigenthümlicher
Begabung und Gemüthsanlage die einzig annehmbaren
Lehrer.
Sein mit Entschiedenheit verfolgtes Streben galt
stets der edelsten Formenschönheit mit seelischem Ge-
halt und einer Wiedergabe des harmonischen Farben-
reichthums, den die Natur besitzt. Zu den oben
genannten Führern zog ihn eine Art seelischer Ver-
wandtschaft, die ihn antrieb, ihren Spuren zu folgen,
ihren Geist und ihre Methoden in sich aufzunehmen.
Aber er ist ein Mann von einer zu stark ausgeprägten
Individualität, um nur Nachahmer sein zu können ; daher
sind seine Compositionen zwar von ähnlicher Art wie
seine Vorbilder, jedoch gänzlich original in Auffassung
und Behandlung. Charakteristisch ist Mr. Watts eine
94
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
gewisse, dem nordischen Geiste eigene Strenge, eine
Herbheit, welche seinen südlichen Meistern fehlt; so-
dann jenes Vorherrschen der Idee, das man bei erfolg-
reichen Künstlern so äusserst selten findet, und vor
Allem jene tief traurige Anschauungsweise, welche die
geistige Signatur unseres Jahrhunderts bildet. Erinnert er
uns in mancher Hinsicht an Tintoretto, diesen, durch die
dramatische Wirksamkeit seiner Kunstschöpfungen so
mächtigen Sittenprediger, so ergibt andererseits eine
sorgfältige Untersuchung seiner Kunst, dass dieselbe
ebensowohl heidnische wie christliche Elemente aufweist
und dabei etwas vom deutschen Mysticismus angehaucht
ist. Er gleicht Kaulbach , neigt jedoch mehr zum
Mysteriösen , als dieser.
Nach seiner Heimkehr aus Italien gewann Mr. Watts
wiederum einen vom Staat ertheilten Preis, 500 Pfund
Sterling, für ein Oelgemälde: «Alfred, die Sachsen
anfeuernd, die Landung der Dänen zu verhindern».
Dieses Werk und noch ein anderes, «Echo», sind von
der Nation angekauft worden und hängen in den Vor-
sälen des Oberhauses, wo sich auch ein später aus-
geführtes Frescogemälde von ihm befindet, dessen Motiv
Spenser's « Fairy Queen » (Feenkönigin) entnommen ist,
«The Rod Gross Knight» (St. Georg, den Drachen
besiegend) , eine durch Kühnheit der Zeichnung und
grosse Reinheit der Farbenwirkung ausgezeichnete Com-
position.
So weit hat es dem ehrgeizigen jungen Künstler
nicht an öffentlicher Anerkennung gefehlt, und trotzdem
währte es dann noch zwanzig Jahre, bis er zum ausser-
ordentlichen Mitglied (Associate) der Kgl. Academie
erwählt wurde. Die Ehre der Mitgliedschaft wurde
nämlich, gemäss den Vorschriften dieses Instituts früher
nur solchen Künstlern gewährt, welche sich vorher
durch Namenseintragung darum beworben hatten ; hierzu
aber war Mr. Watts, der Vieles an dem Regime der
Gesellschaft offen missbilligte, durchaus nicht zu be-
wegen gewesen ; und er stellte auch viele Jahre lang
Nichts in der Academie aus. Als endlich im Jahre 1 867
die besagte Vorschrift beseitigt war, wurde Mr. Watts
sofort zum ausserordentlichen und im darauf folgenden
Jahr zum ordentlichen Mitglied (Academician) erwählt.
Keinerlei äussere Wechselfälle konnten seine Energie
vermindern oder ihn im geringsten von seinen hohen
Zielen ablenken, die Nichts mit persönlichem Streber-
thum gemein haben. Ohne sich um jeweilige Zeit-
strömungen zu bekümmern, folgte er seinen eigenen
künstlerischen Ideen. Die beiden Kunstgattungen, in
denen er am meisten Beifall erntete, sind die Allegorie
und die Portraitmalerei. Die Vorliebe für abstracte
Begriffe ist bei ihm mit einer ausserordentlich regen
Phantasie und einer stark- ausgeprägten Individualität
verbunden , und durch letztere Eigenschaft gelingt es
ihm auch, die rein menschlichen Sympathien zu erwecken.
Schon im Jahre 1847 gab er seine Bevorzugung alle-
gorischer Darstellungen in seinem Academiegemälde
«Die Illusionen des Lebens» zu erkennen, welches uns
den menschlichen Lebensgang vorführt. Schöne Traum-
gestalten schweben über einem Golf, der sich an der
Grenze des Daseins aufthut. Zu ihren Füssen liegen
die zertrümmerten Embleme der Grösse und Macht,
und auf einem schmalen Streifen Erde, der einen tiefen Ab-
grund überragt, sind die noch nicht zerstörten Illusionen
sichtbar — der Ruhm in Gestalt eines geharnischten
Ritters, welcher der Seifenblase eines glänzenden Namens
nachjagt; die Liebe als ein sich umschlingendes Paar;
die Gelehrsamkeit durch einen im Dämmerlicht über
Handschriften gebückten Greis und die unschuldige
Lebenskraft durch ein Kind verkörpert, das nach einem
Schmetterling hascht.
Obwohl die allegorischen Entwürfe Watts' niemals
Illustrationen zu irgend einer Erzählung sein sollen,
sondern für sich bestehende malerische Schilderungen
sind, welche die lichten und dunklen Seiten des mensch-
lichen Lebens versinnbildlichen , so kommt es doch
zuweilen vor, dass seine Motive für die dem Maler
zu Gebote stehenden Darstellungsmittel zu complicirt
erscheinen. Daraus erklärt sich zum Theil die schon
erwähnte Ungleichheit seiner Erfolge auf diesem Gebiet.
Anziehend sind seine Werke jedoch stets insofern, als
in ihnen die ernste Geistesrichtung des Künstlers zur
Geltung kommt, der mehr nach Adel der Formen, als
nach sinnlicher Schönheit strebt, der lieber das Harmo-
nische als das nur Schöne wiedergibt. Um Mr. Watts'
Bilder richtig zu würdigen, muss man sich sagen , dass
sie nicht allein zu dem Zweck gemalt sind, das
Auge zu erfreuen, wenn sie auch durch schöne Farben-
gebung und Zeichnung diese Wirkung fast überall
erzielen. Was sie jedoch von dem denkenden Beschauer
verlangen, ist, dass derselbe in sein eigenes Herz
blicken und so die moralische , intellectuelle und meta-
physische Idee des Künstlers erkennen soll , der bei
0)
<D
N
o
s:
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
95
seinen Schöpfungen eben auf die höhere Empfänglichkeit,
das intellectuelle Verständniss beim Publicum rechnet.
Und je nach dem Grade, in welchem der Beschauer der
Werke Watts' dieser Bedingung entspricht, wird er die-
selben zu beurtheilen und zu würdigen wissen.
Man hat gegen seine allegorischen Bilder einge-
wandt , dass ihr Sinn oft nicht unmittelbar und rasch
genug zu erfassen sei , wie z. B. in « Dedicated to all
the churches» (Allen Kirchen gewidmet). Allerdings
ist dies wahr, aber ist es ein Fehler.- Nach Professor
Ruskin's Ausspruch wird es keinem Autor, der über
eine grosse Sittenlehre schreiben will, darauf ankommen,
dieselbe nur in platter Deutlichkeit aufzustellen, damit
Jeder auf den ersten Blick, ohne Nachdenken, darüber
im Klaren ist, um das Gelesene sofort wieder zu ver-
gessen und sich dann mit etwas Anderem zu beschäftigen.
Der Verfasser wird es vielmehr vorziehen, seine Ideen
nicht so ganz unverhüllt hervortreten zu lassen, so dass
dieselben sich Denen, welche sie gern ergründen wollen,
durch die Bemühung des Denkens besser einprägen.
Wenn dies bei Büchern zutrifft, warum nicht auch bei
Gemälden.' Unstreitig sollte ein Bild, das nur gemalt ist,
um die Sinne zu erfreuen, Jeden sofort erkennen lassen,
was sein Titel besagt. Vorausgesetzt, dass die Malerei
überhaupt berechtigt ist, philosophische Belehrung oder
geistige Bildung zu vermitteln, so kann bei einem Gemälde
idealer Tendenz diejenige Behandlungsweise nicht tadelns-
werth sein, welche der Maler für die beste hält.
In «Zeit und Vergessenheit >■ (Time and Oblivion)
— eine andere seiner Allegorien — hat Mr. Watts die
colossalen Idealgestalten über dem Erdball in den
Lüften, zwischen den Himmelskörpern des Tages und
der Nacht schwebend, dargestellt. Die «Zeit», durch
den Typus unbesiegbarer Männlichkeit und Jugendkraft
verkörpert, und die «Vergessenheit», mit gesenktem
Haupt und niedergeschlagenen Augen, den Mantel weit aus-
einander gebreitet, sieht man Beide auf dem Wege zum
Grabe schnell dahin eilen. Die Figuren sind von monumen-
taler Wirkung, ausdrucksvoll in Haltung und Form. Der
Künstler hat für die « Zeit » eine originelle und edle Ge-
stalt erfunden, er führt sie uns nicht als den abgezehrten,
grimmigen Greis mit der spärlichen Stirnlocke vor.
Das Bild «Time, Death and Judgement» (die Zeit,
der Tod und das jüngste Gericht), zeigt uns eine Gruppe
colossaler Figuren , die im Aetherraum feierlich dahin-
schreiten. Der «Tod», eine majestätische weibliche
Gestalt, in silberweLsse Gewänder gehüllt, trägt eine
Menge Blumen und Blätter; die <Zeit> ist, wie in dem
vorerwähnten Bild, als Verkörperung unerschütterlicher
Kraft dargestellt, und das «Gericht», eine schwebende
Figur, fährt mit ausgestreckten Armen, ein feuriges
Schwert schwingend, aus der Höhe niederwärts. Auch
den Tod stellt Watts in anderer, als der allgemein
üblichen Weise dar. Seine Gestalt des Todes ist ein
grosses, in Weiss gekleidetes Weib mit hohlwangigem,
fahlem Antlitz und eingesunkenen Augen. Alle diese alle-
gorischen Figuren tragen einen monumentalen Charakter.
Mr. Watts' Göttergestalten fehlt es nie an Würde und
Hoheit, sie scheinen die Vorstellung der Allmacht zu
erwecken. Sein Sinn für die Plastik leitet ihn bei seinen
symbolischen Darstellungen und äussert sich in dem
einfach erhabenen Stil , in welchem er das Uebersinn-
liche nur durch einen mehr als natürlichen Grad von
Kraft und Ruhe zur Anschauung bringt. Da.ss seine
Compositionen solcher Art nur dem Geschmack einer
kleinen Minorität des Publicums zusagen, ist selbst-
verständlich. Für diesen Maler jedoch exi.stirt die Er-
wägung von Angebot und Nachfrage überhaupt nicht
Er ist der Ansicht, dass es in des Künstlers Macht
steht, sich selbst die Nachfrage zu schaffen, indem er
seine feinere Beobachtungsgabe vorhandenen Begriffen
zuwendet , diese dann in einer neuen Fassung , dem
Ergebniss seiner persönlichen Studien, wiedergibt und
so die Phantasie des Beschauers durch malerische Ge-
staltung schöner poetischer Darstellungen bereichert.
Der poetisch philosophische Hang, welcher Watts inne-
wohnt, bekundet sich in allen seinen Werken, und er
hat es aber- und abermals bewiesen, dass die allegorische
Kunst noch lebensfähig ist. Freilich kann nicht be-
stritten werden, dass ihre Motive ausser Fühlung mit
unserer Zeit stehen. Au.sgenommen des Malers « Love
and Death» (Die Liebe und der Tod), das den Geist
der letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts athmet, besitzen
seine Werke einen streng didactischen Charakter, der nicht
mit der allgemein herrschenden Denkweise harmonirt.
Mit « Liebe und Tod » hat Watts vielleicht die höchste
Popularität errungen, die je einem seiner Gemälde zu
Theil geworden ist. Das Motiv ist ebenso einfach, wie
die Idee eine glückliche war, und wir finden in diesem
Werke die besten Seiten seines Schöpfers aufs Höchste
zur Geltung gebracht. Die Liebe, durch eine knaben-
hafte Gestalt mit hellen Flügeln versinnbildlicht, trachtet
15
96
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
dem Tode den Eintritt in ein Haus zu wehren. Der
Entwurf wie die Behandlungsweise sind ausserordentlich
wirksam. Der «Tod», eine imposante Figur, deren
verhülltes Haupt gesenkt und vom Beschauer abgewandt
ist, während sie mit emporgehaltenem Arm ruhig und
keines Widerstandes achtend geradewegs vordringt, be-
kundet in allen diesen Zügen eine durch Nichts zu
besiegende und ohne Anstrengung geübte Macht und
Stärke, wozu die Geberde der anmuthigen, in ihrer
Zärtlichkeit nicht minder ausdrucksvollen «Liebe», des
verzweifelt kämpfenden Knaben, . einen ergreifenden
Gegensatz bildet, wie er seine äusserste Kraft daran
setzt, die feindliche Gewalt zum Zurückweichen zu
bringen, die nur zu bald siegen wird, worauf schon die
geknickten Federn seiner Flügel deuten, wie die fallenden
Blätter und welken Rosen vor dem von ihm beschirmten
Portal. Wahl und Anordnung der Farben sind gleich
vorzüglich bei diesem Bilde, das auch den dargestellten
Vorgang in einer so ergreifenden Weise zum Ausdruck
bringt, wie es selten bei Motiven dieser Art gelingt.
Den «Tod» als weibliche Person hat Watts uns
noch in einem andern bedeutenden Kunstwerk vorgeführt,
genannt «Der Todesengel », der hier als eine Herrscherin
auf dem Throne gemalt ist. Das Gemälde ist gross-
artig , von monumentaler Erhabenheit und poesievoller
Auffassung. Sein « Liebe und Leben » , obwohl nicht
ganz so packend in der Wirkung, ist eine Composition
von hoher Feinheit , durchaus zart in Stimmung und
Behandlung. Hier ist der Liebesgott nicht als ein
Kind , sondern als der erwachsene Eros der Griechen
dargestellt; er erscheint als Schutzgeist des Lebens,
einer halb erwachsenen , schüchtern und furchtsam auf-
tretenden Mädchengestalt, die im Begriffe ist, einen
rauhen, felsigen Bergpfad hinan zu steigen. Die sanfte
und gedämpfte Farbenstimmung ist in subtiler Weise
dem Motiv angepasst und daher absichtlich in weichen
Tönen gehalten. «Fata Morgana», ein ebenfalls viel
bewundertes Gemälde, dessen Motiv der Künstler
Bojardo's « Orlando Innamorato » entnommen hat, stellt
die fliegende nackte Gestalt der «Gelegenheit» dar, wie
sie sich der Verfolgung des ihr nachjagenden Ritters
entzieht. Die Fee kann nur an der Stirnlocke erfasst
werden, und er greift vergebens nach ihrem luftig
weissen Schleier, als sie an ihm vorüberschwebt. Mit
dem linken erhobenen Arm verbirgt sie zur Hälfte ihr
liebliches, spöttisches Antlitz, während der Wind ihre
leichten , blonden Locken emporstreift. Die lebhafte,
schwingende Bewegung der jugendlichen Gestalt bringt
den Begriff der Illusion in äusserst wirkungsvoller Art
zur An.schauung. Die weissen, feingeformten Glieder
heben sich schön von dem reich schattirten Laubwerk
im Hintergrunde ab, und dieses sowohl, wie der dunkle
Harnisch und das wettergebräunte , geröthete Antlitz
des mit nutzlosem Ungestüm durch das Dickicht
dringenden Ritters erinnern in ihrer Farbenpracht an
die alten venezianischen Meister. Wie ersichtlich, ist
bei den besten der allegorischen Gemälde Watt's eine
Erläuterung überflüssig oder doch kaum erforderlich.
Besonders in dem zuletzt erwähnten Bilde ist die Idee
so lebendig erfasst und durch die Composition so klar
zum Ausdruck gebracht, wie es besser bei keiner Dar-
stellung irgend einer ganz alltäglichen Situation aus der
Wirklichkeit gelingen kann.
Ein diesem Motiv verwandtes Sujet ist « Mi.schief »
(Unheil), worin die verhängnissvolle Macht der irdischen
Liebe symbolisirt ist. Ein, in der ersten Kraft stolzer
Männlichkeit stehender Jüngling — die Figur der «jungen
Menschheit » , ist bethört von der Leidenschaft, die im
Gewände der Liebe erscheint, und sieht sich nun, an-
statt der Rosen, die er zu finden gehofft, von einem
Dornengestrüpp umgeben. Ihm zu Füssen ist Amors
Pfeil, der zu kurz gezielt war, im Boden stecken ge-
blieben. Noch halb widerstrebend beugt er den Nacken
unter das Joch seiner Besiegerin. Sich ihrer Führung
überlassend, wird er ein Opfer des ..Unheils», der be-
rückenden Zauberin mit den flatternden Locken , dem
falschen Lächeln und dem Blendwerk gaukelnden Scheins.
Und immer tiefer in das Dornendickicht geräth der
willenlose Gefangene , der sich blindlings in sein Ver-
derben führen lässt. In der Behandlung des landschaft-
lichen Hintergrundes , der Berge und Wälder verräth
Watts den starken Einfluss der italienischen Meister,
welche er in dieser , wie jeder anderen Gattung der
Malerei für die besten Führer hält.
Auf dem Gebiet der religiösen Kunst bevorzugt er
die erhabenen Motive aus der alten hebräischen Ueber-
lieferung, und er hat gar manchen finsteren Gegenstand
aus dem alten Testament mit Erfolg zur Darstellung
gebracht. Seltsamer Weise zeigt er sich verhältniss-
mässig schwach in den wenigen Fällen, wo er seine
Inspirationen aus den christlichen Religionsquellen
schöpfte. In seinem Ehrgeiz hat er sich nicht immer
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
97
den Schranken gebeugt, die dem menschlichen Streben
naturgemäss gezogen sind. Zu einer Zeit hegte er den
Plan, in einem Cyclus von Fresken die Geschichte der
Welt darzustellen, und diese Gemälde sollten die Wände
eines eigens für den Zweck entworfenen Gebäudes
schmücken. In dem ersten Bilde «Chaos» beabsichtigte
der Künstler den Vorgang symbolisch zu veranschau-
lichen, -wie unser Planet aus dem chaotischen Zustand
in den der Ordnung übergeht. Ueber die Unmöglichkeit,
diesen Plan im Ganzen durchzuführen, werden wohl die
meisten Urtheile übereinstimmen, und Mr. Watts selber
ist dahin gelangt, ihn als einen Traum zu betrachten.
Diesem Traume aber ist manches Gute zu danken, da
einige der erfolgreichsten Entwürfe des Künstlers von
ihm ursprünglich für den projectirten Cyclus bestimmt
gewesen sind. Als bewundernsvverth sind darunter die-
jenigen zu nennen, welche die Geschichte der Eva dar-
stellen, «Die Schöpfung», < Die Versuchung», und «Die
Reue». «Der Tod Abel's» ist unstreitig eine mächtige
Composition von schwungvoller Zeichnung und breiter
Darstellungsweise. Kain, über die leblose Gestalt seines
Opfers gebeugt, fühlt schon die unerträgliche Wucht
des ihn treffenden Strafgerichts , welches durch über-
natürliche Wesen symbolisirt ist, die mit zur Rache aus-
gestreckten Armen in der Höhe über ihm sichtbar sind.
«Der Tod Kain's», auf welchem Bilde Asrael zu dem
gebeugten, ermatteten Riesen als Engel der Erlösung
kommt, ist ein Werk von so finsterem Gepräge, dass
zu seiner vollen Würdigung eine Seelenstimmung und
ein geistiger Standpunkt gehören, wonach beim modernen
Publicum auszuschauen fast ein hoffnungsloses Beginnen
sein dürfte. «Esau» ist eine einfache, aber wirkungs-
volle .Darstellung der Gestalt des wilden israelitischen
Waidmannes. Das Motiv der Sündfluth hat Watts wieder-
holt und mit wechselndem Erfolg behandelt. Besondere
Beachtung fanden «Die Rückkehr der Taube zur Arche
Noah's» und «Die Taube, die nicht wiederkam — »
und beide Bilder — das eine war 1869, das andere
1882 ausgestellt — sind höchst originelle Schöpfungen,
die nicht leicht vergessen werden können. In der See-
malerei sucht Mr. Watts die Wirkung stets nur durch
die Wiedergabe des Eindrucks zu erzielen , den das
weite grosse Element in seiner einfachen Erhabenheit
gewährt. In den beiden genannten Werken ist es ihm
gelungen, den an sich dürftigen Vorgang eigenartig an-
ziehend und lebendig darzustellen.
Höher strebend, doch minder glücklich war er mit
seinem Gemälde neueren Datums « Der Sündfluth 4 ister
Tag > , worin er den Anfang vom Ende der Fluth schildert
und die gewaltige Kraft zur Anschauung bringen will, mit
welcher Licht und Hitze, die Dunkelheit verscheuchend
und die Wa.ssermengen in Dunst und Nebel auflösend,
der erstorbenen Natur neues Leben einflössen.
Watts, der die Ansicht hegt, dass die idealistische
Malerei gleich der Musik eine Kunst ist, deren Publi-
cum die Fähigkeit besitzen muss, den Intentionen des
Künstlers zu folgen, beansprucht eine Erweiterung der
Grenzen , innerhalb welcher die Malkunst ihre Motive
zu suchen pflegt. Ein Bild, worin er diesen Anspruch
geltend macht, führt den Titel: «Das Innerste in uns»
(The Dweller in the innermost). Kraft und Bedeutsam-
keit sind diesem Versuch, den inneren Protest der
Seele gegen das Böse zu versinnbildlichen, nicht abzu-
sprechen. Das seltsame Bild mit dem mystischen, be-
flügelten Kopf, dem das Himmelslicht von der Stirn
strahlt, dessen durchbohrende Augen die hinter falschem
Schein verborgene Wahrheit erkennen, mit der den Ein-
druck des Geheimnis-svollen, Ueberirdischen erhöhenden
trüben Farbenstimmung unterscheidet sich zwar von den
übrigen Werken Watts' insofern es nur ein Phantasie-
gebilde darstellt, ist aber trotzdem höchst charakteristisch
für die Gemüthsrichtung dieses Malers.
Auch auf dem Gebiet der Romantik und der
Mythologie hat er sich versucht. Sein schönstes Werk
ist die ungemein dramatisch wirkende Composition
«Orpheus und Eurydice». Der Künstler hat für sein
Bild den Moment gewählt, da Orpheus, nachdem er sich
umgeblickt hat, Eurydice gewahrt, wie sie erbleichend
zu Boden sinkt, um wieder vom Hades verschlungen
zu werden. Wir sehen die eine Gestalt, ganz Leiden
Schaft und Energie, in den Farben des warmpulsirenden
Lebens, die andere dahingegen in hülfloser Haltung und
von der Blässe des Todes überhaucht. Voll poetischer
Empfindung sind auch die Darstellungen von « Ariadne »
und «Endymion». In der Scene, wie sich die entzückte
Göttin im Mäanderthal über den schlafenden Hirten
beugt, finden wir durch die Haltung ihres Körpers und
den Silberschimmer ihrer Gewänder sowohl die Sichel-
form des Mondes, wie das weisse Licht desselben an-
gedeutet.
Manche seiner Lieblingsmotive liebt Watts wiederholt
zu variiren. Sehr häufig sucht er düstere und traurige
15*
98
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Sujets zur Darstellung zu bringen, und für solche besitzt
er unstreitig eine besonders hohe Gabe des Ausdrucks.
Die intensive Tragik seines «Paolo und Francesca von
Rimini » ist nicht zu übertreffen. Ohne den idealen,
poetischen Geist, von dem die Composition durchdrungen
ist, würde dieselbe eine qualvolle Wirkung auf den Be-
schauer üben. Die Gestalten des verlorenen Liebes-
paares schweben, in wallende Gewänder von bläulichem
Weiss gehüllt und kraftlos an einander geschmiegt, in
mitten der fahlen Schatten der Hölle dahin , und die
ewige Tragödie ihres durch sündige Liebe verwirkten
Lebens prägt sich in ihren Zügen aus, deren Schönheit
eine geisterhafte — eine Schönheit des Todes ist. Die
Vorstellung des Lebens im Tode, der ewigen Qual und
Hoffnungslosigkeit , durchdringt dieses ganze in echt
Dante'schem Geist empfundene und schön componirte
Gemälde. In Watts' «Paolo und Francesca» ist die
malerische Verwerthu.ng eines dichterischen Motives in
so selten hohem Grade gelungen , dass die Vision des
Poeten und die Auffassung des Malers sich vollständig
decken. Die weinerliche Sentimentalität Ary Scheffer's
und die theatralischen Attitüden in den Dore'schen
Illustrationen sind gleich weit entfernt von der strengen,
selbst im Ausdruck der Leidenschaft bewahrten Ruhe
des grossen Italieners. Auf diesem Bilde aber sehen
wir, was Dante's Geist erblickte.
Als Darsteller des schmutzigen Elends, der gemeinen
und hässlichen Seiten des modernen Lebens ist Watts
nicht in seinem Element. Er steht ihnen zu fern, daher
fehlt ihm für die ergreifenden Momente, welche sie
bieten, die rechte Sympathie. Trotzdem hat er sich
mehrmals in dieser Richtung versucht.
Ist nun Watts auch halb und halb zu den träumerisch
beanlagten Naturen zu zählen, so lässt er sich doch
keineswegs gänzlich von der Phantasie beherrschen, was
besonders aus seinen Darstellungen lebender Menschen
zu ersehen ist. Und so hat er denn auch in keinem
Fach so viele Erfolge zu verzeichnen, als in der Portrait-
malerei. Natürlich ist sein Stil sämmtlichen neuen und
neuesten Richtungen auf dem Gebiet der Bildnissmalerei,
besonders den Ideen der modernen französischen Schule,
direct entgegengesetzt. Dies zeigt sich auch in der
Nüchternheit seiner Farbenstimmung , seiner Vorliebe
für die gedämpften Töne, seiner Abneigung gegen Alles,
was darauf berechnet erscheint, in's Auge zu fallen.
Sodann weiss er die Kraft, welche in der Beschränkung
liegt, sehr wohl zu schätzen und mit feinem Verständniss
anzuwenden. Grundsätzlich hält er sich als Portrait-
maler nicht an den flüchtigen Moment oder das rein
Aeusserliche. Ihm ist es nicht um die sogenannte
realistische Wahrheit, die auch der Photograph erzielt,
und eben so wenig um coloristische Geschicklichkeits-
proben in der Wiedergabe der Stoffe und Farbenreize
zu thun. Er will vor Allem das Wesen der Persönlich-
keit erkennen und festhalten. Durch seine künstlerische
Divinationsgabe, verbunden mit seiner technischen Meister-
schaft, gelingt ihm dies vortrefflich, und am besten,
wenn er Menschen von hoher geistiger Bedeutung zu
malen hat. Sind seine Modelle weniger charakteristisch,
so zeigt er sich, wo ihnen selbst ein anziehendes Aeussere
nicht abzusprechen ist, oft unvortheilhafter und lässt
in Bezug auf die Aehnlichkeit zu wünschen. Aber
glücklicherweise haben gerade diesem Künstler, dessen
Specialität gleichsam die Wiedergabe der Seele ist,
sehr viele geistig hervorragende Männer seiner Zeit
gesessen. Eine Sammlung dieser interessanten Portraits,
welche er in seinem Atelier aufbewahrt und der englischen
Nation zum Vermächtniss bestimmt hat, wird nicht
allein einen künstlerischen, sondern auch einen historischen
Werth behalten. Zu den von ihm gemalten berühmten
Engländern gehören — um mit den Dichtern zu beginnen
— Tennyson , Browning , Swinburne , Rosetti , Morris
Matthew Arnold, Henry Taylor; unter den Schriftstellern
und Gelehrten befinden sich Carlyle, Stuart Mill, Lecky,
Leslie Stephen; zu den Staatsmännern zählen Gladstone,
Dilke, der Herzog von Argyle, die Lords Salisbury,
Shaftsbury, Lyndhurst und Sherbrooke; die hohe Geist-
lichkeit sehen wir durch Dean Stanley, Cardinal Manning,
Dr. Martineau vertreten, und von den Malern sind Burne
Jones und Watts selber zu erwähnen. Fürwahr eine
stattliche Liste! Und bei jedem Einzelnen ist seine
specielle Geistesgabe als Hauptmoment der Aehnlichkeit
behandelt. Dieses Hervorheben der intellectuellen
Eigenart, deren Ausdruck manchen auf der höchsten
Stufe der Technik stehenden Malern entgeht, ist
eben von wesentlicher Bedeutung für die Aehnlichkeit
eines Bildnisses, und zwar weit mehr, als naturge-
treue Detailausführung ; denn diese betrifft häufig das
Nebensächliche und Zufällige , schliesst aber eine
falsche Auffassung des Wesentlichen nicht aus, ja,
bedingt eine solche sogar, wo sie in unmotivirter Weise
hervortritt.
J, J. Henner piiix.
Phot. P. H*nf«t«»nfl, Manchen.
Mädchen aus dem Oberelsass.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
99
Watts' technische Vorzüge in der Bildnissmalerei
sind kräftige Pinselführung, meisterhafte Beherrschung
der gedämpften Farben, vortreffliche Modellirung und
in der Behandlung der Formen des Antlitzes eine sub-
tile Verschmelzung der Licht- und Schattentöne. Macht
sich auch zuweilen der Einfluss der alten venezianischen
Portraitmaler bei ihm geltend, so hat er sich doch im
Ganzen auf diesem, wie auf den übrigen Gebieten seiner
Kunst einen frischen, ihm selbständig eigenen Stil be-
wahrt, der in seltener Weise von Manier frei ist und
stets charakteristisch wirkt. Sein vor 25 Jahren ge-
maltes Bildniss Joachim's, genannt « A lamplight study»,
berührt sogar fast verblüffend durch die Schärfe des
geistigen Ausdrucks und die Lebenstreue der Züge. In
den weiblichen Portraits erreicht Watts nicht immer den
Höhepunkt seines Könnens, es sei denn, dass sein
Modell im hohen Grade interessant ist, wie z. B. Miss
Tennant, die jetzige Gattin des Afrikareisenden Stanley.
Aber keines von seinen Portraits verleugnet den Meister
in der Erkenntniss der Menschenseele, jedes einzelne
bekundet nicht nur die Kunst eines grossen Malers,
sondern auch die Kraft eines hervorragenden Denkers.
Es sind ganz aussergewöhnliche Fähigkeiten des Ver-
standes, wie des Gemüthes, welche diesem Manne mit
so vielen ganz verschieden gearteten Geistern höchsten
Ranges Fühlung geben. Unter allen diesen, die intellec-
tuellen Kräfte im Leben der Nation vertretenden Zeit-
genossen , die Watts gemalt hat, ist kein Einziger, bei
dem es ihm nicht gelungen wäre, genau den Grundton
zu treffen.
Den Landschaften Watts' habe ich keine eingehende
Besprechung gewidmet, wenngleich er auch manchen
schönen ■ Erfolg in dieser Kunstgattung erzielt hat. In-
dessen ist er auf diesem Gebiet verhältnissmässig
weniger thätig gewesen und hat sich mehr darauf be-
schränkt, die Natur als Umgebung seiner menschlichen
und übersinnlichen Gestalten zu verwerthen. Es giebt
jedoch kein Fach der Malkunst, in welchem er sich
nicht versucht und mehr oder minder ausgezeichnet
hätte. Als ein grosser Verehrer der Frescomalerei hat
er mehr als irgend ein Anderer gethan, um diese Kunst
in England einzubürgern, obwohl die Ungunst des Climas
für dieselbe ein grosses, wenn nicht gar verhängniss-
volles Hinderniss bildet. Unter diesem schädlichen Ein-
fluss haben die F'resken im Westminster-Palast bedeu-
tend gelitten. Einmal erbot sich der Künstler, nur
gegen Erstattung des Herstellungs- Materials die grosse
Halle des Euston- Bahnhofes mit Wandgemälden zu
schmücken. Dieser Plan ist indessen nie zur Ausführung
gelangt, was kaum zu beklagen ist, in Anbetracht der
ungeschützten Lage des Raumes und der daraus folgen-
den Gefahr für die projectirte Malerei. Er folgt der
Methode und Anleitung Cennini's, und seine in Privat-
häusern befindlichen Fresken, welche vor Gas und
Feuchtigkeit geschützt sind , haben sich in gutem Zu-
stande erhalten. Die grosse Speisehalle für die Juristen
von Lincolns Inn weist eines der anerkannt besten
Frescogemälde von Watts auf, sein «The School of
Legislature«. Das ausserordentlich schöne Werk, welches
an der nördlichen Wand, deren ganze Fläche es ein-
nimmt, vortrefflich zur Geltung kommt, erinnert etwas
an Raphael's « Schule von Athen » und führt uns die
grössten Gesetzgeber der Welt von Moses bis Eduard I.
vor. Die dreissig Colossal - Figuren sind in höchst
wirkungsvoller Gruppirung auf drei Stufenreihen ver-
theilt. Des Künstlers glänzende Gabe für Zeichnung
und Composition, seine edle und breite Darstellungs-
weise finden wir hier in einer Kunstgattung bewährt,
von welcher England bisher nur wenige und zwar nicht
hervorragende Leistungen besitzt. Hoffentlich bleibt
dieses Werk lange von dem verderblichen Einfluss der
Zeit verschont.
Watts erachtet das Erlernen dieser Art Malerei
von hoher Wichtigkeit für die Ausbildung eines Kunst-
schülers, und er wird nicht müde, private und öfiTent-
liche Corporationen auf die dringende Nothwendigkeit
hinzuweisen , dass zum Studium nach dieser Richtung
hin möglichst viel Gelegenheit geschafft werde. Der
wolkenschwere Himmel Englands indessen und die zer-
störenden Wirkungen der unbeständigen Temperatur
daselbst sind nicht ermuthigend für eine Thätigkeit,
deren Ergebniss nur selten bei genügendem Licht ge-
sehen wird und bald nach der Vollendung der Zerstörung
anheim fällt.
Dass Watts auch der Bildhauerkunst viel Studium
gewidmet hat, davon zeugen nicht nur seine Leistungen
als Maler, sondern auch die Proben seines Könnens in
der Plastik selbst. Unter seinen Sculpturen zählt zu
den bedeutendsten die grosse, in Bronce ausgeführte
Reitergruppe für das dem Begründer der Familie des
Herzogs von Westminster , Hugh Lupus , errichtete
Denkmal in Chester. Auch die Cathedrale in Lichfield
100
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
birgt ein von Watts modellirtes Denkmal, und seine
Büste der sterbenden Ciytia ist ein Bildwerk, das einen
hohen Grad von Begabung und Feingefühl für die
plastische Kunst verräth.
In England sind die Künstler mehr als in anderen
Ländern auf Erfolge beim Privatpublicum angewiesen.
Dass hieraus in künstlerischer Hinsicht manche Nach-
theile erwachsen, liegt auf der Hand, aber die Erfahrung
lehrt auch anderentheils, dass die englische Regierung,
wo sie Staatshilfe verfügt hat, nur in den seltensten Fällen
so glücklich inspirirt gewesen ist, wie s. Z. bei dem jungen
Watts. Sonst pflegt sie oft die bedenklichsten Fehler
in dieser Beziehung zu machen. Die Kunst blüht in
England nur als exotische Pflanze. Mr. Watts, der von
dem Wunsche beseelt ist, sie als ein Gut von nationaler
Bedeutung betrachtet zu wissen, hat ein schönes Beispiel
von patriotischer Gesinnung gegeben, um dieses Ziel
fördern zu helfen. Im Jahre 1886 machte er eine An-
zahl seiner berühmtesten Gemälde der englischen Nation
zum Geschenk, der er auch die Sammlung als Erbschaft
bestimmt hat, welche sich in seinem Atelier befindet.
Nicht ohne Interesse dürfte ein Blick auf Watts'
Technik sein , denn auch hierin zeigt er sich ebenso
originell und zielbewusst , wie in seinen Entwürfen.
Seine Methode besteht darin , die Farben mosaikartig
eine neben die andere, zu setzen, anstatt zu unterlegen
und zu übermalen. An den Umrissen mischt er natür-
lich, aber nie trägt er helle Farben über dunklere auf.
Er vermeidet es thunlichst, Weiss mit transparenten
Farben zu- vermischen , und wählt lieber solche , deren
Substanz mehr durchsichtig als körperlich ist. Er
glaubt, dass sein bis auf den Grund transparent ge-
haltener Farbenauftrag mit der Zeit an Glanz gewinnen
und dann gleich dem leuchtenden Colorit der Glasmalerei
wirken wird. Bei den Farben selbst legt er auf Schön-
heit derselben grossen Werth, und er nimmt sie voll
und trocken, mit nur sehr wenig Bindemittel. Für die
Richtigkeit seiner Ansicht dürfte die Thatsache sprechen,
dass einige seiner Bilder, die vor bald einem halben
Jahrhundert gemalt sind, an Frische des Colorits, ohne
dass er seitdem irgend etwas dazu gethan hat, die
meisten seiner neueren Gemälde weit übertreffen. Die
Farben scheinen sogar förmlich von innen heraus zu
leuchten, was einen wunderbar schönen Effect ergibt.
Von Mr. Watts' Privatleben ist wenig zu berichten,
er lebt fast nur in seiner Kunst und für dieselbe. Als
er schon im reiferen Alter stand , verheirathete er sich
und beging den Fehler, ein ganz junges Mädchen, bei-
nahe noch ein Kind, zu erwählen. Bedrückt von dem
Ernst ihres Gatten , für dessen Streben es ihr an Ver-
ständniss mangelte, und der seinen Malereien mehr Auf-
merksamkeit zuwenden mochte als ihr, spielte sie ihm
eine Menge toller, im Grunde freilich nur kindischer
Streiche , die den ernsten Mann fast zur Verzweiflung
trieben, bis sie — selbst in Verzweiflung gerathen —
davon lief. Sie wurde eine berühmte Schauspielerin,
die beste, welche die englische Bühne zur Zeit besitzt,
Henry Irving's Mitgenossin bei allen seinen dramatischen
Unternehmungen — die gefeierte Ellen Terr>'. Erst
nach langen Jahren hat sich Mr. Watt entschlossen,
ihren wiederholten Gesuchen um Scheidung nachzu-
geben. Und vor zwei Jahren ist er, trotz seines Alters,
eine neue Heirath eingegangen, ebenfalls mit einer Dame,
die bei weitem jünger ist als er. Eine passendere Ehe
scheint es dieses Mal indessen zu sein, wenigstens in
Bezug auf das beiderseitige Temperament.
Sein Heim befindet sich noch heute, wo er es vor
vielen Jahren aufgeschlagen hat — im Little Holland
House , einer Art Filiale jenes berühmten , grossen
Holland House des kunstliebenden Lord Holland, welcher
einer der wärmsten Freunde Mr. Watts' gewesen ist.
Hier hat der Künstler eine grosse und schöne Gemälde-
galerie für sich eingerichtet, wo die bedeutendsten seiner
Bilder hängen. Diese Galerie hält er in dankenswerther
Liebenswürdigkeit für die Sonnabend- und Sonntag-
nachmittage dem Publicum geöffnet, er selbst aber ist
dann niemals dort zu finden. Ueberhaupt zieht er sich
mit fast peinlicher Beflissenheit in sein Privatleben zu-
rück, er will von der Welt nur in den Werken gekannt
sein, welche er für sie geschaffen hat.
Dass die Nachwelt stets die zeitgenössischen Kunst-
urtheile umstösst, ist eine nachgerade sprichwörtlich
gewordene Weisheit. Trotzdem dürfte Mr. Watts, nach
seinen besten Schöpfungen und seinem künstlerischen
Lebensgang zu schliessen, als einer von Denen zu be-
zeichnen sein, «welchen», wie ein treffender Aussprvich
besagt, < ein bleibender Sieg gewährt ist ; die, ob Realisten
oder Idealisten, stets mit Sicherheit durchdringen, und
deren Werke den Streit der Schulen überdauern werden » .
Dieser Maler ist in der That einer von den wenigen
lebenden Künstlern, die während ihrer ganzen Laufbahn
ihren erwählten Zielen treu geblieben sind.
UNKRITISCHE KUNSTLERPORTRAITS
VON
FRED. WALTHER.
III.
THURE FREIHERR VON CEDERSTRÖM.
Seit Ende der Siebzigerjahre sind bei allen
I Münchener Au-sstellungsgelegenheiten, im «Glas-
palast » und im Kunstverein, Thure von Ceder-
ströms Genrebilder gerne und oft gesehen worden.
Meist kleinen Formats, erfreuten sie schon von jeher
durch die unendliche Sorgfalt und Liebe der Aus-
führung, durch die Reinheit ihrer Zeichnung und die
Gewissenhaftigkeit, mit der Stoffe und stilllebende
Einzelheiten bis zum Eindruck greifbarer Plastik darauf
durchgebildet waren. Meist waren es Kostümbildchen
und Klosterszenen, die wir hier von Cederströms Hand
gesehen haben ; vielfach einzelne Cavaliere in den
reichen und malerischen Trachten des 17. Jahrhunderts,
oder Gruppen zechender oder studirender Mönche in
den faltigen Kutten verschiedener Orden. Der Gegen-
stand stets einfach und für sich selbst redend , die
Köpfe lebendig und charakteristisch und Alles merk-
würdig ^scharf gesehen, mit offenen, ehrlichen Augen
gesehen. Der Künstler hat nie versucht, die Dinge so
aufzufassen, wie es eine herrschende Kunstrichtung
opportun erscheinen Hess, sondern er hat vollkommen
seinen eigenen klaren Augen vertraut. Und die Ehr-
lichsten in der Kunst sind doch die Besten — nicht
als ob alle Ehrlichen immer gut wären! Aber sie sind
es sicherlich öfter als Die, die Konzessionen machen
und die geschmeidigen Kammerherren der Fürstin
Mode.
Thure von Cederström ist geboren am 25. Juni
1843 auf dem Gute seiner Eltern Aryd in der Provinz
Smaland in Schweden als der Jüngste von fünf Ge-
schwistern. Seines Vaters , den er schon im fünften
Lebensjahre verlor, erinnert sich der Künstler, wie er
erzählt, so gut wie gar nicht; jener war Cavallerieoberst
und nur das bunte militärische Gepränge bei seinem
Begräbnis blieb seinem Sohne im Gedächtnis und ist
heute dessen erste und lebhafteste Erinnerung aus der
Kinderzeit.
Von einem Hauslehrer aus geistlichem Stande er-
hielt Cederström seine erste Erziehung, dabei sicherlich
Th. von Cederström. « Schach — matt. »
102
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Alles eher als künstlerische Anleitung oder auch nur
Anregung erhaltend. Früh bekommener Anregung hatte
er überhaupt seine späteren künstlerischen Neigungen
nicht zu danken. Im Elternhause gab es weder Kunst-
pflege noch Bilderschmuck , noch irgend welch sonst-
iges Kunstwerk, wodurch ein latent vorhandener Maler-
sinn geweckt werden konnte; nur die Mutter unseres
Künstlers hatte früher, der zu Beginn des Jahrhunderts
herrschenden Mode der Blumenmalerei folgend, die
Pinsel geführt und merkliches Talent dabei verrathen ;
ein Moment, das doch vielleicht nicht zu unterschätzen ist.
Moderne Physiologen behaupten ja, dass bei den über-
wiegend meisten Künstlern sich eine hereditäre Veran-
lagung bei sorgfältiger Forschung nachweisen lassen
müsse. Sonst war in Cederström's Elternhaus von Kunst,
wie gesagt, wenig die Rede. Seine Einrichtung war in
dem hervorragend nüchternen Stil vom Anfang unseres
Säkulums gehalten; von Geschwistern zeigte Niemand
irgend welche Anlagen künstlerischer Art.
Und trotz der mangelnden Anregung zeigte sich
des kleinen Mannes künstlerische Ader früh genug.
Er war ein sehr lebhaftes Kind und nicht leicht zum
Stillsitzen zu bringen. Da pflegte ihm denn, wenn er
gar zu lebendig wurde, seine Mutter einen Bleistift und
ein Stück Papier zuzuschieben , und man erzählte ihm
später, dass dieses Mittel die beabsichtigte Wirkung
selten oder nie verfehlte.
Seltsamerweise entstand inmitten der nüchternen
Umgebung in dem Knaben eine unerklärliche aber
leidenschaftliche Liebhaberei für Alterthümer, während
seine Altersgenossen Eier und Schmetterlinge, Stahl-
federn, Käfer oder Siegelabdrücke sammelten, trug er
sich alterthümliche Objekte aller Art zusammen. Das
trug ihm — der Sport war damals in Schweden noch
nicht so verbreitet, wie er es heute allenthalben ist —
Spott und Neckereien von allen Seiten ein und er musste
sich den Spitznamen «Lumpensammler» gefallen lassen.
Ueber seine ersten Schuljahre weiss Thure von Ceder-
ström nicht viel Interessantes zu berichten und sie
zeigten grosse Aehnlichkeit mit denen anderer Jungen.
An die Zukunft und das «Werden» dachte er nicht
viel und die meisten Lehrgegenstände erweckten in ihm
nicht mehr, als das übliche Interesse. Nur die Zeichen-
stunde! Und hätten seine damaligen Lehrer selbst was
Besseres gekannt, so, meinte er, würden sie ihm wohl
auch was Besseres gelehrt haben , als geschmacklose
Th. von Cederströin. Aus dem Schlosse Tidö in Schweden.
Vorlagen in Strichmanier zu kopiren. Zum Klassen-
ersten hat er es nie gebracht, das ist nachgewiesen.
Auch kein Unglück ! Unter den Menschen , die was
Rechtes oder was Besonderes erreicht haben im Leben,
ist selten Einer, den in der Schulzeit die Würde eines
« Primus » schmückte.
Auch Künstlerträume haben damals den Knaben
nicht begeistert. Und als die Jahre kamen, wo es galt,
sich für einen bestimmten Beruf zu entscheiden , da
meinte er, sonderbar genug, dass er nur als Marine-
ofilzier sein Lebensglück finden könne. Er hatte, im
Lande geboren und erzogen, nie das Meer gesehen,
und ihm selbst war später räthselhaft, wie er zu der
Idee kam, ein Seeheld werden zu wollen. In Wahrheit
war's kaum ein Räthsel. Auch bei uns Festländern
träumt jeder wackere Junge von kühner Seefahrt und
allerhand nautischen Abenteuern , und Thure Ceder-
ström's Grossvater war überdies Generaladmiral der
schwedischen Marine gewesen , hatte tapfer für sein
Vaterland gefochten und seine Enkelkinder hatten oft
4^
X
u
O
B- Galofie j Gimcuei pinx.
Heimkehr vom Feste.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
103
genug im Elternhaus von seinen Thaten und Erlebnissen
erzählen hören. Ja die Vererbung ! Zunächst kam der
Jüngling, der noch nicht 15 Jahre zählte, in eine
Stockholmer Erziehungsanstalt, um für das Cadetten-
corps , wo jenes
Alter als nächste
Eintrittsbedingung
galt, vorbereitet zu
werden.
Nach ziemlich
kurzer Zeit gab
unser Seeheld den
Gedanken, Marine- '
offizier zu werden,
wieder auf; die
Kauffahrtei reizte
ihn mehr und er
wollte nun künftig
als Kapitän eines
flotten Handels-
schiffes die Meere
durchschweifen.
Dies Verlangen
wurde ihm zu sei-
nem Glücke je-
doch rundweg ab-
geschlagen. Das
gab seinen nau-
tischen Liebhabe-
reien einen schwe-
ren Stoss. Den
Rest aber gab
ihnen seine erste
Seereise mit der
dabei gekosteten
Seekrankheit. Alle
Marine und See-
fahrerei der Erde
war ihm nun auf
immer verleidet.
Er trat in's Cadettencorps ohne sonderliche Lust
für's militärische Fach und verbrachte dort manches
Jahr — nutzlos, wie er selbt meint, aber, wer kann das
sagen. Die Beschäftigung mit den Büchern, vor Allem
schuf er sich selbst viel freie Zeit und die wandte er
dann in seiner Weise an : zum Zeichnen von Album-
blättern, Landkarten, zum linearen Zeichnen von Block-
häusern, Brücken und anderen Architekturwerken, von
Festungen — ja in
Ermanglung von et-
was Besserem von
Kanonen - Lafetten
und dergleichen.
Alles, was Zeich-
nen hiess, war seine
Lust und er hat sei-
nen Kameraden oft
damit ausgeholfen.
Die Liebe zur
Kunst war in der
Brust des Jünglings
wach geworden.
Es war damals
seine grösste Freu-
de , wenn er nun
Sonntags irgend
ein Maler- Atelier
in Stockholm be-
suchen durfte und
die Leute vor ihren
Staffeleien sah.
Selbst einmal ein
Maler zu werden,
daran dachte er
noch nicht. Aber
die Kunst freute
ihn. Und so ging
er einmal — cha-
rakteristisch genug
— zu einem Maler
und bestellte sich
ein Oelbild , wozu
er das Thema an-
gab: es sollte Ca-
detten darstellen, die in kleinem Handschlitten fahren,
und er selbst wollte mit einigen Freunden in einem
solchen Schlitten abkonterfeit sein. Recht ernsthaft ist
die.ser Auftrag wohl nicht aufgefasst worden. Denn
das Auswendiglernen, war nicht seine Sache und mit jener Maler hat das bestellte Bild nie fertig gestellt
dem Examen stand er .stets auf gespanntem Fusse. So und wohl auch nie angefangen.
Th. von Ceäerstroin. Das sogenannte c Herrenhaus» Kloster Maulbronn.
16
104
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Th. von Cederström. Die Sakristei in der Stadtkirche zu Rudolstadt.
Auch die Cadettenjahre gingen vorbei, ohne dass
Cederström trotz aller Liebe zum Zeichnen und Malen
eine ernsthafte und bestimmende künstlerische Anregung
erhalten hätte und so trat er denn nach absolvirter
Schule in das Leibgarderegiment zu Pferd ein. 1869
bis 1870 nahm er einjährigen Urlaub nach Paris und
dort erhielt er einen Einblick in das Leben und Treiben,
das Ringen und Streben der Künstler, sah verschiedene
Ateliers, lernte einen Beruf näher kennen, zu dem er
sich fiir's Erste noch nicht ganz heran wagte — aber
als Dilettant wurde er in diesem Jahre bereits Schüler
bei Salmson.
Das glückhche Jahr verging und er wurde wieder
Soldat, kehrte nach Schweden zurück und erhielt ein
Kommando zur Offiziersreitschule, wobei er mit den
übrigen Kameraden auf einem Schlosse auf dem Lande
in herrlicher Lage einquartirt wurde. Sie hatten dort
Pferde zuzureiten, Hufbeschlag zu studieren, zu fechten
u. s. w. und im Uebrigen viel freie Zeit. Diese benützte
er denn in aller Stille, seinem alten unbezwinglichen
Hange zu folgen, zu zeichnen und zu aquarelliren.
Und dort erhielt der künftige Maler seinen ersten künst-
lerischen Auftrag, auf den er nicht wenig stolz war.
Der Chef der Equitation bat ihn eines Tages, für eine
neuerbaute Stallung den Entwurf zu einer Wetterfahne
zu machen. Sie erhielt die Form eines springenden
Gaules: ob sie sich nocli im Winde dreht?
Auf dem Lande, im Verkehr mit der Natur, ent-
stand im Herzen des jungen Mannes immer dringender
die Sehnsucht nach anderer, nach künstlerischer Be-
schäftigung. Als die Offiziere nun gar nach Stockholm
zurückkehrten, wurde ihm der eintönige Garni.sonsdienst
vollends zum Ueberdruss. Er schrieb seiner Mutter,
die über den abermaligen Berufswechsel nicht wenig
erschrak, dass er Maler werden wolle. Die Mutter rief
brieflich seinen früheren Vormund, einen hohen Beamten,
zu Hilfe, dem wankelmüthigen Sohne in's Gewissen zu
reden. Dieser that auch sein Bestes in diesem Sinne
— aber umsonst! Da ging denn der Vormund zu
einem Maler — E. Lundgren hiess er und war zu seiner
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
105
Zeit als Aquarellist in England sehr geschätzt — und
trug diesem die Sache vor. Zuletzt fragte er ihn, ob
der junge Renegat auch genügend Talent besässe. Das
könne er noch nicht entscheiden, meinte er, da er von
Cederström bisher keine selbständige Arbeit gesehen.
Aber das könne er sagen: «Wenn er Maler werden
will , so wird
er Maler werden,
dann nützt Ihnen
alles nichts, -n
Das gab nun
den Ausschlag
und alle Be-
kehrungsversuche
und Einwendun-
gen von Mutter
und Exvormund
verstummten hin-
fort. Thure von
Cederström ver-
langte und er-
hielt seinen Ab-
schied.
Leicht wurde
es dem ange-
henden Künstler
von seiner übri-
gen Familie ge-
rade nicht ge-
macht. Ein wah-
rer Sturm brach
los gegen seinen
Entschluss , jetzt
Künstler zu wer-
den. Eine ältere
Dame der Familie ging in ihrer Entrüstung sogar so
weit, dass sie sagte, unser Mann sei «ein Schand-
fleck für die Familie, da er ein entehrendes Handwerk
ergriffen hätte». Er hat ihre Worte noch frisch im
Gedächtnisse und es möchte ihm wohl Spass machen,
wenn die würdige Dame diese Zeilen zu Gesicht be-
käme.
Cederström ging nun zu Lundgren , zunächst um
ihm zu danken für den bestimmenden Einfluss, den er
auf sein Leben gewonnen, dann aber auch, um an ihn
die Frage zu richten, was jetzt zu thun sei. Seine
1
7/5. von Ceders/röm. Aus Überlingen.
Sehnsucht war Italien, das Land der Sehnsucht für alle
jungen Künstler, wie überhaupt für Alle, deren Herzen
in lebhafterem Tempo .schlagen. <Da thun Sie recht !>
meinte Jener, «Bleiben Sie aber auf der Durchreise ein
paar Jahre in Deutschland». Und der Andere fuhr
nach Düsseldorf, um dort Jemanden zu finden, bei dem
er sich im Aqua-
rellmalen weiter
ausbilden konnte.
Man lachte ihn
aus. Sie sagten:
« Aquarellmalen
in Deutschland
— das geben
Sie nur gleich
auf! j
So ging er
denn zu dem
bekannten Histo-
rienmaler Albert
Baur zu Aachen
(geboren 13. Juli
1835) und fragte,
ob er nicht des-
sen Schüler wer-
den könne.
« Zeigen Sie
mir einmal Et-
was, was Sie ge-
macht haben .' »
— < Ich habe
noch nichts ge-
macht » , musste
der junge Mann
antworten , wo-
Cederström stand
Er trat übrigens
rüber der Andere sichtlich erschrak,
damals in seinem 28. Lebensjahre,
nichtsdestoweniger zu Albert Baur in die Schule, erst
als Schüler und dann als Freund.
Im Jahre 1872 wurde Baur zum Professor an der
grossherzoglichen Akademie in Weimar ernannt, und sein
Schüler Cederström folgte ihm in die ehrwürdige Musen-
stadt. Albert Baur war ein eminenter Lehrer und legte
seine Befähigung zu seinem hohen Berufe namentlich
durch Eines an den Tag: er Hess seine Schüler ihre
eigenen Wege gehen. Wer deutsche Akademieverhält-
16*
106
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Tli. von Cederström. Der ehemalige Kaiserbnmnen in Ueberlingen.
nisse kennt, weiss, was das sagen will. Viele, viele
Talente sind getödtet , sind erstickt worden durch das
vorherrschende Bestreben der Professoren,
ihre Schüler in den Bann der eigenen sub-
jektiven Anschauungsweise zu zwingen ;
manchem Talente ist dadurch die Kunst
überhaupt verleidet worden — und die
waren noch fast am Besten daran! Denn
ein grosser Theil der Anderen ist in blöder
Nachahmung verflacht oder hat erst nach
schweren Kämpfen den Staub der Aka-
demie wieder von sich abgeschüttelt. Nur
die Berufensten wahrten ihre Persönlichkeit
— und die hatten sich genug darum zu
plagen. Doch das führt weit ab !
Von Weimar aus unternahm der junge
schwedische Maler, denn das war Ceder-
ström nun aus einem Seefahrer und einem
Reilcrsmann endlich geworden, seine erste
Studienreise und zwar nach den malerischen
Klosterruinen von Maulbronn und dem erz-
bischöflichen Palais in Bruchsal. Bald folgten dieser
Reise andere, grössere, nach Italien, an die lieblichen
Gestade des Bodensees, zurück in's Vaterland nach
Schweden u. s. w. Im Jahre 1876 trieb das Heimweh
den Freund und Lehrer Professor Baur heim ins
Rheinland, er ging nach Düsseldorf zurück.
Thure von Cederström zog 1877 nach München,
wo so viele nicht deutsche Künstler eine liebe und
geliebte Heimath gefunden haben.
Als er im Herbst 1871 vom elterlichen Hause
Abschied nahm, hatte er der Mutter versprechen
müssen, nach fünf Jahren sein erstes Bild nach Hause
schicken zu müssen. Es ward ihm die Freude, dieses
Versprechen schon im dritten Jahre einlösen zu können.
Er schickte 1874 ein Bild, von dem er .selbst sehr
bescheiden spricht, als Probe dessen, was er erreicht,
in die Heimath und das Bild hatte dort schönen Er-
folg. Der beste Erfolg aber mag für den Künstler
darin bestanden haben, dass sich von jenem Tage an
seine Mutter mit seinem Schicksale und seiner Berufs-
wahl aussöhnte.
Seitdem hat sich sein Kün-stlerleben glatt abge-
sponnen.
Er war stets der Fleissigsten Einer von dem
Zeitpunkte an, da er seiner Neigung folgen und dem
selbstgewählten Lebensziele näher treten durfte. So
folgte Bild auf Bild — es ist nachgerade eine stattliche
Th. von Ceiierslröm. (Erste Studie.) Das Refektorium des Cistercienserklosters Maulbronn.
P, M«y>r'M«ini pinx.
Phot. 1*. IUnr«U*n|l, Kflnrhen
Hubertustag.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
107
Zahl geworden und sie haben sich alle der besten Auf-
nahme erfreut.
«Und nun male ich halt so weiten», sagt Thure
von Cederström, die schlichte Erzähhuig seiner Lebens-
geschichte beschliessend.
Keine wilddramatische Künstlerbiographie, aber ein
schönes, erfreuliches, gesundes Bild einer künstlerischen
Entwicklung. Kein wolkenstürmendes Talent — aber
eine warmherzige, begeisterte, ehrliche Malernatur, die
wohl nicht wie «Flammenwahnsinn den Beruf» spürte,
aber doch wie einen heiligen, unwiderstehlichen Drang,
dem sie folgte, was auch entgegenstand , sobald er er-
kannt war.
Der vorstehenden Betrachtung sind Nachbildungen
von Cederström's Studien beigefügt, die erkennen lassen,
mit wie durchdringendem Blick, mit wie eingehendem
Fleiss und mit wie sicherer Hand er seine geliebte Arbeit
that. Auch gegenständlich sind die ehrwürdigen, zum
Theil hochoriginellen Architekturbilder reizvoll genug.
Schildern sie doch Ergebnisse einer Kultur, die unserer
heimischen unendlich nahe verwandt ist.
Am meisten bekannt ist Cederström , wie gesagt,
wohl dem grossen Publikum durch seine liebenswürdigen
und humorvollen Schilderungen aus dem Klosterleben.
Sein Stoffgebiet ist hiebei mit dem Eduard Grützner's
ziemlich identisch, wenn er auch durchaus nicht zu den
Nachahmern dieses Künstlers gehört. Er schildert uns
seine behäbigen Klosterherren beim Weinglase und in der
Bibliothek, musizierend, beim Biliardspiel, im Kreise
lustiger gebetener oder ungebetener Gäste, am Schach-
brett, am grossen Globus der Klosterbücherei studirend,
oder über den weltlichen Scherzen der t Fliegenden
Blatten schmunzelnd — kurz in allen möglichen Phasen
klösterlichen Stilllebens. Neben den schon erwähnten
Kostümfiguren hat der Künstler übrigens auch eine
Anzahl gelungener bäuerlicher Typen aus seiner zweiten
Heimath im Bayerlande gemalt. Durchdringender Fleiss,
Reinheit der Zeichnung und Klarheit der Farbe sind
immer die Signatur seiner Bilder gewesen.
Wiederholt und im letztvergangenen Sommer hatte
die Münchener « Internationale » nicht zum Wenigsten
seiner Mühewaltung das Zustandekommen einer hoch-
interessanten «schwedischen Abtheilung» zu danken.
Leute, die mit ihm zusammen dabei thätig waren,
rühmen die vornehme, gerechte Art seines Urtheils,
das nicht nach künstlerischen Konfessionen fragt, son-
dern Alles schätzt und Allem wohl will, was gut —
was Kunst ist.
>^ÄI^
Th. von Cedtrttröm. Aus der MUnsterkirche zu Ueberlingen.
UNSERE BILDER.
Wer am Inhalte den Werth eines Bildes misst,
dem könnte man wohl aus der Reihe unserer
Darbietungen einen ganz anmuthigen Roman
erzählen, einen solchen, der durch mehrere Geschlechter
hindurch reicht, aus dem verschiedene Maler ein Kapitel
illustrirten, Einer ohne vom Anderen etwas zu wissen.
Er beginnt vor mehr als hundert Jahren, dieser
Roman unserer Illustrationen. Der Sohn Kaiser Franz I.,
Erzherzog Maximilian Franz Xaver von Oesterreich, sitzt
auf dem alten Throne der Erzbischöfe und Kurfürsten
von Köln. Er hat heute viel Gäste. Aus Frankreich
sind des armen gefangenen Königs Ludwig des XVI.
Brüder herüber gekommen. Das ganze Rheinland ist
voller Emigranten, vornehme Herren mit sehr vornehmen
und das heisst soviel wie sehr schlechten Sitten, die
das ihnen unersetzliche Paris, soweit es an ihnen ist,
auf deutsche Erde zu versetzen streben. Fest folgt auf
Fest und die deutschen Kirchenfürsten halten es für
ihre Pflicht , den Franzosen zu zeigen , dass bei ihnen
noch jene Zucht und Ordnung herrsche, welche in Paris
die schreckliche Revolution zerstörte, dass hier noch der
Fürst, der Herr als die von Gott eingesetzte Behörde
das Recht habe , durch reichliches Ausgeben , durch
Prachtentfaltung das in den Truhen seiner Bürger faulende
Geld in's Rollen zu bringen und diesem am Glanz des
Auftretens Achtung vor der Majestät des Fürsten zu
lehren.
Draussen im Forst ist ein Hirsch gehetzt worden
und schon meldete ein Bote im Schlosshof zu Brühl,
dass soeben dem niedergebrochenen Wild das Halali
geblasen sei. Es gilt sich zu beeilen. Die Diener in
altmodischer, ihnen selbst nicht ganz gewohnter Gala
tragen hastig die eben fertig gewordenen Schaugerichte
auf die Tafel: den riesigen Aufsatz aus Konfekt, den
drei Mann kaum bewältigen, die grosse Fruchtschale,
den Schweinskopf auf leckerer Pastete , die Puten im
vollen Federschmuck , die kostbaren Geschirre aus
Höchster Porzellan, — schwitzend, ängstlich, ihre kost-
bare Last zu beschädigen, gehetzt durch den groben
Koch, ziehen sie dahin.
Erst vor Kurzem ist Schloss Brühl fertig geworden ;
eine der prunkvollsten Anlagen in Deutschland, zeitlich
aber eine der letzten dieser Art. An anderen Orten be-
gann man schon an Stelle dieses strotzenden Prunkes die
Zierlichkeit, .statt des Reichsthums die vornehme Ein-
fachheit zu bevorzugen — hier an den geistlichen Höfen
hielt man aber mit Absicht am Alten, an den Formen
jener besseren Zeit, in welcher noch nicht das freche
«Menschenrecht» der Pariser an die Füstenhöfe zu
pochen wagte.
Und ^ie niedlichen kleinen Frauen und Mädchen
aus dem Städtchen Brühl , die sich neugierig in das
Schloss einschlichen, staunen nicht mehr über die
barocke Prachtentfaltung, sondern lachen und kichern
über die schwitzende Schaar der sonst so faulen kur-
fürstlichen Hofdiener, sehr respektlos, sichtlich ange-
kränkelt von der bösen Luft, welche von Westen, die
Seelen vergiftend, in's Rheinland weht.
Aber bald kamen die höchsten Herrschaften , die
jungen vornehmen geistlichen Herren von höchstem
Adel , die weltlichen Kavaliere , die ausgelassenen
französischen Gäste : das Kichern verstummt und mit
weit aufgerissenen Augen sehen die Frauen dieser
prunkenden Welt zu , die ihre lärmenden Feste feiert,
uneingedenk des furchtbaren Mahnens seines Endes,
der Heereszüge, deren Führer mit verächtlichem Lächeln
gegen den verhöhnten Feind marschirten und die dann
so kleinmuth, geschlagen von einer zusammengelaufenen
Bande Undi.sciplinirter, zurückgekehrt waren. Der wilde
Strudel der Lust erfasst auch sie und auf die Stunde
der Freude, des Stolzes über die Werbungen des vor-
nehmen Kavaliers folgen Monate, Jahre der Trauer:
O war ich nie in's Schloss gegangen!
Das Alles stellt uns P. Meyer- Mainz anschaulich
in seinem Bilde « Hubertusessen » dar.
Der Kurfürst war verjagt, das Erzbisthum säcu-
larLsirt, die Pracht des Hofes zerstoben. Der grcsse
Soldatenkaiser und seine Heere waren über den Rhein
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
109
gezogen , Schlachtenlärm hatte die Welt erschüttert.
Die als Befreier Begrüssten hatten mit harter Gewalt
die Macht an .sich geri.ssen , man erkannte wohl dank-
bar an, was sie an Freiheit dem Rhein gebracht haben,
aber es waren fremde Mächte, die auf deut.schem
Boden hausten. Und endlich war Friede geworden,
die Heere waren aus dem besiegten Frankreich zu-
rückgekehrt. Zwanzig Jahre sind seit der Kurfürsten-
Zeit vergangen.
Das Töchterchen einer jener Städterinnen, die so keck
und doch so scheu auf die so unendlich hoch erhabene
vornehme Welt des Hofes schauten, wandelt an schönem
Sommertage durch die gelben Kornfelder dem Buchen-
walde zu. Die Lerchen schlagen, wohlige Wärme liegt
über der goldigen Weite. Und wieder naht sich ein
Kavalier dem jungen Mädchen, ein Mann im schlichten
Kleid des Bürgers , das sie jetzt alle mit ein klein
wenig aftektirtem Gleichheitssinne tragen, er nimmt
ihr zuerst höflich das Umschlagtuch ab , begleitet sie
des Weges in ernstem, etwas geziert klingendem,
blumenreichen Gespräch 1 Denn er hat t Werthers
Leiden» gelesen und Schiller klingt in seinem Herzen
wieder, die hohen Klänge des Liedes von Menschen-
würde, von Gleichheit aller Edlen, von Beseitigung der
Unterschiede zwischen hoch und niedrig durch die
Liebe haben in ihm Widerhall gefunden.
Und er fasst ihre Hand, sie sagt zögernd, hoffend
und fürchtend zugleich ihr lispelndes «Ja!»
Man sehe als Beleg: R. Haug's treffliches Bild
t Spaziergang. »
* *
*
Die Frühlingsträume der Nation, das Hoffen auf
eine. Zeit des Friedens und Glückes, der ausgleichenden
Liebe und Freiheit schwanden dahin. Der kühne Streich
des Kavaliers, die Namenlose aus dem rheinischen
Städtchen zu heirathen, zerbrach sein Verhältnis zur
ganzen P'amilie. In Kampf und Sorge verzehrten sich
die ersten Jahre ihrer Ehe, die Jahre, die dem Glücke
mehr als andere geweiht sein sollten.
Nun liegt sie schon lang in geweihter Erde.
Mächtige Bäume sind an ihrem Grabe emporge-
wachsen, über dessen prunkendes Denkmal der Epheu
wuchert, bis hinüber auf die Seite jenes Gottesackers,
in welchem die Kinder ihre letzte Ruhe finden. Und
wieder ist ein heller Sommertag, hell und leuchtend
zieht ein Gewölk auf, das Grün hat eben seine volle
Kraft erhalten , es summen die Käfer um Grab und
Kreuz, um die Kränze über den Tod hinaus sorgender
Liebe. — —
Das ist J. Wenglein's «Kinderfriedhof.»
Den Zwiespalt, weichen die Verhältnisse in diese
im Auflodern einer weichen allgemeinen Menschenliebe
entstandene Ehe hineinbringen , endete auch der Tod
nicht. Der junge Kavalier hatte sein Unrecht nach
Wunsch der Seinen gut gemacht und als Alternder eine
sehr junge Dame von Geburt an die Stelle der Ge-
schiedenen gestellt. Wohl hatte die-se vom Schloss der
Väter Besitz ergriffen, aber das Herz hatte sie nicht
einzunehmen verstanden. Kalt und fremd standen sich die
beiden gegenüber. Mit Missgunst sieht die neue Herrin
das Heranblühen der Tochter, des letzten Liebespfandes
der Geschiedenen, der zu spät erblühten Sehnsucht
ihrer Ehe. Doppelt feindlich war die neue Mutter ihr
gesinnt, weil ihr selbst das Glück versagt ist, ein eigen
Kind auf dem Schooss zu wiegen. In dem jungen
Weibe aber herrschte der Geist der Jugendzeit ihres
Vaters, der Geist des Auflehnens gegen das die Geister
und die Thaten regelnde Herkommen, des Hingebens
seiner selbst als Kaufpreis nicht nur für Vortheil und
Gewinn, für Geld, Namen und Ehre — sondern als
Kaufpreis für einen ganzen Menschen, für sein Herz
wie für sein Hirn! Und so sind sie sich entfremdet,
der vornehme Vater und die heissblütige Tochter. Sie
ist mit dem jungen, feurigen, für Freiheit erglühenden
Polen in die Weite gezogen und sie hat ihm die Flinte
in die Hand gegeben, als das nationale Verzweifiungs-
ringen gegen russische Übermacht begann.
Ja, sie hatte in den harten Kampf mit Frauenlist ein-
gegriffen. Sie hatte Briefschaften vermittelt, Waffen
gekauft, heimliche Botschaft getragen. Oft waren in ihrer
Wohnung ernst blickende Männer zusammengekommen
zu heimlicher Tagung. Aber endlich hatte man die
Verschwörung entdeckt. Sie sass auf der Anklagebank,
sorgend um den heranwachsenden Sohn, die noch kind-
liche Tochter. Der alte, brave Rechtsanwalt hatte
wahrlich das Seine gethan , um die Richter für sie zu
gewinnen. Nun naht die c Stunde der Entscheidung».
Die Schuld liegt klar vor, ist auch nicht geleugnet,
die «feindliche Handlung gegen befreundete Staaten >
wird mit Festungshaft bis zu vielen Jahren bestraft.
110
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Werden die Richter Milderungsgründe zugestehen? Der
Präsident blickt ernst und doch mitleidig auf die Ver-
urtheilte: Was bringt er für ein Geschick in seiner
Aktenmappe?
Man frage F. Brütt's Bild selbst um die Antwort.
* *
*
Tief einschneidend wirkte der Urtheilsspruch. Im
Schloss des alten Vaters war der Bruch ein vollständiger.
Die junge Stiefmutter triumphirte innerlich, sie hatte
in ihren Klagen über die Tochter aus unedlem Blut
Recht behalten : nur Schande hatte sie dem Hause ge-
bracht , eine verurtheilte Revolutionärin. Die unver-
heirathete Schwester des alten Herrn, eine Jungfrau von
untadeligen Grundsätzen, streng, hart, unliebenswürdig,
aber formvoll und adelsstolz, war ihre Verbündete ge-
worden. Man hatte erreicht , dass die Entartete ent-
erbt werde.
Und Jahre der Unbefriedigung und der kalten Vor-
nehmheit waren über das Schloss hingezogen. Den
alten Herrn fröstelte in seinem warmen Hauspelz. Die
Zeit des Sterbens nahte.
Wem sollte das Erbe zufallen? Der Gattin allein,
der Schwester? Und nach diesen? — Er schaute sorgen-
voll vor sich hin. Ja dort draussen blühten ihm zwei
Enkelkinder, weit in der Ferne, unter fremden Namen.
Könnte er sie nur einmal sehen ! — Er schluchzt leise.
Schlimme Nachricht ist gekommen. Seine einzige Tochter
todt, der Enkel in seiner neuen Heimath in politische
Processe verquickt, voll Eifer den Vater, der auf dem
Felde der Ehre fiel, und die beschimpfte Mutter zu
rächen.
Der war schon draussen im fernen Sibirien. Er
sitzt auf der elenden harten Pritsche der «Letzten
Etappe», ehe die neue furchtbare Heimath der «Ver-
schickten» erreicht ist und denkt zurück in die Ferne.
Der Grossmutter und Mutter Blondhaar ist noch so
leidlich gepflegt, aber die Kleider nahen schon dem
Verfall. Neben ihm stirbt ein braver Junge, der ihnen
bei ihren Sitzungen Botendienste geleistet — nichts
mehr! — und der nun seine Gefälligkeiten mit endlosen
Strapazen und mit dem Tode zahlen muss. Ein mit-
leidiger Leidensgenosse hält ihm das Kreuz, das er auf
der Brust trägt, vor die brechenden Augen! Elend
ringsum, der todesähnliche Schlaf der Übermüdung
lässt zwar die Meisten augenblicklich nichts von ihm
spüren, aber in wenigen Stunden kommt der harte
Befehl zum Aufbruch, und in Lumpen, mit zerrissenen
Schuhen geht es weiter ....
Mit furchtbarer Kraft des Ausdruckes schildert
Malczewski diese «Letzte Etappc». —
* »
*
Sicher im wohnlichen Heim, dämmernd sitzt die
Schwester. Noch trauernd um die Mutter, beklagt sie
auch des Bruders Geschick. Sie allein in äusserem Glück,
eines wackeren Mannes sicher geborgene treue Gattin.
Seit sie die Mutter hinausbegleitet hatte auf den Kirchhof,
wo auch die Grossmutter lag, unter das einst prunkende,
jetzt vom Epheu überwucherte Grab — seit ihr die
kurze Depesche eines Freundes gemeldet, dass man den
Bruder gefangen genommen, da fühlte auch sie sich so
allein, trotz des Gatten, trotz der beiden Kinder. Und
vor ihr liegt ein Brief von fremder Hand, ein geschäfts-
mässiges Schreiben im Juristenstil, welches sie auf das
Rheinische Schloss ladet, da der alte Freiherr sein
Testament in Gegenwart seiner Erben zu machen wünsche.
Und die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Grossmutter
geht im Dämmerlichte an ihren Augen vorüber. Zweier
Frauen, denen das alte Schloss und sein stolzer Herr
nur Sorge und Noth brachten, und die doch Beide so
glühend geliebt hatten.
E. Oppler zeigt uns diese «Träumerei».
♦
* *
Sie aber hat entschlossen sich aufgemacht, ihre
Kinder wohlverpackt mit auf den Weg genommen, be-
gleitet von der Mahnung des Gatten , auf ihn zu ver-
trauen und sich nichts zu vergeben. Aber so vornehm
hatte sie sich das alte Haus doch nicht gedacht und
so gütig blickend, so aus der eigenen Mutter freundlich
grauen Augen schauend, hatte sie sich den Grossvater
nicht vorgestellt. Ihr Trotz brach vor seinem Alter und
seine Strenge vor ihrer warmherzigen Schönheit. Und
die fremde Grossmama, wie die weisslockige Tante .sassen
sehr steif, sehr stumm dabei, der Herr Justizrath hatte sehr
viel am Entwurf des Testamentes zu ändern und zu schreiben
und den beiden scheuen Kleinen wurde zum -Ä.rger der
Zeuginnen sehr viel vermacht. Der alte Herr nahm den
Urenkel auf seinen Schooss und küsste ihn herzlich :
« Herr Justizrath , könnte ich diesem Knaben nicht
auch unseren alten Namen vererben, damit mein Ge-
schlecht nicht mit mir ende?»
Das lese ich aus L. Bockelmanns «Testament»
heraus. — ■^'■
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^ Die Kunst unserer Zeit
K86
Bd. 4
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