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Full text of "Die Kunst unserer Zeit; eine Chronik des modernen Kunstlebens"

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UNSERER 
ZEIT 

EINE  CHRONIK  DES 
v/A°DERNEN   KUNSTLEBENSä? 


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DIE 


KUNST  UNSERER  ZEIT 


EINE  CHRONIK 


DES 


MODERNEN    KUNSTLEBENS. 


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MÜNCHEN. 
FRANZ    HANFSTAENGL 


ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN 


E.  MÜHLTHALER'S  KGL.  HOF-BUCH-  UND  KUNSTDRUCKEREI. 


Inhalts-Angabe. 


1898.   II.  HALBBAND. 


Literarischer  Theil 


Seite 

Gurlitt,  Cornelius.    Walter  Crane I 

Meissner,  P^anz  Hermann.    Die  Münchener Jahres- 

Ausstelkmgen  von   1898 47 


Seite 

Rotten  bürg,  Heinrich.     Benjamin  Vautier  .    .     .     29 
—     Das  Kunsthandwerk  auf  den  Miinchener  Aus- 
stellungen   1898 89 


Vollbilder 


Seite 

Corinth,  Louis.    Versuchung 82 

Crane,   Walter.    Mandelbäume,  Monte  pincio  Rom  4 

—  Fries,  das  Skelett  in  Rüstung 5 

—  Amor  vincit  omnia 8 

—  Der  Triumph  des  Frühlings 9 

—  Europa 12 

—  Der  Wettlauf  der  Stunden  und  Ormuzd  und 
Ahriman 13 

—  La  belle  dame  sans  merci       16 

—  Die  Brücke  des  Lebens 17 

—  Englands  Emblem 20 

—  In  des  Schicksals  Buch 21 

—  Die  Schwanenjungfrauen 24 

—  Die  Wasserlilie 25 

—  In   den  Wolken 28 

—  Pegasus ^ 29 

V.  Defr egger,  F.     Kraftprobe 55 

Echtler,  Adolf.     Maria 78 

Gussow,  Carl.     Dorfparzen 86 

Höcker,  Paul.     Der  schüchterne  Freier    ....  78 

V.  Kanal,   Gilbert.     Niederländisches  Gehöft     .     .  79 


Seile 

V.  Kaulbach,  F.  A.     Fiau  von  Kaulbach  ...  54 

V.   Lenbach,  F.     Erica  und   Marion  Lenbach  .     .  50 

—  Bildniss 51 

V.   Löfftz,  L.     Orpheus  und  Euridike 58 

Marr,  Carl.     Madonna 78 

Nonne nbruch,  M.     Verklärung .  62 

Rau,  Emil.    Die  Kaiserin  kommt,  juchhe  ....  86 

Rouband,  P'ranz.    Die  Russen  vor  Kars  ....  82 

Schuster-Woldan,  Rafael.     Die  Malerin    ...  70 

—  Georg.     Der  getreue  Eckart 71 

Simm,   h^ranz.     Unschlüssig 94 

Stuck,  Franz.     Pallas  Athene 59 

Strützel,  Otto.     Am  Kanal 98 

Thedy,  Max.     Adoratio  crucis 94 

Vautier,  Benjamin.    Aufforderung  zum  Tanz  .     .  32 

—  Besuch  der  Neuvermählten 33 

—  Unfreiwillige  Beichte 36 

—  Die  entzweiten  Schachspieler 37 

—  Bauern  vor  Gericht      46 

—  Eine  Verhaftung 47 


Textbilder 


Seite 

Becker,  Carl.     Abend  an  der  Nordsee.        ...  71 

Beggrow  Hartmann,  Olga.     Idylle 74 

Bereny,  Rudolf.     Hans  Thema 80 

Bert  seh,  Wilhelm.     Interieur 95 


Seite 

Böninger,   Robert.     Idyll 64 

Bössenroth,  Carl.     Mondaufgang  im  Moos     .     .  50 

Bürgel,  Hugo.     Flusslandschaft 82 

Comp  ton,  Edward  T.     Neuschnee  im  Höllenthal  49 


V.  Bochmann,  Gregor.    Nordwyker  Muschelkarren     73      Crane,  Walter.     Studien  und  Skizzen.    .    .     .      i — 28 
Böhme,  Carl.     Scirocco,  Motiv  von  Capri        .     .     69  I  Curry,  Robert  J.    Gerettet •]•] 


Seilt 

Dülfer,  Martin.     Interieur 91 

Eberlein,   Gustav.     Gothe    bei  Betrachtung   von 

Schiiler's  Schädel 84 

Esser,  Theodor.     Lustige  Nacht 52 

Fahrenkrog,   Ludwig.     Träumerei 85 

Falkenberg,  Richard.     Ophelia 67 

Fink,    August.     Winterlandschaft  an  der  Isar  bei 

Freising 53 

Fischer,  Theodor.     Interieur 93 

Georgi,  Walter.     Wirthsgarten 82 

Graessel,  Franz.     Enten 62 

Grocholski,  Stanislaus.     Verlangen 66 

Gysis,  Nicolaus.     Studienkopf 60 

Hart  mann,  Richard.  Schiilerszene(Goethe's  Faust)  72 

Heibig  und  Haiger.     Interieur 97 

Hey,  Paul.     Vorfrühling 83 

Huber,  Josef.     Luzifer 86  I 

Hynais,  Adalbert     Studie 47,  58 

Kiesel,  Conrad.     Damenbildniss 56 

Koester,  Alexander.     Märzabend 86 

Kubierschky,  Erich.     Abendlandschaft    ....  68 

Landsinger,  Siegmund.     Quellnymphe    ....  75 

Lau  p  heimer,  Anton.     In  Ferien 57 

Liebermann,  Max.  Sonntag  Nachmittag  in  Laren  79  j 


Seite 

Männchen,   Adolf.     Auf  der  Landstrassc     ...  87 

Malczewsky,  Jacek.     Irrkreis Si 

Messerschmidt,  Pius  Ferd.     Heimfahrt      .    .     .  y6 

Mo  est,  Hermann.     Das  Loos  des  Schönen    ...  61 

Montemezzo,  Anton.     Leckerbissen 62 

Munk,  Eugenie.     Pierrot 54 

Otto,  Ernst.     Elche 83 

Peck,  Orrin.     Kohlkrautgarten 59 

Petersen,  Hans.     Hochsee 48 

Prophet  er,    Otto.     Bildniss  des  Professors  Ferd. 

Keller 70 

Rabending,  Fritz.     Aus  Tirol 74 

Recknagel,  Otto.     Gestörte  Liebeserklärung  .     .  78 

Ring,  Max.      Am   Gemüsestand 55 

Ritter,  Caspar.     Blumen 51 

Schmutzler,  Leopold.     Ein  Spaziergang    ...  65 

Schott,  Walter.     Kugelspielerin 88 

Schwill,   William.     Bildniss 80 

Tallmaier,  Ernst.     Lektüre 60 

Urban,  Hermann.     Jugend 51 

Vautier,  Benjamin.     Studien  und  Skizzen     .     29—46 

Wagner,  Alexander.     Heimkehr 65 

Ziegler,  Carl.     Bildniss 85 


WALTER  CRANE 


VON 


CORNELIUS  GURLITT 


Es  ist  sieben  oder  acht  Jahre  her,  als  zwei  Herren  mit  untadelhaften  Handschuhen  und  blitzenden 
Cylinderhüten  mich  besuchten,  um  mich,  wie  sie  brieflich  bereits  angekündigt  hatten,  um  einen 
Rath  zu  fragen.  Ich  war  gespannt,  was  die  beiden  Vertreter  einer  grossen  Berliner  Dekorateur -Firma 
eigentlich  von  mir  wollten. 

Sie  hätten  gehört,  sagten  sie,  ich  sei  ein  Mann,  der  Geschmack  für  das  «Aparte»  habe.  Sie 
hätten  die  Absicht,  in  der  Möbelbranche  einmal  so  etwas  zu  machen,  etwas,  was  Berlin  noch  nicht  ge- 
sehen habe :    Ob  ich  ihnen  nicht  eine  Art  Böcklin  in  Möbeln  nennen  könne,   der  ihnen  etwas   zeichne 

oder  baue,  was  Aufsehen  macht,  so  —  'was 
man  in  Berlin  eine  « ausgetragene  Sache » 
oder  kurzweg  «  eine  Sache »   nennt. 

Ich  wusste  mir  nicht  gleich  zu  helfen. 
Barock?  Damit  waren  die  Herren  schon 
fertig.  Noch  barocker,  wie  sie  schon  waren, 
konnte  kein  Mensch  mehr  werden.  Rococo? 
Alles,  was  einst  im  17.  oder  18.  Jahrhundert 
in  Frankreich  oder  Deutschland  geschaffen 
worden ,  war  auch  schon  in  den  letzten 
Jahren  in  Berlin  dagewesen.  Damit  war  man 
auch  fertig. 

Endlich  kam  mir  die  gewünschte  Idee: 
Schreiben  Sie  an  Walter  Crane  in  London, 
er  solle  Ihnen  ein  Zimmer  zeichnen,  die 
Thürbekleidungen,  die  Möbel,  die  Tapeten, 
die  Stoffe,  die  bunten  Fenster.  Da  bekommen 
Sie  sicher  etwas,  was  in  Berlin  und  auch  in 
London  noch  nicht  gesehen  worden  ist,  da 
haben  Sie  ihren  kunstgewerblichen  Böcklin. 
Die  Herren  notirten  sich  die  Adresse 
und  gingen  zufrieden  ihres  Weges. 

11  1 


Walter  Crane.    St.  Nicolo  Tolentino,  Rom 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Walter  Crane.    Studie 


Nach  einio-er  Zeit  kamen  sie  mit  Crane's  Zeich- 
nungen   wieder: 

«UnmögHch!  Das  kann  bei  uns  jeder  Zeichner 
mit  1 20  Mark  monatlichem  Gehalt.  Das  ist  nichts 
für  Berlin  —  sagen  Sie  selbst :  Damit  werden  wir 
keinen  Effekt  machen !  » 

Ich  erlaubte  mir  den  Einwurf:  «Versuchen  sie  es 
doch !  Vielleicht  weist  Sie  Crane  den  rechten  Weg ; 
man  ist  eben  einfacher  in  England  wie  bei  uns  und 
wir  werden  es  wohl  mit  der  Zeit  auch  werden.  Lesen 
Sie  Dohme's  eben  erschienenes  Büchlein  über  das  eng- 
lische Haus.  Da  ist  schon  Witterung  kommender  Zeit. 
Klänge  es  nicht  ganz  hübsch,  wenn  Ihre  Firma  das 
Stichwort  ausgäbe :  Umkehr  aus  dem  Formenüberfluss 
zur  Schlichtheit !  Das  wäre  doch  auch  etwas  Apartes  !  » 
Man  versprach  die  Sache  in  Erwägung  zu  ziehen. 
Aber  ich  hätte  sicher  von  dem  Crane-Zimmer  gehört, 
wenn  es  zu  Stande  gekommen  wäre.  Der  von  den  Herren  gepflogenen  Erwägung  letzter  Schluss 
war  sichdich,  dass  Crane  für  das  Berlin  von  damals  nicht  reif  war ! 

Und  doch  waren  seine  Werke  schon  in  tausend  Händen.    Ich  kann  es  einem  so  feinen  deutschen 
Künstler,  wie  V.  Paul  Mohn,  nicht  verdenken,  wenn    er    in  der  Lebensbeschreibung,   die  er  seinem 
Lehrer  Ludwig  Richter  widmet,  ein  paar    bittere  Bemerkungen    darüber    einflicht,    dass    das    englische 
Illustrationswesen  in  unseren  Kinderbüchern  einen  so  über- 
mässig starken  Einfluss   habe.     Aber   nicht   Crane's  Bilder- 
bücher sind  es,  die  am  besten  bei  uns  «gingen»,  wie  der 
Buchhändler  sagt.     Es  sind   ihrer    zwar  viele  bei    uns    ab- 
gesetzt   worden,    aber    fast    mehr    an    Erwachsene    als   an 
Kinder.    Sie  waren  uns,  die  an  Richter  Gewöhnten,  fremd- 
artig, zu  phantastisch. 

Es  bedurfte  erst  der  vermittelnden  Zwischenglieder, 
um  Crane  bei  uns  beliebter  zu  machen :  Ein  solches  bot 
Kate  Greenaway  in  ihren  berühmten  Darstellungen  von 
Kindern  und  ländlichen  Vorgängen.  Ihre  Bücher  brachten 
im  Gegensatz  zu  der  damals  üblichen  deutschen  ein  neues 
Motiv :  lebhafte  Farbe  ohne  Buntheit,  einfachere  Flächen- 
töne bei  kräftigem  Umriss,  während  unser  Farbendruck  sich 
alsbald  in  die  Thorheit  eingelassen  hatte,  Oelbilder  nach- 
ahmen zu    wollen.     Kate    Greenaway  war    in    der    äussern  „   ,,     ^         c^  a- 

.  J  II  aller   Crane.    btudie 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT.  3 

Ausstattung  ihrer  Bilderbücher  sichtlich  Crane's  Nachfolgerin,  hatte  dessen  Eigenart  gemischt  mit  der 
des  o-länzenden  Humoristen  Ran  ddp  h  Caldecott  und  dabei  sich  auf  ein  Gebiet  geworfen,  dass 
Allen  leicht  verständlich  ist,  auf  die  Darstellung  des  Kindes.  Sie  ist  als  Malerin  ein  achtes  Weib 
geblieben,  schuf  weiblich,  anmuthig,  mit  dem  Herzen,  mit  spielender  Kinderliebe,  —  verzeichnete  sich 
vielleicht  gelegentlich,  wurde  dadurch  aber  nur  um  so  liebenswürdiger.  Sie  kleidete  ihre  Gestalten 
in  das  für  Englands  Kunst  klassische  Kostüm  der  Biedermaierzeit,  in  dem  Reynolds,  Gainsborough 
und  Lawrence  ihre  Kinderbilder  malten  und  erreichte,  dass  bei  uns  dieses  Kostüm  lange  Zeit  nach  ihr 
benannt  wurde.     Es  liegt  mir  fern,  auf  sie  und  ihr  Werk  zu  schelten :    Es  ist  fein  und  vornehm,  wohl 


IValtcr  Crane,    Villa  Pamphili  Doria,  Rom 


weniger  «naiv»  als  man  einst  glaubte,  ein  Wenig  von  jener  Süssigkeit  und  Selbstverkindlichung,  in 
die  man  so  gern  im  Verkehr  mit  den  Kleinen  fällt,  aber  doch  voll  ächten  Menschenthums;  denn 
solches  ist  ja  nicht  eitel  Stärke  und  Selbstherrlichkeit. 

Kate  Greenaway's  Schaffen  war  das  erste,  was  Deutschland  in  seinen  der  Kunst  ferner  stehenden 
Kreisen  nach  langer  Unterbrechung  von  englischem  Schaffen  kennen  lernten.  Man  lese  beispielsweise 
in  Meyers  Konversations-Lexikon  IIL  Auflage  von  1878  nach,  was  da  ein  doch  immerhin  sich  kundig 
Dünkender  über  die  Vorgänge  in  den  Werkstätten  jenseits  des  Kanales  zu  sagen  wüsste.  Rossetti 
ist  als  Dichter    genannt   und    dem  Aufsatz    über   ihn  beigefügt :   « Zugleich  ist  er  als  Maler  (Anhänger 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


der  sog.  präraffaelitischen 
Richtung)  und  Zeichner 
(trefflicher  Illustrator)  be- 
kannt». Ueber  die  Malerei 
überhaupt  lehrt  das  Buch, 
England  habe  seit  Rey- 
nolds keine  ähnliche  Kraft 
mehr  besessen  und  auch  in 
der  Landschaft  seien  Turner 
und  seine  Vorgänger  nicht 
mehr  überboten  worden : 
Immerhin  seien  aber  einige 
mit  Namen  aufgeführte 
Maler  rühmenswerth:  Die 
Auswahl  ist  sichtlich  ohne 
jede  Sachkenntniss  ge- 
macht ,     die      eigentlichen 


Walter  Crant.    S.  Francesco  Romane  vom  Palast 
der  Caesaren,  Rom 


Führer  sind  alle  übersehen, 
ausser  Millais  und  nur  die 
Akademiker  sind  genannt. 
Man  darf  der  Leitung  von 

Meyer's  Konversations- 
Lexikon  keinen  Vorwurf 
hieraus  machen.  Nicht  bes- 
ser steht  es  z.  B.  in  Lübke's 
Kunstgeschichte  um  die 
Kenntnisse  englischen  We- 
sens !  Es  war  damals  that- 
sächlich  aus  der  deutschen 
Litteratur  unmöglich,  sich 
auch  nur  ein  annäherndes 
Bild  von  dem  zu  machen, 
was  in  London  und  gar 
was  in  den  anderen  Kunst- 


städten   des    Landes   die    Köpfe  der  Maler  bewegte.    —    So    1877,    als  Crane's  Bilderbücher  anfingen, 
in  Deutschland  die  Aufmerksamkeit  der  Künstler  zu  erwecken. 

Es  ist  ja  eine  der  merkwürdigen  Erscheinungen  im  «Zeitalter  des  Verkehres»,  dass  die  Abschliessung 
der  Nationen  von  einander  immer  stärker  wird.  Wie  es  für  den  Frieden  nicht  gut  ist,  wenn  zwei  eng 
verwandte  Familien  unter  einem  Dache  wohnen,  so  scheinen  die  Völker  den  engeren  Verband  durch 
Eisenbahn  und  Telegraph  unter  einander  nicht  zu  vertragen.  Gerade  das  Alltägliche,  das  Hausbrod, 
was  man  isst,  will  man  für  sich  haben,  kennen  die  Nachbarn  daher  am  Wenigsten.    So  ist's  hüben  wie 


drüben :  Crane  selbst 
gab  im  vorigen  Jahr 
ein  Buch  heraus  «Of 
the  decorative  Illu- 
stration of  Books, 
old  and  new»,  wel- 
ches zwar  keine  An- 
sprüche auf  grosse 
Kunstgelehrsamkeit 
macht,  aber  doch 
sicher  das  gibt,  was 

der    vielgewandte 
Verfasser  kennt  und 
liebt.      Da    ist    den 


Walter  Crane.    Skizze  des  Strandes  des  stillen  Ozeans 
bei  Santa  Barbara,  Süd-Californien 


alten  Deutschen  volle 
Ehre  erwiesen :  Vor 
Dürer  und  Holbein, 
aber  auch  vor  den 
ihnen  Vorausgehen- 
den und  Folgenden 
neigt  er  sich  in  Be- 
wunderung. Er  hat 
sie  sichtlich  fleissig 
angesehen.  Aber  von 
Ludwig  Richter  weiss 
er  nichts.  Der  Name 
des  Mannes,  den  wir 
bei  Aufzählung    der 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Walter  Crane.    Weingarten  Carrara 


Illustratoren  wohl  zunächst  nennen  würden,  fehlt  in  dem  Buch  eines  Mannes,  der  selbst,  wie  Richter, 
Grimm's  Märchen  und  dazu  noch  nach  der  Uebersetzung  seiner  Schwester  1882  illustrirte,  also  eines 
Mädchens,  das  doch  sicher  mit  deutscher  Sprache  und  wohl  auch  deutschem  Wesen  vertraut  war.  Und 
doch  sagt  Crane,  ihm  scheine,  als  walte  in  Deutschland  die  alte  kernhafte  Ueberlieferung  im  Holzschnitt 
und  illustrativer  Zeichnung  ungebrochener,  wie  anderwärts ;  und  doch  rühmt  er  die  Kraft  und  Eigenart 
der  deutschen  Künstler :  Er  kennt  Menzel,  Rethel,  Schwind.  Er  lobt  selbst  Oskar  Fletsch,  Richter's 
Nachempfinder,  dessen  Bilderbücher  auch  in  England  einst  sehr  beliebt  und  gewiss  nicht  ohne  Einfluss 
auf  Kate  Greenaway  waren;  er  kennt  Otto  Hupp's  kräftig  stilistische  Handschrift,  er  hat  Arbeiten  von 
Sattler  und  Stuck'^gesehen,  [auf  wirkungsvollen  Zeichnungen  den  Namen  Seitz  gefunden,  er  hat  sich 
mit  den  Künstlern  der  «Jugend»  beschäftigt,  deren  manchen  er  nachrühmt,  dass  sie  mit  Geschick 
dekorative  Wirkung  erstreben,  während  er  bei  anderen  findet,  dass  diese  überwuchert  sei  von  groteskem 
Empfinden  und  kränkelnder  Uebertreibung;  aber  er  fühlt  den  Ueberfluss  von  reichem  Leben,  Witz  und 
launischem  Geist  heraus,  wie  solche  in  Süddeutschland  heimisch  wohnen.    Das  ist  aber  auch  so  ziemlich 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Alles,  was  er  von    deutscher  Kunst  sagt:    Auch    Schnorr    von    Carolsfeld's  Bibelwerk,    dem   wir  einst 
Weltruf  nachrühmten,  kennt  er  wohl  nicht,  da  er  es  sonst  schwerlich  übergangen  hätte. 

Crane  war  wiederholt  in  Italien,  sicher  auch  in  Frankreich.  Die  Welt  aber,  in  der  er  lebt,  ist 
die  rein  englische,  die  Kämpfe,  die  er  kämpft,  beziehen  sich  auf  die  dortigen  Vorgänge:  Er  ist  vom 
Geist  des  Präraffaelitenthums  völlig  umfangen,  er  ist  ein  Stück  der  Schule,  welche  diesen  hervorbrachte. 
Man  thut  Unrecht,  die  Menschen  wie  Kautmannswaaren  Stück  für  Stück  abzuwägen  und  nach 
ihrem  Pfundgehalt  zu  bewerthen.  Es  fra^t  sich  daher  auch  hier  nicht,  wer  in  dieser  Schule  der  Grösste 
sei.  Hier  beschäftigt  uns  die  Frage,  wie  Crane  selbst  die  Dinge  betrachtet,  zunächst  Crane  der 
Illustrator.  Er  unterscheidet  ja  selbst  schart  zwischen  diesem,  dem  er  die  Aufgabe  zuweist,  das  Buch 
zu  schmücken  und  dem  Künstler,  den  er  einen  Anfertiger  von  Bildern  für  Bücher  nennt,  wie  z.  B.  Chodo- 
wiecki  ein  solcher  sei.  Er  sucht  seine  Aufgabe  mit  einer  bisher  nicht  erkannten  Schärfe  zu  umfassen  : 
Ihm  hat  die  Zeichnung  für  das  Buch  zwei  gleichwerthige  Zwecke :  Sie  soll  den  Text  bildlich  vergegen- 
wärtigen und  sie  soll  ihn  zugleich  ornamental  schmücken.  Und  auf  das  letztere  legt  er  das  Haupt- 
gewicht. Der  Illustrator  soll  eine  schöne,  völlig  harmonisch  ausgestattete  Buchseite  schaffen,  seine 
Zeichnung  mit  dem  Drucksatz  in  Einklang  bringen  und  nicht  ein  Bild  für  sich  schaffen  wollen,  das 
ohne  den  Satz  besser  wirkte,  das  ein  selbständiges  Kunstwerk  ist  oder  zu  sein  erstrebt.  Und  da 
ist  neben  den  alten  Meistern  Deutschlands  und  Italiens  ihm  sein  Landsmann  William  Blake  der  Erwecker 
der  Illustrationskunst :  Jener  phantastische  Dichter,  der  seine  Bücher  selbst  schrieb,  zeichnete  und 
druckte  und  zwar  all  dies  alsbald  mit  Hilfe  einer  Platte,  so  dass  die  volle  Einheit  der  Form  und  des 
Inhalts  gewahrt  ist,  Zeichnung  und  Handschrift  in  voller  Uebereinstimmung,  in  gleich  starker  Individualität 
hervortreten.  Dieser  Blake  war  ja  freilich  das,  was  man  einen  verrückten  Kerl  nennt  in  ausge- 
prägtestem Maasse.     Er  hatte  Traumphantasien,    die    dicht    an    ächte  Hallucination    reichten.    Aber  in 

ihm  steckte  eine  gewaltige  Kraft  freien  Denkens.  Es  ist  ja 
eine  der  Eigenthümlichkeiten  der  Kunst,  dass  man  mit  ganz 
normalem  Denken  in  ihr  nicht  sehr  weit  vorwärts  kommt  und 
dass  in  ihr  gelegentlich  Leute  auftreten  müssen,  die  auf  den 
ersten  Blick  dem  « Besonnenen  >>  das  Gegentheil  seiner  wohl- 
gepflegten Tugend  zu  haben  scheinen. 

Dazu  kam  für  Crane,  wie  er  selbst  in  seinem  Buch  erzählt, 
noch  ein  weiterer  Anstoss  zum  Abfall  von  der  älteren,  auf 
Irrwege  g^erathenen  Illustrationskunst.  Als  seinen  Lehrer  rühmt 
er  William  James  Linton,  von  dem  er  als  Lehrling  durch 
drei  Jahre  hindurch  weniger  den  Holzschnitt  als  die  Kunst 
lernte,  auf  den  Stock  zu  zeichnen ;  er  rühmt  an  ihm  den  unter- 
richteten Mann  ebenso,  wie  den  erfahrenen  Künstler.  Er  ist 
der  Herausgeber  des  1889  erschienenen  Werkes  «The  Masters 
of  Wood  Engraving»,  in  welchem  er  sich  als  solcher  in  um- 
fassender Weise  zu  erkennen  gibt. 


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Walter  Crane.    Flora 


8  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Linton  gehört  als  Holzschneider  der  Schule  an,  die  auf  Bewick  zurückgeht,  den  Illustrator  natur- 
wissenschaftlicher Bücher,  einen  für  die  Geschichte  der  englischen  Thiermalerei  sehr  beachtenswerthen 
Mann.  Die  Technik  des  Holzschnittes  hatte  durch  die  Künstler  dieser  Schule  eine  ausserordentliche 
Förderung  erfahren.  Der  Schnitt  war  weich,  tonreich,  in^den  Uebergängen  flüssig  geworden.  Viel- 
leicht ist  kein  Name  in  England  bekannter  für  diese j Art  der  Stichkunst,  wie  jener  des  Birket 
Foster,  der  ein  Landschafter  von  feiner  Hand  war.  Ich  habe  vor  mir  eine  englische  Besprechung 
seiner  Werke  vom  Jahre  1870,  in  welcher  die  «Eleganz  seiner  Komposition»  das  «realpoetische  Ge- 
fühl», die  «delikate  und  graziöse  Manier»,  die  Kunst  gerühmt  wird,  dass  seine  Bilder  der  «scenic  art, » 
also  der  Kunst  des  Theaters,  gleichen.  Aber  so  schlimm,  wie  dieser  Kritiker  des  Art  Journal  ihn  in 
seinem  täppischen  Lob  macht,  ist  er  wahrlich  nicht.  Es  steckt  etwas  Sentimentales  in  ihr,  wie  in  den 
meisten  englischen  Landschaftern  jener  Zeit,  sie  sind  etwas  «geduftet»  wie  man  heute  in  den  Werk- 
stätten sagt,  aber  er  bringt  Holzschnitte  zu  Stande,  die  wohl  verdienen,  eingerahmt  das  Wohnzimmer 
des  Kunstfreundes  zu  schmücken  und  er  bereitet  den  Aufschwung  des  mit  verbesserten  Werkzeugen 
arbeitenden  Feinschnittes  vor,  der  dann  in  Amerika  seine  Vollendung  erhielt. 

Aber  gerade  das,  was  diese  Schule  erstrebte,  nämlich  die  Erhebung  des  Holzschnittes  zum 
Werth  der  selbständigen  bildmässigen  oder  doch  dem  Kupferstich  angemessenen  Leistung,  das  war 
es,  was  Grane  nicht  wollte:  Er  erzählt  selbst,  wie  ihm  ein  Offizier  der  britischen  Seemacht  ein  paar 
japanische  Bücher  von  der  Reise  mitgebracht  habe  und  wie  ihn  diese  gefangen  genommen  hätten : 
Die  Kraft  der  Umrisslinie,  die  einfachen  Farben  und  das  kräftige  Schwarz,  vor  Allem  aber  die  Ueber- 
einstimmung  von  Bild  und  Text  an  diesen  Büchern  wies  ihm  den  Weg. 

Bin  ich  recht  unterrichtet,  so  Hess  Grane  eine  seiner  ersten  Arbeiten  1863  erscheinen, 
nämlich  die  Illustrationen  zu  John  R.  Wise's  Buch :  The  New  Forest  (London,  Smith,  Eider  &  Gp.) 
in  demselben  Jahr,  in  dem  Foster's  berühmt  gewordene  Pictures  of  English  Landscape  (London, 
Routledge,  Warne  &  Routledge)  erschienen.  Ich  habe  leider  das  Wise'sche  Buch  in  Deutschland 
nicht  auftreiben  können.  Aber  wahrscheinlich  gibt  es  einen  guten  Anhalt  dafür,  wie  Grane's  Kunst 
vor  der  Kenntniss  Japans  aussah. 

Grane  ist  in  Liverpool  1845  geboren.  Schon  sein  Vater  war  Maler,  namentlich  beliebt  als 
Portraitist  von  Frauen  und  Kindern.  Ich  erinnere  mich  nicht,  in  öffentlichen  Sammlungen  Englands 
Werke  seiner  Hand  gesehen  zu  haben.  Doch  nahm  er  im  Kunstleben  von  Liverpool  eine  gewisse 
Stellung  ein,  ehe  er  aus  Gesundheitsrücksichten  1857  nach  London  zog,  wo  er  schon  1859  starb; 
Liverpool  ist  keine  Heimstätte  der  Kunst,  oder  war  es  damals  wenigstens  noch  nicht.  Alte  Denk- 
mäler fehlen  dort  fast  ganz.  Erst  im  1 8.  Jahrhundert  ist  die  Stadt  zur  Bedeutung  gekommen.  Es  war 
nicht  viel  an  Schönem  dort  öffentlich  zu  sehen.  Auch  noch  heute  weckt  dem  Kontinentalen  das  Stadt- 
bild öfter  Kopfschütteln  als  Bewunderung.  Die  Stadthalle  in  schwerem  klassischen  Stil  von  1795,  nicht 
weit  davon  eine  jener  Nelsonsäulen  nach  Vorbild  der  römischen  Titussäule,  an  denen  England  reich  ist. 
Als  Grane  Liverpool  verliess,  baute  man  eben  S.  George's  Hall,  einen  Riesensaal  von  nicht  minder  schwer- 
fälligem Klassizismus,  mit  1 5  Meter  hohen  Säulen.  Nur  für  die  Kirchen  wagte  sich  die  nationale  Gothik, 
auch  hier  noch  in  schematischen  Formen,  hervor.     Jetzt  ist  freilich  Vieles  dort  anders  geworden. 


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IDIE  KUNST  UNSERER  ZEIT.  9 

In  London  war  1857  der  erste  Ansturm  der  Reformer  des  Kunstlebens  zurückgeschlagen.  Ich 
schilderte  die  damals  herrschenden  Verhältnisse  bereits  in  meinem  Aufsatz  über  Edward  Burne  Jones 
(Jahrgang  VI  dieser  Zeitschrift,  Seite  31).  Was  dort  in  der  Akademie,  in  öffentlichen  Ausstellungen 
zu  sehen  war,  zeigte  wenig  Einfluss  der  präraffaelitischen  Bewegung.  Die  alte  Kunst  hielt  das  Scepter 
in  fester  Hand,  und  sie  war  durch  die  Wucht  ihrer  Erfolge  dazu  völlig  berechtigt. 

Zweierlei  Dinge  wirkten  auf  Crane  während  seiner  Lehrzeit  bei  Linton  (1859 — 1862)  ein: 
Die    Aesthetik  John  Ruskins    in    ihrer    sprungweisen,    pathetischen    Denkweise,    in    ihrem    stürmischen 


Walter  Crane.    Studie  zu  dem  Bilde :    Sonnenaufg.ang 


Anruf  der  Wahrheit;  und  die  Zeichnung  der  Künstler,  nach  welchen  er  bei  seinem  Lehrherrn  in  Holz 
zu  schneiden  hatte.  Es  waren  grosse  Namen  darunter:  Frederic  Walker  zuerst,  der,  wie  Tom  Taylor, 
der  Herauso-eber  der  Zeitschrift  « Once  a  Week  »,  erzählt,  im  November  1859  als  ein  schüchterner, 
furchtsamer,  linkischer  Bittsteller  um  Beschäftigung  als  Zeichner  auf  Holz  bei  ihm  erschien,  der  selbst 
bei  dem"  tüchtigen  Holzschneider  Whymper  seine  Lehre  durchgemacht  hatte  und  nun  von  Schritt  zu 
Schritt  seinen  Weg  vorwärts  machte  zu  einem  Maler  ersten  Ranges,  bis  ihn  nur  allzufrüh  (1875)  der 
Tod  erreichte.  In  seinen  Illustrationen,  wie  namentlich  in  seinen  Bildern  ist  Walker  ein  grosser 
Stilist.     Seine  Art    die  englische  Menschengestalt  zu  idealisiren,    hat  zweifellos  auf  die  ganze  Nation, 

II  2 


10 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


so  auch  auf  Crane,  ihren  Einfluss  behalten.  Ein  wahrhaft  bedeutender  Mensch,  voll  tiefer  Stimmung, 
voll  grosser  Linie,  voll  Reichthum  und  Schlichtheit  des  Tones ;  kein  Stürmer,  kein  Dränger,  einer  der 
aus  sich  selbst  reif  und  abgeklärt  wird.  Ich  glaube,  dass  die  Stunde  noch  kommt,  in  der  man 
Walker's  Namen  höher  stellen  wird,  als  es  die  Jüngsten  thun. 

War  Walker  ein  Genosse  auf  dem  gleichen  Wege,  so  hat  E.  J.  Poynter  Crane  rasch  im 
öffentlichen  Leben  überflügelt :  Er  sagt  von  dessen  Zeichnungen,  sie  seien  in  den  archäologischen 
Einzelheiten  und  in  der  Sicherheit  der  Linie  die  bemerkenswerthesten  gewesen  in  der  Sammlung 
für  die  Dalziel'sche  Bibelgalerie,  welche  1865 — 1870  als  das  Werk  der  jungen  englischen  Künstlerschaft 
erschien.  Poynter  ist  gewiss  einer  von  den  Künstlern,  der  einen  sehr  wesentlichen  Antheil  an  der 
Ausgestaltung  der  modernen  englischen  Kunst  hat:  Auf  sein  Haupt  häuften  sich  ja  auch  in  jüngster 
Zeit  deren  Ehren,  Er  kam  damals,  als  Crane  nach  seinen  Zeichnungen  schnitt,  eben  aus  Paris,  aus 
Gleyre's  Atelier  zurück,  wo  er  mit  dem  grossen  Zeichner  Dumaurier  und  mit  Whistler  gemeinsam 
gearbeitet  hatte.  Er  ist  zu  erwähnen  als  einer  der  Theoretiker  der  Kunst,  als  Nachfolger  Redgraves  in  der 
Leitung  des  Southkensington-Schule,  als  Schöpfer  des  sehr  bemerkenswerthen  Schmuckes  in  gemaltem 
Thon  im  Speisezimmer  des  Southkensington-Museums,  als  einer  der  glänzendsten  Meister  für  Innen- 
dekoration :  Also  ein  Stilist,  und  zwar  ein  solcher  von  architektonischem  Können  und  kühler  Berechnung. 
Er  stellt  innerhalb  der  jungen  Schule  das  akademische  Gewissen  dar !  Er  hatte  in  Paris  die  nackte 
Fiofur  malen  orelernt  und  wies  die  in  diesem  Fall  so  leicht  durch  Schämig-keit  beschränkten  eng-lischen 
Künstler  auf  ein  Gebiet,  dem  die  älteren  Präraffaeliten  gern  aus  dem  Weg  gingen.  Fast  Alle  haben 
an  ihm  gelernt :  Aber  Poynter  ist  keine  sinnliche  Natur,  er  ist  ein  unterrichteter  Künstler,  der  weiss, 
dass  mit  dem  Nackten  eine  Malerschule  steht  und  fällt,  und  er  ist  früh  berufen  worden,  die  englischen 
Kunstschulen  zu  leiten.  Er  brachte  ihnen  die  fleissige  Benutzung  des  Aktsaales.  Mein  verehrter 
Lehrer,  der  Aesthetiker  Fr.  Vischer,  war  der  Ansicht,  man  solle  in  der  Kunst  das  Nackte,  die  Sinn- 
lichkeit, dulden,  ja  es  sei  künstlerisch  nothwendig,  solange,  wie  er  sich  ausdrückte,  es  nicht  auf  Er- 
regung des  Nerves  ausgehe.     Ich  wüsste  kaum  einen  Künstler,  der  nach  Vischer  vom  Vorwurfe  verwerf- 


licher Sinnlichkeit 
freier  zu  sprechen 
wäre.  Seine  nack- 
ten Frauen  sind 
schön  und  in  Nackt- 
heit keusch  bis  zur 
Geschlechtslosigkeit: 
Crane  folgt  ihm  oft 
in  dieser  entsinnten 
Schönheitsliebe. 

Werthvoller  für 
Crane  war  Rosset- 
tis    und    der   Prä- 


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Walter  Crane.    Studien  für  das  Bild:    Des  Jahres  Ende 


raffaeliten  Mitwirk- 
ung am  Illustrations- 
wesen ,    wie   sie  an 

Tennyson's  Ge- 
dichte in  der  Moxon'- 
schen  Auflage  von 
1857  sich  äussert. 
Hier  trat  Crane  eine 
Kunst  entgegen,  die 
an  sich  selbst  deko- 
rativ wirkt,  wie  jene 
der  Buchmaler  des 
Mittelalters ,       hier 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


11 


Waller  Crane.     Studien  für  das  Bild:    Des  Jahres  Ende 


freut  ihn  seines  Meisters  Linton  Stich  besonders,  weil  dieser  die  Zeichnung  selbst  wiedergiebt,  die 
Flüchtigkeiten  und  Zufälligkeiten,  ohne  jene  Korrektheit  der  Maschine,  die  den  Geist  ertödtet. 

Aber  auch  für  Crane,  wie  für  so  viele  in  England,  waren  Burne  Jones  und  William 
Morris  erst  die  Bringer  der  neuen  Kunst.  Es  ist  für  den  Berichterstatter  schwer,  die  Sachlage  klar  zu 
werden,  wenn  er  bei  Nennung  solcher  Namen  nicht  erwarten  darf,  im  Kopf  der  Leser  ein  fertiges  Bild  des 
Schaffens  und  Wirkens  des  Besprochenen  vorzufinden;  hinsichtlich  Burne  Jones  darf  ich  wohl  nochmals 
auf  meinen  Aufsatz  hinweisen,  hinsichtlich  Morris  muss  ich  aber  hier  ein  paar  Angaben  machen. 

Morris  ist  der  praktische  Verwirklicher  der  dekorativen  Absichten  der  Schule.  In  Keimscott 
House  vereinte  er  allerhand  Werkstätten,  für  sich,  als  Privatmann  anregend  thätig,  wie  es  einst  für 
den  Staat  die  Fürsten  gewesen  waren.  Gobelins  weben,  bunte  Fenster  malen,  Bücher  drucken  — 
all  das  betrieb  er  mit  den  feinen  Organen  des  Künstlers  und  dem  weiten  Blick  eines  tüchtigen 
Geschäftsmannes.  Ein  unwiderstehlicher  Schaffensdrang  trieb  ihn  vorwärts,  um  die  romantisch  erregte 
Phantasie  zu  künstlerischen  und  kunstgewerblichen  Anstrengungen  umzumünzen.  Er  lebte  und  webte 
in  einer  mittelalterlichen  Welt,  als  Dichter,  als  Zeichner  in  seinen  Einrichtungen.  Und  dabei  war  er 
voll  moderner  Gedanken,  Sozialist  aus  Mitleid  zu  seinen  darbenden  Mitmenschen,  ein  Volksredner, 
der  mit  der  Polizei  öfter  in  Berührung  kam  und  dabei  ein  vornehmer  Mann,  dessen  ganzes  Schaffen  auf 
die  höchste,  die  künstlerische  Verfeinerung   des  Luxus    ausging.     Gemeinsam  mit  Burne  Jones  und  dem 


12 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Architekten  Philipp  Webb 
pflegte  er  den  Geist  des 
Präraffaelitismus ,  den  des 
weitabgewandten  Lebens  in 
der  Tiefe  des  Gedanken  — 
er  der  Mann,  der  in  Merton 
Abbey  eine  Fabrik  ohne 
rauchenden  Schornstein  schuf, 
dessen  Ehrgeiz  es  war,  dass 
diese  auf  die  Neuerungen 
des  Betriebs,  auf  Dampfkraft 
und  Elektrizität  verzichte, 
um  dem  Werth  der  Hand- 
arbeit eine  sachliche  Hul- 
digung darzubringen. 

Vieles  von  Morris'  Wesen 
ist  auf  Crane  übergegangen. 


IValler  Crane.     Studie.    \  .lUe  dei  Molini, 
Amalfi 


Gemeinsam  haben  sie  die 
Liebe  zum  Buch,  die  Biblio- 
philie.  Man  verzeihe  mir, 
wenn  ich  wieder  mit  Meyer's 
Konversations -Lexikon  von 
1874  komme.  Dort  heisst 
es:  Bibliophilie  siehe  Biblio- 
manie;  und  bei  diesem  Stich- 
wort: Die  Sucht  Bücher  zu 
sammeln :  Und  nun  wird  er- 
klärt, dass  es  Leute  gebe, 
die  Bücher  sammeln,  nicht 
um  ihres  Inhalts  wegen, 
sondern  um  der  Nebendinge 
willen,  des  Druckes,  der 
Abbildungen,  der  Einbände, 
und  dass  diese  hauptsächlich 


in  England  zuhause  seien.  Man  sieht  dem  Artikel  an,  dass  sein  Verfasser  sich  über  den  spleenigen 
Britten  erhaben  fühlte,  von  dem  hie  und  da  wohl  die  Zeitungen  erzählten,  er  habe  nicht  Ruhe  ge- 
lassen, bis  man  ihm  die  und  jene  alte  Scharteke  überlassen  habe,  ja  er  habe  einen  lächerlich  hohen 
Preis  für  sie  gezahlt.  Heute  würden  unsere  Sammler  und  Museen  vielleicht  das  zehnfache  zurückzahlen, 
käme  dadurch  das  Buch  wieder :  Vielleicht  sind  wir  nur  suggerirt  vom  Spleen ;  vielleicht  aber  war 
der  Engländer  gar  nicht  so  verrückt,  und  sind  wir  erst  durch  ihn  gescheidter  gemacht. 

Solche  Bücher    kannte    man  eben   in  England.    Unsere  schönen  alten  Bibeldrucke,    die  uns  nur 


«  Raritäten  »  zu  sein 
schienen,  sie  wur- 
den drüben  zum 
Lehrmittel  neuen 
Schaffens !    Crane's 

erwähntes  Buch 
lehrt    uns    deutlich, 
dass     er     bei     den 
«  Bibliomanen  »      in 
die  Schule  ging. 

Im  Jahre  1891 
veranstaltete  er  eine 
Ausstellung  seiner 
Arbeiten    in    « The 


Walter  Crane.    Grande  Marina,   Amalfi 


Eine  Art  Society» 
in  New  Boadstreet 
zu  London.  Es  war 
ein  Zusammenfassen 
seiner  Erfolge  und 
er    selbst    gab    im 

Kataloge  einen 
Ueberblick  über 
diese.  Er  erzählt, 
wie  er  1 865  begann, 
gemeinsam  mit  dem 
Stecher  und  Stein- 
drucker Edmund 
Evans,  sein  erstes 


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Walter  Crane.    Baeehantin 


14  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Buch  «The  Fairy  Ship »  herauszugeben,  dem  dann  «The  Sorg  of  Sixpence»  (1865 — 1866)  folgte. 
Es  war  nur  in  drei  Farben  gedruckt :  Schwarz,  roth  und  blau.  Man  warf  diesen  Büchern  damals  noch 
vor,  sie  seien  nicht  kräftig  genug  im  Ton,  man  fand  nicht  die  protzigen  Farben  wieder,  die  in  den 
üblichen  Kinderbüchern  heimisch  waren. 

Japanisches  sollte  sich  in  ihnen  mit  der  farbigen  Kunst  der  mittelalterlichen  Miniaturmaler  und  mit 
dem  klassischen  Empfinden  Jung-Englands  mischen.  Jetzt  nennt  Crane  die  Bilder  selbst  als  zu  frei  im  Ton 
und  zu  barbarisch  für  jene,  die  durch  Caldecott  und  Greenaway  in  allen  Verfeinerungen  der  Kunstart 
eingeführt  seien.  Gewiss  ist  aber,  dass  dadurch  der  Weg  gewiesen  wurde  für  eine  neue  Aufgabe 
des  Farbendruckes,  dass  die  moderne  Plakatkunst  hier  ihre  ersten  Anregungen  zu  suchen  hat.  Rasch 
folgten  noch  mehr  Bilderbücher:  «Bluebeard»  (1873 — 1874),  «Jack  and  the  Beanstalk»  (1874 — 1875). 
die  Shilling  Picture  Books  (seit  1875),  »Aladdin«,  «Goody  Thwo  Shoes  »,  Beauty  and  the  Beast», 
«The  Frog  Prince»,  «The  Yellow  Dwarf»,  «The  Hind  in  the  Wood»,  «Princess  Belle  Etoile», 
«Alphabet  of  Old  Friends». 

Das  ist  die  lange  Reihe  der  hauptsächlichen  Arbeiten.  Sie  unterscheiden  sich  stark  von  jenen 
Caldecott's !  Bei  diesem  grossen  Humoristen  ist  das  Bezeichnende  die  Hast  des  Stiftes,  der  in 
kurzen  geistreichen  Strichen  Leben,  Bewegung,  Charakter  zu  geben  weiss.  Bei  Crane  ist  alles  Linie, 
Stil,  Ueberlegung,  fleissiges  Studium.  Man  möchte  glauben,  dass  Crane  sehr  eingehend  die  griechischen 
Vasenbilder  nachgezeichnet  habe.  Seine  in  erster  Linie  auf  Umriss  komponirten  Gestalten  klingen  vielfach 
an  diese  an.  Sie  scheinen  zu  gross  für  die  Bildfläche,  sie  müssen  sich  beugen,  um  in  ihr  stehen  zu 
können.  Crane  kommt  es  auf  deutliches  Erzählen  des  Vorganges  mit  allen  seinen  Nebenumständen 
an,  wie  es  so  die  Kinder  lieben.  Crane  ist  nicht  eigentlich  witzig,  wie  es  Caldecott  in  so  hohem 
Grade  ist,  er  ist  nicht  eigentlich  lebendig  und  belebend,  er  hat  etwas  Lehrhaftes,  Doktrinäres  in  seiner 
Kunst  und  in  Allem,  was  er  schafft,  eine  deutliche  Absicht. 

Wenn  er  selbst  seine  älteren  Arbeiten  « barbarisch »  nennt,  so  thut  man  ihm  wohl  nicht  weh, 
indem  man  das  Wort  aufnimmt.  Es  ist  trotz  aller  klassischen  Linienführung,  trotz  der  geraden  Nasen, 
kurzen  Oberlippen  und  rundem  Kinn  ein  nordisches  Geschlecht,  das  er  zeichnet.  Leute  von  sehr 
langen,  vollen  Gliedern:  Kein  Mensch  wird  darüber  in  Zweifel  sein,  dass  es  Engländer  sind,  die  er 
zeichnet.  In  einem  internationalen  Seebade  wurde  einmal  im  Freundeskreise  die  Frag-e  aufg-eworfen, 
ob  man  die  in  den  Wellen  Herumpatschenden  ihrem  Volksthum  nach  zu  unterscheiden  vermöge. 
Das  Ergebniss  waren  ungezählte  Irrthümer.    Wir  erkennen  die  Völker  mehr  an  ihren  Kleidern  oder  doch 

an  der  Art,  sie  zu  tragen,  wie  am  Körperbau.  Bei  Crane's  Gestalten  ist 
es  aber  gerade  dieser,  der  entscheidet,  da  die  Kleidung  meist  eine  ideale 
ist.  Es  giebt  also  eine  gewisse  Schlankheit  der  Form,  eine  vor  weit  aus- 
greifenden Bewegungen  sich  scheuende  Biegsamkeit  der  Körper,  eine 
gewisse  Schämigkeit  in  der  Haltung,  einen  Zug  um  den  grosslinig  ge- 
schwungenen Mund,  der  Jedem  mit  Volkwesen  Vertrauten  das  englische 
Wesen  erkennen  lässt,  nicht  weil  er  dem  Engländer  überhaupt  eigen,  sondern 
weil  er  das  Ideal  seiner  Art  darstellt. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


15 


Die  «barbarische»  Seite  der  Bilderbücher 
liegt  in  der  Farbengebung  und  in  dem  ver- 
hältnissmässig  geringen  Reichthum  des  Aus- 
drucks in  der  Zeichnung.  Die  stilistische  Form 
herrscht  so  vor,  dass  die  Gestalten  im  Grunde 
alle  wie  aus  einer  Familie  stammend  er- 
scheinen. Nach  dieser  Richtung  bedurfte  Grane 
sichtlich  noch  der  Vertiefung  und  zwar  dürften 
hier  für  ihn  die  ersten  70  er  Jahre  von  höchster 
Bedeutung  gewesen  sein,  in  welchen  er  erst 
in  den  vollen  Umfancr  seiner  Thätii^keit  trat. 
Er  war  zwei  Winter  in  Italien  gewesen  und 
hatte  sich  hier  mit  den  Formen  der  Antike 
in  höherem  Maasse  erfüllt.  Unter  den  diesen 
Aufsatz  schmückenden  Bildern  sind  eine  Reihe 
von  damals  und  später  in  Rom  gefertigten 
Studien.  Jeder  hat  das  Recht,  sich  in  der 
Welt  sein  Theil  zu  suchen,  um  es  zu  lieben, 
um  es  bildlich  darzustellen.  In  Italien  sind 
tausende  von  Künstlern  gewesen  und  ist  Stoff 
für  tausende  mehr.  Man  kann  also  wohl  die 
Ziele  des  Einzelnen  an  dem  erkennen,  was 
er  in  Italien  findet :  Jedenfalls  war  es  in  der 
Landschaft  nicht  das,  was  die  Malerei  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  begeisterte. 
Da  ist  wohl  der  Ausblick  auf  St.  Peter  in 
Rom :  Aber  man  braucht  sich  nur  die  Kuppel 
wegzudenken,  um  aus  dem  klassischen  Land 
in  ein  rein  Crane'sches,  aus  der  Campagne 
in  die  Hügel  von  Kent  zu  kommen:  Blühende 
Bäume,  W^eingärten,  eine  gesunde  Freude  an 
der  Fruchtbarkeit ,  am  Schaffen  der  Natur : 
Grane  sieht  die  Blümlein  auf  den  Wiesen  des 
Forums  und  ihm  ist  die  kahle  Rückseite  einer 
Mauer  bei  S.  Francesco  in  Rom  des  Dar- 
stellens  werth,  wenn  darin  ein  Orangenbaum 
volle  Früchte  bietet.  Er  liebt  eine  klassische 
Welt,    aber    eine    solche,    in    der    man    sichs 


Waller  Craiie.    Der  Morgen 


16 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


wohl   sein    lassen    kann,    er    verliert    sich    nicht   in    das    zeitlich    Fremde,    sondern  sucht  es  in    sich  zu 
eigenem  Behagen  aufzunehmen. 

Das  Jahr  1875  brachte  als  Ergebnisse  seiner  Reisen  zwei  Bilderbücher  «Mrs.  Mundi  at  home» 
und  «Amor  vincit  omnia».  Das  eine  eine  allegorische  politische  Satire,  nur  in  Umrisszeichnung: 
Ich  muss  gestehen»  dass  ich  ihr  nicht  allzuviel  Reiz  abzugewinnen  weiss:  Das  andere  die  Darstellung 
einer  Stadt  der  Amazonen,  welche  General  Cupido  mit  seinen  Truppen  belagert;  ein  Werk  voller 
Erinnerungen  an  Italien.  Aus  ihm  heraus  entwickelte  sich  auch  Crane's  erstes  grosses  Bild  « Amor 
vincit    omnia»,   welches    mit    fast    allem    Eigenartigen,    was    die    englische    Kunst    hervorgebracht    hat, 


das  Schicksal  theilte, 
von  der  Ausstellung 
der  Londoner  Aka- 
demie zurückgewie- 
sen zu  werden. 

Es  ist  sehr  merk- 
würdig dieses  erste 
Bild  des  Künstlers, 
der  bisher  für  Kin- 
der gearbeitet  hatte, 
das  heisst  doch  mit 
der  Absicht  lächelnd 
den  noch  Armen  im 
Geist  und  doch  so 
Reichen  in  der  Phan- 
tasie die  für  sie  er- 
dichteten Geschicht- 
lein zu  erklären.  Er 
bleibt  auch  im  Bilde 
im  Kinderton ,  im 
Märchenlande.  Wie 


Walter  Crane.     Studie  für  das  Bild :    Die  vier  Jahreszeiten 


die  Dinge  sich  rehef- 
artig  abspielen,  wie 
die  Landschaft  hin- 
ten, italienischer  Er- 
innerungen voll,  be- 
lebt ist  von  allerhand 
Vorgängen,  wie  jede 
einzelne  Gestalt  hin- 
gestellt ist,  so  dass 
man  sie  völlig  be- 
greife, das  zeigt, 
dass  das  Kinder- 
thum  in  Crane  nicht 
eine  Spielerei  sei, 
dass  es  tief  in  ihm 
steckt.  Ist  die  Ge- 
schichte ,  die  dar- 
gestellt wird,  auch 
aus  allerlei  nur  dem 
Denkenden  ver- 
ständlichen   Bezieh- 


ungen zusammengesetzt,  so  ist  das  Ganze  doch  ein  echtes  Kinderbild:  Man  prüfe  es  neben  vielen 
unter  den  so  selten  geschickt  gewählten  Bilderbüchern  für  die  Kleinen  auf  Deutlichkeit  der  An- 
schauung: Der  schöne  Schimmelreiter,  die  Blasenden,  die  Jungfrau  mit  den  Schlüsseln,  der  besiegt 
knieende  Sieger  I 

Und  weiter  schuf  Crane  in  diesem  Jahre  1875  den  ersten  Entwurf  für  eine  Tapete,  begann 
für  ihn  also  das  Eingreifen  in  das  Kunstgewerbe,  Mit  einem  Schlage  nahm  Crane  Besitz  von  dem 
ganzen  Schaffensgebiet,  welches  er  in  der  Folge  zu  beherrschen  lernte. 

Im  Jahre  1877  erschien  dann  die  englische  «Secession»  siegreich  auf  dem  Plane:  Sir  Lindsay 
schuf  der  nach  öffentlicher  Anerkennung  ringenden  jungen  Künstlerschaft   einen  Ausstellungsraum  und 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


17 


IValier  Crane,    Der  Constantin- Bogen,  Rom 


eine  Organisation  in  der  Grosvenor  Gallery  und  rückte  hiemit  neben  Burne  Jones  auch  Walter  Crane 
in  den  Vordergrund  des  öffentlichen  Interesses. 

Zunächst  einige  weitere  Werke  über  Crane  als  Maler.  Er  äusserte  sich  selbst  über  seine 
Absichten  und  Ansichten  in  einem  in  den  80  er  Jahren  geschriebenen  Aufsatze.  Er  findet 
die  Aufgaben  der  Malerei  neu  gestellt:  Früher  mehr  dekorativ,  habe  sie  jetzt  den  Zweck,  die  Natur 
in  ihren  wunderbaren  Naturerscheinungen,  ihrer  Pflanzen-  und  Farbenpracht  zu  schildern  oder  geschicht- 
liche Ereignisse  und  Vorgänge  im  Volksleben,  oder  auch  die  Verkörperung  romantischer,  poetischer 
Gedanken  und  vieles  Anderes  noch  wiederzugeben.  Aber  das  Hesse  sich  Alles  ebensogut  verwerthen  und 
künstlerisch  zum  Ausdruck  bringen  in  einem  dekorativen  Werke.  Der  Fehler  liege  in  unserer  Art 
Staffeleibilder  zu  malen,  die  nicht  nothwendiger  Weise  in  Verbindung  mit  irgend  einem  anderen  Gegen- 
stand gedacht  seien,  den  Maler  also  auch  nicht  zwängen,  die  Umgebung  seines  Werkes  in  Betracht 
zu  ziehen.  Für  den  modernen  Maler  hat  somit  nichts  von  dem,  was  ausserhalb  der  Leinwand  liegt,  Bezug 
zu  seinem  Kunstwerk.  Die  Unsitte  der  grossen  Ausstellungen  und  Bildergallerien  lehrt  ihn,  dass  es 
zwecklos  sei,  sich  mit  jenseits  des  Rahmen  Liegenden  zu  beschäftigen. 

Zudem  bringe  das  moderne  Verlangen  nach  genauer  bildlicher  Wiedergabe  des  Gesehenen 
den  Künstler  noch  weiter  ab  von  der  architektonischen,  dekorativen  und  konstruktiven  Art  früherer 
Maler  und  Handwerker,  die  ihre  Werke  mit  deren  Umgebung  in  Einklang  zu  bringen  hatten,  meistens 

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18 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


in  einen  gegebenen  Raum  hineinkomponiren  mussten  und  dem  verschiedenartigen  Material  Rechnung 
zu  tragen  genöthigt  waren. 

Crane  spricht  diesen  realistischen  Bildern  den  Werth  ab  und  fordert  statt  den  in  ihnen  herr- 
schenden Wahlspruch  der  Wahrheit,  den  der  Schönheit.  Doch  braucht  diese  nicht  ihrem  Wesen  nach 
der  Wahrheit  zu  widersprechen.  Jedenfalls  sei  für  die  Dekoration  Schönheit  die  Grundbedingung, 
deren  eigentliches  Wesen,  mit  dessen  Verläugnung  sie  zu  sein  aufhöre.  Die  Schönheit  sei  hier  nur 
bedingt  durch  die  Umgebung.  So  dürfe  ein  Freskenbild  an  der  Wand  nicht  die  Empfindung  hervor- 
rufen, als  ob  ein  Loch  in  dem  Gemäuer  wäre,  durch  das  man  zufällig  das  oder  jenes  zu  sehen  bekäme, 
die  Verzierung  einer  Vase  solle  sich  der  konvexen  Form  jener  anpassen,  diese  noch  mehr  zum 
Ausdruck  bringen,  nicht  aber  ihr  widersprechen.  So  solle  ferner  beim  Ausschmücken  einer  Wand  oder 
Thürfüllung  das  verwendete  Motiv  sich  breit  ausdehnend,  diese  wirklich  organisch  bedecken  —  es 
soll  ornamental  wirken,  da  das  der  einzige  Zweck  eines  Ornamentes  sein  könne.  Crane  giebt  hiebei 
vielerlei  zu  bedenken:  Entspricht  das  Muster  dem  Ort,  an  dem  es  angebracht  und  dem  Material, 
auf  dem  es  gearbeitet  ist?  stehen  die  Formen  im  Einklang  mit  der  Umgebung  und  sind  sie  an  sich 
harmonisch?  sind  die  Farben  gut  gewählt?  zeugt  das  Werk  von  Reichthum  der  Erfindung  und  Schön- 
heitssinn? sprechen  sich  in  demselben  Gedanken  und  poetisches  Gefühl  aus?  Sind  diese  Fragen  mit 
Glück  beantwortet,  so  hat  der  Künstler  den  an  ihn  zu  stellenden  Anforderungen  genügt  und  eine 
dekorative  Malerei  geschaffen,  welche  durchaus  keine  untergeordnete  Kunstleistung  sei. 

Freilich  passe  sie  nicht  auf  Ausstellungen,  die  so  wie  so  nur  ein  Nothbehelf  seien,  um  die  Werke 
an  die  Oeffentlichkeit  zu  bringen.  Wirklich  beurtheilen  könne  man  ein  echtes  Kunstwerk  nur  in  der 
Umgebung,  für  die  es  geschaffen  wurde.  Man  müsse  daher  sich  von  den  Einflüsterungen  der  Bilder- 
macher frei  halten,  wolle  man  zu  einer  echt  dekorativen  Kunst  kommen.  Sie  sollen  nicht  Licht-  und 
Luftwirkungen,  mithin  den  Eindruck  grosser  räumlicher  Tiefe  hervorbringen,  sondern  den  Eindruck  des 
Flächenhaften  geradezu  erstreben,  wie  ihn  Fresko  und  Tempera  geben.  Beide  Arbeitsarten  fördern 
schnelles  Malen  und  sofortige    Vollendung    der    Arbeit.     Aehnlich    sei    das    Malen    mit    Oelfarben,    die 


durch  Terpentin 
oder  Benzin  gebun- 
den, auf  nicht  zu 
glattem  Gyps  auf- 
getragen werden. 

Gegen  diese  An- 
schauung, wenn  sie 
zur  Gemeingültig- 
keit erhoben  werden 
sollten ,    Hesse    sich 

gewiss     Vielerlei 
sagen.      Ich     habe 
immer       gefunden. 


IVa/ter  Crane.     \'illa  Ludovisi 


dass  die  Aesthetik, 
welche  die  Künstler 
treiben  im  Grunde 
nichts  ist  als  Erklär- 
ung ihrer  schöpferi- 
schen Eigenart.  So 
auch  hier.  Nicht 
weil  ich  glaube,  dass 

Crane  unbedingt 
recht  habe,  sondern 
weil  er  für  sich  und 
seine  Begabung  das 
Rechte    fand ,    sind 


Walter  Crane.    Lohengrin 


20 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


seine  Erklärungen  für  uns  von  hohem  Werth.  Sie  sind  Erläuterungen  zu  seinen  Bildern.  Diese  stehen 
daher  auch  in  sehr  entschiedenem  theoretischen  Gegensatz  zu  der  Kunst,  mit  welcher  der  Prärafifaelis- 
mus  als  eine  ausgesprochen  realistische  Schule  anfing.  Der  dort  eingeschlagene  Weg  ist,  wie  so  oft, 
der  gleiche  wie  in  andern  Kunstschulen.  Der  Realismus  ist  die  Vorstufe,  die  zum  neuen  Idealismus  führt 
und  dieser,  als 
die  Blume  des 
Realismus  trägt 
für  Spätere  die 
Frucht  der  Vor- 
bildlichkeit. 
Aber  mit  der 
Vollendung  der 
Frucht    verfällt 

die    ganze 
Pflanze.  Es  be- 
darf nun  wieder 
eines  neuen  Re- 
alismus,    eines 

neuen   Früh- 
lings ,    um    aus 

allerlei   alten 
Keimen  Lebens- 
kräftiges zu  ent- 
wickeln. 

Folgen  wir 
der  Reihe  von 
Crane's  Bildern, 
soweit  diese  hier 
zur  Darstellung 
gebracht  wer- 
den kann. 

Der  «Raub 
der      Europa»  """"  "'""'•   ""'"""  Die     Allegorie 

i.st  klar  und  sachlich  durchgeführt.  Unter  der  zerbrechlichen  Brücke  das  Boot  des  Lebens  und  des 
Todes:  Aus  einem  landet  das  junge  Leben,  ersteigt,  geleitet  von  den  Eltern  die  Stufen,  wird  von 
den  Alten  belehrt,  schreitet  spielend  und  liebend  empor  bis  zum  Höhepunkt,  wo  die  Tromete  der 
Ehre  erklingt,  die  Weltlust  sich  anhängt,  die  Schönheit  den  Becher  füllt  und  die  Hingabe  sich  an 
den  reifen  Mann  schmiegt.    Glück  und  Ruhm  locken  den  Verweilenden  weiter,  er  packt  sich  die  Lasten 


wurde  1881 
theilweise  in  Ita- 
lien gemalt,  in 
England  vollen- 
det. Gemalt  auf 
rauhem  Gips- 
grund sucht  es 
mit  Entschie- 
denheit im  Ton 
der  italienischen 
Fresken  sich  zu 
halten.  Italie- 
nisch sind  auch 
die  Motive  des 
Hintergrunds, 
die  vollere,  mus- 
kelreichere Be- 
handlung des 
nackten  weib- 
lichen Körpers. 
Die  «  Brücke 
des  Lebens » 
dankt  auch  dem 
Aufenthalt  in 
Rom  ihre  Ent- 
stehung, wurde 

jedoch    erst 
1884  vollendet. 


Wal/er  Crane.    Freiheit 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


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IValler  Crane.    Skizze  zu  dem  Gemälde :    Das  Nahen  des  Frühlings 


der  unduldsamen  Welt  auf,  Loth's  Weib  wendet  sich  sorgend  zurück,  bis  das  Alter,  das  schon  zum 
Nachen  des  Todes  hinabschaut,  selbst  Stütze  an  der  Jugend  suchen  muss.  Nur  die  Hoffnung  hält  noch 
ihr  Lämpchen  empor,  obgleich  der  Weg  schon  die  Stufen  hinabführt  —  bis  der  Todte  im  Nachen 
liegt  und  Atropos  den  Faden  zerschneidet,  den  ihre  Schwester  Clotho  bei  der  Landung  des  Kindleins 
knüpfte  und  die  über  der  Jugend  thronende  Schwester  Lachesis  fortspann. 

Es  ist  ein  merkwürdiges  Bild !  Nicht  der  Gedanke  ist's,  der  mich  packt.  Der  hat  etwas  Aus- 
geklügeltes, Gelehrtenhaftes.  Nicht  die  Komposition,  die  nicht  immer  frei  ist,  und  die  auch  ihrerseits 
zeigt,  dass  Crane  es  sich  nicht  leicht  werden  Hess,  nicht  das  ausserordentlich  vertiefte  Naturstudium. 
Die  Umrisslinie  herrscht  in  alter  Gewalt  im  Bilde,  aber  der  Umriss  ist  unendlich  viel  reicher  geworden 
und  die  Fläche  innerhalb  seiner  Grenzen  hat  Bewegung,  Fluss,  Körperhaftigkeit  gewonnen.  Das  Merk- 
würdigste scheint  mir  die  stilistische  Kraft,  die  hier  zuerst  Crane  auch  im  Geschichtsbild  ganz  er  selbst 
sein  lässt,  und  zwar  um  so  stärker,  als  er  .selbst  dieses  Bild  als  Frucht  des  Auflebens  des  Einflusses 
der  Antike  und  der  Renaissance  in  Zeichnung  und  Auffassung  kennzeichnet,  und  er  in  ihm  trotzdem  so 
erstaunlich  englisch  bleibt. 

Wie  Goethe  in  Italien  die  Hexenscene  seines  Faust  schrieb,  wie  ihn  inmitten  der  klassischen 
Welt  die  schwankenden  Gestalten  der  Romantik  nahten,  so  ist  dem  Engländer  Rom  mit  Keat's  Name 
und  Dichtungen  auf's  Engste  verknüpft.  Crane  fand  in  seinem  Bilde  « La  belle  Dame  sans  Merci » 
{1889),  die  Keat  nachgedichtet  wurde,  den  Ausdruck  für  diese  Welt.  Das  Bild  ist  sehr  farbig,  fast 
bunt.  Wie  Holman  Hunt  sieht  Crane  jede  Einzelheit  der  Natur  mit  scharfem  Auge.  Die  Blumen  auf  der 
Wiese,  die  mit  botanischer  Genauigkeit  gemalt  sind,  wie  den  Schmuck  an  der  schönen  Frau,  dem  gepanzerten 
Ritter,  am  Sattelzeug  des  Pferdes.  In  diesem  Sinn  fühlt  er  sich  als  Realist.  Er  ist  es  auch  schon  mehr 
als  früher  hinsichtlich  der  Luft-  und  Lichtwirkungen.  Der  aufziehende  Mond  beherrscht  die  Landschaft. 
Trotzdem  ist  das  Bild  durchaus  dekorativ  empfunden,  obgleich  es  dem  widerspricht,  was  wir  mit  diesem 
Namen  bezeichnen  :   nämlich  flott  und  breit  gemalt,  skizzenhaft  nur  auf  Massenwirkung  berechnet. 


22  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Derselben  Zeit  gehören  eine  Reihe  von  Darstelhingen  einzelner  Frauengestalten  an.  Die  Vor- 
studien für  diese  Arbeiten  müssen  den  Künstler  sein  ganzes  Leben  hindurch  begleitet  haben.  Man  sehe 
die  Reihe  sorgfältiger  Gewandstudien  durch,  in  welchen  zunächst  noch  das  Bildnissmässige  stärker  sich 
äussert,  als  in  den  ausgeführten  Arbeiten.  Sie  sind  selten  mehr  als  grau  in  grau,  meist  in  mit  Weiss 
gehöhter  Zeichnung  dargestellt,  Zeugnisse  dafür,  dass  Crane  plastisch  sieht  und  dass  ihm  das  Malen 
ein  Uebersetzen  der  Form  in  Farbe  ist.  Nicht  ohne  Grund  rühmt  er  die  alten  deutschen  Holzschneider 
und  ihr  «Clairobscur»,  das  Zeichnen  mit  Weiss  auf  schwarzem  Grund,  da  er  es  selbst  bei  seinen  Ent- 
würfen anzuwenden  liebt.  Es  scheint  diese  Kunstart  durch  bei  Bildern  wie  die  «Quelle«,  «Flora» 
und  anderen,  die  im  Ton  kaum  über  das  Fresko  hinaus  gehen,  in  der  Behandlung  durchaus  als  «Paneel», 
als  eine  gemalte  Füllung,  wirken.  Als  Dekoration  muss  man  auch  seine  « Schwanenjungfrauen » 
(1894)  auffassen,  die  lieblichen  Mädchen,  die  sich  nach  dem  Bade  in  ihr  Schwanengewand  werfen,  um 
sich  in  die  Lüfte  zu  erheben.  Ich  missverkenne  die  Schwächen  des  Bildes  nicht.  Die  Beine  der 
stehenden  Jungfrau  sind  länger  als  selbst  für  eine  Engländerin  gut  ist,  die  Gestalten  erscheinen  nach 
Art  des  japanischen  Musterzeichners  auf  der  Fläche  vertheilt,  so  dass  die  Absichtlichkeit  der  An- 
ordnung nicht  gerade  angenehm  auffällt,  die  weitgespannten  Flügel  sind  ein  sehr  bequemes  Mittel, 
eine  gute  Raumvertheilung  zu  erhalten,  die  einzelnen  Gestalten  sind  sich  sehr  ähnlich,  sie  sind  sehr 
keusch,  fast  Poyeter'isch  geschlechtslos.  Man  möchte  Crane  das  spanische  Sprichwort  zurufen :  Mehr 
Knoblauch  in  die  Brühe !  —  wenn  es  überhaupt  gut  wäre,  über  Schwanenjungfrauen  zu  streiten  wenn 
das  Bild  mehr  sagen  wollte,  als  wie  Crane  sich  diese  vorstellt.  Gerade  das  Phantastische  deckt  die  Eigenart 
des  Bildes.  Aehnlich  an  einem  der  neuesten  Werke,  dem  «Morgen»,  der  1896  auf  der  Dresdener  Aus- 
stellung zu  sehen  war.  Den  eigentlichen  Reiz  kann  die  Photographie  nicht  vollständig  wiedergeben,  er 
liegt  in  dem  dämmernden  Roth  auf  duftigem  Blau,  im  malerischen  Kampf  zwischen  Morgenröthe  und 
weichender  Nacht.  Jenes  Geschlecht  schlafender  Mädchen,  welche  die  kommende  Sonne  erweckt,  steht 
ausserhalb  des  Menschenthums,  es  ist  selbst  ein  Duftgebilde. 

Friesartig  erscheint  das  liebliche  Bild  der  « Maienkönigin »  in  ihrem  Zuge  auf  von  Gazellen 
gezogenen  Wagen,  ihrem  Gefolge  von  jungem  Volke  und  jungem  Vieh.  Das  was  immer  wieder  an  diesen 
schlichten  Bildern  anzieht,  ist  die  Kindlichkeit,  die  Harmlosigkeit  der  Auffassung.  Es  steckt  etwas 
Märchenhaftes  in  dieser  Kunst  Crane's,  etwas  Traumseliges,  Weitabgewendetes.  Wenn  man  bedenkt, 
dass  derselbe  Mann  mitten  im  gewerblichen  Leben  unserer  Zeit  steht,  als  ein  Kämpfer  für  die  Werth- 
schätzung  der  Künstler,  wenn  man  erfährt,  dass  er  gleich  Morris  seinen  politischen  Bestrebungen  nach 
Sozialist  ist,  so  wird  es  einem  nicht  ganz  leicht,  sein  Schaffen  zu  verstehen,  es  sei  denn,  dass  es  eine 
Verneinung  unserer  an  Schönheit  verarmten  Welt  bedeute.  Und  so  kann  man  sich  vorstellen,  wie 
der  sozialistische  Künstler  für  Waffenkampf,  Ritterwesen,  antikes  und  feudales  Herrenthum  sich  be- 
geistert. Viele  seiner  romantischen  Figurenbilder  wirken  ja  auch  in  erster  Linie  dekorativ.  Seinen 
«  Pegasus  »  könnte  man  der  Metope  eines  dorischen  Tempels  entlehnt  glauben.  Im  gleichen  Sinn  die 
«Schicksalsrolle»  1882,  ein  Bild,  das  mir  etwas  zu  geistreich  ist,  auf  dem  man  lesen  muss  und  zwar 
lateinisch,  zu  dem  man  eine  Erklärung  braucht,  während  die  Gestalten  selbst  schweigen.  Der  Drang 
nach  der  Tiefe  führt  hier  Crane  nach  Art  der  verflossenen  deutschen  Kunst  ins  Litterarische,   in  das. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


23 


was  besser  geschrieben  als  gemalt  wird.  Einen  sozialistischen  Hintergedanken  hat  wohl  auch  das 
prächtige  Bild  «Englands  Wahrzeichen«,  Freilich  ist  es  nicht  ein  solcher,  wie  etwa  Singer  oder 
Liebknecht  ihn  hervorbringen  würden.  England  als  mittelalterlicher  St.  Georg,  als  Heiliger,  als  feudaler 
Herr  rennt  auf  prächtig  ausholendem  Schimmel  gegen  den  über  Menschenleichen  fauchenden  Drachen 
an.  Im  Hintergrund  qualmende  Fabriken,  Soll  St.  Georg  sie  vom  Drachen  des  Kapitalismus  befreien  ? 
Vielleicht  ist  es  ein  Mangel  meiner  sozialpolitischen  Einsicht,  dass  ich,  an  deutsche  Sozialisten  gewöhnt, 
mir    einen    «Genossen»    nicht    als    von    starkem  Vaterlandsgefühl    beseelt    denken  kann,    vielleicht    ist 


es  aber  auch  ein 
Mangel  in  meinem 
Kunstverständniss, 
dass  ich  mir  die 
Frage  nach  dem  In- 
halt oder  vielmehr 
der  Nebenbedeut- 
ung des  Bildes  erst 
im  Schreiben  vor- 
lege. Bisher  sah  ich 
das  Bild  mit  Kinder- 
augen an  und  freute 
mich  am  starken 
Pferd,  dem  gewand- 
ten Reiter,  an  der 
lustigen  Farbe,  wie 
ich  —  offen  gestan- 
den —  auch  Keat's 
Romanze  von  der 
Belle  Dame  sans 
Merci  nicht  gelesen 
habe  und  darum 
Crane's  Bild  aus 
dieser  nicht  weniger 


glaube  verstehen  zu 
können  —  als  Bild  ! 
Der  «  Wagenlauf 
der  Stunden  »  (The 
Chariot's  of  the 
Hours)  ist  Crane's 
in  Deutschland  wohl 
bekanntestes  Bild ; 
1887  gemalt,  er- 
schien es  1891  auf 
der  Internationalen 
Ausstellung  in  Ber- 
lin. Es  ist  zugleich 
eines,  das  die  pho- 
tographische Wie- 
dergabe fast  in  sei- 
ner malerischen 
Wirkung  erreicht, 
da  es  mit  kräftige- 
ren Lichtwirkungen 
arbeitet,  die  Leb- 
haftigkeit der  Be- 
wegung,  der  Fluss 

Wal/er  Crime.    Studie  für  das  liild:    Em  Bote  des  Frühlings  rIprPn   1-       f     '   H 

in    voller    Deutlichkeit    zur    Schau    kommt.     Aehnlich    «Neptuns  Pferde»    (1893)    die    Darstellung  der 
Wogen  als  ansprengender  Rosse. 

Bei  Würdigung  des  Malers  Crane  darf  man  nie  dessen  Vielseitigkeit  ausser  Acht  lassen.  So 
seine  Leistungen  als  Musterzeichner :  Er  hatte  erfahren  müssen,  dass  ein  pfiffiger  Tapetendrucker  die 
Zeichnungen  aus  seinem  Bilderbuch  «The  Babys  Opera»  zu  einem  Muster  für  seine  Waaren  benutzt, 
eine  Tapete  für  Kinderzimmer  daraus  gefertigt  hatte.  Das  Buch,  1877  erschienen,  war  eines  der 
grössten  Erfolge  Crane's  gewesen,  später  gefolgt  von  dem  verwandten   «The  Babys  Bouquet»   (1879) 


24 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


und  dem  künstlerisch  noch  höher  stehenden  «Pan  Pipes»  (1882)  und  «Babys  Own  Aesop»  (1886)  zeigen 
deutlich  Caldecotts  und  Greenaway's  Einfluss  an  der  farbigen  Behandlung.  Sie  wird  schlichter  bei 
wenigen,  leichter  behandelten  Farben,  doch  reicher  in  der  Wirkung,  die  Zeichnung  klassischer,  trotz  des 
modernen  Gewandes,  die  Stilisirung  freier  von  Gewaltsamkeiten.  « Floras  Feast  »  (1888)  und  «Queen 
Summer»  (1891)  gehen  immer  weiter  in  der  freien,  eigenartigen  duftigen  Behandlung,  in  der  Ueber- 
windung  dessen,  was  Crane  selbst  das  Barbarische  an  seinen  ersten  Arbeiten  nannte,  führen  ihn  immer 
mehr  in's  Wunderland.  So  ist  in  Queen  Summer  das  Turnier  zwischen  Rose  und  Lilie  in  einer  Fülle  der 
reizvollsten  Kompositionen,  mit  ächtestem  Dichterthum  dargestellt,  voll  einer  Romantik,  die  uns  Deutsche 
wunderlich  an  unsere  eigene  Zeit  der  sanften  Helden  und  der  duftigen  Ritterfräulein  mahnt :  Zu  Floras 
Feast  dichtete  er  selbst  die  Reime,  zu  dem  letzten  Hauptwerk  « Echoes  of  Hellas »  Hess  er  einem 
anderen,  F.  G.  Warr,  die  erklärenden  Verse  beifügen,  hier  das  Griechenthum  mit  neuenglischem  Geist 
durchwirkend,  den  Fall  von  Ilion  und  Oreste.s'  Irrfahrt.  Das  ist  sehr  geistreich,  sehr  fein  empfunden, 
von  ausserordentlicher  Schönheit  der  Linienführung :  Dazu  in  Umdrucken  nach  des  Künstlers  eigener 
Federzeichnung,  ächteste  unmittelbare  Zeugnisse  seiner  Kunstart.  Aehnlich  das  nur  in  einem  Ton  ge- 
druckte  «Book  of  Wedding  Days»   (1889). 

Jener  Tapetendrucker  hatte  zwar  wenig  Rücksicht,  aber  gutes  Verständniss  des  Marktes  gezeigt, 
indem  er  Crane's  Zeichnungen  sich  schlankweg  für  seine  Zwecke  aneignete.  Bald  nahm  der  Künstler 
selbst  ähnliche  Arbeiten  auf  und  zeichnete  für  Mr.  Metford  Warner  oder  dessen  Firma  Messrs. 
Jeffrey  &  Co.  eine  Reihe  höchst  merkwürdiger  Tapeten.  Sie  haben  alle  Namen :  « The  Margarete » 
(1875)  mit  einem  Fries  aus  allegorischen,  des  alten  Chaucers  Dichtungen  entlehnten  Gestalten, 
«The  House  that  Jack  Built«,  anschliessend  im  Text, 
nicht  in  der  zeichnerischen  Darstellung  an  Caldecott's 
berühmtes  Bilderbuch,  «Corona  Vitae»,  «The  Fairy 
Garden»  und  wie  sie  alle  heissen,  namentlich  aber  des 
Pfauenmuster  und  solche,  die  für  bestimmte  Gebäude, 
für  die  arabische  Halle  des  Malers  Sir  Frederic 
Leighton,  für  Mr.  Stuart  Hodgson  geschaffen  werden. 
Der  Aesthetiker  hat  wohl  mancherlei  gegen  diese 
Tapeten  und  gerade  ihren  Reichthum  an  Gedanken  zu 
sagen :  « The  Hoüse  that  Built »  giebt  ein  dekorativ 
dargestelltes  Haus  wieder,  vor  dem  die  in  der  kleinen 
Geschichte  so  bedeutungsvolle  Kuh  steht;  ferner  Hahn, 
Hund,  Katze,  ein  vor  gothischer  Architektur  stehender 
Mönch,  das  Milchmädchen  und  der  Held  der  Geschichte 
vor  ihm  knieend,  die  Hand  zum  Veriöbniss  gereicht. 
All  das  sehr  stark  stilisiert,  sehr  geschickt  ineinander 
komponirt,    aber   doch    auf  einer   Wand    hundertfach 

wiederholt,    so    daSS    die  Vielheit  der  Darstellung  deren  Walter  Crane.    Studie  zu  dem  Bilde :  Das  Nahen  des  FrUhlmgs 


Walter  Crane  pini. 


Phot.  F.  Hanfataengl,  Mönchen 


Die  Wasserlilie 

Original  im  Besitz  des  Herrn  Commerzienrath  E.  Seeger  in  Berlin 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


25 


.K.    -  ;»;.-« 


Walltr  Crane.    Rom  vom  Monte  Parioli,  im  Frühjahr 


geistigen  Werth  beeinflussen  muss:  Es  kommen  eben  hundert  von  Häusern,  Verlobungen,  krähenden 
Hahnen  auf  eine  mit  der  Tapete  beklebte  Mauerfläche,  es  tritt  dadurch  das  Maschinenmässige  der 
Herstellung  mit  harter  Deutlichkeit  vor  das  Auge  des  Beschauers,  es  widerspricht  das  Ganze  dem  Streben 
nach  Wirkung  der  künstlerischen  Handarbeit,  für  die  Crane  so  viel  Thatkraft  und  Eifer  einsetzte. 

Er  stellte  sich  an  die  Spitze  einer  Bewegung,  die  dem  zeichnenden  Gewerbekünstler  öffentliches 
Ansehen  und  das  Recht  verleihen  will,  dem  Werk  der  Industrie  seinen  Namen  mit  auf  den  Weg  in  den  Handel  zu 
geben.  Er  schuf  Ausstellungen,  in  welchen  nicht  der  Fabrikant,  sondern  der  Zeichner  die  Gewerbeerzeugnisse, 
zu  denen  er  den  Gedanken  gab,  vorführte.  Die  dekorativen  Künstler  und  Handwerker,  schrieb  er  im  Vorwort 
zur  ersten  von  diesen,  haben  bisher  nur  wenig  Gelegenheit  gehabt,  ihre  Arbeiten  dem  grossen  Publikum 
vorzuzeigen,  um  dessen  künstlerisches  Urtheil  anzurufen,  wie  es  die  Maler  thun.  In  einer  Zeit,  in  der 
Jeder,  der  die  Mittel  dazu  besitzt,  sein  Haus  künstlerisch  auszuschmücken  sucht  und  in  der  man  sich 
mehr  denn  je  um  die  Künste  kümmert,  jedenfalls  mehr  von  ihnen  spricht,  weiss  man  von  den  Schöpfern 
und  Zeichnern  der  uns  umgebenden  kunstgewerblichen  Gegenstände  nichts.  Bei  der  heute  üblichen 
Schaffensweise  wird  unstreitbar  der  Werth  des  Einzelnen,  welcher  so  wichtig  bei  allen  künstlerischen 
Aeusserungen  ist,  zu  sehr  in  den  Hintergrund  gedrückt,  der  Handel,  die  Maschinen,  die  Fabriken 
haben  sich  mit  rein  kaufmännischen  Absichten  der  Leitung  bemächtigt,  geschickte  Handelsleute 
haben  den  Markt  künstlich  heraufgeschraubt,  sie  haben  sich  gegenseitig  die  Erfindung  irgend  einer 
eigenartigen  Form,   die   dann    für   kurze  Zeit   das    modernste    und   allerneueste   war,   streitig   gemacht. 

II  4 


26 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Diese  Sucht  nach  etwas  Anderem,  noch  nie  Dagewesenen,  vertritt  in  unseren  Tagen  nur  zu  oft  die 
Stelle  von  künstlerischem  Geschmack  und  wahrer  Liebe  zur  Kunst.  Wenn  wir  aber  unsere  Theilnahme 
nur  auf  Gemälde  und  die  zeichnenden  Künste  beschränken,  so  liegt  die  Gefahr  nahe,  dass  wir  den  Sinn 
für  das  Entwerfen,  für  das  Formen  verlieren,  jenen  Sinn  für  das  Anpassen  des  Stoffes  zum 
darzustellenden  Gegenstand,  das  Gefühl  für  die  Verwandtschaft  des  Stoffes  zum  Kunstwerk,  aus  dem 
heraus  die  grossen  Schöpfungen  der  Vergangenheit  entstanden  sind. 

Die  Grundlage  für  jede  Kunst,  sagt  Grane,  liegt  im  Handwerk ;  nur  wenn  der  Handwerker  ein 
wirklich  künstlerisches  Empfinden  besitzt,  wenn  er  durch  seinen  Geist  selbst  dem  an  sich  unwichtigsten 
Gegenstand,  dem  einfachsten  Material  ein  künstlerisches  Gepräge  zu  geben  weiss,  das  ebenso  hoch  steht 
wie  die  Fähigkeit  gute  Bilder  zu  malen,  ist  die  Kunst  in  einem  normalen,  gesunden  Zustand. 
Wenn  unter  den  Handwerkern  keine  Künstler  mehr  zu  finden  sind,  dann  werden  sie  auch  sonst 
verschwinden  und  sich  in  Kaufleute  und  Fabrikanten  verwandeln. 

Durch  die  sogenannten  «  Arts  and  Graft  Exhibitions  »  suchte  Crane  diesem  Schaden  zu  begegnen. 
Eine  Menge  von  Schwierigkeiten  war  zu  beseitigen.  Es  war  bei  der  gewerblichen  Sachlage  in  England, 
wie  anderwärts,  nicht  immer  leicht,  den  wirklichen  Schöpfer  und  Zeichner  ausgestellter  Objekte  heraus- 
zufinden, um  ihm  und  seiner  Thätigkeit  gerecht  zu  werden.  Meist  haben  eine  ganze  Reihe  Künstler 
an  einem  Gegenstand  gemeinsam  gearbeitet;  mehrere  grosse  leitende  Firmen  wollten  sich  nicht  der 
Bedingung  fügen,  bei  jedem  Gegenstand  anzugeben,  wer  ihn  entworfen  und  erfunden  habe.  Unter  den 
Handwerkern  fanden  sich  nur  Wenige,  die  unabhängig  und  mit  persönlichem  Selbstbewusstsein  für 
ihre  Werke  einstanden.  Es  ist,  schreibt  Crane  weiter,  jedenfalls  nicht  richtig,  die  Spitze  eines  Baumes 
zu  begiessen,  wenn  die  Wurzel  nach  Nahrung  verlangt,  und  selbst  ein  ungünstiges  Ergebniss  seiner 
Untersuchung  des    künstlerischen  Gesundheitszustand  schien    ihm  besser,  als  gänzliche  Ungewissheit. 

Mein  Freund  Peter  Jessen,  der  kundige  Direktor  der 
Bibliothek  des  Berliner  Kunstgewerbe -Museums,  hat  Crane  für 
Deutschland  eine  neue  Bedeutung  gegeben ,  indem  er  meinem 
Rathe  folgend,  ihn  aufforderte,  einmal  eine  Serie  seiner  Arbeiten 
zur  öffentlichen  Ausstellung  herüberzuschicken.  Es  kamen  deren 
eine  grosse  Zahl :  Fast  alle  die  Originale  für  seine  Illustrationen, 
mehrere  selbständige  Bilderund  es  fand  sich  in  Ernst  Seeger 
auch  ein  Kunstfreund,  der  mehrere  von  diesen  auf  deutschem 
Boden  festhielt.  Seitdem  haben  Crane's  Gemälde  auf  deutschen 
Ausstellungen  eine  Anerkennung  gefunden,  die  ihnen  in  England 
nicht  in  immer  gleichem  Maasse  zu  Theil  wurden.  Bietet  er 
doch  das,  wonach  auch  wir  in  so  vielerlei  Ansätzen  streben: 
Eine  eigenartige  Erscheinung  im  Kunstleben  seines  Volkes,  die 
von  gewerblicher  Grundlage  zur  hohen  Kunst  sich  aufrichtete, 
ohne  je  diese  Grundlage  zu  verleugnen :  Ein  Künstler  mit 
dekorativem  Streben. 


Walttr  Crane.    Studie  für  ein  Bild: 
Die  vier  Jahreszeiten 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


27 


Seit  jene  beiden  Berliner  Herren  mich  verliessen,  hat  englisches  Gewerbe  einen  mächtigen,  wohl 
gar  zu  mächtigen  Einfluss  auf  unser  Schaffen  erhalten.  Nicht  zum  mindesten  das  was  Crane  erstrebt 
hat.  Er  würde  wohl  der  Letzte  sein,  der  uns  den  Rath  gäbe,  seinen  Bahnen  zu  folgen.  Zum  Leiter 
der  Kunstschule  in  Manchester  berufen,  wird  er  uns  ein  gefährlicher  Rivale  auf  der  nächsten  Welt- 
ausstellung werden,  dem  wir  nicht  werden  Stand  halten  können,  wenn  wir  ihn  nachahmen.  Aber  es 
steckt  in  ihm  so  viel  Germanisches,  so  viel  dem  Deutschen  Verwandtes,  dass  wir  sein  Schaffen  tiefer 
fassen  können,  als  durch  Nachahmung.  In  dem  Selbstbesinnen,  in  dem  Verlassen  auf  den  eigenen 
Geschmack,  in  dem  Durchdringen  der  Form  mit  volksthümlichem  Geist  liegt  das,  was  an  ihm  uns 
allein  vorbildlich  sein  sollte. 

Eines  der  schönsten  Blätter,  die  Crane  für  den  Holzschnitt  schuf,  ist  in  Erinnerung  an  den 
internationalen  Feiertag,    den    i.  Mai    1891:    Voraus  auf  geflügelten,    von  Genien  gefasstem  Ross   der 


Walter  Crane.    Die   Wahrheit  und  der  Wanderer 


Standartenträger,  dahinter  Arbeiter  mit  phrygischer  Mütze  und  dem  Banner:  «  Liberty,  Equality, 
Fraternity»,  hinter  schwerem  Ochsengespann  ein  Leiterwagen  mit  den  Aufschriften:  «Arbeit  ist  die  Quelle 
des  Wohles«,  «Wacht  Arbeiter  über  die  Einigkeit  aller  Länder»;  neben  ihnen  ein  Reiter  mit  der 
Fahne  « Oekonomische  Freiheit»,  Singende,  Tanzende,  Flötende  als  Begleitung.  Zwei  Mädchen  halten 
den  Globus  empor,  der  die  Inschrift  trägt:  «Die  internationale  Solidarität  der  Arbeit»,  die  Männer  im 
Wagen  helfen  sie  mit  erhobenen  Händen  stützen,  lieber  dem  Blatt  die  Inschrift:  «Der  Triumpf  der 
Arbeit».  Ein  Blatt  voll  Kraft,  voll  Leben,  voll  Schönheit,  unverkennbar  gezeichnet  mit  dem  Herzblut 
des  Künstlers. 

Seither  sind  sieben  Jahren  vergangen.  Ich  weiss  nicht,  ob  Crane  jetzt,  nachdem  auch  unter 
den  Arbeitern  gerade  im  Londoner  Kongress  von  1896  sich  der  nationale  Zwiespalt  so  stark  äusserte, 
noch  hofft,  dass  der  Kampf  von  Volk  zu  Volk,  der  Kampf  der  Waffen  wie  jener  nicht  minder  erbittert, 
wenn  auch  auf  Ausstellungsbanketten  der  «friedliche»   genannte  Kampf  des  Gewerbes  und  der  Arbeit, 


28  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

einst  werde  beseitigt  werden  können.  Ob  er  noch  auf  die  Gleichheit  der  Menschen  hofft,  er,  dessen 
ganzer  Werth  darin  liegt,  dass  er  den  Anderen  ungleich  ist ;  ob  er  mit  seinen  Landsleuten  uns  Deutschen 
nicht  verzeiht,  dass  wir  den  Weltmarkt,  ihnen  freilich  zum  Schaden,  zu  erobern  trachten;  dass  wir  das 
internationale  Ringen  um  das  Brod  der  Fabrikarbeiter  aufnehmen,  in  dem  zwar  keine  Kugel,  wohl 
aber  der  Hunger  nicht  minder  fruchtbar  Wunden  schlägt;  ob  er  noch  träumt  ein  System,  eine  wirth- 
schaftliche  Neuordnung,  werde  alle  diese  Schäden  beseitigen  können  und  wenn  es  dies  könne,  die 
Masse  werde  diese  Ordnung  zweckmässig  durchführen  können. 

Ich  halte  mich  an  seinen  heiligen  Georg.  Der  gepanzerte  Wille  und  der  Kampfesmuth  des 
Einzelnen  wird  den  Drachen  niederwerfen.  Wohl  dem  Volk,  das  herzhafte  Manneskraft  hochhält  und 
es  verträgt,  dass  Einer  Herr  seil  In  friedlichen  Schlachten,  wie  die  kriegerischen,  siegt  nicht  der 
Haufe,  sondern  der  befehlende  Wille.  Das  muss  doch  wohl  einem  Manne  klar  werden,  der  durch 
eigene  Kraft  ein  Herr  geworden  ist  in  seinem  Gebiet,  dem  die  Erkenntniss  sich  sicher  aufdrängt,  dass 
nicht  der  gemeinsame  Wunsch  Vieler,  sondern  die  leitende,  andere  in  ihrem  Thun  bestimmende  Kraft 
weniger  Starker  den  Triumpf  der  Arbeit  herbeiführt. 

Mir  fehlt  ein  Bindeglied,  um  den  Gedanken  zu  begreifen,  dass  ein  so  eigenartiger  Künstler,  wie 
Grane  hoffen  kann,  das  von  ihm  so  heiss  umworbene  Gebiet,  die  Kunst,  um  mich  fachmässig  auszu- 
drücken, durch  planmässig  kollektivistische  Produktionsweise  an  Stelle  der  individualistischen  besserer 
Zukunft  zugeführt  zu  sehen. 

Oder  schaut  hier  das  Kinderthum  des  Meisters  durch  die  politische  Maske :  Verliert  er  sich 
so  gern  in  Träume  einer  schöneren  Zukunft  als  in  Träume  reicherer  Vergangenheit:  Und  glaubt  er 
so  redlich  an  Träume  —   hier  wie  dort?  —    — 


Walter  Crane.     Skizze  vom  Charles  River,  Concord, 
Mass.  U.  S.  A. 


Walter  Crane  piDx 


Ptiot.  f   UaufHUeugl,  Müucheii. 


In  den   Wolken 

Original  im  Besitz  des  Herrn  Commerzienrath  E.  Seeger  in  Berlin 


Walter  Crane  piiix. 


Phot.  F.  IIuLf^UiLUi;!.  iHiai;hfU 


Pegasus 


BENJAMIN  VAUTIER  t 


VON 


HEINRICH  ROTTENBURG 


Die  Leser  dieser  Hefte  haben  aus  anderer  Quelle  wohl  längst  den  Tod  Benjamin  Vautier's, 
des  grossen  und  populären  Künstlers,  erfahren,  der  am  25.  April  d.J.  in  Düsseldorf  von  hinnen 
geschieden  ist.  Man  braucht  gar  kein  wüthender  Verächter  der  Menge  zu  sein,  um  zu  wissen,  wie 
selten  die  beiden  Epitheta  «gross  und  populär»   auf  einen  Künstler  zutreffen;   das  wahrhaft   Grosse 


in  der  Kunst  ist  eben  fast 
nie  der  breiten  Volks- 
masse mundgerecht  zu 
machen  und  sie  wird  es 
nur  dann  ganz  erfassen 
und  mitempfinden,  wenn 
es  so  tief  im  Herzen  und 
im  Geiste  des  Volkes 
wurzelt,  wie  bei  Benjamin 
Vautier  und  den  anderen 
deutschen  Genremalern 
von  seinem  Range,  einem 
Knaus,  einem  Defregger, 
einem  Grützner.  Benjamin 
Vautier,  der  Meister  mit 
dem  französischen  Namen 
ist  als  Künstler  urdeutsch ; 
deutsch  ist  seine  Empfind- 
ung, sein  Stoffgebiet,  seine 
Formengebung  und  Far- 


Bcnjamiii    Vautier 
Originalaufuahme  von  Franz  Hanfstaengl 


bensprache,  deutsch  sein 
Gemüth  und  sein  Humor. 
Es  wurde  schon  manche 
Feder  stumpf  geschrieben 

über  Untersuchungen, 
warum  gerade  die  eigent- 
liche Genremalerei  so  fast 
ausschliesslich  Erbtheil 
unseres  Volkes  ist:  bei 
den  Romanen,  namentlich 
Italienern  und  Spaniern, 
wird  sie  zu  mehr  oder 
minder  virtuosen  meist 
sehr  äusserlichen  Wieder- 
gabe arrangirter  Scenen ; 
bei  den  Franzosen  kennt 
man  sie  kaum  und  unter 
den  unzähligen  Pariser 
Malern  sind  die  berufs- 
mässigen Darsteller  genre- 


hafter und  anekdotischer  Themen  schnell  gezählt,  weil  die  Pflege  des  Stafifeleibildes  dort  unter  dem 
Streben  nach  dekorativer  Wirkung  sehr  vernachlässigt  wurde;  bei  den  Engländern  hat  der  hypersen- 
sitive Zug  ihrer  modernen  Kunst  die  gesunde  Behaglichkeit  sehr  beeinträchtigt,  welche  einer  richtigen 
Genremalerei    ihre    natürliche    Basis  gibt;    bei  den    Nordländern    ist    die    möglichst    treue    Nachbildung 

II  5 


30 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


eines  Naturausschnittes  zur  Parole  geworden  und  jede  absichtliche  Anordnung  und  novellistische  Er- 
findung verpönt;  und  fast  nur  der  Deutsche  trifft  jenen  warmherzigen,  gemüthstiefen  Erzählerton,  zu 
dessen  typischen  Meistern  wir  Benjamin  Vautier  zählen  durften. 

Er  ist  in  der  Schweiz,  in  Morges  am  Genfer  See,  Kanton  Waadt,  geboren  als  der  Sohn  eines 
Pfarramtskandidaten  und  wie  Freunde  des  Künstlers  versichern,  hat  er  seltsamer  Weise  in  seinem 
äussern  Wesen,  seiner  Sprache  u.  s.  w.  die  Schweizer  Art  nie  abgelegt,  so  sehr  er  sich  in  Kunst  und 
Empfindung  unserer  nationalen  Eigenart  anpasste,  ja  in  ihr  aufging.  Sein  Leben  ist  kein  Künstler- 
roman, der  als  solcher  Sensation  machen  würde;  und  doch  ist  es  interessant,  gerade  weil  es  in  einer 
Weise  verlief,  die  man  für  die  Entwicklung  eines  Talentes  von  seinem  Schlag  fast  typisch  nennen  dürfte. 

Er  wird  in  einem  Hause  geboren,  in  dem  von  Kunst  nicht  viel  die  Rede  und  für  sie  nicht  viel 
Boden  ist,  einem  strenggläubigen,  gottseligen  Pastorenhause,  wo  Güte  und  milde  Menschenfreundlichkeit 
einen  wesentlich  breiteren  Raum  einnehmen  als  Temperament 
und  Phantasie.  Aber  von  der  Mutter  her  ist  doch  der  Keim 
zur  Sehnsucht  nach  dem  Schönen  in  seiner  Seele.  Er  hat 
des  Lebens  ernstes  Fühlen  vom  Vater,  die  Frohnatur,  die 
Lust  am  Fabuliren  von  der  Mutter,  wie  ein  Goethe  es  von 
sich  sagen  konnte.  Da  ist  ein  Bruder  der  Mutter,  der  nicht 
ohne  Geschick  in  den  schönen  Künsten  dilettirt  und  von 
dessen  Schaffen  auch  wohl  die  erste  Anregung  in  die  Kinder- 
seele fällt.  Der  Knabe  besucht  die  Schule,  macht  aber  gerade 
keine  glänzenden  Fortschritte,  zum  Schmerze  des  Vaters, 
dessen  pastoraler  Lebensanschauung  natürlich  die  denkbar 
musterhafteste  Schülerlaufbahn  als  eine  erstrebenswerthe 
Garantie  für  ein  späteres  gottgefälliges  Dasein  erscheint.  Da- 
für schmiert  der  Jüngling  in  der  Schule  und  zu  Hause  TLsche 
und  Wände  voll  mit  lustigen  Fratzengesichtern,  Caricaturen 
der    Lehrer    und    Kameraden.      Wie    viele    Talente    haben    so    angefangen !      Die    Mehrzahl    gewiss ! 

Natürlich  soll  der  Sohn  sich  für  die  Laufbahn  des  Vaters  vorbereiten  —  natürlich  taugt,  was 
ein  Maler  werden  will,  nicht  zum  Seelenhirten.  Aus  dem  Pfarramtskandidaten  Vater  Vautier  ist  in- 
zwischen ein  wohlbestallter  Pastor  in  Noville  im  Rhonethal  geworden,  der  seinen  Sohn  Benjamin  mit 
13  Jahren  auf  das  Gymnasium  nach  Lausanne  schickt.  Die  «Wohlbestalltheit»  dauert  aber  nicht  lange. 
Wie  Friedrich  Pecht  in  seiner  warmherzig  geschriebenen  Biographie  des  Künstlers  erzählt,  blieb  der 
Friede  im  Pastorenhause  nicht  auf  die  Dauer  ungestört.  Im  Jahre  1847  brach  in  der  Schweiz,  eine  Vor- 
ahnung des  tollen  Jahres,  jene  «demokratische  Bewegung»  los,  die  unter  Anderem  zur  Folge  hatte, 
dass  auch  die  Besetzung  der  Pastorenstellen  von  Wahlen  abhängig  wurde.  Nun  war  Vater  Vautier, 
wenn  auch  kein  Zelot,  so  doch  ein  strenger  Gottesmann  und  eifriger  Hüter  reiner  Sitten  und  vertrug 
sich  nicht  aufs  Glänzendste  mit  seiner  Gemeinde,  die  gerne  zechte  und  fröhlich  war.  Als  es  dann 
zur  Wahl    kam,    wurde  Vautier    nicht    wiedergewählt,    ein    schwerer   Schlag    für    die    Pastorenfamilie. 


Benjiimin    Vautier.     Studienzeiclinung 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


31 


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ßtiijaiiiin    Vanlicr.      Stiulienzeicliming 


Binjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


Unter  der  Einwirkung  dieser  Katastrophe  kam  der  Sohn  ins  Vaterhaus  zurück  und  setzte  es  denn  nun, 
wenn  auch  mit  schwerer  Mühe  durch,  dass  er  Maler  werden  durfte.  «Es  kostete  das»,  meint  sein 
Biograph,  «nicht  geringe  Anstrengung,  da  es  in  den  Augen  selbst  des  Vaters,  aber  noch  viel  mehr 
der  Mitbürger,  damals  noch  ungefähr  ebenso  viel  heissen  wollte,  als  wenn  er  unter  die  englischen 
Reiter  oder  andere  Gaukler  gegangen  wäre».  Damals?  —  So  mächtige  Gewalt  die  Kunstpflege  auch 
heute  über  unser  ganzes  öffentliches  Leben  gewonnen  hat,  man  braucht  selbst  in  unserer  Zeit  durch- 
aus nicht  ein  weltverlorenes  schweizerisches  Provinznest  aufzusuchen,  um  in  den  bekannten  «besten 
Kreisen»  eine  ganz  ähnliche  Auffassung  vom  Künstlerberufe  vorzufinden;  zum  Mindesten  wird  man 
sehr  leicht  auf  die  Auffassung  stossen,  dass  bei  einem  Maler  eine  einigermassen  geordnete  Lebens- 
führung viel  unwahrscheinlicher  sei,   als  das  Gegentheil. 

Vielleicht  hätte  Benjamin  auch  damals  seinen  Willen  nicht  durchgesetzt,  wäre  der  Vater  nicht 
durch  die  geschilderten  Verhältnisse  gezwungen  worden,  sich  in  Frankreich  nach  einer  neuen  Pastoren- 
stelle umzusehen;  dadurch  war  er  auch  ausser  Stand  gesetzt,  den  Sohn  überhaupt  noch  zu  unterstützen 
und  dieser  musste  nun,  wohl  oder  übel,  sein  Brod  selbst  verdienen. 


32  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Also  denn:  auf  zur  Kunst!  Viel  Vorschule  dazu  hatte  der  junge  Mann  bis  dato  nicht  genossen. 
In  der  Kindheit  hatte  er  die  erste  Anregung  zu  künsderischen  Dingen  aus  den  zweifelhaften  Holz- 
schnitten eines  wohlfeilen  Bilderblattes,  «le  monde  illustre»  geschöpft,  das  im  Vaterhause  auflag,  und 
zur  Weiterbildung  hatte  nicht  Vieles  beigetragen.  Wahre  Kunst  war  ja  überhaupt  in  jenem  schönen 
Lande  noch  recht  dünn  gesät  und  der  Malerberuf  wurde  zumeist  ziemlich  banausisch  betrieben,  indem 
es  sich  meist  um  die  mehr  oder  minder  mechanische  Herstellung  billiger  Landschaftsbilder  zu  Zwecken 
der  Fremdenindustrie  handelte. 

Benjamin  Vautier  wandte  sich  zunächst  nach  Genf  und  nahm  bei    dem    Maler  Hebert    ein   Jahr 
lang  Zeichenunterricht.     Dann  trat  er  bei  einem  Emailmaler  in  die  Lehre,  musste  sich  aber  verpflichten, 
vier  Jahre  als  Leibeigener  bei  diesem  Meister  zu  verbleiben  und  in  der  That  hat  er  volle  zwei  Jahre 
lang  das  wenig  anregende  Geschäft  betrieben,  Uhrgehäuse  und  Schmuckgegenstände  mit  bunten  Bildchen 
zu    schmücken.      Auch    in    dieser  Knechtschaft    vergass  Vautier    seine    Fortbildung    nicht.      Er    studirte 
nebenbei   in  der  Zeichnungsakademie  des  Museums  Roth  und  machte   regelmässig   den  Abendakt   mit. 
In  seinen  freien  Stunden  verdiente  er  sich  ausserdem  manchen  Groschen  durch  das  Malen  von  Portraits 
und  Aquarellen,  die  er  an  Kunsthändler  verkaufte.     Dabei  wurde  sein  Talent    immer    mehr    offenbar, 
er  wurde  mit  den  namhaftesten  Genfer  Künstlern  bekannt,  mit  Calame,  von  dem  einst  auch  ein  Böcklin 
gelernt,  mit  dem  Landschafter  Diday,  mit  dem  Historienmaler  Lougardon  und  Anderen.    Auch  materielle 
Erfolo-e  wurden  dem  strebsamen  iunaen  Talent:   Vautier's  Arbeiten  fanden  immer  besseren  Absatz  und 
nach  zwei  Jahren  war  er,  Dank  seinem  unermüdlichen  Fleisse,  in  der  Lage,  sich  aus  seiner  « Leibeigen- 
schaft» loszukaufen  und  zwar  um  den  Preis  von    1200  Franken.    Von  nun  ab  lebte  er  ausschhesslich 
der  Kunst.     Er  arbeitete  zunächst  in  Lougardon's  Werkstatt,   um  malen  zu  lernen  und  trieb  dann  volle 
zwei  Jahre  ein  fleissiges  Selbststudium  in  Genf.     Als  dann  der  für  seine  Zeit  sehr  bedeutende  Genre- 
maler van  Muyden  von  Rom  zurückkehrend  sich  wieder  in  seiner  Vaterstadt  Genf  etablirte,  schloss  sich 
Vautier  an  ihn  ganz  besonders  eng  an  und  gewann  wohl  auch  durch  ihn  die  Anregung,   sein  künftiges 
«Fach»,  die  Genremalerei,   zu  wählen.     Der   Jüngling    fühlte  wohl    selbst,    da.ss    er    in  Genf   nicht    zu 
Grossem  gelangen  konnte  und  fragt  denn  van  Muyden  um  Rath,  was  er  zu  thun  habe.    Ein  Aufenthalt 
in  Paris  wäre  wohl  das  Beste    und    für    den    französischen  Schweizer    auch    Zunächstliegende    gewesen, 
aber  Papa  Vautier  gestattete  in  seiner  Sittenstrenge  nicht,  dass  sein  Sohn  den  Weg  nach  dem  Seine- 
babel einschlage.     Und  da  Benjamin  ein  viel  zu    gehorsamer    Sohn  war,    um    das    heimlich    Erstrebte 
gegen  den  Willen  der  Eltern  zu  thun,  reiste  er  denn,  seine  Wünsche  bescheidend,  auf  van  Muyden's 
Rath  zunächst    nach  Düsseldorf,    wo    er   1850    ankam.     Dort    hatte    sich  bereits  ein  reges  Kunstleben 
zu    erfreulicher    Blüthe    entwickelt    und  der  junge  Mann  wandte    sich,    den    Busen    voll    der  schönsten 
Hoffnungen,  zur  dortigen  Akademie.    Aber  er  hatte  die  Rechnung  ohne  den  akademischen  Geist  gemacht. 
Wie  Fr.  Pecht    nach  Vautier's    eigenen  Mittheilungen    erzählt,    hatte   dieser    als    Proben    seines 
Könnens  eine  Anzahl,  seiner  Meinung  nach,  nicht  schlechter  Zeichnungen  mitgebracht.    Sie  waren  aber 
nicht  mit  der  scharfen  Ausbildung  der  Konturen  und    den    schematischen  Kreuzstrichlagen  gezeichnet, 
wie  sie  damals  die   «deutsche  Kunst»  liebte,  sondern   nach  Art  der  französischen    Schule    in    kräftiger 
breiter  Flächenbehandlung,  wobei  dem  Studium  der  Tonwerthe  Rechnung  getragen  war,  —  einer  terra 


It    Vautler  pinx. 


Phot.  V.  Hnnfttflongl.  MHooben 


Aufforderung  zum   Tanz 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


33 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


incognita  (damals,  wie  meist  heute  noch)  für  den  echten 
deutschen  Akademiker.  Pochenden  Herzens  legte  Vautier 
seine  Arbeiten  dem  Direktor  Schadow  vor,  der  in  seiner 
starren  und  kalten  Kunstweise  alt  geworden,  despotisch 
und  voll  Pedanterie  allem  Neuen  gegenüberstand.  Trotz- 
dem Vautier  von  einer  einflussreichen  Persönlichkeit,  einem 
Herrn,  der  zugleich  ein  persönlicher  Freund  des  Düssel- 
dorfer Akademiedirektors  war,  Empfehlungen  mitbrachte, 
warf  dieser  doch  die  Zeichnungen  des  jungen  Mannes 
verächtlich  bei  Seite  mit  dem  kategorischen  Ausspruch : 
«Das  ist  ja  Alles  unbrauchbares  französisches  Zeug! 
Sie  müssen  ganz  von  vorne  anfangen,  wenn  Sie  etwas 
Rechtes  lernen  wollen». 

Vautier  gab  nichts  auf  das  Unheil  des  grossen 
«  Kunstherrn  ».  Und  er  hatte  Recht.  Von  Wilhelm  Schadow 
weiss  die  Kunstgeschichte  heute  kaum  mehr  den  Namen 
und  auch  den  nur  darum,  weil  ihn  ein  Grösserer  vor 
ihm  getragen.  Benjamin  Vautier  aber  hat  zu  den  Besten  seiner  Zeit  gezählt  und  als  er  jetzt  — 
ein  Siebziger  fast  —  den  Pinsel  für  immer  aus  der  Hand  legte,  war  sein  wohlverdienter  Ruhm 
auch   noch   nicht   um   einen    Schatten   verblichen. 

Zunächst  also  schüttelte  er  damals  den  Staub  des  Schadow'schen  Ateliers  von  seinen  Schuhen 
und  arbeitete  einige  Monate  wieder  mit  eisernem  Fleisse  Studien  in  der  Künstlerwerkstatt  eines  Freundes. 
Als  dann  die  Zeit  der  alljährlichen  akademischen  Konkurrenz  herankam,  meldete  er  sich  mit  den  neu- 
geschaffenen Arbeiten  und  den  alten  Aktstudien  abermals  und  er  gefiel  der  Mehrzahl  des  Lehrer- 
kollegiums so  wohl,  dass  er  sofort  in  die  Malklasse  aufgenommen  wurde.  Sein  Studium  in  der  Akademie 
dauerte  aber  nur  knapp  dreiviertel  Jahre,  denn  er  fühlte  bald,  dass  diese  Kunsthochschule  unter 
der  gestrengen  Schadow'schen  Leitung  in  einen  Zustand 
schlimmer  Verwahrlosung  gerathen  und  dort  nichts  mehr 
für  ein  werdendes  Talent  zu  holen  war.  So  begab  er  sich 
denn  unter  die  Aegide  von  Rudolf  Jordan  (geb.  am  4.  Mai 
1810  in  Berlin,  gest.  am  26.  März  1887  in  Düsseldorf),  der 
damals  im  Zenith  seines  Ruhmes  stand.  Er  war  1834  durch 
seinen  «  Heirathsantrag  auf  Helgoland»,  der  jetzt  die  Ber- 
liner Nationalgalerie  ziert,  mit  einem  Schlage  berühmt 
geworden  und  erhielt  sich  seinen  Ruf  durch  den  künst- 
lerischen Ernst  seines  Schaffens.  Er  zuerst  lauschte  die 
Gestalten  seiner  Genrebilder  wirklich  der  Natur  ab  und 
brachte  statt  der   schablonenmässigen,    konstruirten  Puppen  Benjamin  Vautier.    Studienzeichnung 


34 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


lebendige  Menschen  auf  die  Leinwand;  aber  er  malte  auch  nach  der  Natur,  er  brachte,  wie  Ad.  Rosen- 
berg betont,  als  einer  der  Ersten  unter  den  deutschen  Malern  das  Grau  der  Lufttöne  in  seinen 
Bildern  aus  dem  Fischer-  und  Schifferleben  ausgiebiger  zur  Anwendung.  Dadurch  lieh  er  neben  der 
harten  Malweise  seiner  Zunftgenossen  den  eigenen  Bildern  einen  Schein  wahren  Lebens ;  in  den 
späteren  Jahren  freilich  ward  das  Grau  in  seinen  Bildern  nahezu  zum  Uebermass.  Vautier's  Malweise 
ward  durch  Jordan  glücklich  beeinflusst.  Wenn  er  auch  nie  ein  starker  Kolorist  gewesen  ist,  einer 
von  denen,  welchen  die  Farbe  neben  Form  und  Inhalt  als  gleichwerthiges  Element  des  Kunstwerks  gilt, 
so  ist  seine  Farbe 
doch  immer  gesund 
und  sympathisch 
und  seine  Maltech- 
nik trefflich  ge- 
nug ,  um  auch 
durch  sich  selbst 
zu  reizen  und  Be- 
wunderung zu  er- 
regen.  Dazu  muss 

man    bedenken, 
dass  wir,  seit  einem 
Jahrzehnt    an    die 
stärksten      Selbst- 
herrlichkeiten  und 

Absonderlichkei- 
ten in  der  Farben- 
gebung,  an  die 
kühnste  Handhab- 
ung der  Extreme 
vom  farblosen  Grau 
bis  zur  tollsten  Far- 
bigkeit    gewöhnt. 


Benjamin    Vaulicr.     Studienzeichnung 


heute  kaum  mehr 
zu  erfassen  ver- 
mögen, dass  künst- 
lerische F"reiheiten, 
wie  sie  sich  da- 
mals Jordan  und 
Vautier  heraus- 
nahmen, damals  als 
Ausfiuss  unerhör- 
ter Kühnheit  be- 
trachtet wurden. 

Bei  Jordan  lernte 
Vautier,  was  ihm 
zu  selbständigerem 
Schaffen  als  Maler 
noch  fehlte  —  sein 
Stoffgebiet  hatte 
er  aber  noch  immer 
nicht  so  eigentlich 
entdeckt.  Da  führte 
ihn  der  Sommer 
des  Jahres  1853 
ins    Berner    Ober- 


land und  er  lernte  dort  den  Genre-  und  Landschaftsmaler  Karl  Girardet  kennen,  der  aus  einer  der 
bekanntesten  Schweizer  Künstlerfamilien  stammt  und  deren  namhaftestes  Mitglied  war.  Dieser  wies 
ihn  sowohl  auf  die  landschaftlichen  Reize  der  Heimath,  wie  auf  den  malerischen  Reiz  und  den 
Gestaltenreichthum  des  heimathlichen  Volkslebens  hin,  und  Vautier,  dem  jetzt  die  Ahnung  seiner  künst- 
lerischen Welt  aufging,  malte  zunächst  dort  einen  ganzen  Sommer  lang  Studien  nach  dem  Leben.  Ein 
richtiges  grösseres  Werk  wollte  freilich  noch  nicht  zu  Stande  kommen  und  auch  die  nächsten  Jahre 
vergingen  wieder  in  Suchen  und  Tasten,  in  Studiren  und  Experimentiren.  Als  dann  der  junge  Maler 
im  Sommer   1856  nach  Genf  kam  und  bei  seinem   alten    — ■   vor    Kurzem   nun    auch   verstorbenen    — 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


35 


Meister  van  Muyden  wieder  zu  malen  begann,  wies  ilin  dieser  noch  energischer  auf  das  Stoffgebiet 
des  Bauernlebens  hin  und  Vautier  sah  seinen  Beruf  zum  Genremaler  —  es  gibt  nun  einmal  kein 
anständiges  deutsches  Wort  für  diesen  Begriff  —  immer  deutlicher  ein.  Dazu  kamen  die  beginnenden 
Triumphe  des  jungen 
Ludwig  Knaus,  der 
mit  seinen ,  in  Paris 
gemalten,     ländlichen 

Genrebildern    dort 
und  allenthalben  durch- 
schlagenden Erfolg  er- 
rungen   hatte.     Auch 
Vautier     beaab     sich 
noch   im  Herbst  1856 
nach  Paris,  wo  er  frei- 
lich, trotz  aller  übrigen 
künstlerischen  Anreo-- 
ung,  nicht  ganz  fand, 
was  er  suchte.   Selbst 
Knaus  war  nach  dem 
Urtheile    seiner    Zeit- 
genossen   der  Pariser  Aufent- 
halt nicht   ganz  zum  Vortheile 
ausgeschlagen  ;  sie  fanden  das, 
was  er  malt,  zwar  vortrefflich, 
aber    nur   dem    Gegenstande, 
nicht  dem  Wesen  nach  deutsch. 
Vautier  blieb   nur  den  Winter 
über  in   der  Kunststadt  an  der 
Seine  und  kehrte  schon   nach 
sechs    Monaten    nach    Düssel- 
dorf zurück,  obwohl  er  in  Paris 
mit  dem  Malen  einer  figuren- 
reichen Komposition  begonnen 
hatte.    Diese,  «eine  Kirchen- 


Benjamiii    Vautier.      Studien7,eichmin<; 


scene»,  malte  er  nun 
in  Düsseldorf  fertig 
und  sie  brachte  ihm 
auf  der  grossen  histori- 
schen Münchener  Aus- 
stellung 1858  einen 
grossartigen  Erfolg 
ein.  Durch  Krankheit 
im  Arbeiten  gehindert, 
musste  er  fast  das 
ganze  folgende  Jahr 
an  das  Bild  wenden. 
Es  schildert  die  An- 
dächtigen in  einer 
Schweizer  Dorfkirche 
während  des  Gottes- 
dienstes. Im  Mittel- 
punkte der  betenden  Gruppen 
finden  wir  ein  rührend  schönes 
Mädchen  zwischen  Mutter  und 
Grossmutter  in  seine  Andacht 
vertieft.  Das  Bild  gefiel  nicht 
allein  um  der  liebenswürdigen 
und  naturtreuen  Darstellune 
willen,  sondern  namentlich  auch 
durch  den,  in  München  damals 
noch  fast  unbekannten  feinen 
Ton  der  Malerei 

In  einem  Bericht  des  «  Deut- 
schen Kunstblattes »  aus  dem 
Sommer  1857   ist  uns  ein  Do- 


Benjainin    Vautier.     Studienzeichming 

kument  darüber  erhalten,  wie  es  damals  in  Vautier's  Werkstatt  aussah;  die  Zeilen  seien  in  Folgendem 
wiedergegeben,  da  sie  zugleich  auch  von  einigen  Bildern  des  werdenden  Meisters  in  kurzen  Worten 
berichten:  «Benjamin  Vautier  aus  Genf,  jetzt  in  Düsseldorf,  wo  ihm  eine  schöne,  liebliche  Braut  blüht, 
zeigt  uns  in  seinem  Atelier  ein  anmuthiges  Bild,  ein  junges,  blondes  Mädchen  am  Spinnrade  singend, 


36  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

wie  die  Haltunjj  des  Kopfes  und  die  geöfifneten  Lippen  zeigen,  und  daneben,  den  müden  Kopf  auf 
die  Hand  gestützt,  eine  Alte  am  Herde  sitzend.  Der  magere  Arm  der  Alten,  ihre  ganze  Stellung, 
Alles  hatte  etwas  ungemein  Lebenswahres,  die  einfache  Situation  etwas  sehr  Ansprechendes  Ergötzlich 
war  das  Mittagsmahl  in  einer  Bauernstube :  die  Mutter,  eine  kräftige,  frische  Gestalt,  füllt  eben  die 
Suppe  zum  zweiten  Male  einem  derben  Knaben  auf,  der  offenbar  den  gesundesten  und  grössten 
Magen  in  der. Familie  hat  und  aufgestanden  ist,  um  den  Teller  zu  reichen,  ein  anderes  Kind  lässt  es 
sich  schmecken,  ein  ganz  kleines,  blondgelocktes  Jüngelchen,  noch  geröthet  vom  Schlaf,  im  Hemdchen, 
nur  mit  Strümpfen  bekleidet  und  in  zitternden  Händchen  den  Löffel  haltend,  sieht  eifrig  in  den  Teller 
hinein,  ein  grösseres,  schlankes  Mädchen  hat  sich  eben  zu  Tisch  gesetzt  und  blickt  zum  Bilde  hinaus 
auf  den  Beschauer.  Noch  ein  angefangenes  Bild  «Landleute  in  den  Kirchenstühlen  sitzend  und  singend», 
versprach  viel,  die  Zeichnung  und  Anlage  der  Köpfe,  der  Ausdruck  der  Gesichter  war  sehr  schön; 
mit  vorzüglicher  Liebe  wieder  war  das  ausdrucksvolle  Profil  einer  alten  Frau  gemalt.  Eine  Skizze, 
ein  Berner  Mädchen  in  der  kleidsamen  Tracht,  und  schön,  wie  fast  alle  Berner-  und  Brienzerinnen, 
war  ein  liebliches  Seitenstück  zu  Schröder's  (des  Düsseldorfer  Humoristen)  Küfer.  Er  zeigte  uns  noch 
eine  alte  hexenhafte  Frau,  die  er  mit  Knaus  zusammen  nach  dem  Leben  im  Schwarzwald  gemalt, 
schaurig  anzusehen,  und  erzählt  uns,  wie  die  Alte  durchaus  gewünscht,  dass  einer  von  ihnen  ihr 
Enkelchen,  eine  vierschrötige  Dirne  mit  strohgelbem  Haar,  heirathen  sollte,  und  ihnen  vorerzählt, 
wie  schön  sie  die  jammervolle  Hütte  unter  dem  Felsgestein,  wo  sie  wie  eine  von  Macbeth's  Hexen 
thront,  herrichten  wollte. » 

Man  sieht,  nach  den  langen  Jahren  des  Suchens  und  Zweifeins  war  der  späterhin  so  fruchtbare 
und  an  Einfällen  reiche  Künstler  bereits  im  besten  Zuge  und  nun  folgte  bald  Erfolg  dem  Erfolg.  Schon 
vor  seinen  Münchener  Triumphen  durch  das  bereits  erwähnte  Bild  «In  der  Kirche»  hatte  er  1857 
auf  einer  Ausstellung  im  Haag  bereits  eine  silberne  Medaille  eingeheimst,  durch  die  Münchener  Aus- 
stellung war  er  mit  einem  Schlage  in  den  Mittelpunkt  der  allgemeinen  Aufmerksamkeit  gerückt.  Und 
jedes  seiner  Werke  gefiel  nun  in  hohem  Masse:  1859  seine  noch  mit  Schweizer  Lokalfarbe  gesättigte 
«Auktion  im  Schlosse»,  1860  die  «Nähschule»,  in  welcher  der  Maler  bereits  Schwarzwälder  Mädels 
darstellte  und  1860  die  «Frauen,  die  ihre  Männer  im  Wirthshause  abfassen».  Vielleicht  ist  das 
letztgenannte  Bild  das  populärste  des  Meisters  geblieben;  es  hat  tausende  von  Wänden  im  deutschen 
Heim  geschmückt  und  Tausende  durch  seinen  schalkhaften,  gewinnenden  Humor  und  seine  Lebens- 
treue erfreut  und  prangt  nun  im  städtischen  Museum  zu  Leipzig.  Der  Vorgang  des  Bildes  braucht 
kaum  geschildert  zu  werden,  so  bekannt  ist  dies  Werk  aller  Welt:  Während  des  Gottesdienstes  haben 
vier  Bauern  im  Wirthshaus  Karten  gespielt  und  ihre  Frauen,  aus  der  Kirche  kommend,  überraschen 
die  Uebelthäter  mit  wohlverdientem  Strafgericht.  Der  Aelteste  der  Viere  hat  sich  vor  dem  ersten 
Ansturm  in  der  Ecke  verborgen,  der  Jüngste,  ein  flotter  Bauer  in  schwäbischer  Tracht  nimmt  die 
Strafpredigt  seines  hübschen  Weibchens  mit  Zerknirschung  entgegen.  Sein  älterer  Genosse  hat,  wie 
aus  den  abgehärmten  Zügen  seiner  Rachegöttin  zu  lesen  ist,  schon  Manches  auf  dem  Kerbholz  und 
lässt,  den  Rücken  wendend,  das  Strafgericht  verstockt  über  sich  ergehen.  Der  Vierte  spielt  den  welt- 
verachtenden   Philosophen    und    fügt    zu    seiner  Schlechtigkeit    auch   noch    herausfordernde    Frechheit. 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


37 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


Jede  der  Figuren  ist  dem  Leben  abgelauscht  — 
bei  keiner  naht  sich  die  scharfe  Charakteristik 
der  Grenze  der  Caricatur. 

Der  1864  gemalte  «Sonntagnachmittag  in 
Schwaben »  zeigt  uns  eine  Episode  ländlichen 
«Kriegs  im  Frieden».  Wir  sehen  acht  junge 
Mädchen,  die  sich  am  Rand  eines  Weidenge- 
büsches auf  Steinen  und  Baumstämmen  gelagert 
haben  und  zusammen  plaudern.  Sie  haben  wohl 
den  Angriff  des  nicht  eben  feindlich  gesinnten 
Gegners,  einer  Gruppe  junger  Burschen,  die  aus 
dem  Thalgrunde  gegen  sie  heranzieht  —  längst 
erwartet.  Die  Einen  blicken  dem  nahenden 
Schwärm  bereits  entgegen,  die  Andern  maskiren 
ihre  Erwartung  und  Sehnsucht  wohl  nur  unter 
dem  Scheine  gleichgültiger  Reden  und  Eine  — 
die,  ein  Sträusschen  bindend,  unter  der  alten 
Weide  steht  —  ist  vom  Pfeil  der  Liebe  bereits 
ganz  ernsthaft ,  vielleicht  sogar  ein  wenig  zu 
ernsthaft  verwundet.  Sie  blickt  ziemlich  traurig  auf  den  werdenden  Strauss.  Gegenüber  auf  einem 
Hügel  liegt  das  Dörfchen  mit  dem  spitzen  Kirchthurm  freundlich  da;  die  Landschaft  athmet  Sonntags- 
frieden, das  ganze  Bild  warm  pulsirendes  Leben.  Der  Maler  hat  diese  Scene  nicht  für  sein  Bild  er- 
funden, sondern  mehrfach  mit  Augen  gesehen,  er  hat  Wochen  lang  in  dem  Dörfchen  auf  dem  Hügel 
gelebt  und  ist  den  Menschen  näher  getreten,  die  er  dann  auf  dem  Bilde  verewigt  hat.  Dieses  Bild 
lässt  so  recht  wahr  erscheinen,  was  Richard  Muther,  durchaus  kein  bedingungsloser  Verehrer  des 
Meisters,  aber  Einer,  der  dessen  sympathische,    urdeutsche  Eigenart    voll   würdigt,    von  Vautier  sagt: 

« Vautier  entdeckte  als  der  Ersten  einer  den  Stimmungszauber 
der  Umgebung,  den  geheimnissvollen  Einfluss,  die  den  Menschen 
mit  der  Scholle,  auf  der  er  geboren  ist,  verknüpft,  die  tausend 
unbekannten  magnetischen  Strömungen,  die  zwischen  den  Dingen 
und  dem  Gemüth,  den  Anschauungen  und  den  Handlungen  des 
Menschen  bestehen.  Die  Umgebung  steht  nicht  da  wie  der  Pro- 
spekt einer  Bühne,  vor  dem  die  Personen  kommen  und  gehen, 
sie  lebt  und  webt  auch  im  Menschen  selbst». 

Im  nächsten  Jahre,  1865,  entstand  das,  ebenfalls  ziemlich  weit 
bekannte  Bild  «Bauer  und  Makler»,  ein  Stück  packenden, 
grimmig  ernsten  Bauernlebens,  eine  Scene,  die  sich  hunderttausend- 
mal abgespielt  haben  mag  in  Bauernstuben  aller  Stile.     Hier  ist  es 

11  6 


Benjamin    Vaulicr.     Studienzeichnung 


38 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ein  Bauernhaus  Schwabens,  wohin  uns  der  Künstler  führt.  Der  Hausvater  ist  offenbar  in  schweren 
Nöthen.  Pläne  und  Geldrollen  auf  dem  Tische,  an  dem  er  mit  einem  jüdischen  Makler  und  einem 
behäbigen  Landmann  sitzt,  verrathen,  dass  es  sich  darum  handelt,  dem  armen  Teufel  seiner  Väter 
Erbe  abzuschwatzen.  Das  Weib  des  Bauern,  den  Säugling  auf  dem  Arm  hat  dem  Unglücklichen 
abmahnend  die  Hand  auf  die  Schulter  gelegt:  lieber  Noth  und  Entbehrung  auf  der  eigenen  Scholle, 
als  losgelöst  vom  Heimathboden  in  die  Fremde  ziehen,  vielleicht  gar  hinüber  über  das  weite  Meer! 
Kalt  und  ruhig  blickt  der  Käufer  darein,  während  der  Makler  dem  Bedrängten  die  Vortheile  des 
Verkaufes  an  den  Fingern  vorzählt. 

Benjamin  Vautier  hat    1865   für  dieses  Bild  in  Paris  die  goldene  Medaille  erhalten. 

Ein  neues  grösseres  Werk  und  ein  neuer  Triumph  folgte  noch  im  selben  Jahre,  der  «Leichen- 
schmaus». Mit  diesem  Bild,  zu  dem  er  die  Studien  an  Ort  und  Stelle,  im  Berner  Oberland,  gemalt, 
griff  Vautier  wieder  zu  einem  Stoff  aus  seiner  Schweizer  Heimath.  Das  Bild,  jetzt  im  Besitze  des 
Museums  zu  Köln,  führt  uns  in  eine  Bauernstube, 
wo  das  Begräbniss  des  Hausherrn  von  der  Schaar 
der  Angehörigen  bei  einem  Glase  Wein  auf  landes- 
übliche Weise  gefeiert  wird.  Das  halbwüchsige 
Töchterlein  des  Verstorbenen  kredenzt  den  Leid- 
tragenden den  Gedächtnisstrimk;  die  trostlose 
Wittwe,  die  zu  trösten  sich  die  Gevatterinnen 
nach  Kräften  bemühen,  hat  neben  dem  Bette  ihres 
Gatten  Platz  genommen.  Mehr  fast,  als  irgend 
ein  anderes  Werk  Vautier's  zeigt  dieses  seine 
Kunst  starker  und  gesunder  Menschenschilderung, 
die  das  Schöne  und  Anmuthige  findet,  ohne  je 
süsslich  zu  werden,  das  Charakteristische  darstellt, 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


ohne  das  Hässliche  zu  suchen.  Obwohl  ein  wenig  idealisirt,  oder  doch  wenigstens  von  ihrer  besten 
Seite  aufgefasst,  sind  seine  Menschen  doch  echte  Menschen,  echt  in  Rasse  und  individueller  Eigenart, 
echt  in  ihren  Bewegungen  und  im  Ausdruck  ihrer  Gefühle.  Vautier  hat  manches  packende  Drama 
und  manche  stille  Tragödie  gemalt,  Sterbehäuser,  Todtenbetten  und  Krankenstuben  —  aber  nie  finden 
wir  eine  Spur  von  Pose  oder  Schauspielerei.  Eine  schöne  Ehrlichkeit,  eine  anheimelnde  Lebenswärme 
überall,  die  weit  mehr  ergreift  und  fesselt,  als  der  novellistische  Inhalt  seiner  Bilder  an  sich. 

Hier  seien  noch  einmal  Richard  Muther's  Worte,  mit  denen  der  moderne  Kunstforscher  Vautier's 
liebevoller  und  liebenswürdiger  Kunst  der  Menschenschilderung  würdigt,  angezogen ;   er  schreibt : 

«  Fast  rührend  zu  sehen,  wie  schön  und  rein  in  Vautier's  Kopf  sich  das  Leben  spiegelt.  Wie 
zart  sind  diese  bräunigen  schwäbischen  Bauerntöchter,  wie  sympathisch  und  mild  diese  Frauen,  wie 
reinlich  und  artig  die  Kinder.  Man  möchte  glauben,  dass  Vautier  freundlich  und  väterlich  wohlwollend 
mit  seinen  Bauern  verkehrt,  sich  selbst  wohl  fühlt  bei  ihren  harmlosen  Vergnügungen,  dass  er  auch 
ihre  Schmerzen  und  Sorgen  theilt;  und  über  diese  Eindrücke  berichtet  er  in  seinen  Bildern  nicht  streng 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


39 


und  überlegen  lächelnd,  sondern  in  schonender  herzlicher  Weise.  Er  will  nicht  aufregen  oder  er- 
schüttern, weder  durch  Witze,  Komik,  noch  durch  Trauriges  Trübsal  erwecken.  Das  Leben  zeigt 
ihm  —  wie  Goethe  während  seiner  italienischen  Reise  —  «lauter  angenehme  Gegenstände»  und  selbst  in 


traurigen  Schick- 
salsfügungen nur 
Leute,   die   «  das 

Unvermeidliche 
mit  Würde  tra- 
gen». Kein  lauter 
Schmerz ,  Alles 
leise  abgedämpft, 
von  jener  Milde, 
die  sich  im  Klang 
des     Vornamens 

Benjamin  aus- 
spricht. Knaus  hat 
etwas  von  Men- 
zel, Vautier  von 
—  Memhnc,  auch 
in  der  liebevollen 
Intimität,  mit  der 
er  das  Kleine  durch- 
dringt. Die  alten  deut- 
schen und  niederlän- 
dischen Meister  malten 
in  ihren  religiösen  Bil- 
dern Alles  bis  zum 
Nachtgeschirr  Marias, 
den  gestickten  Lilien 
ihres  Webstuhls  oder 
dem  Staub,  der  auf 
dem  alten  Gebetbuch 
liegt,  und  diese  echt 
deutsche     Freude    am 


ßetijaiiiin    Vautier.      Studienzeichnung 


Benjamin   Vautier.     Studienzeichnung 


Stillleben,  die  be- 
hagliche Schilder- 
ung des  Kleinen, 
kehrt  auch  bei 
Vautier  wieder. 
Menschen  und 
Wohnungen,  be- 
lebte Natur    und 

Atmosphäre 
setzen  sich  bei  ihm 
zu  einem  freund- 
lichen Stück  Welt 
zusammen  ». 

Benjamin  Vau- 
tier hatte  durch 
die  genannten  Er- 
folge als   Genre- 

o 

maier  seinen  Weg 
in  der  Kunst  gefunden, 
und  nun  folgte  Bild  auf 
Bild  aus  dem  Bauern- 
leben der  alemanni- 
schen Rasse.  Bald 
waren  es  Schweizer, 
bald  waren  es  Schwarz- 
wälder oder  andere 
Schwaben,  bald  war  es 
Ernstes,  bald  war  es 
Heiteres,  was  er  malte, 
immer  war  es  warm 
und  eemüthvollerfasste 


Wirklichkeit.  Erfindungsreicher,  weicher  und  mit  mehr  Erzählertalent  begabt,  als  der  markigere  und 
nervenstärkere  Defregger,  liebenswürdiger  und  poesiereicher  als  der  scharfäugige  und  unerbittlich 
beobachtende  Knaus,  schuf  er  sich  seine  Kunst,  so  recht  gemacht,  ihn,  den  Schaffenden  und  die 
Sehenden  zu  erfreuen,    eine  Kunst,    die  ins  Volk  dringen  musste.     Und,    Dank    den    gründlichen    Vor- 

6« 


40  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Studien    seiner  Such-  und  Lehrjahre,   schuf  er   so    leicht,   dass    er,    trotz    aller  Gründlichkeit  und  liebe- 
vollen Durchbildung  im  Detail  seiner  Bilder  zu  unsern  schöpferischsten  Malern  zählt. 

Nach  dem  «Leichenschmaus»  malte  Vautier  einen  « Alterthumssammler  im  Bauern- 
haus», vor  dem  die  Inwohner  ihre  Schätze  zusammentragen,  Werthvolles  und  Werthloses,  eine 
gothische  Heiligenfigur  und  eine  alte  Kaffeemühle.  Dann  kam  (1872)  eines  der  Hauptwerke  Vautier's, 
die  «Fahrt  über  den  Brienzer  See  zu  einem  Begräbniss»;  es  ist  ein  Kindersarg,  den  ein 
junges  Ehepaar  in  tiefer  Trauer  auf  einem,  von  jungen  Burschen  geruderten,  von  einem  Mädchen 
gelenkten  Nachen  über  das  Wasser  geleitet.  Ungefähr  um  die  gleiche  Zeit  entstand  eine  ländliche 
Szene  «Am  Krankenbette»,  die  Eigenthum  der  Berliner  Nationalgalerie  geworden  ist.  Ein  junges 
Weib  liegt  schwer  krank  auf  dem  Schmerzenslager  und  ihr  Gatte,  den  eingeschlafenen  Liebling  auf 
dem  Schooss,  sitzt  neben  ihr,  den  Blick  ernst  auf  sie  gerichtet,  ihre  Hand  fest  in  der  seinen.  Ein  Abschied  r 
Ein  Gelöbniss?    Ein  Willkommen  zu  neuem  Leben.''  — Jedenfalls  ein  ergreifendes  Stück  Menschenschicksal! 

Im  Jahre  1873  wurde  auf  der  Wiener  Weltausstellung  das  «Begräbniss  auf  dem  Lande», 
ein  sehr  figurenreiches  Bild,  allgemein  bewundert ;  es  schildert  die  in  Ergriffenheit  und  wohl  auch  in 
Neugier  wartende  Menge  vor  einem  Bauernhaus,  aus  welchem  eben  ein  Sarg  getragen  wird.  Im 
Vordergrunde  wartet  schon  die  Bahre  ihrer  traurigen  Last.  Frauen  und  Männer  —  getrennt  aufge- 
stellt nach  alemannischer  Art  —  blicken  theilnahmevoll  dem  Sarge  entgegen  —  im  Hintergrunde  hält 
der  gestrenge  Dorfbüttel  mit  dem  Stabe  die  Schuljugend  zurück.  Ein  Bild  aus  der  Lichtseite  des 
Lebens  gibt  Vautier  wieder  in  seiner  (schon  1868)  gemalten  «  Ländlichen  Tanzstunde  ».  Vordem 
bäuerischen  Tanzmeister  mit  seiner  Fiedel  sind  in  der  oreräumicren  Stube  des  Dorfwirthshauses  etliche 
dralle  junge  Dirnen  angetreten  und  werden  eben  —  die  Fussspitzen  nach  auswärts!  — in  der  «Grund- 
stellung» unterwiesen;  eine  der  Schönen  hält  sich  am  Ofen  fest,  um  den  Tanzschuh  zurecht  zu  rücken. 
Links  warten  die  Burschen,  bis  auch  an  sie  die  Reihe  kommen  mag.  Auch  der  «Unterbrochene 
Streit»  spielt  im  Dorfwirthshaus.  Zwei  Burschen  haben  Streit  gehabt,  ein  Streit,  dessen  Spuren 
wir  an  den  handelnden  Personen  eben  so  wohl  wahrnehmen,  wie  an  dem  Stillleben  von  umgeworfenen 
Stühlen  und  zerbrochenen  Flaschen,  die  umherliegen.  Der  Eine  der  Burschen,  offenbar  der  Sieger, 
wird  von  seiner  Mutter  zurückgehalten,  auf  dass  er  seinen,  entschieden  noch  nicht  ganz  vertobten 
Berserkerzorn  nicht  völlig  entlade,  den  Unterlegenen  halten  Kameraden  davon  ab,  einer  bedenklichen 
Revanchelust  freien  Lauf  zu  lassen.  Auch  der  Polizeidiener  ist  bereits  erschienen  und  vernimmt  mit 
strenger  Amtsmiene  Anklagen  und  Vertheidigungen,   die  ihm  vorgetragen  werden. 

Von  seinen  Bauern  weg  in  höhere  Sphären  führt  uns  der  Künstler  in  seine  «Verlobung» 
(1870),  ein  Kostümstück,  das  uns  eine  tafelnde  Gesellschaft  der  Rokokozeit  schildert,  in  deren 
Mitte  ein  Poet  eben  einen  Toast  auf  das  Brautpaar  ausbringt.  Auch  der  Stoff  zum  «Trotzkopf»  ist 
der  gleichen  Gesellschaftsschicht  in  gleicher  Zeit  entnommen:  eine  Frau  Mama  hat  den  Seelsorger  zu 
Hilfe  gerufen,  dass  er  einem  hübschen  Mädchen  ins  Gewissen  reden  soll.  Das  Trotzköpfchen  hat 
sich  schmollend  abgewendet  —  und  Recht  hat  sie!  Den  flotten  Burschen,  den  sie  lieben  mag, 
soll  sie  nicht  aufgeben  und  wenn  sich  alle  Mütter  und  Abbates  der  Welt  dagegen  auf  den  Kopf 
stellen  !      Das  ist  das  Recht  der  Jugend ! 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


41 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


Benjavün    Vautier.     Studienzeictinung 


Vautier  ergeht  es  übrigens  in  diesen  und  noch  etlichen  anderen  Bildern  genau  so,  wie  fast  allen 
andern  Bauernmalern  in  gleichem  Fall.  Sein  überlegenes  Können  bewahrt  ihn  davor,  etwas  Schlechtes 
zu  machen,  aber  wirkliche  Eleganz,  die  bestechende  Grazie  der  Weltdame,  den  Chic  des  Salons  ver- 
mag er  nicht  recht  wiederzugeben.  Dazu  gehört  eine  leichtere  Hand,  als  sie  der  haben  kann  und 
darf,  der  gewohnt  ist,  Arbeitsmenschen  in  ihrem  Thun  und  Treiben  nachzubilden. 

So  recht  wieder  in  seinem  Element  ist  er  bei  dem  1871  gemalten,  figurenreichen  «Zweckessen 
auf  dem  Lande»  gewesen:  Die  Honoratioren  eines  Dorfes  setzen  sich  in  einer  ländlichen  Wirths- 
Stube  eben  zu  Tisch.  Der  Herr  Landrichter  hat  bereits  das  Präsidium  eingenommen  und  die  ihm 
zunächst  Rangirenden,  wohl  Pfarrer  und  Lehrer,  sitzen  neben  ihm;  die  Uebrigen  scheinen  in  der  Wahl 
ihrer  Plätze  noch  unschlüssig,  misstrauisch  und  wohl  auch  missgünstig  blickt  einer  der  Bauern  auf  den 
andern,  als  fürchte  Jeder  sich  was  zu  vergeben,  oder  in  Bezug  auf  die  ihm  gebührenden  Ehren  zu  kurz 
zu  kommen.  «Der  Besuch  am  Herd»  (1873)  vereinigt  zwei  liebliche  Schweizer  Mädchengestalten 
in  einem  traulichen  Kücheninterieur,  das  etwa  um  ein  Jahr  später  gemalte  Bild  «Die  entzweiten 
Schachspieler»  schildert  mit  feinem  glücklichem  Humor,  die  im  Titel  des  Bildes  gekennzeichnete 
Szene.  Wir  finden  uns  im  Heim  eines  wohlhabenden  Junggesellen,  der  eben  mit  einem  Besucher,  einem 
geistlichen  Herrn  Schach  gespielt  und  sich  mit  diesem  wegen  irgend  eines  Zuges  «zerkriegt»  hat.  Ver- 
legen sucht  der  Hausherr  seine  Pfeife  in  Brand  zu  setzen,  während  der  Abbe  mit  der  Linken  auf 
der  Tischplatte  trommelt,  mit  der  Rechten  ein  Zeitungsblatt  sich  vor  die  Augen  hält.  Als  Typen, 
wie  dem  Ausdrucke  ihrer  momentanen  Stimmung  nach,  sind  die  beiden  alten  Herren  virtuos  gekenn- 
zeichnet, liebenswürdig  und  doch  mit  schärfster  Beobachtung. 


42 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Aus  dem  Jahre  1S75  stammt  die  «Aufforderung  zum  Tanz»,  eines  der  charmantesten 
Schwarzwälder  Bilder  des  Meisters.  Die  Szene  ist  eine  Gasse  vor  dem  Dorfwirthshaus,  unter  dessen 
Siebendach  man  eine  fröhliche  Schaar  zu  sonntäglichem  Vergnügen  versammelt  sieht ;  ein  flotter  junger 
Bursch  fordert  zwei  vorüberkommende  Mädchen  zum  Tanze  auf  —  die  Eine  hat  schon  eingewilligt, 
die  Andere  scheint  sich  noch  ein  wenig  zu  bedenken.  Das  ganze  Bild  athmet  die  freundlichste 
Stimmuno-;  man  vermeint  die  Tanzmusik  und  das  Plaudern  und  Lachen  aus  dem  Wirthsijarten  herüber 
zu  hören.     Noch  im  gleichen  Jahre  entstand  der   sehr    bekannt    gewordene   «Abschied   der  Braut 


vom  Eltern- 
hause», eine 
prächtige   Probe 

schwäbischen 
Volkslebens ,    in 

dem  Rührung 
und  frische  Hei- 
terkeit   gepaart, 

einen  guten 
Klang  geben.  Ein 
später  gemaltes 
Bild  Vautier's, 
eine  «Begrüss- 
ung  der  Neu- 
vermählten» 
wirkt  fast  wie 
eine  Fortsetzung 
zu  dem  ebenge- 
nannten Bilde 
und  stellt  den 
Augenblick  dar, 
da  der  junge 
Gatte  glückstrah- 
lend sein  blühen- 


des junges  Weib 
seinen  Eltern  zu- 
führt. Die  Mutter 
hat  bereits  die 
Hand  der  jungen 
Frau  ergriffen 
und     blickt     ihr, 


treuherzig 


prü- 


fend,  in   die  Au- 
gen ;  das  Schwe- 
sterlein   des 
Gatten    eilt    der 

neugewordenen 
Schwägerin    mit 

ausgebreiteten 
Armen  entgegen. 
Ganz  anderer 
Art  wieder  ist  das 
Gemälde  «Vor 
der  Sitzung», 
mit  dem  unser 
Maler  1876  die 
Münchener 


Benjamin    V'atitier.     .Studienzeichnung 


Ausstellung  be- 
schickte; es  ist  in  seinem  Gegenstande  nicht  ganz  leicht  verständlich  und  wohl  darum  weniger  populär 
geworden.  Was  Kraft  der  Charakteristik  betrifft,  zählt  es  aber  Vautier's  besten  Werken  bei  und  das 
ganze  Milieu,  der  Sitzungssaal  des  Gemeinderaths  einer  kleinen  Stadt,  der  sich  eben  zu  einer  wichtigen 
Besprechung  versammeln  will,  die  Gesichter  der  den  verschiedensten  Lebenssphären  angehörenden 
Gemeinderäthe,  die  in  mehrere  Gruppen  getrennt,  theils  für,  theils  gegen  ein  Projekt  zu  agitiren 
Schemen,  alles  das  ist  meisterlich  geschildert,  mit  jener  höchsten  Charakterisirungskunst,  welche  die 
Schwächen  der  dargestellten  Menschen  scharfäugig  erkennt,    aber    ihren  Eindruck    in  der  Schilderung 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


43 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


durch  das  heilige  Mitleid  mildert :  Tout  comprendre 
c'est  tout  pardonner !  Das  muss  der  Wahlspruch  des 
echten   Humoristen  sein. 

Im  «Tanzsaal  eines  schwäbischen  Dorfes» 
ist  das  Leben  und  Treiben  an  einer  solchen  Stätte  der 
Freude  mit  liebenswürdiger  Lebendigkeit,  wenn  auch 
ohne  besondere  anekdotische  Spitze  geschildert.  Links 
sehen  wir  im  Dunst  des  Hindergrundes  die  Tanzenden, 
rechts  die  Musikanten  und  die  Zuschauer  —  unter 
Letzteren  namentlich  die  halbflüggen  Schönen ,  denen 
der  Tanzboden  noch  einen  verbotenen  Winkel  des  Para- 
dieses bedeutet.  Auf  einem  ähnlichen  Schauplatz  spielt 
die  figurenreiche  «Tanzpause«  (1878).  Im  «Kloster- 
gang« (1879)  sehen  wir  eine  fröhlich  sich  tummelnde 
Mädchenschaar  im  alterthümlichen,  romanischen  Kreuz- 
gang eines  Frauenklosters.  «Katechisatio  n«  zeigt 
uns  die  zum  Religionsunterricht  versammelte  Dorfjugend 
in  einer  Sakristei.  Auch  das  von  der  Hamburpfer  Kunsthalle  erworbene  Bild  «Hinterlist»  schildert 
eine  Kinderszene :  Böse  Schulbuben  in  der  verschneiten  Dorfgasse,  die  den  Gespielen  mit  Schnee- 
ballen auflauern.  Die  «Poststube»  führt  uns  die  bunt  zusammengewürfelte  Gesellschaft  vor  Augen, 
die  sich  vor  Abgang  des  Postwagens  in  der  guten  alten  Zeit  in  einem  derartigen  Warteraum  ver- 
sammeln   mochte,    vom   flotten    Postillon    bis    zum    betenden    Kapuziner.     Kinder    stehen  wiederum  im 

Mittelpunkt  der  Bilder;  «Der  Vetter»  —  ein  städtischer 
Junge  bei  seinem  derbfrischen  bäuerlichen  Verwandten  zu  Be- 
such — ,  «Die  Ermahnung»  —  ein  Mädchen  ermahnt  vor 
dem  Gang  zur  Schule  seine  Puppen,  recht  brav  zu  sein, 
«Eingeschlafen»  (1879),  «Im  Walde»  (1880),  «Im 
Bade»  (1889)  u.  s.  w.  Eine  ganze  Reihe  von  kleineren 
Werken  hat  die  Schilderung  einzelner  liebreizender  Frauen- 
gestalten zum  Gegenstande  und  auch  mit  diesen  Arbeiten, 
die  für  die  meisten  Genremaler  mehr  oder  weniger  « Brod- 
arbeiten» bedeuten,  lässt  sich  Vautier  nicht  zu  leichtherziger 
Fabrikation  herab,  sondern  er  wahrt  immer  seinen  künst- 
lerischen Rang.  Wir  nennen  hier  «Spielkätzchen»,  «Ein 
Brief  aus  dem  Thale»,  «In  der  Kirche»,  «Brigitte», 
«Winzerin»,  «Schifferin»,  «Regina»,  «In  Erwart- 
ung»,   «Jetzt   gang    i    an's    Brünnele»  .  .  .,    «Bärble», 

Benjatnin    Vautier.     Studienzeichnung  «  1 J  1  e     1  OllCtte»     U.   S.   W. 


44  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Durch  alle  Lebensphasen  und  Schicksale  verfolgt  der  Maler  seine  strammen  Burschen  und 
schönen  Mädels,  seine  Bauern  und  Bäuerinnen.  Das  prächtige  Werk  «Der  Gang  zur  Civiltrauung» 
ist  im  Besitze  der  berühmten  Heyl'schen  Galerie  in  Worms.  Das  1887  gemalte  «Bange  Stunde», 
das  durch  seine  lichte,  in  bestem  Sinne  moderne  Malweise  auch  in  technischer  Beziehung  lebhafte 
Bewunderung  hervorrief,  lässt  mit  ergreifender  dramatischer  Gewalt  eine  Szene  banger  Sorge  im  Kranken- 
zimmer eines  jungen  Weibes  sich  abspielen.  «Kindlicher  Trost»  (1886),  «Der  verlorene  Sohn» 
(1885),  «Besuch  bei  der  Genesenden»,  «Verlassen»  sind  durchweg  Familienszenen,  die  tief 
zum  Herzen  sprechen.  Des  Lebens  heitern  Seite  abgelauscht  ist  das  1881  fertig  gewordene  «Unfrei- 
willige Beichte».  Wir  sehen  zwei  reizende  junge  Mädels,  die  unter  dem  alten  Baum  vor  der 
Kirche  ihre  Liebesgeheimnisse  austauschen,  nicht  ahnend,  dass  ihnen  verborgen  auf  der  entgegen- 
gesetzten Seite  des  Baumes  der  gestrenge  Herr  Pfarrer,  scheinbar  in  sein  Brevier  vertieft,  ihre  Geständ- 
nisse belauscht.  Die  beiden  lichtübergossenen,  jugendlichen  liebenswürdigen  Mädchen  hier  sind  von 
ganz  besonderem  malerischen  Reiz.  Harmlose  Heiterkeit  athmen  auch  jene  Bilder  des  Malers,  welche 
Begegnungen  der  Städter  mit  gesunden  Naturkindern  zum  Vorwurf  haben:  «Der  Botaniker  auf  dem 
Lande»,  «Ein  galanter  Professor»,  «Auf  der  Studienreise»,  «Ein  williges  Modell»,  «Das 
entflohene  Modell». 

Im  Erfinden  anekdotischer,  novellistischer  Sujets  ist  Vautier  so  ideenreich  gewesen,  wie  kaum 
ein  Zweiter.  Hier  zeigt  er  in  traulicher  Bauernstube  am  Sonntagnachmittag  —  er  sieht  die  Welt 
überhaupt  im  Sonntagsstaat  am  Liebsten  und  schildert  sie  selten  im  Arbeitskleide  —  Burschen  und 
Mädels  beim  «Schwarzen  Peter»,  dort  führt  er  uns  zu  gleicher  Stunde  in  eine  Schenke,  wo  ein 
gewandter  «Taschenspieler»  einer  Schönen  eben  eine  Karte  aus  dem  Mieder  zieht;  er  verewigt 
zwei  Dorfmädchen,  die  im  Städtchen  den  Trödelkram  in  der  Auslage  eines  Krämers  bewundern,  er 
lässt  die  zärtliche  Auseinandersetzung  eines  Liebespaares  durch  ein  in  der  Ofenecke  verborgenes  kleines 
Schwesterchen  belauschen;  er  führt  eine  Bauerndirne  in  die  «Magistratische  Kanzlei»,  wo  sie  im 
Vorsaale  den  Amtsdiener  und  in  der  Schreibstube  den  Kanzlisten  eineeschlafen  findet ;  er  conterfeit 
mit  der  feinsten  Menschenkenntniss  eine  Gruppe  prozessirender  «Bauern  vor  Gericht»  (1880),  ein 
junges  Paar,  das  den  betrügerischen  Schmuel  oder  Veitel  «Vor  dem  Dorfschulzen»  anklagt,  er 
zaubert  im  «Gast  im  Herrenstübel »  ein  naturtreues  Stück  ländlichen  Philisterlebens  auf  die  Leinwand. 
Das  «Brautexamen»  lässt  er  sein  Liebespaar  vor  einem  alten  Pfarrherrn  bestehen,  der  merkwürdig 
an  den  vielgenannten  Sebastian  Kneipp  erinnert;  andere  geistliche  Typen  zeichnet  er  in  der  «Schach- 
partie»; voll  Humor  ist  die  «Barbierstube»,  voll  anmuthiger  Schelmerei  die  Szene  «Ohne  Ge- 
nehmigung des  Urhebers»,  von  grosser  Schärfe  der  Charäkterzeichnung  «der  Hypochonder»  ; 
poetisch  reine  Sonntagsstimmung,  die  stillste  und  lauterste  fast  von  allen  den  vielen  Sonntagsbildern 
Vautier's  athmet  die  in  einem  Dorf kirchhof  des  Berner  Oberlands  verlegte  Szene  «Vor  der  Kirche» 
(1884).  Eine  Schwarzwälder  Amme,  vom  älteren  Brüderlein  des  Säuglings  in  ihren  Nährpflicht  belauscht, 
stellt  das  Bild  «Eine  merkwürdige  Begebenheit»  (1877)  dar,  «Abgetrumpft»  eine  dralle 
Bauerndirne,  die  eben  aus  einem  Parkthor  schreitend,  dem  frechen  Lakaien  des  Herrenhauses  die 
gebührende  Abfertigung  zu  Theil  werden  lässt. 


DIE     KUNST  UNSERER  ZEIT. 


45 


V- /,.-■■■ 


Benjamin    Vautier.     Studienzeichnung 


Benjamin    Vaiiticr.     Studienzeichnung 


Die  Zahl  der  Bilder,  die  unter  Meister  Benjamins  Pinsel  entstanden,  ist  fast  unerschöpflich  und 
wollte  der  Chronist  mehr  geben  als  eine  trockene  Aufzählung,  so  würde  ihm  unter  der  Hand  ein 
Buch  aus  diesem  knappen  Nachruf.  Nur  eines  Werkes  sei  noch  ein  wenig  ausführlicher  gedacht, 
eines  Werkes,  in  dem  der  Maler  so  recht  seine  ganze  Kunst  und  Kraft  gezeigt,  ob  es  gleich  in 
seinem  Gegenstande  von  Vautier's  ureigenstem  Gebiet,  der  Bauernschilderung,  ein  wenig  ablag :  der 
«Verhaftung».  Auf  der  Münchener  Ausstellung  des  Jahres  1879,  also  zu  einer  Zeit,  wo  die 
lebendige,  dramatisclie  Darstellung  eines  Gegenstandes,  die  Erzählerkunst  des  Malers  in  höchster 
Geltung  stand,  erregte  das  Bild  Sensation  und  wird  als  eine  der  vornehmsten  Typen  dieser  Kunst- 
gattung auch  dauernd  giltig  bleiben :  In  der  malerischen,  alten  Kleinstadt  ist  am  frühen  Morgen  ein 
—  der  Aufschrift  seines  Ladens  nach  —  jüdischer  Verbrecher  verhaftet  worden.  Vor  Schmerz  und 
Schande  ergriffen  ist  seine  Tochter  oder  sein  Weib  an  der  Schwelle  zusammengebrochen ;  eine  Alte 
tröstet  sie.  Die  Nachbarn,  die  Zeugen  der  Szene  waren,  umstehen  noch  die  Stätte  und  während  die 
Einen  geschwätzige  Neugier,  ja  wohl  auch  boshafter  Hass  erregt  und  zu  lebhaften  Erörterungen  über 
den  Vorfall  führt,  bewegt  die  Andern  inniges  Mitleid  mit  den  Armen  an  der  ausgetretenen  Schwelle 

ir  7 


46  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

des  Wuchererhauses.  Jede  dieser  Gestalten  ist  köstlich  gesehen  und  köstlich  getroffen ,  am  Köst- 
lichsten aber  wohl  die  des  jungen  Mädchens  im  Vordergrund,  das  in  tiefer,  mitfühlender  Ergriffenheit 
zu  den  unglücklichen  Frauen  hinüberblickt. 

Noch  einer  anderen  Seite  von  Vautier's  künstlerischem  Schaffen  soll  nicht  vergessen  werden, 
seine  Thätigkeit  als  Zeichner  und  Illustrator.  Im  Jahre  1865  erschien  eine  von  ihm  mit  herrlichen 
Zeichnuneen  versehene  Prachtausgabe  von  Immermann's  «Oberhof»;  Wilh.  Lübke  hat  u.  A.  diese 
Vautier 'sehen  Zeichnungen  mit  geradezu  enthusiastischen  Worten  gewürdigt.  Noch  näher  lag  ihm, 
dem  «Schwabenmaler«,  die  Aufgabe,  Auerbach's  Dorfgeschichte,  das  «Barfüssele»  mit  Bilderschmuck 
zu  versehen  und  vielleicht  sind  hier  die  Bilder  des  nachschaffenden  Zeichners  wahrer  und  echter  aus- 
gefallen, als  die  Gestalten  des  seinerzeit  so  sehr  überschätzten  Salon-Romanciers.  Im  gleichen  Jahre 
wie  das   «Barfüssle»,    1869,  erschienen  seine  Bilder  zu   «Hermann  und  Dorothea». 

Was  die  äusseren  Ehren,  die  Vautier  erfuhr,  betrifft,  so  haben  wir  verschiedener,  ihm  ertheilter 
Ausstellungsmedaillen  schon  gedacht.  Er  hat  deren  noch  viel  mehr  erhalten,  österreichische,  preussische 
und  bayerische  Orden  wurden  ihm  verliehen  und  er  war  Mitglied  der  Akademien  von  München, 
Berlin,  Wien,  Amsterdam  und  Antwerpen. 

Einer  der  Besten  seines  Faches  und  seiner  Zeit  hat  er  sich  einen  Platz  in  der  Kunstgeschichte 
für  immer  gesichert,  einen  Platz,  den  ihm  auch  die  neidlos  zuerkennen  mussten,  die  neben  ihm  nach 
ganz  anderen  künstlerischen  Zielen  strebten. 

Der  Lorbeer,  der  ihm  grünt,  wurzelt  im  Herzen  seines  Volkes. 


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Benjamin    Vautier.    Studienzeichnung 


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DIE 


Münchener  Jahres-Ausstellungen  von  1898 


VON 


FRANZ  HERMANN  MEISSNER 


t  Ein  selbständiges  Recht  hat  die  Technik  in  der  künstlerischen 
Thätigkeit  nicht;  sie  dient  lediglich  dem  geistigen  Prozess.  Nur  wo 
der  Geist  keine  Herrschaft  auszuüben  im  Stande  ist,  gelangt  sie  zu 
selbständiger  Bedeutung,  Wichtigkeit,  Ausbildung  und  wird  künstlerisch 
werthlosi.  Conrad  Fiedler, 

« Cjefühl  ist  Alles ! »  sagt  irgendwo  Goethe,  der  grosse  deutsche  Idealist  von  Weimar,  mit  der 
ihm  eigenen  Kürze  der  Sentenz.  Ein  neuerer  französischer  Nationalökonom  hat  diese  Formel  tenden- 
ziöser gefasst ;  er  wendet  sie  auf  das  Leben  der  Völker  und  das  Gesetz  von  Wachsthum  und  Nieder- 
gang an;  er  weist  überzeugend  nach,  dass  die  zu- 
kunftsfähige Lebenskraft  eines  Volkes  nicht  auf  der 
Höhe  von  Technik,  Verkehr,  Existenzsicherheit,  Aus- 
bildung der  Staatsorganisation  beruht,  —  vielmehr 
allein  von  der  Stärke  und  Richtung  seines 
Gefühlslebens  abhängt.  Die  Straffheit  der  Moral, 
eine  allgemeine  Lebensführung  mit  selbstbeherrschen- 
der Hinsicht  auf  den  ganzen  Volkskörper,  die  an- 
gespannte Seelenkraft  in  der  selbstlosen  Hingabe  an 
fruchtbare  Ideale,  —  das  sind  die  schöpferischen  und 
erhaltenden  Elemente,  mit  denen  Sparta,  Athen,  Rom 
im  Alterthum,  —  Spanien,  Italien,  Frankreich  im 
Ausgang  des  Mittelalters  aufsteigend  ihre  Grossthaten 
verrichteten;  «so  herrlich  weit  es  aber  alle  diese 
Volkskörper  in  der  Geschichte  auf  allen  Gebieten 
gebracht»,  —  nichts  konnte  den  Niedergang  und 
den  völligen  Verfall  aufhalten,  als  schrankenloser 
Egoismus  des  Einzelnen,  schwüles  Abirren  von  natürlichen  Anschauungen  und  Regungen,  Entartung, 
gedankenlose  Umwerthung  der  öffendichen  Erscheinungen  die  Seelenkraft  geschwächt  hatten.  Denn 
mit  der  Seelenkraft  verliert  sich  der  Schwung,  und  ohne  den  blind  an  sich  und  sein  Werk  glaubenden 
Schwung  der  Geister  und  Seelen  wird   nirgends    mehr    eine    fruchtbar    weiterwirkende    That    gelingen. 

II  8 


Adalbert  Hynais.     Studie 


48 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Die  genannten  Staaten  geben  in  ihrem  Niedergang  ebenso  viele  schlagende  Beispiele  dafür:  wer  in 
den  öffentlichen  Erscheinungen  aller  Art  zu  lesen  versteht,  —  wem  Kunst  und  Literatur  der  Auf- 
gangs- wie  Niedergangs  -  Epochen  mehr  sagen  als  den  blossen  Gegenstand  ihrer  Darstellung,  den 
wird  das  sichere  Walten  jenes  Gesetzes  überall  überraschen,  ihn  fesseln,  ihm  praktische  Schluss- 
folgerungen ermöglichen. 

Was  die  Kunst  anbelangt,  die  heute  mit  Recht  als  einer  der  wichtigsten  Kulturfaktoren  gilt 
und  den  empfindlichsten  Werthmesser  stets  für  alle  Zeiterscheinungen  abgegeben  hat,  so  zeigt  sie 
merkwürdige  Parallelen  der  Stilgesetze   in  allen  Aufgangszeiten,  —  und    ebenso   in    den  Niedergangs- 


Hans  Petersen.     Hochsee 


Zeiten.  Sobald  hier  der  mächtige  zusammenfassende  Herzschlag  heraus  ist  und  das  Einsgefühl  mit 
dem  Volksleben  ermattet,  kommt  das  leere  Virtuosenthum  an  die  Reihe  ....  die  seelenmordende, 

bleiche,    geschminkte  Routine  geht  um   und    flüstert    dem  Einzelnen  cynische  Witze  in's  Ohr 

sie  übertönt  die  mahnenden  Stimmen  der  geistig  Freien,  Unabhängigen,  Selbstvertrauenden,  deren  Zahl 
in  einer  Zeit  ohnehin  immer  beschränkt  ist,  und  greift  fressend  um  sich.  Und  ihr  gegenüber  hilft, 
wo  sie  sich  an  einem  sonst  noch  gesunden  Körper  zeigt,  nur  klare  Selbstbesinnung  und  energisches 
Wirken  im  Sinne  gesellschafterhaltender  Gefühlskräfte.  —  Das  aber  ist  auch  eine  von  den  Kultur- 
erscheinungen, dass  stets  innerhalb  derselben  Zeit  Strömungen,    welche    die  Erhaltung   der  Volkskraft 


Edward  T.  Compton.     Neuschnee  im  Höllenthal 


50 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


im  Auge  haben,  neben  solchen  destruktiver  Art  gefunden  werden,  und  dass  den  Ausschlag  für  den 
Zeitcharakter  die  stärkere  Strömung  gibt.  Für  die  Zeitgenossen  ist  es  demnach  stets  die  Kardinal- 
frage, entweder  aufkeimende  destruktive  Kulturtendenzen  zu  unterdrücken  oder  aber  bei  bereits  vor- 
geschrittenem Stadium  um  die  Gewinnung  neuer  Gesundheit  sich  thatkräftig  zu  mühen.  —   —  — 

Das  treiieste   Bild  unserer   Kunstströmungen    geben    heute   so  ziemlich  die  Jahresausstellungen ; 
in  Deutschland  in  erster  Linie    die  Münchner,    und   das   besonders,    weil    die    Beurtheilung    der    Lage 


durch  die  örtliche 
Trennung  der  zwei 
feindlichen  Strömun- 
gen auch  dem  Laien 
einen  Einblick  in  das 
geheime  Wirken  der 
geistigen  Richtungen 
möglich  macht. 

Man  kann  von  dem 
Glaspalast  kurz 
sagen,  dass  in  ihm 
sich  die  Kunstarbeit 
des  gesunden  Volks 
in  seinem  Genie  wie 
in  seiner  werkthätigen 
Frische,  in  seiner  na- 
tionalen Gesinnung 
und  in  seiner  unge- 
brochenen Kraft  ver- 
trauenerweckend 
spiegelt.  Auch  der 
diesjährige  Glaspalast 
wirft  ein  gutes  Bild 
zurück :  in  Lenbach 
und  Klinger  zeigt  er 
uns    trotz    des    dies- 


Carl  Bössenrot/i,     Mondaufgang  im  Moos 


maligen  Fehlens  der 
weiteren  Namen,  eine 
wie  bedeutende  und 
zukunftsvolle  Kunst 
wir  besitzen,  —  und 
er  zeigt  uns  in  der 
weiteren  Gesanimt- 
heit  einen  erfreulichen 
Durchschnitt  mit  ge- 
sundem ,      organisch 

gewachsenem  Ge- 
fühlsleben, mit  klaren 
Anschauungen  und 
einer  augenscheinlich 
aufwärts  gehenden 
Technik.  In  ihm  kri- 
staliisirt  sich  die  so- 
lideRechtschaffenheit 
nicht  nur,  welche  die 
Münchner  Kunst  seit 
vielen  Jahrzehnten 
auszeichnet,  —  es  ist 
auch  thatsächlich  die 
Mehrzahl  der  gröss- 
ten  Leistungen  in  neu- 
ester Zeit  in  seinem 


Gefolgskreis  entstanden.  Er  steht  hinter  seinem  Vorgänger  in  keiner  Weise  zurück.  Er  übertrifft  auch 
in  seinem  wirklichen  Gehalt,  wenn  man  in  unbefangener  Sachkenntniss  abwägt,  sicher  seinen  Secessions- 
rivalen  am  Königsplatz.  Sieht  dieser  zweifellos  pikanter  aus,  so  vergesse  man  nicht,  dass  Mixed-Pickles 
und  Sardellen  auch  pikant  sind,  —  dass  das  Pikante  aber  weder  für  die  geistige  noch  für  die  leibliche 
Nahrung  irgend  welchen,  ^  es  sei  denn  einen  vernichtenden,  —  Werth  besitzt.  —  Hat  der  Glas- 
palast einige  monotone  Säle  und  mancherlei  Minderwerthiges,  so  ist  zu  berücksichtigen,  dass  er  in  seinem 


K.  v»u  Leubacli  |iiu\. 


i'tiot.  F.  iluurstacusl,  MODCbeii 


Eriea  und   Marion   Lenbaeh 


F.  vüu  l.eiibiicti   piux 


fliut.   1',   liaui'i.uiib'l,   Mlluchcu 


Bildniss 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


51 


Caspar  Ritter.     Blumen 


System  einer  objektiven,  der  ganzen  nationalen  Hervorbringung  dienenden  Kunstpflege  im  Wettbewerb 
auf  ein  obenhin  bestechendes  Aussehen  mit  der  Secession  nicht  rivalisiren  kann  —  d.  h.  für  ein  ober- 
flächliches Auge;  die  Secession  gibt  ja  ihrer  schönen  einstigen  Devise:  «Nothvi^ehr  für  die  unterdrückte 
Jugend»  —  längst  die  praktische  Auslegung,  dass  durch  rabiates  Auswählen  unter  den  frischen  Kräften, 
—  soweit  sie  nicht  einem  bestimmten  Kreis  angehören,  —  ein  buntbewegter,  den  Laien  leicht  blen- 
dender  Eindruck  zu  erzielen  ist;    hätte   der   Glaspalast    in   diesem  Jahr   einmal   sich   zu    dem   gleichen 


kunstmörderischen  Ver- 
fahren bequemt,  so 
würde  auch  der  Naivste 
sehen,  durch  welch' 
eine  Summe  bedeuten- 
der Würfe  und  durch- 
weg gediegener  Leist- 
ung er  dem  Unter- 
nehmen am  Königsplatz 
überlegen  ist! 

Von  der  Secession 
hörte  ich  in  München 
Viele  sagen,  dass  sie 
auffällig  still  stände. 
Das  stimmt  nicht.  Sie 
schreitet  in  Wirklichkeit 
rapide  in  ihrem  natür- 
lichen Verfall  fort.  Sieht 


man  von  einigen  Frem- 


Heritianti    Vrban.     Jugend 


den  ab,  —  deren  Viele 
zum  Verdecken  eigenen 
Defizits  herangezogen 
sind,  —  so  bleibt  kaum 
ein  Dutzend  Namen 
solcher,  die  man  mit 
aufrichtiger  Freude  be- 
trachten kann.  Die  sehr 
geschickte  Anordnung 
der  ersten  Säle  hilft 
darüber  so  wenig  hin- 
weg als  die  durch- 
triebene Einführung 
und  Anpreisung,  —  als 
die  Geschicklichkeit,  mit 
der  die  Secession  einen 
Theil  der  Tagespresse 
für  sich  zu  interessiren 
verstanden  hat.  Es  gibt 


52 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


für  die  Zustände  im  Kreise  der  Secession  keine  schlagenderen  Merkmale,  als  u.  v.  A.  die  bevorzugte 
Vorführung  solcher  « Leistungen »  wie  die  des  einst  bessere  Tage  als  Maler  gesehen  habenden 
A.  Keller,  —  wie  das  Prinzessinnenbildniss  von  Hierl-Deron  co ;  wird  die  Dame  wirklich  diese 
Karrikatur  auf  ihre  zarte,  durchgeistigte  Erscheinung  in  ihren  Zimmern  aufhängen  und  sich  überzeugen 
lassen,  dass  diese  Art  von  «Kunst»  —  « neueste  Errungenschaft »  sei???  Oder  wie  einige  der  oberen 
Säle,  deren  Bilder  auf  uns  mit  allen  Schauern  der  geistigen  Umnachtung  wirken,  als  befände  man 
sich  in  einem  Irrenhaus  für  —  moderne  Maler?  Solche  Kritiklosigkeit  beweist  lediglich  für  jeden 
Unbefangenen,  wie  zerfahren  und  verwirrt  die  inneren  Verhältnisse  der  Secession  sind,  die  heute  nicht 


mehr  vorstellt  als  ein 
paar  wirklich  begabte 
Maler,  an  deren  Rock- 
schösse sich  anschei- 
nend alles  Verderbte, 
Talentlose,  Verfahrene 
in  der  neueren  Malerei 

unabschüttelbar  ge- 
,  klammert  hat.  Sind  die 
paar  «Könner»  in  die- 
sem Kreise  so  ge- 
schmacklos ,  sich  das 
auf  die  Dauer  gefallen 
zu  lassen,  so  ist  das 
schliesslich  ihre  Sache, 
—  denn  sie  haben  die 
Zeche  zu  bezahlen,  da 
die  Anderen  nichts  an 
Ruf  und  Ansehen  zu 
verlieren  haben.  Die 
Herren     sollten     wohl 


Theodor  Esser.     Lustige  Nacht 


Überlegen ,  wie  wenig 
in  neuerer  Zeit  sie  an 
Boden  gewonnen  haben 
und  wie  spürbar  schon 
das  Odium  der  Führer- 
schaft bei  einer  destruk- 
tiven Künstlergruppe 
sich  an  sie  gehängt ! 
Denn  die  Secession  hat 

mit  der  nationalen 
Kunstleistung  der  Ge- 
genwart im  Ganzen 
nichts  mehr  zu  thun. 
Sie  vertritt  nicht  mehr 
die  Jugend,  —  denn 
die  wiegt  im  Glaspalast 
über  und  neue  Kräfte 
finden  bei  ihr  nur  eine 
—  sehr  zurückhaltende 
Gegenliebe.  Sie  ver- 
tritt    nicht    mehr    die 


social-realistische  Malerei,  welche  auf  Grund  einer  politischen  Zeiterscheinung  ein  logisches  Daseinsrecht 
besass,  —  soweit  die  Darstellung  eben  wirklich  künstlerisch  war,  —  —  sie  vertritt  auch  nicht  eine 
auf  nationaler  Grundlage  ruhende  Phantasiekunst.  Was  sie  in  der  deutlich  erkennbaren  Gesammtheit 
ihrer  Werke  vertritt,  ist  Neuaufarbeitung  veralteter  Auslandsabfälle,  —  jetzt  kommen  schon  die  Newa- 
Tataren  an  die  Reihe,  —  ujeh!  — ,  —  ist  ferner  minderwerthiges  Exercitium  in  Palettenkniffen,  — 
und  nicht  ein  Deut  mehr !  Wann  hätte  in  den  letzten  Jahren  die  Secession  ein  wirklich  Neues, 
fruchtbar  Weiterwirkendes  vorgeführt?  Sie  vertritt  auf  nahezu  allen  Linien  die  Künstelei, 
—  nicht  die  Kunst.  Sie  schraubt  mehr  und  mehr  die  Künstlerstellung  io  die  Sphäre  des  wandern- 
den Geigenjongleurs    und  Bildnissgauklers,    wie  sie    das   vorige   und   der  Anfang   unseres  Jahrhunderts 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


53 


August  Fink.     Winterlandschaft  an  der  Isar  bei  Freising 

gekannt  hat. Sie  ist  Alles  im  Allem  längst  keine  künstlerische  Gruppe  mehr,  mit  der  man  rechnen 

muss,  —  vielmehr  lediglich  eine  Personenklique  von  5  Leuten  mit  50  Palettenakrohaten  etwa  als 
Anhang,  die  in  ihren  kokottenhaft  ä  Ja  Maupassant  anmuthenden  Ausstellungen  den  rapiden  Verfall 
einer  bestimmten  degenerirten  Gesellschaftsklasse  in  unserem  Volkskörper  darstellt.  Sie  theilt  als  patho- 
logische Erscheinung  mit  dieser  auch  das  ganz  auffällige  Nichtkönnen  im  «soliden»  Handwerk  der 
Kunst  und  die  völlige  Unfähigkeit,  irgend  etwas  über  den  Rahmen  des  ersten  Einfalls,  der  Skizze,  des 
Versuchs  hinaus  als  ein  vollreifes  Werk,  als  eine  vor  ernsten  Männern  giltige  Leistung  zu  Stande  zu 
bringen;  —  das  wirkt  aus  der  Gesammtheit  der  Secessionsausstellung  heraus  als  eine  den  Kunstfreund 
bedrückende,  —  und  das  namentlich,  wenn  er  «mit»  der  Jugend  fühlt!  —  aber  unbarmherzige  That- 
sache.  Eine  nicht  aus  dem  Volksleben  mehr  oder  minder  hoch  anwachsende  Kunstweise  ist  nicht 
lebensfähig,  —  der  Volksinstinkt  wehrt  sich,  solange  er  gesund  ist,  gegen  in  seinem  Sinne  anti- 
nationales   und    antikünstlerisches  Schaffen,   —  er   hat    sich  erfolgreich    der  Secession   bisher    erwehrt, 


54 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


—  und  die  .Schlussfolgerung  ist  nicht  mehr  abzuweisen,  dass 
die  Episode  der   « Secession »   nunmehr  zu  Ende  geht.    —    — 

Gegenüber  diesem  Hurrahstil  überreizter  Nerven  und 
willenlos  jedem  Eindruck  vom  Ausland  überlassener  Sinne  im 
Secessionshaus  wirkt  der  Glaspalast  wohlthätig  mit  der  ruhigen 
und  nachdrücklichen  Dynamik  einiger  hochbedeutender  Schöpf- 
ungen von  Zukunftstragweite  und  einer  grossen  Zahl  grund- 
solider Arbeiten,  die  auf  dem  Boden  ehrlicher  Künstlerbegeister- 
ung an  den  Welterscheinungen  und  eines  tüchtigen,  überall 
sich  hervorkehrenden   Handwerkskönnens  gewachsen  sind. 

Die  Hauptanziehungspunkte  bilden  hier  diesmal  zwei 
unserer  grössten,  einander  vollständig  entgegengesetzten  Künstler- 
persönlichkeiten, —  nämlich  Lenbach  und  Kling  er.  Man 
kann  von  der  über  ein  Dutzend  Werke  enthaltenden,  mit  der 
grössten  Feinheit  des  Zufälligen  vorgeführten  Sonderausstellung 
Lenbach' s  schlechthin  nichts  Besseres  sagen,  als  dass  eine 
neue  Jugend  über  den  Künstler  gekommen  ist  und  er  die 
bisher  eingenommene  Höhe,  —  so  unglaublich  es  klingen 
mag,  —  noch  überboten  hat.  Seine  «  Halbfigur  einer  Zigeunerin  » 
ist  geradezu  ideal  vollkommen  und  eine  der  schönsten  Leist- 
ungen des  Künstlers,  die  unbedingt  in  ein  grosses  Museum 
gehört.  Ist  dieser  runde,  etwas  nach  hinten  gewandte  Körper 
mit  dem  Gewandfetzen  wunderbar  gemalt,  —  ist  da  ein 
Schmelz,  eine  Wärme,  eine  Tiefe  im  Ton  und  eine  bethörende 
Stimmung,  welche  uns  ähnliche  Eindrücke  von  den  grössten 
Meistern  der  Geschichte,  —  einem  Tizian,  Rembrandt,  Rubens, 

—  lebendig  macht!  Und  diese  stupende  Wirkung  setzt  sich 
heuer  von  Bild  zu  Bild  fort,  wobei  diesmal  das  weniger 
Vollendete    seltene   Ausnahme    zu    bilden   scheint.     Da  ist  das 

erstaunlich  feine  und  schlagend  ähnliche  Bildniss  einer  älteren  Dame,  —  neben  ihm  das  süsse 
Köpfchen  einer  bekannten  Münchner  Malersgattin,  das  prächtig  im  flüchtigen  Augenblick  eines  auf- 
huschenden Lächelns  erhascht  ist,  —  von  gleicher  malerischer  Genialität  aber  auch  das  Doppelbildniss 
in  Vollfigur  von  einer  jungen  Dame  und  einem  Mädchen,  dessen  kostbare  Farben  bestechend  aus  dem 
tonigen  Hintergrund  tauchen :  in  den  fremdartig-feinen  Zügen  mit  dem  Feuer  und  dem  sprühenden 
Geist  im  Auge  glaube  ich  Frau  von  Lenbach  selbst  zu  erkennen.  Ich  hebe  noch  das  kraftvolle 
Schauspieler-Bildniss,  den  reliefartigen  Bismarckkopf  und  Björnsons  Conterfei  heraus,  ohne  damit  die 
besten  Stücke  dieses  Lenbachsaals  annähernd  vollzählig  angeführt  zu  haben.  —  —  —  Was  das 
immer  wieder  Unbegreifliche  an  den  Lenbachschöpfungen  ist:  er  steht  fast  überall  —  seltene  Ausnahme 


Eugenie  Munk.     Pierrot 


F.  A.  von  Kaulbach  pinx. 


Phot.  F.  Haorittaengl,  München 


Frau  von   Kaulbaeh 


(D 
O 

a 


Max  Ring.     Am  Gemüsestand 
Copyright    1898   by   Franz    Hanfstaengl 


II  9 


56 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


abgerechnet  —  sicher  auf  dem  Boden  der  Natur.  Seine  Farben  und  Töne  sind  das  Seltenste,  oft 
Köstlichste,  das  Musikalischste  möchte  ich  sagen,  was  ein  königlich  in  seinem  Reich  herrschender 
Geist  ausgesonnen  hat,  —  es  steckt  eine  grenzenlose  Arbeit  und  Vorbereitung,  ein  unglaubliches 
Beobachten  und  Nachdenken  in  diesen  scheinbar  so  mühelos  hingesetzten  Tondämmerungen ,  die  in 
dieser  Finesse  und  Dififerenzirung  anscheinend  niemals  in  der  Natur  vorkommen ;  aber  er  verliert 
trotzdem  nur  sehr 
selten  einmal  die 
Natur  aus  dem  Auge ; 
sie  steht  schweigsam 
überall  in  seinen 
Formen  und  in  jedem 

Gesichtsinhalt  als 
etwas  ihm  genau 
Bekanntes,  das  er  aus 
primitiver,  roh  wir- 
kender Einfachheit 
erhöht,  mildert  und 
nach  seinen  Maler- 
instinkten umgestal- 
tet. Dieser  enge  Zu- 
sammenhang von 
Natur  und  Geist  bei 
ihm  und  diese  könig- 
liche Herrschaft  über 
die  Mittel  der  Kunst 
bedingen  Lenbach's 
Grösse ;  man  darf 
heute,  wo  Böcklin's 
und  Menzel's  Werk 
mit  dem  Alter  dieser 
Maler  als  abgeschlos- 
sen   gelten    können, 


Conrad  Kiesel.     Damenbildniss 


von  dem  jugend- 
frischen Sechziger 
Lenbach  ohne  jeg- 
liche Uebertreibung 
sagen,  dass  er  der 
erste  « Maler  >:  der 
Gegenwart  ist.  Und 
dabei  ist  seine  Kunst 
in  ihrem  ganzen  Um- 
fassungskreis,in  ihrer 
seelischen    Richtung 

doch  vollkommen 
national ;  sie  kann 
vorbildlich  dafür  sein, 
wie  ein  Künstler  in 
seinen  Mitteln  sich 
die  Erfahrungen  aller 
Völker  und  Zeiten 
der  Geschichte  dienst- 
bar machen  darf, 
ohne  den  Zusammen- 
hang mit  dem  Kunst- 
genius seines  Vater- 
landes zu  verlieren. — 
In  einer  ganz 
anderen  Welt  der 
Kunst      doch      eine 


Lenbach  verwandte  Erscheinung  ist  Klinger,  der  diesmal  sein  vielgenanntes,  in  der  «Kunst  unserer 
Zeit»  schon  mehrfach  besprochenes  Riesentriptychon :  «Christus  im  Olymp»  ausstellte.  Das  Bild  ist 
äusserst  ungünstig  angebracht.  Der  rothe  Koloss  zur  Linken,  der  blaue  zur  Rechten  sind  die  unge- 
eignetste Nachbarschaft,  —  das  grelle  Oberlicht,  das  durch  ein  besonderes  Velum  hätte  gedämpft 
werden  müssen,  macht  die  Farben,  welche  im  Vorjahr  auf  der  Leipziger  Gewerbeausstellung  und  in 
der  Werkstatt  des  Künstlers  blüthenfrisch   und  lebendig  wirkten,  kalt  und  hart;    dem  Bild    ist   bis  auf 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


57 


Anton  Laupheimer.     In  Ferien 


die  durch  ihre  tiefere  Lage  begünstigtere  Predelle  fast  der  ganze  eigenthümliche  Farbenreiz  genommen. 
Das  ist  sehr  bedauerlich  und  sollte  abgestellt  werden;  der  Glaspalast  hat  doch  gewiss  keine  Ursache, 
den  geschäftigen  Gegnern  eines  seiner  «Haupttrümpfe»  Wasser  auf  die  Mühle  zu  giessen.  Das  Bild 
darf  ich  aus  den  wiederholten  Beschreibungen  wie  aus  Abbildungen  als  so  bekannt  voraussetzen,  dass 
ich  ein  Eingehen  auf  seine  Einzelheiten  unterlassen  kann.  —  Was  Lenbach  unter  den  «Malern»,  ist 
Klinger  mit  seinem  zwischen  200  und  300  Nummern  zählenden  Gesammtwerk  unter  den  «Künstlern». 
Er  ist  Phantasiekünstler  grössten  Kalibers,  in  dem  die  Gedankengänge  von  Antike,  Renaissance,  der 
gesammten  Gegenwart  nach  künstlerischem  Ausdruck  drängen,  für  welchen  er  die  Stecherkunst,  die 
Plastik,  die  Malerei  verwendet  hat.  Seit  seiner  Reife  steht  er  in  den  Formen  streng  auf  der  Natur; 
aber  er  erhöht  die  Natur  wie  jeder  grosse  Künstler;  seine  Farben  sind  darum  ebenso  wenig  Natur- 
farben wie  die  von  Lenbach;  er  sucht  im  Kolorit  gewisse  grosse  symbolische  Wirkungen,  die  seinem 
Bildproblem  dienen.  Das  haben  alle  grossen  Künstler  von  Giotto  bis  Michelagniolo,  von  den  Eycks 
bis  Dürer,    von  Cornelius  bis  Böcklin  gethan,   —   und   es    ist   wirklich   gut,    dass   die    Kunst    in    ihrem 


58 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Lauf  stets  noch  von  grossen  Künstlern,  nie  aber  von  schlechten  Kritikern  mit  mangelhafter  Kenntniss 
der  Kunstgeschichte  gemacht  wird.  Wenngleich  für  Klinger  persönlich  die  Malerei  die  sprödeste  unter 
seinen  Techniken  ist,  hat  er  doch  ein  als  Bild  so  ausgezeichnetes  Farbenkunstwerk  wie  das  « Paris- 
urtheil  >>  geschaffen,  und  man  wird  auch  diesen  « Christus  im  Olymp »  trotz  mancher  ernsten  Einwände 
der  Zukunft  überlassen  können.  Dies  Werk  geht  seinen  Weg  mit  seiner  gedanklichen  Grösse,  seiner 
edlen  Formengebung,  seiner  Farbenkraft,  —  ob  der  Künstler  es  noch  einmal  übermalt  oder  nicht,  — 
es  ist  viel  zu  bedeutend.    Wie  wir  Germanen  aus  Gründen,  deren  Erörterung  hier  zu  weit  führt,   wohl 


am  tiefsten  in  die  welt- 
geschichtlichen Prob- 
leme der  Antike  und 
der  Renaissance  ein- 
gedrungen sind,  —  so 
ist  auch  dies  Werk  wie 

andererseits  Ibsen's 
«  Kaiser  und  Galiläer  » 
ein  Zeuge  davon;  ferner 
aber  auch  dafür,  wie 
grossartig  der  ideelle 
Zusammenprall  von  An- 
tike und  Christenthum 
von  einer  modernen 
Künstlerphantasie  er- 
schaut worden  ist. 

Klinger  ist  im  ge- 
sammten  Nord-  und 
Mitteldeutschland  heute 
rückhaltlos  anerkannt; 
wo  man  ihn  im  Ein- 
zelnen nicht  goutirt, 
hält  man  sich  mit  gutem 
Takt  zurück,  weil  man 


L 


Albcil  Hynais.     btudie 


sich  sao;t,  dass  ein  be- 
deutender  Künstler  am 
Ende  doch  Recht  hat; 
man  ist  durch  die  Er- 
fahrungen mit  Menzel 
und  Böcklin  gewitzigt; 
die  Opponenten  der 
70  er  und  80  er  Jahre 
gegen  beide  haben 
Haare  auf  der  Wahl- 
statt gelassen,  —  sie 
haben  als  schliesslich 
nicht  ernst  genommene 
Leute  ihre  kritische 
Thorheit  mit  der  Lauf- 
bahn  bezahlt  und  sind 

grösstentheils  ver- 
schwunden. Aus  einer 
bestimmten,  sehr  ge- 
kannten Münchner 
Gruppe  heraus  wird 
jetzt  dasselbe  mit  Klin- 
ger erlebt.  Böcklin,  an 
dessen    Stellung    nicht 


mehr  zu  tasten  ist,  wird  verherrlicht,  —  aber  die  « Allegorie »  (Böcklin  hat  kaum  Anderes  je  gemalt !) 
gilt  ihnen  u.  A.  als  künstlerisches  Unding  und  veraltet.  Die  Allegorie  beherrschte  leider  nun  alle 
Zeiten  der  Kunstgeschichte,  —  wie  kann  man  ohne  sie  Michelagniolo's,  Ruben's  Namen  nennen  !  — 
sie  wird  immer,  wo  intensives  Geistesleben  sich  mit  dem  Formentalent  der  Kunst  vereinigt,  die 
Darstellung  eines  Künstlers  bestimmen.  Das  wird  nie  anders  sein  und  immer  werden  die  Kunst- 
gesetze aus  den  grossen  Kunstwerken  abgeleitet  werden  müssen.  Den  grossen  Kunstwerken  aber  ist 
es   eigenthümlich ,    dass   sie    immer   vom  Wesen   der  schaffenden  Künstlernatur  bestimmt  werden:    der 


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Kruux  Stuck  p1u\. 


CupjTiglit  1»98  hy  KiaDx  UaDrstaciigl 


Pallas  Athene 


60 


DTE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


eine  leistet  Unvergängliches  im  malerischen  Ausdruck 
wie  Lenbach,  —  der  andere  zieht  als  einsamer  Phi- 
losoph die  Quintessenz  aus  der  Geschichte  und  formt 
sie  zum  Werk  der  bildenden  Kunst  wie  Klinger,  — 
der  dritte  schildert  die  bunten  Bilder  des  Lebens  un- 
mittelbar nach  der  Natur  wie  Menzel  und  Defregger, 
—  ein  vierter  lässt  sich  Paradiesesträume  einfallen 
wie  Böcklin.  Ein  Jeder  wird  trotz  aller  Schul- 
meistereien  Recht  behalten  müssen.  Das  Einzige, 
was  in  der  Kunst  nicht  das  mindeste  Daseinsrecht 
besitzt,  das  ist  die  Stümperei,  die  mit  frecher  Miene 
vorgibt,  Meisterschaft  zu  sein,  —  ist  die  seelenlose 
Mache  und  jener  prahlende  «Verzicht»  auf  Geist, 
Bildung,  die  Errungenschaften  vieltausendjähriger  Kul- 
turarbeit, welcher  im  Grunde  nichts  als  Zugeständ- 
niss    blödester    Geistes-    und    Herzensarmuth    ist.    —  ^'^''''""  ^-""-    Studienkopf 

Unter  den  übrigen,  der  Phantasie  huldigenden  Werken  der  Ausstellung  sind  einige  Collektiv- 
Abtheilungen  zu  nennen.  So  die  interessante  von  Gysis  mit  ihrer  Vielseitigkeit  und  ihrem  graziösen 
Charakter,  —  so  auch  die  vornehmen  Tafeln  von  Löfftz;  der  Meister  hat  seine  langerwartete  Dar- 
stellung von  «  Orpheus  und  Eurydike  »  gebracht,   —   zwei  ausgezeichnete  Männerakte  und  ein  bekleidetes 

zartes  Weib  dazwischen  mit  schönem  Rythmus 
der  Bewegung,  mit  einem  sehr  delikaten  Farben- 
geschmack, mit  bestechendem  Schönheitsgefühl; 
es  ist  im  antikisirenden  Stil  der  älteren  deutschen 
Schule  eine  sehr  anmuthige  Schöpfung,  welche 
es  wohl  verdient,  in  der  Pinakothek  neben  des- 
selben Meisters  berühmter  « Grablegung »  zu 
hängen.  Erreicht  sie  diese  auch  nicht  ganz,  so  ist 
sie  doch  ein  mit  unendlicher  Liebe  und  Andacht 
geschaffenes  Werk.  —  Ein  sehr  verheissungs- 
volles  koloristisches  Talent  ist  ferner  das  von 
Raffael  Schuster- Woldan,  der  Jahr  für  Jahr 
in  junger  Meisterschaft  gewachsen  ist.  Er  ist  ein 
Phänomen  an  Farbengeschmack  und  hier  von 
hoher  Feinheit,  —  wofür  seine  «Legende»  ebenso 
Beweis  ist  als  das  entzückende  Mädchenbildniss 
mit  seinem  System  grüner  Töne.  Kann  man  von 
seinem  «  Selbstbildniss  »  sagen,  dass  es  meisterhaft 


Ernst  Thallmaier.     Lektüre 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Gl 


charakterisirt  noch  ausserdem  ist,  so  geschieht  es  mit  einer  gewissen  Beruhigung,  dass  dieses  kolo- 
ristische Talent  Dank  neutralisirender  Gabe  an  der  Klippe  des  Versandens  in  der  Koloristik  schwerlich 
scheitern  wird.  Wir  wissen  auch  von  früher  her,  wie  herzhaft  der  Künstler  sein  kann,  mit  dem  wir 
uns  in  Kurzem  noch  näher  beschäftigen  werden.  Uebrigens  ist  auch  sein  Damenbildniss  nach  dem 
Vorbild  des  bekannten  Selbstbildnisses  von  Vigee  Le  Brun  eine  sehr  treffliche  Arbeit.  Bei  der  Secession 
ist  noch  Stuck  hervorzuheben.  Seine  längst  bekannte  «Kreuzigung»  wirkt  hier  ungleich  günstiger 
Dank  besserer  Beleuchtung,  als  diejenige  seiner  Zeit  bei  der  Berliner  Ausstellung  war,  und  lässt  die 
wuchtigen  Massen  der  Farben  viel  glücklicher  zusammengehen.  Man  sieht  bei  solchen  Vergleichen, 
wie  viel  bei  einem  Bild  auf  die  richtige  Beleuchtung  und  passende  Nachbarschaft  ankommt.  Unter 
mehreren  kleineren  Tafeln  sind  noch  eine  neue  Auffassung  der  « Pallas  Athene  >>  als  von  guter 
malerischer  Durchführung,   —  ein  neues  Selbstbildniss  daneben  besonders  hervorzuheben. 


Hermann  Moest.     Das  Los  des  Schönen 


Nicht  viele,  aber  zum  Theil  hochachtbare  Werke  gehören  dem  religiösen  Stoffkreis  diesmal  an. 
Hier  ist  seit  Jahren  ein  spürbares  Versagen  festzustellen,  das  einem  Zeitzuge  entspringt.  Eine  Er- 
nüchterung ist  vorhanden,  die  als  ein  Rückschlag  gegen  die  reiche  Pflege  des  Gebiets  bei  den  Münchnern 
und  Düsseldorfern  in  den  ersten  drei  Vierteln  des  Jahrhunderts  gelten  kann.  Das  Wenige,  welches 
hervorgebracht  wird,  macht  den  Eindruck  bestellter  Arbeit  für  Kirchen  und  Kapellen  oder  aber  des 
gleichgiltigen  Versuchs  mit  neuen  Wegen  der  Auffassung,  der  Technik,  —  der  naive  Glaube  und  die 
selbstvergessene  Andacht  wird  selbst  im  Besten  oft  vermisst.  Trotz  dieses  kleinen  Minus  indessen  ist 
Marr's  aufsehenerregende  «Madonna»  nahezu  ein  voller  Wurf.  Es  ist  malerisch  eine  sehr  tüchtige 
Arbeit  mit  einer  glänzenden  Behandlung  des  Beleuchtungsprinzips  nach  dem  berühmten  Correggio 
der  Dresdner  Galerie,  und  die  Lieblichkeit  der  «Madonna»  und  des  Bimbo,  die  süsse  Kindlichkeit 
der  kleinen  Engel  im  Halbkreis  und  die  ergriffene  Unschuld  der  Grossen  dahinter  sind  Bildelemente  von 


62 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


grossem  Gewicht ;  nur 
stört  mir  das  erstarrte 
Pathos  der  Engelgeber- 
den die  Wirkung  gerade 
so  sehr  als  das  knallige 
Roth  des  Madonna- Kopf- 
tuchs, —  und  ich  möchte 
wünschen ,  dass  der 
Künstler  hier  nochmals 
den  Pinsel  ansetzt. 

Daneben  ist  auch  eine 
gross  und  wuchtig  er- 
dachte «  Adoratio  crucis  » 
von  Thedy  zu  nennen, 
die  viele  treffliche  Eigen- 
schaften hat  und  trotz 
einer  gewissen  Herbheit 
durchgebildeter     Formen 


Züge  offenbart.  —  Der 
talentvolle,  aber  ungleiche 
Corin  th  bewegt  sich  auf 
seiner  «  Kreuzigfunof »  in 
der  bei  ihm  schon  be- 
kannten quattrocentisti- 
schen  Formenwelt  der 
Präraphaeliten  mit  dies- 
mal noch  trockenerer 
Farbe,  überrascht  dage- 
gen auf  der  frisch  hin- 
gesetzten kleinen  «  Ver- 
suchung des  hl.  Antonius  » 
durch  die  Fülle  der  Be- 
wegungsmotive sowie 
drastischer  Verkörperun- 
gen von  der  Sünde  in 
dieser  vergänglichen  Welt. 

doch  feine  psychologische  _  Ein  anmuthiges  Stück 

ist  der  kleine  Madonnenkopf  in  originellem  Rahmen  von  dem  auch  beim  Bildniss  mit  Auszeichnung  zu 
nennenden  Echtler,  —  nicht  minder  distinguirt  aber  auch  —  least  not  last  —  Nonnenbruch's 
sehr  empfundene  «Verklärung»  mit  der  süssen,  von  Engelsköpfen  umgebenen  Engelsgestalt,  — 
die  nur  für  meinen  Geschmack  um  ein  paar  Striche  zu  weich  gehalten  ist. 

Von  grosser  Historie  ist  nur    ein    Paradebild   von    Braun    zu    nennen,    das   den    Prinzregenten 
mit  seinem  Stab -eben  die  Front    eines  Regiments    abreitend   darstellt.     Die    malerisch    widerstrebende 


All  ton  Montimizto,     Leckerbissen 


Aufgabe,  modernes 
Militär  und  seine 
Stäbe  während  der 
Paradestellung  bild- 
nissähnlich und  na- 
mentlich in  bayer- 
isch-blauer Uniform 
darzustellen,  ist,  so 
gut  es  geht,  behan- 
delt, —  —  über- 
triebene künstler- 
ische Anforderungen 
darf  man   an  solche 


Franz  Grässd.     Enten 


Werke  nicht  stellen, 
da  hier  der  militär- 
ische Zweck  die 
Hauptsache  ist.  — 
Mannigfach  und 
theilweis  recht  an- 
muthig  ist  das  Phan- 
tasiestück vertreten . 
Da  ist  ein  origi- 
neller Einfall  von 
Fächer,  welcher  in 
seinen  «  Abschieds- 
aedanken  »      mit 


t 


M.  NouucDbruch  pfnx. 


Cuityri({lil  Iti^ö  by  Ftuui  IJaulaUiciigl 


Verklärung 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


G3 


eigentlich  wenig  bedeutenden  Mitteln  eine  sehr  hübsche  Sache  zu  Stande  brachte.  Ein  in  letzter 
Dämmerung  dahinrollender,  sehr  plastisch  gemalter  Zug  an  einer  Kurve,  —  letzter  Glast  am  Horizont, 
—  am  hellen  Coupeefenster  ein  träumender  Mann,  vor  dessen  verlorenem  Auge  aus  den  Wiesennebeln 
am  Bahndamm  Faschingsgestalten  sich  bilden  und  zu  ihm  empordrängen.  Es  liegt  eine  eigene  Wirkung 
in  dem  Bild,  —  ein  feines  Erhaschen  jener  Stimmung  des  einsamen  Indienachthineinfahrens  und  nielan- 

Malerlehrling 


cholisch  leben- 
digen Räder- 
gerolls, wenn 
das  Herz  zu- 
rückbleibt, wo 
die  Fahrkarte 
gelöst  ward. 
Verwandt  im 
System  der 
Erfindung  ist 
diesem       Bild 

ein  neuer 
Malczewski, 
dessen  heuri- 
gen Gegen- 
stand ich  vor 
Langem  von 
ihm  einmal  in 
malerisch  noch 
feinerer  Lös- 
ungr  behandelt 
sah:  Ruhmes- 
träume eines 
jungen  Kunst- 
handwerkers. 
Da  sitzt  auf 
einer  Stehlei- 
ter   oben    ein 


Leopold  Schmiitzlcr.     Ein  Spaziergang 


und  stiert  vor 
sich  hin,  in- 
dessen die  ihm 

entfallenen 
grossen  Scha- 
blonen    lang- 
sam zur  Erde 

schaukeln ; 
ihr  Geräusch 
macht  Gestal- 
ten vor  sei- 
nem i\uge 
wach,-  bunte 
Gestalten,  die 
er    einst    dar- 

-stellen  wird 
und  die  ihm  die 
heiteren  Freu- 
den erfolg- 
reichen Künst- 
lerlebens ver- 
führerisch her- 
zaubern. Die 
Kunst,  mit  der 

Malczewski 
runde  Figuren 
in     schwerge- 


wichtslosem Schweben  und  triebhaft  bestimmter  Bewegung  darstellt,  ist  frappant,  —  ich  kann  nicht 
ergründen,  woran  es  liegt,  —  aber  man  glaubt  ihm  seine  Fleisch  und  Blut  gewordenen  Träume. 
Georg  S  chu  st  er- Woldan  mit  einem  Eckehard,  —  das  noch  ungeklärte  aber  gewiss  ent- 
wickelungsfähige  Talent  von  Müller-Schöne feld  in  seinem  «Märchen»,  —  Huber  mit  einem 
Lucifer,   —   Strathmann  mit  einem  neueren  seiner  originellen  und  kunstgewerblich  hochinteressanten 

II  10 


64 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Robert  Böninger.     Idyll 


Bilder,  das  die  Tragikomödie  eines  von 
einer  Schlange  Überfallenen  Faunen  dar- 
stellt, —  schliesslich  bei  den  graphischen 
Arbeiten  Dasio,  welcher  seinen  geist- 
reichen und  graziös  wie  geschmackvoll  aus- 
geführten Einfällen  eine  noch  feinere  Würze 
durch  nähere  Anlehnung  an  die  Natur  geben 
würde,  dürfen  in  diesem  Kreis  nicht  über- 
gangen werden.  —  Bei  der  Secession  ge- 
hört ihm  ein  wenig  guter,  glasiger  Böcklin: 
« Der  Hüter  des  Geheimnisses « ,  —  ein 
etwas  flau  ausgefallener  Thoma:  «Tod, 
Adam  und  Eva»,   —    sowie    eine    im  Ton 


äusserst  reizvolle  Impression  von  «Badenden»  im  Waldweiher  mit  bemaltem  geschnitztem  Rahmen 
von  L.  von  Hofmann  an.  Das  Secessionsverhängniss  für  die  Talentvollen  ist  auch  sein  persön- 
liches Verhängniss  anscheinend :  er  bleibt  ein  Bruchstück  und  kommt  über  das  Wollen  einer  freilich 
genialen  Inspiration  nicht  hinaus.  —    —   — 

Auch  Fritz  August  von  Kaulbach  hat  heuer  eine  Sonderausstellung  gemacht  und  in  dem 
vorjährigen  kleinen  Lenbachkabinet  untergebracht.  Man  sieht  da  einige  geistreich  erdachte  und  graziös 
durchgeführte  dekorative  Skizzen,  daneben  aber  Bildnisse.  Man  sähe  statt  einiger  der  Letzteren  lieber 
ein  paar  von  den  graziösen  Genrestücken  des  Künstlers,  die  ganz  fehlen.  Wenngleich  Kaulbach 
heuer  gerade  kein  «goldenes»  Schafifensjahr  in  den  Bildnissen  hatte,  so  ist  doch  alles  Vorhandene 
von  technischer  Vollendung,  vornehm  und  sicher  im  Geschmack.  Eine  lachende,  tiefbrünette,  etwas 
zurückgebeugte  Dame,  —  dann  aber  die  vom  Künstler  schon  oft  gegebene  schöne  junge  Dame,  welche 
diesmal  auf  einer  rothgestrichenen  Bank  im  Freien  so  prächtig  selbstbewusst  sitzt,  reihen  sich  freilich 
den  glücklichen  Arbeiten  Kaulbach's  an. 

Ueberhaupt  das  Bildniss  in  der  Gegenwart.  Es  zeigt  interessante  Erscheinungen.  Ein  so  grosser 
Meister  wie  Lenbach  wirkt  in  einer  Zeit  niemals  erfolgreich  auf  einem  so  sehr  von  der  Nachfrage 
des  Publikums  abhängenden  Kunstgebiet,  ohne  dass  nicht  die  Mehrzahl  der  Bildnisskünstler  von  iiim 
beeinflusst  würde.  Auch  ohne  die  unmittelbaren  Nachahmer  Lenbach's  im  Auge  zu  haben,  trifft  man 
überall  auf  seine  Spur:  sein  Geschmack  in  der  Malerei,  —  seine  Art,  in  den  Menschen  hineinzusehen 
und  alles  Unwichtige  lediglich  unbestimmt  zu  behandeln,  guckten  aus  vielen  der  besten  Tafeln  heraus,  — 
und  Tizian,  Velasquez,  van  Dyck  bilden  noch  immer  im  Ganzen  die  ultima  ratio  der  Bildnissmaler- 
Gesichtspunkte  — ,  nur  dass  Lenbach  das  Medium  ist ,  durch  dessen  Brille  man  die  Alten  beschaut. 
Das  ist  eine  natürliche  Erscheinung.  Solange  diese  Spur  in  künstlerischer  Weise  gewandelt  wird, 
hat  sie  Daseinsrecht,  denn  in  der  Kunst  wie  in  der  Wissenschaft  wird  das  Daseinsrecht  nur  vom 
inneren  Werth  einer  Sache  bestimmt.  —  Der  gemeinsame  Grundgesichtspunkt  dieser  Bildnissrichtung, 
welche    die   italienische,    spanische   und    niederländische  Renaissance    in    einer  Reihe  sehr   bedeutender 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


65 


Bildnisswerke  ausgebildet  hat,  ist  der,  unter  Absehung  von  allem  Zufälligen  des  Augenblicks  in  Bezug 
auf  Aussehen  und  Stimmung  den  Menschen  so  darzustellen,  wie  er  als  Erscheinung,  in  seiner  geistigen 
und  seelischen  Sphäre  über  eine  längere  Zeitspanne  hinweg  auf  einen  kulturell  hochstehenden  Anderen, 
—  also  den  Bildnissmaler,  —  wirkt.  Um  ein  mir  gerade  einfallendes  Beispiel,  das  zahlreich  vermehrt 
werden  könnte,  anzuführen :  Lionardo's  Giokonda.  Da  ist  eine  junge  italienische  Patrizierin  von  vor- 
nehmer fraulicher  Erscheinung.  Man  kann  das  Alter  nur  sehr  ungenau  und  physiognomisch  eigentlich 
wenig  Greifbares  bestimmen ;  auf  uns  wirkt  in  dem  Bild  der  Duft  anmuthiger  Frauenerscheinung,  wirkt 
ein  verschleiertes  Etwas  in  den  weichen  Zügen,  dem  sinnenden  Auge.  Man  weiss  sogleich,  dass  diese 
Dame  nicht  zu    einer  bestimmten  Tagesstunde,    nicht   als   Augenblicksphotographie   im  Ausdruck    fest- 


Alexaiidcr  U'agner.     Heimkehr 


gehalten  ist,  —  vielmehr  schaut  man,  Dank  dem  Fingerzeig  des  Künstlers,  in  Etwas  hinein,  was  wahr- 
scheinlich für  die  Dame  lange  Jahre  hindurch  charakteristisch  war:  die  linde  Schwermuth  eines 
unbefriedigten  Gemüths.  Das  hat  Lionardo  sogleich  richtig  herausgelesen  und  alles  Andere  damit 
zusammengestimmt.  Wenn  er  nach  einer  alten  Ueberlieferung  während  der  Bildnisssitzungen  Musik 
machen  Hess  und  dieser  jungen  Frau  eines  alten  Mannes  noch  obendrein  stark  den  Hof  machte,  so 
offenbart  uns  das  den  bedeutenden  Menschenkenner  in  ihm  :  als  ein  durchtriebener  Lebemann,  der  er 
mit  Geist  war,  beurtheilte  er  den  «Fall»  nicht  nur  in  der  Beschaffenheit,  sondern  auch  in  der  Ursache 
richtig  und  wandte  mit  dem  feinen  Instinkt  des  geborenen  Psychologen  Kunstgriffe  von  erprobter 
Dynamik  an,  die  den  eigenthümlichen  Zug  bei  der  zu  malenden  Madonna  stärker  ausprägten,  sobald 
er  Sitzung    hielt.     So    steht   denn    auch  diese  junge  Frau    seit   Jahrhunderten    vor    uns,   —  schlagend 

10» 


66 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ähnlich,  vollendet,  wesenhaft  wirkend,  weil  das  Bestimmende  in  ihrer  Erscheinung  nicht  obenhin, 
sondern  « in  der  Tiefe  des  Seelenmysteriums  begriffen  »  ist.  —  Man  weiss  ja,  dass  auch  Lenbach  oft 
lange  vor  dem  Malen  im  persönlichen  Verkehr  sich  in  das  Wesen  seiner  Personen  hineinfühlt,  und  wer 
sein  märchenhaftes  Werkstatt-Museum  kennt,  dem  ist  vielleicht  aufgegangen,  welche  starke  Suggestion 
es  auf  den  ausüben  muss,  der  öfter  zur  Bildnisssitzung  hierher  kommt:  er  lässt  unter  dem  Stimmungs- 
eindruck der  hier  beisammen  befindlichen  Jahrhunderte  in  sorgfältig  erlesenen  Werken  derselben  den 
Alltag  seiner  Meinungen  und  Launen  von  heute  draussen,  —  er  wird  gefügig  und  stillbescheiden  und 
verräth  unbewusst,  was  sein  eigentliches  Milieu  ausmacht. 

Unter  den  zahlreich  vorhandenen  guten  Bildnissen  ausserhalb  der  Säle  von  Lenbach  und  Kaulbach 
ist  diesmal  Echtler  besonders  hervorzuheben,  der  den  Prinzregenten  in  sehr  schlagender  und  malerisch 
höchst  geschmackvoller  Weise  darstellte.  Er  modellirte  gut,  zog  das  Licht  in  der  Hauptsache  auf 
den  Kopf  in  jener  glücklichen  Art,  die  uns  bei  Herkomer  und  der  Parlaghy  schon  entgegengetreten  ist ; 

reife  Werke  doch 
sonst  immer  das  Er- 
gebniss  langer  Ueb- 
ung  zu  sein  pflegen. 
—  Auch  Schwill , 

dessen  sehr  an- 
sprechendes Selbst- 
bildniss  ich  im  vori- 
gen Jahr  schon  her- 
vorhob, ist  wieder 
sehr   bemerkens- 


sie  erfordert  eine 
sichere  Kenntniss 
der  Mittel,  die  man 
dem  Bild  von  Echt- 
ler nachzurühmen 
hat.  Es  ist  das  erste 
mir  bekannt  gewor- 
dene Bildniss  von 
des  Künstlers  Hand, 
und  ich  bekenne 
gern,  eine  ange- 
nehme Ueberrasch- 


werth.  Wie  treffend 

ung   davon    gehabt  ist  die  Dame  in  dem 

Stanislaus  Grocholski.     Verlangen 

zu    haben,    weil   so  gütigen      Lauschen 

des  Auges  charakterisirt  und  wie  geschickt  das  in  den  Farben  changirende  Kleid  gemalt  1  —  so  gut, 
dass  dem  Laien  die  Kunst  darin  kaum  auffallen  wird.  Das  Inkarnat  könnte  ein  wenig  frischer  und 
der  Schwung  in  der  Darstellung  ein  wenig  herzhafter  sein,  aber  auch  ohnedem  erregt  das  Bild  Auf- 
merksamkeit für  sich,  wie  für  einen  sich  solide  und  ehrlich  auswachsenden  Künstler,  der  seinen  Weg 
sicher  geht  und  reifen  wird.  —  Berenyi's  Bildniss  unseres  Frankfurter  Malerpoeten  Hans  Thonia 
gehört  mit  seinem  Kontrast  von  Dunkel  und  Hell  auch  zum  Besseren,  wenngleich  zu  bemerken  ist, 
dass  der  ungarische  Künstler  trotz  des  koketten  Durchblicks  auf  einen  kleinen  Odenwald  -  Hain  das 
eigentlich  Thoma'sche  nicht  recht  gefasst  hat.  —  Frau  Parlaghy  hat  neuerdings  keine  glückliche 
Hand,  wie  das  hier  ausgestellte  Bildniss  neben  anderen  neuen  Arbeiten  in  Berlin  zeigt.  Sie  wird  hart, 
unvermittelt,  sucht  schlagende  Wirkungen  mit  rohen  Mitteln.  Das  thut  ein  Künstler  dauernd  nur  auf 
Kosten  seines  Talentes,  weil  gerade  diese  Form  des  Abirrens  mit  dem  faden  Virtuosenziel  im  Auge 
einer   falschen  Anschauungsrichtung   entspringt;    es   wäre   bedauerlich,    wenn  die  schöne  Begabung  der 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


67 


Künstlerin  sich  auf  diese  Weise  ruiniren  sollte.  —  Unter  vielem  Trefflichen  sind  hier  ferner  anmuthige 
und  geistvolle  Mädchenköpfe  von  Erdtelt,  —  Zimmermann's  im  Ton  so  sehr  als  in  der  schlichten 
Charakteristik  vornehmes  Bildniss  von  Staebli,  —  von  Raff  ein  sehr  wirkungsvolles  und  gut  prä- 
cisirtes  Damenhildniss,  —  gute  Arbeiten  von  Kirchbach,  Thor,  —  von  Orrin-Peck  ein  süsses 
rubensfarbenes  Kinderstück.  —  von  Fröhlich  anzuführen,  ohne  dass  in  dem  hier  gegebenen  Rahmen 
sich  das  Hervorragende  erschöpfen  Hesse. 

Interessante  Tafeln  sind  auch  jene  von  Höflinger,  —  ein  rund  herausgearbeiteter,  frischer  und 
pikanter  Frauenkopf  mit  kecken  Farbengegensätzen,  der  gegen  eine  Landschaft  abgesetzt  und  als  eine  sehr 
geschickte  Arbeit  hervorzuheben  ist,  —  sowie  das  anmuthige  Frauenbildniss  von  Hoff,  dessen  feines, 


nur  cm  wenig 
zu    weich    be- 
handeltes   Ge- 
sicht von  einem 
teppichartigen 
Landschafts- 
hintergrund 
sich      abhebt ; 
auch       diesem 
ansprechenden 
Suchen      nach 
frischer  Auf- 
fassung     wird 
eine    grössere 
Herbheit     erst 

die    rechte 
Würze  geben. 
Beide  Arbeiten 
bewegen    sich 
in    der    Richt- 


Kichard  Falkenberg.      (Jphelia 


ung,  welche  die 

altniederlän- 
dische und  die 
mit  ihr  so  eng 

zusammen- 
hängende   alt- 
deutsche Kunst 
langevertreten 
hat.   — r   — 

Die  Kunst- 
weise der  Ju- 
gend, wie  sie 
von  der  Seces- 
sion  in  den  er- 
sten Jahren 
vertreten  ward, 
hat  sich  mit 
ziemlicherViel- 
seitigkeit  des 
Wollens    auch 


dem  Bildnissgebiet  zugewandt,  —  im  Verlauf  eines  Jahrzehnts  manche  anerkennenswerthe  Schöpfung 
hier  hervorgebracht,  —  im  Ganzen  jedoch  keinen  Boden  gewonnen ;  es  ist  eines  der  charakteristischen 
Zeichen  für  die  gegenwärtige  Lage,  dass  das  Publikum  sich  kühl  gegen  Gemaltwerden  im  «  modernen » 
Sinne  verhält,  und  dass  keines  von  den  Talenten  dieser  Art  aufkommt.  Das  liegt  in  der  Sache 
selbst  begründet.  Die  « moderne  »  Kunst  hat  die  Betonung  auf  die  zufällige  Erscheinung  des  Augen- 
blicks, demgemäss  malerisch  auf  blosse  Palettenkünste  gelegt,  —  sie  ist  in  der  Charakteristik  auf  rein 
äusserliche  Momente  ausgegangen,  so  dass  der  Mensch,  sein  Wesen,  sein  Charakter  zur  Nebensache 
vielfach  geworden  ist.  Und  damit  ist  die  Grundfrage  der  Bildnisskunst  eben  übersehen  worden.  Wie 
man  sich  aber  auch  als  Neuerer  und  Erfinder  geberden  mag  und  der  Tamtam  kritikloser  Freunde   für 


68 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Erich  Kiibleisehky.     Abendlandschaft 


ein  paar  Jahre  Einem  auch  Recht  zu  geben  scheint :  man  kommt  weder  in  der  Kunst  noch  sonstwo  um 
die  Grundgesetze  herum,  die  begriffen  und  berücksichtigt  werden  müssen,  um  etwas  Dauerndes  zu  schaffen. 
Auch  diese  Erscheinung  der  modernen  Kunst  hat  dazu  noch  einen  anderen  Haken,  als  gemeinhin  in 
den  Erlassen  der  Partei-Bonzen  zu  lesen  steht.  Man  kann  nirgends  weniger  schwindeln  als  in  der 
Bildniss-Malerei;  da  heisst's :  unbedingt  bis  in  das  Kleinste  hinein  zeichnen,  die  Palette  unterordnen, 
kraft  hoher  Bildung  und  divinatorischer  Gabe  in  einem  Menschenantlitz  lesen  zu  können.  Dazu  thut 
angeborene  Fähigkeit  viel,  —  aber  die  Bedingung  bleibt  immer  bestehen,  dass  Energie  der  Vertiefung 
und  Ausdauer  die  persönliche  hohe  Kulturstufe  erzeugen  müssen,  von  der  aus  der  Künstler  souverain 
durch  das  Antlitz  hindurch  in  die  Menschenseele  hineinblickt.  Die  technische  Erleichterung,  welche 
die  modernen  Malprinzipien  ihren  Jüngern  gewährt,  sind  sehr  verhängnissvoll  bei  einem  erdrückenden 
Prozentsatz  derselben  geworden;  es  fehlt  der  Zwang  der  Versenkung,  weil  nicht  so  oft,  ausdauernd, 
beobachtend  an  ein  Werk  die  Hand  gelegt  werden  muss.  Es  geht  alles  so  schnell  heute;  damit 
fällt  das  selbsterziehliche  Element  in  der  Technik  fort;  das  Denken  innerhalb  der  Sache  entwickelt 
sich  nicht  weiter,  —  es  verlernt  sich  mehr  und  mehr  wie  jede  nicht  ständig  geübte  menschliche 
Eigenschaft.  Lässt  man  sich  als  Beschauer  von  billigen  Kunststücken  nicht  blenden,  so  wird  man  in 
modernen  Ausstellungen  oft  aufs  Höchste  überrascht,  welch'  ein  Mangel  von  Intelligenz,  an  bewusstem 
Sehenkönnen,  an  Bildung  hinter  der  Mehrzahl  der  «modernen»  Bildnisse  gähnt.  Und  das  fühlt  das  Publikum 
instinktiv  ;  daher  die  grosse  Menge  von  «Dargestellten  in  öffentlicher  Stellung»  auf  unseren  Ausstellungen, 


Cur!  Bölivie.     Scirocco  (Motiv  von  Capri) 


S 


70 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


und  demgegenüber  nur  ein  paar  Brosamen  wirklich  und  in  baarem  Gelde  bezahlter  Bildnisse,  also  von 
Arbeiten,  die  über  das  Verhältniss  des  Publikums  zur  Sache  einige  gewichtige  Rechenschaft  geben. 

An  Tafeln  von  unleugbarem  Talent  und  wahrscheinlicher  Entwickelungsfähigkeit  sind  in  dieser 
modernen  malerischen  Richtung  beim  Glaspalast  zwei  Bildnisse  des  von  den  Schotten  beeinflussten  Malers 
Knirr  hervorzuheben,  dessen  Halbfigur  einer  jungen  Dame  allerdings  in  Geschmack  der  Farbe  und 
Auffassungskraft  die  kleineren  Bilder  nicht  erreicht.  Auch  Matiegzeck's  Damenbildniss  ist  eine 
feine  und  geistvolle  Arbeit  voll  bewussten  Könnens,  bei  der  nur  der  Scherz  mit  dem  Schatten  auf  der 
unteren  Gesichtshälfte  hätte  wegbleiben  können.  In  der  Secession  steht  Uhde's  gut  gemalter  und 
farbig  in  der  Muffigkeit  der  Armeleut- Existenz  famos  getroffener  alter  Kerl  auf  diesem  Boden; 
warum  aber  verzichtet  ein  so  ausgezeichneter  Charakteristiker,   wie  Uhde  vordem  war,  auf  seine  vielleicht 


beste,  sicher  aber  ent- 
wicklungsfähigste Eigen- 
schaft, indem  er  nicht 
mehr  als  die  blosse  Er- 
scheinung gibt?  Velas- 
quez,  der  ilim  bei  der 
Auffassung  vorgfeschwebt 
zu  haben  scheint,  hätte 
ihm  auch  den  Hinweis 
geben  können. 

Eine  merkwürdige  und 
leider  nicht  in  gutem 
Sinne  bezeichnende  Zeit- 
erscheinung ist  sicher  die- 
jenige ,  dass  alle  die 
jüngeren  Leute,  welche 
sich  von  Lenbach  und 
seiner     Richtung      abge- 


Otto  Prophettr.     Bildniss  des  Professors  Ferdinand  Keller 


wandt  haben,  um  «neue 
Wese  »  der  Bildnisskunst 
zu  suchen,  fast  insgesammt 

wurmstichigen  Verfall- 
manieren nachgehen  und 
sich  streng  hüten,  beim 
Nächstliegenden  und  Na- 
türlichsten anzuknüpfen : 
nämlich  bei  der  stamm- 
verwandten altniederlän- 
dischen und  der  altdeut- 
schen Bildnisskunst.  Von 
Jan  van  Eyck  bis  Cranach 
ist  hier  eine  Anzahl  von 
Meisterleistungen  über- 
kommen und  hängt  in 
München,  Berlin  und  Dres- 
den   doch    so    leicht    zu- 


gänglich aller  Welt  vor  Augen,  dass  diese  bloss  weit  aufgethan  zu  werden  brauchen,  damit  sie  in 
der  glänzenden  Farben  -  Gluth  und  Pracht,  der  schlagenden  Charakteristik,  der  gemüthvollen  Liebe 
unsere  beste  Volkskraft  der  Vergangenheit  erkennen.  Freilich  hängt  diese  Kunst  mit  der  zeich- 
nerischen Illustration  und  dem  Kunstgewerbe  noch  so  eng  und  natürlich  zusammen,  dass  ihre  Neu- 
erweckung  an  den  Lerneifer,  die  Ausdauer,  das  ehrliche  Gewissen  der  Nachtastenden  grosse  An- 
forderungen stellt.  Aber  bedeutende  Kunst  erfordert  immer  die  völlige  Hingabe.  Wo  sich  die  Neigung 
des  Einzelnen  etwa  gegen  die  von  Lenbach  angebahnte  Richtung  wehrt,  da  liegt  für  einen  ernsthaft 
wollenden,  weitschauenden  und  ein  nationales  Gewissen  besitzenden  Künstler  eine  weite  und  ent- 
wicklungsfähige Bahn.  Böcklin's  Bildnisse,  Thoma's  Selbstbildniss  in  Dresden,  —  was  ferner  der 
Frankfurter  Pidoll  hier  vereinzelt  neben  einigen   Anderen  auf  Dürer's  und  Holbein's  Bahn  versuchten, 


^ 


Raffael  Schuster-WoMaii  i>lnx. 


Phot.  F.   HauMüvugl,  Mnuclieu 


Die  Malerin 


i. 

CO 

(B 

+J 
0) 

Q 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


71 


Carl  Becker.     Abend  an  der  Nordsee 


haben  nachdrücklich  bewiesen ,  wie  künstlerisch  und  zeitgemäss  diese  von  Dummköpfen  gern  als 
«veraltet»   ausgegebenen  Stilweisen  sich  fortführen  lassen. 

Auch  Anetsberger,  dessen  Namen  ich  zum  ersten  Male  antreffe,  lieferte  in  seinem  ausge- 
zeichneten Herrenbildniss  in  der  Secession  den  gleichen  Beweis.  Eine  wie  feine  und  bewusste  malerische 
Kunst  ist  hier  entfaltet  und  wie  trefflich  ist  in  diesem  Gesicht  ein  feingebildeter,  kritisch  veranlagter, 
sehr  energischer  Charakter  ausgedrückt!  Man  kann  sich  sogleich  lebhaft  vorstellen,  wie  die  Klangart 
der  Stimme  aus  diesem  Munde  schallen  muss,  —  welches  die  Bewegungen  und  Manieren  des  Dar- 
gestellten sein  müssen. 

Von  den  3  guten  Ausländerbildnissen,  welche  die  Schwäche  der  deutschen  Secessionsmalerei 
ihrerseits  mitverdecken  müssen,  ist  Herkomer's  schon  bekanntes  Bildniss  einer  edelrassigen  englischen 
Schönheit,  einer  wahren  Ahnin  für  ein  kommendes  mehrhundertjähriges  Geschlecht,  ein  ebenso  beredtes 
Zeugniss  für  die  geistvolle  Holbein-Nachfolge  in  dem  mit  so  vielen  guten  Holbeins  und  noch  mehr 
trefflichen  Kopien  gesegneten  England,  —  zeugt  auch  Knopff's  ohne  grossen  Mittelaufwand  bestechend 
gut  gemaltes  Stück  mit  einem  süss  aufgefassten  kleinen  Mädchen  in  drolliger  Stellung  der  Erwartung 
an  einer  Zimmerthür  dafür,  wie  fein,  geistreich  und  neuartig  der  Künstler  Anregungen  der  altnieder- 

II  11 


72 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ländischen  Kunst  ausgebildet  hat.  —  Der  Dritte  ist  Segantini,  von  welchem  man  ein  älteres 
Künstlerbildniss  aus  der  Zeit  vor  seiner  heutigen  Spachteltechnik  erblickt.  Auch  das  ist  ein  Meister- 
werk in  seinem  System  äusserst  stimmungsvoller  Halbtöne,  der  tiefen  Ruhe  in  Haltung  und  Heraus- 
bildung der  animalischen  Erscheinung,  der  verhaltenen  Kraft  in  der  energischen  Persönlichkeitsgabe. 
Was  ich  schon  aus  der  neueren,  herbkräftigen  Stilweise  des  norditalienischen  Malers  schliessen  zu 
können  glaubte,  scheint  sich  auch  hier  zu  bestätigen :  wie  bei  dem  Menschenschlag  ganzer  nord- 
italienischer Striche,  Toskana  eingeschlossen,  fliesst  anscheinend  auch  in  seinen  Adern  in  Folge 
unendlich  zahlreicher  Berührungen  der  beiden  Stämme  auf  den  Völkerwanderungs-  und  Kaiserzügen 
ein  starker  Tropfen  deutschen  Blutes,  dem  hier  der  ausgeprägte  individualistische  Zug  zuzuschreiben 
ist.  Michelagniolo  hatte  von  dieser  Abstammung,  der  er  sich  selbst  rühmte,  die  trotzige  und  wild- 
kühne Gewalt,  —  der  heutige  italienische  Böcklin, 
Marius  de  Maria,  verdankt  dem  sicherlich  die  eigen- 
thümliche  Färbung  seiner  grübelnden  Phantasie. 

Die  unreale  Phantasiewelt  in  der  Kunst  und  das 
Bildniss  werden  bis  zu  einem  gewissen  Grade  sich  oft 
vom  eigentlichen  Volks-Milieu  entfernen  können,  ohne 
an  Kraft,  Bedeutung,  nationalem  Kulturwerth  desshalb 
unbedingt  verlieren  zu  müssen.  In  stark  bewegten, 
in  Aufstiegszeiten  eilt  oft  die  Geistesaristokratie  dem 
eigentlichen  Volk  voraus  und  formt  sich  Ideale,  in 
die  das  Volk  erst  später  hineinwächst.  Die  Weimaraner 
Litteratur- Periode,  in  gewisser  Hinsicht  auch  das 
Nazarenerthum  bieten  eine  solche  Erscheinung.  Nie- 
mals aber  darf  das  Sittenstück,  die  figür- 
liche Darstellung  in  realem  Sinne  sich  vom 
nationalen  Fühlen  eines  Volks  entfernen, 
die  Ideale  des  kleinen  Alltagsbürgers  ausser 
Acht  lassen  und  die  Formenwelt  aus  inter- 
nationalen Gesichtspunkten  entwickeln  wollen.  Das  gänzliche  Darniederliegen  dieses 
Gebiets,  die  Auslandssucht  in  den  Darstellungsmitteln  war  in  der  Vergangenheit  fast  immer  mit 
traurigen  Zeiten  der  deutschen  Kulturentwicklung  verknüpft;  wir  finden  dann  immer  ein  Siechen  der 
Volkskraft  als  Parallelerscheinung,  —  immer  aber  auch  zugleich  den  Mangel  einer  ernsthaften  Phantasie- 
und  Bildnisskunst  grossen  Stils.  Hier  waltet  ein  wichtiges  und  unerbittliches  Gesetz.  Die  moderne 
Wissenschaft  hat  es  längst  dahin  formulirt,  dass  alle  weittragenden  Ideen  und  Thaten  sammt  ihren 
Schöpfern  aus  den  unteren  Schichten  einer  Volksgesammtheit  hervorgehen,  —  dass  diese  den  Unter- 
grund nicht  nur  für  das  wirthschaftlich  -  gesellschaftliche ,  sondern  auch  für  das  geistige  Leben  einer 
Nation  bilden,  —  dass  nichts  auf  die  Dauer  lebensfähig  ist,  was  nicht  in  der  Volksmasse  wurzelt. 
Diese  Thatsache  gibt  dem  Sittenstück  in  der  Kunst  eine  eminente  Wichtigkeit  als   nächster  Ausdruck 


Kichard  Hartmann.     Schülerscene  (Goethe's  Faust) 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT 


73 


Gregor  von  Bockmann.     Nordwyker  Muschelkarren 


des  Volkslebens  und  Volksfühlens.  Die  Zeit  ist  zudem  längst  vorüber,  in  der  die  Kunst  als  ein 
müssiges  Spiel  für  Weibmänner  und  Frauen  galt;  sie  wird  heute  als  ein  wichtiger  Kulturfaktor  ge- 
schätzt; sie  beansprucht  das  Recht,  in  ihrem  geistigen,  seelischen,  in  ihrem  moralischen  Gehalt  sehr 
ernst  als  Kulturspiegelbild  wie  als  Kulturbildnerin  betrachtet  und  beurtheilt  zu  werden,  —  welchen 
Standpunkt  ihr  gegenüber  ich  für  das  einzig  würdige  Männerverhältniss  halte. 

Wenn  der  heurige  Glaspalast  in  einem  gewissen  Gegensatz  zum  vorigen  einen  spürbaren 
Ausfall  auf  dem  Gebiet  der  Genre-Malerei  erkennen  lässt,  so  ist  das  ein  Zufall.  Das  Vorhandene 
selbst,  das  sonstige  Kunstschaffen  in  Deutschland  beweisen,  dass  weitaus  das  Meiste  an  Kunstarbeit 
bei  uns  diesen  Zusammenhang  mit  dem  Volk,  und  damit  den  kulturwichtigen  Untergrund,  noch  hat. 
Hier  liegt  für  mich  auch  einer  der  ausschlaggebenden  Gründe  gegen  das  Daseinsrecht  der  Secession. 
Die  paar  Fäden,  welche  sie  mit  dem  Volksleben  wenn  auch  lose  verknüpften,  sind  zerrissen,  —  sie 
hat  andererseits  aber  auch  nicht  verstanden,  Ausdruck  für  die  nationalen  Ideen  einer  vielleicht 
weit  vorausgeschrittenen  Geistesaristokratie  zu  werden,  —  sie  vertritt  eben  ihrer  Entwickelung  nach 
und  fast  auf  allen  Linien  heute  das  untergrundlose  Malvirtuosenthum,  das  unter  ernsten  Männern  zu 
keiner  Zeit  als  vollgiltig  angesehen,  vielmehr  innerlich  verachtet  worden  ist.  Ich  habe  bereits  oben 
und  im  vorigen  Jahr  an  dieser  Stelle  die  Gründe  für  diese  Secessionserscheinung  angeführt,  —  ich 
kann  kurz  rekapituliren,  dass  physische  und  geistige  Schwächung  gewisser  moderner  Künstlergruppen 
hier  den  Ausschlag  geben.  Es  ist  in  der  That  unendlich  viel  leichter,  irgend  ein  Valeur-  oder  Ideen- 
kunststück zu  Stande  zu  bringen,  —  wobei  ganz  davon  abgesehen  werden  soll,   wie  Vieles  aus  wenig 

11» 


74 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


bekannten  Auslandswerken  «gestippt»  ist!,  —  als  einen 
harmlosen  Stoff  aus  dem  Volksleben  richtig  anzulegen, 
geistig  und  seelisch  zu  durchdringen,  als  eine  fertige  und 
abgerundete,  sich  selbst  erklärende  Sache  hinzustellen. 
Man  möge  den  Secessionisten  nur  einmal  zwangsweise  die 
__^^__         kleine   Aufgabe  stellen,   einen  Landbriefträger    zu    malen, 

■       *  ^f-  ^f/tk        der    mit    verschmitztem  Lächeln    einem  Dorfmadel    einen 

'""  Brief  vom  Schatz  bringt.  Dieses  einfache  Motiv  psycho- 
logisch richtig  zu  lösen,  es  solide  zu  zeichnen  und 
natürlich  zu  malen,  dürfte  drei  Vierteln  der  Herren  völlig 
misslingen.  Man  sehe  nur  einmal  daraufhin  die  deutschen 
Bilder  der  Secession  unvoreingenommen  durch,  —  es 
fehlt  überall  an  zureichendem  Können,  -  an  jenem  ernst- 
haften Gelernthaben  der  einfachen  Kunstmittel,  ohne 
■■^H^  ""*        deren    Ausweis    in    den    Glaspalast    nichts    aufgenommen 

!lm^^B»i5v^Äf«&S«s««ir*«-«-!-^-^^      — ^5^        wird.     Es  fehlt    in    der  Secession   ganz   erschreckend    an 

Olga  Begsrow  Hartmann.     Idylle  .  :\c      •        c^-  .1  i-i  iai  -i 

emwandtreien  Sittenstucken,  die  deutscher  Abstammung  sind. 
Eine  bestimmt  ausgeprägte  Richtung  zeigt  sich  im  Glaspalaste  diessmal  nur,  soweit  es  sich 
um  bereits  bekannte  Meister  handelt.  Hier  ist  vor  allem  Defregger  mit  seiner  prächtigen  «Kraft- 
probe »  und  ihrem  packenden  Griff  in  Leben  und  Interessen  des  Volks  herhorzuheben !  Wie  sicher 
und  schlichtkünstlerisch  ist  das  komponirt,  —  wie  kraftvoll  und  lebhaft  geschildert,  —  wie  köstlich 
sind  diese  Männer  mit  ihrer  Schätzung  der  Körperkraft  und  ihrem  gespannten  Interesse  an  der  Sache 
individualisirt !  Da  ist  so  echtes  Leben  des  blutvollen  Kunstwerks,  dass  man  sich  erst  noch  darauf 
besinnen  muss,  welche  historische  Rolle  der  Künstler  eigentlich  als  Schöpfer  dieser  ganzen  Richtung 
einnimmt.  Da  ist  auch  Harburger  mit  seinen  genial  gezeichneten  und  köstlich  charakterisirten  Typen 
aus  dem  Leben  des  bayerischen  Landvolks  mit 
seinem  Kraftgefühl  und  selbstbewusstem  Daseins- 
behagen, —  alles  dünn,  grau,  geschmackvoll 
gemalt;  ein  paar  Zeichnungsfolgen  zeigen  uns 
den  gefeierten  Illustrator  und  Humoristen ;  dem 
Laien  wird  es  kaum  auffallen,  welch'  ein  Auf- 
wand von  geistiger  Kraft  für  eine  so  tiefe  Durch- 
dringung der  Volksseele  in  ihrer  naivsten  Daseins- 
bethätigung  nöthig  ist.  —  Gussow  hat  sein 
längstbekanntes,  farbenköstliches  Bild  der  «Dorf- 
parzen», —  drei  grundhässliche  alte  Weiber 
um  einen  Säugling  im  Arme  eines  drallen  Dorf- 
mädchens,   —  ausgestellt    und  demonstrirt  damit  FiUz  Rabmämg    Aus  Tirol 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


75 


ad  oculos,  wie  man  der  hartgesottenste  Realist,  Hässlichkeitsfanatiker,  impressionistischer  Maler  und 
doch  ein  Künstler  mit  starker  volksthümlicher  Wirkung  sein  kann.  Gussow  ist  gewiss  von  jedem 
Verdacht  irgendwelcher  national  -  populärer  Absicht  frei,  und  doch  wirkt  das  Werk  also,  denn  wo 
wirkliches   Talent  und  wirkliches  Können  bei  einem  gesunden    und    normal    entwickelten    menschlichen 


Organismus  sich 
lediglich  ihrem 
Schwergewicht 
überlassen ,  da 
kommt  von  selbst 
Derartiges  her- 
aus; das  Antina- 
tionale   ist    eben 

stets  Zeichen 
krankhafter  Un- 
natur. —  Von 
S  i  m  m  ist  eine 
«  Werbung  »  ,  — 
einer  seiner  guten 
Griffe  in  das  Ge- 
sellscliaftsleben 
der  Empire-  und 
Biedermeier  -  Zeit 
mit  graziöser  Po- 
etenhand und  aus- 
geklärtem Far- 
bengeschmack, 
der  freilich  nicht 
pariserisch  ist  — , 
zu  sehen.  Einer 
ähnlichen  Ausge- 
glichenheit der 
technischen  Dar- 
stellung steuert 
augenscheinlich 


Schmitzmitzwei 
reizenden  Genre- 
Darstellungen 
desselben  kleinen 

Mädchens  zu. 
Feine  Kleinmale- 
reien    von     Lö- 
with,    Franke, 

Glücklich, 
Seiler  sind  mir 
noch  unter  wei- 
terem Guten  die- 
ser Art  aufge- 
fallen ;  auch 
Grützner,  des- 
sen «Jessika«  nur 
ein  allzu 
liches  Inkarnat 
diesmal  hat,  wäre 
hier  zu  nennen. 
Von  den  Frem- 
den in  der  deut- 
schen Abtheilung 

sind    in    erster 

Linie  meisterhaft 

durchgeführte 

Akte    von 

Hy  nais,  —  ein 

neuer   Quad- 


gelb- 


Sigmund  Landsinger.     Quell -Nymphe 


r  o  n  e ,    der    stu- 

pcnde  Subtilität  mit  einer  gewissen  frischen  Natur  in  interessanter  Weise  verbindet,  —  und  eine 
fidele  Festscene  von  Andreotti  hervorzuheben.  Zu  den  Fremden  gehört  vermuthlich  auch  Marold, 
der  in  dem  vom  vorigen  Jahr  übernommenen  Empire  -  Zimmer  eine  Reihe  von  geistreichen  und  sehr 
flott  gemachten  Gouaches  aus  dem  high  life  aufhing. 


76 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Laupheimer  mit  einem  sehr  ansprechenden  Familienstück:  «Ferienzeit»,  —  in  grösserem  Stil 
Raupp  mit  einem  Sturmmotiv  vom  Chiemsee,  —  Rau,  dessen  Farbe  neuerdings  in's  Harte  geräth, 
mit  einer  Dorfwirthshausscene  und  einem  in  der  Trauer  eines  jungen  Paares  um  den  gestorbenen 
Erstling  ihrer  Ehe  schlicht  und  innig  empfundenen  Bild,  —  mit  Klosterlebenstücken  Cederström, 
Scholz,  —  mit  einem  kecken  Karnevalsscherz  Grocholski  gehören  mit  der  Freude  am  Leben  und 
seinem  liebevoll  beobachteten  Detail  gleichfalls  hieher.  Roubaud  mit  einem  flotten  Tatarenbild,  — 
Falkenberg  mit  einem  im  Ton  angenehmen,  gross  behandelten  Mädchenkopf,  —  Ring  mit  der 
hübsch  gemachten  Figur  einer  jungen  italienischen  Gemüseverkäuferin  fallen  unter  einer  Reihe  hand- 
werklich gleich  vortrefflicher  und  poetisch  empfundener  Arbeiten  besonders  auf;  es  ist  hier  unmöglich, 
erschöpfend  in  der  Anführung  dieser  Bilder  zu  sein. 

Unter  den  Bildern,  welche  intensiver  eine  mehr  oder  minder  gut  gelungene  Annäherung  an 
moderne  Anschauungen  und  Mal-Prinzipien,  wie  sie  früher  hauptsächlich  vom  Secessionskreis  vertreten 
wurden,  darstellen,  sind  Männchen's  gross  gesehene  «Steinklopferinnen»  mit  der  ungeschminkten 
Schilderung  ein  ehrliches,  malerisch  achtbares,  inhaltlich  das  Mitgefühl  packendes  Stück  Arbeit.  In 
seinen  Tongängen  geschmackvoll,  und  glücklich  damit  die  traumhafte  Dämnierigkeit  des  Zimmers 
wiedergebend,  ist  das  Bild  von  Koch  mit  der  sinnenden  Dame,  und  als  ebenso  gut  im  Ton  die 
Darstellung  einer  «Aehrenlese»  von  Hartmann  hervorzuheben,  der  es  freilich  an  präciser  Zusammen- 
fassung mangelt.  Auch  Orrin-Peck's  «Kohlgarten»  leidet  trotz  aller  Frische  an  zu  grosser  Breite 
der  Entfaltung  wie  überhaupt  an  zu  grossem  Format;  eine  ähnliche  Darstellung  von  ihm  in  früheren 
Jahren  war  ungleich  kraftvoller  trotz  des  damals  schon  zu  tadelnden  Bildunifangs.  Zwischen  Inhalt 
und  Umfang  muss  stets  ein  natürliches  Wechselverhältniss  sein,  —  sonst  kommt  nie  eine  rechte 
Wirkung  heraus.  Auch  KleinChevalier's  «Spielsaal»  krankt  trotz  manches  Anziehenden  im 
Wesentlichen  an  demselben   Uebel. 

Zu  den  trefflichsten  Arbeiten  dieser 
Art  in  München  heuer  ist  schliesslich  auch 
bei  der  Secession  Hock  er 's  gutgemalte 
und  sehr  drollig  geschilderte  «Werbung» 
in  Friesland  oder  dicht  daneben  zu  zählen. 
—  Unter  den  Fremden  am  Königsplatz 
ragt  Johannsen  durch  zwei  Innenstücke, 
davon  eines  eine  Herrengesellschaft  in 
behaglicher  Unterhaltung  vorstellt,  durch 
feine  Stimmung  und  gute  Charakteristik 
hervor.  Freilich  steckt  viel  Manier  in  diesem 
Impressionismus,  der  bei  fanatischer  Durch- 
führung und  Festhaltung  an  seinem,  nur 
bei  manchen   Lichtzuständen    berechtigten 

Princip     naturgemäSS     zur    Schablone    führt.  ^'"^  Ferdinand  Messeruhmidt.     Ileimf.ihrt 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


77 


Robert  y.   Curry.     Gerettet 


Der  Künstler  war  früher  ungleich  frischer,  —  auch  er  scheint  trotz  aller  Begabung  allmälig  dem  Fluch 
zu  verfallen,   welcher  dem  Palettenexperiment  auf  Kosten  der  Natur  immer  folgen  wird. 


Ganz  besonders  reich  ist  der  Glaspalast  diesmal  mit  Landschaften  beschickt,  unter  denen 
sich  eine  stattliche  Reihe  ausgezeichneter  und  achtunggebietender  Werke  befinden,  ohne  dass  man 
gerade  das  Auftauchen  wesentlich  neuer  Gesichtspunkte  in  der  landschaftlichen  Auffassung  feststellen 
könnte.  Indessen  ist  das  Fehlen  neuer  Gesichtspunkte  kein  Vorwurf  gegen  die  Kunst;  die  gesündere 
Auffassung,  die  Feuerbach  z.  B.  gross  gemacht  und  Schack  bei  seiner  Kritik  ihm  gegenüber  ver- 
treten hat,  bricht  sich  heute  mehr  und  mehr  Bahn,  —  dass  es  nämlich  auf  ein  ehrliches  Naturverhält- 
niss,  auf  das  Können,  auf  die  Beseelung  und  Durchgeistigung  des  Stoffs,  auf  das  Heimathgewissen  des 
Künstlers  in  erster  Linie  ankommt;  die  Originalität,  die  Neuheit  ist  dabei  ein  Gnadengeschenk  nur 
insoweit,  als  sie  mit  diesen  angeführten  Momenten  verbunden  erscheint.  Die  Kunstgeschichte  belehrt 
ohnehin  den,  welcher  sie  unvoreingenommen^  betrachtet,  dass  plötzliche  Offenbarungen  innerhalb  des 
Kunstwachsthums  von  Generation  zu  Generation  viel  seltener  sind,  als  es  obenhin  scheint;  —  ein 
Haschen  und  Suchen  nach  Originalität  ohne  jene  Elemente   des    zuverlässigen  Könnens    und    der    Be- 


78 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


deutung  dagegen  schwört  stets  solche  Ge- 
fahren herauf,  wie  sie  der  Secession  in  un- 
seren Tagen  verhängnissvoll  geworden  sind. 
Die  Landschaft  war  das  Lieblingskind 
der  «modernen»  Kunst  seit  Anbeginn,  weil 
die  bestimmenden  französischen  Vorbilder 
vorzugsweise  Landschafter  waren ;  es  hat 
sich  auf  diesem  Gebiet  thatsächlich  auch 
der  weiteste  Einfluss  auf  die  zeitgenössische 
Kunst  geltend  gemacht,  —  es  ist  mancherlei 
Gutes  damit  gewonnen  worden,  —  die 
Augen  unserer  Maler  sind  für  die  Probleme 
von  Licht  und  Luft,  von  intensiverer  Be- 
werthung  für  Farbe,  Form  und  Raum  ge- 
schärft, —  der  Sinn  für  die  kleinen  und 
intimen  Reize  der  Natur  und  eine  gross- 
zügige Behandlung  derselben  ist  entwickelt. 
Das  sind  Vorzüge  und  Gewinne  für  die 
Handwerkstechnik    zweifellos,  aber   die 

grossen  Gewinne  für  die  «  Kunst »  der  Land- 
schaftsmalerei sind  im  Ganzen  noch  aus- 
geblieben ;  man  sieht  nur  hier  und  da  erst 
frische  Ansätze,  um  aus  den  Theorien  vom 
Naturalismus  bis  zum  Symbolismus  etwas 
für  uns  Brauchbares  zu  entwickeln,  eine  grosse  Auffassung  zu  schaffen,  die  dem  natürlichen  Verhältniss 
der  Deutschen  zu  seiner  Heimathlandschaft  entspricht.  Und  dies  deutsche  Verhältniss  zur  Landschaft  ist 
ein  weitaus  anderes  als  das  der  Franzosen.  Ich  möchte  das  Verhältniss  der  neueren  Franzosen  zur 
Landschaft  als  das  einer  monumentalen  Eitelkeit  und  Ichsucht  bezeichnen.  Er  sieht  sie  als  Coulisse 
um  seine  eigene  Person  herum,  —  sie  wirkt  äusserlich  als  vibrirende  Farbe  und  unbestimmte  Form 
auf  ihn,  —  sie  ist  ihm  ein  Abstraktum  für  die  Erholung,  für  die  Stadtflucht,  —  er  geht  «an  das 
Meer »  oder  « auf  das  Land » ,  ohne  das  Ziel  seines  Veränderungswunsches  zu  individualisiren.  Dazu 
kommt  ein  wichtiges  physiologisches  Moment :  Die  Geschwächtheit  der  niedergehenden  gallischen  Rasse, 
welche  eine  Schwächung  der  Sehkraft  nach  sich  zieht.  Im  Grunde  ist  der  Impressionismus 
nicht  viel  Anderes  als  die  gegebene   «Kunstauffassung  der  Kurzsichtigkeit» 

Wie  anders  und  in  Hinsicht  des  Kunstgenies  bedeutender  ist  die  deutsche  Landschaftsauffassung 
in  den  besten  und  allen  reifen  Zeitabschnitten  gewesen.  Gerade  desshalb  hat  das  deutsche  Gelehrten- 
und  Künstlerthum  die  Antike  vor  allen  epigonischen  Völkern  so  gut  und  tief  verstanden,  weil  die 
Beseelung  der  Natur  vor  dem  Auge  des  antiken  Menschen  wie  vor  dem  des  Germanen  engverwandte 


Olto  Recknagel.     (lestörte  Liebeserklärung 


Ad.  Bohtler  plus. 


Phot.   V.   Hantsueugl,   Münohei 


Maria 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


79 


Züge  hat  Wenn  der  Deutsche  den  Rhein  hinabfährt,  dann  wird  die  Sage,  die  geschichtliche  Romantili 
der  Burgen,  Dome  und  Klöster,  dann  wird  die  alte  Zeit  lebendig  vor  ihm  und  beseelt  die  Schönheit 
der  Landschaft;  wenn  der  Lorelei-Felsen  in  Sicht  kommt,  spielt  die  Musik  Heine's  wundersames  Lied 
und  die  Seelen  zittern.  An  die  Weser,  die  Saale,  die  Donau,  den  Main,  den  Bodensee,  an  die  Alpen 
knüpfen  sich  volksthümHche  Weisen,  welche  bestimmte  Stellen  und  bestimmte  Geschehnisse  verherr- 
lichen und  einen  eisernen  Liederbestand  aus  der  ideal  gestimmten  deutschen  Studentenjugend  nicht  allein 
bilden,  sondern  auch  überall  im  weiten  Vaterland  in  aller  Munde  sind.    Mit  dem  Harz,  dem  Thüringer- 


Max  Liebermann.     Sonntag -Nachmittag  in   I>aren 


wald,  dem  Riesengebirge  sind  lebendige  Sagen  aller  Art  verknüpft,  durch  deren  Medium  das  Volk 
fast  ausschliesslich  in  diese  Landschaften  schaut;  ich  greife  nach  zufälliger  Erinnerung  heraus :  Dieselbe 
Erscheinung  ist  überall  festzustellen.     In  der  Mark  Brandenburg  hat  jeder  See  fast  seine  Sage.     Etwas 

annähernd   Aehnliches  hat  der  Franzose  ebensowenig  als  der  Romane  weiterhin, der  Deutsche 

hängt  sich  auf's  Engste  an  einem  Ort  fest,  —  er  rundet  sein  Bild    zu    einem    tiefäugigen  Bildniss  ab 
und  beseelt  es  mit  der  Phantasie  und  der  Empfindung,    —    er  schafft    sich    überall    einen    genau  indi- 
vidualisirten    genius    loci.       Hierin    liegt    auch    das    deutsche    Landschaftsproblem    be- 
ll 12 


80 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Rudolf  Beriny.     Hans  Thotna 


William  Schwill.     Bildniss 


gründet.    Die  deutsche  Landschaft  der  Zukunft 
ist  gar  nicht  anders  denkbar  und  wird  sich  nicht 
dauernd    behaupten    können,    solange    sie    nicht 
auf    diesem    Hauptelement     gegründet    ist    und 
damit  Fühlung   zum  Volk  gewinnt.      Damit    soll 
indessen  nicht  gesagt  sein,  dass  Märchen-   oder 
Sagenstafifage  mit  der  Landschaft  verknüpft  sein 
müssten ;  dieser  Inhalt  kann  unausgesprochen  in 
der   dargestellten    Oertlichkeit   liegen ;    sie  muss 
ausgerundet  und  straff  geformt  dem  Gefühl  sagen, 
was  sich  der  Künstler  in  dieser  Art  voll    Liebe 
gedacht  und  empfunden  hat,   als  er  gerade  diesen 
Ort  zur  Darstellung  wählte ;  sie  wird  dann  immer 
schöpferisch    auf   den    Beschauer    wirken.     Man 
hüte    sich    aber  auch  vor  dem  Trugschluss,    als 
wandele  die  moderne  symbolistische  Landschaft 
auf   diesem  Wege.     Sie    hat    in    ihrer   Formen- 
anschauung so  wenig  damit  zu  thun  als  mit 
der    Empfindung  und    dem    geistigen    Vor- 
stellungskreis,   —  sie  ist  lediglich  eine  das 
Gegentheil   vorstellende  Nachahmung    fran- 
zösischer Vorbilder. 

Im  vorigen  Jahr  wies  ich  auf  den  dies- 
mal fehlenden  Palmie  als  einen  Vertreter 
entwickelungsfähiger  Landschaftsauffassung 
hin.  Keller-Reutlingen  als  einer  der 
wenigen  Zukunftsleute  bei  der  Secession 
wächst  sich  anscheinend  mit  seinen  bayeri- 
schen Landstadt -Motiven  mehr  und  mehr 
dahin  aus;  er  wirkt  diesmal  sehr  erfreulich 
in  seiner  stimmungsvollen  «Abenddämerung« 
über  einem  Flecken  am  Flussufer.  Da  ist 
ein  so  zusammengefasster  Ausdruck  mit  einer 
klug  zurückhaltenden,  fast  möchte  ich  sagen : 
überwundenen  Technik,  dass  die  Abend- 
poesie eines  bestimmten  Ortes  fast  rein 
herauskommt  und  die  Phantasie  des  Be- 
schauers   in     derselben    Art,     wie    es     die 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


81 


Dämmerung  draussen  immer  thut,  lebendig  macht.  Im  Glaspalast  zeigt  ähnliche  Ansätze  die  im  Ton 
feine  abendliche  Wasserlandschaft  von  Canal,  —  sind  ferner  in  verwandter  Art  Biese,  Horadam 
mit  Kleinigkeiten,  —  Böhme  mit  einer  im  Wasser  ausgezeichnet  gemalten  Marine,  —  ein  ebenso 
gut  gemachtes  Seestück  von  Völcker,  dessen  Parkteich  bei  Abend  dagegen  zu  sehr  nach  Whistler 
schielt,  —  der  diesmal  nicht  wie  gewohnt  ausgezeichnete  Kubierschky,  —  Stäbli  mit  einer  ton- 
schweren, monumental  empfundenen  Waldlandschaft,  —  Georg  Schuster-Woldan  mit  einem 
gut   gemachten    und    stimmungsvollen  Waldinneren,  —    Marr's  kleines  Ackerstück,    —    von    Urban 


Jacek  MaUzewski.     Irrkreis 


ein  gross  gesehenes  und  farbig  sehr  bemerkenswerthes  Bild  vom  Nemisee  mit  seinen  schroffen  Felsen- 
ufern, —  von  Rabending  ein  sehr  glücklich  beleuchtetes  und  plastisch  herauskommendes  Gebirgs- 
dorf,  —  von  Tina  Blau  ansprechende  kleine  Motive,  —  schliesslich  der  alternde  O.  Achenbach 
mit  einer  Parthie  vom  Nemisee,  die  immer  noch  durch  Gluth  der  Farbe  und  hohes  Können  imponirt, 
wenngleich  es  an  innerer  Kraft  mangelt,  besonders  hervorzuheben.  Die  Worpsweder,  von  denen 
Overbeck  und  Modersohn  Einiges  ausstellten,  sind  heuer  nicht  von  Belang.  Gerade  sie,  welche 
auf  gutem  Grunde  von  Anschauung,  Wollen  und  Können  stehen,  fangen  an,  manierirt   zu    erscheinen; 

12» 


82 


DIE  KUNST  UNRESER  ZEIT. 


die  Portraits  von  krummen  Birken  sind  zu  äusserlich 
als  Ciiarakteristika  der  Worpsweder  Moorlandschaft 
betont  und  werden  langweilig.  Mögen  die  Herren 
sich  vor  dem  Verbauern  hüten ;  die  Isolirung  allein 
auf  dem  Lande  thut's  auf  die  Dauer  nicht. 

Unter  den  mehr  in  Hinsicht  der  formalen  Lösung 
bemerkenswerthen  Arbeiten  ist  eine  durch  die  Be- 
obachtung des  zarten  Lufttons  in  abendlicher  Thau- 
wetterlandschaf  sehr  ansprechende  Dorflandschaft  von 
dem  in  neuerer  Zeit  wiederholt  mit  Betonung  ge- 
nannten Bössenroth  hervorzuheben.  Auch  die 
grosse  Moorlandschaft  bei  Sonnenuntergang  an 
schwülem  Sonnabend  von  demselben  Bössenroth 
ist  in  der  feinen,  vibrirenden  Beweglichkeit  warmer 
Töne  eine  Arbeit  von  zarter  Empfindung  und  un- 
gewöhnlichem Können,  dem  man  nur  eine  schärfere 
Zusammenfassung  des  Ausdrucks,  eine  grössere  In- 
waiur  Georgi.    wirthsgarten  dividualisirung  im  obeu  entwickelten  Sinne  wünschen 

möchte;  ein  frisches  Temperament  ist  vorhanden  und  mit  ihm  ein  ziemlich  hohes  Mass  bewusster  Herr- 
schaft über  die  Mittel ;  bei  energischer  Vertiefung  und  Durchgeistigung  ist  dem  Künstler  ein  dauernder 
und  ernsthafter  Erfolg  unschwer  erreichbar.  —  Strützel  mit  einem  heimkehrenden  Taglöhnerpaar 
und  abendlich  verschleierter  Wiese  dazu  und  einem  zweiten  Abendbild  von  kräftigerer  Wirkung,  — 
desCoudres  mit  einem  anmuthigen  Waldabhang  in  rosiger  Beleuchtung, —  Bürgel,  Fink,  Hoch, 
Wenglein,  A  ndersen-Lundby  mit  trefflichen  Stimmungsstücken  in  einheitlicher  Tongebung,  — 
Petersen  mit  einem  farbenkräftigen  Meerbild  sind  weiterhin  als  Bilder  von  solider  Darstellung  und 
runder  Wirkung  zu  nennen. 

Als  Tonmalerei  sehr  bemerkenswerth  wegen  seiner  ungewöhnlichen  Feinheit  ist  Lieb  er 's  Bild 
mit  einer  gut  gemalten  und  geschickt  am  Horizont  mit  der  Atmosphäre  zusammengebrachten  Seefläche, 
—  ist  auch  ein  schmelzvoll  behandelter  Ausschnitt 
vom  Donauthal  von  M.  A.  König.  Als  gute  Exer- 
citien  sind  mir  sonst  noch  Arends  mit  seinem  Ge- 
müsegarten, bei  dem  Luft  und  Raum  trefflich  be- 
obachtet sind,  sowie  die  Pastell-  und  Kohlenzeichnungen 
von  Georgi  mit  ihren  perspektivischen  Lösungen 
aufgefallen.   —   —   — 

In  Rücksicht  auf  den  gegebenen  Raum  seien  nur 
kurz  ein  paar  Künstler  mit  Stillleben  und  Blumen- 
stücken gestreift,    welche    zahlreich  und  vielfach   auch 

Hugo  Bürgel.     Flusslandschaft 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


83 


Paul  Hey.     Vorfrühling 


sehr  vortrefflich,  Dank  aher  Münchner  Ueberlieferung,  vorhanden  sind;  Nauen,  Carstens, 
Kricheldorf,  Bassarab,  Stur tzkopf  haben  Gutes  ausgestellt,  ohne  dass  sie  alles  Beste  reprä- 
sentirten.      Es  gibt  daneben  viele  ansprechende  Arbeiten.  —  —  — 

* 
Neben  dem  eigentlichen  Münchner  Künstlerkreis  haben  auch  heuer  wieder  einige  andere  deutsche 
Kunststädte    im   Glaspalast   Sonderausstellungen    veranstaltet.     So  Dresden.     Die    Dresdner    Kunst- 


zustände sind  eigen- 
thümlicher  Natur. 
Nach  längerem  un- 
fruchtbarem Zu- 
stand hat  sich  dort, 
Dank  der  Herbei- 
ziehung von  Prell, 
Kühl,  Wallot,  Diez 

ein    lebhafteres 
Kunsttreiben      ent- 
wickelt,  das  sich  in 
der  grossen  Dresd- 


Ernst  Otto.     Elche 


ner  Kunstausstell- 
ung vor  2  Jahren 
gespiegelt  hat.  Aber 
schon  auf  dieser 
Ausstellung  trat  zu 
Tage,  dass  in  den 
Kreisen  der  jünge- 
ren Künstler  und 
Schüler  dieser  ge- 
nannten Meister  sich 
mehr  und  mehr  eine 


bedenkliche     Neig- 


84 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ung  zu  gallisirender  Experimentirmalerei  mit  kunstfeindlichem  Charakter  herausbildete.  Heute  ist  auch 
Dresden  in  der  schnellen  Zersetzung  infolge  von  ungesunder  Geistes-  und  Phantasierichtung  beim  Nach- 
wuchs begriffen  .  .  .  der  Verfall  geht  auch  dort  um  .  .  .  die  materiellen  Folgen  werden  kaum  aus- 
bleiben .  .  .  die  einst  so  lebhaft  begonnene  frische  Entwickelung  Dresdens  zur  Kunststadt  wird  sicher 
gehemmt,    da    man   lokale  Kunstblüthen    nur  mit  reifen  Leistungen,  nie  mit  talentvollen  Experimenten 

hervorrufen  wird.  Pietschmann 

Der  Dresdner  ^__|m||||^m^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^g  ^ 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^1  von    aus- 

ner  ^^^^^^^^^^^^-J  -"^'^'^  ^^^^^^^^^^^^^^  

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von     an-  ^^^^^^^^^^^^  '  m^^^^^^^^^^^^L 

^^^^^^^^^^^^^1^              F  ^^^^^^^^^^^H  neu- 
sächsiche     Stam-  ^^^^^^^^^^^  "|f';;>W;^'  ^^      ^^^^^^^^H  eres  grosses  Ge- 
nach An-  ^^^^^^^^m      m.  ^                ^^^^H  richtsbild    von 
muth    einstweilen  ^^^^^^V^  ^^^H  Brut  t  sticht  mehr 

dem  ^^^^^^V  ^^^H  den 

Aeussersten    be-  ^^^^^^V  ^^^|  Ton     als     durch 

wahrt,    die    aber  ^^^^^V  ^^^H  scharfe     Charak- 

doch    fast   msge-  ^^^^m  r^                          ■  x^^^l  teristik      hervor; 

sammt      «Talmi-  ^^^■J^liMMHSHMl^^^^  ittH^^^^H  Carl    Sohn 's 

franzosen»  ^^^^Htlfl^^^^^^^^^  ^JW^^^^^^H 

^^^^^^tä^^^^f^^^^' .^^3iiS^0/^  y^^^H      ung» 

keine    Künstler  ^^^^^^^L^^^^                                                  ^^^H  glatter    und    ge- 
sind. Der  Einzige,  ^^^^H^^                            "°'^'**>*!w'                             ^^1  schmackvoller 
welcher  sich  durch  ^^^^H                                                         "^                 ^^^H  Malerei   reizende 
Besonnenheit  ^^^^^^____^^^^^^^^^^_^^^^_gj^^^H  junore    Damen 

der  Begabung  Herrichten      von 

daraus  erhebt,   ist  ^'"'"^  ''^"''''"-    ^°^""^  ^''  Betrachtung  von  Schiiier's  Schädel  Blumeuschmuck; 

Grimm's  «Begegnung  der  Margaretha  von  Parma  mit  flüchtigen  kalvinischen  Niederländern  im  Jahre 
1567»  ist  eine  in  allen  Einzelheiten  ungemein  anziehende  und  Begabung  verrathende  Schöpfung  der 
Gebhardtschule,  geht  als  Bild  aber  nicht  recht  zusammen,  —  die  Wirkung  ist  zerstreut. 

Auch  der  zahlreich  beschickte  Berliner  Saal  macht  keinen  harmonischen  Eindruck,  Eine 
kleine  Handzeichnung  von  Menzel  ist  im  Vorübergehn  zu  erwähnen;  seines  besten  Schülers  Skarbi na 
«Allerseelen»  verliert  in  dem  nicht  günstigen  Licht  sein  Bestes,  nämlich  die  feinen  Töne  und  Ueber- 
gänge;  ein  Triptychon  von  Engel:    «Von  der  Waterkant»   wirkt  allzu  illustrativ  trotz  seiner  farbigen 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


85 


Ludwig  Fahrenkrog.     Tiäumeiei 


Talentirtheit ;  etwas  uneingeschränkt  Erfreuliches  sind  hingegen  zwei  Damenbildnisse  eines  jüngeren 
Malers,  Karl  Ziegler.  Da  ist  ein  Adel  und  eine  nach  Monumentalität  ringende  Feinheit  der  Auf- 
fassung, —  da  ist  ein  Geschmack  der  Farbe  und  eine  malerische  Schulung  des  Auges,  —  da  ist  ein 
Seelenblick,  der  noch  viel  Gutes  von  dem  Künstler  verheisst.   —  —  — 

Das  Ausland  ist  im  Glaspalast  diesmal  nur  zugelassen,  — 
eine  Massregel,  die  durchaus  zu  loben  und  sachlich  gerecht- 
fertigt ist.  So  zweckmässig  es  ist,  in  grösseren  Pausen  die  aus- 
ländische Kunst  reichlich  und  bedeutend  den  Künstlern  vor 
Augen  zu  stellen,  um  ihnen  das  Reife  und  Ernsthafte  hoch- 
stehender fremder  Leistung  als  Anregfung-  zu  bieten,  —  so  be- 
denklich  ist  es,  den  Durchschnittsdeutschen  in  seiner  Auslands- 
sucht durch  jährliche  Konkurrenz  noch  zu  bestärken;  denn  das 
wirkt  bedenklich  auf  die  wirthschaftliche  Lage  unserer  Künstler 
zurück,  welche  ein  staatliches  Ausstellungs-Unternehmen  immer 
im  Auge  haben  muss,  —  das  hat  auch  solche  Geisterverwirrung 
zur  Folge,  wie  sie  die  Gegenwart  leider  in  hohem  Masse  kenn- 
zeichnet.   Ich  weiss  mich  hierbei  von  jedem  Chauvinismus  vollief 

Karl  Zieglir.     Cildniss  ^  ° 


8G 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


yostj  Huder.     Lucifer 


frei  und  habe  meinestheils  bedeutende  Leistungen  des  Auslandes 
noch  stets  rückhaltlos  bewundert,  sobald  sie  eben  Kunstwerke 
waren.  Aber  gegenüber  der  geradezu  gewissenlosen,  moralisch 
verderbten,  knechtischen  Nachahmungssucht  von  Auslandsmoden 
in  gewissen  Kunstkreisen  bei  uns  muss  immer  wieder  Front  ge- 
macht werden.  Pflicht  und  Klugheit  gebieten  dem  Glaspalast,  von 
seiner  Seite  dem  Auslandsthum  so  nachdrücklich  zu  steuern,  als 
es  geht.  Nur  eine  Kunst  auf  vaterländischer  Grundlage  und 
mit  dem  lebendigen  Erbtheil  unserer  Altvordern  ist  kultur- 
bildend, wie  die  ganze  Geschichte  lehrt,  und  nur  sie  macht  die 
stärksten  Kräfte  in  einer  Künstlerpersönlichkeit  frei  und  fruchtbar 
in  reifen,  grossen  Thaten. 

Die  Auslandskunst  ist  bis  auf  ein  paar  unter  den  Münchener 
hängende  bessere  Werke  in  den  Auslandssälen  selbst  sehr 
schwach  und  unbedeutend  vertreten.  Das  Meiste  dürfte  zudem  Kunsthändlerwaare  sein,  die  einen 
Markt  sucht.  Man  kann  sich  mit  wenigen  Anführungen  begnügen.  Wesentlich  im  Stoff  und  daneben 
schulgeschichtlich  interessant  ist  ein  Bild  aus  der  älteren  englischen  Geschichtsmalerei  mit  ihren  harten 
Linien  und  ihrem  bunten  Kolorit,  —  nämlich  Davidson's  Scene  aus  der  Schlacht  bei  Trafalear, 
vor  deren  Beginn  Nelson  von  seinem  Admiralschiff  aus  eben  den  berühmt  gewordenen  Befehl  an 
sein  kampfbereites  Geschwader  signalisiren  lässt :  « England  erwartet,  dass  Jedermann  seine  Schuldig- 
keit thue».  Das  ist  mit  vielen  Figuren  volksthümlich  ,  maljournalistisch,  ansprechend,  wenn  auch 
ohne  grössere  künstlerische  Gesichtspunkte  behandelt.  Es  sind  auch  noch  ein  paar  weitere  Bilder 
verwandter  Art  vorhanden.  —  Als  Thiermalerei  sehr  anerkennenswerth,  wenn  auch  in  der  Formatgrösse 
vergriffen,  ist  ein  Bild  von  Curry,  das  Bernhardinerhunde  auf  verschneitem  Pass  als  Retter  einer  ver- 
schütteten Familie  schildert,  —  wegen  seiner 
feinen  Anmuth  in  Auffassung  und  Behandlung 
einer  reizenden  Mädchengestalt  auf  Frühlings- 
landschaft -  Hintergrund  ist  schliesslich  noch  ein 
Aquarell  von  Battaglia  hervorzuheben. 

Die  Bildhauerkunst  kann  wegen  der 
beschwerlichen  und  kostspieligen  Versendung 
ihrer  Werke  auf  Ausstellungen  in  der  Reeel 
immer  nur  lückenhaft  vertreten  sein;  sehr  grosse 
Plastiken  sind  meist  sogar  nur  am  Ort  ihres 
Entstehens  ausstellbar  und  man  kann  von  etwaigen 
Vorführungen  dieser  Art  nicht  immer  mit  Sicher-  ^,,,,„,,,,  ,,,,,,„,    ,„,,,bend 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


87 


heit  auf  die  zeitweise  Lage  der  Künstlerschaft  auf  diesem  Gebiet  schliessen.  Die  gegenwärtige  Bild- 
hauerei ist  mit  einer  Anzahl  tüchtiger  Könner  in  der  That  bedeutender,  als  die  diesjährigen  Münchener 
Ausstellungen  auch  nur  annähernd  schliessen  lassen.  Klinger,  Maison,  Begas,  Strasser  fehlen  beispiels- 
weise ganz  und  auch  sonst  ist  von  bedeutenden  Leistungen  nur  bedingungsweise  zu  berichten.  — 
Eber  lein  hat  eine  grössere  Zahl  von  Werken  ausgestellt;  er  hat  den  französischen  Chic,  die 
manierirte  Nachahmung  eines  Pigalle,  der  er  lange,  freilich  virtuos,  nachging,  anscheinend  ganz  ver- 
lassen und  huldigt  jetzt  einer  massvollen  Realistik,  wie  sie  hier  eine  treffliche  Halbfigur  «Goethe's» 
mit   dem    Schädel    von  Schiller  in    der  Hand,    dazu  eine  Darstellung    «Bismarck's»   in  sitzender    nach- 


Adolf  Männchen.     Auf  der  Landstrasse 


denklicher  Stellung,  ferner  auch  eine  in  der  Auffassung  etwas  vergriffene  Gruppe  von  «Gottvater 
und  Adam »  zeigt ;  eine  wirkliche  Rasse  fehlt  diesen  Figuren  freilich  geradeso,  wie  einer  Anzahl  kleiner 
Statuetten,  die  den  Mythos  vom  ersten  Menschenpaar  behandeln.  Der  Künstler  sucht  hier  Meunier's 
feines  Gefühl  für  die  Bewegung  mit  dem  leidenschaftlichen  Affekt  von  Sinding  zu  verbinden,  ohne 
dass  es  ihm  glückt,  mehr  als  eine  gewisse  Anmuth  zu  erreichen. 

In  guter  Stilistik  bieten  sich  Götz  mit  einer  das  «Drama»  symbolisirenden  Frauenbüste  und 
Rossi  mit  einer  im  conventionellen  Sinne  gut  durchgeführten  Sklavin-Figur  dar;  auch  Lederer,  der 
neuerdings  ein    hübsches  Talent    in    den  Vordergrund  rückte,    ist   ein    selbstständiger   Stilist   in    seiner 

II  13 


83 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


durch  eine  lauschende 
Nymphenfigur  verkör- 
perten «  Haidestimm- 
ung»,  —  er  ist  sich 
jedoch  über  das  bild- 
nerisch Darstellbare 
noch  nicht  vollkommen 
klar,  wie  die  Auffassung 
kundgibt.  Eine  schön- 
heitvolle Heiligen- 
gruppe in  Holz  von 
Busch,  —  von  Schott 
eine  graziöse,  in  der 
Bewegung  glücklich  ge- 
fasste,  aber  lau  und 
ausdrucksarm  durchge- 
führte     Kugelspielerin 

sind    als    grössere 
Werke,  —  unter   den 
Büsten  die  des  Malers 
Burger  von  Sand  we- 
gen ihrer  Lebendigkeit, 


IValler  Schott.     Kugelspielerin 


Dasio's  Damenbüste 
mit  ihrer  grossen  Be- 
handlung, eine  solche 
von  Klimsch  wegen 
des  hübschen  lauschen- 
den Ausdruckes  be- 
merkenswerth.  —  — ■ 
In  der  Secession  hat 
Volkmann  eine  an  die 

besten  Schöpfungen 
des  Quattrocento  mah- 
nende Büste  eines  älte- 
ren Herrn,  —  Stuck 
eine  Amazone  auf  un- 
gefügem Ross  diesmal 
mit  geringerem  Glück 
des  Gelingens  als  bei 
seinem  früheren  «Ath- 
leten», —  Meunier 
eine  Reihe  von  Sta- 
tuetten ausgestellt.  Ein 
feines       Lebensgefühl , 


eine  frische  Auffassung,  einen  sicheren  Griff  haben  diese  Sachen  von  Meunier  alle,  so  roh  und 
geschmacklos  sie  ausgeführt  sind.  Sie  stehen  künstlerisch  sicher  höher  als  die  Mehrzahl  seiner  Bilder, 
die  Gemälde  eines  farbenblinden,  verbildeten,  geschmacklosen  Maltheoretikers  sind.  Aber  gerade  weil 
diesen  Bildern  fast  jegliche  malerische  Vorbedingung  abgeht,  ist  Meunier  Trumpf  der  secessionistischen 
Gegenwart  und  war  er  vor  Kurzem  in  Berlin  Gegenstand  einer  wahren  Begeisterungs  -  Orgie.  Ein 
Maler,  der  malen  kann  und  durch  diese  Eigenschaften  Aufsehen  und  Zuruf  erregt ,  ist  schliesslich 
etwas  Alltägliches  und  in  der  neueren  Kunstgeschichte  seit  Giotto  sattsam  abgeleiert  ....  aber  der 
Rummel  mit  einem  Maler  ohne  Geist,  Geschmack,  Darstellungs-  und  Malvermögen,  —  das  ist  das 
Wahre  heute  und  der  Gipfel  im  Princip  des  Secessionismus.  Und  wenn  naive  Leute  Derartiges 
schlechthin  pathologisch  finden  ....  dann  lächelt  man  überlegen  und  murmelt  von  einer  « Um- 
werthung  aller  Werthe».     Sapienti  sat! 


DAS   KUNSTHANDWERK 

AUF  DEN  MÜNCHENER  AUSSTELLUNGEN   i8q8 


VON 

HEINRICH  ROTTENBURG 


Der  Begriff  «Kunsthandwerk»  hat  sich  nun  auch  bei  uns  zu  seinem  Vortheile  umgestaltet:  Der 
Accent  ist  mehr  auf  die  erste  Silbe  des  Wortes  verlegt,  während  er  früher  auf  den  beiden 
letzten  lag.  Unsere  Handwerksmeister  haben  in  den  siebziger  und  achtziger  Jahren,  in  der  Zeit  der 
«Renaissance  der  Renaissance»  sich  ein  gar  stattliches  Können  erworben  als  Nachbilder  alter  Formen. 
Unsere  Goldschmiede  gaben  den  Altnürnberger  Meistern  nichts  mehr  nach;  unsere  Kunstschlosser 
schmiedeten  Gitter,  genau  so  kunstvoll  wie  die  alten  Originale,  die  sie  kopirten;  unsere  dekorativen 
Maler  malten  Blümlein  und  Schnörkel  den  Meistern  des  sechzehnten  Jahrhunderts  nach  —  so  täuschend, 
wie  etwa  ein  französischer  Generalstabsoffizier  Akten  fälscht.  Die  Technik  und  die  Handschrift  hatten 
sie  schnell  wieder  erlernt  und  nach  der  trostlosen  Stilarmuth  der  vergangenen  Jahrzehnte  war  die 
Wiederbelebung  der  Renaissance  ein  wahres  Labsal. 

Nur  dass  diese  Errungenschaft  einen  feineren  Geschmack  auf  länger  nicht  befriedigen  konnte. 
Ein  solcher  fand  bald,  dass  jene  Wiederbelebung  nur  die  Galvanisirung  eines  todten  Körpers  war. 
Sie  führte  nicht  vorwärts,  es  fehlte  das  bewegende  Element,  die  Leute  kamen  über  ein  virtuoses 
Abschreiben  vorhandener  Formen  nicht  hinaus.  Natürlich:  überbieten  Hessen  sich  die  Meister  jener 
grossen  vergangenen  Epoche  nicht  auf  ihrem  ureigensten  Gebiete!  Da  war  ein  gewissenhaftes  Kopiren 
noch  immer  das  Beste.  Und  nach  den  Trägheitsgesetzen  kopirten  wir  zwei  Jahrzehnte  weiter  einen 
Stil,  der  nicht  der  unsrige  war  und  der  unsrige  nicht  werden  konnte.  Denn,  Stil  im  höheren  Sinne 
ist  krystallisirter  Zeitgeist,  nicht  eine  Schablone,  der  sich  die  Formensprache  jeder  Epoche 
anpassen  lässt. 

Inzwischen  hatten  andere  Länder  schon  die  Krystallform  unseres  Zeitgeistes  gefunden.  England 
zuerst,  dann  Frankreich.  Einiges  drang  davon  auch  zu  uns  herüber;  Vieles  brachten  deutsche  Künstler 
von  ihren  Reisen  zurück.  Einzelne  wagten  sich  an  das  «künstlerische  Kunsthandwerk»  und  hatten 
Erfolg,  Hermann  Obrist,  Otto  Eckmann  u.  A.  Das  Wiederaufblühen  der.  Schwarzweisskunst, 
die  ein  anmuthiges  und  neuartiges  Stilisiren  anhub,  arbeitete  vor.  Und  schon  im  Jahre  1897  konnten 
die  Münchener  «Dekorativen»  im  Glaspalast  ein  paar  reizende  Kabinette  mit  Arbeiten  ihres  Geistes 
und  ihrer  Hand  füllen,  die  ideellen  und  materiellen  Erfolg  hatten  und  vor  Allem  den  grossen  Erfolg, 

13» 


90  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

unsere  Techniker  des  Kunsthandwerks  für  sich  zu  gewinnen.  Jetzt  kam  diesen  doch  noch  zu  Statten, 
was  sie  bei  den  Alten  gelernt  hatten  und  sie  arbeiteten  congenial  den  erfindenden  Künstlern  in  die 
Hände,  so  dass  wir  heute,  so  spät  wir  auch  an  die  Reihe  kamen,  den  Meistern  neuen  Kunststils  in 
den  oben  genannten  Ländern  an  Können  nicht  mehr  nachstehen.  Es  fehlt  freilich  bei  uns  noch  das 
breite  kaufkräftige  Publikum  für  edle  Werke  der  Zierkunst  und  dadurch  haben  unsere  Schaffenden 
noch  nicht  Raum  genug,  sich  auszubreiten,  nicht  hinreichend  grosse  Aufgaben,  an  denen  sie  ihre  Kräfte 
stählen  können.  Aber  dafür  sind  die  neuen  Formen  überraschend  schnell  den  Meistern  jeder  Branche 
des  Kunsthandwerks  geläufig  worden  und  wir  haben  alle  Aussicht,  dass  bei  uns  der  «neue  Stil»  bald 
nicht  mehr,  wie  in  Frankreich  ausschliesslich,  ein  «Stil  der  Reichen»,  sondern  der  Stil  aller  Leute 
von  gutem  Geschmack  sein  wird.  Wer  sich  ein  Stück  modernen  Kunsthandwerks  nach  Hause  tragen 
will,  kann  für  ein  paar  Mark  eine  hübsche  Aschenschale  oder  einen  gefälligen  Zinnbecher  haben,  um 
geringes  Geld  ein  edelgeformtes  Glas,  eine  Vase  in  schönfarbig  glasirtem  Thon  oder  ein  Schmuck- 
stück von  feinen  Linien.  Wenn  sich  die  Sache  noch  ein  paar  Jahre  so  weiter  entwickelt,  so  wird  bald 
der  obligate  Rokokosalon  und  das  nicht  minder  obligate  «altdeutsche»  Speisezimmer  aus  den  Braut- 
ausstattungen verschwunden  sein  und  Möbeln  neuen  Stils  Platz  gemacht  haben,  eines  Stils,  der  in 
seinen  besseren  Erzeugnissen  ja  auch  der  Zweckmässigkeit  mehr  Rechnung  trägt,  als  jene  alter- 
thümelnden  Geräthe. 

Was  der  Münchener  Glaspalast  an  Werken  des  Kunsthandwerks  heuer  seinen  Besuchern  bietet, 
geht  über  die  Darbietungen  des  Vorjahres  noch  weit  hinaus.  Statt  der  dürftigen  zwei  Kabinette,  die 
den  « Dekorativen »  gnädigst  in  der  hintersten  Ecke  des  Ausstellungsbaues  angewiesen  waren,  stehen 
ihnen  in  diesem  Jahre  mehrere  geräumige  Gelasse  zur  Verfügung,  die  durchweg  auch  in  ihrer  archi- 
tektonischen Ausgestaltung  als  werthvolle  Ausstellungsobjekte  gelten  müssen.  Dazu  ist  der  Kreis  der 
ausgestellten  Gegenstände  wesentlich  erweitert  und  man  kann  wohl  sagen,  dass  jedes  Handwerk  ver- 
treten ist,  dessen  Erzeugnisse  naturgemäss  künstlerische  Ausgestaltung  zulassen,  und  dass  wir  jedes 
Material  verarbeitet  finden,  bei  dem  diese  Voraussetzung  zutrifft. 

Neben  den  Räumen,  die  ganz  den  «Modernen»  gehören  und  auch  in  ihrer  Architektur  diesem 
Zwecke  angepasst  sind,  haben  die  Gewaltigen  des  Glaspalastes  noch  etliche  Säle  und  Gelasse  her- 
stellen lassen,  die  «blos  schön»  schlechtweg  sind  und  weder  mit  neuen  noch  mit  alten  Zwecken 
des  Ausstellungsbaues  etwas  zu  thun  haben.  Da  ist  z.  B.  ein  Höfchen  in  reichem  Renaissance- 
geschmack nach  Motiven  aus  einem  Hofe  im  berühmten  Fuggerhause  zu  Augsburg  von  Friedrich 
von  Thiersch  eingerichtet,  mit  einer  von  wildem  Wein  überzogenen  Pergola,  Wandmalereien,  einem 
plätscherndem  Brunnen,  Blumen,  Vasen  und  Terracottafiguren.  Ein  vornehm  lauschiges  Eckchen  aus 
einem  Patrizierheim,  in  dem  man  sich  wohl  in  eine  vergangene  Welt  zurückträumen  könnte,  ersetzten 
nicht  schmutzige  Glasplatten  und  ein  Gewirr  von  eisernem  Sparrenwerk  oben  den  lieben  Himmel! 
Vollkommenere  Illusion  noch  weckt  der  «Römische  Wohnraum»  von  Emanuel  Seidl,  eine  ebenso 
geistvolle  als  behagliche  und  ästhetisch  schöne  Rekonstruktion,  der  zur  vollendeten  Täuschung  der 
Einbildungskraft  nichts  fehlt,  als  die  richtige  Staffage.  Wenn  in  dem  eigenartigen  Broncesessel  eine 
weissärmige  Römerin   sässe,    der  köstlichen   Kühle   geniessend,    die   der   Marmorboden   ausströmt    und 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


91 


der  plätschernde  Brunnen  —  es  wäre  ein  Idyll  aus  der  Cäsarenzeit,  das  nicht  zu  überbieten  wäre. 
So  aber  trippeln  katalogbewaffnete  Engländerinnen  über  den  Mosaikstern  des  Bodens  und  tappen  mit 
den  Fingern  an  den  Wänden,  um  zu  erkunden,  ob's  Wirklichkeit  ist,  oder  «Imitäschn».  Es  ist  Beides 
sozusagen,  Gyps  und  Marmor,  alte  Motive  und  Nachgefühltes.  Nachgefühltes,  nichts  Nachgebildetes, 
daher  der  künstlerische  Charakter  des  Ganzen,  der  aus  dem  Räume  weit  mehr  macht,  als  ein  Meister- 
stück der  auf  diesen  Gebieten  hochentwickelten  Geschicklichkeit  der  Münchener  Stukkateure.  Antiker 
Schmuck  und  diskret  auf  Tischen   und  Stellagen  vertheiltes  Prunkgeräth,    darunter  eine   feine  silberne 

Weinkanne  von  Theodor  Heiden  verleihen 
dem  römischen  Wohnraum  auch  den  Ein- 
druck wirklicher  Wohnlichkeit. 

Einen  hohen,  gothischen  Saal,  der  an 
sich  sehr  stattlich  und  würdig  ist,  aber  dem 
Eintretenden  ein  unlösbares  «Warum?»  und 
«Wozu.?»  entgegenruft,  haben  die  Archi- 
tekten K.  Hocheder  und  Paul  Pfann  aus- 
gestattet. In  diesem  Raum  ist  kunterbunt 
das  Heterogenste  zusammengetragen,  ultra- 
modern -  antiknordische  Gobelinmöbel  von 
Walter  Leistikow,  gothisches  Kirchen- 
geräth,  ein  alter  Harnisch,  neuartige  und 
orientalische  Teppiche,  Gypsabgüsse,  Archi- 
tekturmodelle und  Pläne,  neue  Renaissance- 
möbel, die  genau  so  künstlich  sind,  wie 
die  alten,  nur  nicht  so  kunstvoll,  neue 
Stickereien,  alte  Fahnen,  ein  Majolika-Kamin, 
Grabplatten  —  das  Ganze  wirkt  eigentlich 
als  prächtige  Verdeutlichung  der  babylo- 
nischen Verwirrung,  die  bei  uns  bis  dato 
in  den  dekorativen  Künsten  herrschte.  So 
viel  Stile  und  kein  Stil! 


Architektur  und  Kunsthandwerk 

Aus  Raum  No.  24,   entworfen  und  eingerichtet  von  Architekt 
Martin  Dülfer-  München 


Einer  der  freundlichsten  und  harmonischsten  Räume  im  Glaspalast  ist  dagegen  das  Kabinet 
No.  29,  der  —  nicht  blos  nach  dem  Katalog!  —  den  Charakter  eines  wohnlichen  Zimmers  trägt. 
Dieses  ist  in  einem  verfeinerten  Biedermeier-Stil  gehalten,  ein  Werk  aus  einem  Guss:  Möbel  aus  licht- 
gelbem Holz  mit  Ebenholzeinlagen  und  Verzierungen,  eine  Moireetapete  in  mattem  Grün,  Kamin,  Hänge- 
lampe u.  s.  w.  aus  blankem  glatten  Messing,  einem  Material,  das  glücklicherweise  wieder  in  Mode 
kommt  und  hoffentlich  bald  das  ordinäre  und  fast  immer  in  den  Formen  stumpfe  und  rohe  «Cuivre 
poli»  verdrängt  hat.  Prächtig  dieser  Kamin  mit  seinem  funkelnden,  sauber  ausgeschnittenen  Messing- 
mantel,   prächtig,    auch    in    der   Arbeit,    diese    freundlichen,    hellgelben    Möbel    (von    den    Architekten 


92  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Heibig  und  Heiger  entworfen,  von  A,  Pössenbacher  ausgeführt)!  Sehr  originell  ist  das  Pianino, 
aus  gleichem  Holz  gearbeitet  wie  die  Möbel  und  mit  einem  in  Messingblech  getriebenen  Figurenfries 
verziert.  Weniger  glücklich  an  diesem  Stück  wirkt  der  «eingelegte»  Richard  Wagner.  Der  Raum 
ist  bis  ins  letzte  Detail  stilgetreu  gehalten,  bis  zum  Stück  der  Decke,  bis  auf  das  Geschirr  im  Glas- 
schrank. Erfreulich  ist  dieses  ganze  gelungene  Ensemble  nicht  blos  durch  die  Schönheit  der  Arbeit 
und  die  gefällige  Wirkung,  sondern  auch  als  Beispiel  dafür,  wie  wir  heute  einen  vergangenen  Stil 
verstehen  und  weiterbilden  gelernt  haben.  Wir  aber  schreiben  nicht  mehr  ab,  wir  übersetzen  auch 
nicht  mehr,  wir  denken  in  der  anderen  Sprache!  Das  Stilschema,  das  uns  in  den  verflossenen  Jahr- 
zehnten Alles  war,  ist  uns  heute  nur  mehr,  was  dem  Schreibenden  die  Grammatik  ist :  das  Kunstwerk 
beginnt  erst  mit  der  freien  Handhabung  dieser  Sprache ! 

Betrachten  wir  die  ausgesprochen  « modernen »  Werke  des  Kunsthandwerks  genauer,  so  finden 
wir  nicht  ohne  Ueberraschung,  dass  auch  hier  oft  gerade  das  Beste  einer  Weiterentfaltung  vorhandener 
Kunstformen  seine  Entstehung  verdankt.  Und  zwar  sind  namentlich  reichliche  gothische  Elemente  im 
neuen  dekorativen  Stil  zu  entdecken,  ohne  dass  aber  Jemand  daran  denken  könnte,  die  betreffenden 
Objekte  als  gothisch  zu  bezeichnen.  Aber  der  Geist  dieses  herrlichen,  unserm  innersten  germanischen 
Wesen  entsprungenen  Stils  lebt  in  den  neuen  Formen,  der  Geist,  nicht  das  Gliche,  das  vordem  Alles 
war.  Die  Fröhlichkeit,  der  unerschöpfliche  Reichthum,  die  freie,  künstlerische  Phantastik  der  Gothik 
wird  wieder  wach,  ihre  Meisterschaft,  die  Naturformen  in  den  Rahmen  ihrer  Gesetzmässigkeit  zu 
bringen  ohne  Zwang  und  Gewaltthätigkeit,  ihre  gesunde  Realistik,  ihr  Linienadel  und  ihr  Humor.  Es 
ist  freilich  die  lebenswarme  Gothik  des  Strassburger  Münsters  und  nicht  die  todte  des  Kölner  Doms, 
die  da  —  Vielen  unbewusst!  —  zu  Gevatter  gestanden  hat.  Manche  sehen  auch  eine  Gefahr  für 
den  neuen  Stil  in  dieser  Verwandtschaft,  aber,  wie  mich  dünkt,  mit  Unrecht.  Jeder  Stil  ist  aus  einem 
früheren  entwickelt  und  wenn  wir  das  ganze,  Jahrhunderte  währende  Intermezzo  der  gewaltsam  wieder- 
belebten Antike  aus  unserer  Stilentwicklung  ausschalten,  kommen  wir  ganz  naturgemäss  dazu,  auf  der 
Gothik  weiterzubauen. 

Wie  nahe  die  letztere  übrigens  dem  modernen  Geschmacke  steht,  beweisen  etliche  der  präch- 
tigsten Stücke  der  Ausstellung,  Arbeiten  Fritz  v.  Miller's,  die  in  rein  gothischen  Formen  gehalten, 
sich  doch  dem  Ensemble  der  modernen  Kunstsachen  in  dem  wunderschönen  Raum  No.  26  vorzüglich 
einfügen.  Miller  hat,  wie  Wenige,  ein  Auge  für  die  Grazie  der  Gothik  und  zeigt  dies  namentlich  in 
dem  zierlichen  Kettenwerk  und  Beschlag  des  Steinbockgehörns  mit  dem  realistisch  gearbeiteten  ver- 
goldeten Silberschädel.  Ein  Prunkstück  von  hoher  Originalität  ist  der  von  dem  gleichen  Meister  — 
dies  anspruchsvolle  Wort  darf  man  hier  wohl  gebrauchen  —  ausgestellter,  aus  einem  Steinbockhorn 
gebildeter  Fisch,  ein  Hecht,  dessen  Kopf,  Schwanz,  Flossen  und  einzelne  Schuppen  aus  vergoldetem 
Silber  angefügt  sind.  Den  Sockel  bildet  ein  mächtiger  Klotz  Bergkrystall  in  Silberfassung,  an  dem 
eine  fein  emaillirte  Wasserjungfer  gaukelt.  Ein  «Myrthenbecher»,  reich  an  entzückenden  Details,  ein 
Galle-Glas,  mit  einer  emaillirten  Lazerte  montirt,  sind  von  gleicher  Hand,  Das  sind  freilich  Stücke, 
die  fast  nur  für  fürstliche  Mittel  erreichbar  sind.  Der  breiteren  Menge  der  Leute  von  gutem  Geschmack 
zugänglich  sind  die  Zinnsachen  von  K.  Gross  (ausgeführt  von  L.  Lichtinger)  hier.     Vom  einfachen 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


93 


Becherlein  bis  zur  werthvollen,  schweren  Bowle  sind  hier  alle  erdenklichen  Gefässe  zu  sehen,  Flaschen 
und  Krüge,  Weinkühler,  Teller  und  Schalen,  Alles  neuartig  in  seiner  Form,  oder  doch  neuartig  aus 
alten  Formen  entwickelt.  Gar  vielerlei  ist  im  Grunde  gothisch,  die  flaschenartigen  Vasen  erinnern  an 
ältere  japanische  Broncen,  —  aber  Alles  trägt  den  Stempel  der  «neuen  Kunst».  Namentlich  die 
Behandlungsart  des  Zinns,  die  den  edlen,  feinen  Glanz  des  sympathischen  Metalls  in  seine  Rechte 
einsetzt  und  das  geschmeidige  Material  mit  dem  Hammer  treibt,  statt  es  in  bekannter  Art  in  schablonen- 
hafte Forme  zu  giessen,  namentlich  diese  Technik  ist  freudigst  willkommen  zu  heissen.  Die  Haupt- 
formen der  Geräthe  sind  getrieben,  nur 
nebensächlichere  Ziertheile  sind  durch  Guss, 
feine  Linienornamente  durch  Graviren  her- 
gestellt. Freudig  begrüssen  wir  dieses  vor- 
nehme Zinngeräth  aber  auch  darum,  weil 
es  so  recht  darnach  angethan  ist,  das  Ver- 
ständniss  für  die  angedeuteten  Bestreb- 
ungen in  weitere  Kreise  zu  tragen.  Recht 
Hübsches  findet  sich  auch  unter  den  — 
offenbar  gegossenen  —  Edel -Zinnsachen 
von  F.   H.   Schmitz  (Köln). 

Auch  für  Kupfer -Treibarbeit  sind  schon 
seit  dem  letzten  Jahre  neue,  reizolle  Formen 
und  ebenfalls  neue,  schöne  Farbenwirkungen 
gefunden.  Die  Sachen  vonJ.Winhart  &  Cie., 
Wilhelm  und  Lind,  nach  Entwürfen  von 
H.  Kellner,  von  Berlepsch  und  Anderen 
gearbeitet,  Kannen,  Vasen,  Cachepots, 
Krüge  und  Kühlgefässe  und  noch  manches 
Andere,  erfreuen  das  Auge  durch  edle 
Grundformen  ebensosehr,  wie  durch  dis- 
krete und  eigenartige  Ornamentik  und 
schöne  Farben.  Denn  auch  die  letzteren 
spielen  jetzt  hier  bei  den  Kupfergeräthen  eine  Rolle ;  man  hat  —  wohl  zum  Theil  bei  den  Japanern  — 
gelernt,  dem  Kupfer  geschmackvolle  neue  Farben  und  Patinen  zu  geben,  man  arbeitet  es  vielfach 
mit  Bronce  und  anderen  Metallen  zusammen  und  erzielt  so  reiche  Wirkungen.  Bald  gibt  ein  schönes, 
warmes  Braunroth  den  Grundton,  bald  ein  gleichmässiges  Patinagrün,  bald  auch  ein  tiefes  Schwarz 
und  davon  heben  sich  goldgelbe  Broncebeschläge  oder  blanke  Schmiedeeisengestelle  prächtig  ab. 
Zu  den  gelungensten  Stücken  dieser  Sparte  zählen  auch  ein  Theeservice  von  Eugen  Berner  mit 
Mistelmotiv,  einige  Vasen  von  Schmuz-Baudiss,  an  denen  japanische  Metalllegirungen  verschiedener 
Art  äusserst  geschmackvoll   zur  Dekoration    angewandt   sind   und   die   hübschen    kleineren  Sachen  von 


Architektur  und  Kunsthandwerk 

Aus   Raum  No.  25,   entworfen  und  eini;erichtet  von   Architekt 
Theodor  Fischer-  München 


94  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

Steinicken  und  Lohr.  Die  letztere  Firma  stellt  auch  einen  höchst  originellen  Schirmständer,  in 
Messing  und  Eisen  geschmiedet,  aus,  ein  Stück,  das  beweist,  wie  mit  liebevollem  Erfindergeist  die 
neuen  Zierkünstler  sich  auch  des  unscheinbarsten  Hausgeräthes  annehmen.  Letzteres  zeigt  sich  auch  in 
den  vortrefflich  erfundenen  Gardinenstangenhaltern  von  R.  Riemerschmid.  Eine  Reihe  der  Künstler 
hat  sich  mit  Beleuchtungskörpern  für  elektrisches  Licht  beschäftigt  und  es  ist  ihnen  überraschend 
gelungen,  himmelweit  weg  von  allem  Herkömmlichen  das  Schöne  zu  finden;  eine  Beleuchtungsart,  wie 
die  Glühlampe,  die  dem  Musterzeichner  absolut  keine  technischen  Beschränkungen  auferlegt,  muss  ihm 
ja  auch  Gelegenheit  zur  reichsten  Entfaltung  seiner  Phantasie  bieten.  Wir  nennen  die  Arbeiten  von 
Eugen  Berner,  Richard  Riemerschmid,  Otto  Eckmann,  Wilhelm  und  Lind.  Gerade  diese 
Sachen  illustriren  das  Bestehen  eines  Bedürfnisses  nach  neuem  Stil,  zeigen,  wie  mit  dem  Bedürfniss 
auch  die  Mittel  entstehen,  es  zu  befriedigen  und  wie  die  Sache  selbst,  für  welche  diese  Mittel  ersonnen 
sind,  zum  Schmuck  für  das  Ganze  wird.  Gerade  auf  dem  Gebiet  der  Nutzbarmachung  der  Elektrizität, 
die  so  viel  praktische  Fortschritte  mit  sich  bringt,  liegen  auch  tausend  Quellen  für  das  Schöne.  In 
diese  Gruppe  gehört  auch  ein  Kamin  für  Gasheizung  von  Wilhelm  Bertsch  —  dem  Architekten 
des  ganzen  Raumes  No.  26.  Gerade  diese  praktischen  Gaskamine  schreckten  bisher  Manchen  ab 
wegen  ihrer  maschinellen  Hässlichkeit  —  hier  ist  gezeigt,  dass  sich  die  Einrichtung  zum  Mindesten 
so  behaglich  gestalten  lässt,  wie  die  vornehme  und  unbequeme   «Cheminee». 

Im  Allgemeinen  —  eine  Anzahl  sehr  gediegener  Arbeiten  auf  dieser  Ausstellung  ändern  daran 
nichts  —  hat  die  Goldschmiedekunst  bei  uns  verhältnissmässig  bis  jetzt  am  Wenigsten  vom  «  neuen  Stil » 
profitirt.  Woran  dies  liegen  mag,  ist  nicht  ganz  klar  —  vielleicht  zunächst  daran,  dass  Schöpfungen 
in  den  alleredelsten  Materialien  naturgemäss  ein  kaufkräftigeres  Publikum  voraussetzen,  als  wir  es 
haben.  Und  dann  ist  gerade  das  kaufkräftigste  Publikum  sehr  konservativ  und  am  Wenigsten  tolerant 
gegen  die  Launen  des  erfindenden  Künstlers.  ■  Hier  in  München  stellt  ausser  Fritz  von  Miller  auch 
August  Offterdinger  (Hanau)  geschmackvolles  Silbergeräth  aus,  Ziergefässe  und  Vasen,  zum  Theil 
von  reichbewegten,  echt  modernen  Formen.  Paul  Merk  lässt  uns  einige  Vitrinen  mit  Schmuck  sehen, 
wobei  auffallender  Weise  die  kostbarsten  Stücke  an  Grazie  und  Mannigfaltigkeit  der  Form  von  den 
einfacheren  weit  überboten  werden.  Es  ist  als  könnten  sich  die  Zeichner  nur  schwer  entschliessen, 
kostbare  Steine  dem  Eindruck  des  Ganzen  unterzuordnen,  sie  als  Zierath  anzuwenden  —  fast  immer 
erscheinen  sie  als  Hauptsachen  und  das  Uebrige  als  Fassung.  Wir  können  auch  hier  von  den  Alten 
lernen  —  sie  besetzten  ihre  Schmuckstücke  mit  Edelgestein  und  wollten  nicht  blos  ihre  Edelsteine 
durch  die  Folie  der  Goldschmiedarbeit  heben.  Als  werthvolle  grössere  Stücke  sind  hier  noch  zu  nennen : 
die  etwas  zu  absichtlich  gothisirende  und  für  ein  Gebrauchsstück  zu  komplizirte  Tischglocke  von 
Blachian,  die  beiden  einfach -schönen  Sektschalen  von  Theodor  Heiden,  ein  «Bierpokal»  und  ein 
zierlicher  x'\ufsatz  von  Max  Strobl.  Max  Rothmüller  bringt  gefällige  kleinere  Schmucksachen. 
Durchaus  moderne  Form  hat  Hermann  Hirzel  (Berlin)  seinen  in  den  «Vereinigten  Werkstätten» 
hier  ausgeführten  Schmucksachen,  meist  Brochen,  gegeben  und  es  ist  manches  Schöne,  aber  auch 
manches  Gewaltsame  darunter.  Das  bemerken  wir  —  selbstverständlich!  —  ja  noch  bei  vielen  der 
ausgestellten    Arbeiten    mit    Missbehagen,    dass    sie    allzu    laut    schreien:    «Ich    bin    modern!    Ich    bin 


Franz  SImm  piax. 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


95 


originell!»  Aber  das  sind  Dinge,  die  man  in  den  Flegeljahren  eines  neuen  Stils  eben  mit  in  den  Kauf 
nehmen  muss.  Als  durchaus  vornehmes,  erstklassiges  Struck  muss  der  schöne  Silberpokal  nebst  Teller, 
mit  einem  Lorbeermotiv  dekorirt,  bezeichnet  werden,  den  Steinicken  und  Lohr  ausgestellt  haben. 
Das  ist  «modern»  ohne  jede  Aufdringlichkeit  und  schön  ohne  «Tendenz».  Nicht  unerwähnt  bleiben 
dürfen  die  weich  und  anmuthig  modeliirten  Medaillen  meist  wohl  französischen  Ursprungs,  die  in  einem 
Glaskästchen  ausgestellt  sind. 

Mit  aufrichtiger  Befriedigung  kann  der  Kunstfreund  auf  die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  sehen, 
die  an  den  ausgestellten    Möbeln  auffällt.     In  der  Wahl    und    Zusammenstellung    der    Holzarten,    dem 

Schmuck  durch  Beschläge,  in  dem  Bestreben, 
das    Zweckmässige    mit    dem    Schönen    zu 
vereinigen  —  eigentlich  ist  das  Letztere  ja 
die  Hauptparole  der  ganzen,  in  Rede  stehen- 
den Bestrebungen  —  in  der,  meist  glücklich 
reaiisirten  Absicht,  einfach  und  vornehm  zu 
sein  und  auch  die  kleinste  Zuthat  nicht  der 
künstlerischen    Fürsorge  des  Erfinders  ent- 
gehen  zu  lassen,    zeigt  sich  hier   ein   ganz 
unerschöpflicher  Reichthum    von    Phantasie 
und  Können.      Bernhard    Pankok,    einer 
der    feinsinnigsten  Münchener  Stilisten,  der 
auch  für  den  Buchschmuck   viele   wirksame 
und  durchgeistigte  Arbeiten  schon  geleistet 
hat,    der    vielseitige    Richard    Riemer- 
schmid,    Martin    Dülfer,     der   Architekt 
der  Kabinette    24  und  25,  L.  Hohlwein, 
Bernhard   Wenig,     F.  X.   Wagner,    sie 
Alle  haben  Stücke  zur  Ausstellung  geliefert, 
die   höchster    Beachtung    werth   sind.     Auf 
keinem   Gebiete  des   Handwerks    war  wohl 
noch  vor  Kurzem  so  kläglicher  Schlendrian 
zu  beklagen,    wie  auf  dem  der  Kunsttischlerei.     Was    nicht   sklavische    Nachbildung    alter    Form    war, 
war    sinn-    und    stillose    Arbeit    nach    schlechten    Musterbüchern,    ans  Erfinden    dachte    kein  Mensch. 
Und    nun    sehen    wir,    dass  sich  nirgends  so  Mannigfaltiges  erfinden  lässt,  wie  hier!      Und  noch    eins: 
hier    ist    vielleicht    der  Punkt,    an  dem    eine    Popularisirung    des    «neuen    Stils»    erspriesslich    einsetzen 
kann.    Das  Allereinfachste  kann  schön  sein  im  neuen  Sinn,  der  schlichteste  Holzstuhl,  das  bescheidenste 
Schränkchen.     Und  Nichts  braucht  theurer  zu  werden,    als  es  bisher  war  —  wenn  wir  überhaupt  von 
solider  Arbeit    reden.     Jetzt    sind    die    Preise    für    modernes    Kunstgeräth    vielfach    noch    unverhältniss- 
mässig  hoch,  weil  von  vorneherein  nur  auf  einen  beschränkten  Absatz,  weil  nur  auf  wohlhabende  Käufer 

II  14 


Architektur  und  Kunsthandwerk 

Aus   Raum  No.  26,  ausgeführt  nach  Angabe  des  Architekten 
Wilhelm  Bertsch  -  München 


96  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

gerechnet  war.  In  Zukunft  wird  man  sich  auch  damit  beschäftigen  müssen,  die  Verkaufswaare  der 
bescheideneren  Werkstätten  auch  mit  in  den  Bereich  des  eben  errungenen  Kunststils  zu  ziehen.  Warum 
soll  ein  Stuhl,  der  zehn  oder  zwölf  Mark  kostet,  nicht  auch  von  guter  Form  sein  können,  da  die 
gute  Form  vielfach  durchaus  kein  Plus  an  Arbeit  bedingt?  Eins  allerdings  bedingt  dieser  Stil:  saubere, 
liebevolle  Ausführung.  Für  den  Winkelschreiner,  der  gewohnt  ist,  jedes  Stückchen  Zierwerk  fertig  in 
einem  Spezialgeschäft  zu  kaufen  und  seinen  formlosen  Kasten  aufzuleimen,  ist  hier  nichts  zu  suchen. 
Aber  der  kleinste  Handwerksmeister,  der  Lust  und  Liebe  zur  Sache  und  geschickte  Hände  hat,  kann 
jetzt  Gelegenheit  finden,  emporzukommen,  wenn  er  mit  seiner  Zeit  geht. 

H.  E.  v.  Berlepsch,  der  einer  der  Thätigsten  der  Kunst  im  Handwerk  geworden  ist,  hat 
zwei  Kabinette  eingerichtet,  die  auch  als  Muster  neuzeitlicher  Innendekoration  in  jeder  Beziehung  Lobes 
werth  sind.  Ganz  besonders  aber  interessiren  uns  die  nach  seinen  Entwürfen  ausgeführten  Möbel  der 
Firma  Buyten  und  Söhne,  Düsseldorf.  Es  sind  Holz-  und  Polstermöbel  von  noblen  Formen,  geziert 
hauptsächlich  durch  Einsätze  von  schönmaserigem  Holz,  das  durch  ein  neues  Verfahren  (Xylektypom) 
so  bearbeitet  ist,  dass  die  Zeichnungen  der  Maserung  etwas  vertieft,  aber  in  scharfem  Relief  zu  Tage 
treten.  Bei  einem  Theil  dieser  Füllungen  liegt  auch  ein  flaches  Pflanzenornament  auf  dem  gemaserten 
Hintergrunde.  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  Art  von  Aetzung,  welche  die  weicheren  oder  beim 
Aetzen  nicht  durch  Firniss  geschützten  Theile  der  Holzplatte  wegnimmt,  die  Theile  von  festerer 
Struktur  oder  die  abgedeckten  Zeichnungen  aber  stehen  lässt.  Auch  reich  dekorirtes  Kupfergeräth 
in  diesen  Räumen  ist  nach  Berlepsch'  Entwürfen  getrieben  und  von  ihm  stammt  auch  eine  Serie  sehr 
instruktiver  Pflanzenstudien  für  Ornamentzwecke  in  einer  Vitrine. 

Wenden  wir  uns  nun,  der  Uebersichtlichkeit  halber  die  ausgestellten  Schätze  in  Gruppen  zu- 
sammenfassend, zu  den  Stickereien,  so  muss  wohl  in  erster  Linie  der  Name  Hermann  Obrist's  genannt 
werden.  Er  hat  die  Malerei  mit  der  Nadel,  ein  Gebiet,  auf  dem  die  ödeste  Dilettanterei  gang  und 
gäbe  war,  zur  reinen  Kunst  erhoben,  zu  einem  Ding,  das  fein  genug  ist,  Selbstzweck  zu  sein.  Er  ist 
der  Zarteste,  Sensitivste  unter  unsern  modernen  Ornamentikern  und  Frl.  C.  Ruchet,  die  seine  Ent- 
würfe in  Nadelmalereien  umsetzt,  darf  nahezu  als  ihm  congenial  gelten,  so  hoch  erhebt  sich  ihre 
Fertigkeit  über  alles  Handwerksmässige.  Das  Kissen  mit  dem  rothen  Umbelliferenmotiv  auf  grünem 
Moire,  das  dreieckige  Kissen,  das  weisse  Blatt  mit  den  dunklen,  wunderbar  bewegten  Haferähren  — 
das  sind  Meisterstücke.  Auch  Pankok  hat  für  ein  seidenes  Kissen  den  gelungenen  Entwurf  geliefert, 
Peter  Behrens,  der  auch  durch  dekorative  Buntholzschnitte  ehrenvoll  vertreten  ist,  Entwürfe  für 
einfache,  aber  sehr  gut  wirkende  Knüpfteppiche,  Bruno  Paul  die  Zeichnung  zu  grossen  Vorhängen, 
deren  geistreich  erdachte  Technik  darin  besteht,  dass  schwarze  Seidenlitzen  auf  blaues  Uniformtuch 
aufgenäht  sind.  S.  Meinhold  arbeitet  mit  Erfolg  im  Geiste  Obrist's,  M.  Behmer  lässt  uns  die 
Anwendung  des  neuen  Stils  auf  die  Leinenstickerei  sehen.  In  ihrer  Erfindung  von  eigenthümlich 
naiver  Künstlichkeit  und  sehr  geschmackvoll  sind  die  mikroskopisch  zarten  Stickereien  von  Ein- 
gebornen  Südamerikas,  die  Konsul  W.  Körte  uns  vorführt.  E.  Erber,  L.  M.  Riess,  Prinzessin 
Cantacuzene,  A.  Naue  u.  A.  mit  ihren  Stickereien  verschiedenster  Art  wären  ebenfalls  mit  Aus- 
zeichnung   zu    nennen.     Otto    Ubbelohde    hat    einen    Wandschirm    in  Gobelinimitation   ausgeführt, 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


97 


der    allerhand   Nachtgevögel    mit    ebensoviel    Stimmung    als    Farbenschönheit    und    zeichnerischem  Ge- 
schick zur  Darstellung  bringt. 

Sehr  Gutes  leistet  speziell  Süddeutschland  auf  dem  Gebiete  der  Keramik  und  zwar  sind  auch 
hier  zahlreiche  «neue  Techniken»  zu  bewundern.  Da  sind  die  mannigfaltigen  Krüge  und  Blumentöpfe 
der  Familie  von  Heider  (München)  mit  ihren  koloristisch  so  reizvollen  Glasuren  und  ihrem  vornehm 
einfachen  Dekor,  da  sind  Schmuz-Baudiss'  keramische  Kabinetsstückchen,  in  denen  die  einfachste 
Töpferarbeit  raffinirt  zu  künstlerischer    Vollendung  gesteigert    ist,    da   sind    die   süperben  Geräthe  aus 

glasirtem  Thon,  die  Frau  E.  Schmidt- 
Pecht  (Constanz)  mit  seltener  Formen- 
phantasie und  konsequentem  Stilgefühl 
fertigt,  da  sind  die  prächtigen  Porzellan- 
malereien von  M.  Rossbach,  die  Vasen 
von  Max  Länger  (Karlsruhe)  und  vieles 
Andere.  Glasgefässe  sind  im  Glaspalast 
merkwürdig  wenig,  wenn  auch  nur  in 
guten  Stücken  vertreten ;  zu  diesen  zählen 
die  Ziergläser  von  F.  A.  O.  und  Paul 
Krüger  (München)  und  die  Nachbildungen 
irisirender  altrömischer  Glasgefässe.  von 
Friedrich  Zitzmann  (Wiesbaden).  Auf 
sehr  hoher  Stufe  stehen  die  Glasmosaik- 
bilder nach  dem  Muster  und  wohl  auch 
zum  guten  Theil  mit  dem  Material  der 
bekannten  Tiffanyfenster  ausgeführt  von 
Karl  Ule  in  München  und  Karl  Engel- 
brecht in  Hamburg,  welch'  Letzter  einen 
unschätzbaren  Helfer  in  dem  in  Paris 
lebenden  Maler  Christiansen  besitzt. 
Diese  Glasbilder  sind  ohne  Zuhülfenahme 
des  Pinsels  aus  mannigfaltig  gefärbten, 
opalisirenden  und  glatten,  dicken  und  dünnen,  gewellten  und  gekörnten  Glasplatten  zusammengesetzt 
und  übertreffen  in  ihrer  ungebrochenen  Leuchtkraft  und  starken  Zierwirkung  alle  Glasmalereien  alten 
Stils.  Der  beschränkte  Raum  gestattete  uns  hier  kaum,  auch  nur  das  Hauptsächlichste  zu  erwähnen 
und  es  mag  so  Manches  ungenannt  geblieben  sein,  was  verdient  hätte,  mit  in  erster  Reihe  zu  stehen. 
In  der  Jahresausstellung  der  «Secession»,  welche  heuer  zum  ersten  Male  König  Ludwigs  I. 
prachtvoller  korinthischer  Tempel  am  Königsplatzc  aufgenommen  hat,  spielt,  wie  es  bei  dem  beschränkten 
Raum  gar  nicht  anders  sein  kann,  das  Kunstgewerbe  nur  eine  nebensächlichere  Rolle,  wenn  auch  unter 
dem  Wenigen,  was  zu  sehen  ist,  gerade  ganz  hervorragende  Sachen    sich  befinden.     Im  Vordergrund 


Architektur  und  Kunsthandwerk 

Aus  Raum  No.  29,  entworfen  und  eingerichtet  von  den  Architekten 
Hdbig  und  Haiger-  Münclien 


98  DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 

des  Interesses  stehen  wohl  die  bekannten  Gläser  von  Galle  und  Tiffany.  Der  Erstere,  der  seinen  mit 
ganz  unbeschreiblicher  Pracht  und  Schönheit  gefärbten  Gläsern  nebenbei  auch  tiefsymbolische  Bedeutung 
zu  geben  versucht  und  sie  mit  sinnigen  und  übersinnigen  goldenen  Inschriften  schmückt,  behandelt 
seine  bunten,  überfangenen  und  immer  wieder  auf's  Neue  durch  aufgetragene  Pasten  bereicherten 
Gläser  etwa  wie  Onyx  oder  Achatblöcke  und  schneidet  Gemmen  daraus,  wahre  Wunderwerke  der 
Technik,  des  Geschmacks  und  der  Geduld.  Bei  Tiffany  ist  die  eigentliche  Arbeit  des  Glasbläsers 
einfach  und  die  Formen  sind  es  nicht  minder.  Aber  das  Material  ist  mit  so  fabelhafter  Virtuosität 
gefertigt,  dass  das  Glas  selber  zum  Edelstein  wird.  Eine  beispiellose  Geschicklichkeit  im  Hervorrufen 
von  Absichtlichkeiten  und  Zufälligkeiten,  ein  geistvolles  Ausnützen  der  chemischen  und  physikalischen 
Gesetze  ermöglichen  es  Tiffany,  seinen  Geräthen  die  farbenreichsten  Muster  zu  verleihen;  das  irisirt 
in  allen  Farbenskalen,  Pfauenfedermuster  durchziehen  das  Glas,  Metallglanz  ziert  es  —  es  ist  als  seien 
Opale  geschmolzen  und  von  der  Pfeife  des  Glasbläsers  zu  Geräthen  geformt.  Die  Preise  der  Sachen 
entsprechen  freilich  ihrer  Kunstfertigkeit  vollauf. 

Mannigfaltiger  ist  die  Kollektion  des  Belgiers  Philipp  VVolfers  (Brüssel).  Er  verbindet 
Elephantenzähne  mit  Bronce  oder  vergoldetem  Silber,  oder  Gläser  der  Galle'schen  Technik  ebenfalls 
mit  Silberguss,  dessen  Vergoldung  zum  Theil  wieder  durchgeputzt  ist,  er  giesst  in  Zinn  und  Bronce. 
Vieles  von  seinen  Arbeiten  gehört  eigentlich  in's  Gebiet  der  Kleinplastik.  Das  gilt  auch  von  dem 
«Standspiegel»  von  E.  M.  Geyger  in  Florenz,  der  so  unbeschreiblich  fein  ausgearbeitet  ist,  dass  er 
fast  eir.e  Radirung  in  Metall  heissen  könnte.  F"einer  Kunst,  aber  kaum  dem  «Handwerk»  gelten  die 
eminent  weich  und  anmuthig  modellirten  Leuchter,  Aschenbecher,  Rahmen,  Bonbonnieren  u.  s.  w.,  die 
P.  M.  Dubois  für  Zinnguss  modellirt  hat.  Dies  Alles  ist,  wie  auch  die  Sachen  von  Charpentier 
im  Glaspalast,  nur  äusserlich  einem  praktischen  Zweck  angepasst,  während  die  Mehrzahl  der  deutschen 
Arbeiten,  die  wir  aufzählten,  dazu  angethan  sind,  uns  das  Schöne  thatsächlich  in  den  Gegenständen 
des  täglichen  Gebrauchs  in  die  Hand  zu  geben.  Mehr  in  letzterem  Sinne  gearbeitet  ist  ein  Salzgefäss 
und  ein  aus  den  verschiedenartigsten  edlen  Materialien  sehr  graziös  gearbeiteter  Becher  von  Henri 
Nocque  in  Paris. 

Alles  in  Allem :  wir  sind  auf  gutem  Wege,  durch  die  Leistungen  unserer  für  dekorative  Zwecke 
arbeitenden  Künstler  einen  Stil  zu  finden  und  zu  fixiren,  der  die  Zeit  um  das  Jahrhundertende  für  die 
Nachwelt  in  würdiger  Weise  kennzeichnet  und  unser  voller  Dank  gebührt  allen  Denen,  die  daran 
weiterbauen. 


Otto  Strütsel  piux. 


Phot.  F.  IlFiufstaeQgt,  MOncbeo 


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