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Full text of "Die Kunst zu denken; ein Seitenstück zur Kunst, Bücher zu lesen"

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Kunſt zu denken. 


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Kunſt, Bücher zu lefen 





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Dem Heren 


profeffor Kant, 
in Königsberg | 


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dem Herrn 


Rektor Pillen 


in Zeintz, 
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8 Hochachtung und Dankbarkeit 
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— De Natur meint es beſſer mit dem Menſchen 

als er es mit ſich ſelbſt meint. Er legt es auf Ru⸗ 

u . bean, hie aber. reißt ihn in den Strudel des Lebens 

hinein und überhäuft ihn mit Ungemach aller Art; 

ex liebt das Leben und fie feßt es alle Augenblicke 

der Gefahr des Unterganges aus; er ſtrebt nach, 

ö bloßem Genuffe und fie zwingt ihn zur Thaͤtigkeit. 

Der Nenſch liegt alſo mit der Natur in einem ſte⸗ 

ten Streite und kann fich nie mit ihr ausſohnen ˖ 

Es giebt fir ihn Beinen Frieden mit derſelben, er 
wird sum Kampfe geboren und endigt ſein Leben 


VE 
nm demſelben. Was wi denn aber bie Natur 
mit dem Menfchen und warum behandelt fie. ihn 
ſo grauſam und fo feindfelig? Da er fo Eurzfichtig 
iſt und den Zweck ſeines Daſeyns fo wenig beruͤck⸗ 
| fichtigt, fo nimmt fie feine Erziehung uͤber ſich. 
Sie will ihn muͤndig, und zu einem freien und J 
ſelbſtthaͤtigen Weſen machen? dehn er folt fich put a 
Gottheit erheben und er wuͤnſcht an der Erde haͤn⸗ 
gen zu bleiben: wie war es daher anders anzufan⸗ 
gen, wenn ſie ihre Abſicht erreichen wollte, als 
daß fie ihm Noth und Mangel, Gefahren und 
Leiden in Schaaren zuſchickte, um ihn nicht zur 
diuhe kommen zu laſſen. Durch Lnruße geht für 
ihn der Weg zur Muͤndigkeit und durch Schmer⸗ 
- yon zur Freiheit. Diefe beiden arbeiten ihn aus 
feiner Rohigkeit heraus uud bervolllonumnen (hi, - 
vn wider Rinen Willen. 


Wie kann man fich aber vergeroiffen, wel⸗ 
"Bes die Beſtimmung des Menſchen auf dieſer Er⸗ | 
de ſey? Den Zweck feines, isdifchen Daſeyns er⸗ 
faͤhrt man dadurch, daß man, unterſucht, welche 


Anlagen er beſitzt und in weichen Verhaͤliniſſe dieſe 
zu feinem Begehren ſtehen. Eine ſolche Kennt· 
niß aber kann man ſich bloß durch die Wirkungen, 
welche fich im. menfchlichen Gemuͤthe offenbaren, 
‚verfchaffen: denn der Menſch ift m feinem Erfen- 
nen und Wiſſen an einen vorhandenen Stoff ger 
bunden; nur von diefem aus kann er feine Bahn _ 
antreten, wenn er uͤber ſich ſelbſt Aufſchluß ſucht. . 
Vecrgeblich geht er von etwas aus, was ſich bloß 
denken laͤßt; er ſtuͤrzt ſich unter Schattengeſtalten u 
und wird an ſich ſelbſt irre. Hält er ſich Hingegen _ 
an die Welt der Erſcheinungen und fleigt von den 
. Wirkungen der Dinge zu ihrer Urſache auf, fo 
.. fteßt er auf einem fefken fruchtbaren Boden und ° 
kann ſich das Käthfel feines Dafeyns ldſen. Die 
Anlagen- und Kräfte des Menfchen find alſo für 
ihn bloß Durch ihre Aeußerungen erfennber und 
dieſe. Anlagen ſind Bedingungen etwas zu thun 
oder zu leiden und wenn man bedenkt, daß ſie, ſo 
"lange fie nicht ausgebildet find, traͤg und unge⸗ | 
ſchickt ſind, daß ſie nur erſt alsdann Luſt zur Thaͤ⸗ 
tigkeit und Geſchicklichkeit erlangen; wenn fie flei⸗ 


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Anſehung des Stoffes zu ihrer Wirkſamteit ab⸗ 


haͤngt, daß fie alſo einander untergeordnet fi ind | 


und daß endlich Die Eine die Herifchaft über alle 


Aundern fodert und ihre Thaͤtigkeiten für ſich i in Ans 


flag nimmt, fo weiß man, wie ber Menfch von - 
u Natur beſchaffen ‘ft; und wenn man zu erfahren ” 
‚wuͤnſcht, welchen Zweck der Menſch auf dieſer 
Erde habe, ſo hat man das Verhaͤltniß dieſer An⸗ 
lagen und Kräfte. zu den ihn umgebenden Din 
| gen d. h. zu der süfern Natur und zu feines Slei- 
J chen in Betracht zu ziehen. Der Menſch verlangt | 
| entweder Gluͤckſeligkeit oder Sittlichkeit. | Iſt 
tr das Erſtere der Fall, wie verhaͤlt ſich die Natur zu 


| ßig geuͤbt werden / daß die Eine von der Andemt in 


9 


dieſem Zwecke ſeines Begehrens? Er wuͤnſcht 


— gluͤcklich zu ſeyn und ſtets in angenehmen € Gefuͤh⸗ 

len zu ſchwelgen, allein ſie achtet dieſes Wunſches 

| nicht; fie behandelt ihn wie jedes andere ihrer Ge⸗ 
J | ſchoͤpfe; fie ſchickt ihm bald Breuden bald Leiden 

zu, gewaͤhrt ihm bald Ueberfluß, baid täßt fie 


ihn fehmerzlichen Mangel empfinden und zerſtoͤrt 


ihn endlich felbfty wie jedes andere ihrer Produkte. 


— IX —— 


So lange er lebt, find alfo zwar ihre Einwirkungen 


— auf ihn ſehr verſchieden und mannigfaltig; allein | 


wenn man das Ganze berechnet und den Angfchlag 
In: Betracht zieht; fo entfpricht Das Berhalten der 


Natur gegen ihn feinen Wuͤnſchen eben fo wenig 


als fie ihn als Selbſtzweck achtet. Er lebt mit 
feines Gleichen in Geſellſchaft; ſie wirken auf ihn 


ein und er ſteht mit ihnen in Verhaͤltniſſen, ent: -- 
ſpricht nun dieſe Wechſelwirkung, in denen er ſich 


mit ihnen. befindet, feinem Wunſche nach Gluͤck⸗ 


| jeligkeit beſſer als Das Berhältniß, ‚in dem er zur 


Natur ſteht? Der Menſch hat in Anſehung ſeiner 


J Gluͤckſeligkeit keinen aͤrgern Feind als den Men⸗ 


ſchen. Neid, Dh, Rachſucht I: Stiege N Ehr⸗ 


ſucht und Herrſchſucht verſchworen ſich gegen ihn 


und er verliehrt am Genuſſe angenehmer Gefühle 


eben ſo viel, als fein Verhaͤltniß zu Menſchen 


mannigfaltiger iſt. Die Natur und die Menfchen - 
ſorgen alfo fehr wenig für feinen Wunſch nach, 


Gluͤckſeligkeit und beide thun der Vefriedigung def- 


ſelben Abbruch, 19 fie nur: können. Es kann 


alſo in Anſehung ſeines Lebens mit ihm auf dieſer 


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in Eide nicht auf Gluͤckſeligkeit angeſehen fon: ben: 


"wäre dies der Fall, fo würde die Natur. ihn gütiger | 


und wohlwollender behandeln und die Menſchen 
wuͤrden nicht ſo feindſelig gegen einander geſinnt 
ſeyn muſſen. | neberdieß muͤßten ſi ich. auch feine 


Geefuͤhle nicht ſo oft veraͤndern x feine: Empfäng- 


lichkeit für Genuß duͤrfte ſich nicht ſelbſt durch 
den Genuß abſtumpfen und die aͤußere Natur 
und die Menſchen muͤßten mehr in ſeiner Gewalt 


ſtehen, um fi e ſtets als Mittel zur —— | 
feiner Sinnlichkeit gebrauchen zu koͤnnen. Al⸗ 


lein gleich feindſeligen Elementen flieht ‚alles 
| einander; wenn es auf die Ausführung Des Wun⸗ 
| fches, glücklich zufenn, ankommt. Es errogchen -- 
Feinde in und. außer dem Menſchen , welche ſelbſt 
den Schatten ſeines Gluͤcks zerſtdren und ſich ſelbſt 


noch freuen, daß ſie wi vieles Unheit ange⸗ 


richtet haben. 


Wenn es alſo mit dem Menſthen auf die 


fie Erde nicht auf Gluͤckſeligkeit. angeſehen iſt, 


was kann denn der vaned fon, m worum e er lebt? 


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Das andere Objekt, das er begehrt, iſt die Sitt⸗ 
lichkeit. Er wuͤnſcht daß jedermann moraliſch 


gut handle und daß jeden das Loos treffe, das 


er verdient; allein wie laut fpricht die innere 
und die äußere Erfahrung jedes Menſchen gegen 
Die Befriedigung dieſtt Forderungen , welche bie 
Vernunſt var an die Menfchen ergeben: laßt, 
Denen aber die Freiheit des Menſchen eben ſo 
mitſpielt, wie bie Natur wenn es auf Glücks 
ſetigkeit ankommt. Da thut man ‘blos dag, 


was Eyʒ⸗ und Ruhm verſpricht; da bricht man 


ſein Berfprechen, ſo Bald man Gelegenheit dazu 


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hat; da freuet man ſich recht herzlich, w.nn ea 


dem Andern übel geht; da fücht man fich und 
Andere zu betruͤgen und zu hintergehen; da 
tet man nicht bie Rechte det Menſchheit; 


wird der Menſch wie jede andere Sache nn 


beit; da ſteht der Boͤſewicht in. Ehren; da wird 
der Rechtſchaffene verfolgt, kurz die Litanei, die 
man uͤber die geheime Tuͤcke der Menſchen, über 
ihre Unredlichkeit uͤber ihren Eigennutz, uͤber 
ihren Ehrgeitz und ihre Herrſchſucht anftellen kann, 


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wuͤrde endlos ſeyn, wenn man alle die Ver—⸗ 
u ftöße aufzählen wollte ‚ die die Erfahrung ge 
gen, diefen Zweck auffteilt. Mas kann alſo 
denn der Zweck des Menſchen auf dieſer Erde 
ſeyn? Eine Abſicht muß ſein irrdiſches Da⸗ 
ſeyns doch haben: "denn ſchon als ein. organi⸗ J 
ſches und ein thieriſches, noch mehr aber als 
ein vernuͤnftiges Weſen weißt er auf einen Zweck 
Bin, , warum er auf biefer Erde” lebt. Da die 
Erfahtung lehrt, daß die Natur und die Men» | 
ſchen die beiden Objekte ſeines Begehrens als eitle- 
Traͤumereien behandeln und wie feindſelige Ge⸗ 
nii uͤber ihn in Bezug auf dieſelben herfallen, 
ſo bleibt nichts weiter uͤbrig als die Kultur 
feiner Anlagen; um fih zum wenigſten Geſchick- 
— lichkeit zum Streben nach der Realiſirung je⸗ 
„ner beiden Objekte Des. Begehrens zu erwerben. 
In wie ferne kann man nun behaupten, daß es 
mit dem Menſchen in dieſer Welt auf die Kul 
tur ſeiner Anlagen angeſehen ſey. Wenn der 
Menſch ſich ausbilden will, ſo hat er einen 
Stoff noͤthig, woran er feine Kröfte verſuchen 











XI */ 


Font. Huber dieſem aber ſind noch innere und 
aͤußere Antriebe erforderlich, damit er das an⸗ » 
gefangene. Werk nicht aufsebe. Die innern 
Antriebe find nun: 1) das natlrliche Beſtre⸗ 
Ben thaͤtig zu ſeyn, welches jeder Kraft. und 
jedem Vermdgen als folchen-eigen iſt, '2) der 
Trieb fich. zu ‚erhalten, 3). der Hang. nach 
Ehre und Anfehen,. 4) :bie Foderungen der prak⸗ 
tiſchen Gebote der Vernunft. Die äußern: ſind 
Sehr, Noth und Leiden aller Art. Alles 
biefes zwingt den Menſchen Haͤtig zu fepn; er 
wird" genoͤthigt, auf Mittel zu firmen, fich bald 
etwas ww: verſchaffen/ bald etwas von ſ ch ab⸗ 
zühalten. Dadurch wird er in ſteter Arbeit 
und Thaͤtigkrit erhalten; Geiſt und Körper: wer⸗ 
den ‚geübt and: vervollkommt und fein ganzes 
Daſeyn auf dieſer Erde iſt eine Erziehungs: 
epoche. Die Ausbildung und Vervollkoemmmung 
aller ſeiner Aylagen und ‚Kräfte ihren eigenen: 
Geſetzen gemaͤß zur Freiheit und Selbſtſtaͤndig⸗ 
keit iſt alſo der Zweck, warum der Menſch auf 
dieſer Erde lebt. So sieh der Menſch nun 


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Anlagen bat; FAR Biete Arten von: Kultur giebt 
es auch. "Er kaun ſich zum Genuß, zum Den⸗ 


Ten und zum Handeln kultiviren: da aber end⸗ 


ch alle Kultur bioß auf die Beftiedigung Der 
Forderungen der praltiſthen Menmunft abzielen 








ſoll, ſo iſt die modaliſche Kultur die hoͤchſte / und 


im dieſe zwetkmaͤſtg beteriben zu komen, run 


/ man denken lernen; Denk: zum moraliſch guten 
Handenm iſt die Kenmni, 23 Dei: Sittenger 


ſeſes, 2) der CTytebfedern, welche all Mer 


men in unſere Beenden. aufgawm 


mien werden Dürfen; 3) ben aſcetiſchen Haͤlfs⸗ 
mittel. welche das Gathandeln erleichtern, ) 
der Hinderniſſe / wekhe man ir Irfiegen, 8) 
ber einzelnen Pflichten, die mamn zu thun Bat; 
und 6) dee Faͤule erforterlähr Wo Die NM: 
wendung derſelben vintritt. Est ago Pfücht, 
daß ver Menſch ſeldſt vraken lanne, damit er 


den Förderungen: ded Sottengeſehes Genuͤge dei 
ſten und einſehen lernen Tann; welchen ame 


er auf 1.dete | Welt t.· EEE 


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u Das Sachen vach Geuͤbtheit im Denfen 
iſt aber nicht allein Pflicht, fondern es iſt auch 
in anderer Hinſicht nothwendig, feine Denkkraft 


auszubilden amd fie nach eigener Einfiht zu 


gebrauchen; "weil für den Menfihen ohue Dan 
fen nichts eriſtüt. Was für ihn Dafepn dar 


hen Toll, muß er ſich vorſtellen und Worftelluns 


- 


den. ſind Produkte feiner Denklraft. Iſt dae | 


Her dieſe ſelbſtthaͤtig, fo bekommt altes um ihn 


her Eeben, Bedeutung und Geiſt und er iſt 
im eigentlichen Sinne der Bildner aller ihm 


vorkommenden Gegenftände ſowohl Ihren Ger 
halte als ihrem Daſeyn nach. . Alles Hingegen 
iſt ſtumm und leblos, fo.dange er die Welt in 


und außer ſich nicht kraͤtig anſpricht, ihten Ins 
halt ſich durch Vorſtellung aneignet und den⸗ 


felben belebt. Vieles Denken berbreiter vieles 


Leben und Vorſtellungen find das achende J 
| Peincip | | E ' 


. Das Denken bepieht 66 ſowohl auf ſinn⸗ 
fie, als anf intelligibele Gegenſtaͤnde man kann 
daher sin ſinnliches und ein intelligideles Den 


— 


— 


+ 


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Een annehmen, je nachdem Das Objekt, woruͤ⸗ 


ber nachgedacht wird, entweder in der. finnfi- 


chen Anſchauung ober in der bloßen Bernunft- 
idee vorhanden if. Das finnliche Denken muß 
die Uebung im Denken Beginnen, weil Der 
Menſch vorhero einzelne Erſcheinungen leſen und 
J verſtehen gelernt haben muß, ehe er zum Er— 
| forfcheh ihres Zufammenbanges und ihres Grun⸗ 


des fortſchreiten kann. Er’ muß ſich vprhero 
30 der Sinnenwelt einheimiſch gemacht haben, 


ehe er mit Vortheil von der Intelligibelen Ber, 
ſitz nehmen und fie beherrſchen kann. - Berfähre 
er auf Die entgegengefegte Meife, fo thut er 


ſeiner Natur Gewalt an und wird eine Beute 
des Unnatuͤrlichen und Gehaltleren. Bei allem 


Denken: aber muß er fich erinnern, daß Er es 


iſt, der die Gedanken bildet; Daß. es verderb⸗ 


Hi für” ihn iſt, dieſe bloß auswendig zu ler— 


nen, ohne fie ſelbſtthaͤtig "bearbeitet zu haben 
- und daß es Bloß auf ihr ankommt, ob etwas 
ſeyn oder nicht ſeyn, ob etwas Ausdruck und 
"se haben, ker und- bedeutungslos ſeyn nr | 


er 
on eu "ER. De 
— — — ⏑ 


ur 


. vu KV er 

Stets Materlatien zum Denken aufſuchen ung 
uͤber ſie mit Muth und Energie reflekliren, führt 
zum gehaltreichen Selbſtdenken und das Refteh 

tiren iſt der. Schluͤſſel zu den Geheimmiſſen, die 

die —* hier und da in. ihren Wirkungen 
offenbart, - Viele Geheimniſſe verdanken ihre 
Verldauer bloß der Traͤgheit der Menſchen; denn 
woͤren dieſe immer ſelbſtthaͤtig, ſo würden -fig | 
Diefelbe, gleich wie bie Sonne ben Nebel Dr Zu 
free | | u | 
Mit dem @eiöidenten ‚aber. * auch & | 
fahren verbunden: denn ber Menſch, der ſtets 
ſelbſt zu denken ſtrebt, ſetzt ſich weit mehrerey. 
Ierthuͤmern aus als derjenige, der ſich bloß paſſis 
verhält und nie feinen eigenen Weg geht. Ar 

lein ein Irrthum, in den ſich jemand: durch 
Selbſtdeuken ſruͤzt/ -ifE mehe werth, als eine 
Menge auswendig gelernter Wahrheiten: deun 
jener befordert Doch bie Kultur unſers Geiſtes, 
da hingegen dieſe uns im einer ewigen Unmin⸗ 


bigteit ahalten und uns um alle oefch auf 
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den Erwerb von Menſchenwurde bringen. Giebt 


es denn aber fein Mittel, vermitteiſt welches 
ſich der Selbſtdenker gegen Irrthuͤmer verwah⸗ 
ren kann? Zur Verwahrung gegen dieſelben 


traͤgt tiefe und gruͤndliche Kenntniß der Dinge und 


der' Umſtaͤnde bei. Wird nun dieſe mit Selbſt⸗ 


denken d. h. mit einem nuͤchtern und beſtimm⸗ 


ten Unterſuchen, mit einem unparteiiſchen Pruͤ⸗ 


| fen, mit einem umfaffenden ‚Ueberfchauen, mit 


[2 
» 


Gewandheit des Blickes, mit eindringendem For- 
ſchen verbunden, fo iſt man nicht ſo leicht dem 


Irrthume ausgeſetzt, als es bei dem bloßen leeren 
Selbſtdenken der Fall iſt. Immer aber wird 
der Menſch irten und nie wird er den Irrthum 
ganz vermeiden; hiervon traͤgt ſeine beſchraͤnkte 
Natur die Schuld. neberdies iſt der Irrthum | 
auch nüglich, wenn er im Gefolge der Kultur 
zum Denken erfcheint ;_ er fodert nicht wenig 
zum Unterſuchen und zur Worfichtigfeit auf: . 
denn wenn man weiß, daß man irren kann 
und daß man ſchon oͤſters geirret hat, fo: wird 


man in ſeinen Urtheilen weder zu voreilig noch 











— xix — 
zu abfprechend ſeyn. Und dies iſt Fein gerin⸗ 
ger Vortheil, wenn man es ſowohl redlich auf | 
Erfampfung von. Wahrheit als auf Erwerb von 





| Selbſtthaͤtigkeit ſeiner Kräfte ‚angelegt hat. Bun . 


Meine Abficht bei der Ausarbeitung "bie 
ſes Werks Hing dahin, "zu zeigen, wie man 
es anfangen müffe, wenn Man’ enttveder ſich 
ſelbſt oder Andere nicht. allein zum Selbſtden⸗ 


ten, ſondern auch zum richtigen und gehaltrei⸗ 


chen Denken zu, erziehen Euſt hat. Es war 


alſo noͤthig, vorhero den Begriff des .Selbfe 


denkens zu beſtimmen, ehe ich jur Auflöfung 
einge Aufgabe uͤbergehen kengte und den. Weg 
zu dieſer erdffnete ich mir durch einige voraus 
geſchickte Bemerkungen, welche als MWorberei 
füngen zum Denkenlernen anzuſehen find; bet: | 
nach zeigte ich, was man: benkachten und wie 
man beohachten muͤſſe, welche Gegenftände den 
Anfang im. Denfenfernen machen umd welche 
Ordnung welche Regeln, welche Maximen man | | 
Dabei ‚befolgen, kurz, wie man alle Gegen— | J 


**2 


, 


A 
— Xu Ds 


nie hingeworfen habe, bloß zur am d- 


Denkkraft hingeſtellt. o 
‚In einem Zeitalter, welches das Beta 
tee der. Partsien iſt, und wo man.nur zu oft 


den Werth, sites. Baches bloß nach dem Gra⸗ 
de der Anhaͤnglichkeit an Grundſaͤtze und Ideen, 


Die. deſſen Verfaſſer an dieſe oder jene philoſo⸗ 


hhiſche Schufe-nerräth, beſtimmt, muß ſich ein 


Schriftſteller auch gegen: Dinge verwahren, Die d 


zu beruͤhren er zu einer andern Zeit, wo bloß 


der intellektuelle Gehalt eines Werkes anf wen 
Yusfpruch des Kritikers Einfluß bat, nicht ndr 
thig hatte, Mein Buch; die Kunfl, Bir 
cher zu lefen, wurde in. einigen gelehrten Zei⸗ 
tungen gelobt und in andern getadelt, je nach 
J dem der Kritiker ſich zu dieſer oder jener phi⸗ 
loſophiſchen Schule bekannte. In der einem 
Kritik hieß es: der Verfaſſer iſt ein Kantianer, 
in der Andern, er iſt kein Fichteaner und nun 
wurde das Endurtheil gefällt. Dieſe Methode 


zu kritiſiren iſt eben fo liebreich als für die Wif 
fenfihaftert erfprießlich, Ich liebe Wahrheit 


’ 





— ze — 

ich frebe mit allen meinen Kräften nad) Si 
Erreichung) „ich nehme Die Materialien dazu auf, 
wo. ich. fie entdecke, ich achte jeden Denker, 
aus welcher Schule er auch ſeyn mag, allein 
ich kenne keine andere Ueberzeugungsgründe als 

ſolche, welche von der Einſicht in die Sache 
hergenommen find und welche den Berftand ih 
formeller und’ ‚materieller Hinſicht befriedigen. 


Was dieſe Forderungen erfüllt, dem huldige ich 
als Wahrheit: Auch weiß ich; Daß es Der. für ale 


auf eine und dieſelbe Art ausgemachten Wahr⸗ | 

heiten fehe wenige, die Meinungen Hingegen, 
die der Eine annimmt, er Andere verwirft, ſehr 

viele giebt und daß jeder Deuker ſeinen Zweck | 
erreicht, wenn er pur fo viel als in feinen Kraͤf⸗ 
ten ſteht, ſelbſt denkt, redlich nachforfeht, das 
bei aufrichtig verfährt, Gegenſtaͤnde des Wiſ⸗ 
feus von jenen ‚des Glaubens und Meinens un« 
terſcheidet und fich bei allem feinem Nachdenken 
auf die menfchliche Natur flüge. Nach ähnli- 
chen Marimen wuͤnſche ich auch dieſe Arbeit beur⸗ 
theilt zu ſehen nnd jede gründliche Kritik über 


» 


‘ 


— XIV — 


Bieffbe wird mir ehen ſo ſehr willkommen feon, Ä 
weil. ich daraus etwas Kernen kann, als ich je⸗ 


des grundloſe und gehäffige Geſchwaͤtz verach— 
‚sen: werde, Irren iſt menſchlich, nach Wahr⸗ 
heit ſtreben iſt auch menſchlich / allein abſprechend 


amd hoͤhnend verurtheilen ft unmenſchlich, und 


nichts iſt laͤcherlicher als der Thor, der alle ſeine 


auswendig gelernten Gemeinſpruͤche für objek⸗ 
| tive Wahrheit: ausgiebt und dieſelben Andern | 
aufdringt: niemand hingegen verdient als Kri⸗ 
riker mehr Hochachtung als derjenige, der zwei⸗ | 


- Feind urtheilt und urtheilend zweifelt. 
ELeipzig, den 4ten ; Denbe 1801. 


* 


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Ein. Bu Bu I 6. 3 
11. Was verſteht man unter einer un ju benken? 14 
TI. Vorbereitung zum Denkenlernreen. 22 
IV. Was muß.man. thun, „trenn man denken lernen 
will? ne. 2 
V. Welche Kegeln und Marimen muß man beim Den⸗ 
£en beobachten, um gehaltreich und richtig denben 
zu lernen? 49 
VI. Mit welchen Gegenfänden maß mar fein Denken⸗ 
lernen beginnen und in welcher Ordnung muß 
man dabei verfahren, um biefen Zweck zu er⸗ 
reichen? m 
VIE: Wie muß man bie äußere Natur behandeln, um 
durch den Umgang. und die Befchäftigung mit _ 
derſelben denken zu lenen? : _ 84 
"vn. Was niuß man an ſich und wie muß man ſich 


beobachten, um ſelbſt denken und d zuglach ſich 
. ſelbſt kennen iu lernen? | 95 


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dieſelbe n wird mir ehen fo: ſehr willtommen ſeyn, | 
weil ich. Darans.. etwas lernen kann, gie ich je⸗ | 
des grundlofe und, gehäffige Geſchwat vera ⸗ 
‚sen: werde. Irren iſt menſchlich, nach Wahr⸗ 
heit ſtreben iſt auch menſchlich , allein abſprechend 
amd hoͤhnend verurtheilen iſt unmenſchlich und 
nichts iſt laͤcherlicher als dee Thor, der alle ſeine 


5 auswendig gelernten Gemeinſpruͤche für objek⸗ 


. 


five Wahrheit: ausgiebt und dieſelben Andern 
aufdringt; niemand hingegen verdient Als’ Kri⸗ 
tiker mehr Hochachtung als derjenige, der dei 
tim urtheilt und urtheilend zweifelt. 


Leipzig, den 4ten Daente som. 


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i. Was verſtekt man unter einge Su in benfen?.. „Id 


I. Vorbereitung zum Denkenlernen. u 
IV. Was muß.man thun, wenn man denlen kenn. 
wii? ae, 


V. Welche Regeln und Marximen muß man beim Den⸗ 


en beobachten, um gehaltreich unb richtig denken 
zu fernen? 


lernen beginnen und in welcher Ordnung muß 

= man babei verfahren, um biefen awed zu er⸗ 

reichen? 

VII: Wie muß man die äußere Ratur behanbeln, um 

durtch den Umgang und die Beſchaͤftigung mit 
derfelben benfen zu lernen? 


VIII. Was muß‘ man an fich und wie muß man Ach 


beobachten, um felbft denfen und zugleich ſeh ſich 
F ſelbſt kennen zu lernen? 


Ber 


M 


‚32 


VI. Mit welchen Gegenſtaͤnden mi. man fein Denken. u 


72 
84 


95 


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XVI.“ ‚Ueber: einige Hinderniſſe m; der. Erleruung des 


_ ‘ 
\ 


— XXVI — 


IX. Was wuß man an andere SERIE beobachten 

und wie muß man ſie beobachten, um ſich Men⸗ 

ſchenkenntniß zu erwerben und zugleich ſelbſt den⸗ 
ken zu kenn? 0°, ©. 126 


Anhang.— . 156 
X. Ueber das Zweifeln als ein —R zum 
Selbſtdenken. 153 ._ 


"XL. Das Bücherlefen alg eine Denkuͤbung betrachtet... 170 


XII. Welches find bie gedanfen» und geiftreichften 
Schriftſtelles unter dem neuen kutivirten Na⸗ 


tionend 200 
A. Unter ben Teutſchen ſind zu bemerken‘ 201 

B. Unter ben Srangofem----- 214 

C. Unter ben Engländerns . 218 
D. Unter den Stalienerns 222 .' 
E. Unter den Holländern: 223 

° °F. Unter ben Spaniern: EN 28 


Yırır. Wie lernt man durch bie Verfetligung von ſchrift --i 
22 lichen Ausarbeitungen / ſilbſt denken >. 


xiV: neher einige ‚andere Huͤlfsmittel sum Denken... 


ST lernen. 2] 237 


XV Wie muß die Exsiehung befchaffen ſeyn, wenn 7 
an die. Denklraft an Schhehätigkeit gewöhnen 
will? 251 


Selbſtdenkens und über, bie Mittel, fe hinweg 

u räumen. - 258 
KV. Sernere Marimen, die man bei ber Erziehung - - 

‚zum: Selbftdenfen und beim Forſchen nach Wahre 

heit beobachten muß. | 270 


RVM. ‚Wie floͤßt man ſich Intereſſe am Nachdenken 


‚ein und mie unterhaͤlt man daſſelbe in ſich? 278 


XIX. Welche Fehler muß man Hi der Erlernung d des 
Selbſtdenkens vermeiden? .. . 287 








©, aan U 


— 


xx. Sr das Denken Grenzen und wi viel giebt 8 
Methoden zu denken? 2er & 296 


Sau. Welche Vermoͤgen und Kraͤfte menſchlichen 


Geiſtes unterſtuͤtzen und erleichtern das Denken? 302 


.XXII. Wie lernt man ſyſtematiſch denken und welchen 
Rutzen hat dieſe Dentart? | 398 
XxXII. ueher die ürſachen der Jerthumer i im Denken 

J und uͤber die Mittel, dieſe zu vermeiden. 
XXIV. Durch welche Mittel bann man in ſich die Ge⸗ 
nieigtheit, immer mit feinem Zeitalter in der Auf⸗ 
klaͤrung fortzugehen, eiwecken und unterhalten? 323 
XXV. Ueber die Geſetze des menſchlichen Denkens und - 

> Erfennene. | * 333 - 
XXVI. Ueber den Unterfchieb ziwiſchen den hiſtorifchen 

uns philoſophiſchen Woenſchaftau ab Über, 


315 


das Wahre in beiden. : 335 


xxviI. Wie muß man verfahren dhb- —* Regeln 
und Maximen Nuß man beobachte, Wonnzman 


in den pilsföphifehen, Wiſſenichagten richtig ur⸗ = 
! a RR net AT 352 


A. Kritik der reinen Vernunft.41 358 


Be Kritik der araktiſchen —— 42.712363 
C. Kritik der PRreqeitgtraft,. wire Ton 364 


* D Logik: : | —— Sul 366 
E. Theorie des teen ‚A '369 
F. Metaphufil. a et E A 370 

Ch. MRathematit. rt mb \ iD a 


1. 3 —E 


H. Keine Naturlehre. 

in Ve er Ay, © EL Ar ꝓeoeö an 34 ur; 3 

3. Praͤgmatifchẽ Anthtoptgke en Fa 
Bu K. Empirifche Pſychologie oder. ottmeht te j 


logie des menfchlichen Geiſtes. “375 
L. Moral. 2.376 
M. Naturreligioon. 379 


N. Rechtsleheeee. 331 


8 


— 


m KKVII We ; 


0. Privatrecht. GSG. 334 
P. Deffentliches Sch 3323 
a. Staatsrecht. 22387 
"b. Voiterrcht.. 233 
c. Weltbuͤrgerrech. 395 


vun. Wie muß man verfahren und welche Marimen 
und Regeln muß man befolgen, wenn man in ben 
Zu biſtoriſchen Wiffenfchaften richtig uipeen will? 396 


‘A Poſitive Neligionstehre: 397 

B. Poſttive Rechtslehre. J re 03 
IE Heilkunde. 495 

| J D. een Geſchichte. 8 
1. Kulturgeſchichte des Menſchen. 408 


2. Geſchichte der meuſchlichen Meinungen. 413 
z. 3. Geſchichte der Staaten als eines. Produktes 
ee er: 2000000415 
ne “ Exfchichte ver enorganihen und orgatis _ 

: ahen Natůt 417 


2 5 Befchreibung Ser Natur und des enſchen. 418 


er F. Philologiſche he 419 
EKIK. Wie muß. men’ verfahren und welche Regeln. 
4>:. und Marimen muß.yart beobachten, wenn man. 

car in den ſchoͤnen Künften richtig urtheilen mi? 424 


A Redende chone Kuͤnſte.4227 
er B. Bildende ſchoͤne Kuͤnſte. 434. 
ug C. Die Künfte des ſchoͤnen Spiels. her: Emmi | 
* dungen. DV——— 435 

FRE Aber ben BER 07 RE 
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Pour ne‘ rien donner à Popinion‘, il ne faut rien donner 

a, autoritéẽ; la plüpart de nos erreurs nous viennent · bien 
moins de nous que des autres. Ainſi pour bien ẽtudier, il 

*  faut etudier de ſoi meme, ufer de: fa raifon. et non de gelle 


d’autrui, De cet exercice continuel il doit refulter une vigueur 
*  @efprit, femiblable à celle quion donne au, corpl par le tradail 


‚et par la fatigue. Un autre avantage elt, qu’on ı’avance qui& 
proportion de fa force. ‚Pefprit non plus que le corps, no 
porte ‚que ce qu’il peut porter. Quand Pentendement s’appro- 


- 


‚ brie les chofes avant: de les’ depofer daus la memoire ce quiil‘ 


entire enfuite eft A lui; au lieu qu'en furchargeantt la memoire 
” . = . . ®.. °. " [} 7 . 
„a fon infgu, On s’expofe A n’en jamais rien tirer, qui lui foit 


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propre. ⸗ | 
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I. Capitel. 
Einleieung 
enfen ift das Element, worin der Menfch am 
‚beften gedeiht. Ohne Gedanken ift alles todt 
um ihn her und vermitteiſt derſolben beſeelt er die 
Erde und den Himmel. Sie ſind die Geiſterſprache, 
wozu ihm der Vater der Welten das Vermoͤgen mit 
in dieſes irdiſche Labyrinth gab, um ihn an feine hohe 
Abkunft und an feine hehre Beſtiinmung zu erinnern. 
Sie ſind das Medium , durch welches er Geiſter fi iehte 
‚und der Schluͤſſel, der die Pforten zu dem Reiche dr 
Geheimniſſe aufſchließt. Durch ſie lernt er die Men⸗ 
ſchen und 'ihre Gemüchsbefchaffenheit kennen, die 
Natur und ihre Wirkungsarten verſtehen. . 1 


Gedanken aber ſind nicht allein das Mittel, ung 
alles, was ift, verftändlich zu machen, fondern fie 
find auch der Schöpfer, der Leben und Dafeyn in der. 

Welt verbreite. Alle Handlungen des Menſchen 
find ein Produkt feiner Gedanken; dieſe find der Lebens⸗ 
quell'von allem, was ihm fein Daſeyn zu verdanken 
bat. Der Menſch traͤgt alſo die Welt in ſeinen Vor⸗ | 
ftellungen und, fie hat nur infofern für ihn Bedeutung  ® 
und Werth, als er fie Durch den Geift, der inibm 
Ieber und Br, befeels und Beiligt. 

U 


4 


log - u 
Wer viel denke, der lebt viel; denn was: ift und 
darf das menfchliche Leben anders feyn, als eine rege 
und bildende ‚Yusftrömung von Ideen/ durch werche 
“der Menſch alles 5 feſt haft und deutet, 1 was in der 
. Welt ele für i ihn da ift, it, da er nur Worftellingen von 
„Dingen bat ı und die diefe nicht feld völlig ergreifen kann, 
. und da er ein Wefen iſt, das vermittelſt Gedanken im 
Thun nach Heiligkeit ſtreben ſoll? Er iſt kein Ge⸗ 
ſchoͤpf, deſſen Leben und Denken ein Reſultat bes 
Mechanismus iſt. Er lebt nur inſoferne als er ſich 
ei und ſelbſtthaͤtig beitimmt, denn die Art, wie er 
die Welt anfchauer ımd wie er "Veränderungen außer 
ſich hervorbringt, ift. eine Folge der Wirkſamkeit ſei⸗ 
nes Geiftes. Diefer aber hauſet in dem Reiche der 
Freiheit und kann weder durch Stoß, noch durch ir⸗ 
gend eine fremde Nacht in ſeelenvolle Thaͤtigkeit 
verſetzt werden, ſondern muß ſich durch Freiheit und 
Selbſtthaͤtigkeit aus den Materialien , bie ihm durch 
die Sinne vorgehalten werden, herausarbeiten und 


das Chaos derſelben durch Kraft und Anftrengung 


‚ ordnen und beleben. 





Allein Gebanfen find nicht bloß der Dollmet- — 


ſcher und der Schoͤpfer der Dinge fuͤr den Menſchen, 

ſondern fie find auch fein Troͤſter und fein Arzt. 

Durch Vorftellungen erhebt er fih über das Unge⸗ 

. mad), das ihm, gleich der Schwerkraft der Materie, 

zu Boden zu druͤcken droht und durch Ideen ſtillt ew 

‚die blurigen Schmerzen, die feinen Körper quälen 
. „und feinen Geiſt betaͤuben. 


Hat der Menſch feine Vorſtellungen in feiner 
* (und dies kann er, wenn er ſtandhaft will) 





— — 5 X 


fo triumphirt er uͤber alle Leiden, die nur in zu reichen 


Maaße unter das Geſchlecht der Sterblichen ausge⸗ 


theilet find und die fo gefraͤßig an ihrem Leben zehren. 


Sein Körper ift bloß ein Inſtrument, das der Geift 
durch” Borftellungen regieren fol. Nichts kann ihm 
etwas anhaben, wenn er fich durch Gedanken zur 
Wehre ſtellt; und die giftigen Pfeile des Neides, ber 


+ 


Derläumdung und des Schickſals prellen, ohne ihn | 


zu verlegen, von ihm ab, wenn er ſich muthig vor⸗ 


nimmt, ſich durch Ideen zu electrifiren und ſich Durch . 


ihre Gewalt, die alle. phyſi ide Macht zu Boden 


ſchlaͤgt, zu ſtaͤrken. 


Vorſtellungen ſind nun zwar oͤfters ein in Leiden 
ſchmerzlindernder Balſam, allein ſie ſind doch auch nicht 
ſelten die Peiniger, die den Menſchen quaͤlen und die 


ihn anklagen und verdammen, wenn er Schuld auf 


ſich geladen hat: ſie verfolgen ihn unaufhoͤrlich und 
laſſen ihm weder Ruhe noch Raſt, ſo bald er den 


Frieden feines Geiſtes durch Laſter oder Verbrechen 


geftört hat. Sind aber diefe niche fein - Werk und 
Fann er fie nicht unterlaffen ? Sind nicht die Vorſtei⸗ 
lungen und die Entſchluͤſſe ſeines Geiſtes die Urheber 
derſelben? Und da es alſo in ſeiner Gewalt ſteht, ob 
ſie ſeyn oder nicht ſeyn ſollen, ſo gleicht er einem 


muthwilligen unbeſonnenen Spieler, ber fein ganzes 


Schickſal auf eine einzige Charte feßt und dery wenn - 


er al’ fein Gut und. alles, was Ehre und Wuͤrde 
"giebt, verfpiele hat, über Ungere chtigteiten und keis 
ben fchreiet. 


—. 


Wer ſeine Borftellungen in feiner Gewalt hat 
und nichts thut, außer was den Forderungen der 


sr, 


x 


x 


X 


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u Ze 
14 


Vernunft gemaͤß iſt, bleibt ſtets ruhigen Herjene und 
behaͤlt feſten Muth, wenn auch eine Menge Unge⸗ 


mach auf ihn einſtuͤrzen ſollte. Seine Gedanken nach 


Willkuͤhr beherrſchen und dieſelben wie Ausgebemirnze 
anſehen zu koͤnnen, ift der ˖ Charakter eines Menfchen; 


bee fein. Leben durch Selbſtthaͤtigkeit zu feinem voͤlli⸗ 


gen Eigenthume, tiber das er nach Belieben ſchalten 

kann, gemacht dat: ter hingegen ein Spielball aller 
Eindruͤcke iſt, die von allen. Seiten auf ihn losſtroͤ⸗ 
men und die durch ſeine Sinne ſeinen Geiſt beſtuͤrmen 
und, wer ſich durch dieſe Fremdlinge beherrſchen laͤßt, 
if noch fern von dem Ziele, das ihm feine Vernunft 


2 


vorgeſteckt hat. . 


Der Menfch ft ſchwach, ſo fange er noch niche 
geiftig lebt und durch Gedanken herrſcht, denn’ Herr 
über. alles, was da ift und gefchieht, wird. er bloß 
durch Geiſtesthaͤtigket. Wann das Denfen der 
Mienfchen erſt mehr auf den Zweck ber Vernunft wird " 
gerichtet feyn, dann wird ihr Leben‘, das jeßt nur zu 
bft.noch in bloßer Vegetation vergeudet wird, weit 
ehrwuͤrdiger und thatenreicher werden. Die Gedan⸗ 
ken werden der Begeiſterung Nahrung geben, die 
durch. moralifche Ideen unterhalten, Die - Mutter 


großer und edler That iſt. 


Vorurtheile ſind zwar auch Gedanken, allein fie 
- find. Yusgeburten der Trägheit, von der der Menfch 
ſich noch nicht los gearbeitet har. Sie werden ein- 
geimpft, aber nicht ſelbſtthaͤtig erkaͤmpft. Sie iind 
Erbgüter unſeret Vaͤter, die ſich auf uns forterben, 
weil wir die Mühe ſcheuen, ſie auczurotten, aber 














Lt 


nicht Reichthumer, ‚bie wir durch frene Tharigkeit er⸗ 
worben haben. Als Kinder der Paſſivitaͤt laſſen fie 


ſchalten, was gewaltig und furchtbar iſt, weil ſie ſtets 
fir ihre Exiſtenz beſorgt find. Sie koͤnnen ausges 


tilgt werden, fo bald der Menſch feiner natürlichen 


Trägheit entfagt und die Begenftände nad) Ideen und 
Begriffen, und diefe nicht nach jenen modelt; ſobald 
er ſich als Kuͤnſtler und nicht als Handarbeiter im 
Reiche der Geiſter zeigt, und nichts, ohne es vorher 
durchdacht und beurtheilt zu haben, anninimt. 


Sir Ideen find Vorurtheile, die oͤfters in unſerm 
Gemüthe wiederholt worden find, und bie ſich an ein, 
Intereſſe angeknuͤpft haben, deſſen Daſeyn der 


Selbſtſucht ſchmeichelt. Sie ſind eine Krankheit, die 


von dem unterlaſſenen freien Gebrauche des Verſtan⸗ 
des herrühre: denn dieſer Mangel an Selbſtbeſtim⸗ 


mung erzeüge Erfchlaffung und Kraftloſigkeit und iſt 
die Wurzel aller Uebek, die das Denkvermoͤgen an⸗ 


greifen und verzehren. Eine kuͤhne und heitere Aus⸗ 
ſicht in die freie Natur und das thaͤtige Menſchenleben 
belebt und ſtaͤrkt oftmals wieder dasjenige, was ben 


Weg des Todsenfchlummers einfchlagen wollte... Den - 
Geiſt durd) Naturbetrachtungen erquicken, heißt ihn 
in ewiger Jugend erhalten, und ihn auf das Thun 


und Treiben der Menſchen aufmerkſam machen, heißt 


ihn zu Thaten ſtimmen. Durch Reſflectiren die u 


Natur und die Menſchen zu ergruͤnden ſtreben und 
ſie durch Selbſtdenken zum Sprechen noͤthigen, 


iſt für Sterbliche die Fuͤlle des tebens und bes 


Genuſſes. 


alles in und außer dem Menſchen nach Willkuͤhr 


\ 


40 


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Religidſer Weglauben iſt am tiefſten im Men⸗ 


ſchen gewurzelt, weil er Gefühlen und Ideen fein Das, 


ſeyn verdankt, die in der menfchlichen Natur einhei- 
miſch find. | Ein Bedürfnig der Vernunft und bäs 
. Gefühl: unferer: Ohnmacht und Abhängigkeit geben. 
Veranlaſſung dazu und er iſt ſchwer auszurotten, weil 
er uͤberdies noch dem Cigennuße und der Traͤgheit 
zugleich ſchmeichelt und einen Bettelſtolz erzeugt, der 
alle Selbftfenntniß verhindert und der auf dem Wahne 


beruht, als fey jemand fehon im Beſitze besjenigen, 


‚worndch Andere init bieler Anftrengung erfi noch Eins 
gen mäen Ä 
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Irrthuͤmer, Aberglaube, ſchwaͤrmeriſche und 
nu moftlfche oeen find auch Vorftellungen: der Menfh 


iſt alfo auch Schöpfer derfelben und belebt eine Welt 


damit um ſich her, die mit derjenigen, wo die Vers. 


nunft und die Freyheit bes Geiftes auf dem Throne 
fißt, wenig Aehnlichkeit hatz wie kann er es nun das 
hin bringen, daß diefe Phantome verfchwinden? 


Sein ftetes Streben muß dahin gerichter ſeyn, alles 
mit der dackel der Vernunft zu beleuchten und nichts, 


“als was mit erfannten Verftandess und Vernunftge⸗ 


ſetzen übereinftimme , für wahr und gut zu balten. | 


Was muß alfo der Menfch ehun, damik er ein 


ſtetes Seben lebe, das der Natur in ibm gemäß ift 
und damit alles, was da ft und gefchieht, für ein 
‚Merk feiner Freyheit angeſehen werden kann? Wie 


muß er es anfangen, daß er alles felbftchärig ( beherr⸗ 


ſche, und daß er fein Sklav der Dinge ſey und ſich 


dadurch erniedrige, fondeen daß diefe ihm dienen und 


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er alſo ſeine Wuͤrde behaupte? Welchen Weg muß 
er einſchlagen, daß alles um ihn her Thaͤtigkeit athme 
und wit. kann er es dahin bringen, daß er niemals, 
mag er altern ober krank feyn, die Luſt am freien _ 
Selbſtdenken verliere? Kann man der entehrenden 
Furcht vor dem Irrthume oder vor.dem Zorne des 
Himmels oder dor dem, Mißfallen der Menſchen und: _ 
Dem trägen Eigennuße vorbeugen ober diefelben ausrots 
ten, fo hat man fchon viel für die Muͤndigkeit des Men⸗ 
ſchen gewonnen, welche im ſelbſteignen und freien 
Gebrauche aller Kraͤfte nach den von der Natur in 
ſie gelegten Geſetzen beſteht. Dieſe Furcht iſt ein 
großes Hinderniß einer ſteten Geiſtesjugend; fie bes 
ſchraͤnkt den Geift des Menſchen und feine Thätigfeie 
‚und verhindert ihn an Verfuchen, wovon feine Größe 
und feine Würde abhaͤngt. Mie muß fich der Menſch 
"in Anſehung desjenigen, was für ihn Pflicht iſt, 
weder auf den Himmel noch auf die Menſchen zu ver⸗ 
laſſen Willens ſeyn, ſondern er muß alles, was er iſt und 
was er ſeyn ſoll, von ſich fordern; et muß ſich allein 
als die Macht anſehen, die ihn feiner Beſtimmung 
gemaͤß erziehen kann und fol. u 


' " Diefes Buch foll den Berfud zu. einer Anwei⸗ 
ſung liefern, wie man ſich ſelbſt und Andere zum, 
Selbſtdenken erziehen kann, welche Mittel und Wege 
man einſchlagen muß, um die Denkkraft ſelbſtthaͤtig 
und ſich ſtets nach eignen Geſetzen beſtimmend zu 
machen, und welche Regeln, Grundſaͤtze und Marie 
men man befolgen muß, wenn man richtig und ge⸗ 

altreich uͤber einzelne Gegenſtaͤnde und uͤber ganze 
—* denken und urtheilen will. Die meiſten 


L 7 
21 


. 


‘ I} 


Streitigkeiten und Zänfereyen in. der Galehrtenwelt 


J 


ruͤhren davon her, daß man einander nicht verſteht 


und daß der Ting einen Gegenitand aui aus ganz andern 


3 Befichtepumeten betrachtet und nad) ganz andern 


Grundfägen b beurtheilt « als der Abe Es würde 


daher viel gewonnen fepn, wenn man die Keminig 


ber Gelege und Principien, nach denen alles, was da 


ft, geſchieht oder gefhan wird wird, allgemeiner verbrei⸗ 


tete. und wenn man eine größere Empfänglichkeit für 
die Gedanken, ‘Begriffe und Ideen Anderer in ben 
Menfchen erwedte , als fie bisher nur zu oft zum 
großen Nachtheil der Wahrheit gezeigt haben. 


denken, dann legt er nicht ſowohl Werth auf die ein⸗ 
zuſammelnden Materialien, als vielmehr auf die Art, 


wie.er ſich dieſelben erwirbt. Er will nicht dem Gei⸗ 


zigen gleichen, der zwecklos zuſammenſcharrt, ſondern 
ihm iſt es darum zu.thun, daß er die Kraͤfte ſeines 
Geiſtes uͤbe und daß er nichts annehme und fuͤr wahr 
halte, als was er durch eigne Thaͤtigkeit ſich erwirbe 


und was ihm nach feiner durch Nachdenken und 


Gründe unterftüßten Ueberzeugung einleuchtend iſt. 
‚Und hat auch der Selbſtdenker noch nicht viele Stoffe 


eingeſammelt, ſo kann er doch uͤber dasjenige, was 


er beſitzt, als Gebieter ſchalten, und es koſtet ihm 
‚bey den vielen in der Welt ſich ihm darbietenden Er⸗ 
ſcheinungen wenig Muͤhe, Reichthuͤmer anzuhaͤufen, 
die er als Mittel zur Ausfuͤhrung von allerlei Zwecken 
brauchen, und wodurch er allen Forderungen, die an 


‚ihn als Menſchen gemacht werben, Gnuͤge leiften kann. 
Er iſt weder für noch gegen eine neue Meinung ein« 


Erzieht ſich der —* abſichtlich zum Selbſt⸗ 








— 11 — 


genommen, ſo lange er ſie noch nicht anterſucht und 


geprüft hat; nur alsdann, wann er durch Selbſiden⸗ 


ken geleitet, fie nach den Naturgeſetzen des menſch⸗ 
lichen Geiſtes beurtheilt und ſich eine tiefe Einfiche-in’ 
"die Sache, die es betrift, ermörben hat, entfcheideg 


er und erklaͤrt ſich nach Gruͤnden für oder gegen Die" 
felbe. Er verachtet Feine Kunft und Feine. Willen 


ſchaft, fondern er fchäße fie alle nad. der Mähe oder 
Berne des Verhältniffes, in welchem fie zu den Zwek⸗ 
en der Menſchheit ſtehen. So verhaͤlt ſich der 


Selbſtdenker, und ſich dieſe Empfaͤnglichkeit und 


Selbſtthaͤtigkeit des Geiſtes und die ſich daraus er⸗ 
gebende Anſicht der Dinge zu erwerben, iſt die Pflicht 


‘jedes Menfhen, der weder. den De bürfniffen feines. 


Kopfes und Herzens norh den Forderungen der Wahr⸗ | 


“ -Heit, der Moral und des Rechtes eiwas vergeben will, : 





II. Capitel. | — 
Was verſteht man unter einer Kunſt ‚m. 
benten? 





Huch Hebung kann ſich der Menfch in Allem Fertige 


Leit und Gewandtheit erwerben, und durch häufig wies 
Derholte Berfuche kann er fich an Alles gewöhnen: denn 
* Durch den öftern-Öebrauch,, den wir von einem Ver⸗ 


mögen oder einer Kraft des Beiftesmachen, erhalten dies 
felben Empfänglichfeit für Wirkſamkeit und erlangen 
Fertigkeit; Stärfe,ugd eine ununterbrochene Thaͤtig⸗ 
Leit wird dann dem Geifte eben fo nothwendig, als 


dem Menfchen bie. Luft zum Leben unentbehrlich iſt. 


I) 


Pi 


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J 


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Streitigfeiten und Zänfereyen in der Gelehrtenwelt 
rühren davon her, daß man einander nicht verſteht 


und daß Der Ting einen Begenftand aus q ganz 5 andern 
"Befihtspuneten betrachtet und nad) ganz andern 


Grundfä aͤtzen beurtheilt < als der — * Es würde 


daher viel [ gervonnen ſeyn, wenn man die Kenninig 
der Gelege und Principien, nach denen alles, was Da 
ft, geſchieht oder gerhan wird, allgemeiner v verbrei⸗ 
tete und wenn man eine größere Empfaͤnglichkeit für 
die Gedanken, Begriffe und Ideen Anderer in dem 
Menfchen erweckte, als fie bisher nur zu oft zum 
grohen Nachtheil der Wahrheit gegeigt haben. 


J 


— 


Erzieht ſich der Menſch ab chtlich zum Selbſt⸗ J 
denken, dann legt er nicht ſowohl Werth auf die ein⸗ 
zuſammelnden Materialien, als vielmehr auf die Art, 
wie er ſich dieſelben erwirbt. Er will nicht dem Gei⸗ 
zigen gleichen, der zwecklos zuſammenſcharrt, ſondern 
ihm iſt es darum zu.thun, Daß er die Kraͤfte ſeines 
Geiftes übe und Daß er nichts annehme und für wahr 
Halte, als was er durch eigne Thaͤtigkeit fich erwirbe 
und was ihm nach ‚feiner Durch Machdenfen und _ 
° Gründe unterftüßten Ueberzeugung einleuchtend iſt. 
Und hat auch der Selbſtdenker noch nicht viele Stoffe 
eingeſammelt , ſo kann er doch über dasjenige, mas. 
er befißt, als Gebieter falten ‚ und es fofter ihm 
‚bey den vielen in der Wele fich ihm darbietenden Er⸗ 
‚fheinungen wenig Mühe, Reichthuͤmer anzuhäufen, 
Die er als Mittel zur Ausführung von allerkei Zwecken 
- Brauchen, : und wodurch er allen Forderungen, die an 


kn als Menfchen gemacht werben, Önüge leiften fann. 


Er ift weder für noch gegen eine neue Meinung ei eine ⸗ 


⸗ 


4 





- 11 —. 


genommen, ſo lange er fie noch niche unferfuche und 


geprüft hat; nur alsdann, wann er durch Selbſtden⸗ 
„Ten geleitet, fie nach ben Naturgeſetzen des menſche 
lichen Geiſtes beurtheilt und ſich eine tiefe Einſicht in 
die Sache, die es betrift, erworben bat, entſcheidet 


er und erfläre fich nach Gründen für oder gegen Die 
felbe. Er verachtet feine Kunft und Feine Wiffene 


ſchaft, fondern er fchäßt fie alle nad). der Mähe oder 
Berne des Verhaͤltniſſes, in welchem fie zu ben Zwek⸗ 
Pen: der’ Menfchheit fiehen. Sp verhält fidy ber 
‚Selbftvenfer, und fi) dieſe Empfaͤnglichkeit und und 
Selbſtthaͤtigkeit des Geiſtes und die ſich daraus er⸗ 
gebende Anſicht der Dinge zu erwerben, iſt die Pflicht 
— er weber dan Fbürfni en feines 
Kopfes und Herzens noch den Forderungen der Wahr⸗ 


4 


heit, ber Moral und des Rechtes efwas vergeben will, : 





—UII. Capitel. 


Was verſteht man unter einer Kunſt zu. 
benten? 





Durch Uebung kann ſich der Menſch in Allem Fertig, 
keit und Gewandtheit erwerben, und durch haͤufig wie⸗ 
derholte Verſuche kann er ſich an Alles gewoͤhnen: denn 


durch den oͤftern Gebrauch, den wir von einem Ver⸗ 


mögen ober einer Kraft des eiftesmachen, erhalten dies 


felben Empfänglichfeit für Wirkſamkeit und erlangen 


Fertigkeit; Stärfe,ugd eine ununterbrochene Thätig- 
keit wird dann dem Geifte eben fo nothwendig, "als 


dem Menfchen bie. Luft zum Seben unentbehrlich iſt. 


Ed 


⸗ 


“un Ku. - 


wm m a nn 


— —— — — —— — Zum 5 


— 


Wer Pr über ade Ereignife, die ihm vortommen, 
nachzudenken und wer den Grund der Erſcheinungen, 
die er auf ihrer Flucht erhaſcht, zu erforſchen gewoͤhnt 
hat, wird dieſe Beſchaͤftigung, welche ſeinen Geiſt 


ernaͤhrt und die Wirkſamkeit beifelben erhoͤht, mit 


eben ſo vieler Luſt als großem Vortheile betreiben. 
"Die Gewoͤhnung macht. ung alles sur Matur und fie 
kann ſowohl die phnfifche, als die geiftige Natur des 
Menſchen umftaften, wenn man fid) nur-Feine Mühe 


verdrügen läßt, einen Verſuch, wenn er auch. noch fü 
viele Anftrengung koſten ſollte, oͤfterer zu wiederholen. 


Der Menſch kann daher ſich durch aufge uebüng 


— 9 zur Seien 


"erheben , der ein ungel tes Auge‘ — 5* macht. " 


— —— | 
Das Denken ift das Leben der geiftigen Narr und 


. | das Salz, das diefelbe gegen den Todtenfchlaf ſchuͤtzt, 
"der eben fo fehr entehrend als nachtheilig iſt, weil es 


ſtets in unſerer Gewalt ſteht, ihn zu verſcheuchen und 


weil'Ungeibtheit der Dentkraft uns zur. Erfüllung \ 


vieler Lebenspflichten untauglich macht. Was heißt 
nun denken? Wenn man Vorſtellungen mit einander 
verbindet. oder diefelben von einander trennet, fo 
"bringt man Sinn und Verftändlichfeit in bie Gegen- 
ſtaͤnde, welche Eindruck auf unſere Sinnlichkeit ge⸗ 
"macht haben, und‘ verrichtet alfo das Geſchaͤft des. 


Denkens, und wenn man den Grund von efwas, das 


ift oder gefchieht, auffucht, fo erlangt man eine Eins 


fiche in etwas. Dieſe Einficht wird durd Nachdens - 


"fen erworben‘, und das Nachdenken befteht im Bes 


| „feden, das Daſeyn der Dinge und die Art und den . 


Grund ihrer Wirkfamte verfiehen fernen, Dens 


x 
— — — u — 








\ 


Pr ⸗ 


Denken und Vorftellungen verbinden oder von einan» - 
"Der fcheiden ift Einerlep. 


Bey allem Denken aber muß man hauptſaͤchlich 
auf zweierlei aufmerfjam feyn: 1) bat man darauf 
zu fehen, ob fich etwas, wenn man daffelbe mit etwas " 

anderm verbindet, nicht etwa widerſpreche, z. B. 
warmer Schnee, ein lebendiger Todter, eine ruhende 
Bewegung, u. ſ. w. 2) ob die Vorſtellung, die 
man von einem Gegenſtande hat, dieſem entſpricht 
und alſo in Uebereinſtimmung mit demſelben ſteht, | 
3. B. man’ fennet einen Menfchen, der durch feine 
Urtheile und Raͤſonnements viele Einfichten und viele - 
Kenntniffe verraͤth, und ben man ung gleichwohl als 
einen gedankenloſen und unmwiffenden Menſchen ſchil⸗ 
dert ‚, ‚oder es iſt jemand geſtotrben und ich behaupte, - 
fein Tod habe feine Urfache. Diefe Art des Den * 
tens, wo man bloß auf den Widerftreit oder auf die 
Uebereinſtimmung Ruͤckſicht nimmt, in welcher das⸗ 
jenige, woruͤber gedacht wird, das Subject, mit 
demjenigen was durch Denken herausgebracht wird, 
dem Praͤdicat, ſteht, heißt das formelle Denken 
und der Grundſatz, nach welchem man die Wahrheit 
feiner Gedanken zu prüfen hat, iſt negativ, der 
Satz des Widerſpruchs, und poſitiv, der Satz ber 
Einſtimmung: jener kann folgendermaaßen ausge⸗ 
druckt werden: was ſich nicht durch— Vorſtel⸗ 
lungen mit einander verbinden laͤßt, iſt 
un wahr und dieſer, mas mit einander durch 
Denken verbunden werden kann iſt wahr. 
Dieſe formelle Wahrheit der Gegenſtaͤnde iſt leicht 
| oo. 


' 
| 7 13 7 
J ken Heißt alſo: das fi ch Vorgeftellte berſtaͤndlich mache. 


N 


x. 


v . — 14 — 5 


auf zufinden, allein dieſe geichtigkeit if auch agleich 


. ein Beweis, daß man noch nicht viel mit dieſer Are, 


von Geiſtesbeſchaͤftigung im Reiche der Wahrheit ge⸗ 
wormen hat, denn was und wie viel weiß man von 
einen Gegenſtande, wenn man bloß einſieht ,daß bie, 
Vorſtellungen, w womit man ihn ſich denkt, ihn nicht 
ſelbſt vernichten und wie wenig belohnend und ermun⸗ 
ternd wuͤrde alle Anſtrengung des Geiſtes ſeyn, wenn 


der Menſch bloß dieſe Art von Einſicht und Kenntniß 
durch Nachdenken erwerben Fönnte? Ä ’ 


. _ Da wir alfo von einem Gegenftande ‚ den wie 
auf diefe Art kennen, nur noch eine ſehr geringe und 


oberflächliche Kenntniß haben, fo müffen wir im Den⸗ 
fen weiter gehen, damit wir eine vollftandige Eins 


R -fiche in fein Daſeyn, in -den Grund und die Urfache 
| feines Wirkens und in den Einfluß, den er auf irgend 
etwas äußert, erhalten. Wir müffen diefe Spiegels 


fechteregen mie bloßen leeren Begriffsverbindungen 
verlaſſen, und den Gegenſtand beobachten, uͤber das 


Beobachtete reflectiren, und durch eine Verbindung 


alles desjenigen, was wir durch Beobachtung und 


Nachdenken aufgefaßt Haben, zur Einheit ein Refut- 


tag siehen und alsdenn erfilich find wir im Stande 


einzufehen „ 05 dasjenige, was wir denfen, in dem 
Gegenftande gegründet ift oder nicht. . Wenn wir una 


ehun und worauf haben wir zu fehen? Wenn wir. 


eine geoße Mannichfaltigkeit in den Gewaͤchſen, viele 


en . Yerfuchen wollen, ob die Vorſtellung, die wir ung - 
EB von einem, englifchen Garten gemacht haben, 
mit demfelben, wenn wir, dergleichen etwa zu Ge= - 
fichte befommen, tibeteinftimme,. was müffen wir 

















’ 


' N‘ 
a 


' Zu r ur 
Abwechſelung in dem Kuͤhnen und Pittoresken der Aus⸗ 


ſichten, das. Verſchlungene in den Wegen, das Freie 


und Ungehinderte in dem Wachsthume der Buͤſche 
und Baͤume u. l. w., gewahr werden, jo find wir 
überzeugt ‚ daß unfer Begriff von dem Gegenftande, 


den wir uns gedacht haben, richtig ift und dag wir. 


unfern Fond von Wahrheit vermehrt haben. 


Es giebt alfo nicht bloß eine formelle, fondern 


auch eine materielle Wahrheit, welche in der voll⸗ 


fommenen und richtigen. Kenntniß der Dinge ihrem 


Gehalte nach beſteht. Diefe. Art von Wahrheit 


Tann nur durch Beobachtung und Nachfuchen gewonnen. 


werben, und ihre Erwerbung ift eben fo fchmwierig als 
belohnend. Wir fammeln uns Merfmale von den 


Dingen ein, wir geben auf das Verſchiedene und auf - 


das Uebereinſtimmende in den Gegenftänden Acht, 


und wir faflen alles, was an denfelben nur irgend be⸗ . 


merfbar ift, in. unfere Borftellung von ihnen’ auf; 
und nunmehro fönnen wir uns mit Recht ruͤhmen, 


daß wir Wahrheit erobert ı und Einſicht in etwag en! | 


langt haben. 


s \ , 
Denken ift auch fo viel als ureheilen, denn was - 


ehun wir beym Urrheilen anders, als wir fügen ein 


Prädikat zu einem Gubjecte hinzu oder wir verweis . 
gern ihm daffelbe, z. B. der Menſch ift ein Amphi⸗ 


bion, er lebt zugleich in der finnlichen und überfinnz 
lichen Welt, oder das Wiedererfennen der Menfchen 


⸗ 


in jener Welt iſt nicht wahrſcheinlich. Das Vermoͤ⸗— 


gen das urtheilt, iſt der Verſtand im weitern Sinne 
oder die Urtheilskraft. Beide Vermoͤgen ſind Aeuße⸗ 


\ 
/ 


0 gungen der Denkkraft. Wir, urtheilen aber nicht 
allein, ſondern wir ſchließen auch, indem wir aus 
einem Urtheile Folgerungen ziehen, die nicht unmite 

.- „$elbar in bemfelben enthalten find, z. E. ber Zweck 

der Menfchen in diefer Welt iſt Kültur alſo muß 
auch die Abficht, warum ich lebe, auf Erreichung die: 
ſes Zweites geben. Das Vermögen des Schließens _ 
iſt:die Vernunft, und dieſe iſt eine hoͤhere Thaͤtigkeit 
der Denkkraft, als der Verſtand. Der Verſtand 


buchſtabirt die Erfcheinungen, di , die Vernunft lieft und_ 
verſteht diefelben. Jener verbindet das einzeln rohe 
Mannichfaltige zur Einheit, kann aber das Ganze 
nicht uͤberſehen, welches ein Geſchaͤft der Vernunft | 
iſt. Außer dem Urtheilen und Schließen giebt eg 
zwar noch mehrere Operationen der Denffraft, die 
aber doch weiter nichts find, als ein Urtheilen. Wir - 
reflectiren z. B. über einen Gegenfland, wenn 
wir Merkmale mit ihm verbinden, bie ihm zukommen, 
und wieder andere von ihm frennen, die ihm niche 
zutommen. Wir abſtrahiren von etwas, wenn 
wir in Gedanken alles davon entfernen, was jczt 
nicht zur Sache, ‚die wir bearbeiten oder überdenken, 
Nnoͤthig if. Alles diefes nun iſt weiter nichts als ein 
Denken, das nur in Ruͤckſicht feines Verfahrens eine 
vecrſchiedene Benennung erhaͤlt. Die Denkkraft iſt 
aalſo die Anlage; ‚, deren, Ausbildung wir hier zur Abs 
ſicht haben. Sie ift das Objekt, auf das gewirkt“ 
werden ſoll, und ihre Vollkommenheit iſt das Ziel, 
nach dem wir ſtreben. Ihre Vermoͤgen ſind der Ver⸗ 
ſtand und die Vernunft, welche beide nad) verſchied⸗ 
nen Öefeßen wirken und verſchiedene Produfte diefeen. 
"Der Verſtand bilder Begriffe, die Vernunft‘ | 











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Yoeen, beider Thaͤtigkeiten zuſammen aber ſind zu 
gruͤndlicher Einſicht in Etwas mentbehriich. 


u Wenn man aber denfen will, muß man Stoff 
zum Denken haben: denn der Verſtand ift leer und 
kann nichts aus fich ſelbſt bervorbringen, fondern er 
erhaͤlt die Materialien, woruͤber er nachdenkt, durch 
die Sinnlichkeit. Die Sinne ſind die Werkzeuge, 
wodurch ihm Stoff zur zue Arbeit jugeführse wird. und 
fie find die Zauberer, bie ihn von ben Fefleln der Un⸗ 
thaͤtigkeit und des Schlummers befreien, worin er 
gefangen liege. 


" Kinder haben zwar Verftand als Anlage, aber 
fie koͤnnen noch wenig oder gar nicht denken, weil ihr 
Berftand noch faft gar nicht erwacht iſt. Der Juͤng⸗ 
ling kann jwar denfen, aber es fehle feinem Denfen 
an Gehalt, Mannichfaltigfeit, Bedeutung und- 
Gruͤndlichkeit. Seine Vernunft ift noch nicht gehös 
tig ausgebildet und er bar noch nicht Stoff genug eins, 
geſammelt. Er hat ſich alſo noch nicht genug Fertig⸗ 
keit int gehaltreichen Denken erkaͤmpft, und er iſt 
noch nicht dahin gelangt, daß er fi ch willkuͤhrlich jede 
beliebige Seite des Öegenftandes, den er. bearbeite, 
herauswaͤhlen und mit Einficht und Gruͤndlichkeit dar · 
über fprechen ober ſchreiben koͤnnte. 


Die Sir Sinne muſſen vorhero geuͤbt worden ſenn. 


ehe der Verſtand große Fortſchritte ni Denken machen 

lann. Durch ihren oͤftern Gebrauch wird ihre 

Empfaͤnglichkeit für äußere und innere Eindrücke 

erhöhet, wodurch eine Menge Gegenftänbe herbeyge⸗ 

führt. und in dem Gedaͤchtniſſe angefammelt em, 
zung au denfen. - B 


N 


— 
> 


a E 
— 18 m. 


und aus bieſem Vorrathshauſe kann ſie der Verſtand 
nach Willkuͤhr hervorlangen, ſobald er ſich ſelbſt durch” 
Hebung Stärke errungen, hat. Man muß vorbero - 
vieles angeſchauet haben, ehe man vieles denfen kann, 
und man muß vorhero vieles gefühlt und empfunden 
haben, ehe man daffelbe mit Einficht zu beurtheilen 
im Stande iſt. Die Sinnlichkeit muß geuͤbt und vers 
vollkommnet worden fen, ehe man die Selbftehätigs 
keit: der Denffraft erhöhen kann. Szene giebt diefer 
Nahrung und diefe leiht jener Reiz und Energie: 
beide unterflüßen einander in ihren Arbeiten und beide 
fragen zu ihrer wechfelfeitigen Ausbildung bei,.. Wo 
kein Verftand thaͤtig ift, da find bie Anfhauungen 
blind und wo bie Sinnlichfeit einen Stoff herbei⸗ 

fhaft, d da ift-der Verſtand Teer. Die Sinne | find 
Vie reichen Quellen, woraus fid) unfer Geift ernähre 
und erquict und woraus.er Materialien Halt ‚ denen. 
er durch feine wunderbare Bildungskraft Gſſtalt und 

Bedeutung giebt. I 


l 


Wenn nun die Sinnlichkeit Stoff geliefert und 
der Verſtand das Mannichfaltige und Zerſtreuete, 
das derſelbe enthält, zur Einheit verbunden und Das 
Dunfle beleuchtet hat, alsdann wird eine Er kennt⸗ 
niß von etwas bewirkt, welche durch die Zuſammen⸗ 
wirkung dieſer beiden Anlagen, entſteht. Wo fein 
Gegenſtand vorhanden iſt, deſſen Inhalt durch die 
Sinne, moͤgen dies die aͤußern Sinne oder der In⸗ 
nere ſeyn, der Denkkraft zugefuͤhrt wird, da findet 
auch kein Erkenntniß ſtatt. Alle Erkenntniß bezieht 
ſich auf ein Objekt, das entweder im Raume oder in 
‚ber Zeit darſtellbar iſt, und af fi 2 als ein Körper 





‘ 


oder als eine Weränderung a anfeben laͤßt: was Gin: 
gegen biefen beiden Formen. unferer Sinne widers 


ſpricht, ift fein Gegenftand des Erfennens, fondern 
Tann höchftens bloß gedacht, aber nicht erfanne wer⸗ 
den. "Man fieht hieraus, daß fid) das Gebiet bes. 
Denkens weiter erſtreckt als das: Gebiet, des Erken⸗ 
nens. Jenes umfaßt den Himmel und die Erde, die⸗ 
fes ift bloß auf die Wele in und außer unferm Ge⸗ 
müthe, fo weit Anſchauungen moͤglich ſind, einge⸗ 
ſchraͤnt 


Was wird nun unter einer Kunſt zu denken ver⸗ 


ſtanden? Das Denken wird bei der Beſtimmung 


des Begriffes einer Kunſt zu denken im allerweiteſten 
Sinne genommen; es begreift alles, was durch die 
Selbſtthaͤtigkeit der Denkkraft ausfuͤhrbar ift- und 
unter einer Kunft verfteht man die Fertigfeit, etwas, 
was. man fih vorgefege bat, zu bewirken, Eine 
Kunft zu denken ift alfo die Geſchicklichkeit, ‚von ſei⸗ 


—— ner Denkkraft ſtets einen ſelbſtthaͤtigen und freien Ge⸗ 


brauch nach eigener Einſicht zu machen. Sie iſt die 
Geubtheit im Selbſtdenken, wo man ſich bei feinem 
Nachdenken über einen Gegenftand nicht auf fremde 
Unterſtuͤtzung verläßt, ſondern ſich nach eigenem Wiſ⸗ 
ſen und Gewiſſen zum Urtheilen beſtimmt; wo man 
nicht die Gedanken Anderer mechaniſch wiederholt, 


ſondern wo man ſeinen Verſtand bloß allein zu Rathe | 


ziehe, wenn man fich auch der Gefahr zu irren aus⸗ 

fegen follse; wo man nichts. auf Treu und Glauben. 

annimmt, fondern nur das für wahr halt, was durch 

die -Fenerprobe des Selbftprüfens gegangen ft. Die 

Kunft zu benfen, wenn man fie in dieſem Sinne 
| B 2 


⁊ ⸗ . \ ⸗ 
‘ 
— 20 — 


| nimmt, , tft der Ungehbrheit der Dentkraft enegegen⸗ 
geſetzt, wo man ſich bloß Feidend verhaͤlt und wo 
man alle Eindruͤcke, welche die Gegenſtaͤnde auf uns 


. ohne burch Freiheit auf dieſelben zuruͤck zu wirken und 
denſelhen durch Selbſtthaͤtigkeit allerlei Geſtalten zu 
ertheilen. Wer die Erſcheinungen in und außer ſich 
kraͤftig aufgreift, ſie nach eigener Einſicht bearbeitet 
und durch Reflexion beherrſcht , ſie mit andern. ge⸗ 
ſchickt zu vergleichen weiß, ihre Urfachen mit Ges 
wandtheit zu ergründen und ihre Wirfungen vollſtaͤn⸗ 
‚ dig zuſammen zü faffen ſtrebt, der verſteht die Kunft 
zu denken. Sich hingegen raftlos den Eindruͤcken 


machen, glei) einem Spiegel, in fi ‚aufnimmt, . 


hingeben, diefelben auf fich wie. auf einem muſikali⸗ 


f hen Inſtrumente herumfpielen laffen und in thieris- 
fher Paſſivitaͤt ſchwelgen, ir das Grab a affes Selbſt⸗ 
denkens. | \ 


Der Menſch ſoll aber nicht allein denken, ſon⸗ 
dem auch richtig denken lernen: er muß ſich daher 


eine Kenithig von den Regeln und Grundſaͤtzen ver⸗ 


fchaffen, welche bei einem Urtheile über einen Gegens 
fand erfoderifch und demſelben eigenthuͤmlich ſind. 
Nach andern Grundſaͤtzen beurtheilt man das Mora⸗ 
liſche, nach Andern das Rechtliche und nach Andern 
das Zweckmaͤßige. Die Kunſt zu denken begreift da⸗ 
ber nicht bloß die Fertigkeit im Selbſtdenken, ſondern 

aAauch die Geſchicklichkeit, das Wahre und Treffende 


in den Gegenſtaͤnden heraus zu finden, und der Zweck 


dieſes Buches geht zugleich mit dahin, Mittel anzu⸗ 
geben, wie man ſich und Andre nicht allein zum freien 
und ſelbſt eigenen Denken erziehen, ſondern wie man 


\ 


Et ep 2 


= un ME E — 


4 


| 


such richtig denken lernen kann. Muͤndigkeit des 


Verſtandes und Wahrheit follen die Fruͤchte ſeyn, die ä 


wir durch Denkübungen einerndten wollen. &s fols 
Ien nicht bloß Begriffe zerfpalten und biefelben lebens 


‚und geiftlos wieder zufammen verbunden werben, 


fondern wir wollen auch durch das Denfen das Leben⸗ 
dige, Wahre, Gehaltreiche und Kraͤftige in der Nas 
tur erobern. Wir wollen durch diefe Kunſt die eigen» 
thuͤmlichſten Beduͤrfniſſe unfers Geiftes. ‚befriedigen 
und dies kann nur dadurch geſchehen, daß wir jeder - 
Anlage und jeder Kraft: in uns den ihr angemeflenen 


Stoff reichen, fie dadurch zur Freiheit ausbilden und- 


die Leere ausfüllen, die fie fpurt, fo bald fie zum Le⸗ 
ben erwacht und ſelbſtthaͤtig worden iſt: denn die 
Vernunft idealiſirt die Produkte jeder Kraft in uns 
und ſetzt daher die Erfuͤllung der derſelben eigenen Be⸗ 
friedigung in eine unendliche Ferne, und fodert den 
Menfchen zu einem unaufhoͤrlichen Streben und Rins 
gen wach demjenigen auf, was fie ihm im Ideale vors 
halt. Wahrheit und Selbfithätigkeit des Geiſtes 
find alfo das Ziel, wornach wir ftreben follen, wenn 

wir unfere Beftimmung nicht verfehlen und ung mie _ 
den vernunftlofen Thieren auf gleichem Fuß feßen wols 
In. Wir follen ftets außer ung Herauswirken und 
gleich bem Prometheus lebendige Geftalten bilden, 
Es it eine Aufgabe unfers.Lebens, die ganze Matur 
als unfer Produft zu behandeln und dieſen Zweck er⸗ 
reichen wir bloß durch Selbſtdenken, wo wir nicht 
darauf fehen, wer vor uns gedacht hat), oder was 
vor und gedacht. worden ift, fondern. ob Die Gedan⸗ 
fen, bie wir als Produkte unferer Seibſtthaͤtigkeit 
deraus bringen, den Gegenſtand, den wir uns zum 


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- \ — 16 — 


rungen der Denkkraft. Wir urtheilen aber nicht 
allein, ſondern wir ſchließen auch, indem wir aus 


einem Urtheile Folgerungen ziehen, die nicht unmit⸗ 


telbar in demfelben enthalten find, z. €. der Zweck 
der Menfchen in diefer Welt ift Kultur, alſo muß 
‚auch die Abficht, warum ich lebe, auf Erreichung die- 
fes Zwedes geben. Das Vermögen bes Schließens _ 
. äft.bie Vernunft ‚ und diefe ift eine höhere Thaͤtigkeit 
‚der Denffraft, als der Verſtand. Der Verſtand 
buchſtabirt die Erſcheinungen, die Vernunft lieſt und 
verſieht diefelben. Jener verbindet das einzeln rohe 
Mannichfaltige zur Einheit, kann aber das Ganze 
nicht uͤberſehen, welches ein Geſchaͤft der Vernunft 
if. Außer dem — und Schließen giebt es 
zwar noch mehrere Operationen der Denkkraft, die 
ober doch) weiter nichts find, als ein Urtheilen. Wir - 
reflectiren z. B. über vinen Gegenftand, wenn 
wir Merkmale mit ihm verbinden, die ihm zufommen, 
und wieder andere von ihm rennen, bie ihm nicht 
zutommen. Wir abſtrahiren, von etwas, wenn 
“wir in Gedanken alles davon entfernen, was jehzt 
nicht zur Sache, die wir bearbeiten oder überdenfen, 


noͤthig iſt. Alles diefes nun iſt weiter nichts als ein 


Denken, das nur in Rüdfiche feines Berfahrens eine 
verfchiedene Benennung erhält. Die Denkkraft iſt 
alſo die Anlage, deren. Ausbildung wir hier zur Abs 
ſicht haben. Sie ift das Objekt ‚ auf das gewirfe* 
werden toll, und ihre Vollkommenheit ift das Ziel, 
nachdem wir fireben. Ihre Vermögen find der Ver⸗ 
ſtand und die Vernunft, welche beide nad) verfchieds _ 


nen Öefeßen wirken und verfchiedene Produkte liefern. 


"Der Verſtand bilder Begriffe, bie Vernunft \ 


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. gefangen liege. 


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ren , beider Thaͤtigkeiten zuſammen aber ſind zu | 


gruͤndlicher Einfigt i in Etwas unenebefefih, 


Bu Wenn man aber benfen will, muß man Stoff 

zum. Denken haben: denn der Verſtand ift leer und 

kann nichts aus fich felbft hervorbringen, fondern er 
erhält die Materialien, worüber er nachdenkt, burch 
Die Sinnlichkeit. Die Sinne find die Werkjeuge, 
wodurch ihm Stoff zur zur Arbeit jugeführt wird. und 
fie find die Zauberer, bie ihn von ben Fefleln ber Uns 
thätigfeie und des Schlummers. befreien , worin er 


\ ® 
"Kinder haben zwar Verſtand als Anlage, aber 
fie koͤnnen noch wenig oder gar nicht denken, weil ihe 
Verſtand noch faft gar nicht erwacht iſt. Der Juͤng⸗ 
ling fann zwar benfen, aber es fehle feinem Denken 
an Gehalt, Mannichfaltigfeit, Bedeutung und 


Gruͤndlichkeit. Seine Vernunft ift noch nicht gebis 


tig ausgebildet und er bat noch nicht Stoff genug eins 
gefommelt. Er Bat fich alfo noch nicht genug Fertige = 
keit int gehaftreichen Denfen erfämpft, und er ift 
noch nicht dahin gelangt, daß er ſich willkuͤhrlich jede 
beliebige Seite des Gegenſtandes, den er bearbeite, 


herauswaͤhlen und mit Einſicht und Gruͤndlichkeit dar · 


über ſprechen oder ſchreiben koͤnnte. 


Die Sir Sinne me möıffen vorhero geuͤbt worden fen, _ 


ehe der Berftand große Fortſchritte im Denken maden 
kann. Durch ihren dftern Gebrauch wird ihre . 
Empfänglichkeit für äußere und innere Eindrücke 
erhoͤhet, wodurch eine Menge Gegenftände herbeyge⸗ 
führt und in dem Gedaͤchtniſſe angefammels werden, 

Kunſt au denken. B 


» . 


J | | 1 | \ 
u» 18 —. \ 


und aus bieſem Vorrathshaufe kann n fie e der Verſtand 
nach Willkuͤhr hervorlangen, ſobald er ſich ſelbſt durch 
Uebung Staͤrke errungen, hat. Man muß vorhero 
vieles angeſchauet haben, ehe man vieles denken kann, 
und man muß vorhero vieles gefuͤhlt und empfunden 
haben, ehe man daſſelbe mit Einſi cht zu beurtheilen 
im Stande iſt. Die Sinnlichkeit muß geuͤbt und vers 
vollkommnet worden feyn, ehe man bie Selbſtthaͤtig⸗ 
keit der Denffraft erhöhen kann. Jene giebt dieſer 
Nahrung und dieſe leiht jener Reiz und Energie: 
beide unterſtuͤtzen einander in ihren Arbeiten und beide 
tragen zu ihrer wechſelſeitigen Ausbildung bei. Wo 
kein Verſtand chärig iſt, da find die Anfhauungen 
blind und wo bie Sinnlichkeit feinen Stoff herbei⸗ 
| haft, | da iſt der Verſtand Teer. Die Sinne find 
"pie reichen Quellen, woraus ſich "unfer Geift ernährt 
und erquickt und woraus er Materialien hoft, benen 
er durch feine wunderbare Bildungskraft Oſſat und 
Bedeutung giebt. 


Wenn nun die Sinnlichkeit Stoff geliefert und 
der Verftand das Mannichfaltige und Zerſtreuete, 
das derſelbe enthaͤlt, zur Einheit verbunden und das 
Dunkle beleuchtet hat, alsdann wird eine Erkennt⸗ 
niß von etwas bewirkt, welche durch die Zuſammen⸗ 
wirkung dieſer beiden Anlagen entſteht. Wo kein 
Gegenſtand vorhanden iſt, deſſen Inhalt durch die 
Sinne, moͤgen dies die aͤußern Sinne oder der In⸗ 
nere ſeyn, der Denkkraft zugefuͤhrt wird, da findet 
auch kein Erkenntniß ſtatt. Alle Erkenntniß bezieht 
ſich auf ein Objekt, das entweder im Raume oder in 
der Zeit darſtellbar iſt, und alſo ſich als ein Körper 

















— 19 — 


ober als eine e Veränderung anfehen laͤßt: “mas Gin: 

gegen dieſen ‚beiden Formen. unferer Sinne widers 
ſpricht, ift fein Gegenftand des Erfennens, fondern 
kann höchftens bloß gedacht, aber nicht erfannt mer⸗ 
ben. “Man fieht hieraus, daß ſich das Gebiet des. 
Denkens weiter erſtreckt als das Gebier, des Erfen« 
nens. Jenes umfaßt den Himmel und die Erde, Dies - 
ſes iſt bloß auf die Welt in und außer unferm Ge⸗ 
muͤthe, f6 weit Anſchauungen moͤglich ſind ‚ einges 
ſchtaͤnet. 


Was wird nun unter einer Kunſt zu denken ver⸗ 
ſtanden? Das Denken wird bei der Beſtimmung 

bes Begriffes einer Kunft zu denken im allerweiteften 
Sinne genommen; es begreift alles, was durch die - 
Selbfithätigfeit der Denkkraft ausführbar iſt und 
unter einer Kunſt verſteht man die Fertigkeit, etwas, 
was man ſich vorgeſetzt hat, zu bewirken. Eine 
Kunſt zu denken iſt alſo die Geſchicklichkeit, von ſei⸗ 
—ner Denkkraft ſtets einen ſelbſtthaͤtigen und freien Ge⸗ 
brauch nach eigener Einſicht zu machen. Sie iſt die 
Geubtheit im Selbſtdenken, wo man ſich bei ſeinem 
Nachdenken uͤber einen Gegenſtand nicht auf fremde 
Unterſtuͤtzung verläßt, ſondern fich nach eigenem Wiſ⸗ 
fen und Gewiſſen zum Urrheilen befiimmt; wo man 
nicht die Gedanken Anderer mechanifch wiederholt, 


fondern wo man feinen Verſtand bloß alfein zu Rathe | 


ziehe, wenn man fich auch der Gefahr zu irren auge 
fegen ſollte; wo man nichts. auf Treu und Glauben 
annimmt, fondern nur das für wahr hält, was durch 
die-Fenerprobe des Selbftprüfens gegangen iſt. Die 
Kunft zu denfen, wenn man fie in diefem Sinne 

| B 2 


x ’ . 
‘ 
— 20 u 


St 


nimmt, iſt der Ungeübtheit der Dentkraft entgegen⸗ 

geſetzt, me man ſich bloß feidend verhaͤlt ‚ und wo 
. man alle Eindruͤcke, welche die Gegenftände auf uns 
- machen, gleich einem Spiegel ‚in fih ‚aufnimmt, . 
. ohne durch Freitzeit auf dieſelben zuruͤck zu wirken und 
denſelhen durch Selbſtthaͤtigkeit allerlei Geſtalten zu 
ertheilen. Wer die Erſcheinungen in und außer ſich 
kraͤftig aufgreift, ſie nach eigener Einſicht bearbeitet 
und durch Reflexion beherrſcht, ſie mit andern ge⸗ 
ſchickt zu vergleichen weiß, ihre Urſachen mit Ge⸗ 
wandtheit zu ergruͤnden und ihre Wirkungen vollſtaͤn⸗ 
dig zuſammen zü faſſen ſtrebt, der verſteht die Kunſt 
zu denken. Sich hingegen kraftlos den Eindruͤcken 
hingeben, dieſelben auf ſich wie auf einem muſikali⸗ 
ſchen Inſtrumente herumſpielen laſſen und in thieri⸗ 
ſcher Pafftoieär ſchwelgen , iſ das Grab alles Selbſt⸗ 
dentens. | \ 


Der Menſch ſoll aber nicht allein denken, ſon⸗ 
deen auch richtig denken lernen: er muß ſich daher 
eine Kerinig von den Regeln und Grundfaͤtzen vers 
ſchaffen, welche bei einem Urtheile über einen Gegen⸗ 
fland erfoderlſch und demfelben eigenthümfich find. - 
Mach andern Grundfäßen beurtheilt man das Mora⸗ 
liſche, nach Andern das Rechtliche und nach Andern 
das Zweckmaͤßige. Die Kunſt zu denken begreift da⸗ 
her nicht bloß die Fertigkeit im Selbſtdenken, ſondern 
aAuch die Geſchicklichkeit, das Wahre und Treffende 


in den Gegenſtaͤnden heraus zu finden, und der Zweck 


dieſes Buches geht zugleich mit dahin, Mittel anzus 
geben, wie man ſich und Andre nicht allein zum freien 
und ſelbſt eigenen Denken erziehen, ſondern wie man 





auch richtig denken lernen kann. Mündigfeie des 
Verſtandes und Wahrheit follen die Früchte feyn, die ' 
wir durch Denfübungen einerndten wollen. Es fo 
len niche bloß Begriffe zerfpalten und dieſelben lebens 
‚und geiftlog wieder zufammen verbunden werben, 
fondern wir wollen auch durch das Denfen das Leben⸗ 
dige, Wahre, Gehaltreiche und. Kraͤftige in der Na⸗ 
fur erobern. Wir wollen durch dieſe Kunſt die eigen 
thuͤmlichſten Bebürfniffe unfers Geiftes. befriedigen 
und dies kann nur dadurch geſchehen, daß wir jeder - 
Anlage‘ und jeder Kraft: in uns den ihr angemeſſenen 
Stoff.reichen, fie dadurch zur Freiheit ausbilden und- 
die Leere ausfüllen, Die fie fpürt, fo bald fie zum Le⸗ 
ben erwacht und ſelbſtthaͤtig worden iſt: denn die 
Vernunft idealiſirt die Produkte jeder Kraft in uns 
und ſetzt daher die Erfuͤllung der derſelben eigenen Be⸗ 
friedigung in eine unendliche Ferne, und fodert den 
Menſchen zu einem unaufhoͤrlichen Streben und Rin⸗ 
gen nach demjenigen auf, was ſie ihm im Ideale vor⸗ 
haͤlt. Wohrheit und Selbſtthaͤtigkeit des Geiſtes 
ſind alſo das Ziel, wornach wir ſtreben ſollen, wenn 
wir unſere Beſtimmung nicht verfehlen und uns mit 
den vernunftloſen Thieren auf gleichem Fuß ſetzen wol⸗ 
ln. Wir ſollen ſtets außer ung Serauswirken und 
gleich dem Prometheus lebendige Geftalten bilden. 
Es ift eine Aufgabe unfers. Lebens, die ganze Mötur 
als unfer Produkte zu behandein-und Diefen Zweck er⸗ 
reichen wir bloß durch Selbſtdenken, wo wir nicht 
darauf ſehen, wer vor uns gedacht hat, oder was 
vor und gedacht worden ift, fondern ob die Gebans 
ten, die wir als Produkte. unferer Selbſtthaͤtigkeit 
heransbringen, ven Gegenfland, ben wir uns zum 


* 


oe. 
Machdenten gewaͤhlt haben , ertlaren, ‚06 fie mie un⸗ 
- ferm innigften Seyn zuſammenſtimmen und ob fie die 
Foderungen der Natur ſowohl in als außer ung be⸗ 
friedigen. Was von Menſchen gethan wird muß 
ein Schritt naͤher zur Erreichung des Zweckes ihres 
Daſeyns ſeyn, und was Menſchen bearbeiten, muß 
den Charakter der Fleiheit und der Wuͤrde an ſich 


tragen. Mechaniſches Denken iſt vor der Vernunft 


ein Greuel, wie Unmoralitäten vor dem Gewiſſen 


und Fein Menfchenleben hat Werch, als Dasjenige, 
welches durch Kämpfe mit den Seinden in und außer 


Te mm — 


nferm kur Semi erprobe und o Durhgefühet 1 worden " 





, 


I. Eapitel. 


Vorbereitung zum Denktenlernen. 


—2 


— — 
= * 


So natuͤrlich und wohlbehaglich auch dem Menſchen 
die der Materie feines Weſens eigene Traͤgheit ſeyn 


. mag, fo lange noch nicht der Geiſt über den Körper 
die Oberhand gewonnen, und dieſem etwas von ſei⸗ 


ner S$ebendigfeit und, Agilität mitgeteilt hat, fo 
kommt es doch bloß auf einen feften und murhigen 
Entſchluß an, den Körper dem Geifte dienſtbar zu 
machen und jenen bloß als das Organ zu brauchen, 
bermöge welches diefer auf Das, was außer uns ifl, 
einwirkt. Unfer Wille kann, wenn er fich mie Ents 


ſchloſſenheit und Beharrlichkeit paart und. feine Mühe 


ſcheuet, wenn auch nicht Berge verfegen, doch ber 


Welt eine ganz andere Geſtalt geben, als diejenige _ 








— 


if, welche fie ohne unſere Selbſtthaͤtigkele hat. Die 
Dinge exiſtiren für uns nur durch das Denken, je⸗ 
mehr jemand daher denke, deſto gehaltreicher und- 
iebendiger if für ihn die Welt 


Wer denken lernen will, nuß PP feſ entſchlieſ⸗ 
ſen, keine Anſtrengung und keine Muͤhe zu ſcheuen, 
fo laͤſtig und peinlich. dieſelbe anfänglich für ihn auch 
fegn mag. . Mutbige Beharrlichkeit bezwinge alle 
Schwierigkeiten und der Schlummer, ber 'unfere 
Kräfte gefeflele haͤtt, wird Durch anhaltende Uebung 
unſrer Anlagen verſcheucht. - Allein der Much, der 
ausbauern fol, verlangt: Aufmunterung und Staͤr⸗ 
fung, welche ihm allein von der Ausficht auf Fünftige 
Vortheile gewährt werden koͤnnen. ‚Die Hoffnung 
‚irgend eines Gewinnes, ber der Preis der Anſtren⸗ 
gung ift, entflammt in ung die Begierde, keine Be⸗ 
ſchwerlichkeit und Feine _ Gefahr zu feheuen, die ung‘ 
auf denn Wege zu dem gewuͤnſchten Ziele aufſtoßen 
ſollte. Welches iſt nun der Gewinn, den uns das 
Selbſtdenken verſpricht? Wir lernen durch daſſelbe 
uns und Andere kennen, wir erlangen Einſichten in. 
die Geheimniffe der Natur, wir werden für die Welt 
brauchbar, wir. Eönnen uns gegen eigene Verftandess 
verirrungen und gegen bie Weberliftungen anderer 
Menſchen fehüßen und die Zwecke, warum wir leben, 
werben uns durch ‚die Bekanntſchaft mit denfelben, . 
und’ durch die Kenntniß der zweckmaͤßigſten Mittel, 
durch: welche man bazu gelangen Bann, leichter erreich⸗ 
bar. Der Menfch ift zum recht und gut handeln ges 
. Schaffen: das Bewußtſeyn diefes Zieles, die Achtung, 

die uns. das Mingen darnach gegen die menfihliche 


S 


iv 
s 


m 26 — 


aller Erſcheinungen im Menſchen, aber eine Todſuͤnde 


"gegen ben Geiſt, der unter ihrem eifernen Scepter 


‚ „alle Energie verliert. .- Nehmen wir hingegen bloß 


das in unfere geiftige Vorrathskammer auf, was wir 
ſelbſt dutchdacht haben, fo find wir im Stande, ſtets 
nach Belieben dasjenige hervorzulangen, was wir zu 


ohne Selbftdenfen in uns aufgebäuft, . machen uns 


t 


| dem Reichen ähnlich, der nur fammelt, um zu fam= 


. mel, ohne jemals an einen zweckmaͤßigen Gebrauch 
des Zufammengefiharrten zu denken. Alles, was 


wir haben und was wir erwerben, muß als Mittel 


"zur Erreichung von phyſiſchem, intellefeuellen oder 


moraliſchen Sweden angefehen werben: benn ift 
“etwas. zu benfelben untauglich, fo hat es feinen 


Werth für und. 


> ober Menfeh har Gelegenheit zum Beobach⸗ 
ten, es gehen eine Menge Dinge in und außer ihm 
vor’, es ereignen ſich Umſtaͤnde, und es geſchehen 


Handlungen um ihn her, die feine Aufmerkſamkeit 


reizen und die er nie unerflärt vor fich vorbei gehen 


laßfen muß. Seine Sinne müffen ftets offen und fir 


‚alle Eindruͤcke empfaͤnglich, und feine Denkkraft muß 
fies ehätig feyn, um alle Erfcheinungen, die in ſel⸗ 


nem. sebensfreife ſichtbar werben, zu erhafchen und 


zu durchdenfen, um Aufſchluß über ihren Grund und 
Aber ihren Zweck zu erhalten. Durch Yufmerkfants 
keit erobert er eine Welt und durch Selbſtdenken bes 


hauptet ex feine Eroberung. Und in fich ſelbſt zuruͤck 


. gezogen, wird er in feinem Buſen eine, neue Welt ges . 
. wahr werben, woein unerfchöpflicher Quell von Er⸗ 


d 


Anm ⸗ B We 











ſcheinungen hervorbricht. Her we ke ef eig 


zuerſt an die Auffanıng des E=iimes gem em, 
alsdann zu dem Zulammenzmufzz freier 208 
endlich alles in Wallen aufuckmes ın® tıraz Is 
flerion das Ganze zu einer Einseit rertzter, Te als 
trägt und hält und allem leben xad Bederzenz ze 


Fuͤr ihn ifi die Welt da, er In: beten, a ul 

‚ die ewig fruchtbare Muster dr Erin ber 

achten, um durch ihren Reichthum — zıb ır2ic 
gehaltreich denfen zu lernen. 


Wer fi felbft kennt und wer tie grIrraen 
Schlupfwintel feines Herzens erferiht bet, Ira am 
dere Menſchen leicht kennen. Eie denken var ctrei⸗ 
ben ihr Spiel wie er, fie werten von Leiten Hafcen 
gefoltert und von Gefühlen beherrſcht wie ee. “jede 


Menſch ftellt in ſch das ganze Menſchengeichlecht ver. 


Daher führe allein Selbfifenntnig jur Semmen:5 Ims 
derer, bloß durch fich erhält jeder Aurihlug uber Das 
Thun und Treiben, das Sinnen und Trachten Ande⸗ 
zer. Wer füch beobachter, flelit auch zugleich Beeb⸗ 
achtungen über Andere an und wer ſich ſelbſt nicht 
verfteht, für den werben auch Andere flets ein unauf- 
lösliches Räthfel bleiben. In feinem eigenen Buſen 
findest jeber Menſch den Schlüffel zu den Geheimnifs 
fen Des Kopfes und des Herzens Anderer. 


Diefes Einfammeln von Materialien, diefe Acht | 


ſamkeit auf fih und Andere, und diefes Belaufchen 


der Natur ift fhon ein Nachdenken und derjenige hat 


fhon Feine geringen Fortfihritte in der Fertigkeit zw 
denfen gemacht, ber mis der Abſicht lebe, ſtets Ma⸗ 


⸗ 


® 


nn 


eg — 


nit mehr. uͤber die Seerheit der Welt klagen. Bir 
werben gehaltreich-denfen, weil wir vielen Stoff eins 
gefammelt haben, womit wir unfere Denkkraft bes 


noch Sangemeile beim Denfen überfallen, denn bie 
Mannigfaltigfeit der. eingefammelten Materialien ift 


"ein Stärkungsmittel und ein Sabfal für den Geift: 
Und haben wir einmal einige Fortſchritte im Selbſt⸗ 
denken gemacht, dann werden wir weder Gefahr 


noch Mühe fcheuen, ftets feldft zu unterfuchen und 


3 ſelbſt zu forſchen, weil wir die frohe Ausſicht vor uns 
ſehen, daß wir die Geheimniſſe der Natur enthuͤllen 


werden und weil wir wiſſen, daß das Denken fuͤr den 


Geiſt eben das iſt, was für den Körper die Bewe⸗ 


wenn er nicht durch Denken geftärkt und jung erhal« 
ten wirb, denn was ift Gedankenloſigkeit aiders, als 
ber geiftige Tod und welcher ift fehmerzlicher und ent« 
ehrenber, ber geiftige oder der Förperliche Tod? And 


dieſer eilt dem Staube wieder zu, ehe er noch zum 
geben erwacht iſt, wenn er nicht durch Thaͤtigteit D Des 


Geiſtes elektriſirt und humanifi rt wird. 





IV. Capitel. 


Bas muß man thun, wenn man denten 


lernen will? - \ 





Weor bei feinen Geiftestibungen ſtets den Winken ber 


Natur folge, defen Bemühen wird eben-fo glücklich 
von ftatten gehen als ſich veichlich belohnen. Das 


a 


[4 


gung: jener ſtirbt ab, ob er gleich unſterblich iſt, 


ſchaͤftigen koͤnnen, uͤnd uns wird weder Ueberdruß 





zum 58 — | 

Erſte, was man alfo hun muß, wenn man fich im 

Denken üben will, muß das Auffaffen und Beobach⸗ 
gen von Erfepeinungen der Außenwelt ſeyn. Aufdiefe . 
| muͤſſen wir fleißig aufmerken, ſie genau und ſorgfaͤl⸗ 
tig beobachten und ſtudieren, diejenigen Merkmale, 
die wir. an Ihnen gewahr werben und die ung beſon⸗ 
ders auffallen, berausheben, ihre Aehnlichfeiten und 
‚ihre Verſchiedenheiten unter einander. vergleichen, 
ihre Wichtigkeit und ihre Bedeutendheit prüfen und 
immer.neme Verbindungen, neue Trennungen, ‚neue 
Schoͤpfungen mit ihnen vornehmen. Alles, was 
wir anfchauen, miffen wir zu einer Befchäftigung 
für unfern Berftanb machen, und immer muß unfer 
Streben dahin gehen, zu erflären, warum eine Er- 
ſcheinung diefe und keine andere Geftalt hat, biefe 
und feine andere Wirkung äußert, fih unter dieſen 
und unter keinen andern Umftänden zeigt. Die Vor⸗ 
ſtellungen, die wir uns von einem Gegenſtande 
machen, möüffen deutlich) und ihr Inhalt muß uns.ers 
MHärbar fen. Wir müflen willen, was wir denfen. 
und worum wir etwas fo und nicht anders. in unſer 
Gedankenſyſtem aufnehmen. Aegypten iſt das 
Land der Wunder; die Urſache der jaͤhrlichen Ueber⸗ 
ſchwemmung des Niles iſt der Regen in Habeſch; 


der Schnee iſt der Erhalter des Graſes; die denkend 


ſten Maͤnner haben am meiſten Mißtrauen in ihre 

Einſichten. Dieſe und dergleichen Urtheile und ihre 

Gruͤnde muͤſſen anfaͤnglich unſere Geiſtesbeſchaͤftigung 

ausmachen, damit wir nicht allein blos denken, ſon⸗ 

dern auch gehaltreich denken lernen. 
Es iſt aber nicht genug, daß wir bloß auf das, 

was der Gegenſtand in ſich enchan und was er iſt, 

Kun zu denken. * 


en 


- 34 — 
aufmerffark find, wir mäffeh ach ſolche Merkmale 


Graͤdikate, Beiworte, Adjektive) su demſelben hin⸗ 


zufuͤgen, die ihm nicht zukommen, um einſehen zu 


lernen, warum ſie ihm nicht beigelegt wetden koͤnnen 
und was fie aus dem Gegenftande machen würben, . 


wenn man fie mit ihm verknuͤpfte. Der-Tod des 


Sempiternus hat keine Urſache7 Alſo eine Tolge ohne 
Grund! Eine Erſcheinüng ohne etwas Hervorbrin⸗ 
gendes! — Vorſtellungen machen den Menſchen 
Nricht gluͤcklich, ſondern die Gluͤcksguͤter. Allein alles 
Leben beſteht in Vorſtellungen und das Bewußtſeyn 
Heines gluͤcklichen Zuſtandes iſt das Gluͤck ſelbſt. — 


Wir wandeln in einem Walde, feine Baͤume find 
grun , fie verbreiten allenthalben Schatten,’ duften 


liebliche Gerüche aus, die Voͤgel geben ihm Leben 


u. ſ. w. Eine ganz andere Geſtalt aber erhaͤlt dieſer 


. -Hayn-im Winter. Seine Bäume ſtehen in diefer 


Jahreszeit entlaubt, alle Wohlgerliche find. verſchwun⸗ 
den, alles iſt todt und lebenſos. Warum-fällen wir 
im Sommer kein Urtheil uͤber ihn, das der Anſicht, 


die er im Winter gewährt, entſpricht? Warum fagen 


wir alſo das Gegentheil von der Seßtern.aus? „Der 


Augenſdein beſtaͤtigt die Wahrheit unſers Urthei⸗ 


les?“ Was iſt der Augenſchein? Die Sinne urthei⸗ 


len nicht und koͤnnen daher weder etwas verneinen 
moch bejahen. Sie verhalten ſich bloß leidend , ohne 
eetwas uͤber Die Art der Eindruͤcke, welche die äußern 


Gegenſtaͤnde auf fie machen, entfcheiden und ohne 
beftimmen zu koͤnnen, ob eine Eigenfchaft- wirk⸗ 
(ih außer uns Realität Hat und alfo wirklich irgend 
einem Gegenſtande zufomme oder nicht. Der Vers 
ftand urtheilt allein. Er ift das Vermögen, bas 


\ 


. . 














durch bie Sinne Stoff zugefüßrt erhält und ben Ge⸗ 


genftänden Bedeutung und Realität - giebt. + Was 
wir durch Eindrücke auf die Sinne empfangen haben 


amd was ·der Verftand geordner und verbunden. hat, 


und was alfo als in dem Gegenflande enthalten ans 


gefchauet und gedacht wirb, das ift wirklich. Sein 


Dofeyn kann nicht weiter geleugneg werden. Es 
iſt entweder irgendwo ober irgendwann vorhanden, 
es eriftiet als Etwas, das entweder einen Raum eins 


nimmt, ober die Zeit erfüllt und iſt entweder ein Koͤr⸗ 


Her oder eine Veränderung. Bei der Enefcheidung 


über feine Wirflichfeit hat der felbfiehätige Verſtand 
den gefunden Sinnen zum Führer gedient, und unfere 


Aufmerkſamkeit wirb durch Prüfen, Vergleichen und 


Forſchen zur Wahrheit geleitet und wir lernen ein⸗ 


» 
. 


feben, : warum einer Erſcheinung dieſes oder jenes. 


fcheiden. ' Betrachten und Ueberlegen vergewiſſert 
uns allein der Wabrheit unſers Urtheils. — 





Wenn man viele und mancherlei Verbindungen 


und Trennungen der verſchiedenen Gegenſtaͤnde und 


Merkmal beigelegt wird, und warum Andere von 
derſelben ausgeſchloſſen werden. Bloß auf dieſe 
Weiſe find wir im Stande, den Schein von der 
Wirklichkeit, das Falſche von dem Wahren zu unter⸗ 


desjenigen, was ſie enthalten, vornimmt, ſo gelangt 


man bald dahin, daß man Erſcheinungen verſtehen 
und ſie nach ihrem Zuſammenhange und nach ihrer 
Urſache erflären lernt. Damit man aber auf einmal 


keine allzu großen Sprünge in feiner - Bildung zur 


Selbithatgzten der Denkkraft mache und dem Ver⸗ J 


C.2 


. u 
“ [2 


Sande das Gefchäft des’ Denfenferneng zu fehr ers 

Schwere, muß man von der Verbindung eines Präs 

dikats mit dem Subjekte oder von deffelben Trennung 

' zur Bergleichung der Dinge unter einander übergeben. 

Dies erleichtert das Denken, weil man von dem Bes 

kannten zum Unbekannten fortfchreicer und ber Reiz 

.. des Meuen, der Aufſchluß uͤber das Unbekannte, den 

Seife erquickt und ſtaͤrkt. Man muß alſo zu ergelins 

den firhen, worin die Aehnlichkeit und die Verſchje⸗ 

denheit zwifchen zwei Gegenftänden, z. B. zmijchen 

dem Dienfchen und dem Thiere, zwifchen dem Thier⸗ 

und. Pflanzehreiche, zroifchen dem Fluß --und zwiſchen 

dem Seewafler, zwiſchen Dem Monde und ber Sonne 

beſteht: man nıuß genau auf dasjenige feßen, was fit 

- einander ähnlich und. was fie einander unaͤhnlich 

we macht. Es giebt faum eine. angenehmere Befchäftis 

gung und fruchtbarere Gelegenheit, Stoffe zum Dens 

fen einzufammeln und die Denkkraft zu üben, als 

diefe Wergleichung der Gegenftände. - Nur komme. 

‚bei diefer Art. von Geiftesübung fehr viel auf Die Deuts 

He Einfiht.an, warum und worin ein Gegenftand 

eine Aehnlichfeit oder eine Unaͤhnlichkeit mit einem 

. Andern hat. Wir dürfen daher unſer Nachdenken 

. nicht eher von demfelben wegwenden, als bis wir den 
Grund unferes Urtheiles genau erforfcht haben. 





Hat man nunmehro viele und mancherlei Ver⸗ 
gleihungen angeftelle, fo muß man zur Erforfchung 
der Urſachen der Erjcheinungen übergehen und untere 
ſuchen, woher dieſe Wirkung, die wir gewahr wer 
den, rüber und wie fe entſteht. Zu nichts ift der 


Kuh, ° — a.) j y " . - 





menfchliche Geiſt aufgelegter und geneigter, als zu 
der Ergruͤndung der Urſachen der Dinge, weil dieſe 
Art der Unterfuhung die eigenthuͤmlichſte Thaͤtigkeit 


. feines Wefens ausmacht und alfo aus einem Nature 


gefeße deſſelben entſpringt. Damit aber der Ver⸗ 
ftand fters diefes Gefeß befolge und damit demfelben 
nicht durch eine widernatuͤrliche Anmweifung entgegen» 
gearbeitet werde, (denn durch die Gewalt und die Bers 


kehrtheit des Unterrichtes ann man felbft die Natur 


in ihren eigenthuͤmlichſten Aeußerungen von dem Pfade 


abbringen, der ihr ganz befonbers eigen ift) muß man . 


feinen Geift in der Jugend weder durch tolle Mährchen, 


noch durch einen unzeitigen Glauben an überfinnliche _ 


Dinge, noch durch unnatürliche Genüffe, noch durch 


vergebliche Beftrebungen verfrüppeln, ſondern man 


muß getreulih und getroft den Trieben, Die fich in ung’ 
offenbaren, und: dem inftinfrareigen Beſtreben, 
Das unfere Denkkraft äußert, überlaifen. Der Na⸗ 
sur folgen heißt den Forderungen ber Vernunft ge⸗ 
bordyen. Wer. nod) niemals von dem Pfade ber Nas 
gur abgewichen und wer noch unverdorbenen Herzens 
iſt, bei dem find Gefühle und Triebe die beften Fuͤh⸗ 


rer. Die Natur hat den Verirrungen und Ausfchmeis 


fungen bes Geiftes durch lebhafte Gefühle vorzubauen 


“ 


gefucht, fo lange wir des Gebrauches unfers Ver⸗ 


ſtandes noch nicht fo maͤchtig find, daß wir alles, 
was wir zu thun haben, aus Einfiche in die Gründe 
des Geboten⸗ oder Verbotenſeyns thun ober unters 
laffen, und fo lange wir noch nicht unfern Gemuͤths⸗ 
zuftand fo weit kennen und beherrſchen, daß wir uns 


in allen Dingen willkuͤhrlich zur Befolgung der Se | 


fege unfers Geiſtee beſtimmen. 


— 


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Das Forfchen und Erflären nach Urfachen muß 


‘mie ſolchen Erfcheinungen angefangen werden, bie 
nicht ungewöhnlich find und wo der Grund ihres Das 
ſeyns leicht aufzufinden ift. Es donnert, was ift ber 


Donner und woher entfieht er? Es gefriert, was ift 


die Urſache des Sroftes? Es giebt verfchiedene Racen 


1 


von Menfchen, was ift der Grund dieſes Unterfchies 
des und wie entfteht er? Hierauf gehe man zur Ente 


wickelung und Aufloͤſung fehwererer Aufgaben fort, ' 


bie mehr Anftrengung und Einfühten erfodern, wenn 
fie erfläre werden follen, 3. “Bd. wie kann Wahn 


" finn entſtehen, da doch die Denffraft urfprüngliche 


Geſetze hat, welche feiner Veränderung unterworfen 


. find? Welches ift die Urſache von Erdbeben? Wars- 


um verwechjelt der Menfch häufig feine Vorſtellung 
mit dem. vorgeftellten Chegenftande? Was ift die Ur⸗ 
fahe, daß Griechenland. und. Rom in ihren jegigen. 


Ze elenden Zuſtand herabgeſunken ſind? — Ie laͤnger 


Ps 


ð? 


und je mehr man ſich in der Aufloͤfung ſolcher Auf⸗ 


gaben geuͤbt hat, deſto mehr Kraft und zuft bekommt 


unfer Geift, ſich fo viel als möglich alle Erfcheinuns 
gen in. der Welt zu erklären. Mach einiger Geuͤbt⸗ 
beit im Denken kann ınan zur Verfolgung und Aufs 
loͤſung ganzer Reihen von Erfheinungen übergeben, 
4 B. Kant entdeckte die urfprünglichen Geſetze des 
menſchlichen Geiſtes, wie fieng er es an, daß er 
etwas erreichte, wornach die groͤßten Denker aller 
Zeiten vergeblich geſtrebt hatten? — Der Küpnfe 
iR immer der Gluͤcklichſte, wie geht Dies zu?, 

Den Tugendhaften achtet man, den Mann aber, | 
der bloß große Geiftesgaben befige, bewundert man, 
woher ruͤhrt dieſer Unterſchied unfers Beifalles? — 











En 


Ein Menſch ermorbet den Andern, welches iſt die 


Urſache dieſer ſchrecklichen That? Eiferſucht? Was 
iſt dieſe? Woher iſt ſie entſtanden und wie kann dieſe 
zu einem ſolchen Verbrechen verleiten? Der Menſch 


hat ja einen Abſcheu vor einer unnatärlichen That, 
. ber ihn von derfelben abzuhalten ſtrebt. Er kann 


und foll ja feine teidenfchaften bändigen und fich vor 
dem Unrechtthun hüten, woher fam es aber, baß ber 


° Mörder :dies nicht that? Er hat theils ein fehr reiz⸗ 


bares Temperament, theils hat man ihm in der Zus 


‚ gend eine Menge Fehler und Ungerechtigkeiten unges 


ftraft Hingehen laſſen. Es fehlte ihm daher. ſowohl 
an Staͤrke und Kraft, als an Luſt und Willen, feis - 
nen Begierden Einhalt zu thun. Iſt denn aber die 
Tugend eine Gewohnheit und kann fie erlernt. wers 
den? Man foll ja alles, :was diefen Namen verdienen 
will, aus Freiheit und aus Achtung gegen bie Ver⸗ 
nunft thun? Man muß alfo aus eigener Kraft han⸗ 
deln und allemal gleichfam von vorne anfangen, wenn 
man, moraliſch gut handeln will, Und ift. die Ges 
webliheit nicht gerade das Gegentheil von der Tu⸗ 
gend? Was wir gewohnt find, ift ung leicht auszus 
führen; Hingegen einen ftets.tugendhaften tebenswans 
del zu leben, welche Anftrengungen, welche Vers - 
leugnungen, welche Aufopferungen Poftet uns dies 
nicht und ‚weiche Aufmerkſamkeit und Befonnenpeit 


iſt nicht erfoderlich, wenn wir niemals die Bahn des‘ 


echtes und der Tugend zu verlaffen in Verfurhung - 
gerathen wollen! Welche Widerfprüche zeigen fich nicht 
alſo“ Der Menfch ſoll moraliſch gut handeln und er 
lebe gortlos, er foll. allezeie rechtlich verfahren und er. 
begeht Verbrechen! Wie gleiche man dieſen Wider⸗ 


— 


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4 


ihren Kindern laͤhelnd und ihre Gefchietlichkeit bes 


wundernd kleine Diebftähle; — ‚ein junger Menſch 


geht ſtets mit denkenden und hochherzig geſinnten 
Maͤnnern um, welches find nun die Folgen, welche 


die hier angeführten Beiſpiele als aufgeſtellte Urſachen 
hervorbringen? Wie geht es zu, daß ſie gerade dieſe 
and feine andern Wirkungen Haben und" was erfolge 


- "alsdann; wann noch Nebenumſtaͤnde auf biefe Ers 


feheinungen einwirfen und wie werden fie alsdann 
modifizirt? Wird ihre Wirkfamkeit erhoͤhet oder vers 
mindere, in welcher Geftalt erfcheinen ihre Folgen 


und welches find die Refultate, u. ſ, p. Den Be⸗ 


ſchluß in dieſer Art von Denfübungen muͤſſen ſehr 
verwicelte und folgenreiche Erſcheinungen machen. 


gJemand hat einen Schlag auf den Kopf erhalten, 
verſchwunden iſt für ihn die Vergangenheit und die 


Zukunft, er bemerkt ganz neue und ungewöhnlihe - 


Erſcheinungen, er fann fie aber weder faſſen noch ſich 
erklaͤren u. ſ. w. Ein junger Menſch liebt den Um⸗ 
gang mit liederlichen, aber kuͤhnen und entſchloſſenen 


Leuten, welches werden die Folgen von dieſer taͤglichen 
Geſellſchaft ſeyn? | Bu 





"Haben wir in der Erforſchung der Urſachen und 


: ihrer Wirkungen eine große Geſchicklichkeit erlangt, 


fo müfjen wir zur Beantwortung folgender Fragen 


uͤbergehen, 1) wozu ſind dieſe Erſcheinungen vorhan⸗ 
den? ) Sind fie nothwendig oder entbehrlich? Und. 


3) find fie mehr nuͤtzlich als ſchaͤblich? Was haben 
3,9. Winde, Gewitter, für einen Mugen? Sie Des 
foͤdern die Fruchibarkeit der Erde,- und erhalten die 








_ 3 — 
Gelundheit der febendigen Weſen, aber bie beingen 
ſie dieſe Wirkungen hervor und iſt ihr Daſeyn in der 
Reihe der Erſcheinungen durchaus nothwendig? Was 
haben Traͤume fuͤr einen Zweck? Sind dieſe Ruhe⸗ 
ſtoͤhrer zum menſchlichen Leben unentbehrlich? Sie | 
find die Erhalten des Lebens, das bei der völligen Uns 
thätigfeit aller äußern Organe während des Schlafes 
gänzlich aufhören würde; fie erhalten die Jebensgeiz 
fter in Bewegung ,' damit unfere Mafchine nicht in 
eine gaͤnzliche Stockung gerathe. J 


Wie kann man aber den Nutzen und den Zweck 
einer Erſcheinung kennen lernen? Der Weg, worauf 


man zu dieſer Einſicht gelangt, find Beobachtung 


und Experimente. Aber wie ſtellt man Beob⸗ 
achtungen an? Man faßt 1) die Erſcheinungen, die 
das Weſen eines Gegenſtandes dusmachen, rein und 
vollſtaͤndig auf, 2) iſt man auf die verſchiedenen 
Wirkungen aufmerkſam, Dig irgend etwas hervor⸗ 
bringt, und 3) denkt man dieſe gänzlich hinweg. 
und ſieht, welchen Erfolg das Nichtſeyn derfelben 


in dem Conterte der Erfahrung hat und welches Res  " 


fultat ſich endlich aus dem Ganzen ergiebt, z. B. 
Es hat lange weder geregnet, noch gewittert, no) ein 
Wind geweht; aus dem Ausbleiben der Folgen, 
welche fonft fichtbar find, wenn Diefe Raturerſchei⸗ 
nungen nicht fehlen, ſchließt man auf die Wirkungen, 


welche ihnen eigenthuͤmlich ſi ſind. 


Experimente kann man entweder durch kuͤnff⸗ 
liche Werkzeuge oder durch bie Unterfaffung- einer 
Sache, die man fonft gewöhnlich thut, oder durch 


- . ⸗ 








: "man dahin, daß man ekfährt, welches die eigenthuͤm⸗ 


| berausgeſucht werden muß. 


— 4 — 


die Ausfuͤhrung von etwas uUngewoͤhnlichem aͤnter 
dieſen oder jenen Umſtaͤnden anſtellen. Man wuͤnſcht 


den Einfluß der Elektricitaͤt auf die menſchliche Ge⸗ 
ſundheit zu erfahren, man macht deshalb z. B. in 


. einer Augenkrankheit von der Elektriſirmaſchine Ge⸗ 
brauch, um den Erfolg kennen zu lernen, den dieſe 


Erſchuͤtterungen und elektriſchen Einwirkungen auf 
den Koͤrper haben. Oder man ſetzt eine oder ein 


paar Mahlzeiten aus, wenn man eine Unpäßlichkeit 


verfpürt und hierdurch fernt man einſehen, daß ſi ch 
die Natur ſelbſt hilft, wenn wir das gewoͤhnliche 
Eſſen unterlaſſen: man hat eine Zeitlang keine friſche 
reine Luft in ſein Wohnzimmer eingelaſſen, welche 
Folgen aͤußert dieſe Nachlaͤßigkeit auf den Koͤrper 


und auf den Geiſt des Menſchen? Oder man ſucht bei 


einer Unpaͤßlichkeit eine, große Geiſtesanſtrengung 


ı ‚erfodernde, Lektuͤre auf, und man bemerkt bei dieſer 


Art von Beſchaͤftigung, daß ſie z. B. bie Kopfs 
fhmerzen vertreibt, oder man fühlt ein Uebelſeyn, 
wenn man fich eine Zeitlang in einem verfchloßnen 


Zimmer aufgehalten bat, in welchem viele Blumen 


fieden. Unterſucht und vergleiche man nun die vers 


ı .. fihiedenen Zuftände, die durch das Dafeyn «der 


Nichtdaſeyn einer Sache bewirkt werden, fo gelangt 


liche Wirfung derfelben ift und welche Erfcheinungen 
nicht von ihr abhängen. Mur auf diefe Art erfämpft 
der Menfch Wahrheit, die unter den Trümmern ber 
Gegenftände und ays dem Chaoe der Erſchemnungen 





v⸗ 








\ 


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* Dir sen ann den deecen dach im Un 
| 


fachen de Grhinungen wigen TE“ Zn 
Hand mit cunde gehen , und rit mir eek 
hieß de hijth nnd den Nohen eier Zitaen 
Gare u efonen hen, ehne 35 de 68) 
fachen, mie getde dieſe und feine andern & Dıtrrn 
erfolgen, ſi tgrunden. Wer mag, det da ii. 
zur Erhaltung des \eheng Diınen, mh id z.2 d 
mühen infhen ju lerne, mie et gätt, BEIM 
Abfiht dund ſe ereicht mir und water es fee 
daß ſe mur manchmal zu unſetm Ser.titen sr a 
gen, und mer eine Kenneni& von ben Der: Bi rg 
der Vlatter der Vüume, der Yreile des ei * " 
Korps u fm. hat, nich ach die Yan 
Weſe, vie die zueke mat weten, arte 
fuchen. Die Regeln, welche mon bi ie 
Nachdenken über die Eriheinungen nirmals are Ne 
Augen Aerlieren darf, find daher felgende: kei “ 
Wirkung if ohne eine vrhergehunde un 
ode und vmgelehrt, keine Urfapı iſ ni 
eine nachfolgende Wirkung und Wa 
ſcheinung hat einen Zwed, ß. on 
burd) ihe Daſeyn in dat Ganze sun 
—8 ein und trägt entweder ts 
ung oder zur Aerhorung vut 
. Theile deſſelben hei Mn “ 
ü ' katurmire 
an wi F das Kehnliche jeht —* 
einander b ——— N 
eirze fit Waning: Ve tt Eieſt ben. 
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ung de tebenstunktionn aheauhe, Pe % 
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ſich nicht. anf 


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iehen fuͤrchtet, 
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un von ſolchen 


sifert- befreien? 
ſich ausrotten, 
habe, außer 
wirkt worden 
r aͤußern. Na⸗ 
Natur in ſich 


ie Geſchichte 
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wdieſen uns 


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bie Ausführung von etwas Ungewoͤhnlichem Inter 
dieſen oder jenen Umſtaͤnden anftellen.. Man wuͤnſcht 


den Einfluß der Elektricitaͤt auf die menſchliche Ge⸗ 
fundheit zu erfahren, man macht deshalb z. 3. in 


. einer Augenfranfheit von der Efeftrifiemafchine Ger - 
brauch, un den Erfolg kennen zu fernen, den biefe 


Erſchuͤtterungen und elektriichen Einwirkungen auf - 
den Körper haben. . Ober man fegt eine: ober ein 


.. paar Mahlzeiten aus, wenn man eine Unpaͤßlichkeit 


verfpurt und hierdurch lernt man einfehen, daß fich 
die Natur felbft hilfe, wenn wir Das gewöhnliche 
Eſſen unteslaffen: man bat eine Zeitlang feine frifche 
reine Luft in fein Wohnzimmer. eingelaffen, melche 


Folgen äußert dieſe Nachlaͤßigkeit auf den Koͤrper 
und auf den Geiſt des Menſchen? Oder man ſucht bei 


einer Unpaͤßlichkeit eine, große Geiſtesanſtrengung 


ı erfodernde, Lektuͤre auf, und man bemerkt bei dieſer 


Are von Befchäftigung, daß ſie z. B. bie Kopfs - 
ſchmerzen vertreibt, oder man fühle ein Webelfeyn, 


wenn man ſich eine, Zeitlang in einem verfchloßnen 


Simmer aufgehalten bat, in welchem viele Blumen 
fieden. Unterſucht und vergleihe man nun ‚Die vers 


ı „ fihiedenen Zuftände, die durch das Daſeyn oder 
Nichtdaſeyn einer Sache bewirkt werden, ſo gelangt 


man dahin, daß man eekfaͤhrt, welches die eigenthuͤm⸗ 
liche Wirkung derſelben iſt und welche Erſcheinungen 
nicht von ihr abhaͤngen. Nur auf dieſe Art erkaͤmpft 
der Menſch Wahrheit , die unter den Trümmern der 
Gegenſtaͤnde und ays dem Chaos der Erſcheinungen 
beransgeſucht werden muß. 





e 








kun 45 — 


Die je Gragen nach den Zwecken und nach den In 
fachen der Erfcheinungen muͤſſen endlich "Hand in 
Hand mit einander gehen, und wir müffen meder 
bloß die Abfiche noch den Nußen oder Schaden einer 
Sache zu erforſchen fuchen, ohne zugleich die Urs - 
fachen, wie. gerade diefe und feine andern Wirkungen 
erfolgen, zu ergründen. Wer weiß, daß die Träume. 
zur Erhaltung des Lebens dienen, muß ſich auch bes. 
mühen einfehen zu lernen, wie es zugeht, daß diefe 
Abficht durch fie erreicht wird und woher es koͤmmt, 


daß jie nur manchmal zu unferm Bewußtſeyn gelans _ 


gen, und wer eine Kenntniß von den Verrichtungen 


der Blätter der Bäume, der Theile des menfchlichen . - 
- Körpers u. fe w. bat, muß auch Die Art und 


Weiſe, wie dieſe Zwecke erreicht werden, aufzufinden 
ſuchen. Die Regeln, welche man bei ſeinem 
Nachdenken uͤber die Erſcheinungen niemals aus den 

Augen verlieren darf, ſind daher folgende: keine 
Wirkung iſt ohne eine vorhergehende Ur⸗ 
fade und umgefehre, Feine Urſache ift ohne 
eine nachfolgende Wirkung und jede Er— 
f(heinung hat einen Zwed, fie greift 
durch ihre Dafeyn in das Ganze der Er 
fheinungen ein und trägt entweder zur 
Erhaltung oder zur Zerftörung von ei 


nem Theile deffeiben bei. Alle Naturwir-· 


kung ift ein fteter Kampf; das Aehnliche zieht einan« 
der an und. das Unaͤhnliche und Widerſtreitende ſtoͤßt 
einander ab. Dieſer ewige Krieg der Stoffe bewirkt 
eine ſtete Verwandlung: die todte Materie wird 
durch den Organismus angezogen und zur Verrich⸗ 
tung der Lebensfunktionen gebraucht. Endlich. loͤßt 


% v 


& 


— — — — — — — —— — — 
— 


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— 46 Br 


und trennt ſich alles wieber von einander, um neue 
Verbindungen einzugehen und in neuer Geſtalt zum 
Vorſcheine zu fommen. Das Denfen muß hierin 
der Natur nahahmen, durch Trennen und Verbin⸗ 
ben muß ber menfchliche Geift ftets neue Verwandlun⸗ 
gen vornehmen, um fich forsohl dadurch zu:ernähren _ 
und zu flärfen, als fih auch neue Wege zu unbekann⸗ 
ten Eroberungen in feinem Innern und in der t aͤußern 
„Natur zu bahnen. 


\ 


Durch die angefüßrten Geiſtes beſchaͤftigungen 
lernen mir alfo ſelbſt denken, wie geht dies nun zu? 
Selbſtdenken heißt ſich in allen Dingen ſeines eignen 
Verſtandes bedienen und ſtets nach eigener Einſicht 


etwas für-wahr oder für unwahr erflären. Wenn 


man nun alles, was ift und gefchieht, prüft und ſich⸗ 
tet, wenn man ftets auf die Gedanfenjagd ausgeht 
und den Stoff zu allen Borftellungen ſelbſtthaͤtig auf⸗ 
greift und bearbeiter,. fo verfchaft man feiner Denk⸗ 
kraft eine große Fertigkeit. Diefe Fertigkeit im Den⸗ 
ken if das Selbftdenfen. Uebungen im Nachdenken 
flößen ung zugleih Much und Stärke ein, und wenn 
unſer Geift Kuͤhnheit und Kraft errungen har, fo 
verlaͤßt er ſich in keinem Stüde und bei feinem Ge- 
ſchaͤfte glänbig mehr auf die bloße Ausfage Anderer, " 
fondern zieht, was er hört und ſieht, vor fein eigenes 
Forum und entſcheidet über die Wirklichfeic deffelben 
nach eigenem. Wiffen und Gewiſſen. Alles Lebende, 
was ohnmaͤchtig, ſchwach, ſchuͤchtern und ungeſchickt 
iſt, wird durch dem Öfteren Gebrauch deſſelben ſtark, 
muthig und gewandt, und fo lerne unfere Deukkraft 





⏑— 


— — 


aüch Sur) Uebang Pr dutch fh reis nach genen 
Sſchen beſtimmen. — tan 


( ta “ X 


Allein Vorurtheile und Abergiaube treten ih 


ſehr fruͤhzeitig ‘dem feldfteigenen Gebrauche unfere 
Werftandes in den Weg und’ fchreden diefen durch : 

Furcht vor Gefahren oder vor. Rachtheilen von jeden _ 

eigenen Verſuche ab. Man fehre uns unbegreiflihe 
Diage und dringt fie. uns als heilig und unantaftbar 
auf; nur der Glaubige foll der in diefen Lehren vers 
Heißenen Vortheile theilhaftig werden, nur er ‚ber 


unter Geheimniffen "und: Wundern. herummsandek, 


wird für einen: Fronnnen und für einen Liebling der 
Gottheit erklaͤrt. Durch dieſe Saͤtze wird” unſer 
jugendlicher Geiſt betaͤubt, und wagt ſich nicht auf 
fi: folbft zu verlaſſen, weil ex theilkß in Irrthuͤmer zu 
gerathen, theils ſi ſich ein Schickſal zuzuziehen fürchten, _ 
das die Einbildungskraft mit allem, was ſchrecklich 
iſt, ausſchmuͤckt. Wie kann man ſich nun von ſolchen 


auf dieſe Arc uns eingeimpften Borurtheilen.befreien? - 


Wie kann man den Wahnglauben in fih ausrotten, 
Daß etwas anders Werth und Würde habe,- außer . 
was durch unfere eigene Thaͤtigkeit bewirkt worden 
if. Dan muß: häufig den Umgang ber äußern, Na⸗ 
‚eur auffuchen, um durch denfelben Die Natur in fi 
wieder ins Leben zu rufen; man muß. die Öefchichte - 
mehrerer Ölaubensarten ftudiren, dem Intellektuellen 
Durch das Moralifhe zu Huͤlfe kommen und jenes 
Durch dDiefes begeiftern, das Widerfprechende, Frevel« 
bafte, Empörende und Unbegreifliche in biefen uns 
als heilig aufgedrungnen Lehrfäßen berausheben, und 
die Unterfuchungen. des Verſtandes durch ‚das. Herz 


-_ 


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En 8. _ | | 
qu leicen ſuchen. Stirnen wir mit ſolchen Waſſn 


auf diefe Sehren ein, To werben wir bald die Scheu 


verlieren, bie wir vor ihnen haben, bag Thoͤrigte und 
Ungereimte, das fie enthalten, einfehen fernen und, 
fie als Erdichtungen und Gefpenfter. durch die Wahr⸗ 
; heit verdrängen, welche ftets aus einem - gefunden 
Kopfe und aus einem guten Herzen Heroorfließe, wenn 
man nur einige von den Dinderniffen wegfchaffen will, 
die ihre Lebensthaͤtigkeiten hemmen oder verwirren. | 
Allein es giebt auch Dinge, beren Knbenten 
‚man mit Gewalt aus feinem Gedaͤchtniſſe verdrängen 
muß; weil fie Kopf und Herz beſtricken und betaͤuben 
unb: beide der Gefahr ausfegen, ben ihnen eigen⸗ 
thuͤmlichen Geſetzen gaͤnzlich entwoͤhnt zu werden. 
| Dergleichen Vorftellungen fann .man nun nicht: anders 


ausrotten, ‘als daß man fie anfänglich auf bie Beide 


zu ſchieben und fie abfichtlich zu vergeffen ſucht, 100: 
‚Durch fie ihren Einfluß auf unfer Gemuͤth verkeren: 
durch den Nichtgebrauch wird ihr Einfluß geſchwaͤcht 
und endlich verſchwinden ſie gaͤnzlich als Schattenbil⸗ 
der. Solche Phantome ſind ein großes Hinberniß 
beim Selbſtdenken, weil ſie den menſchlichen Ver⸗ 
ſtand durch Furcht laͤhmen, und es giebt nicht leicht 
einen groͤßern Feind der Muͤndigkeit der Menſchen, 
als ſolche Vorſtellungen, die wir gleichſam ſchon mit 
der Muttermilch einſaugen und die unſern Geiſt mit 
Unbegreiflichkeiten und Schreckensgeſtalten anfüllen, 
Allein wenn der Menſch ſich ihrem Deſpotismus zu 
entziehen wirklich Luſt hat, ſo darf er es nur ſtandhaft 
wollen; es wird ihm endlich durch ausdauernde Ans 
* . firengungen gelingen, ‚mas ihm anfänglic) unmoͤglich 


‘ ’ 
b . 














— 4— J 


ſchien und er wirb die Bande zerſprengen, velhe 


feine freie‘ Tpätigfeit gefeſſelt halten. Wenn er alle 
Dinge durch ſich ſelbſt zu verſtehen lernen ſucht, wenn 
er alles nach vernimftigen Gründen zu erforfchen und 
alles durch. Freiheit zu erobern ſtrebt, dann wird fein 
Verftand bald aus der ſelbſt verfchuldeten Unmündigs - 
keit herausgehen und in allem feine Senſebatsten 
und Selopfänbigtei bemeifen koͤnnen. 





V. Capitel — J J 


Reihe Kegeln und Marimen *) muß man 
beim Denken beodachten, um gebaltreid 
und richtig denken zu lernen? 


* 


[U] 


Bei allen Geſchaͤften des menſchlichen Lebens kann 


man gewiſſe Kunſtgriffe anwenden, durch deren Ge⸗ 


brauch man ſicherer, fruͤher und glücklicher zu dem. 
beahfichrigten Zwede gelangt, als. es ohne biefelben 
der Fall gervefen feyn würde, Was nun von förpers 
lichen Arbeiten gilt, kann mon auch) auf: geiftige Opes 
rationen anwenden. Jeder Kuͤnſtler muß ſich zwar | 
ſelbſt erziehen, er wird nicht gefchaffen, alles muß er 

durch ſich ſelbſt werden: der Denkkünſtler iſt daher 


5) Kegeln find Vorſtellungen, welche ſagen, wie man 
einen Zweck erreichen kann, und Marimen find 
Vorſchriften für ven Willen, welche von dem Inter⸗ 
effe ber Vernunft in Anfehung einer gewiſſen Volke 

kommenheit der Erfenntniß eines Objeltes herge⸗ 
nommen find. 

Kunſt zu denken. DD e 


— 


J nn 48 — | | 
zu leiten fuchen. Stuͤrmen wir mit folchen Wäffen 
auf dieſe Lehren ein, To werden wir bald die Scheu 
verlieren, bie wir vor ihnen haben, das Thörigte und 
‚ Ungereimte, das fie enthalten, einfehen lernen und. 
fie als Erdichtungen und Geſpenſter Durch die Wahts 
- heit verdrängen, welche ftets. aus einem gefunden 
Kopfe und aus einem-gusen Herzen hervorfließt, wenn 
. "man nur einige von ben Hinderniffen wegfchaffen will, 
die ihre Lebensehätigfeisen hemmen oder verwirren. 
Allein es giebt auch Dinge, deren Andenken 
‚man mit Gewalt aus feinem Gebächtniffe verdrängen 
muß, weil fie Kopf und Herz beſtricken und betäuben 
unb: beide der Gefahr ausfegen, den ihnen eigen⸗ 
thuͤmlichen Geſetzen gänzlich .entwöhnt zu werden. 
Dreergleichen Vorftellungen kann man nun nicht anders 
ausrotten, als daß man ſie anfänglich auf Die Seite 
zu ſchieben und ſie abſichtlich zu vergeſſen ſucht, wo⸗ 
durch fie ihren Einſluß auf unſer Gemuͤth verlieren: 
durch den Nichtgebrauch wird ihr Einfluß geſchwaͤcht 
und endlich verſchwinden ſie gaͤnzlich als Schattenbil⸗ 
der. Solche Phantome find ein großes Hinberniß 
beim: Seldftdenfen, weil fie den menfchlichen Ver⸗ 
ftand durch Furcht lähmen, ‚und es giebt nicht feiche 
einen ‚größern Feind der Muͤndigkeit der Menschen, 
ats folche Vorſtellungen, die. wir gleichfam fchon mit 
der Muttermilch einfaugen und die unfern Geiſt mie 
Unbegreiflichfeiten und Schreciensgeftalten anfüllen, 
Allein wenn der Menſch fih ihrem Defpotismus zu 
entziehen wirklich Luſt bat, ſo darf er es nur ftandhaft 
wollen; es wird ihm endlich durch ausdauernde Ans _ 
. . firengungen gelingen, was ihm anfänglich unmoͤglich 


‘. 
ı 


7 49 — J 
ſchien und: er wirb die Bande zerſprengen, velhe 
feine freie Thaͤtigkeit gefeflele halten. Wenn er alle 
Dinge durch ſich felöft zu verſtehen lernen füche, wenn 
ex alles nach vernünftigen Gruͤnden zu erforfchen und 
alles durch. Freiheit zu erobern ſtrebt, dann wird fein 
Verftand bald aus der ſelbſt verſchuldeten Unmündigs 
. Bit herausgehen und in allem feine Selbſtthaͤtigkeit 

und Selbſtſtaͤndigkeit beweiſen kͤnnen. 





Beide Kegeln und Marimen *) muß man. 
beim Denken beodachten, um gehaltreich 
3* und richtis denken zu lernen? 


a 


[U [U] 


Dei allen Geſchaͤften des menſchlichen Lebens kann 
man gewiſſe Kunſtgriffe anwenden, durch Deren Ge⸗ 


brauch man ſicherer, fruͤher und glücklicher zv dem 
beabſichtigten Zwede gelangt, als. es ohne dieſelben 
der Hall geweſen ſeyn wuͤrde. Was nun von koͤrper⸗ 
lichen Arbeiten gilt, kann man auch auf geiſtige Ope⸗ 
rationen anwenden. Jeder Kuͤnſtler muß ſich zwar 


ſelbſt erziehen, er wird nicht geſchaffen, alles muß er 


Durch ſich ſelbſt werden: der Denkkuͤnſtler iſt daher 


5) Regeln find Vorſtellungen, welche ſagen, wie man 
einen Zweck erreichen fann, und Marimen find | 


V. Capitel, re 


Borfchriften für den Willen, welche von dem inter 


eſſe der Vernunft in Anfehung einer gewiſſen Voll⸗ 


kommenheit der: Erkenntniß eines Objeltes herge⸗ 


nommen ſind. 
Kunſt zu denken. D 


—3 


4 


ı 
[_S 


8 


52 


mug entweder durch Velehrung Anderer oder dütch⸗ 


eigenes Nachdenken darauf kommen und daſſelbe für. 
‚Wahrheit.halten koͤnnen. Es muß daher auch allge⸗ 
mein mittheilbar und verſtaͤndlich ſeyn: denn: wäre‘ 


es dies nicht, ſo haͤtte es wicht die. Erfoderniſſe, wie: 


wir vorausſetzten. Jede Behauptung, jeder Sab,ı 
jede Letzre muß fuͤr alle gelten koͤnnen, wenn ſie wahr 
und gegruͤndet ſeyn ſoll, ſo bald fie fich zur Die Muͤhe 7 
geben wollen, dieſelbe verſtehen zu lernen. Daß: im:: 
- Seüplinge, bie Bäume ausfehlagen, dieſe Behauptung 
ift für Alle wahr; daß aber. ein Verſtorbener feinewt.: 
Sreunde nach feinem. Tode erfchienen fen, ober- daß 
jemand taufend Sabre gelebt babe, dieſe Ausfagen » 


\ 'erffären wir für unwahr, teil fein Grund ihrer Moͤg⸗ 


lichkeit weder in der menſchlichen Natur, noch in ber - 
Erfahrung aufgefunden werden fann. Amt meiften - 
leuchtet die Richtigkeit des Saßes, daß jebe Be⸗ 
hauptung, welche wahr ſeyn will, für.alle gültig fern 
kodlmen muß, bei Gegenſtaͤnden ein, welche zur Mo⸗ 
ral, zur Rechtslehre, zur Logik und zur Mathematik J 
gehoͤren. Wir mißbilligen jede Handlung und jedes 
Verfahren des Andern,' das eine Ausnahme vordie⸗ 
fer. Regel der Allgemeinheit macht; wenn jemand be⸗ 
hauptet, man dürfe um feines Vortheiles willen 
fügen, fa erflären wir. fogleich, daß die von ihm in 
Schuß genommene. Kandlungsweife nicht allgemein 
gektend, fegn koͤnne und daß fie folglich unwahr, d. 6. 
hier unmoralifch fey: wenn jemand fagt, er habe aus 
„Mangel an Zeit fein ung gegebenes Berfprechen nicht 
halten koͤnnen, fo werden wir unwillig, daß er ung 
durch ein Betragen, wo die Marime, Die bemfelben 


w. 


—X 


zum Grunde liegt, nicht allgemein ſeyn kann, hin⸗ 


N 








53 — 
rergangen hat: wenn jemand lehrt, dag man dein 
Geſetze im Staate nicht immer zu gehorchen brauche, 

ſo iſt dies eine Behauptung , welche nicht allgemein 
ſeyn kann und welche folglich unrichtig iſt: denn ein \ 
Geſetz ift eine allgemeine Vorfchrift für den Willen 
‚Aller, bie der Souverain giebt und bie ung fo lange 
- als Nationalwille verbindet, als fie nicht öffentlich 
aufgehoben worden iſt. Und in welchen Fällen waͤren 
wir berechtigt, dem Geſetze als Ausſpruche des öffente 
lichen Willens nicht zu gehorchen? Jedes Gefek muß 
in. einem Staate Alle zur Unterwerfung verbinden, 
wenn. es feinen Charakter ats Gefeß nicht verlieren 
ſoll. Die Beifpiefe, die.aus der Logik und Mathes 
‚matit angeführt werden koͤnnten, fprechen zu deutlich 
für die Wahrheit unferer Behauptung, als daß fie 
‚in Hinficht derfelben noch befonders erläutert zu wer⸗ 
den brauchte: denn niemand kam widerſyrechenbe 





Vorſtellungen mit einander verbinden, und jedermann | u 


muß die gerade: Linie zwiſchen zidei Dinften für: bie 
Fürzefte erklären. 


„Allein dieſe Altzem ·ircheit finder bloß ih An 
„ſehung der Gegenflände des. Wiffens und des moras 
liſchen Glaubens, aber nicht in Anfehung des Mei- 
„nens uhd des hiftorifchen Glaubens ftatt, in diefen 
beiden Stücken wich jeber anders urtheilen, je nach⸗ 
dem er mehr oder weniger Einſichten hat, mehr | 
oder weniger im. Denken geübt, und mehr oder 
. ‚weniger zur Seichtgläubigfeit geneigt iſt.“ Wenn 
auch bei den beiden feßtern- Arten bes Fuͤrwahrhal⸗ 
tens nicht ‚auf nabſolute Allgemeinheit Anſpruch —9— 
‚mache werben: kann, weil der Grund des Urtheiles 


\ 


" a 


=. — 


nicht in dem. Objekte ,. fondern in dem urtheihenden 


Subjekte liegt, ſo muß doch, ſo bald man feine Mei⸗ 


“ung. Andern verſtaͤndlich zu machen wimſcht, wenig⸗ 


ſtens comparative Allgemeinheit ſtatt finden koͤnnen. 


Jeder muß unter denſelben Umſtaͤnden, in der⸗ 


ſelben Lage ſo urtheilen, wie wir urtheilen, und jeder 
muß einem Gegenſtande eine Eigenſchaft beilegen 
oder demſelben verweigern, je nachdem er mit uns 
gleiche Einſichten hat und in gleichem Falle iſt. Was 
bloß fuͤr uns allein wahr iſt, ſcheint wenig Anſpruͤche 
auf ſeine Wirklichkeit machen zu koͤnnen und was uns 
bloß aus heidenſchaft, aus einer beſondern Stimmung 
. Des Geiſtes u. ſ. w. einleuchtet, kann nicht allgemein 
ſeyn und wir werden nach einer reifern Ueberlegung 
bald einſehen lernen, daß wir wenig Grund zu unft« 
"der Behauptung hatten; fie berubete auf Taͤuſchung, 
- auf vorgefaßten Meinungen, auf Lieblingsneigungen 
‚und andern unedlen Triebfebern, und wir härten nie 


| "eine Aeußerung wagen. ſollen ‚ bie aus ſolchen Quel⸗ 
len enfpräng, 


/ 





Wir verlangen aber von einem Satze, der weht E 


ſeyn ſoll, daß er nicht allein allgemein gültig fey, 
fondern daß er 2).auch die Achtung, die mie ber 


£ Menſchheit ſchuldig find, nicht verletze. Wenn 


jemand alle Menfchen für Schurken erklärt, fo find 
wir ſogleich uͤberzeugt, daß er eine Behauptung vor⸗ 


"bringe, ‚welche. falſch iſt, weil a) die Schurkerei im 
Herzen des Menſchen hauſet, wohin kein ſterbliches 


Auge dringen kann, und weil b), 2wer ein ſa allge⸗ 


„meines uerpeil uͤber bie Menſchen ausſpricht, alle 





— 1 ——— 


Hofnumen auf die moraliſche Verbefferung der Mens 


ſchen uufgiebe, alle Foderungen bes Sittengefeßes 
für nichtig erklaͤrt, welches doch ewig und unwandel⸗ 
bar, wie der Weltgeif ſelbſt, iſt, und welches er doch 
ſelbſt feinem Urtheile als ſtets geltend zum · Grunde 
legt. Wer den Sklavenhandel vertheidigt, wer bes 
hauptet, der Menſch ſey zur Sklaverei geſchaffen/ 
welil er den oͤffentlichen Geſetzen nicht immer gehorche, 
oder der Menſch verdiene nicht frei zu ſeyn, weil er 
die Freiheit mißbrauche, ſetzt bei ſeinen Aeußerungen 
die der Menſchheit ſchuldige Achtung aus den Augen, 


und ſeine Behauptungen koͤnnen nicht wahr ſeyny, 


weil fie. die Menſchheit laͤſtern und die Quelle der 
Wahrheit und Tugend ſelbſt verpeften. 


\ 


als einen poſitiv en Werth, wir erfahren vermits 


Dinfe nei Marmen aber ,. welche wir bis jeßt 
aufgefteflt Haben, haben mehr einen. negativen 


telſt ihres Gebrauches bloß mehr basjenige „was 


nicht wahr ſeyn kann, als dasjenige, was die 
Wahrheit felbſt iſt. Wir muͤſſen daher noch andere 
Mafinien aufſuchen, die uns bei unſerm Denken lei⸗ 


son, uns vor Irrthum ‚bewahren und uns in das, 


Meich ber Wahrheit einführen. Ein Mittel dazu iſt 
Die dritte Marime, nämlich, durchgaͤngige Con⸗ 


ſe quenz in allen unſern Behauptungen; was daher . 


"nicht aus dem aufgefteflten Vorderſatze folge, ift für 


uns unrichtig. Wer zugiebt, daß alle Menfchen dem _ 


Sittengeſetze ſiets gehorchen follen und fich gleichwohl 
eine Untreue gegen einen Reichen zu fehulden kommen 


käße, wer urfprüngliche echte in der menfhlihen 


\ * 


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* Ratur anerkennt, aber eichwohl behaudeet daß 
der Staat ſich nicht auf dieſelben zu ſtuͤtzen brauche, 
urtheilt nicht folgerichtig und befindet ſich in Anſehung 


feiner letztern Behauptungen im Irrthume. Wer 
die Offenherzigkeit zur Unterhaltung einer Freund⸗ 


ſchaft fuͤr unentbehrlich haͤlt, und doch hernach 


jemanden für feinen Freund anſieht, ob gleich-feine 
Offenherzigkeit zwifchen ihnen flatt findet, wer das 


‚seben für fein äußeres Recht Hält und Doch die Todes⸗ 


ſtrafe für rechtmäßig erklärt; wer alle Krankheiten 


‚aus Narururfachen entfprungen anfieht und gleich« 


wohl das Fieber, das er heilen fol, Durch Beſpre⸗ 
dung wegſchaffen will, verfähre nicht Fonfequen. 


Das Beftreben, in feinen Urteilen und Sälif- | = 


fen immer folgerichtig zu verfahren, ift eine unerlaßs 
liche Bedingung, wenn es uns mit dem Erwerbe von 


J Wahrheit Ernſt if. Durch Beobachtung einen 


ſtrengen Conſequenz entdecken wir nicht allein digs 
Richtigkeit oder die Unrichtigkeit unſerer gugenom⸗ 
menen Grundſaͤtze, ſondern auch die Grenzen ihred 
Anwendbarkeit und das Eigenthuͤmliche jeher Wiſſen⸗ 


ſchaft; durch ſie gewoͤhnen wir uns an die Verfolgung 
von langen Gedankenreihen, an das Vor⸗ und Zu⸗ 
ruͤckſehen auf den abzuhandelnden Gegenſtand, an 


Beſonnenheit des Geiſtes und an —— 


Aufmerkſamkeit. Sie iſt für alle Wiſſenſchaft die 
Meßlkunſt; ohne die Folgerichtigkeit einer Meinung 


aus ihrem Vorderſatze gepruͤft zu haben, iſt man nie 


gewiß, ob man Wahrheit oder Irrthum erkaͤmpft 
Bat. Sie foͤdert die Wahrheit zu Tage und. wir koͤn⸗ 
0 ſicher auf große Fortſchritte in unſern Einſichten 








und: Henneniſffen rechnen, wenn wir ſtets auf die 3b 
gerichtigkeit unfers Gedankenganges zu fehen gewohnt 
find. Hat man baher einmal einen Örundfag ange 
nemmen,. fo muß man immer firenge und richtig aus 
demfelben fortfolgern, mögen fih auch noch fo ſon⸗ 
derbare Behauptungen davaus ergeben; wir gelans 
gen dadurch doch zu. der Einfücht, daß der Sag, den 
wir zum Örunde gelegt haben, wicht richtig iſt und 
durch dieſe Kenntniß iſt ſchon viel gewonnen, wenn 
man bedenkt, wie lange ſich manchmal ein falſcher 
Grundſatz durch inconſequente Folgerungen in An⸗ 
ſehen erhaͤlt und alſo ſowohl der Verbreitung der 
Wahrheit als der Kultur des menſchlichen Seiſte 
nachtheilig iſt. 


Beim Nachdenken muß man fi anfänglid 
alter Ausführen auf das: gewunſchte Reſultat entſchla⸗ 
gen, damit wir die Leidenſchaften ‚ welde wir ‚für 
daſſelbe zu naͤhren gewohnt find, zum Schweigen. 
bringen, damib wir immer mit Befonnenheit und mie 
Mürhternheit den Gang unfers Räfonnements übers 
fhauen und damit wir immer prüfen koͤnnen, ob 
wirklich ein Satz aus bem Andern folgt, ob, wir nicht | 
etwa in unfern Gedanken. einen Sprung gemacht, | 
und alfo eine Luͤcke gelaſſen haben, ob wir nicht etwa 
in ein fremdes Gebiet abgefchweift find, wohin ung 
unſer Weg und Die Wahrheit nicht führte. Im 
Quten und im Boͤſen zeigt die Eonfequen;, daß 
jemand Charakter hat und im Forſchen nach Wahr⸗ 
heit iſt die Conſequenz ein Beweis einer innigen und 
unpartheiiſchen Wahrheitsliebe. Die Inkorſequenz 
iſt die Quelle aller Iangbanıpnpen und verderblichen 


4 


) 


— 58 — 


gerthimꝛer, fie verhindert bie Vervotlkommnung ber 


Wiſſenſchaften, unterftüßt den tauſendjaͤhrigen Aber⸗ 


glauben, und benimmt dem Denker ſogar die Aus⸗ 
ſicht, daß ſeine theoretiſchen Ertenntniſſe einſt in die 
Praxis uͤbergehen und daß ſeine Theorien in den 


> 


- Gang ber Welt eingreifen werben. . Durch) fie wird 
die gewöhnliche Vermiſchung der verfchiebenen Wife 


ſenſchaften unterhalten und eine ewige Streitſucht 


genaͤhrt. Mit der Befolgung einer ſtrengen Con⸗ 
fequenz hingegen koͤnnen ſich weder der Irrthum, noch 


der Aberglaube, noch der Unglaube, noch die Ware | 


| uürtheile lange aufrecht erhalten.“ - 
J u — 
Der vierte Punkt, den wir beim Erforſchen 
mb Ergründen bes Wahren und alfo bei- dem Be⸗ 
— ſtreben, unſere Denkkraft auszubilden, nie aus den 
Yugen’ verlieren dürfen, iſt die Marime, alle Er— 
ſcheinuͤngen aus und nach Natururſachen zu rtia 
ren. Alle unſere Erkenntniß iſt auf die Gegenſtaͤnde 
in der Sinnenwelt und auf die Bedingungen ihres 
Daſeyns eingeſchraͤnkt, was daruͤber hinaus liegt, 


iſt entweder ein Objekt des Glaubens oder des Mei⸗ 


nens, und das Geſetz der Urſachlichkeit als ein Sag 


des Erkennens findet nur fo weit Anwendung, als 


— voit dem Gegenftand, den wir erferfchen wollen, eine 


Anſchauung unterlegen können und als wir die Are . 


und die Bedingungen feiner Wirkſamkeit in ber Sin 
enwelt gemahr werden... ꝓ 


jedeErſcheinung muß gus Natururſachen 





= 


Was verfteht man. nun unter der. Foderung: | 





— 59 — 


erklaͤrt werden? Wenn wir uns Auftlaͤrung uͤber 


‚eine. wahrgenommene Wirkung verſchaffen und ung 
Einſichten in den Grund und, in bie Art ihres Das 
ſeyns erwerben wollen, fo müffen wir innerhalb der 


Ginnenwelt hinreichende Urfachen zu ihrer Exiſten; 


aufzuſuchen freben; wir müffen immer‘ fortfahten, 


Arſache an Urfache zu Fetten und diefe ftets als Wis 


«tungen von einer höhern Urſache anfehen, "bis wie 
den geſuchten Aufſchluß zur binreichenden Erklärung 


Der Möglichkeit einer Erfcheinung gefunden haben... 
Zu diefem. Verfahren wird eine ausgebreitefe Kenne 
niß! der Wirkungen der Natur in und außer.ung ere 


fodert, wenn unſer Forfchen fruchtbar ſeyn fol und 


wir müffen viele Materialien eingefammelt und alſo 


viele Erfahrungen gemacht Haben, wenn unfer Unter⸗ 


nehmen "gelingen fol, - Wenn mir . 3. hören, 
jemand, ‚ber geftorben war;, ſey wieber auferfiandem, 


fo muß die Urfache diefes Lebendigwerdens als ein 


⸗ 


Glied in der Kette der Sinnenwelt angeſehen werden | 


und wir müjfen bemüht feyn, uns die Gründe diefee 


Erfpeinung als in ber Wels der. Anfchauungen lie⸗ | 
gend zu erklären." Alle Wirkungen und alle Urfachen 


muͤſſen als Theile der Erſcheinungswelt und als aus 


ihr entfprungen und in ihr gegruͤndet betrachtet wer⸗ 


den, Jeder Traum, jede Ahndung muß von einer ' 


Urſache abgeleiter werben, bie ihren Grund entweder 


bier als phyſiſchen Urfachen unterworfen behandelt 
‚werden muß. Sind wir mın vermögend., bie Bes 


in amferm Körper ober: in unferm Geifte har, der 


dingungen und’ die Möglichkeit 'einer Erſcheinung vb 


Sig einzufehen und haben. wir dieſelbe als gänzlich in 
ber Sinnenwelt liegend ertlaͤrt ‚sb baben wir und 


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= Innere ‚dab in den. Vorhof ihrer Werkſtaͤtte ein⸗ 


dringen werden, woraus ſtets neue Geſtalten und 
neue-- Foren hervorgehen. . Aufmerkſamkeit und, 
Empfänglichfeit unfers::Geiftes für allerleiErſchei⸗ 


ungen find pie Bedingung, einer weichen. Ausbeute in 


dem · Reiche der Natur. Alles, was ung ‚erfiheint,, 


müffen wir als eine Kette betrachten, ..berenierfien, 
Ping am Throne, des Jupiters feſt gemacht-ift. und, 
deren ganze Verwickelung kennen zu lexnen für uns 
Pflicht iſt. Daher gehe unſer ſtetes Beſtreben ha⸗ 
hin, alles natuͤrlich zu erklaͤren, die Erſcheinungen 


der Natur zu zerlegen und wieder zuſammen. zu ſetzen 


und ung. bie. Gruͤnde ihres. Daſeyns? aus und. nach 
Baer begreifich “ wachen. een 


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Eine f uͤnfte Regel, die wir bei:unfern Beob⸗ 


achtungen über die Erfcheinungswelt, .imo.wtlehn reiche . 
Erndten zu ‚hoffen find, beobachten muͤſſen, ift. die. 


Marime, bog wir annehmen, dir Natur mache-bei . 
ihren Wirkungen feinen. Sprung, fonbern es hänge. 
alles genau zufammen, . Eines folge, aus dem: Andern, 


alles greife in einander ein und die Verkettung von - 


Urfache und Wirfung gefchehe nach den Grundfäßen 
der Aehnlichkeit und Gleichzeitigkeit dieſer mit jener. 


Wollen wir daher mit Nutzen Betrachtungen uͤber 


die Erſcheinungen in der Welt anſtellen, fo dürfen : 


wir nie geftatsen, Daß eing Wirkung aus einer Urfache 


erflärt werde, welche mit jener in feinem genauen: 
.  Zufammenbange ſteht und bie nicht mis ihr innig vers. 
wandt iſt. Das Geſetz der. Urfachlichbeis  ift ein - 


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Geundsgefeh unſers Geißes und wir koͤnnen ung ‚fe | 
fange ſich: unfer Verſtand durch Einſicht und Natur⸗ 


gefuͤhle bei feinem Verfahren leiten laͤßt, niemals 


yon dem Gedanken. losreißen, daß Wirkung. und Urs 

ſache in. der engfien. Perbindung mit einander ſtehen 
und daß feine, Riuftszwifchen ihnen ſtatt findet. Wer 
die Urſache von jemandes Wahnſinne aus einer frü« 
"been ungluͤcklichen Lehe herleiten wollte, ob er gleich 
den · plotzlichen Perluſt. ſeines ganzen Wermögens und 
bie: Treuloſigkeig feiner. Freunde, Welse Vorfaͤlle ſich 
erſt kuͤrzlich ereignet haben, als die, Peranlaſſung und 


als ben Grund ſeiner Geiſteszerruͤttung anſehen ſollte, 


würde einen Sprung-in feinem Rorjchen machen und 
‚Die entfernteſte Urfache für Die nächfte als die einflußs 


veichſte nehmmen.: Wenn jemand das naͤchſte Glied 


der Berfersung-zreifiben dem; Menfchen ‚und Dem ff» 
wen in dem Strauße vder zwiſchen dem: Thier- und 
Dem: Dilangenrriche in der ‚Sinnpflanze fände, fo’. 

wuͤrde er bei tieferm und reiflisperm Nacdenfe gez 
wahr. werben, daß er ſich in. einem Irrthume befin« 
bet, weil Die Unaͤhnlichkeit zroifchen den. erfiern Ges - 
fhönfen. zu groß und das Abweichende der Letztern 
(Ber Sinnpflatzze) von den Thieren zu auffallend iſt, 

als daß es nicht noch mehrere Arten bon Thieren und 

Pflanzen geben-follte, die diefe Kluft ausfüllen muůͤſ⸗ 


ſen. — Mancher. leitet. fein boͤſes Schickſal vonn 


einem Traume ab, den er vor mehrern Jahren ges 


habt hat und mapdher Schreibt fein Unglüd dem Fluche 


zu, womit ihn feine Eltern. belaſteten und ſieht nich 
die Zehler, Anvorfichtigfeiten und Nachlaͤßigkeiten 
ein, die er ſich in ſeinen Geſchaͤften waͤhrend der Zeit, 
die zwiſchen dem Traume oder dem Fluche ſeinen 


Schulben kommen laſſen hat, und die bie nächte . 
Urſachen feines elenden Suftondes Mind. - Die Steige 


‘ er . % « +. 0 * ‚ 
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Etern und ſeinem Mißgeſchicke verkaufen ". , Al 


keit ft ein Gefeß der Natur und muß auch ein Gefoß 
unferer Erflärung det Erſcheinungen ſeyn und wie 


bürfen beim Nachdenken über die Dinge und ihrs 


Wirkungen weder einen Abfprung machen‘ noch. eine 
Kluft gelten kaffen ,- :fondern. alles Leere und :tlchers 
fpringen als mißlich und beim Forſchen nad) Auf⸗ 
ſchluͤſſen über die Gruͤnde einer Erſcheinung als uns 
tmemiis und‘ nachthellis verwerfen. Na 


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Wie emüfen: aber nicht sp dabel unten blabn 


va wir zu ergruͤnden ſuchen, aus welchen Urſachen 


etwas geſchieht, ſondern auch 6) zu welſchen Abſichten 
eine Erſcheinung vorhanden iſt. Nichts geſchleht 
umſonſt, alles hat feinen beſtimmten Zweck und alles 
jiele auf die Bewirkung von etwas ab, welches zur 


Erhaltung des Ganzen entweder norhivendig iſt, oder 


doch zur Hervorbringung eiries größern Gutes als dag 
Uebel ift, welches uns drückt, beizutragen ſcheint, 
z. B. warum giebt es in den heißen Trdftrichen fo 
viele grimmige Raubthiere? Was hat die Natur für 
eine Abficht bei Geſchoͤpfen, die fo große Verheerun⸗ 
gen anrichten? Da alles, Thiere und Pflanzen, in 
heißen Erdftrichen üppig und im Ueberfluffe, hervor 
ſchießt und da die Menge der Thiere bald fo groß ſeyn 
würde, daß fie alles Gras in kurzem aufzehren würde 


und nachher alles Lebendige, mag es nuͤtzlich oder 


ſchaͤdlich ſeyn, aus Mangel an Nahrung umkommen 


— 





' . 


müßte, fo ſcheint die weiſe Mütter Natiır diefem- 
Uebel durch die Menge von blutgierigen Raubthieren 
Sorbeugen zu wollen. Warum find die Menfchen, 


‚befonders bie Staaten, fo kriegsluſtig? Was hat der 
Krieg fir einen Vortheil? Er verheert alles, er zer⸗ 


ftöre, was Jahrhunderte gebauer, er morber die 
Menfchen — ein beiliges Subjekt auf der Erbe — 
in Schaaren und macht fie überdies noch böfer als fie 
schon find... Er har alſo nichts als Nachtheile für die 


‚Menfchen und er ift.ein Liebel, Das jeden Schein des 


Guten vernichtet. „Er ift’alfo gänzlich ohne Ges 
winn für. das Menſchengeſchlecht.“ Dies fcheing 
nicht der Fall zu ſeyn. Er kultivirt die Menfchen, 


er bringe. alles in Bewegung und rege Kräfte auf, 


Deren Thaͤtigkeit vorher nicht bemerkbar war. Die 


Noth mache erfinderifh und man finnt zugleich auf 
Mittel, wie man diefem Ungemache in Zukunft gänze 


dich vorbeugen fonne. So lange die Menfchen noch - 
roh und ungebilber find, ſcheint der Krieg "ein Präftis 
ges Anreizungsmictel: zu ‚ihrer Ausbildung zu feyn, . 
fo fchredlich auch eine folche Behauptung, "die den 
Krieg, den ungerehteften und heilloſeſten Zuftand 
ſelbſt fie unentbehrlich erklärt, fenn mag. Der 
Menfch,. befonders,ber Rohe, iſt träg, er hängt am 
Boben, lebt bloß ein thieriſches Leben und würde 
feine. ganze Beſtimmung verfehlen, wenn ihn nicht 
die Noth gewaltfam packte und zur Thaͤtigkeit noͤthigte. 
Aller Krieg zielt ohne den Willen der Menfehen ‚be 
fonders der Gewaltigen, und vielleiche wider denſel⸗ 
ben dahin, dilem Kriege ein Ende.zu machen und den 
ewigen Frieden, aber nicht auf ‚dem weiten Todtens 
acer der Erde, fondern in einen. Öffentlichen. Raupen 
Aunt zu deuten. € 


— 


le - 


J zuſtande herbeizufuͤhren. Die Menſchen werden nach 


und nach zu einſichtsvoll, ſie lernen zu große Ehrfürcht 
gegen das Recht fuͤhlen, und der Krieg·wird zugleich 
zu. koſtſpielig, als daß ſich vernuͤnftige Weſen 
laͤnger als wilde Thiere zerfleiſchen follteni — Dies 
des Forſchen nach Zwedten aber darf nicht" gu: weit ges 
trieben. werben, . ‚und: bie Maturerflärung'aus und 
nach Natururſachen etwa gar verdrängen, well mar 
fonft.allee wahren Natur und: Menfhenkenntnig ein 
Ende maden, und allen Vorurtheilen und allem 
' Aberglauben Thor und: Thür eröfnen wuͤrbe. Das 
Erklaͤren nach Zwecken fbarfam und‘ weistich ge 
braucht, iſt eben fo Hergerhebend als es Wernunfe bes 
friedigend iſt. Es flärke den Much, wenn wie der 


Anftrengung des kalten Forſchens nach Natururſachen 


"zu unterliegen in Gefahr find, und wir fangen, wenn 
‚wir uns durch die Anſicht: der weifen Zweckmaͤßigkeit 
der Natur erquickt haben, unſer Erklären von Dem 
Dofenn: .und den: Urfachen, der Erſcheinungen von 
neuem und mit gluͤcklicherm Erfolge an, als wir vor⸗ 
‚her beider Ermattung unfers Geiftes erwarten durf⸗ 
ten. Daher fagt Kant mit Recht: ‚alle Produkte 
und alle Ereigniffe der: Rasur, felbft die zweckmaͤßig⸗ 
fien, müffen fo weit mechaniſch (d. h. aud und nach 
 Matururfachen) erklaͤrt werben, als: es. immer in un⸗ 


ſerm Vermögen flebt; dabei aber.müffen wir.niemals - 


aus den Augen verließren, baß mir Diejenigen, welche 


| 


wir allein unter dem Begriffe vom Zwede der Ver: - - 


nunft zur Unterfuchung auch nur aufſtellen können, 
der wefentlichen Beſchaffenheit unferer. Vernunft ge 
mäß, jener mechanifhen Urfachen ungeachter, doch 
zuletzt der Couffalitäe nach Zwecken unterorönen muͤſ⸗ 


. 
[Ir 20° .. & 


* 





ſen.“ Ag der Phoftelogi⸗e iſt es nicht genug). me 
Berrichtungen. der ‚einzelnen. Theile ber -orgeniferm 
Weſen zu willen, fondern mir müſfen auch ſo viel sts 
möglich zu erfahren ſtreben, mie dieſe Wirbi naen, 


die ſie zeigen, moͤglich find, und wie fie won ihnen her⸗ \ 


vorgebracht werden. Zugleich muß es eine Maxme 
in der Naturforſchung nach Imecden ſehn, daß wie 
onnehmen, fein Theil an-einem. vrganifchen- Weſen 
ſey ohne Abſicht, fondern er wirke zur: Erhalsmig.ngg - 
Ganzen mit, wenn wir ah. bis. jeße troß aller dus 
firengung im: Nachdenken noch nicht Härten. einſehet 
koͤnnen, wa⸗ er. zu. wirken be Rinne joy. !: 2 mn- 


‘ 
er vo er. . 


rer fan 
- No 
Die fießente Marine welche wir bei unſerm 
Denken, wenn es uns um Wahrheit zu thun iſt ‚fey 
diefe nun poſitiv oder megativ, d. h. mögen .wie 
nun zu ber Einficht gelangen, daß mir in dieſem oder 


ho 2 


Jenem Felde. etwas wiſſen koͤnnen oder daß allee unfer 


Wiſſen irgendwo ein Ende hat, nicht vernachlaͤßigen 
duͤrfen, iſt folgende: wir muſſen bei allemaune 


ferm Nachdenken mit uns offenperzig 
and aufrihtig zu Werke gehen. Wir duͤr⸗ 


fen uns weder eine Luͤcke in unſern Erkenntniſſen, neh _ 
eine Unzulaͤnglichkeit in unſern Beweiſen, woche. 
jureichende unfersErfenntnißnermögens uͤberhaupt ver⸗ 
heimlichen: wir dürfen gegen -ung weder Ueberzeu⸗ 
guug heucheln, z noch uns mit der Einſicht in etwas 
ſchmeicheln, was uͤber die Grenzen unſers Erkennens 
hinausliegt; ſondern mie mirffen frei, ohne Vorur⸗ 
theile, ohne Ruͤckſicht auf uniert. Schwaͤchen, beiden⸗ 


8 E 2 


aften, ber auf das gemlnfäre Reſultat du neh⸗ 
"men, forfchen, wenn ſich auch endlich ‚ergeben ſollte, 
daß das erhaltene Reſultat unſern Wuͤnſchen und uns 
ſerer Erwartung gar nicht entſpraͤche, oder Daß wie 
etwas bisher für wahr gehalten Härten, was Doc) 
Feine Wahxrheit iſt, oder daß wir auch alle Ausfichten 
Aufgeben.müßten, daB wir jemals etwas davon wer⸗ 
den wiffen Fönnen.:-Der’®ewinn, der ung auf bie 
{em Wage des Forſthens zu Theil wird, iſt doch im⸗ 
mer weit größer als wenn wir nicht aufrichtig verfah⸗ 
zen, und uns mit Phantomen hinhalten laſſen. Wir 
haben doch bie Urſachen kennen gelernt, worin bie 
Veranlaſſung zur Taͤuſchung liegt, und gerathen wir 
auch wieder in Irrthum, ſo iſt ein Irrthum, in den 
wir durch Selbſtdenken verfallen, doch weit mehr 
werth als eine auswendig gelernte Wahrheit; im 
erftern Falle erringen wir die Kraft und die Geſchick⸗ 
ltichkeit, Wahrheit zu ſuchen, im Andern aber buͤßen 
wir ſo gar die Hoffnung.ein, daß wir endlich einmal 
durch Selbſtthaͤtigkeit bie Erſcheinungen anſprechen 
werden, uns zu entdecken, was Wapepeit und Irr⸗ 
Rn, Waniehteit iu Dauſchung an ihnen ſey. 


Wenn— wir dahet einmal ·in Pringi oder. einen 
aß, ven wir mie ben Gefetzen unſers Geiſtes uͤber⸗ 
einſtlmnend md alſe ‚für wahr haften, unferm For⸗ 
ſchen num Srunde gelegt ‘haben, ſo muͤſſen wir ſtets 
unerſchrocken, freimuͤthig, ohne eine geheuchelte 
Ueberzeugung und oßne: Furcht vor dem Erfolge, aus 
demfelben zu folgern und unfere Vorſtellungen dars 
nach zu beurtheilen fortfahren, wenn auch das Reſul⸗ 
sat, das wir dadurch erhielten, noch ſo ſchrecklich und 


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nieberfchlagend ſeyn follte:. wir haben bennoch Ge⸗ 


winn davon, denn wir lernen nunmehro entweder 


die Unrichtigkeit und Unhaltbarkeit oder die Unbe⸗ 
ſtimmtheit unſers Grundſatzes oder Die Inconſequenz 


unferer aus einem richtigen ober unrichtigen Grund⸗ 


ſatze abgeleiteten Folgerungen einfehen:und: retten das 


durch die Freiheit unſers Geiftes, melche doch Wuͤrde 


des Charakters verfchaft, wenn: fie auch im biefens 
Falle Feine Wahrheit. giebt. -Sapere aude;ift eine 
Maxime, die eben fo nüßlich und fruchtbar: im Dens 
ken als im Handeln iſt. Aufrichtigfeit ‚gegen. une 
ſelbſt ift die Mutter großer Thaten, ſo wie herzerheben« 


der Wahrheiten Wer den Berftand nicht durch das 


Herz beſtechen und fich mit feinem: unvollendeten Wiſ⸗ 


ſen begnuͤgen laͤßt, kann ſich ſchmeicheln, ‚noch viele 
Geheimniſſe zu entſchleiern, welche der Heuchler⸗ dei 
Schwache, der Halbwiſſer nicht enthuͤllen: Emm: 
Man muß ſich aber auch bei ſeinen Einſichten in die 
Natur der Dinge nicht mit allzu großen Hoffnungen 
ſchmeicheln; denn das menſchliche Wiſſen iſt beſchtaͤnkt 
und es giebt viele Dinge, von denen wir bloß ein⸗ 


ſehen, daß wir nichts davon willen koͤnnen. Sind 
‚wir bei irgend einem Gegenſtand zu dieſer Kenntniß 


gelangt fü muͤſſen wir von dem vergeblichen Beſtre⸗ 
ben, ihn: felbft erfennen. zu wollen, ablaſſen und nithe 
länger auf etwas ‚Kräfte verfchmenden, 100 man trotz 
aller Anſtrengungen nichts ausrichten kann , und wo⸗ 
bei man, wenn man ſich nicht warnen laͤßt, den gei⸗ 


. 


fligen Tod findet. — Kant: theilt über die Aufs 


richtigkeie beim. Denfen einige Bemerkungen mit; 
weiche hier ſehr paſſend find, indem er fagt!- ;, 


jeder. wiſſenſchaftlichen Unserfuchung muß wan mit 


‘ 


. ⸗ 
4 — 68 — 


sfähaften, oder auf. das gewuͤnſchte Reſaltat du neh— 
nen, forſchen, wenn ſich auch endlich ergeben ſollte, 


Waß das erhaltene Refultar unſern Wuͤnſchen und uns 
ſerer Erwartung gar nicht enefpräche,;, oder daß wie 


erwas. bisher Für wahr gehalten Hätten, was doch 


Leine Wahhelt iſt, oder dag wir auch alle Ausfichten 


Zufgeben · muͤßten, daß wir jemals etwas bavon wev⸗ | 


den wifſen koͤnnen. Der Gewinn, der uns auf bie 
gem Wage des Forſthens zu Theil wird, iſt doch im» 

mer weit größer als wenn wir nicht aufrichtig verfah⸗ 
ren, und uns mit Phantomen hinhalten laſſen. Wir 
haben doch die Urſachen kennen gelernt, worin Die 
Veranlaſſung zur Taͤuſchung liegt, und gerathen wir 
auch wieder in Irrthum, ſo iſt ein Irrthum, in den 


wir durch Selbſtdenken verfallen, doch weit mehr 


werth als eine auswendig gelernte. Wahrheit; im 
srftern Falle evringen wir die Kraft und bie Geſchick⸗ 
tichkeit, Wahrheit zu ſuchen, im Andern aber buͤßen 
wir ſo gar die Hoffnung.ein, daß wir endlich einmal 
durch Selbftchärigkeie bie Erfcheinngen .anfprechen 
"werden, ums zu ensdafen, "was Wahrheit und Irr⸗ 
hum, Wirklichkeit und Taͤuſchung an ihnen ſey. 


Wenn ˖wir daher einmal ein Prinzip oder einen 
Satz,, den wir mit den Gefetzen unſers Geiſtes uͤber⸗ 
eluſtimnnnd umd alſo fuͤr wahr haften, unſerm For⸗ 
ſthen⸗zum Grunde gelegt haben, fo muͤſſen wir ſtets 
anerſchrocken, freimuͤthig, ohne eine geheuchelte 


eberzeugung und ohne Furcht vor dem Erfolge, aus 


demſelben zu folgern und unſere Vorſtellungen dar⸗ 
nach zu beurtheilen fortfahren, wenn auch das Reſul⸗ 
vat, das wir dadurch erhielten, noch ſo ſchrecklich und 


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nieberfchlagend ſeyn ſollte: wir haben bennoch Gr 
winn davon, denn. wir lernen nunmehre entweber 
die Unrichtigfeie und Unhaltbarkeit oder bie Unbe⸗ 


Rimmtheit unfers Grundfaßes oder die neonfequeng 
unferer aus einem richtigen ober unrihtigen Grunde 


faße abgeleiteten Folgerungen einfehen:und: retten das 
durch die Freiheit unfers.Geiftes, melche doch Würde 


bes Charakters verfchaft, wenn: fie auch in dieſem 


alle Feine Wahrheit. giebt. .Sapere aude: ift eine 
Marime, die eben fo nußlich und fruchtbar im Dens 


ken als im Handeln iſt. Aufrichtigfeit gegen. ung‘ 


felbft ift die Mutter großer Thaten, ſo wie herzerheben⸗ 
der Wahrheiten: Wer ben. Verſtand nicht durch das 


Herz beſtechen und ſich mit keinem unvollendeten Wiſ⸗ 


ſen begnügen laͤßt, kann ſich ſchmeicheln, noch viele 
Geheimniſſe zu entſchleiern, welche der Heuchler⸗ der 
Schwache, der Halbwiſſer nicht enthuͤllen: Bann 
Man muß ſich aber auch bei ſeinen Einſichten in die 
Natur der Dinge nicht mit allzu großen Hoffnungen 
ſchmeicheln; denn das menſchliche Wiſſen iſt beſchraͤnkt 
und es giebt viele Dinge, von denen wir bloß ein⸗ 


ſehen, daß wir nichts davon wiſſen koͤnnen. Sind 


gelangt ſo muͤſſen wir von dem vergeblichen Beſtre⸗ 
ben, ihn ſelbſt erkennen zu wallen, ablaſſen und nicht 
laͤnger auf etwas Kraͤfte verſchwenden, wo man trotz 
aller Anſtrengungen nichts ausrichten kann, und wo⸗ 
bei man, wenn man ſich nicht warnen laͤßt, den gei⸗ 


‚wir bei irgend einem Gegenſtand zu dieſer Kenntniß 


fligen Tod findet — Kant. theilt über die Aufe 


richtigkeit beim. Denken einige Bemerkungen mit; 
welche Hier ſehr paſſend ſind, indem er. fagt!- ,,b 


jeder. wiſſenſchaftlichen Unterſuchung muß man. mis. 


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Alle Regeln und . Dort e orſchreibt, muß, . 

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Mienfeb In Nuͤckſicht feines nerumgen ber Dank 
nuneh auf die urfpränglichen Fo oretſchen und 
Hin ® bb Brad Rierftandes und:dat'td N und 
gesaabeidnan (at Weraene) Vernunft gruͤnden, di 
get hnn Murten Diener Vermögen Kris‘ gele 
ent ld N A an und. verſichert ˖ ſeyndaß man 


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— 71 


Haben wir nun durch unſere obige Unterſuchung dieſe 


Foderung befriedigt und haben wir der Aufgabe, wie 
kann man- richtig und gebaltreich benfen lernen, 


Gnuuͤge gefeiftee?- Der Verftand hat ſowohl eine logi⸗ 


ſche (formelle) als eine reale (materielle) Funktion; 


jene offenbart ſich dadurch, daß ſie nichts widerſpre⸗ 


chendes und nichts inconfequentes zulaͤßt, ſondern bei⸗ 
des als mit ihren Geſetzen nicht vereinbar erklaͤrt; 
dieſe giebt ſich durch die Anfoderung zu erkennen, 


daß ſie verlangt, daß allem Denken eine ſinnliche An⸗ 


ſchauung zum Grunde gelegt werde, damit unſere 


Gedanken Gehalt und Bedeutung bekommen. — 


Das Geſetz der Urſachlichkeit iſt eine Art der urs 


ſpruͤnglichen Thaͤtigkeit unfers Verſtandes, von wel⸗ 


cher er ſich bei allem ſeinem Wirken als dem Eigen⸗ 


ſten ſeiner Natur nicht losreißen kann, ſondern die 


er ſtets treu befolgen muß. Die kheoretiſche 


Vernunft als das Vermoͤgen der unbedingten Ein- 


heit dringe bei allem Denken’ theils auf Allgemeinheit 


deſſelben, theils auf den letzten Grund aller Erſchei⸗ 


nungen, theils darauf, daß wenn wir etwas erklaͤren 
wollen, dabei kein Sprung gemacht und dabei feine 


Luͤcke gelaffen werde: bie praftifhe Vernunft 
aber verlange Reinheit und. Unfchuld des Herzens . 
und alſo Verachtung aller Berftellung, alles Truges j 
und alles Unredlichkeit bei unferm Forfchen.: Die. 


reflektirende Urtheilseraft ſucht die Zwecke 
in den Dingen auf und.die.beftimmende forget da⸗ 
fie, daß dem Subjekte entweber ein Praͤdikat zue 
Vervollſtaͤndigung unferer Ertenncuiß beigelegt oder 
verweigert werde. | Ä 


ie: 


Dies find alle Operationen der ſelbſithaͤgen 


Vermoͤgen unſers Geiſtes und, wir glauben, daß ihren 


Foderungen durch die oben aufgeftellten Regeln und 
Marimen infoferne ein Gnüge gefhehen fen, als hier 


unfere Abficht dahin ging, richtig und gehaltreich 


Denen lernen, Stoff zum Denfen erhalten und Dies- 


fen wieder zum Erfennen bearbeiten zu wollen. ' Altes 
alfo was mir als nothwendig zur Erreichung biefer 
Zwecke aufgeftelle haben, hat feinen Grund in der 


Natur unfers Geiftes, und wir fönnen ung nunmehro - 
deſto ficherer und dreuſter in das Chaos ber Erfcheis 
> nungen in ber Außenwelt und in unſerm Gemuͤthe 
wagen, je gewiſſer und inniger wir uͤberzeugt ſind, 
daß wir uns auf naturgemaͤße Srundſaͤtze und ver⸗ 


nuͤnftige Maximen fügen. 
vi. Capitel. 
Mit weißen SGegenfänden muß man fein 


Denkenlernen beginnen und in weldher Orbs 


nung muß man dabei verfahren, um die 
fen Zweck zu erteichenn 





| Alte Erziehung ſoll nichts anders ſeyn, als eine freie 


und zweckmaͤßige Entwickelung aller unſerer Anlagen 
und Kräfte den durch fie geoffenbarten Beduͤrfniſſen 


‚gemäß, und der Erzieher hat nichts weiter bei dieſem 


Gefchäfte zu thun, als dag er folche Hinderniffe weg⸗ 
räumt, zu deren Beflegung die Kräfte bes Zöglinges 


noch nicht hinreichend gelbe ſind. Sie beſteht daher 





| — 73 — 
mehr Im negatien als im poſitiven Wirken, mehr 
im Wegſchaffen als im Herbeifuͤhren von Stoffen. 
Sie hat vorzuͤglich bloß darauf zu ſehen, daß der 
Zoͤgling nicht im Thaͤtigſeyn gehindert werde, daß er 
alle Bermoͤgen in der Ordnung ausbilde, in welcher 
dieſelben die Natur zum Leben ruft und daß er alles 
ſelbſt verfuche, um durch Fallen gehen, durch Irren 
Wahrheit finden zu lernen, und durch Schaden klug 
au werden, | 

ur Die Außenwelt. muß uns ſchon befanng feyn, ehe : 
wir in unfere eigene Behaufung binabfteigen können, 
am uns felbft fennen zu lernen. Die Sinnlichkeit 
erwacht früher. als der Berftand und die äußern. 
Sinne, die Organe für alles, was außerhalb unfers 
Gemuͤthes ift, muͤſſen vorbero geuͤbt und vervoll⸗ 
kommnet worden ſeyn, ehe wir andere Kraͤfte in uns 
zur Selbſtthaͤtigkeit aufrufen. Wer nicht Materia⸗ 
fien in der Sinnenmwelt eingefammelt hat, fann- feis 
nen Verſuch in die überfinnliche Welt wagen; aus 
jener geht die Brücke in dieſe und jene muß: erft in voͤl⸗ 
figer Klarheit und in vollem feben vor ung ba ſtehen, 
wie nur eine Ahnung von diefer haben fönnen, | 


Drurch die Beobachtung der äußern. Natur 
faͤngt der Menſch Kenntniſſe einzuſammeln an und 
nur wenn er dieſe Bahn mit Fleiß und Beharrlichkeit 
verfolgt, kann er hoffen, in andern Regionen glüde 
lich zu ſeyn. Es ift daher noͤthig, daß derjenige, der 
denken lernen will, vorhero die aͤußere Ratur beob⸗ 
achten und verfiehen lerne, ehe er fih ünd andere 
Menſchen kennen lernen wit. Warum aber muß 


' 


" — 176 — 
die Denkkraft iſt der Dollmetſcher, der uns dieſelben 

verſtaͤndlich macht. Sobald alſo die Denkkraft durch 
Beobachtung der aͤußern Natur und durch die Er⸗ 
gruͤndung ihrer Geheimniſſe Geuͤbtheit erlangt hat, 
koͤnnen wir in unſer Gemuͤth einkehren, unſer Inne⸗ 
“ zes beobachten, und den Operationen des Geiſtes, 
den Bedingungen, den Gründen und den Gefegen 
derſelben nachforſchen. Zur Erwerbung von Selbfis 
kenntniß gehört ſowohl eine Fertigkeit im Denken als 
Much und Beharrlichfeit im Reflektiren über feinen 
Innern Zuftand. Durch Denken lernen wir ung bes 
greifen und das Denfen, das Fühlen und Begehren 
machen ben Stoff ber Selbflfenntniß aus, mögen 
dieſe Geiſtesthaͤtigkeiten ſich nun den Gefetzen ber 
Natur gemäß ober denfelben zuwider äußern. 


. Allein unfer Inneres if eine Melt; beren Wirk⸗ 
‚ famteiten fehwer und muͤhſam zu erforfchen find, weil. 
alles in derfelben flets wandelt und auf einer fteren 
Slucht begriffen it. Nichts beharret, alles kommt 
augenblicklich und verſchwindet eben ſo eilig wieder. 
Der Boden iſt zwar fruchtbar, aber die Erndte iſt 
auch ſchnell vorbei. Geboren werden und ſterben 
umfaſſen in der Zeit — dieſem Elemente des Seyns 
— einen Augenblick. Die Außenwelt hingegen be⸗ 
harret, weit ihre Gegenſtaͤnde im Raume angeſchauet 
2 werden. Der Erwerb von Selbſtkenntniß if daher 
weit ſchwieriger als die Erbeutung von Naturkennt⸗ 
niſſen. Jener erfodert weit mehr Aufmerkſamkeit, 
Raſchheit, Beſonnenheit, Fertigkeit und Kuͤhnheit 
im Denken als dieſe; aber bei jenem iſt auch der Ge⸗ 
winn fuͤr uns weit groͤßer als bei dieſer: denn wer 


\ 





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Dur 


‚ weiß, was er iſt, warum er iſt und wie er ſeyn und 


handeln foll, der hat allen Vorurtheilen und allem 


rn 


— 


Aberglauben, zwei die Menſchen fuͤrchterlich plagen⸗ 
den Geſpenſtern, entſagt; der trotzt verwegen allen 


Gefahten, die fein Leben bedrohen, "der ſtuͤrzt ſich 


muthig in den: Tumult der Natur und in das Gewuͤhl 


der Menfchen, , und belaufcht und enthuͤllt Geheims | 


aiffe, deren Aufſchluß eine Wohlthat für das Mens 
Feheng eſchlecht iſt; der ſieht ein, wo ·und wie er die 


Wahrheit ſuchen und den Irrthum vermeiden. kann: 


denn wer ſich felbft verfteht, wer die Wirfungsarten 


j feines Geiftes, ihre Gefetze und die, Grenzen bir Ans 


wendbarkeit derfelben, ihre. Abweichungen und die ' 
; Mittel, fie ‚wieder auf den Pfad der Natur zurück zu 


bringen, kennt, der hat .ein kraͤftiges Sicherheits⸗ 


‚mittel gegen:die erlichter, bie denjenigen, ‘ber feines 


Gemuͤthszuſtandes unfundig iſt, mit ſteten Gefahren 


bedrohen, und ihn weder ruhig über Die äußere Nas 


% 


tur nachdenfen noch getroſt die See fine zebens 


verfolgen laſſen. 


“er fein inneres Sen und Wieten erfor, | 


and fo wohl bie Geſetze bes Gelſtes als die Urfachen 


feiner Berirrungen kennen gelernt hat, hat auch ben _ 


Schlüffel zu dem Gemuͤthszuſtande Anderer. gefuns 


den; denn durch Selbſtkenntniß geht der Weg zur 
Ä Menfchentenntniß. Wer fich ſelbſt nicht verſteht, 


hat auch feine Kenntniß von dem Thun und Treiben, 


von den Triebfedern des Handelns und von: den Ges 


finnungen anderer Menfchen. Alle Haben mit uns 
eine und biefelbe-Narur. Die Leidenjchaften, Be⸗ 


gierden und Gefühle, die uns peinigen oder entzuͤcken, 


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— 7 I 
Ans, auch" die Quaͤlgeiſter ober die Freudengeber: für 
Audere. Ihre Geiftesfrankpeiten; ihre Geſinnun⸗ 


gen, und die Operationen. ihrer Denkkraft erfihrinen 
nur. wenig ‚von den ‚Unfrigen verſchieden und mit 


etwas hellern ober etwas dunklern Farben überzogen, 


..Jenachdem ſie mit mehr ader weniger Rraft:zum Won - 
fein fommen. und je nachdem ſie mit mehrern ober 


wenigern andern Gemüthsäußerungen vergeſellſchaftet 


ſind. Alles Menſchliche iſt im Grunde faſt immer 
einander aͤhnlich: denn alles fließt aus einer: und der⸗ 
ſſelben Quelle, und die ‚Verfchiebenpeiten; ‚Die. wir hier 
ab dort an Andern bemerfen, find eine bloße 
Schminke, welche ihnen ihr äußerer Zuſtand und ·ihre 
Beſchaͤftigungen auflegen. Die Menſchen wirden 
ſich gaͤnzlich gleich ſehen, wenn ihre Erzlehung, ihr 
Unterricht ‚u ihr religioſer Glaube, ihrn Geſchaͤfte, 


rihre Nahrungsmittel, ihre Regierung, ihr Umgang, 


das Klima u. ſ. w. allenthalben gleich waͤren. Alle 


Dee. Gegenfiände leihen den Menfchen etwas verfbie 


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dene Farben die groͤßtentheils nur Das: Aeußere ver⸗ 


ändern, das Innere aber wenig oder gar nicht an⸗ 


‚greifen? denn bier ſitzt die Ewigkeit auf: dem Throne, 
nichts "wandelt in ben urfprunglichen Anlagen des 
„Menſchen; was er in Anſehung diefer vor Jahrtau⸗ 
fenden war, ift er heute noch. Sein Geiftiges bleibe . 


“unter allen Revolurionen daffelbe; nur das Gewand, 


das die Erſcheinungen, welche außer ung herausfprin: 
gen, einhuͤllt, ift etwas verändert. Die Bedanfen, 
die Empfindungen und. Gefühle, die Beglerden und 
die Seidenfehaften ſchattiren fih anders, aber ihr 
Grund, ihre Natur und d ihre Geſetze ſind ewig die⸗ 
felben. u ‚ : Pe | 


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| 7 79 — 
Alſo nach der Selbſtkenniniß muͤſſen wir erſt 
| sur Kenneniß- anderer Menſchen fertgehen, warum 
toͤnnen wir dieſen Weg nicht: umfehren unb von der 
Kenntniß Anderer in unfer Inneres eindringen, um - 
uns-felbft kennen zu fernen ? Andere · Menfchen find 
ja. ein äußerer Gegenſtand, mit welchem man ſich 
| leichter befannr- machen kann als mie unſerm In⸗ | 
| nern? Thaͤten wir daher niche beffer, wenn wir.die 
Menſchenkenntniß zugleich mit der Naturkenntniß vers 
| baͤnden?““ Wollten wir an Andern- bloß ihre Hands 
Augen ‚ihr. Streben -und.ipe Dingen-nad- Genuß, . 
nad) Gluͤcksguͤtern, kurz ihr bloßes Aeußers: kounen 
“fernen, fo koͤnnten wir fie mit der Natur in eine Maffe 
werfen, allein uns iſt es wheiblog um die:äußern 
Schattirungen anderer: Menſchen zu thuti,r ſondern 
wir wollen eine Kenntniß von ihrem Innern, von 
den Gruͤnden ihres Thun und Laſſens, von den Mo⸗ 
tiven, die ihr Begehrungsvermoͤgen beſtimmen, von 
Ben Trieben, Meigimgen und Begierden, welche ihr 
Gemuͤth beherrſchen, vor. den Urſachen, die ihre 
Denkungsart und ihren Charakter bilden u. ſ. w. 
haben, und wie wollen wir dieſe Abſi chen: anders 
reichen, als daß wir norbero unfer Inneres durch» 
ſchauet haben, wo dieſelben Kraͤfte, Triebe und 
Maximen hauſen und wo derſelbe Tummelplatz fuͤr die 
Geiſtesthaͤtigkeiten aufgeſchlagen iſt? Bloß: durchdſe 
Kenutniß unfers eigenen Gemuͤthes koͤnnen mir in 
das Innere anderer Menſchen eindringen, bag: uns 
ſonſt ‚gänzlich verſchloſſen und unerklaͤrbar bleiben '- 
wuͤrde. Wir werben zwar Handlungen an ihnen 
‚gewahr, und wir. ſchließen aus denfelben und: aus 
Iren Reden. auf ihre Geſunungen und Dat ihre | 


— 


P 2 


Denkart, allein dies wuͤrden wir nicht zu thun im 

Stande ſeyn, wenn wir nicht aus aͤhnlichen Erſchei⸗ 

nungen, die wir an uns beobachtet baben ‚, auf aͤhn⸗ 
. liche, Urſachen in Andern ſchloͤſſen. Aus gleichen 

Wirkungen rathen wir auf gleiche Gründe und die 
Aehnlichkeit Anderer mit uns macht fie uns begreifs . 

lich. Wer daher viele Erfahrungen über ſich ange«“ 
ſtellt hat, hat vielen Stoff zur Kenntniß Anderer ein⸗ 
| gefammelt und wer viel über fich ſelbſt nachgedacht 
Hat, Hat ſich mit dem Gemürhszuftande Anderer eben 
fo gut als mic den Operationen feines eigenen Geiſtes 
overtraut gemacht. 


Der Menſch Re ein Berörf ber Analogie: ee 
erfläst Anbere aus fh: durch eine genaue Bekannt⸗ 
ſchaft mit ſeinem eigenen Charakter erraͤth er dle 
Triebfedern des Thuns und Laſſens Anderer. Im⸗ 
mer beurtheilt er den Zuſtand Anderer nach demjeni⸗ 
gen, was er unter dieſen oder jenen Umſtaͤnden ſelbſt 
gefühle oder gedacht oder gewollt hat. Dem Mens 
- chen ift der Menſch ohne füh fremd. Wer jelbft- 
feine Leiden erduldet hat, ift auch für das Ungluͤck 
Anderer entweder gar nicht ober nicht in ſo hohem 
Grade empfänglich als derjenige, der feloR in Noth 
und Elend gefhmachtet.hat. Und wer etwas oder 
doch etwas Aehnliches niche felbft gefühlt und empfun⸗ 
den, ober gebacht-oder getban hat, kann auch einen 
Zuftand, ber eine Wirkung jener Urſache ift, nicht 
richtig beurtheilen. Daher verfähre oft der Reiche 
fo unbarnaperzig gegen ben Armen, der Märhtige 
gegen den Ohnmächtigen, und daher achten die Ge⸗ 
waltigen fo wenig die Freiheit der Preffe, weil ſie nie 














— 81 — 
ein Beduͤrfniß gefuͤhlt haben, die Richtigkeit ihrer 
Gehdanken an dem Pruͤfſteine ber Meinungen Ande - 
ver zu ‚erproben. Durch Beduͤrfniſſe hänge der 
Menſch mit: feines Gleichen zufammen und buch 
Kenntniß ſeiner ſelbſt ahnet er die Beſchaffenheit und 
den Zuſtand Anderer. = | 

Da aber unfer Geift bald ermüder und da den⸗ 
felben Efel und Ueberdruß ergreift, fo bald er fih 
ſtets blog mit einem und” bemfelben Gegenftande bes 
ſchaͤftiget, fo müffen wir öfters. in der Betrachtung 
ber äußern Natur und des menfchlichen Gemüches 
abwechfeln, damit uns immerfort eine jugendliche 
Munterkeit bei unfern Arbeiten befebe und damit un. 
fer Verſtand durch die Abmwechfelung geftärkt kraͤftig 
in die Welt der Erfcheinungen in und außer uns eins 
greife, um ſich defto. größere und wichtigere Aufs 
fchlüffe über die. Natur und über den Menfchen zu 
verfchaffen. Das Nachdenken über mannichfaltige 
und verfchiedene Stoffe iſt Erquidung, das ftere 
Brüsen hingegen über einem und demfelben Gegen- 
Rande Entfräftung für ben enblichen Seit J 





Die Natur hat nur wenige oder gar keine Ge⸗ 
heimniſſe für denjenigen, der frei und ſelbſtthaͤtig über 
fie reflefeire, und für den Undenkenden eriftire fie gap 
nicht, alles ift leer und ode um ihn her. Er ift fich 
ſelbſt bloß ein Schatten unb fein geben if der Traum 
von einem Sqatten. 





Zunß zu denke. 8 


> + 





— go — 


Denkart, allein dies wuͤrden wir nicht. zu thun im 
Stande ſeyn, wenn wir nicht aus aͤhnlichen Erſchei⸗ 
nungen, die wir an uns beobachtet baben, auf aͤhn⸗ 
liche Urſachen in Andern ſchloͤſſen. Aus gleichen 
Wirkungen rathen wir auf gleiche Gruͤnde und die 
Aehnlichkeit Anderer mit uns macht fie uns begreif⸗ 
lich, Wer daher viele Erfahrungen über ſich ange⸗ 
ſtellt hat, hat vielen Stoff zur Kenntniß Anderer ein⸗ 
geſammelt und mer viel über ſich ſelbſt nachgedacht 
bat, het fi ch mit Dem Gemuͤthszuſtande Anderer eben 

ſo gut als mit den Operationen fine eigenen Geiſtes 


J vertraut gemacht. 


Der Menſch M ein Berörf der Yualogie: e 
efläer Andere aus ſich: durch eine genaue Bekannt⸗ 
ſchaft mit feinem: eigenen Charakter erraͤth er die 
Triebfedern des Thuns und Laſſens Anderer. - Im⸗ 
mer beurtheilt er den Zuſtand Anderer nach demjeni⸗ 
gen, was er unter dieſen oder jenen Umſtaͤnden ſelbſt 
gefuͤhlt oder gedacht oder gewollt hat. Dem Men⸗ 
ſchen iſt der Menſch ohne ſich fremd. Wer ſelbſt 
keine Leiden erduldet hat, iſt auch fuͤr das Ungluͤck 
Anderer entweder gar nicht oder nicht in ſo hohem 
Grade empfänglich als derjenige, der ſelbſt in Noth 
und Elend geſchmachtet hat. Und wer etwas oder 
doch etwas Aehnliches nicht ſelbſt gefuͤhlt und empfun⸗ 
den, oder gedacht oder gethan hat, kann auch einen 
Zuſtand, der eine Wirkung jener Urſache iſt, nicht 
richtig beurtheilen. Daher verfaͤhrt oft der Reiche 
ſo unbarmherzig gegen ben Armen, der Maͤchtige 
gegen den Ohnmaͤchtigen, und daher achten die Ge⸗ 
waltigen ſo wenig die Freiheit der Preſſe, weil ſie niie 











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ein Beduͤrfniß gefühlt haben, die Nichtigkeit ihrer 
Gedanken an bem Prüffteine ber Meinungen Andes 
rer zu ‚erproben. Durch, Bebürfniffe hänge der 
Menſch mit feines Gleichen zufammen und dur 
Kenneniß feiner felbft- abnet er bie Beſchaſfenbeit und 
den Zuſtand Anderer. 

Da aber unfer Sein bald ermüber und da dene 
felben Ekel und Ueberdruß ergreift, fo bald er fich 
ſtets bloß mit einem und demfelben Gegenſtande bes 
ſchaͤftiget, fo müffen wir öfters.in der Betrachtung 
der äußern Natur und des menfchlichen Gemüches 
abwechfeln, damit uns immerfort eine jugendliche 
Munterfeit bei unfern Arbeiten belebe und damit un. 
fer Verftand durch die Abmwechfelung geftärkt kräftig 
in die Welt der Erfcheinungen in und außer uns eins 
greife, um fich deſto größere und wichtigere Aufs ' 
fehlüffe über die Natur und über den Menfchen zu 


verfchaffen. Das Nachdenken über mannichfaltige 


und verfchiebene Stoffe iſt Erquikung, das ſtete 
Brüsen hingegen über einem und demfelben Gegen⸗ 
ſtande Enttraftung fuͤr den endlichen Geil \ 





. Die Natur hat nur wenige oder gar feine Ger 
heimniffe für denjenigen, der frei und felbftehärig uber 
fie refleftire, und für den Undenkenden eriftire fie gap 
nicht, alles ift leer und ode um ihn her. Er ift ſich 
ſelbſt bloß ein Schatten und fein geben if der Traum 
von einem Sqhatten. 





Zunſt zu dekre. 





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⸗ 82 . u \ 


Alle Welt preift die Naturkenntniß und doch hat 
man fich vorzüglich erft in neuern Zeiten auf: bie Sauer 
gelegt, und ſich bemuͤht, die Natut in ihrer Werk⸗ 


nina iu ibetrafihen, 


% . . 
I. or ; 
. 2 


- Die Außenwelt eriftire im Raume und der 
Raum, der die bloße Form der äußern Sinne ift, 
im Menſchen, alfo ift der Menſch der Träger afler 
Dinge. Wer erfchrickt nicht vor dem Gedanken, daB 
er alle Menfchen, Gute und Böfe, Sklaven: und 


Tyrannen, Räuber und Mörder und das ‚ganze Ä 


Syſtem der Natur, alle Revolutionen und alle Ver: 


heerungen in ſich träge? Und was ift der Menfch ? 


Kann nicht alles aus ihm werden? Iſt nicht etwa 
bloß der Mangel an Gelegenheit zum Boͤſen ſein 


Schußgeift? ? 


Vieles Eſſen verdirbe den Magen, aber vieles 
und zwar geordnetes Wiſſen ſtaͤrkt Körper und Geift: 
denn jener wird durch die Thaͤtigkeit diefes fpirituali- 


ſirt und erhält einen größern Fond von Lebenskraft. 


Der Menfch ift in allem ein Dualift: er darf 


daher über dem. Denfen das Handeln nicht vergeſſen. 





Der Menſch träge die Keime: der Ewigkeit 


in ſeinem Bufen: aus ben Soderungen feiner prafe - 


! 








N — 83 —8 


tiſchen Vernunft +) entfpeinge fein Slarbe an Uns 
fterblichfeit, 


_ 


"Man af ſich w weder in ſeinen Kenatniſſen noch 
in ſeinen Handlungen mit den Anweiſungen auf eine 
andere Welt begnuͤgen laſſen. Man muß wenigſtens 
wiſſen, warum man etwas nicht wiſſen kann und 
man muß jetzt handeln, weil wir den Stoff, der zu 
unſerer Thaͤtigkeit erfoderlich iſt, nur innerhalb der 
Schranken dieſes Lebens kennen. 

€ , j 

Columbus entdeckte Amerika und Kant ent: .- 
deckte etwas, was allen Menfchen fehr nahe liege 
und was viele große Geifter vergeblich gefucht haben 
— die Naturgefeße des menfchlichen Geiftes, ihren ' 
Iubhalt und die Grenzen ihrer Anwendbarkeit. 





r 


Jeder Menſch ſoll ſich ſelbſt der Naͤchſte ſeyn, 
wenn er denkt, und ſich kennen lernen will, aber nicht, 
wenn er begehrt. . | 


. 
— 





Die Menſchen ſind in der Jugend eine unbe⸗ 
ſchriebene Tafel, auf welche die Lehrer, die Eltern 
und die Lage die Schickſale ihres kuͤnftigen Lebens ein⸗ 

ſchreiben. 


. 952 
) Die Vernunft, weiche Geſetze für den Willen sieht, 








Die Gesenfiände ; welche uns die Außenwelt 
zum. Beobachten. barbietet, beharren; die Erſchei⸗ 
ungen’ aber, welche fh in unferm Gersliche offen 
‚baren, find auf einer fteten Flucht begriffen; fie er⸗ 
“ neuern und verwandeln fich beitändig. Wir empfin« 
den, fühlen, denken, erkennen, begehren und wols 
fen, aber was find diefe Aeußerungen unfers Geiftes? 


Wenn wir diefelben auch in Worte auffallen, fo bes . 


greifen wir von ihnen ‚doch immer nicht viel mehr als 
was fie niche find. . Wie entfliehen Diefe Geiſtesopera⸗ 
tionen? Was iſt der Grund ihrer Verſchiedenheit und 
der Abweichung von ihren Naturgeſetzen? Warum 
giebt es nicht mehrere Thaͤtigkeiten unſers Gemuͤthes 
- als bloß diefe?" Entſpringen fie aus einer einzigen 
Quelle and was if die Kraft, welcher fie ihr Doſeyn 
and ihre Wirkſamkeit verbanfen? 


Wenn wir uns kennen lernen wollen, ſo muͤſſen 
wir aufmerffam und, mit Ruhe den Zuſtand unſers 
Gemuͤthes beobachten: wir müffen -in das innere, 
in die Werkſtaͤtte unſerer Gefühle; Gedanken, Be⸗ 
gierden und Entfchließungen eindringen, um uns zu 
beläufchen und alle Aeußerungen, die in uns vors 
gehen, aufzufaflen und diefelben verftehen zu fernen: 
denn alle Selbſtkenntniß geht durch das Auffaffen 
und Begreifen der Ihätigfeiten unfers Geiftes, ihrer 
Urſachen und hrer Zwecke. 


Was giebt es aber in uns fuͤr Erſcheinungen, 
„welche wir beobachten. müffen? Die äußern Gegen» 
ſtaͤnde machen einen unmillführlihen Eindruc .auf 


"uns, joir empfinden biefen und werden auf jene zuruͤck 


YZu 


‘ 


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zu wirken genoͤthigt. Wir bemerken in uns Veraͤn⸗ 
derungen, der Zuſtand unſers Gemuͤthes wechſelt, 
wir fühlen bald Freude, bald Leid, bald Luſt, balb 


Unluſt; bald erhaſcht ung ausgelaffene Luſtigkeit, bald 


überfchleicht uns Unmuch, Bei allen diefen Zuftäns = 
Den des Gemuͤthes verhalten wir ung leibend ; fremde 
Gewalten fpielen auf uns berum und beherrſchen uns. 


Dasjenige, was durch die Einwirfung der aͤußern 


Begenftände auf unier Gemuͤth und durch das Be⸗ 


werden, fi nd Gefühle, Als bie Möglichkeit und 


als die Bedingung jolcher Gemüchszuftände muß ein 


Empfindungs - und.ein Gefühlsvermögen. voraus ges 


ſetzt werden, welche in uns am fruͤheſten ihätig find 
- und denen wir ſllaviſch unterworfen ſi nd indem fie 
uns wider unfeen Willen und trotz aller unferer Ans 


firengung, ihren Einfluß in unfere Gewalt zu befom- 


und Gefühle, welche die Beranlaffung zu vielen Ers 


ſcheinungen in uns find und mit diefen müffen wir den 


Anfang in unferer Selbftfennenig machen. Da. fie 
aber ſtets wechſeln, fo müffen. wir immer bereit feyn, 
fie auf. der Flucht einzuholen, fie uns deutlich und 


ben nach einem jelbftchätigen Beftimmen des Vers 

ftandes find die Mittel, womit wir dieſe flüchtigen 

Geſtalten bannen, wodurch wir ung diefelben begreif⸗ 

Sich machen, ihren Urſprung und ihre Abſi chten ent⸗ 
sun zu denfen. (6) 


wußtſeyn ihres Verhaͤltniſſes zu demſelben entſteht, — 
nennen wir Empfindungen; bie Veränderungen Ä 
‚ aber, die in uns vorgehen und -beren wir uns bewußt 


‚men, unterjochen. Wir haben alſo Empfindungen- 


- 


 werftändlich zu machen. Wie koͤnnen wir aber dieſen 
Vorſatz ausfuͤhren? Eine ununterbrochene Aufmerk⸗ 
ſamkeit mit Beſonnenheit gepaart und ein ſtetes Stre⸗ 





- — — 77, — -—_- - .- 





meln würden. 


Selbſtkenntniß iſt zu allen Dingen nuͤtze, nur 


nicht zum Kriechen und zum Wegwerfen ſeiner Selbſt, 


weil die Schaam, bie eine Frucht ber Kenntniß uns 
ſerer ſelbſt iſt, für jeden Beobachter feines Gemůuͤthes 


ein in todeliches Gift ſeyn wurde. 


J 





Andere muß man beobachten, ohne daß ſie 


etwas davon bemerken, weil ſie ſich ſonſt verſtellen 
und wir anſtatt Wahrheit Schaltengeſtalten einſam⸗ 


\. 





Das Denken iſt die beſte Arzenei, wenn wir 


uns krank fuͤhlen: es ruft Kraͤfte zur Thaͤtigkeit auf, 
von welchen niemand als wir ſelbſt zu unſrer Heilung 
Gebrauch machen koͤnnen: dasjenige, was vorhero 
kraftlos hinſauk, ſteht Durch das Selbſtdenten v ver⸗ 
jüngt zum neuen geben auf. 


— 





lungsproceß. Die Denkkraft iſt der Kuͤnſtler, ber 
alle Miſchungen und Verwandlungen vornimmt. 


VIL Capitel. 


Wie muß man bie äußere Natur Behandeln, 


um durch ben. Umgang und. die Befhäftis- 
gung mit derfelben denken zu lernen? 





Der Menfch kann fi anfängfich nicht entzweien und 


ſich zugleich zum Denfenden und zum Gedachten 


& 


Das ganze menfchliche Leben iſt ein Verwand⸗ 





⸗ 
v. 


machen; er muß daher zu feinen erſten Denkuͤbungen 
einen Gegenſtand wählen: ber nicht er felbft, fons 
bern ber von ihm verfchieben ift und ber beharrt, da⸗ 
mit er ihn mic Ruhe befchauen und mit Nachdenken . 
von allen Seiten betrachten kann. | 
—2* | * 
Die aͤußere Natur muß alſo der erſte Gegen⸗ 
fand ſeyn, woran der Menſch feine Denkkraft übe: 
wie muß er es aber anfangen, um fi) durch bas Ver⸗ 
ſtehenlernen der Erſcheinungen zugleich eine Fertig⸗ 
keit im Selbſtdenken zu verſchaffen? Er muß ſeine 
Aufmerkſamkeit willkuͤhrlich und mit Beharrlichkeit 
_ auf allerlei äußere Gegenſtaͤnde wenden, dieſelben 
mit Treiheit und Genauigkeit beobachten, dasjenige, 
was er an ihnen "bemerkt, bejonders heraus heben, 
baffelbe beurtheilen, erflären, und ſelbſt beſtimmend 
in die Reihe feiner Erkenntniſſe aufnehmen, Was 
er auf diefe Art thut, muß er mit Luſt und Hoffnung 
eines fihern Gemwinnes thun; er muß dasjenige, was , 
‚ge angeſchauet bat, öfters ins Andenken zurüd rufen, | 
von neuem befrachten, und es mit andern Gegenſtaͤn⸗ 
den in Verbindung zu bringen ſuchen. 


Wenn wir durch die Beobachtung der Natur 
ſelbſt denken lernen wollen, fo muͤſſen wie 1) die Ver⸗ 
ſchiedenheiten an den mancherlei Gegenſtaͤnden, die 
wir gewahr werden, aufſuchen, indem das Verſchie⸗ 
dene leichter aufzufinden iſt, als das Aehnliche, weil 
jenes, das Eontraftivenbe, ‚ unfere Aufmerkſamkeit 
mit Gewalt an fich reißt, während dieſes als etwas 
Gewoͤhnliches ſich ruhig dem Geiſte zur Betrachtung an⸗ 

bit, oder fich unferer Aufmerkſamkeit gänzlich ent⸗ 


- 


u 7 —8 


| gfüetic, der unaufhoͤrlich die Erfcheinungen verfolgt 


und in der Reihe derſelben ſtets auf⸗ und abwaͤrts 


ſteigt, und die Bedingungen von allem Wahrgenoms - 
menen fennen zu lernen ſtrebt. Was ift z. B. bie 


Urſache bes Donners? Was ift der Grund bes 
Wachsthumes ber Bäume? Warum drehen alle 
Blumen in den Treibhäufern ihre Spißen nadh beit 
Lichte zu? Warum fehen Menfchen, die lange im 
engen Gefängnijfen gelebt haben, ſehr bleich aus? 
Dies rühre von dem Mangel an friſcher Luft her? 
Welches ift alfo die Wirkung ber freien Luft auf den 


menfchlihen Körper? Wenn jemand XArfenif vers 


lungen hat, welche Folgen hat dies auf feine Ges 


fündHeit? Welhe Wirkungen äußert eine Menge - 


von Blumen in einem verfchloffenen Zimmer auf die 


darin fhlafenden Menfheyg? Warum verlieren bei 


uns die Bäume im Herbfte die Blätter? Die Urs 
ſache liegt in der Abnahme ber Wärme, welchen Eins 


fluß äußert aber Die fortdauernde Wärme: in biefer 


Jahreszeit auf bie entlaubten Bäume? 


"Dies Suchen nad) den Uefachen und Wirkun— 
gen der Dinge iſt fuͤr uns eine reiche Quelle von 


Kenntniſſen und ein vortreffliches Uebungsmittel un⸗ 


ſers Verſtandes. Alles, was wir anſchauen, muß 
auf die Probe geſtellt und wir muͤſſen uns jederzeit 


nach feinem Woher und Wohin erkundigen. Vieles 
bleibt uns zwar trotz aller Anftrengung unerffärbar, 


allein nie darf uns doch der Grund verborgen bleiben, 


warum mir Die Urfache feines Dafeyns nicht einfehen 


. nen: denn was unterſcheidet den Menſchen von 


den Thieren, als daß er nach den Urſachen der Er⸗ 


= 


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ß 


a 89 —“ 4 J 
ſheinumg korſcht und aus den Urſachen auf ihre Wit⸗ 


kungen folgert / daß er Zufammenhang in das bunfe 


Gewimmel der Erſcheinungen bringt und daß er alles 
an einer großen Kette ablaufen laͤßt? 


Die Kenntniß der Urſachen iſt das  Sefen und 


Verftehen der Erſcheinungen: ohne dieſe Einfiche in: 


die Dinge bleibe die Welt fur uns flumm und ohne 
diefe Art die Erfcheinungen ju erforfchen, beſteht die 


- ganze Natur aus rohen, ungeformten, feben s und . 
zweckloſen Maffen; ‚das Verfolgen der Erfcheinungen 


hingegen, um fie im Augenblicke ihres Werdens zu 
erhafchen, iſt der erſte Schritt zu unferer Freiheit 
und Seldſiſtandigkeit. 


Dieſe vorausgegangnen Denkuͤbungen ſchen uns 


nunmehro in den Stand, daß wir 5) Schlüſſe machen 
und von dem Allgemeinen zu dem Beſondern herun⸗ 


ter und von dieſem zu jenem hinauf ſteigen lrnen. 
Auf diefe Art gelangen wir von dem Bekannten zu 


dem Unbekannten und von dem, mas wir anſchauen 
zu demjenigen, was hinter dem Vorhange faufche 


und was der Quell vieler Erfcheinungen ift. Wenn a 
Die Blätter eines Baumes das Organ find, wodurch | 


er fich erhält, was folgt daraus, wenn man mitten 
im Sommer afle feine Blätter abpfluͤckt? Der Oft 
wind wehet und es ift Daher kalt. Alle Pflanzen 


fterben ab, wenn es im Sommer weder regnet no 


thauet. | 
Das Schließen iſt das Entraͤthſeln der Erſchei⸗ 
nungen und es muß daher als eine vorzuͤgliche Uebung 


r 


v 


2 


—“ — ) “ 
9 


der‘ Denkkraft nach allen drei Arten y wie Schtüfe | 


gemacht werben. koͤnnen, vorgenommen werden. 
a). Katbegorifche Schlußart: das ſchwüule 
Wetter iſt im Sommer ein Vorzeichen von Gewit⸗ 
tern, es iſt heute ſehr ſchwuͤl, alſo werden wir Ge⸗ 
witter erhalten. b) Hypothetiſche Schluß—⸗ 
art: wenn die Stürme anſteckende Krankheiten ver⸗ 
huͤten, fo haben wir bei ung nach fo gewaltigen Stür⸗ 
men nichts von Fauffiebern zu beforgen ). c) Diss 
junftive Schlußart: die Körper gehören ent⸗ 


weder ins Pflanzen- oder ins Thier- oder. ins Mines 
ralreich, der Meger gehört ins Thierreich, alfo nicht 


Ä ins Pflanzen s oder ing Mineralreich. 


Da das Schließen ein Geſchaͤft der Vernunft 
iſt, ſo wird durch den oͤftern Gebrauch dieſer Art zu 
denken die Vernunft geuͤbt und ausgebildet, und wir 


koͤnnen nunmehro 6) zur Aufſuchung der letzten - 


Gruͤnde der Dinge und zur erſten Urſache von allem, 
was da iſt, fortgehen. Die Vernunft als das Ver⸗ 
"mögen der unbedingten Einheit beruhigt ſich nicht, 
wie der Verſtand, in der Mitte des Weges bes zu 
Unterfuchenden , fondern fie dringt bis zum Anfange 


und bis zum Urfprunge alles Seyns und Wirfens vor, 


. Sie will wiffen, woher dies alles fey, was wir gewahr 


werden und wie es unbedingt möglic, werde, Mur. 


die Einfiche in die feßten Gründe der Dinge-befriedige 
die Anfprüche , diefie an uns macht, und nur der An⸗ 


*) Ich ſtelle hier nicht die vollſtaͤndige Form der 
Schluͤſſe auf, ſondern ſetze bloß das Reſultat her, 
das ſich aus ihnen ergiebt. | 


X 


on - 91° 
fang. alles Gefchehens ift der Punkt, 10 fie ausruhen. 
Sie noͤchigt uns bis zur oberften Urfache der Weli 
hinaufzuſteigen, wern wir diefe auch weder begreifen 
noch Die Art ihres Daſeyns erkennen koͤnnen, noch zu 
erfahren im Stande find, ob es wirklich ein folches 
Weſen giebe, als gefucht wird. Als der Quell von 
een, melde Urbilder der Dinge find, Die aber 
nihe außer, fondern in uns wohnen; , führe fie ung 


bis an die Grenze der Sinnenwelt, die wir alsdann 


öfters, durch fie verleitet, unvermerkt überjpringen 
und uns.in einen bodenfofen Abgrund flürzen, wo alle 
Wirklichkeit für uns aufhört und wo alles für und 
Schartenbilder werden. ‚An der Grenze der Sinnen» 


‚welt müffen wir bei dem Einſammeln von Erkennt: | 
niffen Halt machen: denn hier endigt fih der fruchte 


bare Boden, worauf allein für ung reichliche Ernd⸗ 
ten bluͤhen. 


Haben wir die Urſachen von den Eeſcheinungen on 
und die legten. Gründe derfelben erforſcht, wobei wir 


zwar bedachtfam, aber doch nicht fhüchtern verfah⸗ 
ren müffen ‚ ſo müffen wie 7) zur Beantwortung der 
Frage übergehen: wozu ift etwas in der Natur vor 
handen? z. B. warum giebt. es fchäbliche Dinge in 
der Welt? Was nugen Seuchen, Krigge u. f. m.? 


Welchen Nußen haben die Gewitter, die Erdbeben, | 


die Orkane u. ſ. w.? Der Zweck der Dinge muß aber 


— 


immer erſt alsdann aufgeſucht werden, wenn wir ihre 


Beſtandtheile und die Urſachen ihrer Wirkungen er⸗ 
forſcht haben, weil ung die feßtere Art nachzudenken 
“ allein zu wirklichen Einfi Gen in Die Welt der Erſchei⸗ 
nungen verhilft. 


\ 
\ 





92 — 


Die Betrachtung der Natur, die Erforfhung 
der Urfachen und des Zweckes der. Erfcheinungen muß 
uns zu. gleichee Zeit den Weg zu.uns felbft bahnen. 
Wir niuͤſſen daher unfere Borftellungen von bem 
Dingen und ihre Beſchaffenheit unterfuchen. 
. Mir müffen uns klare und deutliche Begriffe von dem . 

Gegenſtaͤnden verfhaffen und alfo bie Merkmale auf⸗ 
fuchen, welche ihnen die Eigenfchaft von dieſer ober 
jener Art ber Borftellung ertheilt. Was ift’ein kla⸗ 
‚ ger, und was ein Deutlicher Begriff? Ich ſehe zwei 
- Bäume, der Eine ift eine italienifche Pappel, ber 
Andere eine Tpränenweide..e Go bald man weiß, 
worin’der Gegenftand, ben.man gewahr wird, z. B. 
hier die Pappel, befteht, und wenn man mehrere Eis 
genfchoften, die er hat, von einander unterfcheiben 
kann, fo hat man einen Flaren Begriff, wern- man 
aber den Unterfchied zwifchen zwei Gegenſtaͤnden, 
z. B. zwiſchen den eben angeführten Bäumen, und 
ihr Verhaͤltniß zu uns als dem Anſchauenden einſieht, 
ſo hat man ſich einen deutlichen Begriff ermor⸗ 
ben. — Wir muͤſſen unterſuchen, ob ein Begriff 
ein individueller oder ein partikularer iſt und wenn 
wir uns in der Bildung dieſer beiden Arten von Be⸗ 
griffen geuͤbt, ſo muͤſſen wir zur Beſchaͤftigung mit 
allgemeinen Begriffen uͤbergehen. Die individuellen 
Begriffe beziehen ſich auf einen einzigen Gegenſtand, 
die partikulaͤren auf mehrere und die allgemeinen auf 
alle Gegenſtaͤnde einer und derſelben Art oder einer 


und derſelben Gattung. Wollen-wir uns einen ſallge⸗ 





meinen Begriff bilden, ſo muͤſſen wir mehrere Merk⸗ 
male von dem Gegenſtande wegdenken und bloß die⸗ 
jenigen von demſelben im Geſichte behalten, die zu 


— 





— 93 — 


feiner Art ober zu feiner Gattung gehören und bie er 
alſo mit allen andern diefer Are oder biefer Gattung 
gemein hat, z. B. ber Fruchtbaum ift ein Baum, ber 
Fruͤchte trägt. Hier ift nicht Die Mede davon, mas 
diefes für Fruͤchte ‚ob. es Pflaumen, Apfel “en w. 
find. | 


‚Mit dem Allgemeinen bir Begriffe Ri: das Ab» 
firafte nahe verwandt. Beim Abftrabiren feße max. 
alles Befondere und Zufällige beiſeite, und ſucht bloß 
das Allgemeine und Nothwendige heraus. Miemals: 
aber darf das. Abftrafte, wenn es Wahrheit und alfo 
die Merkmale enthalten foll, die jedem Gegenftande 
der Art eigenthuͤmlich find, mehr als bloß das Allge⸗ 
meine in fich begreifen. 


Im Abſtrohiren muß man ſich fleißig len, 
weil man dadurch an die Entdeckung ber urſprürig⸗ 
lichen Eigenfchaften der Dinge und alfo an die 
Bekanntſchaft mit. allgemeigen Begriffen gewöhnt 
wird, welche der Canon ber Wadhrheit und der 
Zugend ſind. 


Beim Abſtrehiren muß man feinen Blick ſcharf 
auf Die Gegenſtaͤnde, ihre Eigenheiten und ihren Uns 
terfchied richten und ununterbrochen über dieſelben 
reflektiren, damit man immer bloß das Geſuchte her⸗ 
ausfinde und dasjenige, deſſen wir jetzt nicht beduͤr⸗ 
fen, bei Seite ſchiebe. Das Abſtrahiren iſt, wenn 
auch nicht bie Seele bes Philoſophirens, doch wenig. 
fieng der Vorhof zu demſelben, welchen das Renee⸗ 
tiren eroͤfnet. 


9 — on 
"Bei allen feinem Nachdenken aber muß man 


wicht allein die lagiſche, ſondern auch und zwar 
vorzuͤglich die r e ale Wahrheit beruͤckſichtigen. Im⸗ 


mer mailen wir zuſehen, ob auch unſere Vorſtellung 


mit dem Gegenſtande, uͤber welchen wir nachdenken, 


übereinftimmt, ob fie Eigenfchaften aufgreift, welche 
feinen Charakter ausmachen und ob alle Merkmale, 


welche wir bei feiner Beobachtung heraus heben, ihm 
angemefjen fi nd, ‚Wir müffen.baher. zu unfern Bor 
ftellungen von einem Gegenftande.bafd erwas hinzus 
feßen, bald etwas Davon. hinwegnehmen, um zu erfah⸗ 
‚ven, ob diefelben dem Vorgeftelltennoc) völlig adaͤquat 


find und um Die Probe. anzuftellen, ob unfere Be | 


griffe Gehalt haben. ob fie diefe oder jene Erfcheie 


\ 


nung ber Natur, welche wir: jeßt Betrachten, erklaͤ⸗ 


‚ven und ob fie fich an andere ausgemachte Erfahrun« 
gen anknüpfen laſſen und alfo Baprheit‘ enthalten. 


Bei den Uebungen unferer Denkkraft muß ums 
eben ſo viel an der vollfommenen Kenntniß der Na⸗ 
tur als an der Freiheit und. Selbſtthaͤtigkeit des Ver⸗ 


ſtandes gelegen ſeyn. Leeres Denken iſt Gift fuͤr un⸗ 


ſern Geiſt, es bringt ihn eben ſowohl um alle. Kräfte 


als um Wahrheit; gehaltreiches Denken hingegen 
iſt &ebensbaljam für denſelben, es ftärft ihn eben fo 


ſehr als es ihn bereichert. Todte Formeln fragen 


unſere Würde zu Örabe und. mir fangen an den Mas. 


fchinen zu gleichen, welche nur durch; Stoß in Bewer 
gung, gefeßt werden. Die Natur muß uns Staff zu 
Reichthum an Gebanfen'geben und unfer Verſtand 


. muß derſelben Leben und Geift einhauchen. Beide muͤſſen 


durch eine ſtets thaͤtige Wechfelwirkung ihren Gehalt 


und ihren Werth vermehren und es giebt für die 


y 








| 


7 95 — 
Moenſchen nur dadurch eine Rettung gegen viele Na⸗ 
turuͤbel, daß fie ſich mit der Natur einigen und’ fie 
als ein Produkt ihrer Seldſuhatigteit anſehen und 
beheirſchen lernen. — 

—RW— Ss. ’ j ” 





„XII. Capitei 


was muß man an fih und wie muß manfid 
WBeobachten, um felsf denken und ſich: 
ſelbt kennen zu lernen? Y. 'r 


. 
4 





Der Menſch iſt ſich ſelbſt eine Welt, die er nie voll⸗ 
ſtaͤndig kennen lernen wird, weil ie unerſchoͤpflich an 
neuen Erſcheinungen iſt und weil, wenn er auch eine 
vollſtaͤndige Kenntniß von ſeinen urſpruͤnglichen Wir⸗ 
kungsarten, von: den Geſetzen derſelben und den 


Grenzen ihrer Anwendbarkeit erlangt hat, doch die 


- Berirrungen berfelben, das Zuſammenwirken unter ein⸗ 
ander und. alfo die Erzeugniffe, welche ihre Thaͤtig⸗ 
keiten hervorbringen, zahllos find, und Daher allen 
feinen Anftrengungen, die Aeußerungen feines Get- 
ftes vollfommen kennen zu fernen und fie im vollſtaͤn⸗ 
digen Zufammenhange aufzufaffen, zu fporten fcheis 
nen. Die Einbildungskraft, die fiets neye Combi⸗ 
nationen macht und ftets neue Erfcheinungen hervor: 
bringt, verwirrt alles wieder, was der Verſtand 
geordnet hat, und auf dieſe Art verſchwindet ftets Der 
Glaube, daß wir uns vollfommen durchforfche und 
alſo felbit die geringften Abnungen unfers Geiſtes 
kennen gelernt. haben. 


jo — 


\ 


felbſt kennen fernen ſollen? In welcher Abſchhe v8 
- der Menfch feinen Gemuͤthszuſtand erforfchen und 


wozu ift Selbſtkenntniß tauglich? Um zu erfahren, 
was man vermoͤge feiner. Naturanlagen thun kann 


und zu thun hat, und wie man die Zwecke, Die fe 


aufftelfen, am beften erreichen kann. Die Selbfts- 
kenntniß ſoll alſo ein Mittel ſeyn, ein der Natur ge⸗ 


maͤßes eben zu fuͤhren. Worin beſteht nun ein ſol⸗ 


ches geben? In der abfichslichen- Unterordnung alles 


Gemuͤthsthaͤtigkeiten unter Das Sittengeſetz. Hier 
tritt alſo die Pflicht ein und.mo dieſe gebeut, ba ſell 


der Menſch gehorchen, wenn er a4uch unter ben 
Truͤmmern einer Welt vergraben werden ſollte: denn 


wo das Moralifche hereſchen ſoll, muß das Phyſiſche 
ſchweigen, und wo die Vernunft die Oberherrſchaft 
fuͤhren ſoll, muß die Sinnlichkeit dienen. In der 
| ſterblichen Huͤlle weilt der Menſch bloß um der Pfticht 


willen; er ſoll ſtets moraliſch gut handeln, was iſt 
nun in Ruͤckſicht der Erkenntniß erfoderlich, um die⸗ 
ſem Gebote in allen Stuͤcken Gnuͤge zu leiſten? Mag 
muß 1) das Geſetz, das bie Richtſchnur eines Wil⸗ 


‚Tens, den man gut nennt, iſt, und 2) die Mittel und 


Wege, wie man ftets die Foderungen Diefes Geſetzes 


befriedigen fann, Pennen lernen.. - Das Gefeg der 
moraliſchen Guͤte ift Das Gefeß der praftifchen Vers 


nunfe, und die Mittel find der freie, ſelbſtthaͤtige 


und ſtandhafte Gebraud aller unferer Anlagen und 
Kräfte zur- Ausführung des Gebotenen oder zur Uns 


terlaffung des Verbotenen. Was nun als Mittel 


mit einem durchgaͤngigen Gehorſame gegen die Pfliche 


zufammenhänge, ift ſelbſt Pflicht. Die Selbſtkennt⸗ 
niß beſteht a in der Kenneiß Der urſpringlichen An⸗ 


x 








4 
y . — — 
— 


— 107 8 


| fagen und Kräfte des menfchlichen Gemuͤthes, ihrer 


Gefege und ihrer Wirfungsarten. 2) In der Kennts 
niß de Einwirkungen derfelben auf einander und des . 


Verhaͤltniſſes, in welchem fie zur praktiſchen Vers 


nunft ſtehen, und 3) in der Befanntfchaft mie den 


Verirrungen und den Krankheiten des menſchlichen 


Geiftes, den Erfcheinungen, welche diefe hervorbrin⸗ 


gen, den Tugenden und den Saftern, den Schwächen 
und den Neigungen u. |. w. Da nun eine genaue 
. Kenntniß aller dieſer Dinge zu einem ununterbroche- 


nen Rechtsund Guthandeln unentbehrlich ift, fo 


ſieht man ein, daß der Erwerb der Kenntniß feiner 


- Setbft als Pflicht geboten if. Der Menfch ſoll ſei⸗ 
sien intellektuellen und moralifchen Zuftand kennen, 


um beide zu verbeſſern und dieſem die Oberhand uͤber 


jenen zu verſchaffen. Indem alſo die Selbſtkenntniß 
zum Streben und zur Realiſirung eines unbedingt ge⸗ 


botenen Zweckes führt, erhält fie einen weit hoͤhern 
Werth als alle jene Kenntniſſe, welche bloß eine Ans - 
weifung zum: Gebrauche von Mitteln dur Erreichung 


bedingter‘ Zwecke ſind. 


— 


Ohne Selbſtkenntniß iſt der Menſchei eine Beute 


der Unſittlichkeit, weil er theils nicht genau weiß, 


was recht und gut iſt und daher ein Spielball jedes 
Eindruces auf fein Gemuͤthe bleibe, theils fih auf 


dem labyrinthiſchen Pfade des Lebens bloß einem Ge⸗ 
fühle anvertrauen muß, das ſtets wandelt, bald 


ſchwach, bald ſtark wirkt und das von ſinnlichen Ein⸗ 
Drücken modifizirt wird. Er ſoll als vernimftig ſinn⸗ 


liches Weſen alle feine Vermoͤgen und Kräfte ausbil- 
den; er muß Daher wiflen, wie er Dies anfangen foll 


— 
j 


4 





— 108 — 


und wie er.den gebotenen Zweck erreichen tann. Er 
muß alfo bei feinen Willenshandlungen fo wohl ein 


Geſetz kennen, wornach er feine ergriffene Marime 
zu beurtheilen hat, als fich auch die Einficht verſchaf⸗ 
fen, 0b der Fall der Anwendung biefes Befeges vor⸗ 
. handen und ob die Handlung, welche er thun will, 
dem Gefeße gemäß und. alsdann, ob diefelbe entweder 
durch daſſelbe geboten ober bloß erlaube ift.. . Webers 
dies wirb-er noch von finnlichen Lüften beſtuͤrmt, von 
Seidenfchaften beberrfcht, von Begierden gefoltert, 


wie kann er jene befampfen und die beiden Letztern 


ſelbſt als Antriebe zum Rechthandeln benußen? «Er 
wird von böfen Gedanken beſchlichen, die feiner Ei⸗ 
genliebe und feinem Eigennuge fehmeicheln., wie fan“ 
er den Sieg über diefe verführerifche Geifterrotte, die 


jen erhafchen und.die den Schein des Edlen, Großen 
‚ und Erhabenen annehmen, davon fragen? Nur mie 


- Hülfe der Selbſtkenntniß darf er fi) mit. einem glüde - 


lichen Erfolge in feinem Unternehmen fchmeichela- 
Die ſchlauen Neigungen und die ſchwaͤrmeriſchen Lüfte 
haben alle Schlupfwinkel feines Herzens befeßt, bres 
hen unvermuthet hervor und fiegen, ſo farige der 
Menſch nicht in feinem Gemuͤthe zu Haufe ift und fo- 
lange er noch nfthre weiß, mit welchen Waffen er einem 


v⸗ 


| \\ unfichtbar die günftigften Augenblicke zu ihren Anfäle 


Zeinde Widerftand leiſten kann, der alle Tüde und. _ 


gift anwendet, um feinen Beſitz zu behaupten, und 
feine Herrſchaft durchzufeßen. 


Je tugendhafter der Menſch daher werben will 


(und dies. fol er), eine defto genauere und umfaflen« - 


dere Kenntniß feines Gemuͤthes ift ihm dazu noͤthig; 


\ 


| — 100 — 
und . mehr er fich Bolltommeneiten aller Kıt zu er⸗ 
Fämpfen Luſt hat, deſto genauer muß er die Kraͤfte, 


den Much und die Enefchloffenheit Fennen lernen, die 


in feinem Innern unbenußt- liegen ımd die nur auf 
feinen Willen und auf feine Standpaftigfeit lauern, - 
um fih in aller ihrer Seärte und in n (rem vollen 
Stange zu zeigen. 


Der Menſch ſoll ſich alſo um iſeiner ſelbſt willen 
Eennen lernen, weil er nur. Durch Selbftfenntniß feine 
Beftimmung, welche in der vollendeten Ausbildung 
alfer feiner Kräfte zum Dienfte der hreihel beſteht, 
zu erreichen hoffen kann. 


Aber wie muß man es anfangen, wenn man ſch 


felbft kennen zu lernen und eine vollkommene Einfihe 
in den Zuftand feines. Gemuͤthes zu erhalten wuͤnſcht? 
Alle Bekanntſchaft mit fich felbft mache der Menfch 
durch Reflektiren und alles, was er von fich weiß, 
hat er durch Nachdenken, durch Verſtehen des Ges 
dachten, erlangt. Wir müffen daher jtets dasjenige, 
was in uns vorgeht, ſelbſtthaͤtig auffaſſen und nach 
eigener Einſicht bearbeiten, das Aehnliche und Un⸗ 
ähnliche, das Uebereinſtimmende und Nichtübereins 


ftimmende unter einander vergleichen, das Leidende 


von dem Thaͤtigen abſondern, die Gedanken, die 
Neigungen, die Begierden und die Gefuͤhle beobach⸗ 
ten und alle Operationen unſers Gemuͤthes zu ver⸗ 
ſtehen und zu begreifen ſuchen. Das Verſtaͤndniß 
des in uns Borhandenen iſt der Schluͤſſel zur Selbſt⸗ 

kenntniß. Denn fo lange man noch nicht weiß, was 
das bunte Gewuͤhle in ung für eine Bedeutung, J 


- - 


N N , e ⸗ 


— 100 — 


| Wahrheit ergogen ung und das Mißlingen in unfern 


Planen ſchlaͤgt uns nieder und macht ung mißmnehig. 


Durch die Gedanfen feihen wir der Natur eine 


| verſtaͤndliche Sprache und machen die todten Maſſen | 


lebendig und berede. Jerthum und Wahrheit ſind 
Ptodukte des Verſtandes, und nicht der Sinne, denn 


dieſe koͤnnen weder irren noch Wahrheit geben, weil 


ſie nicht urtheilen, wodurch uns allein Wahrheit und 


| Irrthum zu Theil wird. , Alles Meinen, Glauben 
nund Wiſſen ift ein Erzeugniß des Verſtandes und der 
Vernunft, durch welche wir uns Licht uͤber das Raͤth⸗ 


ſel unſers Lebens und der Natur verſchaffen. Wo⸗ 
hin kein ſterbliches Auge dringen kann, dahin ver⸗ 
breitet die Denkkraft Aufklaͤrung, und was uns als 


gänzlich dunkel und unerflätbar vorkommt, wird’ | 
durch ihre Thaͤtigkeit aufgehellt. Durch fie fernen 


wir ung und die Natur verſtehen und durch fie ge= 
fangen mir zu-der Einfihe, warum wir auf diefer 
Erde deben. | — 
| Die Denkkraft iſt nice allein die Quelle ber 
Wahrheit und vieler Rreuden, fondern auch des Irr⸗ 
thumes und vieler Leiden. MWahnfinn, Hypochon⸗ 
drie, Zerſtreuung, Tiefſinnigkeit, Aberwitz, und an⸗ 
bere, Gemürhskkanfpeiten find Zwittergeburten ber 


-Einbildungsfraft und des Berfiandes, und was jers 


ſtoͤrt den Adel’ der menfchlichen Natur fürchterlicher 


“als diefe Unholdiunen? Die Furien — die Gewiſ⸗ 


ſensbiſſe — was ſind ſie anders als ein Anklagen und 
Verdammen unfer Selbſt Durch die Vernunft? Alles 


alſo was ein Denken orausjeßt oder uͤberbaupt 


— 





vn m 101 —-- 


burch die Denkkraft hervorgebracht , iſt entweder als 


ein Produkt des Verſtandes oder der Vernunft anzu⸗ 


ſehen. 


Zwiſchen dem Verſtande und den Sinnen thront 


die Eindildungskraft. Daß wir die Vorſtellungen 
von Gegenſtaͤnden öfters für bie Gegenftände ſelbſt 


halten, daß wir eine Beute des Wahnglaubens wers 


ben, daß wir ahnen, träumen u. f. w. baben wir 
diefer fruchtbaren Mutter son Vorftellungen zu vera 
Danfen, die faunifch und-gebieterifch über die Schick⸗ 
ſale der Menſchen waltet. Ihre Produkte unterſchei⸗ 


den ſich von den Erzeugniſſen anderer Kraͤfte da⸗ 


durch, daß die Gegenſtaͤnde, von welchen fie Bilder 
entwirft, entweder feine Wirklichkeit haben oder daß 
nichts der. Vorſtellung derfelben vollig entſpricht. 
Sie erzeugf Ideale, die mir wohl als Vorbilder, 
aber nicht, als getreue Kopien von den Gegenſtaͤnden 
anſehen koͤnnen. Ihren eigenthuͤmlichſten Charakter 
aber offenbart ſie durch das Combiniren, wo ſie 
Bilder von Gegenſtaͤnden mit einmiſcht, die wir 
öfters fir wirklich zu Halten geneigt find, ob fie gleich 
bloße Täufchungen find. . Alle Wahnbilder, alle 


Phantasmen find ihr Werf und fie verleitee den Ver- - 


ſtand zu ſolchen fühnen Verirrungen, die diefer allein 
nie gewagt haben würde. Sie vermifche die Wirk⸗ 
lichkeit mie Schatlengeftalten und, man iſt wegen ber 


Lebhaftigkeit folcher Baſtardvorſtellungen öfters in 


Verlegenheit, ob eine Sache wirklich ſo geſchehen iſt, 


als wir ſie uns vorſtellen, oder ob ſie bloß eine Traum⸗ 
geſtalt iſt. Was find fixe Ideen, was find Traͤume 


anders als Erfahrungen, welche die Einbildüngs« 


kraft geſchwaͤngert hat und die der Verſtand für 


8 


— 


- 


— 102 -. 


Wir kůchteit entweder im Wachen oder im ei 
anſieht? 





Die Phantaſie und das Gedaͤchtniß halten Vor⸗ 
ftellungen zuruͤck, die längft in das- Meer der Ewig⸗ 
keit verfunfen feyn würden und Die uns jeßt entweber 
als Furien quälen oder>als Früchte aus Elyſiums 
Hainen entzuͤcken. Ein treues Gedaͤchtniß iſt eine 
Himmelsgabe für Gluͤckliche, allein was hat der Uns 
glückliche verbrochen, daß ihn die Erinnerungen des 
Vergangenen unaufhörlih verfolgen und warum 
ſteht Die Bergarigenheit, befonders wenn ung unrecht 
geſchah, wenn wir Schmach und Ungemach erlitten, 
ſtets ſo lebendig vor uns da, daß ſelbſt die Gegen⸗ 


wart vor ihr in Schatten ſinkt? Dieſe Zuruͤckrufun⸗ 


gen ſind das Werk der lebhaften und thaͤtigen Phan⸗ 
taſie, die nur zu haͤufig ihre groͤßte Macht in unſerm 
Ungluͤcke zeige, Der Mangel an Gebdaͤchtniß iſt die 
Vergeßlichkeit, welche nicht ſelten durch eine ſtete 





Zerftreuung hervorgebracht wird, und der Mangel 


an Phantafie erzeugt eine Trockenheit unferer Vor⸗ 
ſtellungen, welche unfer Leben ebenfo einförmig als une 
‚fruchtbar macht. Die Phantafie und das Gedaͤcht⸗ 
niß ſind eine Beute mehrerer Verirrungen, die ſich 
beſonders dadurch auszeichnen, daß ſie ſich auf das 
Vergangene beziehen und entweder aus einem Man⸗ 
gel oder aus einem Uebermaaß von Thätigfeit von 
== beiden encſtehen. u 











= 19 = 
»: Der Seeig umfers geiftigen. Lebens iſt noch nicht 
durch die bisher angegebenen Vermögen ‚ Kräfte, 
Zuftände und Erfejeinungen unfers Gemürhes ges 
ſchloſſen, fonderm es giebt noch mehrere Keußerungen, - 
die fih in uns durch ihre Wirkſamkeit offenbaren. 
Wir begehren ober verabfcheuen etwas, wir wollen 
etwas oder wir wollen daffelbe nicht. Diefe Thaͤtig⸗ 
‚feiten verdanfen ihr Daſeyn einer Anlage, bie wir 
 Degehrungsvermögen. nennen und deren Er⸗ 

ſcheinungen ſo mannichfaltig ſind, als es Gegenſtaͤnde 
des Begehrens und Verabſcheuens, des Wollens und 
des Nichtwollens giebt. Wir wuͤnſchen das Ange⸗ 
nehme und Nuͤtzliche, wir fliehen das Unangenehme 
und Schaͤdliche, wir wollen das Zweckmaͤßige und 
Gute, und wir wollen Das Unzweckmaͤßige und Boͤſe 


nicht. Alte Wuͤnſche, alle Neigungen, alle Begiers 


den, alle Seibenfchaften und alle Marimen find ein 
Werk diefer Kraft, die uns auch vielen Verirrungen 
preis giebt. Die Seidenfchaften, Rachfuche, Ehrſucht, 
Herrſchſucht, Habſucht u. ſ. w. find die gefährlichen . 
Produste unfers Begehrungsvermögens. Allein dies ' 
fes ift niche bloß der Schöpfer von fchädlichen und 
böfen, fondern auch von nuͤtzlichen und guten Hands -. 
kungen. Durch folche Aeußerungen unjers Willens, 
weiche moralifcher Enthufiasmus hervorruft, kann 
eine Welt von allen den Geißeln befreiet werben, Die . 
ſie tyranniſiren: der Menſch kann alles, was er fräfs 
tig und ſtandhaft will, wenn er nur innerhalb der 
Schranken des Rechtes und der Moral bleibt. Unſer 
Begehren ift Schöpfer van Freuden und Leiden, je 
wachdem unſer Unternehmen gelingt ‚ober mißlingt, 


= 


! 


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me io 4. es 


je nachdem wir der Stimme unſers Gerstfens gefolge 


oder berfelben angehorſam gewefen ſind. 


Die innern Zuſtaͤnde unſers Gemuͤthes offenbar 


"ren ſich alfo durch empfinden, fühlen, denfen, eis 


innern, begehren und wollen, und alles, was ferner. 
‚ in ung zum Vorſcheine kommt, laͤßt fich aus dem -, 


Gefühlss und Empfindungsvermögen, aus der Den» 
Fraft und aus dem Begehrungsvermögen - ableiten. 


— 


Die Wirkungen, die ein Produkt unſerer Selbſtthaͤ⸗ 


tigkeit find, find Ausdruͤcke der Denfungs- und Sins 
‚nesart, wovon jene durch den Verftand in’ Verbin 
dung mit dem Gefühlsvermögen, dieſe aber durch die 


Sinnlichkeit i in Vereinigung mit dem Willen erzeugt 


wird. Die beharrlichen Aeußerungen dieſes Letz⸗ 


tern geben dem Menſchen eine Eigenſchaft, die 
man Charakter mennt, welchen man demfelben ent⸗ 


weder beilegt ober abfpriche, je nachdem er ſtandhaft 


oder wanfelmüutbig in Befolgung gewiſſer Marimen 
uiſt, die er feinem Begehren oder Verabfcheuen, feis 
nem Wollen oder Nichtmollen, kurz feinem Handet 
oder Unterlaſſen zum Grunde legt. 


Auch bemerkt man an jedem Menſchen noch bald 


—— mehr bald weniger Reizbarkeit und Empfänglichkeit, 
7 für äußere und innere Eindrücke, und eine größere 


oder geringere Lebhaftigkeit und Thaͤtigkeit, dieſelben 


zu bearbeiten und zu bilden * wornach man das jedem 


eigenthuͤmliche Temperament beſtimmt, vermoͤge wel⸗ 
ches ſich jemand bloß durch Triebfedern der Sinnlich⸗ 
keit beftimmen Jaͤßt. Es giebt daher zwei Haupttem⸗ 


| peramente, ein Femperament der Paſſivitaͤt 


— 


1 


⁊ 














wDer: Reizempfaͤnglichkeit) und ein Temperament 
der Thaͤtigkeit, welche mehrere Unterabtheiluns 
gen zulaſſen, je nachdem das Eine oder das Andere 
ri mehr ober, weniger wirkſam beweißt. 

Die Begenftäne, die auf unfer Genuüch Ei 
end machen und die Art und Weife, mie dieſes wige 
der aufijene zuruͤckwirkt, find .eben fo mannichfaltig 
alszaplreih. Das Gefühlsuermögen offenbart ſich 
Dürch andere Erfcheinungenrals die Denkkraft, und 
Bas Begehrimgsvermögen und die Denffraft find an⸗ 
Dein Verirrungen ausgefeßt, als der Wille. Jede 
Kraft :hat: seite: eigenthuͤmliche Thaͤtigkeit und eın 
eigenthuͤmtiches Geſetz, nach welchem fie verfähre 
und nach. weichem fie den ihr gegebenen Inhalt der 
Worftellungen behandelt und jede ift ein Spiel befons . 
berer Abweichungen von dem Pfade der Natur. 
Es giebt Krankheiten der Sinne, des Verſtandes 
und des Willens, die man nur dadurch heilen kann, 


daß man die Hinderniſſe wegraͤumt, welche ihren 


naturgemaͤßen Aeußerungen im Wege ſtehen und ſie 
u einer verkehrten Thaͤtigkeit noͤthigen. | 





‚» Welchen Weg aber muß man bei dem Hefe 
tiren ‚über feinen innern Zuftand einfchlagen, um zu 


einer gründlichen. und umfaffenden Kenneniß feiner 


Selbſt zu gelangen, und wie muß man verfahren, 
"wenn man zur Bekanntſchaft mit dem, mas man ift, 
fonmen will? ‚Ehe wir diefe Fragen beantworten, ; 
- müffen wir vorher noch unterſuchen „warum wir uns 


a 


x 


— 


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— 106 und FP u ‘ 


\ 


ſelbſt kennen lernen ſollen? In welcher Abfide ſoll 


der Menfch feinen Gemuͤthszuſtand erforfchen und 


wozu iſt Selbſtkenntniß tauglich?. Um zu erfahren, 


was man vermöge feiner Naturanlagen thun fann 


und zu thun hat, und wie mah bie Zwecke, bie fie 


aufftelfen, am befter erreichen fan. Die Selbfts- 
fenntniß ſoll alſo ein Mittel feyn, ein ber Natur ger 


maͤßes Leben: zu führen. Worin befteht num ein ſol⸗ 


ches geben? In der abfichtlichen- Unterordnung aller 


. Gemürhsthätigfeiten unter Das Sittengeſetz. Hier 
trritt affo die Pflicht ein und.mo diefe gebeut, da fell 


der Menfch geborchen, wenn er auch unter bem 


Truͤmmern einer Welt vergraben. werden ſollte: denn 
wo das Moralifche herrſchen ſoll, muß das Phyſiſche 
ſchweigen „ und wo die Vernunft die Oberherrſchaft 
fuͤhren ſoll, muß die. Sinnlichkeit dienen. In der 


ſterblichen Huͤlle weilt der Menſch bloß um der Pflicht 
willen; er ſoll ſtets moraliſch gut handela, was if 


nun in Rücfiche der Erkenntniß erfoderlih, um Die 
ſem Gebote in allen Stuͤcken Gnuͤge zu Jeiften?. Mag 

| muß 1) das | Geſetz, das die Richtſchnur eines Wi 
lenñs, den man gut nennt, ifl, und 2) Die Mittel und 


Wege, wie man ftets die Boderungen Diefes Gefeßes 


befriedigen fan, Pennen lernen.. - Das Gefeß- der 
moraliſchen Güte ift das Gefeß der praftifchen Vers 
nunft, und die Mittel find der freie, felbfiehätige 
und ſtandhafte Gebrauch aller unferer Anlagen und 
Kräfte zur Ausführung Des Gebosenen oder zur Uns 


terlaffung des Verbotenen. Was nun als Mittel 


| | mit einem bucchgängigen Gehorſame gegen bie Pfliche 


zufammenhänge, ift ſelbſt Pflicht, Die Selbſtkennt⸗ 
uß beſteht u in der Kenntußß der urſpringlichen An⸗ 




















| 


‘ [2 —— 


D “ x ' 
— — 107 J — ‘ 


| fagen und Kräfte des menfchlichen Gemuͤthes, ihrer 


Gefeße und ihrer Wirkungsarten. , 2) In der Kennt⸗ 


niß de Einwirkungen berfelben auf einander und des 


Verhaͤltniſſes, in welchem fie zur praftifchen Vers 
nunft ſtehen, und 3) in der Bekanntſchaft mic den 
Verirrungen und den Krankheiten des. menfchfichers 
Geiſtes, den Erfcheinungen, welche diefe hervorbrin⸗ 


gen, den Tugenden und den Saftern, den. Schwächen 


und den Meigungen u. ſ. w. Da nun eine genaue 


. Kenntniß aller diefer Dinge zu einem ununterbroches 
nen Recht⸗ und Guthandeln unentbehrlich ift, fo 
"fiede man ein, daß der Erwerb der Kenntniß feiner 
Selbſt als Pfliche geboten if. Der Menfch ſoll ſei⸗ 
nen intellektuellen und moralifhen Zuftend kennen, 


um beide zu verbeffern und diefem Die Oberhand über, 
jenen zu verfchaffen. Indem alfo die Selbſtkenntniß 
zum Streben und zur Realifirung eines unbedinge ges 


botenen Zweckes führt, erhaͤlt ſie einen weit hoͤhern | 


Werth als alle jene. Kenntniſſe, welche bloß eine Ans 
weifung zum Gebrauche von Mitteln zur Srreigung 
bedingter Zwecke find. 


— 


Ohne Selbſtkenntniß ft der Menſch si eine Beute 


der Unſittlichkeit, weil er theils nicht genau weiß, 
was recht und gut ift und daher ein Spielball jedes’ 
Eindrudes auf fein Gemuͤthe bleibe, £heils fich auf 


dem labyrinthiſchen Pfade bes Lebens bloß einem Ge⸗ 
fühle anvertrauen muß, Das. ftets wandelt, bald 


ſchwach, bald ſtark wirft und das von finnlichen Eine 


drücken mobifizire wird. Er foll als vernimftig finn- 
liches Wefen alle feine Vermögen und Kräfte auebil- 
den; er. muß daher wiflen, wie er Dies anfangen ſoll 


— 


m. 


» ios ZUBE 


und wie er den gebotenen Zweck erreichen kann. En. 
muß alfo bei feinen Willenshandlungen ſo wohl ein 
Geſetz kennen, wornach er ſeine ergriffene Maxime 
zu beurtheilen hat, als ſich auch die Einſicht verſchaf⸗ 
fen, ob der Fall der Anwendung dieſes Geſetzes vor⸗ 
handen und ob die Handlung, welche er thun will, 
dem Gefeße gemäß und alsdann, ob diefelbe entweder 
durch daſſelbe geboten oder bloß erlaube ik... Webers ' 
dies wird er noch von finnlichen Lüften beftürme, von 
Seidenfchaften beherrfcht, von Begierden gefoltert, 
wie kann er jene befampfen und die beiden Letztern 
ſelbſt als Antriebe. zum Rechthandeln benußen ? «Er 
wird von böfen Gedanken beſchlichen, die feiner Ei⸗ 
genliebe und ſeinem Eigennutze ſchmeicheln, wie kann 
er den Sieg über dieſe verführerifche Geiſterrotte, bie 
unſichtbar die guͤnſtigſten Augenblicke zu ihren Anfäls 
len erhafchen und.die den Schein des Edfen, Großen 
‚ und Erhabenen annehmen, davon tragen? Mur mit 
- „Hülfe der Selbftfenntniß darf er ſich mit. einem-glüds - 
lichen Erfolge in feinem Unternehmen fehmeichela. 
Die ſchlauen Neigungen und bie fchwärmerifehen Lüfte 
haben alle Schlupfwinkel ſeines Herzens beſetzt, bre⸗ 
chen unvermuthet hervor und ſiegen, ſo farige der 
Menſch nicht in feinem Gemuͤthe zu Haufe ift und ſo 
“fange er noch nfthe weiß, mit welchen Waffen er einem 
Zeinde Wiberftand leiſten kann, der alle Tüde und _ 
gift anwender, um feinen Beſitz zu behaupten, und 
feine Herrſchaft durchzuflgen. 


Je tagendhafter der Menſch daher werden will 
"(und dies. foll er), eine deflo genauere und umfaffen« - _ 
dere Kenntniß feines Gemuͤthes ift ihm dazu noͤthig; 


\ 











— 169 — 


and; . meht er ſich Bollfommenfeiten aller et; zu er⸗ 
Lämpfen Luſt hat, deſto genauer muß er die Kraͤfte, 


den Muth und die Entfchlofienheit Fennen lernen, die _° 


‚in feinem Innern unbenußt- liegen ımd die nur auf 


feinen Willen und auf- feine Standhaftigkeit lauern, - 


um fih in .alfer ihrer Stärte und in ihrem vollen 
Stange zu zeigen. 


Der Menſch ſoll ſich alſo um ſeiner ſelbſt willen 
kennen lernen, weil er nur. durch Selbftfenntniß feine 
Beftimmung, welche in der vollendeten Ausbildung 


aller feiner Kräfte zum Dienfte der hrelhel beſteht, u 


‚ gu erreichen hoffen Fann. 


| Aber wie muß man es anfangen, wenn man ſch u 
ſelbſt Eennen zu lernen und eine vollfommene Einfiche 
in ben Zuftand feines. Gemuͤthes zu erhalten wuͤnſcht? 


Alle Bekanntſchaft mit fich felbft macht der Menfch 
durch Reflefeiren und alles, was er von fich weiß, 
hat er durch Nachdenken, durch Verftehen des Ges 
dachten, erlangt, Wir müffen daher jtets dasjenige, 


was in uns vorgeht, ſelbſtthaͤtig auffaſſen und nach 


eigener Einſicht bearbeiten, das Aehnliche und Un⸗ 
ähnliche, das Uebereinſtimmende und Nichtübereins 


flimmende unter ‚einander vergleichen, Das Leibende 


von dem Thätigen abfondern, die Gedanken, bie 
Neigungen, die Begierden und die Gefühle beobachs 


een und alle Operationen unfers Gemuͤthes zu vers’ 
ſtehen und zu begreifen fuchen. Das Verſtaͤndniß 


des in uns Vorhändenen iſt der Schlüffel zur Selbft« 


kenntniß. , Denn fo lange man noch nicht weiß, mas 


das bunte Gewuͤhle in ung für eine Bedeutung, für 


> 
. , 
- . 
⸗ 


1 


‘ 


— 108 — 


und wie er den gebotenen Zweck erreichen kann. Er 
muß alfo bei feiner Willenshandlungen fo wohl ein 


Geſetz Eennen, wornach er feine ergriffene Marime _ 


zu beurtheilen hat, als ſich aud) die Einſicht verſchaf⸗ 
fen, 0b der Fall der Anwendung biefes Geſetzes vor⸗ 
. handen und ob bie Handlung, welche er hun will; 


dem Gefeße gemäß und alsdann, ob diefelbe entweder 


durch daſſelbe geboten oder bloß erlaube iſt. Webers 
dies wird: er noch von finnlichen Lüften beftüeme, von 
Leidenſchaften beberrfcht, von Begierden gefoltert, 


wie fann er jene befaämpfen und die beiden Letztern 


ſelbſt als Antriebe. zum Rechthandeln benugen ? «Er 
wird von böfen Gedanfen befchliehen , die feiner Ei⸗ 


genliebe und ſeinem Eigennutze ſchmeicheln, wie kann 


er den Sieg uͤber dieſe verfuͤhreriſche Geiſterrotte, die 
unſichthar die guͤnſtigſten Augenblicke zu ihren Anfaͤl⸗ 

len erhaſchen und.die den Schein bes Edlen, Großen 
und Erhabenen annehmen, davon tragen? Mur mit 


- Hülfe der Selbftfenntniß darf er ſich mit einem gluͤck⸗ 


lichen Erfolge in feinem Unternehmen ſchmeicheln. 
Die ſchlauen Neigungen und die ſchwaͤrmeriſchen Luͤſte 
haben alle Schlupfwinkel ſeines Herzens beſetzt, bre⸗ 
chen unvermuthet hervor und ſiegen, ſo lange der 
Menſch nicht in ſeinem Gemuͤthe zu Hauſe iſt und ſo 
lange er noch nſtht weiß, mit welchen Waffen er einem 
Feinde Wiberftand leiſten kann, der alle Tuͤcke und 
gift anwendet, um feinen Befig zu behaupten, und 
feine Herrſchaft durchzuſetzen. 


dere Kenntniß feines Gemuͤthes iſt ihm dazu noͤthig; 


⸗ 


Je cogendhafter der Menſch daher (erben will 
(und dies. foll er), eine deſto genauere und umfaffen- - 





— 100 — 
And je meht er ſich Voll ommenheinen aller Kt mi er⸗ 
raͤmpfen Luſt bat, deſto genauer muß er Die Kräfte, _ 


den Much und die Enefchtoffenheit Fennen lernen, bie“ . 


‚in feinem Innern unbenußt liegen ımd die nur auf 
feinen Willen und auf- feine Standhaftigfeie lauern, - 
um ſich in aller ihrer Starte und in  ifrem vollen 
Glanze zu zeigen. | 


Der Menſch fol ſich alſo um i feiner ſelbſt willen 
Eennen fernen, weil er nur. durch Selbftfenntniß feine 
Beftimmung, welche in der vollendeten Ausbildung 
aller feiner Kräfte zum Dienfte der er Frelhel beſteht, | 
‚ du erreichen hoffen kann. J 


Aber wie muß man es anfangen, wenn man ſich u 


felbft kennen zu lernen und eine vollfommene Einfiche 
in ben Zuftand feines. Gemuͤthes zu erhalten wuͤnſcht? 
Alle Bekanntſchaft mit ſich felbft macht der Menfch 
durch Reflektiren und alles, was er von fich weiß, 
Hat er durch Nachdenfen, durch Verſtehen des Ges 
dachten, erlangt. Wir müffen daher ſtets dasjenige, 
was in uns vorgeht, ſelbſtthaͤtig auffaſſen und nach 
eigener Einfichr bearbeiten, bas Aehnliche und Uns 
ähnliche, das Uebereinftimmende und Nichtüberein⸗ 
flimniende unter einander vergleichen, das Leidende 
von dem Thätigen abfondern, die Gedanken, bie 
Neigungen, die Begierden und die Gefühle beobach⸗ 
ten und alle Operationen unſers Gemuͤthes zu ver⸗ 
ſtehen und zu begreifen ſuchen. Das Verſtaͤndniß 
des in uns Vorhaãndenen iſt der Schlüffel zur Seldſt ⸗ 
kenntniß. Denn fo lange man noch nicht weiß, was 
das bunte Gewuͤhie in uns fuͤr eine Bedeutung, J 


- . 


— 110 — 
einen Urſprung und für einen Zweck hat, was gerabe 
zur Herorbringung dieſer und keiner andern Erſchei⸗ 
nung erfoderlich iſt und warum gerade dieſe Vorſtel⸗ 
lungen in uns zum Bewußtſeyn kommen, warum oft 
ein Gedanke zur Beſtimmung des Begehrungsver⸗ 
moͤgens hinwirkt und warum er ein andermal dies 
nicht thut, warum der Verſtand eine Vorſtellung 
gerade mit dieſer und mit keiner Andern Vorſtellung 
verbindet, warum uns manchmal die Gedanken bei 
Geiſtesarbeiten zuſtroͤmen, ein andermal von’ uns 
durch alle moͤgliche Anſtrengung nicht hervorgerufen 
werden koͤnnen, kurz, ſo lange man noch nicht das 
Wie, Woher und Wozu der innern Erſcheinungen 
einſieht, kann man auch noch feinen Anſpruch auf 
eine innere Bekanntſchaft mit ſich ſelbſt machen. 


Zum Nachdenken über ſich ſelbſt fehle es dem’ 
Menſchen weder an Zeit noch an Gelegenheit: denn 
er ift für fich ftets zu Haufe und träge flets eine Welt 
voll Leben und Thaͤtigkeit mie fi herum. In der 
Einfamfeit und im Gewuͤhle der Welt liegt bas Ins 
nere feines Herzens vor ihm offen da, und er darf ſich 
nur entfehließen, ſich Aufffärung über fich ſelbſt ver ⸗ 
{haften zu wollen, fo hebt er den Schleier der Iſis 
auf und ſieht, was er iſt, was er war und was er 
ſeyn wird. | 


Womit muß man bas Beobachten über fich, um: 
zue Selbſtkenntniß zu gelangen, anfangen und in. 
welcher Drbnung muß daffelbe gefchehen? 1) Den 
Anfang muß man nit dem Auffaffen folcher Erfcheis 
nangen machen, welche durch Die Wirkfamfeit der 


Einne entſtehen. Manches iſt unſern Sinnen anges 
nehm, manches aber unangenehm, woher kommt 
dieſer Unterſchied in der Cinwirfung der Öegenftände 
auf uns? — Dasjenige, mas wir öfters ſehen oder 
hören, wird uns enblic) gleichgültig. — Das . 
Neue, das Ungewöhnliche, das Kontraſtirende erregt 
ſtets unfere Aufmerffamfeit. —. : Alle Gegenftände, 
die außer ung .eriftiren, find im Raume vorhanden, - .' 
alle Veränderungen derfelben aber gejchehen in der 
Zeit. — Das Schleichende mißfällt unfern Sinnen, -- 
das nicht allzu Schnelle, Lebendige und Bewegliche 
behagt ihnen. — Mancher kann feine Toͤne unters 
feheiden, ob er gleich fonft ein gutes Gehör und Ges 
fallen. an der Mufit hat; und mancher madje troß 
feinem Steige keine Fortſchritte in der Geometrie; 
weil er feine Begriffe außer fih in ber Anfchauung 
barftellen Cconftruiren) oder dieſelben nicht feſthalten 
und verfolgen kann, u. ſ. w. 


2) Nunmehro muß man ſolche Erſcheinungen 
aufſuchen, die Produkte der Einbildungskraft ſind, 
weil auch dieſe ſinnlich ſind und uns mit leichter Muͤhe 
durch ſchon befannte Erfahrungen verſtaͤndlich ge⸗ 
macht werden koͤnnen, z. B. der Urſprung und der 
Grund des Wahnglaubens, wo man die Vorſtellun⸗ 
gen von den Dingen fuͤr die Dinge ſelbſt nimmt, 
oder wo man ſich einbildet krank zu ſeyn und es doch 
wirklich nicht iſt, oder der Traͤume, und anderer durch 
die rege und feurige Thaͤtigkeit der Einbildungskraft 
bewirkter Taͤuſchungen. 


3) Die Begriffe des Verſtandes ſind ein ande⸗ | 
rer Gesenſtand, worauf wir unſere Aufmerfjamfeie ' 


- 


[2 
— 110 — 
* 9 


"einen Urſprung und für einen Zweck hat, was gerade 
‚jur Herorbringung biefer und führer andern Exfcheis 
nung erfoderfich iſt und warum gerade biefe Vorftels 
lungen in ung zum Bewußtſeyn kommen, marum off 
ein Gedanke zur Beſtimmung des Begehrungsvers 
mögens hinwirft und warum er ein andermal bies 
nicht thut, warum ber Verſtand eine Vorſtellung 
gerade mit dieſer und mit keiner Andern Vorſtellung 
verbindet, warum uns manchmal die Gedanken bei 
Geiſtesarbeiten zuſtroͤmen, ein andermal von “uns 
durch alle mögliche Anftrengung nicht hervorgerufen 
werben koͤnnen, kurz, fo fange man noch nicht das 
Wie, Woher und Wozu der innern Erfcheinungen 
einſieht, kann man auch noch keinen Anſpruch auf 
eine innere Bekanntſchaft mie ſich felbft machen. 


Zum Nachdenken über fich felbft fehle es dem 
Menfchen weder an Zeit noch an Gelegenheit: denn 
er ift für fich fters zu Haufe und trägt flets eine Welt 
voll Leben und Thaͤtigkeit mit fich herum. In der 
Einfamfeit und im Gewuͤhle der Welt liegt bas In⸗ 
nere feines Herzens vor ihm offen da, und er barf fich 
nur entfchließen, fih Aufffärung über fich felbft vere ⸗ 
haften zu wollen, fo hebt er den Schleier der Sfis . 
auf und ſieht, was er iſt, was er war und was er 
ſeyn wird. 


Womit muß man das Beobachten über fi 6, um 
zur Selbſtkenntniß zu gelangen, anfangen und in 
welcher Ordnung muß daſſelbe geſchehen? 1) Den 
Anfang muß man mit dem Auffaſſen ſolcher Erſchei⸗ 
niungen machen, welche Durch Die Wirkſamkeit der 


En 2 








TE \ 


Einne entftehei. Manches ift unfern Sinnen ange ' 
nehm, mariches aber unangenehm, woher komme 
Diefer Unterfchied in der Einwirfung der Gegenftände 
aufuns? — Dasjenige, mas wir öfters fehen-oder 


hören, wird uns endlich) gleichguͤltig. — Ds 


Neue, das Ungewoͤhnliche, das Kontraſtirende erregt 
ſtets unſere Aufmerkſamkeit. — Alle Gegenſtaͤnde, 


die außer uns exiſtiren, ſind im Raume vorhanden, 


alle Veränderungen derfelben . aber geichehen in dep 
Zeit. — Das Schleichende mißfällt unfern Sinnen, - 
das nicht allzu Schnelle, Lebendige und Bewegliche 
behagt ihnen. — Mancher kann Feine Töne unters 
fcheiden, ob er gleich fonft ein gutes Gehör und Ges 
fallen an ber Muſik hat; und mancher macht troß 
ſeinem Fleiße keine Fortſchritte in der Geometrie; 
weil er Beine Begriffe außer fich in ber Anfhauung 
darftellen Ceonftruiren) oder dieſelben nicht feſthalten 
und verfolgen kann, u. ſ. w. 


2) Nunmehro muß man ſolche Erſcheinungen 
aufſuchen, die Produkte der Einbildungskraft ſind, 
weil auch dieſe ſinnlich ſind und uns mit leichter Muͤhe 
durch ſchon bekqnnte Erfahrungen verſtaͤndlich ge⸗ 
macht werden koͤnnen, z. B. der Urſprung und der 
Grund des Wahnglaubens, wo man die Vorſtellun⸗ 
gen von den Dingen fuͤr die Dinge ſelbſt nimmt, 
oder wo man ſich einbildet krank zu ſeyn und es doch 
wirklich nicht iſt, oder der Traͤume, und anderer durch 
die rege und feurige Thaͤtigkeit der Einbildungskraft 
bewirkter Taͤuſchungen. 


3) Die Begriffe des Verſtandes ſind ein ande⸗ | 
rer Öegenfland, worauf wir unſere Aufmerkſamkeit 


— 


J ’» 


- den der Körper auf den Geift und der. Geiſt auf den 


v. 
.! 


_ — 14 — 


zum Handeln geneigt machen? Woher ruͤhron ns 


bäßfichen und die Menſchheit entehrenden Erſcheinun⸗ 


gen in unferm Gemuͤthe, naͤmlich Rachſucht, Habe 


ſucht, Ehrſucht und Herrſchſucht? Welchen Verire 
kungen iſt das Begehrungspermögen.auggefeßt? Kg 
welchem Verhaͤltniß ſteht as zur Denkkraft und woher 
fomme es, daß den Menſchen fo ſelten Ermaßnungeg 


und Warnungen „ fondern nur ſelbſteigene wißliche 


Erfahrungen auf beſſere Wege bringen? 
8), Endlich muͤſſen wir den Einſtuß heobachten, 


Koͤrper aͤußert, und wie beide einander in ihren, Ver⸗ 
sicheungen bald ftören,, bald unterftügen. . Marum 
macht ung der koͤrperliche Schmerz öfters das ſtrenge und 
zjufammenhängende Nachdenken ſo zuwider und ſtoͤrt 


‚uns alfo im zufammenhängenden Nachaenkani Wars 


’ x 
L 


um nagt der Kummer fo gewaltig an unfergr, Geſunde 


beit und wie geht es zu, daß er unfere geiftigen und 


koͤrperlichen Kräfte fo ſchrecklich aufzehtt? „Worum 


alters .mig dem, Körper gleichſam audy her--Geift? 
Bir geht ı e8 zu, daß man durch. gewiſſe Verftelluns 
"gen, 3. ®. durch imoralifche Ideen, gewiffe, koͤrper⸗ 
liche $eiden, welche von feinen Berleßungen- unfers 
Körpers herruͤhren, befänftige?, Wie kommt es, daß 

der Biß eines tollen Hundes gemeiniglich den Ders 


u wundeten in Raferei. ſtuͤrzt? Welches iſt der Grund, 


vor einigen Jahren in Schwaben bei .dem Vor⸗ 


daß zu einer Zeit, wo alles zwiſchen Furcht und Hoffe 
nung ſchwebt und wenn diefe auch fange anhalten folks 
ten, fo wenige Menfchen fterben, wie.man nicht allein 


rücen der Sranzofen in diefem Reichskreiſe ‚. fon« 
bern auch anberwärts beobachtet har? 


4 











— 115 —, 


> . 
Wenn wir alfo anfänglich die Wirfungeh fees 
Bermbgens und jeder Kraft abgefondere.und einzeln 


auffaffen, alsdann zw verwiceltern Erfcheinungen 


irbergehen, welche die Erzeugniffe "mehrerer Kräfte. 


zuſammen ‚genommen find und: den Ancheil und den 


- Einfluß eier jeben.in Betrachtung giehen; fü.werden 


wir baid zu einer genauen und: gründlichen Selbft- 
kenneniß ‚gelangen. Nat wir dürfen uns alsdann 
mit der Hoffnung fchmeicheln, auch Die ſchwierigſten 


Erſcheinungen in uns airflöfen ober doch angeben zit , 
koͤnnen, warum fie nicht von uns erklärt werden koͤn⸗ 


nen, Bi niemand fann. zu der Einfiche gelangen, 
wie es möglich ift, daß das Vermögen der Freibrie 
auf die finnlihe Welt einwirkt, aber wir fonnen doch 
die Gründe von der Unmoͤglichteit einer ſolchen Ein⸗ 
Sicht angeben. un Be 


I 


„r 5 


Aue. Selbrtfenntnig ſ fu. abet Enrtötsfenbei) 


Beſonnenheit, ſtete Aufmerkfamfeir ımd.unerniüdert 


Beharrlichkeie im Denken; inf Erklären aus und. nach 
Natururſachen, im Trennen und Verbinden der Ei 
fcheinungen, im Weberfchauen des: Ganzen und feiner 
X heile und im Selbſtverſtehen unentbehrlich. Das Er 
fte, was derjenige alfo thun muß, der fich felbft- kennen 
lernen will, beſteht darin, daß er die Erſcheinung, die 
er unterſuchen will, rein und vollſtaͤndig durch Selbfts 
thärigfeit und mit Beſonnenheit auffaßt, ihren Inhalt 
unterfuche und eine Einficht in alle ihre Beſtandtheile 
su erhalten ſtrebt. Eine Erfcheinung, von welcher man 
fich eine Kenntnig verfchafen will, : muß’ zerglieberg 
und alle ihre Beftanbtheile müffen unterfucht wor⸗ 


ben feyn, ehe man zur Erforfchung ihrer Urjache und 
| | 9% . 


— 


J 


— 114 — 


jet Sanden enge maden? Sehr ren jan 


haͤßlichen und die Menfchheit entehrenden Erſcheinun⸗ 


gen' in unferm Gemuͤthe, naͤmlich Rachſucht, Habe 


ſucht, Ehrſucht und Herrſchſucht? Welchen Verire 
kungen iſt das Begehrungsyermoͤgen. ausgeſetzt? Sp 
welchem Verhaͤltniß ſteht es zur Denkkraft und woher 
komms es, daß den Menſchen fo ſelten Ermahnungez 
und Warnungen „ fondern nur ſelbſteigene wzißliche 
Erfabrungen auf beſſere Wege bringen? 

8), Endlich muͤſſen wir den Einfluß heobachten, 


den ber Körper auf den Geift und der. Geift auf den 


" Körper aͤußert, und wie beide einander, in ihren, Ver⸗ 
richtungen bald ſtoͤren, bald unterſtuͤtzen. Marum 
macht ung der koͤrperliche Schmerz öfters das ſtrenge und 
zuſammenhaͤngende Nachdenken ſo zuwider und ſtoͤrt 
‚uns alſo im zufammenhängenden NachdenkenWar⸗ 
um nagt der Kummer fo gewaltig an unferer, Geſunde 


“heit und, wie gebt es zu, daß er unfere geiftigen und 


koͤrperlichen Kräfte fo ſchrecklich aufzehrt? Warum 
altert mit dem Koͤrper gleichſam auch der Geift? 
‚Bir, geht es zu, daß man durch gewiſſe Vorſtellun⸗ 
gen, z. B. durch moraliſche Ideen, gewiſſe koͤrper⸗ 
liche Leiden, welche von keinen Verletzungen unſers 
Körpers Gerrühren, befänftige?, Wie komme es, daß 
‚ber Biß, eines tollen Hundes gemeiniglich den Ver⸗ 


wundeten in Raferei ſtuͤrzt? Welches iſt der Grund, 


daß zu einer Zeit, wo alles zwiſchen Furcht und Hoffe 
nung ſchwebt und wenn diefe auch lange anhalten folk 
ten, fo wenige Menfchen fterben, wie.man nicht allein 


vor einigen jahren in Schwaben bei dem Vor⸗ 


ruͤcken der Franzoſ en in dieſem Reichskreiſe, ſon⸗ 
dern auch anderwaͤrts beobachtet hat? 





— us —, 


Wenn‘ wir alfo anfänglich die Wirkungen jedes 
Vern und jeder Kraft abgeſondert und einzeln 
auffaſſen, alsdann zu verwiceltern Erſcheinungen 
irbergehen, welche die Erzeugniſſe mehrerer Kraͤfte 
zuſammen genommen find. und: den Antcheil und den 
- Einfluß einer jeden. in Betrachtung ziehen, fü. werben 
wir bafd ju:einer genauen und: gründlichen .Selbft- 
kenntniß gelangen. Ya! wir dürfen uns alsdann 
mit der Hoffnung fchmeicheln, auch Die ſchwierigſten 
Erſcheinungen in uns aufloͤſen oder doch .dngeben zu 
koͤnnen, warum ſie nicht von uns erklaͤrt werden koͤn⸗ 
nen, Bis niemand kann zu der Einſicht gelangen, 
wie es möglich iſt, daß das Vermögen ber Freiheit 
auf die finnliche Welt einwirkt, aber wir konnen doch 
Die Gründe von der Unmöglichkeit. einer ſolchen Ein— 
ſicht angeben. A — 2 EEE 

"gu. Selbfttenntnig ſ Ab aber Erefiloffenbeie 
Beſonnenheit, fiete Aufmerkſamkrit umb.unerniüder? - 
Beharrlichkeit im Denken, inf Erklären aus und nach 
Natururſachen, im Trennen und Verbinden der Er 
ſcheinungen, im Ueberſchauen des Ganzen und ſeiner 
Theile und im Selbſtverſtehen unentbehrlich. Das Er⸗ 
ſte, was derjenige alſo thun muß, der ſich felbft-fennen - 
lernen will, beſteht darin, daß er die Erſcheinung, die 
er unterſuchen will, rein und vollſtaͤndig durch Selbſte 
thaͤtigkeit und mit Beſonnenheit auffaßt, ihren Inhalt 
unterſucht und eine Einſicht in alle ihre Beſtandtheile 
zu erhalten ſtrebt. Eine Erfcheinung, von weicher man 
fih eine Kenntniß verfchaffen will, muß’ zergliebert 
und alle ihre Beſtandtheile müffen wnterfucht wor⸗ 
den feyn, ehe man zur Erforichung ihrer Urjache und 

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— 146 — 


W 3* ——— 4 r 
zum Auffuchen ihrer Abſicht fortgehen kann. Was 
it ein Traum? Im Schlafe träumen wir und das 


Schlafen ift dem Wachen entgegen geſetzt. So wohl 


Am Zuftande des Träumens als des Wachens haben 
sole Vorſtellungen, . wie. unterfcheiden ſich nun diefe 
BBorftellungen von einander? Im Wachen find wir 
uns bewußt, daß der Gegenftand unſrer Vorftellung 
wirklich ifE und. dag unferg Gedanken demfelben ent⸗ 
fprechen oder wir wiſſen auch, daß unfere Borftellung 
bloß ein Phantom ift. „Iſt aber jenes nicht auch der 
Fall im Traume? Wir hören, ſehen, fühlen, fore= 
hen und handeln und wer kann uns die Gewißheit 
von Diefer Wirklichkeit, die uns fo deutlich einleuchtet, 
abſprechen?“ Im Wachen reihen wir Vorſtellung 
an Vorſtellung, und ſind uns der Verbindung und 
des Zuſammenhanges derſelben mit Andern bewußt. 
„Im Traume thun wir daſſelbe, wir ſehen ruͤckwaͤrts 
und varwaͤrts auf unſere Gedanken. Worin bee 
ſteht denn alſo der Unterſchied unſerer Vorſtellungen 
in dieſen beiden Zuſtaͤnden? Im Wachen iſt der Ge⸗ 
genſtand, "Den wir uns vorſtellen, durch die Sinne, 

‚im Traume aber bloß durch die Einbildungskraft vor⸗ 
yhanden; in jenem find wir ung feiner Beharrlichkeie 
im Raunie, feiner VBerfhicbenheit von andern Ges - 

. genftänden und feines Zuſammenhanges mit Andern 

deutlich bewußt, wir koͤnnen ihn mehrmals und zu 
verſchledenen Zeiten unterſuchen, weil er beharrt, 
- ober wenn er auch entflieht, fo koͤnnen wir ihn doch 
: ala mit ‚andern Gegenftänden verknuͤpft willführlich 
zurücrufen und wir haben ein Bewußtſeyn bee 
Identitaͤt unferer Perfonlichfeit; in diefemm hingegen 
- verjchwindee das Bewußtſeyn des Dajeyns und ber 
L 











— 17 —- — 
Wirklichkeit des geftäumten Gegenftandes mit dem 
Aufpören des Traumes und, wir wiſſen, daß er ' 
bloß ein Schattenbild, eine Täufchung war. „Allein 
wir träumen doch manchmal ſo lebhaft, daß wir 
beim Erwachen nicht mehr wiffen, ob wir wirklich 
von dem Gegenftande, von welchem wir geträumt, 
eine Erfahrung gemacht haben oder ob er bloß ein: 
Traumbild gewefen it, Wenn ein folder Fall ein⸗ 





tritt, fo. fcheinen die Vorftellungen, die wir im Zraume .-, 


gehabt haben, der-Wirklichkeit an Gewißheit nicht 
nachzuſtehen.“ Solche Träume find fehr. felten und 
find entweder Die Ausgeburten eines Franken Zuftans 
des oder. doch die Worboten einer nahen Krankheit, 
die fich fhon im Körper bei der völligen Unthaͤtigkeit 
aller Sinne wirkſam beweißt: übrigens fünnen wie 
auch die Vorftellungen, die wir im Wachen haben, 
- an wirklich vorhergehende Erfahrungen anreihen,, 
fie mit ihnen vergleichen und zu einem Ganzen vers 
binden ,. welches mit ben Vorftellungen im Traume 
nicht angeht, welche, wenn wir nüchtern und befons 


nen alles unterjuchen, ſich in feine Wirklichkeit eine . 


fügen wollen, fondern allein und. abgebrochen da 
ſtehen. Ein Traum iſt alſo die Vorſtellung und das 
Bewußtſeyn eines Gegenftandes im Schlafe, den bie 
Einbildungstraft durch ihe Gaukelſpiel hervorruft 
und uns als wirklich vorhanden hinzaubert und deſſen 
wir und beim Wachen erinnern *), daß er: bloß ein . 


9 Ich ſpreche bier von Träumen, deren wir und noch 
nach dem Erwachen bewußt find: denn Hiele ver⸗ 
ſchwinden ſchon sin mis dem erfien Schritte aus 
dem Bette. 


— 1 \ 


— 118: — 


Gefſchorf der Einbildungskraft war und sap: ber ges‘ 
I traͤumte Zuſtand nicht mehr iſt. 


Nach der Erforfchung- des Inhaltes eines Ge⸗ 
genſtandes muß man 2) die Quelle aufſuchen, welcher 
er ſein Dofeyn verbanft. - Das Irrereden iſt ein ‘Prod 

dukt der Einbildungskraft und des Verſtandes. Der 
Wahnſinn enefpringe: entweder aus gekraͤnktem Ehrs 
geige, oder aus getaufcheen Hoffnungen oder aus ver« 
wirrten Begriffen, und bat aljo feinen Grund ents 
wweber im Begehrungsvermögen und im Verſtande 
zugleich oder indem $eßtern allein, je nachdem man 

porber etwas außer ſich durch Freiheit hat verwirk⸗ 
lichen wollen oder nicht. — Was bemerkt man fuͤr 
Kennzeihen an dem Hochmürhigen? Der Hochs 
mürbige denkt fich über.alle feine Miemenfchen erha⸗ 
ben, ſieht verächtlich auf fie herab, will niemand Als 
feines Gleichen anerkennen und macht fogar noch die 
Anfoderung, daß Andere fi fich ſelbſt geringer ſchaͤtzen 
ſollen als er fi ſchaͤtzt: woher entſteht dieſer thoͤrigte 
Wahnglaube? Grenzenloſe Eigenliebe, uͤbertriebene 
Vorſtellungen von feinem Werthe und Unbekanntſchaft 
mit der moraliſchen Natur bes Menſchen find die Ur⸗ 
ſacherdes Hochmuthes, deſſen Quelle alfo der Verſtand 
und das Begehrungsvermoͤgen zugleich iſt. Wie 
bewirken aber dieſe beiden Kräfte dieſe Erfcheinung, 
und warum zeige fie ſich nur bei Einigen, da boch alfe 
dieſe als’ zum Charakter der Menſchheit gehörigen 
| Anlagen haben? Wie und warum mird jemand hoch. 
| muͤthig? Die Urſachen des Hochmuthes ſind theils 
Außere, theils innere. Unſinnige Schmeicheleien 
Andäerer und daher entſtandener Eigenduͤnkel und 








| — 271 —- 

Wirklichkeit des geftäumten Gegenſtandes mit: dem 
Aufpören des Traumes und, wir mwiffen, daß er 
bloß ein Schattenbild, eine Täufhung war. „Allein 
wir träumen doch manchmal fo lebhaft, daß wir 
beim Erwachen richt mehr wiſſen, ob wir wirklich 
von dem Gegenflande, von welchem wir geträumt, - 
eine Erfahrung gemacht haben oder ob er bloß ein 
Traumbild gewefen iſt. Wenn ein folder Fall eine. 


tritt, fo fcheinen die Vorftellungen, die wie im Zraume. : 


gahabe haben, der-Wirklichkeit an Gewißheit nicht 
nachzuſtehen.“ Solche Träume find fehr,felten und 
find eutweder die Ausgeburten eines franfen Zuftans 
des ober. doch die Vorboten einer nahen Krankheit, 
die ſich ſchon im Körper bei der völligen Unthaͤtigkeit 
aller Sinne wirfjam beweißt: übrigens können wie 
auch die Vorftellungen, die wir im Wachen. haben, 
- an wirklich vorhergehende Erfahrungen anreihen,, 
fie mit ihnen vergleichen und zu einem Ganzen vers 
binden ,. welches mit den Vorftellungen im Traume 
nicht angeht, welche, "wenn wir nüchtern und befons 
non alles unterſuchen, ſich in feine Wirklichkeit eins 
fügen wollen, fondern allein und. abgebrochen. ba | 
ſtehen. Ein Traum ift alfe, die Vorftellung und das 
Bewußtſeyn eines Gegenftandes im Schlafe, den bie 
Einbildungstraft durch ihe Gaukelſpiel hervorruft 
und uns als wirklich vorhanden hinzaubert und deffen 
wir ung beim Wachen erinnern *), daß er: bloß ein . 


*) Sch fpreche bier von Träumen, beren wir ung noch 
nach dem Erwachen bewußt find: denn piele ver⸗ 
ſchwinden ſchon sin mis dem erſten Schritte aus 
bem Bette. 


L 
3; \ 


. traͤumte Zuſtand nicht mehr iſt. 


— — — — 


V 


—R 118 — 
PORN der Einbildungkruft war und daß der ge⸗ | 


Nach der Erforfchung: des Inhaltes eines Ge⸗ 
genſtandes muß man 2) die Quelle aufſuchen, welcher 


er ſein Daſeyn verdankt. - Das Irrereden iſt ein Pro⸗ 


dukt der Einbildungskraft und des Verſtandes. Der 


Wahnſinn entſpringt entweder aus gekraͤnktem Ehr⸗ 


geize, oder aus getaͤuſchten Hoffnungen oder aus ver⸗ 
wirrten Begriffen, und hat aljo feinen Grund ents 
weder im DBegehrungsvermögen und im Verſtande 
zugleich oder in dem Letztern allein, je nachdem man 
porher etwas außer ſich durch Freiheit hat verwirks 


lichen wollen oder nicht. — Was bemerft man für 


Kennzeichen an dem Hochmuͤthigen? Der Hochs 
muͤthige denfe ſich über alle feine Mismenfchen erha« 
ben, ſieht verächtlich auf fie herab, will niemand als 
feines Gleichen ‚anerfennen und macht fogar noch Die 


Anfoderung, daß Andere ſi ſich ſelbſt geringer ſchaͤtzen 
ſoollen als er ſich ſchaͤtzt: woher entſteht dieſer thoͤrigte 


Wahnglaube? Grenzenloſe Eigenliebe, uͤbertriebene 


Vorſtellungen von feinem Werthe und Unbekanntſchaft 


mit der moraliſchen Natur des Menſchen ſind die Ur⸗ 
ſachendes Hochmuthes, deſſen Quelle alſo der Verſtand 


und das Begehrungsvermoͤgen zugleich if: Wie 


bewirken aber dieſe beiden Kräfte dieſe Erfcheinung, 
und warum zeigt fie ſich nur bei Einigen, da doch alfe 
diefe als zum Charakter der Menſchheit gehörigen 


| Anlagen haben? Wie und warum wird jemand hoch⸗ 
J muͤthig? Die Urſachen des Hochmuthes ſind theils 

. dußere, theils innere. Unſinnige Schmeicheleien 
7 Anderer und daher entſtandener Eigenduͤnkel und 





— 119 —- | j 
| abechechige Hochſchaͤtzung ſeiner ſelbſt, wodurch Ver⸗ 
achtung anderer Menſchen entſteht und Unkunde in 


bem moraliſchen Geſetze, vor welchem ſich jeder bes 


ſonnene Sterbliche beugt, find die gewöhnlichen Vers 
Anlaffungen des Hochmuthes. — Wenn man jes 
mand einen Schwärmer nennt, was verfteht man 
unter diefer. Benennung? daß er 1) auf gewiſſe Dinge 
einen höhern Werth legt, als man vernünftiger Ieife 


‚darauf fegen kann, 2) daß er feine Einbildung ent 


weder für die Vorftellungen von wirklichen Gegen⸗ 
fländen oder fie diefe felbft haͤlt und 3) daß er ſich oft 
eine Erkenntniß von Dingen zuſchreibt, die fein. 
Sterblicher befißt, oder Borftellungen realifiren will, " 


Die. gar nicht verwirklicht werden koͤnnen. Die 
‚Schwärmerei firebt alfo bald nad) unmdglichen Er⸗ 


kenntniſſen „ bald nach unmoͤglichen Handlungen und 
entfteht Durch bie Coalition Dunkler Geflihle entweder 
mie Gedanken oder mit Willensmarimen, welche die 
Einbildungskraft zufammenmifcht, durch ihre ſchoͤpfe⸗ 


rifchen Zuthaten verunftalter und ſie uns als ausfuihr⸗ —— 


bar oder als wirklich vorſpiegelt. 


Da. uns aber daran gelegen ſeyn muß, alle 


- Quellen der Erfcheinungen in unferm Gemüthe fen 
nen zu fernen, fo müffen wir ung bemühen ‚. eine volls 


ſtaͤndige Kenntniß aller’ unferer urfprünglichen Anlas 


gen und Kräfte, ihrer fpezififch = verfchiedenen Wir⸗ 
Fungsarten, ihrer Gefeße, ihres Inhaltes, ber 


Grenzen ihrer Anwendbarkeit und ihres wechfelfeitis. 


gen Einfluffes zu verfchaffen. Bloß die Einficht in 
basjenige, was wir von Natur find, verhilft ung zu 


einer gründlichen Kenntniß von dem, was wir durch 


\ 


| - 120 — | 
Kunft worden find. So bald wir baher bie urfprängs 

lichen Thätigfeiten des menſchlichen Gemüches genau 

fennen. find wir auch weit beſſer im: :Stande, dass 








jenige an jeder Erſcheinung, die wir in uns gewohr 


‚werden, heraus zu heben, was ein Werk dieſer ober 
jener. Anlage und Kraft ift, als es ohne eine folge 
Naturkenntniß der Fall ift. 


Die meiften Erfcheinungen, bie wir burch innere 
Erfahrung in uns kennen fernen, find ein Probufe _ 
des Zufammenmirfens mehrerer Kräfte, befonders if 
dies mit allen Krankheiten und mit allen Berirrungen 
des menfchlichen, Geiftes der Hall: es ift daher beim 
Selbſtbeobachten fehr geoße Aufmerkſamkeit nörhig, , 
um,eine Einficht in das wechfeljeitige Zuſammenwir⸗ 
Een. unferer verjihiedenen Geiftesvermögen und Kräfte 
zu erlangen und den Antheil und den ‘Beitrag einer 
jeden Anlage zu einer wahrgenommen a Erfcheinung 
beſtimmen zu koͤnnen. UmMd wenn wir die Erfcheinun« 
gen, welche durch die Thätigfeit mehrerer Kräfte 
hervorgebracht werden, kennen gelerut haben, fo 
müffen wie auch unterfichen, was entfiebt, wenn 
mehrere, und zwar verfchiedene Meigungen, Affckte, 
Begierden und Seidenfchaften in einem Punkte mit 
einander zufammentreffen und fih mit einander vers 
einigen? Was erzeugen Liebe und Haß, wenn. fie 
ihren Urfprung einem und demfelben Objekte zu vers 
danken Haben? Die Eiferfucht. Was bewirken der - 
Geiz und ver Mißmuth, der Neid und die Schadens 
freude, der Ehrgeiz und die Verzweiflung u. f. m. 
in ihrer Vereinigung für Erfcheinungen? Die Wirs 
... ungen, welche durch bie Coafition folcher Neigungen 


— 


\ i fe 121x —— 


und. Affekten entſtehen, find zahlreich und. verlangen 
ein aufmerffames amd angefirengtes Studium, um 
Die Urſachen und die Folgen ſolcher wechfelfeitigen - 
‚Einwirkungen beſtimmen zu Fönnen. 


Welche Regeln muß man aber bei- dem Streben 
nach Selbftfenntnig beobachten und welche Methode 
muß man dabei befolgen? Man muß. 


= ce) ftets auf fich und feinen Zuſtand aufmerfs 
fam feyn und alles Sremdartige, was uns in der. 
Selbſtbeobachtung ſtoͤren kann, abſichtlich entfernen; 


2) das Aehnliche in den Erſcheinungen in uns 
aufſuchen und daſſelbe mit einander vereinigen und 
das Unäpnliche abfondern und davon abftrahiren, 
um durch Einheif der Vorftellungen Verftändlichfeit 
in das Ganze Ju bringen; 


3) alles Bemühen nach dem Erwerben von 
Selbſtkenntniß auf einen moralifhen Zwed ber 


sieben, um feinem Nachdenken durch moralifhe _ 


Staͤrkungsmittel zu Hälfe zu kommen und den Geift 
vermittelſt derfelben gegen Ermattung und gegen . 
\ Muthloſi igkeit zu ſichern; 


4) von den einfachen Eeſcheinungen zu den zu ⸗ 
| fammengefeßten, von bem Befannten zu dem Unbes 
kannten, von dem Gewoͤhnlichen zu dem Ungewöhns 

lichen, von dem $eichterflärbaren zu dem Schwerer; 
aufzuioͤſenden, von dem Beharrlichen zu dem Fluͤch⸗ 
gen, yon Empfindungen und Gefühlen zu Gedan⸗ 
ken und Ideen u. |. w. fortgehenz 


Kunft worden find; So bald wir daher die urſpruͤng⸗ 
lichen Thätigkeiten des menfchlichen Gemuͤthes genau 
kennen. ſind wir auch weit beſſer im Stande, das⸗ 
jenige an jeder Erſcheinung, „die wir in uns gewahr 
‚werden, ‚heraus zu heben, was ein Werk Diefer oder 
jener Anlage und Kraft ift, als es ohne eine ſolche 
Naturkenntniß der Fall if. 


Die meiften Erfcheinungen, bie mir Durch innere 
Erfahrung in ung kennen lernen, find ein Produkt 
des Zufammenmirfens mehrerer Kräfte, befonders ift 
Dies mit allen Krankheiten und mit allen Verirrungen 
des menfchlichen, Geiftes der Fall: es ift daher beim 
Selbſtbeobachten fehr geoße Aufmerkſamkeit noͤthig, 
um,eine Einſicht in das wechſelſeitige Zuſammenwir⸗ 
ken unſerer verſchiedenen Geiſtesvermoͤgen und Kraͤfte 
zu erlangen und den Antheil und den Beitrag einer 
jeden Anlage zu einer wahrgenommen a Erſcheinung 
beſtimmen zu Eöntien. Und wenn wir bie Erfcheinun« 
gen, welche burd) bie Thätigfeit mehrerer Kräfte 
hervorgebracht werden, kennen gelernt haben, fo 
müffen wir auch unterfichen, was entfiebt, wenn 
mehrere, und zwar verfchiedene Meigungen, Affckte, 
Begierden und teidenfchaften in einem Punkte mie 
einander zufammentreffen und fih mit einander vers 
einigen? Was erzeugen Liebe und Haß, wenn fie 
ihren Urfprung einem und demfelben Objekte zu vers 
danken haben? Die Eiferfucht. Was bewirken der - 
.Geiz und der Mißmuth, der Neid und die Schadens 
. freude, der Ehrgeiz und die Verzweiflung u. f. m. 
in ihrer Vereinigung für Erfcheinungen? Die Wirs 
kungen, welche durch die Coalition folcher Neigungen 


— 











x h) " — 121 m ' 


und. Affekten enrfichen ‚ find zahlreich und. verlangen 
ein aufmerkfames amd angefirengtes Studiuni, um 


die Urfachen und die Folgen folcher mwechfelfeitigen - 


Einwirkungen beftunmen zu koͤnnen. 


— 


Welche Regeln muß man aber bei- dem Streben 
nach Selbftfenntnig beobachten und welche Methode 


muß man Dabei befolgen? Man muß 
ce) ſtets auf fih und feinen Zuftanb aufmerfs 


ſam feyn und alles Fremdartige, was uns in ber. 


Selbſtbeobachtung ſtoͤren kann, abſichtlich entfernen; 


2) das Aehnliche in den Erfcheinungen in uns - 
auffuchen und daflelbe mit einander vereinigen und 


das Unähnliche abfondern und davon abftrahiren, 


um dur Einheit der Vorftellungen Verftänblichfeit 


in das Ganze Fu bringen; 


3) alles Bemühen nach dem Erwerben var 


Selbſtkenntniß auf einen moralifchen Zweck bes 
ziepen, um feinen Nachdenken durch moralifche 
Stärkungsmittel zu Hülfe zu kommen und den Geift 


vermittelſt berfelben gegen Ermattung und gegen . 


Muthloſi igkeit zu ſichern; 


von ben: einfachen Eeſcheinungen zu den zu  - 


| fammengefeßten, yon dem Befannten zu dem Unbes 
Fannten, von dem Gewoͤhnlichen zu dem Ungewöhns 
lichen, von dem $eichterflärbaren zu dem Schwerer; 
aufzuidfenden,, von dem Beharrlichen zu dem Fluͤch⸗ 
tigen, von Empfindungen und Gefühlen zu Gedan⸗ 
ken und Ideen uf w. » ſorthehen; 








— 223 — 


5) ſich uͤber altes , was im Sewuthe vrihehe⸗ 
fees und. zivar nad) Noturgeſchen Auffchiuß zu ver⸗ 
ſchaffen ſtreben; 


6) ſich haͤufig mit Andern uͤber die Eiſhenin⸗ 
‚gen, die man in ſich bemerkt hat, unterhalten, , um, 
eine ausgebreitetete Anſicht von ben Dingen wi ers 
balten; ; 


7) feine Erfahrungan an die Erfahrungen An⸗ 
derer halten, um durch die Vergleichung jener mit 
biefen das noch vorhandene Dunfel zu verſcheuchen; 


3dy ſich öfters, Zweifel und Einwendungen gegen 
die Reſultate, die man burch eigenes Nachdenken er⸗ 
beutet hat, machen; | 


\ 


9) dag Wahrgenommene aufſchreiben um es 
mehrmals und zwar zu verfihiedenen Zeiten ‚ in einer 
verfchiedenen Geiftesftimmung “und in Verbindung 
mit andern, manchmal fremdartigen Erfiheinungen 
durchdenken zu koͤnnen; 


10) Schriften, „welche Erſcheinungen uͤber die 
menſchliche Natur enthalten, fleißig und mit Aufs 
merkſamkeit burchlefen und das Meue, Auffallende 
und Ungemöhnliche anmerfen; | | 


11) ſich oͤfters in die Lage eines Andern ver⸗ 
J ſetzen und alsdann ſeine derſelben angemeſſene Stim⸗ 
mung, Gefühle und Gedanken beobachten; 

12) ſich manchmal abſi chtlich in Gefahren ſtuͤr⸗ 
zen, um ſo wohl waͤhrend dieſer Zeit fein · Gemuͤth zu 
helauſchen, als-auch feinen Muth und feine Stande 
haftigkeit i im Denken zu erproben; 








us 123 ns 


J 13) jederzeit nach der Urſache und nach bein 


Zwecke einer Erſcheinung, bie uns in die Augen fälle; 


fragen; 


j 14) fi eelbſt Eeſcheinungen ausk nen und fi ch 
in einen denſelben angemeſſenen Gemuͤthszuſtand zu 
perfegen ſuchen, um haͤufigere Gelegenheit zum Nach: 


denken über fich zu haben und ſich dadurch eine gröfe 


ferg dertigfeit | im Refleftiven zu erwerben. Und 


15) endlich über bie Erſcheinung, über welche 
wir ſelbſt nachgedacht haben, die Bemerkungen nach⸗ 


leſen, welche. Andere darüber gemacht haben, die⸗ 


felben mie den Unfrigen vergleichen und wenn es ' 


nöthig feyn follte, die Letztern durch die Erſtern bei 


u richtigen, 





Ein ſolcher Rampf mie uns ſelbſt verſchaft ung fü 
wohl Geuͤhtheit im Denken als uns auch das Auffucheri 
und Erffären’ unferer verfchiedenartigen Bemuͤths⸗ 


äußerungen zur Selbſtkenntniß verhilft. Wer ag . 
ftees über füch felbft nachdenfe, ‚Die.Urfachen und Abs 


fihten der in fih mwahrgenommenen Erſcheinungen 
fleißig erforfcht, fih entweder durch fich felbft: oder 
mit Hülfe Anderer bei diefem Gefchäfte, wo man 


ſich fo Teiche verirren kann, zu orientiren bemuͤht ift 


und alles nad) und aus Natururfachen erklärt, Hat 


den boppelten Gewinn, dag er fy wohl ſelbſt denken 


als ſich ſelbſt kennen lernt. 


Diele Menſchen machen ſich mit dem Himmel 


vertraut und vergeffen darüber. die Erde, noch mehr | 


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ur ⸗ X . Eapitel; ia 2”, «2 5 4 


Was muß man anamderm Menfgen beoba ch⸗ 


gen und wie muß man fie beobachten, ‚um ſich 


wendet zu erweiben und zu⸗ 
gSlecch ſebſt benten zu lernen? „ 


- . .. ".: 59 
% I. . . ' “ . 5 44 
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N. NIE N 7] 
Wer keine Einfre in feinen. eigenen innen Zu⸗ 
ſtand befige, wird auch Andere nur oberflächlich fons 
‚ hen lernen, ‘weil der Menfch fich den Gemuͤthszuſtand 
_ Anderer bloß durch eine ausgebreitete Bekanntſchaft 
ne Nehoſelbſt erklaͤren und verſtaͤndlich machen kann. 
Alla Erfcheitungen an Andern ſind uns .unverfländt 
fi, wenn wir ihre Wirffamfeit oder folche, .: bie 
Aehnlichkeit mit ihnen haben, nicht in uns felbft etz 
fahren haben. Niemand Fann ſich eine richtige und 
urrffende Borſuſſung son der Höllerpein der Eifer⸗ 
fucht machen ⸗ alatwer ſelbſt dieſe Folterſchmoͤrzen ide 
duldet hat. . Aus. aind nach uns feleit beurtheilen und 
errathen wir Andere; aus unferm ¶ Gemuͤthszuſtande 


tragen wir die Eigenſchaften auf den Ihrigen uͤber 
"und pflegen uns durch Hinzuthun oder Hinwegnahme 


veodgyirgend eine derſtlben ihne Mimniichabeſchalenheit, 

wie wit zum wenigſten glauben, der Wehrhen — 

werſſtelen⸗ mia. a der MT Jede 
I ERIEAE D E E 5 


Was wir nicht feißft } erfahren haben, fuchen 


wie durch Analogie zu errathen. . Es giebr Erſchei⸗ 


ungen, welchaenle in unſern Immern gehaufetHaben 
und dieſe machen‘, wir uns dunch ſolche Erfahrungen 
deutlich welche mit denſelben irgend eine Aehnlich⸗ 





J 











— 120 — 
Feit- haben, mag dieſe nun: nahe ber euere Tan, 
Aber wit. fchließen- nicht allein aus Anclzz:s 2,: 1-8 
Zuſtand und dia Beſchaffenheit des Antern, om. 
miernehmen auch dns Widerſtratende zu Hilfe, Sy 
benfen. ung gerade das Ürgenthäil von dem /; 2, 
Beim Wahnſime), was wir. felbft an ung beobechter 
oder ſelbſt empfunden haben. Auf dieſe Art Diane 
wir uns einen Zugang in das Innere anderer Men- 
{hen und, durchbrechen das Heiligthumm —— 
mungen und Gedatken durch Solbſtkenntniß. 
liegt daher fahr viel daran, Daß. 'mir--ehre. ba 
Welt in uns aufregen, und .diefe Reyſamkeit au dieſe 
eben digkeit derſelbenn ſtets unterhalten, damit noir 
mancherlei Zuſtaͤnde durch feldfkeigene, Erfahrungen 
kennen fernen, um, alsdann mit, Hififesderfelben An ” 
dere richtig beustheisen zu koͤnnen. Mar muß felbſt 
vieles, verfuchen, Am ſich durch GSelbftehärigfeid.fp 
wohl. Klugheit: als, Menfchenkenniniß zu ermersen. 

. Das Schidfal fpich. niche fo geauſam mie dem ten‘ 
(chen, als wie oft mähnen, daßıss dieſelben bloß dur h 
Schaden Hug zumachen fucher denn menu - Dies nid 
dep Fall, wäre,. fo wuͤnden wir nm Boden. hängen 
bleiben und: wie viele Vortheile würden wir entbehrea 
müffen, und. welchen Becher würden; ‚mir, amdie | 
‘ Fly uaferer Kräfte erleiden ¶ Me Bu 

ti; 5 rn. te .dn 2.3 
ru Aber bie Kennniß y. die: wir von und ihre N 
dere erwerben, vermehrt. aud) die Selbſtkenntniß 
Wir bemerken an ihnen den Einfluß, den dieſer oder 
jener innere oder äußere Zuſtand auf; ihre Denfungs _ 
‚art und Handlungsmeife hat. Wir vermeiden dahet 
vjelleiche die Klippen, an. denen ſie ſcheiterten, ober wit 





nl 5 
> u — 128 


fuchen auch bie Vortheile auf, die ſie durch irgend j 


eine Fertigkeit oder Tugend einerndteten. Nichts 
vermag uͤber den Menſchen mehr :als das Veifpiel, 
Thatſachen ſprechen Tauter und eindringlicher als die 
einleuchtendeſten Ermahnungen oder Warnungen, 
und Anfchaumgen wirken maͤchtiger auf die Beſtim⸗ 
mung bes Begeprungsverihögens-als bioß⸗ Begriffe 


wwa⸗ müffen und was koͤnnen wir an Anbern 
beoba cheenr Was faͤllt uns zuerſt an ihnen in die 
Augen und was feſſelt gleich beim erſten Anblicke un⸗ 
ſere Aufmerkſamkeit? Ihre Geſtält, ihr‘ Betragen, 
ihre muͤndlichen Aeußerungen, ihre Handlungen, kurz 
ihr Aeußeres, ihr Thun und Treiben wird uns zuerſt 
hemerklich und iſt der Anfang unſerer Unterſuchungen 
uͤber den Andern. Hierbei aber dürfen wir nicht 
fichen, bleiben, fondern wir müffen unfere Beobach⸗ 
tungen weiter treiben, wie muͤſſen ihr Inneres zu bes 
lauſchen und unvermerkt in bie Werfftätte einzudrins 


gen ſuchen, wo Gedanken gebilder, Pläne: gefchmies 
pet, Gefimungen gebören und Trug und Lift erſon⸗ 


nen werden, wo der Duell des Guten und Boͤſen, 


der Gedanken und Gefühle -raufcht und wo det 


Menſch in:feiner- wahren Geſtalt erfcheint. Wie ges 


- x langen wir ’aber in Das Innere des Menſchen und: wer 
reicht uns den Naben der Artadne, damit wir uns in 
dieſem· Labyrinthe nicht” verirren? . Das dußerlich 


Wahrgenommene ift der Wegmeifer zu Diefer Werk⸗ 


ſtaͤtte des Geiſtes und auch der Leitfaden in demſelben, 


Aus den einzeln Handlungen eines Menſchen ſchließen 


wir auf die Abfichten und Marimen, die dDenfelben 
zum Grunde liegen und ans mehren Handlungen, 


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oo — 129 — \ 
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die wir ihn thun ſehen oder die wir von ihm erfahren, 
auf die Beſchaffenheit ſeines Charakters. Seine 


Worte, Meinungen und Grundſaͤtze eroͤfnen uns ſeine 
Denkungsart, ſein Thun und Treiben giebt uns den 
Schluͤſſel zu feinen Geſinnungen und feine äußere 
Geſichtsbildung verraͤth uns feine größere ober gerin- 
gere Geiftesthätigfeit und feine Naturanlagen. Und 
“aus allen diefeg Wahrnehmungen feßen wir ein Gan⸗ 
3e8 zufammen, das uns zu einer Einfiche in feine ganze 
Gemuͤthsbeſchaffenhet verhilft. 


Bei allem dieſen Rathen und Schließen aber“ 
dürfen wir ung felbft nicht aus den Augen verfieren, 
ſondern 'müffen die Erfahrungen über uns ſelbſt zum 


| Verftändniß des Andern zu Hilfe nehmen. Das: 


uns an dem Andern Unbekannte müffen mir aus dem 


erklären, was uns an ung felbft befanne ift. Allein, 


hierbei iſt viel Vorſicht und viele Aufmerffamfeie 
nöthig: denn nirgends-ift ein Irrthum leichter als in 
der Enträrhfelung des Andern durch die Selbſtkennt⸗ 


niß; mir dürfen nur eine Eigenheit an bem Andern 
überfehen oder etwas hinzuthun, was ihm nicht zu⸗ 


komme, fo erhalten wir ein unrichtiges Reſultat und 


wie haben’ den Andern gänzlich verkannt. Es iſt v4 
her nöthig, das Erperiment der Erflärung des Ans 
derh durch unfere eigene Semüthseigenfchaften mehr⸗ 


mals zu wiederholen, feine Aeußerung von alfen Seis 
ten zu durchforſchen, fie in allerlei Geſtalten zu wer⸗ 
fen und neue Compoſitionen mit ihnen vorzunehmen, 
manchmal das Gegentheil von dem ; was wir durchs 
Nachdenken über den Andern als Ausbeute erhalten 
haben, zu denken und uns ‚ gleich dem Dromerpeus, 

Kunſt ın ſenken. 


⸗ 


⸗ 


\ 
J 


— 130 — 


als ſeinen Bildner zu zeigen. Wir muͤſſen Menſchen 
formen, wenn wir ihr Inneres kennen lernen wollen, 
um fie beliebig und nach allen Richtungen unterſuchen 
zu kbnnen. 


Die Geſinnungen und die Denkungsart ſind die 
Quellen, aus denen die Antriebe zum Handeln her⸗ 
vorſpringen, und die Menſchen werden bei ihrem 
Thun und Treiben ſo lange dieſem von uns angenom⸗ 


mienen Erkenntnißgrunde ihrer Gemuͤthsbeſchaffenheit 


nicht untreu, als nicht ein großer Gewinn ſie zum 
Gegentheile reist. . Allein läßt fie auch manchmal der 
Eigennutz, die Thorbeie oder der Eigenfinn das Ges 
‚gentheil von allem jenem thun, was Andere unter bies 


fen Umftänden gethan haben, und werben wir alſo 


dadurch in unſern Schlüffen irre gemacht, fo ent 
wifchen fie doch nur auf kurze Zeit. unferer Einfiche 
in ihre wahren Abfichten. Wir erhafchen doch bald 
wieder einen Faden, der uns in ihr Inneres leitet und 
vermittelt welches wir ihre Geheimniffe errarben. 
Wie feben die Gründe ihrer Abweichung von 
ihrem fonft gewöhnlichen Verfahren” ein, und wir 
kehren wieder auf den Pfad zurück, von welchem wir 
‚ausgegangen find.. : Der Menfch iſt bloß ein’ Ges 
ſchoͤpf von Widerſpruͤchen in den aͤußern Erſcheinun⸗ 
gen, in ſeinem Innern bleibt doch Einheit und Har⸗ 
monie, mag ſich wandeln was da will, er bleibt feis 
ner Gefinnung und feiner Denfungsare getreu. : Die 
“augenbliclichen Abweichungen, die wir manchmal 
gewahr werden, find nur ſcheinbar, weil das J Sanere 
ſich nicht mit veraͤndert. 














’ 


Aus, den Thaten, Meinungen und Gedanken 
der Menfchen Fonnen wir ferner auf Die Größe ihrer - 


Geiftesfräfte ſchließen, von welchen jene ein Probufe 
und alfd deren Maaßſtab find, und aus der Art der - 
Anftrengung, mit welcher fie zum Worfcheine fom« _ 
‚men, rathen mie auf die $eidenfchaften und Affekee, 


welche in ihnen haufen. Die Verſchiedenheiten, 


welche wir unter den Menfchen bemerfen, rühren : 


theils von den größern oder geringern Geiſteskraͤften, 
theils von dem Zuſtande und der Lage, in welcher ſie 
ſich befinden, theils von der Erziehung und dem Un⸗ 
terrichte her, den ſie genoſſen haben. Ein thaͤtiger 


und feuriger Geiſt giebt dem Beobachter ſchwierigere 
Raͤthſel aufzuloͤſen als ein unthaͤtiger und kalter, weil | 
die Erfcheinungen, welche ein Werf feiner Selbſt⸗ 


thaͤtigkeit find, öfterer wechfeln und alfo den Zufchauer 
mit neuen unbefännten Materialien sum Nachdenken | 
verforgen. Es ift daher eine angeftrengtere. Auf⸗ 
merkſamkeit und groͤßere Gluͤbtheiti im Denken noͤthig, 
wenn man lebhaftere und ſchoͤpferiſche Gemuͤther ken⸗ 


nen lernen will. Allein es giebt doch gewiſſe feſte 


Punkte, auf welche man auch.in Anſehung ihrer ſein 


Nachdenken richten kann und dieſe ſind ihr Charakter, 
ihre Gefinnung und ihre Denfungsast, deren Kennss 
niß ung ficherlich auch Aufſchluß über ihre Handlun⸗ 
gen verſchaffen wird. 


Die feibenfejaften find gewaltſame Ausbruͤche 
der Begierden oder der Verabſcheuungen, wo der 
Menſch ſich vergißt, und ohne Maske erſcheint und wo 
man leicht tiefere Blicke in ſein Inneres thun kann. 
Aus den Schlupfwinkeln des Herzens kommen als⸗“ 

. ” J'2 


— 132 — Zn 


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dann, wenn bie Wurh_der Seidenfchaft tobt, Zůge 
zum Vorſcheine, die man bisher noch nicht an dem 
Andern bemerkt hat und die nur auf eine Gelegen⸗ 
heit lauerten, um ſich in ihrer eigenthuͤmlichen Ge⸗ 
ſtalt zu zeigen. Daher müffen wir auf ſolche Erſchei⸗ 
nungen an bem Andern beſonders aufmerkſam fe. 


Die Sitten, der Charaser, bie Geſtalt ‚ die 
Denkungss und die Sinnesart, die Neigungen, Die 
Begierden, die Leibenfchaften, bie Anlagen und bie. 


RKraͤfte des Geiftes, Die Meinungen und die Orundfäße 


ſind alfo dasjenige, was wir an dem Andern zu beobs 
- achten und kennen zu lernen haben. Die blöße Bes 
obachtung des Aeußern des Menfchen. gleicht einer 
Blüte, die taub iſt, fie gewährt feinen Nutzen; das 
‚ Eindringen in fein Inneres hingegen eroͤfnet ung die 
herrlichſten Ausſichten sum Gewinne An dem Aeufs 
| fern lernen wir bloß Geftalten fennen, aber nicht die 


Art ihres Seyns, ihres Wirfens und ihres Ent- 


ſtehens; Durch Bekanntſchaft mie dem Innern aber - 

erlangen wir eine. vollftändige Kenntniß des geiftigen 

Lebens bes Menfchen. Allein nie dürfen wir beide 
Punkte, das Aeußere und das Innere, von einander 
. trennen, weil jenes ber Abdruck, wenn auch nicht 
immer, doch haͤufig, von dieſem iſt und weil uns jede 
Kenntniß der Denkungsart, der Geſinnung und des 
Charakters des Andern unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn 


- wir nicht von dem Aeußern ‚susgiengen, welches ber. 
einzige Weg zu dem Innern iſt. Der Menfch kann 


‚alles bloß durch die Wirkungen Pennen lernen, bie 
Kräfte, wie fie an und für fich find, . bleiben auf ewig 
vor ihm verborger. Alſo möfen wir bie äußern Ers 














-, 133 — 


ſcheinungen, die wir an bemi Andern gewahr werden, 
als Führer in fein Inneres anfehen, und beide zweck⸗ 
mäßig zur Erflärung des Einen duch das Andere 
benußen, 

Da wir jeßt.wiffen, was wir .an Anbern beob⸗ 
achten follen, um Menfchen kennen zu lernen, fo ents 
ſteht nunmehro die Frage, wie müflen wir Andere 
beobachten und welche Regeln müffen wir dabei be» 
"folgen, um uns durch Kenntniß Anderer zugleich Fer⸗ 
 figfeit im Denken zu erwerben?“ Wir müffen uns 
1) eine Menge verfchiebener Data über. andere Mens - 
ſchen einfaommeln und diefe alfo in mehrern tagen. 
. beobachtet haben, ehe wir. ein Urtheil über fie fällen . 
und ein Reſultat aus unfern Beobachtungen über fie 
‚sieben, weil wir, wenn wir einmal ein Endurtheil über 
jemand gefällt Haben, nicht gern unfere Meinung von- 
ihm ändern, wenn wir auch einfehen follten,-daß unfer 
Urtheil unrichtig iſt. Diefe Entfcheidung uber ans 
dere Menſchen darf nicht Durch Vorurteile beftimme 
werden; wir muͤſſen uns vor jeder vorgefaßten Mei⸗ 
mung hüten, durchaus confequens beim Urtheilen ver⸗ 
fahren und nichts folgern, was ſich nicht aus den vor⸗ 
handenen Datis als Votderſaͤtzen ergiebt. | 


2) Wenn mir den Andern fennen fernen wol⸗ 
len, fo müffen wir auf feine Mienen, Bewegungen, 
Stellung, Haltung bes Körpers, auf fein Betragen, 
auf-feine Gewohnheiten, Sitten, Urtheile, Meinune 
gen, Grundfäße ‚, Handlungen u, f. w. aufmerken, 
und dasjenige, was dem Temperamente ‚ dem Chas 
rafter, der Geſinnung und der Denkungsart anges 


f 

Se — 134 * 
hoͤrt, von einander abſondern, sches für ſich betrach⸗ 
ten und alsdann wieder unter einander vergleichen; 
die Urſache und die Abſicht aller derjenigen Erſchei⸗ 
nungen, die wir an ihm gewahr werden, aufſuchen, 
um uns uͤber ſeinen Kopf und ſein Herz einen belle 
ſtandigen Aufſchluß zu verſchaffen. 


3) Dürfen wir uns nicht in dem, was wir an 
Andern ſelbſt beobachten koͤnnen, durch fremde Ur⸗ 
theile leiten laſſen, ſondern muͤſſen alles ſelbſt unter⸗ 
ſuchen, pruͤfen, durchdenken und nach ſelbſteigener 

Einſicht uͤber jemandes Werth und Cyeralrer ent⸗ 

ſcheiden. 11 

4) Die Data, Die uns etwa noch zur xFillung eines 
Endurtheife über den Andern fehlen, koͤnnen wir aus 
unferer eigenen Gemüthsbefchaffenpeit nehmen, wein 
ſte mie der Seinigen durch die Sinnes und Denkart 
verwandt if. Wir muͤſſen aber vorſichtig dabei ver⸗ 
fahren, damit wir nicht etwa eine Aehnlichkeit er⸗ 
blicken, wo feine iſt, und damit wir nicht Gruͤnde 
zur Beurteilung des Andern bervorfuchen, welche 
nicht treffen, weil das Urtheil, wodurch wir ung die⸗ 


ſelben verfchafften, erfchlichen iſt. 


5) Ferner muß unfer ftetes Beftreben dahin 

gehen, zu unterfuchen, ob die lirtheile, von welchen 

wir zur Ziehung eines Mejultates über den Andern - . 
Gebrauch machen, gegründet und richtig find, ob fie 
eonfequent find und ob die Folgerungen mie den Vor⸗ 
‚derfäßen in einem genauen Zufammenhange ftehen, 
ober ob wir in unfern Schlüffen Sprünge gemacht, 





135 —7 
” \ 

mehr aus dem Vorhergehenden gefolgert haben, als 

in demſelben enthalten ift, ob wir nicht uns durch 

einen falfchen Schein auf einen Irrweg haben führen 

laſſen, wo wir gar nicht mehr im Stande find, den 
“ Andern richtig zu würdigen, oder ob wir nicht ein« 

feitig entfchieden haben, indem wir theils befannte 

Erfcheinungen abfichrlich übergangen oder das Ganze 
und feine Theile nicht gehoͤrig durchdacht und eroͤrtert 
haben. 

6) Unfer Gemüth muß rubig ſeyn, wenn mir 
Andere beobachten. wollen: denn wenn wir ſelbſt von 
Leidenfchaften beſtuͤrmt, von Begierben und Neigun⸗ 
genñ gepeinigt und wenn ſelbſt Orkane in uns toben, u 
wie wollen wir die Erfcheinungen an dem Andern uns. 
verfaͤlſcht auffaffen koͤnnen? Wie wollen wir alle 
Züge bemerken, Die er während feines Thuns ud 
Treibens.uns verräch und wie wollen wir Blicke in 
fein Inneres thun koͤnnen, da uns ſelbſt Verblendung 
gefeſſelt haͤlt? Ungeſtoͤrte Aufmerkſamkeit und ununs 
terbrochene Beſonnenheit ſind daher zum Beobachten 
Anderer eben ſo unentbehrlich als zur Kenntniß unſe⸗ 
rer ſelbſt. | 


7) Die Euſſchloſenhelt ſelbſt zu denken und PR 
nen eigenen Verſtand zum Probirftein der Wahrheit 
zu machen, ift ein fehr zweckmaͤßiges Mittel, die Zins 
fterniß zu zerſtreuen, welche dag Leben, die Denfungss 
art und den Charakter des Andern umgiebr. 


8) Jede Meinung, jedes Wort, jede Aeuße⸗ 
rung ſowohl der Denkungsart als der Geſinnung des 


TEEN 


— 


— 136 — 


Day ne 


| Anden: muß von und forgfältig aufgefaßt und erläus 


tert werben; un wenn es ung auch Anftrengung und 


‚Kampf Eoften ſollte, Einheit und Verſtaͤndlichkeit in 
dies bunte Mannichfaltige zu bringen, ſo duͤrfen wir | 
doch den Muth und.die Hoffnung eines endlichen Ge⸗ 


fingens in ber Kenutniß des Andern nicht finfen laſſen. 


‚Der Kühne und der Fleißige 'erbält Aufſchluͤſſe, die 


dem Feigen und Traͤgen verborgen bleiben: das 


Gluͤck will geſucht ſeyn, wenn es bei uns einkehren 


ſoll; daher muß au) derjenige, der Menfchenfenntz 


niß einfammeln will, Gefahren wagen und Muͤhſelig⸗ 


"keiten beſtehen , um durch Erhöhung feiner eigenen 
 Empfänglichfeie für äußere Erfcheinung defto Kiefer i in. 


Das Verborgene des Andern einzudringen. 


9) Mir müffen nichts: in unfere Vorſtellungen 
ufneßimen, mas mir nicht begreifen, und wo wir 


weder. Sufammenhang noch Abficht einfehen y weil 
„das, Unverftändliche eine gänzliche Zerrüttung unter 
den Gedanken anrichtet und uns die Luft zu fernern 
Anſtrengungen raubt. Wir dürfen daher auch Feine. 
‚ Merkmale in die Beftimmung unfers Urcheiles über 
den Andern fich einfchleichen laffen, deren Grund und . 


Bedeufung ung nicht, einleuchtenb ft, 


. 10) Bir muͤſſen Andere öfters in andere Ver- 


haͤltniſſe ſetzen, als diejenigen ſind, in welchen wir ſie 
beobachtet haben, und ſie ihren uns ſchon entdeckten 
Eigenſchaften gemäß handeln laſſen, um ſie ſowohl 
von mehrern Seiten betrachten zu koͤnnen, als auch 


eine groͤßere Fertigkeit in der Enthuͤllung ihres Ge⸗ 


muͤthes zu erlangen. Die Lage aber, worein wir ſie 














\ 


* 
4 


— 137 — 


feßen, darf anfänglich nicht allzu ſehr verfchieden von 
Derjenigen ſeyn, in welcher wir fchon Betrachtungen 
über fie angeftelle haben, damit wir uns nicht erwa 
‚ einer gänzlichen Verirrung preis geben. Aus dem 0 
jenigen, mas wir fie thun gefehen haben, -fchliegen 
wir auf dasjenige, was fie unter andern, aber nicht 
allzu unähnlichen, Umftänden thun werden, a 
Er) Alles, was wir an dem Andern gewahr 
werden, muß eben fo wie die Naturwirkungen, ang, 
Nafururfachen erkläre werben, wenn s auch aus der 
Freiheit des Willens entſprungen feyn ſollte. Der 
Menſch muß von uns mit allem, was er iſt und thut 
als eine Naturerſcheinung, die in den Feſſeln der 
Nothwendigkeit wirkt, angeſehen werden und wir J 
müffen fo. lange innerhalb der Grenzen der Natur 
fortfolgern, bis wir den. erflärenden Grund der wahr⸗ 
genommenen Erſcheinung gefunden haben. ” 





12) Bei der Erforfchung des Andern muß uns 

fee Augenmerk aud) befonders darauf gerichter feyn, 

das Unveränberliche und Nothwendige in demfelben 

ausfindig zu machen, weil es ber Anfang ift, wovon 

alles, was er iſt und thut, ausgeht und das Ende, - 

wo alle Wirkungen aufhören. „Was iſt denn aber 

dies Unveraͤnderliche und Unwandelbare? Es wech⸗ 

ſelt ja alles an dem Menſchen, weil er ein Gefchöpf. 
‚ber Zeit ift, wo nichts beharret, ſondern alles wan- | 
delt.“ Es iſt zwar nicht zu laͤugnen, daf der Menih - 

ein veränderliches Gefchöpf iſt, allein es muß doch an 

ihm etwas geben, das bfeibe und moraus felbft das. 

Wandelbare hervorgeht, Er iſt in feiner Jugend — 


[= — 138 Band 


eine unbefchriebene‘ Tafel; "Die erften Eindruͤcke, 


Buchſtaben, Worte, Meinungen und Grundſaͤtze, 


| 


die er oder Andere darauf fihreiben, fpotten allev 
Umwandlung; fie find unvertilgbar und kommen 
ſters wieder zum Vorſcheine, wenn er fie auch manche 
mal zu verwifchen fucht, bis ihn felbft das alles vers 
fchlingende Grab aufnimmt. Die Gefinnung und 
die Denfungsart und Durch beide ber. Charakter wer⸗ 


. den fon in ber Jugend. gebildet und ihre Phyſiogno⸗ 


mie bleibe, wenn auch alles wechfeln follte. Der 
Charakter ift zwar das Werf der menfchlichen Sreis 
heit und der Menſch ift der Schöpfer deſſelben, allein 
er modelt ihn doch nach) jenem Unveränderlichen, das 
in feinem Buſen lebendig if. Es giebt alfo für den 
Menfchenbeobachter einen Punfe, ben er zu erreichen 
und Fennen zu fernen ftreben muß, von wo aus er 


"das ganze Triebwerk des Andern Iberfehen und mo 


er die Urfache alles. Thuns und Laſſens, alles Sins 
nens und Denfens, das er wahrnimmt, auffindet. 


| Der Menſch ift vermöge des Grundtriebes fei« 
ner finnlichen Natur ein eigennüßiges Geſchoͤpf: viele 


‚Beobachter betrachten'ihn daher bloß aus diefem Ge⸗ 


ſichtspunkte und glauben vermittelft deffelben den 
Schluͤſſel zu allem, was er will, begehrt, denkt und 


| thut, gefunden zu haben. Allein ſollte der Menich- 


auch größtentheils dem eigennüßigen Triebe frößnen, _ 


fo ift der Eigennuß doch weder die einzige noch die 


. böchfte Triebfeder feineg Handelns: denn es fpricht 
0 ein Geſetz in ihm, das undedingten Gehorfgm fodert - 


und wehe dem, ber der Stimme deffelben Fein Gehör - 
giebt! Es zerfchmertere ben Böfewicht durch feine 


\ 








—139 — 
Vardammung und erhebt den Guten durch das Ge⸗ 
| fuͤhl feiner Erhabenbeit gen Himmel. Diefes Geſetz 
verlangt Unterwerfung unter ſeine Gebote von allem, 
was in der Bruſt des Sterblichen webt und lebt und 


dieſer kann ihm auch gehorchen, ſobald er nur will. 


Sein Wille iſt in moraliſchen Dingen allmaͤchtig: die 


Freiheit iſt daher das Element des Menſchen, wo er 
ſich Herzensguͤte und moraliſche Größe erkaͤmpͤfen und 
wo er ſich ſchon auf dieſer Erde unſterblich marhen 


kann , denn feine Tugenden gehen eben fo wenig ver⸗ 


loren als ſein Geiſt einer Zerſtoͤrung unterworfen iſt. 


Andere beurtheilen den Menfchen bloß als eiin 
Weſen, das einen Hang zum Boͤſen hat und waͤhnen, 
in dieſer Anficht Aufſchluß über alles ſein Thun und 


"Treiben gefunden zu haben. Cie glauben, er thue 


Yo 


alles aus Abfichten, die das Sittengefeß verdammt - 


und bafche i in alffen feinen Willenshandlungen bloß 


nach dem, was ihm Vortheile verfpriche und gluͤck⸗ 


‚Tich zu machen fcheint. - Allein wenn wir auch einen 
Hang zu böfen und eigennüßigen Maximen im Hers 
zen des Menfchen zugeben, fo iſt er ibm Doch nicht 
angeboren und. er gehört nicht als ein Beſtandſtuͤck 
der menfchlichen Matur zu feinen urfprunglichen An⸗ 
fagen, fondern er hat fich denfelben durch einen Akt 
der Freiheit zugezogen und er kann daher denfelben 


. auch wieder ausrotten, ja er foll dies chun. Dieſe 


‚Pflicht der Einnesänderung zum Guten fteht feft wie 
"die Säulen ‚der Ewigkeit. Man irre alfo, wenn ' 
man alles, was die Menfchen finnen und thun, aus 
diefem Hange zum Boͤſen herleitet: denn kann es 

nicht der Fall ſeyn, daß jemand das ee ſchon be⸗ 


\ 


ſiegt und das Gute zu feiner herrfehenden Maxime 


‚gemacht hat oder Bann er nicht bald aus guten, bald . 
aus’ böfen Abfichten handeln? Wir beuerpeilen ihn 
alſo unrichtig, wenn wir eine einzige Marime zum | 


Quell ‚feiner Handlungen machen, 


oo „Der Menſch aber muß doch aus einer Abſicht 
— handeln, und man muß alſo doch einen Grund an⸗ 
nehmen, aus welchem man alles ſein Thun und Trei⸗ 
ben ableitet? Welches iſt nun dieſes Prinzip, aus 
und nach welchem der Menſch thaͤtig iſt und wie ver⸗ 

wahren wir uns ſowohl vor dem Irrthume und vor 
der Einſeitigkeit in unfern Urtheilen als vor dem 


ſchrecklichen Gedanken, daß der Menſch bloß boͤſe 


‚ und eigennuͤtzig und alſo ein Teufel in Menſchengeſtalt 
fen? Ihn als ein gänzlich uneigennugiges Geſchoͤpf 
x anfehen, dawider fpricht die Erfahrung zu fehreiend 
als daß wir uns in diefen fchmeichelnden Traum eins 


wiegen laffen könnten und ihn als ein bfoß eigennügi» 


ges Werfen beurtheilen, da giebe es wiederum der 
edlen und moralifchguten Handlungen zu viele,“ als 


- daß unfere Meinung gegründet feyn kdante. Wir 


muͤſſen ihn daher in pſychologiſcher Hinſicht +) 
‘weder als: ein ‚bloß gutes. noch als ein bloß böfes 


Weſcn betrachten, ſondern müſſen auf Erfahrung 


*) Der moraliſche Religionslehrer, der ſich die Beſſe⸗ 


rung des Menſchen zum Geſchaͤfte macht, muß bei 
ſeinem Lehren und Ermahnen die Menſchen als zum 
Boͤſen geneigt annehme⸗, damit dieſe erfahren, wo 
fie ihre Bekehrung anfangen müffen, und wo der 
faule Fleck, der ausgetilgt werden muß, perborgen iſt. 


4 


= 141. 


and Vernunft. geſtuͤtzt annehmen, daß er bald die 
Vernunft der Sinnlichkeit, bald diefe jener unterord⸗ 
net und daß er bald. gut, bald boͤſe handel, Be⸗ 
folge man. bei feinem Streben, nach Menſchenkennt⸗ 
niß biefe Marine, fo verfündige man fich weder an - . 
ber Goͤttlichkeit der menſchlichen Natur, noch an der 
Erfahrung; man lernt ihn in feiner Größe und in ſei⸗ 
wer Niedrigkeit kennen und wenn man auch gegen eihs 
zelne Menſchen wegen ihrer Laſter der Treuloſigkeit, 
der Tuͤcke, der Verſtellung, der Schadenfreude und 
der Kriecherei, der Herrſchſucht u. ſ. w. Verachtung 
fuͤhlt, fo tilgt doch nichts, ſey es auch noch fo ſchaͤnd⸗ 
Nlich, die Hochachtung gegen Die Menfchheit. in uns 
aus, welche, wenn fich auch alle Menfayen-als Schur 
ten und Böfewichter zeigten, ung boch nicht an ihrer 
Ruͤckkehr auf den fleilen Pfad der Tugend verzweifeln 
läßt, Die Menfchenfenntniß foll uns niche zum Mien- . 
ſchenhaß verleiten, ſondern defto eindringlicher die 
Ausfuͤhrbarkeit der Gebote der Vernunft lehren: wir! 
muſſen den Menfchen alfo kennen lernen ‚ wie er von 
Natur iſt, welche Anlagen und Kräfte und welche 
Beftimmung er hat. Haben wir eine, vollftändige 
Erkenntniß von dem urfprüngfichen Senn und Wirs 
fen des Menſchen eingeſammelt, dann laſſ en wir die 


Hoffnung der Beſſerung der Menſchen nie fähren, 


dann werden wir immer Die menfchliche Natur hoc) 
achten, wenn wir auch) einzelne Menfchen zu verach- 
ten genörhige würden. Mur diejenigen vorgeblichen 
Menſchenkenner affefeiren Verachtung. der Menfchen 
und Verzweifelung an einer beffern Zufunfe, Die niche 
tief genug in das Innere des menfchlichen Gemuͤthes 
eingedrungen find, die nicht feine urſpruͤnglichen 


} 





" — 142 — 


Kraͤfte und die durch bieſelben ausgeſprochenen noth⸗ | 
wendigen Foderungen der Natur Pennen und die 
nicht durch ten zur Menſchenkenntniß über- 
gegangen find. 





Es giebe gewiſſe gangbare Säge, die, wenn 
fie genau unterfuchet werden, immer etwas Wahres 
enthalten, wie die Spruͤchwoͤrter, in denen man die 
allgemeinen Wahrheiten indivibualifiete. Die Wahr⸗ ” 
heit pflanzte fid) durch fie fort, ob man fie gleich eben 

. fo wenig benußte, als man den fitelichen VBorfchriften 
geborchte. Der Menfch, fage man, ift ein . 
Gefchöpf der Gewohnheit; man will dadurch 
andeufen, daß er fich an alles gewöhnen find daß er 
durch Uebung alles aus fid) machen fünne, was uͤber⸗ 
haupt mit den Gefegen feiner Natur verträglich. ift. 
Er nimme die Sitten, die Denfungsart und die Ger 
finnungen derjenigen an, mit denen er umgeht; er _ 
ſchwoͤrt auf die Meinungen, welche ihm durch Unters 
richt beigebracht worden find; er.liebt und haßt, bes 
wundert und verachtet, beneibet und verfchmähr, was 
er die Gefellfhaft, worin er lebe, aus diefem Ges 

ſichtspunkte betrachten ſieht. Iſt auf diefem Wege 
nicht ſchon oͤfters das Unvernuͤnftigſte und Wider⸗ 
natuͤrlichſte zu allgemein gangbaren Meinungen ge⸗ 
ſtempelt worden und hat man nicht ſchon oͤfters 
Dinge als wahr und wirklich angenommen, die kein 
Sterblicher jemals geahndet und die in keines Men⸗ 
ſchen Sinn gekommen ſind, ja ſo gar ſolche, die uͤber 
den Horizont der menſchlichen Erkenntniſſe hinaus⸗ 
liegen? 











= 143° — 
Der Menſch wird nur durch Sqchaben 


| Plug: er erlangt namlich To lange feine Feſtigkeit 
und Stärke im Urtheilen und Handeln, als er nicht 


durch Ungluͤck gewitzigt und durch Schmerzen auf ſich 
und auf fein Verhaͤltniß zu den Dingen aufmerffam 
worden iſt. Er fhäßt nur das, was er eindringlid) 
kennt und er fücht nur das zu vermeiden, mas ihn 


mit Seiden bedrohte, Eine lebhafte Erinnerung an ' 


das Ungemach, das er eröulder hat, muß ihm zu 


Hülfe fommen, ehe er meife genug nichts weiter thut, 


als was recht und nuͤtzlich ft 


Durch Irrthum geht der Weg zur 


Wahrheit. Was wir auf Treu und Glauben an⸗ 
nehmen, iſt ſo gut als gar nicht waͤhrend unſers Thaͤ⸗ 


tigſeyns vorhanden: es hat keinen Einfluß weder auf 


unſern Willen, noch auf unſere Denkungsart. I 
Alles, was ſich durch Thaten wirkſam bezeigen ſoll, 


muß in uͤnſer Seyn und Weſen verwebt worden ſeyn. 


Ohne eine Kenntniß des Irrigen giebt es für uns 


keine Wahrheit, weil diefe in der Einficht in das⸗ 
jenige befteht, was einem Gegenflande zukommt und 
- was ihm nicht beigelegt werden.fann. Verneinun⸗ 
‚gen führen endlich zu Bejahungen und man kann 


oͤfters auch leichter beftimmen, was eine Sache niche 


iſt als was fie ift, weil man beim Letztern ihren eigen« 


thümlichen Charakter angeben müßte, der uns aber - 
völlig unbekannt bleibt, z. B. was ift ein Geift, was: 


iſt Freiheit? In der Philofopbie beftehr die größte 


Weisheit oft darin, daß man weiß, was man nicht 


! 


Eu 14 —. 
wiffen und warum man feine Kenntniß davon haben 
kann | z. B. von der iberfinnfigen Welt. | \ 





. 


Der Menſch muß fihb mit Andern 
fireiten, wenn er denken lernen milk 
„Barum foll denn aber der Weg zu feiner Mündjgs 


keit durch Verdruß geben und warum foll alles Gurte - 


erft aus dent Uebel hervor keimen?“ Beim Strei« 
ten, fo lange es noch nicht allzu leidenfchaftlich wird, 


. werben die Geiſteskraͤfte angeſpannt, Die Aufmerk⸗ 


famfeit wird erhöher und bie Ehrbegierde gereist, 
alles dies floͤßt uns Luſt zu größern Anftrengungen, 


und Muth, Gefahren zu beftehen, ein. Auch diene 


das Streiten dazu, daß man fich zu unterrichten eile, 


um nicht Blößen zu zeigen und fi) durch Unwiſſen⸗ 


heit dem Gelächter preis zu geben. Der Menſch 
verſinkt leichter in Traͤgheit als er ſich zur freien 
Selbſtthaͤtigkeit erhebt; jene iſt eine Eigenſchaft des 
Körpers, dieſe des Geiftes; da aber öfterer Die Maſ⸗ 


ſen, als die Geſchicklichkeit und der Wille ſiegen, ſo 


triumphirt auch oͤfterer der Koͤrper uͤber den Geiſt. 
Es iſt daher Streit und Kampf noͤthig / um durch 


Uebung in der Selbſtthaͤtigkeit dieſem den endlichen 
Sieg über jenen zu verſchaffen. 





Warum ſieht niemand des Vormittags Geſpen⸗ 


ſter (ausgenommen wer aus Macht Tag macht)? 
Weil .Öejpenfter ſich nicht mit Geiftern vertragen. 


— 


185 


Des. Vormittags ſteht das Leben in feiner ſchönſten 
Bluͤthe und der Geiſt wirkt gewaltig und kraͤftig auf 
alles, was ſich ihm zur Beſchauung darbietet. Er 
ergruͤndet mit leichter Muͤhe das, was durch alle An⸗ 
ſtrengung des Nachmittags nicht herausgebracht wer⸗ 
den konnte. Sollten daher nicht alle abſichtlichen 
Entdeckungen und Erfindungen Vormittags gemacht 
worden ſeyn, wo der Geiſt mit Energie, Scharfſinn 
und Erfindſamkeit ausgeruͤſtet iſt? 





Geordnetes Denken erhäle.die Gefundheit des 
Geiſtes, wie Bewegung die Geſundheit des Koͤrpers 
erhaͤlt. 





Die Menſchen haſſen oder beneiden den Gluͤck⸗ 
lichen und bemitleiden doch den Ungluͤcklichen. 





‘ 


- Nur, Heine Geifter geben ftets der ſtegenden 
‚Partei recht: große hingegen nehmen ſich der Ge⸗ 
ſtuͤrzten an; dieſe müßten denn Blut wie Waller ge⸗ 
trunken haben. Mag einer ſolchen Vertheidigung 
immer eine Art von Rechthaberei zum Grunde liegen, 
ſie zeigt doch immer, daß man das Recht auch an 
dem Ungiueilihen achtet. 





Die Menſchen. ſind ſich Felbſt einan⸗ 
der der Teufel. Dies ſind ſie nicht, ſondern fie - 
Kunſt gu deuten. K 


41 


146 — 


vertreten gegen einander bie Stelle des Saljes, das 
fie gegen Faͤulniß ſchuͤtzt. 


Iſt es wahr, daß jeder, der geſund iſt, das 
Leben unter allen Guͤtern am meiſten liebt? Ich habe 


Menſchen gekannt, die ihre Pflicht, Andere, die 


ihre Ehre dem Leben vorzogen. Jeder liebt das am 


meiſten, was er fuͤr das Hoͤchne und Schazbarſte 
anſieht. 
As 


Paradoxien find Reizmittel fir den. Geift: und 


ohne Reize giebt es. fein Leben. Je mehr daher ja 
mand in Paradopien ſchwelgt, deſto mehr erhoͤht er 
ſeine geiſtige lebenetraft· 


I 





Die meiſten Menfchen bewundern alles an dem 


Reichen, Betitelten und Gewaltigen, und.der Arme, 
der Titellofe und der Obnmächtige kann ihnen nichts 


gut genug machen und wenn feine Reben Goldkoͤrner, 
ſeine Gedanken Lebensbalſam waͤren, ſo wuͤrden ſie 
dieſelben doch einer Kritik unterwerfen, welche nach 
allem Hin = und Herbefchauen nichts als gewẽhnliche 
Dinge an ihnen zu finden behauptet, | 


Die Gegenftände „ woran wir unfere Denkkraft 
‚üben und vervollkommnen wollen, muͤſſen manchmal 


gewechſelt werben, damis ſelbſt die Neuheit der 
Sachen eine Seſtetarens werde. Von der Beob⸗ 





| 


= 1, 

J 
adtung ber Natur zur Ergründung der Menſchen 
und umgekehrt, von dieſer zu jener uͤbergehen und 
beide, in allerlei Geſtalten betrachten ‚if für sorf 
und Her Erquickung · f | 

N on ’ 





Die meiften Großftädter : fi nd ſehr alltaͤgliche | 


Menſchen, weil fie.der Natur untreu worden, die. 


ſich daher fuͤrchterlich an ‚Ihnen räche) , Ind eben ſo 
wenig allfeitig ausgebildee fi nd,. als fie Energie in 
Gedanken und Handlungen; zeigen. | 


nn vo 





Ss . 
\ * 


Dos. Herz des Menſchen läge fich eher. befeiebi 
gen. als-fein Kopf, der unerſaͤttlich iſt, fo bald er ein 
mal Stärke und Kraft errungen bat. Er bebt und 
webt in Idealen — in. dem ‚Unendlichen, „nud 


ſtrebt nach ihrer Realiſi irung; das Herz hingegen = 


fäße fi) mie Winfchen, Hoffnungen, Berfprechuns | 
gen und felbft mit dem Wahnglauben begnuͤgen. 
Der Kopf ift unglaͤubig, ‚das Herz leichtglänbig 
Wer ſich daher Glauben und Zutrauen zu erſchlejchen 
Luſt hat, muß ſich an das Herz des Menſchen mens ' 
den, weil dies ohne Taufe, d. h. ohne Prüfen und 
Unterſuchen, felig wird, . oo 


u wi, 





„Die Menfeentenntnif por ung unfere Dufe 

rauben?“ ch weiß nicht, was der Menfch mie der 

Ruhe außerhalb des Örabes will. In der Erbe, aber - 

nicht auf derfelben wohnt ber Friede, den wir:dußer 

uns fuchen. ‚Der Menſch muß die außer fih-aufdien 
\ e KR 


En .XCO 


Ein, Litgner muß e ein gutes Gedaͤcht⸗ 
niß haben, ſagt man. Es iſt aber ein Gluͤck, 
daß niemand ſchlechter damit verfehen ift, als. der 
Luͤgner. Er hat Wahrheit und, Lügen — zwei diſpa⸗ 


„rate Dinge — ſo oft zuſammengemiſcht, daß er ſelbſt 


nicht mehr weiß, woran er ift und was er glauben 
fol. Daper rühren die Widerſprůche, in welche er 


verfaͤllt. 





— 


Es giebt zwei Methoden der Beobachtung, ‚ bie 
ſynthetiſche und die analytifche; bei-jenerfeßen 
wir dasjenige, was noch nicht verbunden und alſo 
noch zerſtreuet iſt, zuſammen, z. B. der Laſterhafte 
iſt nicht tapfer, ſondern feig; mehrere Vogelarten 
verlaſſen im Herbſte unſere Gegenden, durch die 
Franzoſen erhalten wir viele Aufklärung über das alte 
und neue Aegyptenz bei diefer zergliedern wir, 
was ſchon in unſrer Vorſtellung eines Gegenſtandes, 
aber noch dunkel, enthalten iſt, z. B. ein Koͤrper; 
er iſt ausgedehnt, und nimmt alſo einen Raum ein, 
er iſt ſchwer u. fe w.: das Gold; dieſes iſt gelb, es 
iſt ein Körper u. ſ. w.: die Luft; dieſe iſt durchſichtig, 
kalt, warm, läßt die Strahlen durch u. ſ.w. Bei der 


ſynthetiſchen Methode find wir mehr der Gefahr des 


Irrthumes ausgeſetzt, als bei der analytiſchen, weil 
die Merkmale, die von einem Gegenſtande ausgeſagt 
werden und die nicht unmittelbar in ihm enthalten 


ſind, erſt durch Folgerungen aus Prinzipien gezogen, 








— — 151 — . 
oder durch die Erfahrung geſucht werden muͤſſen, 
welches Seßtere entweder nach ber Aehnlichkeit, ober 
nach Zeit: und Raumverbäftniffen, oder nach dem 
Grundfaße der Urfachlichkeie gefchiehe,. bei. welchen 
Berfahren man leicht dem zu betrgchtenden Gegen⸗ 

Sande etwas beilege, mas ihm nach feinem diefer 
Berhältniffe zukommt. a 
Die analyeifche Merhobe muß man vorzüg⸗ 

lich bei Erforfchung feines eigenen Gemürhszuftandes 
befolgen; denn man will, wenn man auf Selbft- 
‚ Eenneniß ausgeht, wiffen, was in ung ift, man will 
eine Kenntniß von den Vorſtellungen, Gefühlen, 
Gedanken, Seidenfchaften haben, welche dur) Be⸗ 
griffe zwar gedacht werden, wir wiſſen aber doch 
nieht, was fie find, was fie bedeuten und aus welchen 
Beſtandtheilen fie beftehen. Man muß willen, wor⸗ 
‚nach man ſucht, ehe man eine pollftändige Einficht 
in feinen intellektuellen, -moralifchen und fenfiblen Zus 
ftand. erlangt und ehe man den Inhalt feines Ges 
muͤthes zergliedern und fich verftändlich machen kann. 
Mir haben eine. Vorftellung von dem Neide, von 
dem Haß, von der Rachſucht u. ſ. w., die in ung 
tobt, was ift nun in allen diefen Vorftellungen ente 
halten? Wollen wir aber ihren Urfprung und ihre 
Folgen auffuchen, fo müffen wir die ſynthetiſche 
Merhode befolgen, weil wir mehr wiſſen wollen, 
als ſchon in unferm Begriffe von dem Gegenftande 
enthalten ift. Bei dem Studium hingegen, andere 
Menfchen kennen zu lernen, muͤſſen wir ſtets beide 
Merhoden mit einander verbinden. Wir müffen 1) 
‚dasjenige, was wir an ihnen gewahr werben, ana: 


.. 


- 1 - 


B 


tomiren und ung den Inhalt deſſelben deutlich und vers 
ftändli) machen. 2) Das Wahrgenommene an ſolche 
Erſcheinungen anknuͤpfen, die nach den oben angegebe= 
nen Grundſaͤtzen mit ihnen jufammenhängen , wos 
wir bie Veranlaſſung theils aus unferm Gemuͤthe, 
theils ‚aus dem Ihrigen nehmen koͤnnen. Aus dem' 
Bekannten muͤſſen wir auf das Unbekannte und Ver⸗ 
borgene, aus der Wirkung auf die Urſache ſchließen, 
wo wis alsdann zu demjenigen gelangen, was nicht 
erfcheifit, fondern mas der Grund alles Seyns und 
Handelns iſt. 

Der Anfang alles Denkens und Beobachtens 
muß vermittelſt der analytiſchen Methode gemacht 
werden; denn wir muͤſſen erſt wiſſen, was die Ge⸗ 
genſtaͤnde unſerer Vorſtellung ſind und worin ſie be⸗ 
ſtehen, und wir muͤſſen erſt durch Zergliederung der 
Begriffe Stoff zum Denken eingeſammelt haben, 
ehe wir zur Bildung neuer aus dem Objekte gefolger⸗ 
ter und nicht unmittelbar in demſelben enthaltener 
Vorſtellungen fortgehen. Der vorgeſtellte Gegen⸗ 
ſtand muß vorhero von allen Seiten betrachtet und 


zeraliederi worden ſeyn, ehe wir ſeine weitern, aber 


entferntern Verhaͤltniſſe nach Wirkung und Urſache 
aufſuchen koͤnnen, weil wir ſonſt Jrrgeſtalten nach⸗ 
laufen und uns in ein Labhrinth verirren, worin wir 
Kraft und Zeit umſonſt verſchwenden. Wenn wir 
aber einige Uebung im Denken erlangt haben, ſo 
koͤnnen und muͤſſen wir uns ſtets beider Methoden der 
Beobachtung bedienen, weil wir bloß auf dieſe Art 
die Gegenſtaͤnde in ihrem ganzen Umfange fennen, : 
und ihre Wirfungen und Ber begreifen 
lernen. 


\ 








- dung zur Selbftftändigfeie ohne Geminn find. Wir - - 
"müffen daher nachmals, wenn wir mehr Fertigkeit im 


N 


— 23 — 





X. Capite. 


—32 


uerer das Zweifeln als ein Erziehungsmits 
tel zum Denten 


N . ‘ 





Nichts , was wahr, gut: , edel und groß ift, erhält 


der‘ Menſch ohne Arbeit und Mühe. Die Tugend 
und die Wilfenfchaften find der Preis großer ſelbſt⸗ 
eigener Anſtrengungen. Und es waͤre auch fuͤr die 


Ausbildung des Menſchen nicht vortheilhaft, wenn 
ihm irgend ein Gut ohne Selbſtthaͤtigkeit zu Theil 


wuͤrde, weil er ewig ſchwach, kraftlos und ungeſchickt 
bleiben würde. Die Noth, die ihn daher zur Thaͤ— 
tigkeit noͤthigt, ift eine Wohlehäterin der Menjchheit 
und das wahre ächte Menfchenleben ift ein Produkt 
der Nothwendigkeit, bie uns durch Entbehren und 


Schon frühzeitig bringe man uns eine Menge . 
Materialien Durch die Erziehung und durch den Uns 


terriche ‘bei, die wir auf Treu und Glauben anneh⸗ 


men, und die, da wir nicht frei und ſelbſtthaͤtig dahei 


verfahren Pönnen, nur allzu häufig für unfere Bits 


Gebrauche unferer Denffraft erlangt haben, dasjenige, 
zu. deffen Befiß wir auf dieſe Are gelangt find, wieder 


fleißig durchdenken und bajlelbe prüfen, ob es den 
Grundfägen der Vernunft gemäß oder benfelben ent⸗ 


Leiden aus dem Todtenfchlummer aufweckt, in wel⸗ 
chem uns die rohe Materie gefeſſelt haͤlt. 





\ | | | — 154. — | 

gegen, und ob es alfo wahr, gut und nuͤtzlich ift. 
Dieſes öftere Prüfen und Zorfchen rege Zweifel in 
uns auf, weil wir bald Unmahrfcheinlichfeiten unter 
‚unfern ‚eingefammelten Kenntniffen, bald Luͤcken in 
unfern daraus gezogenen Folgerungen, bald Ver« 
ftoße, ober gar Widerfprüche gegen die Naturgeſetze 
unfers Geiftes, bald frevelhafte Inkonſequenzen gegen 
. das Sittengefeß bemerken werden. Wir: hatten bis 
jeßt etwas als wahr angenommen, weil man ung daſ⸗ 


felbe unter diefem Titel aufgebürber hatte, oder weil 


wir daſſelbe zur Beförderung unferer Ruhe oder ıms 
ferer Gluͤckſeligkeit fir nöchig hielten. Wir fahen 
alfo ‘etwas nicht deshalb für Wahrheit an, weit es 
mit ben Öefeßen des Verſtandes und der Vernunft 
übereinftimmee und alfo Wahrheit war, fondern aus 


Eigennuß oder aus Furcht vor Kampf und Mühe 


fchenften wir einer Sache Glauben, ob fie gleich ent« 
weder "feinen verdiente, oder da wir Diefelbe nicht 

felbftehätig durchdacht und durch Freiheit an unfere 
eorhergehenden Kenntniffe angereihee hatten, für 
uns ein Wahn war. Und was hilft uns ein Wahn, 
den jeder Zufall vernichten und jeder Lichtftrahl zer⸗ 
ſtreuen fann? Bergeblich preift man fih im Beſitze 

deſſelben gluͤcklich! Der Wahn bleibe doch ein Schar« 
tenbild, ein Ding ohne Werth und eine Schande für 


feinen Beſitzer. Wenn ung daher unfere Kenneniffe 


nicht erniedrigen follen, fo müffen wir die Grunde 
anzugeben wiſſen, marum mir fie für wahr oder für 


nicht wahr halten und Fein Befiß von irgend einer. 


| Meinung darf uns zu theuer feyn, den wir nicht aufs 


zuopfern beteit wären, ‚fobald er die Feuerprobe der ' 


Vernunft nicht aushalten follte. 


! 


“ 





[ 
, 


Zweifeln zeigt eine Ungewißheit in unſerer Er⸗ 


Fenntniß und. das Unzureichende in den Gründen jur ' | 


Entſcheidung über etwas an. Es fehlt uns noch an 
hinlaͤnglichen Beweiſen, ob wir, dem zu unterfuchens 


den Gegenftande etwas beilegen oder ihm abfprechen, 


ob wir. ihn fie wahr ober für falſch erklären follen 


und. wir. ſchweben noch zwifchen Wahrheit und Irr⸗ 
thum, indem die Beweisgründe entweder für beide 
gleich oder für beide ungleich, aber zur völligen Bes 
ſtimmung unfers Urtheiles zu Gunſten weder der 
Einen noch des Andern hinreichend find. Zweifeln 
ift daher ein. Urtheilen, wo man fich noch für Feine 


Meinung oder Sache zu erklären wage: wir. find 


| während des Zweifelns noch ungewiß, auf welche 
Seite wir uns wenden follen, und wir find während 
Diefes Zuftandes bloß bemüht, den Gegenſtand, ber 
unfere Zweifel aufregt, von ‚allen Seiten zu ünter⸗ 


ſuchen, ſein Verhaͤltniß zu andern Dingen oder zu 
unſern Erkenntniſſen zu pruͤfen, ſeine Wirkungen auf⸗ 


zufuſſen und feine Beſtandtheile zu zergliedern, um 
endlich zur völligen Gewißheit über ihn zu fonımen, 
und dem Schwanfen in unfern Urtheilen, das pein« 
lich und beunruhigend iſt, ein Ende. zu machen. 


Das. Zweifeln iſt alſo ein Zuſtand der Uns J 
ruhe, aber dieſe Unruhe fuͤhrt zur Selbſtthaͤtigkeit | 


und Freiheit: ‚Denn Das Zweifeln macht uns aufmerk⸗ 


ſamer auf alle Ereigniſſe, die mit dem zu betrachten ⸗ 


den Gegenſtande in Verbindung ſtehen, zugleich aber 


auch forſchbegieriger und kuͤhner im Schließen und. 


Erflären, um wieder mit uns felbft einig zu werden 


und den Frieden in uns. herzuftelen: Mach einiger 


Seele für unfterblich. erklaͤrten, ehe wir noch ausger 


macht haben, ob fie ſelbſt exiſtirt und alfo Wirklich⸗ 


keit fie uns hat. — „Die Einfachheit der menſch⸗ 


lichen Seele aber kann doch nicht geleugnet werden?“ 
Mein! Dies wird auch niemand thun, Der weiß, | 


worauf es hierbei ankommt. In Gedanken erfcheine 
die. menfchliche Seele als einfach, aber finder dieſe 
‚Einfachheit: auch außer dem Denfen flatt, oder bleibe 
fie ſtets ein Gedanfending ? Denken, d. h. in feinen 
Borftellungen zur Einheit. verbinden, fann der 
Menich alles, was ſich nicht. Durch das Denfen. ſelbſt 
gerſtoͤrt und ſich alte. im Begriffe widerſpricht, aber 
iſt deshalb alles Gedachte wirklich und. hat alſd dad 
Einfache Realitaͤt? Die menſchliche Seele ift daher 
bloß ein Gedonfending und alles, was wir. non Ihr 
ausſagen, kann auch auf. nichts mehr Anſpruch 
machen. „Allein wir werden doch. Wirkungen ge 


wahr, ‚Die wir ihr beilegen, z. B. das Denken ſelbſt, 


das Wollen-u. ſ. w., find dieſe Eigenſchaften deshalh 
auch nicht wirklich, weil das Subjekt, dem wir fie 
zuſchreiben, nicht in. der Anſchauung nachgewieſen 


werden kann?“ Diefe Wirkungen kommen zu unfe 


.. zer Öewahrnehmung und find Gegenſtaͤnde der inz 


nern Erfahrung, iſt dies auch mit der Unfterblichfeig 
der Seele der Fall? Es ift der eigenthuͤmliche Cha» 
rakter der Vernunft, ſtets nach. unbedingser. Einheit 
zu ſtreben; fie faßt ale innern „nicht yon dem Koͤr⸗ 
per herruͤhrenden, Erſcheinungen zuſammen und legt 
fie einem unbekannten Subjekte als Grund bei. Wir 


ichließen alfo aus den Wirfungen auf eine Kraft, 


die wir felbft nicht anders fennen, außer durch jene, . 


wodurch wie ihre, Eigenfchaften befimmen, : ihr 





R ' 
Ge 155 — 2 


Weſen und Seyn aber gaͤnzlich unbeſtimmt faffe, | 
Won der Unfterblichfeit aber erfahren wir ganz und 
gar nichts und wie-wollen wir alfo das Dafeyn eines 
Subjektes und feine unendliche Fortdauer behaupten 2 
„Allein ich wuͤnſche unſierblich zu ſeyn.“ Wie viele 

Dinge aber wuͤnſchen nicht die Menſchen, wird das. ' 
Gewuͤnſchte deshalb wirklich? Was iſt das Wuͤn⸗ 
ſchen anders als ein Verbinden von Vorſtellungen 
nebſt dem muͤßigen Verlangen, fie verwirklicht zu 
ſehen, und was wird burch-diefes Traͤumen, Durch 

dieſes Spiel von Vorftellungen in Ruͤckſicht ber Eris 
ſtenz ihres Gegenftandes gewonnen? Nichts, gat 
"nichts, fie bleiben leer und wenn wir auch ein Leben 
in dieſen Wuͤnſchen verzehrten. 


Wenn aber auch die Unſterblichkeit der —8* 
. Tchen Seele nicht aus ihrer Einfachheit erfolge noch 
“ hberhanpt ein Gegenſtand iſt, der bewieſen werden 
Tann, fo giebt e8 doch andere Gründe, für die Wahr⸗ 
heit diefer Lehre, die win hier nur fur; berühren koͤn⸗ 
nen. In unferm. Bufen erſchallt ein Gebot, daß 
wir heilig ſeyn und alſo fters moraliſch gut handelt 
ſollen. Allein wie find wir dies immer, zu thun im 
Stande? Wir befigen außer der Vernunft zugleich 
auch Sinnlichkeit, außer dem Unendlichen erwas _ 
Enblihes, wir haben Triebe und Neigungen , Lei⸗ 
denfchaften und Begierben, dieſe wollen befriedigt 
feyn und geben Beranlaffung zu Abweichungen vom 
Sittengefege, weil fie berrfchen und nicht- dienen und 
nicht unter der Autorität des Gewiſſensgeſetzes ger 
nießen wollen. Gleichwohl dauert bie Anfoderung 
- zur Heiligkeit ſtets fort, der wir freilich, von ſinnlichen 


. Neigungen befturme, niemals völlig Genuͤge leiſten 
- konnen. Da wir aber demohngeachter heilig wers 
ben foen, fo müffen wiv annefmen, daß wir eroig 
fortdauern und daß, wenn mir uns auch wegen unfes 
eer finnlichen Natur nicht in den völligen Beſitz Der 
.” Heiligkeit feßen koͤnnen, wir doch ftets darnach ſtre⸗ 
ben und ringen ſollen, wozu alſo eine unendliche Fort⸗ 
bauer mit dem Bewußtſeyn unſerer Perſoͤnlichkeit, 
d. h. Unſterblichkeit der Seele noͤthig iſt, die wir 
daher durch die unendlichen Foderungen des morali⸗ 
ſchen Pflichtgebotes genöchige für wahr anfegen müfs 


fen.: Wir find uufterblih, weil wir heilig ſeyn follen 


und wir ſtreben ach Heiligkeit, weil wir ewig. forgs 


leben. Da dies Fuͤrwahrhalten fih auf bas Sitrenr . 


gefeg gründet und eine nothwendige Folge feiner 
Foderungen ift, fo nennen wir den Grund für Die 
Annahme diefer, Lehre, die nicht bewiefen, fondern 
bloß geglaubt, das heißt, aus ſubjektiven (nicht vom 
„Objekte der Seele hergenommenen) Gründen für 
wahr gehalten werben kann, einen moraliſchen Glau⸗ 
bensgrund und bie Annahme derſelben iſt kon, ein 
moralifcher , Glaube. 


Da alſo das Bezweifeln ber Meinungen unb 


Grundſaͤtze ein vorzügliches Uebungs⸗ und Bildungs- 
mittel der Denkkraft und auch der Weg zur Wahr—⸗ 
heit ift, wie feßen. wir uns nun in diejenige Gemuͤths⸗ 
verfaſſung, bie diefer Art des Nachdenkens befonders 
. günftig ift? Alles: Selbſtdenken fängt damit an, daß 
- wir felbft, auch auf die Gefahr, zu irren, unterfuchen, 
"was feyn und warum efwas feyn fann, was wir 
wiſſen koͤnnen und mas wir zu glauben genoͤthigt 


\ 


- 161 — 5 u 
werben. Wir müffen ſtets unſern eigenen Verſtand 
gebrauchen, ehe wir ein Urtheil uͤber die Wahrheit 
oder Falſchheit einer Sache, uͤber die Gerechtigkeit 


oder über die Ungerechtigfeit einer Handlung wagen, . 
Zu diefem Selbftgebrauche der Denffraft nad) eige⸗ 


ner Einfiche und alſo zu dem Berfeßen in ben Zus 


‚ ftand, der das Prüfen und Unterfuchen vorzüglich bes 


födert, wird erfodere: 1) Muth und Vertrauen auf 
eigene Kräfte; jener belebt uns, Diefer läßt uns an 
einem glücklichen Erfolge nicht zweifeln. Man muß 
fich etwas zutrauen, wenn man etwas ausrichten will; 
und man muß fi) weder duͤrch die Gefahren des 
Irrthumes noch durch die Ausfihe auf Mühe und 
Kampf von dem Forfchen und Ergründen ber Dinge" 
abfchreden lafien. 


Smentens, 9 Ruhe und Unbefangenbeit des Geis | 
fles: denn wenn. es in. unjerm Buſen flürme, 


wenn :ung Seidenfchaften hin und Her werfen und 
wenn ein Heer von Begierden und Neigungen auf 
uns losbriche, dann haben wir weder Zeit, noch 
Luſt, noch Entſchloſſenheit, alles zu Unterſuchende 


unparteiiſch und fireng zu prüfen. Wir glauben lie⸗ 


ber dasjenige, was unfern Leidenfchaften fchmeichelt, 


als daß wir auf die Ausfprüche eines uneingenommes - 


nen Berftandes achten follten; ja wir feheuen fo gat 
bie Mühe, eine Unterfuchung. über dasjenige anzu« 
ftellen, was benn in dieſem Getuͤmmel von Vorſtel⸗ 
lungen, bie in ung lebendig find, Wahres und Ges 


haltreiches fen und was fie zu bedeuten haben. Ein 


folcher unruhiger Zuſtand ift der Beförderung’ der 
Abſicht, Zweifel über unfern geſigen Def hſtand zu 
Kunſt zu denken. | 


* 





- 160 — 
- Neigungen beftueme, niemals völlig Genuͤge leiſten 
koͤnnen. Da wir aber bemohngeachtee heilig wers 
ben follen, fo müflen wiv annehmen, daß wir ewig 
faortdauern und daß, wenn wir uns auch wegen unfes 
eer fimlihen Natur nicht in den völligen Beſitz der 
Heiligkeit feßen können, wir boch ftets darnach fires 
ben und ringen follen, wozu alfo eine unendliche Forts 
Dauer mit dem Bewußtſeyn unferer Perſonlichkeit, 
d. h. Linfterblichkeit der Seele nöthig ift, - die wir 
daher durch die unendlichen Foberungen bes morali⸗ 
ſchen Pflichtgebores. genöthige für wahr anfeßen müfs 
ſen. Wir find unfterblich, weil wir heilig feyn follen 
und wir fireben ach Heiligfeie, meil wir ewig forgs 
leben. Da dies Fuͤrwahrhalten fih auf bas Sitrenp 
gefeß gründet und eine nothwendige Folge feiner 
Soderungen ift, fo nennen wir den Grund für die 
Annahme diefer Lehre, die nicht bewiefen, fondern 
bloß geglaubt, das heißt, aus-fubjektiven (nicht vom 
„Objekte der Seele hergenommenen) Gründen für 
wahr gehalten werden kann, einen morafüchen Glau⸗ 
bensgrund und die Annahme derſelben ift ro, ein 
moralifcher , Glaube, 


Da alte das Bezweifeln ber Meinungen un 
Grundfäße ein vorzuͤgliches Uebungs⸗ und Bildungs 

x anittel der Denffraft und auch der Weg zur Wahr⸗ 
heit ift, wie ſetzen wir ung nun in diejenige Gemuͤths⸗ 
verfaſſung, die diefer Art des Nachdenfens befonders 

. günftig ift? Alles Selbſtdenken faͤngt damit an, daß 
wir ſelbſt, auch auf Die Gefahr, zu irren, unterſuchen, 

" was feyn und warum. etwas ſeyn fann, was wir 
willen koͤnnen und was wir zu glauben genoͤthigt 


\ 


werben. Mir muͤſſen ſtets anſern eigenen Verſland 
gebrauchen, ehe wir ein Urtheil über die Wahrheit 
ober Falfchheit einer Sache, über‘ die Cerechtigfeie 


oder üben die Ungerechtigkeit einer Handlung wagen, . 


Zu diefem Selbſtgebrauche der Denkkraft nach eige⸗ 
ner Einſicht und alſo zu dem Verſetzen in den Zu⸗ 
ſtand, der das Pruͤfen und Unterſuchen vorzuglich bes 
födere, wird erfodert: ı) Much und Wertrauen auf 
eigene Kräfte; jener belebt uns, dieſer laͤßt uns an 
einem glücklichen Erfolge nicht zweifeln, Man muß 
fich etwas zutrauen, wenn man etwas ausrichten will; 
und man muß fi weder durch die Gefahren des 
Irrthumes noch durch die Ausſicht auf Mühe und 
Kampf vondem Forfchen und Ergründen der Dinge 
abfchreden laſſen. 


Zwentens, Ruhe une Unbefangenheit des Geis 
ftes: denn wenn, es in. unjerm Buſen flürme, 
wenn uns feidenfchaften bin und her werfen und : 
wenn ein Heer von Begierden, und Meigungen auf 
uns losbricht, dann haben wir weder Zeit, noch 
Luſt, noch Enefchloffenheit,- alles zu Unterfuchende 
unparteiifch und fireng zu prüfen. Wir glauben lies. 
ber dasjenige, was unfern Leidenſchaften ſchmeichelt, 
als daß wir auf die Ausſpruͤche eines uneingenomme⸗ 
nen Verſtandes achten ſollten; ja wir ſcheuen ſo gar 
die Muͤhe, eine Unterſuchung uͤber dasjenige anzu⸗ 
ſtellen, was denn in dieſem Getuͤmmel von Vorſtel⸗ 
lungen, die in uns lebendig ſind, Wahres und Ge⸗ 
haltreiches ſey und was fie zu bedeuten haben. Ein, 
folcher unruhiger Zuſtand ift der Beförderung der 
Abfiht, Zweifel über unfern geſigen Def hſtand zu 

Kunß zu denken. | 


f 


! 


e 


‚ 162 


erregen , nicht guͤnſtig; dazu gehoͤrt Hupe , Unein⸗ 
genommenheit und Unparteilichkeit des Geiſtes, die 


"ums in ben Stand ſetzen, eine prüfende und leidens 


J uns haͤufig die Frage vorlegen: ob nicht eben ſo wohl | 


. 


fchaftlofe Ueberlegung über die Dinge anzuſtellen und 


m 


mit der Wage des Urtheils die Gründe für und gegen. 


>» 


eine Behauptung und Meinung abzumägen: denn 


Urtheile duͤrfen nicht gezählt, fondern gewogen werden. 


3) Wir müffen öfters folche Einwuͤrfe, Die den 


Inhalt unferer Vorftellimgen, ihre Verbindung, ihre 
- Richtigkeit und ihren Grund betreffen, erfinnen und 


den Gegenftand überlegend nach allen Richtungen 


und in alle Schlupfwinkel verfolgen, Wir müffen 


das Gegentheil von dem, was wir meinen, willen 
und glauben, wahr feyn fünne und ob es nicht ſcharf⸗ 
finnige und erfinderifche Köpfe gegeben habe, die 
‚ gerade das Gegentheil von dem, was wir für wahr 
halten, behauptet baden? _ 


4) Wir müffen die Echeu ablegen, die wir vor 
gewiſſen fogenannten heiligen Wahrheiten haben. 
Eine entehrende Furcht vor Schaden, fey es in der 
- öffentlichen Meinung, fey es auf diefer Erde ader in 
einer andern Welt, fen es in Ruͤckſi ht unferer Ers 
kenntniß oder unferer Ruhe, hält uns oft ab, ihnen 


kuͤhn ins Ungefiche zu ſehen, ihren Urfprung zu ers. 


forfchen, ihre Aechtheit ju erbärten und ihren Nußen 


zu unferfuchen. Diefes Grauen vor gewiffen Wahrs 


- . heiten ift die. Mutter des Aberglaubens und der Bors 
urtheile, und macht uns eben fo ungluͤckſelig als es 
uns in Unmuͤndigkeit erhaͤlt. 


s _ 163 i 2. 
9 Ein gutes Gewiſſen iſt die ſchoͤnſte Fruche 


des Lebens, deren Anblick den Kopf und das. Herß 


ſtaͤrkt. Es giebt nicht allein Muth im Handeln, fone 
bern aud) im Denken. Haben wir diefe Himmels 
gabe erkämpft und durch.alle Stürme des Lebens uns . 
beſfleckt erhalten, dann wagen wir jeden Augenblick 
. in ung felbft einzufehren, uns zu Durchförfchen, alle 

unfere- Regungen und Gedanfen zu belaufchen und 
bei ihrer Prufung bloß auf ihre Reinheit und Wahrs 


heit zu fehen-_ Haufeit aber die Zurien — das An- 


Magen und Verdammen unfers Gewiſſens — in une : 
ferm Bufen, dann flichen-wir vor uns felbft, - ftürzen 
uns in das Getuͤmmel der Außenwelt und ſchwimmen 
dem Steome nad), um den firengen Richter in ung 
zum. Schweigen zu bringen. Wir prüfen und bes 


ſchauen alsdann nicht unfere Vorftellungen,: wir 


zweifeln nicht an ihrer Wahrheit und Gegrüuͤndetheit, 
fondern merden eine Beute jeder Verkehrtheit des 
Herzens und jeder Verirrung des Verſtandes. O 
ein gutes Gewiffen wiege Kronen auf, und vor ihm 
verſchwindet aller Glanz und alle Herrlichkeit diefer 
Welt! Es mache brav, fühn, unternehmend und: 
edel, und wer noch keine That gethan har, Die eine 
blutige Reue und einen .ewigen Stachel in feinem 
Bulſen zurücläßt, wenn er"in der Einjamfeit über 
fich nachdenft, kann eben fo wohl ein Held im Dens 
fen, als im Handeln werden, fo bald er fih nur 
feine Mahe und Feine, Gefahr zu fuͤrchten entſchließt. 


6) Es muß unfer ſteter Vorſatz ſeyn , allen 
Vorurtheilen und allem Aberglauben zu entſagen, 
welche die Traͤgheit naͤhren und allen Zweifel erſticken. u 

8 2 | 


\ 


.- 


Iede Vorſtellung, die nicht eine Feucht unferer eigen 
nen Thätigfeit iſt, muß uns verhaßt und jeder Ges 
danfe, ber ifolirt in uns dafteht und nicht in unfere 
übrigen Ideen eingreift, muß befampft werden; er 
muß entweder uns zu eigen ober von uns ausgefchie- 
den werben. Wenn wir im Verhaͤltniß zu ihm alle 
unſere Borftellungen durchgehen und gewahr werden, 
dag Einige nicht deutlich und beſtimmt genug find, 
Andere in unfere Gedankenkette nicht feft genug eins 
greifen, daß Einige nicht haltbar, Andere mit fremd- 
artigen Gegenftänden vermilcht find, fo fernen wir 
ungewiß über uns werden, und Zweifel in die Wahr⸗ 
heit und iu die Aechtheit unferer Borftellungen feßen. 
Mähren und unterhalten wir diefe Geiſtesſtimmung 
und biefes Mistrauen in unfere Kenntniſſe und Eins 
fichten, fo gewöhnen wir uns gar bald an eine größere 
Borficht bei der Aufnahme unferer Vorſtellung von 
etwas, und an eine fchärfere Prufung ihres Urſprun⸗ 
ges, ihres Grundes, ihrer Wahrheit und Nuͤtzlich⸗ 
feit. 


) Wir müffen uns bei Erregung von Zweifeln 
- and bei dem Streben nad) ber Erreichung des Zu⸗ 
Randes, der uns zum Unterfüchen und Ergrunden 
geneigt macht, durch die Gedanken beleben und ſtaͤr⸗ 


fen, daß nur dasjenige Wahrheit für uns ift und. 


Werth für uns hat, was wir durch eigenes freies 
Machdenferrüber uns und über die Natur der Dinge 
. und über ihre Abſicht herausgebracht haben, und 
daß ein unbefangenes felbfithätiges Forſchen felbft 
der DBefoderung der Tugend günftig ift: denn je 
mehr und je tiefer wir uns erforfcht und je mehr wir 


\ 





| — 165 — nn 

gWaheheit atampft haben, deſto mehr ſind wir zu 
beſtimmen im Stande, welche Mittel außer der 
freien Selbſtthaͤtigkeit der Vernunft und der Entſchloſ⸗ 
ſenheit des Willens zum Erwerbe der Tugend vor⸗ 


zuͤglich beitragen. Der Menſch ſoll (ters durch ſich 


ſelbſt ſeyn, was er ifts er fol nicht von Andern bors 
gen,. fondern auf eigene Koften und Gefahren vers 
ſuchen, was er vermag und was er werden ſoll. 


89) Wir muͤſſen fleißig die e Geſchichte der menſch⸗ 
(ßen Meinungen fludiren; bei dieſem Studium wer⸗ 
den wir den ſchrecklichen Wechſel derſelben und bie 


Vergaͤnglichkeit alles Menſchenwerkes recht einleuch⸗ 


tend gewahr. Worauf man vor Jahrtauſenden 


feine Seligkeit gründete, iſt entweder heute vergeſſen 


oder wird von Einigen verſpottet — von, Andern als 
eine Verirrung des menſchlichen Geiftes beklagt; 
worauf man vor einigen Jahrhunderten als auf eine 
ewige Wahrheit ſchwur, wird heute für einen Irr⸗ 
thum erkläre und ſollte Viele von unferen Borftelluns 


gen nicht. eben dies Loos treffen, das mehrern Mei- 
nungen der Vorwelt zu Theil warb? Sollten wir 
nicht auch Irrthuͤmer für Wahrheiten anfehen, da 


Die weifeften und feharffinnigften Männer diefem Uns 
glücke nicht entgehen Eonnten? - Einen vorzüglichen 
Beweis von der Hinfälligfeit menfchlicher Meinungen 
giebt befonders die Philofophie und der religioͤſe 
Glaube (Religion); es iſt daher das Studium der 
Geſchichte der Philoſophie und der Glaubensarten 
ein ſehr wirkſames Mittel, Mistrauen in uns gegen 


unſere für am wahrſten gehaltenen Vorſtellungen zu 


erwecken und uns zum Bezweifeln und Unterſuchen 


— 


— 166 — 
derſelben geneigt zu machen, um ung zum Selbſtben⸗ 
ken zu ersiehen. 


9) Wir müßen öfters auf unfer vergangenes 
Seben zurudjchayen, und uns unferer ehemaligen Ges 
danfen und Meinungen zu erinnern ſuchen. Rei 
diefem Ruͤckblicke werden wir bald nur zu deutlich ge⸗ 
wahr werden, wie oft wir vormals etwas für wahr 
und gegrunder gehalten haben, wovon uns bei meh⸗ 
terer Einſicht oder veränderter Anficht der Dinge das 
Gegentheil einleuchtend wurde, und wie oft wir ehe- 
mals glaubten, daß etwas nicht anders ſeyn fonne, 
“ob wir gleich nunmehro das Gegentheil davon ein« 
fehen gelernt haben. Diefe Erinnerung an das Bers 
gangene wird uns zu einer forgfältigen Prüfung und 
Ergrundung des Gegenwaͤrtigen antreiben und wir 
werden eine genauere Reviſion unjerer Meinungen 
anftelfen, um zu erfahren, ob nicht etma wiederum 
Borfiellungen darunter find, die feine icharfe, ruhige 
und unparteiiſche Kritif aushalten und bei denen ung 
die Zufunft der Unbeionnenheit, oder der Parteilid- 
feit oder des Vorurtheiles anflagt. 


Wenn wit auf eine folhe prüfende Art unfer 
Gemürh gefiimmt haben, und mit Erinnerungen an 
die Vergangenheit unjere Vorſtellungen unterjuchen, 
dann werben wir nichts mehr auf Treu und Glauben 

"annehmen, fondern alles felbft vermitcelft der Naturs 
geſetze unfers Geiftes und der äußern Erfahrung prüs 
fen. So £ühn auch ein Zweifel feyn mag, er bringe: 
uns doch weder Berluft noch Schande. Nicht dass 
jenige wird dem Menjchen zugerechnet, was er benft 











und glaube, fondern dasjenige, worauf er finne unb 


Das er thut. Haben wir daher nur eifrig nach 


Wahrheit gefirebr, “wenn wir auch in unferm Be⸗ 


muͤhen nicht allzu glücklich geweſen feyn follten, fo 
‚haben wir doch gethan, was wir zu ehun ſchuldis 
waren. 


J 


"Und was iſt Zweifeln anders, als ein emſiges 
und unparteiiſches Beſtreben, Wahrheit zu erbeuten? 
Ohne Zweifeln giebt es für den Menſchen feine Ger 
wißheit und mer noch nicht geziweifele hat, darf auch 
noch feinen Anfpruch. auf Wahrheit machen... Was 
er für Wahrheit hält, ift-ein Wahn, der ihn eben fo 
fehr entehrt, als er dem Irrthume, dem Aberglau⸗ 
ben und dem Unglauben Nahrung giebt. Das ärhre 
“ intellektuelle Handeln des Menfchen ift ein Zweifeln, 
beſſen Produkt die Wahrheit ft. | 


Weiche Regeln aber muß man bei feinem Zwei⸗ 
feln beobachten? 1) Man muß nicht verſchiedenartige 


Gegenſtaͤnde und die Gebiete ſpezifiſch verſchiedener 


Wiſſenſchaften mit einander vermiſchen. Man muß 


bj 


z. B. nicht nach dem Zweckmaͤßigen fragen, wenn 


die Rechtmaͤßigkeit einer Handlung in Anſpruch ges 
nommen wird, und man muß nicht etwas durch die 


Logik begruͤnden won, was ein Gegenftand des 


fi nnlichen Erkennens iſt. 


2) Man muß alles ‚ was man bezweifelt, nach 


Grundfägen unterfuchen und man darf dabei eben fo _ 


wenig ben Örundfaß des MWiderfpruches als den 


Grundfag der Urſachlichkeit Cd. h. dag alles, was 


⸗⸗ 


— 168 — | 
0 
geichiehe, innerhalb ber. Erfahrung eine Urfache als 


Bedingung und als Grund feines Dafeyns babe) 


hintauſetzen. 


3) Man muß ſeine Zweifel niemals in die uͤber⸗ 


ſinnliche Welt hinuͤberſpielen, fo fange von einem 


Objekte des Erkennens die Rede ift, weil fonft der 
Zweifel wenig oder gar nicht begründet werben fann, 
und zu feinem Wiſſen als der Lebereinftimmung Aller 


über etwas, wozu doch endlich alles Zweifeln ab⸗ 
zwecken foll, führe . | _ 


4) Der Zweifler muß eben fo gut Gruͤnde (und 


der Ungewißheit einer Meinung, eines Grundſatzes 


u. ſ. w. als der Andere für die Gewißheit und Wahr⸗ 
beit feiner Ausſage anführen, und dieſe Gründe 


müſſen eben. fo gut wieder Gründe haben oder der 


- erfte Grundfaß einer Wiffenfchaft feyn als die Bes 


weife, womit ber Gegner Das Gegentheil zu erhaͤrten 


bemuůht iſt. 


5) Beim Zweifeln mußen man eben ſo wohi fol⸗ 


gerecht verfahren, als bei der völligen und gewiſſen 
Entfcheidung über etwas: denn müflen nicht auch 


Zweifel über einen Gegenftand in etwas Voraus— 
gehenden gegründet ſeyn, woraus ſi e ſi ch als s Folgen 


| ableiten laſſen? 


0 Die Gruͤnde des Zweifelns muͤſſen fi, 


in die flreitige Sache eingreifend feyn und zur end“ 


5 fichen Gewißheit über das Dafeyn oder Nichtfeyn 


von etwas führen. 


nicht bloße Fragen aufmwerfen) für feine -Behauptung 


F 169 — 


es Man muß beim Bezweifeln die Saturges 
ſehe bes menfchlichen Geiftes, ihren Gehalt und ihre - 
. Grenzen eben fo gut anerkennen, als beim Gegen» 
eheile, nämlich bei dem Fuͤrwahrhalten oder Miches 
fürwahrhalten von. etwas,“ weil man doch: bei 
allem Streiten auf- etmas fußen muß und fid) Doch auch 
dem Andern verſtaͤndlich machen will, welches un⸗ 
moͤglich ſeyn wuͤrde, wenn man nicht die Natur des 
Menſchen als Fuͤhrer annaͤhme, auf den man fi u als. 
Richter berufte. 


—* 


wu... 


Diefes Zweifeln ift fein Scepticismus, der ein 
Syſtem mit einem beftimmten Inhalte ift, der auf 
einer verkehrten und‘ unrichtigen Anwendung des 
Grundfaßes des Widerfpruches beruht und aus einer 
Unbekannefchaft mit der Natur unfers Seyns und 
Handelns, als dem Quelle alles Lebens und aller 
Fhaͤtigkeit entſteht, fondern ein wahres ächtes Ver⸗ 
ſtondesleben, das den Menfchen zur Mündigfeit, zur 
Freiheit und zur Wahrheit verbilfe Es mache im 

Forſchen nach der Natur ber Dinge nicht kalt und 
muthlos, wie der Eceptieismus, weil es Realitäten 
verfchafft und 5 nicht bloß mit Negarionen begnuͤgt; 
es liefert herz - und geifterhebende Reſultate, bie, 
da fie auf unmandelbaren Gründen beruben, felbft 
‚unmanbelbar find. Es giebt Auffchlüffe über die 
Natur des Mienfchen und der Dinge, und führt den 
‚forfchbegierigen ‚Geift zu Entdeckungen, die eben fo 
beruhigend als einflußreich find, Man prahle jetzt 
häufig mit einer Art des Scepticismus, der fein Das 


h 


% " x 


=, 170 7 


ſeyn bloß dem Widerſpruchsgeiſte (nicht wie der 
Humeiſche jenem eifrigen und unparteiiſch en 
Streben nad) Wahrheit, freilich ohne die voraus⸗ 
gehende Unterſuchung, was der Menſch vermoͤge ſei⸗ 
ner Kraͤfte erkennen kann, nach welchen Geſetzen dieſe 
wirken und welches die Grenzen ihres Gebrauches 
ſind) verdankt, der von einem zuͤgelloſen Ehrgeitze 
herruͤhrt, welcher, da er ſich über ausgezeichnete 


Denker nicht durch wirkliche Einſichten und gründs - 


liche Kenneniffe erheben Fann, doch ihre Behauptun⸗ 
gen mit nichtigen Gruͤnden zu beftreiten ſucht. 


/ 





XI. Capitel. u Eu 


| Das Baͤcher lefen als eing, Dantäsung, u 
' trachtet. on 


Ares, was iſt, hat eine Abficht. Der Zweck des 
menfchlichen Treibens und Einnens auf diefer Erbe 
ift das Streben nach Muͤndigkeit. Worin beſteht 
. aber diefe Muͤndigkeit? Sie beftehe nicht in einer ge« 
wiſſen Reihe von Jahren, die jemand durchvegetirt 
bat, noch in der erworbenen Geſchicklichkeit, ſich 
ſelbſt ‘ernähren zu koͤnnen, ſondern in der, erlangten 
Fertigkeit, von allen feinen Anlagen und Kräften 
einen willkuͤhrlichen und felbftehätigen Gebrauch nach 
eigener Einſicht machen zu koͤnnen. Das freie durch⸗ 

greifende Selbſtdenken und das beſonnene Entſchlieſ⸗ 
fen ini Handeln find der Charakter derfelben. Die 
Unmuͤndigeeit hingegen muß verlaſſen werden, weil 








Br mim. 
fe atbe vaſchuldet iſt: denn ſteht es nicht in unferer 
Willkuͤhr , aus Diefem Zuftande der Ohnmadıt, der,. - 
Thaten⸗und Gedankenloſigkeit herausgeben und find 
wir nicht vermögend, alles zu thun, was uns durch. 
das Gewiſſen geboten ift, fo bald mir nur. auf eiger 
nen. Füßen zu gehen und jeder Gefahr zu troßen 
wagen, Die -uns zu uͤberfallen etwa Mine machen 
ſollte? 


N 
= 


‚ Geift- und Gedankenreiche Bücher find -bie 
herrlichftien Fruͤchte des menfchlichen Seiftes; ‚in ihnen 
prangt alles,. was hehr und. groß ifl. Die Schäße 
ber. Erfahrung und der Speculation A die: Ausbeuten‘, 
ber Klugheit und der Weisheit lege man in ihnen nie« | 
Der ‚und jeder, der Luſt dazu hat, kann ſich damit 
bereichern. Sie find eine Quelle des Reichthumes, 
die nie verſiegt und die jedem gewaͤhrt, was er 
wuͤnſcht, fo bald er nur bie Mühe des Nachdenkens 
niche feheues. In Buͤchern lebe eine neue Welt auf, 
worin die erfinderifchften und maͤchtigſten Geifter 
herrſchen, welche uns oft. ihre geheimften Gedanken, _ 
ihre einflußreichſten Entdeckungen zur Belehrung, 
Warnung und Zuͤchtigung mitteilen | 


. Die Buchſtabenmenſchen (die Shriftheller 

ſind, wenn auch nicht immer die geiſtreichſten, doch 
die gedankenreichſten. Es giebt viele Dinge in 
Buͤchern, wovon fi) unſere Hof» und Weltleute 
nichts traͤumen laſſen. Was auf der Erde und im 
Himmel, im Menſchen und außer dem Menſchen ge⸗ 
ſchieht, iſt in Buͤchern niedergelegt, welche das Hei⸗ 
ligthum der Menſchheit aufbewahren, dieſelbe gegen 


— ı72 # 


Darbarei, Aberglauben und Unmwiffenbeit ſchuͤtze 
und welche die Stammpalter der Kultur des Men⸗ 


ſchengeſchlechts find. 


Das Blcherlefen wird theils zur Erholung, 
teils zur Belehrung, theils zur Kultur, heile zum 
Reitvertreibe benutzt. Man will fi durch daffelbe 
in einen Zuſtand verfeßen, in welchem man fih noch 
nicht befindet und den man für ein Hut anfieht; man 
will etwas werden, was man noch nicht ift, und 
etwas erwerben, was man noch nicht beſitzt. Da 
nun das Organ, wodurch uns die Gedanken Ande- 
ger und dasjenige, was wir im intellektueller Hinſicht 
noch nicht find, zu Theil wird, der Verſtand ift, 
vermoͤge deſſen wir uns alles Geiftige aneignen, fo 
muß alles Leſen ein Verſtehen des Inhalts des Ge⸗ 
leſenen ſeyn. Was heißt aber etwas verſtehen? Es 
heißt nicht bloß Worte und ihre Bedeutung wiſſen, 
den Gehalt der Redensarten und der einzelnen Pe⸗ 
rioden begreifen, ſondern auch den Sinn und Zus 
fammenhang der Gedanfen mit einander einfehen, 
Urjache und Wirkung durchfchauen, das -Ganze zu 
einer Einheit im Bewußtſeyn verbinden, und Geift 
und Sprache in die todten' Buchftaben und Worte . 








bringen. Wer etwas verfleht, befiße eine Einfihe - 


in die Verkettung, in den Einn, in den Zweck des 
Ganzen, von dem gehandelt wird. Was gehört 
aber zum Verſtehen und was muß demfelben vorauss 
gehen? Wenn wir plöglid) in eine Welt von Erfcheis 
nungen geftoßen werden, die uns völlig fremb und 
unbegreiflich find, fo And wir nicht im Stande, ihren 
Zweck und ihre Urfachen zu errathen: wir befinden 


. m 


une iin einem Zuſtande von Betäubung und’ Verlegene 
beit; weil wir.das Erfcheinende nicht an unfere bis⸗ 
herigen Erfahrungen anreihen und es durch diefelben 
erläutern und uns verfländlich machen koͤnnen. So 


bald wir aber'beim Beobachten von demjenigen aus 
geben, was uns ſchon befannt iſt und das Unbe⸗ 
kannte und Neue daran Fetten, fo begreifen wir. fo 


wohl diefes als den Zufammenhang mit jenem und . 


teir. ſchweben nicht mehr in einer Welt, wo für ung 
alles ein Raͤthſel if. Wir müffen aljo zum Pers 


ftehen frember Dinge eine lebendige und verftänbdliche' 
Welt in ung “Haben ; die uns nach allen Richtungen 
ſammt ihrem Inhalte befannt ift, woran wir das 


— 


geleſene Unbekannte anknuͤpfen und beides durch ein⸗ 


. ander. aufklaͤren und für uns begreiflich machen. 


Mer etwas über Erfcjeinungen, z. B. über Schwaͤr⸗ 
merei, Teäume, fire Ideen u. f. w. lefen. wollte, und 


hätte theils noch Feine deutliche Vorſtellung von dies 
fen. Gegenftänden, theils wären ihm dergleichen Ers 


fcheinungen oder folde, die Line Aehnlichkeie mie 


ihnen haben. oder im völligen Contrafte mic ihnen 
leben, gänzlich, fremd, ſo wuͤrde er ſich vergeblich, 
um Aufſchluß uͤber ſie zu erhalten, an das Bud) 


wenden, er wuͤrde ſeinen Inhalt durch keine ent⸗ 


ſprechende oder verwandte Vorſtellung in ſich ver⸗ 


ſtaͤndlich machen koͤnnen. Durch das Lefen muß er 


alſo einen Zuſtand in ſich rege machen, der entweder 
dem Inhalte des Buches voͤllig entſpricht, z. B. bei 


Dichtern, die Gefühle, Begriffe und Ideen ſchildern 


und darfiellen, Oder der doch. Aehnlichkeit mit dems 
felben hat: denn wie will ‚er fonft dasjenige, mag er 
lieſt, begreifen, wenn nichts in feinem Gemuͤthe am 


⸗ 


See ⸗— ñ — Aigen u 
* . & 


/ 


— 172 press 


Barbatei, Aberglauben und Unwiſſenheit uten 


and. welche die Stammhalter ber. ‚Kultur bes Men 


ſchengeſchlechts f find. 


Das Blcherlefen wird cheils zur Erholang 


theils zur Belehrung, theils zur Kultur, theilg zum 


Zeitvertreibe benutzt. Man will fich durch daſſelbe 
in einen Zuftand verfeßen, in welchem man ſich noch 


nicht befindet und den man für ein Gut anſieht; ‚man 


will efwas werden, was man noch nicht ift, und 
etiwas erwerben, was man noch nicht beſitzt. Da 
nun dag Organ, wodurd ung die Gedanken Ande⸗ 


reer und dasjenige, was wir im intelfeftueller Hinſicht 
„noch nicht ſind, zu Theil wird, der Verſtand iſt, 
vermoͤge deſſen wir uns alles Geiſtige aneignen; fo 


muß alles Leſen ein Verſtehen des Inhalts des Ge⸗ 


leſenen ſeyn. Was heißt aber etwas verſtehen? Es 


heißt nicht bloß Worte und ihre Bedeutung wiſſen, 
den Gehalt der Redensarten und ber einzelnen Pe⸗ 


‚tioden begreifen, fondern aud) den Sinn und Zus 
fammenhang der Gedanken mit einander einfehen, 


Urſache und‘ Wirkung durchfchauen, das -Ganze zu 
einer Eineit im Bewußtſeyn verbinden, und Geift 
und Sprache in die todten Buchftaben und Worte . 

bringen. Wer etwas verfteht, befißt eine. Einfiche -- 
in die Verkettung, in den Sinn, in ben Zwed des - 
Ganzen, von dem gehandelt wird. Was gehört 
aber zum Berfteßen und was muß demfelben vorauss 
gehen? Wenn wir ploͤtzlich in eine Welt von Erſchei⸗ 
nungen geftoßen werden, . die uns völlig fremd und 
unbegreiflich find, fo find wir nicht im Stande, ipren 
Zweck und ihre Urfachen zu errathen: wir befinden 


. m 








| — 173 — 
uns in einem Zuſtande von Betaͤubung und Verlegen ⸗ 
heit, weil wir das Erſcheinende nicht an unſere bis 
herigen Erfahrungen anreihen und es durch dieſelben 
erlaͤutern und uns verſtaͤndlich machen koͤnnen. Go 
bald wir aber beim Beobachten von demjenigen auss 
geben, was uns ſchon bekannt iſt und das Unbe⸗ 
kannte und Neue daran fetten, fo begreifen wir. fo 
wohl diefes als den Zufammenhang mit jenem und 
wir ſchweben nicht mehr in einer Welt, wo für ung 
alles ein Rärdfel it. Wir müffen aljo zum Pers 
ſtehen fremder Dinge eine lebendige und verſtaͤndiiche | 
Welt in uns haben, die uns nach allen Richtungen | 
ſammt ihrem Inhalte befanne ift, woran wir das 
gelefene Unbefannte anfnüpfen und beides durch eins - 
‚ ander. aufflären und für -uns, begreiflich machen. 
Wer etwas über Erſcheinungen, z. B. über Schwaͤr⸗ 
merei, Träume, fire Ideen u. ſ. w. leſen wollte, und 
haͤtte theils noch keine deutliche Vorſtellung von die⸗ 
fen Gegenſtaͤnden, theils wären ihm dergleichen Er⸗ 
ſcheinungen oder ſolche, die eine Aehnlichkeit mit 
ihnen haben oder im voͤlligen Contraſte mit ihnen 
ſtehen, gaͤnzlich fremd, ſo wuͤrde er ſich vergeblich, 
um Aufſchluß uͤber ſie zu erhalten, an das Buch 
wenden, er würde feinen Inhalt durch feine ent⸗ 
fpvechende oder verwandte Borftellung in fich ver- 
ſtaͤndlich machen koͤnnen. Durch das Leſen muß er 
alſo einen Zuſtand in ſich rege machen, der entweder 
dem Inhalte des Buches völlig entſpricht, z. B. bei 
Dichtern, die Gefühle, Begriffe und Ideen ſchildern 
und darfiellen, oder der doch. Aehnlichkeit mit dem⸗ 
felben hat: denn wie will ‚er fonft dasjenige, was er 
lieſt, begreifen, wenn nichts in feinem Gemuͤthe am 


m. 176,” 6 


ſchmaͤhliche ff werden ſoll, die uns ewig an der 

Erde gefeſſelt Hält und alles Aufſchauen zum Himmel, 
d. h. zu Ideen, den Urbildern des Guten ynd Web⸗ 
ren, verhindert. 


Zum Verſtehen der Buͤcher gehoͤrt alſo, daß 
wir ſchon einige Erfahrungen durch Beobachtungen 
gemacht haben, um das Geleſene durch ſie begreiflich zu 
machen. Ferner wird Selbſtthaͤtigkeit des Verſtan⸗ 
des, und Lebhaftigkeit der Einbildungskraft dazu er⸗ 
fodert, um alles Geleſene durch Feſthalten in einen 

verſtaͤndlichen Zuſammenhang durch eigene Thaͤtig⸗ 
keit zu bringen. Und das Leſen ſelbſt iſt ein. Ver⸗ 
ſtehen des Inhaltes eines Buches, eine Einſicht in 
die Urſachen und in den Zweck des abgehandelten 
Gegenſtandes und eine Kenntniß der Wirkungen und 
‚Mittel der in Uinterfuchung genommenen Erjcheinme 
gen. Allein wozu lernen wie Wirkung und Urfache, 
Mittel und Zweck der Dinge fennen? Was ift uns 
mit Kenntniffen gedient, wenn wir niche milfen, 
wozu und wie wir fie brauchen follen? Alles Wiſſen 
ſoll zu' etwas gut ſeyn, was wird aber dazu erfodert, 
um Gebrauch davon machen zu koͤnnen? 1) Freiheit 


und Selbſtthaͤtigkeit aller unferer Anlagen und Kräfte, 


‚und 2) Einſicht in die Zwecke der Menſchheit. Jene 
Eigenſchaften ſind die Bedingungen der Letztern und 


“haben wir jene erkaͤmpft, fo koſtet es uns weder viel 


Zeit noch Mühe, uns Kenntniß von diefen zu ver⸗ 
ſchaffen und die Mittel gu ihrer, wenn auch nicht voll- 
ſtaͤndigen, Erreichung, doc) zur Annäherung an Dies 
ſelben herbei zu fehaffen.. Warum lefen wir aljo und 
was ift der Zweck der Lektuͤre? Alles Verſtehen ift 








— 171 2 


bloß Mittel zu etwas, und wir wollen durch daſſeibe 
nicht bloß Worte und Begriffe zufammenfeßen ler⸗ 
nen, fondern etwas Hoͤheres und Wichtigeres durch 


Diefe erreichen. Uns ift es hier aber nicht um eine." - 


Kenntnig der Dinge, die Mittel zu etwas find und 
fters. Mittel bleiben, “fondern um die Zwecke der 
Menfchheit zu thun, welche der Menfch kennen ler⸗ 
nen und nad ‚welchen er ftreben fol. Was der 
Menfch überhaupt zu erkaͤmpfen eine Pfliche Hat, 
“ find zwei Gegenftände, Kultur zur Freiheit feiner 
Kräfte und Kultur zur Sittlichkeit. Die Letztere gehe 
gänzlich ſammt aflen ihren Antrieben aus uns hervor 
und feße mie die Erſtere ſelbſteigene Anſtrengungen 
voraus. Um aber ſelbſtthaͤtig zu werden, dazu ge⸗ 
hoͤrt Uebung und das Leſen hat feinen. andern Zweck, 
. als uns in der Selbfthätigfeie zu üben. Alles Leſen 
muß daher auf die Entwicelung und Vervollfomms 
nung aller unferer Vermögen und Kräfte zum freien 
und felbfteigenen Gebrauche angelegt ſeyn- wozu das 
Urtbeilen und Berftehen-als Mittel dient. Wir 
leſen, um.ung mündig zu machen, und wir ftreben 
durchs Sefen. nach Selbſtthaͤtigkeit, um allen Fode⸗ 
rungen, die die Vernunft an Ans thut, Gnuͤge zu 
leiften. An alle Menſchen läßt. die Vernunft das 


‚Gebot ergehen: fend felbftehätig und bediente. Ä 


euch eurer räfte nach eigener Einſicht. | 
Durch den öftern Gebrauch werden die Kräfte geibe 
und durch häufige Hebung erlangen fie eine immer - 
größere Stärke, Fertigkeit und Geſchicklichkeit. Und 
wozu ſind denn dieſe noͤthig? Zu einem ſteten Recht⸗ 
und Guthandeln, welches das Hoͤchſte im Himmel 
und auf der Erde für den Menſchen ift. Ä 
Sun zu denken. M 


v 


v 


— 1718 — 


Warum iſt denn aber gerade Kultur der Kraͤfte 
des Menſchen der Zweck des Leſens und warum hat 


es keine andere Abſicht? Der Menſch will durch alle 


feine Thaͤtigkeit entweder etwas außer ſich oder in ſich 
bewirken und daher äußere oder innere Zwecke errei⸗ 
chen. gene aber find entweder gänzlich unerreichbar, 


fo lange er noch feine Selbſtthaͤtigkeit des Geiftes 
errungen hat, oder fie find für den Menfchen-ent« 


‚ehrend 5 B. Schwelgereien, wozu bloß Geld und 
Vegetiren erfodert wird; diefe find entweder anges 
nehme Gefühle, oder Belehrung, oder Kultur. 


- Zum Genuß‘ eines glücjeligen Zuftandes ift theils - 
bloße Paffivieat und Empfänglichkeit für äußere und 


innere Eindruͤcke, theils auch Thaͤtigkeit nöthig, um 


die zum Wohlſeyn erfoderlichen Stoffe. entweder bloß 
herbei zu ſchaffen, oder zu verarbeiten. Belehrung 
‚ Kann nicht ohne Selbſtthaͤtigkeit des Werftandes ſtatt 


finden, denn wir muͤſſen dasjenige, was wir ans 
ſchauen, oder durch den mündlichen oder ſchriftlichen 
Unterricht erhalten, im Bewußtſeyn zu einer Vor⸗ 
ſtellung verbinden, dieſe an andere Vorſtellungen an» 


‚ fetten und fo das Unbefannte durch das Bekannte 


aufklären. Man fieht hieraus, daß zur Erreichung 
dieſer beiden Zwede, nänlicd des Vergnügens und 
‚der Belehrung , jederzeit Geuͤbtheit im Selbſtdenken 


erfoderlich iſt, um dasjenige zuſammen zu faſſen und 


zu begreifen, was uns entweder von Andern oder von 
uns felbft zur Realiſirung derſelben dargereicht wird. 


Es bleibt uns alſo als hoͤchſter Zweck der Lektuͤre bloß 


die Kultur unſerer Kräfte übrig, welche zur Er⸗ 
reichung aller andern edlen Zwecke die Bedingung ift. 
Allein zur Ersepung zur Selbſtthaͤtigkeit find-Mates 


179 — 


rialien erfoderlich, woran wir unſere Kraͤfte uͤben 
koͤnnen und wo koͤnnten wir dieſe zur Kultur noͤthigen 


Stoffe in reichern Maaße fuͤr unſere Geiſteskraͤfte 


paſſender, ihre Thaͤtigkeit mehr erweckender und 
ſchon zu geiſtigen Verarbeitungen vorbereiteter fin⸗ 


ben, als in Büchern? — Bücher ſprechen verſtaͤnd⸗ 


licher und eindringlicher zu uns als die Natur und er« 


feichtern daher fo wohl das Verſtehen der Erſcheinun⸗ 


gen als die Ausbildung unſerer Kraͤfte weit mehr als 
die. Anſicht der Natur, die ſtumm bleibe‘, wenn wir 


ihr nicht durch freies Selbſtdenken eine verſtaͤndliche | 
Sprache leihen. Niemand kann uns Kultur mitthei⸗ 
len, fondern wir müffen fie ung felbft erwerben, weil 


fie bloß eine Frucht unferer freien Selbſtthaͤtigkeit ift. 
Die Lektuͤre der Bücher reizt die Wißbegierde in 
uns auf, weil fie uns einige Auffchlüffe mierheile, am 
Deren Kenntniß uns fehr viel gelegen ift; Andere aber 


fo in den Hinterhalt ſtellt, daß wir fie nur. durch 
eigene Anftrengung erfämpfen koͤnnen und wo bie 


Wißbegierde einmal entflamme ift, da entfchliegt mar 


fih audy bald zu eigenen Verſuchen im Nachdenken 


und Ergründen ber Urſachen und Zwecke der Erſchei⸗ 
nungen. 


Bei der gegenwaͤrtigen Abhandlung, die bloß 


die Erziehung zum Selbſtdenken und die Unterſuchung 
der Mittel, die man dazu anwenden muß, aber nicht 
Die. Erweckung und Ermunterung zum Handeln nach 
eigenen Einfihten, zur Abfiche bat, iſt es uns vors 
zuͤglich um die Bildungsmittel zur Rultur ber intel 
lektuellen Kräfte," d. b: des Verftandes, ber Urtheils⸗ 
kraft und. der Vernunft zu hun, wie muß man 
2 


L 


[ 
‚= 190 —- 


alfo fefen, um ſich zum Selbſtdenker auss 
zubilden? Alles, was wir lefen, müflen wir nad) 
feiner Bedeutung und nach feinem Zwecke einzufehen 
ſuchen. Miches darf bei diefem Gefchäfte übergan- 


gen werden, was wir nicht. begriffen oder wovon wir " _ 


nicht die Einfihr erlangt haben, daß es Unſinn ift 
und aljp gar nicht verftanden, d. b. in unferm Be- 
wußtfeyn verfnupft, und feinem Gehalte nach einge- 
fehen werden kann. Daher müffen wir uns auch ans 
faͤnglich vor der Leftüre folcher Bücher Huren, deren 
Inhalt jenfeits der Grenzen alles menfchlichen Erken⸗ 
nens liegt, weil diefer feine Thaͤtigkeit in ung aufregt 
und ung feine $uft Durch das Gelingen unferer Arbeit 
einfloͤßt. Wenn man das Bücherlefen als ein Kul⸗ 
turmittel der Denffraft betreiben will, fo muß man 
ſich 1) mit der Bedeutung der einzelnen Worte, mit 
dem Sinne ganzer Redensarten und ganzer Perioden 
befannt machen. Man muß das Verhaͤltniß eines 
Saßes zum Nachfolgenden unferfuhen, und feine 
Beziehung zum Ganzen prüfen. Dan barf keinen 
Abſchnitt in der Rede verlaffen, fo lange man noch _ 
‚nicht kinſieht, was der Verfaſſer für eine Erfcheinung 
dder für eine Eigenfchaft derfelben. ausbrüden ‚und 


erklaͤren gerollt bat. 


⸗ 


2) Man muß ganze Gedankenreihen des Ver⸗ 
faſſers feſthalten, ſie nach allen Richtungen verfolgen, 
in allen Verhaͤltniſſen betrachten und ſie nach ihrer 
Abſicht erforſchen. Alte Praͤdikate und Subjekte, 
alle Urtheile und Schluͤſſe muͤſſen ſorgfaͤltig gepruͤft 
und es muß unterſucht werden, ob jene wahr und 
treffend, ob dieſe gegruͤndet ſind und was aus allem, 








= 181 * / 


wenn es entweder der Wahrhei gend ober berfelben‘ 
’ zuwider iſt folgt. 
| 

3) Hat man einen ganzen. Abſchnitt durchge⸗ 
leſen, ſo muß man ſich denſelben in Gedanken und 
zwar, wenn er fuͤr uns neu und alſo ſchwer iſt, mehr 
als einmal mit Reflexion, d. h. mit Pruͤfen nach allen 
ſeinen Verhaͤltniſſen und mit Unterſuchen ſeines Zu⸗ 
ſammenhanges, wiederhohlen, um zu erfahren, ob 
‚wir wiſſen, was der Verfaſſer geſagt hat. Auch 
Muüſſen wir den Abſchnitt, deſſen Inhalt fuͤr uns 
neu und vielleicht ſchwer zu begreifen iſt, nochmals 
durchleſen, um zu ſehen, ob wir das Geleſene voll⸗ 
ſtaͤndig aufgefaßt und richtig verſtanden haben. 


4) Man muß ferner unterfuchen ‚ vb der Ber 
faffer bei feinen Räfonnements folgerichtig verfahren. 
ift, und ob er nicht in das Reſultat mehr hineingelegt, 
als in ven Borderfäßen enthalten ift, oder ob erniht 

etwas gänzlich Faliches aus. feinen zum Örunde ge⸗ 
legten Behauptungen gefolgert bat, — 


5 Die Urtheile und Schluͤſſe des Veefaſſers 
müffen nach ihrer formellen und materiellen Wahr ⸗ 

heit duröhgegangen werden und man muß ſehen, ob 
fie der Form nach richtig, d. br ob fie fich nicht wider - 
fprechen, und ob fie ihrem Inhalte nach gegründer 
find, d. h. ob fie entweder mit ber. Erfahrung oder 
mit den urfprünglichen Ertenntnifgefegen des menſch⸗ 
lichen Geiſtes uͤbereinſtimmen. 


u 


6) Hat man nun alles, was der Verfafler be⸗ 
hauptet, nach feinem ganzen Umfange und nad) feis 


.— 182° — 


nem wahren Gehalte eingeſehen, ſo muß man ſich 
bemuͤhen, zu erforſchen, ob und in wie ferne die Be⸗ 
hauptungen des Verfaſſers in allen ihren Theilen 
oder nur im Einzelnen wahr oder falſch und warum 
ſie das Eine oder das Andere ſind. Man muß ſich 
nunmehro über ben abgehandelten Gegenſtand er- 
heben und die Herrfchaft über ihn zu gewinnen fuchen, 
indem man eine freiere Anficht der Sache nimmt und 
unterfucht, ob er alle Vortheile, die ihm fein abzu- 
bandelnder Gegenftand darbot, zu feiner Erörterung 
benußt, ob er ihn von: allen Seiten und in allen fei« 
nen Verhaͤltniſſen erforfcht, ob er alle Gruͤnde und 
Urfachen, Die denfelben in ein vorzügliches Licht ſtel⸗ 
fen, bemerkt und ob er feine Abhandfung mit alfen 
ben Erfahrungen bereichert hat, bie ſchon vor ſeiner 
Unterſuchung vorhanden waren. 


| ) Man muß gehau Acht geben, ob der Ver« 
faffer nicht verfchiebenarrige Gegenſtaͤnde mie einans 
ber vermifcht ober verfchiedene Gebiete der Wiſſen⸗ 
ſchaften mit einander verwechfele, ;. B. die Mora 
mie der Rechtswiſſenſchaft, die Logik mie der. Metas 
phyſik, die geoffenbarte Religion mit der natürlichen), 
und ob er nicht etwas aus der einen Wiſſenſchaft zu 
entſcheiden gefucht hat, welches gar nicht aus ihr ent⸗ | 
fchieden werden durfte. Alle Menfchen follen in einen 
Staat treten und wer es nicht will, der darf dazu ge⸗ 
zwungen werden; diefen Gaß kann nicht die Moral, 
‚ fondern bloß die Rechtswiſſenſchaft rechtfertigen. 


8) Man mag bie Grundfäße, worauf ber Vers 
i faſſer ſeine Behauptungen ſtuͤtzt und wodurch er fie 


‚ zu begründen vermeint, auffuchen und 
nach ihrer Richtigkeit und Beſtim 
theils den Gebrauch beurtheilen, d 
macht hat. Hieraus lernen wir fol. — 





lichkeit und Feſtigkeit, als bie Wahrhen feiner Unter · — 


ſuchungen einfehen. — 


9) Bei originellen Denkern muß man beſonders 
auf die Anſicht, aus welcher ſie den zu unterſuchenden 
Gegenſtand betrachten, auf die Methode, die ſie in 
ſeiner Bearbeitung und Erlaͤuterung befolgen, auf 
die Winfe, die fie bald uͤber dieſes, bald über jenes 
geben, auf die dern, bie anfänglich oft paradop 
klingen, aber doch bei längerm Nachdenken als wahr 
und gegrunder erjcheinen, auf Die Hülfsmittel, bie 
fie zum Beweiſe ihrer Behauptungen benußen, auf 
Die Züge, womit fie Menfchen und Sachen charaftes 
rifiren, auf die Bemerfungen, die fie in ihre Unter» 


fuchung einftreuen, kurz man muß auf alles, was ihre - ' 


ideen, den Gang und die Einfleidung derfelben bes 
trifft, forgfältig Acht geben. 


.10) Bei der Ueberſicht des Ganzen eines Were 
kes muß man auf den Geiſt, der daſſelbe belebt, und 
‚auf den Charakter, der dafjelbe von allen Andern 
unterſcheidet, aufmerffam ſeyn, um fo wohl die Eis 
genheiten bes Denfers, als feiner Gedanken Fennen 
zu lernen. 


Diefe Anatomif der Bücher ift eben ko noch» 
wendig als die Anatomie des menfchlichen Körpers; 
ohne jene entgeht uns ein ganz befonbers fruchtbares 


9 


N 


. 


22 
» 






ohne Diefe bleiben uns die Beftandrheile und die Des 
ſchaffenheit des menfliche Körpers unbekannt. 


t 


uͤffsmittel zur Erziehung zum Selbſtdenken, und" 


\ 


Beim Leſen müſſen wir nie unthaͤtig ſeyn, ſon⸗ 


dern uns ſtets ſelbſt beſchaͤftigen, wenn uns auch das 


Buch, das wir leſen, nicht genug zu thun geben follee. 
Es liege die Schuld an uns, wenn ung ein Bud) ge« 
haltleer vorkommt. Jedes Buch ift eine todte Maffe, 
Die bloß dadurch belebt wird, daß wir mit unferm 


Verftand felbftehärig bei der Lektuͤre deſſelben ver⸗ 
fahren. Wir müffen daher dasjenige aus ung felbft 


hervorlangen, was diefes Todtengerippe nicht ents 


hält, und wir müffen. ihm durch Selbſtthaͤtigkeit 
Geiſt einhauchen, wenn es fraftlos zu Boden finfen 


will. Leibnitz fagte von fih, daß er fein Buch 
ohne Nußen leſe. Diefer ideenreiche Kopf lieh dem 


Buche, was es vielleiche felbft nicht hafte, nämlid) . 
Gedanken, und gerieth baher auf Anfichten der Dinge, 


die man bisher überfehen hatte, 


Zum Verſtehen hilft nicht Geſchwindſeyn ‚ fon: 


“ bern ausdauernde Bebarrlichfeit im Derfen: wer 


das Flüchtige feffeln, das Unfichtbare ſichtbar machen, 
das Dunfle erleuchten, das Grobe vergeiftigen, das 


Todte beleben und alles, was fi) ihm darbieret, nah 


Willkuͤhr beberrichen fann, der ift der geſchickteſte 


Leſer. 


Allein wir muͤſſen nicht alles leſen, was uns in 


die Hände kommt, ſondern eine. Auswahl unter den - 
zu leſenden Büchern trefien; denn nicht aus jedem 


- 


— 





Im 


. — iss — | 
Holze kann ein Merkurius gefchnißt werden. 
Wir müffen unfere Zeit und unfere Kräfte nicht an . 

"jedes geiftlofe, fehaale und. gedanfenleere ‘Buch vers 
ſchwenden, fordern wir müffen mie beiden haushaͤlte⸗ 
riſch umgehen. Das Leben ift. kurz und der Taten 

ſollen viele gethan werden. -Die Zeit eile, die Kräfte: , 
nußen ſich ab, das Alter uͤberfaͤllt uns, "ehe wir es 
uns vermuthen und wir ſinken unbeweint und vers 

geſſen in das Grab, weil wir nicht genug gethan 
haben. Zeit und Keäfte find zwei Güter, die, wenn 

ſie einmal verpraßt find, hie wieder erjeßt werben - 
koͤnnen. Hier hilft kein Wehellagen: o fi praeteritos 

- ‚referat mihi Juppiter annos; alles Seufzen ift ums 
ſonſt. Wir muͤſſen eilen und arbeiten, weil wir noch ° 
jung und kraftvoll find und weil uns das Gluͤck noch 
hold ift. J 


Welche Buͤcher aber ſind beſonders 
zur Kultur der Denkkraft geſchickkt? Dir 
Menſch kann ſich den Stoff weder zum Denken noch 
zum Handeln erſchaffen, weil er nicht allmaͤchtig iſt, 

„er muß alſo denſelben anderswoher zu erhalten ſire 
ben, und er bekommt ihn entweder durch Eindruͤcke 
von Außen oder von Innen, deren Regſamkeit und 
Lebendigkeit er durch Selbſtthaͤtigkeit erhöhen, und 


k \ " ’ 


‚ über welche er fich durch Much und Entſchloſſenheit | . 


‚immer mehr Gewalt verfchaffen- kann, Diejenigen 
Bücher alfo, welche ipn reichlich mit Nahrung zum > 
‚Denken 'verforgen, find vorzüglich sur Ausbildung 
feiner Denkkraft geeignet. Wir muͤffen daher 1) ges 
dankenreiche Bücher lefen: was verftche man..aber. 
unter dem Gedankenreichthume? Cine Menge Bes 


. pr . f 


nn 


” 


griffe,; die neu, ausdrucksvoll, det Sache entfpres 
chend, deutlich und beftimme find, zieht unjern Geift ' 
an und ladet ihn zum Nachdenfen ein. Se reichlicher 
daher ein Buch mit Vorftellungen angefüllt ift, die. 
leicht faßlich find, den Gegenſtand treffend charaftes 
rifiren, in Die Geheimniſſe der Dinge eingreifen und: 
uns diefelden enthüllen, den wahren Gefichtspunfe 
des Gegenftandes auffaffen und neue Ausfichten er⸗ 
öfnen, defto tauglicher ift es zur Uebung des Verſtan⸗ 
des und der Vernunft - Ein gedanfenreiches Bud 
liefert uns viele intereffanee Materialien zum Denken; 
eg reist uns daher eben fo fehr zur Thätigfeit als eg 
uns Vergnügen verfchaft, und es macht eben fo gut. 
eine Welt voll Erfcheinungen in ung rege, als es das. 
eigene freie Nachdenken über uns felbjt thut; 
2) muß das Buch, das wir zur Hebung unferer 
Denkkraft waͤhlen, geiftreich feyn: denn durch die 


‚befebenden ideen, die das Geiftreiche enchält, durch 
das Meizende und Pikante, womit daſſelbe unfer In⸗ 


nerftes ergreift, werben wir gegen die Ermüdung.in 
unferm Beftreben nach Selbftftändigfeie und gegen 


den Ueberdruß im Denfen gefichert. Was verftehe 


man alfo unter einem geiftreichen Bude? Dasjenige, 


“welches nicht bloß Begriffe, fondern auch Ideen ents 
haͤlt, die feappant,ı treffend, neu find, Die das Ge⸗ 


muͤth beleben und ihm zugleich viel zu Denfen geben, 


die Eigenfchaften an den’ Dingen und an den Mens 
[chen bemerkbar machen, welche nicht fo gleich zu ent⸗ 


decken' find und die den Gegenſtand gleichſam vergeis 
ſtigen, iſt geiftreih. Bei der Lektüre geiftreicher - 


— — ⸗— — 


Buͤcher erhalten wir viele Gedanken, und je laͤnger 








' — 187 — 


wir uͤber ſie nachdenken, deſto weniger ſind wir im 
Stande, alle Vorſtellungen, die ſie enthalten und 
erwecken, zuſammen zu faſſen. 
uns eine große Menge derſelben und immer kommen 
neue zum Vorſcheine und wir ſchwimmen in einem 
Meere von Gedanken. Geiſtreiche Bücher ermuͤden 


nicht: wir werden immerfort durch fie mit neuer 


Kraft und mit neuem Leben ausgeruͤſtet, und wir 


fuͤhlen an der Beſchaͤftigung mit ihnen ein Wohlbe⸗ 


bagen und eine Befriedigung , die zugleich ſtaͤrkt und 


belebt. Das Geiſtreiche zu faſſen und zu begreifen, 


koſtet uns eben keine großen Anſtrengungen, ob es 
uns gleich in die tiefſten und verborgenſten Geheim⸗ 
niſſe der Dinge und der Menſchen einweihet. Der 
Geiſt iſt das Unſichtbare in den Gedanken, das ihren 
Inhalt fuͤr den Verſtand eben ſo lehrreich und reizend 


als fuͤr das Herz anziehend und erquickend macht. 


Das Inkierſte der Menſchheit geht in das Geiftreiche 
über und offenbart ſich durch daffelbe, und man findet 
die urfprünglichfte und reinſte Thaͤtigkeit des Schrift« 


ſtellers in Büchern ausgedruckt, Die geiftreich find. 
- Zum Öeiftreichen gehört alfo Meubeit und Reichthum 


an Gefühle und Gedanken erweckenden Ideen, und 


8 wird vieler Scharfſinn, und eine feurige und 


fhöpferifehe Einbildungsfraft dazu erfodert, um fo 
wohl neue Wahrheiten zu entdecken, als fie ſprechend 
und febendig darzuftellen. Folgende Stellen von 
Kant find zugleich gedanken » und geiſtreich: „das 


Immer entwiſcht 


Schattenreich iſt das Paradies der Phantaſten. 


Hier finden ſie ein unbegrenztes Land, wo ſie ſich nach 


Belieben anbauen koͤnnen. Hypochondriſche Duͤnſte, 
Ammenmaͤhrchen und Kloſterwunder laſſen es ihnen 


\ 





J 


— 188 — 


an, Bauzeug nicht ermangeln. Die Dpilofopfen 
zeichnen den Grundriß und ändernihn wiederum ober 
verwerfen ihn, wie es ihre Gewohnheit iſt. Nur 
das beilige Rom hat daſelbſt eintraͤgliche Provin⸗ 
zen; die zwei Kronen des unfichtbaren Reiches ſtuͤtzen 
die dritte als das hinfällige Diadem feiner irrdifchen 
Hoheit, und die Schlüffel, melche die beiden Pforten 
der andern Welt aufthun, ofnen zugleich ſympathe⸗ 
tifch Die Kaften der gegenwärtigen. Dergleichen 
Gerechtfame des Geifterreiches, in fo ferne e8 durch 
- Die Gründe der Staatsflugheit bewieſen ift, erheben 
fich „weit uͤber alle ohnmaͤchtigen Einwuͤrfe der Schul⸗ 
weiſen u. ſ. w.“ „Die Weiblichkeiten heißen Schwaͤ⸗ 
chen. Man ſpaßt daruͤber. Thoren treiben damit 


ihren Spott, Vernuͤnftige aber ſehen ſehr gut, daß 
- fie gerade die Hebezeuge find, die Maͤnnlichkeit zur 
lenken und fie zu jener ihrer Abfiche zu gebrauchen. 


‚Der Mann ijt leicht zu erforfchen, Die Frau verräch 
ihr Geheimniß nicht, obgleich Anderer ihres (wegen 
ihrer Redſeligkeit) fehleche bei ihr verwahrt iſt. Er 
liebe den Hausfrieden und unterwirft ſich gern 


ihrem Megiment, um fich nur in.feinen Gefchäften 


niche bebindere zu feben. Sie fcheuer den Haus⸗ 
krieg nicht, den fie mit der Zunge führe und zu mels _ 
chem Behufe die Natur ihr Redſeligkeit und affekt⸗ 
volle DBeredtpeit gab, die den Mann entwaffnet. 
Er fußt ſi ſich auf das Recht des Staͤrkern, im Hauſe 


zu befehlen, weil er es gegen’ äußere Feinde ſchuͤtzen 
foll; fie auf das Necht des Schwaͤchern, vom männ« 


fichen Theile gegen Männer gefchüge zu werden und 


- macht durch Thränen der Erbitterung den Mann 


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— 189 — —“ 


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| wehelos, indem ſe ihm ſeine Ungrofmirigt vor⸗ 


rüdt 5“ 


3) müffendie@edanfen eines Buches, das wir 
leſen, nicht felten originell ſeyn, damit fie durch das 
Neue, Auffallende und Ungemöhnliche den Geift ſtets 
zu neuen Anftrengungen anreizen und ermuntern. 


Das Driginelle wird dem Gewoͤhnlichen entgegenges 


feßt und iſt alfo.dasjenige, was nicht alltäglich if 
Allein ift es nicht oft der Tall, daf etwas ungewoͤhn⸗ 
lich und doch nicht originell ii? Man begreift, alfg 
unter dem Driginellen außer dem nicht Altäglichen 
noch mehrere Eigenfchaften, die wir aufſuchen müffen, 


* Das Driginelle liefert neue und belehrende Anfichten 
der Dinge, und hebt Öefichtspunfte an ben Gegens 


ſtaͤnden heraus, die wir ſelten gewahr werden und 


die vielen Stoff zum Nachſinnen geben. Das Ori⸗ 


ginelle muß viele Gefuͤhle und Ideen in uns auf: 


wecfemund als Mufter für den Gefchmac gelten Fün« 


nen; denn es giebt auch) originellen Unfinn.. Es 
offenbar ſich alfo in den Schriften.auf eine Doppelte -. 


"Art, 1) in ben Gedanken und 2) in ber Darftellung 


der been eines Buches. Jene find Fühn. und 


ibeenreich ‚ enthalten neue Auffchlüffe über die Dinge 


und über den Menfchen, und betrachten fie aus un« 


gewoͤhnlichen Geſichtspunkten: dieſe muß korrekt, 


lebendig, praͤcis, deutlich und ausdrucksvoll ſeyn. 
Folgende Gedanken Kants ſind originell: „die un⸗ 
bedingte Nothwendigkeit, die wir als den letzten 
Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt 
der wahre Abgrund fuͤr die menſchliche Vernunft. 
Selbſt bie Ewigkeit, fo ſchauderhaft mbaben ſie auch 


‘ 


Gegenſtand angemeffen find, daß bas Ganze Die 


Einbildungskraft ins Spiel ſetzt und den Verſtand, 
ob es ſchon zu denken giebt, doch leicht und angenehm 
beſchaͤftigt und unſere Bemuͤhung durch neue und 


nuͤtzliche Einſichten belohnt. 


Die Buͤcher, die wir zur Ausbildung unſerer 
Denkkraft leſen, muͤſſen ſich alſo eben ſo ſehr durch 
Gedankenreichthum als durch eine ſchoͤne Darſtellung 
= der Vorſtellungen auszeichnen, wenn wir mit reichem 

Gexwinne für die Kultur und Mimdigfeit unfers Gei« 


ſtes leſen wollen. Doch giebt es Schriftſteller, 


denen die Gabe einer angenehmen und fchönen Dar; 
ftellung ihrer Gedanfen gänzlih abgeht, bie aber 


gleichwohl fehr gebanfen + und geiftreich ſchreiben. 
Ä Im einen jolchen Falle wuͤrden wir ung felbft am meis. 


ſten ſchaden, wenn wir fie nicht leſen wollten. Wir 
muͤſſen daher auch ſolche Schriften fleißig ſtudieren, 
die uns zwar durch Peine lebendige Darſtellung ein⸗ 
laden, aber doch unſerm Verſtande Vieles zu denken 
und uns die herrlichſten Aufſchluͤſſe ͤber den Men⸗ 
ſchen und die Natur geben. 


5) Wenn wir uns im Selbſtdenken eine große 


Fertigkeit erwerben wollen, fo iſt es zweckmaͤßig ge- 


handelt, wenn wir nach dem Einſammeln von Ma⸗ 
terialien und nach der Erweckung unſerer Denkkraft 
zur freien Selbſtthaͤtigkeit öfters ſolche Bücher leſen, 
deren Inhalt ſyſtematiſch geordnet iſt und worin das 
Ganze eine ſtreng wiſſenſchaftliche Form erhalten hat. 
Wir gewoͤhnen uns dadurch ſo wohl an folgerichtiges 
als an ſyſtematiſches (nach Prinzipien geleitetes) 





— 
. — - 
X 


— 193. — 


Denken; wir lernen lange Gedankenreihen verfolgen 
und fangen eifriger an, ihre Verkettung und ihre 


Anordnung zu ſtudieren und zu prüfen. Beſtimmt ⸗ 


heit, Deutlichkeit und eine natuͤrliche Verbindung 
unſerer Gedanken wird uns dadurch zum Beduͤrfniſſe, 


Das Spftematifche in den Wiſſenſchaften iſt das 


Band, das die unfichtbaren und flüchtigen Geiftr— 


bie Gedanken — zuſammenhaͤlt und uns die Ueber⸗ 
fiht und die Pruͤfang derſelben erleichter.. Der. 
‚Meufch ſoll, wenn er. ein nügliher Mann für die 


Belt werden will, nicht allein ſelbſt denken, ſondern 


auch das Selbſtgedachte in einen leicht faßlichen und 
- natürlichen Sufgmmenhang bringen lernen... Sind 


bei ber Lektuͤre die logiſchen Sormen und das Softes | 


matifche in .der Stellung der abgehandelten Gegen⸗ 
ſtaͤnde fuͤr uns noch zu trocken und abſchreckend, ſo 


liegt die Schuld an uns. Wir haben uns zu feige: 


zeitig in ihre Schule begeben: in uns iſt dasjenige 


noch nicht rege und felbftehätig worden, was uns bei‘ Eu 


den trockenſten Gegenftänden vor langer Weile ſichert. 
Man muß vorhers.viele Stoffe zum Denfen und eine . 
große Fertigkeit in dem Letztern errungen haben ‚ebe 


man ſich an die Beichäftigung mit den logischen Funk⸗ 


tionen des Denkens wagt und man muß ſi ſich vorhero 
in der Erfahrung kennen gelernt haben, ehe man den 
. Grund und die Bedingung aller Erfahrung und die 
Daraus abgeleiteten Prinzipien mit Luft und Vortheil 
auffuchen kann. Arbeit ohne Gewinn ermüder ung . 
nicht allein, fondern flöße uns. auch Abfcheu vor ihr 
ein: trocene logiſche Denkubungen haben ſchong 

manchem aufſproſſenden Juͤngling alles Selbſtdenken 


verhaßt gemacht und bie leeren Formeln haben ſchon = 


supi in denken. 


- 


⸗ 
— 194 — 
J 


manchen wißbegierigen Geiſt getoͤdtet. Alles in der. 
Natur gefchieht ftufenweife und diefe Ordnung müffen 
wir auch bei. der Kultur unferer Anlagen beobachten, 
wenn wir nicht Zeit, Mühe und Sräfte umſonſt ver⸗ 
praſſen wollen. 


Welchen Inhalt aber muͤſſen die Buͤcher haben, 
womit wir die Lektuͤre zur Ausbildung unſerer Denke" 
kraft zur Selbſtſtaͤndigkeit beginnen koͤnnen? Das« 
fenige,. was allgemein nüßlich, für Kopf und Herz 
Intereffang, neu und verſtaͤndlich ift, reizt uns vors 
zugfich zum Nachdenken. Der Menfch und die 
Natur find daher die wichtigen Gegenftände,. die ung 
befonders zum Denken auffodern, die uns bie tref⸗ 
lichſten Materialien dazu liefern und bie nie aufhören, 
uns Intereſſe für- die Beſchaͤftigung mit ihnen eins- 
zufioͤßen. Wir muͤſſen uns alſo ‚vorzüglich mit des 
Lektuͤre ſolcher Buͤcher beſchaͤftigen , die uns mit dev 
Natur des Menfchen, ihren Eigenheiten, ihren 
Kraͤften, ihren Verireungen, ihren Gefeßen und mie 
den Grenzen ber Anmendbarkeit derfelben befannt - 
“machen. Der Menfch ift eine Welt im- Kleinen; in 
ihm gehen Sonnen auf und unter; in ihm wirft eine 
ftete Produktionskraft; mögen Millionen Zahre in 
bas Meer der Ewigkeit hinabgeſunken feyn, es blei⸗ 
ben doc) ſtets Dunkelheiten und unbefannte Falten 
in feinem Herzen; er nimme ftets eine andere Geſtalt 
an, deren Erfcheinung oft alle vorher aufgerhürms | 
ten Berge von Schlüffen umſtuͤrzt. Der Grund von. 
dieſer fleten Umwandlung und von biefen mannichfale 


\ 





u 1 Be 


tigen Erſcheinungen ; die man in dem Menſchen ge⸗ 


wahr wird, iſt die Freiheit, der Urquell alles Guten 
und alles. Boͤſen, und die Selbſtthaͤtigkeit ſeiner 


Denkkraft, dar Schöpfer der Wahrheit und des Irr⸗ 


humes.: "Mehrere haben den Menfchen ganz zu Pens 


zen geglaubt‘, wenn fie eine kurze Ueberſicht von fein 
mem. Sum‘. und Handeln erlangt hatten; allein je 
größere Fortſchritte fie in feiner Erkenntniß machten, 
defto mehrere Unbegreiflichfeiten entdeckten fie und‘ 
deſto mehrere: unerwarsete Erfcheinungen ſprangen 
ihnen in die Augen: denn es liegt in der menfchlichen 
Erkenntnißart, daß nur demjenigen etwas ſchwierig 
iſt, der. eine Sache in ihrem ganzen Umfange uͤber⸗ 
nei, 


x J 


Eina andere Aet von Buͤchern, "Sie wir im Ans 


fange unſerer Denfübungen zu unferer Lektuͤre aufs 


fuchen muͤſſen, fi nd foldye, die von den Erjcheinungen . 


und. von den Produften der Natur handeln, und die. 
uns theils mit ihrer Befchaffenheit, theils mie ihrem 
Nußen ‚ theils mit der Art ihres Seyns und Enes” 
fiehens befannt machen. Es fomme dem Menfchen 


furchtbar vor, aber es ift auch zugleich für ihn ents _ 


ehrend, in einer Welt zu leben, deren Erfcheinungen 
hebft ihren Urſachen und Bedingungen ihm unbe⸗ 
fannt find. Der unwifjende, wilde und rohe Menſch 
ſieht und hoͤrt im Gewitter und in jedem ungewoͤhn⸗ 


* 


lichen Ereigniſſe der Natur, z. B. im Erdbeben, das . 


Zürnen der Gottheit und wer zittert nicht vor der > 


Gewalt eines allmächtigen Weſens, fo lange er dafs 


ſelbe bloß von Eeiten feiner Macht Fennt, und fo 


lange er noch nicht mit den natuͤrlichen Urſachen der 
N 2 


— 196 — 


Erſcheinungen dieſer "Art befannt-ift? Viele · Dinge 


auf der Erde kommen uns bloß fuͤrchterlich vor, weil 
pie’ ihre Beſchaffenheit und den Grund ihrer 
MWirfungsarten .nicht kennen. Und‘ entehre es Ä 
den Menfhen, den Herrn der Schöpfung; nicht, 
wenn er feine Kenntniß besjenigen beſitzt, was um 
ihn her: vorgeht und wenn er vor einer: Naturgemalt 
öittent , der nur ber Aberglaube huldigtꝛe 
Das Seudium des Menſchen und der gotur 
muß alſo das Erſte ſeyn, womit ‚tie unſere Lektuͤre 
beginnen. Durch daſſelbe lernen wir ſo wohl ſelbſt 
denken als auch Materialien zur Ausfuͤhrung von aller⸗ 


lei Zwecken einſammeln. Ferner iſt auch die Ges 


ſchichte der Wiſſenſchaften und der Kuͤnſte, der Denk⸗ 


art und der Meinungen der Vorwelt, des politiſchen 
Zuſtandes und der Kultur der Voͤlker eine reiche Fund⸗ 


grube zur Bereicherung und Erziehung unſers Geis | 


fies, die wir nicht ununterſucht und unbenutzt laſſen 
durfen © 


> 4 


Iſt die Lektuͤre der alten griechiſchen 


und römifhen-Claffifer der Ausbildung 


\ 


unferer Denkkraft zuträglicher und be 
föderliher, als das Lefen der neuern 
Schriftſteller? Alles, was langes Nachdenken 
und mannichfaltiges Studium erfodert, che es feinem 
Inhalte nach völlig verftanden und in Saft und Blue 


= verwandelt werden kann, unterſtuͤtzt und. begünftige 
ganz vorzüglich die Kultur der Denkkraft. Wie 





‘ I uud 1 97 —— 


Diele Dinge müffen wir nicht wiſſen und wie angee 
legentlich stufen wie uns nicht bemühen, ehe wir 
einen. alten griechiſchen ober lateinifhen, 
Schriftfteller verftehen, d. h. ehe wir die Ideen auf⸗ 
gefaßt, die er ausgefuͤhrt hat, die Behandlung, bie: 
Verbindung und Anordnung feiner Vorſtellungen 
afennen gelernt und Die Bedeutſamkeit der Prädifate, 
Gleichniſſe u. ſ. w. eingefepen haben? Wir müffen 


Worte, Redensarten, Sitten, Gebräyche, Den . 


- Pungsart, Mythologie, Staatsverfaflung, Geogra⸗ 
phie, Geſchichte und andere Gegenftände kennen ler⸗ 
nen, ehe wir nur einigermaßen Anſpruch auf einige 
Einſicht in die Meinung des alten Schriftftellers und _ 

in den Inhalt feines Buches machen fonnen. Das 

Ueberſetzen deſſelben erfodert eine angeftrengte Aufe 

merffamfeit, ein ununterbrochenes Nachfinnen und 

ein ftetes Prüfen; wir muͤſſen die einer Stelle anges 
meffene Bedeutung eines Wortes herausfuchen , das 

Vorhergehende und Nachfolgende fters im Auͤge be— 
“ halten und beides’ mit einander vergleichen, um fo 
- wohl der Meinung des Verfaffers als der Wahrheit 
der Gedanfen auf die Spur zu kommen, um bie. 
Schönheiten und die Eigenthimlichfeiten in fehler 
Mede» und in feiner Denkart zu erforfchen, das 
Treffende und Ausdrucksvolle in den gebrauchten Bei⸗ 


worten zu ergruͤnden. Auf dieſe Art ſind wir ſtets 


genoͤthigt, um nur einigen Genuß und Nußen bon . 

unſerer Lektuͤre der alten Claſſiker zu Haben ‚„ vielen 
Fleiß und viele Aufmerffamfeit auf ihre Erklärung 
zu wenden. Zu Büchern Hingegen, die in unferer 
Mutterſprache gefchrieben find, bringen wir ſtets 
“einige Kenntnig der Sprache beim Anfange unferer 





= 


Lektuͤre mit; da ‘uns alſo die Sprache, worin das 
Buch geſchrieben iſt, wenn auch nicht vollkommen, 


doch ſchon etwas bekannt iſt, fo ſehen wir beim Leſen 


mehr auf den Sinn des Ganzen, als auf die Bedeu⸗ 


tung der 'einzelnen Worte und auf ihre Verbindung. 


Wir wollen bloß Gedanken einſammeln, und die 
Leichtigkeit des Verſtehens macht uns oͤfters leichtſin⸗ 
nig im Aufmerken und wir leſen mechaniſch, was wir 
mit Ueberlegung und: Bedachtſamkeit durchgehen folls - 
ten. Aus alten Schriftftellern glauben wir aud) 


öfters mehr zu lernen, als aus Meuern, und diefer 


Wahnglaube (denn das ift er, was die Vervoll⸗ 
kommnung ber Wiſſenſchaften anbelangt) macht, daß 
wir defto aufmerffamer auf alle feine Gedanken find. 
Es fälle daher in die Augen, daß bie Lektuͤre der 
Bücher, die in einer todten Sprache gefchrieben find, 


.' die Ausbildung der Denkkraft mehr befoͤdert, als die 


 Seftüre folcher, ‚welche in der Mutterfprache oder 
" überhaupt in einer lebendigen Sprache ausgearbeitet 


find, 


- Nenn man aber auch zugeben wollte, daß die 
Ausbildung unſerer Denkkraft eben ſo gut durch die 


Lektuͤre der Schriften in neuern Sprachen, als durch 


den Umgang mit den alten Claſſikern erreicht werden, 


koͤnnte, wenn wir jene nur eben ſo behandelten, wie 


wir die griechiſchen und roͤmiſchen Schriftſtel⸗ 
lee zu leſen gewohnt find, fo wuͤrde doch dadurch 
unſere Ausbildung noch nicht vollkommen ſeyn und 
wir würden immer noch die Griechen und Römer 
zu unſerer vollftändigen. Kultur, "nämlich zur Ge- 


ſchmacksbildung, noͤthig haben. Der Geſchmack 


on / 


\ , t " Sn 


aim: nur an Muftern gebildet werden und biet ſich 


die griechiſchen und die roͤmiſchen Claſſiker, weil die 
Sprachen, in welchen ſie geſchrieben find, jege todte 
Sprachen und alfo unveränderlih find, ‚welches 
durchaus außer dem Geiftvollen; Gedankenreichen, 


Originellen und Schönen zum Begriffe, den wir uss 


von einem Mufter machen, erfoderlich iſt. „Grie⸗ 


hen und Römer find Mufter des Gefchmades, fagt . 


Hippel, und werden es bleiben in Ewigkeit. Nur 


ſelige und vollendete Sprachen. kommen zu biefer 
Ehre. So lange eine Sprache lebt, wird dies Wort _ 
adelich, dies bürgerlich, dies bäuerifch, nach dem es 


die Mode will. Es gehe mie den Worten, wie mit 


den Samilien; dies kommt empor, jenes fälle. Heute. 


ift es am föniglichen Hofe, in der Epopee, willkom⸗ 
men, morgen findet man es ſchon bis im Schäfer: 


gedichte unausfteplich. Gedankenwendung, Dene . 
art, alles ift im aͤgyptiſchen Dienfthaufe der Mode — 
Gewinnſucht, Eigenſinn in der Nation kann Worte 


erhoͤhen und erniedrigen. Alle Münzen in einer 


lebendigen Sprache find der Reduktion unterwor  " 


fen — und wenn dann die Tyrannei triumphirt und 
Gößengreuel die heilige Stäte fchänder, wenn von 


den Tempeln des Gefchmades fein Stein auf dem 
Andern ift,, wenn Barbarei das Sand deckt, find 


Homer und Pindar, Virgil und Horaz“ — 
(die Wiederherfteller des Geſchmackes und die Er⸗ 


neuerer der Wiſſenſchaften) — Und Kant bee | 


merke in der Kritik der Urtheilskraft S. 54 in der 
_ Anmerkung: „„Mufter des. Geſchmacks in Anfehung 
der redenden Künfte müffen in einer: todten und ges 


le heten Sprache abgefaßt ſeyn: das Ekſte, um nicht 


— 200, — 


bie Berönderung erdufden zu muͤſſen, welche· die 
lebenden unvermeidlicher Weiſe trift, daß edle Aus⸗ 
drücke platt, gewoͤhnliche veraltet und neugeſchaffene 
in einen nur kurz dauernden Umlauf geſetzt werden; 
das Zweite, damit ſie eine Grammatik habe, welche 
keineni muthwilligen Wechfel ber Mode unterworfen. 
ift, fondern ihre unveränderliche Regel hat.“ 





Welhes find die gedanken, und geiſtreich— 
fen Schriften und Schriftfieller unter 
den neuern Eultivirten Nationen?.“ 


\ 
DU] 


| Wenn bie fchlummernden Kräfte des Menfchen 
- nichts gewaltiger zum Wirken und Handeln. auffodere 
und reist, als die Lekture ideenreicher Bücher, fo, 
thut man wohl, daß man fi) mit den großen Geis. 
fern, die Die Ausbeute ihres Nachdenkens im Beobs 
achten und Specuftren in Büchern niedergelegt haben, 
befannt marht, damit man weiß, wohin man feine 
Zuflucht: ‚nehmen fol, wenn man den Weg zu feiner 
Muͤndigkeit einſchlagen und ſich zur Selbſtſtaͤndigkeit 
im Denken ausbilden will. Schon fruͤhzeitig müffen 
wir eine weife Auswahl in unferer Lektuͤre treffen, weil 
das Leben pfeilfchriell vorüberflieht und ung bie Sabre _ 
der Geſchaͤfte ereilen, wo wir weder Luſt noch Zeit 
haben, viele. Bücher zu leſen, zumal wenn ihre Lek⸗ 
türe uns große Anftrengung koſtet. 





— 201 — 


Ich fuͤhre hie nur Schriftſteller und Schriften 
der Neuern und keine Ueberſetzungen der alten Klaſ⸗ 
ſiker an, weil dieſe jederzeit auch in der beſten Ueber⸗ 
ſetzung zu viel verlieren, als daß man alle ihre Vor⸗ 


zuge darin wiederfinden und darnach die alten 
Schriftſteller richtig wuͤrdigen koͤnnte. Die alten 
griechiſchen und.römifchen Autoren müſſen in 
der Originalſprache geleſen werden, wenn fie wahr⸗ 


haft genoſſen werden ſollen. In keiner Ueberſetzung 


findet man den antiken Geiſt und den gediegenen Cha⸗ 


rakter wieder, der den meiſten Originalen eigen iſt. 
Ueberdies geht bei der Lektuͤre einer Ueberfegung noch 


das Vektſetzen in das Alterthum in dem Leſer und 


%. 


Häufig auch die gebrungene Kürze im Ausdrude vers 


- . bogen. Ich führe daher nur die Driginalfchriften 


der neuern Zeiten an, die jeder, der fich zum Selbſt⸗ 
denken erziehen will und der dies Gefchäft durch feine 
ganze Lebenszeit fortzufeßen bemüht ift, mit eben fo - 


großem Gewinne für. die Kultur feines Kopfes als u 
“ für die Veredlung feines Herzens lefen wird, | 


u ; 





” x 
- . 


‚A. Unter ben Teusfchen find zu bemerfen: 


ı) Klopftod. a) Oden. 2%. b) Mefſias. 


4 Baͤnde, (inf. ſammelichen Werken 1-6 ® .) 1798 — 


2800. 


2) Wieland. R Geſchichte des Agathon (in ſ. 
ſaͤmmtlichen Werfen 1794 — 1801. 1=3 3.) b) Der 
goldene Spiegel oder die Könige von Schefchian (ebend. 
6 und 7 3.) e) Gefchichte des weifen Danifchmende und 


N 


der drei Ealender (ebd: 8 2.) d) Mufarion (ebd. 9 2). 


> — 
k 


x. 


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1} . 


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\ ._ | — 204 — 


1797. 1 B. herausg. von Sclichegroll) f) Ueber weib⸗ 
liche Bildung. ıgor. 


6) Leßi ing, G. E. a) gaofopn, ober über die Gren⸗ 
zen der Mahlerei und Poeſie, n. v. A. „788. (in deffen 
ſaͤmmtlichen vermifchten Schriften 30 B. 1770 — 1794 
im 9 und_Io Th.) b) Sabeln. Drei Bücher nebft Abs 
"Handlungen, mit diefer Dichtungsart verwandten Inhalte 
‚1759. (ebend. im 18.) c) Nathan der Weiſe. Ein dras 
matifches Gedicht in 5 Aufl. 1779 (ebend.) d) Emilia 
Galotti, Trauerſp. (ebend. im 19 B.) e) Miß. Sara 
Samſon, Trauerſp. (ebend. im 19 B.) f) Minna von 
Barnhelm, oder das Soldatengluͤck, Luſtſp. (ebend. 21 3.) 
8) Hamburgiſche Dramaturgie, 2 B. (ebend. im 24 und 
25 8.) h)dDie Erziehung des Menfchengefchlechtes 1785: 
i) Ernft und Falk, Gefpr. für Sreimauerer (ebend. im 


7 Th. k). Einige Lieder, Epigramme, Oden u. f. w. im 


1 und 2 B. f. verm. Schriften. Ferner einzelne philo⸗ 
ſophiſche und aͤſthetiſche Abhandlungen in dieſen ſeinen 
Schriften. | 

77 Leibnitz. 1) Nouveaux Ehfais für Pentendement 
humain. v. Ulrich, in den philof. Werfen nad Rafpeng 
- Sammlung aus d. Fr. mit Zuf. und Anmerk. ı und 22. 
1778. 1780. 2) Ellay de Theodicde fur la bonte de 


dieu, la libert€ de Phomme set Porigine du mal. Amſt. 


1710. 1714. 1720, 

8) Engel, 3 J. J. a) Der Philofoph für. die tt 
1 und 2 Th. N. A. 1787. 3 Th. 1800. N. Aufl. in 2 Baͤn⸗ 
den 1801.. Auch unter dem Titel» E. Schriften ı und 


298. 1801. b) Ideen zu einer Mimif, 2 Th. 1785 und 


\ 1786. c) Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungs⸗ 


arten, aus deutſchen Muſtern entwickelt (leider! bloß der 


uſte Theil) 1783. d) Kleine Schriften 1795. (worin des 


fonders zu bemerfen find: 1) über’pie Schönheit des Ein, ° 
fachen,.2) über die muflcalifche Mahlerei, 3) über einige 
Eigenheiten des Gefühlsfinned, 4) Fragmente über Ges 


genſtaͤnde der fchönen Wiffenfchaften und 5) Verfuch einer 











FE J I 
J 21 
— 205 — we 


“. v 


v 


Mahede die Vernunftlehre aus platoniſchen Dialogen 


au entwickeln.) . e) Der Fuͤrſtenſpiegel 1798. f) Der 


Dantbare Sohn, ein Tändliches Euflfp. 1770. g) Dee 
Edelknabe, Luſtſp. 1775. h) nie Lorenz Start. em | 


Charaktergemaͤlde 18OI. .' > 


9 Mofes Menselsfoßn. Ay Philoſophiſche 
Schriften. v..4. 1777. 2 Theile, worin befonders die 
Briefe über die Empfindungen lehrreich find. b) Phädon 
oder 'Äber bie Unfterblichfeit der: Seele, in 3 Gefprächen 
776. ı) M orgenſtunden oder Vorleſungen uͤber das 
Daſeyn Gottes r’ Th 1786. d) Jeruſalem oder über“ re⸗ 
ligioͤſe Macht und Judenthum 1783. 


70) Buͤrger, GN. Gedichte rund 28. berandg, | 
v. Reinhard. 1796. ‚Seine dorzuͤglichſten Gedichte find: . 


=) des. Pfotrers Tochter von Taubenheim, b) dag bohe 
Lied, e) Leonore und Andere. | 

11) Schiller. a) Don Karlog, Infant von Spa⸗ 
nien 1787. N. A. in 2 B. 1801. b) Der Geiſterſeher 


1789. (bloß der ıfle Th.) e) Wallenftein, ein dramatis : 
ſches Gedicht in 2 Th. 1300. d) Proſaiſche Echriften 
Hermifchten Inhalts ı Th. 1792. 22H. 1800. 3%h. 1801, 


e) Gedichte ı Th. 1800. f) Gefchichte des Zojährigen 


Krieges 3 Th. 1793: 8) Gefchichte des Abfalls der ver⸗ 


‚einigeen Niederlande von der fpanifchen Regierung ı 2. 
1738. Neue ganz umgearbeitete Aufl; ı Th. ı und 2 B. 
Mit K. h) Maria Stuart, ein Trauerſp 1807 9 Das 
Maͤdchen von Orleang 1801. 


12) Garve. a) Verfuche über berſchiebene Gegen 


Rände aus der Moral, der Literatur und dem-gefellfchafte 


lichen. Eeben 1—4%B. 1792 —ıg00. (Die gehaltreiche 


fen Auffäße in diefen vier Bänden find : 1) einige Beob⸗ 
achtungen über die Kunſt zu denfen-und 2) über die Rol⸗ 
fen der Wahnmigigen in Shafefpearg Schaufpielen und 


über den Charakter Hamlets insbefondere, im 2 B. und 


über Geſellſchaft u. Einfamfeit im 3 u. 43.) b) Samm⸗ 
fung einiger Abhandlungen 1779. ©) Vermiſchte Auf⸗ 


— 4 








x 


| eo * 
fäe , welche eingeln oder in Zeitſchriften erſchienen fin, 
17Th. 1796. 2 Th. 1800. d) Ueber bie Neigungen. Eine 
Preisſchrift 1769. in 4. e) Einige Betrachtungen uͤber 
die allgemeinften Grundfäge der Sittenlehre 1798. F) Frag⸗ 
mente zur Schilderung Friedrichs IL 2 Th 1801. N. %: 
g) Vertraute Briefe an eine Freundin 1801. Lehrreiche 
Abhandlungen findet man bei feinen Ueberfegungen, bes ) 
Eitero, von ben menfchlichen Pflichten 2—4 B. N. 
1792. 2)Macfarlan über bie Armuth 1785. 3) Payley's 
Grundſaͤtze der Moral und Politik im 2 Th. 1787. 4) 
Ethik des Ariſtoteles 1B. 1798. 2 Th. 1801. 5) Ser 
gufon’ 8 Grundfäße der Moralphiloſophie 1772. J 


| 13) Gerſtenberg, H. W. v. a) Sändeleien 1765. 
b) Ugolino, eine Tragodie in 5 Aufz. 1768, - .- } 


14) Leiſewitz, IA: Julius von Tarent. DTrauev⸗ 
ſpiel 1776. re. 


15) Gesner, E. Schriften in 3 206, 1788 (die 
Idyllen/ 2 Daphnig u. A.) 


16) Goefing. ‚ Gedichte in 3 2b. 1780 — 182. 
(worin befonderg die poetifchen. Briefe, die Lieder zweier 
Liebenden u. A. bemerkt zu werden verdienen.) 


127) Gotter. a) Gedichte 2 Baͤnde 1787 u. 1788. 
Der erfte Band diefer Sammlung enthält Gotter's eigent⸗ 
liche Gedichte, worunter vorzüglich geiſt⸗ und. gedanken⸗ 


reich ſind a) die Flucht der Jugend, b) Epiftel über die 


Starfgeifterei, c) der Dorfkirchhof nach dem Engl. des 
, Gray und andere philofophifche, fcherzhafte und ruͤhrende 
Gedichte. Der 2 B. enthaͤlt 1) Elektra, Trſp. 2) Mes 
rope, Trſp. 3) Alcire und Medea. b) Die Erbſchlei⸗ 
cher, Luſtſp. 1789. u * 


18) Haller, (Albrecht von) Verſuch ſchweitzeri⸗ 
ſcher Gedichte. N.A. 1777. Bern. Unter feine beſten Ge⸗ 
dichte gehören: 1) über die Ewigkeit, 2) über die Ehre, 
3) Mariane, eine Elegie und“ einige Naturſchilderungen 
in den Alpen. 











19) Siinimermann, g G. Von ber Erfah⸗ 
zung in der Arzeneikunde. N: Aufl. 1777. b) Heber die 
Einfamfeit.4 Th: 1784 und 1785. — 


20) Weikard, MA Der philoſophiſche Arzt. 
Neue durchaus ‚vermehrte Ausgabe. 3 Bände. 1798. 1799. 


27) Herder, J. G. 3) Ideen zur Philo ſophie der 
Geſchichte der Menſchheit 1h. 1785 — 1792. (be⸗ 


ſonders der 3 und 4 B.) b) -Zerftreuete Blätter —6 
Th. 1791 — 1797. 0) Briefe zur Befoͤderung der Hu⸗ 


manitaͤt 1 — 10 Sammlung 1795 — 1797. 4) Terp⸗ 
ſichore 3 Th. 1795 — 1796. (nach dem Pat. des Ba de) 
e). Zwei Preisſchriften: 1) uͤber den Urſprung der Spra⸗ 


de. .2) Urfachen des geſunkenen Geſchmackes bei den 


verſchiedenen Voͤlkern, da er gebluͤhet. 2e berichtigte Ausg, 
3739. 5) Sott. ‚Einige Gefpräche. N. v. A. 1800. 


22) Jacobi, F. H. a) Woldemar. 22 v. A. 1 und a6 
2 Th. 1796. b) Allwills Briefſammlung ı B. 1792. 


c) Ueber bie Lehre des Spinoda, in Briefen an Hrij. Moſes 
Mendelsfohn. Neue v: 9. 1789. d) Etwas, das Leßing 
gefagt hat. 1782. e) Einige Abhandlungen in Journalen 
3. 3, im beuffchen Muſeum Febr. 1788. über den fron« 


men Detrug und eine Vernunft, bie nicht Vernunft, ift, 


und Andre. 


29) Jacobl, J. 6 Saͤmmtliche Werke. Nee 


Ausgabe 1773. (Diefe Sammlung ift bei: meitem nicht 


vollſtaͤndig; es fehlen alle feit der Zeit der Herausgabe 


derfelben erfchienenen Werke des Verfaſſers.) 


2) Richter, J. P. F. Seine beſten Arbeiten ſind: 


a) Heſperus oder 45 Hundspoſttage. Eine Biographie. 


N. v. 9. 1799. im 4 Theilen. b) Die unfichtbare Loge. 


Eine Biographie. 2 Th. 1793. U 

25) Möfe r J. a) Patriotiſche Phantaften. 4 Th. 
1786. db) Vermifchte Schriften: Nebſt deſſen Leben, 
herauss. v. F. Nicolai. 1 Th. 1797. 2 Th. 1708 


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EN. 1704. A) Gefchichte des armen Heren von Milden- 

burg. 3 Th. 178% und 1790. | 
45) Müller, 3. G. in Jetzehoe. a) Emmerich, eine 
komiſche Geſchichte 3 Th. b) Die Herren von Wald⸗ 
heim, eine komiſche Geſchichte 4 Th. 1785. c) Friedrich 


Brack, Gefchichte eines Ungluͤcklichen. 4 Th. 17931795. 


46) Heyne, Anton Wal. a) Bagatellen 2 Th. 1785 

und 1786. b) Amathonte, ein perfifches Mährchen 1799. 
‘e) Korane. - Ein morgenländifches Mährchen 1801. 

| a7) Falk, J. D. a) Der Menſch und die Helden, 

zwei ſatyriſche Gedichte 2e A. 1798. b) Die heiligen 

Gräber zu Kom und die Gebete. Zwei ſatyriſche Gedichte 


ze verb. Aufl. nebſt einem Anhange 1799. Seine ſatyri⸗ 


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a Ku TEE ET TEE TE — 
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(en Werte find auch unter dem Titel: Satyren, N. 2. 
3 B. 1800. erfchienen. 

| * Neubeck, V. W. Die Geſunbbrunnen. Ein 

Seöicht in 4 Gefängen 1798. 

49) Hoͤlty, L. H. L. Gedichte, beſorgt durch Stoll« 
berg und Voß 2e A. 1795. | 
| 50) Pfeffer, 8. &. fämmtliche poetifche Delate 
6 Th. 1799. 

51) Alxing'er, 8 v. 2) Sämnitliche Gedichte. 

2 Th. 1788. b) Doolin von Mainz Ein Kitten 

gedicht in 10 Geſ. ze v. 2. 1797. .c) Bliomberis 1791. 

52) Blumaner, Al. Gedichte 2 Th. 1787 u. 1789. 

Sämmtliche Werke 3 B. 1801. 

‚ ..53) Claudius, Matthia G., Asmus ober ſammt⸗ 

uche Werke des Wandsbecker Boten 6 Th. 1775 — 1798. 
549) Goͤtz, J. N. vermifchte Gedichte, herausgege | 

ben v. K. W. Kamler. 3 Th. 1785. 

5) Kleiſt, Ch. €. v., ſaͤmmtliche Werkea Th. 1782. 
56) Nicolai, 8% 9. v. vermiſchte Gedichte und 

| proſaiſche Schriften 7 Th. 1792 —.1795. 

37. Stolberg er he und Eht, Sedichte 1779. 


04 











- .ı — 


58) Maͤtthilon, Fr. a) Gedichte. N. A. 1797 
b) Narbtrag zu denfelben. 1799. zur 


59) Salis, 3. G.v. Gedichte 2e Aufl. 1794 


66) Weiße, eh. F. kleine lyriſche Gedichte 3 TH. 


1772. 


menfchliche Natur und ihre Entwickelung. 1 und 2 Th. 
1778. 

62) Tiedemann, D. Unterſuchungen über den 
Menfhen 1 — 3 Th. 1777 — 1778. 

63) Irwing, 8.5.9. Erfahrungen und Unten 
fuchungen über den Menfchen ı 4 B. 1772 — 1779. 

64) Ssder, J. G. 9. Unterfuchungen über den 
- menfchliden Willen, 2e verb. auf 1-4 Th. 1785 — 
1793. . 

65) Heydenreich, 8 N. » Syſtem der Aeſthe⸗ 
tif 1 Th. 1790. b) Pſychologiſche Entwickelung des 
Aberglaubens und ber damit. verfnüpften Schwärmereien. 
1798. c) Philofophie über die Leiden der Menfchheit 3 8. 
1797 — 1799. d) ‚Beiträge zur Kent des Geſchmackes. 
1798. J 

66) Jakob, 8. H. Srundeiß der Erfahrungsſee⸗ 
lenlehre. ze verm. A. 1800. 


67) Schmid, C. C. E. a) Empiriſche Hſychologie 


1Th. 2e v. Aufl. 1796. (vorzüglich lehrreich iſt die Ein- 
leitung.) b) Phyſi ologie, philoſ. behandelt 1798. 1799. 


ı und 2 ®. 


68) Platnen, Ernſt. 8 Neue Anthropologie für , 


Aerzte und Weltweife ı Th. 1790. b) Phil. Aphoris⸗ 
men ar Th. Ganz neue Aufl. 1800. 


69) Reimarus, H. ©. a) Allgemeine Serra 

tungen über die Triebe der Thiere, hauptſaͤchlich über ihre 

Kunfttriebe. Aufs neue Durchgefehen, mit inm. und einer 

Einleit. verm. v. 3.9 H. Reimarus, vierte Ausgabe: 
2 \ 


4 


61) Teten’ g, N. philoſophiſche Verfuche über die | 


1 
_ 


— 912. 
1798. b) Abhandlungen von den vornehmften Wahrs 
‚heiten der natürlichen Religion 6e U. 1791. ' | 
70) Mutf Helln©. vermiſchte Schriften 14°. 
1793 — 1798. 

71) Fichte, J. G. a) Einige Vorleſungen uͤber 
die Beſtimmung des Gelehrten 1794. b) Syſtem der 
Sittenlehre, nach den Prinzipien der Wiſſen ſchaftslehre 
1798. e) Die Beſtimmung des Menſchen 1800. (in dem 
Syſteme iſt vorzuͤglich die angewandte Moral und in der 
Beſtimmung der ze Abſchnitt lehrreich.). 


Mm) Ewald, ©. H. Ueber das menſchliche Herz, 
ein Beytrag jur Charakteriſtik der Menfchheit 3 Th. 1784- 


73) Maaß, J. G. € a) Berfuch über die Einbile 
dungskraft. Neue v. X. 1797. b) Grundriß ber allgem. 
und befondern Rhetorik 1798. | 


72) Meiners, Ch. Vermiſchte philoſophiſche 
.Schriften 3 Ch. 1775. Ä 

75) Weishaupt, U. Ueber bie Selbſikenntniß, 
ihre Hinderniſſe und Vortheile 1794. 


76) Hoffbauer, J E. Natutlehre der Seele, in 
Briefen 1796. 


77) Reinhold, C. L. Briefe uͤber die tantiſche 
Philoſophie ı und 2 B. 1790. 1793. (gehaltreich iſt vor⸗ 
zuͤglich der ıfle Band.) 

0,989) Forberg. a) Fragmente aus meinen Papie 

ren 1795. b) Refultate und. Erfahrungen 1 B. 1796. 
befonders die Abhandlung: über die Schwierigkeiten der 
Beobachtung ſeiner ſelbſt und Anderer. 


| 79) Ith, J. Verſuch einer Anthropologie oder Phi⸗ 
loſophie des Menſchen nach ſeinen korperlichen Anlagen. 
2 Th. 1794 und 1795. 
80) Reinhard, F. V. 2) Dom Werthe ber. Kleis 
nigfeiten in der Moral. Mit Zufägen bes Verf. aus d. 
- Kate mit Anmerk. von J. €. 3. Eck. N. A. 1799. b) Ueber 


J 


A246 





\ x , _ 213 , nn 
das Wunderbare und die Merwunderung, ein .Biychologis 

fcher Verſuch 1782. c) Ueber den Kleinigkeitsgeiſt in der 
Sittenlehre 1801. v* 


81) Eberhard, J. A. a) Vermiſchte Schriften 
1785. b) Reue vermiſchte Schriften 1783. c) Verſuch 
einer allgemeinen deutfchen Synonimik in einem kritiſch ' 
pbilofophrfchen Worterbuhe 1 — 5 Ch. 1795 — 1800. u 
. d) Neue Apologie des Sokrates 2° 2. ze Aufl. 1788: a 


92) Mülfer, Joh, Gefihichte fchtweigerifcher Eidge⸗ 
noſſenſchaften 4B. 1786. u. f. 


33) Juͤnger, J. F. a) Wilhelmine, € eine Geſchichte 
2 Th. 1795 und 1796. "b Srig, ein komifcher Roman 
6 Th. 1796 — 1800. c) Der Schein betrügt 2 Th. 
1787 — 1789. d) Huldreich Wurmfaamen von Wurm⸗ 
feld, ein komiſcher Roman’ 3 Th. 1781 und 1782. e) 
Romiſches Theater 3 ©. 1792. 1793: f) uftfpiele s Th. 
“7 35 — 1789. . 
7.84) Buͤſch, Erfahrungen 1 —4 * 1790 — 1794. 
(beſonders der ge Theil, der fein eigenes Leben enthält.) 
85) Schuͤtz, Eh. ©. Lehrbuch zur Bildung des Ver⸗ 
flandes und des Geſchmackes ı und 2 Th: 1776— 1778. - 
86) Wezels Verſuch uͤber die Kenntniß des Men⸗ 
ſchen ı und 2 Th. 1784 und 1785. 
87) Krug's a) Verfuch einer foftematifchen Ench⸗ 
clopädie der Wiſſenſchaften ı Bd. 1796. 2 B. 1797. b) 
Philoſophie ber Ehe 1300.. 
89) Manfo, a) die Kunſt zu lichen. Ein Lehrge⸗ 
dicht in 3 Gef. 1792. b) Vermiſchte Schriften 1u. 2 Th. 
1801. ur & 
go) Archenholz, J. W. v. a) Gefchichte des fir 
benjaͤhrigen Krieges in Teutſchland 2 Th. 1793. b) Re⸗ 
gierungsgeſchichte des ſchwediſchen Koͤnigs Guſtav's des J. 
2 Th. 1801. c) England und Italien. N. umg. Aufl. in 
58.1797. | —— 


om any — 


96) Ungen EX. a) Erſte Gründe einer Phyſto⸗ 
logie der eigentlichen thierifchen Natur chierifcher Korper, 
entworfen von x. 1771. 6b) Der Arzt. Eine mebi;. 
Bochenfchrift. N. 2. 1-6 Th. 1769. 


91 *) Jenifch. a) Philofophifch kritiſche Ver⸗ 
gleichung und Wuͤrdigung von 14 aͤltern und neuern 
Sprachen Europens 1796. b) Ueber den bisherigen Ein, 
fluß der griechiſchen und roͤmiſchen Schriftſteller auf neu 
europaͤiſche Geiftesbildung und über die niglich beſte Art | 
des Erudiume derfelben für den Geiſt des Zeitalters 1798. 
c) Geiſt und Charakter des achtzehnten Jahrhunderts,“ 
polit. 'moral, aͤſthet. und wiffenfch! betrachtet. 1 — 3 Th. 
1799 — 1300. d) Univerfalhiftorifcher Ueberblick der Ent⸗ 
wictelung des Menfchengefchlechtes als eines fich fortbil⸗ 

benden Ganzen in 2 B. 101: 


.B. Unter den Branzofen: 


. I) Rouffeau, J. J. a) Emile ou de l’education 
Paris I—6. 1794. deutfch von €. $. Cramer. 1789 — 
1791. b) du contrar focial ou principes du droit politi- 
que. Lpſ. 1796. d. v. J. Schram 1800. und in dem 
naͤml. Jahre auch zu Frankfurt am M.. c) Julie ou la 
‚nouvelle Heloife 4’ Tem. deutſch v. IePigue 1800. Au . 
die Mad. Mereau in Siena hat eine Ucberf. v. d. Werke 
angefündigt.) d) Confelkons 1 — 4 B. beutfch'v. Knigge 
1782 — 1790. e) Difcours {ur Porigine er les fondemens 


\ Lo 


) Unter den bier aufgezählten Werfen haben nicht alle 
Stellen nicht allein in den Gedichten, fondern auch in den 
.philofophifeden Werken, die in der Ueberfchrift dieſer Ab⸗ 
handlung angegebenen Eigenfchaften, altein ich weite fe 
wegen diefer einzeluen Mängel nicht gern ausichlieffen- 
Man muß daher ſelbſt beurtheilen, welche Stellen ‚odet 
Partien in einen. Wuche ſich durch Fälle der ‚Gedanfen 
and durch Geiſt auszeichnen Mir war es bloß um bie 
Angabe von Seriften diefer Art zu thus. 


% - N \ - 
de l’inegalit€ parmi les hommes, , ferner f. Brisfe an 
B’Alembert, an den Erzbifchof. von Paris, an Maleöher- 
bes und v. 


2) Montaigne, M.de, Eſſays. 3 Vol. in4. Lon- 
don 1724. beutſch v. Bode in 6 Bänden, der 7e enshäl 
ein Secregiſter 1793 — 1799. 


3) Monrefquieu. a) Eſprit des loix 1748. a 
deutſch gu Altenburg 1782. in 4 B. b) fur la caufe de 
- la grandeur et de la decadence des Romains 1734. c). 
- Letues perſanes 1721. 


| 4) d’Alembert. Melanges de literature, d’hifteire 
et de philofophie. Amfterdam 1759. in 5 Vol. in ı2. - 
In diefem Werke zeichnen fich vorzüglich aus: 1) difcours 
preliminaires’ zur Encyclopädie. 2) eflai fur les gens de 
lettres und 3) eflai fur les elements de philofophie ou 
{ur, les principes des conneiflances humaines. 


5) Diderot, a) les bijoux indifcrets, ein Roman 
in 2 Bänden. b) le fils naturel,; und le.pere de famille, 
beide Luftfpiele machen nebft einem Auffage über die dra⸗ 
matifche Kunft le theatre de Dideror 2 B. aus, bag 
Leffing in 2 B. Berlin 1781. überfeßt hat. c) la reli- 
gieufe 1797. deutfch von €. F. Cramer 1798. 4) Jac- 
ques le fatalifte et fon maitre 2 Vol. 1797. d. Berlin in - 
23.1792. e) eflai fur la peinture 1796. d. von €. $. 
Eramer 1797. f) eflai fur la vie de Seneque, deutſch 
von Epheu 1783. . 


.6) Barthelemy, J. J. ») Voyage du jenne Ana- 
charfis en Grece vers le milien du FVme fiecle avant l'ere 
vulgaire 7 Vol. in 8. Paris 1788. deutfch von Bieſter in 
7B. 1789 — 1793. b) Oeuvres diverfes, deutfch unter 
dem Zitel: B. vermifchte Schriften 2 Th. £pj. 1799. 


N la Bruyere, Les charadteres de T heophrafte 
et de la Bruyere. Avec des notes de M. Cofte. ı und _ 
2 Tom. Dresden. neuvelle ed, 1769. a‘ 


3 


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— 2116 —. 


8) Charron, de la fageffe 1662, beutfch von 
Moſche ısor. und auch in 2 Baͤnden v. L. Hübner 
1782. Muͤnchen in 8. 

9) Buffon. a) epoques de la nature 2 Vol, deutſch 
3 Th. Petersburg 1781. .b) hiſtoire naturelle ‘generale, 
deutſch. Berlin 1771. ın 7 Bänden. : 

10) Candorcet. Eſquiſſe d’un tableau hiftori- , 
que des progres de l’Efprit humain. ‚Paris 1795. deutſch 
von Poſſelt 1796. 

11) Raynal. Hiſtoire philoſophique et politique 
des erablifemens er du Commerce des Europeens dans 
les deux Indes. 1750. ju Genf in 5 Bänd. in 4. und in 
10 B. ın 8. deurfch ın zo Th. . ” 

“ 72) Helverius. a) de Vefprit 2T. 1759. beutfch 
giegnig 1787. b) de Homme, .de fes facultes intellec- 
tuelles et de fon edueation. Lond. 1773. 2 Vol. deuiſch 
Breslau 1788. 

13) Le Sage. a), niſtoire de Gilblas de Santilane. 
Nouvelle ed. Päris 1787. in 4 B. d. von Mylius.!N. N. 
1798. in 6 Th. BE) le diable boiteux, deuiſch Freyberg 
1-89. c) le Bachelier de Salamanque 1741, 2 Vol. de 
Win 1792. 2 Th. \ 

14) Bayle Di&ionaire hiftorique et critique, EA. 
des-Maizeaux. Amft. et Leyd. 1730. 4 T. in fol, deutfch, 
die pbilofophifchen Artikel von 8. H. Jakob, 2 B. 1797. 
die aͤſthetiſchen Artikel. Bremen. 

15) Pafcal. a) Mes penfees 1752. b) Letires - 
provinciales. . \ 

16) Condillac, a) Part de penfer, b) Eflay 
fr Vorigine des connaiffances humaines 1746. 2 T. d. 
N Hämann 1780. c),Traitd des fenfaiions 2 Tom. 

174 &. Wien 1792. v. Weißeger. d). Traite du com- 
wenn t J 
=" Defcartes, Opera omnia in 9 Tom. in 8. 





i 
J 
⸗ 


— 


18) Malebranche. Recherche:de la veritg. 
.2 Tom. in 4. Paris 1721. deutfch, Halle 1777 — 1781. 


in 4 B. v. J. Ph. Müller, Paalzow und Ulrich. 


19) Thomas. a) Eſſai fur le caractere et l'eſprit 


des femmes 1772. in 8.. b) Effai fur les eloges 1773. 
in 2 Bänden. 


20) Moliere. ) le Mifantrope. 0) l’Avare. 
€) ecole des femmes. *d) ecole des maris. e) le coca 
imaginaire. f) l’Amour medecin. g) le medecin malgre 


lui. h) le Tartuffe. i) George Dandin. k) les fem- 


zes favantes: - 1) le malade imaginame. m) les precieu- 
fes ridicules. Zu 

21) Corneille, (Pierre) a) le Cid. b) Jules 
Cefar. ce) Horace in f. Oeuvres. Berlin 1792 und.ı793. 
22) Boileau Dgipreaux.  Oeuvres. 12 ä Ber- 
lin 17385. 3- -Vol. T) Part poetique. 2) Satyres. 


23) Scarron. Roman eomique 2 Vol. in 12. 


_ Paris 1786. 


24) Pahw*), a) recherches philofophiques für Ies | 


‘ Egyptiens et les Chinois. Amſt. 1773. 2 Vol. deutfch v. 


Krünig in 2 B. 1774. b) Recherches philofophiques 
‘fur les Americains ou Memoires .intereflantes pour ſer- 
vir a l’hiftoire de l’Efpece humaine 2 Vol. deutſch. 1769. - 
in 2 B. c) Recherches philofophiques fur les Grecs. 
2 Tom. 1788: d. v. Villaume 1789. in 2 B. 


25) Voltaire. oeuvres complettes de V. Gotha. | 
72 Vol. Geine vorzuͤglichſten Werke find: a) fiecle de 


\ Louis XIV. b) hiftoire de ‚Charles XII. ec) Zadig. 


d) ingenu. e) Candide. . f) philofophie de Y'hikoire. . 
g) dictionaire philofophique. h) Micromegas, ) traitẽ 

de la Tolerance uůͤ. A. | u 
*) Diefer if zwar ein Deuticher (aus Kanten), fo wie - 
Roußeau ein Schweiger, aber da beide franzoͤſiſch fchries 


ben, fo babe ich fie unter Die franzöfiihen Sanifepelte 
gerechnet. 


Lear. c) Macbeth. d) Hamlet. e) Othello. . Man’ febe. 


C. Unter ben Englänbern: 


ı) Hume, Dävid, a) an Enquiry on human Un- 


‚derftanding,. überf. von Tennemann 1793. b) political 


difcourfes, überf. Koͤnigsberg 1800. c) on natural reli- 


gion, uͤberſ. von Schreiter. Leipzig 1783. (Alle dieſe engl. 
Abh. findet man in den: Eſſays and Treatiſes on ſeveral 


Subhjects 4 Vol. Bafıl. 1793.) O) Hiſtory of England 
from the Invaſion ‘of Julius Caefar to the reyolution in 


. 1688. 1778. 8 Vol. in 8. London. 


2) Shakeſpeare. 2) Julius Caefar. b) King 


feine Plays, accurately printed from the Text of Mr. 
Malone’s Ed. with ſelect and explanatory Notes in’7 Vol. 


Schlegel. | 
3) Milton.. Paraäife lofl, a poem in 12 Boecks. 


b. von Buͤrde 2 B. 1793. V 


4) Smith, Adam, a) Inquiry into the Näture and 
Caufes of the Wealth of Nations. 4 Vol. Baf. 1795. d. v. 
Garve und Doͤrrien. N.A. in 3. 1799. b) the theory 
of moral Sentiments. 2 Vol. Bal. 1793. d. v. Koſegarten 


in 2 B. 1791 und 1795. 


s) Gib bo n, Edw. the Hiftory of de Decline and 
Fall of the Roman Empire. 13 Vol. Baf. 1757. 1789. 
d. von Schreiter. (Dieſe Ueberfeßung aber iſt zum 
großen Bedauern aller Verchrer G. noch nicht vollendet.) 


6) Robertfon, Dr. W. a) Hiftory of the reign . | 


of Charles the V. 5 Vol. Baf:' 1788. b) the Hiftory 
of America. 4 Vol. c) the Hiftory of Scotland during 
the reigns of Queen Mary and King James VI, till his 


‚accefs into the Crown of England. 3 Vol. Bal. 1791. 


7) Gray, Elegy written in a country Church. yard. 


| ce Gotters Gedichte) nr Poems. 


.r 


‘1790. deutſch v. Efhenburgu und nochmals v. A. W. 


- 








. 


* 


\ 


rg. — 


9 Darwin. Zoonomia 2 Vol. in + beutfch von 
Brandig unter bem Titel: Zoonomie oder. Gefetie des or, 
ganifchen Lebens 1 — 4 Th. 1795. u. f. | 


9) Addifon und Steele. a) Spedtator. Eding- 


. 


burgh. 1766. in 8 Vol. in 8. d. von Benzler und Ram⸗ 


ler in 8 Bänden 1782 und 1783. b) The Tattler 4Vol. 
1754. _c) The Guardian 2 Vol. 1752. | 


10) Bolingbroke.‘ a) Differtation upon. Par- 


ties. London 1775. b) Letters on the ftudy and ufe of 


\ 


% 


hiftory. a new ed. 1788. Baſ. b. v. Vetterlein n2Th. 


179° | | | 
11) Chefterfield, Letters written by: Ch. to 


his fon Philip Stanhope Eſq. 4 Vol. 1778. in 3. deutſch, u 


Leipzig in 6 8. 1777, | nn 
12) Fielding, the Hiſtory of Tom Jones 


6 Th. 1786 — 1788. Bp}. 


‚ 13) Goldfmith. 3) The Vicar of Wakefield, ä 
Tale the ſixth ed. 1779. d. v. Bode 1777. ®pi. b) the 
Traveller, a Poem. c) the deferted Village, a Poem. 


14) Pope. a) Eſſay on eriticiſm 1709. d. von 
Eſchenburg in dem. Archive der Zeit. 1795. Aug. Sept, 


a. . 
foundling. London 1750. 4 Vol.- in 8. d. von Bode in 


und Det: b) Ode on St. Cecilia’s day 1708. c) Rape . 


of the Lock 1712. d) Temple of fame. e) Windfor- 
foreft 1713. f) Eflay on Man. g) Epiftle from Eliſa 
to Abelard. j I 


15) Ri chardfo n, the Hiftory of Clatiſſa Harlow 


8 Vol. Baf. 1792. und 1793. deutſch von 8. T. Koſegar⸗ 


seh in 8 DB. 1790 - 1793. pi. 
16) Smollet. a) the Adventures of Roderic Ran- 
dom. ‘2 Vol. Lond. 1793. in’ 22. d. von Mylius in 2B. 


1790. b) the Expedition: of Humphrey Clinker 2 Vol. 


in 12. Lond. 1794. d. von Bode in 38. 1785. c) the 
Adyentures of Peregrine Pickle. 4 Vol. Lond. in 12. 


1794. d. von Mylius in 4 B. N. A. 1789. d) the 


“ 


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— 20 — 


⸗ 


Adventures of Ferdinand Count: Fathom 2 Vol. it 12. 


N 


% 


“ moral philafophy 1786. vorzüglich die d. ueberſ. dieſes 


ſtanding. 18 Ausg. 1788. 2 Vol. d. v. Tennemann in 3 B. 


Lond. 1795. d. von Dertel 2 B. 1799: Lpzʒ. > 

17)Sterne, a) Life and Opinions "of Triftram 
Shandy. 2 Vol. Baß 1792. db: dv. Bode in 9 Th. oder 
3 DB. 20. A. 1776. Eing neue Ueberfegung iſt im Jahr 
1801. in 3 3. zu Leipzig erfchienen. b) Sentimental 
Journey through France and Italy by Yorik. Baf. 1792. 
d! v. Bode 4e Aufl. 1776. in 2 Bänden. c) Lettes, 

18) Swift 'a)a Tale ofa Tub. Written for the 
univerfal Improvement of mankind. Lond. 1734. deutſch, 
Zürich 1786. b) Trarels into feveral remote Nations 
of the World by Lemuel Gulliver. Lond. 1795: deutſch, 
Kopenhagen 1787. und auch im 5 und 6 6 Bande von 
Swif ts und Arbuthnots vorzüglichften profaifchen 
, Schriften. Lpz. 1799. , 

19) Thomfon. Sealons. Hamburg 1791. b. son. 
RR Shubartate, Aufl. 1796, u. dv. Harries 1796. 

20) Home. 6 Elements of Criticifm. 3 Vol, Baf. 
1795. d. v. Meinhard, Garve, Engel und Schaz. 
g3te Aufl. 1790 und 1791. in 3 33. Lpz. b) Sketches of 
the Hiftory of Man 4 Vol. Bat. 1796. Ky 


an) Shaftesbury. Charadteriftic of Men, Man. 


ners, Opinions, Times with a, Celledion of Letters. 


3 Vol. Baf. 1790. 0 


k 


22) Burke. Refle&ions on the [ublime and beau- | 


tiful. —— Garve 1773. 
23) Fergufon. a) an Eſſay on the Hiflory of 
eivil ‘fociety. Bal. 1786. d. Lpz. 1768. b) Inftitutes of 


Werke son © arve 1772. | \ 
24 Locke. a) Eflay concerning human Under- 


1795 — 1797. b) Same thoughts concerning education 


Lond. 1696, d. von Rudolphi ing Bande des Nevis 
fi onswertes H. v. Campe und Lpz. v. Ouvrier 1786. 








— 2211 — 


.' 25) Hartley. Obfervätions on”Man. Lönd. 1749. 
2 Vol. d. v. Piſtorius mit Anmerf. in 2 2. ‘1772. 
26) Blair, Lqctures on Rhetotic and Belles: Let- 
zres. 3 Vol. Baſ. 1788. » v. Schreiter in 4 Th. 1785 = 
1739. 
\ 27) Baco de Verulam. a) Novum organon Tcien- 
tiarum 1664. in fol. deutſch v. Bartoldy und mit An⸗ 


merk. von Maimon: 2%. 1793. b) de dignitate et 


augmentis feientiarum, libr. IX. ‚1664. in fol. uͤberſ von 
Pfingften. Peſt 1783. 


h 
2 ). Newton, philofophiae narurali prindipi ma; 
thematica. Lond. 1687. in’ 4. ru 


‚‚29), Harris. a). ‚Hermes or. a: ;philofophicäl In- 


guiry concerning language and univer falGrammar. Lond. 


1751. 3e Aufl. 1777. d. von Ewerbek. 1788. .b) Treatis 


ſes in f. Werfen, 1763. 2 Vol. in 8. 

30) Franklin, *), Moral and. political Eſſays. 
2 Val. d. unter. folg. Titel: Fleine' Schriften, meift in der 
Manier des Zuſchauers nebſt ſ. Leben aus d. Engl. von 
Schatz. 2 Th. 14 

31) Youn g, the Night- Thonghis. 4 Vol 1768. 
in {. Merken. deutfcd) von Ebert in 5 B. 

.32) Berkely, a) on the principles of human 
Knowledge. Lond. 1725. b) „Alsiphron. 1732. c) a 
new theory of Viffon 1709. d) Three dialogues between 


Hylas and Philönäs ete. 1713. d. von Blanfenbürg . 


“3781. unter dem Titel: 2. philo ſophiſche Werke. 
33) s teward, „James, Inquity into the principles 


of political Oeconomy, being-an Eſſay on the Science - 


of demeftic Policy in free Nations; in which are parti- 
eularly confidered Popülstion,, Agriculture, Trade, In- 
duftry,.Money, Coin, Intereft, Cireulation, Banks, Ex- 
ehange, public Credit and T axes. London 1767. 2 Th. 


Ift ein Nordamericaner. 


‘ 





— 


w 


| ferer Muͤndigkeit zu gebrauchen verſtehen. 


— 226 — 


⸗ 


muͤſſen wir fo wohl durch Schreiben als bdurch freies 


Reflektiren öfters wieberholen und ung jederzeit die 
Grunde angeben, warum etwas wahr. und wozu 
etwas nuͤtzlich, und in welchem Verhaͤltniſſe daffelbe 


befonders bedeutend und fruchtbar ift. 


Der dritte Weg, worauf wir Kenntniſſe erwers 


ben fonnen, ift das felbft eigene Beobachten ber 


äußern Natur und der Menfchen. Wir müflen ſtets 
von dem Borfaße belebt feyn, Feine Erfcheinung uns 


beobachtet und unergründet vor ung vorbeigehen zu ' 
- Saffen: wir müffen immer bereit und aufgelegt feyn, 


fie vollftändig und unverfälfcht aufzufaffen und ihrer 
Urfache und ihrer Abſicht nachzuſpuͤren. Nur dann 
erft fönnen wir ung einigermaßen unfers Dafenns fir 


werth halten, wenn wir über alles in und. aufer ung 


zu reflektiren und es als ein wirffames Mittel zu un⸗ 


Dieſe drei Arten, Stoffe einzuſammeln, müuͤſſ⸗ en 
wir haͤufig mit einander verbinden und wo die Eine 
nicht zureicht, die Andere zu Huͤlfe nehmen. ' Wir 


. - müffen leſen und zugleich dem Gelefenen Durch das 
Beobachten mehr Leben und Einbringlichfeie geben. 
Nach allen Richtungen hin muß unfer- Streben nach 
Kenntniſſen gerichter feyn: denn Mannichfaltigkeit 


erquickt unſer Gemuth. Durch Arbeit. kann der 
Menfch alles werben, wenn es nur. durch endliche 


Seife erreichbar ft. _ 


Wes he heißt ſchreiben ? Seine Gedanken in einem | 


natürlichen Zufammenhange und durch Gründe un« 


. 4 











Te 227 — 


2 


rerſfuͤtzt jur Aufklärung und Erläuterung, egend eines - 
Gegenſtandes oder zur Erzähling ‚von etwas. Ge 
fehehehen deutlich und beftimme fchrifelich vortragen. 
Der Inhalt einet Schrift foll nicht aus Meinungen 
beftehen, die ohne. Beweis hingeworfen ſind: keine 
Vorſtellungen ohne Inhalt; Feine Räfonnemenks 
ohne Gruͤndlichkeit, fondern Reihen von Gedanten, 
die wahr und tief geſchoͤpft, nach allen Seiten ver⸗ 
folgt, mit triftigen Gruͤnden unterſtuͤtzt und mit 
Deutlichkeit und Popularitaͤt vorgetragen worden, 
find das Ziel, wonach man bei feinen ſchriftlichen 


Anfjägen ſtreben muß. Das Schreiben ift das Ep ° 
periment, 06 man etwas gründlich und in feinem gan⸗ 


zen’ Umfang "weiß, oder ob man bloß an der Ober⸗ 
flaͤche deſſelben haͤngen geblieben iſt. | 


Wie gelangen wir nun zu der Geſchitichtet, 
unſere Gedanken in einer natuͤrlichen Ordnung, be⸗ 


ſtimmt und deutlich, folgerichtig und gründlich nie⸗ 


derzuſchreiben? Keine Geſchicklichkeit iſt angeboren, 
ſondern jede muß erworben werden. Sie iſt der 
Preis des Fleißes und der Anftrengung. Wenn wir 


uns einige Kenntniffe, ſey dies auf welche Art es 
- wolle, eingefammelt haben, fo müffen wir dieſelben 


öfters in einem fchriftlichen Auffage erneuern. Bei 


einer folchen Arbeit. müffen wir aber befonders dahin " 


ſehen, ob unfere Gedanken in einer lichtvollen Ord⸗ 
nung an einander gereiher find, ob ein Saß in den 
Andern eingreift und ob der Öegenftand, ben wir in 


Betrachtung zogen, durch .unfere Raͤſonnements u 
wirklich Aufklaͤrung erhalten hat: Unſere ſchrift⸗ 


lichen Ausarbeitungen moͤſſen von feichtem anfangen 
| P 2 


\ 


N . — 2285 — 


und zum Schwerern fortgehen. Das uns am ge⸗ 


naueſten Bekannte muß den Vorrang vor dem weni⸗ 
ger Bekannten erhalten und wir muͤſſen eher uͤber 
ſinnliche Gegenſtaͤnde unſere Gedanken niederzuſchrei⸗ 
ben gelernt haben, als wir unfern Weg. zu Betrach⸗ 
ungen intellektueller und moraliſcher Dinge nehmen. 
Wir müffen vorher über. das bloß Gehoͤrte und Ges 
fehene unfere Anfchauungen und Gedanken ſchriftlich 
aufzufegen geuͤbt feyn, ehe wir über daſſelbe Meflerios 
nen anftellen und ehe wir. ünfere geifligen Operatios 
nen in Betrachtung ziehen. Erzählungen des Ver⸗ 
nommenen, Befchreibungen des Geſehenen und Schil⸗ 
- derungen des Gefühlen müffen die erften Gegen: 
ftände unferer fehriftlichen Arbeiten feyn. ‘Briefe, 
Erzählungen‘, Naturbefchreibungen und Reifefchilde- 
- rungen find Das Seichtefte für unfere erften ſchriftlichen 
Aufſaͤtze. Bei dieſen Ausarbeitungen aber muͤſſen 
wir immer ſo ſchreiben, wie wir geſprochen haben 
wuͤrden, wenn wir jemanden, den wir wegen ſeines 


Verſtandes und wegen ſeines Charakters hochachten, 


Nachrichten von demjenigen, was wir erfahren 


haben, muͤndlich mitzutheilen haͤtten. Das Gefuͤhl 


iſt Hier ber beſte Fuͤhrer indem, was ſchicklich, rich⸗ 
tig und natuͤrlich iſt, weil es jetzt noch nicht auf Wahr⸗ 
heit, durch Reflexion gewonnen, ſondern auf Waprs 


heit, aus Anſchauungen geſchoͤpft, ankommt. Man 
muß alfo früher jchreiben lernen, tie man mif ver: 


ftändigen Leuten fpriht, als man zu fehreiben vers 
ſucht, wie man durch Nachdenfen geleitet für fi) 
raͤſonnirt. 

Der Uebergang von ſchriftlichen Ausarbeitungen 
‚des Geſehenen, Gehörten und „Gefühlsen zu felbft 











vr 


Pr) 


— 229 


erfundenen und ſelbſtgedachten Aufſaͤtzen kann vun | 
Die fchriftliche Wiederholung folcher Rafonnements, 

Die zugleich. mit Tharfachen vermifche find, gemacht 
werden, die wir in’irgend einem Buche gelefen haben. 


Wie fängt man es aber an, daß man das Belefene - \ 


treu und richtig, aber dod) auf feine eigene Art, dar⸗ 
ſtellt? Man faßt vorzüglich den Hauptgedanfen eines 
Buches oder eines Auffaßes ins Auge, bedient fich 
deſſelben als Führer auf feinem Gedankenwege, reiht 
die Nebenvorftellüngen nach "ihrer nähern oder fer⸗ 
nern Verwandtfchaft mit ihm an denfelben an, fiehe 
immer dabei auf die Abſicht, welche der ganzen Ars 
beit zum’Örunbe liegt, ob nämlich der Auffaß eine 
raſonnirende Erzäpfung, oder eine Belehrung durch 
bloße Keflerion oder eine Ermahnung zum Guten 
feyn‘ foll, vergleicht die Grunde in Anfehung ihrer 
größern_oder geringeren Wirkſamkeit zur Aufhellung 
des Ganzen und uͤberſchauet oͤfters reflektirend ſeine 
Gedanken, ob fie natuͤrlich, wahr , treffend und aus⸗ 
drucksvoll ſind. Hat man Auf dieſe Ark feine Arbeit 
geendigt, ſo lieſt man dieſelbe wieder durch, ver⸗ 
beſſert fo wohl den Styl als die Gedanken ſeines Auf⸗ 
ſatzes, prüft die Letztern nad) ihrer Richtigkeit und 
unterſucht, ob fle gehörig mil einander‘ verbunden 
- find, 'und zu dem beabfihtigten Zwecke hinwirken. 
Hierauf vergleiche man feine eigene Darftelung ber 
‚Gedanken eines Andern mit dem Originale, wo man . 
bald einfehen fernen wird, : wie gearbeitee werben 
muß, wo man gefehlt und warum man feine Abfiche 
niche erreicht bat. Nur zu häufig wird man alsdann 
gewahr werden, daf man huchklingende Worte für 
ausdrucksvolle Gedanken, mahleriſche Bilder für 


ee A 830 — 


"neue e Entdeduingen und Anfichten uͤber einen Gegen⸗ 


ſtand, und das Unnatürfiche fly das Natürliche ger 


waͤhlt hat. Dieſe Einſicht in das Diangelhafte muß 


uns deſto aufmerkſamer auf uns machen, jemehr wir 
uns im: Schwülſtigen gefallen, ſo lange uns Fertig⸗ 
keit im Denken, Erfahrung und Kenntniffe abgehen. 


Die Jugend fpielt in ihren Arbeiten mit Praͤdi⸗ 


Lkaten, welche fie von allen. Feldern zuſammenlieſt; 

‚ber denkende Mann hingegen foͤdert Gedanken zu 
\ age ‚ die er durch Energie und Scharfſi nn. bildet: 
iene (die Prädikate) Taffen fich leichter auswendig ler⸗ 
‚nen und im Gedaͤchtniſſe aufbewahren ‚als dieſe, 


welche Produkte der geiſtigen Selbſtihaͤtigkeit ſind. 
Nuͤchternheit in der Darſtellung der Ideen iſt ein 


Merkzeichen eines originellen Geiſtes, dahingegen 


das Schwuͤlſtige, Ueberladene und Unngtuͤrliche in 
derſelben Armuth an Gedanfen verräth. , Dasjenige,. 


was uns an einem Schriftfteller, 5 Ban W teland, 


Goethe, Kant (in fr früheren Schriften) als leicht 
vorkommt, iſt die Frucht des reiflichſten und ange⸗ 
ſtrengteſten Nachdenkens eines ſchoͤpferiſchen Geiſtes. 


Dieſes Gefuͤhl der Leichtigkeit im Nachmachen ruͤhrt 


— 


von den der Natur gemäßen Aeußerungen in- ihren 


Schriften her und wir find alsdann geneigt, ‚Dass 


jenige, mas uns behaglich vorkommt, für einen feicht 
u hervorzubringenden Gegenſtand zu halten,. ob 'es 


gleich das Schwerfte ift, weil ſchon die Natur, ‚mit 


’ dem Babe: in uns durch rege in, Sinflang geſetzt 
nn Von muß. 1*Ñ 


Eine ſchwerere Art ſchriftlicher Yücarbeitungen 


find Abpanblüngen über r Gegenſande, bie nicht ge⸗ 











— 231 - 


mahlt oder geſchildert ſeyn wollen, und. wobei man 
nicht mie Bildern ggisreicht, fondern über welche bloß . 
vefleftiee werden muß; Die gar Feine Tharfachen ents 
halten, föndern die bloß durch Raͤſonnements in ihr 
gehoͤriges Sicht gefeße werden Fonnen. Zum Refleftis | 
ren gehört_ein hoher, Grad von Selbfithätigfeit, 
welche mit den Vorſtellungen nach Belieben ſchaltet. 

Zu dieſer Art von Ausarbeitungen find viele Kennt 
niſſe und Selbſtdenken noͤthig, wir müffen daher: 
ſchon eine. äroße Fertigkeit in andern jchriftlihen Ars 
beiten erlangt haben, ehe wir zu bloß räfonnirenden 
Auffägen übergehen. Wir duͤrfen uns bei Feiner Are 
von Beiftesübuhg uͤbereilen: denn basjerige, wozu 
wir gar feine Hoffnung haben, daß es uns bei aller. 
uns möglichen Anftvengung gelingen werde, flößt ung ' 
fonft Unluft an alfen Geiſtesarbeiten ein und iſt das 
Grab unferer Freiheit. | 
P 2 
Wwie muſſ en wir aber bei ſelbſteigenen ſchrift⸗ 
lichen Ausarbeitungen verfahren, welche Denkuͤbun⸗ = 
gen fenn und zugleich zur Wahrheit führen follen? 


‚ . Das Erſte, was wir. thun müffen, ift, daß wir den -.. 
zu..bearbeitenden Gegenftand genau -unterfuchen, ihn 


in feine Beſtandtheile auflöfen, fein Verhaͤltniß zu 
andern und feine Verbindung und feine Verwand⸗ 
[haft mit andern’ uns ſchon genauer befannten Din« 
gen betrachten, und alles ſelbſt durchzudenfen vers 
ſuchen, ſo viele Mühe es ung auch koften mag, um _ 
"eine umfaffende Ueberſicht über die Materie, diewir 
bearbeigen wollen, zu erhalten. Sefture und Beob⸗ 
achtungen leiften uns hierbei gute Dienſte. 


@ 
« 


— 232 — 


2) Miüffen wir die Bedeutung und den Inhalt 


= ber Worte, in welchen die zu en Aufgabe . 


abgefaßt ift, richtig und genau beſtimmen, um zu ers 
fopren, „ was fie enthält und welche Abſicht ſie hat. 


3) Muͤſſen wir uns eine Hauptidee von dem, 
was wir bearbeiten und ausfuͤhren wollen, machen, 
dieſelbe beſonders herausheben und fie ums tief eins 
prägen, um fie als, Zuhrer auf dem Pfade, den wir 
berreten wollen, braudyen zu koͤnnen. 


| 4). Müffen wir- nunmehro ſolche Vorſtellungen 


aufſuchen, die in einer nahen Verwandſchaft mit 
dieſem Hauptgedanken ſtehen und die als Theile von 


ihm angeſehen werden koͤnnen, um unſern Geſichts⸗ 


kreis zu erweitern und den Gegenſtand vollſtaͤndiger 


u bearbeiten. Ä 


5) ‚Müfen wir unfere Gedanken gehoͤrig ord⸗ 


nen, und alles genau uͤberlegen, wie wir dieſelben 


ſtellen wollen und in welcher Ordnung ſie auf einander 
folgen ſollen, damit wie nicht etwas früher anführen 


als e8 gefagt werden darf, und ung 10 nachhere wiedere , 


bolen. 


69) ©o bald mir uns einen Gegenſtand zur 
ſchriftlichen Bearbeitung ausgefucht haben, jo muͤſſen 


wwir ung die Haupt» und Mebenideen mit wenigen 


Worten anmerken und eine Sfiße von denfelben ent⸗ 

werfen, Die aber nicht allzu lang ſeyn darf, wenn fie 

uns nicht beim nachherigen. Ausarbeiten ſtoͤren und 
verwirren ſoll. 





. — 123 — 


Mm Jeder Saß, ben die Sfiße enehäfe ‚.muß 
beftimme und deutlih ausgedruͤckt, wirklich von dem 
Andern verſchieden ſeyn und zur Sache als ein Theil 
zum Ganzen gehoͤren. Dieſen kurzen Entwurf von, 
einer Sache müffen wir genau prüfen, ob er den Ge. 
genftand erfchöpft und ob er ihn in das richrige Licht 
ſtellt. In dee Verbindung der einzelnen Sage muß 
gine natürliche. Orbnung berrfchen, jeder muß ber 
Naͤchſte von dem Vorhergehenden feyn und jeder muß 
jur Erläuterung und zur. Aufhellung des Ganzen 
dienen. 


8). Au⸗ Behauptungen, die wir aufftelen, 
müflen in einander eingreifen und ſich in förmliche 
Schluͤſſe auflöfen laſſen, die der Schriftfteller zwar 
nicht ſelbſt zu machen braucht, die aber doch der Leſer 
als Wahrheiteerobe nachmachen koͤnnen muß. | " 
99) Muſſen wir uns vor Spruͤngen in unſern 
Raͤſonnements huͤten und Acht geben, daß wir nicht 
etwas aus Vorderſaͤtzen folgern, was ſich nicht aus 
ihnen weder mittelbar noch unmittelbar herleiten laͤßt. 


10) Die Geſetze des Denkens und Erkennens 
muͤſſen von uns ſtets ſorgfaͤltig beobachtet und auch 
ihr Unterſchied darf von uns nicht aus den Augen ge⸗ 
ſetzt werden: wir duͤrfen weder Ungereimtheiten ver⸗ 
binden, noch von der bloßen Denkbarkeit eines Din⸗ 
ges auf ſein Daſeyn ſchließen noch uͤberhaupt "über 
die. Grenzen alles menichlichen Erfennens hinaus 
fchweifen,, ‘welches, wenn es die von uns verſchiede⸗ 
nen Gegenſtaͤnde betrift und nicht die bloßen Denk, 


En 234 ze 
Formen, Erkenntnißgeſehze und das Wille nsgeſeh a an⸗ 
geht , durch Raum und Zeit beſchraͤnkt iſt. 


1), Mien wir ſtets bemuͤht ſeyn, dafuͤr zu 
ſorgen, daß ſich die Gedanken, die wir niederſchrei⸗ 
ben, als Produkte unferer eigenen Anſicht eines Ge⸗ 
genſtandes bewaͤhren: nie duͤrfen fie das Gepraͤge 
Anderer, ſondern fie müuͤffen die Eigenthuͤmlichkeiten 
unſerer Vorſtellungsart an ſich tragen. Wir müffen 
. ung ſtets ſelbſt zu denken angelegen ſeyn laſſen wenn 
wir auch keine originellen Denker ſeyn ſollten: denn 
das originelle Denken koͤnnen wir ung nicht geben, 
aber wohl find wir im Stande, uns zum Selbfiden- 
‚ten auszubilden; „jenes feßt Genie voraus, das ein 
Geſchenk der Natur If, dieſes hingegen erfödere bloß 

Fleiß, Anſtrengung und.ben guten Willen, auf eige⸗ 
nen Fuͤhen zu geben, - = 


13) Freimuͤthigkeit y d.h. die Mußerungen uns 
ſerer Meinungen und Gefinnungen muͤſſen fo befchafs 
fen fen, als’ wären wir niemand beshalb- verants 
wortlich als uns ſelbſt, muß jedepzeit unfere Gedan⸗ 
kendarſtellung charakteriſiren, weil wir nur auf dieſe 
Art zur Wabrheit zu gelangen Hoffnung haben. Ä 


13) Muͤſſen wir unſere ſchriftlichen Abeiten 
oͤfters wieder durchſehen und dieſelben von neuem 
pruͤfen: denn wie leicht kann es der Fall ſeyn, daß 
wir eine Seite des uns zum Nachdenken gewaͤhlten 
Gegenſtandes uͤberſehen, die weſentlich zur Sache ge⸗ 
hoͤrt, oder daß wir einen Punkt deſſelben nicht ſo ins 
icht geſtellt Haben, als es nothwendig und nützlich 


‘ . 





x 


Dieſes Duchehen aber muß: zu verſchiedenen 
Zeiten geſchehen und es muß jedesmal ein nicht unbe⸗ 
traͤchtlicher Zeitraum verſtrichen ſeyn, ehe wir dieſe 
Ueberarbeitung unſerer Gedanken nochmals überneh« 


men, damit wir neue Einſichten dazu mitbringen und 


bamig uns der Gegenſtand in einiger Ferne erſcheint 
und ung etwas fremb worden ift, weil wir alsdann 
leichter Luͤcken und Mängel an unſern Raͤſornnements 
gewahr werden, die uns vorhero nicht bemerkbar 
waren: große Naͤhe iſt zu einer genauen und vollſtaͤn⸗ 
digen Kenntniß der Gegenftände eben fo wenig vor⸗ 
theilhaft als große Entfernung: Uebrigens verwans 
delt der Menfch die Dinge mit fih, er muß daher 


feine: Arbeit auch unter verfchiedenen Unnftänden . 


durchgehen, wenn er ihr das Eiegel der Bollfomimens... 
heit aufdruͤcken will, welches. nur Dadurch gefihehen.. 


kann, daß er ausdem Strome bes Wandelbaren und — 


Veraͤnderlichen das Nothwendige und Algemeine in 
den m Dingen aufbaſcht. —— 


19 Zur Erleichterung unſerer ſchriftlichen Aus⸗ 
arbeitungen iſt eine große. Kenntniß der Sprache 
noͤthig, in welcher. wir unſere Gedanken niederſchrei⸗ 
ben. Die Ausdrücke muͤſſen fo gleich die Ideen, die 
wir durch Selbſtthaͤtigkeit hervorbringen, auffaflen, 

und die Worse muͤſſen fo gleich.die flüchtigen Gefühle 
erhäfchen, die kaum geboren wiederum: verfehwinden, 
ſo bald fie nicht in der Geburt aufgefangen werden.” 
Eine vollkommene Kenntniß einer Sprache aber er⸗ 
wirbt man ſich durch das Leſen, Sprechen und 
Schreiben: dieſe Drei Wege dev Erlernung betfelben | 
müflen wir gu gleicher Zeit cinſchlagen/ wenn ünſer 


Ä 260. . 
Bemühen allen jenen-Nußen haben foll, den twin 
davon erwarten. . Die Dichter, welche die Natur 


und ben Zuſtand unfers. Geiftes fehildern und die Ppis 
loſophen , die unfern ganzen Gemüchszuftand zerglies 


" bern und eine Wefhreibung unferer geiftigen Beſitzun⸗ 


egen liefern, find eine reiche Fundgrube zur Vermeh⸗ 
>, zung unferer Sprachtenntniß. | 


15) Dasjenige; was wie gefchrichen Gaben, 
müffen wir uns öfters lauf vorfefen ‚.um fo wohl.den 
Styl als die Gedanken zu prüfen, um zu feben, ab 
jener Eorreft und.der Sache angemefjen ift, und ob. 
biefe wahr, praͤcis, deutlich und folgerichtig fi nd. 
Durch das Gehör laden wir-den Verſtand zu einer 
‚neuen angeſtrengtern Prüfung ein und er entdeckt 
durch laute Töne aufmerkſam gemacht, öfters Fehler, 
die demjelben beim ftillen Leſen entwilcht waren. - -; 





Die erſten fchriftlihen Abhandlungen, welche . 
wir zur Uebung unferer Denkkraft ausarbeiten, duͤr⸗ 
fen nicht allzu lang ſeyn, damit wir unfern Geift 
niche auf: einmal zu fehr ermüben, imnter das 
Ganze zu überfehen im Stande find, und defto 


leichter das Fehlende, Ueberfluͤſſige und Unzweck⸗ 


‚mäßige an unſerer Arbeit bemerken koͤmen. Die 
Zeit reife Früchte und auch unſere Denkkraft erlangt 
mit der Zeit und durch Uebung ‚Stärke und Aus⸗ 
dauer, und wir koͤnnen und muͤſſen alsdann Arbeiten . 
verſuchen, Die einen kängern Athem, mannichfaltigere 
Kenntnifle und einen größern Kräfteaufwand erfodern. 


y . 
\ 





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⸗ 


7 237 — 

Alles alſo, uͤber welches wir ſchreiben wollen, muß 
vorhero ſorgfaͤltig durchdacht, deutlich und beſtimmt 
vorgeſtellt, gehoͤrig eingetheilt und geordnet, die 
groͤßere oder geringere Wichtigkeit eines Theiles zum 
Ganzen und das Verhaͤltniß des Letztern zu andern 
Dingen genau unterſucht worden ſeyn, ehe wir 
daſſelbe zu Papier bringen. Und wenn etwas nicht 
das Erſtemal nach Wunſch gelingt, fo. muͤſſen wir 


daſſelbe mehrmals verſuchen. Wir duͤrfen niemals 


die Miüpe fcheuen, einen Gegenftand mehr als eine 
mal zu bearbeiten. Diefe Wiederholung lohnt reich⸗ 
lic) und wir gewinnen durch fie fo wohl an Einfichten 
als an Selbftftändigfeie der Denffraft und der end; 
liche gluͤckliche Erfolg floͤßt ung auch Muth zu neuen 

noch ſchwierigern Arbeiten ein. J 





XIV. Capitel. 


ueber einige andere Huͤlfsmittel zum Den 


‚tenlernen. oo 


] 





Das ganze Daſeyn des Mienfchen auf diefer Erde 
ift eine Erziehungsperiode, wie es vielleicht auch mit 

den zufünftigen Perioden unferer unendlichen Forts 
dauer der Fall feyn wird, weil das Unenbliche in ung. 
ſtets mie dem Endlichen zu fämpfen haben‘ und 
daſſelbe doch nie gaͤnzlich befiegen wird. Alles, was 
ift, muß daher. der Menſch zur Beföderung feines 
 tebenszwedes als Miftel anfehen, außer den. Men« 
ſchen ſelbſt, der als Perſon beilis und unverletzlich 


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— 


— 236 J 


is und niemals in das Sachenreich geworfen werden 
“darf: und wenn er alle Mittel, die er zu ſeiner Ver⸗ 
ſtandesbildung ergreift, zweckmaͤßig benutzt, fo wird 
er ſeine Denkkraft, wenn ſie einmol zur Selbſtthaͤkig⸗ 
keit erwacht ift, eben fo wenig wieder in Schlummer 
‚wiegen koͤnnen, als er jegt etwas mit offenen Augen 
nicht fehen will... Der Berfiand und die Vernunft 
. find die Augen der Denkkraft, deren Vollkommenheit 
eben fd gut durch oͤftern und zwar abfichtlichen Ge⸗ 
brauch erhöht werden kann, als irgend ein Fürper- 
liches Organ durch Uebung eine größere Fertigkeit ers 
Hält, als es von Natur beſitzt. | ' 
Welche Mittel find. denn aber außer den fchon 
Aungefuͤhrten noch befonders zur Kultur der Denkkraft 
tauglih? Wenn fi) die menichlichen Kräfte öfters 
an einander reiben, und durch Streit und Kampf zur 
Thaͤtigkeit aufgefobert werden, ſo erwacht ein Wett⸗ 
eifer unter den Menſchen, der Luſt und Liebe zur 
Ausdauer im Denken und Handeln einfloͤßt. und Der 
ſie eben ſo ſehr zur Einſammlung von Kenntniß an⸗ 
treibt, als er ihre Kräfte vervollkommt. Das ges 


ſellſchaftliche Leben iſt daher ein kraͤftiges Reizmittel 


für den Geiſt, es reißt ihn auch wider, Willen von 
feiner. Trägheit los," und treibt ihn. zu felbfteigenen 
Verſuchen an. In Gefellichaften aber müffen wir 


— vorzůglich den Umgang mit denkenden und geiſt⸗ 


reichen Maͤnnern aufſuchen, die durch ihre treffende 
Bemerkungen und originelle Gedanken Feuerfunken in 
unſre Seele werfen und jenen Ehrgeiz in uns entſtam⸗ 
men, nicht hinter ihnen zurudbleiben zu wollen, ſon⸗ 
dern ihnen gleich zu kommen. Alle unſere Kraͤfte 








- rg * 


werden rege und ‚unfere Aufmerkfamfeie iſt gefpannt, 
-wenn sie fühne‘ oder neue Gedanken hören; wir‘ 
ſuchen fie erftlich zu begreifen und aledann entiveder | 
zu. widerlegen, oder in. unfern Ideenvorrath aufzu⸗ 
nehmen, je nachdem ſie uns gegruͤndet oder unge⸗ 
gründet zu ſeyn feheinen. »Die Geiſtesfunken, die in 
Geſellſchaften ſpruͤhen, feßen alles in Bewegung und 
ſind ein treffliches Ermunterungsmittel zum Erwachen 

and zur Vervollkommnung ungeuͤbter Kräfte: wir 
pruͤfen, ſtreiten, billigen, verwerfen, ſinnen auf 
neue Einwuͤrfe, erregen Zweifel und was ſind die 
Fruͤchte von dieſen Kämpfen? Freiheit und Self 
thaͤtigkeit fi il nd der Lohn unferer Anftrengung. 


Der Menſch kann nicht alles durch ſich eis 
und auf einmaf wiſſen. In Geſellſchaften vernimmt 
er nach und nach Meinungen, die ihm Hinweiſung 
zur Entdeckung einer ihm unbefannten Welt geben 
und bie einen Lichtfunfen in ihn werfen, der von ihm .. 
genähre nachmals fein ganzes inneres erhellet. Er 
erfähre alles zu verfchiedenen Zeiten und in feiner 
foftematifchen Ordnung; er fann daher alles ruhiger 
und bedachefamer überlegen und durchdenfen, und 
ihn. ſchrecken nicht die Feſſeln eines Syſtemes vom 
. Unterfuchen und Ergründen des Gehören ab. : Sein 
Geiſt fann fi) frei beraegen und hinwenden, wo er 
hin will. Allenthalben findet er in Menge eine. 
ſchmackhafte und für ihn paſſende Nahrung und-fann 
ſich daran eben fo gut ſtaͤrken als belehren. Wir 
ſollten daher in unſern Geſellſchaften. mehr uͤber Mei⸗ 
nungen ſtreiten als es bis jetzt noch der Fall iſt, weil 
site mehr ung zur Thaͤtigkeit aufmuntert, und uns 


‚245 — 


‚zugleich in ben Augen Anderer Ehre und Beifall er: 


wirbt, als gefellfchaftliche mit Kenntniß und Witz 


durchgeführte Difpüte.- Gedankenfämpfe find das 


Elemente, wo die Kultur des Menfchen vorzüglich ges 


deiht, fie find die Uebungsfchule, wo fein Geift mins 


‚dig wird. Und was hilft ihm eine Vertraͤglichkeit, 


die ihn ewig in Ohnmacht und Unmünbigfeit erhaͤlt? 


. - 


Wer eine große Fertigkeit im Denken erlangen will, 


muß Andere dfters Fühn zum Difpuriren Geransa 


fodern, nichts auf Treu und Glauben annehmen, die 


ſchwachen Seiten einer Behauptung angreifen, Er» 


klaͤrung über das Dunkle und Zweideutige fodern, 
und ſcheinbar Zweifelsgruͤnde ſelbſt gegen die ein⸗ 


| leuchtendeſten Wahrheiten aufſuchen. Allein dieſe 


geſellſchaftlichen Streite uͤber Meinungen duͤrfen 
weder in Beleidigungen ausarten, noch uns an eine 
Art von Rechthaberei gewöhnen, welche das Berders 
ben unferer Geiſtesfreiheit ift, ſondern fie. münfen ung 
als unfchuldige Mittel zur Belebung und wur Ausbile 


u bung unferer Denffraft dienen. 


In Gefelſſchaften treffen wir Meiſchen von un⸗ 
gleichen Kenntniſſen und Einſichten und von un⸗ 


gleichen Talenten an. Dies Gewahrwerden macht 
uns nicht etwa muthlos, wenn die Natur ſelbſt etwas 

ſparſam in Austheilung ihrer. Gaben gegen ung ge 
weſen iſt, ſondern floͤßt uns vielmehr Luſt und Muth 
ein, jenen hervorragenden Geiftern nachzuſtreben, 
. weil’ wir wiſſen, daß fie alles auch durch Uebung und 
| Arbeit: worden find, was fie find: Wer ſich oft an 
Andern reibt, wird ſcharf, und mer fich ofe mit Andern 


unterhält, wird Plug und gewitzigt. Nichts ſchaͤrft 





— — ———— — — — — — — 











t . nn 241: —— ” 


N \ > 


unfere Xufmerffamfeit mehr und gewöhnt unſern 


Geiſt mehr an Nachdenken als eine geſellſchaftliche 
Unterhaltung, wo man nicht jeden Augenblick von 
einem Gegenſtande zum Andern uͤberſpringt, ſondern 
ein einziges Objekt nach allen Richtungen durch Fra⸗ 
‚gen, Zergliedern und” Zweifeln verfolgt, Ueber— 
ha«upt follte alles unſer Beſtreben ftets dahin geben, 


‚mehr geiftig ehätig zu ſeyn, als es bisjeßenoc) det 


Fall ift, - weil der Menfch doch durch ein geiftiges 
Leben Werth erhält. Sterben wir auch bei foldhen 


S 


N 


Anftrengungen einige Sabre früher, (wenn dies wirk⸗ 


lich der Fall ſeyn ſollte, woran aber ſehr zu zweifeln ” 


ift, weil das Geiftige koͤrperliche Maſſen verjuͤngt) 
was buͤßen wir denn ein? Iſt denn dies Wandeln im 
- Etaube jo angenehm und find denn die Freuden, bie 


die Zeit reift, fo juß und Dauerhaft? Wer geiftig viel. . 


lebt, darf ſich nicht über eine kurze Lebensdauer bes 
fehweren; er hat genug gelebt, wenn ihn auch der 


Tod in,der Bluͤthe feiner Jahre mwegraffen follte, 


Vieler Kampf gewährt vielen Sieg und viele Siege 
geben viele Gefchicklichfeit im Denen. Selbſt die 


Niederlagen im Dijputiren find. Aufmunterungen zu 


neuen Kriegen, well fie nicht durch den Anblick von 


Ungerechtigfeiten verbittert werden Es ſollten 


Kamofſchulen im Denken angelegt werden, wie man 


jeßt Unterricht in Fechtſchulen zu koͤrperlichen Uebun | 


gen giebt. N 


Tätige ſtect an wie Traͤgheit. & " daher 


ein Ungluͤck, wenn junge Leute oͤfters mit ſchlaͤfrigen “ 


und unthätigen Menfcyen Umgang haben; fie werden 
von biefem Geiſtesſchlafe erhal, ehe fie 1“ daſſelbe 
Er» 


Kunſt in denken. 


\ 


I | 
. “4% Tœ 


vermuthen und es koſtet ihnen viel⸗ Anſtrengungen, 


wenn ſie ſich ja nachmals von dieſen Feſſeln wieder 
befreien wollen. Oefters beſtimmt ſchon bie Kinder⸗ 
waͤrterin das geiſtige Schickſal eines Kindes: leben⸗ 
dige und geſchaͤftige Waͤrterinnen floͤßen ihrem Pfleg⸗ 
linge ſelbſt Leben und Thaͤtigkeit ein. Man muß be 
fonders, fo lange ung noch die Jugend laͤchelt, feu⸗ 
rige und fühne Geſellſchafter aufſuchen, um durch 
ihr Beiſpiel zum Wirken und Handeln aufgefodert 
und durch daſſelbe an eine ſtets regſame Tbaͤtigkeit 
gewohnt zu werden. 


Ein anderes ſehr wirkſames Mittel, ſich zum 
Selbſtdenken zu erziehen, iſt die in einem Staate 
herrſchende Freiheit im Denken und Schreiben. Frei⸗ 
muͤthige Aeußerungen, die wir von Andern verneh⸗ 


men, oder die wir ſelbſt thun, find das Salz, Das 


unfern Geift vor der Schlafſucht bewahrt. . Freiheit 
ft das Element der Tugend und Freimüthigfeir, 
die Bafis des Selbſtdenkens. Wenn wir Andern 
unfere Gedanken, Meinungen und Anfichten über 


die Menfchen und die Dinge mittheilen, fo wollen wir 


Dadurch erfahren, was fie baruber denfen und ob 


. wir auf dem Wege zur Wahrheit find. Ueber ftreis 


tige Gegenſtaͤnde entfpinnt fih ein Kampf, der beis 
den Parteien vortheilhaft iſt. Wechfei,.:tige Erörtes 
tungen verfcheuchen Das Einfeitige in der Denkart und 
votten die Unduldſamkeit des Charakters, die feinen 
Widerfpruch vertragen kann, aus. Während ſolcher 
Gedanfenmitsheilungen fegen wir alle unfere Geiftes- 





Feäfte in Thaͤtigkãt; dasjenige, ‚ was uns nicht mit 


dem Rechte odersmit ber Wahrheit übereinzuftimmen 
ſcheint, ſuchen wir zu widerlegen und dieſes Wider⸗ 
legen iſt nichts anders als ein Sinnen und Trachten 
nach Gruͤnden, Das unſern Geiſt in einer ſteten Thaͤ⸗ 
tigkeit erhaͤlt und demſelben größere Vollkommenhei⸗ 


ten verſchaft. In Staaten ‚ wo man feine Gefahr 


wegen feiner. Meinungen zu beforgen hat, wenn man 
fie öffentlich äußert, gedeiht Daher vorzüglich dag gei« 
flige Große und: die moraliihe Güte, weil ber 


Menſch jagen und thun fann, was er will und was. 


er vor feinem Gewiſſen verantworten fann. 


. Die Regenten thun daher nicht wohl, daß fie 
die Denk s.und Schreibfreipeit einſchraͤnken oder 


gaͤnzlich unterdruͤcken. Sie rauben der Menſch⸗ 


heit dadurch, ein ſehr wirkſames Mittel, muͤn⸗ 
dig zu werden, und pflanzen, vielleicht wider ihren 


Willen, Aberglauben Unglauben und Irrthuͤmer 


fort, die dürch freie oͤffentliche Eroͤrterungen gar bald 
verſcheucht werden wuͤrden. Aeußerungen von ‚ges. 
wöhnlichen oder vom Staate in Echuß genommenen 
Meinungen machen entweder gar feinen Eindruck auf 
uns, oder dieſer iſt doch fo leife, daß er bald’ wieder 


verwifcht wird und alſo ohne Gewinn für unjere geis 


ſtige Ausbildung ift: ungewöhnliche und breufte Bes 
hauptungen hingegen graben fich tief in unſerm Ge⸗ 


muͤth ein und zwingen uns zur Thaͤtig keit ‚ fo wenig 


wir auch Öfters geneigt dazu ſeyn mögen. Die Men 
fen muͤſſen frei ipre Gedanken aͤußern koͤnnen, 


wenn ihr Streben nach Kultur gelingen ſoll, und 
wenn ſie endlich einmal von der ſchmaͤhlichen Unmuͤn⸗ 
> 


0. Y 
S 4 


FE 
. 


‘® 


—, 232 — 


2) Mien n wir die Bedeutung und dem neInhele 


Worte, in welchen die zu In Yang Aufgabe Ä 


abgefaßt ift, richtig und’ genau beſtimmen, um zu ers 


fapren, „was fi fie enspäle und welche Abſicht ſie bar. 


3) Muͤſſen wir uns eine Hauptidee von dem, 
was wir bearbeiten und ausfuͤhren wollen, machen, 


dieſelbe beſonders herausheben und ſie uns tief ein⸗ 


praͤgen, um fie als, Fuͤhrer auf dem Pfade, den wie 


betreten wollen, brauchen zu koͤnnen. 


45 Müffen n wir: nunmehro for (de Vorftellungen 
aufſuchen, die in einer nahen Verwandſchaft mit 


dieſem Hauptgedanken ſtehen und die als Theile von 
ihm angeſehen werden koͤnnen, um unſern Geſichts⸗ 


Preis zu erweitern und den Gegenſtand vollſtaͤndiger 


u bearbeiten. Ä 


5), Müfen wir’ unſere Grdanten gehörig Orb» 
nen, und alles genau überlegen, wie wir Diefelben . 


ſtellen wollen und in welcher Ordnung fie auf einander 
+ folgen foller, damit wir nicht etwas früher anführen 


als es geſagt werden darf, und ung nachbero wieder⸗ 
holen. rn ae 


6) & baid wir uns einen egenſtand zur 


ſchriftlichen Bearbeitung ausgeſucht haben, ſo muͤſſen 
‚wir ung die Haupt⸗ und Nebenideen mit wenigen 


Worten anmerken und eine Sfiße von denfelben ents 
werfen, . die aber nicht allzu lang feyn darf, wenn fie 


"uns nicht beim nachherigen. Ausarbeiten flören und 
vermwirren fo, | 











us — 233 — 
257 Jeder Satz, den die Skitze enthält )- muß: 
beflimme und beutligy ausgedrückt, wirflid von dem 
Andern verſchieden ſeyn und zur Cache als ein- Theil. 
zum. Ganzen gehören. Dieſen kurzen Entwurf von | 
einer. Sache müffen wir genau prüfen, ob er den Ge⸗ 
genſtand erſchoͤpft und ob er ihn in das richtige Licht 
ſtellt. In der Verbindung der einzelnen Saͤtze muß 
eine natuͤrliche Ordnung herrſchen, jeder muß ber 
Naͤchſte von dem Vorhergehenden feyn und jeder muß 


zur Erläuterung und zur Aufhellung des Ganzen 
dienen. 


9 aue Behauptungen, die wir aufftelen, | 


müffen in einander eingreifen und fi) in foͤrmliche 


Schluͤſſe -auflöfen laffen, die der Schriftfteller zwar 
nicht ſelbſt zu machen braucht, die aber doch der, t Leſer 
als Wahrheitsprobe nachmachen koͤnnen muß. 
99) Muͤſſen wir uns vor Sprüngen in -unfern 
Raͤſonnements huͤten und Acht geben, daß wir nicht 
etwas aus Vorderſaͤtzen folgern, was ſich nicht aus 


ihnen weder mittelbar noch unmittelbar herleiten laͤßt. 


10). Die Geſetze des Dentens und Erkennen 
müflen von ung ftets forgfältig beobachtet und auch 
ihr Unserfchieb darf von ung. nicht aus ben Augen ges 


feße werben: wir bürfen weder Ungereimtheiten vere 


binden, noch von der bloßen Denkbarkeit eines Din⸗ 
ges auf fein. Daſeyn ſchließen noch, überhaupt "uber 


die, Grenzen alles menichlichen Erfennens hinaus 


ſchweifen, ‚welches, wenn es die von uns verichieden 
men Gegenſtaͤnde beteift und nicht die bloßen Denk⸗ 


Lf 


- 


— 234 - 
formen, Erkenntnißgeſetze und das Witeieheſeh an an⸗ 
geht ‚ durch Raum und Zeit beſchraͤnkt iſt. 


m), Miffen wir ſtets bemüht ſeyn, dafuͤr zu 
ſorgen, daß ſich die Gedanken, die wir niederſchrei⸗ 
ben, als Produkte unſerer eigenen Anſicht eines Ge⸗ 
genſtandes bewaͤhren: nie dürfen fie das Gepraͤge 
- Anderer, fondern fie mi hffen die Eigenthuͤmlichkeiten 
unſerer Borftellungsart an fich tragen. Wir müffen 
. ung fters felbft zu Denfen angelegen ſeyn laflen, wenn 
wir auch Feine originellen Denker feyn follten: denn 
das originelle Denken koͤnnen wir ung nicht geben, 
aber wohl find wir im Stande, ung zum Selbſtden⸗ 
ken auszubilden; jenes ſetzt Genie voraus, das ein 
Geſchenk der Natur iſt, dieſes hingegen erfödert bloß 

Fleiß, Anftrengung und,den guten Willen, ui eigen. 
nen Süßen zu geben, - 


| 13) Freimuͤthigkeit, d.h. bie ıBerungen Uns 
ſerer Meinungen und Gefinnungen An \ fo befchafs 
fen feyn, als wären wir niemand beshalb- verants 
wörtlich als ung felbft, muß jedgrzeif unſere Gedan⸗ 
kendarſtellung charakteriſiren, weil wir nur auf dieſe 
Art zur Wabrheit zu gelangen Hoffnung haben. 


19) Muͤſſen wir anſere ſchriftlichen Abbeiten 
öfters wieder durchſehen und dieſelben von neuem 
prüfen: denn wie leicht kann es der Fall ſeyn, daß 
wir eine Seite des ung zum Nachdenken gewählten 

Gegenſtandes uͤberſehen, die weſentlich zur Sache ge⸗ 
hoͤrt, oder daß wir einen Punkt deſſelben nicht ſo ins 
„Licht geſtellt haben, als es. nothwendig und nuͤtzlich 





.. , 235 ons 
Me. Dieſes Duchſehen aber miß— zu verfchiedeneh Ä 
Zeiten gefchehen und es muß jedesmal ein nicht unbes 


trächtlicher. Zeitraum derftrichen fenn, ehe wir diefe 
" Ueberarbeitung unferer Gedanken nochmals übernehe 


men, damit wir neue Einfichten dazu mitbringen und 


bamig uns ber Gegenſtand in einiger Ferne erfcheint 
und uns etwas fremd worden ft, weil wir alsdann 


leichter Luͤcken und Maͤngel an unſern Raͤſomements 


gewahr werden, die uns vorhero nicht bemerkbar 
waren: große Nähe iſt zu einer genauen und vollſtaͤn⸗ 
digen Kenntniß der Gegenſtaͤnde eben ſo wenig vor⸗ 
theilhaft als große Entfernunng. Uebrigens verwan⸗ 
Belt der Menſch die Dinge mit ſich ‚ er muß daher 
feine Arbeit auch unter verfchiedenen Unftänden .. 
durchgehen, wenn er ihr das Eiegel der Bollfomimens... ' 
heit aufdruͤcken ill, weiches nur dadurch gefihehen.. 
> Fann, daß er aus dem Strome bes-Wandelbaren und - 
Veraͤnderlichen das Nothwendige und Allgemeine in 
den Dingen aufhaſcht. in 


14) Zur Erleichterung unferer ſchriftlichen Aus⸗ 
arbeitungen iſt eine große Kenntniß der Sprache 
noͤthig, in. welcher wir unſere Gedanken niederſchrei⸗ 
ben. Die Ausſdrücke muͤſſen fo gleich die Ideen, die 
wir durch Soelbſtthaͤtigkeit hervorbringen, auffaſſen, 

und die Worte muͤſſen fo gleich.die flüchtigen Gefühle 
erhäfchen, die kaum geboren Wiederum. verſchwinden, 
fo bald fie nicht in der Geburt aufgefangen werden, 
Eine vollkommene Kenntniß einer Sprache aber ers 
wirbe man ſich durch das Leſen, Sprechen . und 
Schreiben: diefe drei Wege dev Erlernung berfelben 


muͤſſen wir zu gleicher Zeit cinſchlagen/ wenn Fünſer u 


—8 


m 80 — 


"neue Entdeckungen und- Anſichten uͤber · einen SGegen⸗ 
ſtand, und das Unnatürfiche fr das Natürliche ge⸗ 


wähle bat, Dieſe Einſicht in das Mangelhafte muß 


uns deſto aufmerfiamer auf ung machen, jemehr wir 


‘ 
* 


‚uns im Schwülſtigen gefallen, fo lange uns Fertig⸗ 


keit im Denfen,. Erfahrung und Kenntniffe abgeben. 
Die Kugend fpielt in ihren Arbeiten mit Prädis 


Lkaten, welche fie von allen. Feldern zuſammenlieſt; 
‚ber denkende Mann hingegen foͤdert Gedanken zu 


Tage, die .er durch Energie und Scharffinn-bilder: 


iene (die Prädifate) laſſen ſich leichter auswendig ler⸗ 


nen und im Gedaͤchtniſſe aufbewahren als dieſe, 


welche Produkte der geiſtigen Selbſithaͤtigkeit ſind. 


Nuͤchternheit in der Darſtellung der Ideen iſt ein 


Merkzeichen eines originellen Geiſtes, dahingegen 


das Schwuͤlſtige, Ueberladene und Unngsärliche in 
derfelben Armuth an Gedanken verrätb., Dasjenige, 
was uns an einem Schriftfteller, z. B. an W ieland, 
Goeche, Kant (in fr früheren Schriften) als leicht 
vorkommt, iſt die Frucht des reiflichſten und ange 
frengeeftn Nachdentens eines. ihöpferifchen Geiſtes. 


Dieſes Gefuͤhl der Leichtigkeit im Nachmachen ruͤhrt 


von den der Natur gemaͤßen Aeußerungen in ihren 
Schriften her und wir find alsdann geneigt, ‚dass 


jenige, mas uns behaglich vorkommt, für einen ſeicht 


| hervorzubringenden Gegenſtand zu halten, ob es 


gleich das Schwerſte iſt, weil ſchon die Natur mit 


dem Wahren i in uns dur Geige in Sytlans geſetzt 


fen muß. 


Eine ſchwerere Art ſchrictlicher Yüsarbeitungen 


find Abhandlüngen über Gegenflände, die nicht ges 














— 231 - 


mahit oder geſchildert ſeyn wollen, und. wobei man 
nicht mie Bildern s sreicht, fondern über welche bloß 
reflefeire werden muß; die gar Feine Tharfachen ents 
halten, föndern, die bloß durch Raͤſonnements in ihr 
gehoͤriges Licht gefeßt werden koͤnnen. Zum Refleftis | 
ren gehört_ein hoher, Grad von Selbſtthaͤtigkeit, 
welche mit den Vorſtellungen nad) Belieben ſchaltet. 

Zu dieſer Art von Ausarbeitungen find viele Kennt 
niſſe und Selbſtdenken noͤthig, wir müflen daher: 
ſchon eine- große Fertigkeit in andern fehriftlichen Ars 
beiten erlangt haben, ehe wir zu bloß räfonnirenden 
Auffägen übergehen. Wir dürfen ung bei feiner Arc 
von Geiftesubung uͤbereilen: denn dasjenige, wozu 
teir gar feine Hoffnung haben, daß es uns bei aller. 
uns möglichen Anftrengung gelingen werde, flößt uns ' 
fonft Unluft an alfen Öeiftesarbeiten ein und if dag. 
Grab unferer Freiheit. J 
t 
Wie müffen wir aber bei ſelbſteigenen ſchrift⸗ 
lichen Ausarbeitungen verfahren, welche Denkuͤbun⸗ = 
gen fenn und zugleich zur Wahrheit führen follen? - 

Dos Erfte,- was wir. thun müffen, ift, daß wir den - 

zu ˖bearbeitenden Gegenftand genau unterſuchen, ihn 
in ſeine Beſtandtheile aufloͤſen, ſein Verhaͤltniß zu 
andern und ſeine Verbindung und ſeine Verwand⸗ 
ſchaft mit andern’ uns ſchon genauer bekannten Din⸗ 
gen betrachten, und alles ſelbſt durchzudenken ver⸗ 
ſuchen, ſo viele Muͤhe es uns auch koſten mag, um 
"eine umfaſſende Ueberſi cht über die Materie, die wir 
bearbeigen wollen, zu erhalten. Lektuͤre und Beob⸗ 
achtungen leiſten uns hierbei gute Dienſte. 


\ 


ne 


* . 


— 36 Tau 


6 und nienials in das Sachenreich geworfen werden 
":darf: und wenn er alle Mittel, die er zu feiner Ver⸗ 
‚ fandesbildung ergreift, zweckmaͤßig benutzt, ſo wird 
‘er feine Denkkraft, wenn fie einmal zur Selbſtthaͤtig⸗ 
keit erwacht if, eben fo wenig wieder in Schlummer 
wiegen koͤnnen, als er jeßt etwas mit offenen Yugen 
niche fehen will... Der Berfland und die Vernunft 
ſind die Augen der Denkkraft, deren Vollkommenheit 
eben ſo gut durch oͤftern und zwar abſi chtlichen Ge⸗ 
brauch erhoͤht werden kann als irgend ein koͤrper⸗ 
liches Organ durch Uebung eine groͤßere Fertigkeit er⸗ 
haͤlt, als es von Natur befi ige. 
WWelche Mittel ſind denn aber außer den ſchon 
Angefuͤhrten noch beſonders zur Kultur der Denkkraft 
tauglich? Wenn ſich die menichlichen Kräfte öfters 
an einander reiben, und Durch Streit und Kampf sur 
Thaͤtigkeit aufgefodent werden, fo erwacht ein Wert: 
eifer unter den Menſchen, der Luſt und Liebe zur 
Ausdauer im Denken und Handeln einflöße- und- der 


fie eben fo fehr zur Einfemmlung von Kenntniß an⸗ 


treibt, als er ihre Kraͤfte vervollkommt. Das ges 


felfichaftliche Leben ift baher ein fräftiges Reizmittel 


für den Geift, es reißt ihn auch wider, Willen von 
feiner. Trägheit los, und treibe ihn. zu felbfteigenen 
Werſuchen an. In Geſellſchaften aber muͤſſen wir 
| vorzüglich den Umgang mit denfenden und geiſt⸗ 
reihen Männern auffuchen ‚ die durd) ihre treffende 
. Bemerkungen und originelle Gedanken Seuerfunfen in 
unſre Seele werfen und jenen Ehrgeiz in ung entſtam⸗ 
men, nicht hinter ihnen zuruͤd bleiben zu wollen, ſon⸗ 
dern iönen ar zu Fomman. Alle unfere Kräfte 











.. . h = 239 — 


werden rege und ‚unfere Aufmerkſamkeit ft gefpannt, 
-wenn wir fühne‘ oder neue Gedanken hören; wir: 
fuchen fie erftlich zu begreifen und alsdann entweder | 
zu. widerlegen, oder in unfern Ideenvorrath aufzus 
nehmen, ‚je nachdem fie uns gegruͤndet oder unge 
gründet zu ſeyn fcheinen. "Die Geiftesfunfen, bie in . 
Geſellſchaften ſpruͤhen, ſetzen alles in Bewegung und 
ſind ein treffliches Ermunterungsmittel zum Erwachen 
und zur Vervollkommnung ungeübter Kraͤfte: wir 
pruͤfen, ſtreiten, billigen, verwerfen, ſinnen auf 
neue Einwuͤrfe, erregen Zweifel und was ſind die 
Fruͤchte von dieſen Kämpfen? Freiheit und Selbfl- 
thaͤtigkeit ſind der Lohn unferer Anftrengung. u 


Der Menfh kann nicht alles durch fich felbft 
und auf einmaf wifen. In Geſellſchaften vernimme 
er nach und nad) Meinungen, bie ihm Hinweiſung 
zur Entdeckung einer ihm unbefannten Welt geben 


und bie einen lichtfunken in ihn werfen, der von ihm en 


genähre nachmals fein ganzes inneres erhellt, Er‘ 


erfährt alles zu verfchiedenen Zeiten und in Feiner 


foftematifhen Ordnung; er fann daher alles ruhiger 
‚und bedachtfamer überlegen und durchdenfen, und 

ihn Schrecken, nicht die Feſſeln eines Syſtemes vom 
- Unterfuchen und Ergründen des Gehoͤrten ab. : Sein 
Geiſt kann ſich frei bewegen und hinwenden ‚woe_ 

hin will, Allenthalben finder er in Menge. eine. 
ſchmackhafte und für ihn paffende Nahrung und kann 
- fich. daran eben fo gut ftärken als belehren. Mir 
follten daher in unſern Geſellſchaften. mehr über Meis 
nungen ftreiten alg es bis jeße noch der Fall ift, weil - 
nichts mehr ung zur Tyatigkeit aufmuntert, und uns 


= 20 — 


‚zugleich in ben Augen Anderer Ehre und Beifall er; 


wirbt, als gejellfchaftliche mit Kenntniß und Witz 
Burchgeführte Diſpuͤte. Gedankenfämpfe find das 
Element, wo die Kultur des Menfchen vorzüglich ges 
beiht, fie find die Webungsfchule, wo fein Geiſt muͤn⸗ 


‚dig wird. Und was hilft ihm eine Werträglichfeie, 
- Die ihn ewig in Ohnmacht und Unmuͤndigkeit erhält? 


Wer eine große Fertigkeit im Denken erlangen will, 
muß Andere öfters Fühn zum Difpuriren heraus - 
fodern, nichts auf Treu und Glauben annehmen, Die 


ſchwachen Seiten einer Behauptung angreifen, Er- 


Märung über das Dunkle und Ziweibeutige fodern, 
und ſcheinbar Zweifelsgruͤnde ſelbſt gegen die ein⸗ 
leuchtendeſten Wahrheiten aufſuchen. Allein dieſe 
geſellſchaftlichen Streite uͤber Meinungen duͤrfen 
weder in Beleidigungen ausarten, noch uns an eine 
Art von Rechthaberei gewoͤhnen, welche das Verder⸗ 
ben unſerer Geiſtesfreiheit iſt, ſondern ſie muͤſſen uns 
als unſchuldige Mittel zur Belebung und wur Ausbil 


bung unferer Dentkraft dienen. 


m 


In Geſelſchaften treffen wir Menſchen von un⸗ 
gleichen Kenntniſſen und Einſichten und von un⸗ 


gleichen Talenten an. Dies Gewahrwerden macht 


uns nicht etwa muthlos, wenn die Natur ſelbſt etwas 


| fparfam in Austheilung ihrer Gaben gegen ung ge 
weſen iſt, ſondern floͤßt uns vielmehr Luſt und Much 


ein, jenen hervorragenden. Geiftern nachzuftreben, , 


weil wir wiffen, daß fie alles auch durch Hebung und 


Arbeit worden find, mag fie find: Wer fih oft an 


Andern reibt, wird feharf, und wer fich oft mit Andern 


unterhält, wird Elug und gewitzigt. Nichts ſchaͤrft 


‘ 








N \ > 


unfere Kufmertfamteit mehr und gewoͤhnt unſern. 


Geiſt mehr an Nachdenken als eine geſellſchaftliche 
Unterhaltung, wo man nicht jeden Augenblick von 
einem Gegenſtande zum Anderen überfpringt, fondern 
ein einziges Objekt nach allen Richtungen durch Fra⸗ 
gen, Zerglievern und” Zweifeln verfolgt. Webers 
haupt follte alles unjer Beftreben ftets dahin gehen, 
‚mehr geiftig ehätig zu ſeyn, als es bis jetzt noch dee 
Fall ift, weil der Menfch doch durch ein geiftiges 
chen Werth erhält. Sterben wir auch bei ſolchen 


Anftrengungen einige Jahre früher, (wenn dies wirk⸗ 
lich der Fall ſeyn ſollte, woran aber ſehr zu zweifeln 


iſt, weil das Geiſtige koͤrperliche Maſſen verjuͤngt) 
was buͤßen wir denn ein? ft denn dies Wandeln im 
Staube fo angenehm und find denn die Freuden, die 


N 


die Zeit reift, fo ſuß und dauerhaft? Wer geiftig viel. - 


lebt, darf fich nicht. über eine kurze Lebensdauer bes 
ſchweren; er hat genug gelebt, wenn ihn auch der 


- Tod in,der Bluͤthe feiner Jahre megraffen folltes 


Vieler Kampf gewährt vielen Sieg und viele ‚Siege 
geben viele Gefchicklichkeie im Denken. Selbſt die 


Niederlagen im Dijputiren find Aufmunterungen zu 


neuen Kriegen, well fie nicht durch den Anbli von 


Ungerechtigfeiten verbittert werden Es ſollten 


Kampfſchulen im Denken angelegt werden, wie man 


jeßt Unterricht in Fechtſchulen zu förperlichen Uebun | 


gen giebt. —— 


Thaͤtigkeit ſteckt an wie Traͤgheit. & iR daher 


ein Ungluͤck, wenn junge Leute oͤfters mit ſchlaͤfrigen “ 


und unthätigen Menfchen Umgang haben; fie werden 
von diefem Geiſtesſchlafe erhaſcht, ehe fie fi % daſclbe 
Q 


Kunſt zu denken. 


\ 
Ä — 242 u 


vermuthen und es koſiet ihnen viel⸗ Anſtrengungen, 
wenn ſie ſich ja nachmals von dieſen Feſſeln wieder 
befreien wollen. Oefters beſtimmt ſchon bie Kinder⸗ 
waͤrterin das geiſtige Schickſal eines Kindes: leben⸗ 
dige und geſchaͤftige Waͤrterinnen floͤßen ihrem Pfleg⸗ 
linge ſelbſt Leben und Thaͤtigkeit ein. Man muß be⸗ 
ſonders, ſo lange uns noch die Jugend laͤchelt, feu⸗ 
rige und kuͤhne Geſellſchafter aufſuchen, um durch 
ihr Beiſpiel zum Wirken und Handeln aufgefodert 
und durch daſſelbe an eine ſtets regſame Thaͤtigkeit 
gewohnt zu werden. 





Ein anderes ſehr wirkſames Mittel, ſich zum 
Selbſtdenken zu erziehen, iſt die in einem Staate 
herrſchende Freiheit im Denken und Schreiben. Frei⸗ 
muͤthige Aeußerungen, die wir von Andern verneh⸗ 
men, oder die wir ſelbſt thun, ſind das Salz, das 
unſern Geiſt vor der Schlafſucht bewahrt. Freiheit 
iſt das Element der Tugend und Freimuͤthigkeit, 
die Baſis des Selbſtdenkens. Wenn wir Andern 

unfere Gedanfen, Meinungen und Anfichten über 
die Menfchen und die Dinge mittheilen, fo wollen wir 
| dadurch erfahren, was fie. baruber denfen und ob 
‚ wir auf dem Wege zur Wahrheit find. Ueber ftreis 

> gige Gegeuftände entfpinng fich ein Kampf, der bei⸗ 
den Parteien vortheilbaft it. Wechfei,.:tige Erörtes 
tungen verfcheuchen Das Einfeitige in der Denfart und 
«orten die Unduldſamkeit des Charakters, die feinen 
Widerfpruch vertragen Fann, aus. Während folcher 
Gedankenmittheilungen feßen wir alle unfere Geiſtes⸗ 


“ 





7 243' um 
feäfte in Thatigüt ‚dasjenige ‚ was uns nicht mit 
Dem Rechte oder. mit ber Wahrheit übereinzuftimmen 
feine, ſuchen wir zu widerlegen und dieſes Wider⸗ 
legen iſt nichts anders als ein Sinnen und Trachten 
nach Gruͤnden, das unſern Geiſt in einer ſteten Thaͤ⸗ 
tigkeit erhält und demſelben. größere Vollkommenhei— 
ten verſchaft. In Staaten, wo man feine Gefahr 
wegen feiner Meinungen zu beforgen bat, wenn man 
fie öffentlich äußert, gedeiht daher vorzüglich Das gei⸗ 
flige Große und die moraliihe Güte, weil der 
Menſch jagen und thun fann, was er will und was 
er vor feinem Gewiſſen verantworten kann. 


Die Regenten thun daher nicht wohl, daß fie 


die, Denk s und Schreibfreiheit einſchraͤnken oder 


gänzlich unterdrücken. Sie rauben der Menſch⸗ 
heit dadurch ein ſehr wirkſames Mittel, muͤn⸗ 
Dig zu werden, und pflanzen, vielleicht wider ihren 
Willen, Aberglauben, Unglauben und Irrthuͤmer 
fort, die durch freie oͤffentliche Eroͤrterungen gar bald 
verſcheucht werden würden. - Aeußerungen von ‚ges. 
wohnlichen oder vom Staate in Echuß genommenen 
Meinungen machen entweder gar feinen Eindruck auf 
uns, oder diefer ift doc) fo leife, daß er bald wieder 
verwifcht wird und alſo ohne Gewinn für unjere geis 
. tige Ausbildung ift: ungewöhnliche und dreufte Bas 
haͤuptungen hingegen graben fi ch tief in unſerm Ges. 
muͤth ein und zwingen ung zur Thaͤtigkeit , fo wenig 
wir aud) öfters geneigt dazu ſeyn mögen. Die Mena 
ſchen müljen frei. ihre Gedanfen äußern koͤnnen, 
wenn ihr Streben nad) Kultur gelingen ſoll, und 
wenn fie endlich einmal von der ſchmaͤhlichen Unmuͤn⸗ 
2° 


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— 242 - 
vermuthen und es toſtet ihnen viel⸗ Anſtrengungen, | 
wenn fie fih ja nachmals von dieſen Seffeln . wieder 

. befreien wollen. Defters beftimme ſchon die Kinder 
waͤrterin das geiſtige Schickſal eines Kindes: leben⸗ 
dige und geſchaͤftige Waͤrterinnen floͤßen ihrem Pileg: | 
linge ſelbſt Leben und Thaͤtigkeit ein. Man muß de 
fonders, fo lange ung noch die jugend lächelt, feus 
rige und fühne Geſellſchafter aufſuchen, um durch 
ihr Beiſpiel zum Wirken und Handeln aufgefodert 
und durch daſſelbe an eine ſtets regſame Thaͤtigkeit 
‚gewöhnt zu werben. | 





Ein anderes. fehr wirkſames Mittel, ſich zum 
Selbſtdenken zu erziehen, ift die in einem Staate 
berrfchende Freiheit im Denken und Schreiben. reis 
muͤthige Aeußerungen, die wir von Andern verneh 
men, oder die wir felbft Bun, find das Salz, das 
unfern Geiſt vor der Schlafſucht bewahrt. Freiheit 
AR das Element der Tugend und Freimuͤthigkeit, 
die Baſis des Selbſtdenkens. Wenn wir Andern 
unſere Gedanken, Meinungen und Anfichten über 
die Menfchen und die Dinge mittbeilen, fo wollen mit 
. dadurch erfahren, was fie. Darüber Denfen und ob 
wir auf dem Wege zur Wahrheit find. Ueber ſtrei⸗ 
— tige Gegenſtaͤnde entfpinne fich ein Kampf, der beie 
den Parteien vortheilhaft iſt. MWechfei.!tige Eroͤrte⸗ 
rungen verſcheuchen das Einſeitige in der Denkart und 
rotten die Unduldſamkeit des Charakters, die keinen 
Widerſpruch vertragen kann, aus. Waͤhrend ſoſcher 
Gehanlanmithelungen fen n wir alle unfere Geiſtes⸗ 




















| Feäft in Thatigtat; dasjenige, ‚ was ung nicht nit u 
dem Rechte oder.mit der Wahrheit ubereinzuftimmen 


ſcheint, ſuchen wir zu widerlegen und dieſes Wider⸗ 
legen iſt nichts anders als ein Sinnen und Trachten 
nach Gruͤnden, das unſern Geiſt in einer ſteten Thaͤ 
tigkeit erhält undebemfelben. größere Vollkommenhei⸗ 
ten verfchaft.” In Staaten, wo man feine Gefahr 
wegen feiner Meinungen zu beforgen hat, wenn man 
fie öffentlich äußert, gedeiht Daher vorzüglich das gei⸗ 
ſtige Größe und: die. moraliſche Güte, weil der 


Menſch fagen und thun fann, was er will und was 


er vor ſeinem Gewiſſen verantworten kann. | 


. Die Regenten thun daher nicht wohl, daß ſie 


die Denk⸗- und Schreibfreiheit einſchraͤnken oder 


gaͤnzlich unterdruͤcken. Sie rauben der Menſch⸗ 


heit dadurch, ein ſehr wirkſames Mittel, muͤn⸗ 
dig zu werden, und pflanzen, vielleicht wider ihren 


Willen,‘ Aberglauben, Unglauben und Irrthuͤmer 


fort, die Durch freie öffentliche Erörterungen gar bald 
verjcheucht werden mwürben. - Heußerungen von ‚ges. 


wöhnlichen oder vom Staate in Echuß genoinmenen 


Meinungen machen entweder gar feinen Eindruc auf 
uns, oder dieſer iſt doch fo leife, daß er bald’ wieder 


verwifche wird und alfo ohne Gewinn für unjere geis 


ſtige Ausbildung ift: ungewöhnliche und dreufte Bes 


hauptungen hingegen graben ſi ſich tief in unſerm Ges 


muͤth ein und zwingen uns zur Thaͤtigkeit „ſo wenig 
wir auch oͤfters geneigt dazu ſeyn mögen. Die Men⸗ | 
fden müllen frei. ihre Gedanken aͤußern fönnen, 


wenn ihr Streben nad) Kultur gelingen ſoll, und 
wenn fie endlich einmal on der fomäptichen Unmuͤn⸗ 
⸗ * | 9 2 


— 244 =. 


nigkeit befreiet werden ſollen, worin ſie ſeit Jehr⸗ 
- saufenden ſeufzen. Freimuͤthige Männer fi nd fies 
die beften Bürger: denn wer feinem gepreßten. Her- 


. "zen burch ungehinberte Bekanntmachung feiner Ges 


danken Luft machen kann, fühle Dadurch Erleichte⸗ 
rung jedes Druckes und er gehorcht eben fo bereit— 
willig in Deſpotien als in Freiſtaaten. Er begnuͤgt 
ſich mit den Vortheilen, die er durch die freien 
Aeußerungen ſeiner Meinung fuͤr ſeinen Verſtand 
erbaͤlt. 


Freiheit im Denken und Schreiben iſt alſo fuͤr 
den Bürger und den Staat nuͤtzlich; jede Geiſtesbe⸗ 
druͤckung hingegen für beide jchädlich und gefährlich, 
geil fie die Menſchen nicht allein am Selbfidenfen 
und an ber VBervollfommnung ihrer Denffraft hin⸗ 
dert, fondern auch geneigte macht, das graufame 

Joch, das fie druͤckt, augenblicklich abzufchütteln, 
oghne zu bedenfen, welche Folgen eim fo rajches Uns 
ternehmen haben kann. DBerjenige, der feinen 
‚Schmerz zu verbergen genoͤthigt wird, iſt gefährlicher 
als derjenige, Der ihn lauf äußert und derjenige, ber 
fagen kann, was er denft, trägt ‚geduldiger die Laſten, 
die der Staat ihm aufbuͤrdet, als derjenige, dem 
‚man freimuthig zu reden und zu ſchreiben verbietet. 
Die Freiheit der Meinungen ift das Linderungsmittel 
für taufend Plagen und für namenlofe Leiden, womit 
den Menfchen theils das Schickſal, theils die zuͤgel⸗ 


loſe Wilfühe Anderer heimfuche. Der freie Mann 


ift auch ein wahrbeitsliebender Mann,. und äußert 
auch jemand bei Geſtattung der Preßfreiheit Gedan- 
Sen, Die nicht richtig ober gar gefährlich ſind, fo 


x*® 


wird ſich ſchon € ein Widerleger finden, , der ſie Sf 
. tet und ihre Falſchheit mir Gründen beweift. 


Die öffentliche Meinungẽfreiheit iſt alſo ein vor⸗ 


treffliches Mittel, den Menſchen zum Selbſtdenken 
(zu erziehen. . Sie führe ihn aber nicht allein zum 
Denfen an; fondern bewahrt ihn auch zugleich in 
Zufunft vor dem Misbrauche feiner Kräfte: denn 
durch ben Gebrauch von etwas lernt er den richtigen 


Gebraud; deſſelben kennen. Der Menfch ift ein » u 


Lernthier, das alles durch Uebung und Gewoͤhnung | 
werden muß, 


‚Die Zreiheit im Denfen und im Schreiben ift 
aber nicht allein nüßlih, fondern aud) dem Rechte 


nach erlaubt. Als juridifche Perfon fann und darf ” 


der Menſch alles thun, was ſich mit der Einſchraͤn— 
kung der Freiheit Aller nach einem allgemeinen Ge⸗ 
ſetze vertraͤgt: durch Gedankenaͤußerungen und durch 
die öffentliche Mittheilung derfelben wird fo lange 
feines Andern Recht gefränft, als diefer nicht non 
dem Schreibenden . eines "Verbrechens befchuldige 
wird, welches der Letztere im Falle einer gerichtlichen. 
Anklage beweiſen muß, und iſt er dies nicht zu thun 
im Stande, ſo zieht er ſich Strafe als ein Inſuriant 
— zu. ‚Alles hingegen ift.erlaubt, oͤffentlich befannt zu 
machen, was ben Andern Feines im Geſetze verbotes 
nen Unrechtes befchuldige.. Die Sitten, die Relis 


gion, (oder vielmehr die Ölaubensarten) der Staat 
nebft feinen Beamten und andere Dinge find die Ges ' 


"genftände, worüber jedermann ungehindert feine 
Meinung öffentlich mittheilen darf, In Ruͤckſicht 


S 


” 
Pu 


’ 


— 246 — . 4 
ber Drffeißei aber giebt es noch ein Tribunal, das 
Darüber zu fprechen bat und diefes ift das Gewiffen 


(die Moral), in Anſehung deſſen fie fo gar Pflicht ift, 


weil fie ein fehr nüßliches Mittel zur Kultur unferer 


Kräfte ift und weil fie zugleich auch die Lauterkeit der. 
Denfungsart und der G.finnung befüdert; in Ans 
fehung des äußern Rechtes hingegen ift. fie ein der 
Perſoͤnlich keit des Menſchen anklebendes unveraͤußer⸗ 


Nliches Recht,/das eben fo wenig gekraͤnkt als ber 


Menſch unter die Sachen aut werden darf, 


Freie Staatsverfäffungen, die viele Gelegenheit 


zum Handeln und alfo auch zum Denken und Uebers 


„legen geben, find ein anderes vorzüglich wirffames 


“ Mittel zur Kultur unferer Denffraft. Wo jeber fein 


öffentliches Intereſſe felbft zu bejorgen und in feinem 
Handeln und Denken fich vor nichts als vor dem Uns 


u ‚rechte zu fürchten hat, da mird er zur Aemſigkeit und 


Kuͤhnheit aufgelegt und dieſe beiden Eigenfchaften be- 


7 gänftigen bejonders die .Selbfiftändigkeit des Vers 


‚flandes. und der Bernunft. . Die Parteien, Die in 


Freiſtaaten herrfchen, find eine’andere Veranlaſſung 
zum" Denfen, die durch das Hinzufommen von Lei⸗ 


denſchaften die Menfchen allgewaltig zum eigenen Ver: 
ſtandesgebrauche auffodert. Ueberdies giebt es in 
Republifen - (repräfentativen Volksſtaaten) feinen 
Gegenftand, der für irgend einen Bürger fremd, 
oder auch gleichgültig ſey; und diefe Theilnahme an 
allem, was gefchießt, gewöhnt den Menfchen ganz 


üuͤnvermerlt an Selbftchätigfeit im Denken“, Nichts, 


5 = 27 . 
‚was Menſchlich ſt , ſoll Menſchen fremd ſeyn, und 
wo findet man mehr Auffoderung, dieſe Pflicht zu 
befolgen als wo alles, was geſchieht, durch unſers 
Gleichen verrichtet wird? Dieſe Gleichheit floͤßt 
Selbſtachtung ein und der Menſch hat in Anſehung 
feiner Kultur fehon viel gewonnen, wenn ?r fid) vor 
keinem Staubgebornen erniedrigt, fondern ſich mit 
ihm auf den Fuß der Gleichheit gejtelle:anfehen kann. 


Diefe Selbftachtung giebt auch Much zu Verſuchen 


und der Menſch wagt zur Erreichung feiner gebotenen 


oder erlaubten Zwede alles, wenn er feinen Hefen 


als das Geſetz — bie perfonificirte Vernunft — su ” 


fürcheen bar. . 





! 


Reifen ü nd eine ‚andere Beranlaffung zum mad - 
denken. Die vielen Gegenftände ; die wir auf Reie . , 


fen gewahr werden, ihre Verfchiedenheiten unter eins 
ander, das Abmeichende und Ungewoͤhnliche in. den 


Sitten und Gebräuchen, die an verfchiedenen Orten 


und in verfchiedenen Ländern berrfchen, die ‘Betriebs 
ſamkeit, die Denkungsart und der Charakter der 
Menfchen ‚ die wir hier und dort zu fehen —— 
fodern uns ganz unvermerkt auf, den Grund und bie. 
Bedingungen der wahrgenommenen Erfcheinungen zu . 
‚ 'erforfchen. Wir vergleichen das an verfchiedenen 


Orrten Gefehene mit dem an unferm Wohhorte Ges > 


wöhnlichen, beurtheilen daffelbe nach dem Schick⸗ 


“lichen und Zweckmaͤßigen, und ber Maaßſtab, wos _ 


mit wir die menfchlichen Handlungen meſſen, ift das 
Recht, die Moral und die Klugheit, und diefes 


— 


* 
u _ \ 


⸗ NER 250, ur ' » . _ N 
An velchen Kenntniſſen gebrag) e es mir acc, ‚ als ch 
etwas erklaͤren, mich mit jemand uͤber etwas unter⸗ 
halten oder den Inhalt eines Buches berſtehen lernen 
wollte? Was habe ich für Geſinnungen in mir ber 
merkt? Was babe ich gethan oder unterlaffen. und 
aus welchen Abfichten ift dies gefchehen? Was regte 
ſich heute in mis, als ich einen Bekannten loben oder 
tadeln hörte? Wie würde ich mich betragen haben, 
wenn das fihreiende Unrecht, das man A— anthat, 
° mir widerfahren wäre? Solche und andere Fragen 
muß man fich) täglich vorlegen und diefelben nach eige: 


5 ner, Einſicht und mit Aufrichtigkeit beantworten. 


Vieles Tragen erregt viele Aufmerkſamkeit, diefe er⸗ 
zeugt Luſt nach Kenntniffen und der Menſch, ‚der diefe 
"in fih- recht lebendig erhält, Tann fich fehmeicheln, 
Daß er endlich ſ cher an Verſtand münbig werden 
wird, 


e— giebt zwar noch mehrere. Mittel, ſich zum 
Selbſidenken zu erziehen, z. B. das oͤftere Zuruͤck⸗ 


ziehen in die Einſamkeit, das einſame Wandeln in 
‚ber freien Natur, das Beſuchen oͤffentlicher Orte 


u. fe w., allein. diefe brauchen hier nicht. befonders 


3 Burchgegangen zu werden, weil ſich jeder nur ſtets feft 


‚ vorfegen darf, daß er alle Gelegenheiten, feine Denk⸗ 
kraft zu üben, auffuchen und benußen, daß er alles, 
was er hoͤrt, ſieht und fühle, felbft prüfen, und daß 
er von allem, was erifkirt, bie Urfache und bie Abs 


| v. erforfchen will. \ 


} 


4 r N 
N * 


— 2521 — 





XV. Capitel. 


Wie muß die Erziehung befhaffen feum 
wenn. man die Denkkraft an Selbfithä 
tigkeit gewöhnen will? 





Man wuͤrde unter den Menſchen Feine ſolche auffals 
lende Ungfeichheiten in Ruͤckſicht ihrer Geiſteskraͤfte 
und Talente bemerken, wenn die Erziehung und der. 
Unterricht beſſer und zweckmaͤßiger eingerichtet waͤre, 
als es jetzt ñur noch zu häufig der Fall iſt. Bloß die 
Anlagen fehr weniger gluͤcklicher Geifter entwickele 


allein die Natur und die Gefelljchaft zu ihrer größten . 
Vollfommenpeit; die meiften Menfchen mjffen Hin 
gegen “abfichtlih als der Vervollkommnung ihrer. ' 
Vermögen und Kräfte fähige Weſen bearbeiter wer= - 


den. Ohne Erziehung bleiben die.Meiften Kruͤppel, 


die mit großen Gaben ausgerüfter feinen Schrire in. 


die Welt thun koͤnnen, ohne zu ftraucheln, und da fie 
ſchwach und ohnmächtig find, fo fönnen fie fih von 
ihrem Falle nicht wieder erheben. Thut man hin« 


gegen weder zu viel moch zu wenig bei der Erziehung \ 


bes Menfchen, ſo fann man alles aus ihm machen, 
yon er bie Naturanlage hat, 


Unter dem Erziehen berſtehe ih ei ein abſichtliches 


Entwidelg und Vervollkommnen der menfchliden 


Anlagen und Kräfte, ihrer Natur und ihren Zwecken 
gemaͤß. Durch die Erziehung will man die Fertig⸗ 


keiten und Geſchicklichkeiten hervorrufen, deren die 





a. in, 


g FE 250 — — 


An weten Kenneniffen gebrag) es mir noch, ‚ als 16 
etwas erklären, mich mit jemand über etwas unter⸗ 


haalten oder den Inhalt eines, Buches verſtehen lernen 
wollte? Was habe ich für Geſinnungen in mir bes. 


merkt? Was habe ich getban oder unterlaffen. und 


aus welchen Abſichten 'ift dies geſchehen? Was regte . 


fi) heute in mir, als ich einen Befannten loben oder 


tadeln hörte? Wie würde ich mich betragen haben, 


wenn das ſchreiende Unrecht, das man A— anthat, 
mir widerfahren wäre? Solche und andere Fragen 


muß man fich täglich vorlegen und bdiefelben nach eige⸗ 


net, Einſicht und: mit Aufrichtigkeie beantworten. 


- Vieles ‚Tragen erregt viele Aufmerffamfeit, Diefe er⸗ 


zeugt Luſt nach Kenntniſſen und der Menſch, der dieſe 


irn ſich recht lebendig erhält, kann ſich ſchmeicheln, 


daß er eñdlich ſ cher an Verſand muͤndig werden 
wird, 


| Es giebt zwar noch mehrere Mittel, ſich zum 
Selbſtdenken zu erziehen, z. B. das oͤftere Zurück“ 


ziehen in die Einſamkeit, das einſame Wandeln in 
der freien Natur, das Beſuchen öffentlicher Orte 


u. ſ. w., allein, diefe brauchen hier nicht: befonderg 


u durchgegangen zu werden, weil ſich jeder nur ftets feſt 


_ vorfeßen darf, daß er alle Gelegenheiten, feine Denk⸗ 


kraft zu üben, auffuchen und benugen, daß er alles, 
was er hört, fi ieht und fühle, ſelbſt prüfen, und dag ı 


er von allem, was exiſtirt, die Urſache und die Ab⸗ 


| v. erforfchen will. _ 


[4 








- J 


wie er am ſi cherſten d die Fetcrungen der Vernunft ber 


friedigen fann und er muß wiſſen, warın und was für ' 
ihn Pflicht ift, wenn er nach Tugend ftreben will. . 
Ohne felbfteigene Thärigfeit im Denfen und Handeln 
hat er feine Hoffnung, daß er Das erreichen werde, 
was ihm als Lebenszweck aufgegeben ift. Der Zweck 
der Erziehung ift daher in Ruͤckſicht des Erfenntnißs 
vermögens das Selbſtdenken und in Anſehung bes 
- Begehrungsvermögens felbfteigene Entſchließung zum 
Handeln nad) Dernunftgefeßen. Der Menfch Soll . 
alfo zur Selbftftändigkeit im Denfen und Handeln . 
erzogen werden, warum erzieht man ihn nicht auch 
zur Selbftchärigkeit in Gefühlen? Die Gefühle haͤn⸗ 
gen theils gar nicht von feiner Willführ ab, theils 
find fie Jolgen feiner andern freien Thätigfeiten; im 


erſtern Falle kann er fie fich nicht nach Belieben vers 
ſchaffen, weil Feine menjchliche Gewalt und Einſicht, 
‚bie fih allemal dur Selbſtthaͤtigkeit offenbaren, 


twas zu ihrer Erregung und Motifizirung beitragen 
kann, und im jmeiten Falle find Die Gefühle, bloße 
Wirkungen feines Erfen:iens und Handelns, und 
jemehr er alſo geiſtig thaͤtig iſt, deſto mehr kann er 
ſich auch Gefuͤhle verſchaffen und deſto mehr kann 
er die Empfaͤnglichkeit dafuͤr erhoͤhen; allein in die⸗ 
ſem Falle ſind ſie doch erſt Folgen der ſelbſtthaͤtigen 
Aeußerungen des Menſchen und kein unmittelbar Her⸗ 


— Was nun der Menſch nicht unmittel- _. - 


bar durch Selbſtthaͤtigkeit erreichen fann, kann aud) 
nicht Zweck der Erziehung ſeyn, weil dieſe eine Bils 
bung zur freien Thärigkeit if. Das Gefühlsvers 
mögen hingegen iſt ein bloß leidendes Vermögen, das 


aentweder von fremden Gegenſtaͤnden oder von uffer 


7 


254 — 


| ver eigenen Thaͤtigkeit als Folge affizirt und in 


Wirkſamkeit geſetzt, das nun zwar auch vervollkommt 


wird, aber doch immer erſt, wenn gedacht, erkannt 


md gehandelt wird; nicht durch ein abſichtliches 


MWirfen auf daffelbe, fondern durch die Folgen, die 
ſich aus ben freien aodtigteiten. des Menfchen ers 
geben. 


Die Erziehung bat bie Abſichegt das Selbſtt ha⸗ 


tige und Freie in der menſchlichen Natur in die Will- 


— 


/ 


Führ des Menfchen zu geben, damit er thun kann was 
er will, und durch ſich ſelbſt alles, wozu er ſein Daſeyn 
erhalten hat, werden kann. Sich zu diefem oder 


. fenem Gefühle zu beftimmen, fid) dieſe oder jene Anz 
nehmlich keit bes Gefuͤhls zu verſchaffen und die Un⸗ 


anuehmlichfeit befjelben zu entfernen, , ſteht nicht in 


ſſeiner Gewalt; ‚hingegen kann er denken und handeln 
"wie er will, und es ift ganz das Werf feiner Freiheit, 


wenn er über einen Gegenſtand reflektirt oder ſi ch zu 


einer Handlung entſchließt H· 


Eine Erziehung wo der Menſch alles ſpielend 
werden ſoll, iſt keine Erziehung. Dieſe muß An- 


ſtrengung koſten, damit die Anlagen Kraft und 
"Stärke erlangen. Aeußere Reize und innere Selbſt⸗ 


ehätigfeit find Die Bedingung zur Erreichung von 


Selbſtſtaͤndigkeit im Denken und Handeln. Se 


*) Das Vermoͤgen der Anſchauungen macht einen Theil 
des Erkenntnißvermaͤgens aus, und wird alfo ale 
. em Beſtandtheil deſſelben mit ihm geübt u uno vervoll⸗ 
kommt. 








‘ 


41 


. -r | — 255 — 
mehr daher jemand zur Thaͤtigkeit aufgefodert und 


je mehr es Kampf beim Ueberwinden von Schwierig⸗ 


keiten koſtet, deſto vollkommener iſt die Erziehung, 
die jemand erhaͤlt. Fremde Thaͤtigkeiten, z. B. das 
Lehren u. fe w., muͤſſen beim Erziehen nur die Ver⸗ 
anlaſſung zum Selbſtwirken ſeyn: das Thaͤtigſeyn 
und das Zuruͤckwirken auf aͤußere Eindruͤcke muß. 


‚gänzlich ein Werk des Zöglings werden. Diefen - 


nichts. ohne. eine feinen Kräften angemeffene Anftrens 
gung thun zu laſſen ‚ muß eine e beftänige Moriue 
des 6 Erdiehers ſeyn. 
Allein da wir ‚hier bloß die Auebildung ber | 
Denkkraft in Betracht zu ziehen haben, ſo fragt es 
fih, wie man den Menfchen zum Selbſtdenken er⸗ 
‚ziehen fann? Dan muß theils die Hindernijfe, die - 
der Entwicelung der Denkfraft im Wege ſtehen, 
wegräumen, theils alle Gelegenheiten zu felbft eigee 


“ nen VBerfuchen des Söglings. im Denken auffuchen. 


Es giebt daher eine negative und eine pafitive 


Erziehung. zum Denfen. Was bat nun die erftere 


 Sröiebungsarf zu thun? Sie muß dahin fehen, daß 
dem Zöglinge nichts vorgebacht werde und daß er . 
nicht etwa nachbete, daß er vor Borurtheilen und 
Aberglauben bewahrt werde, daß er Geſellſchaften 
vermeide, wo Dinge gefprochen werden, Die £heild 
über feine Fähigkeiten, diefelben zu begreifen, geben, 


theils ihm etwa den Wahn einflößen, daß er entweder, . 


das Denken nicht nöthig babe, oder daß es uberhaupe. 
fuͤr ihn eine zu ſchwere Sache fen; daß e er nicht finn« 


- Iofe Dinge entweder lefe oder höre, Daß er nichtezwed« 


los etwas thue, z. B. in Die Kirche zugeben, deren 


254 — 


| ver eigenen Thaͤtigkeit als Folge affizirt und in 


Wirkſamkeit geſetzt, das nun zwar auch vervollkommt 


“wird, aber doch immer erſt, wenn gedacht, erkannt 


“und gehandelt wird; nicht durch ein abſichtliches 


Wirken auf daſſelbe, ſondern durch die Folgen, die 
ſich aus den freien moltigkelen des Menſchen er⸗ 
geben. 


Die Erziehung hat die Abſicht, das Selbſtthaͤ— 


. tige und Freie in der menſchlichen Natur in die Wille - 


— 


f 


Führ des Menſchen zu geben, damit er thun fann was - 
er will, und durch fich felbft alles, wozu er fein Dafeyn 
erhalten hat, werden fann. Sich zu diefem ober 


. fenem Gefühle zu beſtimmen, ſich diefe oder jene An⸗ 
nehmlich keit bes Gefuͤhls zu verfchaffen und die Un⸗ 


j anuehmlichfeit befielben zu entfernen, fteht nicht im 


ſeiner Gewalt; ‚Hingegen kann er denken und handeln 
“wie er will, und es ift ganz das Wert feiner Freiheit, 


wenn er über einen Gegenſtand reflektirt oder ſich zu 


einer Handling entſchließt pr 


Eine Erziehung ; wo der. Menſch alles-fpielend 
werben ſoll, ift feine Erziehung... Diefe muß An= 


ſtrengung often, damit die Anlagen Kraft und 


Erärfe erlangen, Aeußere Reize und innere Selbfts 
thäfigfeit find die Bedingung zur Erreichung von 


Selbftftändigfeie im -Denfen und Handeln. Je 


” Das Vermögen der Anfchauungen ‚macht einen Theil 
des Erkenntnißvermaͤgens aus, und wird alfo ale 
. em Beſtandtheil beffelben mit m geübt u uno > bervalle 
kommt. 








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ii. 





wahrnimmmt, da it. Der Erzieher muß bloß durch 


Fragen und Winke dem gaͤnzlichen Verirren des Zoͤg⸗ 


Tings zuvorkommen, und denſelben wieder. auf den 
Gegenftand, der eben jet zum Unterfuchen und Er 
forichen gewählte worden ift, zuruͤckbringen. Er 
muß die Denkkraft deffelben anfänglich an leiche zu 
begreifenden und.fichtbaren, und darauf an ſchwerern 
und unſichtbaren Dingen üben: Er muß ihn vor— 
bero mie der Welt Der Anfchauungen ‚befannf 
machen ehe er ihn in das Sand. der. bloßen Begriffe 


. und Ideen führt. Er muß ihm erft eine Geuͤbtheit 


im Urtheilen verichaffen, ehe er ihn, an Schlüſſe ge 


machen, gewoͤhnt und.er muß ihn von ben Wirkungen Ä 
auf die Urſachen, von den Folgen auf die. rundes 


und von den Theilen aufs Ganze, und nicht umge⸗ 


kehrt, zurück geben laffen. . Der Erzieher muß dem - 


Zoͤgling gewöhnen, hichts ungeprüft und unbetrachtet 
vor'fich vorbeig ben zu lafien, moran.er feinen Ders; 
land und feine Vernunft üben kann. or. J 


Nachdenken gewoͤhnt wird, fuͤr den wird der ſelbſt 
eigene Gebrauch ſeiner Denkkraft eben ſo zum Be⸗ 
duͤrfniſſe werden, wie dasjenige Beduͤrfniß iſt, was 
nothwendig zur Erhaltung des Lebens erfoderlich iſt, 
Auch muß das Denkenlernen Anſtrengung koſten, da⸗ 
mit der Zoͤgling zu der Einſicht gelangt, wie viel er 
vermag, wenn er eine Zeitlang ſeine Kräfte mit Fleiß 
und Abfihe übe Der Menfch ift von Natur” zut 


Traͤgheit geneiat, welche er nur dadurch beſi jegen 


kann, daß er Gewalt braucht und daß er feine Miche 
Kunſt au denken. \ R 


... » . ! 
—— Mm —— UL, 


*FF 
Wer in der Jugend an. die Erforſchunge von: 
Wirfungen und Urfachen, und aljo.an.gründlicheg; 





- 


— 255 — 


ebene, den Schlummer, ber feine Denkkraft ges 
feſſelt haft, dadurch zu verſcheuchen , daß er anhal⸗ 
tend Verſuche in der Aufſuchung des Wahren. und 
Falſchen macht. 


Aufmunterungen durch klug artheiltet (ob, Hin 
weifung auf Gewinn und auf den Beifall der Men: 
ſchen ſind aͤußere Triebfedern, womit der Erzieher 
ber ermuͤdeten Denkkraft ſeines Zeslings zu Hilfe 
komnien kann. 


Auch muß man mit der Jugend oͤfters cäfonni 
ven, alfein diefes Räfonnement muß ihren Einfichten 
and ihren Lebensfreife angemeffen ſeyn, wenn es für 
ſie von Nutzen ſeyn ſoll. — Man muß öfters Zwei⸗ 
fel gegen dasjenige erregen, was fie für wahr halt, 


damit fie genüfhige wird, ſich nach haltbarern Gruͤn⸗ 


den umzuſehen und ſich dieſelben deutlich zu benken. 
Fragen über das Geſehene und, Gehoͤrte find Antriebe 
zum angeſtrengtern Nachdenken, und ſie tragen, 
wenn fie zweckmaͤßig geſtellt und verfolgt werden, 
eben fo ſehr zur Kultur der: Denkkraft als zur Erbeu⸗ 
tung der er Wahrheit bei. J 


Pen 
2 





XVI. Capitel. 


| Ueber einige Kinderniffe in.der Erlernung 
:de& Selbfidenfens und über die Mittel, 
fie hinweg' zu ränmen. 





9 


Du menschliche geben.ift ein ſtete Kampf. Der 
oeganifche und der seifige a0 Des Menſchen haben 


- . 








u 259 — 


mit Hinderniſſen zu ſtreiten, die von allen Seiten auf 
fie eindringen, die aber doch auch zugleich ihre Kräfte _ 
zu einer defto größern Geſchicklichkeit und Thaͤtigkeit 

. erziehen, je uͤngeſtuͤmer und anhaltender fie auf dies 
felben losftürmen. _ Nur aus dem MWiderftreice geht 
der Menfch ſelbſtſtaͤndig hervor. Lebte er einſan 
und fern von allen Gefahren, fo würde er bloß an 
ein mechaniſches Wirken gewöhnt werben. Allein J 
da..er mit Feinden jo wohl in ſich als. außer ſich Mr 
kaͤmpfen hat,. fo muß er flets zum ‚Streite gerüftee 
ſehn, um fie zu befi iegen, wodurch er. fih Stärfe-und 
Much erwirbe. Die Hindernigfe, die ſich uͤnſerm 
Bemühen, felbft zu denken, in den Weg ftellen, find‘ 
fo wohl innere als aͤußere. In unſern Gemüche - 
liegen Schwierigkeiten verborgen, die unſern Geiſtes⸗ 
flug hemmen und außer uns lauern Feinde auf uns, 
die uns von jedem Verſuche, auf ‚sigene Kräfte iu. 
fußen, abſchreden. 

Die innern Hinderniſſe haben theils in der 
Sinnlichkeit, theils in dem Verſtande ſelbſt ihren 
Sitz. . Dip Sinnlichkeit liebe angenehme Genuͤſſe, 

deren Erwerb aber weder Mühe noch Zeit noch Ges 

fahren foften darf, und der. Verſtand läßt aus Trägs 
heit, die von der Ungeübtheit und von der Materie, 

in die-er.eingefeffele it, herruͤhrt, die Erfcheinungen, 
wie ein Spiegel die Gegenftände, vor ſich vorbei⸗ 
gehen ‚ohne in dieſelben einzufallen und ihnen nach 
Belisben diefe oder jene Ge ftale ‚oder Wendung zu 
geben. Unter die innern Hinderniſſe ſi find au sechs - 


nen: . - 


Ra 





Aa —— — — — 





/- 


ſcheuet, den Schlummer 


— 258 — — 
avſcheu vor Anz 


fefielt hält, dadne⸗ —— und Muͤhſelig⸗ 


tend Verſ⸗ BA —— reuden fo viele (ſchmei⸗ 
Falſchen 2” —* Ka 72, die wir ohne viele Mühe 
. i A 

. ee Zeganenufiwand genießen fönnen. 
weit —* we | 77 Nachen Blumen pfluͤcken, fie ver⸗ 


ef" —* 6 find dann ohne Werth! Jede 


$ jr 7 mi Annehmlichkeiten ſchwanger und 


al, fi ung Gelegenheit zum Genuffe Dar, wir 
nur unfere Sinne oͤfnen, um fie mit vollen 

4 einzuſaugen. Warum ſollen wir uns alſo den 
aünfeligfeiten des Lebens ausſetzen, um etwas zu er⸗ 
Beuten, was doch einen ungemiffen Erfolg hat und 


warum wollen wir einer Ruhe entſagen, die ung fo 


wohl befomme. und behagt?“ Diefe Schmeicheleien 


‚wiegen den Verſtand in Schlaf und machen ihm jeden 


Verſuch, feine Selbſtthaͤtigkeit u zetgen , iumiber. 


2) Das zweite Hinderniß ift eine gewiſſe Traͤgheit 
des Verſtandes, die ihn gefeſſelt haͤlt. Er ſcheuet 
jede Anſtrengung; es geht uns durch Mark und 
Bein, wenn wir nachdenken ſollen, ehe wir noch dieſe 
Laſt, die unſere Selbſtthaͤtigkeit niederdruͤckt, abge⸗ 
worfen, und wir fuͤhlen uns nach jeder augenblick⸗ 


lichen Geiſtesarbeit ermattet, ſo lange wir noch durch 


keine Uebung die Herrſchaft uͤber die Materie, die 
unſern Geiſt umhuͤllt, erlangt haben. Es giebt 
Handlungen, an die man ſich nicht früh genug ge« 
wöhnen fann, und darunter gehören auch die Ver⸗ 
ftandesübungen. Die Krufte, die unfern Geift um« 
fhließe, wird mie den Jahren immer Dicker und ber 


Verſtand wird daburch ſchwerfaͤlliger und immer une 


9 





— 261 — 


geneigter, feine Erziehung zur Selbſtthaͤtigkeit zu 


verfuchen.: Es ift Daher notbivendig, daß wir frußs 
zeitig anfangen, uns im Denken zu Üben, die Urfachen 
‚und Grunde der Erfceheinungen aufjufuchen, und 
alles, was um uns ber fich ereignet, zu beobachten 


und zu exforſchen, damit unfere Denkkraft fruͤhzeitig 


mit der Geübtheit Staͤrke und Luſt im ſteten Nach⸗ 
denken erlange. 

>} Sn den feiern Jahren unſers Lebensn wer⸗ 
den uns gewiſſe Vorſtellungen eingepraͤgt, die, da 


fie in’ uns ein empfaͤngliches Gemuͤth antreffen, und 


da in uns alles noch einer unbeſchriebenen Tafel 
gleicht, ſich tief und dauerhaft eingraben und einen 
Einfluß auf unſer Thun und Laſſen erhalten, der 
alles, was wir find, was wir werden und ſeyn wol⸗ 
len, unferer Gewalt entreißt. Dieſe früh eingefoges 
nen Borftelungen beherrfchen unfern Verſtand und 
unfern Willen unumfchränft und wir bleiben, wenn 


wir uns nicht. bald ermannen und fie-mit aller Ans . 


ſtrengung bekaͤmpfen, auf unſere ganze Lebenszeit 
ihre. Sklaven. Wir thun und denken bloß das, was 
fie gethan und.gebacht wiſſen wollen. Auf den Wils 
len wirken fie theils Durch Furcht, theild Durch ‚dem 


Eigennutz, auf den Verſtand aber eheils durch Ge= 


wohnheit, theils Durch Behaglichkeit. Diefe Feſſeln 
‚müffen: wir ſo bald als möglich abzumerfen eifen, 
wenn wir feldft degfen lernen wollen, weil fie uns 
durch die Sänge der Zeit zur andern Matur werden, 
und wir gar nicht mehr ahnden, daß wir auf Diefem 
Wege die Beſtimmung unfers lebens nicht erfülfen, 


Wir müflen uns dem Kreife unferer "gewöhnlichen 


_ e ⸗ 
’ 


. 


N 


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— 0162 — 7— 


Vorſtellungen enfreiffen und ung lieber auf din weiten 
Oeean wagen, mo fein gebahnter Weg uns leiter, 
wo fein Stern uns leuchtet, als noch länger in diefem 
Dauberlande wie angefeffele fißen, : damif fih unfer 
Geiſt verfuchen, durch Fallen geben und durch ben 
Gebrauch der Freiheit freie Selbftepätigfeit erwerben 
ferne. 


4) Aberglaube und Vorurteile, i in welche unſer 
jugendlicher Geiſt eingeweihet wird, ſind ein neues 
Hinderniß in der Erlernung des Selbſtdenkens. Wir 
halten nicht etwa dasjenige für wahr, mas uns nach 
einer ruhigen und unpartheiifchen Prüfung einleuch« 
fet, fondern dasjenige ift für ung Wahrheit, deſſen 
Gegentheil nach unſerer Einſi cht mit Sure. vor 
Schaden oder gar mit ewiger Verdammniß verknuͤpft 


iſt. Ale Vorftellungen, die das Begehrungsver- 
‚mögen in ihr Intereſſe ziehen, find wirkſamer, ges 


waltiger und unvertifgbarer, als ſolche, die bloß ein 
Beduͤrfniß des Verſtandes befriedigen, weil durch 
jene dem Eigenmitze geſchmeichelt wird: und aller 
Aberglaube und alle Vorurtheile beſtricken unſern 

Geiſt durch ihre Vorſpiegelungen fo gewaltig, «daß 
er fih nur durch die ftärfftg Entſchloſſeüheit und die 
: mübjeligften Anfttengungen denfelben eritziehen kann. 
Unſere fruͤhern Gefellfchafter find. nur zu oft mie 
Aberglayben angefüllt und wir werben Durch die Zeit 


. {6 damit angeſteckt, daß wir fo.gar zu diefem Wahn⸗ 


. "glauben Unduldfamfeie gefellen. Durch folche mit 


Eigenwillen, Furcht und Eigennuß begleitete Vor⸗ 
ſtellungen wird ung alle Luft, ja jeder Gedanke, von 
inferm Berftand einen freien. Gebrauch nach eigener. 


‘“ - 4 - 











w⸗ 


Einſicht machen zu wollen, benommen. Wir wach⸗ 


fen in ihren Feffeln auf und wir halten nichts mehr 


für wahr-und richtig, als was dieſen Phentemen 
ſchmeichelt. - 


5) Eine allzu lebhafte und eine allzu träge Eine 


bildungsfrafe iff ein anderes inneres Hinberniß im 
Selbſtdenken. ‚Das ewige Gaufelfpiel der Erſtern 
betäube unfern Geiſt und diefer ahndet nicht einmal, 
‚daß er felbft denfen lernen foll, und die gar'zu große 
Armuth der Letztern tilgt in uns jeden Gedanken an 


freie Selbſtthaͤtigkeit aus. Der Verſtand darf 


weder mit Materialien uͤberhaͤuft noch allzu ſparſam 
damit verſorgt werben, wenn er zur Freiheit erwachen 
und etwas zur Ertaͤmpfung ſeiner Muͤndigkeit wog 
to Ä | 


L 


Eine allzu (hf Einbilbungitraft verflingt 


alle unfere Aufmerkſamkeit, gewoͤhnt den Geift an 
ein muͤßiges Beſchauen bes Spieles, das fie: treibt 


und ſchwaͤcht jede andere Kraft; indem fie derfelben 


theils ben Nahrungsfaft, theils die Luft zur Thätigs 


keit entzieht. "Nun bat der Nichtgebraucd einer 


Kraft eben den Nachtheil, den die allzu große ununs 


terbrochene Anftrengung derſelben bat. Schwaͤche 


und d Abmung ſind die Folgen von beiden. 


Der Geiſt bedarf auch in der Einſamkeit PR, 
Khäftigung ‚ allein wie fann er thaͤtig ſeyn, went 
ihm die Einbildungsfraft feinen Stoff darreicht und 
wenn fie alles um ihn her öde und rodt läßt? Endlich 


macht ein ſteter Mangel an Materialien zum Nach⸗ 


2* 


N 


[4 


m 266 — 5 


| Geiſt ſinkt über dem bumpfen Anfchauen biefer ges 
* heimnißvollen Vorftellungen in einen Schlimmer, 
aus dem: ihn nichts wieder auferweden kaun. Allein ' 
micht bloß das Wunderbare und Yinbegreiflihe, das 
die refigiöfe Cpofitive) Glaubensart lehrt, ‚hält den 
Veſtſtand von Selbfiverfuchen ab, fondern auch die 

Verbote des Selbftprufens, welche die Priefter und 

Pfaffen ergehen laſſen, ſchreten ihn durch ihre Dro⸗ 

bungen davon ab; 

4) der Staat, der keine Greifer im Denfen 
und Schreiben geſtattet, und der alſo jede freimuͤthige 
Aeußerung mit Strafe belegt, iſt auch ein Hinderniß 
in der Ausbildung der Denffraft: denn wer will feis 

. nen eigenen Weg zu gehen wagen, wenn er befuͤrch⸗ 
ten muß, daß das Verderben auf ihn lauert und dag 
fein zeitliches Wohl dabei auf dem Spiele ſteht? 
Die Einfchränfungen, die ein Staat in dem freien 
Gebiete. des Denkens und Schreibens macht, find 
das unnüßefte und fehreiendefte Linreche--und- das 
größte Hinderniß. in der Kultur des * Menſchenge— 


ſchlechtes _ 


5). ber umgang, den man mit borurthelbvo 
len, , gedankenloſen und traͤgen Menſchen unterhaͤlt, 
hindert auch die Uebung der Denkkraft: denn der 

Menſch thut nur zu haͤufig das, was’ er Andere thun 
ſieht: er ahmt im Guten und im Boͤſen nach. Und 
aller Schlümmer und alle Unthaͤtigkeit ſteckt an; wir 
vertraͤumen daher ein Leben, das wir Andere hate 


los und unit zubringen ſehen; 


i 


— 








Pflicht ſey, . felbft zu denken. und in. allen Dingen .: 


— 267 — 


—* find. der Stand in welchem Jettand ges 


bohren wird, und worin man das Selbſtdenken ent⸗ 
weder fuͤr entbehrlich, oder für ſchaͤdlich oder gar fi für - 
entehrend erklaͤrt, das Leſen myſtiſcher ‚ Ihmwärmeris 


ſcher, wundervolle und unglaubliche Dinge enthalten« 
der Bücher, wötluftiger Romane u. ſ. w. Alle dieſe 
Segenftände erſticken nicht allein die Luſt und die Ent⸗ 


ſchloſſenhelt zum“ ſelbſteigenen Verſtandesgebrauche, 


ſondern vernichten ſo gar den Gedanken, daß es 


Härh eigenen Einſichten zu Handeln. Halten wir eine 


ESache für nuͤtzlich und wichtig, ſo fangen wir endlich 
auch an, ſo ſauer und beſchwerlich es uns anfaͤnglich 


Auch ſeyn mag,darnach zu ftreben und was geht über 
Die Größe des. Mannes, der in den Stuͤrmen der 


Welt unerſchůtterlich daſteht und ſtets ſo handelt, wie 
es ihn feine Einſicht lehrt und was giebt einen uns. 


fteeblichern- -Nachruhm als die‘ Ausbeute, die Der 


76) Andere düßere Hinderniffe in der Kultur der 


Menſch, durch Selbſidenken woher, der- Macwelt 


| hinterlaßt 2: 


= D 





.,.. “ "0. yo — 
- Gr Zn 


‚Wie kann man nun die Hinderniſe y die ſich un⸗ 


Km Beftreben; ſelbſt denken zu lernen, in den Weg 


rreten, beſi egem?-- -Die innern weichen der Entſchloſ⸗ 


ſenheit des Willensund einer derſelben angemeſſenen 
ununterbrochenen Anſtrengung der Denkkraft. So 
bald wir zum Selbſtbewußtſeyn erwacht ſind und alſo 
den Zuſtand unſers Gemuͤthes einigermaßen kennen 
n lernen Gelegenheit haben, müffen wir fo gleich ben 


’ 
x 
⸗ 


\ 


- — 268 — ⸗ 


Kampf mit der Traͤgheit, Gemachlichkeit pen Vor⸗ 
urtheilen und dem Aberglauben beginnen, ſie unter⸗ 
graben, und ihre Nichtigkeit und Verderblichkeit ein⸗ 
zuſehen ſuchen. Bei bieſer Bekaͤmpfung muͤſſen wir 
uns auf eine ermunternde und ſtaͤrkende moraliſche 
Vorſtellung ſtuͤtzen, um fo wohl nicht zu ermuͤden, 
als auch der Wichtigkeit und Nothwendigkeit uni 
Bemuͤhens immer eingeben? zu: feyn. Ohne ale 
Schonung müffen wir gegen jede Porſtellung verfah⸗ 


ven, welche die Prüfung ber. Barnunfs nicht aushält 


und wir muͤſſen ung als Kranke. anfeden, denen⸗man 


"einen fleinen. Schmerz verurfacht ). um deſte geöfisen 


Uebeln vorzubeugen. Alles aber, was ſich hinfuͤhro 
in unfer Gemuͤth einfchleichen und darin. feſtſetzen will, 
muß forgfältig geprüft und nad) feiner Wahrheit und 


. Wirkfamfeie unterſucht werben, . Beſonnen und fuͤhn 


müffen wir alle fih uns darbietenden Erfcheinungen 
in ihre; Beflandtpeilen auflöfen, ‚nach ihren: Weſen 
und nach Ihren Selgen — —— kein 


is 
.eo.0 0° 


und fie als Kinder unfers Geiftes anfehen. f Hab: ime 


‚ mer haben wir fchon viel gewonnen, "wenn wir zu ber 
Einficht gelangt find, daß dieſe oder jene Borftellung, 


welche uns am Gelbfidenfen hindert, nichtig ift und 


daß fie ehen fo wenig Grund als Nachteil für unfer 


wahres ächtes, Seyn uhat und wenn wir mit dieſer 
Finficht- noch . die. ¶Entſchloſſenheit ſie auzurot⸗ 


ten, verbinden, fo werden wir gay: had die Schwie⸗ 


rigkeiten beſtegen, welche unfere Erziehung zur freien 
Selhſtthaͤtigkeit der Denkkraft verhindern. 
Der Kampf mit den aͤußern Hindernif en im 


J Selbſidenken erfodert meh! Vorſich und Bepufan 


\ 








— 269 _ 

feit als mit den Innern, wenn uns unfer Unterneh ⸗ 
men gelingen und wir nicht Stürme gegen uns auf» 
regen wollen, Die ung ungluͤcklich machen und- ung 
Zreiheit und. Ruhe rauben koͤnnen. Wir haben es 
hier mit der Staats» und Kirchengewalt zu thun, Die 
eiferſuͤchtig jede Schmäferung ihres Gebietes: bewacht 
und den Kühnen, ber einen Eingriff in daffelbe wagt, 
zu Boden ſchmettert. Wir müffen alfo ftets forgfäfe 
tig überlegen, mas wir fagen und Treiben, , damit eg 
derſelben feinen Anftoß giebt, allein wir dürfen ung 
doch auch nicht ſcheuen, dasjenige als Wahrheit zu 
. verfündigen, was wir mit Gründen fuͤr ſolche aner⸗ 
kennen. Ballen vie in Diefem Kampfe ale Opfer für die - 
Rechte der Menfchheie und für die Wahrheit, fo 
haben dies Unrecht nicht wir, jondern die Staatsge- 
walt hat es zu verantworten. Sie foll blog Hand« 
lungen richten, die auf die Willführ Anderer. einwirs 
fen, aber feine Gedanken und Meinungen verdam« 
men, bie bloß vor das Gericht des Gewiſſens der 
Menfchen und vor die Gottheit gehören , und die Die 
Staatsgewalt fo Heilig, mie dieſe felbft, halten foll. 


In allen Zeitaltern hat es freimuͤthig denkende 
Koͤpfe gegeben und es liegt bloß an den Menſchen, 
daß das Selbſtdenken und die ſchriftliche Bekannt— 
machung der Ausbeute deffelberr nicht für eine eben 
fo gemöhntiche und ſchuldloſe Erfcheinung als die Bes 
wegung im Raume, das Eehen ber Augen und das 
teben in der Luft angefehen wird. ‚Wenn Alle ſelbſt 
denfen, alsdann wird fein freimüthiger Denfer mehr 
geächtet werden und wenn alle prüfen und forfchen, 
dann werden alle außere Hinderniſſe des Selbſtden⸗ 


Tan 
kens verſchwinden. Erkennt man bie Letztern nur ein⸗ 
mal als ſolche an, dann wird der menſchliche Geiſt 
ſicherlich alle ſeine Kraͤfte aufbieten, um ſie zu uͤber⸗ 
winden, weil ſie ſich ſeinem freien und rechtmaͤßigen 
Wirken freventlich entgegen ſtellen. 


Gegen äußere Hinderniffe muß man ſch beſon— 
ders mit dem Bewußtſeyn ſeiner Pflichterfuͤllung ſtaͤr⸗ 
ken und bedenken, daß, wenn man und auch jetzt vers 
kennt, verſchmaͤht und verlaͤumdet, doch eine beffere 
Nachwelt ung Gerechtigkeit wiederfahren laffen werde, 
Je mehr, wir uns bei unſerm Denken und Urtheilen 

“durch die Achtung gegen die Pflicht des Selbſtdenkens 
- beftimmen laſſen, defto ſicherer koͤnnen wir ſeyn, daß 
wir mächtige Forrtſchritte in der Wahrheit machen 


| werden, 


! 





XV. Eapite, ' 


Fernere Marimen, die man bei der Erzie 
bung zum Selbſtdenken und beim Fon 
 fhen nad Wahrheit beobachten muß. 


" | Ö} 


Mir müffen - 2) öfters das Gegentheil von dem, 
worüber wir jetzt nachdenken, zu erfunden ftreben. 
‚Wenn wir wiſſen wollen, was zum Beifpiel der 
Wahnſinn ift, fo müflen wir zu erforfchen fuchen, 
was er nicht if. Derjenige, der. einen freien Ge⸗ 
\ brauch von feinem Verſtande machen und. der ſich 
"jepen Gegenſand ‚nach Belieben zum Nachdenken 








: | .. — 271 7 I 
wählen, ihn nach allen Seiten hin ſelbſtbeliebig un⸗ 
-terſuchen, ihn an ſeine ſchon erworbenen Vorſtellun⸗ 
gen mit Bewußtſeyn und Abſi cht anketten, und ihn 
mit Andern vergleichen kann, iſt Herr ſeines Geiſtes. 
Er unterſcheidet die Vorſtellungen der Gegenſtaͤnde 
von dieſen ſelbſt und er weiß, daß Gedanken noch 
feine Objekte und Peine Wirklichkeit derſelben aus— 
druͤcken. Der Wahnſinnige hingegen hält feine Eins 
bildungen für die wirklichen Gegenſtaͤnde und "kann 
fih von ihnen nicht fosreiffen, ſondern ift in ihren 
Kreis gebannt; er Denke ohne’realen, obgleich ofe 
nicht ohne logischen, Zufammenhang, kann feine fan« 
gen, dem Inhalt nach wahren und der Form nach cons 
fequensen, Reihen von Vorftellungen verfolgen und fi ee 
mit'den verfchiedenen Gegenftänden, die fie darſtellen 
ſollen, vergleichen, um zu ſehen, ob fie ihnen ent 
fprechen und mit denfelben übereinftimmen oder nicht, 
kurz er ift ein Spielball einer einzigen ober inebrerer . 
firer Ideen, deren Kreis er nicht überfpringen und 
innerhalb welchen er Lingereimtheit auf Ungereimes' * 
heit häuft, fo bald man feine Worte und feine Hand» 
lungen mit feinem wieflichen Zuftande in Vergleihung 
bringt. DBeurtbeilt man ihn aber aus dem —— . | 
punfte feines. eingebildeten Suftandes ‚o handelt und 
ſpricht er oͤfters dieſer Lage ſehr angemeſſen, z. B. 
es haͤlt ſich jemand fuͤr einen Koͤnig und ſo lange er 
ſich dieſen Gedanken denkt, thut und fpricht er alles 
| fo, wie er glaubt, daß ein König benfen und handen - 
muͤſſe. Es’ giebt Menfchen, die fo fange bie, _ 
vernüunftigften. Männer, und fi aller Grunde und 
. Urfachen der. Dinge um fid) her bewußt find, als dieſe 
Ä nicht in das Gebiet ihrer fixen Ideen fallen, wo f e 


. 


augenblicklich wieder ihre Einbildungen mie der Ge⸗ 


| genftänden- verwechfeln. — Das Gegentheil von 
dem Selbſtdenken ift das Michtfelbfidenfen, von dem 


os 


— 


Schlafen das Wachen, von dem Haͤßlichen das 


Schoͤne, von dem Niedrigen das Hohe u. ſ. w. 
Wenn mir öfters ſolche Betrachtungen anftellen und 
das Gegentheil von dem zu unterfüchenden Gegen⸗ 


ſtande aufipüren und durchgehen, fo werben wir bald 
dahin gelarigen, daß wir Wahrheit und Selbſtthaͤ⸗ 
| tigkeit der Denkkraft erkaͤmpfen. 


Eine zweite Maxime, die wir bei unſerm Den⸗ 
ken befolgen muͤſſen, iſt, daß wir ung bei unſern Un⸗ 
terſuchungen jederzeit eine leitende Idee verſchaffen, 
an die wir den Faden unſers Nachdenkens anknuͤpfen, 
um einen Gegenſtand in alle ſeine Schlupfwinkel ver— 
folgen zu koͤnnen. Dieſe Idee kann nun entweder 
praktiſcher vder theoretiſcher Natur ſeyn, und kann 
alſo entweder von der Beurtheilung des Werthes 
der Handlungen der Menſchen oder eines Dinges oder 
von der Erkenntniß eines Gegenſtandes hergenommen 
ſeyn. Jede Handlung der Menſchen iſt entweder 
moraliſch oder unmoraliſch, rechtlich oder widerrecht⸗ 
lich, (feine gleichguͤltige kann und darf es nicht geben) 
jede Erfcheinung muß einen Grund, eine Urfache und 
eine Abfiche haben, . jedes Ding muß zu etwas da 
feyn u. ſ. w. Bedienen wir ung jederzeit folcher leis 
tenden Ideen, fo teßen wir ung in den Etand, ſo 
wohl felbft zu denfen als uns Auch gegen Irrthum zu 
verwahren. | 


Wir durfen 3) nichts denken, was wir nicht 
verſtehen, oder wenigſtens in der Folge einzuſehen 











= 273° — 


Hoffnung Haben. Kein unverfländlicher Gedanke, 


⸗ 


keine dunkle und verwirrte Vorſtellung darf in unſere 


Ideenreihe aufgenommen, ſondern, alles muß be 


leuchtet, zergliedert, nach Grund und Folge, nach 
Urſache und Wirkung begriffen werden, fo bald wir 
daffelbe gewahr worden ſind. Bleibe uns ja endlich. 
etwas unverftändlich, fo müffen wir den Grund das 
von auffuchen, und zu ber Einfiche zu gelangen ſtre⸗ 
ben, ob ein Gegenftand entweder außerhalb ben - 
Grenzen alles menfchlihen Begreifens liegt, z. DB. 
was Gott ift und wie er wirft, wie der menfchliche 
Geift denke, mie Freiheit auf die Nothwendigkeit ein⸗ 
wirfen fann u. f. w., oder ob mir noch nicht die 
Kenntniffe befißen, Die zum Verſtehen deflelben noche 
wehdig find. In der erfien Ruͤckſicht muͤſſen wir die 
Natur des menfchlichen Geiftes ſtudieren, um feine 
verfchiedenen Operationen kennen zu lernen, um niche 
das Denken mit dem Erkennen u. ſ. w. für Einerlei 


‚zu halten, oder von: dem Daſeyn einer Erfeheinung . 


auf das Dafeyn einer überfinnlichen Urfache zu fchliefs * 
fen; und in’ der Zweiten miffen wir emſig bemuͤht 
ſeyn, um die uns zur Erklaͤrung einer Erſcheinung 
noch mangelnden Einfihten zu erwerben. 


Man muß es fih zu einem unwandelbaren 


Grundſatze machen, ſich nicht lange in einem Kreiſe 
von dunkeln, verworrenen und unbegreiflichen Vor⸗ 
ſtellungen herum zu treiben, weil dies für unfern - 


Geiſt gefährlich it, fondern biefelben entweder auf« 


zuhellen, zu ordnen und begreiflich zu machen ,. oder 


ſie bei Seite ſchieben und ihnen entweder auf immer. 


oder nur auf eine Zeitlang den Abſchied zu geben, J 
Sunf gu denten. © 


⸗ 


N 


m 


— 274 — 


bis wir ung entweder bie Vorkenntniſſe, bie jum Ver⸗ 
fiehen berfelben norhwendig find, eingefammelt oder 
bis wir. mehr Geiftesftärfg erlangt haben, oder über- 
haupt zum: Nachdenken aufgelegter find, als es jeße 
der Fol iſ. Das lange Herummandern in dem 
Felde des Unbegreiflihen raubt dem menfchlihen 
Geifte alle Energie, alles Zutrauen auf ſich ſelbſt und 


- alle Luſt zu fang anhaltenden Anftrengungen. 


Wir müflen 4) dasjenige, was wir durch Machs 
‚denken und Unterfuchen herausgebracht haben, an 
die Vorftellungen anderer Menfchen halten, baffelbe 
mit den Yhrigen vergleichen und fehen, in wie ferne 


. unfere Reſultate mit den Ihrigen übereinftimmen, 


auf welchen Wege fie wohl auf diefelben gefominen 
find und wo fie oder wo wir gefehlt haben. Dies 
Vergleichen der Gedanken ift ber. Schmeljtiegel der 
Wahrheit; ' es fäubert und reinigt, ſondert das Aechte 
von dem Unächten, das Wahre von dem Falſchen 
ab, und made uns auf Öefichtspunfte aufmerfjam, 


die wir entweder wegen unferer Sage ober wegen unz 


ferer Anſicht des Gegenſtandes oder aus Mangel an 
Einſicht und geübten Geiftesfräften überfehen haben. 


„Mit allen unfern Gedanken muͤſſen wir diefe Probe 


der Vergleihung anftellen-und unpartheiiſch Wahr⸗ 


. heit, Gründlichfeit und Gediegenheit der beiderfeis 


tigen Vorftellungen abwiegen. Jeder Gegenftand 
des Nachdenkens und das Refultat, das wir aus 
demfelben gezogen haben, muß mittheilbar feyn; was 
niche diefe Probe auspält, mit deſſen Wahrheit und 
Gegruͤndetheit ift es fücherlich fchleche beſtellt. Die 
allgemeine Mittheilbarkeit einer Meinung, d. h. die - 


. 








e ‚ V 


qm 95 — 


Möglichkeit des Begreifens derſelben von jedem, der | 


Luſt und Einfiche dazu har, iſt für die Wahrheit ders 
felben das, was die Publizieäe für das Recht iſt. 
Ueberdies ift es immer eine bedenkliche Sache,“ wenn 


niemand von denen, die felbft denken, mit unfern Vor⸗ 
- ftelungen übereinftimmt, und es ift weit wahrfcheins 


licher, daß wir geirrt haben, als daß alle Andere, welche 
ruhig geprüft und ſelbſtgedacht baben, irren ſollten. 


X 


Wit möffen 5 uns öfters beim Denken orien⸗ 


tiren, und daher manchmal auf den Punkt zuruͤck⸗ 


ſehen, von dem wir bei unſerm Nachdenken ausge⸗ 


gangen ſi nd und nach dem Ziele hinblicken, auf das 
wir losfteuern. Der Standpunkt, auf dem wie 


ftehen, muß uns immer befannt ſeyn, um die Nähe 


und Ferne der Wahrheit unferer Borftellungen und 


unfers Machfuchens beuetheilen zu koͤnnen. Der 


menfchlihe Geiſt wird nur zu leicht ein Raub von 


Verirrungen, denen er nur dadurch ausweichen kann, 
daß er manchmal. bei feinem Nachdenken Halt macht 


und ſieht, wo er ſich befindet, ob er auf dem rechten 


Wege iſt, ob er nicht das Gebiete, durch das die 


Bahn unſeres Unterſuchens geht, verlaſſen hat und 


in ein fremdes und unbekanntes Land eingetreten iſt, 


wo wir verlaſſen find und wo mir feinen Führer wein 


ter haben. Das Orientiren ift- für ben Geift das, 


was nad) einer langen Reife eine Erquitfung für dein, 


Körper iſt; es labt, ſtaͤrkt und verjuͤngt. Durch 
daſſelbe beſinnen wir uns, woher wir kommen und 
wohin wir wollen, welche Bahn wir ſchon durchlau⸗ 
fen, und in welcher Richtung wir Dies gethan haben 


und welche Schwierigkeiten noch zu beſiegen And, 
© 3 


— 276 — 


ehe wir ans Ziel gelangen, ob die Beweisart, von 
der wir Gebrauch gemacht haben, in dem Felde, 
auf dem wir uns befinden, anwendbar iſt, und eb 


die Gründe ‚ mit denen wir über einen Gegenfland 


entſchelden. ‚, auf denſelben baffen ober nicht. 


ee 


Sechſtens ift viel daran gelegen, daß wir immer 


wiſſen, ob wir-es mit einem’ Gegenſtande des Wiſ— 


— 


ſens, oder des Glaubens oder des Meinens zu thun 
haben. . Wer die Unſterblichkeit der. menſchlichen 
Seele. oder das Dafeyn ‚Gottes demonſtriren, d. h. 
die Wirklichkeit und alſo die Wahrheit des Geſuchten 


in der Anſchauung nachweiſen und begruͤnden wollte, 


würde das Sieb. der Danaiden zu füllen verſuchen. 
Wer hingegen meint, bag drei mal vier doch wohl 
ztoölf ausmachen oder daß die Peripherie des Eirfels 


‚von dem Mittelpunfte deffelben doch wohl allenthals 


ben gleich weit entfernt ſeyn fonne, wuͤrde eben fo 
ſehr von dem Ziele der Wahrheit abweichen, als dere 
jenige, ber für gewiß behauptere, daß wir uns in Der 
‚andern. Welt wieber erkennen wurden. Alles, was 
gewußt und alfo erfannt werden fann, mußein Ob⸗ 


jekt der Anſchauung oder der Grund von der Erfenntnif 


felbft feyn und die Beweiſe dafür muͤſſen objektiv (im 
dem Gegenftande enthalten) und fubjeftiv (in dem ur⸗ 


theilenden Subjekte gegruͤndet) zureichend ſeyn; das 


Gegentheil davon iſt entweder ein Gegenſtand des 


Glaubens ober des Meinens. Das Meinen iſt die 


geringfte Art des Fuͤhrwahrhaltens, z. B. das Werts 
ter wird ſich heute ändern (ob gleich die Kennzeichen, 
wodurch man bies gewiß einjehen koͤnnte, noch nicht 
zu Fällung ‚eines ſolchen Urtheiles binreichend find) 


\ 





. ” x . 
. . ’ - 277 _ | 
und. bei ihm-finden weder ſubjektiv noch objektiv hin⸗ 
reichende Gründe. zum Beweiſe .der behaupteten 
. Sadheftatt. Beim Glauben hingegen find zur An⸗ 


nahme und zum Fuͤrwahrhalten eines Gegenflandes 


hinlaͤngliche fubjeftive Bedingungen vorhanden. 


Der Glaube umfaßt entweder Dinge einer überfinns 


lichen Wels (j. B. es giebt einen Gore, wir find une 


ſterblich) oder der Vergangenheit (z. B. Cäfar gab 


‚ber roͤmiſchen Freiheit ben legten Stoß, es hat ein 
Alerander gelebt) und es giebt daher einen mora⸗ 
lifchen und einen hiſtoriſchen Glauben. Das Mei- 
nen bieteg dem menfchlichen Geiſte den meiteften 
Spielsaum dar und das Wiſſen umfchliege das 
kleinſte Gebiet der menſchlichen Thaͤtigkeit. 


Bei allem unferm Denken müffen wir 7) nicht 


- - allein nach der kogijchen Einftinimigkeit unferer- Ges 


danken, fondern auch nach dem niateriellen .Zufam« 


menbange derfelben mit dem zu unterfuchenden Gegen⸗ 


- 
° 


ftande ftreben. Keine Behauptung darf von ung . 


aufgeftelle werden, die fi ch nicht aus einem Grund: 


fage ergäbe .und es darf ung feine Meinung ents . | 


wiſchen, die nicht mit unferm ganzen Gebanfenfüftenie 


im Einflange ſtaͤnde. Unfere „Borftellungen koͤnnen 


wir deshalb wohl ändern, allein alles, was wir jeßt 
ſprechen, reden und ſchreiben, muß doch einftimmig 
in fich ſelbſt ſern, menn.es für uns Anſpruch auf 
Wahrheit machen will 


Dieſe Dorimen des Denkens find fo wohi 


Uebungsmittel unſerer Denkkraft, weil wir uns 


bei Befolgung derſelben ſtets unſers eigenen Ver ⸗ 


a v⸗ 





— 20. — 

Außer dem moralifchen Intereſſe koͤnnen mie 
auch noch die Ausficht auf die mancherfei Arten von 
Vortheilen, die uns das Denken gewährt, mit der 
Borftellung von diefer Art von Beſchaͤftigungen ver« 
binden. Die Gefchicflichkeit im Denfen macht uns 
zur Ausführung von allerlei Zweden tauglich und 
verfpricht einen Genuß, ber eben fo aufmunternd 
‚als erquickend ift; ‚denn wenn wir im Denfen geübt 
find, fo Fönnen wir uns mit der Hoffnung ſchmei⸗ 
ein, daß wir die Natur in ihrer geheimen Werk 
ftätte belaufchen,; daß wir dag für uns Nuͤtzliche und 
Echädliche fo wohl in der Natur als in der Geſell⸗ 
fchaft der Menſchen Eennen lernen und daß uns Freu⸗ 
den zu Theil werden werden, von benen ber Ungebildete 
weder eine Ahndung noch für die er eine Empfänglichkeit 
bat. Unfer? Brauchbarfeit wird mit der Geuͤbtheit im 
Denken vermehrt, unſere Gewalt uͤber die Natur 
vergroͤßert. Als Aufmunterungsmittel zum Denken 
giebt es eben ſo viele Arten von Intereſſe, als es 
Gegenſtaͤnde giebt, welche uns entweder Gewinn, 
oder Ehre, oder Brauchbarkeit oder Wuͤrde ver⸗ 
ſchaffen. Die Ausſicht auf dieſe aͤußern und innern 
Vortheile muͤſſen wir weislich benutzen, um vermit⸗ 
telft des Einen oder. des Andern unfer Intereſſe am 
Nachdenken zu beleben, zu unterpalten u und” su ver⸗ 
ſtaͤrken. 


Au berdem giebt es noch mehrere Ermunterunge⸗ 
und Staͤrkungsmittel i im Denken und dieſe ſind: 


1) die Abwechſelung der Gegenſtaͤnde; J 
2) das, Contraſtirende; 
3) das Neue und Ungewoͤhnliche; 


— 7 





ET Te 
4) die Steigerung i in den Berftelungen; 
5) ‚das Paradore; 
, 6) das Witzige; en 
7) bas Naiver . — 


‘ 
. 


1) Sebe Veränderung‘ und Abwechſelung der 
Gegenftände erregt unſere Aufmerffamfeit und reise 
den Geift zu neuem Nachdenken; das ſtete Finerlei 


| hingegen ermuͤdet und laͤßt den Verſtaͤnd unbeſchaͤf⸗ 


tigt. Man muß daher, um feine Kräfte immer,von 


‚neuem zur Ihätigkeit zu flärfen und feine &uft dazu 


zu unterhalten, öfters die Gegenftände der geiftigen 


Beſchaͤftigung wechfeln, denn Abwechfelung ift Ex 


quickung und. Stärkung für den Geift, weil’ der 


Wechſel der Dinge außer dem tiefern Eindrucke, den 
er auf unſer Gemuͤth macht, auch zugleich andere 
Anſichten darbietet, unſere Kraͤfte bald in einem' 

geringern bald in groͤßerm Grade beſchaͤftigt, und 
durch friſche Reize zu neuen Anſtrengungen auffodert. 


Das Sinnliche muß daher mit dem’ Veberfinntichen . 
das Phnfifche mie dem Moralifchen, der Menfch mit 
der Natur, Anfehauungen mit Begriffen, Phantafie- 


gebilde mit Ideen der Vernunft, das Träge und -. 
Lebenloſe anit dent Thätigen und Lebendigen wechſeln. 
Veraͤnderupgen der Gegenſtaͤnde des Nachdenkens 
find für den Geiſt das, was eine friſche reine Frühe 
lingsluft für den Körper ifl. -Meues Leben und neue 


„Kräfte durchdringen unfer inneres und verfcheuchen 


jeden Öedanfen, als wenn wir jemals im Nachdene 


ten ermüden, und als wenn uns daſſelbe jemals 


überdruß und Ekel einläßen € koͤnnte. 


— 282 — 


2) TR das Contraſtirende ein anderes treffliches 
Erregungsmittel zu neuer Luſt im Nachdenken. Es 
ſticht von den Vorſtellungen ab, die ung bisher bes 
fchäftige haben und durch das ftarfe, aber zugleich 
angenehme Entgegenfegen der Gegenftände und 
Ideen wird die Aufmerffamfeit von neuem aufgeregt. 
Wenn man zu ‚lange uber einem Gegenftände bruͤtet, 
ſo wird er, zumal wenn er nicht viele Seiten zum 
Betrachten darbietet, und alſo vielerlei Anſichten zu⸗ 
laͤßt, zu gemein und alltaͤglich, als daß er uns noch 
mit Vergnuͤgen und Vortheil fuͤr unſere Bildung 
beſchaͤftigen koͤnnte: den menſchlichen Geiſt als eine 
endliche in Schranken eingefeſſelte Kraft ſtumoft ein 
ewiges Einerlei ab. Es ſi ind daher Reizmittel noͤthig, 
um ſeine Kraͤfte in jugendlicher Staͤrke zu erhalten. 
Wenn wir in unſern Betrachtungen das Erhabene 
mit dem. Niedrigen, das Schoͤne mit dem Haͤßlichen, 
das Unendliche mit dem Endlichen u. f. w. abwechſeln 
laſſen, fo ermüden wir nicht leicht, fondern find ſtets 
bereit, unfere ‚Unterfuchungen mit Luſt und Anfirens 
gung fortzuſetzen. Mit Vergnügen fuchen wir jolche 
Verſchiedenheiten auf, dringen in ihre Befchaffens 
beiten ein und erforfchen ihr wechfeljeitiges Verhaͤlt⸗ 
ni. Contraſte beleben die Sinne uud wenn dieſe 
Srgane des Geiftes,' vermittelſt deren er ſich mit 
der Welt außer fih in Correſpondenz feßt, immer 
angefrifäht werden, fo gebt biefe neue Belebung auf 

| den Geiſt felbft über, denn mas ermattet an ung, 

wenn wir lange über einen und Denfelben Gegenftand 
nachgedacht haben? Iſt es nicht die Meisempfäng« 

. Tichfeit der Sinne, die in ben Nerven ihren Grund 

su haben fheint, und iſt es nicht vielleicht Die Auf— 


⸗ 
6 





un 283 \ 


\ 


rung md der Verbrauch ‚des Demengeiſt, d deſen 


Mangel uns ſtumpf und lebenlos macht, fo-bald nk . 


lange wit dem Geifte gearbeitet haben? Das Com 
‚traftirende.aber ſetzt das, Stockende in Lhatiskeit und 
friſcht das Abgelehte a an. | 


\ 
„\ 


Die Ermüdunget des Geiſtes ir: das Grab aller 


| großen ‚. neuen und fruchtbaren Gedanken und aller 


‚erhabenen. weit wirfenden Entfchlüffe; es gelingt ung 
nichts, wenn wie ermüdet find, und vergeblich vers 
ſuchen wir, felbft bekannte Gegenftände mie Glück zu - 
bearbeiten. Wir müffen daher öfters das. Gegen⸗ 
Yheil bei unferm Nachdenken, und zwar im ſtarken | 
Eontrafte Darftellen, wenn wir weder ermuͤden noch 
Zeit und Kräfte. wit leeren Begriffen vergeuden 
wollen. 


3) In das Neue und Ungewoͤhnliche ein ande⸗ 
res Mittel, das uns zum Denken anfeuert und ung | 
Intereſſe an diefer Are von Befchäftigung einflöße. 5 
Ein Gegenftand, der uns unbekannt, doch aber feis 
ner Natur nach nicht. allzu ſchwer zu begreifen ift, . 
erteilt der Wirkſamkeit unferer Geiſteskraͤfte einen 
neuen Schwung. Wir ſuchen uns Einfichten in.den« 
felben zu verschaffen und uns mie feinen Verhaͤltniſſen J 
zu andern Dingen bekannt zu machen, fo viele Ans 
firengung es uns auch Foften mag, weil das Dunfele, u 
das Unbefannte und das Unbegreifliche eine Schwies 
rigfeit ift, die unfern Geift, wenn feine Kräfte nur 
einigermaßen geuͤbt find, nicht nieberfchläge, weil.er 


ein geſchworner Feind folcher Erfcheinungen ift, bie. 
er zu befiegen nie ermudet. 


EZ 1.7 ra ” 
Allein wie unterfcheider ſich das Meue von dem 
Abwechſelnden? “jenes ift uns unbefannt, dieſes kann 
uns ſchon bekannt feyn; jenes fann zwar Aehnlichkeit 
nrit Gegenſtaͤnden haben, welche eben jetzt unſere 
. Aufmerffamfeir. beſchaͤftigen, dieſes aber muß von 

denfelben der Art nach verfchieden feyn. Daher iſt 
alles Neue zwar ein Wechjelndes, . aberinicht alles 
Wechfelnde iſt Neu. Neue Entdeckungen über bie. 
Natur und den Menſchen verfehlen nie die Abſccht 
uns zum Nachbenken; zu reizen. 


Allein das Fortgehen von einem Gegenftande 

zum Andern, um etwas Neues aufzuſuchen, darf 
uns nicht zur Fluͤchtigkeit verleiten, welche der Ober⸗ 
flaͤchlichkeit der Kenntniß Vorſchub und der Gruͤnd⸗ 
lichkeit der Einſichten Eintrag thut. Die Letztere er⸗ 


wirbt man ſich beſonders dadurch, daß man den Ge⸗ 


genſtand genau kennen lernt, daß man ſeine Beſtand⸗ 
theile unterſucht und ſeine Wirkungen beobachtet, 
2) daß man ſein Verhaͤltniß zu andern Dingen in 
Betracht zieht, und daß man Einſicht in das zu be⸗ 
kommen ſucht, was er zu einer Erſcheinung, die ein 
Produkt der Wechſelwirkung verſchiedener Gegen⸗ 
ſtaͤnde iſt, beitraͤgt, und 3) daß man auch die Um⸗ 
ſtaͤnde, unter denen man ihn gewahr nimmt, beobach⸗ 
get, und af die Anſicht Acht giebt, ‚aus. ‚denen wir 

| ihn beurthei le. | 


4 Wird bie Aufmerkſameit undedas Sn 
on am Nachdenken auch dadurch unterhalten, daß 
wir yon dem weniger Intereſſanten zu dem mehr Ans 
iehenden, von dem Kleinen zu dem ‚Großen, von 


—4 


| 








FRE weniger Wichtigen und Geholtsollen zu dem 
mehr Ideen⸗ und Folgereichen, von dem weniger 
Angenehmen zu dem mehr Angenehmen: uͤbergehen, 


und daß wir alſo die Vorſtellungen von den Gegen ⸗ 


ſtaͤnden ſteigern. Dieſer Uebergang muß aber nicht 

allzu ploͤtzlich ſeyn, ſondern nur allmaͤhlig geſchehen: 
wer ſich auf einmal; mitten. in den Genuß ſtuͤrzt, der 
wird deſſelben bald uͤberdruͤßig; denn er floͤßt ihm 
Ekel ein. und zieht uͤherdies noch Schwaͤchung ber 
Sräfte nach ſich. So iſt es auch mit den, Geiſtes⸗ 
‚hefchäftigungen; das Lehrreichſte und. Intereſſanteſte 
muß nicht den Anfang berfelben machen, ſondern fuͤr 
das Ende bei dem. Nachdenken uͤber einen Gegenſtand 
aufgeſpart werden, wo es für den Gef Srirtung 
wird. Do a ee 


5 Paradore eat ergreifen. Saiten 


in unferge, Seele, die oft gar noch nicht berührt wor⸗ 
den fin. Wir faſſen begierig die Anſicht auf, die 
‚ burch-diefen Klang in uns erwecft-wird und von Neu⸗ 


n 


N 


gier gefporne ftreben wir nach Auffchluß über Dinge, - .' 


die bis jeße noch unferm Nachdenken entgangen find. 
. Paradorien wirken, wenn fie nicht allzu ſehr gehäuft . 
werben, ‚gleich eleferifchen Schlägen; fie erfchlitgern, 
befeben und flärfen. Die Schriftſteller thun daher 


wohl, wenn fie ihren Sefern zur Unterhaltung der, ' 


Aufmerkſamkeit manchmei paradoxe Gedantken hin⸗ 
werfen. 


⸗ 
— 


6) Das. Witzige ſchmerr gleich Stacheln, wenn 
wir uns getroffen fuͤhlen; allein es iſt nicht bloß 
ſchmerzhaft, ſondern auch angenehm, ſo bald es nur 


— 286 win 


ceſe die Seite eines Gegenſtandes, auf die der Sa 
ſeine Pfeile abſchießt, beruͤhrt es: ſetzt Die menſch⸗ 
lichen Kraͤfte in ein leichtes Spiel, Das ben: Geiſt 
eben ſo ſehr van als. es ihn vom Macforiihen auf⸗ 
| fobert- 


9 


⸗ 
‘. 
⁊ 


7) Das Wohlgefallen an dem Naiven eatſtehe 
burch den Anblick der reinen unſchuldigen Menſchen⸗ 
natur und iſt als ſolches Fein geringer Antrieb, ün⸗ 
ſere Beobachtungen über die’ Menſchen unumtetbrös 
chen fortzufeßen, weil es ung Hochachtung gegen ein 
Geſthlecht einflöße, aus dem die Natur noch ſo'ſchuld⸗ 
los ſpricht. Naive Behauptungen erregen die Auf 
merkſamkeit⸗ gewähren uns ein reines Vergnuͤgen 
und reizen eben fo ſehr die Neugierde, als fie Muth 
im Nachdenken einflößen.. 


Kr 


uUiberhauyt unterhält alles die Anfmurſamr eie 
unfecs Geiſtes und das Intereſſe am Nachdenken, 
was. ber Einbildungsfrait Nahrung giebe und alles 
floͤßt uns Luft ein, einen tapfern Kampf mit Schwies 
rigfeiten zu beftehen, was unfere Neu s und Wig- 
‚ begierde zu befriedigen verſpricht. Wir müffen: da- 
ber, wenn wir uns gegen Ermübung und gegen 


= Aleberdeuß mit geiftigen Befchäftigungen verwahren 


wollen, für Mannichfaltigkeit, Geiftigfeit, Leben. 
digkéeit und Fruchtbarkeit des Stoffes forgen, welche 
die finfenden Ktaͤfte aufrecht erhalten und die ermat⸗ 
‚teten ſtaͤrken. 


- — 


2 — 27 - 


XIX. Eapitel, FE rs . 
Weige gehter muß man bei Selernung: 26 
Selöfdentens vermeiden? 


En 


rue 





Weſr bei Allem, was er thut und was er vornimmt, 

ſtets mit ſich ſelbſt zufrieden iſt, wird. in keinem ſeiner 
Geſchaͤfte eine. große Geſchicklichkeit erreichen, weil 
er das Ziel der Vollkommenheit, nach:dem, er zu: fire 
ben hat, errungen zu haben waͤhnt, ob dies gleich 
nicht der Fall ifi. Dee Menfch muß, daher. mit ſich 
felbft in dein, was durch Sreiheit-erreichbar iſt, un—⸗ 
zufrieden werden und dieſe Unzufriedenheif mie fih 
ſelbſt entſteht durch Ideale, Die er Ah von allem, . 

was er thun foll, bildet und nad) deren Realifirung 


er fich fiets zu ringen entjchließe. : Und nirgends: if | 


ein folches fees Streben nach Idealen nothmwendiger 
und nuͤtzlicher, als bei der intellektuellen und morali« 
ſchen Kultur des Menfchen, weil die Vollfommenpeie 
derfelben in einer unendlichen Ferne liegt, Mag er 
Geſchicklichkeiten und Tugenden erfämpft haben, 
welche er :will; er thut hierin feiner Vernunft 
doch nie Genüge, und dies ift auch das wahre ächte 
Menſchenleben und die Stimmung, bei der er ſich 
ein Held im Denken und im Guten zu werden ſchmei⸗ 
cheln darf. , 
Der Menſch muß ſch daher ſtets angelegen ſeyn 
laſſen, nach einer immer groͤßern Ausbildung der 
Denkkraft zu ſtreben und er darf ſich nie von dem 


J. 


— 18 — 
Gedanfen einwiegen faffen , ‚ als Gabe, er das Ziel ers 
reicht, dent wie groß auch) die Fertigkeit und die Ges 
ſchicklichkeit, die er fi ch im Denken errungen, hat, 
in mag, feine Denffraft kann doch immer mehr 
ausgeb be und vervollfomme 'werden. ine grens 
zenlofe Bollfommenheit muß das Ziel feyn, nad) dem 
er ſtrebt, und bie Mufter, die die Wors und die Mit—⸗ 
Welt im Denken aufſtellt, müffen ihn jur Aufmunte⸗ 
tung bei feinem Benühen und zu Beiwelfen-bienen, 
wie weit es der Menfch durch Fleiß und Webung i in 
der Kultur feiner Denkkraft bringen tann. 


Denken und sernen müfen Geſchäfte ſeyn, die 
er feig ganzes Leben Hindurch fortfeßen muß, weil ei 
Fra der Pflicht der Vervollkommnung feines 

erftandes und feiner Vernunft Genüge thut. Der 
ſtolze Traum / daß: er ſchon alle Voilkommenheiten 
beſitze, welche er ſich erwerben ſoll, iſt das Grab des 
Adels und der hohen Würde feiner Natur, Die 
Selbſtgenuͤgſamkeit iſt nirgends weniger werth als 
in.dein, was unfer Werden besriffe, ob fie gleich in 
dem, was wir haben‘, (in Anſehung der aͤußern Guͤ⸗ 
ter) Lob verdient. 


» Ein zweiter Fehler if die esneomfegueng ‚mw 
wir aus Borderfäßen Behauptungen ziehen, die ſich 
nicht aus ihren ergeben. Wer zum Beiſpiel an⸗ 
nimmt, jeder Menſch koͤnne immer beſſer werden und 
jeder habe die Pflicht, nach einer ſteten moraliſchen 
Vervollkommnung zu ſtreben und endlich gleichwohl 
den Einen oder den Andern oder gar das ganze Men⸗ 
ſchengeſchlecht für unverbejferlich erklärt, wer alles 


| 
. 4 











— 289 =. | 
Unrecht für verdammlich haͤlt, die eigenen Ungerech⸗ 
tigkeiten aber nicht mißbilligt, der verfaͤhrt nicht con⸗ 
ſequent. Verhilft eine ſtrenge Conſequenz auch nicht 
immer zur Wahrheit, ſo gelangen wir doch durch die 
Beobachtung derſelben zu der Einſicht, daß der Satz, 
aus bem wir folgerichtig. gefchloffen haben, ſelbſt 
nicht wahr ift: wir lernen. alfo. einen Irrthum Pens 
nen, ber ung in den wichtigſten Angelegenheiten des 
Lebens boͤtte ſehr nachtheilig ſeyn koͤnnen. 

3) Müfen wir die Unredficheie: im, Suchen 
nach Wahrheit vermeiden, und wir bürfen uns niche 
von etwas völlig überzeugt ftellen, mas wir entweder 
noch nicht geprüft haben ober gegen melches wir nad) . 
einer unpartheiifchen und reiflichen Unterjuchung noch 
einige Zweifel hegen, ober was fich uns fo gleich als 


‚ 


ungegründet darftellen würde, wenn wir nicht von 
Vorurtheilen ober von Partheilichkeie für daffelbe eine 
genommen wären. Heuchelei im Denken iſt 'eben fo. 


nachtheilig als ehrlos, weil es uns gegen reine un« 


eigennüßige Wahrheit nicht allein gleichgültig mache, - 


fondern ung diefelbe auch als ein Phantom anjehen 
läßt. Das beftändige Streben nad) Aufrichtigfeie 
in dem, was wir denfen, wiffen und glauben, ver« 


vollkommt eben fo ſehr unfere Kräfte, als es in ung 


den Trieb erweckt, jede Erfcheinung, welche in unfern 
Gefſichtskreis fälle, gruͤndlich und vorurtbeilsfrei zu 


unterfuchen. : Diefes Zorfchen mache uns auf bie _ 
Luͤcken und Mängel in unfern Erfenntniffen aufmerk . 


fam und lernt uns das Ungegründere und Seichte vie» 

fer Säße fennen, die wir entweder aus Gemaͤchlich⸗ 

Seit oder aus Borforge fire unſer Wohl für wahr. und 
Ruuß au denken · T 


\ 


— 


i— 390 — , 


ßeſt gegruͤndet hielten. So viel der Menſch Ruhe 
braucht, ſo viel giebt es auch Wahrheiten, die durch 
freies und unbefangenes Nachdenken gewiß gemacht 
werben koͤnnen, und fo viel:zu feinem Wohle dient, 
ſo viel finden fich auch Sehren, beren Gewißheit ſich 
über allen Zweifel erheben laͤßt. Die Gluͤckſeligkeit 
bes Menfcheit ift nicht das Kriterium ber Wahrheit, 
fondern die vorurtheilsloſe Vernunft ,. deren Foderun⸗ 
gen aber in’ formeller und materieller Hiafiche befrie⸗ 
Dige werden müffen, wenn etwas für wahr und ge: 
gründet geiten pi 2 ir 


3): Alles, was wir benfen, wiſſen und glau 
- ben, muß nicht allein für ung, ſondern auch für An⸗ 
dere verftänblich. ſehyn, denn Die allgemeine Verſtaͤnd⸗ 
lichkeit ) unferer Gedanken if ein Kennzeichee, daß 
fie in dem Gegenſtande, den fie betreffen, gegruͤndet | 
ſind und daß ſie fich Durch eine firenge Folgerung aus 
den aufgeſtellten Süßen ergeben. Was niemand 
verſteht, oder was auch nur einige Eingemeihete, nicht 
—etwa durch den Verſtand, einfehen, fondern nur durch 
das Gefühl ahnden, ift entweder gänzlich falfch, oder 
Wahrheit und Irthum find fo unter einander ge 
mifcht, daß man fie mit aller Müße kaum von einan⸗ 

der unterſcheiden kann. 





9 Zum Verſtehen aber wird erfodert I) daß-jemand 
Luft hat und Feine Anſtrengung ſcheuet, ſich etwes 
begreiflich zu machen, 2)-daß er die dazu noͤthigen 
Talente befist, und 3) daß er fich ohne Vorurtheie 
und ohne Partheilichkeie mie jedem Gegenſtande he⸗ 
kannt zu machen lernt. 





Was mirffen wir thun, wenn unſere Gedanken 
allgemein verſtaͤndlich werden ſollen? St müffen 
uns: 


2) mit dem Gegenftande, fiber den toir unfere 


Gedanken mittheilen wollen, genau befannt machen; 


b) den Worten ‚ in die wir unfere Gebanfen 


einfleiven, ihre gewoͤhnliche Bedeutung laffen oner 
Doc) genau angeben, was fie in unſern Vorſtelungen 


bedeiſten; 


| e) Deurlichkeit und Beſtimmtheit in den Bu 


. geiffen, Ordnung im dem Gedankengange, und Pos 
pularitaͤt i in ber Darftellung der Ideen beobachten; ; 


d) in unfern Schlüffen und Solgerungen freng Ä 


sonfequent ſeyn; 


e) nicht Blendwerke und Denan ationen, ſen | 


bern Grunde, die von der Natur der Sache herge⸗ 
nommen find, zum Beweiſe unſerer Behauptungen 
Brauchen; 


£) innerhalb der Grenzen der menfchlichen Er⸗ 
kenntbarkeit bleiben und nicht in ein Feld hinüber, 


fpringen, wo alles Verſtehen aufhört. 


Vergleichen wir endlich noch unfere Meinungen 
mit den Behauptungen anderer Menfchen, und hals 
. ten fie an von ſich felbft einleuchtende oder ſchon aus⸗ 
gemachte Säße, fo fönnen wir hoffen, daß man uns 
fere Gedanken verftehen und daß fie feinem Gaufels 
fpiefe gleichen werben, welches jede Beleuchtung 


ſcheuet. Wir denken ja nicht für uns allein, fordern 
auch für Andere. Wir wollen durch unfer Nachden⸗ 


© a- 
J 





| — 292 " 

fen nüßen, was hilft aber alle unſere Muͤhe, wenn 
wir fuͤr Andere umſonſt gearbeitet haben, weil wir 
ihnen das Verſtehen nicht erleichtert oder auch ganz un⸗ 
moͤglich gemacht haben? Die Wahrheit iſt ein Ge⸗ 
meingut der Menſchheit; fie darf nicht. bloß in uns 
| verfchloffen bleiben, fondern wir müffen fie auch 
öffentlich mittheilen, weil Irrthuͤmer, Vorurtheile 

und Aberglaube Hinderniſſe der Tugend fi nd. 


5) Die logiſche Unwahrheit, d. h. das Nichts 
übereinftimmen unferer, Gedanken mit fi) ſelbſt ift 
ein anderer Fehler im Denken, den man aber bei 
_ einiger Aufmerffamkeit anf diefelben leicht vermeiden 
‚Tann, weil er. gar zu ſtark in die Augen fpringt. 
Die Logik, fo bald fie auf einen Gegenftand ber Er- 
Fenntniß angewandt wird, fieht bloß dahin, daß fich 
- bie. Vorftellungen nicht. widerfprechen und alfo nicht 
einander feldft vernichten. Die Aufichlüffe, die mon 
durch eine genaue Befolgung, aller logifhen Kegeln 
und Gefeße erhält, find bei meitem nicht fo wichtig 
als diejenigen wähnen, die die logifche Wahrheit mit 
der materiellen verwechſeln, welche Leßtere uns wirk⸗ 
Stiche und gegründere Einfichten in einen Gegenftand, 
 verfchaft und die den Andern nur zu häufig einer Ber; 
findigung 'gegen die Logik befchuldigen, ob gleich der 
Sehler des Räfonnements nicht in dieſer, ſondern in 
einem Mangel an Einfichten und Kenntniffen liegt. 


6 Mifen wir ung auch huͤten daß wir bei 
der Erörterung eines Gegenftandes’ nicht aus dent 
Gebiete der einen Wiſſenſchaft in das Gebiete der 
Andern aberſchweiſen- und dadurch in mancherlei. 








23 ” 
Jerthuͤmer Adrathen. Wir müfen das Eigenthuͤm⸗ | 
liche einer jeden Wiſſenſchaft berausßeben und daſſelbe 
weiglich benugen. | \ 
7) & giebt noch mehrere Fehler, die man bei 
dem Denken zu vermeiden bat und die im Gemuüͤths⸗ 
zuſtande des Denkenden liegen. Dergleichen ſi nd: : 
a A. Die Zerfireuung ‚wo jemand: feinen Gegen⸗ 
ſtand feſthalten, fondern von dem Einen zu dem An⸗ 
dern abſpringt, wo jemand keine lange Kette von 
Vorſtellungen verfolgen kann, ſondern hier und dort 
Eine heraushebt, die am meiſten in die Augen faͤllt. 
Diefer Sehler im Denfen ift fie die Kultur. des Ver⸗ 
ftandes und fuͤr die Wahrheit fehr nachtheilig, weil ” 
beide, nur durch, Anftrengung und >, Ordnung erworben 
werben koͤnnen. Don 


B: Mißmuth, wo jemand fters über feinem eige⸗ 
nen Zurftande bruͤtet, in grämifchen Gefühlen herum⸗ 
wuͤhlt und dem zu unserfuchenden Gegenftande bei 
weitem nicht die Aufmerkſamkeit ſchenkt, die zu einer 
genauen Kenntniß befjelben norbwendig iſſ. Bei 
einer folcyen Gemuͤthsſtimmung födert der Gedanken⸗ 
gang nicht, die Vorftellungen. erweden fich einander . 
nicht auf eine leichte Art, der. Geift ift fie neue Ans . 
ſichten verſchloſſen, feine Selbſtthaͤtigkeit ift gerheile 
und alſo ohnmächtig und daher fruchtlos. Die Hei 
terkeit des Geiſtes ift die gluͤcklichſte Geburtshelferin 
der Gedanken und wir müffen diefe. ſo viel möglich 
durch ‚ein veines Herz, durch Empfaͤnglichkeit ber 
* Sinne, durch, Thaͤtigkeit des Verſtandes und durch 


⸗ 


— 296 — 
Vernunft kann keine Sekte ſtiften, weil fie ein Be= 


ſtandſtuͤck der Natur des Menſchen ausmacht, und 


das Menſchengeſchlecht keine Sekte ſeyn kann, indem 


man immer etwas Gehaͤſſiges mit dieſer Benennung 


- 


verbindet und zugleih auch Sektirerei auf die Er» 
lernung auswendig gelernter, blind angenommener 
und mit Leidenfchaft verfochtener Lehren hinweiſet. 
Da diefe bier angeführten Fehler große Kinder; 
mffe im freien Denken und in der Erwerbung von 


Wahrheit find; fo müflen wir uns fehr forgfältig be⸗ 


wachen, damit wir nicht in diefelben fallen und wenn 
wir fchon in ihren Feſſeln ſchmachten, ſo duͤrfen wir 
weder Zeit noch Muͤhe fparen, uns in Freiheit zu 


ſetzen, weil diefe Sflaverei nicht weniger entehrt als 


fie, wie jeder Sklavenftand, für die menſchliche Natur 


nachtheilig iſt. 





XX. Capitel. 


Hat das Denken Grenzen und wie viel giebt 
s e8 Methoden zudenten?  . ı 





Grenzen find Schranken, in die etwas eingefchloffen 
ift und über die es nicht hinaus gehen kann. Für 
den Menſchen giebt es Natur - und Freiheits> (moras 
fische) Schranten. Hat man auch beim Denken dieſe 


Schranken anzuerfennen? Man mag baffelbe in 


engerer oder in weiterer Bedeutung nehmen, es mag 


ein bloßes Verbinden und Trennen von Borftellungen 











. — 297 SE 

aber das Erkennen ſelbſt ſeyn, fo ſind ihm gewiſſe 
Grenzen geſetzt, Die aber ihren Grund in der Natur 
ber Denf£raft jelbft haben. Der Mersch Fann nicht 


das Widerfprechende denfen und nichts, was alißers: I 


halb der Sinnenwelt iſt, erkennen. Dies find Nas 
turgrenzen, welche für das Denken alfo folgende. 
find: 1) der Sag des Widerfpruchs und 2) der 
Grundfag der Erkennbarkeit. Nach jenen Dürfen. 
ſich die Vorftellungen, die wir mit einander verbins 
der, nicht. aufheben und jelbft im Begriffe Yrftören: 
nad) .diefem muß fi der Gegenftand, der erfanne 
werden foll, durch Anfchauungen legitimiren: denn 
was nicht anfchaubar iſt, iſt auch nicht erkennbar, 
(es müßten: denn die Örundlagen und bie Bedingun«. 
‚gen des Erfennens und alfo Die urfprünglichen Ges 
ſetze des menfchlichen Geiſtes ſelbſt feyn, melche Hoch 
in den: Kreis unferer Erfenntniffe gehören) und: was 
über die Sinnenwelt und die Dedingung derfelben 
hinausliegt, iſt fein Gegenfland des Erkennens. 
Das menſchliche Denken hat alſo Grenzen, die man 
nicht ohne Gefahr und angeſtraft uͤberſpringen kann. 
Wer ſich oft in jenes unbekannte Land wagt, wo nichts 
erkannt werden kann, und gleichwohl alles, was er 


durch Denken mit hinuͤber traͤgt und traͤumt, fuͤr er 


kennbar haͤlt, wird unvermeidlich ein Schmaͤrmer, 
weil er bloße Vorſtellungen fuͤr die Gegenſtaͤnde ſelbſt 
anſieht und ſich an dieſe Anſicht ſo gewoͤhnt, daß er 
weder Die Freiheit noch den Muth hat, ſich von den; 
ſelben loszureiſſen. ur ' 


Außer den Naturgrenzen aber giebt es auch noch . 
Freiheitsſchranken, welche das Handeln des Men: 


/ ! 


Dj 298 PP 


ſhen durch Verbote und Gibote- einengen, in wie 
ferne haben nun diefe-für das Denken Guͤltigkeit? 
Das Denfen ift eine Verſtandesoperation, die noch⸗ 
wendig erfolgt, und die nicht der Willkuͤhr anheim 
geftelle, fondern die ein Werk der Naturwirkſamkeit 
iſt; fie läße keine Zurechnung' zu und ift daher weder 


gut noch böfe. Die Feffeln, die das Moralifche dem 


Menfchen anlegt ‚- gelten alfo nicht fire das Denken; 


er Bann alles denken, was er will; er kann fich ohne 


‚Bedenken gute und böfe Borftellungen bilden, bloß 
die Ausführung des gedachten Böfen ft ihm verboten. 
Wollte, man das Denfen des Menſchen burd das 
Moraliſche befchränfen, fo würde man ihm 1) bie 
Kenntniß von bem, was boͤſe ift und 2) von-fich felbft 
und feinem Zuftande unmöglich machen, Er fann 
‚and folf über die Safter und Ausfhweifungen- des 
Menfchen nachbenfen, un Abfcheu in-fich Dagegen zu 
erregen und er Darf das Boͤſe denfen, aber daſſelbe 
weder in feine Willensmaximen aufnehmen noch dar⸗ 


nach handeln. 


In Anſehung des Denkens weichen alſo alle 
moraliſchen Schranken zuruͤck, weil ſie die Ausbil⸗ 
dung ſeiner Denkkraft verhindern wuͤrden. „Allein 
wenn der Menſch auch das Boͤſe denken darf, ſo darf 
ones doch niemand ſagen.“ Das Sprechen iſt ein 
lautes Denken und ift eben fo ſchuldlos als das bloße 
Denfen. Und welche Vortheile würde man denn 
gewinnen, wenn man das Reden über das Unmora⸗ 

liſche durch das Gewiſſen beſchraͤnkte? Der Menſch 
ſoll ſich mie Andern verſtaͤndigen und wie will er Dies 
thun koͤnnen, ohne mit ihnen ſich zu⸗unterhalten? 











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299 


Er ſoll das Böfe verachten, bas Laſter vorabſcheuen, 
und Das Verbrechen vermeiden lernen, und was floͤßt 
einen tiofeen Abſcheu gegen unmoralifche und mwiders | 
‚rechtliche Handlufigen ein als das laute Reden, das 
die Schande kund thut, die den Boͤſewicht brand⸗ 
markt und das Die Strafe ausſpricht, die der Schuld. 
auf dem Aue nachfelgen mug? Die intelleftuelle und 


die moralifehe Kultur, die Liebe zur Wahrheit und 
bie Heiligachtung des Rechtes und der Tugend würde. 


Darunter leiben, wenn man das Reden durch Gewiſ⸗ 


ſensverbote beſchraͤnkte. Der Menſch darf ſich Feine 
Schranken im Denken feßen; als diejenigen-,. welche 
die Nasur eff vorgeſcheieben hat. 





Wenn man denkt, ſo trennt man entweder.das, 


was ſchon verbunden iſt und. bringe es in eine andere 


Verbindung oder man vereinigt DaB, was vorher 
noch gar nicht verbunden iſt. Das Erſte geſchieht 


durch Analyſis, das Andere durch Syntheſis; eßs 
giebt alſo auch nur wei Methoden des Denkens, die 
analyeifche und die ſynt hetiſche. Jene zer⸗ 
gliedert, erlaͤutert, macht deutlich und verſtaͤndlich, 
was ſchon vorher verbunden iſt; dieſe verknift das 


Unverbundene, reiht das Zerſtreuete an einander, 
ordnet das Verworrene und ſetzt neze Verbindungen 
zuſammen. Aller Analyſis muß zwar eine Syneheflg 
vorausgehen, allein fo bald wiir,uns;des Denkgeſchaͤf⸗ 
tes bewußt werden und über bas Gedachte abſichtſich 
reflektiren, findew: wir ſchon eine Menge Borftelluns 

gen von Gegenſtanden, welche dutch unſern Verſtand 


rn‘ 


— 





— 


ſchen durch Verbote und Gibote -einengen, ir wie 


ferne haben num diefe für das Denken Guͤltigkeit? 
Das Denfen ift eine VBerftanbesoperation, die noth⸗ 
wendig erfolge, unb die nicht der Willkuͤhr anheim 
geftelle, ſondern die ein Werk der Naturwirkſamkeit 
iſt; fie läße keine Zurechnung' zu und iſt daher weder 
gut noch böfe. ' Die Feffeln, die das Moraliſche dem 
Menſchen anlegt ‚- gelten alfo niche fire das: Denfen; 


er Bann alles denfen, was er will; er kann ſich ohne 
‚Bebenfen gure und böfe Borftellungen bilden, bloß 
die Ausführung des gedachten Böfen ft ihm verboten. 


Wollte, man bas Denfen des Menſchen burch das 
Moraliſche befchranfen, fo wurde man ihm 1) bie 
Kenntnig von bem, was boͤſe ift und 2) von fich felbft 
und feinem Zuftande unmöglich machen, Er fann 


und ſoll über die Safer und Ausfchweifungen- des 


Menfchen nachdenfen, un Abfcheu in-fih Dagegen zu 
erregen und er darf das Böfe denfen, aber dafjelbe 
weber in feine Willensmarimen auftzehmen noch dar⸗ 


nach handeln, _ 


In Anſehung des Denfens weichen alfo alte 
moraliſchen Schranfen zuruͤck, weil fie-die Ausbil 
dung feiner Denkkraft verhindern würden. „Allein 
wen der Menſch auch das Böfe denken darf, "fo darf 


er es doch niemand fagen.” Das Sprechen ift ein 
lautes Denken und ift eben fo ſchuldlos als das bloße 


Denfen. Und welche Vortheile würde man denn 
gewinnen, wenn man bas Reden über das Unmora⸗ 


liſche durch das Gewiſſen befchränfte? Der Menid) 


ſoll ſich mit Andern verſtaͤndigen und wie will er dies 
thun koͤnnen, ohne mit ihnen ſich zu: unterhalten? 








.2 2 | 
Er foll das Böfe verachten, das Laſter verabſcheuen, 
und das Vorbrechen vermeiden fernen, und mas flößt. 
einen tieferen Abfchen gegen unmoralifche und wider⸗ 
„rechtliche Handluñgen ein als das laute Reden, das ' 
Die Schande fund thut, die den Boͤſewicht brand. 
markt und Das Die Strafe ausfpricht, Die der Schuld. 
auf dem Arge nachfelgen muß? Die incellefeuelle und 
die moraliſche Kultur, die Liebe zur Wahrheit und 
Die Heiligachtung des Rechtes und ber Tugend wuͤrde 
darunter leiden, wenn man: das Reden durch Gewiſ⸗ 
ſensverbote beſchraͤnkte. Der Menſch darf ſich keine 
Schranken im. Denken ſetzen, als diejenigen, welche | 
bie Nasur in vorgeſcheieben hat. 


——— — —— 5 


Wenn man benkt, ſo trennt man entweder ˖das, 
was ſchon verbunden iſt und bringt es in eine andere 
Verbindung oder man vereinigt das, was vorher 
noch gar nicht verbunden iſt. Das Erſte geſchieht 
durch Analyfis, Bas Andere durch Syntheſis; es 
giebt alſo auch nur zwei Methoden des Denkens, Die 


analykiſche imd die ſynthetiſche. Jene zere 


gliedert, erlaͤutẽtt, macht deutlich und verſtaͤndlich, 
was ſchon vorher verbunden iſt; dieſe verknipft das 
Unverbundene, reiht das Zerſtreuete on einander, 
ordnet das Verworrene und feht neße Verbindungen; 
zufammen. Aller Analyfis muß zwar eine Spntheflg 
gorausgehen, allein fo bald wir, unsides Denkgeſchaͤf⸗ 
tes bewußt werden und uber das Gedachte abſichtlich 
reflektiren, finden: wir ſchon eine Menge Vorſtellun⸗ 
gen von Segenſtanden, welche burg unfern Berftand 


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— 300 — 
1 


| | | 
unvermerkt verbunden worden find, und Die wir nun⸗ 


mehro wieder zerlegen’ und erläutern muͤſſen. 


Das Eirifammeln von Kenntniffen ift eine Syn⸗ 


theſis, das Nachdenken aber uͤber das Eingeſammelte 


eine Analyſis, welches von beiden, das Syntheſiren 
ober das Anafyfiren, ift leichter 2’ &s Eoftet weniger 
Mühe, und Anftrengung, das Verbundene zu fren« 
nen als das Zerftreuere zufammen zu fuhen, um es 
zu einem verftändlichen Ganzen ju vereinigen. Jenes 


hat fchon Bedeutung und Verſtaͤndlichkeit, diefes ſoll 


beide Eigenfchaften erft durch eine befonnene Zuſam⸗ 
menfügung erhalten. . ‘Der Menfch kann daher eher 


dasjenige verſtehen, was er ſchon geordnet und in ein 


Ganzes verbunden hat, als das Verworrene ordnen 
und dem Bedeutungsloſen Sinn und Bedeutung 


“geben. Das: Denfenlernen als. ein abfichtliches Bes 


ftreben, den Verſtand und die Vernunft an Selbſt⸗ 
thätigfeit zu gewöhnen, muß mit dem Erldutern und 
Berftehen desjenigen beginnen, was wir ſchon Durch 
Vorſtellungen aufgefaßt haben; Hierauf müffen wir 


| zu neuen Combfationen. und zur Hervorbringung 


neder Gedanken fortgeben. Das Seßtere verlange 
weit mehr Kenntniſſe, Geuͤbtheit im Denken und An⸗ 


ſtrengung bes Verſtandes als das Erſte, weil neue 


Böorftellungen, neue Anfichren und eine neue Ord⸗ 
nung ber Dinge hervorgebracht werden ſoll. 


Die Knafofis if beſonders ehr bie Jugend vor 


cheilhaft, weil fie durch "diefelbe füch ſelbſt verſtehen 


lernt. Wer aber viele Erfahrangen gemacht und 


eine große Fertigkeit im Denken errungen has, der 


—E 
5 


- 








—W — 301 — 


muß auf neue Eroberung ausgeben und neue Enc« 
Decfungen zu machen ſuchen. Allein wie macht man 
Entdeckungen? Man thut! bei der Anſicht eines Ges, 
genſtandes das Gegentheil von dem, was bisher ge⸗ 
than worden iſt. Man hebt die. Kehrſeite einer 
Sache heraus und nöthige dieſe zum Sprechen. 
Man laͤßt die Sonne ſich nicht mehr um die Erde, 
ſondern dieſe um jene drehen; man laͤßt die Natur 


‚nicht mehr dem Menſchen, ſondern dieſen jener Ge⸗ 


feße vorſchreiben. Man wagt einen kuͤhnen Gedan⸗ 
fen und kettet andere zur Sache gehörige an denſel⸗ 
ben an; ; man vereinigte Eigenfchaften mit einander, 
die dem erften Anfcheine nach ‚vielleicht widerfprechend | 
feheinen, bie aber dennoch bei genaueren Betrachtung 
. und im Sortgange der, Unterſuchung fehr gut zufams 
men paſſen. Was man gefunden has, muß. man 
‚weiter verfolgen; ‚die fruchtbarften und berrlichften . 
Ausfichten in dem, was gefucht wird, eröfnen fih 
oft erft in der Mitte des Weges, und find wir auch! 
nicht allemal im Finden glüdlich, fo darf: dies Miß⸗ 
geſchick doch kein Grund ſeyn, unſer Unternehmen 
gänzlich aufzugeben, denn mas heute nicht gelingt, 
kann morgen gelingen, und in ber Natur und in dem 
Menfchen find noch Geheimniffe genug verborgen, 
die zum Erfinden und Bilden neuer Ideen und Ay« 
‚fihten für eine Ewigkeit Stoff geben. Wer vieles 
mie Einficht, Talent und-Kraft verfucht, muß Dinge . 
ſehen, Die vorher in feines Sterblichen Auge gefom« 
men ſind. 


\ 


3 


— 302 ww 


un XXL , Capitel, | 


Beide Bermögen und Kräfte Des menſche 


lichen Geiſtes unterſtuͤtzen und erleſhterns. 
— —das Deynken? * 


nn m un: zul 


Einſeitigkeit in der Ausbildung der menſchlichen 

" Kräfte ik für den Erwerb für Wahrheit und für Stel 
. heit ſehr nachtheilig, denn wenn die Kultur einer Au⸗ 
fage vernachlaͤßigt wird, fo leidet auch die. Andere 
Darunter, weil es ihr zur Erkaͤmpfung ihrer Selbſt⸗ 
Kändigfeit. ensweber an Stoff ober an Hebung ge⸗ 
vricht. Miemand kann geiſtvoll und gebankenreich 
ſpekuliren, als wer vieles gelernt und erfahren hat, 
- and niemand kann Ordnung und Verßpaͤndlichkeit in 
bie rohen Maffen von Gelehrſamkeit und Erfahrung 
bringen, als wer Selbſtſtaͤndigkeit und Freiheit im 
"Bent errungen bat. Wer in feiner Jugend kuͤhn 
und ſelbſtthaͤtig fpefuliren gelernt Bat, bat Hoffnung, 
ein gehaftreiher Selbſtdenker zu werden, wenn er 
ſich nur Mühe giebt, reichliche Erfahrungen einzus 
fammeln; wer bingegen in dee Füͤlle jugendlicher 
‚Kräfte nie verwegen in das Feld der. Spefufation ein« 


gegriffen und, feine Geiftesenergie erfämpft hat, wird 


1, 88 niemals i im Denten und Eſinden weit bringen. 


Die inne find das Band ‚ das uns an bie 
| Außenwelt kettet; je empfchglicher und reizbarer die⸗ 
ſelben ſind, deſto enger iſt unſere Verbindung mit 
derfelben und deſto gewaltiger und gehaltreicher ſpricht 





= 39 - 


ſe uns an. Was nun den Sinnen Nahrung giebt, \ 
das forgt auch für den Verſtand, ‚weil biefer die Ma«- 
terialien zum Denfen durch jene erhalten muß, indem 
x fonft feer und unthätig bleibt. Wer. daher feine- 
Sinne vervollkommt, belebt und ſtaͤrkt auch zugleich 
ſeine Denkkraft. Das Denken wird alfo durch die 
Sinne, welche ben. Stoff dazu herbei führen, bes 
fFoͤdert und erleichtert, und dee Verſtand labt ſich an 
Demjenigen, was ihm durch die Sinnlichkeit gegeben 
wird. Man floht baraus, wie nothwendig es iſt, 
daß wir die Sinne üben, beleben, vervollkommnen = 
and fir alles, was ift und geſchieht, empfängfich 
aachen, wenn wir uns sum gebaltreichen Selbſtden⸗ 
ken erziehen wollen. Der Verſtand kann nicht den⸗ 
Sen, fo large die Sinne nicht geübe find und dag 


Denken wird demſelben nur Dadurch erleichtert, daß 


man ihn. mit reihlihen Materialien verſorgt, ‚nicht 

aber dadurch, daß ihm vorgebacht wird, weil er in 
biefem Falle niemals ſelbſt denken lerne: denn Selbfle - 
denken wird nur Durch Selöfispätigfei errungen“, . 


Da bie Dentfraft Erleichterung. in threm ©. 
ſchaͤfte blog durch einen reichen Vorrath von Mate 
tialien erhält, fo müflen wir die Anlagen nd 
Kräfte, welche berfelben Stoffe zuführen, kennen 
fernen. Welches find nun außer den Sinnen noch 
Die Stoffberbeifchaffenden Vermögen, des Menſchen? 
‚ Die Phantafie, die Einbildungsfraft und das Ge⸗ 
daͤchtniß verforgen die Denkkraft mit Materialien, 
burch deren Verarbeitung fie fih fo wohl vervolß 
tommmen. als bereichern kann, Die Phantaſie ver⸗ 
gegenmärtigs vergangene Vorſtellungen, die. Einbil⸗ 


Son 


Nm 304 
dungskraft macht neue Sombinationen, fihaffe neue 
Gebilde und verfinnlicht Diefelben, "und das Gedaͤcht⸗ 
niß bewahrt die ſſchon empfundenen Eindruͤcke und 
die gehabten Vorſtellungen auf, und wir koͤnnen ſie 
vermittelſt der Erinnerungskraft wieder hervorrufen. 


—Weie uͤbt man aber die Phantaſie? So balb 
man oͤfters das Vergangene ſich vergegenwaͤrtigt, ſo 
bald man das, was man geſehen, gehoͤrt und geleſen 
Bat, ſich wieder recht lebhaft vorſelt ſo verſchafft 
man ihr auch Leben und Thaͤtigkeit.“ Wir muͤſſen da⸗ 
Her oft unſer vergangenes Leben ſammt allen ſeinen 
Schickſalen uͤberſchauen, alle Ereigniſſe deſſelben uns 
fo lebendig wieder einpraͤgen, als wenn fie noch gegen⸗ 
wärtig wären und abfichtlich manchmal das Auge des 

. Körpers zutun, um Das Auge bes Geiftes, das ift, 

‚. \ die Phantafle, zu oͤfnen. - Auf dieſe Are verfchaffen 
wir ihr Stärfe, und fie reicht dem Verſtande reich" 
lichen Stoff zum Nachdenfen dar und- erleichtert ihm 
durch ihre lebendige Wergegenwärtigung das Yuffins 
ben des Wahren und Zweckmaͤßigen. 


Die Einbildungskraft tritt als Schoöͤpferin auf: 
kühn reißt ſie jeden Stoff an ſich, formt ihn nach Be⸗ 
lieben, ſetzt neue Geſtalten zuſammen, haucht ihnen 
geben ein und ſtellt fie vor uns hin, als ob fie leibten 

und lebten. Dieſe ſchoͤpferiſche Kraft wird beſonders 
Durch. die Lektuͤre von Dichtern in Thaͤtigkeit geſetzt 
und der geiſtige Hauch, der in dieſen Goͤtterſoͤhnen 
weht, geht in fie uͤber und entflammt ſie. Von 
jedem Funken Begeiſterung wird fie ergriffen und von 
bieſer entzuckt und fortgeriſſen ſpricht ſie ſelbſt das 


9— 








_ 205 _ 


.. Rede aus. Wie muͤſſen. manchinol dithten a 


vchtlich kuͤhne Geſtalten, ngite Ideen zufammenfegen 
und fie vergegenwaͤrtigen, weil. dadurch die-Einkike‘ 
Dungsfraft. Staͤrke und Biegſamkeit erhält und; als⸗ 
dann dem Verſtand fo, wohl reichlichen Steak: um 
Denken giebt, alsß auch als eine. felbftchätige; Kraft 
demſalben -fein Heſchaͤft ſehr erleithtert. Wie viele 


Groͤße ſchlummert im Menſchen und; wie viele Enere 


‚gietiege i in ihm verborgen, die ‚en ‚bloß aus ‚Mangel 
an Bildung. der-Eindildungskraff.ungenußt zu Srabe- _ 
träge! Wer große Tharen thun will, muß feine Eins 
Vldungskraft beleben, die das Entfernte ſo ſtark vers 
gegenwaͤrtigt, daß as einen noch weit, lebhaftern Ein⸗ 
drack ‚auf den Geift macht, ‚als das Wirkliche außer 


was, und benfelben mwilltührlich 3 zum Dandeln bins * 


Mn BE I re 


— 


Das Gedachtniß iſ der Bepaprer der FR 


—* In ihm legen wir alles nieder, was wir er⸗ 
fahren und was wir gedacht haben. Die aͤußere und 
hie. innere Welt, die ihren juͤngſten Tag erlebe 
haben, ruhen im Gedaͤchtniſſe, das alles, was für 


uns da geweſen iſt, aufbewahrt und das durch die 
Erinnerungskraft geweckt den Verſtand mit Nahrung: 
verſorgt: wie uͤben wir nun unſer Gedaͤchtniß, damit 
es die, Wirkſamkeit des Verſtandes erleichtere? Alles, 


gas. mir ſehen und hören, muͤſſen wir verſtehen zu 
lexnen fuchen: denn das Verſtandene bewahrt das· 


Gedaͤchtniß leichter auf, als dasjenige, was uns une. 
begreiflich bleibt: Und alles, was. wir: begriffen.: 
haben, müffen wir in eine natuͤrliche Ordnung brin⸗ 


‚gen, weil das Gedaͤchtniß leicht dadjenige hehaͤlt, was 
u 


Kunſt zu denken. 


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GP 


— 302 = 


— e — 


EEE ze XXL Capitel. 


Beide Vermögen unb Kräfte des men ſch⸗ 
rise Geifes unterflägen und erleichtern 
- . das Denen? 


—— 


Einſeitigkeit in der Ausbildung der menſchlichen 
"Kräfte it für den Erwerb für Wahrheit und flir Flei⸗ 
heit ſehr nachtheilig, denn wenn die Kultur einer An ⸗ 
fage vernachläßige wird, fo leidet auch die. Andere 
daruntar, weil es ihr zur Erfämpfung ihrer Selbſt⸗ 
Naͤndigkeit entweber an Sto ober an Uebung ge- 


vricht. Miemand Fann:geiftvoll und gebanfenreich . 


ſpekuliren, als wer vieles gelernt und erfahren har, | 


und ntemand Fann Ordnung und Verfſtaͤndlichkeit in 
bie rohen Maffen von Gelehrſamkeit und Erfahrung 
Bei ngen, als wer Selbſtſtaͤndigkeit und Freiheit im 
en errungen bat. Wer in feiner Jugend kuͤhn 
hr ſelbſtthaͤtig ſpekuliren gelerne hat, hat Hoffnung, 
ein gehaltreicher Selbſtdenker zu werden, wenn er 
ſch nur Mühe giebt, reichliche Erfahrungen einzus 
fammeln; wer hingegen in der Fuͤlle jugendlicher 
Kräfte nie verwegen in das Feld der Spekulation eine 
egriffen und. feine Geiftesenergie erfämpft hat, wird 
° . es niemals im Denken und Effinden weit Öringen. 


Die Eine find das Band, das uns an Die 
Außenwelt fetter; je empfleglicher und reizbarer Die: 
. felben find, deſto enger iſt uniere. Verbindung mit 
‚berjeiben und defto gewaltiger und gehaltreicher fpricht 


Seunsan, Was nun den Sinnen Nahrung giebt, . 


das forget auch für den Verftond, ‚weil biefer die Ma« 


.:serialien zum Denfen Durch jene erhalten muß, indem 
Er fonft Teer und unthätig bleibe. Wer daher feine- 

Sinne vervollkommt, belebt und flärkt auch zugleich 
feine Denkkraft. Das Denken wird alſo durch die 
Sinne, welche den Stoff dazu herbei fuͤhren, be⸗ 
foͤdert und erleichtert, und der Verſtand labt ſich an 
Jenjenigen, was ihm durch bie Sinnlichkeit gegeben 
wird. Man fiohe Baraus, wie nochmendig es iſt, 
daß wir die Sinne üben, beleben, vervollfommnen - 


and für alles, mas ift und gefchiebe, empfängfich 


wachen, wenn wir uns zum gebaltreichen Selbfidens 


ken erziehen wollen. Der Verſtand kann niche den⸗ 


den, fe lange die Sinne nicht geübt find und dag 
Denten wird demfelben nur dadurch erleichtert, daB 
man ihn mie reihlihen Mareriälien verforge, nicht 
aber Dadurch, daß ibm vorgedacht wird, weil er in 
Diefem Falle niemals ſelbſt denken lernt: denn Selbſt⸗ 
denken wird nur Durch Selbfishätigfeit errungen. | 


Da bie Denkktaft Erleichterung in ihrem Se 
ſchaͤfte blog durch einen reichen Vorrath von Mares 
rialien erhäle, fo müflen wir die Anlagen un 
Rräfte, welche berfelben Stoffe zuführen, kennen 
fernen. Welches find num außer den Siunen no 


die Stoffberbeifchaffenden Vermögen bes Menſchen? 


» Die Phantafie, bie Einbildungsfraft und das Ge⸗ 


daͤchtniß verſorgen Die Denkkraft mit Materialien, 
durch deren Verarbeitung fie fich fo wohl vervoll⸗ 
kommnen als bereichern kann, Die Phantaſie vers 
gegenwärtige vergangene Vorſtellungen, bie Einbib 


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ER auh deden und Tdaͤtigkeit. Wir müffen das 


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unkr dergangenes Leben ſammt allen ſeinen 
chicſates INT ‚ ale Exeigniſſe deſſelben uns 


fe lebendig wurde ereeeisen. als wenn fie nod) gegen» 
weiccg mia 29 ati munhmal das Auge bes 
Ser jaitie. m Qus Arae des Geiſtes, das iſt, 
die Traxii, ze Ofen . Nur Dieie Art verfchaffen 
wech ir, urd we reihe Dem Verſtande reich“ 
Ena ERF zz Raddenken dar und erleichtert ihm 
ed Ide xdendige Versegenmwirtigung das Auffin⸗ 
Rue des Wadeen ur) Zenfmäsigen. 


De Eintiidenzsfufe tritt als Schoͤpferin auf; 
re rer ſie jeden Sof an id, formt ihn nad) Be⸗ 
Kenn, KEr mese Geſtatten zuiammen, haucht ihnen 
Ne de ue> Reli ner uns bin, als ob fie leibten 
write Diere ſhorreriiche Kraft wird befonders 
Tuch due dek Aee von Dichtern in Thätigfeit gefeße 
ut Ne gentege Hauch, der in dieſen Götterfühnen 
RUN. LIE ur ſie der und entliammt fi. Don 
ana Auatıa Segeiſterung wird jie ergriffen und von 
Tine erzält ud frertgeriſſen fpriche fie ſelbſt das 











_ 205 _“ 


... Rebe ans. Ei igüffen.manchimel-Dirhten nhub⸗ 


vehtlich kuͤhne Geſtalten, ngite Ideen zuſammen feßen 


und fie vergegenwaͤrtigen, weil dadurch die Einbile 


bungsfraft.Stätfe und Biegſamkeit erhält und alce 
dann dem’ Verſtand fo, wohl reichlichen Staff: ni 
Denken giebt, alß auch als eine ſelbſtthaͤtige: Kraft 
demſelben -fein Beſchaͤft fehr erleichtert. Wieviele 


. Größe ſchlummert im Menſchen und wie viele Ener⸗ 


‚gietiege i in ihm verborgen, . die ‚er bloß aus-Mangek 


an Bildung der. Eindildungskroft:ungenußt. zu Grabe - _ 


träge! Wer große Thaten thun will, muß feine Eins 
Kilbungsfeaft beleben, die das Entfernte fo ſtark pers 
gegenwärtige, Daß 48 einen noch weit lebhaftern⸗ Eins 
druck auf den Seift made, ‚als das Wirkliche außer 


was, und benfelben aunwiltůhrlich zum Handeln bim . 


“ik. . * .2 | y I 


— 


Das Gedidheniß iſt der Vewahrer der Verhemn 


—* In ihm legen wir alles nieder, was wir er⸗ 


" fahren.und mes wir gedacht haben. "Die äußere und 


Die, innere Welt, die ihren juͤngſten Tag erlebt 


haben, ruhen im Gedaͤchtniſſe, das alles, was fuͤr 
uns da geweſen iſt, aufbewahrt und das durch die, 
Erinnerungskraft geweckt den Verſtand mit Nahrung 
verſorgt: wie üben wir nun unſer Gedaͤchtniß, damit 


es die Wirkſamkeit des Verſtandes erleichtere? Alles, 
mes wir ſehen und hören, muͤſſen wir verſtehen zu 


lexnen fuchen: denn das Verſtandene bewahrt das 


Gedaͤchtniß leichter auf, als dasjenige, was uns une. 


begreiflich bleibe: Und alles, was; wir: begriffen : 

haben, müffen wir in eine natürfiche Ordnung brin⸗ 

gen, weil das Gedaͤchtniß leicht dasjenige hehaͤt, was 
Kunſt zu deuten. u 


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—— 303 - 


... de aus. Wir müuſſen. manchinol dichten Pr 


Gchrlich kuͤhne Geſtalten, n nyue Ideen zufammenfegen 
und fie vergegenwaͤrtigen, weil dadurch die Einbile 
dungsleaft Staͤrke und Biegſamkeit erhält und alce 
dann dem Verſtand fo, wohl reichlichen Staff: im 
Denken giebt, alß auch als, eine ſelbſtthaͤtige: Kraft 
demſealben -fein Beſchaͤft fehr erleichrert. Wie viele 
Groͤße ſchlummert im Menſchen und wie viele Ener⸗ 
| gJie liegt in ihm verborgen, „die ‚er ‚bloß aus Mangel 


an Bildung. ber. Eindildungskraff:ungenuße zu-Grabe . _ 


traͤgt! Wer große Tharen chin will, muß feine Ein⸗ 
Kilbungsfeaft beleben, die das Entfernte fo ſtark pers 
gegenwärtige, Daß es einen noch weit lebhaftern⸗ Ein⸗ 
druck auf den Geiſt macht, ‚als das Wirkliche außer 


was, und. benfelben unwilttůhrlich zum Handeln bins . 


"sine. : nn In BE Du y ! 
. x — 


‚Das Gedideniß iſt der Dewaprer der Berban. 


gene In ihm Iegen wir alles. nfeder, was wir ere 


* fahren.und wes wir gedacht haben. Die äußere und 


hie. innere. Welt,. die ifren juͤngſten Tag erlebt 


haben, ruhen im Gedaͤchtniſſe, das alles, was fuͤr 
uns. da gervefeg ift, aufbewahrt und das durch die, 
Erinnerungskraft geweckt ben Verſtand mit Nahrung: 
verſorgt: wie üben wir nun unſer. Gedaͤchtniß, damig 


es di Wirkſamkeit des Verftandes erleichtere? Alles, 
moes wir fehen.und hören, muͤſſen wir verſtehen zu 


lexnnen fuchen: denn das Verſtandene bewahrt das: 


Gedaͤchtniß leichter auf, als dasjenige, was uns uns. 


begreiflih bleibt. Und alles,. was; wir: begriffen.. 

haben, müffen wir in eine natürliche Ordnung; brin⸗ 

‚gen, weil das Gedaͤchtniß leicht dadjenige hehaͤt, was 
Kunft zu denlen. u 


N 


U 


oe. 


N 


\ 


N 


’ 


| mieweder nach der Achnlichkeit ober nach dem Bei: 


farmhenfegn in Raum und Zeit an einander gereißet 
wird oder fich. zu einander mie Wirkung und Urſache 
verhält. Wir muͤſſen fleißig dasjenige, was wir verd 
wommen haben, es ſey nun durch die Sinne oder 
durch die Einbildungskraft, wiederholen, um daſſelbe 
unſerm Gemuͤthe tief einzupraͤgen und jene Geneige 

t ünfers Geiſtes, dasjenige wieder. hervorzuholein, 
was. ehemals geweſen iſt, hervorzubringen. Mies 
laute Wiederholen iſt ein zweckmaͤßiges Mittel, ettvdd 
Im: Gedaͤchtniffe zu behalten. Wir müffen vorzüglich 
art einenr Gegenſtande den Punkt’ ins Auge fallen; 
an welchem bie Kette der uͤbrigen Vorſtellungen 
haͤnge, und wenn wir uns denſelben recht lebhaft vor⸗ 
ffiellen, fo koͤnnen wir uns an alles, was wir wollen, 
leicht wieder erinnern. Das Befinnen auf etwas 
wird dadurch erleichtert, wenn wir häufig unfern 
Idernvorrath teviditen und wenn wir ein Dierfmal 
Brrausheben, weldies mit allem, was wir haben‘, in 
VBerwandſchaft ftebr. Das Eine welt alsdann das 
Andere und das Ganze tritt endlich im feiner ganzen‘ 
VBollkommenheit vor uns hin, Ein gutes Gevaͤcht⸗ 
niß, d. h. dasjenige, welches leicht behaͤlt und leicht 
wiedrr zuruͤck giebt, was es gefaßt hat, iſt eine große: 


Erleichterung für. das Denken: denn woher nimme 


unſer Verſtand den Stoff zu feinen Arbeiten, wenn 
wir einſam und die. Sinne unthaͤtig find? Woher: 


. eehält.er Leben, wenn alles um uns her ſchweigt und 


wie kann er anders: in feinem Bemühen glücklich ſeyn, 
wenn ihm nicht das Gedaͤchtniß Vorfellung auf Vor 
ſtellung suführt? 








| 


Wie uaterſcheidet ſich aber bas Gebachtniß von 


Ber Phntäfe? Weide vergegenmwärtigen ums ſchon 
gehabte Worfeungen, und beide reichen uns Stoff 


I 


gum Denken; worin Hege -nım ber: Unterſchied derſel⸗ 


ben? Das Gedaͤchtniß ſteht mehr in unfred- Willkuͤhr, 
als.die Phantafie; hat diefe ihr Spiel begonnen, ſo 
kuft fe Vorſteliuũgen zuruͤck, fo wenig mit auch Luſt 
an ihrer Wiebererweckling haben. Sie ergreift fie, 
wie das Feuet "einer Feuersbrunſt dei einem Sturme 
die nahe gelegenen Haͤuſer, und hoͤrt nicht eher 
zu wirken auf, bis fie gewaltſam unterdruͤckt wird: 
Sie macht rind zu einem Spielballe. Das Gedaͤchtniß 
hingegen erweckt dloß ſolche Vorſtellungen, die mir 
zu haben wuͤnſchen: es ſteht in unſrer Willkuͤhr, 
welche Gedanken wir wieder erwecken und welche wir 
dem Todtenfchlafe uͤberlaſſen wollen. Das Gedaͤcht⸗ 
niß ruft ſie auch in der Ordnung hervor, in welcher 
wir dieſelben zu haben wuͤnſchen, da hingegen die 
Phantaſte fie Bunt und kraus unfer einander wirft 
und f e nach ihren tollen Launen aufführt. 


Beim Denken aber dürfen dieſe Vermoͤgen und 
Kräfte nicht alle zugleich wirkſam feyn, fonft entſteht 
Verwirrung in den Vorftellungen und wir wiſſen 


nieht, woran wir uns halten follen. Weberdies wer⸗ 


/ 


dert durch eine folche Unordnung alle Borftellungen 


dunkel und wir koͤnnen Peine genau von ber andern 
unterfeheiden, weil unfer Geift durch die vielfeitige 
Thaͤtigkeit, bie zu gleicher Zeit ſich aͤußert, zerſtreuet 
und Ber Verſtand alſo am Auffaſſen und Ordnen ver 
hindert wird. ‚Die Zerftreuung, als ein’ Vermiſchen 
veſchiebenarciger Sezenſtinde kann nur dadurch ver⸗ 
u 2 | 


— “08 — 

misven werden, daß mit, nich jedem ‚Sinfaße der 
Mantaſie nachgeben, fordern daß wir Tange;an einem 
und domſelben Gegenſtand haften bleiben; "und alſo 
durch den Verſtand die Herrfehaft- uber, alle / unſere 
Vorſtellung behaupten. ne “ BE ar. 2: 

Sn weichem Berhälinife aber. (oki. „alle dieſe 
Anlagen und Kräfte zum; Verftande ftehen? Sie fols 
jen ihm dienen, aber denfelben nicht beherrſchen, - fie 
follen ihm Materialien zum Urteilen, and, Reflsfeicen 


zuführen, „aber feine Urtheile nicht nothwandig bes 


> flimmen. Der Verftand muß Herr ſeyn ‚und; nad) 
. eigener Einfihr über Wabebelt und Zweckmaͤßigkeit 


— 


— 


.pe 


ehtſcheiden. urn rn m 





xxn. Capitel. m 


Wie terne man ſyſtematiſch denken und wel— 


gen Nupen bat biefe Denkweiſe? 


” 





u Das ſyſtematiſche Denken iſt ſtets als ein fehr zweck⸗ 


mäßiges Beföderungsmirtel des richtigen.. Denfens 
gepriefen worden was verfteht man nun Darunter? 


‚Wenn alles in einer Wiffenfchaft genau zufammen 


hängt, Eines aus dem Andern fireng abgeleitet ift, 
fein Sprung und feine Abweichung von ‚dem aufge: 
ftellten Grundfage fihtbar ift, fondern alles, wie die 
Dinge in einer Kette, in einander eingreift, fo nennt 
man biefe Behandlungsart bes Gegenftandes füftes 


“ matſſch Ein fies Denken kfodert alſo ein Prin⸗ 





= 309° — 


zip, wornach alles, was behauptet wird, geprüft‘ 


und wornaͤch afles, was im diefe oder‘ jene Wiſſen⸗ 
fhaften gehört, beurcheile wird. Will zum Beiſpiel 
jemand die Luͤge durch das Naturrecht als verboten 
behiuptin‘; ſo muß er Beweifen, daß dadurch jeman- 
bes Recht bekinträchtigt wird, Denn dadurch allein 


wird eb klar, „ daß die Lüge als eine Durch das äußere 


Recht verbotene Handlung betrachtet werden Panıt. 


I 


Iſt aber! Dies nicht der Fall,” fo gehört ein ſolches 


Berbor nicht in das Rechtsgebiet, und derjenige, der 


diefe "Behauptung ‘gewagt bat, ift. nicht konſe⸗ 
quent verfaͤhren. Will jemand alles, was in der 


Sinmenwelt geſchieht, aus Natururſachen erklaͤren, 


ſo iſt ſein Verfahren richtig, weil der Grundſatz der 
Eaufalicät | ber einzige Erklaͤrungsſatz aller Erſchei⸗ 
nungen ift: 43 bald’ er aber diefen Satz auf die uͤber⸗ 
finnliche Welt’ anwendet, ſo begeht er einen ers 


thum, weil er der Kategorie der Cauſalitaͤt keine An⸗ 


ſcha auung! mehr unterlegen kann und fie’ jeberzeif 


keer bleibt; und unanwendbar iſt, fo bald dieſer Fall 


eintritt. Das ſyſtematiſche Denken, wenn es zus 
gleich auch auf Wahrheit ſieht, erfodert alſo 1) einen 
Grundf aß, den man feinen Behauptungen unter⸗ 


legt; 2) ſtrenge und conſequente Folgerung aller 


‚Säge; die man darauf gründet. 3) Vermeidung 


älfes Ueberſpringens aus dem einen Gebiete der Wiſ⸗ 
ſenſchaft in das Andere; z. B: der Logik in die Me⸗ 
faphufif, der Moral in die Rechtslehre. 4) Ord⸗ 
nung, Deutlichkeit' und · Beſtimmtheit der Gäße und 
Behauptungen. Die Erfüllung dieſer Foderungen 
ft durchaus nothwendig ‚went das ſyſtematiſche Den⸗ 


ken zugleich. ein Befoͤderungsmittel Des“ richtigen und 


= a0 "nn 
Des fruchtbaren Denkens fen fol, unh wenn wir 
fein Spielwerk mit leeren Formeln treiben, ſonbere 
die Wahrhelt ergruͤnden wollen. | 





Wie lernt man nun ſyſtematiſch penfen? Alles 


Seite muß ben Weg zu dem Schwerern bahnen und 
wir müffen alſo mit ſolchen Sägen unfere foftematis 


fehen Denfübungen anfangen, die weder allzu lange 
Reihen yon Folgerungen nöthig machen, noch füch 
mit Öegenftänden befchäftigen, die von unfern Biss 
berigen Arbeiten zu entfernt Siegen und. ung alfo fremd 
find. Wir müffen uns einen Saß bilden und alles 
das Daraus zu folgern ſuchen ‚ was ſich nothwendig 
aus demſelben ergiebt. Was ergiebt ſich aber aus 
einem Satze, den man einer Behandlung i 
. eines Gegenſtandes zum Grunde legt? a) Das 
Gleiche. b) Das Aehnliche. c) Die Wirkung als 
aus einer Urſache. d) Die Folge als aus einem 
Grunde u. ſ. w. Durch die Befolgung dieſer Res 
geln lernen wir auch zugleich dasjenige kennen, was 
fh nicht aus einem Satze ergiebt, und was, wenn 
es Daraus gefolgert wird, durchaus bem Irrthume 
Thor und Thür öfnet. _ Es kann etwas Wahrheit 
feya, aber wenn es ſich nicht entweder felbft begruns 
ber ober durch etwas Anderes begruͤndet wird, ſo 
noͤthigt es uns weder Ueberzeugung ab, noch kann 
es auch auf die Gewißheit und Eindringlichkeit Ans 


fprud) machen, bie es durch eine: richtige Folgerung 


| u einen Grunbfage erhalten werde. 


Haben wir ucheug im Kleinen augeſtellt, ſo 
Gm wir zu ganzen Miſſenſcheſten übergehen unb 


⸗ 








' 
. 4 
? 


X 
m, 311 — 


dadurch fo wohl unſere Deukkraft uͤben, als Wahr⸗ 


heit erkaͤmpfen. Dieſes Denkgeſchaͤft aber erfodert, 


daß wir uns genau mit dem Grundſatze alg her lire 
quelle, woraus alles übrige fließt, befanng machen 
und daß wir afles, was wir dazu rechnen und Ing 


wir daraus folgern, auf denſelben zuruͤck führen, um 
zu ſehen, ob es fi) wirklich Davaus.ergiebt und ob es 


in einem firengen Zufammenbang mit Dem Porher⸗ 


‚gehenden ſteht. Wir wollen ben: Fall feßen, daß 
‘jemand bemeifen mollse, bie Todesſtrafen ſenn wiher⸗ 
rechtlich, wie müßte ex #4 anfangen, um ſeine Bea 
hauptung ſyſtematiſch richtig zu beweiſen? Ey michee 


die Menſchenrechte vollſtaͤndig aufſuchen und durch | 


diefe Die Grenzen beftimmen, wie weit ber. Steat 
gehen harf, wo fich alsbann-.ergeben würde, daß dag 
teben und die Erhaltung deſſelben Fein Recht un anf - 
es alfo auch kein Gegenſtand des Staates, ab dr 


ber jede Toͤdtung als Safe ungerecht ſey. 


Die Wiſſenſchaften, die beſonders da⸗ füßemar 
tiſche Denken befödern, ſind Die reinen von aller Er⸗ 
fahrung unabhängigen Miffenfchoften; 1) die Mar 
thematik, ‚bie die Begriffe. in ber Anſchauung darſtellt 
und baber leirhter if als bis übrigen Wiſſenſchaften, 


Die feine Anſchauuug zum Beweiſe für ihre Wahrheit 


zu Hilfe nehmen koͤnnen. 2) Die Ingif, die es bloß 


mit Begriffen und zwar mit her Verbindung und Tren/ 


nung berfelben nach. ben Grundſͤtzen ber Ciuſtinmung 
und des Widerfpruchs zu ehun hat. 3) Die Metaphnſik. 
4) Die Rechtswiſſenſchaft. 5) Die Tugendfehre. 


6) Die Kritik der reinen Vernunft und Andrei: Alle 


dieſe Wiſſenſchaften laſſen einen Breng wiſſen ſehaft⸗ 


— 


L 


— 412 — 


Kehen:Bang-zu: fie haben einen erſten Grundſatz, 
(oder⸗wenn fie ihn jeßt noch nicht baden füllen‘, fo 
kann! und muß es. doch für fie einen geben) und ihr 
ganzer Inhalt ift cheils eine Folgerung aus demſel⸗ 
ben;, ttheils giebt er doch die Richtſchnur ab, -ob der 
Gegenſtund in das Gebiet diefer Wiſſenſchaft gehöre, 
und ob er richtig gefolgert iſt. Wir muͤſſen ung das 
her angelegen ſeyn laſſen, dieſe Wiſſenſchaften zu 
findieven., und dabei feinen Satz annehmen, deſſen 
Richtig keit ſich nicht unmittelbar oder doch mittelbar 

aus dem erſten angenommenen Grundſatze erweiſen 
Rift. Se weiter wir uns aber von dem erſten Grund⸗ 
fatze entfernen, defto mehr find wir. der. Gefahr des 
Irrthumes ausgeſetzt , wie muͤſſen daher oft auf den⸗ 
felben zuruͤckſehen und pruͤfen, ob unfere-daraus ges 


zogene Behauptung die Feuerprobe deſſelben aushaͤlt 


und vb wir nicht etwa eine unrichtige Folgerung dar⸗ 
aus gezogen haben. Bei der Logik iſt es leicht aus⸗ 
zumachen, ob wir gefehlt haben ‚ oder ob wir richtig 
zu Werke gegangen find: wir haben hier Bloß die 
Uebereinſtimmung oder den Widerftreit "dar. Worftels 
lungen unter einander zu unterfuchen:: hingegen iſt es 
bei allon andern Wiffenfchaften ſchon ſchwerer zu’bes 
ſtimmen, was ihr. Inhalt ift, und ob fich unfere Bes 
hauptungen folgerichtig und alfo ſyſtematiſch daraus 
ergeben, weil außer der Pruͤfung, die: ber der Hgik 
ſtatt finder, noch der Juhalt der Borftelungen un: 
rerſacht und derfelbe nach feime Wabrheit, Reauugt 
| ut wi geprüft werben mei. Eur 
ehe ee 
” Eine, vorzuctiche Auletteng num m füßensüchejen 
Beiden iſt beſonders die Seftüre ſolcher Schriftſtelles, 








\ ‚314 — | 
velche fireng ſyſtematiſch betfahren As; wir muͤſ⸗ 
‚fen daher :in. dieſer Hinfiche: Schriften kefen, dis die 
reine Mathematik vortragen‘, und außer: den mathe ⸗ 
masifchen-Schriftftellern beſonbers audyibie philoſo⸗ 

. Hilden, z. B. Wolf, Kant, Fichte, Schel⸗ 
king und Andere. Auf diefe Art werden wir an eine 
ſiyſtematiſche Denkart gemöhnt: und: dieſe Gewpoͤhnung 
verdient hier den Namen Natur, weil ſie zur Wahrheit 
fuͤhrt, ” deren Erforſchung der. Dee beſtimuit iſt. 

Beide Vortfeite Set aber: bie: Angewoͤhnung 
an · eine ſyſtematiſche Denkart?. ı)-Wirternen.leihe 
‘die (logiſche) Wahrheit von idem Irrthume unter⸗ 
ſcheiden. 2) Wir gewoͤhnen uns an Gruͤndlichkeit 
und an Ordnung in unſern Raͤfonnements. 3) Wir 
lernen lango: Gedankenveihen verfolgen. 4) Wir 
gewoͤhnen uns an die Erforſchung und Ergruͤndung 
von allem, was wir gewahr werden. 5) Wir ver⸗ 
‚wifchen nicht verſchiedenartige Gegenſtaͤnde mit eins 
ander, ſondern wir behandeln jeden: Gegenſtand abs 
geſondert und nach der Weiſe, die er eigentlich zu⸗ 


laßt, z. B. wir behandeln did Philoſophie nicht wis "| 


bie Mathematik, und dieſe nicht wie jene, "weil die 
Philoſophie keine Wiſſenſchaft dar Anſchauung, ſon⸗ 
been .ber. bloßen. Begriffe iſt. 65) Wir, gewoͤhnen 

uns an. Beſtimmtheit und Deuslichkeit der Begriffe. 
.D Wir überfchreiten nicht die eigenthuͤmlichen Gren⸗ 
zen, die die Matur dem menſchlichen Geiſte zum Er⸗ 
kennen geſetzt Hat, ſondern wir bleiben ſtets auf dem 
ihm von der Natur angewieſenen Gebiete. Dieſe 
und noch mehrere andere Vorcheile find die Folgen 
der Gewoͤhnung an-eine ſyſte matiſchẽ Denfarte et 


34 — 


Die Fehler aber, die wir bei bieſer Denkmeiſe 
vermeiden muͤſſen, find: 1) einſeitige Folgerungen, 


wo wie irgend einen Theil pan einem Gegenſtande bes 


ſeitigen, und uns hieß. bes Anders zu irgend einem 


Vortheile bedienen. 2) Daß wir nicht glauben, daß 


das ſyſtematiſche Verfahren ſchon allein genug zu Er⸗ 
forſchung der Wahrheit ey. Das Sufkematikche 
betrift mehr das Forwelle als das Materielle unfers 
Denkens, und wir müͤſſen auferben noch Kenntuiſſe 
und Erfahrungen einſammeln, um nicht trocken, 


geiſtlos und unfruchtbar zu räfenniren Wir muͤſſen 


nie vergeſſen, daß zu allen Folgerungen aus Grund⸗ 
fügen Kenntniß des Gegenſtandes und der mie ihm 
verwandten Dinge erfoberlih iſt. 3) Muffen wir 


uns vor Erfchleichangsfäßen, falfchen Schlußarten 


mb Sceinbeweifen hüten, damit wir nicht hei aller 
foRematifchen Strenge in Irrthum gerathen. 4) 
Muüffen wir nichs auf halbem Wege mit unfeen Foi⸗ 
gerungen ſtehen bleiben, ſondern wir muͤſſen doriu 
fortfahren, mag ſich daraus ergeben. was da will. 


= Durch eine ſolche Strange in den Schlüffen. lernen 


vir einſehen, wo der Fehler liagt, ob.im Grundſatze 
oder in ber baraus gejogenen Folgerurig,. ..5) Müflen _ 


wir auch nicht alles in Syſteme zwingen wollen, was 


- Seine Solche Behandlungsart zufäßt, - weil man ben 
Gegenſtand entweder noch nicht genug kennt, und 


moch nicht Merkmale genug von ihm aufgefaßt hat, 
ober. weil es für den menfchlichen Geift nur Murhs 
maßungen, aber: feine voͤllige Gewißheit daruͤber giebt: 


Die foftemarifche Vehanblungsart der Wiſſen⸗ 


ſchaften iſt die Epoche ihrer Bervollkommnung, wie 


on 
das fofemarlihe Verfahren im Denten, Ertennen 
und Handeln eine Annäherung zur Muͤndigkeit des 
menſchlichen Geiſtes beurkundet. Die Syſtematil 
erfodert Kraft und Selbſtſtaͤndigkeit im Denken; 
allein leeres Syſiematiſi ren iſt fuͤr die Kultur der 
Wiſſenſchaften eben fo verderblich als geiſtvolles und 
gedankenreiches Raͤſonniren nach Grundſaͤtzen bens 
ſelben vortheifßaft iſt; bei jenem wähnt man durch 
das bloße Formelle im Denken alle Geheinniffe pr | 
Matur und best menfchlichen Geiſtes zu enthuͤllen, 
gleich dies eben ſo unmoͤglich iſt, als ob jemand * 
Welemeer austrinken wollte, da hingegen dieſes alle 
Reichthuͤmer der Erfahrung und der Spekulation 
weislich zum Anbaue derſelben benutzt. 


41 


— — — 1] 
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"XXI. Capitel. 


Weber die Urſachen der. Irrih amer im Den⸗ 
ken und. Äber die Mittel, diefeisen | 
| vermeiden. . 


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Waͤren die Menſchen mit niches als mie Wahrheit 
bekannt, fo. wuͤrde ihnen dieſe endlich zum alltäglich“ 
fien Dinge werben, der menſchliche Geift wuͤrde in 
Schlafſucht verfinken und feine angeborne Größe und 
feine hohe Beftimmung würden luftige Traumgebilde 
ſcheinen, weil er nicht felbfichärig zu ſeyn und mig 
dem Irrthume zu fämpfen brauchte, fondern bie reine 
lautere Wahrheit ohne Muͤhe und Arbeit empfinge, 
ob gleich ſeine Kultur im Kampf ı und Streite mit 





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Meinungen, bie er-alfo fuͤr irrig haͤlt, am beſten ges 
deiht. Das Wahre muß Anſtrengimg koſten, damit 
es ſo wohl unſere Kraͤfte vervollkommne ‚als damit 
it t auch daſſelbe hoch achten lernen. | 


‚Allein weun auch der Irrthum für die Ausbil 
bung unfers Geiſtes vortheilhaft iſt, fo ſtuͤrzt er uns: 


doc) auch wiederum unverſchuldet in tauſenderlei Un- 


gemach.... Schmerzen find in feinem. Gefolge, weil 
wir unfere Verſuche mit Verluft, bezahlen müffen und 
Schaam begleitet ihn, weil wir ung getäufcht fehen. 


Durch Irrthuͤmer ‚aber machen; wir nicht allein ung 


feldft, fonbern; auch Andere ungluͤcklich; wir pflanzen. 
Wahn und Täufchung fort,. und wer: kann die Folgen 
berechnen, die falfche und unrichtige Borftellungen 
haben, da es ausgemacht: ift, baf ber Menſch alles 
durch feine Borftellungen ift und daß er alfo fein 
Schickſal durch dieſelben beſtimmt? 


Was iſt aber der Irrthum? Eine /Vorſtellung, 
die dem vorgeſtellten Gegenſtand nicht entſpricht, die 
/ein Merkmal enthaͤlt, das ihn fremd iſt, und 
die ihm eine Eigenſchaft beilegt, wozu fein Grund 
in ihm enthalten iſt, iſt ein Irrthum. Man ſieht 
leicht ein, daß hier nicht von dem logiſchen, ſondern 
von dem materiellen Irrthume, welcher nicht etwa 
‚bloß etwas Widerſprechendes, „ſondern auch etwas 
Falſches und Erdichtetes von einem Gegenſtande aus 
- fagt, die Rede iſt, und daß er alſo das Weſen und 
den Gehait einer Sache ſelbſt betrift. Sich irren, 
heißt daher etwas fuͤr wahr und gegruͤndet ‚halten, 


was nichk wirtlich, ſondern bloß Schein ı und Räus 


ſchang iſt. 


J 











io iq — 

Ri: wioe die Samuchteit, ſondern · der Verßand 
ie. weit alles, Irren ein Urcheilen ˖ erfodert/ und nur 
dieſer allein urtheilen kann.MWelchesſind ‚nme: die 
Ueſachen ‚nf: Seripämerf. ‚Die gewoͤhnlichſten 
‚find: meine ce RE Er PB POOL 
3) daß; man oͤfters "Iber Dinge: awcheilt und 
auch daruber uf Macht entſcheiden zu: koͤnnen: waͤhnt⸗ 


‚in: die moan:entweder gar Feine; Einſicht Aber von 
demen man. mn: eingrſehr obarſbuͤchliche Kenntniß bee 


Atzt. Die Unwiſſenheit und! die: unvollkomene 


Keontniß einer Sache iſt al sing Auelle von Jera 


 sbmexn „. die in reichen Maaße ſtraͤme, weile Den 


Hgesenſtaͤnde Im menfhlichen: Leben: ſo bielt aglebcz 


ujher welchec mir etmas ausſagen, ab wir gleich ihren 
Inhalt und, ih VBeſchaffenbeit micht Kennen: Min 
ine ale Gina. eh wir. feine Bapkeantei befigen: 


en RE AILTLER RIBTW N r „ts: Be 


Mir =) Eine ander Urfache ds — be 


Mangel an Selhftshätigkeic des. Geiſteg. Win uren 


nachlaͤßigen bie-bunfeln und verworrenen Vorſtellun⸗ 


gen, die wir von etwas haben, aufzuklaͤren . und zu. 


dordnen, und legen, daher ganz unvermerkt Dun. Gen 
genſtaͤnden Eigenſchaften bei 7. die ſie „nicht: beſttzen 
und die wir aus Gewohnheit und. ‚erägbei: en 
fir ausgemadhis MWabrbeiten anſeben. TG 
‘ 5 ae ip . 


2) Auch —8 oft iv nis im —E— 


uud verfahren zu eilig und zu unbedachtſam im Beur⸗ 
heilen eines Gegenftandes, und dichten. ihm Merlin 


male an, bie feinen Grund, in ihm haben. .n&bie 


- Mangel. an. Bedachrfamkeie und Aufmerkſamkeit ver⸗ 


BODEN BER EP 





\ 


Arllein wenn auch ber J 


> 


inungen, bie er alſo fuͤr trrig Geile av n Schein 


zs fo wohl unſere Kräfte vervolſkom Aonntniſſe einer 


wir auch daſſelbe hochachten lerner Zeit: haben, ſpn⸗ 
| , ſeyn. 22 
N An ei⸗ —F 


body auch wiederum UND, „u von Irkthhrmern:: noir 


gemach. Schmerzen u Raͤſonnenene über Anen 
wir unfere Verſuche / u 


| uf, mekche in feihieim Wer: 
nz und demſelben weder aͤhn⸗ 
Du B, befaiste,, 
ſelbſt, ſon gan bie Zriebfebern; Sieden Andern 


Wahn uns men leiten, nidjtigerau und gewiß, 


——— m etwas Inneres und alſo · unffchtbar 
n Pin welchem DU That ‚ wie jeder an ich ſelbſt 
e Jade koͤnne; oͤfters keins Aehnlichkeit Habe ünd 
mob dreuft über die Marimen und Antriebe der 
Auubungen aller Menſchen um ſich her abſpricht, 
dieſe entweder verdanimt oder lobpreiſt, begeht 
Aen Irrthum, und wer den Grundſatz als guͤltig 
anime‘, daß alles,.- was in: der Welt vorkommt, 
aus und nach Natuturſachen erklärt werden: müſſe, 
und gleichwohl jede ErfHeinung der Vorwelt, bie 


etwas Ungewoͤhnliches oder Unbegreifliches enthaͤlt, 


für eine Offenbarung und für ein Wunder ausgiebt, 
der oͤfnet dem Irrthume ein weites Feld, weil er ſo 


Frevencich von hraturgeſchea abisrihef Bie-fich, wenn 


fie: einmal vernachlaͤßigt und“ Bitfatigefeßt wetden, 
wine zu fuͤrchterlich an dem ſehwwachen Sterblichen 
Be een Zn 


\ 





[ee 
Nu: irrt marubfters auf die entgegengeſetzte 
m man aus faiſchen Vorb erſaͤtzen richs 
a ziehe und aus irrigen Grundſaͤtzen | 
"Yaubız hier liegt der Grund deg | 
.e in.der Inkonſequenz bei Folgeruns Ä 
. * annimmt, daß man lügen. duͤrfe, wenn 
v Leben eines Andern: durch eine Füge retten 
‚nen vermeine und gleichwohl jedy Luͤge, Bieen 
sen’ koͤnnte, unter allen Umſtaͤnden vermeidet, deß 
trrt, Denn die Wahrheit beſteht In Saͤtzen, die bro 
gruͤnder and die konſrenent gefolgere ſeyn mliſſen. 
Auch bat dieſe Art des Irrthums noch den Nachtheil, 
daß man den Wahngmuben unterhält, als wenn 
Bujentge, was in ſelnen Folgen wahr fen; auch in. 
fehten Worberfägen Begründer und als wahr fax 
Wahrhelt aus’ unrichtigen Schlliſſen iſt feine Wahre. 
heie, weil ſie feinen Grand hat, fonderwein Wähn⸗ 
glaube, der der Kultur des menſchlichen Geiſtes ſehr 
naͤchtheilig if, woil man. mehr aufs Gefühl als auf 
Grunbſaͤtze bauer, und daher der; Paffuirde. vor der u 
Selbſithatigteit den Vorinas einrdumr. | 





P 


N 


6) Voturtheile int Aberglaube fine eine. feuche⸗ 
bare Mutter von Irrthuͤmern. Wir urtheilen uͤber 
etwas, ehe wir daſſelbe genau unterſucht Ind kennen 
gelernt haben, und werben entweder aus Furcht ober: 
aus Angewohnheit, oder aus Tragheit eine Beute 
des Irrthumes. Wir leben ‚in: Taͤuſchungen undr . 
alfe unfere Urtheile, wenn fie auch ‘Hier und da eins. 
mal treffend find, ſend unxichtig, weil. der Grund, | 
worauf’ fie ſich üben ‚ unrichtig und irrig 8 | 


. 


5: D Heftige Gemuͤthsbewegungen/ weidenſchaf⸗ 
ten und Begierden herleiten uns auch. zu Irrthuͤmern. 


Es fehle uns an der Ruhe des Geiſtes, die zur ge⸗ 
nauen Unterſuchung einer Sache erfoderlich iſt. Wir 
ſehen alles durch ein gefaͤrbtes Glas, unſere Wünfche 


beherrſchen unſere Vorſtellungen und. wir halten bloß 
dasjenige fuͤr wahr, was uiiſern herrſchenden Nei⸗ 


gungen ſchmeichelt. Die Vorliebe fuͤr einen Gegen⸗ 
ſtand laͤßt: uns nichts. als’ Vollkommenheiten an. ihm 


gewahr werben, ob gleich jeder uneingenommene 


Beurtheiler das Gegencheil von dem, was it 1 ſeben 
erblickt. ve m Fe Er 
5 ee... N, 

8) Oft entfiegen auch dadurch egersßlme, daß 
* etwas durch Die eine Wiſſenſchaft auszumachen 
‚glauben ‚was doch bloß duvch eine Andere entſchieden 
werden kann. Wer z. B. Die, Rechtmaͤßigkeit, 


jemand zum Einerie in den Staat zu noͤthigen, durch 


bie. Moral,.: bie Wirklichkeit eines Gegenſtandes 
durch Die. ‚sogif. ;. das Daſeyn Gottes durch die Metas 


Ahyſik u. f. w. zu beweiſen ſucht, der Befindet ſich im 
Irrthume, denn obgleich die Wahrheit aller dieſer 
Behauptungen erhaͤrtet werden kann, fo muß dieſelbe 


doch anders woher, als aus den angefuͤhrten Wiſſen⸗ 


ſchaften, bewieſen werden. Das Vermiſchen der 


verſchiedenen Gebiete der Wiffenfchaften:,bei der. Er⸗ 
deterung eines Gegenſtandes iſt eine reiche und dse 


| wbalche Quelle v ‚von, Zrrthümern. 


N 


Was. mug ‚man nun ‚hun ‚ um "allen dieſen 


Irrthuͤmern auszuweichen, ihre Quelle „zu. vers 
ſtopfen, und zur Haren lausern Wahrheit zu gelangen ?. 


x 
% 


> 








u / 


Da der Menſch alles durch Borftöllingen und alles 
für, ihn wiederum nür durch Borftellungen ift, ſo 


muß er biefe berichtigen, verändern und umbilden; 


hierzu ift 1) Selbſtthaͤtigkeit ‚nöthig; er muß daher 
frei und energifch über alles, was ihm vorfönumt, 
und was er zu wiffen verlange, refleftiren, damit er 
in das Wefen ber Dinge eindringt und ihr wahres 


q 


Seyn und Wirken in feine Borftelungen auffagt. 
Gelbſtthaͤtigkeit des Berftandes, bie allenchalben mik . 


„Beſonnenheit verfähre, und fid ‚durchgängig 
äußert, iſt ein gutes Verwaßrungsmittel gegen- 


Irrthuͤmer: denn 1) untergräbt und vertilgt fie alle 


Vorurtheile, allen Aberglauben, und alle blinde. . 


Vorliebe für irgend etwas; 2) bringt fe die Seibens 
[haften zum Schweigen und bekaͤmpft die zuͤgelloſen 
Treigungen und Begierben; 3) verhärel fie Int on⸗ 
ſequenzen und 4) nimmt ſie nichts ungeprüft an. 


2) Wenn wir im Denken ſelbſtthaͤtſg And, ſo 


vergleichen wir unſere Vorſtellungen mit den Buch | 


fie vorgeftellten Gegenſtaͤnden, fuchen ihr Verhaͤltniß 


zu andern Dingen auf, Die, entweder mit ihnen vep⸗ 


wandt find, oder fich in ihrer Nähe befinden oder 


mie ihnen in Wechſelwirkung ftehen. Durch ein 
. forgfames und fleißiges Vergleichen der verſchieden⸗ 


artigen Gegenſtaͤnde und Vorſtellungen lüfter, wir 
ben Schleier, der uns bisher Die Wahrheit verbarg, 
und entgehen dem Irrthume, der bisher unſere Jin«. 


bedachtſamkeit und > Sorgloskeit zu feinen Gehälfen | 


hatte. | nt 
3) Wir miſſen uns die Vorftelungen die it 


uns von den Gegenftaͤnden bifden, allemal fat‘ 


Kunſt zu denken. X 


or — 322 — 
und beutlich zu machen ſtreben, und wir vůrfen uns 
eben ſo wenig durch unverſtaͤndliche Begriffe als durch 
ben Syrenengeſang der Leidenſchaften bezaubern lafs 
fen. Alles, was ein Gegenſtand unſers Rachden⸗ 
kens iſt, muß eine Sache einer deutlichen Erkenntniß 
werben, fein Merkmal befielben darf bloß von uns 
geahndet, fondern muß klar und. heil erkannt werben. 
Wie im Sonnenfcheine die Pflanzen am beften ges 
deihen, fo gedeiht auch die Wahrheit allein in dem 
delt lichte der Vorſtellungen. 


a 
* 


4) Ueber alles, was wir beurtheilen wollen, 
‚ möüffen wir ung eine volftändige, gruͤndliche und um« 
faffende Kenntniß verfchaffen. Das Unvollftändige 
und Seichte in der Erkenntniß ift eine, reiche Quelle 
des Irrthumes, die: mon aber verftopfen kann, fü 
bald als man fih nur entſchließt, alles Halbwiſſen 
aufzugeben und nach einer vollfommenen- Einfiche in 
das, was ung zu willen nüßlich und nothwendig iſt, 
zu ringen. Eine gruͤndliche Sachkenntniß fuͤhrt zur 
Wahrheit; denn wer einen Gegenſtand genau kennt, 
der m errath ſo gleich dasjenige, was wahr iſt. 


59 Kupe bes Geiſtes, Undefangenheit des Ge⸗ 


= muͤthes und Freiheit von Leidenſchaften laſſen uns 


jede Sache fd. anſehen, wie fie wirklich iſt. Wr 
legen ihr keine Eigenſchaften bei, die fie nicht befiße, 
und ſetzen keinen Werth auf ſie, den fie nicht verdient, 
ſondern wir beuttheilen und würdigen fie nach ihrem 
wirklichen Gehalt, ſo bald wir alle Parteilichkeit, 

allen Haß agb. alle Vorliebe. von der vr und 
Deurcbeilung derſelben ausfiliegen. R W 











33 — 
Dieſe Ruhe und Unbefangenheit veo Geiſtes iſt 


fein Schlafen, ſondern ein Wachen, "keine Unthaͤtig⸗ 


. Seit, fondern ein freies vorurtheilslofes Wirken des - 
Verſtandes. : Bei .unfern Urtheifen muͤſſen ‚wir, 
wenn es ung um Vermeidang von Irrthuͤmern zu 

ehun iſt, uns. immer fragen: würbe ein ſolches Ur⸗ 

theil, als wir uͤber etwas ausſagen, wohl jeder ver⸗ 
nuͤnftige und unterrichtete Mann fällen? Rank daſ⸗ 
ſelbe Anfpruch auf den Beifall jedes Unpartheüfchen 
machen; und. würde ich dem Urtheilenden in meinem 

Gewiſſen beiftimmen, wenn er fo uͤber mich urtheilte, 

mie. ich jetzt ihn beurtheile? Hält man noch uͤberdieß | 

feine ‚Urteile an die Urtheile Anderer,. und Argreift 
man die. Gelegenheit, fie zu fragen, ob fie wohl 





dasjenige, was wir für. wahr halten, auch nach ihrer ", 


Einſiche für wahr anfehen, fo entgehe'man vielen 
Irrthuͤmern, in die man fih durch Unbeſonnenheit, 
Partheilichkeit und Kurſſichtigkeit ſtuͤrzt. 





XIV. Capitel. | 


Durch welche Mittel kann man in ſich die 
Grneigeheit, immer mit feinem Zeitalter in 
ber Auftlärung fortzugehen, erweden 
. und unterhalten? 





Kein Zeitalter hat jemals folche große und ſchnelle 
Fortſchritte in den Wiſſenſchaften gemacht, als bag 
Unſerige, befonders iſt dies in Teurfchland. der Fall. 
Die Philofophie. hat eine gaͤnzliche Umaͤnderung 
* u | 


4‘ 


— 324 — 
litten eig ba.fie bie Oberſte ber Wiſſenſchaften 
iſt, fü verſpuren auch alle. Uebrigen, ob gleich nicht 
alle in gleichem Grade (denn dies haͤngt von ihrer 
. nähern. oder: endferntertt Verbindung mit. der Philo⸗ 
fſophie ab) dieſe Revolution. Allem nicht hloß die 
Denkart in der Philoſophie umd die Anſicht ber Letz⸗ 
‚ sern hat eine große Umwandlung erfahren, ſondern 
auch die Medizin und die Chemie ſind buch Brown 
un? & anoifier umgeändert worden. . Die: Ente 
deckungen, welche Die drei Reformatoren unfers Zeit 
alters gemacht haben, find ein großer Gewinn. für 
‚die Wiffenfchaften und für die Kultur bes menſch⸗ 
lichen Geiſtes, und wollte man auch nicht zugeben, 
daß man durch: dieſe Nevolutionen in ben oben anges 
führten drei Wiſſenſchaften eben weiter: gefommen 
fey, fo fann man doch'niche leugnen, daß ber menſch⸗ 
‚liche Geift an Geneigtheit und Stärfe, alles zu prüs 
fen und zu erforfchen, gewonnen hat. Allenthalben 
ift man bemüht, die Wiflenfchaften gu revidiren zu 
jichten und von neuem zu begründen. Allenthalben 
herrſcht ein reger Eifer ‚ das Heiligſte und Profanſte 
der Bearbeitung und der Pruͤfung der Vernunft zu 
unterwerfen: Man ſieht jetzt Mängel in den Willens 
ſchaften, wo man ehemals nichts als Vollkommenhei⸗ 
gem’ erblickte, und wird Luͤcken gewahr, wo man vormals 
alles fuͤr vollendet Biele: Die verſchiedenen Wiſſen⸗ 
ſchaften werden ftreng- ven einander abgeſondert; 
hierdurch lernt man ihren Gehalt kennen, wird ihre 
Vollkommenheiten und ihre Gebrechen gewahr und 
etfaͤhrt, was noch weiter zu Chun iſt, 'und: wo.man 
anfangen muß, wenn alles in einer Wiſſenſchaft ber 
faſtigt. und begrundet feon ſoll. Man: fängr 1% ‚er 








BE 325 — 


in. Acht zu nehmen an, vamit man ‘nicht fo. Teiche: 
mehr von dem Gebiete ber: einen Wiſſenſchaft in das 
Gebiete der Andern überfchweift, wodurch man fonft 
Die Mängel heider verbedte; man ſtellt jede für ſich 
in ihrer Vollkommenheit oder Unvollkommenheit auf. 


Welch' ein geoßer Gewinn für den Menſchen iſt alle . 


nicht die Kenntniß dieſer Fortſchritte: in: ven Wiſſen⸗ 


ſchaften, und welchen Nachtheil hat bie Unkunde in 
denſelben für. denjenigen, der ſich nicht angelegen ſeyr 


laͤßt, mit feinen Zeitalter gleichen Schritt zu halten 3 


ec 


Was verſteht man aber unter ber Aufklärung? 
Aufklären Heißt, Licht uͤber etwas verbreiten, was 


dunkel iſt, und wendet man dieſe Begriffe auf die 
menſchlichen Kenntniſſe an, ſo heißt es, die Angele⸗ 


genheiten der Menſchheit in wiſſenſchaftlicher Hinſicht 
aufhellen, gründliche Einſichten in dieſelben verbrei⸗ 
ten, und die einzeln zerſtreueten Kenntniſſe und Be⸗ 
merkungen in ein Ganzes zuſammenfaſſen. Wer 
eine Wiſſenſchaft aufzuklaͤren bemuͤht iſt, der ſucht 
fie durch ·Grundſaͤtze zu begründen, durch vichtige 
Folgerungen, bie er darqus zieht, zu ’vervolllomms 
nen und.derfelben durch. Erforſchung des ihr eigene 
thuͤmlichen Gebietes Gehalt, Wahrheit und Feſtig⸗ 
eit zu geben. Man bezieht aber. das Aufklären niche 
allein auf bie Gegenſtaͤnde des Denkens und Erken⸗ 


nens, fondern man ſagt auch: biefer. oder jener 


Menſch ift aufgeklärt, mas verfteht man nun ungen 
ber Aufklärung eines Menſchen? Ein aufgeklaͤrter 


"Mann ift derjenige, ber über alles,. was ift, was ges 


fhieht, was er thut oder unterläßt ober. thun und 


laſſen fol, ſelbſt denkt, der ſich niemals bloß auf 


/ 


-— 


X 


7 326 — 


fremde Einſichten und Urtheile vverlaͤßt, z.  fondern 
fich ſtets nach feiner eigenen Ueberzeugung, welche ein 
Produkt feiner Selbſtthaͤtigkeit iſt, beſtunmt. Mar 
verſteht alfo unter der Aufklärung nit allein eine 
richtige geimdfiche Einſicht in. die Natur der Dinge, 
fondern auch bie. Fertigkeit, ſelbſt zu denken. Sie 
ift Daher doppelter Art; man bezieht fie:entweber auf 
den Inhalt oder auf bie Form bes Denkens und Ers 
kennens, und. e8 giebt alfo eine materielle und eine 
_ formelle Aufklärung. Wer ſich in allen Dingen feie 
ne Denkkraft ſelbſtthaͤtig bedient, und wer alles nad) 
eigener Einficht beurtheilt, . ber denke in: formeller 
Hinſicht aufgefläre. Diefe Art won Aufklärung ift 
der Ausgang aus der ſelbſt verfchuldsten Unmuͤndig⸗ 
keit; felbft verſchuldet iſt dieſe, weib wir fie verlaſſen 
ſollen, indem ſie ein Hinderniß einer vollkommenen 
Pflichterfuͤllung iſt. Wer Hingegen uͤber Die Dinge 
ſo urtheilt, wie: es ihre Beſchaffenheit erfodert, und 
wer fie nach eigener Einſicht bearbeitet, der ift in: 


materieller Hinſicht aufgeklaͤt. Es kann daher 


jemand. in irgend einer Wiſſenſchaft z. B. is der Ma⸗ 


thematik, in der Theologie, aufgeklärt und einſichts⸗ 


voll feyn, und über. die andern Wiffenfchaften voller 
Vorurtheile entfcheiden, und alles glaubig annehmen, 
was er barüber vernimmt, und ohne weiter ben 
Grund deffelben. zu prüfen. — Beide Arten von Auf 
ktaͤrungen duͤrfen nicht von einander getrennt werden, 
wenn wir nicht entweder mit leeren Gedanken ſpielen, 
oder von Aberglauben und Vorurtheilen geaͤffet wer⸗ 
ben wollen; wir müffen nicht allein in allen Dingen 
unfern Berftand und unfere Vernunft felbftrhätig 


Brauchen, ſondern auch nach einer vollſtaͤndigen und 

















rue 


+ 


grůndlichen Einſicht in die Gegenftände und in bie. 
‚Handlungen ber Menfchen ringen. Die Entdeckun⸗ 


gen und Fortfchritte in den Wiffenfchaften müffen 


fiets an uns ein empfängliches Gemüthe finden, wie 
muͤſſen fie eifrig fenndn zu lernen ſtreben, fie unters 


fuchen und. prüfen. Jede neue oder ungewöhnliche 
Meinung müffen wir unferer Beurtheilung abfichelich 
- unterwerfen. Allein nie Darf ung bie Marime bederr- 


fhen, das Neue oder das Alte anzunehmen oder zu 
vermwerfen, weil es Neu oder Ale ift, fondern unfe  - 


fieter Grundfaß muß feyn, bloß das Wahre, das 


— 


aber bloß durch eine ſcharfe und unpartheiiſche Unter⸗ 


ſuchung und Pruͤfung zu Tage gefoͤrdert wird, in unſer 


Gedankenſyſtem aufzunehmen, und das Falſche, das 
eben diefe Probe aushalten muß, zu verwerfen. Das 
Meue ift nicht immer wahr, und das Alte nicht im⸗ 
‚mer falfch; es ift Daher Forſchen und Prüfen noͤthig: 
denn unfere Meinungen haben nur dadurch wahren 
Werth und. wirflihen Gewinn für uns, ‚wenn fie 
durch Selbſtdenken gewonnen werden. 


Allein welche v von diefen beiden Arten von Auf J 


klaͤrung hat den Vorzug vor der Andern? So lange 
man keine Materialien eingeſammelt, haben die Ge⸗ 
danken keinen Gehalt, und ſo lange man keine Fer⸗ 


tigkeit im Denken errungen hat, haben die Gegen- 
ſtaͤnde keine Bedeutung und feinen Sinn. Die. 
macterielle und formelle: Aufklaͤrung muͤſſen alſo in 


‚einem Subjekte mit einander vereinigt ſeyn, wenn es 


wahrhaft aufgeklärt feyn will. In Ruͤckſicht auf die 


Gedanken und ihren inhalt darf alfo Feine. der an⸗ 
dern vorgezogen werden, allein in Bezug auf das 


’ 


— z28 x 1 


| Mordliſche verdient die formelle Aufklaͤrung per Vor⸗ 
zug vor der materiellen, weil der Selbſtdenker ſeine 
Pflichten und Rechte am genaueſten zu erkennen im 
Stande iſt, und beiden am beſten Gnuͤge leiſten kann, 
wenn er will. Der Wille aber iſt ein Erbgut des 
| Einfihtsvollen und des Unwiſſ enden, und dieſer kann 
eben ſo tugendhaft werden als jener, weil Tugend ein 
Produkt des guten und beharrlichen freien Willens iſt. 
Der moraliſche Vorzug, der alſo der formellen vor 


der materiellen Aufklärung zukommt, leiter. Daher bloß 


zu der Verbindlichkeit, daß biefe jener untergeordnet 
werde, und daß man erft felbfidenfen lerne und dann 
Kenntniſſe einſammle, oder "daß man flets durch 
biefe jenes zu erfämpfen ftrebe, und daß alfo die . 
intellektuelle Mundigkeir beim Lernen das Hoͤchne fen 


Wie macht man ſch nun geſchickt und fabig, 
mit ſeinem Zeitalter in der Aufklaͤrung immer gleichen 
Schritt zu halten? Unser dieſem Fortſchreiten wird 
kein Nachbeten, fondern ein felbfichätiges Aufnehmen 
und Bearbeiten von Materialien und ein durch 
Selbſtdenken geleitetes Billigen oder Verwerfen der 
- Meinungen’ unferer Zeitgenoſſen verſtanden. Das 
Erfte, was wir zur Erreichung bes Zweckes eines 
fieten Fortſchreitens in der formellen und materiellen 
Auffldrung thun müffen, ift, daß wir uns ein 
empfaͤngliches Gemuͤth verfchaffen, welches allerlei 
Eindruͤcke in fich' aufzunehmen geneigt und fähig iſt. 
Die Reizbarkeit der Sinne muß daher ſtets erhoͤhet 
werden, damit die Gegenſtaͤnde die Aufmerkſamkeit 
des Geiſtes an ſich ziehen und das Gemuͤth tief er⸗ 
ſhitzern. Die Sinne fuͤhren dem Verſtande 
t — 














| 39. I. — 
bei di die Vorſtellungen, die m man Sat, 

) nicht etwa widerfprechen, bei jenen. 

man auf den Gegenſtand ſelbſt Ruͤckſicht 

eſucht, mas in ihm enthalten ift. Zu allem. 

‚nen find daher Anfchauungen (wirkliche Objekte) 
vo Begriffe (Eigenſchaften, die man von den Ges, 
genfländen in der Wirklichkeit ausſagt) noͤthig. An⸗ 
ſchauungen ſi nd Borftellungen, welche ſich unnittele 
bar. auf den Gegenftand beziehen und uns ‚denfelber 
unmittelbar vorhalten. Nun giebt es zwei Arten 
von Anfchauungen (unmittelbare Vorſtellungen), in». 
nere und äußere. Die Gegenftände des menfchlichen 
Erkennens fi find Daher entweber Gefühle, Empfinduns 
gen, Gedanken ober Objekte, und Die. Vermoͤgen, 
die das Erkennen möglich machen, find die Sinnlichs 
keit und der Verftand. Welches find nun die um - · 
fprlinglichen Geſetze des Erkennens? Wenn man nah 
ben urfprünglichen Gefeßen der menfchlichen Anlagen 
. fragt, fo will man die urfprunglichen Handlungsweis 
fen derfelben wiſſen, und da eg nur eine Art giebt, 
wie man etwas erfennen fann, nämlich durch Ber , . 
ziehung der Begriffe vermigtelft der Einbildungskraft 
“auf Anfchauungen, fo giebt es auch nur ein. urfprüngs _ 
liches Gefeß des Erkennens, welches pofitio ausges .. 
drücke folgendermaßen lautet: was erfannt wer, 
den foll, muß fih anfhauen laffen, und 
negativ: was nicht anfıhaubar if, fann 
auch nicht erfannt werden. Alle Anfchauung 
ift nur finnfih, daher ift alles Unfinnliche nicht ers 
kennbar. Gott und die menfchlihe Seele fünnen _ 
nicht erkannt werden, hingegen ift alles, was fich im 
Raume und in der Zeit darſtellen laͤßt, erkeunbar. 


— 7 — 


ſeyn kann, und dieſer kann niemals von demfelben 


abweichen, fo, lange er Verſtand ift. Sie find: bie 


formellen) Kriterien der Richtigkeit des Gedachten 


und der Beweis, daß man auch die urſpruͤnglichen 
Verhaͤltniſſe, -in welchen. ein Gegenſtand betrachtet 
werden kann, erſchoͤpft hat, allein es iſt nicht allemal 
noͤthig, daß man jeden Gegenſtand nach allen zwoͤlf 


Urtheilsformen durchgehe, um zu ſehen, ob man auch 


richtig geurtheilt, und ob man die Verhaͤltniſſe 


eines Gegenſtandes völlig: erſchoͤpft hat, weil man 


beim Unterſuchen von etwas ſelten das formell Rich⸗ 
tige und Vollſtaͤndige verfehlt, und weil zu einer voll 


ſtaͤndigen und vollkommenen Erkenntniß eines Gegen⸗ 


8 


a J ſtandes noch weit mehr noͤthig iſt. Ne, 


Durch das bloße Denken eines Gegenſtandes 
wird in Anſehung unſerer Einſicht in denſelben nicht 
viei gewonnen; wir muͤſſen über Das bloße Denken 
hinaus gehen und benfelben felbft kennen lernen. Das 
Kennenlernen gefehieht Durch das Erkennen, allein 


was verfieht man unter diefem? Wenn man einen 


Gegenftand angefchauer und gedacht und den Bes 


geiff, den man durch das Denken erhalten hat, wies 


der mit der Anfchauung verbinder, fo erkennt man dens 


ſelben. Ich fihaue 5. DB. etwas an,. allein fo lange 


ich bloß dies thue, ſteht der Gegenſtand nur dunkel 


vor mir; fo bald ich aber diefe Anfıhauung im Bes 
wußtſeyn durch den Verſtand zu einem Begriff ers 
bebe, und diefen auf den Gegenfland anwende, fo 
febe ih, daß er z. B. ein Baum ift, daß er grün if, 
daß er Früchte traͤgt u. fm. Das Erfennen unters 
ſcheidet ſich alſo von dem Denen dadurch, deß man 





= 339, - — 
bei dieſemn bloß auf die Vorſtellungen, die man Sat, | 
ſieht, ob fie fich nicht etwa widerfprechen, bei jenem. 
aber ninme man auf den Gegenſtand felbft Ruͤckſicht 
und unterſucht, was in ihm enthalten iſt. Zu allem 
Erkennen ſind daher Anſchauungen (wirkliche Objekte) 
und Begriffe (Eigenſchaften, die man von den Ge⸗ 
genſtaͤnden in der Wirklichkeit ausſagt) noͤthig. An⸗ 
ſchauungen find Vorſtellungen, welche ſich unmittel⸗ 
dar auf den Gegenſtand beziehen und uns ‚denfelben 
unmittelbar vorhalten. Nun giebt .es’ zwei Arten 
von Anſchauungen (unmittelbare Vorſtellungen), in⸗ 
nere und aͤußere. Die Gegenſtaͤnde des menſchlichen 
Erkennens ſi ſind daher entweder Gefuͤhle, Empfindun⸗ 
gen, Gedanken oder Objekte, und die Vermoͤgen, 
die das Erkennen moͤglich machen, ſind die Sinnlich⸗ 
keit und ber Verſtand. Welches find nun die ur⸗ 
ſpruͤnglichen Geſetze des Erkennens? Wenn man nach 
den urſpruͤnglichen Geſetzen der menſchlichen Anlagen 
fragt, fo will man die urſpruͤnglichen Handlungsmweis 
. fen derfelben willen, und da eg nur eine Are giebt, 
wie man etwas erfennen kann, naͤmlich durch Be⸗ 
giehung der Begriffe vermittelt der Einbildungsfraft 
“auf Anfchauungen, fo giebt es auch nur ein urfprüngs _ 
liches Gefeß des Erkennens, welches poſitiv ausge⸗ 
drücke folgendermaßen lautet: was erfannt wers , 
den foll, muß fih anſchauen laffen, und 
negativ: was nicht anfhaubar if, kann 
aud nicht erfannt werden. Alle Anfhauung 
ift nur ſi nnfich, daher ift altes Unfinnliche nicht ers 
kennbar. Gott und die menfchlihe Seele koͤnnen 
nicht erkannt werden, hingegen iſt alles, was ſich im 
Raume und in der Zeit darſtellen laͤßt, erlennbar. 


f 





seine, Mathematik) u. ſ. mw. find. Gegenftänbe 
a priorifcher Erfenntniffe. : Alles ‚hingegen, was 
‚gelernt und durch äußere und innere Eindrücke in ber 
- Empfindung gefanne feyn will, z. B. pragmatifche 
Anthropologie,. pofitive Zurisprudenz, pofitive Theg⸗ 


[i . p 
IN. gu — Fe 
. \ 


logie, Erfahrungsfeelenlehre, Arzeneikunde “en 19 


liefert Stoffe zu a pofteriorifchen Ertenntniffer. 


u Erkenntniſe a priori ſi ſind fuͤr jedermann aikig, 
weil ihr Inhalt in den urfprünglichen Handlungswei⸗ 


fen des menfchlichen Geiftes und.in unmittelbar dar u 


aus gefolgerten Säßen befteht, und alfo Nothwen⸗ 
digkeit und Allgemeinheit im Urtheilen bei ſich führe; 
Erkenntniſſe a pofteriori aber können auf feine folche 


Gewißheit und Allgemeinheit Anfpruch machen, weil | J 


ihr Stoff zufällig iſt, Die daruͤber zu faͤllenden Urtheil⸗ 


unſicher ſind, und viele Faͤlle, die in der Erfahrung. | 
vorfommen,, immer noch fein Urepeil, zulaflen, DaB 


das y was jeßt geſchieht oder ſi ch ereignet, onmu ar 
ſchehen ober ſich ereignen werde. en 


Außerdem ‚giebe es noch Osfege des. Denfeng 


und Erfennens, die zwar nicht a priorj fi find „weil ſie 
bloß comparative Allgemeinheit haben, aber doch 


auch eben deshalb nicht gaͤnzlich a pofteriori find. 


Dies find die Aſſociationsgeſetze, wo man VPorſtel⸗ 
lungen vermittelſt der Einbildungskraft entweder nah 
ihrer Gleichzeitigkeit oder nach ihrem Beiſgmmen⸗ 
ſeyn im Raume, oder nach ihrer Urſachlichkeit, oder 


nach ihrer Aehnlichkeit und Gleichheit verbindet. 
Dieſes Verbinden geſchieht ganz, unwillkuͤhrlich unſ 
wird vermittelſ der Anwendung ——* 


- . - = n'® »- 








/ 


zu? 2 — 


va alles Erkennen ein Beziehen eines Begriffes 
ii die Einbildungskraft auf eine Anfchauung ift, fo 
kaͤnn das Objekt dieſer entweder die Bedingungen’ 
aller Erfahrung ausdruͤcken, oder aus der Erfahrung 
ſelbſt hergenommen feyn; man kann alfo etwas a priori 
(or aller Erfahrung) oder a pofteriori (in und durch 
‚bie Erfahrung) erfennen, je nachdem das Objekt des 
Erkennens entweder eine Bedingung des Dentens, 
Erkennens, Handelns und Empfindens, ober bie 
Gegenſtaͤnde , die zum Denken, Erkennen, Handeln 


und Einpfinden gegeben werden, darſtelt. 


Wie anterſcheidet ſich aber dasjenige, was man 
dutch die Erfahrung fernen kann, von dem, was 
man vor der Erfahrung wiſſen kann? Die Verſchie⸗ 
denheit des Stoffes bewirkt eine Verſchiedenheit der 
Erkenntnißart. Was durch aͤußere oder innere Ein⸗ 
drlicke in der Empfindung gegeben wird, iſt ein Ge 
genſtand der Erfahrung, was hingegen die Bedin⸗ 
gang, daß etwas im menſchlichen Gemuͤthe erfahren 
«werden kann, und was alfo die urfprünglichen: Ge- 
feße der menfchlichen Anlagen und Kräfte und das⸗ 

jehige, mas ſich unmitrelbar aus denſelben ergiebt, 
ausmacht, iſt fein Gegenftand der Erfahrung, fons 
dern ein Stoff zu einer a priorifchen Erkenntniß. Die 
_ Bedingungen bes Denkens, Erfennens, Handelns 
und Empfindens und alfo ihre Geſetze und die Wifs 
fenfchaften, wozu fie den Inhalt hergeben und welche 
den Gehalt diefer Vermögen entiveder jedes einzel⸗ 


nen insbeſondere oder mehrerer in ihrer Zuſammen⸗ 


wirkung aufſtellen, z. B. die Logik, Metaphyſik, die 
Moral, die Rechtelehre,t die reine Anfigauungslehre 





(reine. Macthematik) u. ſ. w. find. Gegenſtaͤnde 
a prioriſcher Erkenntniſſe. Alles hingegen, was 


— — 


Pd 


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‚gelernt und durch äußere und innere Eindrüde in ber 
Empfindung. gefanne feyn will, z. B. pragmatifche 
Anthropofogie,. pofitive Jurisprudenz, pofitive They⸗ 


logie, Erfahrungsfeelenlehre, Arzeneikunde as.f; Br | 


liefert Stoffe zu a pofteriorifigen Erfenneniflen . _ 


Erkenntniſſe a priori ſind fuͤr jebermaun allg, 


weil ihr Inhalt in den urſpruͤnglichen Handlungswei⸗ 


ſen des menſchlichen Geiſtes und in unmittelbar dar⸗ u 


aus gefolgerten Sägen beſteht, und alfo Nothwen⸗ 
digkeit und Allgemeinheit im Urtheilen bei ſi ch fuͤhrt; 


Erkenntniſſe a poſteriori aber koͤnnen auf keine ſolche 


Gewißheit und Allgemeinheit Anſpruch machen, weil 


ihr Stoff zufällig iſt, die darlıber zu fällenden Urtheile 


unficher find, und viele Fälle, die in der Erfahrung. 


‚vorkommen, immer noch Fein Urtheil, zulaſſen, daß 


das, was jetzt geſchieht oder ſi h ereignet, Puma 
ſchehen oder ſich ereignen werde. 


Außerdem giebt es noch Osfege des. Denkens 
und Erfennens, die zwar nicht a priorj find, weil ſie 


bloß ‚ comparative Allgemeinheit haben, - aber. doch 


auch eben deshalb nicht gänzlich a pofteriori find. 
Dies find die Affociationsgefeße, wo man Vorſteb 


. Jungen vermittelft Der Einbildungskraft entweder nd 
ihrer Gleichzeitigkeit ,oder nach ihrem Beiſgmmen⸗ 
ſeyn im Raume, oder nach ihrer Urſachlichkeit, oder 


nach ihrer Aehnlichkeit und Gleichheit verbindet. 
Dieſes Verbinden geſchieht ganz, unwillkuͤhrlich— up 
wird vermittelſ der Anwendung ——*21* 











338 — 


ſeyn kann, und dieſer kann niemals von demſelben 


abweichen, ſo, lange er Verſtand iſt. Sie ſind die 
(formellen) Kriterien der Richtigkeit des Gedachten 


und der Beweis, daß man auch dje urſpruͤnglichen 


Verhaͤltniſſe, in welchen. ein Gegenftand betrachtet 
werben kann, erfchöpft hat, allein es ift niche allemal 
noͤthig, daß man jeden Gegenftand nach allen zwoͤlf 


Urtheilsformen durchgehe, um zu ſehen, ob man auch 


richtig geurtheilt, und ob man die Verhaͤltniſſe 


"eines Gegenſtandes voͤllig erſchoͤpft hat, weil man 


beim Unterſuchen von etwas ſelten das formell Rich⸗ 
tige und Vollſtaͤndige verfehlt, und weil zu einer volle 


ſtaͤndigen und vollfommenen Erkenntniß eines Gegen⸗ 


ſtandes noch weit mehr noͤthig ſt. 


Durch das bloße Denken eines Gegenſtandes | 


wird in Anfehung unferer. Einfiche in denfelben nicht 


uiel gewonnen; wir müffen über: das bloße Denken 
hinaus gehen und denſelben ſelbſt kennen lernen. Da⸗ 
Kennenlernen geſchieht Durch das Erkennen, Allein 


was verſteht man unter dieſem? Wenn man einen 


Gegenſtand angeſchauet und gedacht und den Bes 
griff, den man dur) das Denken erhalten bat, wies 


der mit der Anfchauung verbinder, fo erkennt man bens 
ſelben. Sch fihaue 5. DB. etwas an, allein fo lange 
ich bloß dies thue, ſteht der Gegenftand nur dunkel 
vor mir; fo bald ich aber biefe Anſchauung i im Bes 


wußtſeyn durch den Verftand zu einem Begriff ers 
bebe, und diefen auf ben Gegenſtand anwende, fo 
febe ih, daß er z. B. ein Baum iſt, daß er grün if, 


daß er Früchte traͤgt u. ſ. w. Das Erkennen unter⸗ 


(ride ſich alfo von bem Denten daburch— daß man 














7 


‚werden foll, darf fih nicht im Begriffe, 


— 342 * 


"Bertandesgefehe, z. B. des Geſetzes der Eaufalicäe, 
‚auf den Raum und die Zeit, und auf das Aehnliche 
‘und Gleiche durch Huͤlfe der Einbildungsfraft bes - 
wirkt. Das Aehnliche erweckt das Aehnliche, und 
dieſes unwillkuͤhrliche Zuſtroͤmen von Vorſtellungen 
erleichtert gar trefflich das Denken, und wenn wir 
"uns von demſelben nicht unterjochen laſſen, ſo koͤnnen 


wir reichlichen Gewinn für unſere Arbeiten davon 


siegen. 


Ein abgeleitete Denfgefig iſt der Sof des 


Widerſpruchs und ber Einftimmigfeit ‚ der aber eine 
durchgängige Allgemeinheit und’ Nothwendigkeit hat, 


weil er nichts weiter ausdruͤckt, als das Denken in 


formeller Hinſicht. Er muß ſich ableiten laſſen, weil 
er die urſpruͤngliche Handlungsweiſe des Verſtandes 


ſchon vorausſetzt; denn man muß erſt wiſſen, daß 


und wie man denkt, ehe man beſtimmen kann, nach 


welchen Geſetzen man beim Denken verfaͤhrt. Er. 
iſt der erſte Grundſatz der Wiſſenſchaft des formellen 
Denkens ‚ und kann als Satz des Widerſpruchs fol⸗ 


Rd 


gender Geftalt ausgedruͤckt werden: was gedacht 


"widerfptehen und alfo ſelbſt vernichten, 


dermaßen: Vorſtellungen, die mit einander. 
Verbunden‘ werden follen, müffen mit 


einander übereinftimmen. Diefe beiden Säge 


fehen bloß auf das Formelle und nicht auf das Mas 


rerielle der Gedanken; und beflimmen bloß das Denk 


bare, aber nicht das Erfennbare, 


und ala Sag der Einſtimmigkeit lauter er folgen . 











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Der Berftand iR. aber nicht das einige Ver⸗ 
moͤgen, welches die Denkkraft ausmacht ‚ fondern zu 


dieſer gehoͤrt auch noch die Vernunft. Inwieferne 


N 


bat nun dieſe urſpruͤngliche Denk » und Erfenneniß- 


ger der Vernunft äußert fih dadurch, daß fie alles 
Bedingte zum Unbebingten erhebt, daß fie zu allem 
Vorhandenen bie erfte Urfache auffucht, und- alfo 
alles, was fie bearbeitee, zur unbedingten Einheit 
ſteigert. Nun kann fie entweder die unbedingte Eins 
heit der geiftigen Wirfungen in ung oder afler-Objefte 


als Erfcheinungen oder aller Objekte als Gegenftände 


bes Denfens überhaupt auffuchen und beftimmen, 


Es giebt alfo drei verfchiedene Einheiten, welche eben 


ſo viele uefprungliche Handlungsweiſen vorausſetzen, 
die ſi ch an den Leitfaden der drei verſchiedenen Schluß⸗ 
arten, wodurch ſich die Thaͤtigkeit der Vernunft aͤuſ⸗ 


ſert, aufſuchen laſſen. Es giebt cathegoriſche, hypo⸗ 


thetiſche und disjunktive Vernunftſchluͤſſe, welche auf 
drei urſpruͤngliche Arten thaͤtig zu ſeyn hinweiſen, 


und die drei der Form und Materie nach aus der 
Vernunft entfpringenden Ideen charakteriſiren. 
Allein da wir bier bloß die uefprünglichen Denkge⸗ 


ſetze aufſuchen, ſo brauchen wir die Ideen der Ver⸗ 
nunft nicht naͤher zu unterſuchen, ſondern wir haben 
bloß zu beſtimmen, was die Vernunft beim Denken 
thut, und / welchen Grundſatz ſie dabei befolgt. Sie 


erhaͤlt den Stoff ihrer Thaͤtigkeit von dem Verſtande, 


und da dieſer bloß Begriffe und Urtheile bildet, ſo 


⸗ 


gefetze? Als eine beſondere Anlage muß ſie auch eine: 
beſondere Handlungsmweife haben, , welche, fo bald 
fie in Begriffen aufgefaße wird, die ihr eigenehümse . 
lichen Geſetze ausdrückt. Der urfprüngliche Charaks , 


I 
344 — 


hat ſie biefe noch zu .einer bohern Einheit zu verbin⸗ 
ben, als die Verſtandeseinheit iſt. Der Grundſatz, 
den fie dabei befolgt, ift folgender: alles Ge⸗— 
dachte läßt fih zur unbedingten Einheit 
erheben. Und aus dieſem Sage läßt fih in Anz 
ſehung alles Denkens und Ertennens folgender 
Grundſatz ableiten; alles, was gedaht und 
erfannt werden kann, muß einen hinreis 
handen Grund haben; nichts. aber hat 


. einen binreichenden Grund, was nich 


bis zur unbedingten Einheit geſteigert 
worden iſt. Mun vermehrt dieſes Geſetz zwar 
unſere Erkenntniß von den Gegenſtaͤnden nicht, wie 
dies die Vernunft uͤberhaupt nicht kann, weil fie 
nicht unmittelbar auf Anfchauungen geht, allein es 
noͤthigt doch den Verſtand, bei dem Erkannten, das 
. noch nicht hinreichend begruͤndet iſt, nicht ſtill zu 

ſtehen, ſondern in ſeinem Forſchen weiter fortzugehen. 
Es giebt alſo kein Erkenntnißgeſetz der Vernunft, 
weil überhaupt durch Vernunft feine Erkenntniß 
moͤglich iſt, indem der Gegenſtand dieſer allezeit 
durch den Verſtand bedingt und es niemals ein Er⸗ 
kenntniß geben kann, welches nicht ein Produkt der 
Sinnlichkeit und des Verſtandes ſey, ob es gleich 
wohl Gedanken geben kann, die Vernunftideen auss 
drüden, ‚und es alfo Denfgefege.der Vernunft geben 
muß, welche aber immer bloß logiſchen Werth be⸗ 
halten. 


Allein. wenn man auch alle Geſetze des Denkens 
und Erkennens genau kennt, ſo hat man doch immer 
noch nicht v viel fuͤr ſeine Kenntniſſe gewonnen; Man 


* 





— 


— 445 Eu 


weiß bloß, was gedacht und erkannt und was nicht 


gedacht und erkannt werden kann. Sollen dieſe 
Geſetze für uns fruchtbar werden, fo muͤſſen mir fie 
auf Gegenftände der Erfahrung anwenden, mo 
es ein unermeßliches Feld zu bearbeiten giebf, auf 
. welchem ber Menſch, der feine Anlagen und Kräfte, 
- ihre Öefeße und die Grenzen der Anwendbarfeit ders 
felben kennt, veichliche Fruͤchte einfammeln ‚ann. 
. Alle &efeße find leere Formeln, ſo lange ſie nicht auf 
ſolche ihnen eigenthuͤmlich zu bearbeiten gegebene 

egenſtaͤnde angewandt werden. In der Erfah⸗ 
rung und durch die Erfahrung kann ſich der Menſch 


bereichern; daher muß er ſtets Erſcheinungen beob⸗ 


achten und ihre mannichfaltigen Geſtalten ſtudiren. 





XXVI. Capitel. 

Ueber den Unterſchied zwiſchen den hiſtori— 

ſchen und den philoſophiſchen Wiſſenſchaf— 
ten, und über das Wahre in Beiden. 


— 





Zwei: Objekte find es, mit denen fich der Menfch in 
feinem Nachdenken befchäftigen kann, entweder mit 
Dingen . außer fih oder mit Erfcheinungen in ſich. 
Bei jenen wird ihm der Stoff (der Inhalt ſeines 
Denkens) gegeben, bei dieſen muß er ihn ſelbſt her⸗ 
vorbringen; jene machen einen unwillkuͤhrlichen Ein« 


druck auf ihn, dieſe muß er durch freie Selbſtthaͤtig⸗ 


keit ans Licht rufen. Dieſer Unterſchied, wie er den 
Stoff von ‚beiden erhält, macht auch) ben Haupt 


ge — | 
unterfhieb in den Wiſſenſchaften aus, die ſich ent⸗ 


—weder mit etwas, ſchon ohne unſere Willkühr, Vor⸗ 


handenem oder mit etwas durch unſere Thaͤtigkeit 
Hervorgebrachtem befchäftigen. Der gegebene Stoff 
zeigt etwas ſchon Geſchehenes, der Hervorgebrachte 
etwas noch Selbſtthaͤtiges an. Jener macht das 
Objekt der Geſchichte, dieſer das Dit der Philo⸗ 
ſophie aus. 


Geſchichte und Philoſophie umfaſſen alſo alle 
Zweige des menſchlichen Wiſſens, und machen die 
Gegenſtaͤnde alles Erkennens aus. Die Geſchichte 

erzaͤhlt was geſchehen Rt, die Philoſophie unterſucht 
die Gruͤnde und Urſachen des Geſchehens, jene be⸗ 
ſchaͤftigt ſich mit der Vergangenheit, dieſe mit der 
Gegenwart. Was im Menſchen da geweſen iſt, 
fälle der Geſchichte anheim, z. B. feine ehemaligen - 
Meinungen; was er aber burch Freiheit und Selbſt⸗ 
thaͤtigkeit hervorbringt, ‚ nimme die Philoſophie in 


Beſchlag. 


Bas kann man-min unter Gefchichte verftehen ? 
Da fie ihre Bemühungen auf einen ſchon vorhanbe- 
ven Gegenſtand einfchranft, fo ift fie eine wiflen« . 
fchaftlihe Kenntnig von dem, was ber Menſch ges 
than, gedacht und erfannt hat, und welche Begeben⸗ 
heiten ſich in der Natur ereignet haben. Willens 
ſchaftlich muß fie ſeyn, denn man will die Erfcheinuns 
gen nicht einzeln und abgeriffen, fondern verbunden 
und nach ihren Gründen und Folgen an einander 
gereihet haben, wenn man das wiſſen will, was ger 
ſchehen if. Sie ordnet daher ben Stoff nah 











realen Gehalt Haben, denn fonft würden ſie den Stoff 


a 347 - 
Regeln, welche die Kette find, die das Ganze zuſam⸗ 
menhält.. - Diefe Regeln aber haben bloß einen logi« 


fhen Werth, "weil nach ihnen etwas, das fchon da 
ift, verknuͤpft werden ſoll, und koͤnnen alſo keinen 


beſtimmen, welches bloß in den philoſophiſchen Wife 
fenfchoften der Fall iſt. Wer die Gefchichte der Kuls 
eur der Menfchheit wiffen will, der will die Art und 
Weiſe, wie fih die Menfchen ausgebildet, die äußern 
"Umftände, welche ihre Ausbildung entweder beguͤn⸗ 
ftige oder gehindert haben, die Irrwege, die fie auf 
dem großen Sebenspfade gegangen find und die mans 
cherlei Schickſale, die fie betroffen haben, nad 


Grund und Folge kennen lernen. Einzelne That⸗ 


ſachen ſind keine Geſchichte; es muͤſſen die Begeben⸗ 
heiten an einander gekettet und nach der Natur der 
Suche mit einander verknuͤpft ſeyn, wenn fie dieſen 
Namen verdienen wollen. Hiſtoriſche Wiſſenſchaf⸗ 
ten ſind alſo alle diejenigen, welche einen gegebenen 
und ſchon vorhandenen Stoff zu bearbeiten haben. 
ofltive Jurisprudenz, pofitive Theologie, Philolo⸗ 
fe m. gehören in die Öefchichte, und fie muͤſſen 
eit das Prineip ihrer Veurtheilung aus ſich 






„ ſelbſi. ſchoͤpfen. 


Die Philoſophie bearbeitet einen Stoff, den 


der Menſch waͤhrend des Akts des Bearbeitens aus 
ſich ſelbſt hervorbringt und ſich alſo denſelben ſelbſt 
giebt. Sie iſt eine Wiſſenſchaft desjenigen, was der 
Menſch von Natur iſt, und was er vermoͤge derſel⸗ 


den ſeyn fol. Sie hat es daher 1) mit der Kenntniß 


der urſprůnglichen Anlagen des Menſchen, u mit dem 





) N 

Safatte, welcher ſich durch ihre Thaͤtigkeiten offen⸗ 

bart, mit den Geſetzen, nach denen ſie wirken und 

mit den Grenzen ihrer Anwendung zu thun; 2) ord⸗ 
net ſie die durch die verſchiedenen Anlagen bes Men 
fehen unmittelbar gegebenen Stoffe ſyſtematiſch, und 

verbindet fie nach ihrer fpezififchen Verſchiedenheit 
jeden in ein Ganzes, wodurch die befondern philofes 
phiſchen Wiffenfchaften eneftehen, welche zeigen, was 
der Menfh ohne Ruͤckſicht auf die Erfahrung if, 
und mas er aus ſich machen fol. Jede ſolche il 
fenfchaft hat, da fie jederzeit einer beſondern Anlage 
ihre Daſeyn verdankt, ihr eigenthuͤmliches Princip, 
das nicht allein ihre Form, fondern auch) ihren ns 
halt beftimme. Alle Prinzipien der pbilofophifchen 
Wiſſenſchaften haben nicht bloß einen logiſchen (wie 
in den hiſtoriſchen Wiſſenſchaften), ſondern einen rea: 
fen Werth; felbft der Grundfaß der Logik hat fin 
dieſe Wiſſenſchaft einen realen Gehalt: denn durd 
ihn wird ja beftimme, was in diefelbe gehört und was 
ihr fremd iſt. Philoſophiſche Wiffenfchaften fint 


2° 


alle jene Wiffenfchaften, welche die Natur des Denk 


und Erkenntniß⸗ ⸗des Empfindungs⸗ und Gefuhl⸗ 
und Begehrungs⸗ und Willensvermoͤgens ergruͤnden 
die Geſetze, nach denen fie wirken und die Arc ihr: 
Wirkſamkeit aufftellen. ° Logik, Metaphyſik, Mi 
ral, Rechtslehre, reine Naturwiſſenſchaft, Krit 
des Geſchmacks u. ſ. w. ſind Poitdfeebifhe Willen 
fchaften, weil fie einen Stoff behandeln, den ſich d 
Maenſch durch freie Selbſtthaͤtigkeit ſelbſt giebt, u 
zu erfahren, was er vermoͤge ſeiner Natur iſt ur 
aus ſich machen ſoll. 


= 39 > 
Diefe beiden Arten von Wiſenſchaften 1 Soßen 
auch ein verfchiedenes Wahre: denn es kann etwas 


philoſophiſch wahr, und doch hiſtoriſch falſch ſeyn. 
Sie haben alſo beide verſchiedene Kriterien, nach 


denen man ihre Wahrheit pruͤft, und ſo bald man 


dieſe mit einander vermiſcht, ſo leidet ſo wohl die | 


Vervollkommnung der Wiſſenſchaften als auch ihre 
Wahrheit darunter. Da bie Phipfophie von dem 


Menſchen efivas Hervorgebrachtes ift, fo müffen auch 


die Regeln und Geſetze, nach denen ihre Wahrheit 


beſtimmt wird „ aus der menſchlichen Natur unb 


zwar aus der Anlage genommen werden, uus wel⸗ 


cher eine‘ zu beurtheifende phifofophifche Wiffenfchaft 
ihrem Inhalte nach entſpringt. Ganz anders aber 


"it es mit der Geſchichte; hier muß der Probierſtein 
"der Wahrheit in der Wiſſenſchaft ſelbſt, deren Stoff 
ſchon vorhanden iſt, geſucht werden. Die 'hiſtoriſche' 
Wahrheln iſt bloß eine relative, die philoſophiſche 


"aber eine abſolute. Bei jener hat man bloß zu ſehen, 
R Ay das Faktum oder der Gegenſtand wirklich in der” 


n Unterſuchung genommenen Wiſſenſchaft vorhan⸗ 
den, und ob die Zeugniſſe, die ſein Dafeyn erhärten, 


polen Glauben verdienen. Und diefen verdient eine- 
N egebenheit, wenn ber Erzähler die Wahrheit ſagen 
Bit und kann, und man hat feine Urfadye, ihr 


{if enfelben zu verweigern, wenn fie auch ungewößnlich, 


ffonderbar und unnatuͤrlich, aber nur nicht fich felbft. 
hdwiderſprechend iſt. Wenn jemand Wunder als ſinn⸗ 
ı Yliche Ereigniſſe erzahle, fo ift dies ein Widerſpruch 
Win Objekte; allein etwas anderes ift, wenn man. 


hierbei auf die Perfon des Erzählers ſieht. Dieſer 
haͤlt jede Begebenheit, deren Urſache ihm nicht ſo 


= . 


u Û7Û7 Û Û 0 X.X 
ee 
® 
. 


= as = 


gleich einleuchtet für. ein übernatätfich. gewirktes 
Ereigniß, d. h. für ein Wunder und bier wuͤrde mar | 
ganz verfehre verfahren, und ‚gänzlich das Gebiet 
der Geſchichte verlaſſen, wenn maͤn uͤber die Wahre 
heit ſeines Glaubens ſtreiten und ihm dieſelbe ab⸗ 
ſprechen wollte. Es iſt daher in der Geſchichte eine 
ſubjektive und eine objektive Wahrheit zu unterſchei⸗ 
den, jene bezieht ſi ſich auf den Erzaͤhler, dieſe auf das 
Erzaͤhlte. Bei jener hat man zu unterfuchen, welche 
“ Meinung. ber Erzähler über die von ihm erwaͤhnte 
Thatſache über über das von ihm erzählte Ereigniß 
hegt; bei dieſer laͤßt man ſich angelegen ſeyn, zu er: 
gründen, ob eine Begebenheit in dem Consert ba 
Ereigniſſe paßt, ob fie nicht etwa iſolirt daſteht unl 
alſo gar ‚feinen. wahrſcheinlichen Entftefungsgrun 
Bat, der fieimie beim Borhergehenden verbinder, o 
fe gehörig beglaubigte und dem Zeitgeifte gemäß i 
Was diefe Kriterien aushäft, ift hiſtoriſch wahr, 
‚ baffelbe gleich der Philofoph . als folcher noch w 
Recht in Zweifel zieht, oder gar als gegen die b 
J kannten Geſetze der Natur und des menſchlichen G 
ſtes anſtoßend verwirft. Allein der Philoſoph mir 
ſein Gebiet verfennen‘, wenn er das philofoppil 
Wahre aüch allein für Hiftorifch wahr gehalten wiſ 
wollte. Er befände fich in einem eben fo großen In 
thume, als derjenige, ‚ber Durch die Gefchichte N 
ſtimmen wollte, was recht und (moralifch) gue i 
In der Gefchichte kann es manches geben, was nit 
u abſolut wahr iſt, beſonders iſt Dies mie den Mein: 
gen der Fall, allein in der Philoſophie ift nur vi 
jenige wahr, was mit den Gefegen bes Verſtand 
und der Vernunft ubereinſtimmt und außerdem ai 











= og * 
noch ‚dem. poräefteilteh Gegenftande entſpricht 
alſo Merkmale enthaͤlt, welche ihren. nd im in 


dieſem haben. Dieſe Regel aber giebt erſt das 
formelfe Kriterium. der Wahrheit der philoſophiſchen 


Wiſſenſchaften an und iſt allgemein und nothwendig; 
bas materielle hingegen wird durch jede befondere 
pbilofoppifche Wiſſenſchaft und mit ihrem Inhalte 


gegeben, und hat wohl in einer beſondern Wiſſen⸗ 


ſchaft. Allgemeinheit, kaun „aber. nicht auf andere 
; Brei der, Philofoppie angewandt werden, In 


Anſehung des materiellen Kriteriums der Wahrheit, 


f kann etwas in, der einen Wiſſenſchaft wahr ſeyn, was 


in der Andern falſch iſt, da aber dieſes Falſche von 
ſeinem verkehrten Gebrauche herruͤhrt, und überdies . 


alle Wahrheif unficher macht, fo muß man fid) hüten, 
ein materielles Kriserium auf eine Wiff enfchaft. an« 
zumwenden, in ber es keine Anwendung hat. Nach 


jegft 
Ye, ! 


mp 
rx, ol 
„mas man mir anthut, allein dies geſtattet nicht die 


gie Moral, wenn daher jemand jenes Wiedervergel⸗ 


tungsrecht aus der Moral ableiten und daſſelbe als 


puein dieſer eigenthuͤmliches Gebot, aufſtellen mollte, fo 
— er im Irrthume, und-machte von dem mate⸗ 


" piellen Kriterium des moralifchen Wahren einen uns 
f eeichtigen Gebrauch. 


ni In den hiſtoriſchen Wiſſenſchaften muͤſſen die 


gegenſtinbe , die ihren Inhalt ausmachen, getreu, 


aufrichtig und der Natur der Sache gemaͤß darge⸗ 


en dellt und logiſch richtig an einander gekettet werden: 


Die ben philofophifchen hingegen müffen fie nach) einem 


m geordnet werden, welches fo wohl ihre Sorm 


Ko 3 


dem Rechte. darf ich: außer dem Staate alles thun, 


—: 348 =. 

Snpatte ‚ "welcher ſich durch ihre Thaͤtigkeiten offen: 
Bart, mit den Geſetzen, nad) denen fie wirfen und 
mit den Örenzen ihrer Anwendung zu thun; 2) ords 
net fie die durch die verfehiebenen Anlagen des Men- 
fehen unmittelbar gegebenen Stoffe ſyſtematiſch, und 
verbindee fie nach ihrer fpezififchen Verfchiedenpeit 
jeden in ein Ganzes, wodurch) die befondern philofo: 
phiſchen Wiſſenſchaften entſtehen, welche zeigen, was 
der Menſch ohne Kücfiche auf die Erfahrung iſt, 
und was er aus fich machen fol. Jede folche if 
fenfchaft hat, da fie jederzeit einer befondern Anlage 
ihr Daſeyn verdankt, ihr eigenthuͤmliches Princip, 
das nicht allein ihre Form, ſondern auch ihren ns 
halt beſtimmt. Alle Prinzipien der. philofophifchen 
Miffenfchaften haben nicht bloß einen logifchen (wie 
in den hiſtoriſchen Wiffenfcaften), fondern einen rea⸗ 


J 
38— 


fen Werth; felbft der Grundfag der Logik hat für 


dieſe Wiffenfchaft einen realen Gehalt: denn burd) 
ihn wird ja beftimme, was in diefelbe gehört und was 
ige fremd. iſt. Philoſophiſche Wiffenfchaften find 
‚alle jene Wiffenfchaften, welche die Natur des Denk 
und Erkenntniß⸗ ⸗,des Empfindungs⸗ und Gefuͤhls 
und Begehrungs⸗ und Willensvermoͤgens ergruͤnden, 
die Geſetze, nach denen fie wirken und die Art ihren 
Wirkſamkeit aufftellen. Logik, Metaphyſik, Mo 
ral, Rechtslehre, reine Natuewiſſenſchaft „Kriti 
des Geſchmacks u. ſ. w. ſind A Wiffen 
fchafren, weil fie einen Stoff behandeln, den fich de 

. Menfc durch freie Selbſtthaͤtigkeit ſelbſt giebt, un 
zu erfahren, mas er vermoͤge feiner Natur ift un 


aus w machen foll. 


— 349 — 

Diefe beiden Arten von Wiſſenſchaften haben 

auch ein verſchiedenes Wahre: denn es kann etwas 
philoſophiſch wahr, und doch hiſtoriſch falſch ſeyn. 
Sie haben alſo beide verſchiedene Kriterien, nach 
denen man ihre Wahrheit pruͤft, und ſo bald man 


dieſe mit einander vermiſcht, ſo leidet ſo wohl die | 


Vervoilkommnung der Wiſſenſchaften als auch ihre 
Wahrheit darunter. Da bie Philoſophie von dem 


Menſchen etwas Hervorgebrachtes iſt, fo müffen auch 


die Regeln und Geſetze, nad) denen ihre Waprheif 


beſtimmt wird, aus der menſchlichen Natur und. 


* zwar aus der Anlage genommen werden, aus wel⸗ 


cher eine zu beurtheilende philoſophiſche Wiffenfhaft 


“ ihrem Inhalte nach entfpringe. Ganz anders aber 
* ift es’ mit der Gefchichte; hier muß der Probierftein 
"Der Wahrheit in der Wiſſenſchaft ſelbſt, deren Stoff 

ſchon vorhanden iſt, geſucht werden. Die hiſtoriſche 


Wahrhelt iſt bloß eine relative, die philoſophiſche 
M aber eine "abfolute. Bei jener hat man bloß zu ſehen, 
9 das Faftum oder der Gegenſtand wirklich in der 


n Unterfüchung genommenen Wiffenfchaft vorhan⸗ 
Mr den, und ob die Zeugniſſe, die ſein Dafeyn erhärten, 
DM yolfen ‚Glauben verdienen. And diefen verdient eine: 


OB egebendeit, wenn der Erzähler die Wahrheit ſagen 


Ai und kann, und man hat feine Urfadye, ihr 
dt 


enfelben zu verweigern, wenn fie auch ungewößnlich, 
üſchonderbar und unnatuͤrlich, aber nur nicht fich felbft. 
1 iderſprechend iſt. Wenn jemand Wunder als ſinn⸗ 


tı Pfiche Ereigniffe erzählt, fo ift dies ein Widerſpruch 
Nm Objekte; allein etwas anderes ift, wenn man. 
hierbei auf die Perfon des Erzählers ſieht. Dieſer 
Halt jede Begebenheit, deren Urfache ihm nicht fo 


HR. 


= 


f ’ 


! 
— 354 = 


= aligimeine reine Logik, und zieht man das Erkennen 


in Betracht, ſo kann man dieſes entweder an ſich 
oder in Bezug auf ein Objekt unterſuchen. Im er⸗ 


ſtern Falle erhält man eine Theorie des. Erkennens; 


im zweiten entweder Metaphyſik ober empirifche Pſy⸗ 


chologie oder praftifche Anthropologie, je nachdem 


- der Stoff entweder a priori ober Dur. die Erfahrung 
. gegeben iſt. Wendet man das Erkennen auf eine 


äußere Natur an, mag dies nun die bloße Form ber 
äußern :oder innern Anſchauung, oder bie. Gegen⸗ 


- fände, die nothwendig in derſelben enthalten find, 


betreffen, fo entſteht reine Mathematik und reine 
Naturwiſſenſchaft. Alles dieſes find. Wiſſenſchaften, 
welche ſich bloß mit dem Erkennen abgeben, und 
welche entweder die Geſetze deſſelben aufſtellen oder 
die Anwendung derſelben lehren; ſie machen insge⸗ 


ſammt Theile der theoretiſchen Philoſophie aus. 


Allein nun fragt es ſich, ob durch dieſe Wiſſenſchaften 
alle Zweige der theoretiſchen Philoſophie aufgeſtellt 


ſind, und 'wodurch man ſich der Voellſtaͤndigkeit ders 
ſelben verſichern kann? Da alles theoretiſche Willen 
ſſich auf Die Geſetzgebung des Verſtandes gründet und 


dieſe entweder fir die Objefte des innern ober bes 
äußern: Sinnes, welche Gegenflände bes Erfennens 
ausmachen, Geſetze giebt, fo darf man nur bemweifen, 


dab alle urfprüunglichen .Wirfungsarten, beren ber 


Menſch als ein erfennendes Weſen fähig ift, aufge 
foßt ‚find, um die Ueberzeugung zu bewirken, daß 


. der Stoff alles wiſſenſchaftlichen Erfennens erschöpft 


iſt und alſo alle theoretiſchen Wiſſenſchaften angeges 


ben ſind. Der. Stoff dieſer Wiſſenſchaften find ent⸗ 


weder die Geſebze des Erkennens ſelbſt oder ihre 


s N [2 











Anwendung, und dieſe kann nun entweder auf duch 
Erfahrung oder a priori gegebene Gegenſtaͤnde gehen. 
Jene machen die philoſophiſchen Erfahrungs⸗, dieſe 

‚ die reinen, durch Stoffe a priori hervorgebrachten 
Wiſſenſchaften aus. Nun-Haben wir ſo wohl die 
Wiſſenſchaften des theoretiſchen Erkenntnißvermoͤ 
gens als auch die reinen durch Raum⸗ und Zeitver⸗ 
haͤltniſſe moͤglichen Wiſſenſchaften nebſt den empiri⸗ | 
fchen, weiche die Zeit zur Form ihres Dafenns haben, ‘ 
und alſo alle philofophifchen theoretiſchen Wiſen- | 
ſchaften vollftaͤndig angegeben. 


Die braktiſche Philoſophie hat ihren Quell in 
der praktiſchen Vernunft, welche Geſetze fuͤr den 
Willen giebt. Dieſe Geſetzgebung kann ſich nun 
entweder bloß auf unſern Willen in ſeinem Verhaͤlt⸗ 
niſſe zur praktiſchen Vernunft oder auch auf den Wile-' 
fen Eines oder Aller zu diefer beziehen: In der 
erften Hinſicht find Die Geſetze moraliſche, ; in ber an⸗ 
dern rechtliche. Die moralifche Gefeßgebung föberr, 
daß unfer Wille mit der praftifchen Vernunft und 
zwar aus Achtung gegen biefelbe in feinen Marimen , 
und Entſchluͤſſen uͤbereinſtimme; die rechtliche Geſetz⸗ 
gebung hingegen macht zwar auch biefe Foderung in 
Anfehung der Webereinftimmung des Willens an Einen 
und Alle, allein fie läße die Triebfeder, melde diefe 
Webereinftiimmung bewirkt, üunbeftimme, mag fie 
eigennüßig oder ‚uneigennüßig feyn, dies fft in Ans 
fehung des Rechtes Einerlei, wenn nur der Wille 
eines jeden allgemeine Geſetzlichkeit hat. Die Ges 
ſetzgebung, die auf Uebereinftimmung unfers Wil⸗ 
lens mit der praktiſchen Vernunft aus Achtung gegen 

32 


| u} u . 
dieſe dringt, „begründet die Moral, bie Geſetzgebung 


bingegen, welche bloß Geſetzlichkeit des Willens 
Eines und Aller fodert, die Rechtslehre. Die Mo⸗ 


ral verlangt alſo außer der Allgemeinheit der Marke 


men auch Lauterkeit und FR — der Geſinnung, 
bie Rechtslehre aber bloß Gefeglichfeis der Handlun⸗ 
gen Aller nad) einem allgemeinen Geſetze. 


Werden die Worſchriften der Moral ale Gebot⸗ 
oder Verbote der Gottheit vorgeñiellt durch welche 
ſich unfer. Wille aus Ehrfurcht gegen. dieſe zur Aus⸗ 
führung oder zur Unterlafjung einer Handlung bes 
ſtimmt, ſo entſteht Religion, und da dieſe einen Vers 
nunfturſprung bat, fo iſt fie Naturreligion, welche 
daher ein Theil der praktiſchen Philoſophie iſt. Das 
Recht drückt allemal ein Verhaͤltniß zur Willkuͤhr 
Anderer aus, und. fan entweber als bioß durch uns 
fere oder durch eine öffentliche Vernunft entſtanden 
angefehen werden, Wird das Verhaͤltniß unferer 
Willkuühr zur Willkuͤhr Anderer bloß. durch unfere 
Vernunft beftimmt, fo entſteht Das Privatrecht, eritt 
aber eine öffentliche Vernunft auf, und beſtimmt 
nah einem allgemeinen Geſetze dig. Willkuͤhr Des 
Einen im Verhaͤltniß zur. Willkuͤhr des Andern, fo 
entſpringt das öffenrlihe Recht. Das Privatrecht 
begreift Geſetze in fi ch, welche keiner aͤußern Be⸗ 
kanntmachung beduͤrfen; dies iſt aber nicht der-Zalf 
mit den Gefeßen des öffenglichen Rechtes, melde 
uoͤffentlich bekannt gemacht werden müffen, wenn fie 
“Gültigkeit haben ſollen. Das öffentliche Hecht ber 
ſtimmt drei Verhäfeniffe, aus denen fih. auch drei 
verſchiedene Rechtswiſſenſchaften ergeben, 1) das 








— 357. 7 

FE 
Stoatsrecht, 2) das Volberreche und das Welt⸗ 
büuͤrgerrecht. Alle dieſe Wiſſenſchaften ſind Zweige 
der praktiſchen Philoſophie, weil fie Geſetze für un« 
fern Willen aufſtellen. Allein der Menſch hat als 
bandelndes Weſen nicht allein Vernunft, ſondern 
auch Sinnlichfeit, diefe will eben fo wohl .befriedige 


ſeyn als jene. Giebt es nun noch eine praßtifche 


Wiſſenſchaft, welche die Gefeße der Sinnlichkeit in 
Ruͤckſicht ihrer Befriedigung, d. h. des Genufles, 
aufſtellt? Da Geſetze allgemeine Vorſchriften ſind, 
welche eine durchgaͤngige Guͤltigkeit haben und wenn 
ſie befolgt werden, allemal ihren Zwyeck erreichen, bie 
Sinnlichkeit aber in Anfehung des Genuſſes gar feine 
Geſetze geſtattet, weil eine Handlung, welche heute 
ein Mittel der Befriedigung derfelben ift, dies morgen 
oft nicht mehr ift, indem die Begierden wechfeln, bie 
Neigungen fich verändern und die Enipfänglichkeit 
für Genuß bald ſtark bald ſchwach ift, fo Farin’ es 
keine Wiffenfchaft der Befriedigung der Sinnlichkeit, 
d. h. der Glückfeligkeit geben, ob wohl Rathfchläge 
gegeben und Regeln äufgeftelle werden fünnen, wie 
man es machen muß, wenn nları glüclich ſeyn will; 
ob es jr daraus noch nicht folge, daß. wir nuns 
mebro. auch glücklich feyn werden, weil dieg nicht ims 
mer von ung, fondern von den Umftänden abhängr. 
Die Klugheit, welche in jedem einzelnen Sal berech⸗ 
net, welche Folgen eine Handlung haben kann, iſt 


in Anfehung der Gluͤckſeligkeit der einzige- Führers 


fie läßt aber feine Geſetze zu, und es kann daher auch 
feine philoſophiſche Wiffenfchaft der Klugheit geben, 
- Außerdem daß der Menfch ein erfennendes und 


handelndes Wefen ift, iſt er auch noch ein fuͤhlendes. 


⸗ 








⸗358 - 
In wieferne giebt es nun eine Wiſenſchaft der ts 
fühle? Eine Wiſſenſchaft ſtellt objektive Merkmale 
auf, welche eñtweder in etwas als einem Gegenſtande 
des Erfenneng anzutreffen find, oder wie dtwas z. B. 
in der praftifchen Philoſophie, moͤglich iftz da.nun das 
Gefühl in jedem Subjekte verfchieden ift, indem es 
bei demfelben auf Die größere oder geringere Reizbars 
feit und Einpfänglichfeit anfomme und baffelbe durch 
äußere und innere Umftände auch. zahllos verfchieden 
. beftimme wird, fo kann es feine Wiffenfchaft der. Ge⸗ 
‚fühle geben, welche unter allen Umſtaͤnden lehrte, 


daß diefes oder jenes den Fühlenden durchaus befrie- 


digen und alfo fuͤr ihn Wahrheit haben müßte, ob «es 
wohl eine Kritik von einem Vermögen geben Fan, 
deſſen Wirkſamkeit fi uns durch Gefühle offenbart. 
Dies ift die Kritik ber aͤſthetiſchen Urtheilskraft, 
welche es mit der Unterſuchung bes Gefuͤhls der Luft 

und Unluft, des Schönen und Erhabenen in thun bat, 


Bir tollen nunmehro bie einzelnen philoſophi⸗ 
fchen Wilfenfehaften durchgehen, und die Gefeße und 
Regeln angeben, welche man beobachten muß, wenn 
- man über fie wahr und richtig urtheifen will. Es 
ſollen nicht etwa ‚hier die Wiffenfchaften felbft aufge 


ſtellt, fondern es foll nur gezeige werben, wie man 


verfahren muß, wenn man in ihnen Wahrheit finden | 


Witll. 


A. Kritik der reinen Vernunft. 


Eine Kritik der menſchlichen Anlagen hat in | 
unterfuchen, was vermoͤge der Natur derſelben ge⸗ 


[4 








359 Zi 
ſchehen am; welche Geſehe ihnen 
was den Inhalt ihrer Thaͤtigkeiten 
welches die Grenzen ſind, die ſie ni 
duͤrfen, ohne ins Leere zu gerathen, 
zu verirren. Man kann Jahrtauſend 
Haben, denn das Philofophiren kuͤndigt 5 
als ein Beduͤrfniß des menſchlichen Geifte 
noch daran gedacht zu Haben, was on 
wiffen kann, thun fol und hoffen darf, 
das innere der menfchlichen Natur eingeb 
fepn, um zu erfahren, was der menfchliche G 
mag, nach welchen Geſetzen er wirkt, und w 
ellem Gedachten und Erfannten beiträge. Und | 
wohl iſt es Eines der wichtigften Gefchäfte, a\ 
machen, was denn der Ppilofophirende vermöge 
ner Naturanlagen ausrichten ann, um weber 







noch Kräfte auf Erforjchung von — 


wenden. Wenn, jemand beweiſen will, daß wi 
etwas von den Dingen an ich wiflen, daf die Seele 


‚als.ein einfaches Weſen unfterblich ſey, daß die Gott⸗ 
‚heit ihrem - Daſeyn nach einen Gegenftand des Wiſ⸗ 
fens ausmache, fe verfenne er feine Kräfte. Wäre 
‚er mit den Öefeßen derfelhen und mit den Grenzen | 
ihrer Anwendbarkeit. bekannt, fo würde er einfehen, . 


daß wir ung die Dinge nad) der Art. unfers Denfens 


und Erfennens vorftellen, und daß fie folglich in der 


Geſtalt erfcheinen muͤſſen, welche das Weſen und bie 
Matur des Erkenntnißvermoͤgens ausmacht, daß wir 
nur das Daſeyn von Erſcheinungen beweiſen, und 
daß einfache Dinge und unendliche Weſen nicht er⸗ 


ſcheinen koͤnnen, weil die Form aller Erſcheinungen 


dieſe zu außer einander und nach einander hefindlichen, 


— 





In wieferne giebt, erum ende 
fühle? Eine EL? 2 | Ä 


auf, welche eng 8 





bes Erkennen!?ö * igenttich Des 
in der praftif® „ 8 7 he die Abſicht, 
Gefuͤhl in N — moͤge feiner Er⸗ 
bei demfelb —* kſeetze und-Grene 
keit und Eier 5” 05 @ Inhalt fie durch 
äußere ufö —2 | je geht. alſo von 
befinde, * Affe von Dingen 
‚fühle 942 | | , was barunfer zu 
daß die, —* moͤglich iſt. Sie 
digenꝰ⸗ʒ. o | en jedes Vermögen 
wohle,, | ‚« thut, fondert den 
LU tigen ab, laͤßt ſich an⸗ 
Diet | digen Thaͤtigkeit deffels 
ww. urn „elafge auf diefe Weiſe zur 
fe 0, dichen Handlungsweife, feiner 
J v der Letztern und den Grenjen, 


Bieffamfeit anerkennen muͤſſen. 

a Gegenſtaͤnden tragen die Sinn« 

FR BGBGenkkraft bei, und wenn man weiß, 
mötheile jener bie Sinne und die Eins 

A, und Die Beſtandtheile dieſer der Den 
Uriheilskraft und die Vernunft find, fo- 

an bie Vermögen fernen, Deren Art zu wirs 
ihrem Inhalte und Geſetzen nach, unterfucht 
‚gen To, Vede Kritik Ber einzelnen gefeßgebenben 
serrnögen des Mänfchen muß von der Erfahrung aus⸗ 
‚gehen, denn woran wili ſie ſich fonft bei ihren Untet- 
ſuchungen halten, wenn fie nicht eine Wirkung bat, 
von der fie bie Urſache auffuchen fol? Thaͤte ſie dies 


| \ ” x 
- . . x 1 
“ . . x . 














— 2ꝛ 

nicht und fußte alſo nicht auf Erfahrungen, ſo koͤnnte 
ſie ſo viele Vermoͤgen des menſchlichen Geiſtes und 
Gefetze derſelben erdichten, als man wolle. Auf 
Wirkungen in ſich muß der Menſch ſich ſtuͤtzen, wenn 
feine Unterſuchungen über die Natur feines Geiſtes 
glücklich und fruchtbar ausfallen füllen, und von dert 
Erfcheinungen muß er zi ihren Urſachen auffleigen, 
‚weil er dieſe nur durch jene kennen lernt, indem dieſe 


beim Ureheilen bloß eine Denkweiſe feines Verftandes 


find und in. bem Objefte, das er unterfucht, gar niche 
exiſtiren. Ohne Kritif der menfchfichen: Natur fan 
der Menfeh Feinen- fi chern Tritt im Erkennen ehun, 
und ohne diefelde weiß er nicht, ob Miffenfhaften, 
mit denen man fich feit Jahrtauſenden befchäftige hat, 
znicht leere Traͤumereien find, wie es mit der bisheri⸗ 
gen Metaphufit ber Hall iſt. Wenn er aber. weiß, 
was er vermöge feiner Natur im Denken und Erlen · 
nen ausrichten kann, dann wird er ſowohl nur ges 
haltreiche Wiſſenſchaften aufſtellen, als auch wiſſen, 
wie er es anfangen muß, wenn er in feinem Sorten 
Zuͤcklich ſeyn will 


Durch eine Keiiit der reinen Vernunft eofäßrt 
der.Unterfucher, daß die Sinnlichkeit eine andre Form 
Art zu fen). als der Verſtand und die Bernunft | 
hatz daß jene bie Bedingung der Bildung von Ans 
fhauungen, diefe die Urfache von Begriffen und von 
Ideen find; dag die Sinnlichkeit allein fein Erfennts 
niß möglich macht, ſondern daß Hierzu die Denkkraft 
beitragen muß, und daß überhaupt Feine von beiden 

" Anlagen etwas ohne die Andere im Selde Des. Erfens 
nens ausrichten kann, (denn Anfchanungen find blind, 





3a. — 


“und 1b Begeilfe leer, wenn .fich nicht beide Vermögen - 


einander unterftüßen)," daß ber Menfch tur Erfcheis 


| nungen erfennen kann und daß ihm alfo die Erkennt⸗ 


niß aller überfinnfihen Dinge verfchlöffen iſt; daß 
fi das Denfen von dem Erkennen unterfcheidee und 


daß man fich viele Gegenftände denken, fie aber Dennoch 


nicht erfennen kann; daß jebes Vermögen, welches 
ein Beftandftucf des Erfennens ausmacht, demfelben 
allein . eigenchümliche Produkte liefert, welche bloß 
Durch daſſelbe möglih find, und welche feine ur« 
fprüngliche Art ehätig zu feyn ausdrüden; daß bie 
Ideen der. Vernunft beim Erfennen bloße logifche 
Gültigkeit Haben, und daß fie das durch den Ver⸗ 
ftand als bebingt Gebachte zum Linbedingten fteigern ; 
daß fie in Hinſicht des Erfennens leer bleiben, und 


daß feine Anſchauung ihnen adäquat gegeben werden 


kann; daß der Raum die Form der dußern Sinne 
die Zeit die Form des innern Sinnes, und daß biefe 
geßtere die Form alles Vorſtellens ift: denn, was 
uns zum Bewußtſeyn kommen foll, muß auf uns Ein⸗ 
druck gemacht haben und alles Denken von etwas iſt 
nur dadurch moͤglich daß daſſelbe den innern Sinn 


affizirt. 


Die Regeln, die man bei der Arſtellung einer 


Kritik des menſchlichen Erkenntnißvermoͤgens beob⸗ 
achten muß, ſind daher folgende: 


1) Man muß von dem Erkennen ausgepen, 
die Beftandtheile deſſelben genau auffuchen, fie fcharf 
auffaſſen und nachfehen, wie daſſelbe möglich ift. 





3 — 


2) Wenn man die Möstichkeie deſſelben auf 


gefunden hat, fo muß man die urfprüngfichen Gefege 
auffuchen, nach welchen jedes der Vermögen, wo⸗ 
durch ein Erkennen bewirkt wird, thaͤtig iſt. 


* 


3). Die Auffuchung dieſer Geſetze muß nach 


einem Prineip geſchehen, bamit man ſich ihrer Voll⸗ 


ſtaͤndigkeit verſichert halten kann. 


9 Man muß die Grenzen ‚genau beftimmen, 
innerhalb welcher jedes Vermögen fruchtbar thätig 


— 


iſt, und über welche hinaus zu gehen ber Tod alles 


aͤchten geiftigen Lebens ift. 
5) Man muß fehen, in welhem Verhaͤltniſſe 


das Erfenntnifvermögen zum Willens - und Ges 


füptsvermögen. ſteht. 


Wenn man dieſe Kegeln beobachtet und bie 


Foberungen erfullt, die fie an den Kritiker der ſpeku-· 
lativen Vernunft machen, fo kann man ficher feyn, 


daß man die Wahrheit niche verfehlt. 
B. Kritik der praktiſchen Vernunft. 


Die Kritik der praftifchen Vernunft unterfuche 
das Vermögen, das dem Willen Geſetze vorfehreibt, 
- ind belehrt uns von der Form feiner Thätigkeie, ins -- 


dem ſie das Geſetz aufftelle, welches dem Willen zur 


allgemeinen Richtſchnur dienen fol. Ferner lehrt 


fie ung, welche Folgerungen fich aus diefem Geſetze 


ergeben, wenn es feinem ganzen Umfange nad) ers 


fuͤtlt werden und wenn der Autoritaͤt, mit der es fi 
im menfihlichen Gemuͤthe anfündige, Genüge ‚ges 


r 


Ne ” 


34 Ä 
ſchehen ſoll. Die Kegeln, bie man bei Yaffıhung 
dieſes Geſetzes zu befolgen hat, find folgende: . 

1) Man muß von praftifchen (moraliſchen und 
rechtlichen) Urtheilen aucgehen ‚ und zu ihrer Quelle 
aufſteigen. u 

2) Da fih der Charokter der Vernunfturtheile 


. durch Allgemeinheit ankuͤndigt, fo muß die Formel, 


wodurch man das Gejeß der praftifchen Vernunft 
ausdruct, jeden Willen binden und alſo Allgemein⸗ 
heit haben. 

3) Wenn man das Geſetz der braktiſchen Ver⸗ 


nunft aufgefunden hat, ſo muß man unterſuchen, 
welche Folgerungen ſich daraus ergeben; man muß 


ſein Verhaͤltniß 1) zu unſerm Willen und 2) zu un⸗ 


ſerer Sinnlichkeit in Betracht ziehen und ſehen, was 


noͤthig iſt und alſo vorausgeſetzt werden muß, wenn 


es nicht allein uͤberhaupt befolgt, ſondern auch in ſei⸗ 
nem ganzen Umfange regliſirt werden ſoll. 


Man darf nie vergeſſen, daß das Geſeh der 
praktiſchen Vernunft nicht aufs Erkennen, ſondern 
bloß aufs Handeln geht, und daß es uns alſo keine 


Erkenntniß der uͤberſinnlichen Welt verſchaffen kann. 


5) Es muß ſorgfaͤltig angegeben werden, wie 
ſich die Glaubensgruͤnde für das Daſeyn Gottes und 
die Unſterblichkeit der menſchlichen Seele von Gruͤn⸗ 
den des Wiſſens und Meinens unterſcheiden. 


* Kr itit der Uetheilskraft. 
Die Kritik der Urtheilskraft unterſucht die Moͤg⸗ 


lichteit der Entſtehung des Gefuͤhls des Schoͤnen und 








— a65 - 


| Erhabenen, und der Zweckmaͤßigkeit der Natur. 
Das Schöne entſteht dadurch, daß die Einbildungg— 


kruft in ihrer freien Thaͤtigkeit des Auſſaſſens mit den 


Geſehen des Verſtandes uͤbereinſtimmt, ohne ‚daß 


man einen. Begriff zum Grunde legte, der dieſe J 


Uebereinſtimmung beſtimmte. Es kuͤndigt fish dieſe 
burch ein Gefuͤhl der Luft an, welches das Gefuͤhl 
des Schönen iſt. Das Erhabene verdankt feinen Urs - 
ſorung der Ohnmacht der Einbildungskraft im Auffaſ⸗ 
ſen eines Ganzen, und der: Thätigkeit ber Vetnunft, 
welche ſi ſich durch die Made ihrer Ideen des Ganzen 
bemeiftere und über allen Widerſtand ſowohl der 
Größe als. dir Gewalt triuniphiät. Die Zweckmaͤßig⸗ 
keit der Natur euſteht aus der Thaͤtigkeit her bloßen 
Vernunft, die einen Begriff von einem Zwecke aus 
ihren eigenen Mistefn aufſtellt, die Erſcheinungen der 


Natur an denſelben haͤlt und fie prüft, Die Regeln, 


die man bei diefen Unierſuchungen Sefolgen Fanny 
. find folgendes 


4) Dat Schöne ft ber Ar nach von dem ne 
habenen verſchieden, indem jenes dem Verſtande, 
dieſe der Vernunft ſeinen Urſerung verband, x”. 


5 Das Schöne und Erhabene iſt ein X des 
Urtheilens, her durch keinen vorausgehenden Begriff 
beftimme wird, und Der ein Gefüt bewirkt, welches 

angenehm ift. Es ift alfo etwas in uns befindliches, 
und man fanıt nie ganz ſicher vorausbeſtimmen, ob 
. in Gegenſtand ſchoͤn ſeyn werde oder nicht, ſo lange 
man ihn noch nicht an unſer Gemuͤth geholten und 
durch daſſelb⸗ worobt hat. 


—W 


= 366 — 


3) Das Vermögen, das Schöne und Erhabene 
in Natur und Kunſt zu beurtheilen, ift der Geſchmack, 
welcher alfo keine objektiven Prineipien hat, und bie 
Gegenſtaͤnde feiner Beurtheilung nicht ans Erkennt⸗ 
niße, fondern ans Gefühlsvermögen hält. 

4) Mon muß die Veurtheilung des Schönen 
"nicht mit der Kraft verwechfeln, welche Gegenſtaͤnde, 

die ſchoͤn ſeyn Fönnen, hervorbringt. Dies ift das 
Genie, und da dies etwas durch Freiheit bewirkt, fo 
giebt es ein Kunft « und ein Nasurfchönes und Ex 
dabenes. . 

3) Es müflen forgfältig alle Merkmale aufge 
fucht werden, weiche das Gefühl des am charak⸗ 
teifiren 

6) Es muß der Unterfchieb wiſchen d dem Anges 
nehmen, Nůhhlichen, Guten und Schoͤnen angegeben 


werben, 


7) Das Zweckmaͤßige, das man an den Din · 
gen bemerkt, muß man denſelben nicht objektiv bei⸗ 
legen, ſondern es bloß als ſubjektiv, als eine beſondere 
Art, wie wir fie beurtheilen, anſehen. 

8) Wir dürfen nicht der Beurtheilung nach 
Zwecken die Unterſuchung nach Natururſachen auf⸗ 
opfern, weil nur dieſe Letztere unſere Kenntniſſe der 
Natur und ihrer Erſcheinungen vermehrt. 


D. Logit. 
Die reine allgemeine Logik hat es mit dem bloßen 
Derten zu thunz; fie ſieht nicht auf die Nichtigkeit 
Vhalts des Gedachten, . fondern bloß auf die 


1 — 367 Fi j . | ” | ) 
| Einftimmigkeie der Oeanten. Sie abftrahiet von 
allem Inhalte uud gruͤndet ich auf den Sag der Eins 
ſtimmung, nach welchen fie die Begriffe, Uktheile 
sub Schtafle: pruft. Sie erkennt daher alles fuͤr 


richtig, was ſich durch Vorſteilungen mit einander 


verbinden laͤßt, und alles fuͤr unrichtig, was ſich im 


Begriffe widerſpricht. Als eine beſondere Wiſſen⸗ 


ſchaft ſtellt fig Pie nothwendigen Regeln auf, welche 


beim "bloßen Denken vorkommen und welche ihren 


Inhalt ausmachen. Was zur Pruͤfung der bloßen 


Form des Gedachten gehoͤrt, nimmt ſie in Beſchlag | 


und:entfcheidee über feine Wahrheit. Alles hingegen, 


was den Inhalt der Erkenntniſſe, alfo ber Anfehauun 


gen, ‚Begriffe und Ideen anbelangt, liegt gaͤnzlich 


außer ihrem. Gebiete, weil fie eine Wiflenfchaft der - 


bloßen Form’ des Denfens iſt. Es giebt Daher auch 


feine angewandte Sogif, s; weil dieſe es mit dem In⸗ 


halte der Gedanken zu thun hat, welcher entweder 


in die enrpiriſche Pſychologie oder in die pragmatiſche 


Anthropologie gehoͤrt. Und man macht von der 


. $ogiß eine ſehr verfehrte Anwendung, wenn man den. 


inhalt der. Behauptungen des Andern durch diefelbe 


. 


widerlegen will; hierzu find theils andere Grunbjäge, 
theils Kenntniſſe der: Ark, zu der der Gegenſtand ges 


höre, noͤthig. Außerhalb der Wiffenfchafte des . . 


bloßen Denkens hat der Grundſatz der Einfimmung 


“ einen bloß formalen Gehalt, und vermöge beffelben 
kann man nur die Einftimmigfeir oder den Wider⸗ 
ſtreit der Gedanken pruͤfen. 


Die bozit zerfaͤllt ale Wiſſenſchaft in zwei Theile, 
1) in die allgemeine Elementarlehre und =) in bie 


— 3 | — 
allgemeine Methodenlehte San ſtellt Die mancher⸗ 
lei verſchiedenen Arten auf, wie Gedanken gebildet 
werden koͤnnen, uͤnd macht die Begriffe, die Urtheile 


und die Schluͤſſe zu dem Gegenſtande, ihrer Beſchaͤf⸗ 
tigung: dieſe giebt die Merkmale an, welche zur 


logiſchen · Vollkommenheit einer Erkenntniß erfoder⸗ 


lich find, und ſtellt die Foderungen auf,, bie man 
befriedigen muß, wenn die Behandlung eines Gegen⸗ 
ſtandes auf ſtrenge Wiſſenſchaftlichkeie. Anſpruch 
machen will, Die Letztereverlangtalſo/daß ſich 
jede Wiſſenſchaft auf ein Prineip als auf einen Grund 
ſtuͤtze, aus dem ſich alle andern Saͤtze dir In der⸗ 
felben vorkomnien, ſtreugtonſequent abſeiten laſſen, 
and daß man nichts in: dieſe Wiſſenſchut. aufnehme/ 


was ihr ftemd, "ober dauslaſſe, was ihr eigen iſt. 


Ste nimmt aber bloß das Logiſche jeden Wiſſenſchaft, 
d. h. die Verbindung und ben Zuſammenhang ber 
Gedanken “tr Beſchlag, den Inhalt hingegen, der 
dieſe Wiſſenſchaft ausmacht, muß das derſelben 
eigenthumliche Princip deſtimmen. „on. 


.. Der Werth der togif it weder R aroß, wie 
man oft geglaubt hat, "weil fie bloß die Form ber 
Gedanken gi beurtheilen hat, noch iſt dieſe Wiſſen⸗ 

aft ſo weitlaͤufig, als man ſie noch in manchen 
Khrbuͤchern ausgefuͤhrt findet. Was mehr als die 
For der Gedanken, d.h. die Art ünd Weiſe, wie 
Gedanken gebildet werden, zum Gegenſtande feiner 
Unterſuchung mache, gehört nicht‘ in’ die Logik, und. 
da ſie fich mit den bloßen formellen Regeln bes Dens 
kens beſchaͤftigt, fo iſt fie Fein Gegenftand des erften 
Unterrichtes in der Philoſophie: denn man muß ſchon 


[4 





u 
ſehr ine Denken geube ſeyn und: viele Materialien ein« 


geſammelt Haben, wenn der Geiſt an der Befchäftie 
gung mit der bloßen Form der Gedanken Vergaigen 


finden foll. Allein deshalb: darf fie doch nich? ver⸗ 


| nachlaͤßigt, fondern nur erſt nach einer größeren - 


Uebung im Denken betrieben werden: denn ſie iſt zu 


allen Wiſſenſchaften ſehr nuͤtzlich, weil fie den Zuſam⸗ 


menhang der Gedanken zu pruͤfen hat. 


E. Tbeorie des Erkenntnißvermoͤgens. 
Dieſe giebt die Regeln an, welche man befolgen 


muß, wenn eine Erkenntniß 1) einen realen Gehalt 


und 2) Wahrheit Haben fol, Außer dem Begriffe 
wird zum Erfennen noch ein Objekt erfodert, auf 


welches ſich jener vermittelſt einer Anſchauung beziehe; 


nun ift alle Anfchauung des. Menfchen finnlich, Daher 
iſt Bein überfinnlicher Gegenſtand für ung erfennbar; 
Was aber von uns erfannt werben fol, muß in dee 


Beit oder im Raume als den Formen aller finntichen 
Anſchauungen vorhanden feyn fünnen; jedes Objekt 
bes Erfennens ift daher entweder eine Größe oder. 
eine Veränderung, und mas dieſe Merkmale aus 


ſchlaͤgt kann keinen Gegenſtand des Erkennens aus⸗ 


machen. Keine Kraft iſt erkennbar, ob es wohl ihren. 


Wirkung if. Die Objekte ber Sinnenwelt machen 
daher allein Materialien aller menſchlichen Erkennt⸗ 
niß aus; alles Uebrige, was außerhalb denſelben 
liegt, iſt entweder ein Gegenſtand des Glaubens oder 
des Meinens. 


WBei allem Ettennen iſt die Sinnlichkeit nebſt 
der Denkkraft beſchaftigt, beim Denken hingegen 


Kunß au denken. Aa 


A D r2 = 
. . . 
« 
” ’ 


In 


‚- yp - J 
bloß die Letztere. Jenes geht uͤber das bloße Denken 
des Objektes hinaus und ſagt Eigenſchaften von bene, 
ſelben aus, welche nicht in feinem bloßen Bagriffe 

: guthalten find. Das Erkennen has es daher mie ſyn⸗ 
thetiſchen, das Denken aber mit analytiſchen Urthei⸗ 

"fen zu hun. Durch die Letztern erfährt man bloß, 
was man fi in einem Begriffe von. einem Gegen⸗ 
ſtande gedacht hat, durch die Erftern. ſammelt man 
immer neue Merkmale ein, die man entweder aus der 
Erfahrung, oder aus Grundſaͤtzen a pfiori hernimmt 
und fie dem vorgeftellten Objekte beilege. 


Wenn man erfahren will, ob man einen Gegen⸗ 

ſtand erfahnt und zwar richtig erkannt hat, fo muß 

mar nachfehen, ob man in feiner Behandlung die 

Vebingung alles Erkennens erfüllt hat und ob bie 

- Merkmale, die man ihm beilegt, nicht allein ihrer 

Form, fondern auch iprem Inhalte nach in demfels 
ben gegründet find. 1 


. F. Metaphyſik. 


Metaphyſik iſt die Wiſſenſchaft dee Vernunft 
ideen, und der Eigenfehaften, die ihnen durch bloße 
Vernunft beigelege werden koͤnnen. Die Gegen 
ſtaͤnde, die alfo bie Metaphyſik ausmachen, find 1) 
ein Ding überhaupt, 2) bie menfchliche Seele, 3) die 

Sreiheit und 4) bie Gottheit. - Da abet den Ver⸗ 
: nunftideen nie eine Anfshauung adäquat hervorges 
* bracht werden kann, weil fie theils etwas Einfaches, 
theils etwas Unendliches, theils etwas Exftes bezeich⸗ 
‚ ten, fo ift. Die Metaphyſik 1) bloß eine Wiſſenſchaft 
von Negationen; fie has es mis Gegenſtaͤnden zu 


ON 


\ 
+ 





— 371 —— | 
chun, denen alle Eigenſchaften , welche aus Ans 
fchauungsbedingungen und aljo aus. der Möglichkeie, 
etwas zu erkennen, hergenommen find, abgeſprochen 
werden. Dieſes Abfprechen aber führt 2) gleichwohl 
zu Begriffen, . welche etwas Pofitives. bezeichnen, 
+ B. die Gottheit ift nicht durch Raum und Zeit bee 
ſchraͤnkt, alſo unendlich und uneingefchränft. : Alles 
dies. aber verhilft uns zu Feiner Erkenntniß des Ges . 
genftandes felbfi, fondern nur zu Merkmalen, welche 
die Vernunft einem ſolchen von mihr gedachten Gegen⸗ = 
ſtande beilegt. \ u 


Die Metaphyſik der Natur iſt reine 1 Natutlchee 


und die Metaphyſik der Freiheit entweder reine Zus 


gend oder reine Rechtslehre, und beide werden, von 
dem bisher gewöhnlich geweſerien Sorachgebrauche 
abweichend, ſo genannt. 


Die eigentliche Metaphyſik verhilft uns 18 niche 
wu iefer Kenntniß, ‚fondern beugt, wie die Kritif der 
Vernunft, größten Theils nur Irrthuͤmern⸗ do 
MNichts ift ein Gegenftand der Metaphyſik, alswas 

durch Vernunft hervorgebracht, und durch Merkmale 
des Unendlichen und Unbebingten gedacht werden 
kann. 


6G. Mathematit. 


Mathen atik iſt die Wiſſenſchaft der Con⸗ | 
ftruftion der Begriffe, und conftruiren heiße, einen 
Begriff in der Anfchauung darftellen. Da es num 
Anfchauungen a priori und a pofteriori giebt, fo zers 
fälle die Marpematit auch in die reine und in die 

Aa 2 


\ 


| = sm = 

| angewandte. Hier iR die Rede nur von ber Erſtern, 
welches eine Wiſſenſchaft der Darſtellung eines Be⸗ 
griffes in einer Anſchauung a priori iſt. Sie bezieht 
‚ch entweder auf den Kaum oder auf bie Zeit, und 
man erhält reine Geometrie und reine Arithmetif. 
Diefe ſtellt einen Begriff in der reinen Zeit, jene im 
deinen Raume bar. Es giebt alfo eine reine Groͤßen⸗ 
and eine reine Zahlenlehre. Sin jener ftellt man 
Punkte, Linien und Flächen dar, und in dieſer füge 
man eine Einheit zur Andern hinzu. 


— 


Gegenflände ber Mathematit ſind alſo bloß 
Begriffe, welche einer Anſchauung faͤhig ſind; alles 
hingegen, was keine Anſchauung zulaͤßt, iſt kein 
Odbjekt der Mathematik. Die eigentliche Philo o⸗ 
phie, die es mit der Erkenntniß durch bloße Begriffe 
zu thun hat, kann daher in keiner mathematiſchen 
Form dargeſtellt werden. 


Die Machematit‘, ba fie A auf Anfhauungen 
fihße, führt die'größte Gewißheit in ihren Ariomen 
und Poftuläten bei fih, und da fie Die firengfie wife 
fenfchaftliche Form zulaͤßt, fo ift fie ein treffliches 
Webungsmittel des ſyſtematiſchen Denfene. 


H. Reine Narurlehre 


Reine Naturlehre iſt die Wiſſenſchaft, welche 
zeigt, wie eine Natur in der Anſchauung möglich iſt, 
und welche "diefelbe alſo gänzlich nad) a prioriſchen 
Orundfägen, d. h. folhen, die aus: dem menſch⸗ 
lichen Erkenntnißvermoͤgen hergenommen ſind, con 
ſtruirt. J 








| = 33 De 8 
u ve Sie geht von. der Materie aus, welche fie 171 
etwas im Raume bewegliches und als den Raum Exr 
füllendes darſtellt. Die Materie aber als beſtimmte 
Raumerfuͤllung iſt nur durch die beiden Grundkraͤfte 
der urſpruͤnglichen Abſtoßung und Anziehung möglich. 
Alles Bewegliche im Raume ſetzt eine bewegende 
Kraft voraus und da es nun mechaniſche, organiſche 


und thieriſche Kräfte als aͤußere Bewegungen hervor⸗ 


Dringend.giebt, fo giebt es eine dreifache Nafurwiß 


fenfchaft ı).der äußern Natur, 2) bes Ayganismus | 


und 3) des shierifchen Organismus. " Die Regeln, 
die man bei. Beurtheilung der Gegenſtaͤnde berfelhen 
beobachten muß, ſind 1) daß man jede Erſcheinung 
aus Naturſachen erklaͤrt, 2) daß man keine unbe⸗ 


kannten, durch feine ſpezifiſch verfchiedenen Erſchei⸗ 


| mungen bewährten erften Kräfte gelten läßt, 3). daß 
inan im Erklaͤren einer Erſcheinung feinen Sprung 


macht ‘und 4) dag man das Organiſche weder | 


E ‚meihanifch noch chemiſch erklärt, 


I. 1. Pragmatifge Kurkropufogie | 


Die pragmatifche Anthropologie ift eine Kenne - 


% 
4 


niß desjenigen, was ber Menfch durch Selbſtthaͤtig⸗ | 


keit aus fich felbft macht. ESs ift aber nicht genug, 


daff man. weiß, was der Menfch durch Zreiheit aus: 


ſich gemacht hat, ſondern man nauß auch nachfors. 


fehen, wie er bies bewerffteflige hat. Die innern 


und bie äußern Erfcheinungen des felbftehärigen Mey 
ſchen nebft ihren Urfachen machen alfo ben Gegen 
ſtand diefer Wiſſenſchaft aus. Die Regen, bie may 


bei dem Streben nad) der Erforſchung desjenigen,—/ 


8374 
ihfofern der Menſch die ſelbſtthaͤtige Urſache bavon 
iſt, zu beobachten hat, ſind folgende: 


| ı) Man muß genau dasjenige, was der Menſch 
Sans fich ſelbſt macht, von dem unteefipeben, was ‘die 
Natur aus ihm macht. 


2) Die. Aeugerungen: iebes Vermögens des 
Menfchen müflen rein und unverfälfcht aufgefaßt werd 
‚den, damit man fiehe, melde Erfcheinungen jedes 
derſelben hervorzubringen im Stande if. | 

3) Sede Erſcheinung muß zwar als ein Werk 
ſeiner Selbſtthaͤtigkeit angeſehen, aber doch ihrem 
Grunde nach aus Natururſachen erklaͤrt werden. 


49) Wenn man von dem Keufern auf das. ns 
nere des Menſchen ſchließt, ſo muß man ſich huͤten, 
daß man ihm nicht etwa etwas unterſchiebt, was er 
nicht iſt. Seine Perſon, ſeine Geſi chtszüge, ſeine 
Denkungsart und ſein Charakter ſind zwar der 
Widerſchein des Innern „allein es iſt Doch große 
Aufmer kſamkeit noͤthig, wenn man dieſe Erſcheinun⸗ 
gen nicht unrichtig auslegen wiil. 


5) Sebe teleofogifche Erflärungsart, d. 6. jede 
Erklärung nach Zweden- verhindert ben Erwerb von 
Menſchenkenntniß; man muß fie daher in demjenigen 
Streben, das innere und Aeußere des Menfchen zu 
| erforfchen, forgfältig vermeiden. _ 


6) Man muß fic öfters bie Erfcheinungen, bie 
man an dem Andern gewahr wird, durch feinen eige⸗ 
Men Öcmüchszuftand erklären, um zubemjenigen durch⸗ 


* yahringen, was nicht mehr als äußere Erfcheinung an 


dbem Andern fichrbar wird, Das Erflären durch 


ı. 











a“ 

Kiäfogle fh Hier nicht “allein nothwendig, ſondern 
wenn ‚dabei behutſam verfahren wird, euch nublich. 

5. kann aber. der Mienſch a aus fr machen? 
e kann VBorftellungen und diefen gemäße Erfcheinuns 
gen. herogrbringen. Die, hervorbringenden Bere . 
mögen find älfo diejenigen welche Vorſtellungen bil⸗ 
den ober nach Vorſtellungen handen. Man will 
alfo durch eine pragnidtifche: Anthropologie dasjenige 
kennen ſernen, was ber. Menfc in Anſehung feines . 
Dentens und; Erfennens,- ‚feines Fuͤhlens, feine® 
WVegehrens und Wollens durch eigene Anſtrengung 
geworden if. 


K Enviriſche Pſohologie oder vielmehr 
Phyſiologie des menſchlichen Geiſtes. 


Die empiriſche Pſychologie beſchaͤftigt ſich mie 
der Unterſuchung desjenigen, was die Natur aus 
‚dem Menſchen macht. In dieſer Hinſicht iſt der 
Menſch ein Spielball’ des Nothwendigen; ee ift den 
Einwirkungen aller Art wider feinen Willen ausge» 
fegt, und die Erfcheinungen, die die Natur bewirkt, 
find nicht fein Werk, fondern ein Produkt der. unwill⸗ 
führlichen Aeußerungen feiner Nasuranlagen und der 
äußern Welt. Daß etwas auf ihn Eindruck macht, 
daß ihn etwas mehr oder weniger flarf reizt," daß er 
für manche Wiffenfchaften kein Talent har, ift Werk 
der Natur. Die empirifche Pfuchologie Bat alſo die 
unwillkuͤhrlichen Einflüffe des Aeußern auf das Ges 
mich des Menfchen, und die Art, mie fie wirken, 
. und wie wieder von Innen auf fie zuruͤckgewirkt wird, 
und alfo die Produkte der äußern und innern Natur⸗ 





— 6 — 
nochcendigkeit in Bezug auf das Erlenntniß ⸗Ve⸗ 

fuͤbls⸗ und Begehrungsvermoͤgen zu unterſuchen. 
Was mechaniſch und nothwendig im Menſchen ge⸗ 
wirkt wird, iſt Gegenſtand der empiriſchen Pſycholo 
gie. Sie hat daher 

1) dergleichen Wirkungen ef und zu 
ordnen; 

2) fie natürlich zu ehren; . ur u 

3) den Grad des Einflufles bes Innern und 
‚ des Aeußern auf diefelben zu beftimmen ;: 
4) bei der. Erklärung innerhalb der ‚Örenjen 
| des menfchlichen Erkennens zu bleiben; & 


5) alles durch Frelheit Hervorgebrachte forge 


fältig von demjenigen, wag:eit Werk der Nothwen⸗ 


digtei iſt, abzuſondern, und 


| 6) Nichts ohne hinreichend eefläsenbe: und bes 
/ Pininnde Gründe anzunehmen. | 


_ — L. Moral. 


„Die Moral iſt die. Wiſenſchaft ber Pflichten, 


welche aus Achtung gegen bie bloße Vernunft zu bes 


folgen find, und welche ſich entweder auf ung ſelbſt 


oder auf Andere beziehen. - Es giebt Feine andern 
Pflichten weiter als Selbſt⸗ und Naͤchſtenpflichten, 
weil eine Pflicht eine Handlung. gegen eine Perſon 
ausdrüuͤckt, in der durch dieſelbe entweder in Anſehung 
ihres Gemuͤthes oder ihres aͤußern Zuſtandes eine 
Veraͤnderung hervorgebracht werden ſoll. Auf Gott 


"Tann niemand einwirken, und alſo giebt es auch keine 
Pflichten gegen ihn. Jede durch eine. moraliſche 


4 ' ® 











; - , 
\ Li 


1. 


ft geboten Sanblung mußß micht allein aflgentein 
ſehn, -fondern-auch:die Marime, die ide zum Grunde _ 


Inst. muß auch Achtung gegen die Vernunft und 
Bois dieſer willen gefoßt werben. -Miches iſf 
woraliſch, mas nicht um des. bloßen Vernunfta cboſes 

oder Verbotes gethan oder unterlaſſen wird. 


zn De Orhors. dee Moral nd: das Hoͤchſte was 
Der. NMenſch befolgen kann, und man muß. ihmen:dig 
Herrſchaft Kb. alles Menſchliche zuerkennen. JIq 
der Veurtheilxag · ſewohl unferer Handfungen als de 
Hondlungen Anderer muͤſſen fe. das Primat füͤhrenz 
ug oem. man die: Handlungen der Menſchen in 
morauiſcher Hinfispe würdigt, fa muß mon ſtreug do⸗ 
bei ſehn: deyn dieſe Are von Strenge im Artheilen 
hat einen großen Einfluß gufamfern Charakter, unb- 
wach. uns vdlich bie Tugend ſelbſt licbenswärbig, 
Der Moral... darf beim Beurtheilen der Menfchen 


ichts vergeben werben, ‚und. wenn eine Handlung 


auch noch ſo ‚glänzend und bie. ‚Abfichten aus) noch {6 


aut find, ſo muß. fie doch verdammt werben, were 


‚ fie die Feuerprobe der Moral.nicht aushälk.. das 
Moraliſche muß rein und ungeſchmuͤckt dargeßzellt 
werden, weil jede Zuthat, die nicht von der Achtung 
gegen die Vernunft hergenommen iſt, daſſelbe ver⸗ 
nichtet. Die Strenge im angeglichen Urcheilen uüͤber 
die Handlungen der Menſchen macht das ‚Lafler- un 

das Verbrechen ſchuͤchtern, und wenn heide euch 
nicht immer unfenbleiben, ſo wagt man bach ſicher 
nice mehr, fo dreuſt bie Maske der Tugend anzu⸗ 

Segen, And noch auf den Deifgll der Menſchen Ay 

ſpruch in machen. Seren. unmoraliſche Mi 


. 


! 


m - 378 — 
vernichtet bie gute Handlung und keine‘ moraliſche 
Handlung wird durch' ben unglücklichen Erfolg..ders 
ſelben unmoraliſch.“ Gluͤck und Moralitaͤt find oft 
ſo weit wie Himmel und Erde von einander getrennt, 
und find’fters wie- Tod und re von einander ungen» 
ſchieder. u MENU 


Wenn 'ben Fobẽeungen der Moral Gnuͤge ges 
* iſt, dann kanneman au: auf-den Vortheil 
ſehen, -"den eine Handlung: in item Gefolge Bat, 


allein nie darf die Klugheit über: die Weieheir legen, 


förßerri Biefe fon ſtets Über jene die: Oberhand fuͤhren⸗ 
Die meiſten Streitigkeiten in ber’ Beurtheftung An⸗ 
‚ derer entſtehen dadurchh, daß man vabta von ganz ver⸗ 

ſchlebenen Grundfägen der Würdigung. beẽſelben aus⸗ 
geht , und daß der Eine ſeinen Urtheilen ein moratie 
ſches Princip, der Andere aber line Voẽrſchrift der 
Klugheit zum Grunde legt.RXhut man bloß das 
letztere, fo verlohnt !es ſich oft nicht der Drühe, "Uber 
bie Handlungen · der Menſchen zu ürtheiten, weil bie 
Maximen/ die man babei befolgt, eben ſo mannich. 
| faltig ſeyn koͤnnen, als es verſchiedenartige Gegen; 
ſtaͤnde des Begehrens giebt. Ueberdies erniebrigt 
dine ſolche Beurtheilungsart, wenn ſie zur Hoͤchſten 
und Einzigen gemacht wird, die menſchliche Natut 


iin unsund wie werben gegen Pflicht und Recht 


Fleichguͤltig, ehe wir es ung verſehen, weil wir fie 
bloß als einträgfiche: Pfruͤnden und ’als feile Dienen 
 anzjufeßen' gewohnt werben. Wollen wit dahero in 
moralifchen Dingen Wahrheit erfämpfen, fo muß 

die Handlung, die’ wir moraliſch nennen, 2) aliges 
miein fegn: Können, 2) feinen Menſchen als bloßes 








' 


⸗ 
J— 


| — Er — 
Drittel anſchen oder behandeln, 3) aus Achtung aan | 
die Vernunft gefchehen feyn, und alfo 4) die Billi⸗ 
gung. von. jedem vernünftigen Menſchen erwarten 
konnen. W 
Kuh, jede Untefafung «i einer Pice muß Areng 
zetadelt werden , denn dieſelbe veranlaßt den Wahn, 
als ob in moraliſchen Dingen etwas gleichgültig fey, 
and fie. macht eben fo lar in Grundſaͤtzen, als ſte eine 
Geringſchaͤtzung ber: Menſchheit werbreitet.Jede 
Handlung, welche in das Gebiet der Moral ein⸗ 
ſchlaͤgt, iſt entweder geboten oder verboten, und dem 


‚Dienfchen darf weder. eine Unterlaffung von etwas 


Gebotenen noch die Ausführung von etwas Verbote⸗ 


nen bei Beſtimmung feines Werthes nächgefepen 


werden. 


M Raturseligiom.- alu 
Die Naturreligion iſt ı) objektiv, die € Biene 


(haft aller. ‚moralifchen Gebote und Verbote als Ges 


bote und Verbote des Willens Gottes, und 2) ſub⸗ 
jektiv, die Befolgung moralifcher Vorſchriften als 
goͤttlicher Gebote, und die Unterlaſſung moraliſcher 
Verbote als Verbote der Gottheit. Sie hat alſo 
keinen andern Inhalt als die moraliſche Pflichten⸗ 
lehre, und ber Unterſchied zwiſchen der Moral und 
der Naturreligion beſteht darin, daß jene alle Pflich⸗ 
ten als Gebote oder Verbote der Vernunft, dieſe als 
Gebote. oder Verbote der Gottheit anſieht. Die 
Letztere aber nimmt noch zugleich die Betrachtung der 
Natur zur Belebung und Staͤrkung des moralifchen | 
Gefuͤhles, und zur Erweckung der Bewunderung unb 


d 


- — wen Ten 
° 


| der Dankbarkeit gegen bie Betrgeit zu. Hiifs; allein 


demohngeachtet enthaͤlt ſie nicht mehr Pflichten als 
die Moral. Die Regeln, die man alſo befolgen 
muß, wenn man uͤber die Natarreligion richtis ur⸗ 
theilen will, ſind folgende: 


I ) Alte moralifchen Vorſchriften fir Ausſpruͤche 


| des Willens Gottes. | 


, 2) Was nicht buch Bermufe, —*— ober 


verbhoten ifb: iſt auch wicht. durch ben Wilen der Gott⸗ 


Bei geboten ober verboten B 


3) Die naturreligi iöfen Voeſchriften yirtfen aus 
Ehrfurcht gegen den Seiligen Willen der Por bes 
folgt werden. 


y Die Naturreliglon hat eben fe wenig Sr 


. heimniffe als die Moral, infoferne ſi fi e nämlich bloß 
gebietet oder verbietet. 2 


5) Der Naturreligidfe muß bie Vernunft als 


Geſetzgeber aller moraliſchen Gebote und Verbote 


anerfennen‘, denn fonft weiß er den Inhait ſeiner 
Pflichten nicht, allein die Triebfeder, warum er die 
Gebote befolgt und die Verbote unterlaͤßt iſt der 


heilige Wille der Gottheit. | 


6) Die Naturreligion iſt fuͤr jedermann hin⸗ 
reichend: denn 1) ſpricht die Vernunft in jedem Men⸗ 
ſchen, 3) kann jeder ihre Ausſpruͤche als Ausſpruͤche 
der Gottheit anſehen und 3) kann er die Letztern eben 


ſo leicht hefolgen, als die Gebote und Verbote der 


Moral oder der boſſenbarun 3 Religioa ſo bald er 


rn 


- 
\ 











| derſelben iu Unterlaſſen. 2 


⁊ 


| 

J an 381 * 
Muß die Naturreligion jeder geoffenbarten 

zum Grunbe) liegen: denn jede Religion hat die 


Bearbeitang des Moralifchen im Menfchen zur Abs 


fiche , fie will diefen geneigt. und fähig machen, die ' 
Gebote der Vernunft zu befolgen und bie Verbote, 


’. nv 
N. Rechtoslehre. 


Die Rechtslehre iſt die Wiſſenſchaft der Gefege, 
welche durch Eine dußere Geſetzgebung ſanktionirt 
werden fonnen, und da diefe Geſetze ſich auf Hands 
tungen: besichen, fo kann man ſich ihres’ Inhaltes 
und ihrer Vollſtaͤndigkeit dadurch bemächtigen, daß 
man bie Verhaͤltniſſe auffaßt, in welche der Mienſch 
zu dem Menſchen und zu Dingen gedacht werden 
kann. Das Recht iſt die Einſchraͤnkung der Hand⸗ 


lungen eines jeden auf die Bedingungen, daß ſie nach 


einem allgemeinen Geſetze mit den Handlungen von 
jedermann zuſammen beſtehen koͤnnen. Es drückt alſo 
eine allgemeine Geſetzlichkeit der Willkuͤhr Eines und 
Aller aus, und wenn ein Menfch allein eriftirte und 


‚nicht in Beruͤhrung mit feines Gleichen fäme, fo - 


hätte er bloß dem Sittengefeße zu geborchen, und - 
Das Rechtsgeſetz waͤre fuͤr ihn ohne Gehalt und 
Werth, indem dieſer erſt aus den Verhaͤltniſſe her⸗ 
vorgeht, in das Menſchen durch ihre Handlungen 


mit einander gerathen koͤnnen. Das Rechtsprincip, 


da es den Willen Aller binden und verpflichten ſoll, 


#) Es fragt ſich freilich, ob ſie nunmehro auch noch 
geoffenbarte Religion, die etwas Geſchichtliches iſt, 
bleibt. | B 





- 4868 
muß durch einen Imperativ ausgedruͤckt · werden und 
Jautet daher folgendermaßen: Schränfe beine Hands 
lungen auf bie Bedingung ein, daß fie mit. den. Hand⸗ 
lungen aller Andern nad) einem allgemeinen Geſetze 
zuſammen befiehen koͤnnen. Es nimme alfo bloß Die 
Handlungen der Menfchen in ihrer Wechfelmirkung in 
Anfpruch, und kümmert fih nicht um die Maxime 


urd bie Gefinnung, die denfelben zum runde liegt, 


mögen dieſe moralifch oder unmoraliſch ſeyn, Dies 


‚geht dem Rechte nichts an, wenn nur der Menfch in 


feiner Willkuͤhr eine allgemeine Geſetzlichkeit zeige. 
Wodurch kann man aber Diefe gewahr werben? Daß 
er jebermanns Willkuͤhr, infoferne diefelbe in ihrer _ 
Handlung nad) einem allgemeinen Gefege verfaͤhrt, 
reſpektirt und daß er jeden als ein mit Perfönlichkeie 


begabtes Wefen anfiet. Die Regeln, die man alfo 


bei Beurteilung menfchliher Handlungen in Ruͤck⸗ 
fiche ihrer Mechtlichkeie beobachten muß,. find fol« 


gende: . 


ı) Man mng. Acht geben, ob jemand durch feine 


- Handlung in einem Verhaͤltniß zu einem Andern ſteht, 


denn: mir in dieſem Falle ſchlaͤgt fie in das Rechtsge⸗ 
bier ein, Hat fie bloß auf den Handelnden Bezug, 


ſo gehört ihre Beurtheilung in das Gebiet der Moral. 


2) Muß.man fich fragen, ob fie nach einem 
allgemeinen Gefege möglich feyn kann, und ob der 


‚Hanbelnde feine Willkuͤhr durch die Willkuͤhr Ande⸗ 
rer geſetzlich beſchraͤnkt, z. B. wenn jemand feinen 


Vertrag nicht hält, fo kann dieſe Handlungsweiſe 


kein allgemeines Geſetz ſeyn, weil es feinen Vertrag 


' 


. ‘ 
- R N f 





* 383 
wehr geben. ‚hrbe,.: und diefe Hendlungeweſſ. oe u. 


eine ter gedadt,. ſich us ſich ſeldvſt dentchten | 


J 


bh FR man ſehen , Fr der Gandetide auch 
die Perfönlichkeie des Andern reſpektirt, d. 5. den⸗ 
jenigen, auf den feine Handlung Einfluß hat, als ein 
‚mie Vernunft und Freiheit der Willkuͤhr begabtes 
und alſo ſelbſt geſetzgebendes Weſen anſieht: denn 
durch keine rechtliche Handlung darf die Perſoͤnlich⸗ 
keit des Andern vernichtet werden weil ſie ſonſt auf⸗ 
hoͤren wuͤrde, eine rechtliche zu ſeyn, und ſich nur 
in dem Falle, daß die Willführ des Andern, wo⸗ 
durch ſich im Rechtsverhäfeniffe feine Perfönlichkeie 
offenbart, reſpektirt und auf ein allgemeines Geſetz 
befchränfe wird, ein Rechtsverhaͤltniß denken laͤßt. 
Sollte fih daher auch jemand dem Andern zum 
Sklaven anbieten, fo erhielte dieſer doch Fein Eigen» 
thumsrecht uͤber denſelben, weil eben dadurch jedes 
Rechtsverhaͤltniß zwiſchen beiden aufhoͤren wuͤrde, 
und alſo gar nicht mehr vom Rechte, alſo auch von 
keinem Vertrage die Rede ſeyn koͤnnte. 


4) Muß jede rechtliche Handlung fh Auf etwas 
Aeußeres beziehen, indem das Hecht bloß die Will. 
Führ des Einen in Bezug auf den Andern, und alſo 
weder die Geſinnungen noch die Meinungen beſchraͤnkt. 


Da das Recht der allgemeine Erhalter der Men⸗ 
ſchen iſt, ſo darf es bei Beurtheilung der wechſelſeiti⸗ 
gen Handlungen der Menſchen nie hintangeſetzt wer⸗ 
den, ſondern alles ihr Thun und Laſſen muß nach 
dem Rechte beurtheilt werden. Man muß daher 





= 94 = 


allemal erfilich fehen, ob eine Handlung rechklich |; 
und alsdann fann men ſich in die Berechnung der 
Vortheile, die fe hat, einlaſſen. Verletzt fe das‘ 
‚Bedht, und wenn au bie ganze Welt Dabei juges . 
winnen wäre, fo muß fie doch verbamme werden. 
Derjenige, der fie thut, iſt, je nachdem feine Ueber · 
fegung dabei mehr oder weniger thätig ift, ein mehr 
oder wenig größerge Boͤſewicht. Dem Rechte darf 
nichts vergeben werden, wenn die Menfchheit in dem 
Menſchen geachtet, wenn biefer erhalten und wenn 
die Vernunft‘ als ftete Gefeßgeberin anerkannt wer⸗ 
den fol. Sept man das Recht fehon bei Beurthei⸗ 
hung der Handlungen ber Menfchen pintan, ‚ fo wird 
“man es bald unter die Maͤhrchen rechnen, und es wie 
diefe als eine Albernheit verlachen und verfpotten. 
Niemand, ev glänze auf dem Throne oder fhmachte 
in der Küste, ift von’ dem Nichten nach dem Rechte 
losgeſprochen, es herrfche über alle Staubgeborne, 
und man muß fich niemals ſo weit erniedrigen, daß 
wan eine widerrechtliche Handlung wegen ihrer Vor⸗ 
theile oder wegen der Gewalt ber Perſon, die fie thut, 
preift, weil man fich durch ein ſolches Lobpreiſen ſelbſt 
antehrt. 


O. Privatrecht. 

Das Recht zeigt ein Verhaͤltniß zu etwas an, 
und da der Menfch ſich nur in einem dreifachen Ber⸗ 
daͤltniſſe zu irgend etwas betrachten kann, fo giebt 
es auch nur drei äußere Gegenftände der mehfchlicher 
Wir: 2) eine Sache; 2) bie Handlung eines 
Andern und 3) der Zuftand eines Andern. Er kann 
daher nur diefe drei Gegenſtaͤnde erwerben, wodurch 


j 


= — 


and gu denten. Bb 


er x affb em Sachrnrecht, ein verſdaliches Reche und 
ein auf bingfiche Arc perfünfiches Recht erhält: Diele 
echte. erwirbt: er fich entweder durch Bemaͤchtigung 
oder durch Vertrag, oder durchs Geſetz, und macht 
bie Gegenſtaͤnde, die fie: begreifen, ‚zu dem Seinen, . 
ohne daß die Geſetze, , die ihm. baflelbe zuerfenumg 
und verfihern, einer- öffentlichen - Befanntmachung 
bedürften. Der Inbegriff diefer Gefeße macht das 
 Privasreche aus. Niemand barf-ipn in dem Gy 
nuſſe dieſer Rechte, vermdge welcher etwas das 

Seine wird, ſtoͤhren, da aber bei dem Hange dex 
Menſchen zum Widerrechtlichen niemand leicht daß 
Eigenthum des Andern achtet, fo wird dasjenige, was 
‚jeder rechtlicher Weiſe im Nacurſtande beſitzt, ihm 
nur erſt im Staate völlig gefichert. Es iſt daher 


| noͤthig, dag der Menſch qus dem Naturſtande heraus 


und in einen oͤffentlichen Rechttzuſtand, d. he in den 
Staat wrett wo es eine austheilende Gerechtigkeit 
giebt, vermoͤge welcher. jedem ‚das Seine geſichert iſt 
und jeder dag. empfängt ; „was er durch feine. wide - 
rechtlichen Handlungen verdient. Die Regeln, die 
man bei Deurtheilung von Gegenſtaͤnden, Die in das 
Drivamedt einfhlagen,, beapaghen muB, ,. # nd fole 
gende: BER Fee oo. 
2. nn + se: he rn 
1) Ich kann mie älles zu eigen machen, ,. ebei 
“ wine Unktrn Recht beeinträchtige 2 Ss | 
ni Fe 
2) eher iſt verbunden feinen Vertrag zu Hhal⸗ 
sen, vorik mur dadurch das: Recht:als eine allgemeine 
—— ‚her Wiſſtuhn Aler aufrecht erhaltes 


a .. 
7 


-_ 


34 * 


| alemäl erftlich fehen, ob eine Handlung rechtlich M; 


und alsdann kann man ſich in die Berechnung der. 
Vortheile, die Re hat, einlaſſen. Verletzt fie das 


‚echt, und wenn auch Die ganze Welt babei zu ges - | 


winnen wäre, fo muß fie doch verdammt werben. 
Derjenige, ber fie thut, ifi, je nachdem feine Ueber 
$egung dabei mehr oder weniger ehätig iſt, ein mehr 
oder wenig größerer Boͤſewicht. Dem Rechte darf 
nichts vergeben werden, wenn die Menfchheit in dem 

| WRienſchen geachtet, wenn dieſer erhalten und wenn 
. die Bernunff als ſtete Geſetzgeberin anerkannt wer⸗ 
den fol. Setzt man das Recht ſchon bei Beurthei⸗ 
bung der Handlungen der Menſchen hintan, fo wird 
man es bald unter die Mährchen rechnen, und es wie 
diefe als eine Albernheit-verlachen und verfporten. 
Niemand, ev glaͤnze auf dem Throne oder ſchmachte 
in der Huͤtte, ift von’ dem Richten nach dem Rechte 
losgeſprochen, es herrſcht über ale Staubgeborne, 

‚und man muß fich niemals ſo weit erniebrigen, daß 
won eine widerrechtliche Handlung wegen ihrer Vor⸗ 
heile oder wegen der. Gewalt ber Perfon, die fie thut, 
preift, weil man ſich durch ein ſolches Lobpreiſen ſelbſt 
‚ entehrt, | 


o. Privatrecht | 


. + Das Rechs zeigt ein Verhaͤltniß zu etwas an, 
und da ber Menfch fich nur in einem dreifachen Vers 
haͤltniſſe zu irgend etwas betrachten Bann, fo giebt 
es auch nur drei äußere Gegenftände ‚der mehfhlihen. 
Willkuͤhr: 1) eine Sache; 2) die Handlung eines 
Andern und 3) der Zuſtand eines Andern. Er kann 


Daher nur dieſe drei Gegenſtaͤnde erwerben, wodurch, 


- 


. . 


J 








er} 2 
: 8). Ade Arten von Erwerbungen find im Natur⸗ 


Rande möglich, und ‚werben Sic erſt im Siaaie 


ni 
[ 


wirluch· | ’ 2: .3 


Be 3 beffriciigen Weg ne 


Das öffentliche Recht begreift Diejenigen Gehe, = 
welche einer Öffentlichen Bekanntmachung bedürfen, J 


ohne welche ſie zwar ſeyn koͤnnen, aber keine Guͤltig⸗ 
keit haben. Es zerfaͤllt in drei Theile, 1)-in das 
Staatsrecht, 2) in: das’ Voͤlkerrecht und: 3) in das 
Weltbuͤrgerrecht, ‚weit es bloß noch:diefe:drei Arsch 


von Verhaͤltniſſen und. ‚al von Öffenstichen Geſeben * 


gehen? Bann. 


J a) © thaterege Be 
Der Staat ift eine Vereinigung von Menfchen 


€ . 
8. %r 


unter öffenelichen Geſetzen, und. ber Zweck deſſelben 
iſt der Schuß: aller Nechte ver Verbundenen. Dab . 


Staacsrecht ift daher die Willenfchaft der ‚öffentlicher 
Mechte und der Drganifation, weiche das: Recht im 
Anfehung des Staates erfodert. Es frage fich alfo, 
welche öffentlichen Rechte der Monſch hat, welche 
Einrichtungen zum Schutze des Genuſſes : diefet 
echte. ufoderlich find, und weiche Staatsorganifas 
tion nothwwendig ift, damit eine burchgängige unvers 
anderliche Gerechtigkeit herrſche 


Durch die bloße Moglichteit des Veiſammen 
(ebene der. Menfchen in einem öffentlichen Vereine 


; 


‘. 


se 


ergeben fich nach der Kategorie ber Relation, welche 


alle urfprlingfichen Verhaͤltniſſe bes Menfchen ud 


Menfſchen beſimunt / folgende © drei Rechtei 1) — 
Bb2 | 


\ ” 











, 4) Dure - 4 7 

Recht auf H ‚us us eines Menſchen, 

feine Perſo ‚ds.eines Bürgers und 3) 

einen fol reg als eines Unterthans. 
* "ns ber Selbſtſtaͤndigkeit iſt der 


" Kr —* Herr und darf thun, was er wil, 
es Y —** has. Recht keines Andern dabei ver⸗ 

ben Fo bes Rechtes ber Freiheit muß jedes 

. jer ei is Etaase als aus. feinem Willen entfprungen 


. r ao mi feiner Einwilligung gegeben, angefehen wer: 
acn Finnen und vermöge bes Rechtes ber Gleichheit 
-. Serf ihn niemand zu etwas verbinden, als wozu er 
ihn wiederum. nöthigen Fan. ... Diefes find.die ur 
fprünglichen. und alfo angebornen Menfchenrechtt, 
welche nicht veräußert werben koͤnnen, und welche 
jeder Staatsverfäflurig zum Grunde liegen müflen, 
wen fie wur einigermaßen vor. ber Vernunft beftehen 
aud alſo gerecht ſeyn will... Die erworbenen Rechte 
Seßehen in der Befugniß, etwas Acußeres als das 
Keine ju erwerben, und find ſchon oben im Privat⸗ 
rechte angegeben worden. | 


v 





Wenn alſo bie unveräußertichen Rechte die Be⸗ | 
Bingungen find; auf welche ſich jeder Staat gründen 
wüß,. fo muß jede Staatsverfaſſung rechtligger Weiſe 
won.deu Volke ausgehen, weil niemand das Recht 
über daffelbe zu verfügen hat, als. das Volk felbft, 
und weil daffelbe nur allein fich nicht unreche thun 
0.8 bonn. Dis Aufgabe alfo, welche die Staatsverfaſ⸗ 
27 Pangelchre zu loͤſen hat, ift folgende: was-muß man 
2 shım, damit eine burchgängige austheilende Gerecheigs 
| lait exiſtixe7. Hierzu ift 1).ein Geſetz, das Das Recht 
"Eisen und. ‚Alm beine a ein. Bine, der 


ee cn 
. 





— 399° = 
rfucht ‚vb. eine Hanblung unter dem Geſetze ent⸗ 
(ten iſt, oder nicht und 3) eine vollzieheuͤde Gewale 
foderlich, welche den Ausſpruch des Richters voll⸗ 
be. Bloß durch die Thaͤtigkeit dieſer drei Gewal⸗ 
nr ift. die. Herrfchaft einen durchgaͤngigen Gerechtig⸗ 


ie möglich, weil nur dadurch, daß niemand in feiner‘ 
genen Sache Richter if, Unpartheilichkeit der Aus⸗ 


wüche flast ſinden kann. Diefe drei Gewaiten muͤſ⸗ 


m daher bem Rechte nach von einander getrennt 


eyn, und fie find theils einander ſubordinirt, ſo daß 
ie geſetzgebende Gewalt die Hoͤchſte iſt, theils cock" 


inire, fo Daß jede, fo lange fie ihre Amt treulich ver: 


valtet, von der Andern unabhaͤngig iſt und alſo zu 


aichts genöthige werben fan, was dem Zwecke ihres 


Dafeyns: entgegen if. Die gefeßgebende Gewalt‘ 
ftelte den Souverain vor und kann niemals unrecht 


thun, ſo lange fie gefeßgebende Gewalt ift, das heißt, 


ſo lange fie der Form nad) allgemein gültige, und der 
Materie (dem Inhalte derfelben) nach niemandes 
Rechte beeinträchtigende Gefege giebt. Sie kann 
daher. als ‚gefeßgehende. Gewalt auch nicht verants 
wortlich feyn, weil er fein Geſetz, nach dem ſie ge⸗ 
sichtet.werben, und keine Gewalt, die ſie gerichtlich 


verfolgen koͤnnte, uͤber ihr giebt. Bei diefer Ride 


verantworslichkeit aber wird ſtets vorausgeſetzt, daß 
ſie ihren Charakter als geſetzgebende Macht behaup⸗ 


tet, Und micht verantwortlich iſt bloß ber ganze Kor 
per, aber nicht die einzelnen Individuen, welche mit 
allen übrigen Bürger als ſolchen unter. gleichen Ge⸗ 


fee ſtehen. Die’ riehterliche und bie’ —— 
Gemoitipingegen find jederzeit veraumvrcuch, 


i» s Y . NL 
‚ 32 V Wer N et N on... 
‚ 


— u u . — 
- 9 — 
sm an Oefehe gebunden And, und alſo 
Ki . 


„ Trennung der Gewalten, welche zur Rea⸗ 
ng ud Erhaltung eines ‚öffentlichen Rechts zu⸗ 
——æz End, iſt durch das Recht geboren, 
zeit ſonſt Feine austheilende Gerechtigkeit geben 
watt, melche doch Pflicht iſt, und. da man diejenige 
Merfaſſung, in ber die Gewalten von einander ge⸗ 
trennt ſind, bie republikaniſche nenne, ſo iſt die 
sepublifonifcheBerfaffung: die allein Rechtliche, weil 
es in einem Rechtsvereine nup entiveder Trennung 
oder Einheie:der "Gemalsen geben.fanıt. Das Leb- 
tere ift Defposie,. weil her Deſetzgeber alle Gewalten 
in ſich vereinigt und Dabei weder Alnpantheifigfeie noch 
Rechts ſicher hait moglich iſt, welche beide bloß dadurch 
erhalten werden koͤnnen, daß der. Richter nicht ber 
Geſetzgeber, dieſer nicht der Heſcheollzieher, und 
ven: jene. nicht Richter iR. 


rt An: Sachen— Verhaltbiſſe ſteht nun die eepoblie 

: kanifge Verfaſſung als diejenige, welche allein durch 
die Vernunft geboten iſt/und. welche jetzt (die Nord⸗ 
amerikaniſchen Sreiftgaten ‚einigermaßen: ausgenom⸗ 
men) noch nicht porhanden iſt, zu ben jetzt beſtehen⸗ 
den Verfaſſungen? Sie iſt das Kriterium desjenigen, 
was darin gerecht iſt und das. Muſter, nach dem fie 
= gebildet. werden ſollen. Dieſe Veränderung den Vers 
faſſungen oher das. Fortſchroiten berfelben zum Beſſern 
liegt demijenigen ob, der jeßt:die. Souveranitaͤt in 
aigem Stqute auslibt ¶ Jede Wehheſſeruag haͤngt vor 
ſeinem Willen und Gewiſſen ab, und es darf ihn 








an 
— 7 — 


niemand dazu noͤthigen, weil er der Souvexain ifls 
: allein er iſt doch ſtets durch -eine Gewiſſenspflicht ver⸗ 
bunden, der Stimme ber Vernunft Gehoͤr zu geben, 
und erftens wenigſtens republikaniſch zu regieren, und 
jweiteng bie beſtehende Verfaſſuͤng dem Vorbilde, 
das die Vernunft von einem Staate aufſtellt und ' 
deſſen Realiſirung fie gebietet, immer arigemeffener 
zu machen: Die’ Regel, die man befolgen muß, . 
wenn man richfig über Gegenftänbe des Staatsrecht⸗ 

urtheilen will, ſind folgende: | | 


1). Jede Marime, die wir als Princip der 
. Beurtheilung von etwas aufſtellen, muß allgemein 
ſeyn, und es darf alſo durch diejelhe nlemand unrecht 
geſchehen toͤmen. J ' 


2) Die üefprüngfichen Keite ber Menfcpei | 
muͤſſen als. die oberften Grundfäge, jeder Kritik der 
Staatseinrichtungen angeſehen werden. 


3) Es muß die Marime. gelten, daß jeber den 
beſtehenden Geſetzen Gehorſam ſchuldig iſt. Eu 

4). Jeder ‚darf alles thun, was durch kein Ser 
feß verboten iſt, fo lange er .nur gegen feine Gewiß 
fenspflicht verſtoͤßt; benn dieſe tritt mit ihren Gebo⸗ 
ten ober Perboten auf, wo das Geſetzi in Aunſchung 
eines Unrechtes ſchweigt. 


8). eher: fann und .barf im Seaate nur nach 
dem Geſetze gerichtet und verurtheilt werden. 


6) Kein Verbrecher darf eine andere als die im 
| 8* beſtimmte Strafe erleiden. Es darf daher 
weder eine -Miüberung noch Schaͤrfung der Strafe 
ſtatt finden; denn beide find etwas, was außerhalb 





ui n- . 


Des Chefoßes fiegt, welches eine Handlung un Ver⸗ | 


brechen mache und mit Strafe belegt wiſſen will. 


-U) Jede Ungleichheit vor dem Geſebe iſt eine 


Ungerechrigeie 


8) Niemand darf Geſehze seben eis der Sou⸗ 
Yerain. 


9) Blog der Semerain iſt nicht verantwort⸗ 


lich, alle übrigen Gewalten aber find als ſolche ver⸗ 


antwortlich. 


10) Jede umanderung der Verfoſſeng außer | 
durch ‘den Souverain if eine Ungerechtigkeit, und 


alfo ein Verbrechen. 


11) Je zahlreicher die efekadache Bewalt iſt, 


deſto mehr iſt die Freiheit in einem Staate geſichert, 
und je geringer die Anzahl der Mitglieder iſt, welche 
die vollziehende Gewalt ausmachen, 2 befto fchneller 
wird das Geſetz vollzogen. 


12) Da alles Recht von dem Volke, das den 
allgemeinen Willen der Form und dem Gehalte nach 
‚Fonftituiee, ausgeht, ſo muß daſſelbe auch alle Per⸗ 
ſonen zu den verſchiedenen Staatsgewalten entweder 
mittelbar oder unmittelbar waͤhlen. Unmittelbare 
Wahlen muͤſſen die Wahlen der geſetzgebenden und 


richterlichen Gewalt ſeyn und mittelbar, d. h. durch 


ben geſetzgebenden Koͤrper, muß bie vollziehende Ge⸗ 


walt gewaͤhlt werben. 


13) Die republikaniſche Verfaſſung muß repraͤ⸗ 


fentativ fern, weil ſonſt das Volk als ſolches Richter 


und Geſetzgeber zugleich und alle Uodetuhauichteit 
unmöglich ſcyn wurde. 


N 





— re 
— 1 Alles, was der Stwat· vornimmt, muß 
niche allein feiner Zerm, fonbern auch feinem sn | 
balte nach rechtlich ſeyn. 


b) Voͤlterreche en 
Die Staaten find als rechtliche Perſonen gegen 
einander zu betrachten; und da jeder Staat ir Ans 
fehung feines Verhäftniffes zu dem Andern fein. eige⸗ 
ner Richter iſt, ſo befinden ſich die Staaten jetzt noch 
im Naturſtande gegen einander. Es giebt daher 


auch noch Fein poſitives Voͤlkerrecht, denn dieſes muß 


wicht allein feſtgeſetzt, fondern auch gehandhabt wer⸗ 
ben. Dies iſt aber.fo lange unmoͤglich, als noch 
fein Bölferbund geſchloſſen, ber bie Geſetze, Die ein 
Staat gegen den Andern zu beobachten hat, feſtſetzt 
und der alfo auch ihre Streitigkeiten entfcheider, 
Mit dem Zeifpunfte, mo ein Voͤlkerbund geftiftet, 
worben ift, fängt auch der ewige Briebe an... ?, 
Wenn es aber jetzt auch noch fein bofitioes il 
ferreiht giebt, fo findet doch ein Vernunftvodlkerrecht 
ſtatt, weiches ſich aus dem bloßen: Berhältniffe der 
einen juridiſchen Perſon zu der Andern ergiebt. 
Daſſelbe iſt die Wiſſenſchaft der wechſelſeitigen Rechte 
und Pflichten der Staaten als juridiſcher Perſonen. 
Wenn man richtig über das voͤlkerrechtliche Verhaͤlt⸗ 
niß der Staaten urtheilen will y ſo muß man ſoigende Bu 
Regeln beobachten: on 


N 


« . * ‘ N 


1) Jede Handlung, die PP ein Staat gegen 
den Andern erlaubt, muß algemeinen Sieh ‚Mo 
fonnen. 





R P 
N 7 17 Sn :0 


2) Jide folche Handlung darf alfo bie Perſon⸗ 
finfeit Des Andern nicht beeinträchtigen, fondern muß 
ihn als ein freies fich. nach eigenen Geſehen beim 
mendes Weſen anfepen. | EN 


3) Was jeder Staat. in feinem Innern thut, 
und was er alfo in Anſehung deſſelben für Einrich 
tungen trift, darein hat der Andere ‚Fein Recht ſich 
zu miſchen: denn es waͤre eben ſo gut, als wenn tn 
Menſch dem Andern verſchreiben nt was er den 

“ gen ſollte. 


No 4) Jeder Staat hat die Die, ſich gegenti 
Kilärife des Andern zu vertheidigen. - Diefe Ber 
eheidigung ift ihm als Selbſterhaltung geboren. Di 
bder find nur Wertheibigungs » aber feine Angrifs 
feige rechtlich ; und angegriffen ift ein Staat, wend 
entweder fein Gebiet angefallen iſt, oder feine Bir 
ger in ihren Rechten gefränft werden. 


| 9 Kein Staat darf bem Andern eimperlei: 
. werben, weil dies Mord iſt; denn einen Staat vo 
nichten- und ihn mit einem anbern pereinigen, bei 
eine Perfon morden. WMW 1 


6) Das rRecht im Kriege gehen nur fo weit, co 
Eh das angethane Unrecht erſtreckt und das Re 
Bere wpleber moͤglich iſt. 


7) Es kann keinen Strafkrieg geben, weit ti 
— Staat ein geſetzmaͤßiger Richter des Andern fe 
am: denn alle Staaten haben als juridifche P 

fonen gleiche Rechte und gleiche Pflichten, ‚und kei 
| 8 über ben Andern geſcht | 











rn 395 — 
. 1:8): Jeder Staat Hat im Kriege zweier. cm 
mehrerer Staaten das: Mecht ber Neutralitaͤt, und 
keiner darf den Andern zum Antheilnehmen an irgend, 
einem Kriege ‚jwingen. 


= wre u . — 228·— 


9 Weltb argerteht. 
Das Weltbaͤrgerrecht druͤckt kein Verhaͤltniß 


! Ber Staaten gegen einander, ſondern des Bürger® - 


& des einen Staates gegen jenen des Andern aus. De: 
N die Menfchen wegen der Kugelgeftalt der Erde ſtets 

mit einander in Berührung kommen, fo'muß es noch ' 
’ ein Recht geben, welches die Regeln bei dieſer Be⸗ 
! recht, melches ſich auf eine "allgemeine Hoſpitalitaͤt: 
gruͤndet. Kein Bürger des einen Staates darf da⸗ 

her in dem andern Staate feindſetig behandelt , undı 
Hl geinem darf das Recht der Anbauung „wenn noch: 
ME Platz vorhanden iſt, verweigert werden. Das Welt⸗ 

buͤrgerrecht ſchreibt Beine ſittlichen, ſondern rechtliche, 
„Gebote vor. Es: betrachtet den, Menfihen. bloß als: 
„geil Weſen, dem gewiſſe Rechte zukommen, welche 
nvon jedermann bloß nach dem Rechte Hedig gehalten 
werden ſollen. Alle Regeln, die man bei Beurthei⸗ 

lung weltbuͤrgerlicher Verhaͤltniſe Probadıten muß, 
and daher folgende: : u 


a. 19 Jeder Menſch muß in jedem Staate als eine 


„, rühtung vorfchreibf, und dies iſt das Weltbuͤrger⸗ 


—— geachter, und alfe als ein undedegä - 


„uiches Wefen behandelt werden und 


un ) Jeder Menſch hat wohl das geche ein fand 
step ein Wolkzuibeßuhen, „aber:nicht. zu eroberna 
en denn jeder Boden, auf den. Menſthen wohnen, iſt 


— — 





‘ 


N 7 3394 * :@ 


N ) ‘de ſolche Handlung barf alfo bie Berfön- 


. 
” 
. 


fihfeit des Andern nicht beeinträchtigen, fondern muß: 
ihn als ein freies ſich nach eigenen Geſeben beſtim⸗ 
mendes Weſen anſehen. 


3) Was jeder Staat in feinem Innern thut, 
und was er alſo ia Anjehung befielben für Einrichs 
tungen trift, darein hat der Andere Sein Recht ſich 
zu miſchen: denn es wäre.eben.fo gut, als wenn ein 
Menfch dem Andern verſchreiben m wolle, was er den⸗ 


ken ſollte. 
4) Jeder Staat hat die Pflicht, ſich gegen bie 


Kilävife des Anderen’ zu vertheidigen. Diefe Ver⸗ 
eheidigung ift ihm afs Selbfterhaftung geboten. Da⸗ 


Ber find nur Wercheibigungs » aber Feine Angriffs: 


ktiege rechtlich; und angegriffen iſt ein Staat: ‚ wenn 
entweder fein Gebiet angefallen ift, "oder feine Bür⸗ 
ger in ihren Rechten gekraͤnkt werden. 


9 Kein Staat darf dem Andern inverleibt 


peden, weil dies Mord iſt; denn einen Staat ver⸗ 


mehten und ihn mit einem andern bereinigen, heißt 
eine Perfon morden..: , 

6). Das Recht im Kriege geht nur ſo weit als 
fh. das angethane Unrecht erſtreckt und das Rede 
wpleder moͤglich if. 


7) Es kann feinen Straffrieg geben, , weil kein 
Staat ein gefetzmaͤßiger Richter des” Andern feyn 
fan: denn alle Staaten haben als juribifche Per« 
fonen gleiche Rechte und gleiche Pflichten, und feier | 


| nü uͤber den Andern geſcht. 











a 5 395. 
une)! Ieder Staat hat im Kriege zweier. eben 
mehrerer Staaten das Recht ber Neutralität, undz 


Feiner darf den Andern zum Antheilnehmen an varalı 
einem Kriege ‚wingen. 


— — 0 — * 


9 Weltbaͤrgerteht. 
Das Weltdaͤrgerrecht delt fein Verhaͤltniß 


ber Staaten gegen einander, ſondern des Buͤrger⸗ 


des einen Staates gegen jenen des Andern aus. De: 
die Menſchen wegen der Kugelgeſtalt der Erde ſtets 
mit einander in Beruͤhrung kommen, ſo muß es noch 
ein Recht geben, welches die Regeln bei dieſer Be⸗ 


ruͤhrung vorſchreibt, und dies iſt das Welrbürger« „ 


recht, welches ſich auf eine "allgemeine Hoſpitalitaͤt: 
gruͤndet. Kein Bürger bes einen Staates darf da⸗ 
her in dem andern Staate feindſetig behandelt ‚ und: ' 


keinem darf das Recht der Anbauung, wenn noch; 


Platz vorhanden iſt, verweigert werden. Das Welt⸗ 


blirgerrecht ſchreibt. keine firtlichen‘;. ſondern rechtliche, 


"Gebote vor. Es: betrachter den Menſchen bloß als; 


ein Wefen, dem gewiſſe Rechte zufommien,- welche. 


von jedermann bloß nach dem Rechte Heflig- gehalten. 
werden follen. Alle Regeln, Die man bei Beurthei⸗ 
kung weitbürgerficher Berpälmile Probaceen miß, 
fine daher folgendes: - —. 


„FTD Jeder Menſch muß in jedem Staͤate als eine 
frhiige Pirfen geachter, und alfe als ein underlegä - 


liches Wefen behandelt werden , und 


2) Jeder Menſch hat wohl das Kt ein Land 
md ein Rolf zu beßechen, „aber:nicht. zu erobern? 
benn jeder Boden, auf dem. Menſtchen wohnen, ift 


1. 


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* 


> Po — 
Mon in Beſitz genonmen und jedes Eggenthumerecht, 


das ſich ein Fremdling aamaßt, iſt eine ungerech⸗ 
dgkeit. | 





2 XXVIM. Eopitel. 
Wie muß won verfaßren und weiche Maxi— 
men und Regeln muß man befolgen, wenn 
„mon in deu hiftorifhen Wiffenfhaften 
n richtig urtheilen wilt? | 


Das Eigenthuͤmliche der hiſtoriſchen Wiſenſchaften 
beſteht darin, daß ihr Inhalt ſchon vorhanden iſt 


und nicht erſt hervorgebracht. werden darf: denn fie 
beſchaͤftigen ſich mit dem, was entweder geſchehen iſt 
oder was als noch geſchehend angeſehen wird. Nun 


giebt es zwei Gegenſtaͤnde, die das Objekt der Ge⸗ 
ſchichte ausmachen koͤnnen, und dieſe ſind der Menſch 
und die Natur, weil dieſe allein einen Stoff darbie⸗ 
ten, der nicht von dem Beobachter hervorgebracht 
wird, ſondern den er als gegeben annehmen muß. 
Dieſer Stoff betrifft nun theils dasjenige, was der 
Menſch von Natur und zwar aͤußerlich iſt, und das, 
was er geweſen iſt und alſo gedacht, erkannt und ge⸗ 
than hat, theils das, was die Natur gegenwaͤrtig 
und was fü fie e „gerpefen ift. Der: Stoff der. Geſchichte 
ift alfo die Beſchreibung des Menſchen und der Natur, 
ihre Veraͤnderungen und Schickſale, die poſitiven 
Wiſſenſchaften und die Huͤlfsmittel, welche zum Ver⸗ 
ſtehen der Geſchichte ſowohl des Menſchen— als? der 
Ratır nothwendig ſind. Dre? 


\ 





397 — 
Die pofitivon Wiſſenſchaften find als-Kiftprifege 
‚Shegenflände eine ſyſtematiſche Kenntniß desjenigen, 
was der Menfch für recht und gut erkannt dat und. als 
poſitive, was noch Heuf zu Tage dafur angefehen 
und als folches befolgt werden ſoll. Sie. betreffen 
einen Theil der praktiſchen Philoſophie, und Haba 
es entweder mit dem Gewiffen ‚oder mit dem äußern 
echte zu thun. Es kann baher nur eine Religiona⸗ 
und pine Rechtslehre geben, welche: poſitiv ſind, weil 
Die die einzigen Gegenſtaͤnde des Prattiſchen find, in 
Anfehung deren. fich eine: äußere Geſetzgehung denken 
laͤßt. Die Religienslehre macht Gott und die 
Rechtslehre den Staat zum Geſetzgeber "und ihre 
Wahrheiten, Gebote und Verbote muͤſſen als non 
Diefem ſankticnirt angefehen werben. Bären fie Dies 
nicht, fo wären ſie auch nicht pofltiv; . denn damit 
etwas pofitiv: werde, dazu if. eben noch. .eine befonhag 
Santtien außer jener der Vernunft erfoderlich. 


A. Poſitive Religionsteßre 


Die Naturreligion iſt ein bloßes Produkt dep 

Vernunft, bie Ppfitive hingegen farm außerdem no 

pieles enthalten, : wonon die Vernunft nichts weiße 
denn ihre: Quelle ift die Geſchichte. Jede pofitine 
Religion muß als von Gott geoffenbart angeſehen wer⸗ 
den, weit ein Öefehgeber erfoderlich iſt, indem ſich alle 
Religion auf den Willen und alſo auf das Praktiſch⸗ 
beziehe, der zu ‚feiner Beſtimmung Geſetze noͤthig 
hats: fie muß aber, auch in einem beſondern Bud 
mithalten. ſeyn, damit fie; vein und unvermiſcht forte. 

gepflanzt werben kann. Wenn man fie alſo kennen 
lernen will, fo nf: man die Urkunde Bor, zii 


e nn 400 u 

:an den Suöfebm derſelben Halten; er darf weber 
andere Lehren, als dies Buch enshält, vortragen, 
noch andere Triebfedern zu ihrer Befolgung an 
rathen, als diejenigen find, deren ſich ber Schrift: 
Heller der Offenbarungsurkunde bedient, Thut eb 
Sag nicht, ſondern lehrt Dinge, die wohl in der Ber- 
murfft, aber nicht in feiner Offenbarung enthalten 
Find und gebraucht Motive, die wohl fehr zweckmaͤßig 
und vernuͤnftig find, von denen aber doch die Offers 
Barung ſchweigt, fo verläßt er das Gebiet ber Offen» 
Sarung, und.fehiweift in Die Regionen der Vernunft 
AIber und thut weber jener noch dieſer Gnuͤge; nach 
dener ſoll er alles gläubig annehmen und vortragen, 
vas ſie lehrt; dieſe Hingegen verlangt, daß er weder 
vwas glauben. noch etwas lehren ſoll, als mas ſich 
aus.igeen Ausſpruͤchen ergiebt und wovon er überzeugt 
IR, Ba es wahr und gut ſey. Der Offenbarungs 
lehrer träge geſchichtliche Wahrheiten vor, und dieſe 


San und darf er weder vermehren noch vermindern, 


ae gaͤnzlich aufzuhe ben. as er in der Urkunde 
vorſendet, das uſt ein gegebener Stoff, den er. weder 
vctaͤndern noch vernichten kann. Er bleibe unver 


undarlich, und wenn' die Mapime: des Veraͤnderns 


Ummandelns und Auslaſſens einmal in dem einen 
Feldeder Geſchichte guͤltig ſeyn ſoll, fo muß ſie in 

allan iditſelbe Guͤltigkeit haben; allein! da eine ſolche 
Behandlung ber. Geſchichte dieſe gaͤuzlich vernichten 





vwürbe, ſo darf ſie!gar nicht angewandt werben, -fp 


funge: man: wid ,::boß :diefelbe beſtehen ſoll. Will 
$D- jemand willen, ”. was die schriftliche: Religion 
lahrt, fo mug er ſich an das neue Teſtament wenden 
and nachſehen, was hier geboten und was. varbates 





| . ‚403 — . 
BB. Pofitive.Recheslehre. 
Die poſitive Rechtslehre ift die Wiſſenſchaft des⸗ 


\ 


“ jenigen, was in irgend einem Staate als Gefeß gilt. 


Ihr Inhalt umfaßt die rechtlichen Verhälnife, _ 
welche irgend ein Souverain zwiſchen ſich und ſeinen 
Unterthanes in Anfehling ihrer Handlungen und 
. ihres Eigenthumes beſtimmt hat. Sie ift etwas 


Vorhandenes und mache alfo einen Gegenftand der 


Gefchichte aus. Die Regeln, die man befolgen muß, 
wenn man richtig in ihr und über fie urtheilen will, 


find folgende: was bas Geſetz geboten har, ift vet, | 


und was daſſelbe verboten hat, ift unrecht. Jenes 
ſoll gethan und dieſes unterlaſſen werden. Was hin⸗ 
gegen durch kein Geſetz im Staate beſtimmt iſt, iſt 


erlaubt ynd kann daher gethan ober unterlaffen.wers ⸗ 


den, je nachdem es jemanden gut duͤnkt , oder er 


daſſelbe vor feinem Gewiſſen verantworten will. Alle . 


Geſetze find. buchftäblich zu nehmen, weil den buch» 


ftäblichen Sinn jedermann begreift; fein Geſetz ao - - u | 


darf nad) feinem Geifte ausgelegt und angewandt 
werben,“ weil biefer leicht, eben fo vielfach feyn kann, 
- als zahlreich die Menge ber Ausleger if. Was ift 
aber unter dem buchftäblihen Sinne eines Geſetzes 
zu verſtehen? Unter dem buchſtaͤblichen Sinn begreift 
man 1) daß ſich kein Satz, der als Geſetz gelten ſoll, 


d 


R 


widerſpreche: denn widerſvricht er ſich, ſo hat er gar 


feinen Sinn, d. h. die Vorſtellungen, die Durch den⸗ 

felben ausgedrückt werben, vernichten einander und 

man kann dieſelben nicht mit einander verbinden, 

und 2)daß jedes Wors in der ihm eigenthuͤmlichen und 

gewoͤhnlichen Bedeutung genommen, 3) daß jeder 

Satz nach Grund unb Solge beftimme werde, und 4) 
\ ee 2. — 


- 


— 494 — 
daß das Ganze eine Meinung ausbrücde, welcher 
jedermann, ber ein Urtheil faͤllen kann, durch bie 
Worte genoͤthigt, feine Veiftimmung zu geben ge 
gungen wird. Jede Stelle muß baher logiſch und 
grammatiſch richtig erfläre werden, und was ſich 
durch eine folhe Unterfuhung als Ausbeute ergiebt, 
Das ift der buchftäbliche Sinn eines Geſetzes. Wil 
Hingegen jemand ein Geſetz philoſophiſch deuten und 
feinen Sinn durch die Philoſophie beftimmen, fo vers 
Fennt er eben fo fehr das Feld des Hiftorifchen, als 
er im Falle ber Anwendung einer foldhen Auslegung 
auf eine Handlung, welche ihm als Richter zu unters 
ſuchen und zu würdigen obliege, fträflih handelt. 
Die zu gebenden Gefege follen zwar gerecht und 
zweckmaͤßig fen, allein diejenigen, die ſchon vorhan⸗ 
den find, duͤrfen weder vernünftiger noch menſch⸗ 
ficher ausgelegt werben, als fie ihrem buchftäbfichen 
Indhalte nad) find, weil nur biefer als Geſetz gelten 
Kann und weil dies Deuten die Willkuͤhr an die Stelle 
bes Geſetzes feßt, und die Einführung gerechter und 
zweckmaͤßiger Gefege verhindert. — Was im 
Staate durch fein Geſetz verboten ift, darf auch, 
wenn es geſthieht und wenn es auch widerrechtlich 
ſeyn ſollte, nicht beftraft werden: denn eine Hand⸗ 
hung wird nur durch die Uebertretung eines Gefeges 
ein Verbrechen, nnd da nun ber Staat eine befons 
dere Art von Öefeßgebung befißt, von der man nicht 
wiffen kann, was durch diefelbe verboten angeſehen 
wird, fo lange das Verböt noch nicht erfolge ift, fo 
auch feine wiberrechtlihe Handlung, welche nicht 
als ftrafbar anzuſehen. Wollte ein 
ſolchen Falle zur philoſophiſchen 








405 —. 
Otechtalehre ‚in ber freilich alles Widerrechtiche als 
verboten und als ſtrafbar betrachtet wird, ſeine Zu⸗ 
flucht nehmen, ſo miſcht er ſich in ein Gebiet, das 
‚fir ihn eben fo nachtheilig ift, als er unrecht handelt: 
gerechte Gefege kann und foll er geben, aber er darf 
doch Feine Handlung barnach entfcheiden, bie vor der | 
Bekanntmachung derſelben gefchehen iſt, weil nur. 
ein gegebenes und burch den Staat ſanklionirtes Ge⸗ 
ſetz fuͤr die Unterthanen oder Buͤrger Guͤltigkeit 
Haben kann. Den beſtehenden Geſetzen iſt jeder 
mann Gehorſam ſchuldig, wenn ſie auch ungerecht 
oder unzweckmaͤßig ſeyn ſollten „ weil jedes Geſetz als 
Ausfpruch des Souverains angefehen werben muß, 
der die Quelle des Rechts im Staate ift und gegen. 
ben fein Widerftand ſtatt finder, Freilich hleibt dies 
fer rechtlicher Weiſe nur fo. lange Souvergin, als er 
Geſetze giebt, welche jedermann zum Gehorſam ver⸗ 
binden und welche das angeborne Recht der Freiheit: 
des Menfchen nicht heeinträchtigen. - Im entgegen 
gefeßten Galle vernichtet er felbft feinen Charakter 
‚als Souverains. Die Kriterien ber Gerechtigkeit 
... „pofitiver Geſetze liefert Die philofophifche Rechtswiſ⸗ 
ſenſchaft, und die Kriterien ihrer Zweckmaͤßigkeit die 
Klugheitslehre, Ein Geſetz muß vorhero gerecht 
und dann erſt zweckmaͤßig ſeyn: denn die Gerechtige 
keit ſoll die Oberherrſchaft über hie Kiugheit führen. 


C. Heilkunde. 

Die Heilkunde iſt die Wiſſenſchaft der Abwei⸗ 
chungen des thieriſchen Organism von ſeinen Geſetzen 
und die Kenntniß der Mittel, jene aufzuheben und 
dieſe wieder in die ihrer Natur angemeſſene Wirk⸗ 








famfeif zu verfeßen. Man muß daher bie Erſchei⸗ 
nungen auffuchen , woburd) ſich die Eigenheiten der 
organiſchen Kraft in ihrem gefunden Zuftande offen, 

. baren, ihre Geſetze ſtudiren und beobachten, was 
ihre Thätigfeiten entweder unterftußt ober verhindert. 
Wird der ehierifche Organism in feinen Sunftionen 
gehemmt, fo entſteht Krankheit. Es muß Daher un- 
terſucht werden, welches Mittel diefen Zuftand aufs 
Heben, und den Menfchen wieder gefund madyen kann, 
in welchem Verhaͤttniſſe daſſelbe zur Krankheit ſteht, 
wie daffelbe auf den kranken Theil wirft, und warum 
es gerade diefe und feine andere Wirfung hervor⸗ 
bring. Da der Drganism feine Thärigkeit durch 
Reizempfaͤnglichkeit äußert, und alfo jede Krankheit 
entweder burch das Uebermaaß oder durch Die große 
Schwäche verfelben entſteht, fo muß die Reizbarkeit 
bald vermindert bald vermehrt werden, wenn bas 
"Uebel gehoben werben foll. Arzeneien bewirfen Ge⸗ 
genfeize ‚ welche die ungehinberte Thätigfeit der or⸗ 
gaaniſchen Kraft wiederherftellen, wenn biefe noch im 
Stande ift, ‘alle ihr entgegenwirfenden Hinderniffe 
zu befämpfen. Jede Franke Erfcheinung im Menfchen 
bat eine natuͤrliche Urſache und jede Wirkung hat ihren 
zureichenden Grund. Iſt Feine Urfache zu einer 
Krankheit im menfchlihen Körper vorhanden, fo 
kann aud) feine Krankheit eintreten und jede kranke 
Erſcheinung muß ſich entweder durch ein phyſiſches 
oder inoraliſches Mittel heben laſſen „ wenn fie über» 
haupt noch mweggefchaft werden Fann. Jene wirft 
chemiſch, diefe durch Vorſtellungen, welche viele 
Krankheiten theils verhindern, theils heilen würden, 

wenn die Menſchen nur mehr fur und Kraft 1 Bien, 


* 





® D 


| — 407 — 
ihren Körper durch ſelbſtbeliebige und moraliſche 
Ideen zu beherrſchen. Der Einfluß derſelben erhebt 
den menſchlichen Geiſt und dieſe Erhabenheit der 
Empfindungs⸗ und Denkungsart und der Entſchluß, 


nicht krank, beſonders nicht kraͤnklich, ſeyn zu wollen, 


vertreibt Uebel, die häufig bloß in unferer Einbildung 
ihren Grund haben, Weife Enthaltſamkeit, kluge 
Maͤßigkeit im Eſſen und Trinfen, Bewegung, frifche 
reine $uft und. moralifche Ideen find häufig, mo feine ' 

Verletzung irgend eines Theiles ſtatt finder, die wirfs. 
ſamſten und jedermann zu Gebote flehenden Arzenei⸗ 
mittel. So, 


Barum aber ift die Aezeneitunde eine hiſtori⸗ 


ſche Wiſſenſchaft?“ Weil der Stoff, der ihren In⸗ 


halt ausmacht, gegeben iſt und nicht waͤhrend des 
Denkens durch Freiheit hervorgebracht wird. Man 
kann dieſe Wiſſenſchaft nicht aus einem hervorzubrin⸗ 
genden Stoffe aufbauen, fondern man muß ſich an 
den vorbandenen haften. . Sie ift. eine. Erfahrungs⸗ 
wirfenfchaft und zwar eine hiftorifche Erfahrungs« 
wiſſenſchaft, weil ihr Inhalt keine urſpruͤngliche Thaͤ⸗ 
tigkeit des menſchlichen Geiſtes und die aug dieſer ſich 
ergebenden Grundſaͤtze begreift, ſondern auf Erſchei⸗ 


nungen eingefchränft iſt, deren Inhalt durch die 


Empfindung und alfo durch die Erfahrung gegeben 
'iſt und hiſtoriſch aufgefuche werben mug. Sie kann 
daher auf feine vollfommene und untrhgliche Gewiß⸗ 
heit Anfpruch machen, ob fe gleich aus rhapſodiſchen 
Bruchſtuͤcken zu einem Ganzen verbunden werden 
kann, das mit Einſicht in das ihm eigenthuͤmliche 
Gebiete und mit Befonnenpeit bearbeitet als wirkliche 





° 


DR 4 [ ) 


Ta ‚458 — 


Wiſſenſchaft auftreten kann, welche comparative Alls 
gemeinheit und Nothwendigkeit hat. 


D. Eigentliche Geſchichte. 


Die Geſchichte zaͤhlt alle die Veraͤnderungen und 
Schickſale auf, die ein Gegenſtand erlitten hat und 
durchlaufen iſt. Es iſt aber noͤthig, daß man einen Ge⸗ 
genſtand ſelbſt vorhero genau kennen lernt, ehe man 
zur Kenntniß-feiner Ummwanblungen uͤbergeht. Man 
muß daher willen, was ber Menfch von Natur ift 
und was er Durch Freiheit werben kann und foll, ehe 
man füch mic feiner Kulturgeſchichte mit Außen bes 


” anne machen kann. Das Objekt der Gefchichte ift 


die ganze Erfcheinungsmwelt: denn diefe allein veräns 
bert fid) und die einzelnen Dinge, woraus fie beſteht, 
find der Menfch und die äußere Natur, welche orgas 
nifche und anorganifche Produkte enthält. In Ans 
fehung des Menſchen will man entweder wiſſen was 
er jemals gedacht und erkannt, und was er gethan 
bar, Es giebt alſo eine Geſchichte 


1) der Kultur des Menſchengeſchlechtes; 
2) ber Meinungen des Menfchen; 


3) der Staaten als eines Produftes de Men⸗ 
fen ‚ und 


4) der organifchen und anorganifcen Natur. 
1) Kulturgeſchichte des Menſchengeſchlech— 
tes, Geſchichte der Menfhheit) . 


Unter Kultur verſteht man bie Ausbildung aller 
menſchlichen Anlagen und Kraͤfte zur Greißei ‚und 


» 











— 49 — 


eine Geſchichte der Kultur iſt eine Darſtellung der 


verſchiedenen Entwickelungsarten der menſchlichen 
Vermoͤgen, der Mittel, welche itzre Ausbildung bald 


verhindert, balb befoͤdert haben, und der Epochen, 


welche durch die Natur des menſchlichen Geiſtes ſelbſt 


beſtimmt werden. Es iſt Daher noͤthig, daß man 
weiß, welche Vermögen und Kräfte der Menfch bes 
fißt, ehe man die Schickſale ihrer Ausbildung kennen 


lernen will. Wie der einzelne Menfch- ausgebildet 


wird, fo. erzieht fich auch das ganze Menſchenge⸗ 
fchleche; denn Ddiefes hat nicht mehrere Anlage als . 


“jener, und beide müflen einerlei Erziehungsmittel 
‚brauchen, wenn ihre Kultur gedeihen fol. Die Ans 
lagen entwicteln-fich ſowohl im Menfchen als im Men 


fehengefchlechte im gleicher Ordnung: der Werftand 


Fann nicht ausgebilder werden, fo lange die Sinne 
, noch. nicht vervollfomme find. Daher wird im Mens 


fehengefchlechte, wie im Menfchen, erft die Anlage 


für die Thierheit als lebendiger, hernach die Anlage 


‚ fürbieMenfchheit afs lebender, aber zugleich vernünfs 
<giger und endlich Die Anlage fir die Perfönlichfeit als 


vernünftiger aber zugleich ‘der Zurechnung fähiger 
Weſen ausgebildet. Diefe Stufenfolge muß das 
Menfchengefhlecht in dem Gange feiner Kultur eben 


fo genau beobachten, als ber einzelne Menfch, weil 


jede von'den nachfolgenden Anlagen des Stoffes ber 
Vorhergehenden nöthig hat, wenn fie thätig feyn 
fol. Anfänglich zeige fich das Menſchengeſchlecht 
als bloß finnliches und zwar thieriſches Weſen, bei 
dem bie Sinnlichkeit und der Verftand erwacht ifl. 
Den Uebergang zur Kultur ber theoretiſchen Vernunft 
bahnt die Ausbildung des Geſchmacks und zwar die 


v I) 
\ 


— : 410 — 
Auebildung des Gefuͤhls ei das Shin unb den 
Webergang zur Kultur der praftifchen Vernunft, er⸗ 
öfnet die Ausbildung des Gefühls für das Erhabene. 
In der Kufturgefchichte. bes Menfchengefchlechtes 
giebt es alfo drei Hauptepachen, welche durch bie 
drei urfprünglichen Anlagen des Menſchen beſtimmt 
und zwei Mebenepochen, zu welchen die Kultur des 
Geſchmacks die Veranlaffung giebt. Wozu kultivirt 
ſich aber das. Mienfchengefchleche? Wie ber einzelne 
Menſch alle feine Anlagen und Kräfte ausbilder, um 
ſich derfelben frei” und zweckmaͤßig zum Dienfte ber 
praftifchen. Vernunft bedienen zu koͤnnen, fo ift dies 
auch der Fall-bei dem ganzen Menfchengefchlechte. 
Alle Kultur zielt dahin ab, daß die Menfchen möra; 
tisch gut und’ rechtlich handeln fernen, und daß auch 
affe ihre Einrichtungen den Charafter des Morali⸗ 
ſchen und Rechtlichen ‘an fih fragen.  MWenn man 


J alſo richtig uͤber die Kulturgeſchichte des Menſchen⸗ 


geſchlechtes urtheilen will, ſo muß man 


1) die Anlagen und Kräfte, welche kultivirt 
werben ſollen, | Ä 
2) den Zweck wozu fie ausgebildet werden, 
und 
,) die Mittel, die ihre Ausbilbung entweder 
beföbern ober verhindern, fennen lernen. 


4) Muß man das ganze Menſchengeſchlecht als 
ein großes zuſammenhangendes Ganze anſehen, wo 
Seine: Generation umfonft ba iſt; jede träge mehr 
ober weniger zur allgemeinen Kultur bei, wenn es 
‚ung auch manchmal ſcheinen ſollte, als haͤtte ſie gaͤnz⸗ 
lich unnüß fuͤr dieſen Zweck gelebt: denn an jede 


J 





= ir —. 


ergeht die Pflicht der Vervollkommnung durch die 


bloße Vernunft und da'man nicht annehmen kann, 
Daß diefe durch ihre Gebote nichts arlsrichte, indem. 
fiadas Realfte und Eindringlichfte auf Erden ft, fo 
ift auch der Glaube, daß das Menfchengefchleche in. 


feiner Kultur nicht weiter fortfchreise, fondern ſich in 
ſteten Kreiſen herumdrehe, ein Wahnglaube. 


5) Die Kultur des Menſchen wird nie abge⸗ 


brochen, ſondern geht ununterbrochen, bald ſchneller 


bald langſamer und daher bald ſichtbater bald un⸗ 
ſichtbarer fort. 


6) Den Kulturzuſtand des Menſchen ‚ eine 


Nation und des ganzen Menfchengefchlechis lernt 
man durch die Urtheile, die es über Menfchen und- 
Dinge fälle, durch die Thaten, die daffelbe thut und‘ 
durch die Beſchaffenheit feiner volitiſchen und religiös ' 


fen Einrihtungen fennen. . 


7) Die Mittel, die zur Kultur entweder beitra⸗ 


gen oder dieſelbe verhindern, find a) die Menſchen in 
ihren Einmirfungen auf einander, b) die Anftal« 


gen, die fie getroffen haben, und c) bie Natur, wozu 


Klima, Fruchtbarkeit u. ſ. w. gehöre.’ 


8) Man muß, fich erft durch Nachdenken von: 


feiner eigenen fteten . Vervollfommfung überzeuge _ 


haben, ehe man an die fleten Fortfchritte des Men« 
ſchengeſchlechts in der Kultur glauben fann. 


9) Das Menfchengefchleche altert nie, wie der 


N 


einzelne Menfch, fondern bleibe ein ewiger Süngling, 
und daher wird feine Kultur ftets und mit Eifer forte 


geſetzt. Es beſteht aus allen lebenden Menfchen, und 


hy 


* 
IN , 


2 — un — 


da. nun bie größte Thaͤtigkeit das Juͤnglingsalter 


charakteriſirt und da nur dieſe auf Befoͤderung ber 


Kultur hinwirken fann, fo fann man bem Menfchen- 
gefchlechte mie Recht ewige Juͤnglingsjahre zus 
ſchreiben. 


10) Die. Natur hat es mit dem Menſchenge⸗ 
fehlechte, eben fo wenig als mit dem einzelnen Men- 
ſchen auf feine Gluͤckſeligkeit, ſondern auf Kultur ans 
gelegt. Die Uebel in der Welt reizen zum Wider⸗ 
ftand, und diefer Kampf befödert bie Ausbildung 


dd Menſchengeſchlechtes. 


11) Wenn man fragt, auf welcher Stufe der 
Kultur das Menſchengeſchlecht jetzt ſtehe, ſo kann 
man ſagen, daß es ſich der Kultur der Anlage fuͤr 
die Perſoͤnlichkeit naͤhere; denn wenn man auch nicht 
immer moraliſch gut und rechtlich handelt, fo faͤngt 
ſich doch ein Geiſt der Rechtlichkeit, wenn auch nicht 


in den Handlungen, doch in ben Urtheilen zu verbrei⸗ 


ten an, daß night leicht eine öffentliche widerrechtliche 
Handlung gefchieht, welche nicht allgemein verdammt 
wird. - Diefe Beurtheilungsart offenbart eine Ihäs 
tigkeit der Anlage für die Perfönlichkeie und diefelbe 
wied immer allgemeiner werden, je mehr und länger 
biefer Geift herrſthend fegn wird, o- 


12) Das Menfchengefchleche kann in feiner 
Kulcur nur langſame Fortſchritte machen, weil daſ⸗ 


ſelbe alle Individuen begreift ‚ bie ſich an Talenten ” 


unb Fähigkeiten eben fo ungleich find, als ihre lage 
und ihr Zuftand peſchteden iſt. | 








0 = 413 — 


2) Geſdiqht⸗ der menſchlichen Mei⸗ | 


‚nungen 
Die Arten der menfchlihen Meinungen find 


eben fo mannichfaltig, als es Objekte giebt, von 


denen ber Menfch entweder etwas willen kann, ober 


die er als Blaubensfachen anſteht. Daher giebt es 


| ‚eine Gefchichte der moralifchen,, rechtlichen, religiös. 


fen, metaphufifchen, logiſchen, phyſikaliſchen u.f. m. 
Meinungen. Durch eine ſolche Geſchichte wuͤnſcht 
man zu erfahren, was die Menſchen von jeher uͤber 


irgend einen Gegenſtand gewußt, geglaubt und ge⸗ 


meint haben. Wie faͤngt man es aber aͤn, um zu 


dieſer Kenntniß zu gelangen? 1) Muß man jede Ark 


von Meinungen, die einer befondern Art von Gefeße 
. gebung im menfchlichen Geiſte ihr Daſeyn verdankt, 


beſonders betrachten. Man darf daher die, morali-⸗ 
fchen Meinungen nicht mit den religiöfen noch mit beit 
phnftfalifchen in eine Klaſſe werfen, forfdern jede 
ihrem eigenthuͤmlichen Charakter, ihrem Grunde 


und ihrem Urfprunge nach in Betracht ziehen. Wer 
‚alle Dieinungen mit einander vermiſcht, lernt in kei 


ner Art von Erfenntniffen den Gang des menfchlichen 


J 


Geiſtes zu feiner Ausbildung und das Streben deſſel⸗ 
ben nach Wahrheit kennen. | | 


\ 2) Muß man den Quellen ‚ aus denen eine 
Meinung gefloſſen iſt, ſorgfaͤltig nachſpuͤren, um ſich 
theils von ihrer Naturgemaͤßheit, theils von ihre 


Wirklichkeit zu uͤberzeugen. Die Quellen aller Mei⸗ 


nungen ſind der menſchliche Geiſt und die aͤußere u 


Natur, und die Beranlaffung zu ihrer Eneftehung 


‚geben bie mancherlei Erſcheinungen, die ſich in und 


U] 414 - 


außer ung offenbaren, und die hi unfere Wißbe⸗ 


gierde, theils unſere Bewunderung, theils unſer Er⸗ 
ſtaunen, theils Furcht in uns erwecken. 


3) Wozu wuͤnſcht man aber die menſchlichen 
Meinungen kennen zu lernen? Um zu erfahren, wie 
ſich der Menſch gebildet und ſeine Anlagen entwickelt 
hat, welchen Gang die einzelnen Wiſſenſchaften ge⸗ 
nommen und wie ſie nach und nach vervollkommt 
worden find, zugleich aber auch um zu-unterfschen, 
0b Wahrheit oder Irrthum in irgend einer Vorſtel⸗ 

ung enthalten ift, um die Erſtere ſich zu eigen zu 
machen und ſich vor dem Letztern hüten zu-fernen. 


4) Alle Meinungen , die wir fennen lernen, 
muͤſſen wir in Rüdfihe ihres Gehaltes prüfen; wir 
müffen nachfehen, in mieferne fie wahr oder falich 
oder wie Webrhel und Falſchheit in ihnens gepaart 
find. , 
5) Die manchetlei Meinungen, die wir in der 
Gecſchichte auffinden, müffen als fo viele Verſuche 
angeſehen werden, um zur obhjektiven Webrhet von 
irgend etwas zu gelangen. 


6) Sie bezeichnen bie Stufe ‚ auf welcher ein 


Manſch oder ein Zeitalter in Anfehung feiner Kultur 


geftanden hat oder noch ftehe: wenn jemand die Ur« 
ſache von jeder außerordentlichen Erfcheinung vers 
görtlicht, fo ift dies ein Kennzeichen, daß bloß fein 
Verftand ehärig iſt, und daß feine Vernunft noch 
niche felbftchärig zu feyn begonnen bat. _ 


7). Man muß jede Meinung in ihre Beſtand⸗ 
heile zerlegen, um au erfahren, was zu derſelben die 











\ Ä = «a5 — 


Veranlaſſung gegeben hat, und das fotale, Native : 


‚nelle und Temporelle in ihr beraus fuhen. 


8) So toll und thoͤricht eine Meinung auch ſeyn 


mag, ſo hat ſie doch die Abſicht, etwas Wahres zu 
bezeichnen. Es iſt daher jederzeit noͤthig, den Urs 
fprung und die Veranlaffung einer Meinung aufzu⸗ 


ſuchen. Dieſes Nachforſchen muß zum Theil hiſto⸗ 


riſch, zum Theil pſychologiſch angeſtellt werden, weil 


die Veranlaſſung eine Geſchichtsſache, der Urſprung 


aber ein Gegenſtand der Pſychologie iſt. 


J Geſchichte der Staaten. 
Durch eine ſolche Geſchichte will man erfahren, 


welche Wege dieſe oder jene bürgerliche Geſellſchaft 


- eingefcehlagen hat, um fih ber. eimzig rechtlichen 


Staatsverfaſſung — ber republifanifhen — zu 


nähern. Alle Staatsformen, alle Berfaffungen, 


alle Veränderungen in.einem Stagte, alle Theiluns 


gen der Staaten und Verbindungen derfelben, alle 


Kriege, kurz alles, was die Menfchen in Bezugauf . - 


den Staat gethan haben, müflen als fo viele Vers 


fuche, das Problem zu löfen, welche Staatsverfaffung 


die vollfommenfte ſey und als fo viele Beftrebungen, 


die Annäherung berfelben zu beſchleunigen, angefehen - 
werden. Iſt die Einfuhrung einer ſolchen Verfaſ⸗ 
ſung auch nicht der Wille der Menſchen, beſonders 
aber nicht der Gewaltigen, ſo iſt es doch die Abſicht 


der Natur oder beſſer der Vorſehung, die alles ſo 


lenkt, daß endlich die Gerechtigkeit das belebende 


Princip der Staaten wird. Wenn man alle Ereig⸗ 


niſſe in der Welt, und alle Staatsbegebenheiten aus 


— * 








J —— 44 — - 
außer uns offenbaren, und -die theil, un unfere Wißbe⸗ 


gierde, theils unſere Bewunderung, theils unſer Er⸗ 
ſtaunen, theils Furcht in uns erwecken. 


3) Wozu wuͤnſcht man aber die menſchlichen 
Meinungen kennen zu lernen? Um zu erfahren, wie 
ſich der Menſch gebildet und ſeine Anlagen entwickelt 
bar, welchen Bang die einzelnen Wiſſenſchaften ger 
nommen und wie fie nach und nad) vervollfomme 
“ worden find, zugleich aber auch um zu-unterfuchen, 
ob Wahrheit oder Irrthum in irgend einer Vorftels 

lung enthalten ift, um die Erftere fich zu eigen zu 
machen und ſich vor dem Leßtern hüten zu ‚lernen. 


2) Alle Meinungen , die wir kennen lernen, 
muüuͤſſen wir in Ruͤckſicht ihres Gehaltes prüfen; wir 
müſſen nachſehen, in wieferne ſie wahr oder falſch 
oder wie Webrhel und Falſchheit in un a gepaart 
find. | 
.5) Die monchetle Meinungen, die wir in der 
Gecſchichte auffinden, müuͤſſen als fo viele Verſuche 

angeſehen werden, um zur objektiven Probe von 
irgend etwas zu gelangen. 


6) Sie bezeichnen die Stufe, auf welcher ein 


Menſch oder ein Zeitalter in Anfehung feiner Kultur 


geftanden hat oder noch ſteht; wenn jemand die Ur⸗ 
ſache von jeder außerordentlihen Erfcheinung vers 
görtliche, fo ift dies ein Kennzeichen, daß bloß fein 
Verſtand rhärig iſt, und daß feine Bernunft noch 
nicht felbftchätig zu feyn begonnen bat. . 


7) Man muß jede Meinung in ihre Beſtand⸗ 
sheile zerlegen, ‚um zu erfahren, was zu derſelben bie 


eg — 
Veranlaſſung gegeben hat, und das Sofale, Natio⸗ 
| ‚nelle und Temporelle in ihr heraus ſuchen. . 


8) So ioll und thoͤricht eine : Meinung auch ſeyn 
mag, fo bat fie doch die Abſicht, etwas Wahres zu 
bezeichnen. Es ift daher jederzeit nöthig, den Urs 
fprung und die Veranlaffung einer Meinung aufzu⸗ 
ſuchen. Dieſes Nachforſchen muß zum Theil hiſto⸗ 
riſch, zum Theil vſychologiſch angeſtellt werden, weil 
die Veranlaſſung eine Geſchichtsſache, der Urſprung 

aber ein Gegenſtand der Pſychologie iſt. 


3) Geſchichte der Staaten. 
Durch eine folche Gefchichte will.man erfahren, 


welche Wege dieſe oder jene bürgerliche Gefellfhafe 


- eingefehlagen hat, um fih der einzig rechtlichen 
Staatsverfaſſung — der republifanifhen — zu 
nähern. Alle Staatsformen, alle Verfaſſungen, 
alle Veränderungen in einem Stagte, alle Theiluns 
gen der Staaten und Verbindungen berfelben, alle 
Kriege, kurz alles, was bie Menfchen in Bezug auf 
den Staat gethan haben, müffen als fo viele Ver⸗ 
fuche, das Problem zu löfen, welche Staatsverfaffung 
die vollfommenfte fey und als fo viele Beftrebungen, 
die Annäherung derfelben zu befchleunigen, angefehen  - 
werden. Iſt die Einführung einer ſolchen Verfaſ⸗ 
ſung auch nicht der Wille der Menſchen, beſonders 
aber nicht der Gewaltigen, ſo iſt es doch die Abſicht 
der Natur oder beſſer der Vorſehung, die alles ſo 
lenkt, daß endlich die Gerechtigkeit das. belebende 
Princip der Staaten wird. Wenn man alle Ereig⸗ 
niſſe in der Welt, und: alle Staatsbegebenheiten aus 


2 


J 
— 416 — 


bieſem Sch chtopunkee betrachter, fo bekommt das 
graͤßliche Schaufpiel, das die Staaten aufführen und 
das fonft in dem vernünftigen Zufchauer Verachtung 
feiner Gattung erregen müßte, einen Zweck, bem die 
Spielenden zwar nicht beabfichtigen, ber fich aber 
doch endlich felbft wider ihren Willen realifirt. Mies 
mand, fann daher die Staatengefehichte mit Vortheil 
und Intereſſe ſtudiren, fo lange er fich nicht die Auf- 


„ gabe gelöft hat, wie die Verfaffung befchaffen fenn 


müffe, welche das Recht Aller beſchuͤtzt, und welche 


mit der größten Freiheit die groͤßte Sicherheif verbin⸗ 
det. Der Ehrgeiz und die Herrſchſucht find die 


Teiebfedern der ewigen Kriege gemwefen, welche bis⸗ 
her Die Welt zerfleifcht Haben, und diefe jerftorenden 
geidenfchaften werden nicht eher, wenn auch nicht 
ausgerottet, doch unſchaͤdlich werden, als bis die 
Verfaſſungen aller Staaten den Charakter der Vers 


nuͤnftigkeit an fih tragen, und fi) alfo auf die Prin- 


eipien der Selbftftändigkeie, ber Freiheit und der 
Gleichheit bes Menfchen gründen. Iſt es nur ein» 
mal dahin gefommen, daß irgend ein Staat eine 


‚gerechte Verfaffung bat, fo wird ſich auth die An⸗ 


näherung des Zeitpunftes befchleunigen, mo Alle Dies 


- fes Vorzuges theilhaftig zu werden fuchen werben. 


Eine Gefchichte der Staaten hat, es alfo 1) mit 
den Verfaffungen der mancherlei Staaten, bie je 
eriftirg Haben und von denen wir Machrichten befigen, 
"und mit ihren Veränderungen, 

2) mit den Kriegen, die diefe Staaten geführt, 


‚und 


3) mie den Regenten, ie in. ihnen geherrſcht 
haben, zu thun. 


- ' ° “ 4 


BE 


4) Geſdichte ber anorganiſchen und c organ 
| niſchen Natur. | 
.  Diefe Gefchichte Hat die mancherlei Veraͤnde⸗ 
rungen aufzuzaͤhlen, welche die Natur und ihre Pro⸗ 
dukte erlitten haben. Man will, wiffen, wie ein Land 
oder eine Gegend dieſe Geſtalt, die fie jetzt hat, ers 
Balten, ob ſich ihre Fruchtbarkeit vermehrt oder vers \ 
mindert, ob fie nicht fonft Pflanzen und Thiere ns 
naͤhrt bat, welche man jeße nicht mehr in ihr anttift 
und welchen Umwandlungen die in denfelben noch vors 
handenen örganijchen. Produfte unterworfen geiefen. 
find, Wozu will man. aber alles diefes wiffen? Da 
ber Menſch Endzweck der Natur ift, und da alſo alles, 
was dußer ihm da ift, feinerhalben eriftire, fo will, 
man durch eine folhe Naturgeſchichte willen, ob alles 
noch fo gut zum Leben des Menfchen,- zu feiner Er⸗ 
haltung, zu feinem Wohlſeyn und zu feiner Vervoll⸗ 
fommnung eingerichtet ift, als es vorhero der Fall gewe⸗ 
ſen, oder ob alles vorhero dieſem Zwecke weniger ent⸗ 
ſprochen hat als wir es jetzt bemerken. Die Materialien 
zu einer ſolchen Gefchichte find zwar nicht zahlreich, 
allein wo eigentliche Geſchichtsdata nicht hinreichend 
find, Fönnen vielleicht Murhmaßurigen von dem, was 
ba ift, auf das, was geivefen ift, gewagt werden, um 
Doch einigermaßen die Wißbegierde bes Menfchen in 
biefer Hinſicht zu befriedigen und ber Abficht, in der 
ſolche Unterſuchungen angeftellt werden, Genuͤge zu 
leiften. Aus Analogie laͤßt ſich in Dingen „ bie von. 
Den noch vorhandenen boch nicht allzuſehr abgewichen 
ſeyn koͤnnen, vieles folgern, was als Beitrag zu ei⸗ 
ner Geſchichte der Natur angeſehen werden kann. 
Die Veraͤnderungen, die in der Natur ſtatt gefunden 


aunß zu denken. P d. 


\ 


geben y müßfen tbeils nach mechanifchen ‚ theils nach 
organifchen Prineipien ‚erfolge feyn, und da nun Die 
organifchen und anorganifchen, Produfte ſpecifiſch von 
einander verfchieden find, fo darf auch die Gefchichte 
‚beider nicht in einander gemiſcht, fondern jedes Nas 
tuereich muß in Ruͤckſſcht feiner Veränderungen beſon⸗ 


ders durchgegangen werden. 
E Beſqhreibuns des Menſchen und bes 
. Natur. 


Da die Beſchaffenheit der Art, wie der Mmenſch 

den Stoff zu ſeinem Nachdenken erhaͤlt, den Unter⸗ 

ſchied der Wiſſenſchaften in philoſophiſche und hiſtori⸗ 
ſche ausmacht, und da man den Zuſtand des Men⸗ 


ſchen und der Natur, und die Beſtandtheile beider 


nicht anders kennen lernen kann, als daß man den 
Stoff, der ſchon vorhanden und gegeben iſt, ſorgfaͤl⸗ 
fig aufſucht, zweckmaͤßig ordnet, das Verſchiedene 
trennt, und das Gleichartige verbindet, ſo gehoͤren 
Anatomie, Naturbeſchreibung, Geographie, Na- 
turlehre, Phyſiologie des menſchlichen Koͤrpers, der 
Thiere und der Pflanzengewaͤchſe u. ſ. w. in die Ge⸗ 
ſchichte. Wird hier auch nicht erzaͤhlt, was dieſe 
Dinge geweſen, ſondern was ſie noch ſind, ſo iſt doch 


I ihr Stoff kein Produkt der bloßen Selbſtthaͤtigkeit des 


Menſchen und gehoͤrt alſo nicht in die Philoſophie, 


ſondern er muß zuſammen geleſen und fo behandelt 


‚werben wie er vorhanden if. In der Phnfiologie uns 
ferfücht man, wie etwas wirft und: wozu diefe Wir⸗ 
kung da iſt, und in der eigentlichen Naturbeſchreibung 
J will man willen mas. da ift, mie es bejchaffen ift und 
in welchen Verbindungen daflefbe ſteht. Der teleo⸗ 








a — 


logiſchen Betrachtung uͤber die Natur und den Men⸗ | 


fchen muß die Kenntniß ihrer Beſtandtheile und der 
Wirkungen derfelben voraus Heben; denn man muß 
borhero willen, was die Gegenftände find und welche 
Erſcheinungen durch fie hervorgebracht werden, ehe 
man fragen kann, welchen Zweck biefe leßtern haben. 
Es iſt Daher noͤthig, daß man den Menſchen in Ans 
feines Körpers und bie Natur in Anſehung ihrer Ber 
ſchaffenheit und Produkte genau und gruͤndlich erforſcht, 
damit man ihnen weder «Eigenichaften andichte, die 


fie nicht haben, noch Zwecke beilege, die fie.niche rea⸗ 


liſtren koͤnnen; und die Natur und. der Menfch müffen 
beſchrieben und zergliedere werden, wenn man ihre 
Deftanbrpeile kennen lernen will, und ihre Wirkun⸗ 
gen muͤſſen fleißig und genau beobachtet und unter ein⸗ 
ander verglichen werden, wenn man zu einer Kenntniß 
von dem Zwecke ihres Dafeyns gelängen will, 


5, Phitotogiſche Wiffenfchafcen. 

Der Zweck des Studiums bet Dpilologie fin 
formeller Hinficht die Kultur der Denkkraft, in mas 
terieller aber die Kerintniß der Denfungsart und der 
Sitten, der Ereigniffe und der Staaten, der Glau⸗ 


. bensarten und der Philoſophie, der Gebräuche und 


der Geſetze u. ſ. w. der alten Welt: denn ohne Kennt⸗ 


niß der altenSprachen kann man dieſe Gegenſtaͤnde nicht 


gruͤndlich kennen lernen, Die Bedeutung der Worte 


und der Redensarten, der Bau dieſer Spräaden und - 


die mancherlei Kenntniſſe, welche zum Verſtehen eis 
nes Schriftſtellers der alten Welt nothwendig ſind, 
ſind lauter geſchichtliche Gegenſtaͤnde und muͤſſen als 


‚ein vorhandener Stoff, der nicht willtuͤhrlich veraͤn⸗ 


oa — 


* 
- — — — — — — — 





dert werden kann, angeſehen werden Was fih durch 


richtige Interpretation d. h. durch gruͤndliche Einſicht 


in die Bedeutung der Worte, in den Zuſammenhang | 
der Gedanken, in die Geſchichte und Geographie er⸗ 


giebt, iſt philologiſch wahr. Die Sprachen muͤſſen 
gaͤnzlich als Stoffe bes hiſtoriſchen Wiſſens behandelt 


werden, und man darf nicht willkuͤhrlich einen Sinn 
in eine Stelle hineinlegen, der nicht durch ben genauen 
Worteverſtand gerechrfertige werden Bann und die 
Huͤlfsmittel, welche das Verſtehen der in derſelben vors 
getragenen Dinge befördern, muͤſſen theils aug der ei⸗ 
gentlichen Gefchichte, cheils ausder Kenntniß der Natut 
des menfchlichen Geiftes hergeholt werben. Die Res 


geln einer alten Sprache müffen daher auch Durch die 
Gefchichte fennen gelernt werden, und wenn fie fid 


auch auf die Naturgeſetze der menfchlichen Denfmweife 


zurückführen laffen, ſo dürfen fie doch als Mes 


geln einer. befondern Sprache nicht bloß auf jene ge; 


bauer werden, und man darf die alten Schriftfteller 
weder  weifer noch. unwiſſender machen als fie find, 
wenn man nicht das Gebiet, das man bearbeitet, 
gänzlich verfennen will. Will man die alte Welt durch 


das Studium ihrer eigenen Schriftſteller kennen ler⸗ 


nen, ſo iſt erforderlich: 


1) Grammatikd.i. Betanntſchaft n mit der ort 
bedeutung, Einſicht in die Medetheile, in die Ver— 
bindung derſelben, in den Bau einer Sprache und in 
ihre Dialekte u. ſ. w. | 


29) Hermeneutik d. i die Wiſſenſchaft und Kunft, 
einen Schriftfteller nach den grammatifchen, logifchen 


| (formen) und materiellen Regeln zu erklaͤren. 


\ 


N 
* 








- 42 - 


3) Kritik d. i. Prüfung der Aechtheit einer Les⸗ 
art, entweder ihrem Wortverſtande oder ihrem Sach⸗ 
inhalte nach. 


4) Geographie d. 5 Kenntniß der alten Belt in 


polisifcher,, mathematifcher und phyſikaliſcher Hinſicht. 


5) Geſchichte der Staaten, der Voͤlker, der 
zeiten , der Münzen u. mw. 


6) Antiquitäten d. h. Geſchichte der Menſchen E 


in Anſehung ihrer Sitten, Gebraͤuche, Denkungsart, 
Geſetze, Staatsformen, religioͤſen Ceremonien u. ſ. w. 


7) Mythologie d. h. die Kenntniß der Verhaͤlt⸗ 
niſſe, in welchen man ſich die Gottheiten zu den Men⸗, 


ſchen und derWelt gedacht hat. 


8) Literaturgeſchichte d. h. bie Geſchichee der | 


| Gelehrten, ihrer Bücher und der gelebrren Anſtalten. 


9) Archaͤologie d. h. die Keunniß ber Kunſt⸗ 
_ denkmaͤler der alten Welt. 


10) Naturgeſchichte. 
1 11) Narurbeſchreibung und 
—* Philoſophie. 


Die uͤbrigen hiſtoriſchen Wiſſenſchaften Brauchen | 


hier nicht befonders angeführt zu werden: benn man 


darf fich nur erinnern," welcher Quelle fie ihr Dafeym . 


verdanken und zu welchem Zwecke fie bearbeiter wers 


den, um richtig über fie urtheilen zu fernen. Die Re⸗ 


n‘* 


— ——— 422 or '. 


geln, die man bei allem geſchichtlichen rZorſchen und 
beim Ureheilen über gefchichtiiche Gegenſtaͤnde beobache 
‚ten muß, find folgende: 


1) Die Quelle aus der etwas entſtanden iſt, 
muß ſorgfaͤltig aufgeſucht werden ⸗ 


2) Die Denkmaͤler, die von etwas Nachricht 
liefern / find' nach allen Regeln der Srammatif, Der 
dogik und der materiellen Wiffenfchaften, auszulegen, 


3) Jeder Schriftſteller muß aus fich und aus der 
Denkungsart feineg Zeitalters erklärt iyerden, 


Zu 9 Das Emäptte muß rein aufgefaßt, zweckmaͤ⸗ 
fig geordnet und zu einem veetänblichen Ganzen bear⸗ 
heitet werden. 


5) Jede Muthmaßung, die 2% nice auf bie 
Analogie von etwas Andern. gender, iſt fo viel alg 
wielch zu vermeiden. 


6) Alle Geſchichtsſtoffe, in fo ferne fie fich ber 
„ Art nad) von einander unterfcheiden, müffen ans dem 
Geſichtspunkte betrachtet werben den ihre weiten 
fenheit an die Hand giebt. 


7) Die Geſchichte darf nicht mit der Philoſo⸗ 
phie uͤnd dieſe nicht mit jener vermiſcht, ſondern jede 
wuß beſonders betrachtet und unterſucht werden. 


8) Sind wunderbare Ereigniſſe hiſtoriſch bewies 
ten, v h enthält die Begebenheit keinen Widerſpruch 
in ihrem Degrifſe und verdient der Zeuge⸗ der. fie 


\ 


a 


„MER TE Bun Ki A ._ 3. . 


43 — 
| auffzat, vermoͤge ſeiner Aufrichtigkeit und Kennenife " 
Glauben, fo dürfen fie nicht weggeleugnet und alfo u 
weder wegeregefirt noch wegphilofophirt, fondern pfys 
chologiſch d. h. aus der Denkungsart bes Zeitalters . 
- und alfo dem Kulturzuſtande einer Nation erklaͤrt wer⸗ 
den: denn ift auch etwas für ung weder wahr noch 
glaublich, fo hat es doch ein ander Zeitalter als wahr ⸗ 
und glaublich angenommen. Und wollen wir nicht 
eben gerade durch die Gefchichte erfahren, was por 
. ung gefhehen, gebacht, erfanns und geglaubt. wor  - 
ben iſt? 
9) Wir müffen nichts für geſchichtlich wahr TE 
erkennen, wovon es feinen gefhichtlichen Beweis giebt. — 


10) Hat das Geſchichtliche zugleich den Cha⸗ 
rakter des Poſitiven, ſo muß das poſitiv Rechtliche 
und poſitiv Religioͤſe eben ſo gut buchſtaͤblich genom⸗ 
men und nach dem Wortverſtande und Sachinhalte 
erklärt werden, wie jeber andere Gefhichtsgegeuftand. 


11) Das Kriterium des pofitio Wahren, Mo⸗ 
raliſchen und Rechtlichen iſt 1) daß ſich eine 
Sache nicht widerſpricht. 2) Daß ſie beglaubigt iſt j 
und 3) daß fie von einem hoͤhern Geſetzgeber fuͤre 
wahr, gut und rechtlich erklaͤrt worden iſt. | 


13) Die Kriterien des abſolut Wahren, Gu⸗ 
ten und Mechtlichen hingegen liefere die Philofophie, - 
“ welche jebe Wiſſenſchaft „ fo bald es auf dieſe drei 
Ohjekte als abſolute Wahrheit antommt, als gültie 
gen Richter a anerkennen muß. 








XXIX. Kapitel. 
Biemuß man verfahren und welde Regeln 
und Marimen muß man beobadten, wenn 
man in den fhönen Kuͤnſten richtig ur 
Deren will? 





% 


Ess ziebe zwar eine Kritik der ſchoͤnen Kuͤnſte, aber 
keine Wiſſenſchaft derſelben , denn das Schöne iſt et⸗ 
was, das gefaͤllt, und die Vorſtellung deſſelben wird 
nicht auf das Objekt zum erkennen deſſelben, ſondern 
auf das Subjekt bezogen , um zu erfahren, in wel—⸗ 


chem Verhaͤltniſſe ein Gegenſtand zum freien Res 


flexionsvermoͤgen des Menſchen und alſo zum Ge— 
ſchmacke ſteht. Man will keinesweges durch eine ſol⸗ 
de Beziehung feine Einficht über den Gegenſtand ver; 
mehren, fondern benfelßen bloß in ſeinem Verhaͤlt⸗ 
niſſe zum Gefuͤhlsvermoͤgen und zwar in der bloßen 
Reflexion uͤber denſelben betrachten. Eine ſchoͤne 
Kunſt iſt die Geſchicklichkeit, etwas einer Idee gemaͤß, 

welche als die Urſache deſſelben anzuſehen iſt, hervor⸗ 
zubringen, was ein Wohlgefallen im Menſchen er⸗ 
regt, welches durch die bloße Beurtheilung entſteht. 


Das Hervorgebrachte iſt ein Kunſtwerk, zu deſſen 


Hervorbringung Genie, zu ſeiner Beurtheilung aber 
Geſchmack erfordert wird. Jenes charakterifirt ſich 
durch Originalitaͤt ber Ideen, durch Reichthum und 
Geiſtigkeit der Gedanken, durch Erfindung in der 
Anlage und Durchfuͤhrung des Ganzen und durch Leich⸗ 
tigkeit im Begreifen deſſelben; dieſer durch die Erre⸗ 
gung des Gefühls des Schonen und d Erhabenen und 





! 


ya 428 — ⸗ . 


durch Hinwegſchaffung alles desjenigen, was dieſe 
Gefuͤhle vernichten oder ſtoͤren koͤnnte. Jenes iſt die 


ſchoͤpferiſche Kraft der Natur, dieſer der Bildner der ⸗· 


ſelben; jenes ſchaft neue Formen und Geſtalten, die- 
fer ereheile ihnen die Eigenfchaft, durch die bloße Be⸗ 
frachtung berfelben i in dem Zuſchauer ein Wohlgefallen 

zu erregen. 


Alle ſchoͤnen Kuͤnſte haben bi die Erregung des 
Wohlgefallens durch Darſtellung von Ideen zur Ab⸗ 
ſicht und die verſchiedenen Arten, wie der Menſch 
Ideen ausdrücken kann, geben auch verfchiedene Ar⸗ 
ten von [chönen Künften. Er fann feine Ideen ent⸗ 
weder durch Begriffe oder durch Anfchauungen oder - 
dur) Empfindungen’ äußern und darftellen, und es 
giebt alfo vedende und bildende ſchoͤne Kuͤnſte und die 
Kuͤnſte des fehönen Spiels der Empfindungen. Die, 
rebenben ſchoͤnen Kuͤnſte druͤcken Ideen durch Worte 
aus und erwecken dadurch Anſchauungen fuͤr dieſe 
Ideen in der bloßen Einbildungskraft; die bildenden 
druͤcken Ideen durch die Sinne.in den Anſchauungen 
aus und die Kunſt des ſchoͤnen Spiels der Empfindun⸗ 
gen iſt die Geſchicklichkeit, Empfindungen durch Aus - 


Bere Eindrüce zu bewirken, welche in bem Menfchen 


ein Woblgefallen durch ihr kuͤnſtliches aber ſchonet 
Spiel erwecken. 


Die Negen, die man bei Beurtheilung aller 
Kunſtwerke beobachten muß, Find folgende: 


1) Jedes Kunftwerf muß einen Zweck haben, 
zu defien Realiſirung daſſelbe hervorgebracht iſt und 
auf ben ſich alles Mannigfaltige deſſelben ab quf eine 
Einheit bezieht. | 


! u u _ 
um 50000 
HT Tg muß ein 
XXIX. Kapis weber dag Gefisf | 

Biemuß man verfahren „„ Einbildungskraft in 
und Marimen muß me mit dem Verftande oder 
man in den ſchoͤne „n.durcd) die Ohnmacht de 
thei WW; Belebung von Vernunft | 

„4 ‚fervorbringen. 


| + thle des Schönen und Erhabenen 
S nn ee. ' —* verfchiedenen Arten von Wohl 
was, das „‚oenen die untergeprdneten Arten z. 2. 
ai ih auf „Z ‚218 Komijche, das Surchtbare, Scrt 
auf dar ; 13 X yerwandt find, 
chem Z ts, was In einem fchönen Kunſtwerke vorı 
fer, at 2 muß angeſehen werden koͤnnen, als bu 
f MM 1 es bloß das Wohlgefallen, obgleich noch meh: 
Nebenabſichten 5. DB. das Belehren, Beſſern 
2. j w. Dadurch erreicht werden können, Das Beleh⸗ 
ren und. Beſſern ift jederzeit etwas zufälliges und kann 
such fehlen, ob gleich demohngeachtet ein Kunftwerf 
ein, ſchoͤnes Kunftwert feyn fann, 
5) Ales, was ein Kunſtwerk ſeyn fol, muß ſich 
als ein Produkt des Genies durch Originalität in den 
Ideen und in der Erfindung, durch Mufterhaftigkeit in 
der Ausführung und durch Geifigfeit in ben Begriffen 
begrfunden. 
6) Daſſelbe muß auch die Forderungen des Ge⸗ 
ſchmacks befriedigen, d.h. es muß in bet bloßen Be 
urtheilung gefallen. 
7) Es muß, fic} leicht begreifen laffen und doch 
dem Leſer, Zuſchauer oder Zuhoͤret vieles zu denken 
geben. | J 











—W 


— 425 — — 


durch Hinwegſchaffung alles desjenigen, was diefe 
Gefuͤhle verrichten oder lören fünnte. Jenes iſt die 
fchöpferifche Kraft der Natur, ‚diefer der Bildner dere 


felben; jenes fchaft neue Formen und Geſtalten, die- 
fer ertheile ihnen die Eigenfchaft, durch die bloße Be⸗ 
trachtung derſelben in dem Zufchauer ein Wohlgefallen 
zu erregen. 


Alle ſchoͤnen Kuͤnſte haben bi die Erregung des 


Wohlgefallens durch Darftellung von Ideen zur Abs 


ſicht und die verfthiedenen Arten, wie der Menfch 


Ideen ausdrücden kann, geben auch verfchiedene Ar⸗ 


ten von fchönen Künften. Er kann feine Ideen ent⸗ 


weder durch Begriffe oder durch Anſchauungen oder - 


duch Empfindungen’ äußern und barftellen, und es 
giebt alfo redende und bildende ſchoͤne Kuͤnſte und die 


Küuͤnſte des ſchoͤnen Spiels der Einpfindungen. Die, 


vebenden fehönen Künfte drücken been durch Worte 


aus und erwecken dadurch Anfchauungen für biefe, 


‚Ideen in ber bloßen Einbilbungsfraftz die bildenden 


drücken Ideen durch die Sinne. in den Anfchauungen 
aus und die Kunft des ſchoͤnen Spiels der Empfinduns 


gen if die Geſchicklichkeit, Empfindungen durch äu= - 


Bere Eindrüde zu bewirken, welche in bem Menfchen 
“ein Woblgefallen durch ihr Kunftihes aber ſchones 
Spiel erwecken. 


Die Regeln, die man Sei eurtheilung aller 


Kunſtwerke beobachten muß, find folgende: 


1) Jedes Kunſtwerk muß einen Zweck haben, 
ju deffen Realiſirung daſſelbe hervorgebracht iſt und 


auf den ſich alles Mannigfoltige deſſelben al auf eine 


Einheit bezieht. 








— 


— 


J 
„x 


16 — | 
3) Die Realifirung dieſes Zweckes muß ein 


Wohlgefallen erregen und alſo entweder das Gefuͤhl 


des Schönen durch das Spiel der Einbildungskraft in 
ihrer freien Uebereinſtimmung mit dem Verſtande oder 
das Gefüuͤhl des Ergabenen. durch die Ohnmacht der 
Einbildungskraft und bie Belebung von Vernunft 


ideen als einer Macht hervorbringen. 


3) Die Gefuͤhle des Schoͤnen und Erhabenen 
ſind die beiden ſpezifiſch verſchiedenen Arten von Wohl⸗ 
gefallen, mit denen die untergeordneten Arten z. B. 
das Naive, das Komiſche, das Furchtbare, Sonde 


liche un. ſ. w. verwande fi nd. 


4) Alles, was in einem ſchoͤnen Kunſtwerke 0084 


handen ift, muß angefehen werden können, als bes 


zwecke es bloß das Wohlgefallen, obgleich noch meh⸗ 
tere Nebenabfichten. z. B. das Belehren, Beſſern 
u. ſ. w. dadurch erreicht werden koͤnnen. Das Beleh⸗ 
ren und Beſſern iſt jederzeit etwas zufaͤlliges und kann 


auch fehlen, ob gleich demohngeachtet ein Kunſtwerk 


eig, ſchoͤnes Kunſtwerk ſeyn kann. 
5) Alles, wos ein Kunſtwerk ſeyn ſoll, muß ſich 


als ein Produkt des Genies durch Originalitaͤt in den 


Ideen und in der Erfindung, durch Muſterhaftigkeit in 
der Ausführung und durch Geiſtigkeit in ven Degeiffen 


| begrfunden. 


6) Daſſelbe muß auch die Forderungen des Ge⸗ 
ſchmacks befriedigen, d. h. es muß in det bloßen Ber 


urtheilung gefallen. 


7) Es muß fi leicht begreifen laſſen und doch 
dem Leſer, Zuſchauer oder Zuboͤret vieles zu denken 
geben. | | N 











; 


ren 

8) Die ſchoͤne Kunſt iſt keine Natchehmung der 
Natur, ſondern ſie iſt der Ausdruck von Ideen, wel⸗ 
(he die Einbildungsfraft Darzuftellen hat, mag dies 


nun durch Worte, Gebehrdung ober Töne geſchehen. 


0) Ein fchönes Kunſtwerk fon zwar ein Intereſſe, 
aber nicht an ſeinem Beſitze, ſondern an der Vorſtel⸗ 
"kung Jeiner Exiſtenz erwecken, und fein Kunſtwerk 
darf ein doppeltes Intereſſe erregen, weil ſonſt alles 
Wohlgefallen vernichtet wird, indem es daſſelbe theilt. 


10) Jedes Kunſtwerk muß individuell ſeyn und“ 
jeber Künftier muß indivibualificen. N | 


A. Redende fohöne Kunſte. 


Wenn jemand Ideen durch Worte ausdruͤckt und 
dadurch Anſchauungen fuͤr dieſelben in der bloßen Ein⸗ 
bildungskraft erregt, ſo wirken dabei zwei Vermoͤgen, 
der Verſtand und die Einbildungskraft. Es giebt 
daher blos zwei Arten von redenden Kuͤnſten, welche 
dadurch entſtehen, daß Eines von dieſen beiden Ver⸗ 
moͤgen die Oberhand uͤber das Andere hat. Wird 
der Verſtand als Herrſcher anerfannt und wird etwas 
als fein Geſchaͤft durch Worte betrieben, als wäre es 
. ein freies Spiel der Einbifdungsfraft, fo heißt dieſe 
fhöne Kunft, Beredſamkeit; wendet mar ſich 
hingegen vorzüglich an die Einbildungsfraft und be= 
treibt man ein freies Spiel derfelben durch Worse auf 
die Art, als wäre es ein Gefchäft des Verftandes „ſo 
nennt man dieſe ſchoͤne Kunſt, die Dichtkunſt. 
Die Poeſie und die Beredſamkeit untetſcheiden ſich 
alſo dadurch von einander, daß jene ein unterhalten⸗ 


2 
—3 ‘ . 
. 


— 18 — 


des Epiel mie Ideen für die Einbildungsfraft ankuͤn⸗ 
digt und dem Verſtande dach vieles zu denken giebt, 


dieſe hingegen mie einem Geſchaͤfte für den Berftand 


auftritt und es doch bfoß als ein Spiel mit Ideen für 
die Einbildungsfraft betreibt. 


| Unter ben rebenben Kuͤnſten behauptet bie Dichts 
kunſt den höchften Rang, weil fie troß der Ankuͤndi⸗ 
aung eines Spieles mit Ideen für die Einbildungss 
kraft doch dem Berftande viele Materialien zum den 
Ben verfchaft. Es giebt eben fo viefe Dichtarten, als 
man durch die Darftellung von Ideen in Worten Ges 
füpfe erregen Bann. Die eine Art hat die Erweckung 
des Naiven, eine andere die Erregung des Furchtba- 
ren, eine dritte das Komifche u. f. m. zur Abſicht. 
Der Trauerfpieldichter bat einen andern Zweck als der 
Suftfpieldichter, der Romanendichter ftrebt nach einem 
andern Ziele als der Lyriker, und fo hat jede Dichtart 
ihre bejondere Abſicht, „nach weicher der Werth jedes 
in derfelben zum Vorſchein kommenden Kunſtwerkes 
beurtheilt werden muß. Der Luſtſpieldichter will das 
“ Gefühl bes Komifchen rege machen; mag fein Stoff 
ſeyn, welcher er will," fo muß doc) feine Bearbeitung 
auf.die Ausführung jener Abſicht angelegt feyn; je 
beſſer er nun diefe erreicht, defto größer ift fein Werth 
als Künftler. Allein nicht jeder Stoff taugt zu jeber 
Dichtart; fo werden Unmoralitdten und Verbrechen 
nie Lachen, obſchon Abſcheu erregen. Daher geben 
fie wohl Stoffe zum Trauerfpiele, aber nicht zum Luſt⸗ 


- fpiele ab. Das Ehrwürdige ift fein Gegenftand ber 


Satyre ‚ 0b es gleich Materialien zu einem Liede ober 
au einer Ode Kiefern konn und niemand Birk bie There 





Seiten und Xusfhmeifungen des bürgerlichen Lebens u 
> zum Gegenſtand einer Idylle fir paffenb zu halten. 


Wenn man weiß, welches Gefühl eine jede Dichtart 


erwecken fol, ‚fo läßt ſich auch leicht beftimmen, in . 


welche Klaife ein Kunſtwerk gehoͤrt. Die Mittel aber 
einen vorgeſtellten Zweck zu erreichen, ſind in den ſchoͤ⸗ 
nen Kuͤnſten zahlreich und mannichfaltig und je unge⸗ 
woͤhnlicher und kuͤhner die Bahn iſt, die jemand zur 
Erreichung feiner Abſicht gegangen iſt, deftb groͤßer 
'iſt der dichteriſche Werth feiner Arbeit. Für den 
Kunſtrichter ift es Daher Pflicht, den Weg zu unter⸗ 


ſuchen, auf dem ein Dichter zu ſeinem Ziele gelangt 
iſt: dieſe Unterſuchung erfordert aber viele Menſchen⸗ 


kenntniß, um ſo gleich beurtheilen zu koͤnnen, in wel⸗ 


chem Verhaͤltniſſe ein Mittel zum Zwecke ſteht, welche 


Wirkung es in Bezug auf das Ganze hervorbringt, 


ob es nothwendig oder blos zufaͤllig und alſo unnuͤtz 


iſt, ob es theils die Anſchaulichkeit, theils die Schoͤn⸗ 
hlit befördert, theils die Geiſtigkeit des Ganzen 
vermehrt. 

Da nun alle ſchonen Kuͤnſte den Zweck Wohl⸗ 
gefallen zu erregen, haben, fo muß Dies auch die Abs 
ſicht der redenden Kuͤnſte ſeyn. Es kommt alſo nun 


darauf an, zu beſtimmen, welche Arten von Wohl⸗ 
gefallen die verſchiedenen Dichtarten und bie Beredt⸗ 
ſamkeit zu erregen die Abficht haben, um im Stand 


zu, ſeyn, den Werth eines jeden Kunſtwerkes zu be⸗ 


flimmen. Da der Menſch drei Hauptanlagen hat, 


welche drei verfchiedene Arten von Stoffen, welche 


dichteriſch bearbeitet werben koͤnnen, liefern, fo fanıt _ 
es auch nur drei weſentlich verfchiedene Dichtarten ge⸗ 


ben; man will entweder Die Probufse der Denkkraft 


! 


. - j 433 — | r L 

hingegen verſchmaͤht daffelbe eine mehr als die Lyri⸗ 
fhe, welche blos durch die Aufftellung einer ſchoͤnen 
Form ein äftherifches Wohlgefallen eeregen will. 


Weiche Marimen muß nıan aber befolgen, ment 
man uͤber ein Dichterwerf urebeilen will? 
1) Es ift noͤthig, daß man unterfucht, in wel: 
che Dichtart ein Kunſtwerk gehören fol, 


| 2) Nunmehto muß man fi belehren , welchen 
Zweck dieſe Dichtart hat. 


3) Es muß forgfältig .nachgefplire werben, ob 
ein Kunſtwerck diefen Zweck erreicht und. wie es ihn ers 
reicht oder ob es ihn verfehlt und warum es ihn ver⸗ 


„. fehlt hat. 


4) Die ganze Anlage beſelben muß baher ge⸗ 
nau ſtudirt und alle einzelne Theile muͤſſen zergliedert 
und ihr Verhaͤltniß unter einander und zum Ganzen 
ergruͤndet werden. 

5) Man muß daſſelbe nicht als einen Gegen 
ftand des bloßen Erkennens behandeln, fondern die 
Vorftellung von dem Einzelnen und dem Ganzen im: 
mer im Verhaͤltniſſe zu ſeinem Gemuthet in Betracht 
ziehen, 

6) Dan muß in einen Gedichte bie Form vor 

ber Materie unterfcheiben und den Werth beider uns 
terſuchen. 

7) Der aͤſthetiſche Werth eines Gedichts liegt 
in der Behandlung eines Gegenſtandes, nicht in ſei⸗ 
wem Inhalte, der wohl vergnügen aber nicht gefals 
len Sann. 





ander eingteife und ſich wechſelweiſe unterſtuͤtze; ob 
er nicht Epifoden einſchalte, Die nicht zur Sache ges 


hören und bie die Bollfommenheit des Ganzen flören; 
ober für irgend eine Perfon ein befonderes Intereſſe 
zu erregen geſucht oder ob er biefes Intereſſe ges 
theilt und auf welche Art und Weiſe er. alles fo geords 


net und dargeſtellt habe, baß der obige Satz einleuch⸗ 


tend wurde und ſeine Anſchaulichmachung in dieſer 


Dichtung gerade dieſes und kein anderes Gefuͤhl er⸗ 


regte? Warum erwekte die Lektuͤre dieſer Geſchichte 
nicht das Gefuͤhl des Erhabenen oder des Laͤcherlichen 
und wie haͤtte alles eingerichtet ſeyn muͤſſen, wenn es 


eine von dieſen beiden Arten von Gefuͤhlen baͤtte her⸗ 
verbringen folen? 


„Wir muͤſſen jebes dichteriſche Kunſtwerk ganz 
durchgeleſen haben, ehe wir eine Zergliederung ſowohl 
ſeinem Inhalte als ſeiner Form nach anſtellen koͤnnen: 
denn wir koͤnnen ſeinen Werth bloß nach dem Total⸗ 
eindrucke beſtimmen, den daſſelbe auf uns macht. 
Die Form in einem ſolchen Werke macht eigentlich das 


Aeſthetiſche aus und ſie beſteht in der Verbindung und. 
Anordnung des. Einzelnen zu einem Ganzen und er⸗ 
regt allein Wohlgefallen oder Mißfallen. Sein Ins 


halt ift etwas, das nicht in. das Gebiet des Aeſtheti⸗ 
fihen gehört, er ift eine Zuthat, die angenehme, rei⸗ 
zende oder möralifche Gefühle erweckt, und er kann 


ſehr einfach und unbedeutend feyn, wenn nur die Form, J 
in die er eingekleidet, und die Art, wie er bearbeitet iſt, 


dichteriſchen Werth hat. Keine Dichtart miſcht ſoviel 


von dieſem Reizenden bei als die erzaͤhlende, welche 
vager auth mehr durch den Stoff vu intereffiren ſuchtz 


— 44 — N 
gliederung, wenn man wiſſen will, ob fie wahre Kunſt⸗ 
werfe ſeyn. Reichthum an Ideen, Anſchaulichkeit 
in der Darſtellung der Begriffe, neue Wendungen 
in den Gedanken, kuͤhne Anſichten über den zu behan⸗ 
beinden Gegenfiand, geiftreiche Bemerkungen, Ges 
dankenfuͤlle, Beredheit, ein fchöner und gebildeter 
. Vortrag, ein ‚beflimmter Zweck, Benußung aller 
einzelnen Dinge zur Deutlichmachung bes Ganzen und 
zur Erregung eines Intereſſes für.daffelbe u. ſ. w. find 
Erforderniffe, die man bei der Beurtheilung einer 
Dede nicht uberfehen darf. Jede Rede will entweder 
" belehren oder zu einem Entfchluffe bewegen; auf dieſe 
beiden Zwecke muß alles angelegt betrachter werden, 
und aus ihrer Verſchiedenheit ergiebt ſich auch eine 
Verſchiedenheit der Marimen, die man bei feiner Kri⸗ 
tikß uͤber ein ſolches Kunftwerf beobachten muß. Frei⸗ 
lich iſt es noͤthig, daß man weiß, wie auf ben Vers 
ſtand und wie auf den Willen aͤſthetiſch gewirkt wer⸗ 
den kann und beides muß man aus einem ſorgfaͤltigen 
Studium der Pfucholögie lernen. | 


B. Bildende ſchoͤne Kuͤnſte. 
Dieſe Art von fehönen Künften ſtellt Gegenfläns 
de Ideen gemäß in der Anfchauung und zwar im Rau 
me dar und hät es entweder mie der Sinnenwahr- 
heit sber mir dem Sinnenfcheing zu hun, je 
* nachdem die Darftellung mit dem darzuftellenden Ge 
“ genflande ganz übereinftimme oder nicht; im leßtern 
Falle aber den Sinn doch fo täufcht, daß er den Ges 
‚genftand für wirklich und der Wahrheit gemäß dar⸗ 
.. geftelle hält. Die ehfte Arc der bildenden Künfte heißt 
die Plaſtik, die andere die e Maplerei 


. \ 





. — 438 . — 
Bi Plaſtit begreiftt | 
1) die Baufunft, und 
J 2) die, Bildhauerkunſt 


in ſich, in welchen. ven die Darfelung dm ar u 


genftande entfpricht: 
Die Mablerei bar es mit ber ſchönen Safe 


lung des Menſchen, mit /der ſchoͤnen Schilderung der 


Natur, und mit der ſchoͤnen Zuſammenſtellung ihrer | 


Produkte ju thun. Die beiden Erſtern machen bie 


eigentliche Mablerei aus, bie Letztere aber die Luſt⸗ j 
gärtnerei. Beide ftellen Ideen in der Anſchauung 
dar und befriedigen dadurch die Sinne fo ſehr, daß 


fie den Schein der Dinge für Wirklichkeit halten. 


Jede von dieſen Künften hat ihre beſondere Re⸗ 
geln, die man bei ihrer Beurtheilung nicht aus den 


Augen verliehren darf. Die Hauptmärimen bei einer 


ſolchen Beurtheilung find, Daß man 
1) ihren Zweck, nn 
3) ihre Wahrheit und 
3) ihre Schoͤnheit, unterſucht. 


IN 


Die Kinfte bes ſchoͤnen Spiels vu 


Empfindungen \ 


Diefe Künfte wollen durch aͤußere Eindruͤcke Ge⸗ 
fuͤhlei in uns erwecken und dieſe Einbruͤcke fi nd entives 


‚ber Töne oder Farben, Dies giebt alfe zwei Arten > 
von folchen Kinften, die Mufit und bie Farben. 


. Fünf Beide exregen ein aͤſthetiſches wear 
| Era u 


V 


⸗⸗ 


Die ie Schönfei der Muſik aͤber oſehhe nicht in ihren 


Inhalte, fondern in der Art und Weiſe, wie fie die 
Gefühle erregt und alfe in ihrer Form, weiche allein 
vor das Zorum des Geſchmacks gehört, da hingegen 


ihr Juhalt blos den Sinnenreiz befriedigt. Die Mu⸗ 


ſick ift eine Darftellung von Ideen durch Töne in der 
Zeit und fie. giebt, fo bald man von ihrem Inhalte 


d. h. von dem angenehmen Klange und dem lieblichen 
und bloß auf die Verbindung der Töne und alfo auf 


viel als die Dichtkunft) doch nicht wenig zu denken, und 
wird fie fters als ſchoͤne Kunſt beurtheile, fo träge ihr Lim: 


.. gang und die Befchäftigung mit derſelben eben fo viel 


zur‘ Ausbildung des Geſchmacks als zur Kultur der Hu: 
manität bei, weil fie Die wilden Leidenſchaften bandigr, 
die Vernunft von der Knechtſchaft befreiet, in ber fie 


‘ber unbändige Hang nad) der Befriedigung eigennüßie 


ger Triebe gefeflelt haͤt. Allein, wenn fie blos ‚zu 


- einem Spiel angenehmer Empfindungen herab gewuͤr⸗ 


digt und unter die Künfte des Luxus geworfen wird, 
wie dies jeße fehr häufig der Fall ift, wo faft nur ihr 
Mißbrauch fichtbar wird, fo verliehre fie eben fo fehr 
von ihrem Einfluffe als von ihrem Werthe und ſteht 
mit jedem andern Genußmittel auf einer gleichen Stu⸗ 
fe des Ranges. 

Das Vermögen, das Schöne, und Wahre in 
der Natur und in der Kunft zu beurtheilen ift der Ge⸗ 
ſchmack, allein da diefer wie jede andere Anlage des 
Menfchen fo fange fie nicht ausgebilder ift, theils truͤg⸗ 


lich, theils ungeſchlachtet iſt, ſo muß er vervollkomm⸗ 
net werden. Vollkommenheit erlangt er dadurch, daß 


* 


Eindrüucke, den dieſer auf die Sinne macht, abſtrahirt, 


die Compofision fieht, dem Verftand (freilich niche fo 








7 


— 47.- 


\ - * 


er fleißig geuͤbt Wird; ; ‚allein woran kann man ih 


üben? So lange er weder Fertigkeit noͤch Feſtigkeit 

im Beurtheilen erreiche hat, würde es gefährlich ſeyi, 
ihn an jedem auch häßlichen und. gefchmaflofen Ge-⸗ 
genftande zu.üben, weil er dadurch vielleicht zeitlebens 
‚verwöhnt werden würde. ‚Seine Thätigfeit offenbart 
ſich durch Gefühle und da dieſe fich nicht auf beftimms 
te Begriffen zurückbringen und als folche dnech den 
Verſtand berichtigen laffen, fo muß man ſehr vorſich⸗ 
tig in ſeiner Kultur verfahren: denn in Anſehung des 
Gefuͤhles gewoͤhnt ſich der Menſch durch einen laͤngern 
Umgang an das Unnasürlichfte und Vernunftwidrig⸗ 


fte. Der Geſchmack muß ſich daher an Gegenftän«- . 


Den verſuchen, die fuͤr ſchoͤn gelten und die die Feuer⸗ 
“probe der Zeit ausgehalten haben, und was dieſe Pruͤ⸗ 
fung beftanden hat, das ift ein Mufter des Geſchmacks. 
Dies find Werke, welche fich durch Originalität der 
Ideen, Reichthum und Geiftigkeit, Anſchaulichkeit 
und Individualitaͤt der Begriffe und Schoͤnheit der 
Darſtellung aus zeichnen. Alſo Werke, die Produkte 
des Genies und des Geſchmacks ſind, vertreten die 
Stelle von Muſtern und an ſolchen muß man feinen 
Geſchmack üben und ausbilyen, wenn man als Kunfk 
richter auftreten will, DasMatürliche in einem Kunſt⸗ 
werke erweckt das Gefühl für das Natuͤrliche in uns 
und die Erhabenheit und Schönheit an Gegenftänden 
außer uns noͤthigt unfern Geiſt, ſich zu verfuchen, um 
fich Empfänglichkeie für das Schöne und Erhabene 
in der Natur und in der Kunft zu erwerben und feine 
Anlage su der Beurtheilyng deffelben auszubilden. 

Dig beiten und untruͤglichſten Mufter der Geſchmacks⸗⸗ 
übung in den vedenden Künften find die Schriften 


Ann 2 





— 438. 


der Griechen und Römer, weil ihre Sprachen feis 
. ner Umwandelung mehr ausgefeßt find. Allein wern mar 
von der letztern hinwegſieht, fo kann man auch mehs 
were neuere Schriftſteller als Mufter des Gefchmads 
anfeben. Dergleihen find Wieland, Goͤthe, 
Klopſtock, Seffing, Voltaire und auch einiger- 
maßen Ramler. Ueber Einzelne von den Werfen 
biefer Schrifefteller follten Vorlefungen gehalten und 
Kommentare ausgearbeitet werden, morin man ihre 
. intellektuellen und äfthetifchen Vollkommenheiten ent; 
wickelte und die in demfelben enthaltene Ausbeute für 
die Pſychologie bemerkbar machte. Auf biefe. Art 
‚würden die Meifterftucke dieſer Männer erft recht nutz⸗ 
bar werden und man würde wiflen, mas man in ih« 
wen zu fuchen und wie man fie‘ zu benußen babe. 


In den bichenden Kuͤnſten ſind die Ueberreſte aus 
dem Alterchume, hernach die neuern Italiener Cot⸗ 
reggio, Titian, Michel Angelo u. A. und in 
der Kunft des ſchoͤnen Spiels der Empfindungen bie 


großen teutfchen und isalienifchen Tonkünftter 5. 3. 
Hendel, Gluk, Mozart, Haydn, Paeſiello, 


Eimarofa u, x. als Raſter des Geſchmackes zu. bes 
trachten. 


N 


\ 
. h .., ' 


Y 439 — 





XXX. . Eapitel 


ueber den Werth der verſchiedenen Wiſ⸗ 
ſenſchaften. | 


s‘ . — — * 


Werth hat dasjenige, was zur Bewirkung eines ver⸗ 
nuͤnftigen Zweckes dient und ein vernuͤnftiger Zweck iſt 


ein ſolcher, der ſich entweder auf eine Foderung des 
Verſtandes oder der Vernunft bezieht. In der Ju⸗ 
gend zu ſparen, um im Alter nicht darben zu muͤſſen, 
iſt eine Klugheitsregel, welche der Verſtand giebt, 


allein feine Kräfte allſeitig auszubilden, um ſowohl 
ein Srauchbarer als ein rechefchaffener Menfch zu wers 


den, iftein Gebot der Vernunft. Wenn man nun 


wiſſen will, welchen Werth die menfchlichen Wiffen- - 


fchaften Haben, fo muß man beftimmen, in welchem 


WVerhaͤltniſſe diefelben zu den verfchiedenen Zwecken des 
Menfchen ſtehen und. da alle Zwecke fih auf fein Das. 
feyn überhaupt und auf fein Seben auf biefer. Erde, 


insbefondere beziehe, fo giebt es für ihn einen Ent 


zweck und einen Zweck. Sein Entzweck ift das Hoͤch⸗ 
fte für ihn, nach. deffen Wirklichmachung er ſtreben 


ſoll; und ber Zweck feines Daſeyns iſt daher dem Ent⸗ 
zwecke untergeordnet, weil jener bloß als Mittel zur 
Erreichung dieſes dienen ſoll. | 


Der Entzweck des Menfchen ift die Realiſteung 
des hoͤchſten Gutes, welches in der Verbindung des 


größten Grades von Sittlichkeit mit dem hoͤchſten Gra⸗ 
de von Gluͤckſeligkeit beſteht und der Zweck ſeines Da⸗ 


fans auf dieſer Erde iſt die Ausbibuus aller ſeiner 


’ 





— a32 - 


der Griechen und Roͤmer, weil ihre Sprachen eis 
. ner Umwandelung mehr ausgefeßt find. Allein wenn mare 


‚ von der letztern hinwegſieht, fo kann man aud) meh: 


« 


were neuere Schriftfteller als Mufter des Gefchmads 
anfeben. Dergleichen find Wieland, Goͤthe, 
Klopſtock, Seffing, Voltaire und auch einiger- 
maßen Ramler. Ueber Einzelne von den Werfen 
biefer Schriftfteler ſollten Vorlefungen gehalten und 
Kommentare ausgearbeitet werden, worin man ihre 
intellektuellen und aͤſthetiſchen Vollkommenheiten ent; 


wickelte und die in bemfelben enthaltene Ausbeute fir 


die Pfnchofogie bemerkbar machte. Auf diefe Art 


‚würden die Meiſterſtuͤcke dieſer Männer erſt recht nußs 


bar werden und man würde wiffen, mas man in ih. 
wen zu ſuchen und wie man fle‘ zu benußen babe. 


In den bifdenben Künften find bie Ueberreſte aus 


bem Alterthume, hernach die neuern Italiener Cor 
reggio, Titian, Michel Angelo u. A. und in 


der Kunft des ſchoͤnen Spiels der Empfindungen bie 


großen teutfchen und isalienifchen Tonkuͤnſtler z. B. 
Hendel, Gluck, Mozart, Haydn, Paeſiello, 


Cimarofa u. 4. als vage bes, Geſchmackes zu bes 
I trachten. 


X 


N 
\ j 1 


9 — 





XXX. Capitel. 


Weber den Werth ber verſchiedenen Wiſ⸗ 
u fenfgaften. 


‘ a | 
n 


Werth hat dasjenige, mas zur Bewirkung eines ver⸗ 
nünftigen Zweckes bient und ein vernünftiger Zweck iſt 
ein ſolcher, der ſich entwede auf eine Foderung des 
Verſtandes oder der Vernunft bezieht. In der Ju⸗ 
gend zu ſparen, um im Alter nicht darben zu muͤſſen, 
iſt eine Klugheitsregel, welche der Verſtand giebt, 
allein feine Kräfte allſeitig auszubilden, um ſowohl 
ein brauchbarer als ein rechtſchaffener Menſch zu wer⸗ 
den, iſt ein Gebot der Vernunft. Wenn man nun 
wiſſen will, welchen Werth die menſchlichen Wiffen- - 
fchaften haben, fo muß man beftimmen, in welchem 

WVerhaͤltniſſe diefelben zu den verfchiedenen Zwecken bes 
Menfchen ftehen und. da alle Zwecke ſich auf fein Das. 

feyn überhaupt und auf fein Sehen auf diefer Erde 
insbefondere bezieht, fo giebt es für ihn einen Ent 
zweck und einen Zwed. Sein Entzwed ift das Hoͤch⸗ u 
fte für ihn, nach deſſen Wirklichmachung er ſtreben 

ſoll; und der Zweck ſeines Daſeyns ift daher dem Ent⸗ 
zwecke untergeordnet, weil jener bloß als Mitte que 
Erreichung dieſes dienen fol. U 


Der Entzweck des Menſchen iſt die Realiſteung 
des hoͤchſten Gutes, welches in der Verbindung des 
groͤßten Grades von Sittlichkeit mit dem hoͤchſten Gra⸗ 
de von Glückſeligkeit beſteht und der Zweck feines. Da⸗ 
ſeyns auf dieſer Erde iſt die Ausbibuus aller ſeiner 


I 


Vs 


x u 440 _ 
Anlagen und Kräfte zur freien Selöftefärigfei den 
Gefegen und Abfichten einer jeden Derfelben insbefon 


dere und aller zufammen dein Sittengefeße gemäß. 


Nun fleht zwar. nur ein Theil des höchften Gutes in 
der menfchlichen Gewalt,‘ nämlich die Sittlichkeit, 
benn Gluͤckſeligkeit wünfche der Menfch wohl, die Eu; 
füllung diefes Wunſches aber haͤngt von Innern und 
“Außen Bedingungen ab, bie nicht in feiner Gewalt 
find, allein diefer alg die Bedingung des andern giebt 
doch den Maafftab, an dem der Werth der Willen 
fhaften zu prüfen iſt. Was nun, zur Beförderung 
ber Moralitäg unmittelbar oder mittelbar beiträgt, 
hat einen höhern Werth als dasjenige, was feinen 


Einfluß auf diefelbe hat und die Wiffenfchaft des Mo | 


raliſchen nimme die hoͤchſten Stelle unter den menſch⸗ 
lihen Wiffenfchaften ein, ‚weil fie lehrt, worin die 
Moralitaͤt ſelbſt, d. h. eine demi Sittengeſetze gemaͤße 
Geſinnung und eine aus bloßer Achtung gegen daſſelbe 


beobachtete Handlungsweiſe beſteht. Die Moral, 


welche dem Menſchen zeigt, was gut und boͤſe if, 
was er thun und laſſen, welche Geſinnung er ſich erwer⸗ 
ben und welche Maximen er ſeinen Handlungen‘ zum 
Grunde legen fol, if alfo die Krone der Wiſſenſchaf⸗ 


u ten und je näher nun die Verbindung iſt, in welcher 
eine Wiſſenſchaft mit derſelben ſteht, deſto hoͤher iſt 


auch ihr Werth. Weil nun die Rechtslehre in ſo fer⸗ 
ne mit ihr am naͤchſten verwandt iſt, daß ſie mit iht 
‚bie praktiſche Vernunft als‘ ihren Geſetzgeber und 
als ihre Quelle anerfenne und. auf die Geſetzlich⸗ 
keit dee Handlungen eines und aller ſieht, ſo behaup⸗ 


et fie in dem Reiche der Wiffenfchaften. den zweiten - 
Pletz. Run ift war niche zu leugnen, u die Na⸗ 


4 








m 


- A— 
.. turreligion ben Menfchen- auch lehrt, was er thun 


“und laffen ſoll, allein fie ſchaͤrft dieſe Gebdte und Ver · 
bote doch nicht, wie die Moral, aus bloßer Achtung 
gegen die Vernunft ein, noch erkennt fie dieſe als al⸗ 


(einigen Geſetzgeber any. wie Die Rechtslehre, ſonbern | 
fie nimme in beiden Fällen noch zu dem. Willen der 
Gottheit ihre Zuflucht. Sie ift Daher als ein entfern- 


teres Huͤlfsmittel zur Beförderung der Moralicät und 


der Tugend. anzufehen, und fie ift blos dazu da, die 
Wirkſamkeit, den Einfluß und Die Lebendigkeit dee 

Maximen, zu denen die bloße Vernunft den Stoff 
und das Gebot, fie in feine Willenshandlungen auf⸗ 
zunehmen und zu befolgen, liefert, zu verſtaͤrken; und 

da fie einigermaßen der Autonomie der praktiſchen Ver⸗ 
nunft und ber Autokratie der Willführ Abbruch thut, 
ſo kann ſie nie auf den Rang Anſpruch machen, in 
welchem die Rechtslehre ſteht, welche ſich ſelbſt auf 

jene beiden Elemente des Moraliſchen füge. 


Noch entfernter ift die Verbindung, in welcher 
eine geoffenbarte Religion Creligiofe Glaubensart) 
zum Entzwecke des Menfchen fteht, zumal wenn ihre 
Lehren nicht moralifch gedentet, fondern blos als’ hiſto . 
riſche Ausfprüche des Willens Gottes den Menjchen 
angekuͤndigt werden und daher theilsder Perfönlichkeir 
des Menfchen d. h. der Selbftgefeßgebung der Vera 
nunft und. der‘ Freiheit bes Willens Abbruch thun, | 
theils die Reinheit und den Adel der Öefinnung unters 
graben. Wird ihnen aber eine moralifche Deutung 
gegeben, fo verlichren fie ihren Charakter als Ge⸗ 
bote und Verbote einer Lehre, Die blos einen ges 
ſchihtuchen und alſo unabänderlichen Stoff bat, fü 2 | 


⸗ 
* 


‘ 


> 
— 442 7 


foden mie ber- Paturreigion , welche dieſelben deutet, 


| ‚in Eins zufammen und nehmen alfo mir ihr gleichen 


Rang ein. 
' Umaberin Stand gefeßt zu werden, allefeine Pflichs 


+ ten kennen zu lernen und ftets moralifch gut zu handeln, 


dazu ift erforderlich, daß man weiß, was der Menſch 
yon Natur ift,. d. h. was er wiffen kann, thun fol, 


hoffen darf und weſcher Gefuͤhle er faͤhig iſt. Dies 


zu erfahren, iſt eine Unterſuchung ſeiner Anlagen und 
Kräfte nöthig, welche von der Erforſchung der Thaͤ⸗ 
tigfeiten, der Geſetze derfelben, des Inhaltes und 
der Grenzen ber Anwendbarfeis diefer Letztern ausge: 


den muß. So viel nun der Menſch fpezififch verſchie— 
. , ‚bene Thätigfeitem in fich bemerft, fo viele Geſetzge⸗ 
bungen und: alfo auch fo viele Kritifen finden ftatf. 


Es giebt nun Gefeße für Das Gute und für das Wahre 
ynd Regeln für das Schöne, Es kann alfe auch nur 
drei Kritifen geben, unter denen bie Kritik der praß 


tiſchen Vernunft den erften Plaß einnimmt; hierauf . 


folgt die Kritik der reinen cheoretifchen Wernunfe und 
dann bie Kritik der Urtheilskraft; denn jene hat 
gu unferfuchen, was der Menfch willen und alfo in 


"wie ferne er Wahrheit finden kann, und da nun das 
Gute au) zugleich wahr feyn.muß, fo hat fie einen 


hoͤhern Rang als die Kritik der Urtheilskraft, wel⸗ 
che bloß die Gefühle des Schönen, Erhabenen und 


Zweckmaͤßigen zu unterfüchen hat, deren Wirkſamkeit 


mehr oder weniger zur Beförderung ber Moralität 
beiträgt, je nachdem ſich das Gemuͤth durch Diefelben 
zur Geſetzmaͤßigkeit geneigt fuͤhlt oder nicht. Wenn 


man nun weiß, was der Menſch von Natur iſt, ſo 


ws man bie je mancherlel Wiſſenſchafen aufluchen, wel⸗ 





che fich unmittelbar aus der Kenntniß der menfchlichen 
Natur und ihrer Gefege ergeben. Zu allem Wiſſen 
gehört 1) ein Denfen, alfo Logik. 2) Regeln und 
Geſetze, nach denen etwas gewußt werden kann, alſo J 
Theorie bes Erkenntnißvermoͤgens und“ 3) ein Stoff. 
Diefer, kann nun entweder in der Natur des Menfchen 
ſelbſt feinen Grund haben oder von Außem her gege⸗ 
ben ſeyn; es giebt daher Wiſſenſchaften, welche ei⸗ 
nen Aprioriſchen und andere, welche einen durch Er⸗ 
fahrung ‚erhaltenen Stoff zu bearbeiten. haben. Zu 
jenen gehört .ı) die Metaphyſik der Natur und 2) 
Die Metaphyſik der Freiheit und zu Diefen die Ges 
ſchichte der menfchlihen Meinungen und alfo 1) die Ge⸗ nn 
fchichte der Moral. 2) Die, Gefchichte der Rechts⸗ 
lehre. 3) Die Gefchichte der Religion 4) Die: 
Gefchichte der Unserfuchungen der einzelnen Vermoͤ⸗ 
“gen und Kräfte des menfchlichen Geiftes. 5) Die 
Gecſchichte der Logik. 6) Die Geſchichte der Theorie 
des Ertennent und 7) die Geſchichte ber Mesappofit 
Um aber ftets gut zu handeln, muß man niche . 
affein mit bem befannt feyn, mas gut ift, was man 
thun und faffen folk, was dev Menfch von Natur iſt 
und was er alfo vermag, fondern man muß auch die 
Hinderniffe kennen lernen, welche dem moralifchen Gut⸗ 
handeln im Wege ſtehen. Diefe Hinderniffe liegen 
entweder. x) in jedem Menfchen felbft oder 2) in 
andern Menfchen. oder 3) in der äußern Natur. Ha« 
ben fie in dem Mienfchen felbft ihren Grund, fo liegen 
fie entweder. in feinem: Geiſte ober in feinem Körper, 
Jener iſt entweder unausgebildet oder ungefind. Iſt 
das Erſtere der Fall, fo muß man bie Mittel kenne bene 


I. “, 
/ 





nu 444 — 
nen, wie man ihm mancherlei Fetigeeiten verſchaffen, 
und an Selbſtthaͤtigkeit gewoͤhnen kann, und trift das 
Zweite ein, ſo muß man die Heilmittel aufſuchen, ver⸗ 
mittelſt welcher man ſeine Geſundheit wieder herſtellen 
kann. Zur Wegraͤumung dieſer Hinderniſſe der freien 
Tyaͤtigkeit des menſchlichen Geiſtes iſt eine Kenntniß 
1) der Erziehungskunſt, 2) der pragmatiſchen Anthro⸗ 
pologie und 3) der empiriſchen Pſychologie noͤthig. 
Iſt hingegen der Koͤrper am Guthandeln hinderlich, 
ſo iſt er entweder ungeſund oder ungeſchickt. Zur Wie⸗ 
. bererfangung der Geſundheit iſt Kenntniß der Be⸗ 
ſtandtheile des menſchlichen Körpers, feiner Wirkun⸗ 
gen und der Geſetze dieſer und feines Zuſtandes, und 
" alfo. x) der Anatomie, 2) der Phyſiologie, 3) 
der Pathologie und 4) ber Arzeneimittel erfordere - 
lich. Um bie leßtern aber zu bereiten, Dazu ges 
hört Einfiche in die Chemie und in die Stoffe aus dem 
Mineral» Pflanzgens und Thierreih. Wenn der Koͤr⸗ 
per ungeſchickt ift, fo muß er durch Hebung zu.allerfei 
Geſchicklichkeiten und Fertigkeiten erzogen werden. Man 
muß Daher die verjchiedenen Mittel fennen fernen, ver- 
mittelſt deren man, diefen Zwed am. nweclmaͤßigſten 
und ſchnelſten erreichen kann. 


—2 


Wenn der Menſch mit Hinderniſſen zu kaͤmpfen 
hat „ welche andere Menſchen feinem Streben nach 
"Tugend in den Weg legen, fo find diefelben entweder 
rechtlich oder widerrechtlich. Sind fie das Erftere, 
fo kann er bloß Huͤlfe von ſich erwarten; und find fie 

das Zweite, ſo hat er fih an.den Staat zu halter. 
Im erſtern Falle ift eg noͤthig, fich Klugheit zu er⸗ 
- werben und im zweiten iſt ihm eine Kenntniß x) ber 











Vom "445 en 
Verfaſſung des Staates, in weichen er lebt, und 2) 
der Verhältniffe, in welchen diefer ‚zu andern Staa⸗ 
ten ſteht, und 3) der Geſchichte von beiden erfoxderlich. 


Wirft ihm aber die äußere Natur in feinen Des 
mühungen ; moralifch gut zu werden, Hinderniffe in, 
den Weg, fo muß er die Natur felbft, ſowohl ihrer 
Befchaffenheit,, als ihren Wirkungen und Probuften - 


nach fennen-fernen. Daher folgen nunmehro 1) die 


phyſi iſche, die mathematiſche und die politiſche Geo⸗ 


graphie. 2) Die Naturbeſchreibung, a. der Men⸗ 


ſchen, b. der Thiere, c. der Pflanzen und d. der Mi⸗ 
neralien. 3) Die Phyſik. 4) Die Aftronomie...5) 
Die Statiſtik und 6 6) bie Geſchichte dieſer Bein 
fchaften. Ä 
Wenn man alſe nach dem Maaßſtabe, weichen" 
der Entzweck des Menfchen aufſtellt, den Rang ber 
Wiſſenſchaften beſtimmt, fü erfcheinen.fie freilich in 
einer.andern Ordnung und an einem andern Plaße, 


als welchen ihnen der Staat angewiefen hat, wo oft 


bie Dberften zu unterſt fiehen und alfo die Erften bie 
Letzten, aber nicht wie es dort heiße, daß es im 


Himmelreiche ſeyn foll, fin nd. 





—XVXXI. Kapitel 
Beſchluß. 


iu 
“ “ 


Micht immer geſchieht, was ber Menſch will und es 


iſt auch gut, daß ſeine Wuͤnſche haͤufig vereitelt wer⸗ 
den: denn er bliebe ſonſt ewig am Boden haͤngen und 


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. . . 


u 7 — 


würde nie feiner hohen Beſtimmung eingeben? wer⸗ 
den. Allein da, kommen Leiden, die ihn quälenz Hoff⸗ 

‚ nungen, bie serftdrt werben; Freuden, die gleich 
Schatten entfliehen; Plaͤne, die fcheitern; holde füs 
ße Genuffe, die ſich in Zurien verwandeln; und nuns 
mehro wird er auf fich aufmerffam, er wagt etwas, 
gewinnt Vertrauen zu ſich, reißt fich von dem Blinden 
Scidfale los und mache fih zum Herrn feines Den⸗ 
kens und Handelns. Die größten Denfer mußten meis 
ftentheils in ihrer Jugend durch vieles Ungemad) ge: 
hen und es ift eine Klugheitsregel, daß man niemand 
dasjenige, was er werben fol, allzufehr erleichtere. 
Man muß Arbeit und Müpfeligfeiten ausgeftanden 
haben, ehe man feldft denken lernt und Gefahren und 
Ungluͤck find niche felten die Führer zur Größe des 


Menſchen. Man wage daher. etwas im Denken; man 
- vertraue ſich felbft, wenn man aud) irrt; man räfons 


nire über allerlei Dinge, denn um nicht mit Schande 
zu beftehen, wird man fich unterrichten; man folgere 
ftreng, wenn man feinem Räfonnement einmal einen 
Grundfaß untergelegt bat und man betruͤbe fich eben 
fo wenig, daß man geirret hat, als man uber jemand 
ungehaften fey, daß man des Irrthums überwiefen 
wird. Kämpfen macht tapfer und ſtetes Nachdenfen 
führe zum Selbfidenfen. Der. Selbſtdenker befige 
auch einen Werth, den Fein Nachbeter hat; er iſt zu 
jedem Poften geſchickt; er diene im Staate oder in ber 
Kirche, im, Frieden öder im Kriege, immer. wird er 
ſich auszeichnen und gleich einem Rieſen uͤber Pygmaͤen 
hervorragen. Auch verhilft das Selbſtdenken zur Er⸗ 
Tämpfung eines Charakters: denn dieſer ſtuͤtzt ſich auf 
Grundfäße und wer anbers kann dieſe befißen als wer 








N 


N ‘ | — 447 
ſelbſt denkt? Auswendig gelernte Saͤtze laſſen ich we⸗ 
der in die Maximen des Willens aufnehmen noch floͤ⸗ 
ßen ſie Muth und Beharrlichtkeit im Handeln ein, ſon⸗ 


dern ſie bieiben unthaͤtig, verſchwinden endlich und | 


Hinterlaffen feine Spuren von ihrem Dafeyn. Nichts 


beharrt, als was der Menſch durch Selbſtthaͤtigkeit 


ergreift und nichts hat Werth, als dasjenige was 
er durch Freiheit thut. Alles Mechaniſche iſt vor 
der Vernunft ein Greuel und aller Sklavendienſt eine 


Entwuͤrdigung der Menſchheit. Selbſtdenken und ſelbſt 
handeln fi find die großen Ziele, nach begen der Menſch 
ringen foll und deren Erreichung allein Würde giebe, 
Man entfage daher der Trägheit, ſowohl der Denb 


kraft als des Willens, und zeige fich als Mann, wenn. 
inan auch darüber zu Grunde gehen, follte, Größe 
des Kopfs und Herzens. ift unfterblich und wenn alles 


waandelt und alles zufammenftürze, ſteht der große 


Denker und der edle Mann ſelbſt unter den Ruinen 


einer Melt noch aufrecht und unverfere. Platon und 


Kriftoreles, Bacon und Roußeau, Kant 
und feibnig, Schafefpeare und Milton, Spis 
no za und Hume, Sophokles und Homer, 
Klopſtock und Goͤthe, Wieland und Newton 
kennen keinen Tag des Todes. Die Ewigkeit bat ihre 
Namen geheiligt. | 


} 


Ende N 0 


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n; Bruafehte, Zufäße und Werber 
ua ‚sungen. 


Seite See: g. prellen Ing: prallen. 


SG. 6 3. 117 9.0. in bloßer Begetation l im blohen 
Vegetiren. nn ; 


S. 127 2. 2, nach aus I. der. 
u © 130 2. 12 vu. welches I. welchen. . 


GS. 202.3. 6 bon Wielants Arifipp eſchen due , 


Michaelismeffe rgar ber te und 4te Band. 


J 


S. 205 3. 11 vu. i) die Zutgfran son Diane, 
Eine romantiſche Tragoͤdie. 1801. Ä 


vn 


SG. 208 3:15 v. u. Von Brandes aiſchienen in der u 
Michaelismeſſe 1801: Betrachtungen über‘ dag weibliche 


.”. 


Geschlecht und deffen Ausbildung im sefeligen sehen ıter 


atet und zter Band. = 5 


‘©. 209. Se Schu d) Reiſe eines uiefl ͤnders von 


Riga nach Warſchau durch Suͤdpreußen uͤber Breslau, 
Dresden, Karlsbad u. ſ. w. ites his 7ied Heft. 1795 
bis 1797. ıfles. und 2tes Heft, ganz neue Aufl. 1901. e) 
Ueber veris und die parifer iſter Th. mo. 0 


©: 211 3 8 v. u. zier Sand 1801. 


. ©. zit. Heobenteich. Vetrachtungen über die 
Philoſophie. der natuͤrlichen Religion 1796: 1791. 9 


Mann und: Weib 1797: 
©. 212. Fichte. d) Grundlage ber gefammten si 


fenfchaftstehre. Neue Auflage 1802. e) Grundlage des 


Naturrechts nach Principien der Wiſſenſchaftslehre. Per 
und ater Theile 2796 uud 897. als tm 


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e; Denefepter, Aufäße und Berserfe 
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| Seite ; geie:g. prellen Ins. prallen. 


. S. 6 Fr in bloßer Vegetation l im bloßen 
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S. 127 2 2, nach aus I. der. 
© 130 2. 12 vu. welches I. weichen. 


S. 2023. 6 bon Wielands Arifipp efehien. zur 


Michaelismeffe 1807 der zte und ate Band. 





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Eine romantiſche Tragödie. 1801. . 


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Michaelismeſſe 1801: Betrachtungen über‘ bag meibliche 


Geſchlecht und > befien Ausbildung im Geſelligen Leben, ıter 


©. 209. St. Schuh d). Reiſe eines iefl aͤnders von 


Skiga nah Warfchau durch Südpreußen über Breslau, 
Dresden, Karlsbad u. fe w. ıtes his 7tes Heft. 1795 
big 1797. ıfleg und 2tes Heft, ganz neue Aufl. 1801. e) 
Ueber Paris und bie Parifer ıfter 2. 17 Gr. 


©. 211 3- 8 v. u. ‚zter Band 1801. 


. 211. He M denreich e) Setrachtungen über die. 


Philoſophie. der natuͤrlichen Belgien 1798: 1791. © 
Mann und- Weib 1797. . 


S. 2ı2. Fichte. d) Grundlage ber gefammten Wif⸗ 
ſenſchaftslehre. Neue Auflage 1802. e) Grundlage des 
Naturrechts nach Principien der Wiſſenſchaftslehre. iſter 
und zer Theile 1796 uud 3797. alıys dıme | 





&. 223 3.20% von Solten in 6 Bänden, 
2800. 1801. 


S. 233 230% ng nieder ſclast, L. fon» 
dern aufmuntert. 


©. 290 3. 1 v. u. lernt E. zewohn— 
SG. 291 3. 7.v. 0. nach halten JL wie. 
S. 346 3. z0 nach Die l. eigentliche Geſchichte. 


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THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY 
REFERENCE DEPARTMENT 


This book is under no circumstances to be 
taken from the Building 


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