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PALAr.STkA.
Untersuchungen und 'l'exte aus der deutschen
und enghschen Philologie.
HoratisL^oi,'-('lion
von
Alois ßraiull, (iiistav Koetlio und Frich Srlnnitlt.
XLVIT.
Die literarischen Vorlagen der Kinder- und Hausmärchen
und ihre Bearbeitung durch die Brüder Grimm.
Von Hermann Hamann.
BERLIN.
MAYER E. MÜLLER.
1906.
PALAESTRA XLVII.
Die literarischen Vorlagen der Kinder-
und Hausmärchen und ihre Bearbeitung
durch die Brüder Grimm.
Von
Dr. Hermann Hamann.
BERLIN.
MAYER X- MÜLLER
1906.
GiriÄÄuy
Vorwort.
Df'r erste Teil clor vorliegenden Arbeit, die den
Grinimpreis erhalten hat. erschien 1905 als Berliner
Dissertation. Angeregt wurde sie von meinem Lehrer
Herrn Geheimrat Prof. Dr. Erich Schmidt, dem icli für
alle freundliche Unterstützung, die er mir bei der Ab-
fassung hat angedeihen lassen, auch an dieser Stelle
meinen ergebensten Dank ausspreche.
H. Hamann.
Einleitung.
Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
sind trotz der hoben Stellung, die sie in der Geschichte
der deutschen Litteratur einnehmen, noch nicht zum Gegen-
stand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht
worden. Zwar hat die Forschung reiche Nachweise über
die Verbreitung des internationalen Märchenstoffes geliefert
und indirekt dadurch auch die Grimmsche Sammlung in
eine hellere Beleuchtung gerückt, aber es fehlt an einer
Arbeit über das Zustandekommen des Werkes selbst.
Auch Stil und Sprache blieben bisher noch ungeprüft,
obgleich sie doch eigenartig genug vom Herkömmlichen
abweichen und schon durch die Neuheit zu näherer Be-
trachtung einladen müssten. — Der Poesie der Erzählungen
hat sich niemand entziehen können: „Die Märchen haben
uns bei aller Welt bekannt gemacht", schreibt Wilhelm
Grimm schon 1815 an seinen Bruder Jakob'), und heute
ist das Buch in ungezählten Exemplaren verbreitet. Ein
Abglanz dichterischen Ruhmes fällt auf die Herausgeber.
Es war aber auch eine Art poetischer Tätigkeit, welche
die Sammlung entstehen liess; denn obwohl die Geschichten
meist getreu der Überlieferung nacherzählt wurden, und
der Titel des Buches bescheiden nur von der Arbeit des
Sammeins spricht, so besteht doch kein Zweifel, dass die
Brüder Grimm in Stil und Ausdruck vielfach bessernd und
ergänzend nachgeholfen haben. Das gestehen sie auch
selbst ein: „Es ist natürlich", schreibt Wilhelm an Achim
') Briefwechsel zv\'. J. u. W. Grimm S. 4:75.
Palaestra XLVII.
von Arnim'), ,.(l;iss, wfjiiii wir etwas sell)st criipfuiKlcii,
dioso Empfindung auch sinhtbiir worden muss und ihren
besonderen Ausdruck lialx'n. Darum liab ich mir in den
Worten, der Anordnung, in Gleichnissen und dergleichen
gar keine Schwierigkeit gemacht und so gesprochen, wie
icji in (h'in Augenl)lick lAist hatte." Aber er wusste auch,
wi(! man ein ^lärclien zu erzähhin habe; wie rein hat er
z. B. in einigen seiner Briefe an die Haxthausensche Familie
den einfaclien Kinderton getroffen!-) Die Form der Er-
zählungen geht also im wesentlichen auf die Brüder zurück,
sei es, dass sie mündliche Überlieferung wiedererzählten
oder älteren, schriftlichen Bearbeitungen die Gestalt gaben,
die sie für die rechte hielten. Nur mit den litterariscbeii
Quellen will und kann sich die nachfolgende Arbeit be-
schäftigen: sie macht als ein Beitrag zur Stilgeschiehte
des Grimmschen IMärchens auf dieUmbildungen aufmerksam.
die ältere Vorlagen unter der Hand der Brüder Grimm
bei der Aufnahme in die Sammlung erfuhren.
Obwohl die Veränderungen fast nur äusserlicher Natur
sind, und die Erzählungen in den meisten Fällen bloss
durch schmückende Zusätze bereichert wurden, so lässt
doch die Wiederkehr derselben stilistischen Umformungen
deutlich erkennen, worauf es den Brüdern bei ihrer Dar-
stellung ankam. Freilich wird das IMaterial nicht erschöpft,
da die Märchen nach mündlicher Überlieferung für uns
wegfallen, aber man kann schon aus der Betrachtung des
kleineren Teils der Sammlung Rückschlüsse auf die Stili-
sierung des Ganzen machen. Denn es ist ein eigentüm-
licher Vorzug dieser Märchen, dass trotz der Verschieden-
artigkeit der einzelnen Stücke die ganze Sammlung von
einem gleichmässigen Vortrag beherrscht wird.
Die Entstehungsgeschichte der Grimmschen ^lärchen
versetzt uns in eine treibende, starke Zeit zurück; die
schaffensfreudigenTagederjüngeren,Heidelberger Romantik
') Steig, Achim v. Arnim und die ihm nahe standen 111,207.
- Freundesbriefe v. W. u. J. Grimm, S. 8 f.
tauchen vor uns auf. Niclit mit Unrecht werden f,^erad('
„des Knaben Wunderhorn" und die „Kinder- und Haus-
niärchen" als die charakteristischen Denkmi'Uer dieser
Periode in einem Atem irenannt: die beiden Werke sind
^deichen oder doch ähnlichen Vei'hältnissen entsprungen,
und ihre Verfasser standen auch persönlich in innigen
Beziehungen zu einander. Im Wunderliorn liatte sich die
begeisterte Liebt^ tür altdcHitsches Leben und Volkspoesie
ein schönes Denkmal errichtet. Absterbende und zerstreute
Jjlüten deutscher Volkslyi-ik wartMi hier, freilich manchmal
künstlich zuri^chtgestutzt. in einem grossen Werke ver-
einigt. Auch eine umfassende Zusammenstellung germa-
nischer Altertümer wurde von Arnim geplant. Seine Er-
klärung in Beckers Reichsanzeiger vom 17.' Dez. 1805
spricht unter anderm auch von „mündlich überlieferten
Sagen und Märchen", die in der Sammlung Platz finden
sollten'). Aber nicht alles kam zu stände, was er in
Aussicht gestellt hatte: vorläufig galt es, das Wunderhorn
zum Abschluss zu bringen. Während Brentano und Arnim
an den weiteren Bänden tätig waren, rüsteten die Brüder
Grimm in Casscl zu ihren späteren Publikationen. — In
grösserem Umfange beginnt ihr Sanuueln und Aufzeichnen
seit etwa 180(5. Ihre Schätze müssen rasch an Ausdehnung
und Bedeutung gewonnen haben; Brentano, der 1807 in
Cassel mit den Grimms zusammentraf, staunt über ihren
Reichtum, den er für den 2. Teil des AVunderhorns zu
benutzen gedenkt.
Um diese Zeit ist zwischen den Brüdern und den
Herausgebern des Wunderhorns auch über den Plan ver-
handelt worden, ein öffentliches Organ für altdeutsche
Poesie und Volkskunde zu schaffen-). Neujahr 1811 taucht
der Gedanke von neuem auf. „Der altdeutsche Sammler",
wie die Zeitschrift heissen sollte, war zur Aufnahme aller
Sagen, Märchen, Lieder, Volksscherze usw. namentlich
ij Steig-, Achim v. Arnim I, 150.
■■^) Steig, Zs. d. Vereins f. Volk.skunde 1902, 129 ff.
1*
— 4 —
iiiüiulliclicr l 'Ijt'iiiofVruii^' lif>tiiiiiiit. Als Herausgeber
waren die Brikler (iriiniii ;_^(Mlael)t. Das L'nt<'rnehinen
scheiterte ai)er an persönlichen Dift'erenz«;n. die sich bald
zwischen .lakob Griinni und Brentano über die Art der
Redaktion herausstellten.
Während (liinuu stien<i: wissensehaftlieh alles in der
l*'ürni zum Altdi'uck l)rin<ren wollte, die die inündiiche
Überliel'erun<( geprägt hatte, glaubte Brentano sich dem
Stoff gegenüber dieselben Freiheiten sichern zu müssen,
von denen er bei der Zusammenstellung: des Wunderhorns
Gebrauch gemacht hatte, und so unterblieb das Werk.
Auch standen äussere Schwierigkeiten im Wege. Auf
eigene Faust arbeiteten die Brüder Grimm währenddes.sen
weiter; 1812, als Arnim einige Tage als Gast bei den
Brüdern in Cassel weilte, konnte er an Brentano berichten,
dass ihre Sammlungen Riesenschritte gemacht hätten und
bald in ein Dutzend tüchtiger Werke zusanunenwachsen
würden '). Einige Monate später wurde der 1. Band der
Märchen herausgegeben.
Die ganze Art der Anlage bewies von Tornherein ein
ernstes, wissenschaftliches Interesse. Allerdings war es
die Absicht der Bearbeiter, dass die Poesie der Märchen
selbst wirken und erfreuen sollte, aber als Gelehrte waren
sie nicht minder darauf bedacht, die Bedeutung der Er-
zählungen durch umfassende Vergleiche ins rechte Licht
zu stellen und die Ergebnisse der Forschungen für eine
Geschichte der altdeutschen Poesie und Mythologie nutz-
bar zu machen'-). Sie erblickten in den Märchen Über-
reste der altgermanischen Mythologie und Heldenpoesie.
So wie die Mundarten altes Sprachgut festhalten, sollten
auch in den Volkserzählungen uralte Vorstellungen fort-
dauern und sich weiter bilden. Mögen sie auch im Ein-
zelnen geirrt haben, sie traten jedenfalls mit ganz anderen,
tiefer gegründeten Voraussetzungen an ihre Aufgabe
») Steig, Achim v. Arnim I, 298.
-) Steig, Achim v. Arnim ]II, 4.
heran als die ineisten Märcliciiseliivibcr des ls.,]alirhiiiidorts.
denen das phantastische Gewand dt-r ErzäliliinjL'en ein will-
kommenes Büttel war. persönliche Al)sieht<'n verschiedenster
Art auf eine beiiueme Weise einzukleiden. — Das Jahr-
hundert der Aufklärunj,^ liatte im allgemeinen lür die
schlichte Poesie des deutschen Volksmärchens keinen Sinn:
vor allem fehlte das geschichtliche Verständnis für die Er-
zählungen. In Spinn- und Kinderstuben lebten sie zwar
ununterbrochen fort, aber niemand dachte daran, sie als
litterarische Gabe dem ganzen Volke wiederzuschenken.
Die Märchen waren vielfach als unwahre, kindische Er-
zeugnisse verachtet und galten nur etwas durch künstliche,
poetisierende Bearbeitung. „Ammenmärchen, im Ammen-
ton erzählt, mögen sich durch mündliche Überlieferung
fortpflanzen, aber gedruckt müssen sie nicht werden,"
schreibt noch Wieland '), der in seinen Werken doch oft
Ikarbeitungen märchenhafter Stoffe geliefert hat. Aber
er sowohl wie die eigentlichen Märchensammlungen des
Jahrhunderts waren stark beeinflusst von französischer
Fabulierkunst. Viel später als in Italien, wo schon Giovan
Francesco Straparola mit den Tredeci piacevoli notti (1550)
und nachher Giovan Baptista Basile mit dem Pentamerono
den Höhepunkt der heimischen Märchenlitteratur erreichten,
begann in Frankreich die Märchenpoesie zu erblühen. Ihr
erster Vertreter, Charles Perrault (1643 — 1703), nimmt als
Stilist zugleich den höchsten Rang ein. Am Ende des
17. Jahrhunderts (1697) gab er in seinen „Contes de ma
möre TOye" volkstümliche Märchen heraus, ohne wesent-
liche Zusätze, im Kinderton dargestellt. Hier linden wir
z. B. die bekannten Erzählungen vom Blaubart (Barbe
bleue), Rotkäppchen (Chaperon rouge), vom kleinen Däum-
ling (Petit Poncet), vom Aschenputtel (Cendrillon), dem
Dornröschen (La belle au bois dormant). Seine Nach-
ahmerin, die Grätin d'Aulnoy (1650 — 1705), hält sich zwar
1) Werke 35, 327. Vgl. R. Kühler, Aufsätze ed. Bolte und
i:. Schmidt S. 17.
— (; —
\vi(! IN'rriiult an cclitc Tradition, formt den Stolf aber be-
reits willkürlicher. Ihre leine und vornelinie Darstellung
unterdriieUtdasderbe, drastische. biir;.''erIiehcFdenicnt; es sind
Märehen fiii' die vornohine \\'(dt im Zeitalter J^iidwigs XI \'.
Einig(! sind unmittelbar ans Stiapai'ola {geschöpft. Mit
der heimatlichen Wundej-welt verlianden sich dann die
orientalischen Märeheng-ebilde. seitdem Oalland (170-1 — Q)
die arabische Sammlung „1001 Nacht" ins Französische
übersetzt hatte. Die zalilreichen späteren Bearl)eitungen,
z. B. der Grätin Murat, d'Auneuil, stehen auf tiefe-n-r
Stufe. Neben pädagogischen Absichten und orientalischem
Zauber macht sich der Einfluss modc^rn-schäle'rlieher Liebes-
geschichten geltend. Das galante Märchen tritt an die
Stelle des volksmässigen; das Phantasiespiel wurde leere
Phantasterei. Feen und Geister belierrschten die Märchen-
■Nvelt wie in den Zaubergeschichten des Grafen Caylus.
Dieses Kennzeichen der französischen Erzählungen trug
ihnen den Namen „Feenmärchen" ein. Im „Cabinet des
fees" (1785 ff.) sind eine grosse Anzahl von ihnen ge-
sammelt. Die Deutschen lasen sie teils in der Ursprache,
teils in Übersetzungen. Seit 1765 stellte Heinrich Raspe
in Nürnberg eine Auswahl der Feenmärchen zusammen').
Den fremden Erzeugnissen schenkte man also grosse Be-
achtung, die heimischen Schätze blieben ungehoben.
Wieland, der zuerst in seinem Don Sylvio von Rosalva
über die Feenmärchen gespottet hatte, griff später selljst
Märchenstoffe auf. die sich ihm entweder in der Ritter-
dichtung des Mittelalters oder der Märchenpoesie des
Morgenlandes darboten; einige erfand er auch selbst.
Seine Hauptquellen waren die Auszüge altfranzösischer
Rittergedichte, die Contesetfabliauxin Tressans Bibliotheque
universelle des Romans (1775 ff.) und die „Mille et une
nuits". Daraus schon geht hervor, dass es sich bei ihm
um eigentliche Volksmärchen nicht liandelt. Auf die hohe
1) K.H.M. 111,300-312; O. Meyer, Vierteljahrschr. f. Litt.-
fiesch. V, 374 ff.
geschichtliche Becknitun^^ des deutscheu Märchens wies
zuerst Herder (1777) mit nachdrücklichen \Yorten hin ').
Mit Bedauern niuss er bekennen, dass man bisher so gut
wie nichts getan habe, das Dunkel über der Sagen- und
Mythengeschichte dos deutschen Volkes aufzuhellen. Er
forderte bereits einen geschichtlichen Nachweis für Ursprung
und Entwickelung der Volkssagen und Märchen, die ihm
ähnlich wie später den Grimms als „Resultate des Volks-
glaubens und seiner sinnlichen Vorstellungskräfte" er-
schienen. — Die „Volksmärchen der Deutschen" von
Musäus (1782 ff.) entsprachen nur wenig den Forderungen
Herders. Es waren trotz des Titels eigentlich Volks-
sagen, denen der Verfasser bisweilen eine märchenhafte
Einkleidung zu geben wusste, Märchen im Sinne Grimms
sind von seinen 14 Erzählungen wenige. Die „Chronika
i\i'V drei Schwestern" nahmen die Brüder selbst in die
1. Auflage ihrer Sammlung auf. Die Erzählung von
,.Rolands Knappen" ist verwandt mit dem Märchen vom
,.Tischlein deck dich" (^6), „Richilde" mit „Schneewitchen"
(58), in der „Nymphe des Brunnens" sind Teile des Märchens
vom Aschenputtel(21),derFrau Holle (24) und Allerleirauh (65)
verwebt. In reiner, unveränderter Gestalt wird uns der
Stoff bei Musäus eben niemals geboten; ausserdem sind
seine Erzählungen in einem ironisch -witzelnden Stil ge-
halten und mit persönlichen Anspielungen auf Zeit und
Zeitgenossen durchsetzt. Manche seiner Andeutungen
waren den Mitlebenden sogar nicht recht verständlich.
Das volkstümliche Element, der schlichte, einfache Ton
der Darstellung ist bei ihm mehr ein äusserer Schmuck
der künstlichen und oft verwickelten Novellen als ein
Grundcharakter. Freilich sammelte auch er „Ammen-
märchen" aus Volksmund und benutzte sie für seine Er-
zählungen, aber er machte „die alten Geschichten noch
zehnmal wunderbarer als sie ursprünglich waren", wie er
1) In seinem Aufsatz: Über die Ähnlichkeit der mittleren
engl. u. deutschen Dichtkunst. Suphansche Ausg. 25, 63 ff.
— 8 —
selbst wolil^^ofiillig hr-koiiiit. ') Und doniiocli sind di<'
iMängcl (los liuclics im Vorgloich zu seinen Vorzügen nui-
gering. Es hat das Interesse an heimisclien Sagen er-
weckt, und seine Darstellung, die Coniposition und der
abgerundete Stil linden noch heute Beifall. Dass Musiius in
freier, dichterischer Weise die Überlieferungen behandelte,
kann ihm (iben nicht zum grossen Vorwurf gemacht werden:
«'S wäre pedantisch. s<'iii X'erdienst herabzusetzen, nachdesn
die Brüder Grimm auf einem anderen Wege mehr erreicht
haben, ausserdem haben diese selljst der dichterischen
Behandlung des Märchenstoffes keine fircnzen ;ilisteck('n
wollen.
Mit besonderer "Vorliebe wurde das Märchen von dcu
Romantikern gepflegt; vieles in ihren Dichtungen ist
märchenhaft. Die lose, phantastische Verknüpfung der
Begebenheiten, das Hineingreifen des Zufalls und über-
irdischer Gewalten entsprach ganz ihren Forderungen
von der Dichtkunst überhaupt. „Das Märchen ist gleichsam
der Ganon der Poesie, alles Poetische muss märchenhaft
sein; der Dichter betet den Zufall an", heisst es bei Novalis-):
Das Wunderbare sollte nicht nur ein belebender, reiz-
voller Schmuck der dichterischen Schöpfung sein, sondern
der Boden, aus dem alle Poesie ihre Nahrung sauge. Die
Verwirrung, das Ghaos der Gefühle und Ereignisse galt
ihnen als die Wurzel des Poetischen. Die gegenseitige
Durchdringung des Sinnlichen und L'bersinnlichen, der
Wirklichkeitund des Ideals, die in der Ästhetikder Romantiker
so stark betont wird, konnte nirgends bequemer als in
der Märchendichtung dargestellt werden. Sehr nahe lag
es, selbst Märchen zu dichten. Schon Goethe hatte in
dem „Märchen", in den Unterhaltungen deutscher Aus-
gewanderten (1795) ein bewundertes, rätselvolles Muster
geliefert. In dunkeln, symbolischen Bildern und Gleichnissen.
') Andrae, Studien z. d. Volksmärchen d. Musäus. Marb.
Diss. 1S97. S. 12.
^) Schriften III, 165.
— 9 —
(leriMi Bedeutung dtMii Eiklärer SchwicrigkfitcMi vorursaclit.
spricht der Dichter zugleich ewige Wahrheiten aus. si<'
mit dem Zaubfr reinster Poesie verklärend. Es ist durchweg-
ein blosses Kunstprodukt. „Die neue Melusine" (1S07)
in Wiliiflm .Meisters Wanderjahi-en und ,A\i'v neue Paris''
(1811) in Dichtung und Wahrheit sind zwar gleichfalls
der Haupt.sache nach eigene Dichtungen Goethes, in denen
mancherlei persönliche Beziehungen in rätselhafter Ver-
hüllung angedeutet werden, geben alier bereits durch den
Zusatz zu verstehen, dass wir in ihnen gewisse alt-
überlieferte i\rotive verwertet timh-n. Aber der Dichter
hat ganz frei mit ihnen geschaltet. Im „neuen Paris''
sind antike Elemente mit mittelalterlich -romantischen in
buntem Wechsel verwebt, in der „Melusine" tritt neben
dem märchenhaften Gehalt die Tendenz stärker hervor.
iVlle drei aber bringen, wie es beim Kunstmärchen kaum
anders sein kann, mehr oder weniger dunkle Allegorien
neben der Symbolik, die, im Volksmärchen bereits abgestreift,
hier den Leser umfängt Auch das liebliche Märchen von
„Hyacinth und RosenI)Iüte", das Novalis in den .,Lchrlingen
zu Sais" erzählt, ist nicht ganz frei davon. »Spuren echter
Volksmärchen finden sich dagegen im Faust, wo Margaretens
Kerkerlied auf das Märchen vom Macliandelboom anspielt,
und im „Werther" macht Goethe eine kurze Andeutung
auf den sagenhaften Magnetberg und ein Märchen von der
Prinzessin, die durch Hände bedient wird.
Unter den älteren Romantikern beschäftigte sich nament-
lich Ludwig Tieck mit der Bearbeitung volkstümlicher
Stoffe. In den „Volksmärchen von Peter Leberecht" (1797)
erschienen neben Bearbeitungen von älteren Volksbüchern,
wie den Schildbürgern, den 4Haymonskindern. der Mage-
lone u. a. auch Volksmärchen. Aber ebensowenig wie
Musäus erstrebte Tieck geschichtliche Treue in der Dai-
stellung. In der versiflcierten, dramatischen Form muteten
die alten Erzählungen von Blaubart (1796). dem gestiefelten
Kater (1797). Piotkäppchen (1800) und dem Däumchen (181 1)
wie etwas völlig Neues an. Und die Modernisierung macht
sicil iiiidi ;tiil Scliiitt uml 'I'rilt iKMiicrklnir. Nicht nur,
(liiss die l*(M'soiH;n vid /ii individuell au !),'<; l'asst waren,
Ticxk lloc.lil iiucii iHTsöiiliciic KIciiiciitc in die Darstellung
ein: |)()h;s(M)liart"' Sccncn.SclK.Tz. j)liilo.so|)liisclM.'i-Tiel'.sinn und
liltnarischc Satiif; aul dii- h'iiliistiirkc ilTIands und Kotze-
hues (\vi(! im j^eslicl'tdtfn Kald- und dt-n siclxMi Weibern
des Blaul)ai't) wechseln mit den märchenhaften Bestand-
t(Mlen der Erzählung ab. Wie altklug und gescheit spricht
beispielsweise das Tiecksehe Ixotkäppchenl Schlichter und
volksmässiger ist er in der Bearbeitung der Volksbücher;
auch die von ihm selbst gedichteten Märchen, wie der
blonde Eckbert, der Runenl)erg, die Elfen, die mit früheren
Bearbeitungen 1812 im „Phantasus" erschienen, ahmen
sichtlich die einfachere Natur des Volksmärchens nach,
unterscheiden sich aber davon namentlich durch die Her-
vorhebung der düsteren, si)ukhaften und dämonischen Züge.
Während das Volksmärchen im allgemeinen einen fröh-
lichen, befriedigenden Ausgang liebt, treten uns in den
Tiecksclien Erzählungen die Nachtseiten der Natur mit
allen Schauern und geheimnisvollen Schrecken entgegen.
So auch mitunter in den Bearbeitungen. Wie weiss
er z. B. im Jjlaul)art das Entsetzen, die herzbeklemmende
Angst in Meclithildcns Erzählung zu steigern! — Dagegen
traf das von Kerner gedichtete Märchen vom „Goldener"
in den „Heimatlosen" den Ton des echten Volksmärchens
so natürlich, dass es Friedrich Gottschalk aus dem Deutschen
Dichterwald, wo es zuerst erschienen war, in seine Märchen-
sammlung aufnahm V-
Aber nicht diesen dichterischen Bearbeitungen von
Märchen gedachten die Brüder Grimm durch ihre Sanmi-
king in den Weg zu treten, sondern den landläufigen Märchen-
büchern, die vielfach noch vom französischen Geiste be-
eintlusst waren. Echte Überlieferung fand sich zwai' seit
]\lusäus'' Vorgang häufiger, wie in den Kindermärcheu
aus mündlichen Erzählungen gesammelt (Erfurt 17ST). den
1) Saxen u. Volksmärchen dei" Deut.sohen (1S14) 1,236.
— 11 —
Aiiiiueninürcheii von Vulpiiis ilTOlj. dem Mäiieinbucli lür
ni(3ine lieben Xachbarsleuto (17<)'Jj und den Fcenniärchen
(1801), sie waren aber meist dürftig und scblccht erzählt,
das Typische der echten Märchcnerzählung sucht man
darin vergebens. Auch war der Inhalt im Vergleich zur
Grimmschen Sammlung ganz geringfügig. Niemand hatte
vor Grimm über die ^lärchenlitteratur weite Umschau ge-
halten: in den meisten Fällen hatten sicli die \'ei'fasser
mit düi'ftigen Bruchstücken begnügt, die sie dann aus
eigenen Mitteln zu ergänzen und zu bereichern suchten.
Daneben konnnen noch oft Entlehnungen aus fremdlän-
(h'sclien (Quellen vor. Die Kindermärchen von Eschke
iIS04) sind trockene, moralische Fabeln ohne jeden mär-
chenhaften Gehalt; auch über die Sammlung ihres Namens-
vetters Albert Ludwig Grimm (Heidelberg 1809) konnten
die Brüder kein günstiges Urteil abgeben'). Job. Gustav
Büschings Sammlung, die in demselben Jahr wie die
Grimmsche erschien, enthält grösstenteils Sagen, die aus
Chroniken und Länderbeschreibungen zusammengetragen
waren; bloss 5 Märchen sind darin enthalten, bei denen
freilich der Kinderton der Darstellung oft vermisst wird.
Nur zwei heben sich als litterarische Kleinodien aus ihrer
Umgebung heraus, die von Runge stammenden Aufzeich-
nungen der Märchen vom „Fischer" und ,,Machandelboom".
Runge hatte in diesen beiden Erzählungen zum ersten Mal
Musterstückc kunstvoller Darstellung geliefert. Ohne den
Stoff mit subjektiven Elementen zu belasten, hatte er es
verstanden, durch Vertiefung und Steigerung der .Motive,
reiche, detaillierte Beschreibung, durch genaue Beobachtung
der Rhythmik gesprochener Prosa die Erzählungen für alle
folgenden Märchenschreil)er vorbildlich zu machen. Der
Rungischen Kunst ist die der Brüder Grimm nahe ver-
wandt. Anfangs noch zaghaft in der reicheren Ausge-
staltung der Märchen, haben sie später von Auflage
1) Hriefw. zw. J. u. W. (irimin S. 128.
/ii AiilIüL''»' «las kiinstN'risclic l'iiii/.ij) iiK-lir- hervortreten
lassen.
Zimi 1. IJimde der Miiroli<'n wurde 0 .Jaliro ^'■('sammelt.
Den iirrisstcii Teil der Krzäliliiii^'-en zoicliiieten dif* Brüder
seihst nach niiiiidlicher Iljcilieferiinf? ihres Heimatlandes
auf; Hessen, di'; (Iralschart Hanau, die Main- und Kinzi«:-
jj^egenden lieferten die meisten lieiträge. Danelien wurden
auch Fassungen henutzt, die von Freunden und Bekanntet)
heniihrten. Seit seinem Aufenthalt in Halle (1809) war
Wilhelm Orimm mit dem westfälischen Edelmann Werner
von Haxthausen hekannt; ihm und seinen Schwestern
verdankt die Sammlung eine Reihe der schfinsten Er-
zählungen. j\Iit grosser Genugtuung erwähnt Wilhelm,
dass ihm gerade die Beiträge aus dem Westfälischen
(Paderhorn und .^Hinster) wegen der zutraulichen Mundart
und der inneren Vollständigkeit wertvoll seien: er freut
sich, dass sie gerade so aufgefasst werden, wie ihm am
liebsten ist. nämlich treu und genau mit aller Eigentüm-
lichkeit seihst dos Dialekts ohne Zusatz und sogenannte
Verschönerung'). Das gleiche Lob erhält Werners Bruder
August: ,.An der Art, wie Sie aufschreiben, weiss ich
niclits auszusetzen, es ist treu und einfach, wie ich es
wünsche, und wenn Sie so fortfahren, werden Sie keinen
kleinen Teil an der Fortsetzung des Buches haben"').
Auch zu den späteren Auflagen steuerte die befreundete
Familie reichlich bei. Nach der 3. Auflage stammen die
Märchen No. 7. 10. 27. 60. 68. 70. 72. 86. 91. 99. 101. 112.
113. 121. 123. 126. 129. 131—34. 137—143 (138?) aus
Beiträgen der Familie Haxthausen. Die Märchen No. 14.
16. 24. 45. 48. 52. 64. 65. 71. 97. 110. 133. 135. 136 sind
z. Teil daher entnommen. Im 3. Bande finden sich Vari-
anten von ihnen unter Xo. 1. 4. 6. 21. 48. 57. 71. 73. 82.
106. 112. 143. 158. Ausserdem sind die Kinderlegenden
Xo. 1 — 7 vollständig nach ihren Aufzeichnungen erzählt.
1) Freundesbriefe .S. 1.
'^ Freundesbriefe S. 5.
— 18 —
Der plattdeutsclio Dialekt inaiicher Märchen wurde unver-
ändert beil)ehalten, um die Frische und ürsprünglich-
keit des Tons zu wahren. Von Bedeutuiif( für das Zu-
standekommen des 2. Bandes war namentlich die zufällige
Jiekanntschaft der Brüder mit der ..Märchenfrau'' Vieh-
männin in Zwelirn bei Kassel. Ihren Erzählungen folgen
No. 6. 22. 29. 34. 61. 03. 71. TG. 89. 94. 98. 100. 102. 106.
108. 111. 115. 118. 125. 127. 128. Ergänzungen lieferte
sie zu No. 9. 21. 31. 58. 59. 120. Varianten behiulen sich
unter Xo. 4. 27. 90. 92. 122.
Die Brüder Grimm hatten mit der Veröffentlichung
gezögert, um die Sammlung in möglichster Vollständigkeit
darbieten zu können. Arnim nötigte sie zu rascherem
Vorgehen. Noch nach 25 Jahren haben die Brüder in
dankbarer Anerkennung seiner fördernden Teilnahme ge-
dacht'). Er vermittelte auch die Verbindung mit dem
Verleger Reimer in Berlin. Obwohl dieser erst nach Ab-
setzung einer bestimmten Anzahl von Exemplaren Honorar
bewilligen wollte, \varen die Brüder doch mit den Bedin-
gungen einverstanden; es kam ihnen nun darauf an, zu
ähnlichen Unternehmungen Lust zu machen-). Am Schluss
des Jahres 1812 erschien der 1. Band im Handel.
Der Stil der Erzählungen, der schlicht und natürlich
sich in den einfachsten Formen bewegte, wurde zunächst
nüchtern gefunden. Die roln; Gestalt mancher Märchen,
die eine ältere Quelle nicht verleugneten, stiess ab: einige
dürftige Fragmente, die mit gewissenhafter Treue ohne
Ergänzungen abgedruckt waren, hätte man lieber ganz
weggew^ünscht. Sehr ungehalten spricht sich Brentano
über die Sammlung aus, auf die ihn Arnim aufmerksam ge-
macht hatte-'). Die treue Nacherzählung findet er äusserst
., liederlich und versudelt". Trotz ihrer Kürze seien die
meisten Märchen langweilig; wolle man ein Kinderkleid
1) In clor Zuschrift der 3. Auflage an Bettina.
2) Steig, Achim v. Arnim III, 195.
3) Steig, Achim v. Arnim I, ciU9.
— 14 -
liorRuslioloii. so k<)rmo man os mit aller 'rrfin* tun. ..olino
eines vorzuzeij/cn. an dom all«' Knöpfr iKTuntorf^erisscn
soicii". Anrji (li(! «rclclutcn Noten im A nlian^ stiiron ihn.
Er vortritt «Jen Standpunkt, den m- später hei seinen eigenen
Märolien festige halten hat. Als ;,'eleliri<(er Schiller Hasiles
konnte er freilieh nur sehwer an der „Milehspeise" der
Grimmsehen MärclKMi (leschmack linden, hier fehlte der
sprudelnde Witz und die capriziöse, kecke Darstellunor,
die den Pentamerone auszeichnet. Die Brüder Grimm
gingen iiiren eiü-enen Weg: was sie für die Kunstform des
Märchens hielten, stand der Auffassung Brentanos scharf
entgegen. Man vergleiche mit Brentanos Urteil das Wider-
spiel bei W. Grimm: „In Brentanos Buch hahe icli ge-
blättert — es ist mehr Stil in den Märchen wie in den
unserigen, lesen sich dagegen zu wiederholten Malen
schlechter, weil man dann den Witz weg hat oder aus-
wendig weiss, daher eine solche Art nur aufkommen d. h.
absichtlich gewählt werden kann, wenn man, wie jetzt,
etwas nur einmal liest" '). Ruhiger als Brentano äussert
sich Arnim; er sucht zwischen beiden Parteien zu ver-
mitteln, verschliesst sich niclit herb gegen das Neue und
Schöne in Brentanos Märchen und macht anderseits die
Freunde auf manche Übelstände ihrer eigenen Sammlung
aufmerksam. Für seine Beurteilung der Grimmschen Mär-
chen ist seine prinzipielle Stellung zur Volks- und Kunst-
poesie wichtig. Über das Verhältnis dieser beiden grossen
Hauptgattungen zu einander hatte sich zwischen ihm
und den Brüdern eine lebhafte Auseinandersetzung ent-
wickelt-). Während Arnim die Weiterbildung und Ver-
tiefung des überlieferten Stoffes als das gute Recht des
modernen Dichters verteidigte, überhaupt die Grenzen
zwischen Volks- und Kunstpoesie nicht so scharf bestimmen
wollte, betrachtete Jakob jede der beiden Hauptformen als
ein besonderes Gebiet und erkannte nur in der Volksdichtung
1) ßriefw. zw. J. u. W. Grimm S. 381.
-) Steig, Achim v. Arnim 111,115—145.
den c\Yitjon Bestand diclitcrisrlicr Kraft an. Xiclit nur hr-
grii'flich und inlialtlicli. auch in der Zeit seien beide von
einander getrennt, hatte er schon in einem Aufsatz der
Einsiedh-Tzeitung iNo. 19/20) i)ehauptet. Und die willkür-
liclie Verniengung beider Gattungen erschien ihm „geradezu
sündhaft". Diese Gegensätze mussten sich natiirlicli auch
bei der Beurteilung der Märchen zeigen. Arnim lässt in
seinen Äusserungen über (bis Buch mehr praktische Rück-
sichten gelten. Er tadelt mit Recht den wörtlielieii Ab-
druck von Vorlagen aus dem 1(). Jahriiundert. deren
Sprache für Kinder ebenso unverständlich sei, wie für Er-
wachsene, die kein Studium daraus gemacht hätten, das
Nibelungenlied. Die Roheit einiger l\Iärchen. z. 1k das
Schlachtspicl, schien ihm für ein Kinderbuch bedenklich;
schon der „Machandelboonr' hatte ihm einst wegen einer
darin wohnenden Grausamkeit widerstrebt. Er berührte
sich in seinem Urteil mit Friedrich Schlegel, der zwar im
allgemeinen eine günstige Kritik über das Buch aussprach
und den Stil lo])te, aber eine Reduktion der Märchen von
i\(:'n vorhandtMien 80 Xunnnern auf GO für eine Verbesserung
der Sammlung hielt'). Den Arnimschen Ausführungen
gegenüber nahmen die Brii(l(M' die ]\lärchen eifrig in Schutz.
Den Einwurf, dass manche es ihren Kindern nicht rück-
haltlos in die Hände geben könnten, hätten sie voraus-
gesehen, der Wahrheit der Überlieferung zu liebe aber
müssten auch Dinge berührt werden, die manche viel-
leicht anstössig däuchten und schwächere Gemüter ver-
letzten. Auch tragische Fälle, wie die Geschichten vom
Schlachten, wären schon durch die tatsächliche Existenz
entschuldigt und stellten ausserdem eine wichtige Seite der
Volkspoesie dar. In allen Mitteilungen der Brüder ver-
nehmen wir den einen Grundton: treues Festhalten an der
Überlieferung. ..Hätten wir verändert, zugesetzt, so wären
wir verantwortlich", schreibt Wiliielm an Arnim-). Die Streit-
frage dreht sich hier einfach um ein mehr oder minder. Die
1) Briefw. zw. J. u. W. Grimm S. 35G.
2) Steig, Achim v. Arnim III, 2G7.
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l'.riidi'i' (jriiiitn Iru^^Mioti-n durcliau-s nicbt, tlass der .Stoff
daduicli, (lass sie ilin (irzähltcn, <,'(;\vi88e Unil)ildiin;,'eu er-
ralir(;ii iiiiissc. doch sei davon das absichtliche Zusainincn-
srt/cii Mild L'niiiiodt'ln weit verschieden, und nur dieses
wollten sie bekänipl'eii. Xidit auf pünktliche Treue kam
es ihnen an, sondern was neben der Achtunj^ vor dem
geschichtlicli Gewordenen ..dennoch wie von einer nicht zu
bezwini^^Miden Ci(;walt neu herausgetrieben würde'', das
mache den eij^entlichen Fortschritt aus '). Was dii; Form
mancher Eizählunge'n ijetrelTe, so könne man die unver-
ständlichen, wie die plattdeutschen oder die Abdrücke
älterer Vorla^^eii, iil>erschlagen, ..und sich soj/ar freuen,
darum noch etwas für die Zukunft zu l)ehalten" -j. Wir
sehen: die erste Auflage hebt den Zweck der Sammlung
als ein Kinderbuch noch weniger hervor. Der wissen-
schaftliche und geschichtliche Wert der Erzählungen gilt
den Brüdern noch ebensoviel wie die künstlerische Form,
sie sind sogar geneigt, diese der Treue in der Ü'berlieferung
aufzuopfern. Jakob spricht es unverhohlen aus. wie er
die Sammlung beurteilt wissen wolle: ..Das Märchenbuch
ist mir garnicht für Kinder geschrieben, aber es kommt
ihnen recht erwünscht und das freut mich sehr, sondern
ich hätte nicht mit Lust daran gearbeitet, wenn ich nicht
(Jlaubens wäre, dass es den ernstesten und ältesten Leuten
so gut wie mir für Poesie, Mythologie und Geschichte
wichtig werden und erscheinen könnte" 'j. Trotz der ab-
lehnenden Haltung, die hier Jakob gegenüber Arnims
bessernden Vorschlägen zeigt, sind dessen Ausstellungen
an dem Märchenbande für die 2. Ausgabe fast sämtlich
l)erücksichtigt worden. AVilhelm. der die Redaktion der
folgenden Auflagen übernahm, war geneigter, das Urteil
der Freunde zu beachten. Uneingeschränktes Lob aber
spendete der Sammlung Joseph Görres in Heidelberg. Ihn,
der mit Enthusiasmus die Poesie der ..teutsclien Volks-
') Steig, Acliini v. Arnim III, 2()7.
2) Steig, Achim v. Arnim 111,271.
S) Steig, Achim v. Arnim 111,271.
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bücher" verkündiget hatte, mussten die schlichteuErzählungen
aus dein Vulke besonders angonehni überrascben. Schon
in der Ankündigung der Sammlung hatten die Brüder ver-
sprochen, dass die Märchen ..ohne Schnüre und Goldborten
als ein ordentliches Volksbuch" schlecht und recht ge-
druckt werden sollten. „Meine Hoffnung ist", schreibt
Wilhelm an Görres'), „dass das Buch, wo man es nur
versucht, gleich seine Kraft bewähren wird." "Wie be-
geistert es sogleich von der Kinderwelt aufgenommen
wurde. dai'ül)er gibt die lobende Anerkennung von Görres-)
und der Dankbriel' Bettinens '') an die Brüder reiche Aus-
kunft. Seltsam kontrastiert damit Brentanos Mitteilung,
dass es in Österreich verboten Mar, die Märchen nach-
zudrucken, da sie wegen ihres „abergläubischen" Inhalts
eine Gefahr für die Volksbildung bedeuten sollten"*). Auch
von Büsching kam eine missgünstige Rezension, die den
Grimms den Vorwurf machte, die Märchenwelt verdüstert
zu haben"*). Das schärfste Verdammungsurteil sprach
Heinrich Voss aus. Er stand wie sein Vater der ganzen
Romantik feindlich gegenüber; darum kann seine böse
Kritik nicht schwer ins Gewicht fallen. „Einige Märchen
sind schön", schreibt er an seinen Freund Truchsess, ,,voll
tiefen Sinnes und einfach und gut erzählt, die meisten aber
sind wahrer Schund, oder wenn auch im Keim gesund, doch
in der Form durchaus verwahrlost. Ich fordere auch hier
das Ideal eines Erzählers, und findet sich der in Wirklichkeit
nicht, so muss der Schriftsteller seinen Platz vertreten"**).
Wie vor dem Schwulst der Lohensteinschen Periode wird
vor der „affektierten Kindlichkeit" der Romantiker gewarnt.
Die Brüder Grimm w-aren sich des Wertes ihrer
Sammlung w^ohl bewusst. Dass die Form zuerst auffallen
würde, verhehlten sie sich nicht: „Man wird es leicht
•) am 31. Dez. 1812.
■-) Brief an Grimm vom 27. I. 1813.
3) Steig, Achim v. Arnim III, 265.
*) Steig, Achim v. Arnim 111,302.
^) Steig, Achim v. Arnim III, 297.
6) Briefe v. Heinrich Voss an Christian v. Truchsess S. 87.
Palaestra XLVII. 2
— IK —
licincrkon", schrcihi \Villi(?liii an (iörros'), „dass os keine
Hiirid«! f^earbcitet haben, die sich in poetischen, zierlichen
Darstellungen geübt, dergleichen in unserer Zeit nicht
selten sind: es ist im Oegenteil lieber jeder zarte, süsse
und holde Ausdruck vermieden, der verweichlicht und
verallgemeinert, und der Gedanke so viel als möglich an
der Wurzel gefasst worden". Obwohl noch eine „ge-
wisse Ungeschicktheit in ]»oetischen Arbeiten" -) darin
walte, ist er überzeugt, dass wegen des reichen Inhalts
kaum ein anderes Buch damit verglichen werden könne —
Die Hoft'nungen, die sie auf die Ausgabe dt;r Märchen
gesetzt hatten, erfüllten sich in reichstem Masse. Der
1. Band hatte trotz mancher .Mängel als ein gutes Muster
einer Kindermärchensammlung Xacheiferung erweckt. Sie
empfingen von anderer Seite reiche Beiträge, mehr als
sie erwartet hatten, so dass der 2. Band bereits 1814
(mit der Jahreszahl 1815) erscheinen konnte. Die Arbeit
daran lag wesentlich in Wilhelms Händen, da Jakob sich
als Gesandtschaftssecretär in Prankreich befand. Neben
ernsterer wissenschaftlicher Tätigkeit war dem Heraus-
geber das Zusammenstellen der Märchen eine Erheiterung
in den verschiedenen Stimmungen des Jahres^). Jakob
begleitete die Fortschritte des Werkes mit Teilnahme und
Freude"*). An Einlieitlichkeit der Stilisierung zeigt dieser
Band vor dem ersten bereits einen bemerkenswerten
Vorzug. Die schlichte, treu nacherzählende Art wurde
beibehalten. Arnim übersah nicht die grössere Sicherheit
in der Kunst der Erzählung: nur wünschte er noch ein
stärkeres Hervortreten des Schriftstellers, damit manches
Märchen einen befriedigenderen Abschluss finde •'^).
In beiden Bänden war eine Reihe von Erzählungen
schriftlichen Vorlagen entnommen: wir wenden uns im
folgenden ihrer Betrachtung zu.
M am 31. Dez. 1812. vgl. auch Steig, A. v. Arnim 111,252.
-) Steig, A. V. Arnim III, 2G7.
'^) Brief an Görres v. 30. I. 1815.
^) BrietV. zw. J. \i. W. (Irimm S. 2G6.
') Steig, A. V. Arnim 111,819.
Die Vorlagen und ihre Bearbeitung.
1.6. Von der Xaclitigall und der Blindschleiche*).
Es ist ein französisches Tiermärchen, das erzählt, wie
Nachtigall und Blindschleiche ursprünglich nur je ein Auge
hatten und zusammen lebten, l)is die Nachtigall von ihrer
Freundin für eine Hochzeit das eine entlieh, es ihr aber
nacldier nicht wieder zurückgab, und wie nun ewige Feind-
schaft zwischen ihnen besteht. — Die Brüder Grimm ent-
nahmen das ]\Iärchen dem 2. Bande der Memoires de
TAcademie celtique (Paris 1808), wo es sich in der Ab-
handlung: Traditions et usages de la Sologne-) par M. Legier
nahezu vollständig vorfindet'). Es schliesst hier: „L'opinion
des Solognots est que non loin du nid d'un rossignol,
souvent sous Tarbuste oü il est, on peut chercher, on y
trouvera certainement un anvot; j"ai cherche et n'ai rien
trouv6". Im Deutschen steht anstatt dieser kritischen
Bemerkung, die als solche den Ton der einfachen Märchen-
erzählung verlässt, ein anderer Schluss, der die Geschichte
besser abrundet, indem er die stete Feindschaft der beiden
ehemaligen Freunde zum Ausdruck bringt: „und sie trachtet
immer hinaufzukriechen, Löcher in die Eier ihrer Feindin
zu bohren oder sie auszusaufen." Dies ist die wörtliche
Übersetzung einer Anmerkung im 4. Bande der Memoires.
Dort heisst es in einem Aufsatz über den Volksglauben
in der Sologne und inBerri: „La fable druidique relative
a l'anvot et au rossignol y (i. e. en Berri) est accredit^e
1) vgl. R. Kühler, Zs. d. Ver. f. Volkskunde T, 53 If.
2) In Mittelfrankreich, Departement Loire-Cher.
3) S. 204 f.
2*
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commo ä Solo<<n*^ ot cit<'<' nir-iiie comme provprbo. sans
douto parc(! (iiTelle tioiit ä la fois aux allej^oriüs du drui-
(lisnio et ;i lu inoralf^. Par ce doulilo rapjjort, nous avons
cni. M. Joliaiincau et nioi (Lr^nor), (juVIlf' lUf'-ritait dT-tre
V(Msili6e vX nous Tavoiis mis en vers." Der Schluss der
nun lol^ajiiden, ^'•oreimteii Fassung (S. 100—102) lautet;
„Avcuyic i't iiialliourcux p.ir trop «Ic (M^niiilaisance,
l)(>l»uis ce Icmps I'anvot räche son existence
Sous ](' nid de rinfri"it; attend daiis le silenco
L'instanl de se venjjrer de Td-il qu'il a jjerdii,
En niani;'eaiit Td-uf que le traitre a pDiulu.''
Eine Note zu ,, ringrat" crkiäi't: ..On dit (|u'il so trouve
toujours un anvut sous le nid du rossignol et (|u"il m
perce et niange les d'ufs."
Die Übersetzung schliesst sich eng an den Iranzrisisclien
Text an. Einige Eigentümlichkeiten des Stils fallen jedoch
sofort ins Auge: Grimm legt Wert auf die Beseelung der
Tierwelt. Wie in der Volkspoesie überhaupt — am aus-
gedehntesten im Tierepos — werden menschliche Ver-.
hältnisse auf die Tiere übertragen, und diese dadurch in
die Menschenähnlichkeit erhoben. Die knappen An-
deutungen der Vorlage sucht die Bearbeitung möglichst
zu bereichern und dadurch das Ganze poetischer zu ge-
stalten. Aus diesem Grunde erklären sich Ausdrücke wie:
da „wohnf eine Blindschleiche (on trouvera un anvot) —
Wie die Nachtigall nach Haus gekommen war (le rossignol
de retour) — die Blindschleiche tat es ..aus Gefälligkeif'
(I'anvot le lui preta).
Der volkstümlichen Ausdrucksweise entspricht der
synonyme Parallelismus in den Wendungen: Sie lebten
"Xusammen in einem Haus ..in Frieden und Einigkeit" (ils
vivaient dans une bonne intelligence) — sie wollte sich
„an ihren Kindern und Kindeskindern" rächen (veuger
sur sa prog6niture). Und ähnlich wird im folgenden durch
die Wiederholung eine behagliche Breite zu Gunsten des
volkstümlichen Stils vorgezogen: „Es gefiel ihr so wohl,
4.lass sie zwei Augen im Kopf trug und zu beiden Seiten
. - -^1 -
sehen konnte, dass sie der annoii Blindschleiche ihr ge-
liehenes Aiig' nicht wieder zurückgeben wollte'' (le rossignol
refusa de rendrc IVril, quMl lui avait pret6). — „Seit der
Zeit haben alle Nachtigallen zwei Augen und alle Blind-
schleichen keine Augen'' (et voila pourquoi l'anvot ne voit
pas clair). — Die Stelle: „II pria Tanvot de lui prrter son
(eil" lautet bei Grimm erweitert und der Umgangssprache
angeähnelt: ..ich bin da auf eine Hochzeit gebeten und
möchte nicht gern so mit einem Aug hingehen, sei doch
so gut und leih mir deins dazu, ich bring dir's morgen
wieder.''
Die Lautmalerei freilich in dem A'ers der singenden
Nachtigall:
„.)o ferai mon nid .si haut! si baut! si liaut! si ba.s!
Que tu ne le trouveras pas,"
die an das: ..ziküth" in dem Märchen von Jorinde und
Joringel (1. 69) anklingt, konnte im Deutschen nicht so
glücklich nachgeahmt werden:
„Ich bau mein Nest auf jene Linden,
So hoch, so hoch, so hoch, so hoch;
da nias'st du's nimmei-mehr finden."
Dafür aber ist der Hinweis auf die Linde als den
Baum der Volkspoesie als glücklicher Zusatz zu bezeichnen;
der Eeim auf „finden" macht allerdings die Beifügung sehr
leicht erklärlich.
Einige dialektische Fassungen des Märchens') sind,
wie R. Köhler zuerst ausgesprochen hat,-) nicht boden-
ständig, sondern gehen unmittelbar auf die Grimmsche
Übersetzung aus dem Französischen zurück. In Frank-
reich lebt die Erzählung noch jetzt vielfach im Volks-
munde fort.-')
') vpl. Fii-menich, Germaniens Vülkerstimmen I, 283. H. F
W. Raabe, Allgem. plattdeutsches Volksbuch 1854, pag. 234.
2,^ a. a. O. S. 58.
^^ ibid. S. 55 f.
1,8. ])'](' Ilainl mit iloiii Messer.
Das Märchen <(elit ursprünglich aiil ein schottisclics
Kinder- oder Volksh'ed zurück, dessen Jnhalt die Schrift-
stellerin Mrs. Anne (irant ol" Jjaggan (1755 — IH'.iH) in ihren
Essays") niittf^ilt. Sie kannte das Lied aus mündlicher
Überlieferung: ..One of tliese (stories)". sfhreiht sie. ..which
I hav(! iieard chiidren at a very early age sing, and whicii
is just to them the Babcs in tlie Wood, I can never forget.
The affecting sinijjlicity of the tune, the stränge wild
imagcry and the marks of reniote antiquity in the littlc
narrative gave it the greatest interest to me. who delight
in tracing back poetry to its infancy.'' Die nun folgende
Inhaltsangabe bildete die Vorlage für das Grimmsche
Märchen. Bei der Seltenheit des englischen Werkes mag
es erlaubt sein, die betreffende Stelle hier einzurücken;
sie wurde mir gütigst durch die Verwaltung der Bibliothek
des British Museum übermittelt:
„A little girl had been innocently beloved by a fairy, ^vho
dwelt in a tomhan near her mother's habitation. She had
three brothers who were the favourites of her mother. She
herseif was treated harshly and tasked beyond her strencrth:
Her employment was to go every mornin"- and cxit a cerlain
qnanlity of turf froni drj' heathy ground for immediate fuel
and this with some imcouth and primitive implement. — As
she past the hilloclc, which contained her lover, he regularly
put out his band with a A'ery sharp knife of such power, that
it quickjy and readily cut through all impediments. She re-
lurned chearfuUy and early with her load of turf; and as she
])ast by the hillock, she Struck on it twice and the fairy stret-
ched out his band through the surface and received the knife.
The mother, however, told the brothers, that her daughter
must certainly have had some aid to perform the allotted task.
They watcbed her, saw her receive the enchanted knife and
forced it from her. The^' returned, Struck the hillock, as she
was wont to do, and when the fairj' put out his band, they
cut it off with his own knife. He drew in the bleeding arm in
despair and supposing this cruelty was the result of treachery
on the part of his beloved, never saw her more."
1) Essays on the superstitions of the highlanders of Scotland.
London 1811. I, 285—8(3.
— 23 —
Die Bearbeitung folgt fast wörtlich der Vorlage: nur
hin und wieder wurde ein Ausdruck in einer etwas volks-
tümlicheren Färbung wiedergegeben, z. B.: .,Sie niusste
,tagtägliclr morgens früh ausgehen" (her employment was
to go every morning). Der Znsatz : „ein altes und stumpfes
Gerät, womit es die , sauere Arbeit' verrichten sollte",
scheint nicht ohne Absicht beigefügt zu sein; Grimm liebt
die volkstümliche Redensart: „es sich sauer w^erden lassen"
und hat sie verschiedentlich variiert häufiger in den
I\lärchon angewandt. OI)wohI nur die oben mitgeteilte
liilialtsangabe des Liedes von Grimm benutzt w^urde, seien
auch einige Strophen der Originalfassung hier angegeben,
damit das Verhältnis der Prosaauflösung zum ursprüng-
lichen Liede deutlich wird. Anne Grants Versuch der
Übertragung des Textes ins Englische enthält die Worte
des jungen Mädchens:
„Ibeholdyonder the tonihan covered with rowan')and hoUy.
Dear to me is the treasure which it contains.
Sweet and deep was niv sluiaber
On the bvink of the lake of niany salmon.
I awoke. and lialf of jny bed reniained not.
I see yonder the tonihan. etc.
I .see my brothers afai' yonder
Moiinted on sleek swift grey steeds:
They ride, but my heart goes not with theni.
I see yonder the tomhan, etc.
I see the house of niy mother afar o(T;
Not as it were a honse, but a place deserted.
While .sweet slumber falls on others,
Green flames shall encompass her feet.
I see 3'onder the tomhan, etc."
Schon diese Strophen lassen erkennen, dass das Ge-
dicht viel breiter angelegt war, als die Grimmsche Vor-
lage, die sehr straff zusammenfasst und nur die Hauptpunkte
der Erzählung berührt. Vollständig ist das Lied auch in
*j Rowan, tlie mountain Ash.
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(Ici- englischen Fassunj.'^ nicht eriiahf-n. — Das Märfiifii
wurde als iindeutsch in 'Iff 2. Aiiria;.'«' iiljerhaupt aus-
g<,'Hehif'(Jt;ii.
1. 2<-). \'oii ei Fl ••III tiiidcin Sclini'ider.
Das weitverbreitete 'j Milrchen vom tapferen Schneider-
lein steht in der 1. Aullage in 2 Fassungen unverl)unden
nebeneinander. Die erste stammt aus Martin Montanus
(Wegkürzer, cap. ö) und wurde wörtlich daraus abgedruckt.
Auch der Druckl'ehler in der Vorlage: „das ihm so sehr
grossen Schaden an Fisch (= Vieh) und Leut thef. ging
unverbessert in die Bearbeitung iilter.
Die zweite Rezension, ein Fragment, erzählt nach einer
mündlichen Überlieferung aus Hessen. Diese hat einen
anschaulicheren Eingang, berichtet ausführlich, wie der
Schneider sich von der Bauerfrau das ]\lus erhandelt und
29 Fliegen auf einen Streich erlegt. Er näht sich dann
den Gürtel mit der prahlerischen Aufschrift, zieht in die
Welt und erlebt die Abenteuer mit dem Riesen. Mit der
Kraftprobe an dem Kirschbaum, an dem der Riese und
der Schneider ihre Stärke messen, endigt die Geschichte.
Bei Montanus, der wahrscheinlich aus mündlicher Über-
lieferung schöpfte-), ist dieser Teil viel kürzer. In einer
Stadt Romandia, erzählt er, habe ein Schneider 7 Fliegen
auf einem Apfel erschlagen und sei. nachdem er die Helden-
tat auf den Harnisch geschrieben, an des Königs Hof ge-
zogen. Im folgenden wird nun das Leben des Schneiders
in königlichen Diensten mit grosser Ausführlichkeit ge-
schildert.
Erst in der 2. Auflage wurde das Märchen umge-
schrieben und ergänzt (s. u.), ohne jedoch den ursprüng-
lichen Charakter und die Geschlossenheit der Darstellung
zu verlieren. Wie willkürlich war dem gegenüber Brentanos
Verfahren! Sein Märchen vom Schneider Siebentot ist in
>) vgl. ausser Grimm III.^ 29 R. Kühler, Kleinere Schriften
I, 563 f.
2) Vgl. Montanus, Schwankbücher ed. Bolte S. XVI.
liuntcr Oi'diiuiii:- mit der Erzählung' vom Däumcliori ver-
knüpft. Lächerliche Bezeichnungen, scherzhafte Lied<'r
und Aii«:riffe auf Juden und Schneider machen das Ganze
zu einem hiunigen Gemisch halb märchenhafter, halb
satirischer Dichtung.
I. 22. Wie Kinder Schi achtens mit einander gespielt
haben.
Die uralte Sage „von einem Kinde, das kindlicher
Weise ein anderes Kind umbringt" entnahmen die Brüder
H. von Kleists Berliner Abendblättern, wo es in Nr. 38
vom 1:3. November 1810 abgedruckt war. Der anonyme
Einsender war Achim von Arnim '), der die Erzählung
„aus einem alten Buche", nämlich aus Georg Wickrams
Rolhvagenbüchlein-) mit ganz geringen sprachlichen Mo-
dernisierungen zum Abdruck brachte. Die Veranlassung
dazu gab offenbar Zacharias Werners 1809 gedichtetes
Trauerspiel: Der 24. Februar. Arnim verweist in seiner
Zuschrift, die eine Aufführung des Dramas in Berlin an-
regen wollte, auf das ähnliche Motiv, das in Werners
Spiel zu Grunde liege: ein wichtiger Teil der Vorgeschichte
des Stücks ist mit Anlehnung an eine ähnliche Mord-
geschichte gedichtet worden.'') Der kleine Kurt Kurutli
hat in kindlicher Xaivetät seine Schwester im Spiel ge-
schlachtet, nachdem er die Mutter hatte ein Huhn ab-
stechen sehen. Wahrscheinlich schwebte Werner hierbei
eine mündliche Überheferung der weitverbreiteten Sage
vor. — Einen ergiebigen Gebrauch davon machte später
Arnim im 2. Teil der Kronenwächter.'*) Er gestaltete die
Erzählung romanhaft aus und spitzte sie ähnlich wie
Werner zu einem Geschwistermorde zu. Oswald, das
nachgebliebene Söhnchen Bertholds, wird von dem Sohne
Antons, seinem Stiefbruder, unter gleichen Umständen,
•) R. Steig, H. V. Kleists Berliner Käm[)fe S. 202.
2) Georg- Wickrani, Werke III, S. 97 f.
^) vgl. E. Schmidt, Vierteljahrschr. f. Litterat. -Gesch. I, .')0;{.
■») Steig, H. V. Kleists Berliner Kämpfe S. 203.
— 26 —
wie die S;i;4f ci/iililt. im Spii-l liiii<((iiiior(l<'t : (lt;i- .Müidt-r
trinkt i\ns lilul sciiK^s Ojjlcrs. HirH'iii<<olIo(;htC'ii über wird
von Arnim ein mystischer Zu<(. als ol> eine f(olir;inini.ssvollc
Macht drs Jjhiles dUt i.'-ruusi;,^) Tat veranlasst habe. Ji(-rt-
hohls ../.weites Jycheir". (IcmOswahl entstammte, war erst
(hurh eine künstliche, von \)v. l-'anst vor^'enonim<ne lihit-
iil)eitraj;nii;,' mö^^h"eh «geworden; es war Antons Blut, das
in (hMi) Kinih' floss. Der Mörder tat iiaeli .\rnims Dar-
stelhHiLC •""■ <hMi Wilh'n des Schicksals, wenn er das lihit.
das ihm ei^iviitlich gehörte, zurückforderte. Beim Mord«.'
kam dasselbe Messer zur Verw(!ndun<(. das l)eim Aderlass
des Vaters einst y-ebrauclit worden war. — Ähnlich ist
die Durch t'ührunir einiger Gedanken bei Werner. .Auch
hier s])ielt das .Mordmesser eine grosse Rolle, so dass man
l)eliauptcn kann, dass nicht nur der .\bdruck in den Aljcnd-
blättern, sondern auch die poetische Umgestaltung der
Sage in den Kronenwächtern von dem virtuosen Schicksals-
drama angeregt und beeinflusst worden ist, um so mehr,
als es sich auch hier um einen Gcschwistermord handelt,
der in der von Arnim benutzten Fabel ursprünglich nicht
vorhanden war. — Die Grimmsche Bearbeitung hat nicht
vorsuclit, eine andere Stilisierung des ]\Iärchens vorzu-
nehmen.
Yci-wandt mit der eben I)ehandelten Erzählung ist eine
andere Fassung (22^^). die nur noch das Grausige der Er-
eignisse häuft: Ein Kind er-sticht seinen Bruder, ertrinkt
selbst im Badezuber, die Mutter erhängt sich aus Ver-
zweiflung, und der Mann, der bei der Rückkehr vom Felde
das Unglück wahrnimmt, stirbt vor Gram. Der Grimmsche
Text ist, abgesehen von geringfügigen Wortveränderungen,
ein getreuer Abdruck der Vorlage: Martin Zeillers
Miscellanea (Nürnberg 1G61. S. 388). Zeiller übersetzte
aus J. Wolfs Lectiones memorabiles (1600). Schon in
der Zimmerischen Chronik wird die Geschichte erzählt').
1) vgl. Bolle, Anmerkung zu Wickrani III. 385: Goedeke,
Schwanke S. 40.
— 27 —
Die Voiiage bringt noch einen sagenhaften Bericht iibt'r
(las Zustanclekonimcn des Distichons:
„Slis, pueri bini, ])Uor unus, mipta, niarilus
cultellü, lyniplia, l'une, dolore failuiit"
das in wenigen Worten den Jnhalt der entsetzlichen Tra-
gödie wiedergibt. Mit Recht fand Arnim die beiden Er-
zählungen wegen der rohen Grausamkeit, die darin zum
x\.usdruck kommt, als Kindermärchen unpassend'); in der
2. Aiillage blieben sie weg.
1.28. Flauschen, Vögelchen und Bratwurst.
Das Märchen ist ein nahezu wörthcher Abdruck der
Vorlage: ]\Ioscherosch. Gesichte Philanders von Sittewaldt,
11. Teil, Schluss des 7. Gesichts. Infolgedessen blieb auch
der altertümliche Stil bestehen und wurde auch in den
späteren Auflagen nur wenig verändert. Der Inhalt ist
kurz dieser: Eine Maus, eine Bratwurst und ein Vogel
leben eine Zeitlang in glücklicher Gemeinschaft; jedes
übt seine besondere Tätigkeit in der Wirtschaft aus. Der
Vogel aber wird seiner Arbeit bald überdrüssig, und die
Wurst muss sein Amt übernehmen, nämlich Holz im Walde
zusammen zu suchen. Eines Tags aber wird sie von einem
Hund angetroffen und als freie Beute verzehrt. Er habe
falsche Briefe bei ihr gefunden, erwidert er dem Vogel auf
dessen Beschwerde. Die Maus übernimmt nun die Rolle
der Bratwurst und schlingt sich durch das Gemüse, um
es zu schmälzen, kommt aber dabei um; bei dem Versuch,
eine entstandene Feuersbrunst zu löschen, muss auch der
Vogel sein Leben lassen.
Die Vorlage unterscheidet sich von der Bearbeitung
w'esentlich nur durch die Tendenz. Moscherosch überträgt
die im Märchen geschilderten Verhältnisse auf die politischen
Zustände seiner Zeit; die Figuren der Erzählung vertreten
ihm die drei Stände. Aus dem \'erlauf ergibt sich für ihn
wie aus einer Fabel die Lehre, dass der Staat nur solange
') Steig, Achim von Arnim II I. 203.
— 28 —
ix'Stc'lien köiiMO, wio die Ständf sicli fn^iwilli;,' oinandor
nntfrordimton, „du es jo. und allcwcf^e ein Zeichen Unter-
^'aii<,'cs ^o;NV('st, wann sich einer in seinem Stande nicht
iiielir l)(Miii<(en hissen". Bei fJriniin ist von Beziehungen
auf dir Zeitgesciiichte keine Spur mehr vorhanden. Der
tcndt'nzirts«! Charakter ist vollständig ahgestreift. und wir
lialx-n das blosse Tierniiirclien vor uns. Die dem Märchen-
stil eignenden Koseformen: „Mäuschen", „Vögelchen",
,.(Brat-)\Viirstlein" stehen in der Vorlage ohne Ver-
kh'iiK'iuiigssilben. Die Verwendung der Deminutiva ver-
leiht dem Vortrag eine gewisse Zierlichkeit.
1.27. Der Tod und i\('V Gänshirt.
Der wörtliche Al)druck einer Erzählung aus Ph. Hars-
dörfers Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichten.') —
Ein armer, lebensmüder Hirt bittet den Tod, ihn über ein
grosses Gewässer ins Jenseits mit hinüberzunehmen. Nach-
dem dieser einen Geizhals abgeholt und ertränkt hat. führt
er den Hirten mit seiner Gänseherde wohlbehalten in den
Himmel. Hier verwandeln sich die Gänse in Schafe, und
die drei Erzväter geleiten den Hirten in ein schönes Schloss
und krönen ihn. — Harsdörfer erzählt die Geschichte als
ein allegorisches Lehrgedicht, das ..der Gottlosen und
Frommen jetzigen und künftigen Zustand bedeute."
Wegen seines dürftigen Inhalts fiel das Märchen in
der 2. Auflage fort; an seine Stelle trat das schon bei
Rollenhagen im Eröscbmäuseler-) bearbeitete Märchen von
den Bremer Stadtmusikanten nach mündlicher Tradition
aus dem Paderbörnischen.
1,35. Der Sperling und seine vier Kinder.
Die vier Jungen eines Sperlings werden durch einen
Sturm aus dem Nest geschleudert, kommen aber alle mit
1) Ausg. V. 1003, s. 051 f.
2) ed. Goedeke, III. 9.
— 29 —
dem Lelx'ii davon. Nach oinem Jahr treffen sie mit ihrem
Vater wieder zusammen und berichten ül)er ihre Erlebnisse?.
Jeder hat während der Zeit so viel gelernt, dass er der
Hülfe des Alten nicht mehr bedarf. — Das Märchen ist
dem ,.FabuIhans"' Joh. Balthasar Schupps entnommen,')
einem Tractat, der mit grossem Eifer die Verwendung
volkstiuiilicher Erzählung'en auf der Kanzel verteidijit.
Schupps Quelle waren die Predigten des Lutherbiographen
Johannes Mathesius. — Die Grimmsche Bearbeitung be-
hält die ursprüngliche Fassung nahezu unverändert bei.
Einige Ausdrücke wurden modernisiert: warnen vor (für),
die hohl sind (sein), sehet euch vor (für). Manche Ab-
weichungen sind wenigstens für die 1. Auflage als unfrei-
willig zu bezeichnen, da das Märchen sonst durchgehends
die archaischen Formen festhält; auch die späteren Auf-
lagen überlieferten den Text in der Sprachform des
17. Jahrhunderts und haben nur hier und da einen alter-
tümlichen Ausdruck ersetzt.
Arnim erzählt das ]\lärchen unter der Überschrift:
..Die Schule der Erfahrung" in der Gräfin Dolores. -j Der
Text ist hier genauer, als in der von ihm 1817 zum An-
denken an die Eeformation herausgegebenen Auswahl der
Predigten des Mathesius. Die Fassung in der Sprich-
wörtersammlung des Chytreus (1571), mit der bei Mathesius
übereinstimmend, bildete die Vorlage für die Darstellung
in Rollenhagens Froschmäuseler^), wo das Märchen viel-
fache Erweiterungen im einzelnen erfahren hat. Betitelt
ist es: Doktor Sperlings Hat. Sowohl Rollenhagen wie
Arnim machen schon durch die Überschrift auf den
lehrhaften Grundgedanken aufmerksam; bei Grimm fällt
wiederum die Vermenschlichung der Tierwelt ins Auge;
hier ist das Märchen „Der Sperling und seine vier Kinder"
überschrieben.
') Aus«,". V. 1700, S. 780.
2) Werke 8, 190 iL
3) Buch, 2,2, VII.
— :j() —
Droi Märolicn wurdm aus Hcirir. .Iiiri:/-Stilliiit(s Lohoiis-
•(eschiclitc (I777j cntlcliiit : .Iftrindf uud .\()iiu^a\ (1,09).
der (irossvator iiml tl'i' Ktikcl (I.T^i ihhI die alto
Ii<'tt('l IViiii (II. (ID. l>i(^ in i'iiifaclK.T SpraclH- {^elialtorif
liio^rrapliif des IVommrii Mannes ci-inneil ziiufilcii sclltst
dui'cli ilir wniidrrhai-«' iMitwickclnuK ,|,.i- \',i-iri-\)i-\\\u>\U']i an
oinc niäcclienliaitc Krzähliin;;. \\>n .Jii^'fnd auf mit dein
Leben des Volkes vertraut, iiatte JStilliii;^ für N'olkspoesie
lebhaftes Interesse: mit ^'rossem Geschick wei.ss er die
Märchen in den X'erlauf der Lebeiisbeschreibnn<r einzu-
schalten. „Jorinde und Jorinj^cl" ') wurde wfirtlich von
Grimm abgedruckt und isUtt zu stilistischen Bemerkungen
keinen Anlass. Die Verwandlung der Hexe in einen Hasen,
die bei Grimm fehlt, ist wolil nur durch Flüchtigkeit zu
erklären, da der Text sonst die Vorlage genau wiedergibt.
Eine mündliche Erzählung aus der Schwalmgegend in
Hessen, die die Brüder anmerkungsweise zitieren, weicht
von der Stillingschen Fassung nur in Xel)enzügen ab und
ist für die Grimmsche Ijeai'I)citung nicht weiter von Be-
deutung gewesen.
2. Das bekannte Märchen vom Grossvater und Enkel -)
hat Stilling in die Lebensgeschichte eingeflochten und es
infolgedessen mit einigen Zusätzen belastet. Er versetzt
es in die unmittelbare Gegenwart und legt es einem
Knaben in den Mund, der es als neuestes Erlebnis seinen
Kameraden beim Spiel erzählt. Aus dieser Voraussetzung
erklären sich Hinweise wie: „Neben uns wohnt der alte
Frühling, ihr wisst wie er dahergeht" oder: „ich habe ihn
wohl sehen essen" — „nun hat er ehegestern sein irdenes
Schüsselchen zerbrochen" — „da musste er gestern Mittag
aus essen". Diese Zusätze, wie auch den willkürlich ge-
wählten Eigennamen, Hess die Bearbeitung fort, hielt sich
aber sonst eng an die Vorlage. Nur ein paar Ausdrücke
sind bei Grimm anschaulicher: „Wenn er nun bei Tisch
1) Jung Stilling, Recl. S. 63 f.
•-') a. a. O. S. 78.
— 31 —
sass uikI (Ion Löffel kaum lialtcn konnte, scliiittete er Suppe
auf das Tischtucli". (Wenn er dann so am Tisch sass und
zitterte, so verschüttete er immer vieles.) Das altertümliche
Wort: ,.Schnur" (Schwiegertochter) ist bei Grimm moderni-
siert: „Sein Sohn und dessen Frau".
13. Die alte ßettelfrau ').
Es ist ein Fragment: Eine alte Frau tritt ins Haus,
um sich zu wärmen; aus Versehen kommt sie dem Feuer
zu nahe, und ihre Kleider langen an zu brennen, ohne
dass sie's gewahr ^vird. Ein Knabe steht dabei, bemüht
sich aber nicht zu retten: „Wenn er kein Wasser gehabt
hätte, dann hätte er alles Wasser in seinem Leibe zu den
Augen herausweinen sollen, das hätte so zwei hübsche
Bächlcin gegeben zu löschen." Damit bricht die Erzählung
ab. Stilling fügt das ]\lärchen an einer wichtigen Stelle
seiner Lebensgeschichte ein. Zwei junge ]\Iädchen sind in
ihn verhebt. In einem seltsam verzückten Zustand
scliwärmerischer Leidenschaft gesteht die eine ihm durch
bedeutungsvolle Verse aus einem Volksliede und durch
das Märchen ihre Neigung. Sie selbst ist die Lettelfrau,
der „freundliche Schelm von Jungen" ist Stilling. Ihr Herz
hat von ihm Feuer gefangen und nun wolle er"s nicht
löschen, da er sich von ihr zurückziehe. Der Schluss fehlt.
Hierzu macht Grimm die .Anmerkung: „Vermutlich rächt
sich das Bettelweib durch eine Verwünschung, wie man
mehr Sagen von eintretenden pilgernden Bettlerinnen hat,
die man nicht ungestraft beleidigt". Vielleicht kannte
Stilling das Märchen selbst nicht vollständig, wahr-
scheinlich aber unterdrückte er den Schluss absichthch.
Dadurch, dass Stilling und seine Geliebte die Personen
des Märchens darstellten, war es unmöglich, dass das
Mädchen in der Rolle der Bettlerin einen Fluch über ihn
aussprechen konnte. Sie ist mehr traurig als erzürnt über
den kalten Liebhaber. Und durch die Zwischenfrage
Stillings: „Aber wenn er nun kein Wasser hatte, nicht
1) a. a. O. S. 118.
— 32 —
irisrhnn konnte?" wotliircli er sninc Ziiriickliultuni^ 'ni-
scliiildij^rii und voit(;i(li<f<Mi will, wii'd in dem It'idensclial't-
liclicn MädclK'ii da-; l)ittiic ( irtiihl viTSclmiähtor Liebe auf
den Ilüiiepiinkt L'-elrielx'ii. iiiid sie lirieht in Tränen aus.
rnnii>;(licli koiintt' jetzt ••in«- \'<;i'\viin.scliun^'' naelifolgen.
Wie Ix'ieclitigt alx'i' die liiiidi r (iiiiuiii zu ilii«'i- Hypothese
waren, wii-d durch dm Zusatz dei- 2. Authige hestätigt:
hier verweisen sie auf lleimieh von Kleists Hettt.dwcib von
Locarno, nvo das Märchen in alh-n Teilen vertieft und ins
(Jespensterliaft- furchtbare veigrössert worden ist. Viel-
h'icht geht Kleists Novelle el>enfalls auf Stilling zurück'),
doch kann es sich hierbei nur um eine Anregung handeln.
Die Grimmsche Bemerkung, dass die vortragende Amme
oder Mutter den zuhörenden Kindern vielleicht auch den
Gang der krummen, gebückten Alten mit dem Stock in der
wackelnden Hand vormacht, stützt sich auf die Darstellung
in ihrer Vorlage. — An dem eigentlichen Märchen haben
die Brüder nichts geändert; nur die verschiedenen Zwischen-
bemerkungen und Fragen, die bei Stilling durch die Eiu-
llechtung des Märchens in den Zusammenhang des Romans
nötig geworden wareii, Helen fort.
1.32. Der gescheite Hans.
An die aus mündlicher Überlieferung (Maingegenden)
geschöpfte Erzählung vom gescheiten Hans reiht die
1. Auflage eine Parallele aus J. Freys Gartengesellschaft,
Kap. T, an. Bebeis Schwank: De fatuo rustico (Opus-
cula 1514) bildet den Ausgangspunkt. Freys Übersetzung
schliesst sich eng der lateinischen Vorlage an, die Grimmsche
Bearbeitung ist der wörtliche Abdruck aus der Garten-
gesellschaft. — Die Streiche des dummen Hans sind hier
in reicher Vollständigkeit beisammen. Er besudelt die
von der Braut geschenkten Handschuhe, erwürgt den
Habicht, trägt die Egge auf den Händen und lässt den
Speck vom Pferde heimschleifen, will dann zu Hause den
') Steig, Kleists Berliner Kämpfe S. 524.
— 33 —
verschütteten Wein mit Mflil auftrocknen, tötet die
schreiende Gans, die ihn seiner Meinung nach veiraten
■will, setzt sich nun mit Honit,^ beschmiert auf ihre Eier,
um sie auszubrüten, und wirft dann nach Eulenspiegels
Art seiner Hraut ausgestochene Schafaugen ins Gesicht.
Jede seiner Albernheiten hat in dernn'ttelalterlichenSchwank-
litteratur die mannigfaltigsten Variationen. ') In Grinnns
Sammlung steht es nur in der 1. Auflage; es wurde nach-
her wegen der altertümlichen Sprache in die Anmerkungen
aufgenommen. — Dass der Grimmsche Ausdruck: „Loffel-
bitz" auf einem Lesefehler beruht: „und trug sie wie ein
anderer Löffel bis heim", ist bereits von Bolte bemerkt
worden').
1,82. Die drei Schwestern.
Zu Grunde liegt die Chronika der drei Schwestern
von ]\Iusäus. Der Inhalt des Märchens ist kurz folgender:
Ein Graf verprasst sein Gut und verkauft, um sein Leben
zu erhalten, seine drei Töchter Wulfhild. Adelheid und
Bertlia an einen Bären, einen Aar und einen Delphin, drei
verzauberte Prinzen. Diese sind gut und schön in Menschen-
gestalt, die jeder nach einer bestimmten Frist (7 Tagen —
7 Wochen — 7 Monaten) einmal annehmen kann; wenn
sie aber wieder Tiere geworden sind, darf ihnen kein Mensch
ungestraft nahen. Ein spätgeborener Sohn des Grafen,
ßeinald, macht sich auf, um die Schwestern zu suchen
und zu erlösen. Jeder Schwager ist eine Gefahr für ihn;
verw^andelt aber nehmen sie ihn gastfreundlich auf, und
jeder schenkt ihm beim Abschied ein Mittel, womit Reinald
die Entfernten zu Hilfe rufen könne, wenn er sich in Not
betinde; der Bär drei Haare, der Adler drei Federn und
der Delphin drei Schuppen. Er macht von diesen Geschenken
in Lebensgefahr Gebrauch; es gelingt ilnn, den Zauberer
Zornebock, einen Sorbenfürsten, zu erschlagen, und damit
wird nicht nur den verwandelten Pi'inzen ihre rechte Ge-
1) Aumerkung zu Frey, Gartenges. Kap. I.
Palaestra XLVII.
— 34 —
stillt wifdergegebeii, sondern noch dazu eine schöne Prin-
zessin, Jlihlcgard, die Tochter Radhods von Pommern, aus
der Gefangenschaft des Zaub(Ters erlöst und von Reinald
heinig(;fiihrt. Die J)arstellung bei Musäus weist die Vorzüge
und Mängel seiner sonstigen Schreibweise auf. Dc.-n knappen
Inhalt hat er sehr reich ausgestattet und mit (l(;ii Arabesken
seines Witzes umrankt. Freilicii hat dadurch die Erzäiilung
den märchenhaften Charakter beinahe verloren, und nur
selten hört man die sclilichte Volkssprache. Die Schilderung
ist im einzelnen sehr ausfühilicii und die ßcschreibung der
Situationen breit angelegt. Vor allem drängt sich das
komische Element hervor. Nicht ohne ein wenig Frivo-
lität wird erzählt, dass bei der alternden Grätin der Segen
des frommen Eremiten in der Klause so wirksam war, dass
die Geburt Iveinalds bald erfolgte, und als dieser später
vor der schlafenden Jungfrau im Banne ihrer Schön-
heit ohne sich zu regen dasteht, bemerkt der Erzähler
ironisch, dass das erleuchtete, über die Xaivetät der
Märchenwelt weit erhabene 18. Jahrhundert dergleichen
Situationen ganz anders benutzt hätte. Treuherzige, ein-
fache Darstellung wechselt mit satirischen Auslassungen
über menschliche Zustände und Sitten: der verzauberte
Prinz steht auch als Bär „unter dem Pantoö'el seiner Dame'%
verallgemeinernd wird bisweilen der leichtfertige Charakter
der Frauen angegriffen. Ehrwürdige Gestalten macht er
gern durch Zusätze lächerlich: Graf und Grätin sind bei
ihm „Papa" und „Mama", der verzauberte Prinz „Signor
Albert". Es fehlt nicht an spöttischen Anspielungen auf
die Zeitgeschichte: „Zephyre" wehen „bei einer empfind-
samen Abendpromenade". Wenn vom Delphin gesagt wird,
er habe so viel „physiognomisches Gefühl" besessen, Unheil
zu wittern, so deutet der Verfasser der „Physiognomischen
Eeisen" auf Lavaters Bemühungen hin. „Die Morgenröthe
philanthropistischer Methode" spielt auf Basedow an, und
wenn Bertha „glänzt wie der Silbermond den empfindsamen
Wanderern in der Sommernacht", hören wir deutlich die
bekannte Klopstocksche Ode anklingen. ..Freund Hain"
— 35 —
darf natürlich in dieser Umgebung nicht rchh'ii. Ferner
liegen die Hinweise auf die Siel)enschläi"er und einige un-
bekannte Namen. Störend wirkt die Menge der Fremd-
w()rter, die bisweilen gleichfalls zu komischen Effekten be-
nutzt werden: „veramort", „ein unbefangenes Air zu
affektieren". Vor allem aber treten sie bei der Schilderung
des gesellschaftlichen Lebens stark hervor. Hier ist der
ganze Zuschnitt modern-französisch; Worte wie: Livree,
Juwelen, Dublonen, Toilette, Carosse, Cavalcade, Agraffe,
credenzen. Bai par6, Plafond, Bankett, Feten usw. um-
schwirren das Ohr. Wie wenig er die Vorstellung des
Märchenzeitalters erwecken will, ergibt sich auch daraus,
dass Bertha „im reizenden Morgennegiigee ihre Chocolade'"
trinkt, wie das vornehme Fräulein des 18. Jahrhunderts.
Modern berührt schon die willkürliche Benennung der
Personen: Adelheid hat ihren Namen mit bewusster An-
lehnung an ihren Gemahl, den Adler, erhalten. Zum
Schluss lässt er die drei verzauberten Prinzen Gründer
von Keichen und Städten werden: Albrecht der Bär gründet
Bernburg in der Herrschaft Askanien, Edgar der Aar die
Stadt Aarburg in der Schweiz, Ufo der Delphin bemächtigt
sich im Burgunderreich des nach ihm benannten Delphinats.
Das Symbol ihrer Wappen erinnert an ihren früheren, ver-
zauberten Zustand.
In der Grimmschen Bearbeitung ist nur der Gedanken-
gang der Musäusschen Erzählung beibehalten; alle Aus-
führungen im einzelnen fehlen, die Brüder begnügen sich
mit einem Auszug. Die Schlussepisode vom Zauberer
Zornebock wurde von ihnen mit Unrecht für eine Erfindung
des Musäus gehalten und fortgelassen; sie gehört indessen
notwendig zur Entwickelung des Ganzen und bringt die
Geschichte Reinaids zu gefälligem Abschluss. Auch in
den drei Tierbrüdern (Li tre Rri Anemale), einem Märchen
vonBasile, Pentam. IV, B löst der Bruder der Prinzessinnen,
Tittone, den Zauber dadurch, dass er eine Königstochter
von einem Drachen befreit; beide Märchen stinunen auch
im übrigen zusammen. Die verzauberten Fürsten sind hiei'
8*
— :?«; —
i'iii Hirsch, ein Kalke und ein Df'l|)liin, luid rauhen ihre
Bräute duich Nc^iheeruii«^ des Landes. Es ist aher l'raglicb,
ol) Musäus (h'ii Pentaiiierone henutzt hat: wahrscheinlich
stützte er sicli auf ältere volkstündiciie Üljcrlieferungen.
Von den Namen bliei) in der I3earheitun«< nur Reinald,
der den Griiilins am meisten volkstündich erschien; aus
glciclieni U runde einige ronneihalte Wendungeji wie: „So
gings über Stock und Stein, Berg auf, Berg ah. durch
Wüsten und Wälder, Horst und Hecke, ohne liuh und
Rast". Hinzugefügt wurden die Keinnvorte: ,.da lag ein
Centner Gold darin und gjinuneite und llimmerte" — „da
lebte er in Saus und Braus". Edgars Ruf an die Jiraut:
„Ich sehe dich, ich suche dich, fein Liebchen, ach. verbirg
dich nicht. Rasch schwing dich hinter mich aufs Ross,
du schöne Adlerbraut I" zeigt auch bei Musäus rhythmische
Gliederung gemäss der „Lenore"; bei Grimm lautet er
einfacher und gereimt: „Schwing dich auf, schwing dich auf,
du Fräulein traut, komm mit, du schöne Adlerbraut".
Ebenso reimt Grimm: Ade, du Fräulein traut, Fahr hin
du Bärenbraut! (Ade mein Töchterlein, fahr hin, du Bären-
braut), fügt auch des Parallehsmus wegen beim Raub der
dritten Tochter den Vers ein:
,,A(le, du Fräulein traut,
Faln- hin. du AValfisclibraut!"
der bei Musäus nicht angedeutet war.
An den Schluss setzt Grimm einen lustigen Kinder-
reim: „Da war Freude und Lust in allen Ecken, und die
Katz läuft nach Haus, mein Märchen ist aus". Er er-
innert an den Ausgang des Märchens von Hansel und
Gretel (15): „Mein Märchen ist aus, dort läuft eine Maus,
und wer sie fängt, darf sich eine grosse, grosse Pelzkappe
daraus machen'".
Die wenigen schmückenden Zusätze, die Grimm dem
Auszug l)eifügt, haben der Darstellung die lebendige Frische
und Anschaulichkeit, die uns in der Vorlage trotz mancher
unUebsamen Eigentümlichkeiten ihres Stils anmutig berührt,
nicht verleihen können. Aber es ist nach Ausscheidung
— 37 —
aller satirisclicii und witzi^'on Anspiolungen einfach und
«chliclit. und als Kinderniärclien der Musäusschon Fassunj?
vorzuziehen; das Interesse beschränkt sich allein auf die
Cieschichte des Grafen und seiner drei Töchter. Die aus-
führliche Darstellung- ist auf ein Fünftel zusanunengezogen.
und der kunstvolle Periodenl)au der Vorlage in kurze Sätze
aufgelöst. Wenn man auch nicht soweit gehen wird wie
Heinrich Voss, der die Grimmsche Bearbeitung im Ver-
hältnis zu Musäus mit einem Skelet gegenüber dem
Danneckerschen Schiller verglich '), so hat doch unzweifel-
haft die Erzählung trotz der Mannigfaltigkeit des Inhalts
etwas Eintöniges und Nüchternes. Jakob selbst bezeichnete
es als das schlechteste Märchen der ganzen Sammlung, da
ihm der frische Klang der mündlichen Erzählung mangle -j.
11.24. Der Jud" im Dorn.
Das Grimmsche Märchen ist in der Hauptsache eine
Bearbeitung des dramatischen Spiels, betitelt: „Historia von
einem Bawrenknecht und Mönchen, welcher in der Dorn-
hecke hat müssen tanzen", von Albrecht Dietrich 1618.
Die Erzählung liegt jedoch schon in einigen früheren Auf-
zeichnungen vor. Den Ausgangspunkt für die verschiedenen
Darstellungen bietet 1. ein englisches, anon3'mes Gedicht:
„The Friar and the Boy" nach einer Cambridger Hand-
schrift des 15. Jahrhunderts (gedruckt vor 1535), und 2.
eine deutsche Erzählung in dramatischer Form von Dietrich
Albrecht: „Eine kurzweilige Historia, welche sich zuge-
tragen mit einem Bawrenknecht und einem Mönche etc."
Anno 1599^). Über das Abhängigkeitsverhältnis der beiden
Gedichte lässt sich nichts Bestimmtes ausmachen, doch
spricht die Wahrschein hchkeit dafür, dass die deutsche
Fassang an das enghsche Original oder an dessen 152S
gedruckte niederländische Übersetzung angelehnt ist. Die
») Briefe an Truchsess S. 42.
~) Steig, A. V. Arnim 111,255. — W. Grimm, s. u. l^eilagen.
3) Bolte, Festschrift zur Begrüssung d. 5. Neuphilol.-Tag<-
1892 S. 1 ff., wo sich auch der Abdruck befindet.
— :is —
(itii|)|)('. die (las enj^lischo GoiJicIit eröffnot, erzählt von
(If'iii kiriiicn Jack, dci' von seiner StiolmuttfT scbleclit lie-
liaiidelt wird. Mit Hilfe eines alten Mannes, der ihm drei
Wiinscjie «gewählt, weiss er sieh aber an ihr zu rächen.
Wi(! die erzürnte Alte ihm d<'n .Miinch Tobias nachsendet,
um ihn zu bestrafen, muss sieh dieser von den Dornen
zerkratzen lassen. Ein Nachspiel vor Gericht endigt zu
Uunsten des Angeklagten. — Die deutschen Bearbeitungen
weichen nur in Nebendingen ab. Das ältere jjeimspiel von
1599 hat mit Albrecht Dietrichs dramatischer Fassung
(1618) ungefähr gleichen Inhalt, auch formal stinniien beide
überein, nur ist letztere, die Grimmsche Vorlage, etwas
roher und polternder im Ton. Der töl])elhafte Knecht
Dulla wird von dem Nachbar seines IJrotherrn. namens
„Säumagen", aufgestachelt, seinen Dienst zu verlassen. p]r
gibt dessen Reden schliesslich Gehör, fordert seinen Lohn,
.und der geizige Bauer zahlt ihm für drei Jahre Dienst
drei Pfennige. Aus Freude darüber singt Dulla ein Dank-
lied. Er begegnet einem Geist, dem er auf dessen Bitte
seine Barschaft übergibt; als Gegengeschenk erhält er
drei Wünsche gewährt. Das Folgende entspricht der
Grimmschen Bearbeitung, nur tritt hier statt des Mönchs
ein Jude auf.
Jakob Ayrers Fastnachtspiel von Fritz Dölla mit der
gewünschten Geigen') hat manches mit Dietrichs Reim-
spiel gemeinsam. Wahrscheinlich kannte Ayrer. der bereits
1605 starb, eine ältere Fassung des Stücks, da er doch
wieder von Albrechts Spiel 1599 in Einzelheiten stärker
abweicht. Für das Grimmsche i\lärchen kommt seine Dar-
stellung nicht in Betracht, dagegen wurde die Verwandlung
des Mönchs in einen Juden nach einer mündlichen pader-
Ijörnischen tiberlieferung vorgenommen. Auf diese wird
auch die einfachere Entwickelung am Anfang zurückgehen.
Der Nachbar, der den Knecht zum Verlassen des Dienstes
antreibt, fehlt; der Geist wurde in ein kleines Männchen
verwandelt, das auch sonst in den ]\lärchen als Ver-
i) Opus theatricum Bl. 97 ff. Keller S. 2829 H'.
— 39 —
kiirperun«' eines liültVeichen Wesens erscheint. — Die
beiden ersten Auflagen bringen das Märchen nahezu in
derselben Gestalt. Die Darstellung zeigt nur wenige be-
sonders charakteristische Züge. Vereinzelt finden sich
in den schlichten Sätzen formelhafte Verbindungen wie:
,.er wanderte fröhlich über Berg und Tal;" „wie er auf ein
Feld kam. singend und springend." Volkstümlich ist auch
die Wiederholung in dem Satze: ,,ol)endrauf sass eine
kleine Lerche und sang und sang", ebenso die Art, be-
liebte Personen durch das anteilnehmende Pronomen
possessivum auszuzeichnen: ]\rein Knecht aber dünkte sich
noch zehnmal froher — Wie mein Knecht das viele Geld
sah — der Pichter verurteilte meinen Knecht zum Tode
am Galgen. Der Monolog steht einmal mit dem volks-
tü milchen Personenwechsel'): der Knecht dachte, was
willst du dir"s Jänger sauer werden lassen, du kannst dich
nun pÜegen. . . . Erst die dritte Auflage änderte das
]\lärchen wesentlich um. Es wurde namentlich durch volks-
tümliche Ausdrücke und sprichwörtliche Redensarten be-
reichert, z. B.: der Knecht ist stets willig, wenn es „eine
sauere Arbeit" gibt; sein Herr meint, er würde ,.hübsch"
im Dienst bleil)en. aber er will fort. ,.um sich weiter in
der Welt umzusehen". Er glaubt mit drei Pfennigen
..vollauf in der Tasche zu haben" und gibt auf die Frage
des Männleins, wieviel er besitze, die stolze Antwort:
„Drei bare Heller, richtig gezählt!" (1. Aufl.: Drei ganzer
Pfennig). Deutlich treten die folgenden aus dem Zusammen-
hang heraus: „Du bist einer, der blau pfeifen kann: wer
ihm doch iSalz auf den Schwanz streuen könnte; ich will
dich jagen, dass du die Schuhsohlen verlieren sollst; du
Lump steck einen Groschen ins Maul, dass du sechs Heller
wert bist; ein Stein auf dem Erdboden möchte sich er-
barmen; Gott bewahre, er greift die Lügen wie Fliegen
an der Wand. Das muss ich dir sagen, du machst
deinen Tanz noch mit, dass es eine Art hat." Statt: „er
') vgl. hierüber J. Grimms Aufsatz: Über den Personen-
wechsel in der Rede (Kl. Schriften III).
— 40 —
fragte ihn scimT J7iisli;.'k*'it \v<'j,'f'ri" (1. u. 2. Aiitl.i. lu-isst
ü« jetzt mit nczii'liiiii;^" auf das lH-kaiiiit<; .Märchen »81):
„Wo hinaus, Üiiider Lusti^^?" Mit h(,*ss(;rer Allitteration, zu-
gleich archaisicirnd. zeigt sich der Auhdi'uck: „ting alh'S
an zu wabern und zu wanken" ((hi wankte alles und be-
wegte sich). Auch die Verbindung: „du bist jung und
kannst dir dein Brot leicht verdienen", hat wegen des
prägnanten Gebrauchs der Redensart: „sich sein Brot
verdienen'' volkstinnlichen Klang. Der naiven Kinder-
sprache gehört an, wenn Grimm schreibt: „Das Männleiii
griff in den Busch und denk einer! da lag schon Fidel
und Vogelrohr in Bereitschaft, als wenn sie bestellt wären.''
Die ältere Bearbeitung verzichtet darauf, die Überraschung
vorzubereiten (das ]\Iännchen stellte ihm Fidel und Vogel-
rohr zu). Der Jude bricht in die Aposiopese aus: „Mein!
lasst den Bub weg! — Mein! was soll mir das Geigen!''
Überhaupt tritt dieser durch seine Sprache deutlich aus
Seiner Umgebung heraus. Nicht nur die mehrmahgen
Ausrufe: „Au weih geschrieen!'' sondern auch die dem
Jüdisch-Deutschen eigentümliche Inversion der Rede: „Au
weih geschrieen! geh ich doch dem Herrn, was er ver-
langt, wenn er nur das Geigen lässt, einen ganzen Beutel
mit Gold", charakterisieren ihn als Israehten vortrefflich.
Und ebenso der Ausruf: .jGottes Wunder! So ein kleines
Tier hat eine so .grausam mächtige' Stimme". Trotz seines
Übeln Geschicks spielt er eine komische Rolle. Auf die
Mahnung des Knechts: „Geh Spitzbub und hol dir den
Vogel heraus", macht er sogleich den Wortwitz: ..Mein!
lasst den Bub weg, so kommt der Hund (Spitz) gelaufen."
Berechnet ist der Zug, dass dem Juden ein Woit in den
Mund gelegt wird, das ihn als geizigen Geldmenschen
hinstellt: „Du Lump, steck dir einen Groschen ins Maul,
dass du sechs Heller wert bist!" Überhaupt wird nach-
drücklich der Wert des Geldes für den Juden hervor-
gehoben: „der Leib zerstochen und zerkratzt. Das Gold
mit dem Beutel genommen (wofür die G. Autl. die noch
treffendere, volkstümliche Ironie setzt: mein Bisschen Ar-
— 41 —
iiiiit mir g-enoininen), lauter Dukaten, ein Stück schönei-
als (las andere, um (iottes Willen, lasst den Menschen
ins Gefäno;nis setzen." Seine Wutausbrüclie sind volks-
tünilicli-derb: ..Du Uiertiedlorl Du ]>ärenliäuter! Du
iJundeniusikant !"
In der Form, wie die :5. Autlage uns das Märchen
bietet, hat das Ganze einen übermüti<:-eren, scherzhafteren
Ton. Statt der Wendun^i': „Die; Leute hast du genuäj; ge-
schunden, so geschieht dir kein Unrecht", lieisst es jetzt
witziger: Du hast die Leute genug geschunden, nun soll
dir"s die Dornhecke nicht besser machen*', wo das Wort
„schinden" einmal im übertragenen, dann im eigentlichen
Sinne gebraucht ist. Auch der Ausdruck: „Die Dornen
„känmiten" ihm den Ziegenbart" wirkt durch die Ver-
bindung der Gegensätze humoristisch, l'nd als der Knecht
behauptet, der Jude habe ihm das Geld freiwillig gegeben,
findet er keinen Glauben: sogar der Richter ist anderer
Ansicht und meint ironisch: „Das ist eine schlechte Ent-
schuldigung! das tut kein Jude".
Durch Einflechtung der erw^ähnten Zusätze hatte das
Märchen schon sehr gewonnen. Was sonst noch angebracht
wurde, um die Anschaulichkeit zu heben, ist geringfügig.
Im Eingang wird deutlicher gezeigt, wie sich der einfältige
Knecht von Jahr zu Jahr hinhalten lässt, im Dienst zu
bleiben. Bestimmter wird der Jude auch in seinem Äussern
umschriehen: ein Jude „mit einem langen Ziegenbart", „mit
einem schäbigen Rock" bekleidet. Die Schilderung des
Tanzes auf dem Richtplatz geht mehr ins Einzelne und
führt vor allem den kindlichen Zug an, dass sogar „die
Hunde sich auf die Hinterfüsse setzen'' und am Tanze
teilnehmen.
Der abstrus-gelehrte Johann Praetorius, der durch
seine Schriften auch für die deutschen Sagen der Brüder
Grimm eine wichtige Fundgrube bildete, erzählt in einem
recht trockenen und hölzernen Stil das Märchen von den
Kindern in Hungersnot (II, 57) '). Bei ihm ist die sagen-
') Abenteuerlicher Glückstopf S. 191 1'.
— 42 —
liafto (jesfliiclitf. di«' ri miiiKlIicIicr Llx-rii'li'riiiiL' verdankt,
an don Ort Ciriilclitz hei K;r''i' anf/fknüplt. Der Inhalt ist
kurz loli^ciidcr: Kinc Mnttci' kann sich mit ihrfii ht'ich^n
Töchtern nicht nicjir voi- (h'in IIun;_'cM(>d»' retten, zwei
Versuche der hei(h'n Mädchen, sich hei iiiihltäti;rcn J^cuten
etwas J'jiot zu verschallen, können nicht die Not dc-r Zu-
kunft ahwchren, sie lallen mit ihrer .Mutter in einen tiefen
Schlaf, und die Alte, die in der Verzweiflun;.^ schon Hand
an ihre Töchter legen wollte, verschwindet auf Ninuner-
wicdcrsehen. Oh dies eine ..Geschichte oder ein Gedichte
sei", sagt Praetorius unsicher, „lasse ich dahingestellt".
Unter den geringen stilistischen Änderungen, die die
Brüder vornalimeii. um die KrziihhiiiL'' liesser abzurunden,
ist der Parallelismus in den Antwoiten der Töchter be-
merkenswert. Beide entgegnen auf das grausige Ansinnen
der Mutter regelmässig: „Ach, liebe Mutter, schont
meiner, ich will ausgehen'' usw. p]i)enso wiederholt
Grimm im Gegensatz zur Vorlage au geeigneter Stelle:
„da assen sie mit einander, es war aber zu wenig, um den
Hunger zu stillen". Ein Vorzug ist auch der Gebrauch
der Figura ctjmologica: „Da legten sie sicli hin und
schliefen einen tiefen Schlaf". Die dürftige Erzählung wurde
in der 2. Ausgabe gestrichen ').
') Als Beispiel der oft i)e(lantischen und verschrubenen Art,
wie Praetorius volkstümliche Überlieferungen wiedererzählt, sei
hier seine Fassung des Märchens von den „drei Spinnerinnen"
(KHM. 14) angeführt (Abent. Glückstopf S. 403 f.).
Höret wunder! Vor Zeilen soll eine Frau oder Mutter ge-
wesen seyn, dessen Tocliter sich durchauss zum Spinnen nicht
verstehen wollen, i'orsan quia Lilia non nent, secunduni P2van-
gelium Symboliim Reipubl. Anglianao: Da sie auch dergleichen
Susannae immer oder gerne sein wollen. Druem hatte sie von
ihrer Mutter viel Schläge bekommen; welches einsmals ein Cavallier
verwunderns halben doch ohngefähr mit angesehen und gefraget,
was das bedeuten solle, dass sie ihre schöne Tochter so marterte
(Xemlich weil sie von der Frauen vielgeliebten marlyris, das ist
dem Flachse, Vide ex Biccij herbario in fine centur. 3. Acerr.
Kfilol. Laurenberg: nicht viel gehalten: per quod quis peccat etc.
— 43 --
Aus „Schimpf und Ernst", dor i\nek(lotcnsaiiHnluiii( dos
elsässisc-hen Franziskaners Joh. Pauli (1522) entstaninion
die beiden Märchen: Der undankbare Sohn (11,59) und:
R. contrariuni: Sie koute das unmässiK"e Tliirr nicht vom Spinnun
bring'oii, so verpiehtet wehre es (Iraiilt und sj)ünno molir Flachs
auff, als sie erlanji'en könle. (Sehet solch niendaciuni officiosum
hat notwendig' die jTulo Mutter machen müssen, damit sie ihre
eigene Schande nicht entdeckclon; welche da alle am grossesten
gewesen solchem Menschen, dci' nicht gesponnen lial.) \Vas ge-
schieht? Dor Cavaliicr saget, das ist ja gut; Gehet sie mir nur
zum Weibe ich will gar wohl mit ihrem unverdrossenen und un-
aufhiirlichen Fleisse zufrieden und vergnüget seyn, ob sie sonslen
gleich nichts zu mir bringet. Nun die Mutter kan dem Menschen
seine eingelegte Bitte nicht abschlagen oder die begehrte Tochter
versagen: Gibt ihm derentwegen das faule Muster. Drauff sie
der Bräutigam mit ihm und zum Versuche ein zimlith pensum
oder knocken Flach.s zu verspinnen auffgiebt. Drüber sie zwar
innerlich erschrickt, doch hat sie es angenommen und für die
lange "Weile in ihr Zimmer getragen und in Verzweiffhing nieder-
geworfien. Drüber waren aber (etwan tres furiae seu larvae in-
fernales) drei Weiber vors Fenster gekommen; eine mit einem
grossen breiten Arse, damit sie kaum zur Stuben Thüre hernach
herein zu kommen vermögt; die andere mit einem gro.ssen Damp/f-
horne, einem Rhinoceroti nicht unehnlich, die dritte mit einem
grossen, breiten Daume; solche bieten ihre Dienste dar; sagende
dass sie alle Tage iinvermerkt kommen weiten, und das auffge-
gebene Werk auff.spinnen, sofern sie (die faule Braut) an ihrem
künftigen Hochzeitstage sagen wolte, dass sie ihre Basen oder
Muhmen wehren, und sich nicht scliärnen würden, sie an ihre
Tafel zu setzen etc. Sie vers])richt solches: Jene halten auch ihr
Wort und stellen sich alle Tage fleissig ein zur Arbeit, damit die
Braut auch wacker bestehet und zur Belohnung von ihrem Bräu-
tigam erhält, dass er sie mit ehestem ehelichte. Wie also die
Hochzeit angegangen, stellen sich die abschculige Monstra alle
ein, und werden auch von der I5raut wohl respectiert und für
Wesen tituliert, dass dem Bräutigamb missgefallen. Darumb er
von seiner Liebsten erfraget, wie .sie zu solcher garstigen Freund-
schaft gekommen währe? R. Sie sind also ungeheuer von vielen
geworden: Eine als die Dick- und Breit-Arsigte hat sich an nn-
mässigem Sitzen also verwahrloset, die andere hat ihren Daum
nicht minder verschorn, in deme sie so häufflg den Faden mit
gedrehet, die dritte hat ihr Maul gar weggelecket, drüber die Nase
so hervorraget. Hierauff soll der Bräutigam betrübt geworden
— -il —
hie (liri |'';iiil()i (()ö)'). Der uiHliinkburf Sohn hält vor
(li'iii \'atcr (his Ksson verstockt, da er's ihm miss^önnt
II 11(1 iiiiiss (liil'ür ciiii' Kröff! im üosicht mit soinom nif^enon
Mcisch liittPi-ii. In der iifiirhcitun;; folilt am Schhiss die
Moral: ..da Jörnen andon; Kind!" und der Zug, dass die
Stral'o des Sohnes später durch dio l-'iirhitte eines frommen
.Maiinos f^a^.siihnt wird. Volkstümlich ist die Tautologie in
(lom Satze: ..die sass da iiinl ging nicht wieder weg" (die
mocht ihm niomaiid hinweg tuon). Die Wendung: ..Die
ICnito sah ihn gütig an"', ist schon durch den entspreclienden
Ausdruck der Vorlage: „die sah ihn knimli an'", genügend
vorbereitet. —
Die schwankhafte Erzählung von den drei Faulen ist
mit mannigfachen Abänderungen, die sich teils auf die
Trägheitsproben selbst, teils auf ihre Reihenfolge beziehen,
sehr häutig erzählt worden-). Giimni folgt fast wörtlich
der Vorlage, lässt aber den Schluss fallen, der gleichnis-
weise die körperliche Faulheit auf geistiges Gebiet über-
trägt und eine lange Moralpredigt gegen unbussfertige
vSündor anschliesst. Die Sprache wurde modernisiert: am
Anfang fügt Grimm noch die Bemerkung hinzu, dass der
König in Verlegenheit ist, welchem seiner drei faulen
Söhne er die Krone geben solle, „da er sie alle gleich lieb
hatte", eine Begründung, die sich öfter in den Märchen
vorfindet, z. B. in Xr. 124, 179 usw. (vgl. auch die Ring-
parabel in Lessings Nathan.)
seyn und gesaget haben: ..Nun so sollet ihr euer Lebetag-e keinen
P'aden mehr spinnen, damit ihr nicht solches Ungetüm werdet.
Ihr habet doch vorher schon genug ge.sponnen." — Das wäre ein
Wort für hiesige Jungfern und gut Wasser auf ihre Mühlen, ja
ich halte auch dafür, dass sie solcher Rede und Aussganges sich
anmassen und befahren. . . .
1) Pauli ed. Oesterley Cap. 437 und 201.
2) vgl. Gesla Romanorum ed. Oesterley S. 720. wo 30 Varianten
citiert werden.
— 45 —
11,58. Das Esolein.
Eine Königin gebiert ein junges Eselein. Dieses ent-
wickelt sich zu einem ausgezeichneten .Musikanten und
wird schliesslich trotz seiner Missgestalt Gemahl einer
schönen Prinzessin. Es ist aber in Wahrheit ein Mensch
und trägt die Eselshaut nur infolge eines Zaubers. In
der Hochzeitsnacht wirft er sie von sich, wird aber dabei
belauscht, und der König, sein Schwiegervater, lässt sie
verbrennen. Dadurch ist der Zauber gelöst, und der Prinz
bleibt von jetzt ab in jMenschengestalt. — Vorlage war
das lateinische Gedicht: „Asinarius." Es ist in Distichen
abgefasst und zählt 404 Verse. Die Originalhandschrift,
ein Strassburger Manuscript (MSS. Johann. C. 105). das
nach Grimms Angabe aus der 2. Hälfte des 15. Jahr-
hunderts stammte, ist beim Brande der dortigen Bibliothek
1870 zu Grunde gegangen; wir sind infolgedessen auf eine
andere Fassung angewiesen. Das Gedicht ist noch in
einer Salmansweiler Handschrift überliefert'), die im fol-
genden zu Grunde gelegt wird, da der Unterschied des
Originals von dieser Fassung nach den bei Grimm mit-
geteilten Proben-) nur unbedeutend gewesen sein kann.
Jedenfalls konunt er für eine Beurteilung der Grinnuschen
Stilisierung gar nicht in Betracht. Trotz seiner Länge
unterscheidet sich das Gedicht inhaltlich doch nur wenig
von dem Grimmschen Märchen. Zwar ist es breiter und
ausführlicher im Einzelnen als die Bearbeitung, wiederholt
redselig manches ohne Grund nacheinander, aber es ist
frei von grösseren Interpolationen. Wegen der fremden
Sprache und der Technik des Verses musste die Erzählung
auch ohne beabsichtigte Veränderungen eine vom Deutschen
abweichende Stilisierung erhalten. Mit der lateinischen
Sprache war der antike Hintergrund gegeben; Hinweise
auf die alten Götternamen sind nicht verwunderlich. Der
1) abg-ed ruckt bei Fr. Mone, Anzeiger f. Kunde d. tcutsch.
Vorzeit 1839 S. 551 ff.
^) KIIM III,:i 8. -i-iTf.
— 4(i —
köiii^liclic \;itcr scliwr.rt hei .Jiiiijiitcr und den oI^toii
Ocittorri (pono .Jovoin testeiii 2:'>9; te.stor ego siiperos ft
ceteni numiiui juris 2;')]); dio K/Jnijfin wendet sich in
tägliciicii (icliotcji an die ntirnina, ihr (;inen Erheri zu hc-
schereii (21). alter .J.nciiiii" ist ungünstig (7). Aiifh im
(ihrigen hech'cnt sich das (Jedicht nietttiiymisch (h-r Ix-kannten
(lütternainen: Thoehus uhi fessos in niare niergit e(|uos;
(124) — (iiiinfiiic i('(h't pulsis nitihins Aurora tenehris,
(325) etc. AulTaihMid g(Miug ist (his Bestrehen (h'S unl)e-
kannten Verfassers (hirch rhetorische Pracht zu glänzen,
die aHcrdings meist in Ausserliclikeiten erstarrt, wie viel-
facli in hiteinischcn Dichtungen (his Mittelalters. Allitera-
tionen erstrecken sich üher ganze Zeilen:
Innc polis oriialur tanto nilescit honore
iit placeat plane plus jjoli.s ipsa polo (293); —
ac regina ridens ridente niarito (105) ... —
atqiie regit regum rex duo regna duum (404).
Beliebt sind Wortspiele und Antithesen: lionio pene-
trat penetralia regis, prodere, quae vidit, prodigiosa volens
(151) — ut doctore suo doctior ipse foret (84) — o res
miranda, plus miseranda tarnen (26) — discunibendo placet
plus concunibendo placebit (223) etc. Die Erzählung ist
also in der Form durchaus nicht ungeschickt und eintönig,
aber von der einfachen Märchensprache von Grund aus
unterschieden. Nur selten hören wir einen volkstümlichen
Klang; bei der Beschreibung der schönen Königstochter
gebraucht der Dichter ein in aller Volkspoesie häutig vor-
kommendes Bild:
Candida delectat facies permixta rubore
ac si conlemplor lilia mixta rosis (199). —
Von einem bestimmten Einfluss stilistischer Art auf die
Grimmsche Bearbeitung ist nichts zu verspüren; das deutsche
Märchen ist eine kürzere Inhaltsangabe der lateinischen
Vorlage, deren breite Ausführungen schon deswegen sehr
zusammengedrängt wurden, weil man die rhetorischen
Mittel der Darstellung nicht gebrauchen konnte. Bisweilen
— 47 —
wurden auch gnissere Partion unterdrückt. Dif laii^r Kla<,'e
des Esels über seine Missgestalt (94 — lOG) und die aus-
führliche, nicht uninteressante Verlobungsszene des jtingen
Paares (275—325) sind bei Grinmi in die kurzen An-
deutungen gcfasst: „darüber ward es so betrübt" und:
„Also ward eine grosse und prächtige Hochzeit gehalten".
Jeder Hinweis auf das antik(; Element niusste schwinden,
ebenso auch einige lüsterne Stellen; anstatt der üppigen
Beschreibung der Hochzcn'tsnacht der jungen Eheleute
(317—24) hören wir bei (jrinuu nur: „da ward die Braut
Iroli, küsste ihn und hatte ihn von Herzen liel)". Die
junge Prinzessin ist l)ei Grimm, wie fast alle Königstöchter
des .Märchens, ..w^underschön", die Vorlage macht uns ein-
gehender mit ihren kcirperlichen Eeizen bekannt (184 ff.).
Die Bearbeitung aber wollte nicht bloss einen in
schlichter Sprache gehaltenen Auszug liefern, sondern fügte
ihrerseits dem Text schmückende Zusätze bei. in denen
sich namentlich die volkstümliche Ausdrucksweise bemerk-
lich macht, z. B. Eselein. was ist dir? Du schaust ja sauer
wie (M'n Essigkrug? (Die tili, (luid obest? cur tristis et
unde doloris Stimulus iste cadat? 243.) Von volkstümlichen
Zwillingsformeln begegnen: „Darüber klagte sie Tag und
Nacht" (dem Lat. nachgebildet: nocte dieque rogat 22), ..es
Avar auf einmal ganz lustig und guter Dinge", „es war
voll Trauer und Angst" (multo stimulante dolore), wie die
Mutter das erblickte, ting ihr Januner und Geschrei erst
recht an (hoc foetu viso matcr iam peperisse dolet 28)
und das charakteristische: „Es half aber alles nichts, das
Eselein ,wollt und musste' die Laute schlagen", wo die
Tautologie echt volkstümlich die Unabänderlichkeit des
Entschlusses ausdrückt. Auch der ^Monolog, in dem der
Sprechende sich selbst in der 2. Person anredet, im eigent-
lichen Sinne also ein Zwiegespräch mit sich selber führt,
ist eine schon von Jakob Grimm gewürdigte Eigentihn-
lichkeit der einfachen Volkssprache. Hierfür ein Beispiel:
er dachte, was hilft das alles, du musst wieder heim
(cogitat ad patrios velle redire lares 230). — Von dem
— 48 —
l*]s('lt'iii. iils <l('i' Jji('bliii;^fsli;^nir' <I<.'S Marcli<Mi.s, wii'd iiiinier
mit cinrr ^'rwisscii Zi(M'liclikf*it j^'osproclien; so orschoint
CS stets in «li-r Doniiiiutivfonii, iMiiij^o Mal im üoj^onstitz
ziii' Voila^'c: „ich bin kein «((iinoinos StallesehMii'". wo man
so^^ai' (las Lateiiiisclie Ix'greifliclior linclot: nun sum vul-
«raris asiniis, nt.'C sum stabularis (181). — ..Also ward
(las Esolein aul'f^ezogen. nahm zu und die (Jlircii wuchsen
ilini auch ..fein'' hoch und grad Jiinauf (aures attollit in
altum 41). — Das ..edle Tieilein'" weiss sich ..gar fein
und säulierlich" zu licnehmcMi (inter coenandum bene servit
ascllus cidcni 215), und der Kfjnig will wissen, ob es sich
als EluMnann auch ..lein artig und manierlich"' betrage
(ut vidcat ([uid ;»gant hie ascdlus et haec doinicella :307}. —
(ianz dem Märchenstil entsprechend ist die freimütige Art,
wie der Diener vor seinem König auftritt und ihn an-
redet: ,, Wacht selber die folgende Nacht, ihr werdet's
mit eigenen Augen sehen, und wisst ihr was, Herr König
nehmt ihm die Haut weg.''
11,60. Die Riil)(\
Für das Märchen wurde das lateinische Gedicht
„Raparius" benutzt, das dem el)en behandelten in Bezug
anf äussere Form ganz ähnlich ist. so dass man für beide
denselben Verfasser annehmen darf. Das von den Brüdern
benutzte Originalmanuscript, eine Strassburger Handschrift
des 15. Jahrhunderts (MSS. Johann. C. 102) hat das gleiche
Schicksal wie der „Asinarius" gehabt, aber auch hier
bietet eine Salmansweiler Handschrift genügenden Ersatz.
Eine andere, Wiener Handschrift weicht nur in Neben-
dingen ab und geht vielleicht in das 13. — 14, Jahrhundert
zurück'). Der Inhalt ist kurz folgender: Von zwei Brüdern
ist der eine reich, der andere arm. Der Arme wird Bauer,
und auf seinem Acker wächst eine grosse Rübe, die er
dem Könige zum Geschenk macht, da er nichts mit ihr
anzufangen weiss. Dafür wird er reich mit Schätzen be-
i) Fr. Mone, Anzeiger 1839 S. 562 ff.
— 49 —
lohnt. Aus Xeid über das Cilück seines Bruders brin^zt
der Andere dem König kostbare und edle Pferde in der
Hoffnung, noch weit grössere Gnade vor ihm zu finden,
er erhält aber als Dank die grosse Rübe seines Bruders
zurück. Tödlich beleidigt trachtet er diesem nach dem
Leben; sein Mordanschlag jedoch misslingt. Die bestochenen
J^anditen vernehmen in der Ferne Hufschlag, stecken den
Gefangenen eiligst in einen Sack und ziehen ihn am Baum
empor. Es kommt ein fahrenden- Schüler vorbei, dem der
Gefangene mitteilt, er sitze im Sack der "Weisheit. Da
der Schüler sehr begierig danach ist, so tauschen sie beide
die Plätze, und {\('v wisseiisdurstige Student hat Zeit, über
alle weltumfassende Gelehrsamkeit dort oben nachzu-
denken. — Die Vorlage ist in der Beschreibung der Si-
tuationen sehr ausführlich. Eine längere Episode (133—156),
in der der Verfasser gegen die Habsucht zu Fekh; zieht,
beweist auch, dass dem Gedicht didaktische Zwecke nahe
lagen. Metrum und Stil sind dieselben wie im „Asinarius";
Allitterationen sind nicht selten. Mythologische Namen
tauchen vereinzelt auf: um den Vortrag zu beleben, fügt
der Verfasser Bilder und Vergleiche ein, die aber kein
volkstümliches Gepräge tragen. Den heimtückischen Bruder
vergleicht er mit einem Vogelsteller (277, 293), als Bild
des übermässigen Reichtums kommt der ..amnis pluvialibus
guttis abundans" (193) zur Verwendung.
Auch hier hat Grimms Bearbeitung einen kürzeren
Auszug geliefert und mit einfachen Worten erzählt. Es
fehlt der Excurs über die Habsucht, der sich deutlich als
Zusatz erwies, und ebenso alle Rhetorik der Vorlage. Die
Beifügungen haben denselben Charakter wie im „Eselein";
sie gehören der volkstümlichen Sprache an, z. B.: „er zog
den Soldatenrock aus und ward ein Bauer (ergo valefaciens
Marti non militat ultra 9), — es wuchs da eine Rübe
gross und stark, dass sie eine Fürstin aller Rüben heisseii
konnte (rapula crevit, quae pleno dici nomine rapa po-
test 16), hing den Soldatenrock an den Nagel und baute
das Land (nunc enim aratro rura sero, nunc scindo li-
Palaestia XLVII. 4
— 50 —
{,'0110 \)'^), (liiss ilinori dor Sclircrkon in dfii Iji-W) liilu' iiml
sie Hals iilx'i- Kopf ilii-eii (Tofaii<,'oiieri in den Sack steckt<*ii
(nee iiioin raptivus in saocuni j)raecii)itatur 30')), —
ich IuiIh' i,a-()ss(' I)in<^'o i.O'lcrnt, (hif^'fgon sind alle .Sfiinlcii
oin Wind (liic tantuni vci'as novoris essf sdiolas — scpteiii
\)in' partes cognovi quaslilx't ai-ti-s. si Idirt hie Cato cederet
at(|u«' Plato (330) (das letzte ein dfutliclics Ijcisjiiel für
(li(.' Icoiiinisclien Rciinspicle in den Distichen). — Kr machte
ihn steinreich (pretiosi niassa metalli viro rege iubente
datnr 109) — sitze also fein ruhig (iani sedeas 383) —
ich wollt dich wohl hinein lassen für Lohn und gute Worte."
— An die altertümliclie (Bibel-)Sprache erinnern Ausdrücke
wie: „Wer ruft mir?" — ,,Um ein weniges, so werde ich
ausgelernt haben" — „Erhebe deine Augen". Im Gegen-
satz zur lat. Vorlage ist der Monolog in der 2. Person
ausgedrückt: endlich dachte er: verkaufst du sie. was
wirst du grosses dafür bekommen, und willst du sie selber
essen, so tun die kleinen Rüben denselben Dienst; du
willst sie dem König bringen und verehren (vilis erit pretii
si venditur rapula ista . . . banc regi dabo 43). — Um
der kindlichen Phantasie das Wachstum der Ungeheuern
Rübe recht anschaulich zu machen, häuft Grimm synonyme
Begriffe: Der Same ging auf. und es wuchs da eine Rübe,
die ward gross und stark und zusehends dicker und wollte
gar nicht aufhören zu wachsen, so dass sie eine Fürstin
aller Rüben heissen konnte (rapula crevit et reliquis
enormior una 15).
Es ist möglich, dass das Gedicht im Elsass heimisch
gewesen ist und aus mündlicher Volkssage schöpfte.
Fischart gedenkt der Rüben zu Strassburg') in der Redens-
art: Rüben nach Strassburg tragen (= Eulen nach Athen).
Ob die von Grimm aus der nordischen Mythologie an-
geführte Parallele zur Hängescene in notwendiger Be-
ziehung zu dem Märchen steht, dürfte schwer zu entscheiden
sein; dagegen entsprechen zwei von Grimm nicht erwähnte
J) Einleitung zum Ehezuchtbüchlein (ed. Hauffen) S. 123.
— 51 —
Erzählungen in Kirchhofs Wendunmnth (11,39 u. 40) zu-
sammen unserer Geschichte. Sie w(M-den an König Lud-
wig XI. von Frankreicli angeknüpft und berichten bis zur
Demütigung des Ehrgeizigen ähnlich wie das Grimmsche
Märchen. Der Mordanschlag auf den Bruder und die
Episode vom fahrenden Schüler fehlt. —
Von den Schwänken des Hans Sachs kommen zwei
als Vorlagen in Betracht: Ursprung der Affen*) — 11,61.
Das junggeglühte Männlein und: Der dewffel hat die
gais erschaffen, hat in dewffel äugen eingeseczt-) - II, 62.
Des Herrn und des Teufels Getier. — Hans Sachs
erzählt die erste Geschichte, um die Frage nach dem
Ursprung der Affen zu beantworten; das schwankhafte
Element der Erzählung liegt ihm näher als die märclien-
hafte \'erjüngung des alten Mannes. — Der Herr hat
einen alten Bettler im Feuer zu einem jungen Menschen
umgeschmiedet. Der Schmied versucht dasselbe Experiment
an seiner alten Schwiegermutter, es gerät aber höchst
übel. Völlig ungestaltet kommt die Alte aus dem Löschtrog
lieraus. Die beiden schwangeren Frauen im Hause sind
über ihren Anblick so entsetzt, dass sie noch in derselben
Nacht zwei Kinder in Affengestalt gebären: die Ureltern
des Affengeschlechts. Der Schluss warnt Schwangere
vor schreckhaften Überraschungen. — Bei Grimm fehlt Ein-
gang und Schluss, alles übrige ist beibehalten. Eine ganze
Reihe von Archaismen wurde von den Brüdern bei ihrer
Vorliebe für altertümliche Sprache in die Bearbeitung
herübergenommen. — Vor Hans Sachs ist der Schwank
bereits von Hans Folz in rohen Knittelversen behandelt
worden'); die Moral, die ähnliche Gedanken wie bei Hans
Sachs enthält, ist noch weit ausführlicher.
Das Märchen „Des Herrn und des Teufels Getier"
handelt von dem Streit zwischen Gott und dem Teufel.
Dieser hatte die Ziegen erschaffen; da sie aber den zarten
>) Schwanke und Fabeln d. H. Sachs ed. Goetze 11,290.
2) Schwanke und Fabeln d. H. Sachs ed. Goetze 1, 172.
3) Haupts Zs. Vin, 537 ff.
Pllarizeii <:ioss(>ri Schaden zufü^^t«Ti, so wurden sie von den
Wrill'en des Herrn zerrissen. Darüber erjrriniint verlangte
der Teufel Ersatz, her Herr verspricht ihm CJeld zu
zahlen, wenn das Kichenlaul» ahfällt. Wie die Zeit kam.
und er seinen Lohn forderte, wurde er helehit, da.ss noch
in Constantinoprl eine belaubte Eriche stehe. Ein halbes
.Jahr irrt der Jiöse umher, aber wo er sich auch befindet,
sind die Bäume belaubt. Aus Zorn darüber sticht er den
Ziegen die Augen aus und setzt ihnen seine eigenen ein.
— Die Bearbeitung bringt inhaltlich dassell)e wie die Vor-
lage, verzichtet aber auf den Schluss, der l)ei H, ^iaclis
vor den Verlockungen des Teufels warnt: er verwandle
sich nicht nur in Ziegen, sondern erscheine auch oft in
ßocksgestalt, um ehrbare Männer zu verführen. Die Worte
bei Grimm: „In der Kirche zu Constantinopel steht eine
hohe Eiche, die hat noch alles ihr Lauh" beruhen auf
einem Lesefehler; die Vorlage hat: Zu Constantinopel in
Kriechen (Griechenland). Damit stimmt auch das Folgende
gut zusammen, dass der Teufel so lange umherirrt, ehe er
die Eiche findet; überhaupt galt Griechenland im ^littel-
alter als eine wilde, unwirtliche Gegend. Auch die Stelle:
„er hetzte aus Güte und Gnaden seine Wölfe dran" ist
durch eine falsche Verbindung der Sätze in der Vorlage
entstanden. H. Sachs schreibt:
Und sach darzu wie die gaispoeck . . .
Detten den pllanzen grosen .schaden.
Das jamert in aiis ffüet und gnaden
Und iietscbet seine wült" an sie usw.
Hieraus ergibt sich, dass sich das Mitleid Gottes auf
die durch die Ziegenböcke beschädigten Ptlanzen bezieht.
Das hat auch allein einen Sinn. — Der Wortlaut ist
vielfach durch die Vorlage beeinflusst und zeigt alter-
tümliche Formen.
11,63. Der Hahnenbalken.
Bearbeitet nach Friedrich Kinds Gedicht gleichen
Namens in Beckers Taschenbuch 1812. Die Vorlage er-
— 53 —
zählt (las Mürchon in 15 nicht eben poesievollen, aber
glatt und leicht (hihinfliessenden Versen als scliwankhafte
Anekdote. Der niiin-hcnhaftc Kern der Erzählung, die
Wirkung des glückbringenden, vierblättrigen Kleeblatts,
\vird nebenbei behandelt; der Schluss, wo berichtet ist,
(hiss das Mädchen in ihrer Verblendung ein blühendes
Flachsfeld für Wasser hält und durchwaten will, — eine
uralte Vorstellung, die sich unter anderm auch in der Sage
von Eodulf und Runietrud findet') — leicht ins Schwank-
hafte hinübergespielt. Dem ist auch der sprachliche Aus-
druck angepasst, der absichtlich groteske und lächerliche
Vergleiche bevorzugt:
„Er winkt; der Hahn flie,<rt von der Wand
Der Bühne auf des Meisters Hand,
Hebt hoch die Krause und begrüsst
Das "Volk, läuft dann zum Baugerüst,
Und scheint gar scharf hei muntrem Krähen
Den stärksten Baumstamm zu erspähen.
Geübter als ein Altgesell
Hebt er die stärkste Eiche schnell.
Schwingt dann die Bürde säuberlich
Mit einer Pfotfe über sieh:
Sie ragt hoch wie der Turm zu Babel
Und kerzengrad auf seinem Schnabel."
„Hans Hagel" sieht mit grosser Verwund(!rung zu. Das
Mädchen, das vom Zauber frei geblieben ist, klärt die
Menge über ihre Verblendung auf; die Kache des Hexen-
meisters lässt nicht auf sich warten. Bei einem Festzuge,
den der Dichter ausführlich schildert, und der in seiner
Art sehr gut die derbe Lustigkeit des Kleinstädters zutu
Ausdruck bringt, wird das Mädchen durch die List des
Zauberers „vorm Schützencorps und Magistrat" im eigent-
lichen Sinne des Worts biossgestellt. Den Schluss bildet
eine Lehre, die er humoristisch mit Beziehung auf die
ebenerwähnte Strafe des Mädchens folgendermassen for-
muliert:
1) Grimm, Sagen II, ;:595.
— 54 —
„Lass du (IcDi liaiiklpr sf-iiit-n Salm,
iJem Volk (l(;ii Halk*-ii für den Halm,
Niclit stets wii-d Klarlii-it dicli unihellen,
1)01- (laiikler wt'iss ditdi blusszii.stftllen."
Dir F>cajl)('itiiiig-l)escliränkt sich uiifdio Krwälimnif,' der
Jlaupt[)uiiklo, diu sie schlicht aneirmridor reiht. Der spass-
hafto Ton, der die Vorlage beherrscht, ist völlig ver-
scliwundeii, wie denn Grimm bezeichnenderweise den
drastischen Vorfall sich auf dem Hochzeitsgange der
Braut abspielen lilsst. Der Schauplatz (in der Vorlage
Schwaben) wird nicht erwähnt. —
Volkstümlich ist die sprichwörtliche Redensart: und
jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort
(Hans Hagel griff zu Stein und Kot Und wählt des Gauklers
Kopf zum Ziele: doch der entkam im Volksgewühle.) Auch
der Paralh'li.smus in der Wendung: „Da gingen ihr die
Augen auf und sie sah, dass sie mitten in einem blau-
blühenden Flachsfeld stand" ist nicht etwa eine leere
Wiederholung, sondern eine Eigentümlichkeit volksmässig-
archaisierenden Sprachgebrauchs'). (Vorl.: erblickt sie
nur ein Feld mit Flachs); — ,.den Balken balancieren"
heisst bei Grimm anschaulicher und mit Umgehung des
Fremdworts: „und trug ihn, als war er federleicht". —
Eine Erzählung aus dem Paderbörnischen und in
Fr. Mones Anzeiger 1835 (p. 408) stimmen in der Haupt-
sache mit unserem Märchen zusammen; in ersterer fehlt
die Rache des Zauberers-).
11,67. Das Märchen vom Schlauraffenland.
Zu Grunde liegt das mhd. Gedicht unter dem Titel:
So ist diz von lügenen''). Die Anklänge an das weit-
1) W. C4rimm erklärt es für einfacher iind kindlicher zu sagen:
„meine Ohren hüren" statt: ich höre. Erstere Wendung könne
nur Unverständigen ein Pleonasmus sein (Sendschreiben an
Gräter S. 29).
2) KHM. lir^ S. 149.
3) C. H. 3Iüllers Samml. deutsch. Ged. a. d. 12.— 14. Jhrd.
in, 14. vgl. Haupt und Hoffmann, Altd. Bl. 1,103.
verbreitete ')Märcheii vom glücklichen Lande der Schlaraffen
treten aber fast ganz zurück; bloss die Linde mit lieissen
Fladen und der Honigfluss kfinnten darauf hinweisen. Da
al)er die Erzählung sonst sich in dan Formen des Lügen-
märchens bewegt, und auch die Überschrift auf die folgende
Anhäufung von unerhörten und unmöglichen Dingen auf-
merksam macht, so ergibt sich daraus, dass das Märchen
mit Unrecht als eine Beschreibung des Schlaraffenlandes
angesehen wird-). A'on Schlaraffen als faulen Schlemmern
oder Phantasten ist nirgends die Rede. Das Gedicht be-
ginnt: ..Ich sach eins males in der äffen zit" usw., w^ofür
Grinun ohne weiteres „In der Schlauraffenzeit" einsetzt.
Die Angabe „in der äffen zit", die im 15. Jahrhundert
öfter ohne jeden Gedanken an die „slüraffen" vorkommt,
ist zu vergleichen mit solchen in andern Lügenmärchen,
wie z. B. zu Weihnachten im Sommer, zu Pfingsten auf
dem Eise usw.
Die Vorlage ist ein kunstloses Produkt aus dem 14. Jahr-
hundert mit vielen unreinen Reimen. Die Darstellung
bemüht sich nicht, abzuwechseln, sondern reiht die einzelnen
Sätze meist mit den einleitenden Worten: Dö sach ich .. .
an einander. Der Mangel stilistischer Ausdrucksmittel ist
auch auf die Bearbeitung von übelm Einfluss gewesen, ob-
gleich sich diese hütet, der Vorlage mechanisch zu folgen.
Einzelnes wurde mehr hervorgehoben: da kam eine Schnecke
gerennt (dO sach ich einen snecken) eine alte Schindmähre
(ein beesez pfert), ein bitterscharfes Schwert (vil boesez
swert), von einem tiefen Tal auf einen hohen Berg (von
eime tal üf einen berc). Für „ern" setzt die Bearbeitung
dasmundartliche „zackern", statt des allgemeinen Ausdrucks:
dö sach ich ein rote kuo
daz bröt in den oven tuon
die W^endung aus der Handwerkssprache „eine rote Kuh
schoss dasBrot in den Ofen"''). Die unsaubere Schlusspointe:
1) vgl. E. Schmidt, Charakteristiken 11, 51 ff.
2) Beiträge von Paul u. Braune V, 41ü.
3) (Irimm, Deutsch. W.-B. 9,40.
— ÖG —
du si)rach ein huoii :
est ftz geseit,
ein unjrofiioc scl)ei/. uf dif biuoili,
r-st fiz H'est'it
heisst bei Grinini zierlich: ..Da krähte ein Huhn: Kickeriki!
Das Märchen ist ausverzälilt. Kick«'riki!'"
Di(? ]karl)eitunt,' ist nicht oiine Irrtümer. Der Text
(h3r Vürlaf(e:
do sac-h ich zwei rindor
zwo geize bringen
wurde infolge eines Versehens (Gr. las .Kinder statt .Rinder")
unifj^e formt: „Zwei Kinder, die würfen zwei Zicklein"'. Ein
gleicher Fehler steckt in der Wendung: ..Und im Hof
standen vier Rosse, die droschen Korn aus allen Kräften'',
wofür die Vorlage bietet:
du sach ich vier rösser
üz howe körn, dreschen.
(= aus Heu Korn dreschen). Erst hierdurch wird der
Gegensatz der mit einander verbundenen Begriffe herge-
stellt, wie er für das Lügenmärchen notwendig ist. — Be-
deutung und Zusammenhang erfordern für den Ausdruck:
dö sach ich ein vil b(esez swert
houwen eine slegebrueke enzwei
das Gegenteil der Grimmschen Übersetzung, also nicht
ein „bitterscharfes" Schwert, sondern ein sehr stumpfes,
denn es soll ja gerade das Unmögliche mit der Redensart
ausgedrückt w^erden. —
Die beiden folgenden Märchen unterscheiden sich wenig
von ihrer Vorlage. Das dithmarsische Lügenmärchen
(11,68) ist die Prosaumschrift eines Tanzliedes'). Der im
Zusammenhang etwas unklare Satz: ,.de Wahrheit kommt
by groten hupen und blief doch nicht verschwegen", worin
man keinen Widerspruch entdecken kann, blieb in der
Bearbeitung weg. Die Worte: .,se segelten bv iJ:roten
1) Anton Vieths dithmars. Chronik 1733, 111 = Uhland, Volks-
lieder, 24Ü.
— 57 —
hupen'' sind irrtümlicli als ..über gTOsse Hufen" verstanden
und demgeniäss übersetzt worden: „und schifften über
grosse Äckrr hin"; .,by groten hupen" iieisst aber ..haufen-
weise". — Aliitterierend lieisst es einmal: fein langsam
und leise (de schwammen also lise). Die 6. Auflage fügte
den hübschen !>chluss hinzu: Macht das Fenster auf,
damit die Lügen hinausfliegen. —
Das Rätsel märchen (II. 6i)) ist aus einem Volksbuch
aus dem Anfang des U). Jahrhunderts abgedruckt '). Das
Märchenhafte der Erzählung liegt in der Verwandlung der
Frau in eine Blume; ähnliche Verzauberungen kommen
häutiger vor z. B. im Liebsten Roland (56) und im Funde-
vogcl (51). Die Sprache zeigt geringe Modernisierung.
IL ()6. Die heilige Frau Kummcrniss.
Die Legende erzählt von dem Märtyrertod einer portu-
giesischen Königstochter Wilgefortis, die als Christin sich
nicht mit einem heidnischen Prinzen vermählen wollte und
deshalb Gott anflehte, ihre »Schönheit zu zerstören und ihr
einen Männerl)art wachsen zu lassen. Das Wunder geschah,
und sie wurde von ihrem grausamen Vater, der sie zu der
verhassten Heirat hatte zwingen wollen, zum Kreuzestode
verurteilt. — Vor ihrem Heiligenbilde kniete einst ein
Geiger und spielte ein schönes Lied. Zum Dank dafür
Hess das Bild einen goldenen Pantoffel niederfallen. Das
Fehlen des Schuhes wurde bald bemerkt, es geschah Um-
frage, und der Spielmann, bei dem er gefunden wurde, sollte
wegen Kirchenraubes gehängt werden. Auf seinem letzten
Gange bat er sich die Gnade aus, noch einmal vor der
Heiligen spielen zu dürfen; es wird ihm erlaubt, und wie
er einen Bogenstrich tut. lässt das Bild auch den zweiten
Schuh fallen, und der Geiger wird freigelassen. — Die Bear-
beitung folgt fast wörtlich der Fassung im Andreas Strobls:
Ovum paschale (Salzburg 1700) p. ^IGf. Der Bericht des
Wunders wurde etwas abgeschwächt, im übrigen aber lässt
1) vgl. Haupts Zs. HI, 34.
— 58 —
siel) ciiM' al)\v('i<'liMi(l(' Stilisif'iiiii;f iiiclit iTk'.'iirifMi. Zwar'
ist dir Sj)racli(' flwas modciiiisifrt. doch blickt der alter-
liiinliclii' (iiiHid noch iil)crall liervor. Der latcinischfi Xamo
(h'r .Jiiii;4'lriui Wil^^olorlis wurde unterdrückt, chonso die
Wen<lung: das Valetc nehmen mit: „zu guter Letzt Abschied
nehmen" übersetzt. j)ie fJewäliiung tler letzten Bitte
erinnert an di(! Episode des Märchens vom .Juden im Dorn.
Im „Geiger zu Gmünd" hat Justinus Kerner die Legende
l)0(!tisch l)earbeitet '). Mit gutem l^echt ist hier statt der
Wilgel'ortis die Schutzpatronin der Musik, die „sanges-
riiiche Cäcilie" als Heilige eingeführt worden.
Der Ursprung der Legende ist dunkel. Man bringt
sie in Zusammenhang mit den bekleideten Christusstatuen
des .Mittelalters-), andere knüpfen sie an germanisches
Heidentum an'). Der Kultus der Heiligen blühte haupt-
säelilich im Westen Deutschlands, von wo er sich \v(»itei-
ausbreitete. Die Namen werden vielfach variiert; Stroi»!
nennt sie noch: Liberata. Daneben bestehen Bezeich-
nungen wie: St. Gehülfe, St. Hilfe, das vlämische Ontcom-
mena (- Liberata), aus dem sich vielleicht durch Volks-
etymologie die Benennung: „heilige Frau Kümmernis" ent-
wickelt hat. Bisweilen wird auch ein männlicher Heiliger
darunter verstanden: St. Kummerus. —
Eigenartig ist die Entwickelungsgeschichte der beiden
schönen Märchen: Von den Fischer und sine Fru (1,19)
und Von den Machandelboom (1,47). Sie stammen
aus der Feder des Malers Philipp Otto Runge, der sie
im Januar 1806 in vorpommerscher ^Mundart niederschrieb.
Noch am 7. Januar teilt er seinem Bruder Gustav in
Wolgast, woher er selbst stammte, mit, dass er ihm
gelegentlich zwei „Löögschen" (= Kindermärchen) zusenden
wolle, die ausserordentlich schön und vollständig seien,
wenn er nur Zeit zum Aufschreiben fände"*). Am 24. Januar
1) Gedichte, 182G, S. 147.
2) Weinhold, Zs. d. Ver. f. Volkskunde 9,322 ff.
3) Germania 32,461 ff.
■*) Runges Hinterlassene Schriften I, 62.
— 59 —
180(5 schickte er sie an seinen Freund Joli. Oeorji; Zinimcr.
den Verleger dtT Romantiker in Heidelberg, als Dank für
den 1. Hand des Wundeiliorns. das Zimmer als erstes Weik
in Heidelberg herausgab. Ki- schreibt über seine Märchen
folgendes: ..Ich sende Ihnen hierbei zwei plattdeutsche
Dülinehen, Avie sie die Kinderfrauen wohl erzählen, man
tindet sie selten so vollständig und ich habe mich bemüht,
sie so aufzuschreiben, wie sie sich anhören .... Ich
glaube, ^venn es jemand übernähme, dergleichen recht zu
sammeln, und hätte das Zeug um das Eigentliche zupacken,
dass es schon der Mühe verlohnen würde; vorzüglich wäre
nie zu vergessen, dass die Sachen nicht gelesen, sondern
erzählt werden sollten ')". Hieraus geht deutlich hervoi'.
dass er selber mit bewusster Technik der Darstellung an
den Märchen gearbeitet hat. Mit feinem Empfinden betont
er das musikalisch -rhythmische Moment der Märchen-
sprache, die sich der mündlichen Ausdrucksweise anzu-
passen habe. Von Zimmer erhielt Arnim (1808) das
Rungische Manuscript ausgehändigt: eine Anfrage Arnims
beim Verfasser, ob er mit dem Abdruck der Erzählungen
in der Zeitung für Einsiedler einverstanden sei, hatte d(Mi
gewünschten Erfolg. In allzugrosser Bescheidenheit spricht
sich Runge nur ein geringes Verdienst an der Wieder-
gabe der Märchen zu, da es hioss Zufall sei, dass er sie
so vollständig zu hören bekommen habe-). Er stellt noch
ein drittes ^lärchen vom starken Hans (dem plattdeutschen
Herkules) in Aussicht, über den wir aber nichts Bestimmtes
erfahren. Am 9. u. 12. Juli 1808 kam der „Machandel-
boom" zum Abdruck; der ,. Fischer" wurde nicht mehr
aufgenommen, da Arnim die Erzählung nicht für ein eigent-
liches Kindernlärchen hielt. ..Die Fabel vom Fischer
schien mir damals, als ich den Machandelboom abdrucken
liess", schreibt er an die Brüder Grimm''), ,.kein eigent-
liches Kindermärchen, und darum nahm ich es nicht auf,
1) Runges Schriften I, 64.
2) Runges Schriften 1,185.
3) Steig, A. V. Arnim Ill,2()2.
— (■)() —
weil ich in drill Kivi.-,c der IciM zu schliessenden Zeitung
nur- rrclit clKu-iiklfjri.siisclif Siii^cii wünschte. Selbst der
MacliandclbDoiii war mir wcicm einer <rewissen. darin
wulmenden (iniusjinikeit niclit iranz recht, ;il>cr die licriih-
rung mit Ooethf; auf (h-r fiim-n. mit dir- noidischen Romanze,
die ich (himtils von Wilhehii übersetzt erliiclt und mit dem
(.'id in Hinsicht des Aufriciitens toter Leiber (auf der
anderen Seite) bestimmte den Abdruck"'.
In einer Anmerkung' seiner Zeitung maciite der,. Ein-
siedler" Arnim darauf aufmerksam, dass die Verse, die
der schöne Vogel singt:
Mein Müller, der mich schlact't
Mein Vater, di-r mirh ass . . .
in G retchens irrem Liede in der Iverkerscene des Faust
wiederklingen. (Arnim schreibt statt Gretchen irrtümlich
Klärchen). Das Folgende deutet auf die von W. Grinmi aus
dem Dänischen übersetzte Romanze: „Des Riesen Lang-
bein und Wittich Wielands Sohn Kampf, wo die Auf-
stellung eines toten Leichnams eine ähnliche Rolle spielt
wMe im Cid*). — Die beiden i\lanuscripte lUinges nahm
Arnim mit nach Kassel und üi)erlicss sie 1809 den Grimms
zur Abschrift. Später empfing sie auch Friedr. Heinr.
von der Hagen, von dem sie dann dessen Freund Büsching
für seine 1812 erschienene Sagensammlung entlehnte. Ein
Vergleich der beiden Abdrücke bei Grimm und Büsching
lässt deutlich orthographische und ganz geringfügige
stilistische Abweichungen erkennen. Die Varianten des
Grimmschen Textes kommen auf Rechnung des Verlegers
Georg Andreas Reimer in Berlin-). Dieser, eingeborener
Greifswalder, hatte ohne Erlaubnis Grimms den Wortlaut
der plattdeutschen Märchen nach eigenem Sprachgebrauch
und nach Job. Carl Dähnerts plattdeutschem Wörterl)uch
(1781) umgeändert, da er ihm der pommerschen Mundart
1) Ztg. f. Einsiedler Xo. 30. Altdän. Heldenlieder S. 17.
2) Nachgewiesen von Steig. Arohiv f. d. Stud. d. neueren
Spr^ichen u. Litt. 107, 277 ff.
— ül —
nicht ^eiKui zu eiitspreclion schien. Stärkere EingrilTe
zeigt der Text des ,. Fischers", aber auch das Märchen
vom Machandelhooni erlitt X'eränderungen, obgleich sie
weniger zahlreich und unbedeutender waren, „da die
Abschrift viel correkter und den Regeln des Plattdeutschen
zusagender war als beim Fischer". Da aber die Anmer-
kungen am Schluss besagten, dass es wörtlich nach Runges
Mitteilungen abgedruckt sei, so geriet Reimer, der bei der
Drucklegung des Märchentextes noch nichts davon gewusst
hatte, in Verlegenheit. Er schrieb deshalb am 1. Dezember
1812, um sein Verfahren zu entschuldigen, dass schon die
Ungleichheit der Schreibart einen ganz wörtlichen Abdruck
nicht gestattet hätte, und führt als f]ntlastungsgruiid für
sich an. dass ihm Tieck zu seiner Beruhigung mitgeteilt
habe, .,die Erzählung sei gar nicht so abgefasst, wie er
sie selbst häufig aus Runges eigenem Munde gehört habe,
selbst in einigen Wendungen und ^Momenten der Entwick-
lung verschieden ')", Reimer wusste selbst, dass die Mit-
teilung Tiecks seine Eingriffe in die Gestalt der Märchen
nicht entschuldigte und war deshalb zu einem nachträg-
lichen wortgetreuen Abdruck bereit. Da aber die Aus-
gabe des Buches nicht verzögert werden sollte, so unter-
blieb die w^eitere Änderung, und auf Reimers Veranlassung
lautete die Anmerkung zum Machandelboom: „Dieses
wunderschöne Märchen ist uns von Runge mitgeteilt
worden". Über das Verhältnis des Abdrucks zum ursprüng-
lichen Text wird nichts gesagt.
Steig vermutet mit Unrecht, dass Reimer auch die
Fassung des „Fischers" bei Büsching als fehlerhaften
Abdruck des Rungischen Märchens bezeichnet habe'-).
SchwerHch hatte er trotz seiner Änderungen an dem
Grimmschen Text ein derartiges persönliches Interesse
an dem Wortlaut bei Büsching, dass er ihn sogar zu einer
genauen Vergleichung herangezogen hätte; denn ohne
1) Archiv a. a. O. S. 293.
2) Archiv Bd. 107, 296.
— ()2 —
dieses N'crfaliren würde er den l.'nterscliied gar nicht
l)em(!rkt liahcn: auch bezeichnete er ihn niclit deshalb
als ((dilerhalt, weil er (hjn Grimnisehcn Text für unvoll-
kommen hit'lt und Verbesserungen anliiaehte. Vor allem
aber spricht dagegen, dass schon in einem lirief der
Brüder an Arnim vom 20. St'j)t. 1812 Hüsching der
\'or\vurf gemacht wird. (;r habe das .Märchen vom Fischer
ungenau wiedergegeben"). Mit diesem Briefe aber ging erst
das Drucknuinuscript der Märchen nach Berlin ab-): es kann
sich also i)ei dem Tadel, den sich Büsching von den Grimms
gefallen lassen muss, nur um die (wohl durch Druckfehler ent-
standenen) Abweichungen gehandelt liaben. die seine Fassung
von ihrer — wie man sicher annehmen darf — ganz wortge-
treuen Abschrift des Kungischen ]\Ianuscripts unterschieden.
Da diese nun aber durch Reimers Schuld entstellt ist, so
sind wir nicht im Stande, solange nicht jede Änderung
Reimers als solche nachgewiesen ist. anzugeben, wieweit
Grimms Vorwurf Büsching gegenüber berechtigt war.
Der von Reimer veränderte Text blieb auch in der
2. Auflage bestehen. Die Note zu No. 19 im 3. Bande
zeigt jedoch, dass den Brüdern die P>innerung an Reimers
Verfahren noch nicht verloren gegangen war. Da der
Text in ihrer eigenen Sammlung nun noch viel weniger
als der Büschingsche der ursprünglichen Handschrift
Runges entsprach, so fehlt hier der ganze Passus über
von der Hagen und Büsching. Der Machandelboom trägt
den Vermerk: „Von Runge nach der Volkserzählung auf-
geschrieben," weiter nichts. — Von ganz geringen Ände-
rungen abgesehen'') überlieferten auch die folgenden Auf-
lagen den Text in der alten Form bis zur 5. Auflage der
kleinen Ausgabe der Märchen, die man seit 1825 einge-
richtet hatte'*). Dann aber erscheinen die Märchen plötzlich
') Steig-, Achim v. Arnim Ilf. ilß.
2) Steig, Achim v. Arnim 111,213.
3) Archiv, S. 297.
*) Steig, Achim v. Arnim^ III, 548.
— (>3 —
in ganz neuer Gestalt. Inzwischen (1840 — 41) waren
nänilicli die liinterlassenen Schriften Otto Runges er-
schienen, in denen die Texte von Daniel Runge, dem
Herausgeber, in Hamburgischen Dialekt umgeschrieben
waren. 1812 schrieb er bereits an Arnim und erbat sich
von ihm das Manuscript der beiden Märchen. Das befanti
sich aber in Clemens Brentanos Händen. Ob dieser es
zurücksandte, bleibt bei dem Mangel an Nachrichten darüber
unsicher. Die Umschrift der Märchen zeigt aber eine so
weitgehende Übereinstimmung mit der ursprünglichen
Fassung, dass man notwendig eine ältere Vorlage an-
nehmen muss '). Es ist möglich, dass Daniel Runge die
Abdrücke in Grimms oder Büschings Sammlung ])enutzte,
aber da er mit keinem AVorte die Zugrundelegung einer
fremden Fassung erwähnt, so scheint er das Original-
manuscript der Märchen samt den Briefen seines Bruders
von Brentano zurückerhalten zu haben.
Wenig verändert wurde das Märchen vom Machandel-
boom; hier handelt es sich bei den Abweichungen fast
nur um Sprachformen. Beim Fischer dagegen zeigen sich
i)edeutendere Eingriffe. Der Einschub neuer Sätze ver-
ändert auch die alten; am auffälligsten tritt das Bestreben
hervor, Detailschilderungen zu geben und den äusseren
Glanz der Situationen mehr hervorzuheben. Aber trotz
aller Änderungen ist auch hier die Übereinstimmung mit
dem Früheren ganz evident.
Die neue Form der Märchen wurde von der 5. Auf-
lage (1847) ab von W. Grimm trotz einiger Bedenken
angenommen. Damit stimmt nun aber nicht die An-
merkung des 3. Bandes (1856); dort steht noch wie früher
bei No. 19, dass das Märchen in pommerscher Mundart
aufgeschrieben sei; Grimm vergass. dass er inzwischen
die Alärchen nach Daniel Runges Vorgang in Ham-
burgischem Dialekt aufgenommen hatte. In dieser letzten
•) Anders Stoig, Archiv a. a. O. 298.
— «4 —
Form stehen die Mürclien noch heute' in iinsom Aus-
gaben.
Der Erzähhin;^ vom Fisehe-i'. die den schwindelnden
Aiifsliei;- lind jähen Sturz eines ehr<reizi^'en Menschen in
mäichenhatter Kinkh'iching zur I);irste|lung hrin;,'t. konnte
mit ieicliter litterarischer Naclihilfe eine auf den Geist
der Zeit ^^erichtetr; Wendung *,'e(.fel)en werden. Schon
Reimer bemeikte 1808, dass das Märchen Personen
und Ereignisse der Zeit vortrefflich ciiarakterisicrc').
Am nächsten hig der Gedanke an das Parvenu-Schick-
sal Napoleons, Am 29. April 1814 schreibt Savigny
an W. Grimm, dass ein Sonderdruck des „Fälschers" aus
der Grimmschen Sammlung als Biographie des französischen
Kaisers stark gekauft und gelesen werde-). Wichtiger
aber ist, dass Arnim in freier, dichterischer Weise das
Märchen vom Fischer, das er zuerst als Kindermärchen
befehdet hatte, in seiner ..Päpstin Johanna" in gereimter
und prosaischer Fassung bearbeitet und es symbolisch
mit den Schicksalen des weiblichen Papstes verllochten
liat''). Brentano gedachte die IxMMen Kungischen Er-
zählungen für seine Märchensammlung zu benutzen ""J:
die viel später von Guido Görres besorgte Ausgabe der
Märchen enthält sie aber nicht. Sieber hätte auch
Brentano die Fassung Runges geändert.
Für die beiden Märchen haben wir endlich ein merk-
würdiges Zeugnis zu berücksichtigen, das die Frage nach
der Form des ursprünglichen ^lanuscripts Runges noch
einmal berührt. Es ist anzunehmen, dass der am 24. Jan.
1806 an Zimmer abgesandte Text zum Abdruck gelangt
ist. Bedenken erregt nur eine Nachricht Brentanos^).
Dieser hatte die Rungischen Märchen in der Hand-
1) Zinmipr nncl d. Romantiker S. 271
2j bteig, Archiv Bd. 110,9.
3) Steig, Archiv Bd. 110,13 ff.
•1) Brentano, Ges. Schriften VIII, 161.
5) Steig, Achim v. Arnim 1, 151.
— 05 —
sclirift «iclescM uiul erkaiiiitc zwar ilii<' ausfrozcicliiietc
DarstolhuiiJ: an, wuiulertc sich aljcr darüber, dass das
Märchen vom Machaiidelliooni von der Fassung', die er
aus mündlichei' L'beriiererung wusste, in ciniii'en Punicten
ah\veieh(^: ,.üer Unterschied ist,"' schreibt er. ,.(hiss in
incineni Exeniph^r eine g'oldene Kette an einen Vater und
ein paar rote Schuhe an die Tocliter. in seinem al)er ein
paar Hosen und ein Weck verschenkt wercU'ii."" In dein
Märchen, wie es uns vorUegt, ist aber von einem solchen
Geschenk gar nii-ht die IJede. viehnehr werden el)enso
eine ..goldene Kette" und ein ..paar rote Schuhe" ver-
teilt, wie Brentano es in der von ihm gehörten Rezension
gefunden hat. Man kann das Breiitanosche Zeugnis nicht
anders verstehen, als wenn man annimmt, dass der ur-
sprüngliche Text Thinges von dem uns erhaltenen
mindestens in den von Brentano angeführten Punkten
abgewichen sei; denn dessen Mitteilung siidit durch die
bestimmte Gegenüberstellung der fraglichen Varianten
einem Citat sehr ähnlich. Innerhalb {\vv zwei .Jahre —
vom Januar 1806 bis Januar ISOS — müsste dann liunge
eine veränderte Fassung eingesandt habeji: vielleicht hat
ihn Brentano selber auf die Abweichungen aufmerksam
genmcht. Vermutlich hatte Keimer. der die beitlen .Alärchen
im Januar 1808 in der Handschrift las'), schon die end-
gültige Fassung vor sich, wie sie bald darauf in der
Zeitung für Flinsiedler erschien, sonst hätte er bei seiner
späteren Verteidigung den (jrimms gegenüber sicher auf
diese Punkte aufmerksam gemacht, denn er hätte ja dann
einen augenscheinlichen Beweis für (Wo Meinung Tiecks
ins Feld führen können, dass der Text von IJunge selbst
mit Varianten erzählt wurde.
Die Stufenfolge der Entwickeluiig ({('>< Textes in beiden
Krzählungen ist also di(^se:
1. Das ursprüngliche Manuscript Jfunges enthielt die
von Brentano gerügten Abweichungen.
') Zimmei-, Z. ii. d. Ronianlikcr S. 277.
ralae^tra XI.VII. ü
— »;<; —
2. \)vv Abdiiick lies ,.,Macli;iiiilt'lhooiM.s" in der Zi'ituiii:
IUI' J']iiisic(ll*'i' iiml des ..Fiscliei.s'" ln-i ßüscliin;.'
stehen dem (veränderten) Uuntrisolion Text am
nächsten.
;>. Bedeutendere lOiiiiiiill'e von tremder Hand yj\'jL\
der Ahdruck dei- heidcn Märchen hei (irimm isij.
In einem andern Diah^kt erscheinen sie
4. in Run<((!S Hinterhissenen Schriften, dene-n sich
5. Wilhehii Grimm nachher anschloss.
Das Originahnaniiscript ist nicht wieder aufgetaucht.
Die zweite Auflage der ]Märclien (1S19) l)rachte
nicht nur eine Reihe neuer Erzählungen, sondern änderte
auch Tielfach an der ersten Fassung. Auf manche Mängel
der Sammlung war von den Freunden hingewiesen worden,
namentlich hatte Arnims verständnisvolles Urteil, worauf
die Brüder besonderes Gewicht legten, bestimmte Nach-
teile gerügt. Obwohl die Herausgeber bei ihrer eigen-
artigen Auffassung des deutschen Volksmärchens nicht
alle Einwürfe berücksichtigen wollten und konnten, so
zeigt doch die neue Bearbeitung deutlich, dass sie einzelnen
Besserungsvorschlägen Gehör gegeben hatten. Auch ihnen
selbst genügte der frühere Zustand des Buches nicht mehr.
Zwar hatte Jakob zuerst Arnim gegenüber jedes Märchen
in Schutz genonnnen. aher schliesslich fand auch er den
1. Band unvollkommen: „Ich denke nicht", schreibt er an
Wilhelm '), „dass er ebenso darf wieder gedruckt werden,
sondern vieles ist zu bessern und zu vermehren." In der
neuen Ausgabe, die für die folgenden im grossen und
ganzen textlich massgebend gewesen ist. trat der Charakter
einer blossen Sammlung mehr zurück, und die Form ge-
wann an durchgehildeter Feinheit. Die grössten Änderungen
erfuhr aber nur der erste Band. Fragmente, lückenhafte
Erzählungen und einige Märchen in altertümlicher Sprache
wurden teils durch vollständigere Überlieferungen ersetzt.
1) Am 11. M.ii islö.
— 67 —
t(,'ils erjiiiiizt. luul sn niiiflt das liuch ein j^ariz audei'os
Aussclien. Auch im Klciuci; ist die bessernde Hand der
Brüder oft zu spüren. Es seien die äusseren Veränderungen
durch Zahlenangaben deuthch gemacht. Ausgeschieden
wurden Xo. G, 8, 22. 27. :?:5. 54. (52. 71, 72. 77. 82, 85. Eine
ganze Reihe braclitc man im ;J. iJanih' unter, der 1822
selljständig mit den Vaiianten und Anmerkungen erschien,
die man in der 1. Aufhige ..wegen ihrer angenehmen und
eigentümlichen .-\l)\vcichuiigcn" noch in den Text aul'-
genommen hatte. In der folgenden Aufzählung der aus-
geschalteten ]\[ärchen bezeichnet die eingeklammerte Zahl
den Platz, wo sie im 8. JJande erwähnt werden: es sind
No. 16 (62). a2 (82), 64 I (57), :54 (34j, 59, 66 (127), 60. 61
(60. 61). 68 (88). 70 (56). 78 (46), 74 (60), 75 (29), 81 (82),
84 (Fragm. 5). Im 2. Bande wurden gestrichen No. 83,
43, 44. die Jakob als das schhichteste Stück der Abteilung
bezeichnete'). 57, 66. Xo. 18 findet sich als Variante zu 1.
86 zu 122. Xo. 85 erhielt einen besseren Platz unter den
Ivinderlegenden (9). Im übrigen handelt es sich hier um
kleinere Formverbesserungen. Es kamen ausser den Va-
rianten neu hinzu Xo. 6—8, 16, 22, 27, 88, 85. 87, 59, 66, 68,
7(»— 75, 77, 82-84, 95. 119. 121. 129, 130, 143, 152, 155.
156. Einige sind Kedaktionen älterer Aufzeichnungen.
Die Vorzüge der neuen Ausgabe waren unverkennbar,
Jvühn)end hebtüörres ..die ansprechende Harmonie zwischen
Inhalt und Form" der Märchen hervor; er bewundert den
sicheren Takt, womit die Brüder den Ton der Darstellung
getroffen hätten, und versichert, das Ganze sei so, dass
keine Literatur etwas in dieser Vollkommenheit dagegen zu
stellen habe-j.
35. Der Schneider im Himmel'').
Schon der schwäbische Humanist Heinrich Bebel er-
zählt den bekannten Schwank in seinen Facetien unter
1) Briefwechsel zwisclien Jakob u. Willieliu (hiiiini S. 440.
-) lirief an Grimm vom 1(3. Dez. 1822.
■■} Viii. H, Kollier, Aufsätze ed. Bolte u. E. Selmiiclt S. 48 ff.
— OS —
der ljl)(M-sclirirt: ..iJc sarciiiatoi'c liilnilu'" '). Aus iliui
scliüjirtcii l-'rcy ((iJirtrMijrcsf'llsclialt. ( ai». lo'J) uml Kirchliof
( \\'cii(liiniiiiitli l.2.''>()). .If'dcr von iliin'n lii^^tc KlciriitrkcitrMi
hinzu. l''i-('_vs Darstclluii«.'- 7A'\>^t im (ioj^eiisatz zu seiner
\'()ilai;i' einen deilien Humor, ist anseliaulich und di'amatisch
belebt uinl bringt /ueist (b'ii ticl'fliclion Sebluss. wonach
(b'T aus (b'Ui llininnd vertriebene Schnoider das Dorf Wart-
eiiiweil aulsueht. um dort mit den Landsknecliteu zu zeehen.
Kirchhof bo^qnnt si)öttisch: .,Ach leider, was lial)e ieli ver-
gessiMi? Der Schneider sollte ich ol)en bei dei- Fürsten
und des Adels Historien Meldung; getan lial)eii. sintemal
wann dieselbigen all gestorben, sie die ei-sten sein, die
Edelleute werden mögen'*, und fähit dann nach Art des
Lügenmärchens fort: ..Ein Stumm hat mir gesagt. da.ss
eine blinde Frau auch gesehen, es hab ein hinckender
Schneider vor Zeiten auf seinem Handwerk umher-
gewanderf usw. Das Folgende schliesst sich enger als
bei Frey an die Vorlage an. Der Schluss lautet echt
märchenhaft: ..Wer so fürwitzig ist und gern wissen wollte,
wie es dem Schneider fürder gangen, mag vorm Himmel
danach fragen.'' Die Moral bedient .sich des Ovidischeii
Distichons nach Bebel:
.,Si (jiiolios ])ec'cant honiines siia fulmina mittat
.Jup])iter exiguo tempoie inermis erit.'"
Kirchhofs Übersetzung gibt denselben Gedanken in christ-
hchem Sinne wieder.
Die Brüder Grimm benutzten im wesentlichen die Dar-
stellung bei Frey, milderten aber einige austössige Stellen.
Am Anfang fügten sie das Zwiegespräch zwischen Petrus
und dem bittenden Schneider ein, wobei uns die volksmässige
Ausdrucksweise interessiert: „Petrus fragte: Wer klopft?
Ein armer, ehrlicher Schneider bittet um Einlassl — Ja,
ehrlich wie der Dieb am Galgen, du hast lange Finger
gemacht und den Leuten das Tuch abgezwickt". Die Vor-
lage berichtet einfach: ,.Der Schneider war gern hinein
1) Opusciil.i l.')!4. .\n<i^al)(' vnii l.wO, S. <!.
— ()<) —
licwesoii. Peti'us aber wollt ihn iiiclit liiiK.'iiilasscii, (luruiii
(lass er sn niiliilliii- in sciiicin LcIxmi den Leuten das ''i'ufli
;Li"('Stolilen liätt." \\"\v auch sonst wird der ^Schneider als
cia kleines, sijindiddürres MännclKMi vor<,fostellt. Die
späteren Auflaufen heben seine Winzi<:?keit noeli mehr her-
vor: er Itittet .jnit einer feinen Stimme" um Eiidass und
spriiifi't ..mit seinem dürren Leil)e" behende durch die offene
Himmelstür. Von der 4. Auflage ab folgten die Brüder
mit geringen Abweichungen der Wiedergabe in Jörg
Wiekrams liollwagenbüchlein (Cap. 110'. .Ausführlicher
ist hier die Beschreibung des Wundcrstuhls Gottes; der
."^chluss warnt den Sünder vor I.'bei'hebung. In der Be-
ai-beitung blieb am Anfang die I'iiterredung zwischen
.l\»trus und dem Schneider und der launige Abschluss nach
Frey. Einmal ist absichtlich ein volkstümlicher Ausdruck
gewählt: ..er tat. als ob er kein Wasser getrübt hätte"
(..er tat, als ob er immer dagewesen wäre").
44. Der Gevatter Tod.
Die erste Auflage brachte das Märchen nach einer
mündlichen Erzählung aus Hessen. Es schloss damit, dass
der Tod seinem vorwitzigen Paten, der ihn um die Kranken
l)etrog. in einer unterirdischen Höhle die Lebenslichter der
■Menschen zeigte und ihn mit einer Warnung entliess. Für
die zweite Ausgabe w'unh? der Schluss nach einer Erzählung
in Friedrich Gust. Schillings ..Neuen Abendgenossen" ')
umgearbeitet: der listige Tod stellt sich, als wolle er seinem
Paten durch Untei'setzen eines neuen Lichtes lange Jahre
schenken, er versieht's aber absichtlich. dasLichtstümpfchen
fällt um, und der .Arzt bricht leblos vor dem gestrengen
(ievatter zusanunen. Schilling benutzte; das Märchen, das
er wohl aus mündlicher Überlieferung kannte, als Grund-
lage für einen weit ausgesponnenen Unterhaltungsroman-
l-'iir das Grimmsche Märchen kommt nur der letzte Teil
in Betracht, auch dieser stark gekürzt und auf die Hau[it-
") Friedrich Clust. Scliiliinn-, Sämtl. Sc-iirifien (JO.O H".
__ 70 —
])iinkt(' ziisiiiiiiiirii^M-diiiiiirt. A1i;:''scIi<mi vom Sdiluss wind«;
iiiidi dir cfstc FcissiinL^ stilistiscli vrräiMlfft. Der iir-
spiiiii^dirlK- Trxt licrir-lit/'tc \\u: sich di-in ariiioii Mann
iiiirdi df'iu liclx'ii (lott uiimittidhar doi Tod als Pate aii-
;:('I)ol('ii liabo: dii; 2. Aiilla^c sr-lialtct dir Hi-^c^niui'^ mit
dem 'rf'ulV'l ijiii. llifM-liii- waicii ältcro Jicarl)f'itiinjroii des
Miirf'licMS mass,::('ltond. In .Jakob Ayrors Fastnaclilspiel:
..Der I5aur mit scim (jovattcr Tod"') trotcn Jesus, der
Tciilcl 1111(1 der Tod als (Jcvattern auf. Der N'atcr erhält
das ^iückbriiiueiidf! Patoni^oschenk und wird dadurch <*in
hcriihmtei' Wniiderarzt. Aufh Praetorius hat die Dn-izahl
<\v\- Palcii: Tculcl. (Jott und Tod-). Nacdi dt-r 1. Fassunjr
sollte die Kunst dos Arztes veri^eblich sein, wenn der Tod
zu Füssen des Kranken stände, daiiCgen krmne man, wenn
er sieh ihm zu Käupten aufgestellt habe, auf (jenesung
hoffen. Die zweite Auflage dndite den Fall um: später
(3. Autl.) kam aber die erste Auffassung doch wieder zur
Geltung. Die verschiedenen Bearbeitungen des Märchens
^vecllseln in diesem Punkt. So wie Schilling erzählen es
z. B. Praetorius und Hans Sachs in dem Schwank .,Der
Bauer mit dem Tod"-'). Dagegen stimmt Ayrer mit der
endgültigen CJrimmschen Fassung überein. Hier bekommt
dem natürlichen Zusammenhang entsprechend der Sohn
das Geschenk, wie es auch Prätorius erzählt, aus dem das
„Kraut" als Heilmittel entnommen ist. Die 1. Auflage
hatte weniger poetisch die ..Wunderflasche". .Auch sonst
ist die neue Bearbeitung wegen ihrer anschaulichen und
populären Si)i;u-he der früheren vorzuziehen : es seien
die wesentlichsten VerbesserungtMi angeführt. Der Arme
läuft „auf die grosse Landstrassr". um dort wenigstens
einen Paten für sein Kind zu tinden. Der ..dürrbeinige'*
Tod packt den Paten „hait mit der eiskalten Hand" (1. Aufl.:
') Ojius thealricum Nu. 6.
-) Abenteuerlicher (üückslopf S. 147: vüI. Z>. d. Vereiii- i.
Yolkskimde 4,47.
■') Schwanke ed. Goetze No. 94. Vo-]. auch H. Saclis" Meister-
lied grleichen Inlialts. Zs. d. Vereins f. Volkskunde 4..37 f.
— Ti-
er packt iliy\ An dein I)ial(^;^- zwischen di'ni Vatci- iiml
den ihm bei;ojiiienden Personen ist die Wiederkehr der-
selben Worte bemerkenswert. Die Fraise des Mannes: .,Wer
bist du?" wird reii-olmässig' di'ei Mal ucstellt. Die schroffe
Antwort des Armen auf das fi'eniidliche Ancrl)ieten (lOttes:
..Du ii'iebst dem Reichen und lässt ilie Armen hunü'orn"
wird entschuldigt: ,.So sprach der ^lann. weil er nicht
wusste. wie weislich (Jott Keichtum und Armut verteilt."
Einiii'f^ Ausdrücke machen die lOrzählung' volksmässigcr.
z. B. die Euphemismen: ..und da war für ihn kein Kraut
mehr gewachsen": ..unterstehst du dich, mich noch einmal
zu betrügen, so geht dir's selbst an den Hals" iG. Aull.
.,an den Kragen"), ..es ist aus mit dir. die licihe kommt
an dich", ausserdem die folgenden Wendungen: ..das war
der liebe iioti. der wusste schon, was er auf dem Herzen
hatte". ..er würde es so übel nicht nehmen, wenn er ihn
einmal hinters Licht führte": .'.so drückt er wohl ein Auge
zu": ..dass er alle Gedanken in den Wind schlug", und die
Heimworte: ..weit und breit kamen die Leute"; ..ich will
ihm Gold die Hülle und J^'ülle geben". Der Zusatz: „Der
alte König weinte Tag und Nacht, dass ihm die Augen
erblindeten" entspricht gleichfalls einer in der Volkspoesie
liäutig Yorkonunenden Hj^Dcrbel. Der Kinderspracho ge-
hört die Wiederholung eines Wortes an, z. B. ..viel tausend
und tausend Lichter'. Der Monolog steht einmal mit
Personenwechsel: ,.Der Arzt dachte, vielleicht kannst du
den Tod überlisten, weifs dein Herr Pate ist. wird er's
so übel nicht nehmen". Die Fremdwörter wurden ver-
deutscht: ..Arzt" (Doktor), .,vom Tod erretten" (kurieren),
..das Kraut gebrauchen" leine Kur anfangen).
Das "Märchen ist über ganz Europa verbreitet.') Jn
allen Darstellungen sind die Motive wesentlich dies(dben:
wunderbare Krankenlieilungen durch ausserordentliche
Mittel, die man einem h(ihereii Wesen verdankt. D'w
') Chistav Meyer, lussays 1,152 IT. n. Hohe. Z>. d. Vereins
Volkskunde 4.34 IT.
riii'ilistuiiL'' des Todos k:iiiii wie in (liiiiinis Miii'<-lii-n (liinli
l iiKlrclicii des I'cltrs Ix'wiikt \\<"i'(k'ii: (laiM'lx'ii timlft
sich iiiifli die Koi'in. d;iss dci- Kcurikc nocli iiiii (lie Frist
bittet, ein \';it( riiiiMT /ii sjjrcclKMi: er ItcLn'iint (Uuiii daiiiit,
nlinc fs zu Kiidc /.ii iMtcii. (, cwöliiilicli ahcr iil)crlist«'t
dci' Tod den Ki'ankcii. i)icscr '/avi liiidct sifli schon in
• •iiiri' isiäiidischi'ii iM'zähliui.ir: .. I)<r Köiii^'ssoiiii und d(.T
'l'od" aus dein Beginn des 14. -Jahrhunderts.') Das älteste
Zeu<^'nis in deutscher Spi-achc bietet Huiro von TriniberL^
im Renner (V. 2:3()(S(j {[^.
77. Das kluge (J retcl.
Das kluge (iretel ist eine naschhafte Ivfichin. die dif
beiden Hühner, die ihr Herr für rinen Gast bestimmt hat.
selber verzehit und sich durch eine geschickte Ausrede
vor d(T Strafe zu schützen weiss. Wie der Fremde er-
scheint, macht sie ihn darauf aufmerksam, dass der Haus-
herr, der gerade das .Messer wetzt, ihm beide Ohren ab-
schneiden wolle, worauf der Gast schleunigst das Weite
sucht. Dem Wirt aber erzählt das ]\Iädchen. dass der
Besuch die Hühner mitgenonunen habe. Um doch etwas
zu retten, ruft der Plerr dem Gaste nach: Nur eins! Dieser
aber versteht, er solle nur ein Olir missen, und rennt
weg, ohne sich umzusehen. — Dass das Märchen ur-
sprünglich frivolen Inhalts war. beweist die mittelhoch-
deutsche Fassung: ..Der entlaufene Hasenbraten".-) Hier
teilt die Hausfrau dem eingeladenen Pfarrer mit, dass ihr
Mann, der das Bratemuesser schärft, es auf ihn abgesehen
habe, da er bei ihm in einem bösen Verdacht stehe. Um
der Entmannung zu entgehen, läuft der Pfaffe davon. Die
boshaften Anspielungen sind in dem kurzen und trockenen
Bericht bei Pauli (Cap. 364) vollständig getilgt. Hans
Sachs, der diesen als Vorlage für seine beiden Bearbeitungen
des Schwanks benutzte.'') erzählt trotz mancher Erweite-
') Gchring. Isländische I>eg-endcn, Novellen u. Mäivlien II.Ho.
2) Ilag-en, GesanUabenteuer XXX.
3) Sohwänke ed. Goetze III,t)l u. Werke ed. Keller 9,46?.
— 78 —
rungoii (las (ianzf in cinciu iiüchtci-iifii Ton iiml ln-ht in
der ]\lofal eiiulriiii^lirli die W'aiiimi;^' vor schleelileii Haiis-
inägden hervor. Die Briidci' (ii'iimii l'olgteii der Dai'-
stelliiiig in Andreas Strol)ls: Ovnni |)aschale (Salzburg
1700 S. 2:5 IT.), wo die Geschichte zu einem lauing crzälilten
„Osterniärlein" ausgestaltet worden ist. Ihvv, Zusätze
beschränken sieh auf einige si)richwörtlielie Redensarten:
..die Kö(diin niuss wissen, wie das Ivssen schmeckt": ..wo
das eine ist. muss das andere auch sein, die zwei gehören
zusammen": ..was (h'm einen recht ist. das ist dem andern
billig"'. Volkstündich sind auch die Ausdrücke: ,.er lieC,
als wenn das Feuer unter ihm Ijrennte" (lief, was er
kunnte): ,,sie tat einen ehrbaren Truidv" (tet ein Trünklein
(hiiMuli und die 'l'aulologie: „ist abcjr Januner und Schade":
„ist ja Sund und Schand". I)<'r Monolog zeigt einmal
Personenweclisel: „sie dachte, du bist doch ein schönes
Mädel" (in der N'orlage: „bin ja ein rundes Diendl"). l)ie
Kremdwi'irter „tranciueren" und ,,\"es|ierzeit" sind bei
(irimm verdeutscht.
Dem bekannten .Märchen von ..Hans im Glück" {S'.))
liegt die Fassung zu (Ji'unde, die' A. Wernicke in der
Zeitschritt „Wünsclndrute" (1818: No. ;};>) nach mündlicher
Überlieferung veröffentlicht hatte. — Tu der IJeai'beitung
fehlen die scherzhaften (Ortsnamen „Gernefrass" und „Suse-
wedel", und die Ausrufe Hansens: „Bei allen Heiligen",
„ich l)itte euch um dei' sieben AVunden Christi willen",
die auf tunen katholischen Verfasser hindeuten. Hin und
wieder wurden einige Worte hinzug(dügt. So ist z. B. die
komis(die Situation des Kulimelkens deutlicher als in der
N'orlage beschriel)en: Hans hat die Kuh an einen „dürren"
JJaum gebunden und lässt die Milch in seine „Ijedermütze"
rinnen, bis er von dem ungeduldigen Tier einen S(dilag
bekonunt, dass er „zu Boden taumelte und sich eine Zeit-
lang gar nicht besinnen konnte, wo er war". Den Vers
des Scherenschleifers:
„f»osclililT(«n MMiss ln'iil all<'> sein
l'nd j^lütr/.i'ii \vi(> i-iii l<;ii riiiikclslciii"
crsrtztc iiiMii (liircli das all;^<'iiM'iii<' S))ricli\V(>rt: .. Ilamlwcrk
hat fiiicii •:;()l(l('ii(Mi lifxlcii". lOiii paai- Sätzi' sind in volks-
tiiiiiliclicr S|)i'acli(' <4'('Iialtcii: ,.\Vi(! er so dahin ;rinjr und
iinnici' ein Ijcinvoi- das iindfi-c sotztc": ..Hans suflito
sfinc (ilif'dcr zusainmcn und luaclito sich auf den \Vp<;":
..dein Diui;' ist /u hcUcii. dachte Hans'': ..Herz, was
voi'iani!,st du inchi" und alliterierend: ,.oin h'eitei-. dei-
IViseli un(\ fr'ihlieh voriilicrtrabte". ..als ei- frank und frei
daliiiiritf. Auch der iir;ii,Miantr (!el)raueh des Possessiv-
Prononieiis gehrut hierher: ...Ja. die hat ihr Gewicht'*
(— ihr izutes (iewieht) und die Euplienn'siueii: ..mit eurem
Schwein ii!a;4"s nicht ;:anz lichtig sein". ,,es ist ein scldecjitei-
Spass. das Jiciten".
84. Haus heiratet.
' Vorlage war eine Erziililung in Praetorius" ..Wüu.schel-
rute" (S. 148 f.). Die Abweichungen der Bearbeitung sind
unbedeutend. Hier erst trägt der Held den populären
Namen ,.Hans'". Volkstiimiicli ist die Tautologie in dem
Satze: „und bleu) da sitzen und geh mir nicht von der
Stelle". Ein Gebot in negativer Form zu Aviederholen,
ist eine in der Umgang\ssprache häufig zu beobachtende
Erscheinung. Die Vorlage hatte indirekt und weniger
eindringlich: „er sollt in solcher Positur i)leiben". In
komischem C-Jegensatz zu (\ci armseligen Wirklichkeit in
Hansens Haushalt stehen die wichtigen N'orbereitungen
zur Hochzeit, die in der Ijcarbeitung noch deutlicher
hervortreten: iler Vetter Hess „gut" einheizen, gab ihm
„eine gute .Menge Weissbrot" und einen ..neugemünzten,
glänzenden Heller" in (Ii(> Hand. Statt der Moral in der
Vorlage, die vor leichtsinniger Heirat warnt, haben wir
bei Grimm einen lustigen Kinderreim: „Bist du auch aut
der Hochzeit gewesen? .Jawohl bin ich darauf gewesen.
]\rein Kopfputz war von J^utter C?. Aufl. von Schnee), da
kam die Sonne, und er ist mir al)geschmolzen: mein Kleid
WAV \oii SiiiiiiK'WcI). da kam ich diii'cli Dornen, dii- i'isscii
es mir ab: meine PantoCioln waren von (ilas. da stiess
ich an eincMi h^t(?in, da sajiten sie klink und sprangen
entzwei."' Dieser echt märchenhafre Ahsciiluss stammt,
ans mündlicher Üherli(d'erünü': er stand zuerst in So. 10
(l..\nll.). Canz ähnlich endet Xo. 9J ,.Dat Erdmänneken'':
au(di in No. (56 hat Grimm durch einen Zusatz gleicher
Art das Mäi'clien erweitert.
1 H). Die sieben Schwaben.
Die älteste Ix'kaiinte L'berliefei'ung, die auf das Vor-
handensein des Sehwanks von don sieben Schwaben
S(ddiessen lässt, ist ein Dialog- in lateinischer Sprache aus
dem Ende des 15. Jahrhundei'ts. I)etit(dt: (Jomedia d(^ le-
pore (;t novem Suevis'). Drei Schwaben sind iil)er das
Aussehen eines schlafenden Hasen entsetzt und hissen sich
nur mit Mühe beruhigen. In veränderter Form taucht
das Hasenabeiiteuer in dem von II. Sachs verfassten
Schwank: ..Die neun Schwaben" auf-), wo erzählt wird,
dass umherwandernde Schwaben einen schlafenden Hasen
antreffen, dem sie mit einem langen Spiess zu L(Mbe gehen.
Nach überstandenem Kampf kommen sie an ein Wasser,
verstehen das (Quaken eines Erosches falsch und ertrinken
einer nach dem andern. Das Gedicht bildete die Vorlage
zu einer Erzählung bei Montanus (Gartengesellschaft IT. 18)
und bei Kirchhof (Wendunmuth I. 27B). Dieser fügte noch
einen dritten Schwank hinzu. (b'U er ebenfalls einem Meisttu'-
lied des Hans Sachs entnahm: ..Der Schwab mit dem
Rechen"-'). Ein bcw'affneter Schwabe hört auf dem Felde
das Gebrunnn einei- Hornisse, hält es für eintMi feindlichen
Kriegsruf und flieht. In der Hast tritt er auf einen Kechen.
empfängt einen Schlag in den Rücken, glaubt sich von den
Feinden ergriffen und gibt sich angstvoll gefangen. Seit
1) Bolte, Sclnvankbüclier des Monlaiius S. 507 ff.
2) Bolte, Zs. (1. Vereins f. Volkskunde 4,432.
■^] Schwanke od. Cootzo 111.345.
• Irin 17. .I;iliiliiiii(irrt ist die SiclKMizalil dor Sdiwuhoii ;^('-
liiulii;. Das ( Jiiiiinisclic. Müriln-n ist {znisstoiitcils Kircli-
lioCs \\'fii(liiiiiimtli iiarlicrziililt. Die ^.Totcsko HeschrcibutiL'
(it'S ll;i>rii: ..(l;i sass i'iii Hase in der Soriiw; niid srhlicf.
streckte dii- Oliicn in die Urdic und hattt- dir «.'rossen.
Ldäscrncn Auficn staiT aulstiduüi; d;i ciscliiakon sie boini
Anblick dos ;[:Tansann'ii und wilden Tieres insL'-e-amt und
liifltcn IJ.it" (iilsjtrielit den Vcrsm in [I. Sachsens Schwank
von den neun Sdiwiihcn:
„Sio fundcii |)all Sic; liielUüi rat
lioii-en oincn liascsn in dorn gras, ' sie woUlfn sj»af
(ior da entsclilarfen was r-ine küne dal
luil offen aiig'cn harl all nenn peweisen .schiere
sani H'lesren und ersinnt. an diesem i;i;uisanii'n und wilden
Sein oren del er strecken. fdiere."
l'jn llic<.,^en(l(\s Jilatt '), gedruckt bei Ki'. Caniiie in Xündjurji.
lieferte die Unterreduniz' in Ueinien und die Xamen. Ver-
sv'^hentlich i.st bei (irimni ,.Marli" für ..Marti" (Martin) irt;-
schrieben. Nach der Versclunelzung der drei \'orlafren
liaben di(] Bearbeiter nur nocii einige volkstün)liche Aus-
drücke angebracht: ,.es war zu besorgen, das Ungelieuer
verschlang sie mit Haut und Haar'"; ..frisch gewagt ist
halb gewonnen": „es fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und
gab ihm einen ungewaschenen Schlag" (dass ihm der Stiel
auf die Nasen schlug). Auch die flektierten Zahlwcirter
haben für uns etwas volksmässiges: „sie hatten alle siebene
sich vorgenommen". ..also dass ein Frosch ihrer sechse ums
Leben brachte.'* Die Wendungen: ..dass ihm der Angst-
schweiss am ganzen Leibe ausbrach" und: ..dem ich weiss
nicht was für ein Geruch in die Nase kam"' sind anständige
rmSJchreibungcn der nackten Derbheiten des 16. Jahr-
hunderts. Kirchhof verlegt das Abenteuer auf eine Wall-
fahrt nach Trier und Aachen: die genaue Angabe des
Orts ist indes weniger märchenhaft. Der Schlussvers im
Wendunnmth bringt, wie fast iuuuer. eine morahsche Nutz-
anwendung: hier lautet sie beschwichtigend:
1) V.<xl. Zs. d. Vereins f. Volkskunde 4,435.
..Ks sein (rSchwalicii liicrdiiroh iiit ^osclinii-ht,
In Frühlichkeil es so iiiii^clil :
Ein YPcifV fi'efaill ihm selber bass.
Ändert' wissen von ihm aui-ii was/
l.")»». l-'J iiäuiilciii. Zwciäuii'lci II und iJreiä iiiiiein.
Dif iiltesto l)ekaniite Fassung des Märclioiis steht
bei Moiitaiiiis ((iarteii*:esellscliaft. C'ap. 5) als Erzähluiii:'
vom ..Ki'dkühleiii". Die liiiider (jrimiu folfjlen einer zeit-
geiiüssisclicn Aut'/i'irliiiiini^' ans dem jjjiusitzisclieii von
Theodor Peseheek'). Fortj^elanen ist in ihrei' Heai'beitnni:'
th'e ti'elehite IJenn'niseenz aus (hM- antiken ^^lythohjüie. das
Bihl (h'S Tantahis. this die \'or]a,t;'e hei (M'ner entspreeheii-
den Stelle des JMärchcns gehraucht. In Einzelheiten wurde
mehrfach gebessert, l^ie Brüder verweilen absichtlieh in
der Beschreibung des Wniidertisehes Zweiäugleins: ..Kaum
hatten sie die Worte ausges}3roelien. so staml da ein Tiseh-
lein, mit einem weissen TüchhMn gedeckt, dai'anl' ein Teller
mit Messei' und (iaixd und silbernem Löffel, die schönsten
Speisen standen rund herum, rauchten und waren noch
warm, als wären sie eben aus dei' Küche gekommen."
Die Vorlage ist knapper: ..so stand da das sauber ge-
deckteste Tischlein zu ihi'cn l''üssen und duftete ihr nu't
den eiidadendsten Siteisen uiul (ietränken gar lieblich und
gewürzig entgegen." Die strr)menden Tränen Zweiäugleins
vergleicht Grimm ..mit zwei [iächlein. die aus den Augen
lierabllossen". In der Vorlage fehlt das Bild. Bevor das
arme Mädchen die köstlichen Speisen des Wundertisches
anrühit. sagt es tVonun .,das kürzeste Gebet her. das es
wusste: Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit. Amen",
während die Vorlage es ungeniert ..nun weiter auf kein
N'iitigen harren, sondern sogleich frisch und wohlgemut
zulangen'* lässt, wonach es verlangte, ('iiai'nkteristiseh
durch das Spiel mit Zahlbegriffen ist die Ait, wie Grimm
die allmählich sich steigernde Verwunderung dei- Schwestern
beschreil)t. als Zweiäuglein von ilen iiljrig gebliebenen
M HüschiuLis Wüchontliciie Xachficlit'Mi II. 17— "jn.
— TS —
r>io(kcii nichts iihIii' iic|iiiicii will: ..ilas fü'Stc Mal iiml
(las zwcilr Mal iicliti'tcn es die ScIiwcstiMii iii<-lit. wie es
aber jcdrsiiial ^n-scliali, iiirrklfii sio auf iiiid spi'acJH'ii: es
ist iiiclil licht i^' mit dem Zw('iäii;rl('iir'. Am aiitTallendsteii
iiiilcrsclicidi't, sicli di(.' Umscdnilt vrjii dei- \'oi'lage diircli
die Wicdcrlioluiig i^ewisser Zii^^e. Jicdm X'ersufli Dn-i-
iiiij;leiiis. ihi(! Scliwester zu überlisten, liöicii wir dirsidhcii
Worte wie IVülier: ..Al»< r Zwciiiii^lciii iiicikle, was I)r<'i-
äuu'Ieiii im Siime liatte und trieb die Zie^e hinaus ins höh«-
litas und spradi: Wir wulien uns dahin setzen, iJrei-
;uii:iciii. ich will dii' was vorsingen". Die Vorlage ver-
weist kurz aufdcii früheren Fall; ..Aber auch diese suchte
Zweiäuglcin auf die nämliche Art, wie sie bereits gestern
getan, einzuschläfern". Überhaupt werden alle Vorgänge,
die sich beim Besuch Dreiäugleins auf dem Felde abspielen,
mit ähnlichen Wendungen wie beim Einäuglein wieder-
gegeben. So heisst es zweimal: „Ich will mitgehen und
techen, dass die Ziege auch recht gehütet und ins Futter
getrieben wird". Drciäuglein wird mit denselben Worten
wie Einäuglein aufgefordert, nach Hause zurückzugehen.
Auf die l^Yage der Fee antwortet Zweiäuglein regelmässig:
..Süll ich nicht weinen?" . . . und das Folgende: ..weil ich
zwei Augen habe, wie andere Menschen, so können mich
meine Schwestern und meine Mutter nicht leiden, stossen
mich herum [später noch volkstiindicher: stossen mich aus
(Muer l^iCke in die andere . . .J, werfen mir alte, schlechte
Kleider hin und geben mir nur zu essen, was sie übrig
lassen", entspricht genau einer Parallele kurz vorher.
Wenn die Vorlage berichtet, dass Dreiäuglein alle Erlebnisse
auf dem Felde „haarklein" der Mutter erzählt habe, so
gibt Grimm statt dessen eine ausführliche Schilderung, den
Zauberspruch der weisen Frau zum fünften Mal wieder-
holend. Die Sprache ist einfach und schlicht. Künstliche
Tropen mied man und nannte die Dinge mit ihrem rechten
Namen: ..Zweiäuglein merkte gar bald, dass der ßaum aus
den Kingeweiden der Ziege aufgeprosst war". Die Vorlage
umschreibt: ..Zweiäugiein gewahrte, wie der wunderschöne
— 79 —
I');iuiii i'lirii da aus dvv 1m'(1c li('iv(»ri;e.s))ri;sseii war. wn
sie den wiinderljanMi Samen der Erde anvertraut liatte".
Der alleiiorisclie Ausdruck: ,,dass sie trauernd lieruin<iin<i-,
und di(! Kinsamkeit ilire einzige Freundin war" felilt. Leise
ist die Nei<^iiiig v.w Nci'spiiicn, Al)stra('ta zu ersetzen:
..Zwciäuglein aber daclite. ich nuiss i;'leicli einmal versuclien.
<il) es wahr ist, was sie ji;csag1 hat;' („Alshahl versuchte
Zweiäuglein die Wahrheit jener Veriieissung"), ,,Kinäuglein
konnte der Mutter nicht sagen, warum es nicht essen
wollte" (,.Einäuglein wusste der Mutter den Grund keines-
wegs anzugeben"). Einzelnes ist in volkstümlicher .Sprache
hinzugel'iigt: Zweiäuglein weinte ..seine bitteren Tränen":
..es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das muss anden;
Wege g(M"un(ltMi haben". Die Bearbeitung nennt die s[)äi'-
liche Kost, die man Zweiäuglein zu Hause zukonuuen lässt,
in volksmässiger Kürze: ..die paai' Brocken". Die 6. Auf-
lage fügte die sprir]iw(irtliche Redensart hinzu: ..Wer
^veiss, wo uns(u- Weizen noch l)Iühf. „Essen und Trinken''
ist eine populäre Umschreibung für Mahlzeit überhaupt.
Verwandt ist diese Ausdrucksweise, die auf sinnliche Deut-
lichkeit der einzelneu Glieder Wert legt und blasse Kollektiv-
begriffe meidet, mit den volkstümlichen Tautologien, von
denen uns hier eine Anzahl begegnet: :,Ach, ich leide
Hunger und Durst. Kummei' und Not. vom Morgen bis
zum Abend". Um jeden Anklang an die Feenmärchen zu
beseitigtui, wurde die ..Fee" der N'orlage in eine ..weise
Lrau" verwandelt.
Als Vorlage zu dem Märchen „Die Brautschau"
(155) diente die kurze Notiz, die dei- schweizerische A'olks-
uiid .lugendschriftsteller Joh. lludolf Wyss zu seiner im
Stil der \'ossischen „Luise" gehaltenen kleinen Idylle:
„Die Apfelprobe" macht.') Die L'mschrift zeigt nur gering-
fügige Ändeiungen; ein einleitendes Wort war leicht aus
1) Juli. K. Wyss, Idyllen. Volkssaii'on. Le"'ciulen 8. 321.
— KO ~
il<iii Ziis;iiiiiiii'iili;iiii! zu i'i uiiii'/fii. Stiitt: \ii-l .,(i('iii<'ss-
IlMTCS"' licisst ('S Itci <ltillllll |in|Mllii|r|-: viel ..( i II t f'S" ' |.
I)ii' l'.ciilicitmi^cii (In- Lü'dnicUtcii \'nrl;iL;*Mi. ilii- aus
dci' erstell Aiillau!!' in di»' /weitr lieriilier^iciioiiiiiieii winden.
I)liel)eii im alliifuii'iiieii iiiiv<Täii(lcit. An den kurzen (ie-
scliiclitrii war weni;;- zu lirssf-in. Hine Ausnahme macht
das .Mäichen vom taid'ern ScIi neideilei n rjo). iJie
beiden Eiziilduiiiren i\vv 1. Aulla;L,^e wurden durch eine
dritte, Iiessischc Üheilieferun^^ ergänzt, ilie das Ahenteuei-
<los Schneiders in dei- llr.lilc (h.'S Uiesen enthielt. Ausser-
dem ul)er schi'iel) man. hau|»tsiichlich wohl auf Arnims
N'eranhissung. (\rv Stil tind Ausdruck für ein Kinih'i-huch
ungeeignet fand.-) das ganze Märclien um und hob es
künsth^risch durch Zusätze mannigfaclier Art. Am meisten
treten die volkstümlichen Ivedensarten hervor, z. H.: „Da
lief dem Schneiderlein die Laus über die Leber" (mein
Schneiderlein ward bös); „die ganze Welt soHs erfahren,
und sein Herz wackelte dabei wie ein Lämmerschwänzchen":
..nun nahm's den Weg zwischen die Leine und stieg auf
eintni hohen Jierg hinauf" (das Schneiderlein stieg auf
einen hohen Lerg): und liess seine Äugelein nach ihm
hin und hergehen" (und lugte von weitem): „da hast du"s
schriftlich" (da kannst du sehen): ..die Fliegen aber ver-
standen kein Deutsch"; „dem Ding will ich wohl steuern"
(er wüsste dieser Sachen wohl zu tuu): ..da merkte sie.
in welcher Gasse ihr junger Herr Clemahl geboren war":
..da lagen sieben vor ihm tot und streckten die Beine":
„nun ging das Schneiderlein innner seinem spitzigen
Naschen nach'": ..der liess sich das nicht gefallen und gab
ihm gleiche ]\lünze zurück". Der Schneider ist mit sprich-
wörtlichen Ivedensarten i)ei der Hand: ..Gewoimen Spiel I
sprach das Schneiderlein/' ..Habt Ihr gar keine W'unde?
Das hat gute Wege, erwiderte er. kein Haar haben sie mir
gekrümmt!" Die :^. Auflage brachte noch einige weitere
') ^■!i•l. Nu. II. ..Dem wirfl sie ilocli maiu-hiiKil (Jiitt's zu."
■■^) S1.M,-:', A. V. Arnim Iir,2(in.
— 81 —
Vorbossoriiiiizen: sie seien hier i:l<'icli crwüliiit. Statt (lr>
Ausdrucks: ..Der Schneider i)Hrt' allrrlrj iJcdcrcheu"' liest
man jetzt bestimmter: ..Er pliff das l.iedehim: Es ritten
drei Scliiieider zum Tore hinaus." Der Umgangssprache
anoehörig sind \\'rnduiii:cn wie: ,,üas ist ein Kinderspiel"
und: ..dem Ding will ich einen h'iegel vorschieben".
Einzelnes wird deullichci' besehrieixMi. Man erfährt z. B.,
dass d«'r Schneider drei Ti'ciipcn hoch wohnt: sehr vor-
sichtig zeigt er sich beim Einkauf: „er besah alle Töpfe,
hob sie in die Höhe, hielt die Xase dran und sagte end-
lich" . . . Seine Behendigkeit wii'd noch nielii' als früher
lietont: er heisst ..der flüchtige Held". ..der kleine Iverl".
und vergleicht sich selbst mit einem Eichhörnchen. Pralile-
lisch erwähnt er bei jeder Gelegenheit, sieben auf einen
Streich erschlasfcn zu haben.
Jede neue Auflage der Märchen stellte eine höhere
Stufe auf dem Wege der Entwicklung dar. Allerdings w\ar
in der zweiten Ausgabe nach bedeutenderen Umformungen
ein Grundstock geschaffen, der inhaltlich nahezu unver-
ändert bestehen blieb: uui' vereinzelt griffen die Brüder
nocli ein Stück heraus, das ihnen nicht recht gefiel, um
es tlurch eine andere Überlieferung zu ersetzen. Aber in
der Eorm zeigen die späteren Ausgaben noch mancherlei
Verbesserungen. Ihr Wert besteht jedoch vor allem in
der grösseren Reichhaltigkeit. Die dritte Auflage (18B7)
brachte allerdings verhältnismässig wenig Neues. Am
Schluss wurden Xo. 161 — 167 hinzugefügt. Xo. 43 der
2. Auflage fiel fort, und an ihre Stelle trat eine voll-
ständigere Erzählung nach gedruckter \'orlage. Auch
von den andern neu aufgenommenen Stücken gehen einige
auf ältere Fassungen zurück.
162. Der kluge Knecht.
Das Märchen erzählt Luther neben anderen A'olks-
schnurren in der Ausleüum:" des 101. Psalms 'j. Die Be-
') Vgl. Goedeke, Dichtungen M. Liilliers S. 124.
Palaet^tia XLVII.
— 82 —
iirlH'ituiii:- i'iiikIcI nur' die S;it/<- hier iiml da «-twas al».
I >'i' I']iii<.MiiL;'. iliT liltri- mit i'iiicf sriit('i)'/-i<is ^efärljtcii
\\ liidiiiii:- Ix'iiiiiiil. ist auch hier vci-allucniciiKTiid in den
vXusiuf i;(dJ('id('l : ..Wie ^iiirklidi ist dfi' Herr, und wie
woli! stellt ('S mit sciiirin üaiisf. wenn cf riiM'ii klu^n'ii
Kiicciit liat. der auf seine Worte zwar iK'irt. aber niflit
daiiarli tut. und lichei' seincf ci^^nMicn Weisiieit l'ol^'t."
l'iii drii Helden selidii äusserlich als einen beschränkten
(lescllen zu cliarakterisiert'ii, le^;! ihm Grinun den volks-
tündielien N'oriiaiuon „Hans" bei. Ii(,'achtens\vert ist. dass
<'r in (kf Ijeai'lieituiiiT das iif.'iwort „klug" regelmässig
dann erhält, wenn ef einen augenfälligen Beweis seiner
JJuinnilieit gegeben liat. wie auch die Überschrift „Der
kluge Knecht" in ironischem Sinne gesetzt ist (vgl. Xo. 32
J)er gescheite Hans. \o. 34 Die kluge Else).
\(V.]. Der gläserne Sarg.
Das Märchen entstammt einem abenteuerlichen Studenten-
roman: Das verwöhnte Mutter-Söhnchen oder Polidors ganz
besonderer und ül)craus lustiger Lebenslauf ( Freiberg 1728).
Es wird hier als selbständige Einlage erzählt, unterscheidet
sich auch in Stil und Spi'ache von seiner Umgebung,
inhaltlich ändert die I5earl)eitung so gut wie nichts. Der
Anfang: „Sage niemand, ihiss ein armer Schneider es nicht
weit bringen und nicht zu hohen Ehren gelangen kfinne;
es ist weiter gar nichts nötig, als dass er an die rechte
Schmiede kommt und. was die Hauptsache ist. dass es
ihm glückt", macht sieh in harmloser Weise über den
Schneider lustig, der ja in der volkstiniilichen Literatur oft
als humoristische Figur aufgefasst wird. Grimm macht
mehrfach absichtlich Anspielungen auf seinen fragwürdigen
Mut, der so selten eine ernsthafte Probe besteht; geht er
wirklich entschlossen vor, so wird es im Gegensatz zur
Vorlage betont: „er kIoi)fte mutig an": „der Schneider,
den ein unerwarteter Mut überkam, sprang auf"; ..sein
]\lut war schon so weit gewachsen, dass er dem Befehle
Folge leistete". Das „arme" Schneiderbürschchen ist bei
— 88 —
<jriiiiiii ein „ai'tiiies und belicndos". Einzelne Schiklcruntien
sind in der Boaihcitung feiner iuis<i('fülirt: die sciilafonde
Sch(ine wird uns in lulii^eni Scliluninier <;ezei<i,'t: „dir
Au^(Mi wari'ii lest gesclilossen, doch die Icddialte Gesichts-
farbe und ein fiand, das der Atem Inn und her bewegte,
Jiessen keinen Zweifel an ihrem Jjcbfii". Das lange
hlondc llaai' unihiiüt sie wie ein kf)stbarer Mantel. Die
X'orlage ist rülirr im Tiiii: ..in welchem er eine üixü' alle
j\lassen schiine und wohl uehildete. ganz nackende und
<\e.v Länge nach ausgestreckte Weibesperson liegen sähe".
h^ehr gekürzt wnnle der ausführliche, der Situation wenig
entsprechende l]ericlit des verzauberten ]\lädchens l)eim
Erwachen. \'on formelhaften Wendungen blieben aus der
\'orlage: ..ohne Zittern und Zagen". ..über Stock und
Stein, Berg niid 'J'al. Wiese und Wald" („über Stock und
Stein, durch Tal und Wald"): die Alliteration: „Herz
und Hand anbieten" fügte man hinzu.
Der Zustand des ]\Iädcheus, den es nut den ^Yorten
beschreibt: „ich befand aber, dass eine unbekannte Gewalt
mir die Sprache hemmete". ist bei (Jiimm dem Volks-
giaub(Mi entsprechend ein Alpdrücken. Die gespreizte
Ausdrucksweisc. die sich manchmal übel bemerkbar macht,
ersetzte man dureii einen scldichten Erzälihmgston. Die
meisten Abweichungen erklären sich aber aus der .Aloderni-
sierung der Sprache. Dass hierbei eine Änderung die
andere nach sich zieht, versteht sich von selbst. Die
Erenidwörtei- wurden regelmässig übersetzt: Lärm (Tumult),
geschliffen (poliert). Zeichen (Charakter), Diener (Page),
ein Lager suchen (campieren). Am Schluss fügt die Be-
arbeitung die zur Vollständigkeit notwendige Entzauberung
des Bruders der Jungfrau hinzu.
164. Der faule Heinz.
Das Märchen beruht auf einer Erzählung in Eucbarius
Eyerings Proverbiorum copia L70 — 72. Die dürre Keim-
crzählung bot aber nur das Notdürftigste dar. Die Aus-
führlichkeit des Märchens, namentlich am Anfang, ist freie
— 84 —
llitiiiduiii:' (Iriiiiiiis. |)cr nioi-alisiorciHl»' ( 'liaiaktcr der
\'()il;»;i(' li;it linrm IniiiHtristisclicii I'luudcrtori Platz gt*-
iiiaclit. Al>sic|itlicli ist (\i'V koiiiiscln' Kontrast zwischen
ilcii Klaiii'ii llriir/ciis und der Wiiklirlikcjt. die dazu gar
kriiii'h Anlass j^iht, in dcv IJcaiitcitnnjjf vorstäikt wordofi.
|j' will seine Scjmltei'ii von der l'jiirdn der Arlieit frei
maidn-n, ueln lan;^^e nut si(di zu h'iit und liiidi-t sclilicss-
licli den besten Auswe«,^ in d<T Heirat nnt dei' dicken
Tiine. „Kl- setzt seine müden (ilieder in Hi^wegung".
geht (|uer über die Strasse — „denn weiter war der Weg
nicht", riii:t die Iieaibeitung launig hinzu — und wirbt um
die „arbeitsame und tugendreiche Toclitei" seines Nach-
bars. In Wahrheit abei- gibt ihm diese in der Trägheit
nichts nach. So haben nun bciiie „gute Tage" und brauchen
sich ..von keiner andern Arl)eit zu erholen als von ihrer
eigenen Faulheit''. Auch nach der Bestrafung bleiben sie
ihi'en Cirundsätzen geti-cu und lassen sich inclit aus ihrer
IJuho bringen. Der humoristische .Schluss: ..Weisst du.
die Schnecke war einmal zur Hochzeit geladen, machte
sich auf den Weg, kam aber zur Kindtaufe an. Vor dem
Hause stürzte sie noch über (.len Zaun und sagte: eilen
tut nicht gut" rundet das ]\lärchen vortrefflich ab. Er
wurde in der 6. Auflage hinzugefügt und stammt aus den
l^jriefen der Elisabeth Charlotte von Orleans'). Einer Reihe
volkstümlicher Ausdrücke begegnet man auch in diesem
Märchen: „Plötzlich lieFs ihm wie Schuppen von den Augen":
..da muss man die Augen auf haben"': ..als er am hellen
Tag in den Federn lag"; ..ich will ihm mit ungezählten
Schlägen die Haut gerben". Parallelismus der Glieder
zeigt sich in folgenden Wendungen: ,.so eine Ziege jahr-
aus jahrein ins Feld zu treiben". ..die Bienen flogen vom
frühen Morgen bis zum späten Abend aus und ein", und
gereimt: „er ging nur ilanu und wann mit ins Feld hin-
aus". Seine Trägheit entschuldigt Heinz mit dem Sprich-
1) 15iii'f(> der H]is;ibelh riiarlolt.". Bibl. d. l.it. Vereins 1843,
VI, 2G8.
— So —
uort: ..W'ci- früh aufstellt, sein Gut verzelirt", und die
l-'Jtcni der I5raiit lialtcii nichts geii'en die Heirat ciu-
/iiNvt'iidfii. (h'iiii: ..(ih'ich und gleich gesellt sich gern"
(Zusatz der 4. Aull.l iJcr volkstümliche Name Heinz
l)liel) aus drv \'orlage, di(^ vornehmere Benennung ..Adel-
hcif wuidc den Umständen entsprechend von den I^rüdern
in das vulgäre ..dick(^ Trine" verwandelt. In den Worten:
..gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte und
di-ei Amseln nachjagte" haben wir einen Hinweis auf das
.Mäi'chen Xo. J(i2. das auch in Xo. 174 zilieit wird.
4:>. Frau Trude.
Für (his Märchen: ..Die wunderliche Gasterei", das
aus mündlicher l'lierliel'erung stammt, wurde die Bearbeitung
eines Gedichtes von Meier Teddy, betitelt: „Klein Bäscheu
und Frau Trude" '} aufgenommen, das die grausenerregende
Wirtschaft im Hause der Hexe vollständiger als die erste
J'>rzählung schilderte. Der Eingang beginnt bei Gnnun
warnend: ,.Es war eimnal ein kleines Mädchen, das war
eigensinnig und vorwitzig, und wenn ihm seine Eltern
<'twas sagten, so gehorchte es nicht, wie konnte es dem
gut gehen?" Im folgenden ist der Text der \'orlage häutig
mit Beibehaltung des Wortlauts in die l>earbeitung über-
gegangen, nur ist diese knaijper und eilt i'ascher dem
Ende zu.
Die 4. Auflage steht textlich der dritten sehr nahe;
um Schluss wurden Xo. 1G8— 177 hinzugefügt.
16S. Die hagere Liese.
\'orlage war Kirchhofs Wendunmuth 1.371: ..Ein weil)
wird nuithwillig geschlagen". Die Bearbeitung hat im
wesentlichen nur Ausdrücke der populären Sprache hinzu-
gefügt, z. B.: ..sie äscherte sich ab von Morgen bis Abend".
..als sit] im Bett lag und vor Müdigkeit kaum ein Glied
M Franonlasehonhiicli 182:5. S. 3<)0.
— S() —
liiliiN'ii koiiiitf". ..lind wi'iiii du difdi iiuf d<-ii Kopf st(-'llst.
du kiiciist kriiicii 'l'ropt'fu Mil(dr'. (tlicuso die litdliu der
Scli(dt Worte: ., I)ii laiiir<'i' Lenz, du Xinuucrsatt. du Strick,
du fauler üeiir/,". Au(di die r,ezei(diuun<.M'M: .,Li(!SO*' und
..laiiij,'er \j'\\Y/' liii' den lOlieiuanu (Vorlaj^e: (Jlausj und d(;r
]*arail(disnius in <lei Wendunir: ..Ks lialf al>or alles niclit.s,
sie liatl(.'ii ni(dds und kamen zu nielits" sind volkstiiinlicli.
lu der Aiisuiaiiiii;:' <lei' riii<i(dszejn; zwischen den (iatten ist
die Uniseln'il'f weni-cr mli und seliliesst Iiuiuoristiscli: „0I>
sie am andein .Moriien loittuln' zu zanken, oder ol) sie
ausginii'. den (liildeii zu suelien. {l(;n sie finden wollte, das
Avoiss ich nielit"-. während die N'orlao'e moralisiert:
..Sicli /.linken niii das man nicht hat.
Setzt g'cwis.se schmerzen an (iie statt."
J70. Li(;l» und I.eid teilen.
Eine Bearbeitung des Wickramsclien Schwankes:
..Einer leidt mit seiner frawen lieb und leidt" '). Die Be-
arbeitung bringt nur formale Änderungen. Wie in andern
Märchen, wird dei' zänkische Schneider auch hier mit
Humor und Laune gezeichnet: er läuft seiner Frau ,.mit
der Elle und der Schere" nach und verteidigt sein rohes
Benehmen ihr gegenüber mit den scherzhaften Worten:
..ich habe ihr nur. weil sie so wunderhch aussah, die Haare
mit der Hand kämmen wollen (.,ich habe sie nur ein wenig
bei dem Haar wcHUmi ziehen'') und hal)e, damit sie zu
ihrer Pflicht zurückkehre, als eine gutgemeinte Erinnerung
nachgeworfen, was mir eben zur Hand war" (..do bin
ich ihr nachgeeilt, nach iiir mit benglen und was ich er-
witscht hal). geworfen"). Beabsichtigter Parallelismus ist
deutlich zu erkeimen in Wendungen wie: ,.packen und
raufen" (erwitsclu'u), ..mit der Elle und mit der Schere"
(erwitscht er die Scher). ..war mürrisch und zänkisch"
(dass er mit ihr zankt). ..so tobte und wetterte er" tso flucht
er) „er brummte, schalt, raufte und schlug sie'' (er schlug
1) Mdltes Ausii'abe des Kolhvat;'enbiichleius No. 17.
— 87 —
uiul rauft sie stets). Echt v^jlkstüiiilicli beisst es bei
(ininiii: ..er sass eine Zeitlang" bei Wasser und Brot" (man
legt ihn i'in /.•■ithiiii^' in gel'cnii-nus).
171. I )('!• Zau n ktiiiig'.
Das Märchen, das von der Königswahl der Vfigel er-
zählt, ist. wie die beiden folgenden, nach Aufzeichnungen
des Pastors .Mussäus bearbeitet und staninit aus niecklen-
liurgischer. mündlicher Überliefei-ung 'j. Eine zweite, hand-
schriftliche Vorlage, die K. Goedekc in Lachendorf im
Hannoverschen aufgenommen und (iriinni überlassen hat.
kann nur formale Unterschiede oderinhaltliclie Al)\veichungcn
von geringer Bedeutung gehabt hatjen.
Mussäus hat die Erzählung schlechter komponiert und
liringt die Worte der Tiere z. T. ohne inneren Zusammen-
hang und ohne Beziehung auf di<^ i)evorstehende Kr)nigs-
wahl: bei (irimm dagegen steht der Zaunkönig von Anfang
an im Mittelpunkt. Die Sprache des Bäderwerks der
Mühle ist, wenn man hier nicht einen Einfluss der
Goedekeschen Fassung annehmen will, ein Zusatz Grimms:
von Jakob gibt es ja darüber eine Abhandlung-). Den
Tieren werden menschliche Eigenschaften beigelegt. Die
Bearbeitung fügt den J^eispielen der Vorlage noch einige
charakteristische Züge bei: ..Als es .Abend geworden war.
und die Vögel von der Anstrengung beim Fliegen grosse
J\Iüdigkeit empfanden, so gingen sie mit Weib und Kind
zu Bett". Die grosse Höhe des Fluges wird mit anschau-
lichen Bildern umschrieben: ..Der Adlei- stieg so hoch,
dass er der Sonne hätte die Augen aushacken können",
der Zaunkönig noch höher, ,,dass er Gott auf seinem Stuhle
konnte sitzen sehen", wofür die Vorlage ein mattes: ..und
über alle klafterweit sich erhebend" bietet. Durch ein
beabsichtigtes Spiel mit den Ausdrücken zeichnet sich die
Szene aus, wo der Zaunkönig in seinem Versteck von der
Eule bewacht wird: ..Der klein(> Kerl iiuekte mit dem Kopf
') Schriften des ineeklenljiaxi.solien Vereins V'.74 11'.
-) Zs. f. (loutsohps Altertum V, 511.
Iicnuis. alxT die l-liilc trat irlcidi davoi-. und cv zolt den
Kopf \vi('d<'r ztiriifk. I)aiiii tat dir I'jilc das t-inc Aujre
wieder auf iiiid das aiidei-e zii und wfdite so die {;anze
Nacht ab\V('C'li.s(dii, alxM' als sie das eine Aul'"«; wieder zu
niaclite. vei'gass sie das andere autzuliin. und so bald die
hoiden Auf^on zu waicn. schlief sie ein". Die Vorlajrc
verzichtet auf die Wiederlnduni^: ..Stundenlang^ sass sie
vor dem TjOcIic, als aber zur ^Mittagszeit die lielle Sonne
ihi' in die orossen Augen schii-n, schloss sie eins nach
dem andern und schlief ein'". \)r\- grösseren Anschau-
lichkeit wegen vergleicht (Jrinim die Menge der Vögel mit
..(Mner schwarzen, dahinziehenden Wolke"' nnd führt eine
Reihe von ihnen mit Xanicn an: ..Sie kamen alle zusanunen,
Adler und Buchlinke. Eule und Krähe. J^erche und Sper-
ling, was soll ich sie.» alle nennen, selbst der Kuckuck kam
nnd der AViedehopf. sein Küster, der so heisst. weil er
sich innucr ein paar Tage früher iK'iren lässf. In Mono-
logen findet sich Personenwechsel: ..Er dachte, was willst
du nocli höher fliegen, du bist doch der K(inig": ..sie dachte,
ein Auge kannst du wohl zutun, du wachst ja noch mit
dem andern". Erwähnt seien noch der volkstümliche Eu-
phemismus: „Der kleine Vogel fürchtet, es ginge ihm an
(\on Kragen" und die ßeimverbindungen: ..ein gewaltiges
Sausen und Brausen", ..aus Wäldern und Feldern".
Das Märchen von der Scholle (IT-Ji handelt von der
Königswahl unter den Fischen. Nur die ausführlichere
Schilderung der Anarchie im Wasserreiche ist ein Ver-
dienst der Bearheitung. Auch hier die Beseelung der
Tierwelt; wie vernunftbegabte Geschöpfe stellen sich die
Fische am Ufer „in Reihe und Glied" auf. — Das jMärchen
.Rohrdommel und Wiedehopf" (173) gibt eine Erklärung
des Rufs der beiden Vögel. Unbedeutende Zusätze suchen
der diüi'tigen Erzählung etwas aufzuhelfen.
174. Die Eule.
Das Grimmsche ]\lärchen gibt im wesentlichen die
Darstellung in Kirchhofs Wendunmulh 1,167: ..Von der
— 80 —
oulfMi ZU J^ein" wiodor, lässt aber die Ortsangabe fort.
Ein paar Zusätze heben die Anscliauliebkeit: ..er ersclu'ak
beim Aiil)lirk (b'r Knie. (li(! da in einer Ecke sass'' f.. er
wird dieses \'og'els ji'ewahr''); ..eine von den «grossen Eulen
\var aus dem benachl)arten Walde bei näelitlicber Weib-
in die Scheuei' (unes Bürg'crs geraten und wagte sieb, als
(b'r Tag anl)raili. aus b'urebt vor (b'ii anib-ren \'(»ii(dn. die,
wenn sie sieb sdieii lässt. ein l'ni(diti)ares l_jies(dü'ei (;r-
lu^ben. nicbt wieibu- aus (kun Sebbii)l'\vinkel heraus" („es
■war eine !']ule koninieii und (b)rrt sieb vor l'^irebt (b'r
ancb'rn Vögid niclit wieder iiei'aus tun"). ^lit Iviicksiebt
auf die Bestinuuung des Buches wunbiii einige Derbheiten
(b'r \'orlage gemibiert o(b'r überhaupt verscb\vieg(Ui. Sonst
aber war der T(^xt ausschlaggebend; (;r ist auch niciit ohne
Vorzüge. So lindet man hier bereits die echt märchen-
hafte Wendung am Anfang: .. \'oi' alten Jalii'en. als die
Leute luelit wie jetzuiu! verschmitzt waren" . . .. bu'uer die
si)riehw()rtliche Iledensart: ..Keiner will den Fuchs beissen".
Die P>earl)eitung fügte noch (?tli(die volkstümliche Ausdrücke
hinzu: ..S(jllen wir auch unser Leben in die Schanze
schlagen": ,,alsü ward die Scheuer an vier Ecken an-
gezündet": ..ein Ungeheuei". wie er Zeit seines Lebens
keins erblickt hätte, sässe in der Scheuer und drehte die
Augen im Koi)f bei'uni". Der formcdhafte Schlusssatz:
.AVer's nicht glauben will, iler gehe bin und frage selbst
nach", beruht auf dem \"ers dei' X'orlaii'e:
„Ist einer ki'ck, zicli it ui'ii l'i'iii
l'iid a'eli daselbst /.um Ijier iiiul wrin,
Fra<i' sie, was ilm die eul i;etan.
Warum sie die \ (M'bfennet hau" usw.
175. Das Unglück.
Das Märcluui steht nur in der 4. Auflage. Vorlage
war Wendnnnuith J. J7S: später ward es durch das Märchen
vom Mond ersetzt. Den Inhalt drückl der allgemeine, von
Grimm an den Anfang gestellte Satz aus: ,.Wen das Un-
glück aufsucht, der mag sich aus einer Ecke in die andere
— yo —
\('iki icflicii. oder' ins weite l''"l(l llitiKMi, es weiss iliii
ilciiiioi'li /ii tiiidcii-'. |)rr l»t'iiii'ikciiswcit.este L'ntcrscliieil
/wisclu'ii der \uil;i^c uimI der 15cnrh<'i(uii^' li<';jt in dci-
'rf'iidcii/. Kiicldiof l)('t(jiit die nioi'alisrlH! Seite stäi'kei':
iii(dit diiirli ein unaliwendhares Sdiieksal. wie bei Oriinin.
sondern inl'()l<;(' seinei- ciiicnen liale-uelil wird der ai'iiic
Ta^elrdinoi- uiiL^Iii('kli(di.
Das Märchen von den lioten des Todes (ITTi liiidt.-t
sieh schon in I Iiilios von Trind)e!'i( IvCiinor ( v. 2i5()()() — 722)
mil ihm „(ievatter Tod" (44) vei hinuhMi. i'anli eizäidt
in kurzen Wortüii, wie ein ."\lenscli mit dem Tode einen
A'crtra^^ geschlossen liabe, ihn m'tdit zu liolen, bevor er ihm
seine Boten g"esan(h. ( i riinnis \'urhii;e ( W'enihinmutli II. 124)
beginnt wie Pauli, ist alter im einzeliu'ii aust'ührlichej".
Die Piearbeitung fügte die Sfdiilderung des Kampfes zwischen
Tod und Uieseii neu iiinzu. Gelegentlich finden sich ge-
nauere Detailbeschreibungen, z. 15.: ..Da kloi)t'te ihm eines
Tages jemand auf die Schulter, uml als er sieh umblickte,
stand der Tod hinter ihm" (..bald kam der Tod";): ..er ging
mitleidig heran, richtete ihn auf. Ihlsste ihm aus seiner
Flasche einen stärkenden Trunk ein, und wartete, bis er
wieder zu Kräften kanv (.,er hat aus Erl>armnuss ihn ge-
labet'"): ..kam nicht das Fieber, stiess dich an, rüttelte dich
nnd warf dich nieder" (..vor etlichen Jahren plagte dich
ein hartes Fieber"): ..indem kam ein junger Mensch des
Wegs, frisch und gesund, sang ein Lied und warf seine
Aug{Mi hin nnd her" (..als ihn ein .Jüngling ersähe"). Auch
die direkte Rede hndet sich häutiger als in der Vorlage.
Einige Ausdrücke gehören der Umgangssprache an: ..Weisst
du auch, wer icli bin, und wem du wieder auf die Beine
geholfen hast?" ..Der Jüngling war lustig und guter Dinge
und lel)te in den Tag hinein.'" Kirchhof gelnaucht dafiu"
derbere Wendungen: ..Solcher Zusag halber ward das Ge-
müt des Jünglings in Sicherheit stolz erhaben, frass. soff
und schlemmt (Mii und alle Tage, dass ihn jetzt dieser,
dann jener (iebrechen i)lagte". Die gereimte Schluss-
moral, die ein Memento mori bringt, fehlt bei Grimm.
— 91 —
Die 5. Auflage (lS47j t'ii<iti' die Xuiiiiiicrii I7S — li):;
neu hinzu, dif meisten naeli oedfncktcn XorhiLirii.
1711. I )i I' ( ! ;i II >r\\ i II i 11 am H rii ii ih'Ii.
Nach eiiKM' Erzäliluii^' in Kietkcs Alumiiach ileutselier
Volk.smärclicii (IS4(». Xo. 2). Kletke verdankte das Märelieii
seinem Freunde Andreas .Seiiulimaclier in Wien uml hat
nur das Verdienst, es aus dem Diah'kt ins liochdeutsehe
umg"eschrict)('!i zu liahrn. Merkwürdig ist die Überein-
stimnning der Vorgescliichle des .Märchens mit der bc-
rülimten Exposition des „Lvünig J^ear". Die (jiänselnrtin ist
eine verstossene Prinzessin. Ibr X'atcr wollte bei der
Teilung" des Reiches derjenigen von seinen drei Tüchtcrn
das Beste vermaclien, die ihn am meisten liebte. Die
älteste hat ihn lieb wie /.ucker. die zwfntc wie ihi' schüiistes
Kleid, die jüngste so lieb wie Salz. Der ergrinnnle \'ater
lässt ihr einen Sack mit Salz auf den liücken binden und
enterbt sie. Bei Shakespeare ist der Vorgang' ganz ähnlich.
Die selbständige Haltung Cordeliens. die ihren X'ater liebt.
..wie's ihrer Pflicht geziemt, nicht mehr. Jiieht minder",
reizt den alten Lear zu masslosem Zorn und er sagt sich
von ihr los. Di(> Erzählung lässt sich bis zu dem
fabulosen Geoffrey of Monmouth zurückverfolgen, der um
IHjö aus mancherlei Üb(!rlieferungen eine Urgeschichte
der Briten zusammeiisetzt(\
Die \'or]ago ist auf weite Strecken hin fast wörtlich
benutzt worden; gelegentlich wurde gesti'ichen. wo sich
die Darstellung etwas redsfdig in die Breite zog. Pro-
vinziahsmen wie: „Ans(;hichf, „gross-hoch-langmächtig",
..feinwinzig", „stockmüde", „Müttcrle", .,P>üi'scliel". „Ue-
spass", „springgiftig" u. a., die sich auch noch in Kletkes
Umschi'ift vorfinden, wurden beseitigt; ebenso trat ITir das
oberdeutsche Perfektum regelmässig das erzählende Im-
perfektum ein. p]iuige volkstümliche Wendungen fügte
man neu hinzu: „Wenns Ernst wird, so wollen sie sich
aus dem Staube machen"; „ich hab dir's sauer genug
gemacht"; „ihr werdet ja so rot wie ein Zinshahn". Tauto-
logisch iK.'isst es: ..Was hilft iiiii' (ihm/, uml l-^hic. jr'dfii
Moili'fii ('i-\v;u'h(' ich mit Sor^^cii und Kiiiiiiiht". Die
M'h<iiic Ki'iiii^rstochtcr h(;.s('hi'('il)t (irimiii nui' mit typischen
\V('ii(liiiiiirii : „Sit! wai" so weiss wie dor Schnee, so rot
als Aprclhlütc uml ilii' llaai' so jrläiizend als Sofinmi-
sti'ahh'ii". Die \()iia-v liiliit vci'wcjchliclK'nd fort: „und
wenn sie diii'fli den Wald oder iilici' die Wiese j/egangen
ist. sü haljen sich die Ijäiime und die liliimlein gehuckt
lind ucsti'ockt. dass sie an ihre Händchen anstreifen, und
ihre l^'üsschen küssen nifichteii. Die Vögelein sind neu-
gierig zu ihr herahgellogen und hahen gepfiffen, was sie
ans dem Mals gebracht haben, nur dass sie sie anschauen
und tVeuiidlich anlaclien sollte''. Der Schluss, woran das
persönli<'lie Hervortreten des Erzählers beachtenswert ist.
wurde erst von Grimm hinzugefügt: ..Die Geschichte geht
noch weiter, aber meiner Grossmutter, die si<? mir erzählt
hat, war das Gedächtnis schwacii geworden: sie hatte
das iJbrige vergessen, ich glaube imiuei', die sch(ine
Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und
sie sind zusammen in dem Schloss geblieben, so lange
Gott wollte." Mit scherzhaften Worten fährt er fort: ..Ob
die schneeweisen Gänse lauter Mädchen waren (es braucht's
niemand ül)el zu nehmen), das weiss ich nicht genau, aber
ich vei'mut(^ es doch" usw.
180. Die ungleichen Kinder Evas.
Zu Grunde liegt der bekannte Hans Sachsische Schwank
von der Einsetzung der menschlichen Stände. Bereits in
einem eddischcn Gedicht, dem Liede von Kig. wird der
Unterschied der Berufsarten in mythologischer Weise dar-
gestellt. Die alte Sage trug sich später auf Adam und
JCva über: im Mittelalter bildete sie sich zu der uns ge-
läufigen Form aus: Gott-Vater bestimmt bei einem Besuch
in der Hütte Adams die verschiedenen Söhne Evas für
einen besonderen Stand, den ihre Nachkommen noch jetzt
beibehalten müssen. Die Gründe sind in den einzelnen
I'oarbeitunü'cn verschieden. Die älteste bekannte Auf-
— o:5 —
/('iiliiiiiiii;- des Märcliciis Itirtct der ilaliciiisclM- I liiiiiaiiist
I>a|)tista Maiituaiius ') (1448— 151G) in ciini- mu 1470 uo-
dielitctoii Kklo^e-). In Dcutsflilaiid ist walii'sclicinlicli
schon ein iicistliches Schauspiid, von Hans Kudolf lölt;
in Freibei'g' insceniert, auf ManUianiis' Einllnss ziiriick-
zulühron. Sicher i,nlt (h\s von der Bearhoituiiu-. die Agricohi
unter der Überschrift: „Do Athini reutte und llcva si)anii.
wer was da ein Eddehnann" in seiner Spricdiwrirtrisannidun;^'
1528 bietet (No. -it.^'). .Mchinehthon, ih'r die Kabel 15:V.>
seinem offenen Brief an den (Jrafen .bdiaun i\'. Non Wied
eingefügt hat-'i, änderte sie wesentlich um. .Mantuann-<
erzählt, dass Eva einen Teil ihrer Kinder versteckte, da
sie sich schämte, eine so grosse Anzahl geboren zu haben.
Bei ]\Ielanchlhon werden die Kinder verborgen gehalten,
weil sie hässlich und schmutzig sind. \'or allem aber
macht er die Verschiedenheir der Stände abhängig von
eintMu Katechismns-Exameu. das der ileri- mit Evas Kindern
anstellt, und h-gt nachdrücklich so seine pädagogische
Tendenz an den Tag. Der fromme Abel, der sich sein-
beschlagen in protestantischer Dogmatik zeigt, wird reich
gesegnet: Kain dagegen ist störrisch und widerspenstig
um! nmss sich mit dem Bauernstande begnügen. Die von
Melanchthon geschaffene protestantische Legende be-
arbeitete man im !(!. und 17. dahrhnndert ungemein häutig,
und zwar in den verschiedensten literariscluMi l'^ormen.
Unter den zahlreichen Bearbeitern des 10. .Jahi'hunderts
steht in der ersten Keilie Hans Sachs, der die Legende
von Melanchthon entlehnte und viermal in J\eime gebracht
hat-'i, als -Meistergesang, Eastnaclitspiel. Komödie und
1Ö58 als Schwank'^). Nur dieser kommt als Grimms Vor-
lage für uns in Betracht. Er ist unter den Bearbeitungen
des Nürnberger Poeten als die gelungenste zu bezeichnen.
1) Nachweis Boltes, Schumaans NachlbüclihMii S. 4n;>.
2) Z. T. abgedruckt bei Bolle S. 372 f.
•') Corpus refoi nialoi'iim 3.053.
•*) Vgl. Michel, Heinrich Knausl S. 30.
■'•) Schwanke eil. Cioolze I, li)4.
- 94 —
Aul die Irin Iwittr K;itiM|iisiiiiis|iriiriiii;.'^ wiirl vi-rzirlitot. und
so tiii^^t (las (Jaiiz«' <'inf'n (•iiilicitliclM'ii ( 'iiarakter. \'<»r
ailfMii alxT kommt dci- |tt;i<litiLr(; llumoi- (Ilt lOrzäliliin;.''
Iiiir am vollkoiiiiiHiistcii vaw <irltiiii^. — Die BearlKMtunjr
tol<4( der \'orln<i(; ^i'^t l>i-'^ aul'sWort: riiii' an zwei Stadion
wiifdcii kiiizc Sätze iiitcjpolicrt. Die \Vf'iiduii;r am Anfang':
„Adam hackte; da« l''<dd uml l']va spann ^^'oll(''• ist dor
DarstfdlniiL; in .\;;ricoIas Spricdiwörtcrn ontlolint. und das
ansclianliclic Hild. dnss der IIcit. um Kva zu ültfrrasclion.
an die Tür klo|)lt. woj'aul' A<lam ihinli die Sjialte lufrt.
lim zu seilen, wer komme. eiit>tammt dei- JiL>arbeitun<r
von (Jeor^MJud. Widmami 'j; ,.da ihn nun unser Herr auf
ein Zeit visitieret, war des .Aehiins Hütte und BeJiau.sun.L'
liesehlossen. {\r\' Herr klopfet aii. als aber Adam und sein
Weib Heva duic.h ein JjOcIi (hm Herrn ersahen, erschraken
sie selir". liloss an einer Stelle wurde die Vorhii^e ge-
kürzt. r>ei der Beschreibung- der schmutzi^'-en Kindersebar
schwelgt Hans Sacli.s in der \'erwenduni,^ von charakte-
ristischen Adjektiven; V. 104ff. :
„lOin unflelig gestrobelte rott,
(irinliji' und lausig, zottet und kue.sig,
Zerliadort, ge.schmützig und ruesig
Grob, ungeschickt, dolpet und dötschet.
Schlüclilig. on zuecht ])ä\vriscli und lüt.-^ciiet."
(Irimm mildert etwas: „die ganze grobe, schmutzige.
giindige und russige Schar". Die Angabe des Verstecks
der Kinder ist aber in der Umschrift absichtlich in die Länge
gezogen: für jedes der zwölf Kinder weiss er einen Platz
zum Unterschlüpfen zu nennen. Die lange Schlussmoral
der Vorlage (V. 195 — 22i2\ die sich des ^veitoren über
(lOttes segensreiches Regiment auf Erden ausspricht und
vor t'berhebung und Unzufriedenheit warnt, bliel» weg.
181. Die Nixe im Teich.
Xach einer Erzählung von ^NForitz Haupt aus der Ober-
lausitz-). Die Grimmschen Änderungen beschränken sich
1) Vgl. Zeilschrift f. deutsches Altertum 11^63.
2) Ebenda 1,202 IT.
— 95 —
auf L:('ringfii<2:iL;"0 Zusätze. Die Bescliirihmit: der Landscliaft
jidit mclir \n< ncsoiidcre: di(3 Wassi-fiiixe w'wd hestiiiiiiitcr
jiozeicliiirt : ..rr crldickto ein sclifincs Weil), das sich lau^-
saiu aus dein Wasser ciliol): ihre langen Haare, die sie
über den ."^eliiiltern mit ihren zarten ]län(h'n gefasst hatte.
Ilosseu an beiden Seiten herab und be(U?clvt(Mi ihren weissen
i.eib" (..da stieg eine weisse Frau daraus hervor"). Ein-
mal Nvii-d auf einen alten Volksaberglaubcn angespielt:
..Den Knaben selbst Hess ei- nicht in die Nähe des Wassers.
Hüte dich, sagte er zu ihm. wenn du das Wasser berührst,
so konnnt eine lland heraus, liaseht dicli und zieht dich
hinab". Die N'olkstümliehkeit des Ausdrucks ist z. T. ver-
stärkt (lureli den Paralleiismus einzelner Redensarten: ..Sie
ti'ieben iliif Herden durch Feld und Wald", odei' allite-
lierend: ..es war. als ob Kisten uiul Kasten von selbst
sich füllten".
Das Märchen vom lliesen u nd Sehn eider (183) ent-
hält den Druckfehler: ..sich in dem Wald umzuschauen"
(..si in da Wiild [Wclt| umma zu schauen") und den un-
verständlichen Satz: ..Warum nicht lieber gleich tausend
auf einen Schuss. uiul die alle hierher?" (Vorlage: ..... und
<li dazu? = und (licji dazu). Im übi'igiMi ist es eine wflrt-
liche Übertragung der \'orlage \).
Die folgenden 4.Märch(Mi sind nach Ludwig Aurbachers
..Hüchlein für die .Jugend" (1S:}4) mit geringfügigen Ab-
weichungi'u ei'zälilt.
Den lidmit des Märchens vom Nagel (184j bringt
kurz ein altdeutscher Spruch:
,.l-;in iiagol t)olKill ein i>cn. (mii iscn ein vos. ein rus ein man,
ein man ein burcli. ein l)ui'rii ein lanf-i.
Der Eingang: ..Wer im Kleinen nicht Sorge trägt, muss
im Grossen Schaden leiden. Das erfuhr auch ein Kauf-
') l-"ranz Ziska, ( )steiTeieliise]ie Volicsnjärelieii 1822, S. 9 IT.
-) MüilenlKiir-Selicrer Deiikm. I. Xu. 40.0.
— \H\ —
\\rw. (Irr Ulli eines selileelitei) .\;i;.'-els willell «'ill SCll<"nies
ivoss \ cilor". IVlilt liei (ii'iiiiiii. Hill ilii' SiciiiiiiiiiL'' nicht
L''l<'icli ;uii Anriiiii: aury.iilicbcii. Statt der Trope: ..wolil-
liepiiekt mit (ii|(| lind ( ie|(ls()r;^M'!i'' selii'eiht die I>eail)eitiiii;r
\ i»lksliiiiili( lief: ..ei' hatte ^eine (iiddkat/.e mit (inld und
Silher L;-espi(d<f ').
hie [''assiinii' des ■\läi(dii'ns Xu. js,') Der afim* .] un^n'
im (jral)-) iiiilr'rs(dif'idi't siidi von der \orla;i<' inii' dui-cji
einij4"(' \Voil\ (•liiiideriiii^cn. l'i'o\in'/ialisiiieii wie: ..l-'icii-
liof". ..Ilafeir'. ..riphiUiiicIicn" weiden mit: ..Kirohiior",
..Topf". ..Kiiclilciii" w iederi!i\ii'elH.'ii, ('lu;nso di*' Worte:
..Schnaps". ..I5i'aniil\veiii odei' Kirscliwasser" in ..W'ciif
lind ..riii:;i!\veiir- vei-\vandelt. \'olkstiimliclicr i.st Grimm
in Wendungen wie: ..als er wieder auf den Beinen war"
(..als er wieder i^'esund geworden war''), ..ich schhign dich
so lange, l)is du kein Glied mcjir regen kaniisf (,,cr drohte
ihm mit 'rotschiagen''). Der Ausdruck: ..(h'in waren seine
KItein gestoiben'' lautet bei (iriinm kindlicher: ..Dem war
\'atcr und Mutter gestorben'" (vgl. \o. 7S: ich mach ein
Tn'iglein. daraus sollen Vater und Mutter essen").
188. Spindel. Weberschiffchen und Nadel'')
Die Bearbeitung legt Wert auf feinere Ausführung
der Bilder: so sticht z. Pi. die Bes.direibung des Wunder-
teppichs merklich von der Vorlage ab: .,Auf der Tür-
schwelle fing es an einen Teppich zu weben, schöner als
man je einen gesehen hat. Auf beiden Seiten blühten
Jvoseii und Lilien, und in der Mitte auf goldenem Grund
stieg(Mi grüne Ivankeii auf. darin si)rangen Hasen und
Kaninchen. Hirsche und Rehe steckten die Köpfe da-
zwischen, ol)en in den Zweigen sassen bunte Vögel, es
fehlte nur. dass sie gesuna'en hätten"'. Die Vorlage
') Vii-l Büchlein f. d. .Jiin'end S. 71 f.
•■^) i^heiula S. 1(17 f.
•:) labend;! S. 1()0 IT.
— 07 -
vciluvitft siili iiidit iihcr Kiir/cllifitfii. son(l(>rn liegnügt
sich mit ilcr alli;uni('im'ii An^'alx': ..das Olewfibo war so
srlMiii iiiul icicli an Silhcf iiiid (lold. dass nichts Kost-
harci'cs ^•(d'undcii werden inai;- in allen Köni<i"Si)alastcn".
Ixiiliineiisweit ist liei (iiiinin die V('i'\vendnn<jj zahlreicher
iiihler aus der 'Fier- und Pthmzcnwelt. auf die als auf
etwas uanz Bekanntes und der kindlichen Vorstellunii'
Oeläutio-es mit gutem IJecht hingewiesen wird. Das schöne
Mädchen wird mit giosser Feinheit gezeicimet: wie es
den Königssülin erblickte. ..ward es über und über rot,
schlug die Augen nii'dei' und spann W(uter": und um die
rnruhe der \'(n-liel)ten zu schildern, fügt die Bearbeitung
treffend hinzu: ..ol) der Paden diesmal ganz gleich ge-
worden ist, weiss ich ni<-lit. aber es spann so lange, bis
der Königssohn wieder weggeritten war. Dann trat es
ans Fenster, öffnete es uiul saii'te: es ist so lieiss in der
Stube: al)er es blickte ihm nach, so lange es noch die
weissen Federn an seinem Hut erkennen konnte". Die
drei Verse bei (irimm:
.,Spiii(lcl. SpiiideJ, H'eli du uns,
liriiiii' ili'M l-"reier in mein H.-iiis" usw.
weichen von denen der Vorlage etwas ab, um den alter-
tiunlichcn Heim:
.,Si)in(lel fein, Spindel schon,
I5egrüs.sc mir den Köniussolm"
ZU vermeiden. Statt: ,,sich ernähren"' heisst es volks-
tiuulicher: ..sich sein Brot verdienen": auch kommt die
alliterierende Redensart: „vor Wind und Wetter gescliützt
sein" eimual vor.
189. Der Bauer und der 'PcMifel')-
Die Teilung der Ernte zwischen einem dummen Teufel
um! einem klugen Bauern, wol)ei die Hölle zweinml um
das erhoffte Gut betrogen wird, ist auch durch Rückerts
tledicht ..Der betrogene Teufel"-) allgemein bekannt ge-
1) Büchlein f. d. Juiiend S. 24:9: IJoUr. Zs. d. \ereins f. Volks-
i<unde s,2l.
■^j Hü.-l<ert. WiTke ed. lOUin.i^vr I.'2!t8.
Palatstra XLVII. 7
wiifdcii. Iiih;illli''|i hat sich dir lirarlicitmiL' ••ii;i an <li<'
Vorla^^n anf^cschlosscii. stellt alxT die hfidcn I'nnktc der
Wotte um. I)or Baucf sät aiifan^''s I\iil)saiii<'ii. dann Weizen.
Ks ist natiiriiehei', wenn sieh der Tenfel znerst den Teil
dei' lOrnte ausl)odin<rt. *\>-y >i'li ül"'! dri' |-'rde iM-lindet.
Der Schhiss der Vorla^i-, wonaeli liauer nnd Teiil'.'! ver-
suchen, wer am meisten Hitze ertraj^en könne, wurde als
., schlecht erdacliL'^ fortgelassen. Beide setzen sieh in
ein stark geheiztes Zinnner. der Bauer weiss sich aher
durch eine geheime (jffimng Kiihhintr zu verschallen. Einen
andern Schluss bietet MüUenhoff j. Die Bauerfrau zeigt
dem Teufel, als er zu ihr kommt, einen Riss im Tisch mit
den Worten: „Da hat mein Mann mit dem Nagel seines
kleinen Fingers diesen grossen Riss (luer in meinen schönen,
eichenen Tisch gemacht". Und als er weiter hört, da.ss
sich der Bauer beim Schmied die Nägel schärfen lasse,
macht er sich eilig davon. — (Jber den Stil ist wenig zu
sagen. Ähnlich wie die Vorlage, nur etwas zierlicher,
beginnt auch Grimm: „Es war einmal ein kluges und
verschmitztes Bäuerlein, von dessen Streichen viel zu er-
zählen wäre: die schönste Geschichte ist aber doch, wie
er den Teufel einmal dran gekriegt und zum Xarren gehabt
hat". („Den Teufel hat einmal ein Bauer schön dran
gekriegt und zum Narren gehabt: wenn ihr die Geschichte
hören wollt, so will ich sie euch erzählen"). Mit der
sprichwörtlichen Redensart des Bauern: „So muss man
die Füchse prellen'" schliesst das Märchen bei Grimm
bündig ab.
186. „Die wahre Braut" ist ein lausitzisches
Kindermärchen nach Haupts Zeitschrift 11.481 — 86. Die
Grimmsche Bearbeitung erzählt bisweilen ausführlicher und
bestimmter. So wird z. B. das Wunderschloss, das die
Fee errichtet, sehr eingehend beschrieben. Wertvoll an
der Schilderung ist die poetische Belebung der Sprache
M Sagen, Märclien und l.inliM- aiisSclileswig-Holsleiu elf. S."27n.
— 99 ~
uimI <li"' Klciimialfrt'i. z. I^: ..<li<' l-'i-lscn rückten zusammon.
und standen da. als hätten KMesen dio Mauer gebaut:
darauf erlioli sieh (his Cielj;iu(h!. und es war, als oh un-
zählige liändr unsiehthar arl>eitelen und Stein auf Stein
legten. Dei' lindm (hrdinte. grosse Säulen stiegen von
selbst in die Hrdie und stellten sich neben einander in
Ordnung, auf dem Dach legten sich die Ziegel zur.eclit" usw.
(Trimm weiss genau mit der Einrichtung der Küche
Bescheid: ,.Aber das Feuer brannte auf dem Herd, in
den Töpfen kochten die Speisen, Kluft und Schippe waren
angelehnt, und an den Wänden das blanke Geschirr von
Messing aufgestellt. Nichts fehlte, selbst nicht der Kohlen-
kasten und die Wassereimer'. Die Pracht des Schlosses
wild auch ferneiliiii noch stark hervorgehoben, z.B.: ,.Ks
wusste sich in der ersten Zeit gar nicht in seinem (llück
zu finden, schöne Kleider hingen in den Schränken, die
TiMiheii waren mit (Johl und Silber oder mit Perlen und
Edelsteinen angefüllt, und es hatte keinen Wunsch, den
es nicht (M-füllen konnte: überall war eine Pracht, als
wenn ein l\()nig einziehen sollte: als sie in das Schloss
eintrat, musste sie die Hand vor die Augen halten, so
blendete sie der dlanz." Die Eigennamen „Lassmann'"
imd „Helene" wui'den als M()(leiiiisi(M'ung gestrichen. Die
.,Fee" ist (wie in NO. i:}(i) in eine alte Frau verwandelt.
Der Schluss der Vorlage erwähnte kurz die Verbindung
des jungen Paares. Bei Grimm ninmit auch die Natur
an dem Glück der Neuvermählten teil: .,Als wäre der Wind
vorgespannt", heisst es, ..so eilten die Pferde zu dem
Wunderschloss. xAls sie an der Linde vorbeifuhren,
schwärmten unzählige Glühwürmer darin, sie schüttelte
ihre Äste und sendete ihre Düfte herab. Auf der Treppe
blühten die Blumen, und aus dem Zimmer schallte der
Gesang der fremden Vögel."
190. Die Brosamen auf dem Tisch ist eine wort-
getreue AViedergabe der Vorlage (Haupts Zeitschrift für
deutsches Altertum Ill.:^,6).
Mm
r.»l. I)"'i l.'iinItiT iiml seine Sühne.
Das Mjtrclien wiinle mir in <li<' "». innl »l. .\ull;i;:e
niil'^^enominen: spiilrr steht st;itt (h-ssrn die aus iiiiin«!-
h'ehef (?) 'ri'iulition Lfesehiipfte Kr/iihhiiiL; vom ..Meci--
hiischen" an seiner Stelii-. (Ji'imni hcnut/t'' (h'n Ahdiin-k
einiT Handschrift dos 15. .)ahrhun(h'its in Haupts und
Hoflnianns Altdoutsehen Klättein (I.l I!) 127). Das Mänlien
stimmt tfrösstentoils mit Odyssous" Abonteuei' in iU'V H<»li|e
Polyphems iiheroin ') und wiinh) so wiedeforzühlt. wie
die Vorlage es braehle. Aueh der Stil zeigt trotz der
Umschrift ins Hochdeutsche keine bemerkenswerten Untor-
scliicde. Nur am Anfang zog man die etwas l)rcitc Dar-
stellung (mger zusannnen und fügte dit^ Sprichwörter hinzu:
..Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm": ..ehrlich währt
am längsten'"; ,.der Krug geht so lange zu Wasser, bis
er bricht'". Der moralisierende Schlussvers Mel fort.
19-2. Der Meisterdieb.
( irimm folgte einer von Georg Fr. Stertzing in 'riiiiringen
aufgefassten Überlieferung-) und besserte nur in einigen
Ausdrücken. Namentlich treten die volkstümlichen Euphe-
mismen hervor: „es geht dir an den Hals'" („du musst
unfehlbar sterben"); „du musst mit des Seilers Tochter
Hochzeit machen und das Gekrächze der Raben soll deine
Musik sein": ..du kannst auf deine Erhöhung am Galgen
rechnen"": ..für diesmal konunst du mit heiler Haut davon"'
(..ich schenke dir das Leben, das du eigentlich verwirkt
hattest"). Ferner: „Was zog der Graf für ein langes
Gesicht." ..Was hast du in dem Eässchen, du alte
Schachtel?" ..Für Geld und gute Worte geh ich euch
gerne ein Glas." Das Atmen des Knechts vergleicht
Grimm sehr drastisch mit dem ..Blasen eines Schmiede-
balgs'" und legt dem Meisterdieb, als dieser den Pfarrer
und den Küster in den Taubenschlag gebracht hat, die
«) W. Grimm. Kl. Srhriltfii IV. -t'is IT.
•■2) Z.S. f. deutsches Altertum II[,2il2 ll".
— 101 —
sclierzliaftcii Worte in den Mninl: ..Wüvt ihr. wie dio Eiigol
sich freuoii und mit dfii i'^ittichcn schhigen?" Die i)eiden
i^laubten nämlich im Himmel zu sein.
Die \'t»ila;^'e fiii- das Mäidien ..Der ^lond'' (175) gab
lleinr. Pröhie, Märchen ITir die .lugend .\'o. :5!). Die Be-
arl)eitung streicht den Ortsnamen ..Selinorrwitz" und licht
nneh mehr als die Vorlage die humoiistische Seite der
llrzähiung hervoi': Die Gesellen denken l»eim K*auh des
Mondes an nichts Arges und sprechen harndos: ..Wir
wollen den jMond weglühren, sie können sich hier einen
andiTu kaufen.'" Sie halten den Mond für ..eine leuchtende
Kugel" oder ,.(;ine Lampe" und l)eschneiden ihn in dei'
Heinnit ..mit einer Heckenschere". Wie dunkel es nach
seiner Wegt'ühi'ung in dem wundersamen Lande war. zeigt
uns (liimm an einem anschaulichen Beispiel: ..Wenn die
Leute altends ohnti Laterne ausgingen, stiessen sie mit
den K()[)t'en zusanuuen" und führt den hübschen Zug an.
dass in der hellen Moiulnacht ..die Zwerge aus den b'elseii-
höhlen hervorkonnnen. und die kleinen Wichtelmänner in
ihi'eii roten Röckchen auf den Wiesen den Ivingeltaiiz
tanzen."
Die 6. Auflage (1S50) ergänzte die Sammlung bis
auf '2V0 Nummern. Für die ..l']rl)senpr()l»e" bi'iiigt sie
IH'2. Die Geschenke des kleinen Volks.
Die Vorlage') bietet am Anfang die etwas sentimentale
Stelle: ,,B^ld ^^'^i' es, wenn sie aufhorchten, als rauschte
nur der Wind so sanft in den Linden am Wege, bald als
klängen die Glockenblumen auf der Wiese, wenn sie im
Winde sich neigten. Und der Schneider dachte an seine
liebe Bi'aut. die er daheim gelassen hatte und seufzte, dass
er so arm sei. und die Spielleute wohl noch lange nicht
zu ihrem Hochzeitstanze aufspielen würden." Dies fehlt
,') K. SdiinuiT, Sag't'ii, Märeht'ii und ( K'bräiK'lic aus Tliüiingcii
S. 82 f.
102 —
lit'i (Iiiiiiiii. (Ici- (Im SdiiH-idfi' wie auch sutist mit mcAw
Laiiiif 1111(1 Lciclitsiiiii aiisstaltct. I*'ür diMi Ausdruck (lt*i-
virlirlitcn Scliiisiiclit liiidrii wii- liici- eine sclicrzlialt«;
VVriiduii^^: .,.Ict/l werde ii'li Meister, heirate meineii an-
;,'oiiehiucii (je<,M'iistaiid (wie er seine Lieliste nannte) und
hin ein glückliciior Mann", (int ist die ( iiiuinische Ah-
weiehiiii<:'. dass di'r (Joldschmied sii li in i\ri \'orz\veifluri^'
iiher den N'erlust stMnes Keiclituuis \(»r «len Kopf sclilä<;t
und da(hireli sein neues Missnesehiek. den Maii^^d des ßarts
und der Ilaare. kennen hiiit. In der X'orlage wird es ihm
diireli seinen Kameraden mit^reteilt. .Man sieht, dass Orimni
sieh die Situationen yec^eiistiindlieher <.'einaelit liat als die
Voi'lage.
194. Die Kornähre.
Die \'orlage^) erzählt nach mündlicher l 'Ijerlieferung.
Im Kingang gebraucht ürimni das formelhafte: ..Vor Zeiten,
als Gott noch selbst auf Erden wandelte" (früher vor langen,
langen .Jahren). Einige unbedeutende Zusätze heben die
Anschaulichkeit: ..Ihr kleines Kind, das neben ihr sprang,
tiel in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen" (einst
hatte sich ein Kind verunreinigt); die Mutter reisst .,eine
Handvoll'' Ähren aus (die reichen, schönen Ähren).
In d(Mii Märchen vom Grabhügel (195)-) hat Grimm
den Anfang sehr erweitert und ausführlich den Reichtum
des geizigen Hauern geschildert. Im folgenden schliesst er
sich enger an, fügt aber volkstümliche Kedensarten bei.
So geh(")ren der Soldatensprache an: „Herr mit der roten
Feder, ihr seid mein Hauptmann nicht": „wir wollen euch
das Feld räumen und a])ziehen". Der Soldat macht eine
Anspielung auf das bekannte Märchen vom „Gruseln
lernen" (No. 4): „Das Fürchten liab ich noch nicht gelernt;
ich bin wie der Junge, der ausging das Gruseln zu lernen
1) Zs. d. Vereins für lies.si.sfhr Geschiehte IV. 1847, S. 114.
-) Ebenda S. 115.
— lorj —
und sich vergchlioli l)eiiiiilite. der aber bekam die Königs-
tochter zur Frau und mit ilu- grosse I^^iclitümer'\ Andere
populäre Redensarten sind: ..ich st dir da wie einer, dem
das Wasser bis an (hMi \io[)\ geht"; „wo ihi' nicht weg-
geht, dreh icii eucli die Hälsi^ um": „der Teufel zog ge-
lindere .Saiten auf: ..th'in K()hlenl)renner wollen wir schon
eine Nase drehen". Auch konnnt im (jegensatz zur Vor-
lage der Monolog mit Personenwechsel vor: .,Der Teufel
dachte. mitCiold fängst du (iif zwei Haderlumpen am l^esten".
Anschaulich wird der Handel zwischen dem Teufel und
dem Soldaten beschrieben: „Xui" eingefüllt, rief der Soldat,
aber ich zweifle, dass der Stiefel voll wird. Das Geld
klingelte, als es herabfiel, und der Stiefel blieb leer. Üer
Teufel blickte mit seinen glühenden Augen S(dbst hinein
und überzeugte sich von der Wahrheit. Ihr habt unver-
schämt dicke Waden! i'ief er und verzog den Mund. Meint
ihr. ich hätte einen Pferdefuss wie ihr? erwiderte der
Soldaf. Auch dass der Teufel das Geld von einem
Wechsler, „seinem treuen Freunde", holt, ist von Grimm
absichtlich hinzugefügt worden, da nach altem Volksglauben
der Reiche am ehesten den Lockungen des Teufels ver-
fällt. Metaphorische Ausdrucksweise, die sonst nach Mög-
lichkeit vermieden wird, findet sich an zwei Stellen: „Es
klopfte. ai)er nicht an die Tür seiner Stube, sondern an
die Tür seines Herzens". „Da begann der erste Sonnen-
strahl der Milde einen Tropfen von dem Eis der Habsucht
abzuschmelzen." Statt des populären Fremdwortes: „Halb
Part!" im ^lunde des alten Soldaten bringt die Bearbeitung
die immerhin steife Umschreibung: „Das wollen wir gemein-
schaftlich tragen"'.
Das Märchen von 011 Rinkrank (196) ist ein wört-
licher Abdruck der Vorlage (Friesisches Archiv I, 162 ff).
197. Die Kristallkugel.
Es ist die Bearbeitung eines Märchens bei Friednmnd
von Arnim'). Durch eine Ivcihe voü Zusätzen wird die
') Hundert Märchen S. 92 ff.
Atiscliiiiiliclikt'it \ t'isliirkt. /.. !>.: ..da verwandelte sit- den
ältesten in eiin-n Adlei', dei- ninssle aiil' einem l*'eIs(Migf*l)ir^»'
hangen, und niati sali ilin inamlinial am llimmtd in «grossen
Kreison auf nnd nie(|<!r scliuehen ' (..den «Tsten hatte sie
zu einem Adli'ikrmii: verwiinsclif): ..den zweiton vei--
wandelie sie in einen Walliseli. Ai'V leide im tiid'en Meer,
und man sali nui-, wie er zuweilen einen mäeliti;,'en Was.ser-
strahl in die Höhe warf" (..den zweiten hatte sie zu eiueiii
Kisehküni«,^ verwünscdd"): ..aher wie «'rsehrak er. als er sie
anhlickte, sit; hatte ein aschj^raues (jesieht voll Runzidn.
trübe Au^en und rote Haare" (..ei- scdiaute die Piinzessin,
die sah aher s(dir schlecht ans"). \'t>n ähnlifdier .\i-t sind
noch einige andere l^]rweiteriintjen. Der Satz: ..dass liir
den vieiundzwanzii:st(.'n noch ein Kehl iihri^' sei" wiid
volksmässi^'cr tautologiscli aus<redrückt : .,nnd wäre nui'
noch (dner iibrii:'. dann dürfte keiner mehr kommen". Die
Andt;runii'. dass der .Jüngling ..duich alle Zimmer des
Schlosses hindurchging: und erst in dem letzton die Königs-
tochter fand" erinnert an die in Märchen beliebte Art. die
Spannung durch Aufschiebung der Pointe zu erregen. Die
X'orlage leitet das ]\lärchen in die Erzählung vom Schloss
der goldenen Sonne (92) über: es entspricht dem Schluss
von Musäus' Chronika der drei Schwestern.
In dem Märchen Xo. li)9 Der Stiefel von Büffel-
leder') besteht die wesentlichste Verbes.serung Grimms
im Gebrauch der Soldatonsprache. z. B.: ..Wir suchen ein
Xacht(iuartier und etwas Unterfutter für den Magen, denn
der meinige ist so leer wie der G(ddbeut(d (wie ein alter
Tornister". 7. Aufl.): ..der Soldat fing an, tapfer in den
Braten einzuhauen": ..nun ist es Zeit, dass wir das Zelt
abbrechen": ..oho. Bruderherz, das wäre zu früh ab-
marschiert, wir haben den Feind glücklich überrumpelt,
jetzt wollen wir als Xachzügler in aller Ruhe hinterher-
marschieren". Auch sonst tritt die volkstümliche Sprache
') Friednuind von Arnim, Huiuterl Märc-lien S. 22ff.
kfätti^- liervoi": ..die Stiefel . . . ^clicii durch dick niid
ilüiiii.'" (\ri S(ddat tut einen ..liei'zliaften Ziifi" (er tiank
einen Schluck). ..,i:i»'h Acht. Briidei'. du sollst dein hhiues
W'iiiuh'r sehen," ..ii'h'ich und ijjeiidi gesollt sicii <,'ern.""
..oiine auf Weg und Steg zu achten". ..Wartet, ilir sollt
an einem düi-ren Ast das Fliegen lei'iien". uml ein ähnlichef
iMipheniisiuus in: ..Koiniii I5ruderhefz. es wird nicht gleich
an den Kragen gehen". ..leh hal)e draussen im Wald ein
Xest voll Oalgenvögel gel'unden. krunnit mit. wir wellen
es ausheben." Das Mäiclien beginnt, wie einige andere,
mit einer allgemeinen Wendung: ..Fiii Soldat, der sich
voi- iiiehts fürchtet, kümmert sich auch tun nichts". Der
Soldat wild als ein treulierzi::-deil)er und entschlossener
Charakter gezeichnet: ..Er reichte ihm die Hand. Hess sich
neben ihm auf das (Jras ni('der und streckte seine Beine
aus"; er ..zieht den Pfropfen aus der Flasche, dass es
knallt" und ..tut einen herzhaften Zug; als ihm der Geruch
von der Speise in die Nase gestiegen war", (ing er an. ..in
den Braten einzuhauen" und stand nicht eher vom Tisch
auf, ..als bis er wieder für drei Tage gegessen und ge-
trunken hatte". Die Vorlage ist im Ausdruck matter und
weniger drastisch.
11)8. Jungfrau Maleen.
Vorlage war die Fassung bei MüUenhoff (Sagen. Märchen
und Lieder aus Schleswig-Holstein etc. S. 891 f.), nach münd-
licher Tradition. In der (irrimmschen Bearbeitung treten
die volkstümlichen I)oi)pelformeln deutlich aus ihrer Um-
gebung heraus: „Sie ward eingemauert und also von
Himmel und Erde geschieden": ..sie wussten nicht, wann
Tag oder Xacht ani)rach" (..ohne dass sie wussten. wie
weit es an der Zeit sei"); ,. Speise und Trank" (..Speise-
vorrat"): ..ieli bin die Jungfrau Maleen, die Hunger und
Durst gelitten und solange in Not und Armut gelebt hat."
,.Ich kann und will keinen andern zum Gemahl nehmen."
Statt: ..es soll dich dein Leben kosten" steht der sinnliche
Ausdruck: ,,dann wird dir der Kopf vor die Eüsse gelegt".
Sclir iinsoliMiilicli sdiildrii (Jiiiinii dii; licfi-ciung der Köiiijrs-
toclitc?': ..N:icli laiii^'cr Ailn'it L'^daiii:' i-s iliiicri. ciiicri Stt-iii
ln'i-;iiis zu m'liiin'ii. (hinii "'iiiru /weiten und drittt-n. und
ii;irli di'i Taiirii lir| dci' eiste Liditst nilil in ihre lJunk(d-
lieil. Mild endlich WM die ( )l'fiiuiiLr so irross. das sie lioraus-
seliaiieii kdiinteii"'. I )er Wir^^anji' wjj-d l)is ins kleinst«; zci'-
L^liederi und gewinnt iincli im I )eiiilieiikeit (liir(di zalilcn-
uiässi^n; (iiiippicrun^ dei- einzelnen llandliinirt'n. Die X'or-
la^^e sa<;t kürzer: ..Dr-ei Tai:»' lau::' liDJirleii sie iinahiässi;:.
da draii^: diT ei'ste Lielilsli nhl in ilnc l<'instei-niss"'. Statt
„Tiiiiu' -ct/t (niinni das areliaisclie ..Turir".
Die 7. Auflaiff Id'aelite als \'ai'iante (151 bi zu dem
Märchen von den drei l-'nulen die l^earheituni;: eines Fast-
nachtsplels aus dem 1'). .lahiliundert : ..Ein spil von den
zwelf pfaffenknechten" '). Xui- \venij;e lOrweiterungf^i sind
zu bemerken: die Brüder liehen die Faulheit der Knechte
noch stärker hervor, z. \).: ..Ruft der Herr, so tue ich. als
hätte ich es nicht gehört, und ruft er zum zweiten i\lal.
so warte ich noch eine Zeit lang, bis ich mich erhebe und
gehe auch dann recht langsam, so lässt sich das Leben
ertragen'". Jm Spiel lieisst es kurz: „Ich kumni nit pald
und lauf nit sehr". .Manches klingt volkstündicher: ..ich
Hess es in Gottes Namen fortregnen, dass ich ein Loch in
den Schädel bekam" (,. dass ich ein Loch am Kopf empfing");
.,soll ich eine Arbeit angreifen, so dämmere ich erst eine
Stunde herum"' (,,so geh ich vor ein stund darumb"): ..ich
sehe, dass ich allein ein munterer Kerl bin" (..dass ich
gar resch bin allein''); „ich schlief richtig ein'". Die Fle-
geleien des achten Knechts wurden sehr gemildert.
Von den Kinderlegcnden ist die letzte (No. 10) eine
wörtliche Übertragung aus dem Vorarlbergischen-).
Die gedruckten Vorlagen für die j\Iärchen Xo. 161
(Karoline Stahl, Fabeln, Märchen und Erzählungen für
Kinder. Nürnberg 1S18) und No. 178 (Neueste Kinder-
') KolliM', F;istii;iclitspi('l(' aus ileiii 15. .lalniiuiuleit Bd. 2. 502.
-J \'nnbun, Sassen aus VorarJboig- S. 7.
— 1 07 —
itililiotliek, Hil(ll)ui'i:li:uis('ii ls-J7i lialx' ich Icidfc nicht ;iut-
treihcii krmnt'ii ').
In bunter Mannii^tMltinkcit i--t eine h'eilie der verschiedon-
artifi'Sten \'(ifhii!'en an uns \ (»liilx'rgczogen, heiniisclie uinl
aiisländisclie. alldeni>(lie und z(Mt<i'(Mi(issische, Prosa und
Verso. iMchrore verfictoii deutlich kunstiiiässige Darstellunji'
und ühei'li(^forton i1(mi StolT in reinei' l'^orni. in andern war
der niärehenhatU; (i(dialt vieilach durch willkürliche Zu-
taten entstellt odei' verhüllt: einii:e dehnten sich \V(Mt-
schweilij^' in die Läni^c. und mitunter stiessen wir auf
dürltig'e. tVagmentarische K'este. wo nur noch das Gerippe
der echten Überli(Meruni:' erhalten war. Geht man die
Grinnnsche Sanmilung durch, so ist die Gleichniässigk(iit
des Tons und Stils erstaunlich, die alle Stücke beherrscjit.
Es ist kaum noch zu spüren, welches Stück mündlicher,
welches schriftlicher Überlieferung verdankt wurde. Wenn
auch einige Züge die Entlehnung aus fremdem Gebiet
erkennen lassen, so sind sie doch derartig gedämpft und
zurückgehalten, dass sie nicht mehr stfirend auffall(;n.
Die Brüder haben die Einheitlichkeit der Form ihrer
Märchen durch Anw-enduiig ganz bestimmter stilistischer
Mittel erreicht. Sie brachten einen neuen Märchenstil auf,
indem sie den mündlichen Erzählungen, wie sie im Volk
umliefen, die charakteristischen uiul liebenswürdigsten Züge
ablauschten und sie den vorgefundenen Stoffen je nach
P)edürfnis verliehen. Denn bald Hessen die Vorlagen dieses,
bald jenes Moment ausser Acht. ^Vas man als die Kunst-
form der Märchen anzusehen habe, darüber herrschten zur
Zeit, als die Brüder ihre Samndung veranstalteten, ver-
worrene 31einungen. „Wir finden das Märchen vor; jeder
bearbeitet es auf eigne Weise und denkt sich etwas anderes
dabei", sagt Tieck-). Vielen galt IMusäus mit seiner witzig-
ironischen Schreil)art als unerreichtes Vorbild, und die
1) Zu No. 178 v,a-l. Holte, Zs. f. (Icutsche rliiloloo-ic -JO, 325.
^) l'liautasus I, S. 131 (18-44;.
— JOS —
roiiiaiitisclicti Miu'cliriMliflitcr Hiciitmio iiml Tifck liatt«Mi
jeder- seinen liesundecen Miiiclienslil. Alle hielten es liii-
l)esser. die seldieliteii l-]rz;ildnnii('n v.w modernisieren, als
(lass man. um sie ;.mii/. /ii \ eisiejieri. in einen kiinstliclieii
Zustand der Kindlicidveit /.uiiiekkclnr. lud diKdi hat die
{li'immsejie AulTassum; in W aliilieii K'eejit liehalteii. liei
den andern wiiil das .Mäirhcii aus seiner natiir-lichen
Sj)liiii-e lierausyelinlien. es wird seinem miitteili(dien Xähr-
hoden entzun-eii uml ein K unsipr'ndukt. das den Kindern
für das. was es ihnen entriss. keinen lOrsal/ brachte, und
dui'fh das man. wie etwa hei (joethes Märcdien. ..an nichts
und an alles erinneil wurde". Dass es in hestimmten
[•"allen duiili einen iicinalen hichtei' ein Lilänzendores
.\ussere und sinnsehwei'eren (lehalt enii>liiig. soll nicht
i;(deu^nel werden, ahoi- nur ticuc I'herlieh'i-une; konnte
den l*>rzähhin^('n ^esehiehtlicheii Wei-t verleihen, nml einen
lieitra<;" zur deutschen Mythologie und Literatur^^es(diichte
wollten die Brüder ja in erster Linie liefern. Bewunderns-
wert aber ist, wie sie die Forderung; erlullt haben, grösste
Treue mit kunstvoller Darstelluni:" zu vereinii;en. Wie
Herder für die Kunst des Volksliedes, so waren die Brüder
Grimm für die des Märchens mit feinstem Gefühl begabt.
Auf Grund reicher Beobachtungen an mündlichen Er-
zählungen und eines umfassenden Studiums anderer Märchen-
literaturen schufen sie die dem deutschen Volksmärchen
gemässe Kunstform. Sie hielten an der Originalität und
Schönheit der lehendigen Volkss[)rache fest: sie wollten
nicht selbst poetisieren. sondern Volksdichtung wieder-
erzählen und nicht üi)er das Volk, sondern mit dem Volk
lachen und scherzen. Deshall) suchen wir in den .Märchen
vergebens nach persönlichen Motiven der Verfasser: es
wäre verlorene Mühe, daraus Rückschlüsse auf die Denk-
weise und Anschauungen der Brüder zu ziehen — wenn
man sich nicht mit einem ganz allgemeinen Resultat ihrer
reinen Andacht begnügen will — . während es ein Leichtes
ist, wichtiges Material für die Beurteilung der Pei^sönlich-
keit eines Musäus, eines Tieck, eines Brentano aus deren
— 100 —
Aljiivlini zu sclitipfcri, I );i;:o^<'ii z<'i^"i'ii uns die Kimlor-
imdllaiisniärclioii iiniivscliiiiiiikt (lrii( 'li;ii';iktor (IcsdoiitsclH'ii
\'(dkos älinlicli wie die Volkslifdcr. Zwar ist die Lyi'ik
iiiiinittclliarcf und :;t'\välirt dw trciKTi-s lÜld als Prosa-
('rzäldiiiiui-ii. aber auch dcifn (Icstalti-n sind iiidit will-
kiii'li(di licwählt. soiulci'ii Si)ie;4elltil(l('i' der \atii)n. und in
di'ii pliaiitastisclien I'''iii'ur(Mi ist ein iiut Stin-k wirklicher
N'olksanscliauiuiti- nicdergole^t. Dadurch sind si(3 als QucHcn
liir die JJeurteiluni;- des Xationalchaiakters wichtig". Hierauf
hatte schon Herder hingewiesen; in seinem Sinne hal)en
die Brüder (Trimm gearbeitet. Auch sie wissen den scharf
zu tadehi. der mvtionale Dichtung mit eigenen Ideen ver-
mische und dadurch seinem 'Volke etwas entzieiie ').
Alle stilistischen Beobachtungen, die sich aus der
Verglciehung der Vorlagen mit den Bearbeitungen ergeben.
lassen sich in reichem Masse auch bei den mündlicher
Tradition entnommenen Stücken anstellen, woi'aus um-
gekehrt erhellt, dass diese für die Stilisierung der schrift-
lichen Vorlagen massgebend gewesen sind.
Im folgenden soll durch eine Übersicht die .Methode
der( lrimmschenBearbeitun;.i- in allgemeineren Bestimmungen
klar gelegt werden, als es bei der Einzelbetrachtung der
Vorlagen möglich war. ,,Hat auch das .Märchen seine
Hegel?"' fragt Herth'r'-). und er gibt die Antwort: .. l'lxd.
wenn es solche nicht hätte, da bei seiner tiefen Einwirkung
auf die Seele des Menschen, bei seinem noch tiefern
Grunde in unsrer Natur es ein ungeheures Mittel zu
Bildung oder Missbildung menschlicher Gemüter sein kann."
Tn den meisten Fällen beziehen sich die Änderungen
der Brüder bloss auf die äussere Form: sie bildeten ge-
gebene Eigentümlichkeiten nur noch weiter aus. Sehr
selten haben sie ein ^lärchen neu geschaffen oder so tief-
greifend umgestaltet, dass seine Verwandtschaft mit der
1) steig-, A.V.Arnim 111,268.
-) Früchte aius den sog. g'oldencn Zeiten des aehtzeliiiten
.Jahrluindei't.-^, Xo. G. Suplian 23, 273.
1!0 —
\'oii;i)^^' Ulli' scliwci' nrUfriiiliar wiirr. Niiiiii'htlicli ;.qlt das
von (Icfi StiickfMi. die für die I. Aiilla^i- Ijcnut/i wiinh-n:
'liri' lialx'ii sie so<rar maiiclmial di»' kiiiistlfTiscli»' I''<»fm
d(i' ti'ciifii I 'l»rrlict<Tuii<i- y.iilirlic pii'isfrejrebon. Erst mit
dci' 2. Awsi^mI)»' Ix'irirint oiiic stärkei'c riiiarlti'itunjr. I)i<;
AI)\veichuii<4(Mi in späteren Aufla^T-n sind meist nur goring-
fUgig, da die Vorlagen direkt oder- indirekt von den Grimm.s
herinfliisst und also schon auf eine kunstmässige Dar-
stellung gerichtet waren.
Die Brüder kürzten oder erweiteiteii je nach Bedürfnis,
sie vervollständigten auch die Erzählung, indem sie mehrere
verwandte Überlieferungen mit einander verschmolzen. In
einigen Fällen besteht die Änc^ei'ung nur in der Weglassung
gewisser Zusätze, die ungeeignet oder störend erschienen.
Dazu geh(iren vor allem die moralischen Nutz-
anwendungen in Vers und Prosa, an denen besonders
die älteren deutschen Aufzeichnungen leiden, die den
launigen Geschichten recht oft eine lange Sehlep])e
nüchterner Lehren anhängen. Das Märchen wird hier
noch als Fabel aufgefasst und nur der praktischen An-
wendung wegen erzählt: als selbständig(;s Literaturprodukt
erkennt man es noch nicht an. Mit dieser beschränkten,
prosaischen Vorstellung räumten die Brüder endgültig auf.
Bei ihnen ist das Märchen nicht Einkleidung eines Er-
fahrungssatzes; sie erkannten richtig, dass seine Phantastik
im Grunde keinen sittlichen Zweck verfolge, daher den
Menschen nicht auf sich zurück, sondern aus sich heraus
ins unbedingte Freie führe. Zwar ..alle Poesie soll be-
lehrend sein", heisst es bei Goethe'), „aber unmerklich:
sie soll den Menschen aufmerksam machen, wovon sich
zu belehren wert wäre, er muss die Lehre selbst daraus
ziehen, wie aus dem Leben". Zu einer ähnlichen Auf-
fassung bekannten sich die Brüder: ein Buch mit rohen,
moralischen Kinderexempeln fand .Jakob nicht nur lang-
weilig, sondern auch schädlich-): die Moral sollte aus den
'j In dein Aufsalz: ULer ilas Lclirirediclit.
-) Stei;^, A. v. Arnim 111.270.
— 111 -
]\läii'lirii licrvori^elirii ..wie ciiio ^-uto Frucht aus oirior
gesuiuleii iiliitc olinc Zutun der Menschen"'!. Nur ^anz
vereinzelt hissen sir die lichre hei'vortreten. alicr dadurch,
(hiss sie verallgemeinert in Foini einer sprichwörtlichen
Redensart (z.B. ist: 1S9) auftritt (.der humoristi.sch (187)
^■cwandt ist, wird ihr die aufdi'iniiliche Häi'te iz'enonuncn.
.\ueh für diese AulTassuni;- hätten sie sieh auf Herder
herufen können, der es sehr hedauert. dass wir zwar
„Reiiuii'ehetlein und Lehrverse üenuL''" hätten, aber kein
Werk, um eine ..ü'anze. ju;i;eiidliehe. kindliehe Seele damit
zu füllen, Gesänge in sie zu legen, die leljenslang in ihnen
bleiben" 2).
Alle fremden Elemente, die die organische Fnt-
wieklung der p]rzählungen unterbraelKMi und das Interesse
davon ablenkten, wurden gestrichen, z. B. alle tendenziösen
Zusätze, Anspielungen auf Zeit und Personen, satirische
Beimischungen, gelehrte Vergleiche. Im einzelnen sind
solche Auslassungen oben erwähnt worden. Um den Märchen
abgeschlossene Selbständigkeit zu geben, nuissten manche
Zusätze der Vorlagen, die sich aus der Verbindung mit der
Tnigebung erklären, gleichfalls wegbleiben.
Bestinmite Orts- und Zeitangaben fehlen. Die
wenigen Fälle, wo geographische Namen auftauchen:
Rom (33). Göckerliberg in Welschland (95). Bremen (27).
Keuterberg (96). Mosel (119) und einige andere lassen das
Prinzip, das Märchen nicht an einer bestinnnten Stolle zu
lokalisieren, unangetastet''). Auch scherzhaft gemeinte,
poetische Ortsnamen werden nicht geduldet, denn ..alle
Märchen sind Träume von jener heimatlichen AVeit, die
überall und nirgend ist""*): sie sind etwas dem ganzen
1) K_HM. I, S. XVI.
-) i'ber ü.s.sian. Suphan 5,201.
•'j V<i'l. No. 119. wo man die Namen Tiier und Aaclien be-
seitigte und die „Mosel" wohl nur deslialb aus dt'v Voilage bei-
behielt, um sie nacli Volkset.\ niolou-ie fiii- ein „moslires", stille.'' und
tiefes Wasser zu erklären.
i) Novalis, Schriften 1I,2.S1.
\';ilt'il;iii(lc ( it'mciiis;iiiics iiiul stirilfn ihniiiii alles liidi-
viiliirllc nach M(lL:lir|ikril al». hadiin-li iiiitcrsclicidfiii si<'
sich von Sa;4<'ii. die sich iii-ni an hrstiiiinitc iiiid histoi'isch
iiafdiwrishiirt' Ereiiiiiiss« odci' INmsoim'H ankiiiipren, während
das IMärchcii seine Pers(Mien ^^owöhiilieli niii- als Tvix'ii
(>infiihi't. Wenn Tiefk im ..(iostiolellcn Katei" den Köniir
stets mit Ki(tne und S/cptei' aiil'li'elen lässt. so hat er
damit die Alt. wie das Märcdn'ii cliarakli-risieit. jriit ^^e-
tiolt'en. In eciit poetisclifi' Weise woi'den nur wenige l)e-
zeichnende ZüLie lieraus^-eli<)l)en. sonst erzählt mau so all-
gemein wie mTiglich. (Ifirres hatte ganz recht, wenn ei-
die Stelle: ,.l^]s war einmal ein gewisser Kfinig" (1,571
iinmärehenhal't fand 'L da das Mäielien dieses hestimmende
lieiwort ni(!nials liraiK-he.
Die weihliehe Schönheit wird, wie im X'olksliede.
mit sparsamen, typischen Woiten beschrieben. ( )t"t genügt
die Bezeielinnng „wunderschön": daneben ersciieinen cha-
rakteristische Hyperbeln, wie: „die Tochter war so scliön.
wie ihr auf der Welt eine tinden könnt", „schöner als noch
jemand auf Erden gewesen war". .,dass kein Maler sie
hätte schöner malen können" oder formelhafte Wendung<'n
wie: „es stralilte in seiner Schönheit wie der helle Tag"".
..das schönste Kind unter der Sonne'" usw. Von anschau-
licher, poetischer Kraft sind in der Beschreibung die Bilder
aus der Natur. .Mehrfach sind die ausführlichen Schilde-
rungen der \'orlagen beschnitten, dafür abei' mit wirkungs-
volleren Farben ausgestattet worden.
Anstössige und frivole Stelleii wurden ausgemerzt.
Ohne Prüderie aber nannte man natürliche menschliche
Verhältnisse und Zustände bei dem rechten Namen. Denn
das Kind kennt in seiner Xaivetät keine andere Ausdrucks-
weise; seine natürliche Aufrichtigkeit, die jeden Schein
von Falschheit verachtet, setzt sich über alle künstlichen
Bedenken hinweg. Auch hierfür haben die Brüder erst
durch ihre Sammlung Verständnis erwecken müssen bei
') (iJlrrt's. l-'rcunilcsl)ri<'|i" Ill.iid.
— 113 —
niaiichfii, dir aus üIxTfi^rosser X'orsiclit ümsclireibungen
und doecntc \'<'iliiilluiigen lieber gesehen hätten.
Die Spraciic des iMiirchciis ist wie die des Volks-
liedes siuulicli. klai'. anschaulich, lebendig". Alle blassen,
abstrakten JMlder und Gleichnisse wurden in der Dar-
stellung gemieden; lih- das sehende Auge, das lauschende
Ohr erzählte man, nicht für den abstrahierenden Verstand.
Allegorische, mit Metaphern ausgeschmückte Prosa ist
in echten Kindernlärchen undenkbar. Xur höchst selten
hat Cirimm von Tropen Gebrauch gemacht und wählt auch
dann einfache, dem Fassungsvermögen derKindcr angepasstc
Bilder. Wie im VolksHede dienen konkrete Dinge zur
Umschreibung von Abstraktionen, denn die Sprache des
Kindes ist wie die des Volks arm an al)gezogenen Allgemein-
begriffen. Die Fremdwörter wurden als unverständlich
gestriclien oder verdeutscht, ausser wo sie formelhaft auf-
treten, wie etwa im „Doktor Allwissend" (98), Auch die
Soldatensprache ist mit Recht durch Beibehaltung des
Fremdwortes gekennzeichnet. Wie peinlich man auf Ver-
deutschung drang, ergibt sich auch daraus, dass z. B.
fast jeder Prinz und jede Prinzessin der ersten Auflage
in der zweiten als „Königssohn" und ,. Königstochter" auf-
treten ').
Gegenüber den Streichungen treten die von Grimm
genuichten Zusätze sehr viel stärker hervor. Kaum ein
"Märchen, das nicht durch eine geringe Erweiterung an
künstlerischer Porm gewonnen hätte. Begreiflicherweise
überwiegen ganz bedeutend die Beifügungen in populärer
Sprache. Dazu gehören allgemeine Redensarten des
Volks. Die Vorlagen versäumen vielfach das derbe,
bürgerliche Element der Märchensprache. Unter den Rede-
wendungen sind besonders auffallend die zaiilreichen
Euphemismen. Üble Dinge mit unschuldigeren Ausdrücken
zu umschreiben, ist ein alter z. T. abergläubischer Volks-
brauch.
') Daneben auch andere Umschreibung'en wie Liebster, Bräuti-
gam, Sohn — Jungfrau, Liebste usw.
Palaestra XLVII. 8
— 114 —
ort weiden Spiicli \v»)rt er in die h'erl«^ einKcflochten.
(Icriti der Liicoiii-iiuis des ^omeiiien Manru;s führt ^frn
DrviiteiwfMslieit im Miuide. F^jirie |»asseridf! Sciitonz ist
wie ein Maclitspiueli, der jede Iani(e! I}e\veisriiliriiii;_' iiber-
lliissig macht. Zumeist drücken sich aiieli hei (iriniin nur
Personen niederen Standes in sprieliwruthcdii'n Wendnnjren
aus. Schlagende, prägnante Kürze ist also in Volks-
märchen ebenso am Platze, wie die weicheren Linien
liebevoller Ausmalung.
Ein echt volkstümliches Gepräge erhält der \'ortrag
durch die Verwendung von Tautologieen. Diese sind
teils gereimt, teils alliterierend, liaben also sprichwörtlichen
Charakter und eine feste, altüberlieferte Form. Die
Märchonsprache liebt musikalische Klangfiguren, wie ja
der mündliche Vortrag gern formelhafte Ausdrücke ge-
braucht, schon um das Gedächtnis zu unterstützen. Ab-
gesehen von Keimzcilen. wie sie nicht selten auch in den
aus mündlicher Tradition entlehnten Stücken auftreten,
sind es die schallnachahmenden Worte, die der Sprache
die natürliche Frische verleihen. Der Ton wird teils
durch Worte umschrieben wie: „trippeln und trappeln" (87).
„was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch herum" (5),
teils hören wir ihn in Form einer lautmalerischen Inter-
jektion: die Katze schreit: miau! miau! die Gänse schnattern
ihr ga! ga! die Frösche ihr ak! ak! oder (luak! usw. Die
Kinder lieben es ja, die Stimmen der Tiere nachzuahmen.
Die Einflechtung zweiteiliger Redefiguren gibt dem
Vortrag poetische Färbung und rliythmische Gliederung
und dem ganzen Satzgefüge dadurch, dass die zweite
Reihe meist einen gleichen oder ähnlichen Gedanken
ausspricht wie die erste, einen gewissen Nachdruck. Nicht
selten steigert sich die schlichte Erzählung zum Halbgesang
einer Deklamation mit Wiederholungen und Reimsprüchen,
wie z. B. in No. 30, 32, 38. Poesie und Prosa sind in
glücklicher Mischung vereinigt. Durch häufigen Gebrauch
s3'nonymer Gedankenverbindungen erhält die Darstellung die
ruhige Breite. Herder vergleicht die Synonyma treffend
— 115 —
mit den guUlriirn Apk-lii dt'i' Atalantf; es sind kiinstleriscii
wirksame Ruliepunkte der Erzählung. Während das Volks-
lied sprunghaft von einem Motiv zum andern, von einer
Situation zur andern eilt, was nicht hloss auf unvollkommene
und zersungene Überlieferung zurückzuführen ist, haftet
das Märchen gern am Ort und geht in der Darstellung
nur schrittweise vor, auch das Wunderbarste behaglich
vermittelnd. Seiion der Anfang so vieler Märchen kann
als Beispiel für ilirt; l)e(|ueme Erzählungsweise gelten:
„Es war einmal ein X., der" . . . Statt den Gedanken in
einem Haui)tsatz auszudrücken, wird er auf Haupt- \ind
Relativsatz verteilt, dessen Pronomen i\(n\ bereits erwähnten
Begriff noch einmal aufnimmt.
Anspielungen auf volk.stümliches Cic meingut (andere
Märchen, Aberglauben u.dergl.)sin(l verhältnismässig selten.
Zu billigen ist, wenn z. B. ein Soldat das Märchen vom
„(Iruseln lernen" citiert, odei' wenn auf den „grossen
Butzenmann" als Schreckgespenst verwiesen wird (90):
anstössiger wohl, wenn zwei unbekanntere Erzählungen
ganz äusserlich auf einander bezogen werden, wie No. 168
auf das Märchen vom faulen Heinz (I()4). Unmöglich
kann das Märchen in dieser Form wirklich „erzählt"
werden. Der Zusatz in Xo. 168 erklärt sich zwar leicht
aus der Nachbarschaft der beiden Stücke, schädigt aber
die Selbständigkeit des Märchens. Es ist Literatur.
Dramatischer belebt wird die Erzählung durch häutige
Anwendung der direkten Rede. Die Vorlagen geben
oft nur eine zusannuenfassende Inhaltsangabe, wo hier in
anschaulicher Wcchselrede die Personen vor uns auftreten.
Man meidet, wie die einfache Volkssprache, die indirekte
Verschränkung der Sätze und führt schon aus Bequeniüch-
keitsgründen lieber die Worte in ursprünglicher Gestalt
an. Ebenso erhöhen zahlreiche Interjektionen die Kraft
des sprachlichen Ausdrucks; auch werden Anreden
gern mit einem Vokativ eingeleitet. Bisweilen wird durch
Einführung des Besonderen die Wirkung gesteigert: so
bedient sich der Soldat der Sprache seines Standes, der
— 1 1 r,
Schneider ;;r\vissri- l-'ui iiiflii (|(t I laiidweiksspraclie. und
der Isr'fudit spiiilit sein Jiidendeiiiscli.
Xunion sind in Miindien s('lten, eino individuelle
X;un(!nj^obun<^ lelilt iil»eiliaii|)t. Xui' Vornatnen, \vi(; sie in
lündlichen Krcison iihli(di sind. /.. IJ. Il'jn/.. Ihms. Trine,
(Jrete. Ti'iide usw. diildeto man odei' Ki^ite sie hinzu, wo
sie fehlten. Moderne oder willkürliehe Xannui wie „Kriih-
ling", „Hans Wohlgemut", „Lassmann". ..Helene" wurden
gesti'iehen, der Name eines Prinzen „Henjamin" aus-
drücklich auf die Bibel bezogen (9». Dem V'olksbrauch
entspricht die Beifügung eines stehenden Adjektivs, z. B,
der faule Heinz, der lange Lenz, die dicke Trine, Fenmand
getrü, das kluge Gretel. Zur Unterscheidung von andern
Personen gleichen Vornamens dient ein charakterisierendes
Beiwort, nicht etwa der volle Geschlechtsname. Überhaupt
sind ja Bezeichnungen, die vom Ausseren, der Beschäftigung,
dem Temperament der Personen hergeleitet sind, sehr be-
liebt (Drosselbart, Däumling, Rotkäppchen. Bruder Lustig,
Spielhansl, Meister Pfriem usw.). Dazu gelifiren aucii Be-
nennungen wie Rotfuchs, Quakfrosch, Pudelhund, Göckelhahn,
Rotkopf, Piephuhn oder scherzhaft umschreibende Namen:
Hautab, Halbaus, Ganzaus (2). Tannendreher, Felsen-
klipperer, Duckmäuser, Kratzbürste (166). Bemerkenswert
sind ironische Benennungen: der gescheite Hans (32), die
kluge Else (34).
Die der Technik der Volkspoesie eigentümliche Art,
Züge und Wendungen zu wiederholen, ist sehr oft
zu finden (vgl. namentlich No. 32 u. 34). Ähnliche Vor-
gänge werden mit denselben Worten erzählt, z. T. schon
aus dem Grunde, weil der einfache Mann oft nur über
einen Ausdruck verfügt. Auch haftet der Gedanke noch
an dem bereits Erzählten, die Worte klingen im inneren
Ohr nach. Die Wiederholungen erweisen deutlich, dass
die Geschichten nicht bloss für das Auge des Lesers ge-
schrieben sind, sondern für das Gehör den Rhytiimus und
den natürlichen Tonfall des gesprochenen Worts beobachten,
während die Verfasser der Vorlagen recht oft sich gar
— 117 —
nicht in dif Kolle eines wiikliclicii Märchenerzählers hinein-
versetzen und nur ein Lesestück liefern. Der kindliche
Sinn aljer verhin<^t, diiss ein wiederholter Vorji'ang ebenso
erzählt werde wie das erste Mal, wie er sich auch ent-
täuscht fühlt, wenn dasselbe Märchen, wiedererzählt, in
einzelnen Punkten abweicht. Es sei hier auf eine charakte-
ristische Stelle in Goethes Werther verwiesen, wo auf
diesen Punkt aurinerksani gemacht wird: „Die Kleinen
verf()li;teii mich um ein j\lärehcn, ich erzählte ihnen das
Hauptsti'u'kchen von der Prinzessin, die von Händen be-
dient wird, Irli lerne viel dabei, und ich bin erstaunt,
was es auf sie für Eindrücke macht. Weil ich manchmal
einen Incidenzpunkt erlinden muss, den ich beim zweiten
Mal vergesse, sagen sie gleich, das vorige Mal war es
anders gewiesen, so dass ich mich jetzt übe, sie unver-
änderlich in einem singenden Silbenfall an einem Schnürchen
weg zu rezitieren." Schon bei der Übersetzung der Alt-
dänischen Heldenlieder (Vorrede S. XVI) machte Wilhelm
Grimm auf diese stilistische Eigentümlichkeit aufmerksam,
und im Vorwort zu den Märchen heisst es: „Wieder-
holungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen sind wie
epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich
rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren und eigent-
lich in einem andern Sinne nicht zu verstehen'" (S. X).
Ebenso wie Prosasätze werden auch Reimworte wieder-
holt. Es sind „geilügelte Worte", die, einmal ausgesi)rochen,
leicht und bequem über die Lippen eilen und auch so auf-
genommen werden.
Schon die Wiederholung darf als Beleg für das be-
stimmte Symmetriegefühl des Märchens gelten, in dessen
Aufbau die primitivsten, darum aber auch wirksamsten
ästhetischen Gesetze zu finden sind. Besonders tritt das
Spiel mit Zahlen hervor. In der Volkspoesie sind diese
ül)erhaupt von gewissem symbolischem Wert. Heilig ist
die Drei-, Sieben- und Zwölfzahl, die vielleicht schon aus
religiösen Motiven festgehalten wurden. Aber auch rein
äusserlich macht sich die Vorliebe für zahlenmässige
UM —
( Jiii|»|(i('riiii;4' L'''lt<'iMl 1111(1 li;it auch auf dii- ('(unpositioii
(Irr Mürclicii Miiitliiss aiis^rciilit. Sehr liäiili^' trottMi drei
IN'CsoiH'ii im Mäi'clH'ii auf. tiiitci' (Iciim iiiiiiici- dit; dritte
den \'<»naiij^^ voi' di-ii amlci'ii :ii'\viiiiit: dt-r jüngste; Jiruder
ist (Irr kliijiste und uiiisiclitiL'"st('. di<; jüngste Scliwestci'
die lirhcnswiirdigstc und schönste Aller guten Dinge sind
drei: etwas Grosses wird zweinuil V(!rgeljens versucht,
das (li'itte M;d gelingt <!S. Drei Wünsche werden erlauhf:
Sclineewitclien wohnt iilx'i- den sieben Hergen hei den
sieben Zwergen; sieben Jahre soll die Königin gefangen
sitzen, nacb ihrer Befreiung lebt sie noch drei Tage (7G).
Im Märchen vom Dornrösclien können nur zwrdf Feen
eingeladen werden, die dreizehnte (l'nglückszahl) bringt
das Unheil. Wie wichtig das Prinzip, zahlenmässig zu
gliedern, für die Technik des ]\Iärchenstils ist. erkennt man
auch daraus, dass z. B. ausdrücklich der Akt des Zähiens
angegeben wird. z. B.: „am rechten Ufer, da stehen grosse
Ruten, die zähle, und die elfte schneide ab" (88), denn es ist
nötig, dass die rechte Zahl getroffen werde. Besonders
beliebt sind Gruppenaufzählungen (vgl. No. 80). Jede
neue Reihe hat ein Glied mehr als die vorige: der Er-
zähler begnügt sich aber nicht mit der einmaligen Erwähnung
des neuen Gliedes, sondern wiederholt, jedesmal von vorn
beginnend, das schon Genannte. Nur in der Verknüpfung
mit dem Vorhergehenden hat das Neue Bestand. Er-
zähler und Hörer werden nicht müde, selbst eine Reihe
von zwölf Ereignissen zahlenmässig an sich vorüberziehen
zu sehen. Ganz ähnliche Figuren finden sich in Abzähl-
versen, in Volks- und Kinderliedern ').
Auch die blosse Wiederholung eines Begriffs durch
eine einfache Cumulatio ist als Zeichen der Kindersprache
anzusehen: die üoppelsetzung des Positivs ist gleich dem
Superlativ („lange, lange Zeit", „grosse, grosse Nuss",
„sie hatten aber so gut, nein so gut geschmeckt''. ..sass
1) Vgl. Uhlaiul, Volkslieder No. 2. 4. Wuuderhoru (Reclani)
S. 827 ff.
— 110 —
da eine bildschöne Jungfrau, nein so schön, dass es nicht
zu sagen ist'" u. a.).
Die Verwendung ih-r K oscroinicn. in der iiearbeitung
häutiger als in den Vürlagen, vciiciht dein X'ortrag ein-
schmeichelnde Zieiiichkeit und Anmut; iiamenth'ch werilen
Lielilingslignren des Märchens gern mit Deminutiven be-
dacht. Manehmal ist diese Art der Bezeichnung durch-
gehends angewandt, z. B. in No. 30.
Dei- Anfang des Märchens ist, abgeselien von der
bekannten Kingangsformel: „Es wai- einmal" . . ., womit
z. B. auch Apulejus im 2. Jahrhundert n. Chr. sein Märchen
von Amor und Psyche einleitet, bisw^eilen verallgemeinert
uml nacii Art eines Sprichworts abgefasst oder bewegt
sich in formelhaften Ausdrücken wie: „Zur Zeit, da das
Wünschen noch geholfen hat", „als Gott noch selbst auf
Erden wandelte"; „et is wh)11 dusent und nieer Jahre her",
was zugleich das Folgende als Märchen charakterisiert.
Damit sind die Zeitangaben so ziendich erschöpft. Nui'
ob es Abend oder Morgen, ob es ein Winter- oder Sommer-
tag war. wird etwa noch verraten: .,Zur Winterszeit, als
einmal ein tiefer Schnee lag"; „da es gerade Frühlingszeit
war, und das Kind seine Freude an den bunten Blumen
hatte" (169); „et wöör an enen Sünndagmorgen tor Harvest-
tied, jüst as de Bookweeten bloihde" (187). Auch hiei'
herrscht der sinnige Zug, die nackte Zeitangabe durch ein
Bild aus der Natur zu umschreiben.
Besondere Bedeutung hat der Märchenschluss.
Gewöhnlich genügt wie in den Vorlagen ein schlichter
Abschluss der Erzählung ohne rhetorischen Schmuck. Nicht
selten aber wird eine formelhafte Wendung, die gereimt
sein kann, dem Märchen angehängt, wie: „Die Katze läuft
nach Haus, mein Märchen ist aus." Meist ist sie neckischer
Natur: indem der Vortragende über den gläubigen Kinder-
ernst lacht, deutet er zugleich die ünwahrscheinlichkeit
der Geschichte an. In sicherem Vertrauen aber auf ihre
Wirkung darf er den lustigen Abschluss wagen. Zweifelnde
Gemüter warnt der Erzähler launig: „Wer's nicht glaubt,
bozalilt cinon Thal<*r", und iiidit alle Kindo?- wonlon schon
so <,'o.scli('it sein wie das klr-inc Mädclicii, von (1«mii Wilhelm
(ii-itnin im An.schhiss an dinsen Schluss die bekannte
liilhsclic (Jeschicliff cf/ählt '). Oft si-hliosscn die Märehen
mit dci' IJdclr/cit ;ils dem (Jipfcl des ii'dischen (ilücks.
Dif'sc! wild l)is\vcilrii mit lifililiclicf Laune ges(diil(lert und
der Zuhörer j^cfragt: ..l>ist du auch auf der Hochzeit ge-
wesen?'' usw. (84). oder dcf lOrzählef wünselit. ..er war
auch dal)(!i j^ewesen'" (134), dcmn .,wer daltei L-'ewesen. der
ist nicht hungrig nach Haus gegangen" (11,43). Mit frohem
Ausblick in die Zukunft heisst es dann wohl: ..Nun leisten
sie vergnügt, und es ging ihnen wohl bis an ihr lOnde" (85),
oder frommer: ,.nuii lebten sie froh so lange es Gott gefier*;
„und ob sie noch leben, das steht bei Gott". Humoristisch
klingt: ,,L'nd wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute
noch". Nach der Anschauung des Märchens gehört nun
(Mnmal langes Leben undReichtum zum glücklichen, irdischen
Dasein. Selten fasst der Inhalt sich in einer (sprich-
wörtlich gehaltenen) Moral zusammen, z. B. : ,.Eile mit
Weile" (184), „so geht's aber den Hochmütigen" (97); „du
wirfst das Beil so weit, dass du's nicht wieder holen
kannst" (72).
Beliebter ist der persönliche Märchenschluss. in dem
der Erzähler sich unmittelbar an seine Zuhörer wendet.
Auch hierfür bietet unsere Samndung einige Beispiele.
Besonders bemerkenswert ist die Art. sich auf Gewährs-
männer (Grosseltern) zu berufen, denen man die Geschichte
verdankt i^z. B. No. 179). Auch der Anfang leitet ähnlich
ein, z. B.: ,.Disse Geschieht is lögenhaft to verteilen,
Jungens, aver wahr is se doch, denn mien Grotvader, von
den ick se hew, plegg ümmer to seggen" .... Ganz all-
gemein heisst es: ,,Un we dat lest verteilt het. den is de Mund
noch wärm" (113) oder: ..wer s wüsste, könnte viel davon
erzählen". Bisweilen gesteht der Vortragende am Schluss,
selbst nicht mehr zu wissen: „und ob sie noch da schweben,
<) Freundesbriefe S. lS9f.
— 121 —
das weiss ich nicht" (90), oder er gibt rückblickend ül)er
gewisse unanfgeklärte Punkte des Märchens Bescheid.
bYage des Kindes und Antwort des Erzälilers sind hübsch
beisammen in folgendem: ,, Führt er wohl noch? Was denn?
Es wird ihm niemand die Stange abgenommen haben.'" —
.,Wo ist aber die Ziege hingei^ommcn. die schuld war.
dass der Scliiit'ith'r seine drei Söhne fortjagte? — Das
will ich dir sagen'' . . . {'M]) — ., Warum hat aber der
Fuchs die armen l*iei)hühner zu fressen kriegt? — Ei, du
Narr, deinem Vater wird ja wohl sein Kind lieber sein
als die Hühner auf dem Hof"' (45).
Gewöhnlich duldet nur der Schluss ein direktes Hervor-
treten des Erzählers: im Verlauf des Märchens selbst wird
die objektive Darstellung festgehalten. Einzelne abweichende
Fälle sind nur als Ausnahmen zu betrachten, z. B.: „da
lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig; ach, du schöne
Königstochter, wie solFs mit dir noch werden". „Nun
weiss ich nicht, ob sie sich so dick gegessen oder ob sie
so ül)ermütig geworden waren'" (10), oder man stellt mit-
unter eine rhetorische Frage: „Das Mädchen kehrte den
Schnee weg, und was glaubt ihr wohl, was es gefunden
hat?" (13) „Aber was meineder, wer isch das gsi? D"
Tochter selber isch es gsi!"' Allgemein heisst es: „Es
kann sich jeder denken, wie ihm zu Mut war.'" Stimmung
zu erzeugen, wird der Geschichte selbst überlassen, das
persönliche Empfinden des Vortragenden schwebt unaus-
gesprochen über dem Ganzen.
Die Anschaulichkeit der Sprache wird vielfach
gehohen durch Kleinmalerei: die geringfügigsten und un-
scheinbarsten Züge sind den Brüdern oft die wichtigsten,
und auch das Unbedeutende bekommt durch die gefällige
Anmut, mit der sie es erzählen, einen anziehenden Reiz.
Der sprachliche Ausdruck ist zart bei der Darstellung
kindlicher Dinge, derb in der Schilderung gröberer Ver-
hältnisse. Er legt Wert auf Sachen, die dem Kinde am
meisten ins Auge fallen und seine Verwunderung erregen.
So gleichgültig das Märchen sonst gegen Ortstnigaben ist.
— 122 —
S(» ^'(Miaii ist (loch olt die licsclii'cihtiiij^ ^'(iwissLM' Sitiiatiuiicn :
Zaul)('rl)aiit('ii, l.aiidscliarit'ii, Sdiliisser, liäusliclie Hiii-
riclitiiiij^frii w(!t(lrii bis ins <'iii/('lii(' mit plastisclior Dcutlicli-
kt'it ^M'scliildcit. (It'iin das Kind hat ciiu; FF'«;U(h' am liiiiitni
und SchiiiimcnidiMi. Mit Voiliidx- vciwciidct man auch liildcr
aus dem Xatuihdx'n: (he Tier- iiiid l'lhiiizen weit wird gern,
iiiclit bloss in wirklichen 'riermärchcn, in den Anschauun^'s-
kreis hineingezogen, wodurch dieKrzählungen einen Irischen,
kräftig(^n Naturton und das (Jepräge des Echten und Un-
gekünst(dten erhalten. Aber in den Märchen liegt nicht
eine scnitiinentale Sehnsucht nach der Natur, diese ist für
den einfachen Mann des Volkes noch nicht etwas Fremdes,
sie ist noch der Urboden aller gesunden Verhältnisse. Der
grüne Wald, das blühende Feld, geheimnisvolle Brunnen
und (Quellen sind die Plätze, wo sich das Märchen gern
ansiedelt. Wenn die Fabel im allgemeinen nur dir Tiere
zu Trägern von Ideen macht, geht das Märchen schranken-
los noch tiefer in das Naturreich hinab, auch die un-
organische Welt naiven Sinnes zu beseelen und mit Vernunft
zu begaben. Denn das Kind glaubt, dass die Dinge,
die es umgeben, gewissermassen seines gleichen sind, die
begehren und handeln wie es selbst.
Das Wunderbare und Unwahrscheinliche ist im
Märchen das Natürliche. Wirkliches und Unmögliches
webt das Spiel der Phantasie launig durcheinander. Damit
steht in Verbindung, dass die Brüder zwar keine neuen
Wunder hinzugedichtet, aber durch poetische Belebung der
Sprache das Märchenhafte der Erzählung bedeutend erhöht
haben. Die tote Natur ist vielfach zum redenden und
handelnden Genossen des Menschen geworden; aber man
mied eine sinnlose Anhäufung von Wundern, wie sie sich
etwa in den Feenmärchen findet. Auch behandelten die
Brüder das Gespensterhafte und Grausige, das Wunder-
bare und Phantastische nicht parodistisch wie einige ihrer
Vorgänger, sondern mit der Andacht eines kindlichen
Gemüts. Anerkennend erwähnt Goethe das Grimmsche
Märchen vom „Gruseln lernen", das „einen Tod- und
— 123 —
Teufelsspuk als etwas ganz Gemeines behandele". Der
Ge<i:ensatz von .,Einbildunij^skraft und Derbheit, von un-
verNvüstlieiieni. j^psun(h'iu Sinn und gespenstischem Trug
könne nicht besser dargestellt werden" (Werke 33, 199).
Das ist ja überhaupt eine Eigenschaft des Volksmärchens,
dass es an seine Wunder glaubt, während das Kunst-
märchen die Allegorie nicht vciineideii kann iiiid auf geist-
reiche Verknü|)fuiig der Ereignisse angewiesen ist.
Das koniiselie Element in den Märchen ist ein
launiger, gutmütiger Humor, der sich mit den sonderbarsten
und dümmsten Personen aljzutinden weiss, ja gerade bei
der Behandlung dieser Leute und ihrer Albernheiten am
wirksamsten zur Geltung kommt. Und doch wird dadurch
niemals die Stimmung des Ganzen zerstört; es ist ein
Spott, der alle trifft und darum keinen, der in einem er-
träumten Lande mit allerlei wunderlichen Lebens-
verhältnissen spielt und deshalb von der Ironie eines
Musäus oder Tieck von Grund aus verschieden ist. Auch
bei der ironischen Behandlung mancher Märchentiguren,
z. B. des faulen Heinz, der klugen Else, des dummen
Hans, des tapferen Schneiders hat mau immer das Gefühl,
als sei die Erzählung ernst gemeint. Die Brüder verstehen es,
unser Interesse auch für wenig liebenswürdige Personen
i-ege zu halten. Man lacht ül)er die Einfalt, die es noch
nicht versteht, sich zu verstellen, oder ist gerührt durch
die Offenheit der naiven, treuherzigen Gesinnung, die alle
Ivünstlichkeit beschämt. Im allgemeinen hat die Bearbeitung
die \'orlagen nach dieser Seite hin unverändert gelassen;
nur einige Gestalten, wie der Schneider, der Jude im
Dorn sind mit mehr Humor gezeichnet.
Das Märchen ninmit, wie die Volkspoesie überhaupt,
gern starke Contraste auf: gut und böse, wunderschön
und hässlich wie die Nacht stehen unvermittelt einander
gegenüber; feinere Abstufungen werden nicht gemacht.
Das bestimmt Umrissene ist dem Märchen lieber als der
schillernde Charakter, zu dessen Darstellung auch eine
feinere Kunst gehört als der Märchenerzähler besitzt, der
— 1 lM —
sich mit cituT psycliolo^risclifri lic^^MiiiKlim;: iiiid \ tMlirliin^
.seiner ( "liaraktcn' iiiclit hclMsst. Audi würde auf Sfitcn
des lliiicrs dir l"]inplaii^liclikf'it daliir tVddeii. I)as iiii-
vei'l)il(l('lc (ier(;cliti;:keitsf((d'iild des Mäi'cheiis vcrldHt dem
Guten zum Siej^e über das Jjöse. Die l)i'i(l<*n inneren
Gegensätze, die so oft begef<n<ui, sind zugleieh (Jinndlageii
für äuss(!n! Untei-scldede, beide laufen parallel. Mit Seelen-
reinlieit vermählt sieh die tiliieklicbe körperliehc liesehaffeii-
heit, und unif^ekehrl kann man aus einer äusserlich häss-
licheii Märchcnligur schon auf eincMi schlechten (.'harakter
schliess(!n. Der Lohn der Tugend besteht in grüsstem
irdischem (ilück, die Strafe des Bösen in schrecklichst<'r
(^ual.
Wie im V'olksliede sind die syntaktischen \'er-
hältnisse der Sätze höchst (M'nfach. Coordinatioii wii-d der
Subordination vorgezogen; ein Gedanke reiht sich schlicht
an den andern. Feinere Beziehungen durch Partikeln und
Conjunktionen anzudeuten wird ebensowenig versucht wie ein
kunstvoller Periodenbau. Es ist natürliche Prosa des Mundes.
Das altertümliche Deutsch mit der einfachen Struktur der
Sätze kam in seiner Schlichtheit der modernen Märchen-
sprache sehr nahe; schon desw^egen, abgesehen von Grimms
Vorliebe für archaische Ausdrucksweise, wurden die Vor-
lagen fast unverändert übernommen. Sie bewahrten dem
Märchen den ..angeerbten, wenn auch nach und nach
modificierten Charakter zugleich mit dem einfachen, den
ältesten Zeiten gemässen Vortrag'', wie ihn Goethe für das
Volkslied verlangte '). Auch dialektische Ausdrücke wurden
Kunstmittel. Ausser den Märchen, die durchgehends in
einer bestimmten Mundart abgefasst sind, um ihnen den
frischen Erdgeruch zu wahren, begegnen Idiotismen aller-
dinos nur selten, z. B.: Haulemännerchen. Frau Gothel
Ellermutter u. a., denn ein Sprachgemenge wurde nicht
geduldet. Auch hielten die ersten beiden Auflagen noch
vielfach die apokopierten und elidierten Wortformen fest,
1) In dem Aufsatz: Über Vulkspoesie.
— 125 —
die teils diMn iniiiKlIJchrii X'ortra}^- entsprachen, teils aus
ältcfcii \'()ilai:('ii ühoriioiniiicü wurden. Erst mit d(!r dritten
Auria<;e nuu'lit sich ein Streljen henierkhar. die Kornien
dem schriftfi'emässen Deutsch aii/iiiilimdu. Tiefere Ein-
fi'ril't'e zeiiit die Hearheitunj;' neueren Vorlagen gegenüber;
lange rerioden wurden aufgelöst, Nebensätze in Hauptsätze
verwandelt. Nicht selten wird die einleitende Partikel im
Satze fortgelassen und eine wirksame Inversion eingeführt,
z. B.: „fragte die weise Frau" — „sprach der Bauer" usw.,
eine Eigenart des archaisierenden Stils, welche die eindring-
liche Kraft der Rede steigert wie in Luthers Bibel. Die
Darstellung wird hierdurch dramatischer. Frage und Ant-
wort schliessen sich eng an einander, und der Zwischensatz
ohne einleitende Partikel ist gleichsam wie eine Parenthese
anzusehen, die flüchtig den Strom der Worte unterbricht.
In einem Brief der Haxthausenschen Correspondenz hat
W. Grimm sich durchweg dieser Form bedient'). Im Stil
des Volksliedes entspricht ihr die Erscheinung, dass das
Hauptwort am Anfang der Zeile häutig ohne Artikel steht
(vgl. Heidcnröslein: „Knabe sprach: Ich breche dich" . . .),
wodurch es „weitmehr poetische Substantialität und Per-
scJnlichkeit" erhält, wie Herder betont 2).
Vielfach ist der Monolog mit Personenwechsel an-
ge\vandt, eine anschauliche, echt volksmässige Ausdrucks-
weise. Da „denken'' sprechen mit sich selber ist, so kann
der Denkende sowohl erste wie zweite Person sein. Die
Vertauschung der Glieder erhöht die Beweglichkeit und
eindrucksvolle Kraft des Vortrags. Es ist gegenständlicher
und gemütlicher, sich selbst mit „du" anzureden. Jakob
Grimm charakterisiert den Unterschied in seiner Ab-
handlung über den Personenwechsel in der Sprache'^) mit
(\{in Worten: „Mit dem .Ich" redet der Verstand, mit dem
• Du" reden Herz und Empfindung".
i) Iu-eundesT)i-iefe S. 8 f.
2) Suphan V, 194.
3) Kl. Schriften III, 299.
— 126 —
hiircli iiiassvftllr und ;:('sc|iicktf AiiwftKliiri^j der
stilisti.sclicii l"'cinli<'itrti Imlicii du- Hriidfr (Iriiiiiii — das
H:ui|)tvcrdicii.sl pdiört Willifliii den \'(»rla;ff'n neu«' und
rciclic Sc|i<iidi('ilfii voilichcii. Ihr \'<'i lalircn ;iliii<dt doin
des Kiirist(liclit<'is, (Icv das dunkln Kiildou und die halb
unhcwussÜMi, iiistiiiktivon Andoutuii^rcri der Volksdichtung
benutzt und ihnen den vollen und reinen Ausdruck gibt.
Sic wiederholten nicht etwa walillos typische Wendungen
und flickten sie künstlich dein iMärchen an: ihre Sicherheit
l)ewahrte sie auch vor Übertreibung. Sie stellten jedes
Märchen in sein(T P^igenart als Fertiges vor und fugten
aus dor Stininiuiig des Ganzen |)assen(h' Zusätze bei. es
dadurch erst zu einem Kunstwei'k umgestaltend. Die Kluft
zwischen Kunst- und Naturprodukt wurde ül)erl)riiekt. oder
vieluK^ir erst die Kunst der J'rüdei' verlieh den .Märchen
durch die einfachsten Mittel den frischen Üuft und die
sinnliche Kraft und Schönheit, woran der Wildling zu
erkennen ist. Ihre Methode lässt sich bereits aus der
Betrachtung des kleineren Teils der Sammlung im Umriss
bestimmen. Eine erschöpfende Darstellung hat aber mit
Notwendigkeit die mündlicher Überlieferung nacherzählten
Älärchen zu berücksichtigen; auch würden dadurch erst
Eiuzelbeobachtungen, die uns jetzt unscheinbar dünken, in
das rechte Licht treten. Wir müssen auf neue Schätze
des „Grimmschrankes" warten.
Beilagen.
Vorlage.
I Hans Sachs, Sfliwänkf I. 17"J.
hi'f (lewffel hat dio ß-ais or-
sc'h äffen, hat in dewl'fel äugen
e i n g e s e c z t.
l)i)ctor Dolpianus der hat
I'^iii jmech j)e.srhvieben, darin slat:
Nach dem dei' Her all creatür
Auf erd peschueff gar rein und |>iir
Die wolff er im erwelen künd
Und het sie pey im für jagliiind,
Das er sicher in den refleren
Wer vor den andren wilden tliieren.
Nun sagen vns die gierten ])faffen
"Wie das er het kain gais erschaffen.
Da richtet sich der dewffel on
Vnd wolt auch sein ein schöpfer fron
Und macht vil gais in seinengrenczen,
Zirt sie all mit langen füchsschwenc-
Und wen sie gingen an der waid [zen,
DelteTis dem dewffel vil zv laid,
Wo sie in doren hecken gingen
Mit den schwenczen sie drin pehingen.
Den schlofl" er nein und macht sie los.
Die müe den dewlTel hart vertros,
Det in allen die schwencz abeissen,
\Yie noch diestüempffdergaisi)ewey-
Schlueg sie allein hin auf die waid. [sen,
Der herr kam hindurch ein wegschaid,
Sach, wie dio gais in weitem raüni
Penagten die fruchtbaren paiim.
Und sach darzw, wie die gaispück
Verderbten die edlen weinstöck,
Grimm.
Des Herrn und des Teufels
Getier. (11,02.)
Gott der Herr hatte alle Tiere er-
schaffen und sich die Wölfe zu seinen
Hunden auserwählet; blos den Geis
hatte er verges.sen.
Da richtete sich der Teufel an, wollte
auch schaffen, und machte die Geise
mit feinen, langen Schwänzen. Wenn
sie nun zur Weide gingen, blieben
sie gewöhnlich mit ihren Schwänzen
in den Dornhocken hängen, da mussto
der Teufel hineingehen imd sie mit
vieler Mühe lo.sknüpfen; verdro.ss
ihn zuletzt, war her und biss jeder
Geis den Schwanz ab, wie noch heut'
des Tags an den Stümpfen zu sehen
ist.
Nun liess er sie zwar allein weiden,
aber es geschah, dass Gott der Herr
zusali, wie sie bald einen fruchtbaren
Baum benagten, bald die edlen Reben
schädiglen, bald andere zarte Pflanzen
verderbten. Dess jammerte ihn, so
— 12S —
I)('ttcii firri pllanzcii {rff'-'^fn s<'lia(li-ii.
h.-is jaiiiiM'l in :ui.s ^nittl \ iid ;,''iiutii.-n
Vricl lictsclul seine woIlT an sie,
Die solbiji'en zorios.son dio.
So |)al<l der dnwITol das veiiiom
Wie haid er /v dcMii licrreii kom
l'iid s|ira<di : Herr, das ^^'-escliüplte dein
I )as hal zvrissen mir das nitMiiI"
Der lierr spradi: Drin ^--ais niiicst ich
stralfen,
\\'(mI diis/v seliaden iiasi orsehcalTen."
Der düwIToI s|)raeh:(;loioii \vi(' idi |)in
lOiii si-liöpder boshaft i<ror sin,
So pesciiuetr ich auch eieatüi'
Mir^-ieich, die ieh durch dich verliir.
|)\v innst sie niii' wol zalen dewer."
1 )(•!• Iierr spracIi:.Ja,ich zaldirshewer.
So pald das aichon laiib abfeit,
So küinbl das gelt ist schon gezelt."
l)rr (JL'wn'el fuer daliin sein stras.
Ais das aichlaub abfallen was, fpel.
Der (lowtTel fordert sein scliueld dop-
Der herr sprach: Zv Constantinoppol
In Kriechen stet ain aichen hoch
Die selb ir laiib hat alles noch."
Der dewffel fuer dahin mit Uuechen
Sechs raonat die aichen zu suechen,
Vnd erst im Mayen wider kom.
Da er die aichen all vernoni
Wider gruen vnd vol pleter worn.
Aluest der schneid ghraten, vnd vor
Da stach er all dengaysen sein [zorn
Dio aügen aus und seczt in ein
Sein dewffels äugen. Drum an laugen
Haben all gais noch dowffels äugen
Vnd darzw auch abissen sehwencz.
Der dewffel auch durch sein gespencz
Sich oft in schwarze gais verwandelt
Wen er mit der zaubrerin liandelt.
Auch holen sie oft auf eim pock
lOin man hin über slain und stock
Auf die puelschaft. Vil vngemachs
Rieht er dardurch an, si)richl Hans
Sachs.
da>s er aus (Jiile und (inaflen seine
Wölfe diari hetzte, die denn die
(Jeisc!, HO da gingen, bald zerrissen.
Wie der Teufel das vernalini, trat
er l)aUl vor den Herrn und sjirach:
„Dein Ge.schöpf hat mir das nie-ine
zerrissen." Der Herr antwortete;
„Was halt(!st du es zu Schaden er-
schaffen :■"'
Der TcMifel sagte: „l<h mussle da>;
gleichwie selbst mein Sinn auf Scha-
den gehl, konnte, was ich erschalTen,
keine ariden; Xatur haben, und niusst
mirs leuer zahlen." ..Ich zahl dii's.
sobald das lOichenlaub abfällt, dann
komm, dein (Jeld ist schon gezählt."
Als das Eichenlaub abgefallen war,
kam der Teufel und forderte seine
Schuld. Der Herr aber si)raeh: „In
der Kirclie zu Constantinopel steht
eine hohe Eiche, die hat noch alles
ihr Laub." Mit Toben und Fluchen
entwich der Teufel und wollte die
Eiche suchen, irrte sechs Monate in
der Wüstenei, eh' er sie befand, und
als er wiederkam, waren derweil
wieder alle andere Eichen voll
grüner Blätter. Da mu.sste er seine
Schuld fahren lassen, stach im Zorn
allen übrigen Geisen die Augen aus
und setzte ihnen seine eigenen ein.
Darum haben alle Geise Teufelsaugen
und abgebissne Schwänz, und er
nimmt gern ihre Gestalt an.
129 —
Kirchliof, Wenduiimuth 11,124.
Von tlt'ss todls botlen.
Man sagt, ilass aulf ein zeit ein
o-rosser, starker ries den lod hab im
kämpft" bestanden, darnider goschla-
pen, «jantz onniiielitis" '"id kraPftlos
lijJI'en lassen, welelu'n, als ihn lin
jünfrliiig, der dasei list fürpenu:, sähe,
hat er auss erbarninuss in trelabt,
also dass er seine vorige sterck nnd
gesundheit widerunib bekäme. Der-
halben zn einer widergeltung diser
gutthat, verspraeh der tod dem
Jüngling, sintemal es vt)n gott und
der natur also vorsehen, dass alle
menschen sterben müssten, nnd er
seiner derwegen nicht verschonen
köndte, wollte er ihm docli sein end
zeitlich gnug zuvor durch bottschat'l
verkündigen las.sen. Solcher zusag
halber ward das geniüt dess Jüng-
lings in sielierheil stoltz erhaben,
t'rass, sott' und scldemmet ein und
alle tag, dass in jetzt diser, denn
jener gebrechen plagte. Bald do er
nach vielen siechtagen wider in
freuden lebte, kam der lod, sagende,
wie die stund seines absclieids von
diser erden nun vorhanden. Jener
war solcher Sachen nicht zufrieden,
den tod dess betrugs, hinderlist und
unwahrhaftiges verspi-echens he-
schtüdigende, sintemal er keinen an-
zeiger von ilun v(MTioninien. Ih»,
schweig still ! aniWDi'tel di-r tod. sein
das nicht hotten genug? Vor etlichen
jaren i)lagte dich ein hartes lieber,
bald darnach ein schwereres, letzt
hastu am kopIT mit schwindeln, an
der brüst mit hiisten und keichen,
im magen nnd gederm grossen
schmertzen erlitten, deine kreffte an
armen und beiiien haben abgenom-
men, die haut ist dürr und runtzelichl
Palaestra XI. VII.
Die Boten des Todes (177 j.
Vor alten Zeiten wanderte einmal
ein Riese auf der grossen Landstrasse,
da s|)rang ihm plötzlich ein un-
bekannter Mann entgegen nnd i'ief:
„Halt! keinen Schritt weiter!'' ,.Was'',
sprach der Kiese, „du Wiclit, den
ich zwischen den Fingern zeidrücken
kann, <lii willst mir den Weg ver-
treten? Wer bist du. dass du so
keck reden darfst?" „Ich bin i\vv
Tod", erwiderte der andere, „mir
widersteht niemand, utid auch du
musst meinen Befehlen gehorchen,"
Der Riese aber weigerte sich und
fing an mit dem Tode zu ringen.
Es war ein langei'. heftiger Kamjjf,
zuletzt aber behielt der Riese die
Überliand und schlug den Tod mit
seiner Faust nieder, dass er neben
einem Stein zusammensank. Der
Riese ging seiner Wege, und der
Tod lag da besiegt und war so kraft-
los, dass er sich nicht wieder er-
heben konnte. „AVas soll daraus
werden", sprach er, „wenn ich da
in der Ecke liegen bleibe? es stirbt
niemand mehr auf Frden, und sie
wird so mit Menschen angefüllt
werden, tlass sie nicht mehr Platz
haben, neben einander zu stehen."
Indem kam ein junger Mensch des
Wegs, frisch und gesund, sang ein
Lied und warf seine Augen hin und
her. Als er den Halbohnmächtigen
erblickte, ging er mitleidig heran,
riclitete ihn auf, fliisste ihm aus
seiner Flasche einen stärkenden
Trank ein und wartete, bis er wie<ler
zu Kräften kam, „Weisst du auch",
sagte der Fremde, indem er sich
aufrichtete, „wer ich bin, und wem
du wieder auf die Beine geholfen
9
worden, rhcr das allos soll« diih
eriiiiDTl li.'iht'ii ini'iii l<<il)liclifr liiii-
dc.r", d(M' scldalT, in wcldics liandoii
du ctliclM' /.i'il niilit ainlrisl als f,'e-
stoi hm liast ;.n'lc;,'-cii. l)erlialbeti
s(Mii (loiiio eiilscliuldi^'iiii^r niclitif,'
und wil ich dich mit mir iicmmeii.
Diso fabol ^'ibt zu vorstehen,
J)ass uns der tod konipl unversehcn,
Daruml) ein chrisl siili daraiilTschicIv,
Als Sülls p'sclichn all aii;:eiihlicl<.
laii<^o wt'nijrstcns siclici
dii
130 —
liast?" „Nein", antwortete der Jüng-
lint^ „ich kc'iine dir-li nicht.** „Ich
hin der Tod", sprach or, „ich ver-
sclionc niemand und knr)n auch mit
dir keine Ausnahme maclien. Damit
du aher siehst, dass ich dankhar
bin, so v(>rsj)reche ich dir. dass ich
dich nicht unversehens überfallen,
sondern dir erst meine Holen senden
will, bevor ieh komme und dich ab-
hole." „Wohlan", si)rach der .Jünp-
liiifj, „immer ein tJewinn, (la.ss icli
weiss, wann du kommst, un«I so
Dann zoj? er weiter, war lustig und
guter Dingo und lebte in den Tag- hinein. .Allein Jugend uiul (Je.sundheil
hiellon nicht lange aus, bald kamen Krankheiten und Scbmerzen, die ihn
bei Tag plagten und ihm nachts dio Ruhe wegnahmen. „Sterben werde
ich nicht", sprach er zu sich selbst, „denn der Tod .sendet er.st .seine Boten,
ich wollte nur, die bö.sen Tage der Krankheit wären er.st vorüber." SobabI
er sich gesund fühlte, fing er wieder an. in Freuden zu leben. Da kloj>fte
ihm eines Tages jemand auf die Schulter: er blickte sich um, und der
Tod stand hinter ihm und sprach: „Folge mir. die Stunde deines Abschieds
von der Welt ist gekommen." „Wie", antwortete der Mensch, „willst du
dein Wort brechen? hast du mir nicht versprochen, dass du mir, bevor
du selbst kämest, deine Boten senden wolltest? ich habe keinen gesehen."
„Schweig", erwiderte der Tod, „habe ich dir nicht einen Boten über
den andern geschickt? kam nicht das Fieber, stiess dich an, rüttelte dich
und warf dich nieder? hat der Schwindel dir nicht den Kopf betäubt?
zwickte dich nicht die Gicht in allen Gliedern? brauste dir's nicht in den
Ohren? nagte nicht der Zahnschmerz in deinen Backen? ward dir's nicht
dunkel vor den Augen? Über das alles, hat nicht mein leiblicher Bruder, der
Schlaf, dich jeden Abend an mich erinnert? lagst du nicht in der Nacht.
als wärst du schon gestorben?" Der Mensch wusste nichts zu erwidern,
ergab sich in sein Geschick und ging mit dem Tode fort.
Die Geschichte vom Einäuglein,
Zweiäuglein und Dreiäuglein.')
Eine Edelfrau hatte drei Töchter,
die hiessen: Einäuglein, Zweiäuglein
und Dreiäuglein: denn die .Uteste
1) Büschings Wöchentl. Nachricht.
1816, S. 17 ff.
p] i n ä u g 1 e i n . Z w e i ä u g 1 c i n und
D roiä uglei n.
Es war eine Frau, die hatte drei
Töchter, davon hiess die älteste Ein-
äuglein. weil sie nur ein einziges
Auge mitten auf der Stirne hatte,
und die mittelste Zweiäuglein, weil
sie zwei Augen hatte wie andere
— 131 —
hatte (hei Aii|;i'n. die Andere zwei
Augen unil die Jüngste nur ein
Auore. Pas eine bei der Jiingston
und das dritte bei der Ältesten stand
aber mitten auf der Stirne.
D.iiuni nun, dass dir Milli'lslr
nur /.wci Augen hatte und nicht um
ein llaai' anders gestaltet war, als
andere Menschen, ward sie gebasst
VOM Mutter und Schwestern und
sowohl in Kleidunj:', als p'ssen und
Trinken zuriiekgesetzt. also, dass sie
sehr oft traurig niul trauei'ud herum-
ging, nnd die Einsamkeit ihre einzige
Freundin war.
So sass sie auch einst verlassen
auf deni Feldraine und iiütete die
Ziege, die ihr von der Mutter an-
vertraut war, konnte aber nicht auf-
hören zu weinen, weil sie bei der
Mahlzeit abermals fast leer ausge-
gangen war. Siehe, da tial eine Fee
zu ihr und fragte sie liebreich, was
sie so weine?
Drob war Zweiäuglein froli, dass
sieh doch Jemand ihrer annehme in
ihrer Not nnd Trübsal, und sie er-
zählte der Fee nun, wie sie zu Hause
nur täglicb geplagt werde von iiirer
Mutter und von den beiden Schwes-
tern und hei Tische mehr vom Zu-
sehen sali wei'den müsse, denn vom
Zulangen.
Da gab ihr die Fee einen guten
Rat, wie sie durch Hülfe ihrer Ziege
Speise und Trank gewinnen könne,
so wie sie nur wünsche: denn so
oft sie zu ihrei' Ziege sag(>n wei'de:
Zicklein meck!
Tischlein deck!
werde das sauber gedeckteste und
mit den schmackhaftesten Si)eisen
und Getränken aufs beste versehene
Tischlein vor ilir und zu ihrem
Menschen, unrl die jüngste Drei-
äuglein, weil sie drei Augen hatte,
und das diitte stand bei ihr gleich-
falls mitten auf der Stirne. Daium
aber, dass Zweiäuglein nicht ainiers
aussah als andere Menschenkinder,
kouuti'ii (!s die Schwestern und die
.Mutter nicht h^iihMi und sie siirachen
zu ihm: „Du mit deinen zwei Augen
bist nicht hesser als das gemeine
Volk, du gehörst nicht zu uns" und
stiessen o.s herum und wartVai ihm
schlechte, alte Kleider hin und gaben
ilun nicht nndir zu essen als was
sie übrig Hessen, und taten ihm
Herzeleid an, wo sie nur konnten.
Fs trug sich zu, dass Zweiäugloin
ins Feld gehen und die Ziege hüten
musste und noch ganz hungrig war,
weil ihm seine Schwestern so wenig
zu essen gegeben hatten. Da setzte
es sich auf einen Hain uiul ting an
zu weinen und so zu weinen, dass
zwei Hächlein aus seinen Augen
herabflossen. Und wie es einmal
aufsah, stand eine Frau neben ihm,
die fragte: „Zweiäuglein, was weinst
du?" Zweiäuglein antwortete: „Soll
icli nicl'.t weinen? weil ich zwei
.\ugen habe wie andre Menschen,
Sil können mich meine Schwestern
und meine Mutter nicht leiden,
stossen mich herum, werfen mir
alte, schlechte Kleider hin und geben
mir nur zu essen, was sie übrig
lassen. Heute haben sie mir fast
garnichts gegeben, dass ich noch
ganz hungrig bin." Sprach die weise
Frau: „Zweiäuglein, ti'ockne dir dein
Angesicht, ich will dir etwas sagen,
dass du nicht melir hungtu'n sollst.
Sj)rich nizr zu deiner Ziege
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck",
9*
132 —
Diftisti' slflirti lliilli- sirinin ilinini
Hiiii^''()r »liiii' ( inii>/<' ;rolli.iii iitiil wollr
(l(!S 'l'isclilciiis wii'dor i'iitilliri^'-fl
sein, S(i (liii'IV. sie, mir sn^'»'!!'.
Zicklein iiici-k!
Tisciilüiii \v(!p-!
und alles würde vor ihren Aii<r<Mi
wieder vorsrliwiiiidcii sein.
I'"iir snlclicii ;rntcn l?;illi dankte,
Zwoiänirloiii der Fee aufs hesd-, ilie
aber versehwand wieder vov ihren
Augen.
Alsbald nun \ eisuchlt! Zwi-iäiiirlein
ilio Wahrheit Jener Verheissung und
siehe da, kaum halte sie zu ihrer
Zicg'e die Worte gesagt:
Zicklein meck!
Tischlein deck!
so stand das sauber gedeckteste
Tischlein zu ihren Füssen und duftete
ihr mit den einladendsten Speisen
und Getränken gar lieblich und ge-
-würzig entgegen. Zweiäuglein aber
harrete nun weiter auf kein Nötigen,
sondern langete frisch und wuhl-
gemuth zu, was ihr eben beliebte,
imd war lustig und guter Dinge.
Als sie aber ihrer Esslust ein Gnüge
gethan, sprach sie die ihr gelehrten
Worte:
Zicklein meck!
Tischlein weg!
^ und alsbald war das Tischlcin samt
alle dem, was noch daraufwar, luid
wovon noch gar wohl ein recht
Hungriger sich hätte sättigen können,
wieder verschwunden.
Dess war nun Zweiäuglein nicht
wenig froh, dass ihr nun ein Mittel
an die Hand gegeben war, wie sie
trotz der neidischen Missgunst, mit
der sowohl Mutter als Schwestern
ihr begegneten, sich täglich Speise
und Trank hinlänglich verschaffen
-'O wild «'in -.au hl' r gedecktes Ti.sch-
lein vor dir stehen, un<l das schönste
l'^ssiMi daiauf. dass du essen kannst
-o vi(d du Lii-t hast, fiid wenn tiu
sali l»i>l und das Tischlein nicht
mehr hraiichst, so sprich nur
„Zicklein, meck,
Tischlein, wog",
so wird's vor deinen Augen wieder
verschwinden." Darauf ging die woi.se
I''rau loit. Zweiäuglein aber daclile,
„ich muss gleich einmal versucluMi.
tjb es wahr isl, was sie gesagt hat,
ilenn mich hungt-rt gai- zu sehr",
uiul s]iiach
„Zicklein, meck,
Tischlcin, deck",
und kaum hatte es die Worte aus-
gesprochen, so stand da ein TLsch-
lein mit einem wei.ssen Tiichlein ge-
dei kt, darauf ein Teller mit Messer
uiul CJabel und Lö/Tel, die schönsten
Speisen standen rund herum und
waren noch warm, als wären sie
eben aus der Küche gekommen. Da
sagte Zweiäuglein das kürzeste Ge-
bet her, das es wusste, „Herr Gott,
sei unser Gast zu aller Zeit, Amen",
und langte zu und liess sich"s wohl-
schmecken. Und als es satt war,
sprach es, wie die weise Frau es
geheissen hatte,
„Zicklein, meck,
Tischlein, weg".
Alsbald war das Tischchen und alles
darauf wieder verschwunden. „Das
ist ein schöner Haushalt", dachte
Zweiäuglein und war ganz vergnügt
und guter Dinge.
Abends trieb es *;eine Ziege heim
und rührte das irdene Schüsselchen
mit Essen, das ihm die Schwestern
hingestellt hatten, gar nicht an, und
am andern Tag zog es wieder mit
— 133
lind nuniiR'hr oliin' Smui'H daruiH
l('l)Pli köiini'. Sil- iiKichtf sich (lahfi-
mit iliM- spärlii'luMi und ^oiiii;^-!'!!
Kust, (lif iiKiii il:r 7.U Haust? nach
o-ewöludic-licr Art /.uiconinien Hess,
wenig' zu schalTcii und Hess sen)i.ü'»>
nicht sehen gtiu/. und gar stehen,
wnrüher die. Ihrigen, die tloch nieht
wxissteii, von was sie sich sonst er-
nähre, sicii nichl wenig verwun-
dertiMi. dar haid aher kamen diese
auf die N'ernuUliuiig, liass Zwei-
äughMn, die doch snnsl aucji (Ho
schhn-hte Kost luchl verschmäht
halte, ein Mittel ausflu(Hg gemacht
haben müsse, wodurcii sie sich, wenn
sie vom Hause entfernt und mit der
Ziege auf der Wei(h' sei, iiireii l'nter-
lialt erwerbe.
l'm nun Inerbei hinter die Wahr-
lieit zu kommen, musst(> das näcliste
Mal, als Zweiäuglein wiedei" nüt der
Ziege auf die Weide ging, F]inäuglein
mitgehen, um dem Mittel, dessen
sich Zweiäuglein zu ihrer Sättigung
bediene, auf die Spur zu kommen.
Zweiäuglein aber merkte gar ])ahl,
was num gegen sie im Schilde führe,
iiiu! nahm sich vor, ihre Nachsteller,
der angewandten Vorsicht unge-
achtet, zu täuschen. Sie wusste es
durch allerhand Liebkosungen so
weit zu bringen, dass Einäughdn
sich auf den Feldrain in das weiche
Gras zu ihr setzte; nun aber suchte
sie sie einzuschläfern, indem sie ihr
allerlei langweilige Märlein erzäldte
und ilir, da .sie nun bald einschlafen
wollte, immer vorsang:
l'^inäuglein wachst Du?
p]inäiiglein schläfst Du?
Und hiermit gelang es ihr, Einäug-
lein in einen festen Schlummer zn
singen, was sie von Herzen freuete,
seiner Ziege hinaus und lie.ss auch
die paar Brocken, die ihm gereicht
wuiden, liegen. Das er.ste Mal und
das zweite Mal achteten es die
Schwestern nicht, wie es aber jedes-
mal geschah, merkten sie auf und
sprachen, „es ist niclit richtig mit
dem Zweiäuglein, das lässt jedesmal
das Essen stehen, und hat doch sonst
alles aufgezelirt, was ihm gereicht
wurde: das muss andere Wege ge-
funden hahen." Dauul sie aber
hinter die Wahrheit kämen, sollte
ICinäuglein mitgolicn, wenn Zwei-
ängleiu die Ziege auf die Weide
trieb, und sollte Aclit haben, was es
da vorhätte, und ob ihm jemand etwa
ivss(Mi und Trinken brächte.
Als nun Zweiäuglein die Ziege
wieder hinaustrieb, trat Einäuglein
zu ihm und sprach: „ich will nüt
ins Feld und sehen, dass die Ziege
auch recht geliütet und ins Futter
getrieben wird." Aber Zweiäuglein
merkte, was P]inäuglein im Sinne
liatte, und tiieb die Ziege hinaus in
liohes Gras und sprach: „komm Ein-
äuglein, wir wollen uns hinsetzen,
ich will dir was vorsingen." Ein-
äuglein setzte sich hin und war von
dem ungewohnten Weg und von der
Sonnenhitze müd, und Zweiäuglein
sang immer
„Einäuglein, wachst du?
Einäuglein, schläfst du?"
Da tat Einäuglein das eine Auge zu
und schlief ein. Und als Zweiäug-
sah, dass Einäuglein fest schlief und
nichts verraten konnte, sprach es
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck",
und .setzte sich an sein Tischlein
und ass und trank bis es satt war,
dann rief es wieder
— i:i4 —
(li-nii uM/r'-srlii'UcI spiacli sie iiiiii
(las ffoldfMU! Spriichloiii:
Zickl(Mn inock!
Tisi-hloin deck!
ass und trank und war ffiitfi I tiii^-i-:
und als sio (U'ssnn K''""«" l'iiUc,
spi'acli sie wiodci':
Zicklein ni<'ck!
Tisch lein wej! I
und Tist-liloin und Speisen war in
alsbald wieder verschwunden, also
dass KinUufjleiii, die unterdessen
ruhi^? f()it<ieschlafen, nicht das <re-
rinfjfste davon innen worden \vai-.
Nun mein- aber, da es Essenszeit und
Zeil /nni Nachhausegehen war,
weckte Zweiäuglein ihre Schwester
lOinäuylein und ermahnte sie zur
Heimkehr.
üb nun wohl aueii heule die
Mahlzeit von Zweiäuglein fast mit
dem Kücken angesehen wurde, so
wusste Einäuglein dennoch der
Mutter den Grund davon keines-
wegs anzugeben.
Nachdem nun die Mutter solcher-
gestalt immer noch nicht dahinter
gekommen war, wie wohl Zwei-
äuglein auf andei'e Weise sich zu
(>rnähren wissen möge, so gab sie
Zweiäuglein am andern Tage ihn'
älteste Schwester Dreiäuglein mit
auf die Weide, vermeinend, da.ss
diese, was Einäuglein mit ihrem
einen Auge nicht zu gewahren im
Stande gewesen sein möchte, mit
ihren drei Augen doch wohl in
Obacht nehmen würde. Aber auch
diese suchte Zweiäuglein auf die
nämliche Art, wie sie bereits gestern
bei Kinäugleingethan, einzuschläfern.
Allein da sie anstatt
Dreiäuglein wachst Du?
Dreiäutflein schläfst Du?
„Zicklein, ineck,
Tischleiii, weg**
und es verschwatii! alles und Zwei-
iiuglein w<-ckt<- nun «las Kinüuglein
und s|)rach: „lOi, lOinäuglein, du
willst liiilen und .schläfst dabei ein,
derweil hätte die Ziege in alle Well
laufen könnoii: komm, wir wollen
nach Maus gehen." Da gingen sie
nach Haus und Zweiäuglein liess
wieilei- sein Schii.s.seloh<*n unange-
rührt stehen und Hinäuglein konnte
der Mutter ni<ht sagen, warum es
nicht essen wollte und sprach „icli
war drau.ssen eingeschlafen".
.Am andern Tag sjirach die Midier
zu Dreiäuglein, diesmal .sollst du
mitgehen und acht haben, ob Zwei-
äuglein draussen i.'^st, und ob ihm
jemand Pls.sen und Trinken bringt,
denn essen und trinken nuiss es
doch. Da trat Dreiäuglein zu Zwei-
äuglein und sprach: „ich will mit-
gehen und sehen, ob auch die Ziege
recht gehütet und ins Futter ge-
trieben wird." Aber Zweiäuglein
merkte, was Di'eiäuglein im Sinne
hatte und trieb die Ziege hinaus ins
hohe Gras und sprach, „wir wollen
uns dahin setzen, Dreiäuglein, ich
will dir was vorsingen.'- Dreiäug-
lein setzte sich und war müde von
dem Weg und der Sonnenhitze, und
Zweiäuglein hub wieder das vorige
Liedlein an und sang
„Dreiäuglein, wachst du?"
Aber statt dass es nun singen musste
„Dreiäuglein, sclüäfst du?"
sang es aus Unbedachtsamkeit
„Zweiäuglein, schläfst du?"
und sang immer
„Dreiäuglein, wachst du?
Zweiäuglein, schläfst du?"
Da fielen dem Dreiäuglein seine
135 —
ihr vin/.iisin>i'en, ans Unhedaclil-
sauikeit
Dicüiufrlein wachst Ihi?
Z\veiänf;leiii srliläfst Du?
san<4': so war das diiUe Aiifi-e Droi-
;iug:lt'iiis, (iliiie dass Zweiäiiglein es
l)i'nif'rklo, immerfort waclieiid ge-
hliebt'ii, ob sio os «ileicli wio st-lda-
Icnd immor ziigoblinzt liatto.
Di-eiänglein hatte also mit ihrom
drittem Auge gar wolil in Obacht
genommen, was Zweiäuglein mittler-
weilen mit der Ziege vorgenommen,
und iiattc es gar wohl mit angehört,
wie sie durch das Sprüclilein
Zicklein meck!
Tischlein deck!
sich ein gar herrliches Malil Ix;-
reitet und wieder durcli das Sprüch-
lein
Zicklein meck!
Tischlein Aveg!
solches vor aller Augen verborgen
hatte: und froh wegen solcher Ent-
deckung, berichtete nun Dreiäuglein
bei ihrer Nachhausekunft solches
alles haarklein der Mutter. Diese
aber war hierüber so zornig, dass
sie sogleich den Untergang jener
Ziege beschloss und sie auch wirk-
lich alsbald schlachtete. Hierdurch
nun ward das gute Zweiäiiglein in
die äusserste Betrübnis versetzt,
weil sie nun des Mittels wieder be-
raubt war, sich für allen Mangel
und Kummer schadlos zu halten.
Trauernd setzte sie sich einsam auf
den gewohnten Feldrain und weinte
bitterlich. Siehe, da stand plötzlich
jene Fee w^ieder vor ihr, die ihr
schon einmal aus der Not geholfen
und fragte .sie mit leutseliger Stimme,
was ihr immer noch fehle. Da klagte
ihr Zweiänglein ilir neues Herzeleid
zwei Augen zu und schliefen, aber
das dritte, das von dem Sprüchlein
niclit angeredet war, schlief nicht
ein, doch Dreiäuglein tat es zu, aber
aus List gleich als schlief es auch
damit: doch blinzelte es und konnte
alles gar wohl sehen. Und als Zwei-
äuglein meinte, Dreiäuglein schlafe
fest, sagte es sein Sprüchlein
„Zicklein, meck
Tischlein, deck",
ass und trank nach Herzenslust und
hie.ss (lanii das Tischlein wieiler
fortgehen,
„Zicklein, meck
Tisclilein, weg",
und Dreiäuglein hatte alles mit an-
gesehen. Da kam Zweiäuglein zu
ihm, weckte es und .sprach, „ei Drei-
äuglein, bist du eingeschlafen? du
kannst gut hüten! komm wir wollen
heim gehen." Und als sie nach Haus
kam, ass Zweiäuglein wieder nicht,
und Dreiäuglein sprach zur Mutter
„ich weiss nun, wariini das hoch-
mütige Ding nicht isst: wenn sie
draussen zur Ziege spricht:
„Zicklein, meck,
Tischlein, deck",
so steht ein Tischlein vor ihr, das
ist mit dem besten Essen besetzt,
viel besser, als wir's hier haben;
und wenn sie satt ist, so spricht sie
„Zicklein, meck
Tischlein, weg",
und alles ist wieder verschwunden;
ich hab es genau mit angesehen.
Zwei Augen hatte sie mir mit einem
Si)rüchlein eingeschläfert, aber das
eine auf der Stirne, das war zum
Glück wach geblieben:" Da rief die
Mutter zornig" „willst du's besser
haben als wir? die Lust soll dir
vergehen!" Sie holte ein Schlacht-
— 1 30 —
1111(1 liaj^ti' sie (i'(MilnT/.i^'-: oh ilic
tiiiii noch was für ihr Wohl /,ii thiin
iihrif^ soi ? Die l"'co ahcr hattf ainh
(lifsnial füllten iJatli für sie uikI .sa;rlc:
sif solh^ sich nur- dir lOiinri-woiih'
voll (icr fj:('sciila(hlft('ii /icjr«' «•<'l>«'i>
lassen, dioso a])or an dfi- llaiisthiiif
vorprahon, daraus würth; iinlclilhar
ihr kiiiil'ti^i'cs (Jliick ciwachsi'n.
()h nun wolil (liest! ^nsaji'e lit'in
;;ultii Z\voiäu;,''h'in sehi' wuudersani
vorkommon mussto, so besrhloss sio
(hirli (h'iii I\a1hp joner Fee, zu dor
sie cinnial riii uiihcyrcnzlcs Zu-
trauen <i'cfasst halte, zu fidg-en, vim--
nioinond, (ha.ss os doch aUcs «i-ewiss-
lich zu ihrem Besten diencni werth-.
Sie begab sich daher alsbahl nach
Hause und bat die Mutter flehentlich,
dass, wenn man ihr auch sonst an
der g-eschlachleten Ziege keinen An-
teil zu lassen gemeinet sei, man ihr
dorii wenigstens das Eingeweide zu-
kommen lassen solle; und wii-klicli
fand auch die Mutter, nichts Arges
dabei vermeinend, kein Bedenken,
sondern erfüllte ihr Begehren.
Zweiäuglein nun vergrub bei
Sonnenuntergang in aller Stille das
vielverheissende Geschenk, hoffend
und barrend, wann? wie? und was
für Glück ihr daraus erwachsen
könne. Und siehe da! kaum war
am nächsten Morgen die Mutter
nebst ihren drei Töchtern vom Schlaf
erwacht, so erblickten sie vor den
Fenstern einen wunderschönen Baum
mit silbernen Blättern und goldenen
Früchten hoch am Hause empor ge-
wachsen imd Zweiäuglein gewahrte
zu ihrer nicht geringen Freude, wie
der wunderschöne Baum eben da
aus der Erde emporgesjirossen war,
wo sie gestern den wunderbaren
nii'Hser und stiess es der Zifj.»-»' ins
Herz, dass .sie tot hinfiel.
Als Zweiäiiglein das .sah, ging es
\oll Trauer hinaus, setzte sieh auf
den i-'eldiain uml weinte Heine
bitleren Tränen. Da stand auf ein-
mal die weise Frau wieder neben
ilini und sprach „Zweiäuglein, was
weinst du?" — „Soll ich ni<'ht
weinen!-* aiitwoitete es, „die Ziege,
die mir jeden Tag. wenn ich Euer
Sj)rü<lilein hersagte, den Tisch so
schön deckte, ist von meiner Mutter
tot gestochen, nuri muss ich wieder
Hunger und Kummci' leiden." Die
weise I-'ran sprach „Zweiäuglein, ich
will dii' einen guten Rat erteilen,
bitt deine Schwestern, da.ss .sie dir
das Eingeweide von der gescldach-
teten Ziege geben uiul vergrab es
vor der Haustür in die Erde, so
wird's dein Glück sein." Da ver-
schwand sie und Zweiäuglein ging
lieim und .sprach zu den Schwestern:
„liebe Schwestern, gebt mir doch
etwas von meiner Ziege, ich ver-
lange nichts Gutes, gebt mir nur
das Eingeweide." Da lachten sie
und sj^rachen: „das können wir dir
woid geben, wenn du weiter nichts
willst." Und Zweiäuglein nahm das
Eingeweide und vergrub's abends
in aller Stille nach dem Rate der
weisen Fraii vor die Haustiire. Am
andern Morgen, als sie insgesamt
erwachten und vor die Haustüre
traten, so stand da ein wunderbai'er
prächtiger Baum, der hatte Blätter
von Silber x;nd Früchte von Gold
hingen dazwischen, dass wohl nichts
schöneres und köstlicheres aiu' der
weiten Welt war. Sie wussten aber
nicht, wie der Baum in der Nacht
gewachsen war, nur- Zweiäuglein
— nn —
Samon der Erde anvoi-tiaut lialte.
Xuii ahoi- stieg <jar l)al(l das Ver-
lan^i'en in einer jedoii von ihnen auf,
sicli der schünon Friiclilc und Ulältcr
jenes IJauuies teilhaftig- zu machen.
Alhnn nur very-ehens f^-ahen sicli
sowohl die MiitltT als Einäufj'lcin
iiiul Dreiäuyiein Mühe, den Wunder-
l)auin zu ersteigen, oder etwas davon
sieh abznpfliieken: denn ob sie <>leicli
mit leieliler Mülie bald iiinauf waren,
so entwich i^'leiehwie es dem Tan-
talus in jener heidnischen Kabel er-
ffieng, doch allemal jede Frucht und
jeder Zweig ihren Händen, wenn sie
darnach fassen w^ollten : und rück-
lings fielen sie dann nur noch
schneller hinunter als sie liinauf-
gestiegen waren.
Einzig und allein Zweiäugicin. d(>r
jener Baum zum Eigentum angehörte,
war so glücklich, sich davon ab-
pflücken zu können, soviel sie nur
wollte, denn niir ihr war es ver-
gönnt, ungefährdet hinauf und hin-
unter steigen zu können. Darum
ward sie denn auch von ihren
Schwestern niclil wenig beneidet
und verfolgt, und dalier kam es denn
auch, (lass, da eben, als sie Alle um
jenen Baum versammelt standen,
ein fremder, junger schöner Hei-r
lierangeritten kam, Zweiäuglein samt
iliren goldenen Früchten unter ein
grosses, leeres Fass versteckt wurde,
denn die übrigen glaubten, dass der
schöne fremde Bitter sie selbst ganz
aus der Acht lassen möchte, wenn
Zweiäuglein, die obendrein schöner
als sie war, ihnen mit den Wunder-
früchten zur Seite stände, woran sie
denn auch wohl niclit unreclit haben
mochten.
Kaum war nun der schöne fremde
merkte es, dass er aus den Einge-
weiden der Ziege aufgesprosst war,
denn er stand gerade da, wo sie es
hinhegrahen hatte. Da s|)rach die
.Mutter zu l^inäughdn: „steig hinauf,
mein Kind, und brich uns dieFriu-hle
von dem Haumc al)." Einäuglein
stieg hinauf, aber wie es einen von
den goldenen Äpfeln greifen wollte,
<!a fuhr ihm der Zweig aus den
Händen; und das geschah jedesuuil,
so dass es keinen einzigen Apfel
brechen konnte, es mochte sich an-
stellen, wie es wollte. Da sprach
die Mutter: „Dreiäuglein, steig du
hinauf, du kannst mit deinen drei
Augen besser um dich schauen als
iMiiäuglein." Einäuglein rutschte
herunter und Dreiäuglein stieghinauf.
Aber Dreiäuglein war nicht ge-
schickter und mochte schauen wie
es wollte, die goldenen Äpfel wichen
imnun- zurück. Endlich ward die
Mutter ungeduldig und stieg selbst
iiinauf, konnte aber so wenig wie
lOinäuglein und Droiäuglein die
Frucht fa.ssen und grilf immer in
die leere Luft. Da sprach Zweiäug-
lein: „ich will mich einmal hinauf-
machen, vielleicht gelingt mir'selier."
Die Schwestern riefen zwar, „du mit
deinen zwei Augen, was willst du
wohl!" Aber Zweiäuglein stieg hinauf,
und die goldenen Äpfel zogen sich
nicht vor ihm zurück, sondern Hessen
sich von selbst in seine Hand herab,
also dass es einen nach dem andern
abpflücken konnte iind ein ganzes
Schürzchen voll mit herunter brachte.
Die Mutter nahm sie ihm ab, und
statt dass sie, Einäuglein und Drei-
äuglein, dafür das arme Zweiäuglein
hätten besser behandeln sollen, so
wurden sie nur neidisch, dass es
— 138
Hilter iiühcr p-komnnMi so li.iUi! »r
;uicli schon (loti \viiii(It'irt'icln'ii H.uiiii
ins Auge gcfasst und begelir<'li- von
(li-n Miit,''dl('ins, dass sio iliui ducli
liinii Zweig gtdxMi niiicIiliMi \i>ii dt-m
so glänzondcn und scliönon IJaiiinc
So|(di(!s nun war don hoidcMi Mägd-
lein sehr erwünschl und sie sUenglcn
nun eine nacli der andern notdmials
ihre Kräfte auf das schärfslf an, iiiu
dem scdiünen HauuH' ein«; l'nirhl
abzugewinnen, die sie dem l''icni(lrn
vereiiren könntiMi ; keineraher mocidf
es, ehensoweiug wie bisiier, gi'lingt'ii ;
und ebenso erging es ch-r Mutter,
die so gern ihren lieben Töchtern
auf diesem Baume zu einem Manne
vcrliolfen hätte.
Da verwunderte sich der schöne
fremde Herr nicht wenig, wie Jemand
il(Mr des Baumes, nicht aber auch
zugleich Herr von dessen Früchten
und Blättern sein könne und meinte,
es müsse doch notwendig wohl noch
sonst jemand im Hause sein, dem
dieser Baum gehöre und der Macht
über denselben habe; und er fragte
aucb zum öftern, ob sich dieses nicht
also verhalte? Doch sowohl Mutter
als Kinder leugneten es standhaft
und beharrten darauf, dass ausser
ihnen niemand hier sei und der
Baum niemand Anderm angehöre,
als ihnen.
LTjer solche Reden aber ärgerte
sich Zweiäuglein, die das alles unter
dem Fasse ruhig hatte mit anhören
müssen, niclit wenig und um den
Fremden von der Unwahrheit der-
selben zu überzeugen, schob sie
einige der glänzenden, goldenen
Früchte unter dem Fasse hervor zu
seinen Füssen. Kaum hatte der
Fremde dies zu seiner nicht geringen
allein die Früchte holen konnte und
jringcn noch härter mit ihm um.
I-N liiig sich zu, als sie einmal
heisammen an dr-m Baum standen,
dass ein junger Bitter daher kam.
..(iesehwind, Zweiäuglein", riefen
ilie zwei S«'hwestern, „kriech unter,
dass wir uns deiner nielit .schämen
müssen", und stürzten über das
.irnie Zweiäuglein in aller F<'ile ein
lei-res l'ass, das gerade nelien dem
Baume slaiul, und schol)en die gol-
denen .\])fel, die es abgebrochen
halte, auch darunter. Als nun der
Bitter näher kam, war es ein .scliöner
Herr, der hielt still, bewunderte den
piächtigen Baum von fJoId und
Silber und sprach zu den beiden
Schwestern, „wem gehört dieser
schöne Baum? wer mir einen Zweig
davon gäbe, könnte dafür verlangen,
was er wollte." Da antworteten Ein-
äuglein und Dreiäuglein, der Baum
gehörte ihnen zu, und sie wollten
ihm einen Zweig wohl abbrechen.
Sie gaben sich auch beide gros.se
Mühe, aber sie waren es nicht im-
stande, denn die Zweige und Früchte
wichen jedesmal vor ihnen zurück.
Da .sprach der Ritter, „das ist ja
wunderlich, dass der Baum euch
zugehört und ihr doch nicht Macht
habt, etwas davon abzubrechen." Sie
blieben dabei, der Baum wäre ihr
Eigentum. Indem sie aber so sprachen,
rollte Zweiäuglein unter dem Fasse
ein paar goldene Äpfel heraus, so
da.ss sie zu den Füssen des Ritters
liefen, denn es war bö.s, dass Ein-
äuglein und Dreiäuglein nicht die
Wahrheit .sprachen. Wie der Ritler
die Äpfel sah, erstaunte er und
fragte, wo sie herkämen. Einäuglein
und Dreiäuglein antworteten, sie
139
Verwunderuno- g-ewahrt, so drang
er mm aiu-h darauf, das diejenige,
welche hier notwendig unter jenem
]''asse verl)orgen sein müsse, iind
lue duich den Besitz der schönen
githlenen I"'riielde dargethan lial)e,
dass sie Maclit über jenen Baum
hahe, liervorgelassen werden möge.
Nun aber konnten Mntter und
(lesohwister nicht länger abwehren,
Zweiäuglein kam getrost unter dem
Kasse hervor, verhoffend, dass der
Fremde sie gegen alle und jede
Feindseligkeit der Ihrigen beschützen
würde. Sie sagte es demnach frei
lieraus, dass der wundei-reiche Baum
mit den schönen Früchten Niemand
andern angehöre, denn ihr allein,
stieg zum Beweis dessen behend
und imgehindert hinauf, brach den
allei'schönsten Zweig mit den glän-
zendsten Früchten davon ab und
verehrte solchen gar bescheidentlich
dem schönen fremden Herrn.
Dieser nun, nicht wenig erfreut
darüber, seines Wunsches teilhaftig
geworden zu sein, fragte Zweiäuglein
freundlich.st, wie er sie wohl für
solche Gefälligkeit belohnen könne-'
Sie aber bat ihn flehentlich, dass er
sich ihrer möge annehmen, und sie
erlösen aus dem mütterlichen Hause,
wo man ihr so lieblos begegne. Dies
versprach der Fremde, — die Mutter
und Schwestern aber mochten es
gar gerne und gar ungerne mit an-
sehen, wie der schöne, junge Ritter
Zweiäuglein sich auf sein Rösslein
nahm und munter mit ihr davon
trabte. Denn so sehr es sie auch
ergötzte, des ihnen verhassten Zwei-
äugleins niinmehr entübriget zu sein,
eben so sehr beneideten sie dasselbe
dennoch um die guten Tage, die ihm
hätten noch eine Schwester, die dürfe
sich aber nicht sehen lassen, weil
sie nur zwei Augen hätte, wie andere
gemeine Menschen. Der Ritter aber
voilangte sie zu sehen und rief
„Zweiäuglein, komm hervor". Da
kam Zweiäuglein ganz getrost unter
dem Fass hervor, und der Ritter
wai' verwundert übei- seine gro.sse
Schönheit und sprach: „Du, Zwei-
äugltdn, kannst mir gewiss einen
Zweig von dem Baum abbrechen."
— „'l;!'", antwortete Zweiäuglein, „das
will ich wohl können, denn der Baum
gehört mir." Und stieg hinauf und
brach mit leichter Mühe einen Zweig
mit feinen silbernen Blättern und
goldenen Früchten ab, und reichte
ihn dem Ritter hin. Da sprach der
Ritter: „Zweiäuglein, was soll ich
dir dafür geben?" „Ach", antwortete
Zweiäuglein, „ich leide Hunger iind
Durst, Kummer und Not vom frühen
Morgen bis zum sj)äten Abend: wenn
Ihr mich mitnehmen und erlösen
wollt, so wäre ich glücklich."
Da hob der Ritter ilas Zweiäuglein auf
sein Pferd und brachte es heim auf
sein väterliches Schloss: dort gab
er ihm schöne Kleider, Essen und
Trinken nach Herzen.slust, und weil
er es so lieb iiatte, Hess er sich mit
ihm einsegnen, und ward die Hoch-
zeit in grosser Freude gehalten.
— 140
null lit'i dein s(*li<iii(Mi l'itiiiMleii lli-i in.
mit (It'in finc jt-dc von iliiicn tr.ir
^ern his ans llndi- dn- Will jrmillcn
wiii'c, zu Th<'il werden würden.
Zu iluein 'l'lnsle War illliell jednch
der wnnderreielio U.iuni niit .seinen
.scliüncni Friieliteii jreMiidten. dor
ilinon, wenn aiicli nicht soiiie l-'riiclite,
diieli aher yinsson Kiiliin e-ewähren
kümile. Wie .".elir aher Irauerteii
.sio, al.s der seliöne liaiiiii samt .seinen
Friieliten am näcdisteti Moifren vor
iliron Auju-en versihwunden war;
doch, wio .sülir freueto sich Zwei-
äw<ilein iti iiireni .schönau.strezierlen,
iiociiadlicheii Kämnu'rh>in, al.s eben
Jener Baum .samt .seinen schöaen
Kriichlfu am näclisten Morg^en vor
ihrem Fenster |)ranfite: denn ihr.
der er einzit;' und allein anjifehürte.
war er naehgefolfrl.
Ob solcher schönen Mitgift .schätzte
nun der junge Ritter Zweiäuglein
noch einmal so hoch, verhielt sie
überaus gut im Essen und Trinkon,
gab ihr die allerschönsten Kleider
und Hess sie unterweisen in allen
Künsten ihres Geschlechts und reiclite
ihr endlich aus übergrosser Liebe
am Traualtare seine Hand.
Als Gemahlin dieses schönen
Ritters lebte Zweiäuglein nur noch
glücklicher, und es machte ihr nichts
grössere Freude als von dem, was
ihr so reichlich zugeteilt war, mit-
teilen, zu können denen, die nichts
hatten.
Schon lange Jahre waren ihr so
vergangen, als auch einstmals zwei
Frauen ihre bekannte Güte und
Leutseligkeit ansprachen, weil sie
vor Armut verderben zu müssen er-
achteten. Zweiäuglein, die nunmehr
reiche Edelfrau, erkannte alsbald in
Wie nun Zweiäuglein sr) von dem
schönen |{itt<'rsinann fortgeführt
wurde, da waren die zwei Hchwe.slern
leehl neidisch über sein Glück.
„Nun, der wunderbare Hauni bleibt
uns", dachten .sie, „können wir auch
keine l-'rüchto davon brechen, .so
wird doch jedeimann <lavor stehen
bleiben, zu uns komiiieii iintl ihn
rüliiiien: wer weiss, was uns noch
für ein Glück blüht." Aber am
;indi I II .Morgen war ihr Uaum ver-
sehwunden und ihre HolTiiiing dahin.
Und wio Zweiäuglein zu seinem
Kämmerlein hinaussah, so stand er
zu seiner grossen Freude davor und
war ihm .ilso nai-ligegangen.
Zweiäuglein lebte lange Zeit ver-
gnügt: da kamen einmal zwei arme
Frauen zu ihm auf das Schloss und
baten um ein Almo.sen.
Da sah ihnen Zweiäuglein ins Gesicht
und erkannte ihre Schwestez-n Ein-
— 141 —
ihnen iliro beiden Schwestern, be-
scliluss aber bei sich, Höses niil
(iiilem zu vcrgrelteii, und iil)erhäul'te
dalier die I)eiilen Frauen, die es
nicht aiinileten, wit iiinen sohlics
zu Liebe Ihäl, inil Wuhllhalm und
(ieschenken und behielt und vcr-
pflefrto sie bei sich auf /.eilh'bens.
Jene ahei', als sie eiuUich dahinter
kamen, und das o-uto Herz sich ihnen
olfenbarle, bereueten es sehr, sie in
ihrer Juprend, da sie noch bei uiul
unter ihnen war, so "•edrückl zu
liaben, und baten es ihr alles ab,
was sie ihr ohne Schuld und Ursache
ehedem an^zethan hatten.
f ! r i m m . 1. Auflatro.
Der Jud" im Dorn.
Kin Bauer hatte einen gar <ietreuen
und fleissigen Knecht, der diente
ihm .schon drei Jahre, ohne dass er
ihm seinen Lohn bezahlt hatte. Da
fiel es ihm endlich bei, dass er doch
nicht ganz umsonst aibeiten wollte,
ging vor seinen Herrn luad sprach:
„ich habe euch unverdrossen und
redlich gedient die lange Zeit, darum
so vertraue ich zu euch, dass ihr
mir nun geben wollt, was mir von
Gottes Recht gebührt." Der Bauer
aber war ein Filz und wu.sste, dass
der Knecht ein einfältiges Gemüt
hatte, nahm drei Pfennige und gab
sie ihm, für jedes Jahr einen Pfennig,
damit wäre er bezahlt. L^nd der
Knecht meinte ein grosses Gut in
Händen zu haben, dachte: „was
willst du dir"s länger saner werden
lassen, du kannst dich nun pflegen
und in der Welt frei lustig maclien."
Steckte sein grosses Geld in den
Sack und wanderte fröhlich über
Berg und Thal.
äuj;lein und Dreiäuglein, die so in
Armut geiaten waren. dass sie umher-
ziehen und vor den Türen ihr Brot
suchen mussten. Zweiäuglein aber
hiess sie willkommen und tat ihnen
(Jutes und pflegte sie, also dass tli(!
beiden von Herzen bereuten, was
sie ihrer Schwestei- in der Jugend
Böses angehm hatlen.
•'?. Auflage.
Der .1 11 de i m Do rn.
Es war einmal ein reicher Mann,
der hatte einen Knecht, der diente
ihm fleissig und redlich, war alle
Morgen der erste aus dem Bett und
Abends der letzte hinein, und wenns
eine saure Arbeit gab, wo keiner
anpacken wollte, so stellte er sich
immer zuerst daran. Dabei klagte
er nicht, sondern war mit allem zu-
frieden und immer guter Dinge.
Als sein Jahr herum war, gab ihm
der Herr keinen Lohn und dachte:
„das ist das gescheitste, so spare ich
etwas und er geht nicht weg, son-
dern bleibt hübsch im Dienst." Der
Knecht schwieg auch still, that das
zweite Jahr wie das erste seine Ar-
beit, und als er am Ende desselben
abermals keinen Lohn bekam, Hess
er sichs gefallen und blieb noch
länger. Als endlich das dritte Jahr
herum war, bedachte sich der Herr,
griff in die Tasche, holte aber nichts
heraus. Da fing der Knecht endlich
an und sprach: „Herr, ich habe Euch
— 142 —
AVif. er ;iiir i'iti FiM Uaiii siii^n-nd
1111(1 sjniiip-iid . frscliicii iliiii <'iii
kli'iiics Miiiinli'iii. ilas fiajrtf ilm
Sfiiicr I,ii>(ijrl<,.ii wc;,'-«!!! ? ..VA, was
sdlir iili liaurcn, ^csuihI hin ich,
iirid (Jchl(\s liah' ich ^riaiisaiii viel,
hiaiirhc iiichls zu sor^'d!; was icli
in (lii'i Jahren hoi iiioiiifin l|i rin
vcr(li(Mil, das hah icli jjcsparl iiml
ist all" nioiii." ,.\Vio viel isl denn
doincis (iiits-"" sprach das Männh^iii.
..Die! pan/.er IMoniiif,''", sajrt«^ «h-r
KiH'chl. „SciicnU' inii' dciiu' drei
rfennigo, ich bin ein armci- Mann."
Der Knoch( war ahor '^tilmiiliK', cr-
l)arnile sich und gah sie hin. Sprach
der Mann: .,\voii du reines Heizens
bist, Siillcn dir drei Wünsche er-
laubt seyii, für jeden IM'ennig einer,
so hast du was dein Sinn begehrt."
Das war der Knecht wohl zufrieden,
(lachte, Sachen sind mir liel)er als
Geld und sprach: „erstens wünsche
ich mir ein "Vogelrohr, das alles
trifft, was icli ziele, zweitens eine
Fiedel, wenn ich die .streiche, muss
alles tanzen, was sie hört; drittens,
worum ich die Leute bitte, dass sie
es mir nicht abschlagen dürfen.''
Dass Männchen sagte: „alles sey dir
gewährt'-, und stellte ihm Fiedel und
Vogelrolir zu: darauf ging es .seiner
Wege.
Mein Knecht aber, war er vorher
froh gewesen, dünkte er sich jetzt
noch zehnmal froher und ging nicht
lange zu, so begegnete ihm ein alter
Jude. Da stand ein Baum und oben-
drauf auf dem höchsten Zweig sass
eine kleine Lerche und sang uiul
sang. ,,(Totts Wunder, was so ein
Thierlein kann, hätt' ich's, gab' viel
darum."' Wenn es weiter nichts ist,
die soll bald herunter"', sagte der
drei .lahre ehrlich gedient, seid so
gut und geht mir. w;is mir von
|{e(hts wegen zukommt; idi wollte
fort und mich gerne weiter in der
Well iimsehon." Da .-intworlele der
(ieizlials: ,ja, mein lieber Knecht,
(In hast mir unverdrossen gedient,
dafür sollst dn iiiildiglich belohnt
werden'", grilTabermals in die Tasche
lind zählte dem Knecht drei lleller
einzeln auf. ..da hast du für jedes
.Jahr einen Heller, das ist ein grosser
lind reichlicher Lohn, wie du ihn
ixi wenigen Herrn empfangen hättest.
Der gute Knecht, der vom (Jeld
wenig verstand, strich sein Ka|iital
ein und dachte: ,.niin hast du vullauf
in der Tasche, was willst du sorgen
und dich niil sdiwerer Aibeji länger
]}lagen."
Da zog er fort, hergauf, bergab,
sang und sprang nach Herzenslust.
Nim trug es sich zu, als er an ein
Buschwerk vorüberkam, da.ss ein
kleines Männchen hervortrat und
ihn anrief :„Wohinaus,BruderLust ig?
ich sehe du trägst nicht schwer an
deinen Sorgen." „Was soll ich
traurig sein", antwortete der Knecht,
ich habe vollauf, der Lohn von drei
Jahren klingelt in meiner Tasche."
„Wieviel ist denn'deines Schatzes?"
fragte ihn das Männchen. „Wieviel?
drei bare Heller richtig gezählt."
„Höre", sagte der Zwerg, „ich bin
ein armer bedürftiger Mann, schenke
mir deine drei Heller; ich kann
nichts arbeiten, du aber bist jung
und kannst dir dein Brot leicht ver-
dienen." Und weil der Knecht ein
gutes Herz hatte und Mitleid mit
dem Männchen fühlte, so reichte er
ihm seine di"ei Heller und sprach:
„in Gottes Namen, es wird mir doch
— -143
KiH'rht, setzte sein l\i»lir an und
sflinss die Leiclie auf das Haar,
dass sie den Hauin lietalifiel, „gehet
liin und leset sie auf", sie war aber
pau'/. tief in die Dürner unten am
liauni liineinfiffallfii. Da krtnh diT
.luil" in den Huscli. und wir er inillni
diin Stack, y.n'j: mein Ivnci-lil seine
Fiedel und ^eiiilc, lin.«:- der .Ju<r an
zu tanzen und hatte keine i\uli,
sondern spranj;' immer stärker und
höher: der Dorn al)(M- zerstaeii seine
Kleich'r, dass die l-'etzen herum
hingen und ritzte und wundetc iliii.
dass er am ganzen Leii)e blutete.
„CJotts willen, schrie der .lud". lass
der Herr sein Geigen seyn. was hab'
ich A-erbroclien?" Die Leute hast
du genug geschunden, dachte der
lustige Knecht, .so geschieht dii' kein
Unrecht, und spielte einen neuen
Hüpfauf. Da legte sich der .lud'
auf Bitten und Versjjiechen und
wollte ihm Geld geben, wenn ei-
aufhörte, allein das (Jeld war dem
Knecht erst lange nicht genug und
trieb ihn immer weiter bis der Jud'
ihm hundei't harte Gulden verhiess.
die er im Beutel führte und eben
einem Christen abgej^rellt hatte. Wie
mein Knecht das viele Geld sali,
sprach er: „unter dieser Bedingung
ja", nahm den Beutel und stellte
sein Fiedeln ein: dai-auf ging er
ruhig und vergnügt weiter die
Stras.se.
Der Jud" riss sich halb nackicht
und armselig aus dem Dornstrauch,
Überschi ug,wie er .sich rächen möchte
und fluchte dem Gesellen alles Böse
nach. Lief endlich zum Richter,
klagte, dass er von einem Bösewicht
unverschuldeterweise seines Geldes
beraubt und noch dazu zerschlagen
nicht leiden.'" Da sjirach «las Männ-
chen: „weil ich dein gutes Herz .sehe,
so gewähre ich dir drei Wünsche,
für jeden Heller einen, die sollen
dir in Kifüllung gehen, .,.\ha'',
spiaiji der Kiiechl, .,du bist einer,
der blau ])feifen kann. Wohlan,
wenns doch sein soll, so wünsche
ich mir erstlich ein Vogclrohr, das
alles trifft, wonach ich ziele; zweitens
eine Fidel, wenn ich darauf strei<-he,
so muss alles tanzen, was dan Klang
hihi, und drittens, wenn ich an
jemand eine Hitte thuc, so darf er
sie nicht abschlagen" ,.Das sollst
du alles haben", s])i'ach das Männ-
clu'^n, griff in den Busch, und, denk
einer, da lag schon Fidel und Vogel-
rolii' in Bereitschaft, als wenn sie
bestellt wären. Fi- gab sie dem
Knecht und sprach: „Was du dir
immer erbitten wirst, kein Mensch
auf der Welt soll dir's abschlagen.'"
„Herz, was begehrst du nun?"
sprach der Knecht zu sich selber
und zog lustig weiter. Bald darauf
begegnete er einem Juden mit einem
langen Ziegenbart, der stand und
horchte auf den (Je-sang eines Vogels,
der hoch oben in der »Spitze eines
Baumes sass. „Gottes Wunder!"
rief er aus. „so ein klein<?s Tier hat
so eine grausam mächtige Stimme!
wenn's doch mein wäre! wer ihm
doch Salz auf den Schwanz streuen
könnte!" „M^enn's weiter nichts ist",
.sprach der Knecht, „der Vogel soll
bald herunter sein", legte an und
traf aufs Haar und der Vogel fiel
herab in die Dornhecken.
„Geh", Si)itzbub", sagte er zum Ju-
den, „und hol dir den Vogel heraus."
„Mein", si)rach der Jiule, „lass der
Herr den Bub weg, so kommt ein
— 144 —
wiiii'. (la>.> t> fibai mte, tiiul dur
Ki'il. (lor es ^olhaii liiillc, tiiiji-c citj
Kolir aiit' il)Mii Mui-ki-l iitiil <'iii)> (ici<.<-i>
liiii;:!' an seinem Hals. Da samlle
<ler Hiclitcc üoliMi 1111(1 Häscher ans,
die si)ll(cn (li-n Krn-rlil falieii. \v<i si«;
ihn küiinlrn si-hi'ii, i\<\- uiiidi' halil
i'i'lapiil lind \ n|- ( Icrichl ;jc--1i'lli, | )a
klai^lr der" .lud', (hass er ihm ilas
(iehl ;,''ci-anhl hällr, ihr Kticdd satrle:
„nein, pegidjen hast du mir's, weil
ich dir .T,urfresi)ielt habe". .Aber dri
Iticbler niacdde das Dinf,' kur/, nnd
verurüieilto meinen Knecdil zum Tod
am Ualgen. iSchon stand ei- auf (h-r
[..eitersprossc, den Strick am Hals.
da sprach er: „Herr Kiiditer, gewidut
nur eine letzte Hitle!"' „Wofern du
nicht dein Leben bittest, soll sie ge-
währt seyn." „Nein, um mein Leben
ist's nicht, lasst mich noch eins auf
meiner Geige geigen zu guter Letzt."
Da schrie der Jud': „Bewahre (iott!
erlaubt's ihm nicht! erlaubt's ihm
nicht!" Allein das Gericht sagte:
einmal ist es ihm zugestanden, nnd
dabei solls bewenden, auch durften
sie's ihm nicht weigern, weil er die
Gabe hatte, dass ihm keiner die Bitte
abschlug. Da schrie der Jud': „Bindet
mich fest, um Gotteswillen!" Mein
Knecht aber fasste seine Fiedel und
lliat einen Stricli, da wankte alles
und bewegte sieh, Richter, Schreiber
und Schergen, und den Jud' konnte
keinerbinden,undeithat den zweiten
Strich, da liess ihn der Henker lus
und tanzte selber und wie er nun
ordentlich ins Geigen kam, tanzte
alles zusammen. Gericht xind der
Jude vornen und alle Leute auf dem
Markt, die da wollten zuschauen.
Und anfangs ging's lustig, weil aber
das Geigen und Tanzen kein Ende
Hund gelaufen: i<h will mir den
Vogel auflesen, wi-il Ilii ihn doch
«•irimal gi'trofr<Mi habt", b-gte sieb
auf die h'rdf, und fing an sieb in
(b'ii Muscb hinein zu arbidleti. Wie
I r nun millfii in df-m Dorn sleekle,
piML'l'' dir Mulwille den guten
Kiirihl, dass ei- si-ine Fidel abnalim
und anfing zu geigen, fileieb fing
auch der Jude :iu die Hi-ine zu beben
und in die Höbe zu s|)ringen: und
je mehr der Knecht strich, desto
besst.'r ging der Tanz. Aber die
Dörner zcrris.sen ihm den schäbigen
Rock, kämmten ihm den Ziegenbart
und stachen und zwickten ihn am
ganzen Leib. „Mein", rief der Jude,
„was soll mir das fJeigrn! lass der
Hell das Geigen, ich begelire nicht
zu tanzen." Aber der Knecht hörte
nicht darauf und dachte, „du hast
die Leute genug geschunden, nun
soll dir's die Dornhecke nicht bes.ser
machen", und fing von neuem an,
zu geigen, dass der Jude immer
höher aufspringen musste und die
Fetzen von seinem Rock an den
Stacheln hängen blieben. „Au weih
geschrien!" rief der Jude, „geb ich
doch dem Herrn, was er verlangt,
wenn er nur das Geigen lässt. einen
ganzen Beutel mit Gold. „Wenn du
so spendabel liisl". sprach der
Knecht, „so will ich wohl mit meiner
Musik aufhören, aber das muss ich
dir nachrühmen, du machst deinen
Tanz mit, dass es eine Art hat":
nahm darauf den Beutel und ging
seiner Wege.
Der Jude blieb stehen und sah
ihm nach und war still, bis der
Knecht weit weg und ihm ganz aus
den Augen war, dann schrie er aus
Leibeskräften, „du miserabler Musi-
— 145 —
naiini, sn sdirien sie jäiiiinri liili und kant, du liierfiedlor: wart, sveun iili
baten ilm ahzidasseu, al>cr rr lliat's dich allein erwische! icli will dicli
nicht eher, bis ilmi dei Richter das jagen, dass du die Schuhsohlen ver-
Leben nicht nur silienkte, sDudern Heren sollst! du Lump, steck einen
auch verspracli, die hundert (iulden (Jruschen ins Maul, dass du sechs
zu lassen. Und erst nocii rief er Heller wert bist"', und schimpfte
dem Juden zu: ,,S|)it7.hub' gesteh', weiter, was er nur losbringen konnte,
wo du (las (Ich! Iier liast, sonst hör Und als er sich damit etwas zu
ich dir nicht auf zu sjjielen." ,,Ich Ciute g-ethan und Luft gemacht hatte,
hab's gestohlen, ich hab's gestohlen. lief er in die Stadt zum Richter,
und du hattest es ehrlich verdient", ,.IIerr Richter, au weih geschrien,
schrie der Jude, da.ss es alle hörten. icli hin auf offener Landstrasse be-
Da Hess mein Knecht die Ceige raid)t und übel zugerichtet worden
ruhen und der Schutt wurde für von einem gottlosen Mensclien: ein
ihn am (Jaigeii geiiäiigt. Stein aiif dem Erdboden niöclde sich
erbarmen: die Kleider zerfetzt, der
Leib zerstochen xmd zerkratzt, das
(leid samt den Beutel genommen!
hinter Dukaten, ein Stück scliöner als das andere: um Gotteswillen, lasst
i\cn Menschen ins (iefängnis werfen." Sprach der Richter: „War's ein
Soldat, der dich mit seinem Säbel so zugerichtet hat?" — „Gott bewahr!"
sagte dei" Jude, „einen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein Rohr
hat er gehabt auf dem Buckel liängen und eine Geige am Hals, daran i.st
er leicht zu erkennen." Der Richter schickte seine Leute nacii ihm aus,
die fanden den guten Knecht, der ganz langsam weiter gezogen war, und
fanden auch den Beiitel mit Gold bei ihm. Als er vor Gcriclit gestellt
wurde, sagte er: ,,Ich liabe den Juden nicht angerührt und ilim das Geld
nicht genommen, er hat mir's aus freien Stücken angeboten, damit ich nur
aufhörte zu geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte." „Gott
bewahr!" schrie der Jude, „der greift die Lügen wie Fliegen an der Wand."
Aber der Richter glaubte es auch niciit und sprach: „Das ist eine schlechte
Entschuldigung, das thut kein .hule". und verurteilte den guten Knecht,
weil er auf offener Sti'asse einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als
er aber abgeführt ward, schrie ihm noch der Jude zu: „Du Bärenhäuter,
du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen wohlverdienten Lohn." Der
Knecht stieg ganz ruhig mit dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten
Sprosse aber drehte er sich um und sprach zum Richter: „(iewährt mir
noch eine Bitte, ehe ich sterbe." „Ja", sprach der Richter, „wenn du nicht
um dein Leben bittest?" ,, Nicht ums Leben", antwortete der Knecht, „ich
bitte, lasst mich zu guter Letzt noch einmal auf meiner Geige spielen."
Der Jude erhob ein Zetergeschrei: ,.Um Gotteswillen, erlaubt's nicht, er-
laubt's nicht." Allein der Richter spracli: „^Yarunl soll ich ihm die kurze
Freude nicht gönnen, es ist ihm zugestanden, und dabei soll es sein Be-
wenden haben." Auch konnte er es ihm nicht abschlagen, wegen der
Palaestra XLVil. 10
— 14(1 —
(Jal)«, die tifiii Kin-clil vcrliflicri war. 1)<t .Jiidf ahiT rief: .,Aii weih! au
woili! hiridi't iiiicli an, Mmlfl iiiicli fesl I"' Da nahm der jfiiti* Knecht seine
(icigf vom Hals. lojrt»^ sie ziirecht und wio v.v den ciHtcn Stric-h that, flnjiT
alles an zu wahcrn und zu \vank<'n, der Uichlcr, die Schreiber und die
(icrlclitsdienci-, iind diiii, welcher den Juden festbinden wollte, fiel der
Strick aus der Hand: hejni zweiten Strich hoben alle die Beine, und der
Henker liess den jrniin Kneclit los und machte sich zum Tanze fertig:
bei dem dritli-ti Slricli spran;,' alles in die Höhe und fing an zu tanzen,
lind der Ricliler uml der Jude waren vorn und spiangen am besten. Uald
tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbeigekommen war.
alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogai- ilie Hunde,
die niilgelaulen waren, setzten sich auf die Hinlerfü.sse und hüpften mit.
Und je länger er spielte, desto höher spiangen die TUnzer, da.ss sie sich
einander an die Köpfe stie.ssen und anlingen jiimmeilich zu schreien.
ländlich rief der Richter ganz ausser Atem: „Ich schenke dir dein Leben,
höre nur aiif zu geigen." Der gute Knecht Hess sich bewegen, setzte die
(ieigo ab, hing sie wieder um den Hals und stieg die Leiter herab. Da
trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Atem schnappte,
und sagte: „Spitzbube, jetzt gestehe, wo du das Geld her ha.«?t, oder ich
nehme meine Geige vom Hals und fange wieder an zu spielen." „Ich hah's
geslolilen, ich liah's ge.stohlen", schrie er, „du aber hast's redlich verdient."
Da liess der Riciitor den .Juden zum Galgen führen und als einen Dieb
.uilhängen.
Zu S. 37. Endlich seien noch W. Grimms auch Musäus gegenüber
bedout.same Worte aus der Vorrede zu den „Altdänischen Heldenliedern",
1811 S. XXVT angeführt:
,.In den ^lärclien ist eine Zauberwelt aufgetan, die auch hei uns
stellt, in heimlichen Wählern, im tiefen Meere, und den Kindern noch ge-
zeigt wird. HHufig kommt es vor, dass eine Mutter unwissend oder aus
Not ihr Kind verkauft hat a,n ein Ungeheuer, wie hier die Königin an
einen wilden Nachtraben, das es wegtrügt, oder de.ssen Zauher dadurch
gelöst wird oder auch, dass der Hruder die verlorene Schwester aufsucht
und in Meere.sgrund findet, wo sie ein wilder Zauberer in einem Wasser-
schloss hält, der das Menschenflt-isch wittert, und vor des.sen Wut ihn die
Schwester schützt, bis sie endlich erlöst werden. Hier muss man zuletzt
mit dem armen Rosmer [No. 49J, der seine Frau seihst auf dem Rücken
unwissend aus dem Meer trägt, imd wie er sie unten nicht mehr findet,
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vor Leid fin Stein wiid, Mitli'id h.ibfii.*) Diese Märchen verdienen eine
bessere Aufnierksami<eii, al^ man ilmen bisher geselienkt, nieht nur ihrer
Uichtuno' wefjeii, die eine cij^ene Liel)liehkeit hat, und die einem jeden,
der sie in der Kindiieit anj^^eiiürt. eine «iohleiu! Lehre und eine heitere
Erinneiuug' daran durehs ^an/.e Lel)en mit auf (h'ii Wetj;" gibt; sondern
aucli, weil sie zu unsrer Natiunalpoosie fjehüren, indem sich nacliweisen
lässt, dass sie sehnn iiirlntTf Jahiliiiiideite durcli uiitiT dem Vulk fielebt."
*) ..Audi Musäus hat dieses Märciien bearbeitet, aber in seiner Manier,
nicht einfaeh unil ^-erad, wie wir es noeh lie])er hiiren: Kinder, nicht
anders."
Druck von Carl Salewski in Berlin N.
Universily of Toronto
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