Gottselig, Leopold
Die Logik Salomon Maimons
Die Logik Salomon Maimons
f u.e
Inaugural - Dissertation
der
lohen philosophischen Fakultät der Universität Bern
zur Erlangung der Doktorwürde
vorgelegt von
Leopold Gottselig
Von der philosophischen Fakultät auf Antrag des Herrn Professor Dr. L. Stein
agenommen.
BERN, den 24. Juli 1906.
Der Dekan : Prof. Dr. G. Huber.
BERN
Buchdruckerei Scheitlin, Spring & Cie.
1908
Die Logik Salomon Maimons
Inaugural - Dissertation
der
hohen philosophischen Fakultät der Universität Bern
zur Erlangung der Doktorwürde
vorgelegt von
• Leopold Gottselig
Von der philosophischen Fakultät auf Antrag des Herrn Professor Dr. L. Stein
angenommen.
BERN, den 24. Juli 1906.
Der Dekan : Prof. Dr. G. Huber.
BERN
Buchdruckerei Scheitlin, Spring & Cie.
1908
I <?C t
Inhaltsverzeichnis.
8eite
Einleitung 1
I. Kapitel.
Der Grundsatz der Bestimmbarkeit 7
Die Zurückführung der drei logischen Funktionen auf eine einzige . 10
A. Die Begriffe 11
B. Begriffe ihrer Relation nach 14
II. Kapitel.
Die Kategorienlehre 16
ID. Kapitel. %
Die Lehre von den Schlüssen ......... 30
Den lieben Eltern in
Dankbarkeit und Verehrung gewidmet
vom Verfasser.
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/dielogiksalomonmOOgott
Einleitung,
Wenn man die unmittelbare Strömung, die Kant durch seine
Kr. d. r. V. hervorgebracht hat, ins Auge fasst, so wird man gewahr,
dass es ausser den ausgesprochenen Anhängern Kants, die auf das
Wort des Meisters schwören und den unerbittlichen Gegnern des-
selben, die alles, was dieses sagte, kritiklos verneinten, weil es neu
war, vereinzelte Denker gab, die von jedem Extrem sich fern hielten.
Zu diesen letztern ist in erster Reihe derjenige Philosoph zu nennen,
dessen ganze philosophische Richtimg durch Kant bestimmt war, der
aber gleichwohl kein blosser Nachbeter der Kantschen Philosophie
war, sondern es gewagt hat, darüber hinauszugehen und einen eigenen
Standpunkt einzunehmen : ich meine Sal. Maimon. Er hat als erster
darauf hingewiesen, dass das Kant'sche „Ding an sich" ein unmög-
licher Begriff sei, bei dem man nicht stehen bleiben kann. Im
Gegensatze nämlich zur Kant-Rheinholdschen Auffassung, nach wel-
cher das Ding an sich bloss unvorstellbar und unerkennbar sei,
stellt Maimon die Behauptung auf, dass es undenkbar und deshalb
unmöglich sei. Zu diesem Resultat gelangte er durch folgende ein-
fache Erwägung: Da jedes Merkmal, wodurch wir einen Gegenstand
vorstellen, in unserem Bewusstsein enthalten ist, denn wir können
ja zu der Erkenntnis der Dinge nur durch die in demselben zum
Ausdruck kommenden Merkmalen gelangen, das Ding an sich aber
ausserhalb unseres Bewusstseins sich befindet, also auch ohne Merk-
mal, folglich auch unverstellbar, undenkbar, ein Unding. Es ver-
hält sich damit, wie mit jenen imaginären Grössen in der Mathe-
matik, die weder positiv noch negativ sein können, wie V—a. —
Indessen stand er, was die Bekämpfung des Dinges an sich anbetrifft,
nicht vereinzelt da ; diese Ansicht teilte mit ihm unter andern auch
Jakobi und Aenisidemus-Schulze. Aber auch die formale Logik Kants
erschien dem kritisch veranlagten Maimon verbesserungsbedürftig
und so hat er sich auch daran gewagt, wie er sichs überhaupt zur
Aufgabe gemacht zu haben scheint, die Kant'sche Philosophie weiter
auszubauen und da wo es not tat zu korrigieren. Und dies alles
nicht aus ehrgeizigen Motiven oder gar wie selbst ein Kant, seine
anfangs sehr günstige Meinung über unseren Philosophen ändernd,
annehmen zu können glaubte, „um sich auf fremde Kosten ein
Ansehen zu geben", sondern aus einem inneren Drange heraus, das
ihm lückenhaft Scheinende auszufüllen und aus der Wahrheitsliebe,
die ihm eigen war und die ihm im Leben so übel mitgespielt, das
nur scheinbar Wahre im Grunde aber Fehlerhafte als ein solches
aufzudecken. Da soeben die abfällige Beurteilung Maimons durch
Kant erwähnt wurde, so sei es mir gestattet, gleich hier mit wenigen
Worten das persönliche Verhältnis dieser beiden Männer zu einander
zu berühren. Das erste Auftreten Maimons in die Öffentlichkeit
fällt in eine Zeit, da Kant auf dem Gipfel des Ruhmes sich befand.
Auch ist die Art und Weise, wie Maimon zu Kant in Beziehung
trat, eine eigenartige. Seiner Gewohnheit gemäss jedes wissenschaft-
liche Werk, das er las, nicht eher aus der Hand zu legen, bis er
sich ganz klar war, was dasselbe beabsichtigt und hie und da an
Stellen, wo ihm der Sinn derselben nicht einleuchten wollte, seine
eigenen Bemerkungen zu machen pflegte, so verfuhr er eines Tages
mit Kants Kr. d. r. V. Unversehens und ungewollt wuchsen die daran
geknüpften Bemerkungen zu einem eigenen Buche an. Dieses Manuskript
gab er dann an Markus Herz, einem gewesenen Schüler Kants, damit
er es diesem zur Beurteilung einschicken möge. Dieses aber flösste
Kant eine solche Achtung ein, dass er bald darauf in einem Briefe
an Markus Herz, den Verfasser nicht nur als den einzigen seiner Gegner,
die ihn und die Hauptfrage so gut verstanden, sondern auch, dass
nur wenige zu dergleichen tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn
besitzen möchten, wie Herr Maimon. Da wir nähere Berichte dar-
über, wie sich die Beziehungen Maimons zu Kant von diesem Zeit-
punkt an fernerhin gestalteten, nicht besitzen, so kann die einige
Jahre später in einem Briefe an Rheinhold über unseren Philosophen
getane Aeusserung, die wir eingangs erwähnt haben, dahin zu deuten
sein, dass er sich seiner nicht mehr erinnerte. Wie wäre es sonst
zu verstehen, dass ein und dasselbe Werk, das als Manuskript das
höchste Lob Kants gefunden hat, sobald es gedruckt erschien, die
ganz entgegengesetzte Wirkung haben konnte. Es mag ja sein, dass
— 3 —
Maimon sein Werk, bevor er es der Öffentlichkeit übergab, mehrfach
mit Zusätzen und Bemerkungen versah, welche Anschauungen ent-
halten mochten, die denjenigen Kants zuwider liefen. Um wesentliche
Bereicherungen kann es sich dennoch nicht gehandelt haben. Ueberdies
haben sieh bereits ursprünglich mehrere Spitzen gegen die Kantsche
Lehre darin befunden, die ihm nicht entgangen sind, wie aus einem
Briefe an Hertz hervorgeht. Da heisst es u. a. : „Allein, was Sie,
werter Freund, verlangen, die Herausgabe dieses Werkes mit einer
Anpreisung meinerseits zu begleiten, wäre nicht wohl tunlich, da es
doch grossenteils auch wider mich gerichtet ist." — Kuno Fischer
sucht diese missliche Frage dadurch zu beseitigen, indem er als
Grund dieser Gereiztheit die zunehmende Altersschwäche des Philo-
sophen und das daraus entspringende Unvermögen fremden Ideen-
gängen zu folgen, annimmt. Und dass diejenigen Mainions nicht
leicht waren, beweist die Tatsache, dass die Rezension des genannten
Werkes ausgeblieben war, weil drei der hervorragendsten Fachphilo-
sophen eine solche zu schreiben ablehnten, weil sie nicht vermögend
gewesen „in die Tiefen seiner Untersuchungen einzudringen". Es
mag nicht uninteressant sein, zu wissen, dass Kant sich dieser
Schwäche wohl bewusst war und sie sogar Markus Hertz gegenüber
ausdrücklich eingestand. Wie dem aber auch sein mag, das eine
steht fest, dass das zuerst gefällte Urteil mehr Anspruch auf Be-
rechtigung habe, als das letztere. Zum Schluss mag noch ein Um-
stand erwähnt werden, der es einigermassen begreiflich macht, dass
die Werke Maimons so vielfach auf Missverständnis gestossen und
späterhin fast ganz unbeachtet geblieben sind. Wiewohl er oft in
seinen Schriften einen erstaunlichen Sinn für Definitionen und prä-
zise Formulierung von tiefen Gedanken zeigt, so dass bei ihm der
richtige Ausdruck sich mit eruptiver Gewalt Bahn bricht ; so geschieht
es andererseits nicht selten, dass für einen in der Philosophie ge-
bräuchlichen und fest eingebürgerten Terminus ein anderer gesetzt
wird, woraus dann eine Begriffsverwechslung notwendigerweise ent-
stehen muss, obgleich er das Richtige hat sagen wollen. Nur so
konnte es geschehen, dass die Rezensenten, allerdings ohne ihre
Schuld, da sie ihn nicht verstanden, oft ungerecht gegen Maimon
vorgingen, indem sie ihm Widersprüche aufzuzeigen glaubten und
ihm geflissentliche Gedankenverschleierung vorwarfen. Auch ist ein
gewisser Mangel an systematischer Behandlung und wissenschaftlicher
Ordnung nicht zu verkennen, sodass zuweilen die wichtigsten und
fundamentalsten Sätze, auf welche es am meisten ankommt, nur
gelegentlich und vorübergehend hingeworfen sind, während er ander-
seits minderwichtige Gedanken mit einer überraschenden Ausführlich-
keit behandelt, wobei er sich nicht selten wiederholt. Es ist dies
ein Umstand, der dem Leser das Studium seiner Werke bedeutend
erschwert, da ihm ein leitendes Prinzip fehlt, welches ihn durch das
Labyrinth der Gedankengänge glücklich hindurch führt. — Dies wird
auch, meiner Ansicht nach, die Ursache sein, weshalb Maimon fast
ein ganzes Menschenalter nach seinem Tode ein vergessener Mann
war, während andere für die Philosophie minder bedeutende Kan-
tianer bei jeder Gelegenheit mit Kant in Zusammenhang gebracht
wurden. — Erst vor ungefähr drei Jahrzehnten, als der Ruf „Zurück
zu Kant" stärker als je erscholl, wurde man auch auf ihn aufmerk-
sam, und zwar waren es zuerst J. E. Erdmann und Ed. Zeller, die
ihn aus der Vergessenheit hervorzogen. So sind nun innerhalb dieses
Zeitraums eine Reihe von Aufsätzen und Dissertationen in deutscher
und französischer Sprache, darunter auch eine Berner Studie, er-
schienen, die aber alle, mehr oder weniger die erkenntnistheoretische
Seite zu ihrem Inhalte haben. Hingegen ist sein letztes Werk
„Versuch einer neuen Logik" worin er im Anschlüsse an Kant und
im Gegensatz zu ihm neue Prinzipien oder wie er sich ausdrückt,
eine neue Theorie des Denkens geben will, ganz unberücksichtigt
gelassen. Es ist dies sein letztes namhaftes Werk vom Jahre 1794,
nicht 1798 wie Kuno Fischer meint, und kann mit Recht als sein
reifstes bezeichnet werden. Wenn auch hin und wieder Gedanken,
die in seinen früheren Werken bereits niedergelegt sind, wieder
auftauchen, so verfolgt er doch im grossen und ganzen ein anderes
Ziel als bisher. Nicht mehr das „Ding an sich" ist es, was ihn
hier beschäftigt, sondern die formale Logik, insbesondere die in der
Kr. d. r. V. niedergelegte Kategorienlehre. Was nun die formale
Logik im allgemeinen anbetrifft, so nimmt Maimon daran Anstoss.
dass die Logiker vor ihm die drei Hauptbestandteile der Logik,
nämlich: Begriffe, Urteile und Schlüsse, ebenso vielen Verstandes-
funktionen entspringen lassen. — Nach Maimon sind diese drei
Funktionen nur scheinbar, in Wirklichkeit gibt es nur eine einzige
Funktion, die nach dem Grundsatze der Bestimmbarkeit verfährt.
Dieser Grundsatz bildet den Mittelpunkt des genannten Werkes,
da vermittelst desselben viele in der Vernunftkritik auftauchenden
Schwierigkeiten beseitigt werden. Kant operiert zwar mit diesem
— 5 —
Grundsatz in seiner Kr. d. r. V., S. 454, Kehrb. Ausg. bei der Ab-
handlung vom transzendentalen Ideal, aber in ganz anderem Sinne;
in der Form aber wie er uns hier entgegentritt, ist er zuerst von
Maimon in die Logik eingeführt worden. Wenn Ed. Zeller behauptet,
der Grundsatz der Bestimmbarkeit sei nichts anderes als der bereits
in der Philosophie bekannte Satz vom Grunde, so ist dies zwar in-
sofern richtig, als beide eine Negation ausdrücken, d. h. in dem
Sinne wie determinatio est negatio, indem beide das gemeinsame
Merkmal haben, dass sie einen Gegenstand von der Sphäre des bloss
Möglichen, Unbestimmten in diejenige des Wirklichen, Bestimmten
emporheben. Da sich aber mit dem Satze vom Grunde nicht das-
selbe leisten lässt, wie mit dem Grundsatz der Bestimmbarkeit, wie
sich in der Folge von selbst ergeben wird, so scheint mir eine
vollständige Identifizierung dieser beiden Begriffe nicht am richtigen
Platze zu sein. — Was nun die Kategorien anbelangt, so gibt es
zweierlei, wogegen sich Maimon wendet: erstens ist es falsch, wenn
Kant die Urteilsformen als das Primäre annehmend den Kategorien
zugrunde legt, woraus diese dann abgeleitet werden; sondern das
umgekehrte Verfahren muss stattfinden. Nicht die Urteilsformen,
sondern die Kategorien sind das Allgemeinere, Primäre. Denn bevor
ich etwas von Bejahung und Verneinung weiss, muss ich mir zuerst
der Kategorien Substanz und Akzidenz bewusst geworden sein,
d. h. dessen, wovon etwas bejaht oder verneint wird. Zweitens
sind die Kategorien überzählig und es Hessen sich bequem mehrere
wegstreichen, ohne dass eine empfindliche Lücke dadurch entstehen
soll. Kant habe sich bei der Aufsuchung der Kategorien mehr von
der symmetrisch-architektonischen Neigung zur Zwölfzahl, als von
wissenschaftlicher Präzision leiten lassen. Nach diesen einleitenden
Worten wollen wir in den nächsten Abschnitten zum eigentlichen
Thema übergehen und zwar soll der Anfang mit der Auseinander-
setzung des Grundsatzes der Bestimmbarkeit und dessen Anwendung
auf die Logik gemacht werden.
Erwähnt mag noch werden, mit welcher Hochachtung Fichte sich
über Maimon äusserte. Denn sie vertraten beide einen Standpunkt
bezüglich des Ding an sich, wie bereits oben auseinandergesetzt wurde.
— 6 —
Maimon hat zuerst einen alten Gedanken von Leibnitz wieder auf-
genommen zur Erklärung des Ding an sich, und zwar den der petites-
perceptions, den nachher Fichte in seiner Wissenschaftslehre ver-
wertet hat. — Nicht uninteressant mag es sein, dass auch Goethe
sich für unsern Philosophen interessierte und den Wunsch äusserte,
diesen merkwürdigen Mann kennen zu lernen; er wurde auf ihn
aufmerksam durch die seinerzeit so viel Aufsehen erregende Selbst-
biographie, die aber auch noch für uns viel Beachtenswertes aufweist.
I. Kapitel.
Der Grundsatz der Bestimmbarkeit.
Die zwei obersten Prinzipien der Logik : der Satz der Identität
a = a und der unmittelbar daraus folgende Satz des Widerspruchs
oder principium exlusii tertii, wonach einem Gegenstande niemals
ein Prädikat und das demselben kontradiktorisch Entgegengesetzte
zugleich zukommen kann; diese beiden Prinzipien sind keine aus-
reichenden Kriterien für die Wahrheit aller Urteile. Denn obgleich
sie die Form aller Urteile erschöpfen, indem ein solches entweder
bejahend oder verneinend sein muss, so gilt dies doch nur für das
bloss formelle Denken, nicht aber für das reelle Denken. Denn ich
kann in meinem Bewusstsein zwei Gegenstände so miteinander ver-
binden, also ein Urteil bilden, welches den oben genannten zwei
Prinzipien Genüge leistet, ohne dass es deshalb aufhört ein falsches
Urteil zu sein, wie z. B in dem Urteil, wo ich die Tugend vom
Viereck bejahe oder verneine. Es muss daher ein Prinzip aus-
findig gemacht werden, demzufolge nicht bloss die formelle Seite
des Urteils, sondern auch dessen Realverhältnis bestimmt werde.
Diese Anforderung, die Bestimmung des Realverhältnisses im Urteil,
soll nach Maimon der von ihm in die Logik eingeführte Grundsatz
der Bestimmbarkeit erfüllen. Dieser zerfällt: a) In einen Satz des
Subjekts überhaupt. Ein jedes Subjekt muss nicht nur als Subjekt,
sondern auch an sich ein möglicher Gegenstand des (Subjekts sein)
Bewusstseins sein, b) In einen Satz fürs Prädikat. Ein jedes Prädikat
kann nicht an sich, sondern als Prädikat in Verbindung mit dem
Subjekt ein möglicher Gegenstand des Bewusstseins sein; d. h. das
Objekt kann nur als Bestimmung des Subjekts, welches das Be-
— 8 —
stiinmbare ist, gedacht werden; also im Verhältnis der Bestimmbar-
keit zu einander stehen. Jedes andere Denken, welches nicht gemäss
diesem Grundsatze vor sich geht, ist wohl ein willkürliches, niemals
ein reelles Denken, folglich auch falsch. Von der Art ist also das
Urteil, in welchem ich Viereck und Tugend miteinander verbinde ;
denn da beide Glieder, das Subjekt sowohl als das Prädikat, an
sich Gegenstand des Bewusstseins sein können, so verstösst dies
gegen den im Grundsatz der Bestimmbarkeit aufgestellten Satz fürs
Prädikat, nach welchem dieses ohne das Subjekt nicht Gegenstand
des Bewusstseins sein kann ; hingegen aber ist das Urteil : Der Tisch
ist rund ein reelles Urteil, da das Prädikat rund ohne Verbindung
mit seinem Subjekt gar keine Bedeutung haben würde. Denn durch
das Prädikat, welches eine neue Bestimmung des Subjekts ist, ent-
steht ein neues Objekt: Der runde Tisch. Das ist ein Hauptcharak-
teristikum; denn darauf beruht, im Gegensatz zu Kant, der Unter-
schied der analytischen und synthetischen Urteile. Ein synthetisches
Urteil ist nach Maimon ein solches, durch dessen Prädikat ein
neues Objekt entsteht ; ein analytisches hingegen ein solches, in
welchem zwar kein neues Objekt entsteht, aber eine neue Bestim-
mung enthält, die in dem blossen Begriffe nicht enthalten ist,
sondern durch die Zerlegung desselben in seine Eigenschaften heraus-
gefunden wird. Ein analytisches Urteil im Sinne Kants ist kein
Urteil, weil es unsere Erkenntnis von den Dingen nicht erweitert.
Wichtiger jedoch für uns ist es, zu sehen, wie aus dem Grund-
satz der Bestimmbarkeit sich ergibt: erstens dass, wie eingangs
angedeutet, die drei Hauptbestandteile der Logik, Begriffe, Urteile
und Schlüsse, nicht drei verschiedenen Verstandesfunktionen, wie
in der Logik üblich war, entspringen, sondern einer einzigen und
zwar der Einsicht in das Verhältnis von Bestimmbarem, d. h. Sub-
jekt und Bestimmung oder Prädikat, welche zusammen das Bestimmte
ausmachen. Zweitens beruht darauf der Beweis, dass Raum und
Zeit die allgemeinen Formen des Denkens seien. Drittens endlich
gründet Maimon darauf seine gegen Kant aufgestellte Behauptung,
dass die Kategorien das Primäre seien, woraus dann die Urteils-
formen deduziert werden. Da indes Punkt 2 mehr der Er-
kenntnistheorie angehört und hier bloss der Vollständigkeit halber
berührt wird, so soll damit begonnen werden, zu zeigen, wie aus
dem Grundsatze mittelbar folgt, dass Raum und Zeit die Formen
unserer Anschauung sind. Mittelbar deshalb, weil dies erst aus den
— 9 —
vom Grundsatz hergeleiteten Lehrsätzen folgt. Wir wollen zu diesem
Zwecke dieselben anführen.
Erster Lehrsatz.
Eine jede mögliche Bestimmung des Bestimmten ist zugleich
eine mögliche Bestimmung des Bestimmbaren.
Beweis.
Der Beweis wird vorerst allgemein geführt, indem gezeigt wird,
dass gar keine Bestimmung ohne das Bestimmbare, als den allge-
meinen Begriff, gedacht werden kann. So kann ich z. B. den be-
sondern Begriff eines rechtwinkligen Dreiecks ohne den allgemeineren
Begriff des Dreiecks überhaupt nicht denken, da jenes die Bestim-
mung, letzteres inbezug auf das erste das Bestimmbare ist. Nun
ist Dreieck überhaupt, welches im vorigen Beispiel das Bestimmbare
war inbezug auf Figur überhaupt eine Bestimmung, also ohne die-
selbe nicht denkbar, folglich ist auch rechtwinkliges Dreieck ohne
Figur überhaupt nicht denkbar. Geht man in der Reihe der Be-
stimmungen und des Bestimmbaren rückwärts, so wird man auf ein
letztes Bestimmbares stossen, welches nicht mehr Bestimmung ist.
Da nun eine Verknüpfung des Mannigfaltigen in einer Einheit des
Bewusstseins nach dem Grundsatze der Bestimmbarkeit ohne Raum
für den äusseren und Zeit für den innern Sinn, nicht möglieh ist,
«o siud Raum und Zeit das letzte Glied in der Reihe der Bestim-
mungen und Bestimmbaren. Sonach könnte man auch hier von
einer Totalität der Reihe der Bestimmungen sprechen, wie sie Kant
von den Bedingungen postuliert, nur mit dem Unterschiede, dass
letztere, nach Maimon, keine Vernunftideen sind, sondern ein Be-
dürfnis der Einbildungskraft, wie er dies in seiner Kritik der Anti-
nomieen näher auseinandersetzt, während in unserem Falle mit Raum
und Zeit realiter die ganze Reihe gegeben ist. Raum und Zeit sind
also die allgemeinen Formen und der Grund unseres Denkens.
Zweiter Lehrsatz.
Eine jede mögliche Bestimmung der Bestimmung ist zugleich
eine mögliche Bestimmung des Bestimmbaren.
Beweis.
Der Beweis lässt sich genau so, wie der erste, führen, nur,
dass in diesem Lehrsatz noch ein neues Glied hinzukommt. So ist
— 10 —
das Rechtwinkligsein eine Bestimmung des Dreieck, dieses aber eine
Bestimmung von Figur, folglich ist das Rechtwinkligsein eine mög-
liche Bestimmung von Figur, folglich auch von Raum und Zeit.
Nachdem wir so das Wesen des Grundsatzes der Bestimmbar-
keit betrachtet haben, soll es die Aufgabe der nächsten Abschnitte
sein, die ferneren Konsequenzen, die sich aus demselben ergeben,
zu zeigen.
Die Zurückführiing der drei logischen Funktionen auf eine
einzige.
Eingangs der Kr. d. r. V. stellt Kant den Verstand als das Ver-
mögen Begriffe zu bilden hin. Den Begriffen muss zwar eine vor-
hergegangene Anschauung zu Grunde liegen : Begriffe ohne Anschau-
ungen sind leer." Aber der Begriff als solcher ist nicht mehr
Anschauung. Der Verstand besitzt nach Kant eine synthetische
Kraft, die Mannigfaltigkeit der Erscheinung in eine Einheit des Be-
griffs zu verknüpfen. So ist der Begriff „Mensch" entstanden, in-
dem wir die in der Anschauung übereinstimmenden Merkmale der
einzelnen Individuen in den Begriff Mensch zusammenfassen. Ist
dieser Begriff als fertig gegeben da, so ist es nicht mehr nötig, die
einzelnen Merkmale noch einmal in der Anschauung zu durchlaufen,
sondern wir betrachten ihn als gegeben an. Ist sonach, nach Kant,
der Verstand das Vermögen der Begriffe, so ist das Mittelglied
zwischen Verstand und Vernunft dasjenige der Urteile, das Ver-
mögen nämlich unter einer Regel zu subsumieren. „Nun ist," sagt Kant
an einer Stelle der Kr. der Urteilskraft, „zwischen dem Erkenntnis-
und Begehrungsvermögen das Gefühl der Lust, sowie zwischen dem
Verstand und der Vernunft die Urteilskraft enthalten." Immerhin
eine selbständige Funktion, wie wir sehen. Nach Maimon hingegen
„besteht", um seine eigenen Worte zu gebrauchen, „das ganze Ge-
schäft des Urteilens bloss darin, entweder vom Subjekt einen deut-
lichen Begriff zu erlangen oder das Subjekt einer Synthesis zu
bestimmen ; mit anderen Worten : Das Urteil ist nichts anderes als
das Bestimmbare durch die Bestimmung bestimmt. Wir werden
später sehen, dass dasselbe Verhältnis, nach ihm von den Begriffen
gilt. Die Vernunft endlich ist, nach Kant, das Vermögen, Schlüsse
zu bilden. „Alle Schlüsse," sagt Kant, „sind entweder mittelbare
oder unmittelbare. Ein unmittelbarer Schluss ist die Ableitung
— 11 —
eines Urteils aus dem andern ohne ein vermittelndes Urteil. Mittel-
bar ist ein Schluss, wenn man ausser dem Begriff, den ein Urteil
in sich enthält, noch andere braucht, um eine Erkenntnis daraus
herzuleiten"; ferner „die unmittelbaren Schlüsse heissen auch Ver-
standesschlüsse; alle mittelbaren Schlüsse hingegen," und mit solchen
haben wir es ja zu tun, „sind Vernunftschlüsse." Nach Maimon
hingegen müsste man etwa sagen, ist der Schluss die mittelbare
Einsicht in das Verhältnis von Bestimmbarem und Bestimmung,
wie es im Urteil die unmittelbare Einsicht in dieses Verhältnis ist,
und zwar würde in diesem Falle die erste Prämisse als die stets
allgemeinere, das Bestimmbare, die zweite Prämisse die Bestimmung
und der Konsequenz als die Folge, d. h! die Einsicht in dies Verhältnis
sein. Wie er ja überhaupt, seiner Einheitsbestrebung zufolge, den
Schluss ein erweitertes Urteil nennt. Aus diesem Grunde lässt er
einerseits den Unterschied zwischen Verstandes- und Vernunftschlüssen^
anderseits den zwischen den kategorischen und hypothetischen Ur-
teilen nicht gelten. Letzteres nicht, da sich jedes kategorische
Urteil, nach ihm, in die Schlussform des hypothetischen umwandeln
lässt und umgekehrt, z. B. das hypothetische Urteil, wenn die Sonne
aufgeht, erwärmt sie den Stein, lässt sich in die kategorische Form
umwandeln, die aufgehende Sonne erwärmt den Stein. Dabei ist
aber nicht ausser acht zu lassen, dass es ihm hier um die formelle
Seite zu tun ist; auf das erstere werde ich noch in anderem Zu-
sammenhang zu sprechen kommen. Wie aber bereits bei der Be-
griffsbildung das Verhältnis von Bestimmbarem und Bestimmung
deutlich hervortritt, soll im folgenden gezeigt werden, nachdem
zuerst die verschiedenen Arten der Begriffe vorgeführt werden.
A. Die Begriffe.
Nach Maimon lässt sich das Wesen des Begriffes definieren^
wenn drei Differenzpunkte, d. h. die negativen Beziehungen des
Begriffes zu den verwandten Bedingungen des Denkens, der An-
schauung und Vorstellung festgehalten werden. Da der Begriff
nämlich die innere Bedingung des Denkens oder das Produkt des
Denkens ist, so wird der Begriff erstens im Gegensatz von Anschau-
ung gebraucht, da Anschauung die äussere Bedingung des Denkens
ist. Der Begriff hingegen ist nicht mehr Anschauung, sondern das
— 12 —
Produkt der wiederholten gleichartigen Sinneswahrnehrnungen. An-
schauung ist sonach Voraussetzung des Begriffes, nicht aber der
Begriff selber. Zweitens wird der Begriff im Gegensatz von Vor-
stellung gebraucht, denn Vorstellung überhaupt kann auch auf ein
einzelnes bestimmtes Objekt bezogen werden. So habe ich z. B.
eine Vorstellung von den einzelnen mit bestimmten Eigenschaften
ausgestatteten Mensch Peter. Der Begriff hingegen hat es mit dem
Kollektivnamen Mensch zu tun, der alle Arten in sich begreift.
Drittens endlich wird der Begriff im Gegensatz von Objekt gebraucht,
indem das Objekt des Denkens selbst eine Anschauung ist oder als
Anschauung betrachtet wird. Die Verschiedenheit des Begriffs von
Objekt geht auch daraus hervor, dass der Begriff noch mehrere
Bestimmungen zulässt oder, mit Maimon zu sprechen, mehr als auf
eine Art bestimmbar ist, was beim Objekt nicht der Fall ist. An
dem schon angeführten Beispiel wird es leicht klar: Mensch als
allgemeiner Begriff ist als solcher nur im Verhältnis zu dem höhern
Gattungsbegriff Tier bestimmt, im Verhältnis aber zu den unter
ihm stehenden Arten völlig unbestimmt; er lässt noch viele Be-
stimmungen zu wie Mann, Weib, Gelehrter u. s. w. Das Objekt hin-
gegen, bei dem wir es mit einem in der Anschauung befindlichen,
mit allen möglichen Merkmalen ausgestatteten Gegenstande zu tun
haben, lässt keine weitere Bestimmung mehr zu. — Diese Scheidung
des Begriffs von Anschauung und Vorstellung wird von Mainion
konsequent durchgeführt und sie ist die Veranlassung zu einer
neuen von der hergebrachten abweichenden Einteilung der Begriffe
ihrer Qualität nach. Es ist falsch, sagt Maimon. die Begriffe dem
Grade ihrer Deutlichkeit nach einzuteilen in dunkle, klare und deut-
liche, wie dies insbesondere in der Leibnitz-Wolffschen Schule ge-
schah ; eine solche Einteilung wäre wohl subjektiv, nicht aber in
der Natur des Begriffs begründet; denn was dem einen Menschen
als dunkler Begriff erscheint, kann einem andern wohl klar erscheinen,
ja sogar einem und demselben Menschen kann ein Begriff unter
gegebenen Umständen verworren, unter anderen Umständen wiederum
als klar und deutlich erscheinen. So stellt sich der Begriff des
Rechts, wie Kant an einer Stelle des Kr. d. r. V. bemerkt, dem un-
gebildeten Landmann anders dar, als dem Rechtsgelehrten. —
Nichtsdestoweniger ist der Begriff des Rechts an sich klar und
deutlich mit allen seinen Bestimmungen und Verzweigungen. Diese
Deutlichkeit will nun Maimon bei allen Begriffen an sich durch-
— 13 —
geführt wissen, da nur so eine objektive Einteilung möglich ist.
Man kann sonach wohl von einer verworrenen oder klaren Vor-
stellung sprechen, da hier immer auf das wahrnehmende Subjekt
Rücksicht genommen wird ; beim Begriff aber, wo es sich nicht um
eine Wahrnehmung, sondern um ein Denken handelt, geht dies nicht
an. Die Begriffe müssen nach Maimou deshalb eingeteilt werden :
Erstens in solche, die formelle Bedingungen des Denkens sind, d. h.
solche, die Erfahrung allererst möglich machen, also nicht von der
Erfahrung abstrahiert sind, wie z B. die Kategorien Einheit, Substanz
u. dergl. Diese Begriffe sind dem Denkvermögen a priori gegeben
und beziehen sich auf ein Objekt überhaupt. Sie können aber auch
nicht von den Objekten abstrahiert worden sein, weil in der Abstrak-
tion die Möglichkeit der Objekte und folglich diese Begriffe, als Be-
dingungen von der Möglichkeit solcher Objekte, schon vorausgesetzt
sind. Er geht also, wie wir sehen, einerseits in bezug auf die
Apriorität der genannten Kategorien mit Kant zusammen, während
er anderseits in Beziehung auf die Kausalität Hume beipflichtet, wie er
in der Tat seinen eigenen Standpunkt als einen gemässigten Skepti-
zismus bezeichnet. Sodann gibt es Begriffe, welche Produkte des
Denkens sind; diese unterscheiden sich von den vorhergehenden da-
durch, dass sie auf bestimmte Objekte bezogen werden oder gar diese
Objekte selber ausmachen, wie Zirkel, Dreieck u. s. w. In die dritte
Gruppe endlich gehören die abstrakten Begriffe, d. h. solche, die
durch unser Denken den Objekten entnommen, in Wirklichkeit aber
nicht existieren; so ist z. B. die „Tugend" solch ein allgemeiner
abstrakter Begriff; denn hier wird völlig unbestimmt gelassen, \vas
Tugend ist, da sie sich auf alle tugendhaften Handlungen bezieht.
Man kann also von diesem Begriffe nicht in dem Sinne sprechen
wie von einem konkreten Dinge wie „Hausu, da letzteres ein in der
Wirklichkeit existierendes Objekt ist, während jener erst dadurch
Begriff wird, dass wir ihn dazu machon. Soweit erstreckt sich die
Einteilung der Begriffe, ihrer Quantität und Qualität nach; es bleibt
nur noch übrig die Begriffe ihrer Relation nach, d. h. ihr Verhältnis
zu einander zu erörtern. Bei dieser Gelegenheit wird derjenige Punkt
zu berühren sein, der für die vorliegende Arbeit am wichtigsten ist:
nämlich wie die Funktion des Urteils schon bei der Bildung von Be-
griffen deutlich hervortritt.
— 14 —
B. Begriffe ihrer Relation nach.
Wie bei der Einteilung der Begriffe ihrer Qualität nach, ergeben
^ich auch hier bei der Einteilung derselben ihrer Relation nach drei
verschiedene Beziehungen zu einander. Erstens können Begriffe iden-
tisch sein wie a und a oder verschieden a und b oder endlich entgegen-
gesetzt a und non a. Ebenso verhält es sich mit den zusammengesetzten
Begriffen, nur dass noch ein Moment hinzukommt, nämlich dass
sie zum Teil identisch und zum Teil verschieden sein können. Von
dieser Art sind die zusammengesetzten Begriffe a b und a c. Was
die einfachen Begriffe anbelangt, so wäre noch in Bezug auf die
entgegengesetzten Begriffe a und non a vorausnehmend zu bemerken,
dies wird nämlich weiterhin gelegentlich der verneinenden Urteile
ausführlicher behandelt, dass in unserem Falle non a nicht bedeuten
kann gleich unendlich, weil eine solche Entgegensetzung nicht positiv
sondern negativ lauten würde, d. h. es würde an die Stelle des
verneinten Begriffs nichts Bestimmtes setzen; während der konträre
Begriff in der Tat an die Stelle des verneinten Begriffs einen setzt.
Dies wird an einem Beispiel leicht verständlich. Es seien die einander
entgegengesetzten Begriffe weiss und nicht-weiss gegeben ; soll hier
nicht-weiss die Bedeutung von unendlich haben, so würde es heissen,
jede andere beliebige Farbe nur nicht weiss, während es in dem
konträren Sinne etwa die schwarze Farbe zu bedeuten hätte. — Be-
griffe sind koordiniert, wenn der eine ohne den anderen entweder
in einem Objekte überhaupt oder in einem bestimmten Objekte nicht
dargestellt werden kann ; von der ersten Art sind z. B. (die Begriffe
Raum und Figur) die drei Winkel im Dreieck, weil so wenig diese
ohne jenen, wie jene ohne diese in einem Objekt überhaupt dar-
gestellt werden können. „Eine Figur, die drei Seiten hat, muss
auch drei Winkel haben und so auch umgekehrt." Subordiniert sind
Begriffe, wenn der eine ohne den anderen, dieser aber nicht ohne
jenen dargestellt werden kann. Z B. Dreieck und Figur. Aus den
Begriffen, die im Verhältnis der Subordination stehen, ersieht man
leicht, dass sie zugleich im Verhältnis der Bestimmbarkeit zu ein-
ander stehen und folglich wird der übergeordnete Begriff das Be-
stimmbare und der subordinierte die Bestimmung sein. Betrachtet
man das Urteil etwas näher, so wird man finden, dass in jedem
Urteil ein Begriff durch einen andern erklärt wird; ferner ist in
jedem Urteil, sofern es nicht ein identisches genannt werden soll,
— 15 —
ein Begriff, der allgemeine, iu welchem dann der andere enthalten
ist. Es stehen also in jedem Urteil zwei oder mehr Begriffe im
Verhältnis der Bestimmbarkeit zu einander. In dem Urteil „Mensch
ist Tier" ist der Begriff Tier der allgemeine, übergeordnete, da er
noch mehrere Bestimmungen enthält, sind aber doch zum Teil identisch,
woraus zu ersehen ist, dass die Bildung der Urteile von der Begriffs-
bildung sich nicht wesentlich unterscheidet.
IL Kapitel.
Die Kategorienlehre.
Wir haben im vorigen Kapitel gezeigt, wie Maimon bestrebt
war ein Kriterium für die Wahrheit eines reellen Denkens im Gegen-
satz zu dem bloss willkürlichen oder formellen Denken ausfindig zu
machen und dass er dieses Kriterium in der Tat in seinem von
ihm aufgestellten „Grundsatz der Bestimmbarkeit" gefunden hat.
Es ist ferner gezeigt worden, wie vermittelst desselben die Restrik-
tion der in der Logik üblichen drei Funktionen des Denkens auf
eine einzige zurückgeführt werden, d. h. sie beruhen alle auf der
Einsicht in das Verhältnis von Bestimmbarem und Bestimmung
und zwar ist dies uns zunächst bei den Begriffen aufzuzeigen ge-
lungen. Nun soll es die Aufgabe dieses Kapitels sein, zu zeigen,
welche Mängel Maimon in der Kantschen Tafel der Urteilsformen
sowohl als in der der Kategorien gefunden, aus welchen Gründen
er ferner die Deduzierung der Kategorien aus den Urteilsformen für
fehlerhaft hält und wie er vermittelst des Grundsatzes Bestimm-
barkeit diese Mängel zu beseitigen glaubt.
Bereits anfangs dieser Arbeit ist auf die symmetrisch-architek-
tonische Neigung Kants zur Zwölfzahl hingewiesen worden, ein
Umstand, der den Verdacht aufkeimen lässt, als ob es ihm weniger
um wissenschaftliche Präzision, als vielmehr um eine persönliche
Laune zu befriedigen, zu tun war. „Schon diese präzise Einteilung
der logischen Formen in vier Hauptmomente," sagt Maimon an
einer Stelle, „deren jedes wiederum drei Formen unter sich begreift,
hat etwas so Gesuchtes und Geheimnisvolles an sich, dass ein jeder
Selbstdenker ein Misstrauen dagegen fassen muss." Denn obgleich
— 17 —
die Tafel der Urteilsformen sowohl als die der Kategorien über-
zählig sind, so hat er es sich doch nicht nehmen lassen, die Zwölf-
zahl beizubehalten. Ueberdies ist in jedem der vier Klassen das
dritte Moment eine Synthese des ersten und zweiten Momentes, wie
Kant selbst zugibt und dies dadurch zu rechtfertigen sucht, dass
zu dieser Synthese ein besonderer Verstandesakt notwendig ist, was
aber nicht stichhaltig ist, indem es sich hier um reine, selbständige,
von keinen anderen abgeleiteten Verstandesbegriffen handelt, wie
dies auch Ed. v. Hartmann tadelnd hervorhebt : „Geschichte der
Metaphysik", H.Teil, Seite 25. Hier heisst es: „Wenn das dritte
Glied in jeder Gruppe, wie Kant behauptet, nur eine Verbindung
des ersten und zweiten Gliedes wäre, so wäre es von diesen abge-
leitet, unbeschadet dessen, dass zu dieser Synthese ein neuer Akt
des Denkens erforderlich wäre und wäre es kein ursprünglicher
Stammbegrifl' des reinen Verstandes." In Wahrheit aber war es ihm
um einen strengen Parallelismus zu tun und deshalb hat er „sowohl
die Tafel der Urteilsformen als auch die der Kategorien gewaltsam
verändert, um diesen künstlichen Parallelismus hervorzubringen.
Allerdings ist nicht in Abrede zu stellen, dass Kant über Aristoteles
einen Schritt hinaus getan hat, wie dies auch Maimon zugibt. Aristo-
teles verfährt bei der Aufsuchung der Kategorien bloss „rhapsodisch"
wie sich Maimon ausdrückt, indem er dieselben aufgreift, wo und
insoweit sie sich finden lassen ; er nimmt gewissermassen die Er-
fahrung zuhilfe und so ist dieser Weg unsicher, indem keine Bürg-
schaft dafür vorhanden ist, ob sich nicht noch einige finden lassen.
Kants Methode hingegen verfährt nach „einem formellen Prinzip a
priori, indem sie die in der Logik bestimmte Formen des Denkens in
Beziehung auf ein ganz unbestimmtes Objekt überhaupt zum Grunde
legt, die sie durch Hinzufügung desjenigen, wodurch sie Formen
des Denkens reeller Objekte werden, zu Kategorien erhebt." Mit
anderen Worten, die allgemeine, reine Logik, die Kant der Trans-
zendentalphilosophie vorhergehen lässt, betrachtet die reine Form
des Urteils, ohne auf den Inhalt desselben Rücksicht zu nehmen,
während dann die Kategorien, die ganz analog den Urteilsformen
sind, die Anwendung auf ein reelles Objekt überhaupt, d. h. nicht
empirisch bestimmtes darstellen. Aber hier erhebt sich unabweislich
die Frage quid juris, mit welchem Recht legt er die Urteilsformen
den Kategorien zu Grunde ; etwa bloss deshalb, weil dieselben die
blosse reine Form zu ihrem Inhalt haben ? Dann begeht er offenbar
2
— 18 —
einen Zirkel, indem das, was die Kategorien beweisen sollen, d. h.
die Anwendung auf reelle Objekte überhaupt, die Urteilsformen
bereits voraussetzen. „Denn," fragt Maimon, „was sind eigentlich,
um die einfachsten, allen Urteilen zum Grunde liegenden Formen
zu gebrauchen, was sind Bejahung und Verneinung? — Bejahung
bedeutet eine Uebereinstimmung zwischen dem Subjekt und Prädikat
und Verneinung Mangel dieser Uebereinstimmung, woraus man sieht,
dass die logische Bejahung und Verneinung die transzendentale
Realität und Negation voraussetzen. Kant selber hat sich gelegent-
lich in anderem Zusammenhang gegen ein derartiges Verfahren aus-
gesprochen. Es sei unstatthaft, von einem bereits als gegeben vor-
gefundenen gewisse Regeln zu abstrahieren und diese dann jenem
als Wissenschaft voranzuschicken. — Kr. d. r. V., S. 77, heisst es:
„Die letztere," die Logik ist hier gemeint, „wird mehrenteils in den
Schulen als Propädeutik den Wissenschaften vorangeschickt, ob sie
zwar, nach dem Gange der menschlichen Vernunft, das Späteste ist,
wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fertig
ist und nur die letzte Hand zu ihrer Berichtiguug und Vollkommen-
heit bedarf. Denn man muss die Gegenstände schon in ziemlich
hohem Grade kennen, wenn man die Regeln angeben will, wie sich
eine Wissenschaft von ihnen zustande bringen lasse." Es ist dies
für einen grossen Philosophen eine Selbstverblendung, wenn er in
denselben Fehler verfällt, vor dem er einige Seiten zuvor gewarnt
hat. Kurz zusammen gefasst stellt sich die Sache so dar : Jedes
Denken besteht in einer Synthesis des Mannigfaltigen in einer Ein-
heit des Bewusstseins, d. h. wir finden ausser unserem Denken nur
ein ungeordnetes Mannigfaltige, welches dann durch die dem mensch-
lichen Geiste innewohnenden Denkfunktionen, die nach Kant die
reinen Verstandesbegriffe heissen, geordnet, in eine Einheit zusammen-
gefasst. Mag nun die Einheit bestehen in der Beziehung von Sub-
sistenz und Inharenz, Kausalität und Dependenz u. s. w. Diesen
verschiedenen Kategorien gemäss muss sich das Denken bewegen,
wenn es Realität haben soll. Um sich aber der Vollzähligkeit dieser
Kategorien zu versichern, verfuhr er nach einer Regel. Als heuristi-
sches Prinzip stellt er dann die Urteilsformen auf, da jedes Denken
in Urteilen besteht und nachdem die Formen aller Urteile erschöpft
war, schritt er dann zu der Deduktion der Kategorien.
Man sieht also daraus, dass, wie man die Sache auch drehen
und wenden mag, die Kategorien das Primäre sind, da sie die Ver-
— 19 —
anlassung gewesen, die Tafel der Urteilsformen als heuristisches Prinzip
aufzustellen. Soweit erstreckt sich der Einwand Maimons gegen die
Kantsche Deduktion der Kategorien aus den Urteilsformen und nun
soll gezeigt werden, dass überdies die Urteilsformen sowohl als auch
•die Kategorien überzählig sind.
An der Hand des Schemas, wie es Kant aufgestellt hat, soll
dies nachgewiesen werden.
Tafel der
Urteilsformen.
Tafel der Kategorien.
Quantität.
Qualität.
Quantität.
Allgemeine.
Bejahende.
Einheit.
Einzelne.
Verneinende.
Vielheit.
Besondere.
Unendliche.
Allheit.
Relation:
Modalität.
Qualität. Relation.
Kategorische.
Problematische.
Subsistenz und In-
Hypothetische.
Assertorische.
härenz.
Disjunktive.
Apodiktische.
Realität. Kausalität und De-
pendenz.
Negation. Wechselwirkung.
Limitation.
Modalität.
Möglichkeit. — Unmöglichkeit.
Dasein. — Nichtdasein.
Notwendigkeit und Zufälligkeit.
Zunächst was die Urteile der Quantität anbetrifft, so haben
die ursprünglichen, identischen Urteile keine Quantität, d. h. sie
haben keinen Umfang, da sie unsere Kenntnis von den Dingen nicht
erweitern. Aus dem Urteil a = a folgt nichts weiter als dieser
Satz. (Hingegen aber haben die allgemeinen Urteile eine Quantität,
da sie abgekürzte Schlüsse sind. Das allgemeine Urteil z. B. : Alle
Menschen sind Tiere, besteht aus den zwei quantitätslosen Urteilen,
welche die Prämissen ausmachen : erstens Tier ist im Begriff Mensch
enthalten; zweitens Mensch, auf welche Art auch bestimmt, ist Mensch,
woraus dann der Schlusssatz erfolgt: Alle Menschen sind Tiere.
— 20 —
Sonach gibt es der Quantität nach zwei Urteile: Allgemeine-
und Besondere. Der Qualität nach gibt es im engern Sinne ebenfalls-
nur zwei Urteile : Bejahende und Verneinende ; die unendlichen Ur-
teile scheiden aus, indem sie in keinem Verhältnis der Bestimm-
barkeit zu einander stehen. In dem verneinenden Urteil z. B. : Kein
Mensch ist unsterblich, wird gesagt, dass das Subjekt eine Bestim-
mung enthält, die dem Prädikat entgegengesetzt ist. In dem un-
endlichen Urteil hingegen : die Tugend ist nicht viereckig, ist weder
viereckig, noch das dem Viereck entgegengesetzte eine mögliche
Bestimmung von Tugend. Wenn Kant in der Kritik der reinen Ver-
nunft ausführt, das unendliche Urteil müsse als ein besonderes
Glied aufgeführt werden, da es weder den bejahenden Urteilen, wie
dies in der allgemeinen Logik geschieht, noch den verneinenden
Urteilen beigezählt werden kann, da das unendliche Urteil das
Hauptgewicht darauf legt, dass sie, die Seele, in dem Beispiel : die
Seele ist nicht sterblich, in den unendlichen Teil der nichtsterb-
lichen Wesen gehört, so wäre diese Bestimmung des unendlichen
Urteils, nach Maimon, falsch; denn in dem angeführten Beispiel
ist der dem Prädikat entgegengesetzte Begriff wenigstens eine mög-
liche Bestimmung vom Subjekt. Sonach wäre das Urteil : Die Seele
ist nicht sterblich, zu den bejahenden zu rechnen, indem ich das
Subjekt in den unbeschränkten Raum der nichtsterblichen Wesen
als bejahend setze, wie Kant selbst vorübergehend sagt. Wiederum
geschah dies wegen der bereits erwähnten Synthese der ersten und
zweiten Urteilsform.
Unter den Urteilsformen der Relation gibt es nach Kant : Ka-
tegorische, hypothetische und problematische Urteile. Die hypothe-
tischen will Maimon ausgeschieden wissen, da sie der Form nach
zu den kategorischen gehören. Denn jedes hypothetische Urteil lässt
sich in die Form des kategorischen Urteils umwandeln, ebenso wie
jedes kategorische Urteil sich in die hypothetische Form bringen
lässt. So lässt sich das hypothetische Urteil z. B. : Wenn die Sonne
aufgeht, erwärmt sie den Stein, in die kategorische Form bringen:
Die aufgehende Sonne erwärmt den Stein. Indessen ist dies bloss
die formale Seite. Es gibt aber noch einen tiefer liegenden Grund,
der ihn veranlasst, die beiden Urteilsarten zu identifizieren und
zwar ist dies ihre innere Zusammengehörigkeit vermöge des Grund-
satzes der Bestimmbarkeit, „Die hypothetischen Urteile sind solche,
wodurch die Abhängigkeit eines Urteils von einem andern bestimmt
— 21 —
wird. Da das eine Urteil, der Antecedens, vom anderen, dem Kon-
sequens, unabhängig, dieses von jenem aber abhängig ist, so stehen
sie im Verhältnis der Bestimmbarkeit zu einander und verhalten
sich wie das Subjekt und Prädikat im kategorischen Urteile, denn
beim Urteilen kommt es nicht darauf an, ob das Urteil aus Be-
griffen oder wiederum aus Urteilen zusammengesetzt ist." Wenn
daher Kiesewetter in seiner „Logik nach Kant'schen Grundsätzen"
die von Maimon gefundene Uebereinstimmung zwischen den kate-
gorischen und hypothetischen Urteilen zu widerlegen sucht, so ist
an dieser Stelle zu bemerken, dass es nur den einen Punkt der
Uebereinstimmung, nämlich die Umwandlung der betreffenden For-
men in die anderen, in Betracht zog, während er die mit logischer
Konsequenz aus dem Grundsatz der Bestimmbarkeit sich ergebende
Uebereinstimmung mit Stillschweigen übergeht. Ueberdies ist es
logisch nicht zulässig, wenn Kant im hypothetischen Urteil den
Antecedens problematisch, den Konsequens aber assertorisch nennt.
Dieser ist als notwendige Folge stets apodiktisch. In dem Urteil :
Wenn die Sonne den Stein bescheint, wird er warm, folgt die Er-
wärmung des Steines nicht nur wirklich, sondern notwendig.
Ueberhaupt haben wir es in der Logik nur mit Notwendigkeit
und Möglichkeit zu tun. Aus diesem Grunde verneint Maimon die
von Kant in die vierte Gruppe aufgenommenen assertorischen Ur-
teile. Denn das problematische Urteil, „dass ein Mensch gelehrt
sein kann," erweitert unsere Erkenntnis um den Begriff eines ge-
lehrten Menschen; dass ein solcher Mensch sodann in der Wirklich-
keit angetroffen wird, bestätigt bloss die Möglichkeit, erweitert aber
nicht unsere Erkenntnis.
Aus dieser Erwägung, nämlich, dass die Urteile wesentlich zur
Erweiterung unserer Erkenntnis dienen sollen, fasst er die analyti-
schen Urteile in einem weiteren Sinne als Kant, wie dies bereits
im vorigen Kapitel kurz angedeutet wurde. Für Kant sind analytische
Urteile solche, deren . Prädikatsbegriff im Subjektsbegriff schon ent-
halten ist und man bloss nötig habe, letzteren zu zergliedern, um
das Prädikat zu finden, wie z. B., „alle Körper sind ausgedehnt,
wo die Ausgedehntheit mit dem Begriff des Körpers unzertrennlich
verknüpft ist, da kein Körper ohne Ausdehnung denkbar ist". Nein,
sagt Maimon, solche Urteile erweitern nicht nur unsere Erkenntnis
von den Dingen nicht, wie die identischen oder individuellen, sondern
es gibt auch solche, die zu ihrer Realität die synthetischen voraus-
— 22 —
setzeu. So ist z. B. das reell falsche aber formal richtige Urteil:
ein viereckiger Zirkel ist viereckig ein analytisches Urteil nach dem
Satz des Widerspruchs. Soll aber dieses Urteil auf seine Wahrheit,
Realität geprüft werden, so stellt sich heraus, dass es unmöglich
ist, da ein viereckiger Zirkel sich nicht konstruieren lässt: also
bedarf ich zur Konstatierung der Realität des genannten Urteils der
Hilfe des synthetischen. Allerdings ist es auf den ersten Blick be-
fremdend, dass Maimon mit Beweisen gegen Kant argumentiert, die
sich vom Standpunkt Kants sehr gut rechtfertigen lassen, indem er
in der Tat alle mathematischen Sätze synthetische Urteile a priori
nennt. Auch linden wir bei Maimon gar keine Andeutung, wie er
diese Argumente gedeutet wissen will, und so ist man darauf an-
gewiesen, diese seine Beweise nach eigenem Ermessen zu ergänzen.
Und zwar, müsste man dann sagen, wendet sich Maimon gerade
gegen die Generellisierung der mathematischen Sätze als synthetische
Urteile, indem er zeigt, dass es auch welche gibt, die analytischen
Charakter tragen und dennoch zu ihrer Realisierung der syntheti-
schen Urteile bedürfen. Man müsste also sagen, dass diese Bestim-
mung nicht von allen analytischen Urteilen gelten soll, sondern
bloss von gewissen mathematischen; die übrigen analytischen Urteile
sind identische zu nennen.
Soweit haben wir uns mit dem negativen Teil, d. h. der pole-
mischen Seite Maimons befasst; es ist der unhaltbare Standpunkt
der Kant'schen Kategorienlehre aus mehreren Gründen gezeigt
worden; vor allem aber deshalb, weil die Grundlage eine unsichere,
lockere ist.
Nun ist es an der Zeit, zu Maimon selbst überzugehen, seine
Methode, die er an die Stelle der Kant'schen setzt, aufzuzeigen und
Punkt für Punkt darzulegen, wie alsdann die Schwierigkeiten sich
lösen. Bevor wir jedoch zur Lösung dieser Frage schreiten, soll
noch eine allgemeine Bemerkung vorangeschickt werden. Es ist Mai-
mon durchaus nicht darum zu tun, um eine gewisse Proportionalität
oder Zahlensymmetrie, sondern lediglich darum, aus einem gut fun-
damentierten Prinzip den Grundsatz der Bestimmbarkeit die Kate-
gorien herzuleiten, gleichviel was für eine Zahl sich daraus ergeben
wird. „Ich werde mich wenig darum bekümmern," sagt er gelegent-
lich, „ob ich, nachdem ich den Ursprung und die Bedeutung der
logischen Formen werde untersucht haben, zwölf Formen, nach den
Stämmen Israels, oder mehr oder weniger herausbringen werde,
- 23 —
wenn ich nur von dem, was ich herausbringe, werde Rechenschaft
geben können. Ihm ist es, wie man sieht, nur um die Sache selbst
und nicht um die äussere Form zu tun; daraus erklärt es sich
ebenfalls, dass die Urteilsformen in mehreren Beziehungen mit den
Kategorien nicht ganz übereinstimmen, wie noch ausführlich gezeigt
werden soll.
Nach all dem Gesagten wird sich allerdings die unausbleibliche
und unabweisliche Frage aufdrängen, wie es denn eigentlich komme,
dass Maimon neben einer Tafel der Kategorien noch eine Tafel der
Urteilsformen gelten lässt. Nach Kant ist diese doppelte Gegen-
überstellung deshalb nötig, weil er eben die Urteilsformen als heu-
ristisches Prinzip unentbehrlich findet; aber nach Maimon, der sich
eines solchen heuristischen Prinzips nicht zu bedienen braucht, ja
sogar sich eines solchen zu bedienen für unstatthaft hält, wozu
noch der überflüssige Ballast, insbesondere, da sein ganzes Augen-
merk, wie aus der ganzen Logik hervorgeht, auf eine grösstmög-
liche Vereinfachung gerichtet ist?
Die Beantwortung dieser Frage ist nicht schwer, nur muss man
folgenden Gesichtspunkt beachten. Beide, Maimon wie Kant, stimmen
darin überein, dass es eine reine, allgemeine Logik und eine an-
gewandte Logik oder transzendentale geben muss. Nur mit dem
Unterschied, und darin gehen sie auseinander, dass Kant die Urteils-
formen zum übergeordneten Faktor, von dem die Kategorien abhängig
sind, erhebt; während bei Maimon Urteilsformen und Kategorien
sich wechselsweise bedingen. „Diese bedürfen jener zu ihrer Mög-
lichkeit und jene setzen diese zu ihrer Realität voraus." Nehmen
wir ein einfaches Beispiel aus der Algebra: A — B als blosse reine
Form betrachtet, will nichts anderes sagen, als dass die zwei ganz
unbestimmten Grössen A und B in einer solchen Beziehung zu ein-
ander stehen, dass die eine von der andern subtrahiert wird, ohne
dabei Rücksicht darauf zu nehmen, ob die Bedingungen zu einem
solchen Verfahren gegeben sind, d. h. dass A grösser sein muss
als B. Soll aber dieses Verhältnis auf wirklieh gegebene Grössen
angewendet werden, so muss wohl auf dieses Verhältnis Rücksicht
genommen werden ; hingegen ist die reine Form die Möglichkeit
vom Gebrauche der Kategorien, denn bevor ich auf wirkliche Dinge
die Beziehungen der Denkformen anzuwenden beginne, muss ich
mich zuerst vergewissern, ob solche Beziehungen überhaupt vor-
handen sind und diese erhalten wir durch die Urteilsformen. Nach
— 24 —
Maimon bilden die Urteilsformen gleichsam den Kern, der aus den
Kategorien herausgeschält wird durch Abzug dessen, was dieselben
als die Bedingungen von der Möglichkeit des Denkens eines reellen
Objekts bestimmt, ohne dass deshalb die Kategorien den Anspruch
erheben dürften, mehr zu gelten als die Urteilsformen, vielmehr
setzen sie sich gegenseitig voraus. Diese Wechselseitigkeit von Kate-
gorien und Urteilsformen drückt er einmal folgendermassen aus :
Die Formen der Urteile sind, als Postulate des Denkens in Beziehung
auf Objekte überhaupt, bloss möglich. Die Kategorien, d. h. diese
Formen, in Ansehung ihres Gebrauchs durch Bedingungen der Be-
stimmbarkeit eingeschränkt, können von den durch diese Beding-
ungen erkennbaren Objekten nur unter der Voraussetzung gebraucht
werden, dass das erkennbare Verhältnis der Bestimmbarkeit in dem
logischen Verhältnis der Formen, und dieses in dem Realverhältnis
der Objekte, gegründet ist." Es ist ferner klär, dass dadurch zu-
gleich der ganze Apparat des transzendentalen Schematismus, des
Kant'schen tritos anthropos, wie man denselben bezeichnen kann,
überflüssig gema-ht wird. Denn was ist denn der Schematismus
anderes, als der Vermittlungsversuch der Kategorien und die An-
wendung derselben auf empirisch gegebene Objekte. Dabei verfährt
er bekanntlich so : Den Raum nimmt er für die drei ersten Gruppen
der Kategorien, die mathematischen, und beweist, dass nichts im
Räume Darstellbares anders als vermittelst dieser Kategorien ge-
dacht werden. Ebenso ist wiederum die Zeit das Kriterium für die
zwei letzten Gruppen, die dynamischen, indem gezeigt wird, dass
Vorgänge in der Zeit nicht anders als vermittelst dieser Kategorien
gedacht werden können. Wenn z. B. von der Kategorie der
Kausalität die Rede ist, so beweist er, dass das Verhältnis von
Ursache und Wirkung in der Zeit dergestalt geartet sein muss,
dass die Ursache zeitlich vorhergeht, worauf danu die Wirkung
unausbleiblich folgt. Demgegenüber antwortet Maimon in dem „Re-
sultat der Kritik des Erkenntnisvermögens": „Zugegeben, dass wir
von der hypothetischen Form der Urteile, wie sie die Logik dar-
stellt, einen Begriff haben : wie kann eine allgemeine sich auf Ob-
jekte überhaupt sich beziehende bloss mögliche Form von bestimm-
ten Objekten wirklich gebraucht werden? Ich weiss, dass Objekte
überhaupt in diesem Verhältnisse stehen können, woher weiss ich
aber, dass das Feuer und die Wärme des Steines unter diese Ob-
jekte gehören? Durch das Schema, weil das Feuer immer vorher-
— 25 —
geht und die Wärme darauf folgt. Aber wie kann die in Beziehung
auf die Existenz dieser Objekte wahrgenommene Regel in der Zeit-
folge den Grund einer, in Beziehung auf ihre Denkbarkeit, not-
wendigen Regel abgeben?" Das heisst, wie folgt aus der in der
Wirklichkeit oft wahrgenommenen Aufeinanderfolge von Feuer und
Wärme, dass wir uns diese Aufeinanderfolge so und nicht auch um-
gekehrt denken müssen. Man sieht, dass sich hier speziell in bezug
auf die Kausalität der Einfluss Humes geltend gemacht hat.
Wenn aber die Kategorien dadurch gewonnen werden, dass
von vorneherein die Möglichkeit des Denkens eines reellen Objekts
zu gründe gelegt wird und die Kategorien als dasjenige Moment in
der Logik bezeichnet werden, vermittelst derselben jedes reelle
Denken erst möglich gemacht wird, so ist es ja klar, dass sie nicht
erst zu ihrer rechtmässigen Anwendung der Schemata bedarf, da
sie eine solche Anwendung bereits voraussetzen.
Sehen wir nun zu, wie er im einzelnen die Kategorien ableitet;
wir beginnen mit den Kategorien der Quantität, wobei gleich hier
zu bemerken ist, dass bei der Quantität zwischen Urteilsformen und
Kategorien kein Unterschied vorhanden ist. Hier wie dort ergibt
sich : Einheit, Vielheit und Allheit. Und zwar ist die Ueberein-
stimmung deshalb, weil zur Herleituug der Kategorien der Quantität
nicht erst die Möglichkeit des Denkens eines reellen Objekts nötig
ist. Der Grund nämlich, weshalb Maimon die Kategorien von den
Urteilsformen nicht ableiten will, ist ja der, weil die Urteilsformen
zu ihrer Realität der Kategorien, der Elementarprädikate bedarf;
nun aber lassen sich die Formen der Quantität aus der blossen
Anschauung abstrahieren, ohne auf die notwendige Denkbarkeit oder
die Beziehungen der Objekte zu einander Rücksicht zu nehmen.
Jedes Denken eines ganz unbestimmten Objekts überhaupt besteht
in der Verbindung eines Mannigfaltigen zu einer Einheit. Dieses
Mannigfaltige vor der Verbindung macht eine Vielheit aus. Da aber
jeder einzelne Bestandteil des Mannigfaltigen wiederum zusammen-
gesetzt sein kann, so machen diese Bestandteile zusammengenommen
eine Allheit aus. „In dem Begriffe eines rechtwinkligen, gleich-
schenkligen Dreiecks z. B. machen erstlich seine Bestandteile, das
rechtwinklige Dreieck und das Gleichschenkligsein ausser der Ver-
bindung eine Vielheit aus, die in dem Begriffe eines rechtwinkligen
gleichschenkligen Dreiecks eine Einheit ausmachen. Aber selbst der
•eine Bestandteil dieses Begriffes, nämlich das rechtwinklige Dreieck,
— 26 —
ist ein in einer Einheit verbundenes Mannigfaltige, dem als Subjekt
das neue Prädikat hinzugefügt wird. Ebenso ist auch die koordi-
nierte Vielheit des Subjekts in Beziehung auf das Prädikat eine
Allheit."
Kant leitet, wie bereits gezeigt worden, die Kategorien der
Quantität aus der Quantität der Urteile her. Diese Herleitung ist
schon aus dem Grunde falsch, weil nicht alle Urteile eine Quantität
haben, sondern nur diejenigen, welche abgekürzte Schlüsse sind. Da
dies schon einmal in anderem Zusammenhang gezeigt worden, wird
es wohl unnütz sein, dasselbe nochmals zu wiederholen. Maimon
hingegen leitet die Möglichkeit der Kategorien gerade aus den
quantitätslosen Urteilen, die er ja aus der Tafel der Urteilsformen
bei Kant ausgeschieden wissen will. Maimon stellt das quantitätslose
einfache Urteil auf und zeigt, dass es seiner äusseren Form nach
zwar keine Quantität habe. Zu seinem inneren Wesen oder zu
seiner Möglichkeit aber muss doch die Kategorie der Quantität
nach allen ihren Momenten vorausgesetzt werden. Mensch und Tier,
insofern sie nicht identisch sind, machen vor ihrer Verbindung in
einer Einheit des Bewusstseins eine Vielheit, in der Verbindung
eine Einheit aus. Da nun der ganze Begriff von Tier, d. h. alle
seine Prädikate, dem Menschen zukommen müssen, so haben wir
hier auch eine Allheit und so ist es auch in andern Fällen be-
schaffen.
Anders aber verhält es sich mit den Kategorien der Qualität;
während also die Kategorien der Quantität bloss Bedingungen eines
Objekts überhaupt sind, so sind sie doch nicht wiederum durchs
Denken bestimmt. Denn Einheit, Vielheit und Allheit findet auch
ausserhalb des Denkens statt, d. h. beim blossen Anschauen der
Objekte. Ich betrachte jeden Punkt einer Reihe als eine Einheit,
mehrere als eine Vielheit und die ganze Reihe als eine Allheit.
Bei den Kategorien der Qualität hingegen, Bejahung, Ver-
neinung u. s. w., steht es ganz anders; sie finden ausser dem
Denken gar nicht statt. „Man kann Objekte finden, die eins oder
viel sind, man kann aber keine finden, die Bejahung oder Ver-
neinung sind. Diese sind bloss gedachte Verhältnisse zwischen Ob-
jekten, aber keine absoluten Merkmale derselben. Sie sind also
durchs blosse Denken möglich, so wie das Denken wiederum durch
sie möglich wird. Folglich müssen die Urteilsformen Bejahung und
Verneinung die transzendentalen, als das reelle Denken, d. h. die
27
Kategorien, voraussetzen. Und nun kommt wieder der Grundsatz
der Bestimmbarkeit zur Anwendung. „Das Gegebensein der Objekte
in dem zum reellen Denken erforderliche Verhältnis der Bestimm-
barkeit, macht die Kategorie der Realität; das Gegebensein der
Objekte in einem diesem entgegengesetzten Verhältnis macht die
Kategorie der Negation, das Gegebensein derselben in keinem Ver-
hältnis der Bestimmbarkeit überhaupt, macht die Kategorie der
Limitation aus."
Nach Maimon wird sich die Gegenüberstellung der Kategorien
und Urteilsformen wie folgt darstellen lassen:
Formen.
Kategorien.
Quantität.
Quantität.
Einheit.
Einheit.
Vielheit.
Vielheit.
Allheit.
Allheit.
Qualität,
Qualität.
Bejahung.
Realität. '
Verneinung.
Negation.
Unendlichkeit.
Limitation.
Relation.
Relation.
Substanz und Akzidenz.
Gegenstand des Bewusstseins an sich
Wechselbe Stimmung.
und Gegenstand des Bewusstseins durch
jenen.
Wechselbestimmung.
Modalität.
Modalität.
rendigkeit und Unmöglichkeit.
Notwendigkeit.
Möglichkeit.
Möglichkeit.
Wirklichkeit.
Jede der hier aufgezählten Klassen der Kategorien sowohl wie
der Urteilsformen, stehen mehr oder weniger mit dem Grundsatz
der Bestimmbarkeit in Beziehung.
Bejahung als Form bedeutet das Gegebensein im Verhältnis
der Bestimmbarkeit ; als Kategorie ist es die Realität der gegebenen
Bestimmung. Verneinung ist das Gegebensein in einem, dem Ver-
hältnis der Bestimmbarkeit entgegengesetzten Verhältnis; Unend-
— 28 -
lichkeit bedeutet das Gegebensein in keinem Verhältnis der Be-
stimmbarkeit. Als Kategorien bedeutet Negation die dadurch
ausgeschlossenen Bestimmungen. Wechselbestimmung heisst: zwei
Akzidenzen einer Substanz, die sich gegenseitig ausschliessen ; darauf
beruht das disjunktive Urteil.
Notwendigkeit und Unmöglichkeit: wenn das Prädikat oder sein
Entgegengesetztes im Begriffe des Subjekts enthalten ist.
Möglichkeit: Wenn so wenig das Prädikat, als sein Entgegen-
gesetztes im Begriffe des Subjekts enthalten ist. Als Kategorie be-
deutet Möglichkeit die Beziehung der Bestimmung auf das Bestimm-
bare, d. h. das Bestimmbare muss nicht mit der Bestimmung
gedacht werden, da es auch an sich ein Gegenstand des Bewusst-
seins ist. Notwendigkeit wiederum das Bestimmbare in Beziehung
auf die Bestimmung. Wirklichkeit bedeutet die Darstellung des aus
dem Bestimmbaren und der Bestimmung bestehenden Objekts. Man
ersieht also aus der aufgestellten Tafel, dass die Kategorien sowohl
als die Formen der Quantität aus dem Denken eines Objekts über-
haupt hergeleitet werden und daher in der Logik und in der Trans-
zendentalphilosophie einerlei Bedeutung haben. Die Kategorien der
Qualität hingegen haben in der Logik, als blosse Formen, eine bloss
(indem sie als solche die Beziehungen zu den Objekten überhaupt
darstellen) relative, in der Transzendentalphüosophie eine (da in
diesem Falle reelle bestimmte Objekte in Betracht kommen) ab-
solute Bedeutung.
Während aber die Kategorien der Quantität sowohl als auch
der Qualität, sowie bei den Urteilsformen in allen ihren Momenten
anzutreffen sind, so fehlt bei der Relation je ein Glied. Das erste
Moment ist die Form der kategorischen, das zweite die gemein-
schaftliche Form der hypothetischen und disjunktiven Urteile. Die
eigentlich sege nannten hypothetischen Urteile haben keinen von den
kategorischen verschiedenen Gebrauch, wie dies schon, an anderem
Orte, gezeigt worden ist. Die wechselseitigen hypothetischen Urteile
aber sind mit den disjunktiven gleichgeltend ; z. B. anstatt des
wechselseitig hypothetischen Urteils : wenn a ist b, so ist es nicht c
und nicht d und umgekehrt: wenn a nicht c nicht d ist, so ist es
b kann dieses disjunktive Urteil gesetzt werden: a ist entweder b
oder c oder d. Beide können also unter dem Begriffe von Wechsel-
bestimmung gebracht werden, nur dass in dem hypothetischen Ur-
teile Antecedens und Konsequens, in dem disjunktiven aber die sich
— 29 —
abschliessenden Glieder in Wechselbestimmung stehen. Ja, jenes
Urteil kann selbst kategorisch ausgedrückt werden : a, das nicht c
oder d ist, ist b.
Nachdem wir gezeigt haben, wie der Grundsatz der Bestimm-
barkeit als Grundlage zur Deduktion der Kategorien gedient hat
und dass die Funktion des Urteilens gemäss diesem Grundsatze
vor sich geht, soll es die Aufgabe des nächsten Kapitels sein, zu
zeigen, wie derselbe Grundsatz der Bestimmbarkeit auch der Schluss-
bildung zu gründe liegt.
III. Kapitel.
Die Lehre von den Schlüssen.
Bevor wir zur Lehre der Schlüsse übergehen, ist es nötig, die
von Maimon in die Logik eingeführte sogenannte algebraische Me-
thode und ihren Wert zu berücksichtigen, da sie das einzige Cha-
rakteristische und Neue in diesem Abschnitte bildet, während er im
übrigen nur in einigen Stücken von der hergebrachten Logik ab-
weicht. Die algebraische heisst sie deshalb, weil sie, im Gegensatz
zu den andern Logiken, insbesondere der erkenntnistheoretischen, die
für die Schlüsse nötigen Urteile nicht in Worten zum Ausdruck
bringt, sondern zu diesem Behufe sich der algebraischen Buchstaben
bedient, da die allgemeine Logik von allem Inhalte abstrahiert und
bloss die reine Form in Betracht zieht. „Da die Logik von allem
reellen Inhalt der Objekte abstrahiert, und uur die Formen des
Denkens eines Objekts überhaupt in Betrachtung zieht, so kann die
Logik vorzugsweise mehr als irgend eine andere Wissenschaft, durch
eine allgemeine Charakteristik behandelt werden, so dass die Theorie
der Zeichen zur Berichtigung und Erweiterung der dadurch bezeich-
neten Formen sehr bequem gebraucht werden kann."
Wiewohl dieselbe bereits bei den Urteilen verwendet wird,
scheint sie doch hauptsächlich für Schlüsse berechnet zu sein, „da,"
wie er sich einmal ausdrückt, „die ganz verwickelte Lehre von den
Schlüssen sehr bequem durch die logische Charakteristik strenge
bewiesen werden kann." Allein dieselben Zeichen bedeuten nicht
in allen Fällen dasselbe ; vielmehr ist ein Unterschied zu machen
zwischen der allgemeinen reinen und der angewandten oder
transzendentalen Logik, wie dies aus einer andern Stelle deutlich
hervorgeht. „Nach der Analogie mit der Algebra können die
Objekte der allgemeinen sowohl reinen als angewandten Logik
— 31 —
durch x, y, z ausgedrückt werden, nur mit dem Unterschiede, dass
diese x, y, z in der reinen Logik den ganz unbestimmten, in der
angewandten hingegen, den zwar an sich unbestimmten, durch Be-
dingungen der Aufgaben aber bestimmbaren x, y, z entsprechen."
Anders ausgedrückt: In der allgemeinen Logik, die es mit der
blossen reinen Form, den Verhältnissen und Beziehungen, die zwi-
schen einem ganz unbestimmten Subjekt und Prädikat stattfinden,
zu tun hat, bedeutet das genannte x nur jenes ganz unbekannte
Etwas in der Buchstabenlehre ; während in der angewandten Logik,
wo wir es mit der Uebertragung dieser Formen auf reelle Objekte
überhaupt zu tun haben, bedeutet dieses x jene durch Auflösung
zu findende Grösse, an deren Stelle dieser Buchstabe einstweilen
gesetzt wurde. In der praktischen Logik, wo wir es mit empirisch
bestimmten Objekten zu tun haben, entspricht einer jeden als be-
stimmt gegebenen Grösse a, b, c; auch mit diesen Buchstaben wird
operiert, so z. B. wenn ein allgemein bejahendes oder verneinendes
Urteil dargestellt werden soll. Wir wollen sofort die Anwendung
an einigen Beispielen zeigen. Die Buchstaben a, h, c werden stets
bedeuten das gegebene Bestimmbare, das durch eine mögliche Be-
stimmung von x bestimmt werden kann. So würde a x. ein all-
gemeiner Begriff sein, d. h. ein solcher, der auf mehr als eine Art
bestimmt werden kann. Ferner wird a x ist a ein allgemeines Urteil
sein und würde so viel heissen wie Tier, auf jede mögliche Art be-
stimmt, ist Tier ; so könnte es z. B. heissen, Tier durch Menschheit
bestimmt ist Tier, oder allgemein ausgedrückt, alle a x sind a
= Alle Menschen sind Tiere. Bei dieser Gelegenheit kommt jener
Grundsatz der Logik zum Vorschein: dictum de omni und der auf
dem Grundsatz der Bestimmbarkeit beruht und besagen will, dass,
was vom Ganzen gilt, auch von allen seinen Teilen und Bestimmungen
gelten muss. Denn ebenso verändert das, für sich ohne das Bestimm-
bare Mögliche, Bestimmbare, auch durch die Bestimmung seine Natur
nicht, und bleibt, nach wie vor, möglich.
Im obigen Beispiel kann a x ist a nur dann heissen, alle
Menschen sind Tiere, wenn ich annehme, dass das x, welches eine
jede mögliche Bestimmung bedeutet, als Menschheit bezeichne, kann
aber ebensogut jede andere Bestimmung ausdrücken.
Hingegen aber besagt z. B. der Buchstabe n eine wirklich ge-
gebene und nicht eine mögliche Bestimmung; a würde in diesem
Falle, um das geläufige Beispiel beizubehalten, Tier heissen, also
— 32 —
das Bestimmbare und n die wirklich gedachte Bestimmung Menschheit.
Also ; a n ist a = gleich Tier durch Menschheit bestimmt ist Tierr
allgemein ausgedrückt : alle a n sind a = Alle Menschen sind Tiere.
Dies wenige mag vorläufig genügen zur Illustrierung der algebrai-
schen Methode und deren Anwendung auf ein durch den Grundsatz
der Bestimmbarkeit zu verknüpfendes Mannigfaltige. Es wird sich
im Verlaufe dieses Abschnittes zeigen, wie sich diese Methode auf
die Schlüsse und mit grösserem Nutzen anwenden lässt. Vorher
aber wird noch über die Natur der Schlüsse im allgemeinen etwas
zu sagen sein und dann insbesondere jener Punkt zu berühren sein,
auf den ich bereits im ersten Kapitel aufmerksam gemacht, dessen
ausführliche Behandlung für diesen Abschnitt aufbewahrt wurde, in
welchem er auch hineingehört, Ich meine jenen von gewissen Lo-
gikern gemachten Unterschied zwischen den mittelbaren und un-
mittelbaren Schlüssen, den Maimon nicht gelten lassen will, aus
welchen Gründen werden wir weiter sehen. Wir werden ferner
sehen, wie auch hier, wie in den vorherigen Abschnitten der Grund-
satz der Bestimmbarkeit zum Vorscheiu kommt und so kann man
ruhig behaupten, dass, wenn die Lehre von den Schlüssen nichts
weiter enthalten sollte, was nicht schon andere vor ihm deutlicher
gesagt hätten, sie doch wegen der erstaunlichen Konsequenz in einem
besondern Kapitel abgehandelt zu werden. Und iu der Tat wird, wie
bereits eingangs hervorgehoben, nur wenig von der hergebrachten
Logik abweichendes zu verzeichnen sein, da die vier syllogistischen
Figuren bei ihm dieselben sind, wie sie Aristoteles hinterlassen hat
und woran auch nicht zu rütteln sei. Bezüglich der vierten Figur
sagt er allerdings, sie sei nichts anderes als eine Umkehrung der
ersten Figur. Ueberhaupt scheint er die Schlüsse nur unwillig be-
handelt zu haben und dies bloss der Vollständigkeit halber. „Ich
will daher," schreibt er gelegentlich, „die trockene und sehr un-
fruchtbare Lehre der allgemeinen Logik," gemeint ist hier natürlich
die Lehre von den Schlüssen, „die ich hier, bloss um meine Theorie
des Denkens vollständig zu behandeln und den Nutzen der logischen
Charakteristik zu zeigen, vorgetragen habe, hiemit beschliessen"
u. s. w. Und in der Tat scheint es ihm hier hauptsächlich nur um
die logische Charakteristik, d. h. die algebraische Methode zu tun,
da er sie mit grosser Sorgfalt behandelt und an mehrere Stellen
die laute Freude über diese Entdeckung kaum verhalten kann.
Dennoch soll uns dieser Punkt nicht ausschliesslich beschäftigen,
— 33 —
sondern vielmehr vor der andern für uns viel wichtigeren Frage,
die wir zum Ausgangspunkt genommen, nämlich, wie der Grundsatz
der Bestimmbarkeit auch bei der Funktion des Schliessens sich gel-
tend macht, mehr in den Hintergrund zurücktreten. Und nur an
Stellen, wo der Nutzen und die Anschaulichkeit der Charakteristik
besonders markant hervortritt, wie etwa beim goclenischen Sorites,
soll ihrer Erwähnung geschehen. Da wo dieser Vorteil sich nicht
deutlich zeigt, kann man mit Stillschweigen darüber hinweggehen.
Wir haben bereits bei den Urteilen gesehen, dass die beiden zu
verbindenden Glieder in einem Verhältnis der Bestimmbarkeit zu
einander stehen, wenn es ein reelles Denken sein soll. d. h. wenn
a das Bestimmbare und b die Bestimmung ist, so kann jenes an
sich, ohne die Bestimmung ein Gegenstand des Rewusstseins sein,.
b hingegen, als die Bestimmung, nur in Verbindung mit a gedacht
werden, wie dies schon an einer andern Stelle ausführlich gezeigt
worden ist. Ist z. B. das Urteil a b ist a in einem solchen Ver-
hältnis gegeben, so sehe ich unmittelbar ein, dass es in einem sol-
chen Verhältnis steht, a welches zugleich b, ist auch a, d. h. das
Bestimmbare verändert seine Natur niemals, soviel Bestimmungen
es auch erhalten mag. Anders aber verhält es sich mit den Schlüssen,
denn zu jedem mittelbaren Schluss sind mindestens drei verschiedene
Glieder nötig, der major, der minor und der Mittelbegriff. Nun
handelt es sich, auch hier zu bestimmen, ob der Schluss ein richtiger,
reeller genannt werden kann ; denn gerade hier, wo der Schluss-
satz mit logischer Notwendigkeit aus den Prämissen sich ergibt,
ohne darauf zu achten, ob letztere auch wahr sind oder nicht z. B.
der aus folgenden zwei Prämissen sich ergebende Schluss: Alle
Vierecke sind tugendhaft, erste Prämisse, dieses ist ein Viereck,
zweite Prämisse, Schlusssati: folglich ist es tugendhaft; dieser Schluss
ist unläugbar richtig, d. h. formal richtig, nichtsdestoweniger sind
seine Prämissen falsch. Es handelt sich also darum, zu bestimmen,
wie auch beim Schluss die Realität. Wahrheit eingesehen wird ver-
mittelst des Grundsatzes der Bestimmbarkeit, Unmittelbar wie beim
Urteil kann es nicht geschehen, denn dazu sind bloss zwei Glieder
notwendig; also gelangen wir, nach Maimon, zu dieser Einsicht
mittelbar. Wohl gibt es Fälle, in denen auch mehr als zwei Glieder
in einer Einheit des Bewusstseins zur Bestimmung eines Objekts
verbunden werden, wie z. B. die drei Linien eines Dreiecks, aber hier
sind dieselben koordiniert, also mit dem Verhältnis der Bestimm-
3
— 34 —
barkeit nicht vergleichbar, wo es sich um ein Abhängigkeitsverhältnis
handelt. Was er mit dem Beispiel sagen will ist folgendes: Das
gegebene Objekt des Dreiecks kann ich unmittelbar als Einheit in
mein Bewusstsein aufnehmen, obgleich es aus drei Linien, also drei
Gliedern, zusammengesetzt ist, weil sie eben koordiniert sind, indem
keine ohne die andere zur Bestimmung eines Dreiecks denkbar ist.
Anders aber verhält es sich mit dem Schluss, wo es sich um ein
Abhängigkeitsverhältnis handelt ; in dem Schluss, z. B. a ist b, b ist c,
also ist a auch c, sehe ich den Schlusssatz nicht unmittelbar durch
Vergleichung von a und c ein, „sondern durch Verbindung von zwei
unmittelbaren Vergleichungen. Die jedesmalige unmittelbare Ver-
gleichung, und die dadurch bestimmte Verbindung, bezieht sich bloss
auf die zwei unmittelbar auf einander folgenden Glieder. Die mittel-
bare Verbindung zwischen a und c kann also nicht anschauend,
sondern symbolisch sein." Dass dies aber theoretisch richtig und
vom Standpunkt Maimons konsequent bis zu Ende durchgeführt
würde, geht aus dem vom Grundsatz der Bestimmbarkeit hergeleiteten
Lehrsatz, den ich im ersten Kapitel zitiert habe, deutlich hervor.
Derselbe lautet: „Eine jede mögliche Bestimmung der Bestimmung
ist zugleich eine mögliche Bestimmung des Bestimmbaren." Den
Beweis haben wir oben erbracht und so wird es wohl überflüssig sein
denselben an dieser Stelle zu wiederholen. Auf unsern Fall ange-
wendet, würde es etwa so lauten: a das Bestimmbare, B die mög-
liche Bestimmung von A; in der zweiten Prämisse ist C die Be-
stimmung wiederum von B, also ist C auch die mögliche Bestimmung
von A. Dieser Lehrsatz ist also, wie man sieht, für die Schlusslehre
speziell aufgestellt. Es bleibt dann noch übrig zunächst einig- s über
die unmittelbaren Schlüsse zu sagen, erstens weil an einem Beispiel
die Anwendung der logischen Charakteristik und ihr Nutzen gezeigt
werden soll und zweitens, um bald darauf bei der Betrachtung der
mittelbaren Schlüsse den Vergleich dieser beiden Schlussarten an-
zustellen. — Ein unmittelbarer Schluss besteht aus zwei Urteilen,
einem allgemeinen und einem partikulären und stehen im Verhältnis
der Abhängigkeit, weshalb sie auch subalterne Urteile genannt werden.
Das allgemeine Urteil heisst das subalternierende, das partikuläre
das subalternierte. Dabei ist noch zu bemerken, dass diese Urteile
in bezug auf den Stoff, d. h. Subjekt und Prädikat einerlei sind
und nur der Form der Quantität nach verschieden. Ein Lehrsatz
lautet: Wenn das subalternierende Urteil wahr ist, so ist auch das
— 35 —
subalternierte Urteil wahr. Der Beweis wird nach seiner neuen
Methode so geführt : a x ist a, subalternierendes Urteil und bedeutet
A auf jede mögliche Art bestimmt ist A ; denn an Stelle von x kann
eine jede andere beliebige Bestimmung substituiert werden und kann
auch lauten a n ist a, welches dann das partikuläre Urteil sein wird ;
ist also a x ist a wahr, so wird auch das subalternierte a n ist a,
wahr sein. Allerdings Hesse sich der Beweis auch anders führen
etwa: „a x ist b (alle a ist, weil b ein allgemeinerer Begriff als a
ist. folglich, wenn n dem x substituiert wird, a n ist b, etliche a
sind b. Aber ich habe die Bezeichnung so gewählt, damit der Grund
der Wahiheit dieser Sätze schon aus der Bezeichnung erhellen soll.
Dass a x ist b kann bloss gedacht, aber nicht anschaulich gemacht
werden. Dass a x aber a ist, lehrt der Augenschein in dieser Be-
zeichnung selbst. Dass a n ist b folgt (wenn n dem x substituiert
wird) aus dem angenommenen a x ist b. Dahingegen a n ist a noch
ausser diesem Beweise sich aus der Bezeichnung selbst schon ergibt."
Als Correlat zu diesem Beispiel wollen wir noch ein zweites an-
führen. „Wenn das subalternierte Urteil falsch ist, ist auch das
subalternierende Urteil falsch. Der Beweis ergibt sich einfach daraus,
wenn man den vorigen umkehrt. Wenn es nämlich falsch ist, dass
a n nicht a sein soll, so ist auch falsch, dass a x nicht a sein soll.
Denn soll dieses wahr sein, so müsste auch, wenn man n dem x
substituiert, jener Satz wahr sein, welcher aber dem angenommenen
entgegengesetzt ist, also u s. w. Etwas komplizierter ist der dritte
Lehrsatz ; er lautet : „Aus der Falschheit des subalternierenden Ur-
teils kann nicht die Falschheit des subalternierten Urteils geschlossen
werden." Im Beweise fehlt ein Mittelglied, es mussheissen: x^>n,
d. h. der Begriff ist grösser als der Begriff n, dem Umfange nach,
a~>b, folglich ist es falsch, dass a x ist b (alle a sind b) und doch
ist es wahr, dass a n = b. Was er über die Lehre von der Kontra-
position der Urteile sagt, ist unwesentlich, da es bloss eine trockene
schematische Aufzählung der Fälle, in welchen eine Umkehrung sich
vornehmen lasse und in nichts von der hergebrachten Logik abweicht.
Hingegen aber ist ein Lehrsatz darunter von Wichtigkeit namentlich
deshalb, weil daraus wiederum sein Bestreben für die möglichste
logische Vereinfachung deutlich erhellt. Auch haben wir bei der
Abhandlung der Urteile einen analogen Fall kennen gelernt, nämlich
bei der Zurückführung oder Identifizierung der hypothetischen Ur-
teile mit den kategorischen. Der erwähnte Lehrsatz lautet : Ein
— 36 —
disjunktives Urteil kann in ein hypothetisches Urteil verwandelt werden.
1. ,,Wenn ein Glied des disjunktiven Urteils zum Antezedens, und
die Verneinung eines jeden anderen Gliedes zum Konsequens des
hypothetischen Urteils gemacht wird. 2. Wenn die Verneinung eines
oder einiger der disjunktiven Glieder zum Antezedens und die Be-
jahung der Uebrigen zum Konsequens gemacht wird." Dabei ist
freilich zu beachten, dass das durch Veränderung aus dem disjunk-
tiveu Urteil hervorgebrachte hypothetische Urteile von dem gewöhn-
lichen bejahenden sich dadurch unterscheidet, dass im ersteren stets
ein Glied, entweder der Antezedens oder der Konsequens verneinend
lauten muss. Z. B. das disjunktive Urteil: Die Welt ist entweder
durch einen blinden Zufall da, oder durch innere Notwendigkeit,
oder durch eine äussere Ursache, kann lauten hypothetisch : Wenn
die Welt durch blinden Zufall da ist, so ist sie nicht durch innere
Notwendigkeit da, auch hat sie keine äussere Ursache; oder es wird
umgekehrt und die zwei verneinten Möglichkeiten werden als Ante-
zedens vorangesetzt. Allgemein ausgedrückt: a oder b oder c ist,
folglich wenn a ist, so ist weder b noch c; wenn weder b noch c ist,
so ist a. Wie er also einerseits nicht zugeben will, dass die hypo-
thetischen Urteile eine von den kategorischen verschiedene Bedeutung
haben sollen, so macht sich doch auf der anderen Seite das Bestreben
geltend, die verschiedenen Schlussarten hypothetisch zu deuten. So
sind nach ihm die unmittelbaren Schlüsse nichts anderes als hypothe-
tische Grundsätze und deshalb indemonstrabel, da wir die notwendige
Folge des Konsequens aus dem Antezedens nicht einzusehen ver-
mögen. „Ein unmittelbarer Schluss ist in der Tat nichts anderes,
als ein einfacher hypothetischer Grundsatz: wenn alle a sind b, so ist
kein a non b. Die Verbindung zwischen dem Antezedens und dem
Konsequens wird aus ihrer Vergleichung mit einander unmittelbar
eingesehen." Wohlgemerkt, man sieht ihre Verbindung ein, nicht
aber wie, wenn a gesetzt ist, auch b notwendig darauf folgen muss.
Es hängt dies mit seinem Skeptizismus zusammen, auf den ich an
anderer Stelle bereits kurz hingewiesen habe. Er bezweifelt nämlich
die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Kausalität auf em-
pirische Objekte angewandt. „Daraus," sagt er, „dass Objekte
überhaupt, z. B. im Verhältnisse von Ursache und Wirkung gedacht
werden müssen, wenn eine Erfahrung überhaupt möglich sein soll,
lässt sich noch nicht begreiflich machen, warum z. B. eben das Feuer
und die Wärme in diesem Verhältnisse stehen müssen?"
Aber auch die mittelbaren Schlüsse sind hypothetische Sätze,
deren Antezedens aus zwei Urteilen zusammengesetzt ist; der Kon-
sequens enthält keinen neuen Stoff, sondern ist aus dem Subjekt
•des ersten und dem Prädikat des zweiten Urteils zusammengesetzt.
Noch deutlicher als irgend anderswo spricht er sich bei dieser
Gelegenheit über die logische Einheit und Vereinfachung aus. „Diese
Erörterung des Begriffs von Schlüssen und deren Unterscheidung
"von einander hielt ich hier für notwendig, um die von mir in diesem
Werke zum Ziel gesetzte höchste mögliche logische Einheit zu er-
reichen. Man sieht daraus, dass Urteile und Schlüsse, ihrem Wesen
nach, von einander nicht verschieden sind. Die Verschiedenheit in
Anschauung des Stoffes, der in den Urteilen Begriffe und Anschau-
ungen, und in den Schlüssen Urteile ist, berechtigt uns keineswegs,
deswegen sie für verschiedene Operationen des Denkens zu halten,
weil man in dieser Rücksicht unter den Urteilen selbst zwischen den
kategorischen und hypothetischen Urteilen eben diesen Unterschied
antrifft." Hierbei ist noch auf einen Unterschied aufmerksam zu
machen, dass nämlich die hypothetische Form der Schlüsse nicht
mit dem gewöhnlichen hypothetischen Urteil zu verwechseln ist.
Denn es gibt wohl auch hypothetische Urteile, deren Verknüpfung
und notwendige Aufeinanderfolge nicht aus der blossen Form des
Urteils sich ergibt. Das Urteil: wenn a ist b, so ist c d ist aller-
dings auch ein hypothetisches Urteil, aber wir vermögen nicht ein-
zusehen, weshalb, wenn a und b gegeben sind, c und d darauf folgen
müssen. Aus der blossen logischen Form ist dies nicht zu ersehen,
da die beiden Glieder kein gemeinschaftliches Merkmal aufweisen. —
Anders aber verhält es sich mit der hypothetischen Form der
Schlüsse, der unmittelbaren sowohl wie der mittelbaren ; wenn a
ist b und b ist c, so folgt aus der logischen Form notwendig, dass
a auch c sein muss; ebenso der unmittelbare Schluss, wenn a x
ist 6, so ist auch a oder a n — b. Aus diesem Grunde lässt er
keinen Unterschied zwischen den unmittelbaren und mittelbaren
Schlüssen gelten. „Mit welchem Rechte also," sagt er, „einige
Logiker die unmittelbaren Schlüsse Verstandesschlüsse nennen, da
sie doch nach den blossen Vernunftgesetzen geschehen, vermag ich
nicht einzusehen." Ich habe oben von dem Unterschied der hypo-
thetischen Form der Urteile und denjenigen des gewöhnlichen hypo-
thetischen Urteils gesprochen. Dies scheint freilich auf den ersten
Blick eine Inkonsequenz vonseiten Maimons zu sein ; aber dies scheint
— 38 —
mir in seinem Skeptizismus, den er in etwas veränderter Form mit"
Hume teilt, und der sich hauptsächlich auf die Kausalität bezieht,,
zu beruhen, wie ich dies bereits hervorgehoben habe. Daraus ergibt
sich ferner, dass die Schlüsse nicht ihrer Relation nach einzuteilen
sind in kategorische, hypothetische und disjunktive, sondern dass
alle Schlüsse hypothetische sind.
Aus dem bisher gesagten und aus den Belegen ging unzweifel-
haft hervor, dass erstens der Grundsatz der Bestimmbarkeit auch
den Schlüssen zum Grunde liegen; zweitens, wie er, seiner Einheits-
bestrebung getreu, den Unterschied zwischen den unmittelbaren und
mittelbaren Schlüssen nicht gelten lassen will, was er auch aus dem
Wesen der Schlüsse selbst zu beweisen sucht. Nun aber wird es
nicht unangebracht sein, einige Lehrsätze und die Beweise hierher
zu setzen, aus denen deutlich hervorgeht, wie der Grundsatz der
Bestimmbarkeit auf die Schlüsse sich anwenden lässt.
Lehrsatz.
„Ein Schluss kann nicht mehr oder weniger als drei vonein-
ander verschiedene Glieder haben."
Der Beweis wird bei Maimon mit einer umständlichen Breite
geführt ; es werden da eigentlich zwei Beweise angeführt. Der erste
geht vom Standpunkte aus, dass der Schluss ein hypothetisches
Urteil ist, dessen Antezedens aus zwei Urteilen bestehe; diese bei-
den Urteile müssen, wenn sie nicht identisch sein sollen, mindestens
drei Glieder haben, da sie sonst kein hypothetisches Urteil aus-
machen würden; mehr als drei aber dürfen sie nicht haben, weil,
sonst kein gemeinschaftliches Glied sein würde und der Grund der
Verbindung zwischen dem Antecedens und dem Konsequens nicht
in der blossen Vernunftform, sondern anderwärts liegen würde,
welches der Natur der Schlüsse entgegengesetzt ist. Allein mir
scheint dieser Beweis etwas gesucht und weit hergeholt zu sein,,
und könnte derselbe auch ohne Zuhilfenahme der Tatsache, dass
der mittelbare Schluss ein hypothetisches Urteil sei. dessen Ante-
zedens aus zwei Urteilen bestehe. Vielmehr könnte man bei der
Beweisführung von der Tatsache ausgehen, dass der Schluss aus
zwei Prämissen bestehe, die ein gemeinschaftliches Glied haben
müssen, wenn sie nicht identisch sein sollen, und folglich unsere
Erkenntnis nicht erweiternd. Ein gemeinschaftliches Glied müssen
sie haben, denn sonst, und da kommt folgerichtig der zweite Punkt,
— 39 —
würde man nicht einsehen, wie der Schluss aus den Prämissen, der
blossen Vernunft nach, folgen konnte. In der Tat wird auch in
jeder andern Abhandlung der Logik, bei Lambert, Kant, Kiesewetter
und auch in den neueren so und nicht anders argumentiert. Ein
anderer Lehrsatz behauptet, dass der Mittelbegriff, das beiden Prä-
missen gemeinschaftliche Glied nicht in beiden Prämissen partikulär
sein kann. Der Beweis leuchtet ohne weiteres von selbst ein; aus
den zwei Prämissen: Einige Tiere sind Fische und einige Tiere
sind Vögel, folgt natürlich nichts weiter, als dass der Mittelbegriff
als der allgemein bestimmbare den Vögeln sowohl wie den Fischen
gemeinsam ist.
Zum Schlüsse wollen wir noch zwei Lehrsätze mit ihren Be-
weisen hersetzen und dann dazu übergehen, zu zeigen, wie die
Regeln der Vernunftschlüsse aus der logischen Charakteristik be-
wiesen werden können.
Lehrsatz.
Wenn beide Prämissen bejahend sind, so ist auch die Kon-
klusion bejahend. Ist aber eine von den Prämissen verneinend, so
ist auch die Konklusion verneinend.
Der Beweis wird bei ihm folgendermassen geführt : a ist b und
c ist a heisst so viel als b auf irgend eine Art bestimmt ist a;
wenn man also in der Formel : a ist b dem a seinen Wert b x sub-
stituiert, so sieht man augenscheinlich, dass b x in sich b enthält.
Ferner a, d. h. b x, auf irgend eine Art bestimmt, nämlich b x y
ist c. Diesen Wert von c in der Konklusion substituiert, gibt die
Bezeichnung augenscheinlich : b x y. Diesen Beweis habe ich natür-
lich hauptsächlich seiner Kuriosität wegen so ausführlich und wört-
lich hier angeführt, da er ebenso abenteuerlich wie überflüssig ge-
nannt werden kann. Es wird deshalb unnötig sein, im einzelnen
diesen Beweis zu kritisieren, sondern es genüge bloss die Andeu-
tung, dass dieser Lehrsatz einer der einfachsten ist, indem aus der
blossen Form, dem Zeichen der Qualität, ohne weiteres folgt, dass
die Konklusion bejahend sei ; denn wie sollte beim Schluss, der
doch aus den Prämissen ihrer reinen Form nach notwendigerweise
folgte, etwas anderes unterlaufen, was nicht in den Prämissen ent-
halten sein sollte. Man hat also die Empfindung, dass er seine
logische Charakteristik, um sie konsequent durchzuführen, dieselbe
ad absurdum führt. Und so kann man allgemein sagen, die logische
— 40 —
Charakteristik ist von unzweifelhaftem Wert und Nutzen da, wo sie-
sich auf die Darstellung der Urteile und der verschiedenen Arten
der Schlüsse beschränkt; für die Beweisführung hingegen ist sie
nicht immer qualifiziert. Was auf der einen Seite die Anschau-
lichkeit gewinnt, und darum ist es ihm ja in der Hauptsache zu
tun, das verliert auf der andern Seite die Deutlichkeit: wenn wir
also vor der Alternative stehen sollten, entweder klares, deutliches
Denken oder verworrene Anschauung, so wird man, meiner Ansicht
nach, nicht lange anstehen, ersterem den Vorzug zu geben.
Dies darf uns aber nicht abhalten, in der Folge der logischen
Charakteristik, wo es nötig ist, uns zu bedienen, da es unsere Auf-
gabe nicht ist, zu zeigen, wie er es anders hätte machen sollen,
sondern, wie er von seinem Standpunkt aus nicht anders hat ver-
fahren können oder wollen. Sehr nützlich und auschaulich erweist
sich die logische Charakteristik beim Kettenschluss oder dem soge-
nannten ordentlichen und goclenischen Sorites, auf den wir noch
später zu sprechen kommen. Nun noch der letzte Lehrsatz.
Lehrsatz.
Aus einer partikulär bejahenden und einer allgemein verneinen-
den Prämisse folgt nichts.
Der Beweis wird so geführt, dass auf einem Umweg gezeigt
wird, wie in solchen Prämissen vier verschiedene Prämissen sich
ergeben, was der Natur der Schlüsse zuwiderläuft. Aus der parti-
kulär bejahenden Prämisse a m ist m, d. h. einige a, nämlich die-
jenigen, die durch m bestimmt sind, sind m, und c x ist nicht a,
kein c ist a folgt nichts. Denn wenn c x nicht a ist. so ist auch
das umgekehrte richtig, a x ist nicht c, folglich würde c x = — a
heissen c x = — a x. Es würden sich also vier Hauptbegriffe er-
geben: am, ax, ex und w, welches der Regel aller Schlüsse, dass
nämlich darin nur drei Hauptbegriffe vorkommen dürfen, zuwider
ist. Z. B. aus: Einige Menschen sind singende Menschen; kein
Vogel ist ein Mensch, folgt nichts. Denn obschon es wahr ist, dass
kein Vogel ein singender Mensch ist, oder dass einige Vögel nicht
singende Menschen sind, so folgt dieses doch nicht daraus, dass
kein Vogel singt, oder dass einige Vögel nicht singen, sondern
bloss, dass kein Vogel ein Mensch ist.
Soweit haben wir es mit den einfachen unmittelbaren und
mittelbaren Schlüssen zu tun gehabt und nun wollen wir zu den
— 41 —
zusammengesetztsn Schlüssen oder dein Sorites übergehen und mit
demselben die Lehre von den Schlüssen abschliessen. Was darüber
noch zu sagen wäre, ist unwesentlich und rein formeller Natur.
Maimon selbst hat zwar viel Gewicht gelegt auf diese algebraische
Methode, die er, wie im Vorhergehenden auf die Begriffe und Ur-
teile, auch auf die Kettenschlüsse angewendet hat. So wird es der
vorliegenden Arbeit nicht Abbruch tun, wenn der letzte Punkt nicht
ausführlich behandelt wird. Jedenfalls ist daraus ersichtlich und
damit möchte ich schliessen, dass wenn unserm Philosophen von
mancher Seite eine gewisse unsystematische Behandlung seiner
wissenschaftlichen Arbeiten vorgeworfen wird, ob mit Recht oder
nicht mag dahingestellt bleiben, so war er dafür auf der andern
Seite von einer eisernen Konsequenz, die in allen seinen Werken
klar und deutlich zum Ausdruck kommt. Er war wohl kein philo-
sophischer Schriftsteller, wie etwa Schopenhauer, wohl aber ein
scharfer und ernster Denker, dem es um die Sache selber zu tun
war, und das ist es, was ihm zu allen Zeiten einen gebührenden
Platz in der Geschichte der Philosophie inmitten der andern grossen
Philosophen sichern wird.
E r ra t a.
Seite 1, 5. Zeile, dieser statt dieses.
„ 1, letzte Zeile, Aenesidemus statt Aenisidemus.
„ 12, 6 Zeile, dem statt den.
„ 12, 7. Zeile, Menschen statt Mensch.
„ 12, 26. Zeile, nach gewesen.
„ 16, 15. Zeile, Grundsatzes der Bestimmbarkeit.
7 'S
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
B Gottselig, Leopold
3069 Die Logik Salomon Maimons
L8G6