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Full text of "Die Logik Salomon Maimons"

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Gottselig,  Leopold 

Die  Logik  Salomon  Maimons 


Die  Logik  Salomon  Maimons 


f    u.e 


Inaugural  -  Dissertation 


der 

lohen  philosophischen  Fakultät  der  Universität  Bern 

zur    Erlangung   der    Doktorwürde 

vorgelegt  von 

Leopold  Gottselig 


Von  der  philosophischen  Fakultät  auf  Antrag  des  Herrn  Professor  Dr.  L.  Stein 
agenommen. 

BERN,  den  24.  Juli   1906. 

Der  Dekan :     Prof.  Dr.  G.  Huber. 


BERN 

Buchdruckerei  Scheitlin,  Spring  &  Cie. 
1908 


Die  Logik  Salomon  Maimons 


Inaugural  -  Dissertation 

der 

hohen  philosophischen  Fakultät  der  Universität  Bern 

zur    Erlangung   der    Doktorwürde 

vorgelegt  von 

•  Leopold  Gottselig 


Von  der  philosophischen  Fakultät  auf  Antrag  des  Herrn  Professor  Dr.  L.  Stein 
angenommen. 

BERN,  den  24.  Juli   1906. 

Der  Dekan :     Prof.  Dr.  G.  Huber. 


BERN 

Buchdruckerei  Scheitlin,  Spring  &  Cie. 
1908 


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Inhaltsverzeichnis. 


8eite 

Einleitung 1 

I.  Kapitel. 

Der  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit 7 

Die  Zurückführung  der  drei  logischen  Funktionen  auf  eine  einzige          .  10 

A.  Die  Begriffe 11 

B.  Begriffe  ihrer  Relation  nach 14 

II.  Kapitel. 

Die  Kategorienlehre 16 

ID.  Kapitel.  % 

Die  Lehre  von  den  Schlüssen     .........  30 


Den  lieben  Eltern  in 

Dankbarkeit  und  Verehrung  gewidmet 

vom  Verfasser. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/dielogiksalomonmOOgott 


Einleitung, 


Wenn  man  die  unmittelbare  Strömung,  die  Kant  durch  seine 
Kr.  d.  r.  V.  hervorgebracht  hat,  ins  Auge  fasst,  so  wird  man  gewahr, 
dass  es  ausser  den  ausgesprochenen  Anhängern  Kants,  die  auf  das 
Wort  des  Meisters  schwören  und  den  unerbittlichen  Gegnern  des- 
selben, die  alles,  was  dieses  sagte,  kritiklos  verneinten,  weil  es  neu 
war,  vereinzelte  Denker  gab,  die  von  jedem  Extrem  sich  fern  hielten. 
Zu  diesen  letztern  ist  in  erster  Reihe  derjenige  Philosoph  zu  nennen, 
dessen  ganze  philosophische  Richtimg  durch  Kant  bestimmt  war,  der 
aber  gleichwohl  kein  blosser  Nachbeter  der  Kantschen  Philosophie 
war,  sondern  es  gewagt  hat,  darüber  hinauszugehen  und  einen  eigenen 
Standpunkt  einzunehmen :  ich  meine  Sal.  Maimon.  Er  hat  als  erster 
darauf  hingewiesen,  dass  das  Kant'sche  „Ding  an  sich"  ein  unmög- 
licher Begriff  sei,  bei  dem  man  nicht  stehen  bleiben  kann.  Im 
Gegensatze  nämlich  zur  Kant-Rheinholdschen  Auffassung,  nach  wel- 
cher das  Ding  an  sich  bloss  unvorstellbar  und  unerkennbar  sei, 
stellt  Maimon  die  Behauptung  auf,  dass  es  undenkbar  und  deshalb 
unmöglich  sei.  Zu  diesem  Resultat  gelangte  er  durch  folgende  ein- 
fache Erwägung:  Da  jedes  Merkmal,  wodurch  wir  einen  Gegenstand 
vorstellen,  in  unserem  Bewusstsein  enthalten  ist,  denn  wir  können 
ja  zu  der  Erkenntnis  der  Dinge  nur  durch  die  in  demselben  zum 
Ausdruck  kommenden  Merkmalen  gelangen,  das  Ding  an  sich  aber 
ausserhalb  unseres  Bewusstseins  sich  befindet,  also  auch  ohne  Merk- 
mal, folglich  auch  unverstellbar,  undenkbar,  ein  Unding.  Es  ver- 
hält sich  damit,  wie  mit  jenen  imaginären  Grössen  in  der  Mathe- 
matik, die  weder  positiv  noch  negativ  sein  können,  wie  V—a.  — 
Indessen  stand  er,  was  die  Bekämpfung  des  Dinges  an  sich  anbetrifft, 
nicht  vereinzelt  da ;  diese  Ansicht  teilte  mit  ihm  unter  andern  auch 
Jakobi  und  Aenisidemus-Schulze.    Aber  auch  die  formale  Logik  Kants 


erschien  dem  kritisch  veranlagten  Maimon  verbesserungsbedürftig 
und  so  hat  er  sich  auch  daran  gewagt,  wie  er  sichs  überhaupt  zur 
Aufgabe  gemacht  zu  haben  scheint,  die  Kant'sche  Philosophie  weiter 
auszubauen  und  da  wo  es  not  tat  zu  korrigieren.  Und  dies  alles 
nicht  aus  ehrgeizigen  Motiven  oder  gar  wie  selbst  ein  Kant,  seine 
anfangs  sehr  günstige  Meinung  über  unseren  Philosophen  ändernd, 
annehmen  zu  können  glaubte,  „um  sich  auf  fremde  Kosten  ein 
Ansehen  zu  geben",  sondern  aus  einem  inneren  Drange  heraus,  das 
ihm  lückenhaft  Scheinende  auszufüllen  und  aus  der  Wahrheitsliebe, 
die  ihm  eigen  war  und  die  ihm  im  Leben  so  übel  mitgespielt,  das 
nur  scheinbar  Wahre  im  Grunde  aber  Fehlerhafte  als  ein  solches 
aufzudecken.  Da  soeben  die  abfällige  Beurteilung  Maimons  durch 
Kant  erwähnt  wurde,  so  sei  es  mir  gestattet,  gleich  hier  mit  wenigen 
Worten  das  persönliche  Verhältnis  dieser  beiden  Männer  zu  einander 
zu  berühren.  Das  erste  Auftreten  Maimons  in  die  Öffentlichkeit 
fällt  in  eine  Zeit,  da  Kant  auf  dem  Gipfel  des  Ruhmes  sich  befand. 
Auch  ist  die  Art  und  Weise,  wie  Maimon  zu  Kant  in  Beziehung 
trat,  eine  eigenartige.  Seiner  Gewohnheit  gemäss  jedes  wissenschaft- 
liche Werk,  das  er  las,  nicht  eher  aus  der  Hand  zu  legen,  bis  er 
sich  ganz  klar  war,  was  dasselbe  beabsichtigt  und  hie  und  da  an 
Stellen,  wo  ihm  der  Sinn  derselben  nicht  einleuchten  wollte,  seine 
eigenen  Bemerkungen  zu  machen  pflegte,  so  verfuhr  er  eines  Tages 
mit  Kants  Kr.  d.  r.  V.  Unversehens  und  ungewollt  wuchsen  die  daran 
geknüpften  Bemerkungen  zu  einem  eigenen  Buche  an.  Dieses  Manuskript 
gab  er  dann  an  Markus  Herz,  einem  gewesenen  Schüler  Kants,  damit 
er  es  diesem  zur  Beurteilung  einschicken  möge.  Dieses  aber  flösste 
Kant  eine  solche  Achtung  ein,  dass  er  bald  darauf  in  einem  Briefe 
an  Markus  Herz,  den  Verfasser  nicht  nur  als  den  einzigen  seiner  Gegner, 
die  ihn  und  die  Hauptfrage  so  gut  verstanden,  sondern  auch,  dass 
nur  wenige  zu  dergleichen  tiefen  Untersuchungen  soviel  Scharfsinn 
besitzen  möchten,  wie  Herr  Maimon.  Da  wir  nähere  Berichte  dar- 
über, wie  sich  die  Beziehungen  Maimons  zu  Kant  von  diesem  Zeit- 
punkt an  fernerhin  gestalteten,  nicht  besitzen,  so  kann  die  einige 
Jahre  später  in  einem  Briefe  an  Rheinhold  über  unseren  Philosophen 
getane  Aeusserung,  die  wir  eingangs  erwähnt  haben,  dahin  zu  deuten 
sein,  dass  er  sich  seiner  nicht  mehr  erinnerte.  Wie  wäre  es  sonst 
zu  verstehen,  dass  ein  und  dasselbe  Werk,  das  als  Manuskript  das 
höchste  Lob  Kants  gefunden  hat,  sobald  es  gedruckt  erschien,  die 
ganz  entgegengesetzte  Wirkung  haben  konnte.    Es  mag  ja  sein,  dass 


—     3     — 

Maimon  sein  Werk,  bevor  er  es  der  Öffentlichkeit  übergab,  mehrfach 
mit  Zusätzen  und  Bemerkungen  versah,  welche  Anschauungen  ent- 
halten mochten,  die  denjenigen  Kants  zuwider  liefen.  Um  wesentliche 
Bereicherungen  kann  es  sich  dennoch  nicht  gehandelt  haben.  Ueberdies 
haben  sieh  bereits  ursprünglich  mehrere  Spitzen  gegen  die  Kantsche 
Lehre  darin  befunden,  die  ihm  nicht  entgangen  sind,  wie  aus  einem 
Briefe  an  Hertz  hervorgeht.  Da  heisst  es  u.  a. :  „Allein,  was  Sie, 
werter  Freund,  verlangen,  die  Herausgabe  dieses  Werkes  mit  einer 
Anpreisung  meinerseits  zu  begleiten,  wäre  nicht  wohl  tunlich,  da  es 
doch  grossenteils  auch  wider  mich  gerichtet  ist."  —  Kuno  Fischer 
sucht  diese  missliche  Frage  dadurch  zu  beseitigen,  indem  er  als 
Grund  dieser  Gereiztheit  die  zunehmende  Altersschwäche  des  Philo- 
sophen und  das  daraus  entspringende  Unvermögen  fremden  Ideen- 
gängen zu  folgen,  annimmt.  Und  dass  diejenigen  Mainions  nicht 
leicht  waren,  beweist  die  Tatsache,  dass  die  Rezension  des  genannten 
Werkes  ausgeblieben  war,  weil  drei  der  hervorragendsten  Fachphilo- 
sophen eine  solche  zu  schreiben  ablehnten,  weil  sie  nicht  vermögend 
gewesen  „in  die  Tiefen  seiner  Untersuchungen  einzudringen".  Es 
mag  nicht  uninteressant  sein,  zu  wissen,  dass  Kant  sich  dieser 
Schwäche  wohl  bewusst  war  und  sie  sogar  Markus  Hertz  gegenüber 
ausdrücklich  eingestand.  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  das  eine 
steht  fest,  dass  das  zuerst  gefällte  Urteil  mehr  Anspruch  auf  Be- 
rechtigung habe,  als  das  letztere.  Zum  Schluss  mag  noch  ein  Um- 
stand erwähnt  werden,  der  es  einigermassen  begreiflich  macht,  dass 
die  Werke  Maimons  so  vielfach  auf  Missverständnis  gestossen  und 
späterhin  fast  ganz  unbeachtet  geblieben  sind.  Wiewohl  er  oft  in 
seinen  Schriften  einen  erstaunlichen  Sinn  für  Definitionen  und  prä- 
zise Formulierung  von  tiefen  Gedanken  zeigt,  so  dass  bei  ihm  der 
richtige  Ausdruck  sich  mit  eruptiver  Gewalt  Bahn  bricht ;  so  geschieht 
es  andererseits  nicht  selten,  dass  für  einen  in  der  Philosophie  ge- 
bräuchlichen und  fest  eingebürgerten  Terminus  ein  anderer  gesetzt 
wird,  woraus  dann  eine  Begriffsverwechslung  notwendigerweise  ent- 
stehen muss,  obgleich  er  das  Richtige  hat  sagen  wollen.  Nur  so 
konnte  es  geschehen,  dass  die  Rezensenten,  allerdings  ohne  ihre 
Schuld,  da  sie  ihn  nicht  verstanden,  oft  ungerecht  gegen  Maimon 
vorgingen,  indem  sie  ihm  Widersprüche  aufzuzeigen  glaubten  und 
ihm  geflissentliche  Gedankenverschleierung  vorwarfen.  Auch  ist  ein 
gewisser  Mangel  an  systematischer  Behandlung  und  wissenschaftlicher 
Ordnung  nicht   zu  verkennen,   sodass  zuweilen  die  wichtigsten  und 


fundamentalsten  Sätze,  auf  welche  es  am  meisten  ankommt,  nur 
gelegentlich  und  vorübergehend  hingeworfen  sind,  während  er  ander- 
seits minderwichtige  Gedanken  mit  einer  überraschenden  Ausführlich- 
keit behandelt,  wobei  er  sich  nicht  selten  wiederholt.  Es  ist  dies 
ein  Umstand,  der  dem  Leser  das  Studium  seiner  Werke  bedeutend 
erschwert,  da  ihm  ein  leitendes  Prinzip  fehlt,  welches  ihn  durch  das 
Labyrinth  der  Gedankengänge  glücklich  hindurch  führt.  —  Dies  wird 
auch,  meiner  Ansicht  nach,  die  Ursache  sein,  weshalb  Maimon  fast 
ein  ganzes  Menschenalter  nach  seinem  Tode  ein  vergessener  Mann 
war,  während  andere  für  die  Philosophie  minder  bedeutende  Kan- 
tianer bei  jeder  Gelegenheit  mit  Kant  in  Zusammenhang  gebracht 
wurden.  —  Erst  vor  ungefähr  drei  Jahrzehnten,  als  der  Ruf  „Zurück 
zu  Kant"  stärker  als  je  erscholl,  wurde  man  auch  auf  ihn  aufmerk- 
sam, und  zwar  waren  es  zuerst  J.  E.  Erdmann  und  Ed.  Zeller,  die 
ihn  aus  der  Vergessenheit  hervorzogen.  So  sind  nun  innerhalb  dieses 
Zeitraums  eine  Reihe  von  Aufsätzen  und  Dissertationen  in  deutscher 
und  französischer  Sprache,  darunter  auch  eine  Berner  Studie,  er- 
schienen, die  aber  alle,  mehr  oder  weniger  die  erkenntnistheoretische 
Seite  zu  ihrem  Inhalte  haben.  Hingegen  ist  sein  letztes  Werk 
„Versuch  einer  neuen  Logik"  worin  er  im  Anschlüsse  an  Kant  und 
im  Gegensatz  zu  ihm  neue  Prinzipien  oder  wie  er  sich  ausdrückt, 
eine  neue  Theorie  des  Denkens  geben  will,  ganz  unberücksichtigt 
gelassen.  Es  ist  dies  sein  letztes  namhaftes  Werk  vom  Jahre  1794, 
nicht  1798  wie  Kuno  Fischer  meint,  und  kann  mit  Recht  als  sein 
reifstes  bezeichnet  werden.  Wenn  auch  hin  und  wieder  Gedanken, 
die  in  seinen  früheren  Werken  bereits  niedergelegt  sind,  wieder 
auftauchen,  so  verfolgt  er  doch  im  grossen  und  ganzen  ein  anderes 
Ziel  als  bisher.  Nicht  mehr  das  „Ding  an  sich"  ist  es,  was  ihn 
hier  beschäftigt,  sondern  die  formale  Logik,  insbesondere  die  in  der 
Kr.  d.  r.  V.  niedergelegte  Kategorienlehre.  Was  nun  die  formale 
Logik  im  allgemeinen  anbetrifft,  so  nimmt  Maimon  daran  Anstoss. 
dass  die  Logiker  vor  ihm  die  drei  Hauptbestandteile  der  Logik, 
nämlich:  Begriffe,  Urteile  und  Schlüsse,  ebenso  vielen  Verstandes- 
funktionen entspringen  lassen.  —  Nach  Maimon  sind  diese  drei 
Funktionen  nur  scheinbar,  in  Wirklichkeit  gibt  es  nur  eine  einzige 
Funktion,  die  nach  dem  Grundsatze  der  Bestimmbarkeit  verfährt. 
Dieser  Grundsatz  bildet  den  Mittelpunkt  des  genannten  Werkes, 
da  vermittelst  desselben  viele  in  der  Vernunftkritik  auftauchenden 
Schwierigkeiten   beseitigt   werden.     Kant   operiert   zwar  mit  diesem 


—     5     — 

Grundsatz  in  seiner  Kr.  d.  r.  V.,  S.  454,  Kehrb.  Ausg.  bei  der  Ab- 
handlung vom  transzendentalen  Ideal,  aber  in  ganz  anderem  Sinne; 
in  der  Form  aber  wie  er  uns  hier  entgegentritt,  ist  er  zuerst  von 
Maimon  in  die  Logik  eingeführt  worden.  Wenn  Ed.  Zeller  behauptet, 
der  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  sei  nichts  anderes  als  der  bereits 
in  der  Philosophie  bekannte  Satz  vom  Grunde,  so  ist  dies  zwar  in- 
sofern richtig,  als  beide  eine  Negation  ausdrücken,  d.  h.  in  dem 
Sinne  wie  determinatio  est  negatio,  indem  beide  das  gemeinsame 
Merkmal  haben,  dass  sie  einen  Gegenstand  von  der  Sphäre  des  bloss 
Möglichen,  Unbestimmten  in  diejenige  des  Wirklichen,  Bestimmten 
emporheben.  Da  sich  aber  mit  dem  Satze  vom  Grunde  nicht  das- 
selbe leisten  lässt,  wie  mit  dem  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit,  wie 
sich  in  der  Folge  von  selbst  ergeben  wird,  so  scheint  mir  eine 
vollständige  Identifizierung  dieser  beiden  Begriffe  nicht  am  richtigen 
Platze  zu  sein.  —  Was  nun  die  Kategorien  anbelangt,  so  gibt  es 
zweierlei,  wogegen  sich  Maimon  wendet:  erstens  ist  es  falsch,  wenn 
Kant  die  Urteilsformen  als  das  Primäre  annehmend  den  Kategorien 
zugrunde  legt,  woraus  diese  dann  abgeleitet  werden;  sondern  das 
umgekehrte  Verfahren  muss  stattfinden.  Nicht  die  Urteilsformen, 
sondern  die  Kategorien  sind  das  Allgemeinere,  Primäre.  Denn  bevor 
ich  etwas  von  Bejahung  und  Verneinung  weiss,  muss  ich  mir  zuerst 
der  Kategorien  Substanz  und  Akzidenz  bewusst  geworden  sein, 
d.  h.  dessen,  wovon  etwas  bejaht  oder  verneint  wird.  Zweitens 
sind  die  Kategorien  überzählig  und  es  Hessen  sich  bequem  mehrere 
wegstreichen,  ohne  dass  eine  empfindliche  Lücke  dadurch  entstehen 
soll.  Kant  habe  sich  bei  der  Aufsuchung  der  Kategorien  mehr  von 
der  symmetrisch-architektonischen  Neigung  zur  Zwölfzahl,  als  von 
wissenschaftlicher  Präzision  leiten  lassen.  Nach  diesen  einleitenden 
Worten  wollen  wir  in  den  nächsten  Abschnitten  zum  eigentlichen 
Thema  übergehen  und  zwar  soll  der  Anfang  mit  der  Auseinander- 
setzung des  Grundsatzes  der  Bestimmbarkeit  und  dessen  Anwendung 
auf  die  Logik  gemacht  werden. 


Erwähnt  mag  noch  werden,  mit  welcher  Hochachtung  Fichte  sich 
über  Maimon  äusserte.  Denn  sie  vertraten  beide  einen  Standpunkt 
bezüglich  des  Ding  an  sich,  wie  bereits  oben  auseinandergesetzt  wurde. 


—     6     — 

Maimon  hat  zuerst  einen  alten  Gedanken  von  Leibnitz  wieder  auf- 
genommen zur  Erklärung  des  Ding  an  sich,  und  zwar  den  der  petites- 
perceptions,  den  nachher  Fichte  in  seiner  Wissenschaftslehre  ver- 
wertet hat.  —  Nicht  uninteressant  mag  es  sein,  dass  auch  Goethe 
sich  für  unsern  Philosophen  interessierte  und  den  Wunsch  äusserte, 
diesen  merkwürdigen  Mann  kennen  zu  lernen;  er  wurde  auf  ihn 
aufmerksam  durch  die  seinerzeit  so  viel  Aufsehen  erregende  Selbst- 
biographie, die  aber  auch  noch  für  uns  viel  Beachtenswertes  aufweist. 


I.  Kapitel. 


Der  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit. 

Die  zwei  obersten  Prinzipien  der  Logik :  der  Satz  der  Identität 
a  =  a  und  der  unmittelbar  daraus  folgende  Satz  des  Widerspruchs 
oder  principium  exlusii  tertii,  wonach  einem  Gegenstande  niemals 
ein  Prädikat  und  das  demselben  kontradiktorisch  Entgegengesetzte 
zugleich  zukommen  kann;  diese  beiden  Prinzipien  sind  keine  aus- 
reichenden Kriterien  für  die  Wahrheit  aller  Urteile.  Denn  obgleich 
sie  die  Form  aller  Urteile  erschöpfen,  indem  ein  solches  entweder 
bejahend  oder  verneinend  sein  muss,  so  gilt  dies  doch  nur  für  das 
bloss  formelle  Denken,  nicht  aber  für  das  reelle  Denken.  Denn  ich 
kann  in  meinem  Bewusstsein  zwei  Gegenstände  so  miteinander  ver- 
binden, also  ein  Urteil  bilden,  welches  den  oben  genannten  zwei 
Prinzipien  Genüge  leistet,  ohne  dass  es  deshalb  aufhört  ein  falsches 
Urteil  zu  sein,  wie  z.  B  in  dem  Urteil,  wo  ich  die  Tugend  vom 
Viereck  bejahe  oder  verneine.  Es  muss  daher  ein  Prinzip  aus- 
findig gemacht  werden,  demzufolge  nicht  bloss  die  formelle  Seite 
des  Urteils,  sondern  auch  dessen  Realverhältnis  bestimmt  werde. 
Diese  Anforderung,  die  Bestimmung  des  Realverhältnisses  im  Urteil, 
soll  nach  Maimon  der  von  ihm  in  die  Logik  eingeführte  Grundsatz 
der  Bestimmbarkeit  erfüllen.  Dieser  zerfällt:  a)  In  einen  Satz  des 
Subjekts  überhaupt.  Ein  jedes  Subjekt  muss  nicht  nur  als  Subjekt, 
sondern  auch  an  sich  ein  möglicher  Gegenstand  des  (Subjekts  sein) 
Bewusstseins  sein,  b)  In  einen  Satz  fürs  Prädikat.  Ein  jedes  Prädikat 
kann  nicht  an  sich,  sondern  als  Prädikat  in  Verbindung  mit  dem 
Subjekt  ein  möglicher  Gegenstand  des  Bewusstseins  sein;  d.  h.  das 
Objekt   kann   nur   als   Bestimmung   des  Subjekts,   welches   das  Be- 


—     8     — 

stiinmbare  ist,  gedacht  werden;  also  im  Verhältnis  der  Bestimmbar- 
keit zu  einander  stehen.  Jedes  andere  Denken,  welches  nicht  gemäss 
diesem  Grundsatze  vor  sich  geht,  ist  wohl  ein  willkürliches,  niemals 
ein  reelles  Denken,  folglich  auch  falsch.  Von  der  Art  ist  also  das 
Urteil,  in  welchem  ich  Viereck  und  Tugend  miteinander  verbinde  ; 
denn  da  beide  Glieder,  das  Subjekt  sowohl  als  das  Prädikat,  an 
sich  Gegenstand  des  Bewusstseins  sein  können,  so  verstösst  dies 
gegen  den  im  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  aufgestellten  Satz  fürs 
Prädikat,  nach  welchem  dieses  ohne  das  Subjekt  nicht  Gegenstand 
des  Bewusstseins  sein  kann ;  hingegen  aber  ist  das  Urteil :  Der  Tisch 
ist  rund  ein  reelles  Urteil,  da  das  Prädikat  rund  ohne  Verbindung 
mit  seinem  Subjekt  gar  keine  Bedeutung  haben  würde.  Denn  durch 
das  Prädikat,  welches  eine  neue  Bestimmung  des  Subjekts  ist,  ent- 
steht ein  neues  Objekt:  Der  runde  Tisch.  Das  ist  ein  Hauptcharak- 
teristikum;  denn  darauf  beruht,  im  Gegensatz  zu  Kant,  der  Unter- 
schied der  analytischen  und  synthetischen  Urteile.  Ein  synthetisches 
Urteil  ist  nach  Maimon  ein  solches,  durch  dessen  Prädikat  ein 
neues  Objekt  entsteht ;  ein  analytisches  hingegen  ein  solches,  in 
welchem  zwar  kein  neues  Objekt  entsteht,  aber  eine  neue  Bestim- 
mung enthält,  die  in  dem  blossen  Begriffe  nicht  enthalten  ist, 
sondern  durch  die  Zerlegung  desselben  in  seine  Eigenschaften  heraus- 
gefunden wird.  Ein  analytisches  Urteil  im  Sinne  Kants  ist  kein 
Urteil,  weil  es  unsere  Erkenntnis  von  den  Dingen  nicht  erweitert. 
Wichtiger  jedoch  für  uns  ist  es,  zu  sehen,  wie  aus  dem  Grund- 
satz der  Bestimmbarkeit  sich  ergibt:  erstens  dass,  wie  eingangs 
angedeutet,  die  drei  Hauptbestandteile  der  Logik,  Begriffe,  Urteile 
und  Schlüsse,  nicht  drei  verschiedenen  Verstandesfunktionen,  wie 
in  der  Logik  üblich  war,  entspringen,  sondern  einer  einzigen  und 
zwar  der  Einsicht  in  das  Verhältnis  von  Bestimmbarem,  d.  h.  Sub- 
jekt und  Bestimmung  oder  Prädikat,  welche  zusammen  das  Bestimmte 
ausmachen.  Zweitens  beruht  darauf  der  Beweis,  dass  Raum  und 
Zeit  die  allgemeinen  Formen  des  Denkens  seien.  Drittens  endlich 
gründet  Maimon  darauf  seine  gegen  Kant  aufgestellte  Behauptung, 
dass  die  Kategorien  das  Primäre  seien,  woraus  dann  die  Urteils- 
formen deduziert  werden.  Da  indes  Punkt  2  mehr  der  Er- 
kenntnistheorie angehört  und  hier  bloss  der  Vollständigkeit  halber 
berührt  wird,  so  soll  damit  begonnen  werden,  zu  zeigen,  wie  aus 
dem  Grundsatze  mittelbar  folgt,  dass  Raum  und  Zeit  die  Formen 
unserer  Anschauung  sind.    Mittelbar  deshalb,  weil  dies  erst  aus  den 


—     9     — 

vom  Grundsatz  hergeleiteten  Lehrsätzen  folgt.    Wir  wollen  zu  diesem 
Zwecke  dieselben  anführen. 

Erster  Lehrsatz. 

Eine  jede   mögliche  Bestimmung  des  Bestimmten   ist  zugleich 
eine  mögliche  Bestimmung  des  Bestimmbaren. 

Beweis. 
Der  Beweis  wird  vorerst  allgemein  geführt,  indem  gezeigt  wird, 
dass  gar  keine  Bestimmung  ohne  das  Bestimmbare,  als  den  allge- 
meinen Begriff,  gedacht  werden  kann.  So  kann  ich  z.  B.  den  be- 
sondern Begriff  eines  rechtwinkligen  Dreiecks  ohne  den  allgemeineren 
Begriff  des  Dreiecks  überhaupt  nicht  denken,  da  jenes  die  Bestim- 
mung, letzteres  inbezug  auf  das  erste  das  Bestimmbare  ist.  Nun 
ist  Dreieck  überhaupt,  welches  im  vorigen  Beispiel  das  Bestimmbare 
war  inbezug  auf  Figur  überhaupt  eine  Bestimmung,  also  ohne  die- 
selbe nicht  denkbar,  folglich  ist  auch  rechtwinkliges  Dreieck  ohne 
Figur  überhaupt  nicht  denkbar.  Geht  man  in  der  Reihe  der  Be- 
stimmungen und  des  Bestimmbaren  rückwärts,  so  wird  man  auf  ein 
letztes  Bestimmbares  stossen,  welches  nicht  mehr  Bestimmung  ist. 
Da  nun  eine  Verknüpfung  des  Mannigfaltigen  in  einer  Einheit  des 
Bewusstseins  nach  dem  Grundsatze  der  Bestimmbarkeit  ohne  Raum 
für  den  äusseren  und  Zeit  für  den  innern  Sinn,  nicht  möglieh  ist, 
«o  siud  Raum  und  Zeit  das  letzte  Glied  in  der  Reihe  der  Bestim- 
mungen und  Bestimmbaren.  Sonach  könnte  man  auch  hier  von 
einer  Totalität  der  Reihe  der  Bestimmungen  sprechen,  wie  sie  Kant 
von  den  Bedingungen  postuliert,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass 
letztere,  nach  Maimon,  keine  Vernunftideen  sind,  sondern  ein  Be- 
dürfnis der  Einbildungskraft,  wie  er  dies  in  seiner  Kritik  der  Anti- 
nomieen  näher  auseinandersetzt,  während  in  unserem  Falle  mit  Raum 
und  Zeit  realiter  die  ganze  Reihe  gegeben  ist.  Raum  und  Zeit  sind 
also  die  allgemeinen  Formen  und  der  Grund  unseres  Denkens. 

Zweiter  Lehrsatz. 
Eine  jede   mögliche   Bestimmung  der  Bestimmung  ist  zugleich 
eine  mögliche  Bestimmung  des  Bestimmbaren. 

Beweis. 
Der  Beweis   lässt   sich   genau  so,   wie  der  erste,   führen,   nur, 
dass  in  diesem  Lehrsatz  noch  ein  neues  Glied  hinzukommt.    So  ist 


—     10     — 

das  Rechtwinkligsein  eine  Bestimmung  des  Dreieck,  dieses  aber  eine 
Bestimmung  von  Figur,  folglich  ist  das  Rechtwinkligsein  eine  mög- 
liche Bestimmung  von  Figur,  folglich  auch  von  Raum  und  Zeit. 

Nachdem  wir  so  das  Wesen  des  Grundsatzes  der  Bestimmbar- 
keit betrachtet  haben,  soll  es  die  Aufgabe  der  nächsten  Abschnitte 
sein,  die  ferneren  Konsequenzen,  die  sich  aus  demselben  ergeben, 
zu  zeigen. 

Die  Zurückführiing  der  drei  logischen  Funktionen  auf  eine 

einzige. 

Eingangs  der  Kr.  d.  r.  V.  stellt  Kant  den  Verstand  als  das  Ver- 
mögen Begriffe  zu  bilden  hin.  Den  Begriffen  muss  zwar  eine  vor- 
hergegangene Anschauung  zu  Grunde  liegen :  Begriffe  ohne  Anschau- 
ungen sind  leer."  Aber  der  Begriff  als  solcher  ist  nicht  mehr 
Anschauung.  Der  Verstand  besitzt  nach  Kant  eine  synthetische 
Kraft,  die  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinung  in  eine  Einheit  des  Be- 
griffs zu  verknüpfen.  So  ist  der  Begriff  „Mensch"  entstanden,  in- 
dem wir  die  in  der  Anschauung  übereinstimmenden  Merkmale  der 
einzelnen  Individuen  in  den  Begriff  Mensch  zusammenfassen.  Ist 
dieser  Begriff  als  fertig  gegeben  da,  so  ist  es  nicht  mehr  nötig,  die 
einzelnen  Merkmale  noch  einmal  in  der  Anschauung  zu  durchlaufen, 
sondern  wir  betrachten  ihn  als  gegeben  an.  Ist  sonach,  nach  Kant, 
der  Verstand  das  Vermögen  der  Begriffe,  so  ist  das  Mittelglied 
zwischen  Verstand  und  Vernunft  dasjenige  der  Urteile,  das  Ver- 
mögen nämlich  unter  einer  Regel  zu  subsumieren.  „Nun  ist,"  sagt  Kant 
an  einer  Stelle  der  Kr.  der  Urteilskraft,  „zwischen  dem  Erkenntnis- 
und  Begehrungsvermögen  das  Gefühl  der  Lust,  sowie  zwischen  dem 
Verstand  und  der  Vernunft  die  Urteilskraft  enthalten."  Immerhin 
eine  selbständige  Funktion,  wie  wir  sehen.  Nach  Maimon  hingegen 
„besteht",  um  seine  eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  „das  ganze  Ge- 
schäft des  Urteilens  bloss  darin,  entweder  vom  Subjekt  einen  deut- 
lichen Begriff  zu  erlangen  oder  das  Subjekt  einer  Synthesis  zu 
bestimmen ;  mit  anderen  Worten :  Das  Urteil  ist  nichts  anderes  als 
das  Bestimmbare  durch  die  Bestimmung  bestimmt.  Wir  werden 
später  sehen,  dass  dasselbe  Verhältnis,  nach  ihm  von  den  Begriffen 
gilt.  Die  Vernunft  endlich  ist,  nach  Kant,  das  Vermögen,  Schlüsse 
zu  bilden.  „Alle  Schlüsse,"  sagt  Kant,  „sind  entweder  mittelbare 
oder    unmittelbare.      Ein    unmittelbarer   Schluss   ist   die  Ableitung 


—   11    — 

eines  Urteils  aus  dem  andern  ohne  ein  vermittelndes  Urteil.  Mittel- 
bar ist  ein  Schluss,  wenn  man  ausser  dem  Begriff,  den  ein  Urteil 
in  sich  enthält,  noch  andere  braucht,  um  eine  Erkenntnis  daraus 
herzuleiten";  ferner  „die  unmittelbaren  Schlüsse  heissen  auch  Ver- 
standesschlüsse; alle  mittelbaren  Schlüsse  hingegen,"  und  mit  solchen 
haben  wir  es  ja  zu  tun,  „sind  Vernunftschlüsse."  Nach  Maimon 
hingegen  müsste  man  etwa  sagen,  ist  der  Schluss  die  mittelbare 
Einsicht  in  das  Verhältnis  von  Bestimmbarem  und  Bestimmung, 
wie  es  im  Urteil  die  unmittelbare  Einsicht  in  dieses  Verhältnis  ist, 
und  zwar  würde  in  diesem  Falle  die  erste  Prämisse  als  die  stets 
allgemeinere,  das  Bestimmbare,  die  zweite  Prämisse  die  Bestimmung 
und  der  Konsequenz  als  die  Folge,  d.  h!  die  Einsicht  in  dies  Verhältnis 
sein.  Wie  er  ja  überhaupt,  seiner  Einheitsbestrebung  zufolge,  den 
Schluss  ein  erweitertes  Urteil  nennt.  Aus  diesem  Grunde  lässt  er 
einerseits  den  Unterschied  zwischen  Verstandes-  und  Vernunftschlüssen^ 
anderseits  den  zwischen  den  kategorischen  und  hypothetischen  Ur- 
teilen nicht  gelten.  Letzteres  nicht,  da  sich  jedes  kategorische 
Urteil,  nach  ihm,  in  die  Schlussform  des  hypothetischen  umwandeln 
lässt  und  umgekehrt,  z.  B.  das  hypothetische  Urteil,  wenn  die  Sonne 
aufgeht,  erwärmt  sie  den  Stein,  lässt  sich  in  die  kategorische  Form 
umwandeln,  die  aufgehende  Sonne  erwärmt  den  Stein.  Dabei  ist 
aber  nicht  ausser  acht  zu  lassen,  dass  es  ihm  hier  um  die  formelle 
Seite  zu  tun  ist;  auf  das  erstere  werde  ich  noch  in  anderem  Zu- 
sammenhang zu  sprechen  kommen.  Wie  aber  bereits  bei  der  Be- 
griffsbildung das  Verhältnis  von  Bestimmbarem  und  Bestimmung 
deutlich  hervortritt,  soll  im  folgenden  gezeigt  werden,  nachdem 
zuerst  die  verschiedenen  Arten  der  Begriffe  vorgeführt  werden. 


A.  Die  Begriffe. 

Nach  Maimon  lässt  sich  das  Wesen  des  Begriffes  definieren^ 
wenn  drei  Differenzpunkte,  d.  h.  die  negativen  Beziehungen  des 
Begriffes  zu  den  verwandten  Bedingungen  des  Denkens,  der  An- 
schauung und  Vorstellung  festgehalten  werden.  Da  der  Begriff 
nämlich  die  innere  Bedingung  des  Denkens  oder  das  Produkt  des 
Denkens  ist,  so  wird  der  Begriff  erstens  im  Gegensatz  von  Anschau- 
ung gebraucht,  da  Anschauung  die  äussere  Bedingung  des  Denkens 
ist.    Der  Begriff  hingegen  ist  nicht  mehr  Anschauung,   sondern  das 


—     12     — 

Produkt  der  wiederholten  gleichartigen  Sinneswahrnehrnungen.  An- 
schauung ist  sonach  Voraussetzung  des  Begriffes,  nicht  aber  der 
Begriff  selber.  Zweitens  wird  der  Begriff  im  Gegensatz  von  Vor- 
stellung gebraucht,  denn  Vorstellung  überhaupt  kann  auch  auf  ein 
einzelnes  bestimmtes  Objekt  bezogen  werden.  So  habe  ich  z.  B. 
eine  Vorstellung  von  den  einzelnen  mit  bestimmten  Eigenschaften 
ausgestatteten  Mensch  Peter.  Der  Begriff  hingegen  hat  es  mit  dem 
Kollektivnamen  Mensch  zu  tun,  der  alle  Arten  in  sich  begreift. 
Drittens  endlich  wird  der  Begriff  im  Gegensatz  von  Objekt  gebraucht, 
indem  das  Objekt  des  Denkens  selbst  eine  Anschauung  ist  oder  als 
Anschauung  betrachtet  wird.  Die  Verschiedenheit  des  Begriffs  von 
Objekt  geht  auch  daraus  hervor,  dass  der  Begriff  noch  mehrere 
Bestimmungen  zulässt  oder,  mit  Maimon  zu  sprechen,  mehr  als  auf 
eine  Art  bestimmbar  ist,  was  beim  Objekt  nicht  der  Fall  ist.  An 
dem  schon  angeführten  Beispiel  wird  es  leicht  klar:  Mensch  als 
allgemeiner  Begriff  ist  als  solcher  nur  im  Verhältnis  zu  dem  höhern 
Gattungsbegriff  Tier  bestimmt,  im  Verhältnis  aber  zu  den  unter 
ihm  stehenden  Arten  völlig  unbestimmt;  er  lässt  noch  viele  Be- 
stimmungen zu  wie  Mann,  Weib,  Gelehrter  u.  s.  w.  Das  Objekt  hin- 
gegen, bei  dem  wir  es  mit  einem  in  der  Anschauung  befindlichen, 
mit  allen  möglichen  Merkmalen  ausgestatteten  Gegenstande  zu  tun 
haben,  lässt  keine  weitere  Bestimmung  mehr  zu.  —  Diese  Scheidung 
des  Begriffs  von  Anschauung  und  Vorstellung  wird  von  Mainion 
konsequent  durchgeführt  und  sie  ist  die  Veranlassung  zu  einer 
neuen  von  der  hergebrachten  abweichenden  Einteilung  der  Begriffe 
ihrer  Qualität  nach.  Es  ist  falsch,  sagt  Maimon.  die  Begriffe  dem 
Grade  ihrer  Deutlichkeit  nach  einzuteilen  in  dunkle,  klare  und  deut- 
liche, wie  dies  insbesondere  in  der  Leibnitz-Wolffschen  Schule  ge- 
schah ;  eine  solche  Einteilung  wäre  wohl  subjektiv,  nicht  aber  in 
der  Natur  des  Begriffs  begründet;  denn  was  dem  einen  Menschen 
als  dunkler  Begriff  erscheint,  kann  einem  andern  wohl  klar  erscheinen, 
ja  sogar  einem  und  demselben  Menschen  kann  ein  Begriff  unter 
gegebenen  Umständen  verworren,  unter  anderen  Umständen  wiederum 
als  klar  und  deutlich  erscheinen.  So  stellt  sich  der  Begriff  des 
Rechts,  wie  Kant  an  einer  Stelle  des  Kr.  d.  r.  V.  bemerkt,  dem  un- 
gebildeten Landmann  anders  dar,  als  dem  Rechtsgelehrten.  — 

Nichtsdestoweniger  ist  der  Begriff  des  Rechts  an  sich  klar  und 
deutlich  mit  allen  seinen  Bestimmungen  und  Verzweigungen.  Diese 
Deutlichkeit   will   nun  Maimon   bei   allen  Begriffen   an    sich   durch- 


—     13     — 

geführt  wissen,  da  nur  so  eine  objektive  Einteilung  möglich  ist. 
Man  kann  sonach  wohl  von  einer  verworrenen  oder  klaren  Vor- 
stellung sprechen,  da  hier  immer  auf  das  wahrnehmende  Subjekt 
Rücksicht  genommen  wird ;  beim  Begriff  aber,  wo  es  sich  nicht  um 
eine  Wahrnehmung,  sondern  um  ein  Denken  handelt,  geht  dies  nicht 
an.  Die  Begriffe  müssen  nach  Maimou  deshalb  eingeteilt  werden  : 
Erstens  in  solche,  die  formelle  Bedingungen  des  Denkens  sind,  d.  h. 
solche,  die  Erfahrung  allererst  möglich  machen,  also  nicht  von  der 
Erfahrung  abstrahiert  sind,  wie  z  B.  die  Kategorien  Einheit,  Substanz 
u.  dergl.  Diese  Begriffe  sind  dem  Denkvermögen  a  priori  gegeben 
und  beziehen  sich  auf  ein  Objekt  überhaupt.  Sie  können  aber  auch 
nicht  von  den  Objekten  abstrahiert  worden  sein,  weil  in  der  Abstrak- 
tion die  Möglichkeit  der  Objekte  und  folglich  diese  Begriffe,  als  Be- 
dingungen von  der  Möglichkeit  solcher  Objekte,  schon  vorausgesetzt 
sind.  Er  geht  also,  wie  wir  sehen,  einerseits  in  bezug  auf  die 
Apriorität  der  genannten  Kategorien  mit  Kant  zusammen,  während 
er  anderseits  in  Beziehung  auf  die  Kausalität  Hume  beipflichtet,  wie  er 
in  der  Tat  seinen  eigenen  Standpunkt  als  einen  gemässigten  Skepti- 
zismus bezeichnet.  Sodann  gibt  es  Begriffe,  welche  Produkte  des 
Denkens  sind;  diese  unterscheiden  sich  von  den  vorhergehenden  da- 
durch, dass  sie  auf  bestimmte  Objekte  bezogen  werden  oder  gar  diese 
Objekte  selber  ausmachen,  wie  Zirkel,  Dreieck  u.  s.  w.  In  die  dritte 
Gruppe  endlich  gehören  die  abstrakten  Begriffe,  d.  h.  solche,  die 
durch  unser  Denken  den  Objekten  entnommen,  in  Wirklichkeit  aber 
nicht  existieren;  so  ist  z.  B.  die  „Tugend"  solch  ein  allgemeiner 
abstrakter  Begriff;  denn  hier  wird  völlig  unbestimmt  gelassen,  \vas 
Tugend  ist,  da  sie  sich  auf  alle  tugendhaften  Handlungen  bezieht. 
Man  kann  also  von  diesem  Begriffe  nicht  in  dem  Sinne  sprechen 
wie  von  einem  konkreten  Dinge  wie  „Hausu,  da  letzteres  ein  in  der 
Wirklichkeit  existierendes  Objekt  ist,  während  jener  erst  dadurch 
Begriff  wird,  dass  wir  ihn  dazu  machon.  Soweit  erstreckt  sich  die 
Einteilung  der  Begriffe,  ihrer  Quantität  und  Qualität  nach;  es  bleibt 
nur  noch  übrig  die  Begriffe  ihrer  Relation  nach,  d.  h.  ihr  Verhältnis 
zu  einander  zu  erörtern.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  derjenige  Punkt 
zu  berühren  sein,  der  für  die  vorliegende  Arbeit  am  wichtigsten  ist: 
nämlich  wie  die  Funktion  des  Urteils  schon  bei  der  Bildung  von  Be- 
griffen deutlich  hervortritt. 


—     14     — 

B.  Begriffe  ihrer  Relation  nach. 

Wie  bei  der  Einteilung  der  Begriffe  ihrer  Qualität  nach,  ergeben 
^ich  auch  hier  bei  der  Einteilung  derselben  ihrer  Relation  nach  drei 
verschiedene  Beziehungen  zu  einander.  Erstens  können  Begriffe  iden- 
tisch sein  wie  a  und  a  oder  verschieden  a  und  b  oder  endlich  entgegen- 
gesetzt a  und  non  a.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  den  zusammengesetzten 
Begriffen,  nur  dass  noch  ein  Moment  hinzukommt,  nämlich  dass 
sie  zum  Teil  identisch  und  zum  Teil  verschieden  sein  können.  Von 
dieser  Art  sind  die  zusammengesetzten  Begriffe  a  b  und  a  c.  Was 
die  einfachen  Begriffe  anbelangt,  so  wäre  noch  in  Bezug  auf  die 
entgegengesetzten  Begriffe  a  und  non  a  vorausnehmend  zu  bemerken, 
dies  wird  nämlich  weiterhin  gelegentlich  der  verneinenden  Urteile 
ausführlicher  behandelt,  dass  in  unserem  Falle  non  a  nicht  bedeuten 
kann  gleich  unendlich,  weil  eine  solche  Entgegensetzung  nicht  positiv 
sondern  negativ  lauten  würde,  d.  h.  es  würde  an  die  Stelle  des 
verneinten  Begriffs  nichts  Bestimmtes  setzen;  während  der  konträre 
Begriff  in  der  Tat  an  die  Stelle  des  verneinten  Begriffs  einen  setzt. 
Dies  wird  an  einem  Beispiel  leicht  verständlich.  Es  seien  die  einander 
entgegengesetzten  Begriffe  weiss  und  nicht-weiss  gegeben ;  soll  hier 
nicht-weiss  die  Bedeutung  von  unendlich  haben,  so  würde  es  heissen, 
jede  andere  beliebige  Farbe  nur  nicht  weiss,  während  es  in  dem 
konträren  Sinne  etwa  die  schwarze  Farbe  zu  bedeuten  hätte.  —  Be- 
griffe sind  koordiniert,  wenn  der  eine  ohne  den  anderen  entweder 
in  einem  Objekte  überhaupt  oder  in  einem  bestimmten  Objekte  nicht 
dargestellt  werden  kann ;  von  der  ersten  Art  sind  z.  B.  (die  Begriffe 
Raum  und  Figur)  die  drei  Winkel  im  Dreieck,  weil  so  wenig  diese 
ohne  jenen,  wie  jene  ohne  diese  in  einem  Objekt  überhaupt  dar- 
gestellt werden  können.  „Eine  Figur,  die  drei  Seiten  hat,  muss 
auch  drei  Winkel  haben  und  so  auch  umgekehrt."  Subordiniert  sind 
Begriffe,  wenn  der  eine  ohne  den  anderen,  dieser  aber  nicht  ohne 
jenen  dargestellt  werden  kann.  Z  B.  Dreieck  und  Figur.  Aus  den 
Begriffen,  die  im  Verhältnis  der  Subordination  stehen,  ersieht  man 
leicht,  dass  sie  zugleich  im  Verhältnis  der  Bestimmbarkeit  zu  ein- 
ander stehen  und  folglich  wird  der  übergeordnete  Begriff  das  Be- 
stimmbare und  der  subordinierte  die  Bestimmung  sein.  Betrachtet 
man  das  Urteil  etwas  näher,  so  wird  man  finden,  dass  in  jedem 
Urteil  ein  Begriff  durch  einen  andern  erklärt  wird;  ferner  ist  in 
jedem  Urteil,   sofern   es  nicht   ein  identisches  genannt  werden  soll, 


—     15     — 

ein  Begriff,  der  allgemeine,  iu  welchem  dann  der  andere  enthalten 
ist.  Es  stehen  also  in  jedem  Urteil  zwei  oder  mehr  Begriffe  im 
Verhältnis  der  Bestimmbarkeit  zu  einander.  In  dem  Urteil  „Mensch 
ist  Tier"  ist  der  Begriff  Tier  der  allgemeine,  übergeordnete,  da  er 
noch  mehrere  Bestimmungen  enthält,  sind  aber  doch  zum  Teil  identisch, 
woraus  zu  ersehen  ist,  dass  die  Bildung  der  Urteile  von  der  Begriffs- 
bildung sich  nicht  wesentlich  unterscheidet. 


IL  Kapitel. 


Die  Kategorienlehre. 

Wir  haben  im  vorigen  Kapitel  gezeigt,  wie  Maimon  bestrebt 
war  ein  Kriterium  für  die  Wahrheit  eines  reellen  Denkens  im  Gegen- 
satz zu  dem  bloss  willkürlichen  oder  formellen  Denken  ausfindig  zu 
machen  und  dass  er  dieses  Kriterium  in  der  Tat  in  seinem  von 
ihm  aufgestellten  „Grundsatz  der  Bestimmbarkeit"  gefunden  hat. 
Es  ist  ferner  gezeigt  worden,  wie  vermittelst  desselben  die  Restrik- 
tion der  in  der  Logik  üblichen  drei  Funktionen  des  Denkens  auf 
eine  einzige  zurückgeführt  werden,  d.  h.  sie  beruhen  alle  auf  der 
Einsicht  in  das  Verhältnis  von  Bestimmbarem  und  Bestimmung 
und  zwar  ist  dies  uns  zunächst  bei  den  Begriffen  aufzuzeigen  ge- 
lungen. Nun  soll  es  die  Aufgabe  dieses  Kapitels  sein,  zu  zeigen, 
welche  Mängel  Maimon  in  der  Kantschen  Tafel  der  Urteilsformen 
sowohl  als  in  der  der  Kategorien  gefunden,  aus  welchen  Gründen 
er  ferner  die  Deduzierung  der  Kategorien  aus  den  Urteilsformen  für 
fehlerhaft  hält  und  wie  er  vermittelst  des  Grundsatzes  Bestimm- 
barkeit diese  Mängel  zu  beseitigen  glaubt. 

Bereits  anfangs  dieser  Arbeit  ist  auf  die  symmetrisch-architek- 
tonische Neigung  Kants  zur  Zwölfzahl  hingewiesen  worden,  ein 
Umstand,  der  den  Verdacht  aufkeimen  lässt,  als  ob  es  ihm  weniger 
um  wissenschaftliche  Präzision,  als  vielmehr  um  eine  persönliche 
Laune  zu  befriedigen,  zu  tun  war.  „Schon  diese  präzise  Einteilung 
der  logischen  Formen  in  vier  Hauptmomente,"  sagt  Maimon  an 
einer  Stelle,  „deren  jedes  wiederum  drei  Formen  unter  sich  begreift, 
hat  etwas  so  Gesuchtes  und  Geheimnisvolles  an  sich,  dass  ein  jeder 
Selbstdenker  ein  Misstrauen  dagegen  fassen  muss."     Denn  obgleich 


—     17     — 

die  Tafel  der  Urteilsformen  sowohl  als  die  der  Kategorien  über- 
zählig sind,  so  hat  er  es  sich  doch  nicht  nehmen  lassen,  die  Zwölf- 
zahl beizubehalten.  Ueberdies  ist  in  jedem  der  vier  Klassen  das 
dritte  Moment  eine  Synthese  des  ersten  und  zweiten  Momentes,  wie 
Kant  selbst  zugibt  und  dies  dadurch  zu  rechtfertigen  sucht,  dass 
zu  dieser  Synthese  ein  besonderer  Verstandesakt  notwendig  ist,  was 
aber  nicht  stichhaltig  ist,  indem  es  sich  hier  um  reine,  selbständige, 
von  keinen  anderen  abgeleiteten  Verstandesbegriffen  handelt,  wie 
dies  auch  Ed.  v.  Hartmann  tadelnd  hervorhebt :  „Geschichte  der 
Metaphysik",  H.Teil,  Seite  25.  Hier  heisst  es:  „Wenn  das  dritte 
Glied  in  jeder  Gruppe,  wie  Kant  behauptet,  nur  eine  Verbindung 
des  ersten  und  zweiten  Gliedes  wäre,  so  wäre  es  von  diesen  abge- 
leitet, unbeschadet  dessen,  dass  zu  dieser  Synthese  ein  neuer  Akt 
des  Denkens  erforderlich  wäre  und  wäre  es  kein  ursprünglicher 
Stammbegrifl'  des  reinen  Verstandes."  In  Wahrheit  aber  war  es  ihm 
um  einen  strengen  Parallelismus  zu  tun  und  deshalb  hat  er  „sowohl 
die  Tafel  der  Urteilsformen  als  auch  die  der  Kategorien  gewaltsam 
verändert,  um  diesen  künstlichen  Parallelismus  hervorzubringen. 
Allerdings  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass  Kant  über  Aristoteles 
einen  Schritt  hinaus  getan  hat,  wie  dies  auch  Maimon  zugibt.  Aristo- 
teles verfährt  bei  der  Aufsuchung  der  Kategorien  bloss  „rhapsodisch" 
wie  sich  Maimon  ausdrückt,  indem  er  dieselben  aufgreift,  wo  und 
insoweit  sie  sich  finden  lassen ;  er  nimmt  gewissermassen  die  Er- 
fahrung zuhilfe  und  so  ist  dieser  Weg  unsicher,  indem  keine  Bürg- 
schaft dafür  vorhanden  ist,  ob  sich  nicht  noch  einige  finden  lassen. 
Kants  Methode  hingegen  verfährt  nach  „einem  formellen  Prinzip  a 
priori,  indem  sie  die  in  der  Logik  bestimmte  Formen  des  Denkens  in 
Beziehung  auf  ein  ganz  unbestimmtes  Objekt  überhaupt  zum  Grunde 
legt,  die  sie  durch  Hinzufügung  desjenigen,  wodurch  sie  Formen 
des  Denkens  reeller  Objekte  werden,  zu  Kategorien  erhebt."  Mit 
anderen  Worten,  die  allgemeine,  reine  Logik,  die  Kant  der  Trans- 
zendentalphilosophie vorhergehen  lässt,  betrachtet  die  reine  Form 
des  Urteils,  ohne  auf  den  Inhalt  desselben  Rücksicht  zu  nehmen, 
während  dann  die  Kategorien,  die  ganz  analog  den  Urteilsformen 
sind,  die  Anwendung  auf  ein  reelles  Objekt  überhaupt,  d.  h.  nicht 
empirisch  bestimmtes  darstellen.  Aber  hier  erhebt  sich  unabweislich 
die  Frage  quid  juris,  mit  welchem  Recht  legt  er  die  Urteilsformen 
den  Kategorien  zu  Grunde ;  etwa  bloss  deshalb,  weil  dieselben  die 
blosse  reine  Form  zu  ihrem  Inhalt  haben  ?    Dann  begeht  er  offenbar 

2 


—     18     — 

einen  Zirkel,  indem  das,  was  die  Kategorien  beweisen  sollen,  d.  h. 
die  Anwendung  auf  reelle  Objekte  überhaupt,  die  Urteilsformen 
bereits  voraussetzen.  „Denn,"  fragt  Maimon,  „was  sind  eigentlich, 
um  die  einfachsten,  allen  Urteilen  zum  Grunde  liegenden  Formen 
zu  gebrauchen,  was  sind  Bejahung  und  Verneinung?  —  Bejahung 
bedeutet  eine  Uebereinstimmung  zwischen  dem  Subjekt  und  Prädikat 
und  Verneinung  Mangel  dieser  Uebereinstimmung,  woraus  man  sieht, 
dass  die  logische  Bejahung  und  Verneinung  die  transzendentale 
Realität  und  Negation  voraussetzen.  Kant  selber  hat  sich  gelegent- 
lich in  anderem  Zusammenhang  gegen  ein  derartiges  Verfahren  aus- 
gesprochen. Es  sei  unstatthaft,  von  einem  bereits  als  gegeben  vor- 
gefundenen gewisse  Regeln  zu  abstrahieren  und  diese  dann  jenem 
als  Wissenschaft  voranzuschicken.  —  Kr.  d.  r.  V.,  S.  77,  heisst  es: 
„Die  letztere,"  die  Logik  ist  hier  gemeint,  „wird  mehrenteils  in  den 
Schulen  als  Propädeutik  den  Wissenschaften  vorangeschickt,  ob  sie 
zwar,  nach  dem  Gange  der  menschlichen  Vernunft,  das  Späteste  ist, 
wozu  sie  allererst  gelangt,  wenn  die  Wissenschaft  schon  lange  fertig 
ist  und  nur  die  letzte  Hand  zu  ihrer  Berichtiguug  und  Vollkommen- 
heit bedarf.  Denn  man  muss  die  Gegenstände  schon  in  ziemlich 
hohem  Grade  kennen,  wenn  man  die  Regeln  angeben  will,  wie  sich 
eine  Wissenschaft  von  ihnen  zustande  bringen  lasse."  Es  ist  dies 
für  einen  grossen  Philosophen  eine  Selbstverblendung,  wenn  er  in 
denselben  Fehler  verfällt,  vor  dem  er  einige  Seiten  zuvor  gewarnt 
hat.  Kurz  zusammen gefasst  stellt  sich  die  Sache  so  dar :  Jedes 
Denken  besteht  in  einer  Synthesis  des  Mannigfaltigen  in  einer  Ein- 
heit des  Bewusstseins,  d.  h.  wir  finden  ausser  unserem  Denken  nur 
ein  ungeordnetes  Mannigfaltige,  welches  dann  durch  die  dem  mensch- 
lichen Geiste  innewohnenden  Denkfunktionen,  die  nach  Kant  die 
reinen  Verstandesbegriffe  heissen,  geordnet,  in  eine  Einheit  zusammen- 
gefasst.  Mag  nun  die  Einheit  bestehen  in  der  Beziehung  von  Sub- 
sistenz  und  Inharenz,  Kausalität  und  Dependenz  u.  s.  w.  Diesen 
verschiedenen  Kategorien  gemäss  muss  sich  das  Denken  bewegen, 
wenn  es  Realität  haben  soll.  Um  sich  aber  der  Vollzähligkeit  dieser 
Kategorien  zu  versichern,  verfuhr  er  nach  einer  Regel.  Als  heuristi- 
sches Prinzip  stellt  er  dann  die  Urteilsformen  auf,  da  jedes  Denken 
in  Urteilen  besteht  und  nachdem  die  Formen  aller  Urteile  erschöpft 
war,  schritt  er  dann  zu  der  Deduktion  der  Kategorien. 

Man   sieht  also  daraus,   dass,   wie  man  die  Sache  auch  drehen 
und  wenden  mag,  die  Kategorien  das  Primäre  sind,  da  sie  die  Ver- 


—     19     — 

anlassung  gewesen,  die  Tafel  der  Urteilsformen  als  heuristisches  Prinzip 
aufzustellen.  Soweit  erstreckt  sich  der  Einwand  Maimons  gegen  die 
Kantsche  Deduktion  der  Kategorien  aus  den  Urteilsformen  und  nun 
soll  gezeigt  werden,  dass  überdies  die  Urteilsformen  sowohl  als  auch 
•die  Kategorien  überzählig  sind. 

An   der  Hand   des  Schemas,   wie   es  Kant   aufgestellt  hat,   soll 
dies  nachgewiesen  werden. 


Tafel  der 

Urteilsformen. 

Tafel  der  Kategorien. 

Quantität. 

Qualität. 

Quantität. 

Allgemeine. 

Bejahende. 

Einheit. 

Einzelne. 

Verneinende. 

Vielheit. 

Besondere. 

Unendliche. 

Allheit. 

Relation: 

Modalität. 

Qualität.                     Relation. 

Kategorische. 

Problematische. 

Subsistenz  und  In- 

Hypothetische. 

Assertorische. 

härenz. 

Disjunktive. 

Apodiktische. 

Realität.            Kausalität  und  De- 

pendenz. 
Negation.             Wechselwirkung. 
Limitation. 

Modalität. 

Möglichkeit.  —  Unmöglichkeit. 

Dasein.  —  Nichtdasein. 
Notwendigkeit  und  Zufälligkeit. 

Zunächst  was  die  Urteile  der  Quantität  anbetrifft,  so  haben 
die  ursprünglichen,  identischen  Urteile  keine  Quantität,  d.  h.  sie 
haben  keinen  Umfang,  da  sie  unsere  Kenntnis  von  den  Dingen  nicht 
erweitern.  Aus  dem  Urteil  a  =  a  folgt  nichts  weiter  als  dieser 
Satz.  (Hingegen  aber  haben  die  allgemeinen  Urteile  eine  Quantität, 
da  sie  abgekürzte  Schlüsse  sind.  Das  allgemeine  Urteil  z.  B. :  Alle 
Menschen  sind  Tiere,  besteht  aus  den  zwei  quantitätslosen  Urteilen, 
welche  die  Prämissen  ausmachen  :  erstens  Tier  ist  im  Begriff  Mensch 
enthalten;  zweitens  Mensch,  auf  welche  Art  auch  bestimmt,  ist  Mensch, 
woraus  dann  der  Schlusssatz  erfolgt:  Alle  Menschen  sind  Tiere. 


—     20     — 

Sonach  gibt  es  der  Quantität  nach  zwei  Urteile:  Allgemeine- 
und  Besondere.  Der  Qualität  nach  gibt  es  im  engern  Sinne  ebenfalls- 
nur  zwei  Urteile :  Bejahende  und  Verneinende ;  die  unendlichen  Ur- 
teile scheiden  aus,  indem  sie  in  keinem  Verhältnis  der  Bestimm- 
barkeit zu  einander  stehen.  In  dem  verneinenden  Urteil  z.  B. :  Kein 
Mensch  ist  unsterblich,  wird  gesagt,  dass  das  Subjekt  eine  Bestim- 
mung enthält,  die  dem  Prädikat  entgegengesetzt  ist.  In  dem  un- 
endlichen Urteil  hingegen :  die  Tugend  ist  nicht  viereckig,  ist  weder 
viereckig,  noch  das  dem  Viereck  entgegengesetzte  eine  mögliche 
Bestimmung  von  Tugend.  Wenn  Kant  in  der  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft ausführt,  das  unendliche  Urteil  müsse  als  ein  besonderes 
Glied  aufgeführt  werden,  da  es  weder  den  bejahenden  Urteilen,  wie 
dies  in  der  allgemeinen  Logik  geschieht,  noch  den  verneinenden 
Urteilen  beigezählt  werden  kann,  da  das  unendliche  Urteil  das 
Hauptgewicht  darauf  legt,  dass  sie,  die  Seele,  in  dem  Beispiel :  die 
Seele  ist  nicht  sterblich,  in  den  unendlichen  Teil  der  nichtsterb- 
lichen Wesen  gehört,  so  wäre  diese  Bestimmung  des  unendlichen 
Urteils,  nach  Maimon,  falsch;  denn  in  dem  angeführten  Beispiel 
ist  der  dem  Prädikat  entgegengesetzte  Begriff  wenigstens  eine  mög- 
liche Bestimmung  vom  Subjekt.  Sonach  wäre  das  Urteil :  Die  Seele 
ist  nicht  sterblich,  zu  den  bejahenden  zu  rechnen,  indem  ich  das 
Subjekt  in  den  unbeschränkten  Raum  der  nichtsterblichen  Wesen 
als  bejahend  setze,  wie  Kant  selbst  vorübergehend  sagt.  Wiederum 
geschah  dies  wegen  der  bereits  erwähnten  Synthese  der  ersten  und 
zweiten  Urteilsform. 

Unter  den  Urteilsformen  der  Relation  gibt  es  nach  Kant :  Ka- 
tegorische, hypothetische  und  problematische  Urteile.  Die  hypothe- 
tischen will  Maimon  ausgeschieden  wissen,  da  sie  der  Form  nach 
zu  den  kategorischen  gehören.  Denn  jedes  hypothetische  Urteil  lässt 
sich  in  die  Form  des  kategorischen  Urteils  umwandeln,  ebenso  wie 
jedes  kategorische  Urteil  sich  in  die  hypothetische  Form  bringen 
lässt.  So  lässt  sich  das  hypothetische  Urteil  z.  B. :  Wenn  die  Sonne 
aufgeht,  erwärmt  sie  den  Stein,  in  die  kategorische  Form  bringen: 
Die  aufgehende  Sonne  erwärmt  den  Stein.  Indessen  ist  dies  bloss 
die  formale  Seite.  Es  gibt  aber  noch  einen  tiefer  liegenden  Grund, 
der  ihn  veranlasst,  die  beiden  Urteilsarten  zu  identifizieren  und 
zwar  ist  dies  ihre  innere  Zusammengehörigkeit  vermöge  des  Grund- 
satzes der  Bestimmbarkeit,  „Die  hypothetischen  Urteile  sind  solche, 
wodurch  die  Abhängigkeit  eines  Urteils  von  einem  andern  bestimmt 


—     21     — 

wird.  Da  das  eine  Urteil,  der  Antecedens,  vom  anderen,  dem  Kon- 
sequens,  unabhängig,  dieses  von  jenem  aber  abhängig  ist,  so  stehen 
sie  im  Verhältnis  der  Bestimmbarkeit  zu  einander  und  verhalten 
sich  wie  das  Subjekt  und  Prädikat  im  kategorischen  Urteile,  denn 
beim  Urteilen  kommt  es  nicht  darauf  an,  ob  das  Urteil  aus  Be- 
griffen oder  wiederum  aus  Urteilen  zusammengesetzt  ist."  Wenn 
daher  Kiesewetter  in  seiner  „Logik  nach  Kant'schen  Grundsätzen" 
die  von  Maimon  gefundene  Uebereinstimmung  zwischen  den  kate- 
gorischen und  hypothetischen  Urteilen  zu  widerlegen  sucht,  so  ist 
an  dieser  Stelle  zu  bemerken,  dass  es  nur  den  einen  Punkt  der 
Uebereinstimmung,  nämlich  die  Umwandlung  der  betreffenden  For- 
men in  die  anderen,  in  Betracht  zog,  während  er  die  mit  logischer 
Konsequenz  aus  dem  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  sich  ergebende 
Uebereinstimmung  mit  Stillschweigen  übergeht.  Ueberdies  ist  es 
logisch  nicht  zulässig,  wenn  Kant  im  hypothetischen  Urteil  den 
Antecedens  problematisch,  den  Konsequens  aber  assertorisch  nennt. 
Dieser  ist  als  notwendige  Folge  stets  apodiktisch.  In  dem  Urteil : 
Wenn  die  Sonne  den  Stein  bescheint,  wird  er  warm,  folgt  die  Er- 
wärmung des  Steines  nicht  nur  wirklich,  sondern  notwendig. 

Ueberhaupt  haben  wir  es  in  der  Logik  nur  mit  Notwendigkeit 
und  Möglichkeit  zu  tun.  Aus  diesem  Grunde  verneint  Maimon  die 
von  Kant  in  die  vierte  Gruppe  aufgenommenen  assertorischen  Ur- 
teile. Denn  das  problematische  Urteil,  „dass  ein  Mensch  gelehrt 
sein  kann,"  erweitert  unsere  Erkenntnis  um  den  Begriff  eines  ge- 
lehrten Menschen;  dass  ein  solcher  Mensch  sodann  in  der  Wirklich- 
keit angetroffen  wird,  bestätigt  bloss  die  Möglichkeit,  erweitert  aber 
nicht  unsere  Erkenntnis. 

Aus  dieser  Erwägung,  nämlich,  dass  die  Urteile  wesentlich  zur 
Erweiterung  unserer  Erkenntnis  dienen  sollen,  fasst  er  die  analyti- 
schen Urteile  in  einem  weiteren  Sinne  als  Kant,  wie  dies  bereits 
im  vorigen  Kapitel  kurz  angedeutet  wurde.  Für  Kant  sind  analytische 
Urteile  solche,  deren .  Prädikatsbegriff  im  Subjektsbegriff  schon  ent- 
halten ist  und  man  bloss  nötig  habe,  letzteren  zu  zergliedern,  um 
das  Prädikat  zu  finden,  wie  z.  B.,  „alle  Körper  sind  ausgedehnt, 
wo  die  Ausgedehntheit  mit  dem  Begriff  des  Körpers  unzertrennlich 
verknüpft  ist,  da  kein  Körper  ohne  Ausdehnung  denkbar  ist".  Nein, 
sagt  Maimon,  solche  Urteile  erweitern  nicht  nur  unsere  Erkenntnis 
von  den  Dingen  nicht,  wie  die  identischen  oder  individuellen,  sondern 
es  gibt  auch  solche,  die  zu  ihrer  Realität  die  synthetischen  voraus- 


—     22     — 

setzeu.  So  ist  z.  B.  das  reell  falsche  aber  formal  richtige  Urteil: 
ein  viereckiger  Zirkel  ist  viereckig  ein  analytisches  Urteil  nach  dem 
Satz  des  Widerspruchs.  Soll  aber  dieses  Urteil  auf  seine  Wahrheit, 
Realität  geprüft  werden,  so  stellt  sich  heraus,  dass  es  unmöglich 
ist,  da  ein  viereckiger  Zirkel  sich  nicht  konstruieren  lässt:  also 
bedarf  ich  zur  Konstatierung  der  Realität  des  genannten  Urteils  der 
Hilfe  des  synthetischen.  Allerdings  ist  es  auf  den  ersten  Blick  be- 
fremdend, dass  Maimon  mit  Beweisen  gegen  Kant  argumentiert,  die 
sich  vom  Standpunkt  Kants  sehr  gut  rechtfertigen  lassen,  indem  er 
in  der  Tat  alle  mathematischen  Sätze  synthetische  Urteile  a  priori 
nennt.  Auch  linden  wir  bei  Maimon  gar  keine  Andeutung,  wie  er 
diese  Argumente  gedeutet  wissen  will,  und  so  ist  man  darauf  an- 
gewiesen, diese  seine  Beweise  nach  eigenem  Ermessen  zu  ergänzen. 
Und  zwar,  müsste  man  dann  sagen,  wendet  sich  Maimon  gerade 
gegen  die  Generellisierung  der  mathematischen  Sätze  als  synthetische 
Urteile,  indem  er  zeigt,  dass  es  auch  welche  gibt,  die  analytischen 
Charakter  tragen  und  dennoch  zu  ihrer  Realisierung  der  syntheti- 
schen Urteile  bedürfen.  Man  müsste  also  sagen,  dass  diese  Bestim- 
mung nicht  von  allen  analytischen  Urteilen  gelten  soll,  sondern 
bloss  von  gewissen  mathematischen;  die  übrigen  analytischen  Urteile 
sind  identische  zu  nennen. 

Soweit  haben  wir  uns  mit  dem  negativen  Teil,  d.  h.  der  pole- 
mischen Seite  Maimons  befasst;  es  ist  der  unhaltbare  Standpunkt 
der  Kant'schen  Kategorienlehre  aus  mehreren  Gründen  gezeigt 
worden;  vor  allem  aber  deshalb,  weil  die  Grundlage  eine  unsichere, 
lockere  ist. 

Nun  ist  es  an  der  Zeit,  zu  Maimon  selbst  überzugehen,  seine 
Methode,  die  er  an  die  Stelle  der  Kant'schen  setzt,  aufzuzeigen  und 
Punkt  für  Punkt  darzulegen,  wie  alsdann  die  Schwierigkeiten  sich 
lösen.  Bevor  wir  jedoch  zur  Lösung  dieser  Frage  schreiten,  soll 
noch  eine  allgemeine  Bemerkung  vorangeschickt  werden.  Es  ist  Mai- 
mon durchaus  nicht  darum  zu  tun,  um  eine  gewisse  Proportionalität 
oder  Zahlensymmetrie,  sondern  lediglich  darum,  aus  einem  gut  fun- 
damentierten  Prinzip  den  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  die  Kate- 
gorien herzuleiten,  gleichviel  was  für  eine  Zahl  sich  daraus  ergeben 
wird.  „Ich  werde  mich  wenig  darum  bekümmern,"  sagt  er  gelegent- 
lich, „ob  ich,  nachdem  ich  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  der 
logischen  Formen  werde  untersucht  haben,  zwölf  Formen,  nach  den 
Stämmen   Israels,    oder    mehr   oder   weniger   herausbringen   werde, 


-     23     — 

wenn  ich  nur  von  dem,  was  ich  herausbringe,  werde  Rechenschaft 
geben  können.  Ihm  ist  es,  wie  man  sieht,  nur  um  die  Sache  selbst 
und  nicht  um  die  äussere  Form  zu  tun;  daraus  erklärt  es  sich 
ebenfalls,  dass  die  Urteilsformen  in  mehreren  Beziehungen  mit  den 
Kategorien  nicht  ganz  übereinstimmen,  wie  noch  ausführlich  gezeigt 
werden  soll. 

Nach  all  dem  Gesagten  wird  sich  allerdings  die  unausbleibliche 
und  unabweisliche  Frage  aufdrängen,  wie  es  denn  eigentlich  komme, 
dass  Maimon  neben  einer  Tafel  der  Kategorien  noch  eine  Tafel  der 
Urteilsformen  gelten  lässt.  Nach  Kant  ist  diese  doppelte  Gegen- 
überstellung deshalb  nötig,  weil  er  eben  die  Urteilsformen  als  heu- 
ristisches Prinzip  unentbehrlich  findet;  aber  nach  Maimon,  der  sich 
eines  solchen  heuristischen  Prinzips  nicht  zu  bedienen  braucht,  ja 
sogar  sich  eines  solchen  zu  bedienen  für  unstatthaft  hält,  wozu 
noch  der  überflüssige  Ballast,  insbesondere,  da  sein  ganzes  Augen- 
merk, wie  aus  der  ganzen  Logik  hervorgeht,  auf  eine  grösstmög- 
liche  Vereinfachung  gerichtet  ist? 

Die  Beantwortung  dieser  Frage  ist  nicht  schwer,  nur  muss  man 
folgenden  Gesichtspunkt  beachten.  Beide,  Maimon  wie  Kant,  stimmen 
darin  überein,  dass  es  eine  reine,  allgemeine  Logik  und  eine  an- 
gewandte Logik  oder  transzendentale  geben  muss.  Nur  mit  dem 
Unterschied,  und  darin  gehen  sie  auseinander,  dass  Kant  die  Urteils- 
formen zum  übergeordneten  Faktor,  von  dem  die  Kategorien  abhängig 
sind,  erhebt;  während  bei  Maimon  Urteilsformen  und  Kategorien 
sich  wechselsweise  bedingen.  „Diese  bedürfen  jener  zu  ihrer  Mög- 
lichkeit und  jene  setzen  diese  zu  ihrer  Realität  voraus."  Nehmen 
wir  ein  einfaches  Beispiel  aus  der  Algebra:  A —  B  als  blosse  reine 
Form  betrachtet,  will  nichts  anderes  sagen,  als  dass  die  zwei  ganz 
unbestimmten  Grössen  A  und  B  in  einer  solchen  Beziehung  zu  ein- 
ander stehen,  dass  die  eine  von  der  andern  subtrahiert  wird,  ohne 
dabei  Rücksicht  darauf  zu  nehmen,  ob  die  Bedingungen  zu  einem 
solchen  Verfahren  gegeben  sind,  d.  h.  dass  A  grösser  sein  muss 
als  B.  Soll  aber  dieses  Verhältnis  auf  wirklieh  gegebene  Grössen 
angewendet  werden,  so  muss  wohl  auf  dieses  Verhältnis  Rücksicht 
genommen  werden ;  hingegen  ist  die  reine  Form  die  Möglichkeit 
vom  Gebrauche  der  Kategorien,  denn  bevor  ich  auf  wirkliche  Dinge 
die  Beziehungen  der  Denkformen  anzuwenden  beginne,  muss  ich 
mich  zuerst  vergewissern,  ob  solche  Beziehungen  überhaupt  vor- 
handen sind  und  diese  erhalten  wir  durch  die  Urteilsformen.  Nach 


—     24     — 

Maimon  bilden  die  Urteilsformen  gleichsam  den  Kern,  der  aus  den 
Kategorien  herausgeschält  wird  durch  Abzug  dessen,  was  dieselben 
als  die  Bedingungen  von  der  Möglichkeit  des  Denkens  eines  reellen 
Objekts  bestimmt,  ohne  dass  deshalb  die  Kategorien  den  Anspruch 
erheben  dürften,  mehr  zu  gelten  als  die  Urteilsformen,  vielmehr 
setzen  sie  sich  gegenseitig  voraus.  Diese  Wechselseitigkeit  von  Kate- 
gorien und  Urteilsformen  drückt  er  einmal  folgendermassen  aus : 
Die  Formen  der  Urteile  sind,  als  Postulate  des  Denkens  in  Beziehung 
auf  Objekte  überhaupt,  bloss  möglich.  Die  Kategorien,  d.  h.  diese 
Formen,  in  Ansehung  ihres  Gebrauchs  durch  Bedingungen  der  Be- 
stimmbarkeit eingeschränkt,  können  von  den  durch  diese  Beding- 
ungen erkennbaren  Objekten  nur  unter  der  Voraussetzung  gebraucht 
werden,  dass  das  erkennbare  Verhältnis  der  Bestimmbarkeit  in  dem 
logischen  Verhältnis  der  Formen,  und  dieses  in  dem  Realverhältnis 
der  Objekte,  gegründet  ist."  Es  ist  ferner  klär,  dass  dadurch  zu- 
gleich der  ganze  Apparat  des  transzendentalen  Schematismus,  des 
Kant'schen  tritos  anthropos,  wie  man  denselben  bezeichnen  kann, 
überflüssig  gema-ht  wird.  Denn  was  ist  denn  der  Schematismus 
anderes,  als  der  Vermittlungsversuch  der  Kategorien  und  die  An- 
wendung derselben  auf  empirisch  gegebene  Objekte.  Dabei  verfährt 
er  bekanntlich  so  :  Den  Raum  nimmt  er  für  die  drei  ersten  Gruppen 
der  Kategorien,  die  mathematischen,  und  beweist,  dass  nichts  im 
Räume  Darstellbares  anders  als  vermittelst  dieser  Kategorien  ge- 
dacht werden.  Ebenso  ist  wiederum  die  Zeit  das  Kriterium  für  die 
zwei  letzten  Gruppen,  die  dynamischen,  indem  gezeigt  wird,  dass 
Vorgänge  in  der  Zeit  nicht  anders  als  vermittelst  dieser  Kategorien 
gedacht  werden  können.  Wenn  z.  B.  von  der  Kategorie  der 
Kausalität  die  Rede  ist,  so  beweist  er,  dass  das  Verhältnis  von 
Ursache  und  Wirkung  in  der  Zeit  dergestalt  geartet  sein  muss, 
dass  die  Ursache  zeitlich  vorhergeht,  worauf  danu  die  Wirkung 
unausbleiblich  folgt.  Demgegenüber  antwortet  Maimon  in  dem  „Re- 
sultat der  Kritik  des  Erkenntnisvermögens":  „Zugegeben,  dass  wir 
von  der  hypothetischen  Form  der  Urteile,  wie  sie  die  Logik  dar- 
stellt, einen  Begriff  haben :  wie  kann  eine  allgemeine  sich  auf  Ob- 
jekte überhaupt  sich  beziehende  bloss  mögliche  Form  von  bestimm- 
ten Objekten  wirklich  gebraucht  werden?  Ich  weiss,  dass  Objekte 
überhaupt  in  diesem  Verhältnisse  stehen  können,  woher  weiss  ich 
aber,  dass  das  Feuer  und  die  Wärme  des  Steines  unter  diese  Ob- 
jekte gehören?     Durch  das  Schema,  weil  das  Feuer  immer  vorher- 


—     25     — 

geht  und  die  Wärme  darauf  folgt.  Aber  wie  kann  die  in  Beziehung 
auf  die  Existenz  dieser  Objekte  wahrgenommene  Regel  in  der  Zeit- 
folge den  Grund  einer,  in  Beziehung  auf  ihre  Denkbarkeit,  not- 
wendigen Regel  abgeben?"  Das  heisst,  wie  folgt  aus  der  in  der 
Wirklichkeit  oft  wahrgenommenen  Aufeinanderfolge  von  Feuer  und 
Wärme,  dass  wir  uns  diese  Aufeinanderfolge  so  und  nicht  auch  um- 
gekehrt denken  müssen.  Man  sieht,  dass  sich  hier  speziell  in  bezug 
auf  die  Kausalität  der  Einfluss  Humes  geltend  gemacht  hat. 

Wenn  aber  die  Kategorien  dadurch  gewonnen  werden,  dass 
von  vorneherein  die  Möglichkeit  des  Denkens  eines  reellen  Objekts 
zu  gründe  gelegt  wird  und  die  Kategorien  als  dasjenige  Moment  in 
der  Logik  bezeichnet  werden,  vermittelst  derselben  jedes  reelle 
Denken  erst  möglich  gemacht  wird,  so  ist  es  ja  klar,  dass  sie  nicht 
erst  zu  ihrer  rechtmässigen  Anwendung  der  Schemata  bedarf,  da 
sie  eine  solche  Anwendung  bereits  voraussetzen. 

Sehen  wir  nun  zu,  wie  er  im  einzelnen  die  Kategorien  ableitet; 
wir  beginnen  mit  den  Kategorien  der  Quantität,  wobei  gleich  hier 
zu  bemerken  ist,  dass  bei  der  Quantität  zwischen  Urteilsformen  und 
Kategorien  kein  Unterschied  vorhanden  ist.  Hier  wie  dort  ergibt 
sich :  Einheit,  Vielheit  und  Allheit.  Und  zwar  ist  die  Ueberein- 
stimmung  deshalb,  weil  zur  Herleituug  der  Kategorien  der  Quantität 
nicht  erst  die  Möglichkeit  des  Denkens  eines  reellen  Objekts  nötig 
ist.  Der  Grund  nämlich,  weshalb  Maimon  die  Kategorien  von  den 
Urteilsformen  nicht  ableiten  will,  ist  ja  der,  weil  die  Urteilsformen 
zu  ihrer  Realität  der  Kategorien,  der  Elementarprädikate  bedarf; 
nun  aber  lassen  sich  die  Formen  der  Quantität  aus  der  blossen 
Anschauung  abstrahieren,  ohne  auf  die  notwendige  Denkbarkeit  oder 
die  Beziehungen  der  Objekte  zu  einander  Rücksicht  zu  nehmen. 
Jedes  Denken  eines  ganz  unbestimmten  Objekts  überhaupt  besteht 
in  der  Verbindung  eines  Mannigfaltigen  zu  einer  Einheit.  Dieses 
Mannigfaltige  vor  der  Verbindung  macht  eine  Vielheit  aus.  Da  aber 
jeder  einzelne  Bestandteil  des  Mannigfaltigen  wiederum  zusammen- 
gesetzt sein  kann,  so  machen  diese  Bestandteile  zusammengenommen 
eine  Allheit  aus.  „In  dem  Begriffe  eines  rechtwinkligen,  gleich- 
schenkligen Dreiecks  z.  B.  machen  erstlich  seine  Bestandteile,  das 
rechtwinklige  Dreieck  und  das  Gleichschenkligsein  ausser  der  Ver- 
bindung eine  Vielheit  aus,  die  in  dem  Begriffe  eines  rechtwinkligen 
gleichschenkligen  Dreiecks  eine  Einheit  ausmachen.  Aber  selbst  der 
•eine  Bestandteil  dieses  Begriffes,  nämlich  das  rechtwinklige  Dreieck, 


—     26     — 

ist  ein  in  einer  Einheit  verbundenes  Mannigfaltige,  dem  als  Subjekt 
das  neue  Prädikat  hinzugefügt  wird.  Ebenso  ist  auch  die  koordi- 
nierte Vielheit  des  Subjekts  in  Beziehung  auf  das  Prädikat  eine 
Allheit." 

Kant  leitet,  wie  bereits  gezeigt  worden,  die  Kategorien  der 
Quantität  aus  der  Quantität  der  Urteile  her.  Diese  Herleitung  ist 
schon  aus  dem  Grunde  falsch,  weil  nicht  alle  Urteile  eine  Quantität 
haben,  sondern  nur  diejenigen,  welche  abgekürzte  Schlüsse  sind.  Da 
dies  schon  einmal  in  anderem  Zusammenhang  gezeigt  worden,  wird 
es  wohl  unnütz  sein,  dasselbe  nochmals  zu  wiederholen.  Maimon 
hingegen  leitet  die  Möglichkeit  der  Kategorien  gerade  aus  den 
quantitätslosen  Urteilen,  die  er  ja  aus  der  Tafel  der  Urteilsformen 
bei  Kant  ausgeschieden  wissen  will.  Maimon  stellt  das  quantitätslose 
einfache  Urteil  auf  und  zeigt,  dass  es  seiner  äusseren  Form  nach 
zwar  keine  Quantität  habe.  Zu  seinem  inneren  Wesen  oder  zu 
seiner  Möglichkeit  aber  muss  doch  die  Kategorie  der  Quantität 
nach  allen  ihren  Momenten  vorausgesetzt  werden.  Mensch  und  Tier, 
insofern  sie  nicht  identisch  sind,  machen  vor  ihrer  Verbindung  in 
einer  Einheit  des  Bewusstseins  eine  Vielheit,  in  der  Verbindung 
eine  Einheit  aus.  Da  nun  der  ganze  Begriff  von  Tier,  d.  h.  alle 
seine  Prädikate,  dem  Menschen  zukommen  müssen,  so  haben  wir 
hier  auch  eine  Allheit  und  so  ist  es  auch  in  andern  Fällen  be- 
schaffen. 

Anders  aber  verhält  es  sich  mit  den  Kategorien  der  Qualität; 
während  also  die  Kategorien  der  Quantität  bloss  Bedingungen  eines 
Objekts  überhaupt  sind,  so  sind  sie  doch  nicht  wiederum  durchs 
Denken  bestimmt.  Denn  Einheit,  Vielheit  und  Allheit  findet  auch 
ausserhalb  des  Denkens  statt,  d.  h.  beim  blossen  Anschauen  der 
Objekte.  Ich  betrachte  jeden  Punkt  einer  Reihe  als  eine  Einheit, 
mehrere  als  eine  Vielheit  und  die  ganze  Reihe  als  eine  Allheit. 

Bei  den  Kategorien  der  Qualität  hingegen,  Bejahung,  Ver- 
neinung u.  s.  w.,  steht  es  ganz  anders;  sie  finden  ausser  dem 
Denken  gar  nicht  statt.  „Man  kann  Objekte  finden,  die  eins  oder 
viel  sind,  man  kann  aber  keine  finden,  die  Bejahung  oder  Ver- 
neinung sind.  Diese  sind  bloss  gedachte  Verhältnisse  zwischen  Ob- 
jekten, aber  keine  absoluten  Merkmale  derselben.  Sie  sind  also 
durchs  blosse  Denken  möglich,  so  wie  das  Denken  wiederum  durch 
sie  möglich  wird.  Folglich  müssen  die  Urteilsformen  Bejahung  und 
Verneinung  die  transzendentalen,  als   das   reelle  Denken,   d.  h.  die 


27 


Kategorien,  voraussetzen.  Und  nun  kommt  wieder  der  Grundsatz 
der  Bestimmbarkeit  zur  Anwendung.  „Das  Gegebensein  der  Objekte 
in  dem  zum  reellen  Denken  erforderliche  Verhältnis  der  Bestimm- 
barkeit, macht  die  Kategorie  der  Realität;  das  Gegebensein  der 
Objekte  in  einem  diesem  entgegengesetzten  Verhältnis  macht  die 
Kategorie  der  Negation,  das  Gegebensein  derselben  in  keinem  Ver- 
hältnis der  Bestimmbarkeit  überhaupt,  macht  die  Kategorie  der 
Limitation  aus." 

Nach  Maimon  wird   sich  die  Gegenüberstellung  der  Kategorien 
und  Urteilsformen  wie  folgt  darstellen  lassen: 


Formen. 

Kategorien. 

Quantität. 

Quantität. 

Einheit. 

Einheit. 

Vielheit. 

Vielheit. 

Allheit. 

Allheit. 

Qualität, 

Qualität. 

Bejahung. 

Realität.  ' 

Verneinung. 

Negation. 

Unendlichkeit. 

Limitation. 

Relation. 

Relation. 

Substanz  und  Akzidenz. 

Gegenstand  des  Bewusstseins   an  sich 

Wechselbe  Stimmung. 

und  Gegenstand  des  Bewusstseins  durch 

jenen. 

Wechselbestimmung. 

Modalität. 

Modalität. 

rendigkeit  und  Unmöglichkeit. 

Notwendigkeit. 

Möglichkeit. 

Möglichkeit. 

Wirklichkeit. 

Jede  der  hier  aufgezählten  Klassen  der  Kategorien  sowohl  wie 
der  Urteilsformen,  stehen  mehr  oder  weniger  mit  dem  Grundsatz 
der  Bestimmbarkeit  in  Beziehung. 

Bejahung  als  Form  bedeutet  das  Gegebensein  im  Verhältnis 
der  Bestimmbarkeit ;  als  Kategorie  ist  es  die  Realität  der  gegebenen 
Bestimmung.  Verneinung  ist  das  Gegebensein  in  einem,  dem  Ver- 
hältnis  der   Bestimmbarkeit   entgegengesetzten   Verhältnis;   Unend- 


—      28      - 

lichkeit  bedeutet  das  Gegebensein  in  keinem  Verhältnis  der  Be- 
stimmbarkeit. Als  Kategorien  bedeutet  Negation  die  dadurch 
ausgeschlossenen  Bestimmungen.  Wechselbestimmung  heisst:  zwei 
Akzidenzen  einer  Substanz,  die  sich  gegenseitig  ausschliessen ;  darauf 
beruht  das  disjunktive  Urteil. 

Notwendigkeit  und  Unmöglichkeit:  wenn  das  Prädikat  oder  sein 
Entgegengesetztes  im  Begriffe  des  Subjekts  enthalten  ist. 

Möglichkeit:  Wenn  so  wenig  das  Prädikat,  als  sein  Entgegen- 
gesetztes im  Begriffe  des  Subjekts  enthalten  ist.  Als  Kategorie  be- 
deutet Möglichkeit  die  Beziehung  der  Bestimmung  auf  das  Bestimm- 
bare, d.  h.  das  Bestimmbare  muss  nicht  mit  der  Bestimmung 
gedacht  werden,  da  es  auch  an  sich  ein  Gegenstand  des  Bewusst- 
seins  ist.  Notwendigkeit  wiederum  das  Bestimmbare  in  Beziehung 
auf  die  Bestimmung.  Wirklichkeit  bedeutet  die  Darstellung  des  aus 
dem  Bestimmbaren  und  der  Bestimmung  bestehenden  Objekts.  Man 
ersieht  also  aus  der  aufgestellten  Tafel,  dass  die  Kategorien  sowohl 
als  die  Formen  der  Quantität  aus  dem  Denken  eines  Objekts  über- 
haupt hergeleitet  werden  und  daher  in  der  Logik  und  in  der  Trans- 
zendentalphilosophie einerlei  Bedeutung  haben.  Die  Kategorien  der 
Qualität  hingegen  haben  in  der  Logik,  als  blosse  Formen,  eine  bloss 
(indem  sie  als  solche  die  Beziehungen  zu  den  Objekten  überhaupt 
darstellen)  relative,  in  der  Transzendentalphüosophie  eine  (da  in 
diesem  Falle  reelle  bestimmte  Objekte  in  Betracht  kommen)  ab- 
solute Bedeutung. 

Während  aber  die  Kategorien  der  Quantität  sowohl  als  auch 
der  Qualität,  sowie  bei  den  Urteilsformen  in  allen  ihren  Momenten 
anzutreffen  sind,  so  fehlt  bei  der  Relation  je  ein  Glied.  Das  erste 
Moment  ist  die  Form  der  kategorischen,  das  zweite  die  gemein- 
schaftliche Form  der  hypothetischen  und  disjunktiven  Urteile.  Die 
eigentlich  sege nannten  hypothetischen  Urteile  haben  keinen  von  den 
kategorischen  verschiedenen  Gebrauch,  wie  dies  schon,  an  anderem 
Orte,  gezeigt  worden  ist.  Die  wechselseitigen  hypothetischen  Urteile 
aber  sind  mit  den  disjunktiven  gleichgeltend ;  z.  B.  anstatt  des 
wechselseitig  hypothetischen  Urteils :  wenn  a  ist  b,  so  ist  es  nicht  c 
und  nicht  d  und  umgekehrt:  wenn  a  nicht  c  nicht  d  ist,  so  ist  es 
b  kann  dieses  disjunktive  Urteil  gesetzt  werden:  a  ist  entweder  b 
oder  c  oder  d.  Beide  können  also  unter  dem  Begriffe  von  Wechsel- 
bestimmung gebracht  werden,  nur  dass  in  dem  hypothetischen  Ur- 
teile Antecedens  und  Konsequens,  in  dem  disjunktiven  aber  die  sich 


—     29     — 

abschliessenden  Glieder  in  Wechselbestimmung  stehen.  Ja,  jenes 
Urteil  kann  selbst  kategorisch  ausgedrückt  werden :  a,  das  nicht  c 
oder  d  ist,  ist  b. 

Nachdem  wir  gezeigt  haben,  wie  der  Grundsatz  der  Bestimm- 
barkeit als  Grundlage  zur  Deduktion  der  Kategorien  gedient  hat 
und  dass  die  Funktion  des  Urteilens  gemäss  diesem  Grundsatze 
vor  sich  geht,  soll  es  die  Aufgabe  des  nächsten  Kapitels  sein,  zu 
zeigen,  wie  derselbe  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  auch  der  Schluss- 
bildung zu  gründe  liegt. 


III.  Kapitel. 


Die  Lehre  von  den  Schlüssen. 

Bevor  wir  zur  Lehre  der  Schlüsse  übergehen,  ist  es  nötig,  die 
von  Maimon  in  die  Logik  eingeführte  sogenannte  algebraische  Me- 
thode und  ihren  Wert  zu  berücksichtigen,  da  sie  das  einzige  Cha- 
rakteristische und  Neue  in  diesem  Abschnitte  bildet,  während  er  im 
übrigen  nur  in  einigen  Stücken  von  der  hergebrachten  Logik  ab- 
weicht. Die  algebraische  heisst  sie  deshalb,  weil  sie,  im  Gegensatz 
zu  den  andern  Logiken,  insbesondere  der  erkenntnistheoretischen,  die 
für  die  Schlüsse  nötigen  Urteile  nicht  in  Worten  zum  Ausdruck 
bringt,  sondern  zu  diesem  Behufe  sich  der  algebraischen  Buchstaben 
bedient,  da  die  allgemeine  Logik  von  allem  Inhalte  abstrahiert  und 
bloss  die  reine  Form  in  Betracht  zieht.  „Da  die  Logik  von  allem 
reellen  Inhalt  der  Objekte  abstrahiert,  und  uur  die  Formen  des 
Denkens  eines  Objekts  überhaupt  in  Betrachtung  zieht,  so  kann  die 
Logik  vorzugsweise  mehr  als  irgend  eine  andere  Wissenschaft,  durch 
eine  allgemeine  Charakteristik  behandelt  werden,  so  dass  die  Theorie 
der  Zeichen  zur  Berichtigung  und  Erweiterung  der  dadurch  bezeich- 
neten Formen  sehr  bequem  gebraucht  werden  kann." 

Wiewohl  dieselbe  bereits  bei  den  Urteilen  verwendet  wird, 
scheint  sie  doch  hauptsächlich  für  Schlüsse  berechnet  zu  sein,  „da," 
wie  er  sich  einmal  ausdrückt,  „die  ganz  verwickelte  Lehre  von  den 
Schlüssen  sehr  bequem  durch  die  logische  Charakteristik  strenge 
bewiesen  werden  kann."  Allein  dieselben  Zeichen  bedeuten  nicht 
in  allen  Fällen  dasselbe ;  vielmehr  ist  ein  Unterschied  zu  machen 
zwischen  der  allgemeinen  reinen  und  der  angewandten  oder 
transzendentalen  Logik,  wie  dies  aus  einer  andern  Stelle  deutlich 
hervorgeht.  „Nach  der  Analogie  mit  der  Algebra  können  die 
Objekte    der    allgemeinen    sowohl    reinen    als    angewandten   Logik 


—     31     — 

durch  x,  y,  z  ausgedrückt  werden,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass 
diese  x,  y,  z  in  der  reinen  Logik  den  ganz  unbestimmten,  in  der 
angewandten  hingegen,  den  zwar  an  sich  unbestimmten,  durch  Be- 
dingungen der  Aufgaben  aber  bestimmbaren  x,  y,  z  entsprechen." 
Anders  ausgedrückt:  In  der  allgemeinen  Logik,  die  es  mit  der 
blossen  reinen  Form,  den  Verhältnissen  und  Beziehungen,  die  zwi- 
schen einem  ganz  unbestimmten  Subjekt  und  Prädikat  stattfinden, 
zu  tun  hat,  bedeutet  das  genannte  x  nur  jenes  ganz  unbekannte 
Etwas  in  der  Buchstabenlehre ;  während  in  der  angewandten  Logik, 
wo  wir  es  mit  der  Uebertragung  dieser  Formen  auf  reelle  Objekte 
überhaupt  zu  tun  haben,  bedeutet  dieses  x  jene  durch  Auflösung 
zu  findende  Grösse,  an  deren  Stelle  dieser  Buchstabe  einstweilen 
gesetzt  wurde.  In  der  praktischen  Logik,  wo  wir  es  mit  empirisch 
bestimmten  Objekten  zu  tun  haben,  entspricht  einer  jeden  als  be- 
stimmt gegebenen  Grösse  a,  b,  c;  auch  mit  diesen  Buchstaben  wird 
operiert,  so  z.  B.  wenn  ein  allgemein  bejahendes  oder  verneinendes 
Urteil  dargestellt  werden  soll.  Wir  wollen  sofort  die  Anwendung 
an  einigen  Beispielen  zeigen.  Die  Buchstaben  a,  h,  c  werden  stets 
bedeuten  das  gegebene  Bestimmbare,  das  durch  eine  mögliche  Be- 
stimmung von  x  bestimmt  werden  kann.  So  würde  a  x.  ein  all- 
gemeiner Begriff  sein,  d.  h.  ein  solcher,  der  auf  mehr  als  eine  Art 
bestimmt  werden  kann.  Ferner  wird  a  x  ist  a  ein  allgemeines  Urteil 
sein  und  würde  so  viel  heissen  wie  Tier,  auf  jede  mögliche  Art  be- 
stimmt, ist  Tier ;  so  könnte  es  z.  B.  heissen,  Tier  durch  Menschheit 
bestimmt  ist  Tier,  oder  allgemein  ausgedrückt,  alle  a  x  sind  a 
=  Alle  Menschen  sind  Tiere.  Bei  dieser  Gelegenheit  kommt  jener 
Grundsatz  der  Logik  zum  Vorschein:  dictum  de  omni  und  der  auf 
dem  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  beruht  und  besagen  will,  dass, 
was  vom  Ganzen  gilt,  auch  von  allen  seinen  Teilen  und  Bestimmungen 
gelten  muss.  Denn  ebenso  verändert  das,  für  sich  ohne  das  Bestimm- 
bare Mögliche,  Bestimmbare,  auch  durch  die  Bestimmung  seine  Natur 
nicht,  und  bleibt,  nach  wie  vor,  möglich. 

Im  obigen  Beispiel  kann  a  x  ist  a  nur  dann  heissen,  alle 
Menschen  sind  Tiere,  wenn  ich  annehme,  dass  das  x,  welches  eine 
jede  mögliche  Bestimmung  bedeutet,  als  Menschheit  bezeichne,  kann 
aber  ebensogut  jede  andere  Bestimmung  ausdrücken. 

Hingegen  aber  besagt  z.  B.  der  Buchstabe  n  eine  wirklich  ge- 
gebene und  nicht  eine  mögliche  Bestimmung;  a  würde  in  diesem 
Falle,   um  das   geläufige  Beispiel  beizubehalten,   Tier  heissen,   also 


—     32     — 

das  Bestimmbare  und  n  die  wirklich  gedachte  Bestimmung  Menschheit. 
Also ;  a  n  ist  a  =  gleich  Tier  durch  Menschheit  bestimmt  ist  Tierr 
allgemein  ausgedrückt :  alle  a  n  sind  a  =  Alle  Menschen  sind  Tiere. 
Dies  wenige  mag  vorläufig  genügen  zur  Illustrierung  der  algebrai- 
schen Methode  und  deren  Anwendung  auf  ein  durch  den  Grundsatz 
der  Bestimmbarkeit  zu  verknüpfendes  Mannigfaltige.  Es  wird  sich 
im  Verlaufe  dieses  Abschnittes  zeigen,  wie  sich  diese  Methode  auf 
die  Schlüsse  und  mit  grösserem  Nutzen  anwenden  lässt.  Vorher 
aber  wird  noch  über  die  Natur  der  Schlüsse  im  allgemeinen  etwas 
zu  sagen  sein  und  dann  insbesondere  jener  Punkt  zu  berühren  sein, 
auf  den  ich  bereits  im  ersten  Kapitel  aufmerksam  gemacht,  dessen 
ausführliche  Behandlung  für  diesen  Abschnitt  aufbewahrt  wurde,  in 
welchem  er  auch  hineingehört,  Ich  meine  jenen  von  gewissen  Lo- 
gikern gemachten  Unterschied  zwischen  den  mittelbaren  und  un- 
mittelbaren Schlüssen,  den  Maimon  nicht  gelten  lassen  will,  aus 
welchen  Gründen  werden  wir  weiter  sehen.  Wir  werden  ferner 
sehen,  wie  auch  hier,  wie  in  den  vorherigen  Abschnitten  der  Grund- 
satz der  Bestimmbarkeit  zum  Vorscheiu  kommt  und  so  kann  man 
ruhig  behaupten,  dass,  wenn  die  Lehre  von  den  Schlüssen  nichts 
weiter  enthalten  sollte,  was  nicht  schon  andere  vor  ihm  deutlicher 
gesagt  hätten,  sie  doch  wegen  der  erstaunlichen  Konsequenz  in  einem 
besondern  Kapitel  abgehandelt  zu  werden.  Und  iu  der  Tat  wird,  wie 
bereits  eingangs  hervorgehoben,  nur  wenig  von  der  hergebrachten 
Logik  abweichendes  zu  verzeichnen  sein,  da  die  vier  syllogistischen 
Figuren  bei  ihm  dieselben  sind,  wie  sie  Aristoteles  hinterlassen  hat 
und  woran  auch  nicht  zu  rütteln  sei.  Bezüglich  der  vierten  Figur 
sagt  er  allerdings,  sie  sei  nichts  anderes  als  eine  Umkehrung  der 
ersten  Figur.  Ueberhaupt  scheint  er  die  Schlüsse  nur  unwillig  be- 
handelt zu  haben  und  dies  bloss  der  Vollständigkeit  halber.  „Ich 
will  daher,"  schreibt  er  gelegentlich,  „die  trockene  und  sehr  un- 
fruchtbare Lehre  der  allgemeinen  Logik,"  gemeint  ist  hier  natürlich 
die  Lehre  von  den  Schlüssen,  „die  ich  hier,  bloss  um  meine  Theorie 
des  Denkens  vollständig  zu  behandeln  und  den  Nutzen  der  logischen 
Charakteristik  zu  zeigen,  vorgetragen  habe,  hiemit  beschliessen" 
u.  s.  w.  Und  in  der  Tat  scheint  es  ihm  hier  hauptsächlich  nur  um 
die  logische  Charakteristik,  d.  h.  die  algebraische  Methode  zu  tun, 
da  er  sie  mit  grosser  Sorgfalt  behandelt  und  an  mehrere  Stellen 
die  laute  Freude  über  diese  Entdeckung  kaum  verhalten  kann. 
Dennoch   soll    uns    dieser  Punkt   nicht  ausschliesslich   beschäftigen, 


—     33     — 

sondern  vielmehr  vor  der  andern  für  uns  viel  wichtigeren  Frage, 
die  wir  zum  Ausgangspunkt  genommen,  nämlich,  wie  der  Grundsatz 
der  Bestimmbarkeit  auch  bei  der  Funktion  des  Schliessens  sich  gel- 
tend macht,  mehr  in  den  Hintergrund  zurücktreten.  Und  nur  an 
Stellen,  wo  der  Nutzen  und  die  Anschaulichkeit  der  Charakteristik 
besonders  markant  hervortritt,  wie  etwa  beim  goclenischen  Sorites, 
soll  ihrer  Erwähnung  geschehen.  Da  wo  dieser  Vorteil  sich  nicht 
deutlich  zeigt,  kann  man  mit  Stillschweigen  darüber  hinweggehen. 
Wir  haben  bereits  bei  den  Urteilen  gesehen,  dass  die  beiden  zu 
verbindenden  Glieder  in  einem  Verhältnis  der  Bestimmbarkeit  zu 
einander  stehen,  wenn  es  ein  reelles  Denken  sein  soll.  d.  h.  wenn 
a  das  Bestimmbare  und  b  die  Bestimmung  ist,  so  kann  jenes  an 
sich,  ohne  die  Bestimmung  ein  Gegenstand  des  Rewusstseins  sein,. 
b  hingegen,  als  die  Bestimmung,  nur  in  Verbindung  mit  a  gedacht 
werden,  wie  dies  schon  an  einer  andern  Stelle  ausführlich  gezeigt 
worden  ist.  Ist  z.  B.  das  Urteil  a  b  ist  a  in  einem  solchen  Ver- 
hältnis gegeben,  so  sehe  ich  unmittelbar  ein,  dass  es  in  einem  sol- 
chen Verhältnis  steht,  a  welches  zugleich  b,  ist  auch  a,  d.  h.  das 
Bestimmbare  verändert  seine  Natur  niemals,  soviel  Bestimmungen 
es  auch  erhalten  mag.  Anders  aber  verhält  es  sich  mit  den  Schlüssen, 
denn  zu  jedem  mittelbaren  Schluss  sind  mindestens  drei  verschiedene 
Glieder  nötig,  der  major,  der  minor  und  der  Mittelbegriff.  Nun 
handelt  es  sich,  auch  hier  zu  bestimmen,  ob  der  Schluss  ein  richtiger, 
reeller  genannt  werden  kann ;  denn  gerade  hier,  wo  der  Schluss- 
satz mit  logischer  Notwendigkeit  aus  den  Prämissen  sich  ergibt, 
ohne  darauf  zu  achten,  ob  letztere  auch  wahr  sind  oder  nicht  z.  B. 
der  aus  folgenden  zwei  Prämissen  sich  ergebende  Schluss:  Alle 
Vierecke  sind  tugendhaft,  erste  Prämisse,  dieses  ist  ein  Viereck, 
zweite  Prämisse,  Schlusssati:  folglich  ist  es  tugendhaft;  dieser  Schluss 
ist  unläugbar  richtig,  d.  h.  formal  richtig,  nichtsdestoweniger  sind 
seine  Prämissen  falsch.  Es  handelt  sich  also  darum,  zu  bestimmen, 
wie  auch  beim  Schluss  die  Realität.  Wahrheit  eingesehen  wird  ver- 
mittelst des  Grundsatzes  der  Bestimmbarkeit,  Unmittelbar  wie  beim 
Urteil  kann  es  nicht  geschehen,  denn  dazu  sind  bloss  zwei  Glieder 
notwendig;  also  gelangen  wir,  nach  Maimon,  zu  dieser  Einsicht 
mittelbar.  Wohl  gibt  es  Fälle,  in  denen  auch  mehr  als  zwei  Glieder 
in  einer  Einheit  des  Bewusstseins  zur  Bestimmung  eines  Objekts 
verbunden  werden,  wie  z.  B.  die  drei  Linien  eines  Dreiecks,  aber  hier 
sind   dieselben   koordiniert,   also  mit  dem  Verhältnis  der  Bestimm- 

3 


—      34     — 

barkeit  nicht  vergleichbar,  wo  es  sich  um  ein  Abhängigkeitsverhältnis 
handelt.  Was  er  mit  dem  Beispiel  sagen  will  ist  folgendes:  Das 
gegebene  Objekt  des  Dreiecks  kann  ich  unmittelbar  als  Einheit  in 
mein  Bewusstsein  aufnehmen,  obgleich  es  aus  drei  Linien,  also  drei 
Gliedern,  zusammengesetzt  ist,  weil  sie  eben  koordiniert  sind,  indem 
keine  ohne  die  andere  zur  Bestimmung  eines  Dreiecks  denkbar  ist. 
Anders  aber  verhält  es  sich  mit  dem  Schluss,  wo  es  sich  um  ein 
Abhängigkeitsverhältnis  handelt ;  in  dem  Schluss,  z.  B.  a  ist  b,  b  ist  c, 
also  ist  a  auch  c,  sehe  ich  den  Schlusssatz  nicht  unmittelbar  durch 
Vergleichung  von  a  und  c  ein,  „sondern  durch  Verbindung  von  zwei 
unmittelbaren  Vergleichungen.  Die  jedesmalige  unmittelbare  Ver- 
gleichung, und  die  dadurch  bestimmte  Verbindung,  bezieht  sich  bloss 
auf  die  zwei  unmittelbar  auf  einander  folgenden  Glieder.  Die  mittel- 
bare Verbindung  zwischen  a  und  c  kann  also  nicht  anschauend, 
sondern  symbolisch  sein."  Dass  dies  aber  theoretisch  richtig  und 
vom  Standpunkt  Maimons  konsequent  bis  zu  Ende  durchgeführt 
würde,  geht  aus  dem  vom  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  hergeleiteten 
Lehrsatz,  den  ich  im  ersten  Kapitel  zitiert  habe,  deutlich  hervor. 
Derselbe  lautet:  „Eine  jede  mögliche  Bestimmung  der  Bestimmung 
ist  zugleich  eine  mögliche  Bestimmung  des  Bestimmbaren."  Den 
Beweis  haben  wir  oben  erbracht  und  so  wird  es  wohl  überflüssig  sein 
denselben  an  dieser  Stelle  zu  wiederholen.  Auf  unsern  Fall  ange- 
wendet, würde  es  etwa  so  lauten:  a  das  Bestimmbare,  B  die  mög- 
liche Bestimmung  von  A;  in  der  zweiten  Prämisse  ist  C  die  Be- 
stimmung wiederum  von  B,  also  ist  C  auch  die  mögliche  Bestimmung 
von  A.  Dieser  Lehrsatz  ist  also,  wie  man  sieht,  für  die  Schlusslehre 
speziell  aufgestellt.  Es  bleibt  dann  noch  übrig  zunächst  einig-  s  über 
die  unmittelbaren  Schlüsse  zu  sagen,  erstens  weil  an  einem  Beispiel 
die  Anwendung  der  logischen  Charakteristik  und  ihr  Nutzen  gezeigt 
werden  soll  und  zweitens,  um  bald  darauf  bei  der  Betrachtung  der 
mittelbaren  Schlüsse  den  Vergleich  dieser  beiden  Schlussarten  an- 
zustellen. —  Ein  unmittelbarer  Schluss  besteht  aus  zwei  Urteilen, 
einem  allgemeinen  und  einem  partikulären  und  stehen  im  Verhältnis 
der  Abhängigkeit,  weshalb  sie  auch  subalterne  Urteile  genannt  werden. 
Das  allgemeine  Urteil  heisst  das  subalternierende,  das  partikuläre 
das  subalternierte.  Dabei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  diese  Urteile 
in  bezug  auf  den  Stoff,  d.  h.  Subjekt  und  Prädikat  einerlei  sind 
und  nur  der  Form  der  Quantität  nach  verschieden.  Ein  Lehrsatz 
lautet:  Wenn  das  subalternierende  Urteil  wahr  ist,    so  ist  auch  das 


—     35     — 

subalternierte  Urteil  wahr.  Der  Beweis  wird  nach  seiner  neuen 
Methode  so  geführt :  a  x  ist  a,  subalternierendes  Urteil  und  bedeutet 
A  auf  jede  mögliche  Art  bestimmt  ist  A ;  denn  an  Stelle  von  x  kann 
eine  jede  andere  beliebige  Bestimmung  substituiert  werden  und  kann 
auch  lauten  a  n  ist  a,  welches  dann  das  partikuläre  Urteil  sein  wird ; 
ist  also  a  x  ist  a  wahr,  so  wird  auch  das  subalternierte  a  n  ist  a, 
wahr  sein.  Allerdings  Hesse  sich  der  Beweis  auch  anders  führen 
etwa:  „a  x  ist  b  (alle  a  ist,  weil  b  ein  allgemeinerer  Begriff  als  a 
ist.  folglich,  wenn  n  dem  x  substituiert  wird,  a  n  ist  b,  etliche  a 
sind  b.  Aber  ich  habe  die  Bezeichnung  so  gewählt,  damit  der  Grund 
der  Wahiheit  dieser  Sätze  schon  aus  der  Bezeichnung  erhellen  soll. 
Dass  a  x  ist  b  kann  bloss  gedacht,  aber  nicht  anschaulich  gemacht 
werden.  Dass  a  x  aber  a  ist,  lehrt  der  Augenschein  in  dieser  Be- 
zeichnung selbst.  Dass  a  n  ist  b  folgt  (wenn  n  dem  x  substituiert 
wird)  aus  dem  angenommenen  a  x  ist  b.  Dahingegen  a  n  ist  a  noch 
ausser  diesem  Beweise  sich  aus  der  Bezeichnung  selbst  schon  ergibt." 
Als  Correlat  zu  diesem  Beispiel  wollen  wir  noch  ein  zweites  an- 
führen. „Wenn  das  subalternierte  Urteil  falsch  ist,  ist  auch  das 
subalternierende  Urteil  falsch.  Der  Beweis  ergibt  sich  einfach  daraus, 
wenn  man  den  vorigen  umkehrt.  Wenn  es  nämlich  falsch  ist,  dass 
a  n  nicht  a  sein  soll,  so  ist  auch  falsch,  dass  a  x  nicht  a  sein  soll. 
Denn  soll  dieses  wahr  sein,  so  müsste  auch,  wenn  man  n  dem  x 
substituiert,  jener  Satz  wahr  sein,  welcher  aber  dem  angenommenen 
entgegengesetzt  ist,  also  u  s.  w.  Etwas  komplizierter  ist  der  dritte 
Lehrsatz ;  er  lautet :  „Aus  der  Falschheit  des  subalternierenden  Ur- 
teils kann  nicht  die  Falschheit  des  subalternierten  Urteils  geschlossen 
werden."  Im  Beweise  fehlt  ein  Mittelglied,  es  mussheissen:  x^>n, 
d.  h.  der  Begriff  ist  grösser  als  der  Begriff  n,  dem  Umfange  nach, 
a~>b,  folglich  ist  es  falsch,  dass  a  x  ist  b  (alle  a  sind  b)  und  doch 
ist  es  wahr,  dass  a  n  =  b.  Was  er  über  die  Lehre  von  der  Kontra- 
position der  Urteile  sagt,  ist  unwesentlich,  da  es  bloss  eine  trockene 
schematische  Aufzählung  der  Fälle,  in  welchen  eine  Umkehrung  sich 
vornehmen  lasse  und  in  nichts  von  der  hergebrachten  Logik  abweicht. 
Hingegen  aber  ist  ein  Lehrsatz  darunter  von  Wichtigkeit  namentlich 
deshalb,  weil  daraus  wiederum  sein  Bestreben  für  die  möglichste 
logische  Vereinfachung  deutlich  erhellt.  Auch  haben  wir  bei  der 
Abhandlung  der  Urteile  einen  analogen  Fall  kennen  gelernt,  nämlich 
bei  der  Zurückführung  oder  Identifizierung  der  hypothetischen  Ur- 
teile  mit   den   kategorischen.     Der  erwähnte   Lehrsatz   lautet :    Ein 


—     36     — 

disjunktives  Urteil  kann  in  ein  hypothetisches  Urteil  verwandelt  werden. 
1.  ,,Wenn  ein  Glied  des  disjunktiven  Urteils  zum  Antezedens,  und 
die  Verneinung  eines  jeden  anderen  Gliedes  zum  Konsequens  des 
hypothetischen  Urteils  gemacht  wird.  2.  Wenn  die  Verneinung  eines 
oder  einiger  der  disjunktiven  Glieder  zum  Antezedens  und  die  Be- 
jahung der  Uebrigen  zum  Konsequens  gemacht  wird."  Dabei  ist 
freilich  zu  beachten,  dass  das  durch  Veränderung  aus  dem  disjunk- 
tiveu  Urteil  hervorgebrachte  hypothetische  Urteile  von  dem  gewöhn- 
lichen bejahenden  sich  dadurch  unterscheidet,  dass  im  ersteren  stets 
ein  Glied,  entweder  der  Antezedens  oder  der  Konsequens  verneinend 
lauten  muss.  Z.  B.  das  disjunktive  Urteil:  Die  Welt  ist  entweder 
durch  einen  blinden  Zufall  da,  oder  durch  innere  Notwendigkeit, 
oder  durch  eine  äussere  Ursache,  kann  lauten  hypothetisch :  Wenn 
die  Welt  durch  blinden  Zufall  da  ist,  so  ist  sie  nicht  durch  innere 
Notwendigkeit  da,  auch  hat  sie  keine  äussere  Ursache;  oder  es  wird 
umgekehrt  und  die  zwei  verneinten  Möglichkeiten  werden  als  Ante- 
zedens vorangesetzt.  Allgemein  ausgedrückt:  a  oder  b  oder  c  ist, 
folglich  wenn  a  ist,  so  ist  weder  b  noch  c;  wenn  weder  b  noch  c  ist, 
so  ist  a.  Wie  er  also  einerseits  nicht  zugeben  will,  dass  die  hypo- 
thetischen Urteile  eine  von  den  kategorischen  verschiedene  Bedeutung 
haben  sollen,  so  macht  sich  doch  auf  der  anderen  Seite  das  Bestreben 
geltend,  die  verschiedenen  Schlussarten  hypothetisch  zu  deuten.  So 
sind  nach  ihm  die  unmittelbaren  Schlüsse  nichts  anderes  als  hypothe- 
tische Grundsätze  und  deshalb  indemonstrabel,  da  wir  die  notwendige 
Folge  des  Konsequens  aus  dem  Antezedens  nicht  einzusehen  ver- 
mögen. „Ein  unmittelbarer  Schluss  ist  in  der  Tat  nichts  anderes, 
als  ein  einfacher  hypothetischer  Grundsatz:  wenn  alle  a  sind  b,  so  ist 
kein  a  non  b.  Die  Verbindung  zwischen  dem  Antezedens  und  dem 
Konsequens  wird  aus  ihrer  Vergleichung  mit  einander  unmittelbar 
eingesehen."  Wohlgemerkt,  man  sieht  ihre  Verbindung  ein,  nicht 
aber  wie,  wenn  a  gesetzt  ist,  auch  b  notwendig  darauf  folgen  muss. 
Es  hängt  dies  mit  seinem  Skeptizismus  zusammen,  auf  den  ich  an 
anderer  Stelle  bereits  kurz  hingewiesen  habe.  Er  bezweifelt  nämlich 
die  Notwendigkeit  und  Allgemeingültigkeit  der  Kausalität  auf  em- 
pirische Objekte  angewandt.  „Daraus,"  sagt  er,  „dass  Objekte 
überhaupt,  z.  B.  im  Verhältnisse  von  Ursache  und  Wirkung  gedacht 
werden  müssen,  wenn  eine  Erfahrung  überhaupt  möglich  sein  soll, 
lässt  sich  noch  nicht  begreiflich  machen,  warum  z.  B.  eben  das  Feuer 
und  die  Wärme  in  diesem  Verhältnisse  stehen  müssen?" 


Aber  auch  die  mittelbaren  Schlüsse  sind  hypothetische  Sätze, 
deren  Antezedens  aus  zwei  Urteilen  zusammengesetzt  ist;  der  Kon- 
sequens  enthält  keinen  neuen  Stoff,  sondern  ist  aus  dem  Subjekt 
•des  ersten  und  dem  Prädikat  des  zweiten  Urteils  zusammengesetzt. 
Noch  deutlicher  als  irgend  anderswo  spricht  er  sich  bei  dieser 
Gelegenheit  über  die  logische  Einheit  und  Vereinfachung  aus.  „Diese 
Erörterung  des  Begriffs  von  Schlüssen  und  deren  Unterscheidung 
"von  einander  hielt  ich  hier  für  notwendig,  um  die  von  mir  in  diesem 
Werke  zum  Ziel  gesetzte  höchste  mögliche  logische  Einheit  zu  er- 
reichen. Man  sieht  daraus,  dass  Urteile  und  Schlüsse,  ihrem  Wesen 
nach,  von  einander  nicht  verschieden  sind.  Die  Verschiedenheit  in 
Anschauung  des  Stoffes,  der  in  den  Urteilen  Begriffe  und  Anschau- 
ungen, und  in  den  Schlüssen  Urteile  ist,  berechtigt  uns  keineswegs, 
deswegen  sie  für  verschiedene  Operationen  des  Denkens  zu  halten, 
weil  man  in  dieser  Rücksicht  unter  den  Urteilen  selbst  zwischen  den 
kategorischen  und  hypothetischen  Urteilen  eben  diesen  Unterschied 
antrifft."  Hierbei  ist  noch  auf  einen  Unterschied  aufmerksam  zu 
machen,  dass  nämlich  die  hypothetische  Form  der  Schlüsse  nicht 
mit  dem  gewöhnlichen  hypothetischen  Urteil  zu  verwechseln  ist. 
Denn  es  gibt  wohl  auch  hypothetische  Urteile,  deren  Verknüpfung 
und  notwendige  Aufeinanderfolge  nicht  aus  der  blossen  Form  des 
Urteils  sich  ergibt.  Das  Urteil:  wenn  a  ist  b,  so  ist  c  d  ist  aller- 
dings auch  ein  hypothetisches  Urteil,  aber  wir  vermögen  nicht  ein- 
zusehen, weshalb,  wenn  a  und  b  gegeben  sind,  c  und  d  darauf  folgen 
müssen.  Aus  der  blossen  logischen  Form  ist  dies  nicht  zu  ersehen, 
da  die  beiden  Glieder  kein  gemeinschaftliches  Merkmal  aufweisen.  — 

Anders  aber  verhält  es  sich  mit  der  hypothetischen  Form  der 
Schlüsse,  der  unmittelbaren  sowohl  wie  der  mittelbaren ;  wenn  a 
ist  b  und  b  ist  c,  so  folgt  aus  der  logischen  Form  notwendig,  dass 
a  auch  c  sein  muss;  ebenso  der  unmittelbare  Schluss,  wenn  a  x 
ist  6,  so  ist  auch  a  oder  a  n  —  b.  Aus  diesem  Grunde  lässt  er 
keinen  Unterschied  zwischen  den  unmittelbaren  und  mittelbaren 
Schlüssen  gelten.  „Mit  welchem  Rechte  also,"  sagt  er,  „einige 
Logiker  die  unmittelbaren  Schlüsse  Verstandesschlüsse  nennen,  da 
sie  doch  nach  den  blossen  Vernunftgesetzen  geschehen,  vermag  ich 
nicht  einzusehen."  Ich  habe  oben  von  dem  Unterschied  der  hypo- 
thetischen Form  der  Urteile  und  denjenigen  des  gewöhnlichen  hypo- 
thetischen Urteils  gesprochen.  Dies  scheint  freilich  auf  den  ersten 
Blick  eine  Inkonsequenz  vonseiten  Maimons  zu  sein ;  aber  dies  scheint 


—     38     — 

mir  in  seinem  Skeptizismus,  den  er  in  etwas  veränderter  Form  mit" 
Hume  teilt,  und  der  sich  hauptsächlich  auf  die  Kausalität  bezieht,, 
zu  beruhen,  wie  ich  dies  bereits  hervorgehoben  habe.  Daraus  ergibt 
sich  ferner,  dass  die  Schlüsse  nicht  ihrer  Relation  nach  einzuteilen 
sind  in  kategorische,  hypothetische  und  disjunktive,  sondern  dass 
alle  Schlüsse  hypothetische  sind. 

Aus  dem  bisher  gesagten  und  aus  den  Belegen  ging  unzweifel- 
haft hervor,  dass  erstens  der  Grundsatz  der  Bestimmbarkeit  auch 
den  Schlüssen  zum  Grunde  liegen;  zweitens,  wie  er,  seiner  Einheits- 
bestrebung getreu,  den  Unterschied  zwischen  den  unmittelbaren  und 
mittelbaren  Schlüssen  nicht  gelten  lassen  will,  was  er  auch  aus  dem 
Wesen  der  Schlüsse  selbst  zu  beweisen  sucht.  Nun  aber  wird  es 
nicht  unangebracht  sein,  einige  Lehrsätze  und  die  Beweise  hierher 
zu  setzen,  aus  denen  deutlich  hervorgeht,  wie  der  Grundsatz  der 
Bestimmbarkeit  auf  die  Schlüsse  sich  anwenden  lässt. 

Lehrsatz. 

„Ein  Schluss  kann  nicht  mehr  oder  weniger  als  drei  vonein- 
ander verschiedene  Glieder  haben." 

Der  Beweis  wird  bei  Maimon  mit  einer  umständlichen  Breite 
geführt ;  es  werden  da  eigentlich  zwei  Beweise  angeführt.  Der  erste 
geht  vom  Standpunkte  aus,  dass  der  Schluss  ein  hypothetisches 
Urteil  ist,  dessen  Antezedens  aus  zwei  Urteilen  bestehe;  diese  bei- 
den Urteile  müssen,  wenn  sie  nicht  identisch  sein  sollen,  mindestens 
drei  Glieder  haben,  da  sie  sonst  kein  hypothetisches  Urteil  aus- 
machen würden;  mehr  als  drei  aber  dürfen  sie  nicht  haben,  weil, 
sonst  kein  gemeinschaftliches  Glied  sein  würde  und  der  Grund  der 
Verbindung  zwischen  dem  Antecedens  und  dem  Konsequens  nicht 
in  der  blossen  Vernunftform,  sondern  anderwärts  liegen  würde, 
welches  der  Natur  der  Schlüsse  entgegengesetzt  ist.  Allein  mir 
scheint  dieser  Beweis  etwas  gesucht  und  weit  hergeholt  zu  sein,, 
und  könnte  derselbe  auch  ohne  Zuhilfenahme  der  Tatsache,  dass 
der  mittelbare  Schluss  ein  hypothetisches  Urteil  sei.  dessen  Ante- 
zedens aus  zwei  Urteilen  bestehe.  Vielmehr  könnte  man  bei  der 
Beweisführung  von  der  Tatsache  ausgehen,  dass  der  Schluss  aus 
zwei  Prämissen  bestehe,  die  ein  gemeinschaftliches  Glied  haben 
müssen,  wenn  sie  nicht  identisch  sein  sollen,  und  folglich  unsere 
Erkenntnis  nicht  erweiternd.  Ein  gemeinschaftliches  Glied  müssen 
sie  haben,  denn  sonst,  und  da  kommt  folgerichtig  der  zweite  Punkt, 


—     39     — 

würde  man  nicht  einsehen,  wie  der  Schluss  aus  den  Prämissen,  der 
blossen  Vernunft  nach,  folgen  konnte.  In  der  Tat  wird  auch  in 
jeder  andern  Abhandlung  der  Logik,  bei  Lambert,  Kant,  Kiesewetter 
und  auch  in  den  neueren  so  und  nicht  anders  argumentiert.  Ein 
anderer  Lehrsatz  behauptet,  dass  der  Mittelbegriff,  das  beiden  Prä- 
missen gemeinschaftliche  Glied  nicht  in  beiden  Prämissen  partikulär 
sein  kann.  Der  Beweis  leuchtet  ohne  weiteres  von  selbst  ein;  aus 
den  zwei  Prämissen:  Einige  Tiere  sind  Fische  und  einige  Tiere 
sind  Vögel,  folgt  natürlich  nichts  weiter,  als  dass  der  Mittelbegriff 
als  der  allgemein  bestimmbare  den  Vögeln  sowohl  wie  den  Fischen 
gemeinsam  ist. 

Zum  Schlüsse  wollen  wir  noch  zwei  Lehrsätze  mit  ihren  Be- 
weisen hersetzen  und  dann  dazu  übergehen,  zu  zeigen,  wie  die 
Regeln  der  Vernunftschlüsse  aus  der  logischen  Charakteristik  be- 
wiesen werden  können. 

Lehrsatz. 

Wenn  beide  Prämissen  bejahend  sind,  so  ist  auch  die  Kon- 
klusion bejahend.  Ist  aber  eine  von  den  Prämissen  verneinend,  so 
ist  auch  die  Konklusion  verneinend. 

Der  Beweis  wird  bei  ihm  folgendermassen  geführt :  a  ist  b  und 
c  ist  a  heisst  so  viel  als  b  auf  irgend  eine  Art  bestimmt  ist  a; 
wenn  man  also  in  der  Formel :  a  ist  b  dem  a  seinen  Wert  b  x  sub- 
stituiert, so  sieht  man  augenscheinlich,  dass  b  x  in  sich  b  enthält. 
Ferner  a,  d.  h.  b  x,  auf  irgend  eine  Art  bestimmt,  nämlich  b  x  y 
ist  c.  Diesen  Wert  von  c  in  der  Konklusion  substituiert,  gibt  die 
Bezeichnung  augenscheinlich :  b  x  y.  Diesen  Beweis  habe  ich  natür- 
lich hauptsächlich  seiner  Kuriosität  wegen  so  ausführlich  und  wört- 
lich hier  angeführt,  da  er  ebenso  abenteuerlich  wie  überflüssig  ge- 
nannt werden  kann.  Es  wird  deshalb  unnötig  sein,  im  einzelnen 
diesen  Beweis  zu  kritisieren,  sondern  es  genüge  bloss  die  Andeu- 
tung, dass  dieser  Lehrsatz  einer  der  einfachsten  ist,  indem  aus  der 
blossen  Form,  dem  Zeichen  der  Qualität,  ohne  weiteres  folgt,  dass 
die  Konklusion  bejahend  sei ;  denn  wie  sollte  beim  Schluss,  der 
doch  aus  den  Prämissen  ihrer  reinen  Form  nach  notwendigerweise 
folgte,  etwas  anderes  unterlaufen,  was  nicht  in  den  Prämissen  ent- 
halten sein  sollte.  Man  hat  also  die  Empfindung,  dass  er  seine 
logische  Charakteristik,  um  sie  konsequent  durchzuführen,  dieselbe 
ad  absurdum  führt.  Und  so  kann  man  allgemein  sagen,  die  logische 


—     40     — 

Charakteristik  ist  von  unzweifelhaftem  Wert  und  Nutzen  da,  wo  sie- 
sich  auf  die  Darstellung  der  Urteile  und  der  verschiedenen  Arten 
der  Schlüsse  beschränkt;  für  die  Beweisführung  hingegen  ist  sie 
nicht  immer  qualifiziert.  Was  auf  der  einen  Seite  die  Anschau- 
lichkeit gewinnt,  und  darum  ist  es  ihm  ja  in  der  Hauptsache  zu 
tun,  das  verliert  auf  der  andern  Seite  die  Deutlichkeit:  wenn  wir 
also  vor  der  Alternative  stehen  sollten,  entweder  klares,  deutliches 
Denken  oder  verworrene  Anschauung,  so  wird  man,  meiner  Ansicht 
nach,  nicht  lange  anstehen,  ersterem  den  Vorzug  zu  geben. 

Dies  darf  uns  aber  nicht  abhalten,  in  der  Folge  der  logischen 
Charakteristik,  wo  es  nötig  ist,  uns  zu  bedienen,  da  es  unsere  Auf- 
gabe nicht  ist,  zu  zeigen,  wie  er  es  anders  hätte  machen  sollen, 
sondern,  wie  er  von  seinem  Standpunkt  aus  nicht  anders  hat  ver- 
fahren können  oder  wollen.  Sehr  nützlich  und  auschaulich  erweist 
sich  die  logische  Charakteristik  beim  Kettenschluss  oder  dem  soge- 
nannten ordentlichen  und  goclenischen  Sorites,  auf  den  wir  noch 
später  zu  sprechen  kommen.     Nun  noch  der  letzte  Lehrsatz. 

Lehrsatz. 

Aus  einer  partikulär  bejahenden  und  einer  allgemein  verneinen- 
den Prämisse  folgt  nichts. 

Der  Beweis  wird  so  geführt,  dass  auf  einem  Umweg  gezeigt 
wird,  wie  in  solchen  Prämissen  vier  verschiedene  Prämissen  sich 
ergeben,  was  der  Natur  der  Schlüsse  zuwiderläuft.  Aus  der  parti- 
kulär bejahenden  Prämisse  a  m  ist  m,  d.  h.  einige  a,  nämlich  die- 
jenigen, die  durch  m  bestimmt  sind,  sind  m,  und  c  x  ist  nicht  a, 
kein  c  ist  a  folgt  nichts.  Denn  wenn  c  x  nicht  a  ist.  so  ist  auch 
das  umgekehrte  richtig,  a  x  ist  nicht  c,  folglich  würde  c  x  =  —  a 
heissen  c  x  =  —  a  x.  Es  würden  sich  also  vier  Hauptbegriffe  er- 
geben:  am,  ax,  ex  und  w,  welches  der  Regel  aller  Schlüsse,  dass 
nämlich  darin  nur  drei  Hauptbegriffe  vorkommen  dürfen,  zuwider 
ist.  Z.  B.  aus:  Einige  Menschen  sind  singende  Menschen;  kein 
Vogel  ist  ein  Mensch,  folgt  nichts.  Denn  obschon  es  wahr  ist,  dass 
kein  Vogel  ein  singender  Mensch  ist,  oder  dass  einige  Vögel  nicht 
singende  Menschen  sind,  so  folgt  dieses  doch  nicht  daraus,  dass 
kein  Vogel  singt,  oder  dass  einige  Vögel  nicht  singen,  sondern 
bloss,  dass  kein  Vogel  ein  Mensch  ist. 

Soweit  haben  wir  es  mit  den  einfachen  unmittelbaren  und 
mittelbaren  Schlüssen   zu  tun   gehabt   und   nun  wollen  wir  zu  den 


—     41      — 

zusammengesetztsn  Schlüssen  oder  dein  Sorites  übergehen  und  mit 
demselben  die  Lehre  von  den  Schlüssen  abschliessen.  Was  darüber 
noch  zu  sagen  wäre,  ist  unwesentlich  und  rein  formeller  Natur. 
Maimon  selbst  hat  zwar  viel  Gewicht  gelegt  auf  diese  algebraische 
Methode,  die  er,  wie  im  Vorhergehenden  auf  die  Begriffe  und  Ur- 
teile, auch  auf  die  Kettenschlüsse  angewendet  hat.  So  wird  es  der 
vorliegenden  Arbeit  nicht  Abbruch  tun,  wenn  der  letzte  Punkt  nicht 
ausführlich  behandelt  wird.  Jedenfalls  ist  daraus  ersichtlich  und 
damit  möchte  ich  schliessen,  dass  wenn  unserm  Philosophen  von 
mancher  Seite  eine  gewisse  unsystematische  Behandlung  seiner 
wissenschaftlichen  Arbeiten  vorgeworfen  wird,  ob  mit  Recht  oder 
nicht  mag  dahingestellt  bleiben,  so  war  er  dafür  auf  der  andern 
Seite  von  einer  eisernen  Konsequenz,  die  in  allen  seinen  Werken 
klar  und  deutlich  zum  Ausdruck  kommt.  Er  war  wohl  kein  philo- 
sophischer Schriftsteller,  wie  etwa  Schopenhauer,  wohl  aber  ein 
scharfer  und  ernster  Denker,  dem  es  um  die  Sache  selber  zu  tun 
war,  und  das  ist  es,  was  ihm  zu  allen  Zeiten  einen  gebührenden 
Platz  in  der  Geschichte  der  Philosophie  inmitten  der  andern  grossen 
Philosophen  sichern  wird. 


E  r  ra  t  a. 

Seite  1,  5.  Zeile,  dieser  statt  dieses. 

„  1,  letzte  Zeile,  Aenesidemus  statt  Aenisidemus. 

„  12,  6  Zeile,  dem  statt  den. 

„  12,  7.  Zeile,  Menschen  statt  Mensch. 

„  12,  26.  Zeile,  nach  gewesen. 

„  16,  15.  Zeile,  Grundsatzes  der  Bestimmbarkeit. 


7   'S 


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B  Gottselig,   Leopold 

3069  Die  Logik  Salomon  Maimons 

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